Ästhetik der Wiederholung: Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances [1. Aufl.] 9783839422885

Dass in der bildenden Kunst seit den 1960er Jahren serielle und standardisierte Verfahren das Gebot der Originalität von

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German Pages 298 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Theorien der Wiederholung
I.1 Wiederholung im 19. und frühen 20. Jahrhundert
I.2 Postmoderne und Wiederholung
I.3 Arbeitsbegriff ›Wiederholung‹
II. Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst
II.1 Ad Reinhardts und Frank Stellas Black Paintings
II.2 Minimal Art: Serialität und Selbstreferenz
II.3 Pop Art: Verdopplung, Image-Making und Übersetzung
II.4 Wiederholung
III. Performance und Wiederholung
III.1 Against Interpretation: Robert Morris’ 21.3 (1964)
III.2 Adding Up: Trisha Browns Primary Accumulation (1972)
III.3 Neverending Story: Dan Grahams. Present Continuous Past(s) (1974)
III.4 Wiederholung
IV. Die Inszenierung der Wiederholung
IV.1 Wiederholung und Manipulation: Rumstick Road (1977) der Wooster Group
IV.2 Minimal Theater: Robert Wilsons Einstein on the Beach (1976)
IV.3 Wiederholung
V. Reenactment: Wiederholungsstrategien in Theater und Performance
V.1 Please Stand By: Hamlet (2007) der Wooster Group
V.2 The Artist was Present: Marina Abramovics Seven Easy Pieces (2005)
V.3 Wieder-Holung: Anders bleiben
Ausblick
Anhang
Bibliografie
Verzeichnis der Aufführungen, Filme und Videos
Verzeichnis abgebildeter Werke
Abbildungen
Danksagung
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Ästhetik der Wiederholung: Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances [1. Aufl.]
 9783839422885

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Joy Kristin Kalu Ästhetik der Wiederholung

Theater | Band 52

Joy Kristin Kalu forscht und lehrt am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Analyse des deutschen und des US-amerikanischen Gegenwartstheaters, die Geschichte der Performance Art, Critical Whiteness Studies sowie die Ästhetik des angewandten Theaters.

Joy Kristin Kalu

Ästhetik der Wiederholung Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances

Gedruckt mit der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Diese Arbeit wurde als Dissertation am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenwissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht und im April 2012 verteidigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Hamlet, The Wooster Group. Foto © Paula Court. Lektorat: Martin Müller, Joy Kristin Kalu Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2288-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 I. I.1 I.2 I.3

Theorien der Wiederholung | 25 Wiederholung im 19. und frühen 20. Jahrhundert | 25 Postmoderne und Wiederholung | 57 Arbeitsbegriff ›Wiederholung‹ | 80

II.

Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst | 85

II.1 II.2 II.3 II.4

Ad Reinhardts und Frank Stellas Black Paintings | 91 Minimal Art: Serialität und Selbstreferenz | 98 Pop Art: Verdopplung, Image-Making und Übersetzung | 112 Wiederholung | 127

III. Performance und Wiederholung | 131 III.1 Against Interpretation: Robert Morris’ 21.3 (1964) | 140 III.2 Adding Up: Trisha Browns Primary Accumulation (1972) | 148 III.3 Neverending Story: Dan Grahams Present Continuous Past(s) (1974) | 153 III.4 Wiederholung | 159

Die Inszenierung der Wiederholung | 167 IV.1 Wiederholung und Manipulation: Rumstick Road (1977) der Wooster Group | 174 IV.2 Minimal Theater: Robert Wilsons Einstein on the Beach (1976) | 186 IV.3 Wiederholung | 200 IV.

V.

Reenactment: Wiederholungsstrategien in Theater und Performance | 207

V.1 Please Stand By: Hamlet (2007) der Wooster Group | 212 V.2 The Artist was Present: Marina Abramovićs Seven Easy Pieces (2005) | 227 V.3 Wieder-Holung: Anders bleiben | 240

Ausblick | 249 Anhang | 255 Bibliografie | 255 Verzeichnis der Aufführungen, Filme und Videos | 266 Verzeichnis abgebildeter Werke | 268

Abbildungen | 273 Danksagung | 293

Einleitung

In einem New Yorker Kino im Jahre 1977 begann das Publikum freitags und samstags um Mitternacht einen Film zu wiederholen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer besuchten wiederholt die Vorführungen und partizipierten anfangs, indem sie durch Einrufe das Geschehen kommentierten und die Darstellerinnen und Darsteller auf der Leinwand adressierten. Sie tanzten vor Beginn des Filmes in den Gängen zu dessen Soundtrack, kostümierten sich wie die Charaktere im Film und brachten Requisiten mit, die in den entsprechenden Szenen zum Einsatz kamen. Schließlich eroberten einige Fans die Vorbühne. Sie spielten mit, stellten nach, was zeitgleich im Film geschah. Sie wiederholten den Film live zwischen Publikum und Leinwand. Die Schauspieler wurden verdoppelt, ihre Bewegungen, Gesten und Worte simultan mitvollzogen. Der Kinosaal des New Yorker Waverly Theaters wurde auch zu einem Theatersaal.1 Der wiederholte Film war die Rocky Horror Picture Show, eine von Jim Sharman inszenierte britische Produktion, die auf dem Bühnenmusical The Rocky Horror Show von Richard O’Brian basierte und 1975 in die Kinos gekommen war. Sal Piro, Fan, Nachstellender erster Stunde und bis heute Vorsitzender des Rocky-Horror-Picture-Show-Fanklubs, beschreibt, wie es zu der Live-Wiederholung vor der Leinwand kam: »One night a few of us really let loose. When Riff Raff and Magenta opened the doors to the ballroom, we ran up in front of the screen and performed the dance in full view of the audience. […] I stood up and mimicked Columbia’s tap dance in

1 | Vgl. James Hoberman/Jonathan Rosenbaum: Midnight Movies, New York: Harper & Row 1983, S. 174-182.

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Ästhetik der Wiederholung

sync with the film. The applause afterward was encouraging; clearly the audience was ready for a new variety of participation.« 2

Der Rocky-Horror-Kult sprang auf verschiedene Kinos in den USA und Europa über, wurde aber in keinem anderen Haus so professionalisiert wie im Waverly Theater. Die konsequente Eroberung der Kinobühne mit einer Simultanübersetzung des Filmgeschehens lässt sich als ästhetisches Wiederholungsverfahren charakterisieren und korrespondiert mit Wiederholungsphänomenen der New Yorker Neo-Avantgarde,3 die etwa zeitgleich stattfanden. Das Waverly Theater, das mitten im Greenwich Village, nahe des Washington Square lag, befand sich damit nicht nur in geografischer, sondern auch in inhaltlicher Nähe zur experimentellen New Yorker Downtown-Szene, die in den 1960er und 1970er Jahren die 2 | Sal Piro: »How it Began«, www.rockyhorror.com/history/howapbegan.php (23.01.2013). 3 | In vollem Bewusstsein der Fragwürdigkeit jener Fortschrittsideologie, die der Avantgardebegriff impliziert, nutze ich ›Neo-Avantgarde‹ in dieser Arbeit als Epochenbegriff, der jene ästhetische Praxis der 1950er bis 1970er Jahre bezeichnet, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen einen Bruch mit dem Kunstverständnis der klassischen Moderne evozierte. Da mein Fokus auf die US-amerikanische Kunst gerichtet ist, beziehe ich mich mit dem Begriff, der ebenso für die Kunst europäischer Künstler wie Yves Klein, Lucio Fontana, Piero Manzoni und anderen gilt, vor allem auf jene experimentellen bildenden und aufführenden Künste nach dem Abstrakten Expressionismus (Happening, Pop Art, Minimal Art, Performance Art, Postmodern Dance, experimentelles Theater), die größtenteils Downtown New York ihren Anfang nahmen. Ich folge dabei der Definition des Kunsthistorikers Benjamin H.D. Buchloh, der davon ausgeht, dass die Praxis der Neo-Avantgarde keine bloße Wiederholung der Strategien der klassischen Avantgarden darstellt, die diese gleichsam institutionalisiert und somit deren ursprünglich effektive Kritik am bürgerlichen Kunstverständnis und den Kunstinstitutionen umkehrt (wie Peter Bürger in seiner Theorie der Avantgarde konstatiert). Vielmehr reagiert die NeoAvantgarde auf eine neue gesellschaftliche Realität, der sie meines Erachtens vornehmlich mittels ästhetischer Wiederholungsstrategien kritisch begegnet. Vgl. Benjamin H.D. Buchloh: »The Primary Colors for the Second Time. A Paradigm Repetition of the Neo-Avant-Garde«, in: October 37 (Sommer 1986), S. 41-52; Peter Bürger: Theorie der Avantgarde, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974; Hal Foster: »What’s Neo about the Neo-Avant-Garde?«, in: October 70 (Herbst 1974), S. 5-32.

Einleitung

Entgrenzung der Künste vorantrieb und die Trennung von populärer und elitärer Kunst ins Wanken brachte: Maler öffneten ihre Leinwände in die Dreidimensionalität und widmeten sich Gegenständen, die populärkulturellen Quellen entsprangen. Bildhauer griffen zu massengefertigten Produkten, die sie zu Rauminstallationen kombinierten. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler aller Sparten begannen, sich und ihre Artefakte in Environments, Happenings und Performances aufzuführen. Choreografinnen und Komponisten suchten alle expressiven Gesten zu tilgen und in ihren Aufführungen und Konzerten alltäglichen Bewegungen und Geräuschen Raum zu geben. Das Theater löste sich vom dramatischen Text und inkorporierte biografisches Material, das Publikum, neue Medien oder die Formsprachen anderer Künste. Dabei fanden Wiederholungsverfahren unterschiedlichster Art über alle ohnehin im Wandel begriffenen Genregrenzen hinweg Eingang in die ästhetische Praxis. Das vom Publikum initiierte Phänomen der Live-Verdopplung der Rocky Horror Picture Show bot zwar keine direkten Berührungspunkte zu den bildenden und aufführenden Künstlern, die sich in nächster Nähe als experimentelle Szene formiert hatten. Der grenzüberschreitende Umgang mit der Wiederholung zeugt aber von einer vergleichbaren ästhetischen Sensibilität und wirft Fragen auf, die für viele der im Folgenden untersuchten Aufführungen der Wiederholung – und damit das Thema dieses Buches – von Bedeutung sind: Wie lässt sich der Prozess der verkörperten Wiederholung in Worte fassen? Handelt es sich hier um die Verdopplung des Filmes, um dessen Verlebendigung oder Aktualisierung? Die Darsteller führen etwas auf, das sich an einer gleichzeitig sichtbaren medialen Vorgabe orientiert. Der Wiederholungsprozess entspricht also einer Synchronisation, die Bewegungen und Sprache umfasst. Er lässt sich demnach auch als intermediales Verfahren charakterisieren, als Übersetzung des Inhaltes eines Filmes in die Live-Situation auf der Bühne. Doch handelt es sich dabei um ein Reenactment 4 oder kann einem Film, der aus dem Zusammen4 | Der Begriff ›Reenactment‹ steht für die Wiederaufführung vergangener Ereignisse. Im englischsprachigen Raum war der Begriff lange der Wiederaufführung historischer Schlachten an Originalschauplätzen (historical reenactments) und historischer Alltagsszenen in Museumslandschaften (living history) vorbehalten. Seit den 1990er Jahren gerät das Reenactment zunehmend als ästhetische Praxis der Wiederaufführung vergangener Aufführungen, Performances, Ereignisse sowie

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schnitt zahlreicher Aufnahmen resultiert, gar keine Wiederaufführung zugesprochen werden? Auch stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Wiederholung auf die Wahrnehmung des Publikums nimmt. Lassen sich Film und Live-Geschehen zeitgleich verfolgen oder wandert die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen zwischen beiden Phänomenen hin und her? Bei dem Vergleich von medialem Vorbild und verkörperter Wiederholung rückt das Nachvollziehen der Handlung, die sich parallel auf beiden Ebenen entfaltet, in den Hintergrund. Vielmehr geraten die Differenzen zwischen Film und Live-Vollzug in den Blick. Doch eignen diesen Abweichungen und Verschiebungen auch produktive Dimensionen? Richtet sich die Wahrnehmung des Publikums auf die Differenzen, die sich aus der wiederholenden Verkörperung ergeben, können diese als selbstbezügliche Phänomene auffällig werden, die den Wiederholungsprozess als solchen thematisieren und somit auch auf die medialen Spezifitäten der involvierten Medien verweisen. Diese Irritation der Wahrnehmung des Film- oder Bühnengeschehens rückt gleichsam die Körper der Darsteller als wiederholende in den Blick, während eine Minimierung der Differenz die Möglichkeit fördert, die Wiederholenden als Figuren einer Bühnenfiktion wahrzunehmen. Beeinflusst die Wiederholung dabei lediglich die aus der Wahrnehmung resultierende Bedeutung oder wirkt das Wieder-Holen vergangener Bilder auch auf die Materialität der präsenten Körper? Um die hier aufgeführten und viele weitere Fragen zu beantworten, erarbeite ich im ersten Kapitel der vorliegenden Studie einen Wiederhokünstlerischer Arbeiten unterschiedlicher Medien in den Blick. Beispiele hierfür sind unter anderem die Projekte A Little Bit of History Repeated (Kunst-Werke Berlin, 2001), Life, Once More (Witte de With Rotterdam, 2005), Seven Easy Pie ces (Guggenheim Museum New York, 2005), History Will Repeat Itself (Hartware MedienKunstVerein Dortmund/Kunst-Werke Berlin, 2007/2008), Marina Abramovi ć: The Artist Is Present (Museum of Modern Art New York, 2010). Vgl. dazu Kapitel V der vorliegenden Studie; vgl. ferner Sven Lütticken (Hg.): Life, Once More. Forms of Reenactment in Contemporary Art [Ausstellungskatalog], Rotterdam: Witte de With 2005; Rebecca Schneider: Performing Remains. Art and War in Times of Theatrical Reenactment, London/New York: Routledge 2011; Jens Roselt/Ulf Otto (Hg.): Theater als Zeitmaschine. Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld: transcript 2012.

Einleitung

lungsbegriff, der eine Fokussierung der zahlreichen aufgeführten und verkörperten Wiederholungen erlaubt, die in den Untersuchungen zur US-amerikanischen Neo-Avantgarde bislang unbeachtet blieben. Dass in der bildenden Kunst der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts repetitive, serielle und standardisierte Verfahren der US-amerikanischen Pop, Minimal und Concept Art die essentialistischen Gebote der Originalität, Authentizität und Inspiration von Werk und Künstler unterwanderten, ist wohlbekannt. Die Performance Art hingegen scheint diesen Strömungen auf den ersten Blick entgegengesetzt zu sein: In Happenings und Performances wurde deren Unwiederholbarkeit betont, indem diese oft nur einmal aufgeführt wurden und deren Kontingenz mithilfe von Zufallsverfahren, Improvisationen und Zuschauerpartizipation erhöht wurde. Die Performance galt folglich etwa bis zum neuen Millennium (und gilt so manchem noch heute) als letzte Bastion einmaliger Kunst. Sie eignete sich zur Fortschreibung des modernistischen Mythos der Originalität der Avantgarde5 und wurde als widerständiges Phänomen theoretisiert, das sich den Wiederholungen, die sowohl die Herstellung als auch die Ästhetik der Pop und Minimal Art kennzeichneten, entzog: Performance und Wiederholung schlossen einander aus, wurden als antagonistische Pole im Spannungsfeld von Originalität und Reproduktion konzipiert.6 Erst die künstlerischen Reenactments des neuen Millenniums stellten das Diktum der Einmaligkeit von Performance radikal infrage. Doch auch abgesehen von der offensichtlichen Wiederholung einer Gesamtperformance – die übrigens die Rocky-Horror-Fangemeinde mit ihren inter5 | Die Kunstkritikerin und Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss deckt in ihrem 1981 entstandenen Essay »The Originality of the Avant-Garde« mittels der Analyse von Wiederholungsstrukturen in modernen und postmodernen Kunstwerken und Kunstverfahren den fiktionalen Charakter unterschiedlicher ›Erzählungen‹ auf, die darauf abzielen, eine Originalität der Avantgarde zu behaupten. Die von Krauss nicht berücksichtigte Performance Art hat sich dabei aufgrund der ihr regelmäßig zugeschriebenen Einmaligkeit und Selbstreferenzialität als besonders geeignet erwiesen, diesen Mythos weiter fortzuschreiben. Vgl. Rosalind E. Krauss: »The Originality of the Avant-Garde«, in: dies.: The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, Cambridge, MA/London: MIT Press 1985, S. 151-170. Vgl. ferner Kapitel III der vorliegenden Studie. 6 | Vgl. Peggy Phelan: Unmarked. The Politics of Performance, London/New York: Routledge 1993, S. 146-166.

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medialen Übersetzungen der Neo-Avantgarde vorwegnahm – finden sich repetitive Strukturen, Appropriationen und Zitate in den Aufführungen der Performancekunst und des experimentellen Theaters der 1960er und 1970er Jahre, die zudem oft mittels serieller oder technisch-medialer Reproduktionsverfahren hervorgebracht wurden. Die Analyse dieser formalen Wiederholungsstrukturen und Wiederholungsverfahren möchte ich im Folgenden aus theaterwissenschaftlicher Perspektive leisten. An der Untersuchung von Aufführungen und deren Dokumentationen geschult, erweist sich die theaterwissenschaftliche Herangehensweise als besonders geeignet, Prozesse der Wahrnehmung und Bedeutungskonstitution in flüchtigen Kunstereignissen unterschiedlicher Medien und Genres zu analysieren. Wie also steht es in den experimentellen aufführenden Künsten tatsächlich um die Aufführung 7 von Wiederholung? Zwar wird das Verhältnis von Natur und deren Nachahmung in darstellender wie bildender Kunst seit Platons Urbild-Abbild-Dualität und damit seit Beginn der Ästhetik thematisiert und in jeder Epoche neu befragt. Doch um mimetische Verfahren theatraler Darstellung, die sich zweifellos auch als Wiederholung charakterisieren lassen, soll es hier nicht gehen. Ganz im Gegenteil: Nicht den illusionistischen Strategien des Repräsentationstheaters widmet sich dieses Buch, vielmehr steht die Wiederholung als formales Stilmittel – und damit als theatrales Mittel der Irritation – im Zentrum meiner Überlegungen. Mit der Unwiederholbarkeit der Aufführung haben sich weit mehr Theaterwissenschaftlerinnen und Theaterwissenschaftler auseinander7 | Der Begriff ›Aufführung‹ steht hier und im Folgenden für Ereignisse, die während eines begrenzten Zeitraumes in leiblicher Kopräsenz von Akteuren und Zuschauern hervorgebracht werden. Mit dem Begriff ›Performance‹ bezeichne ich hingegen spezifische Aufführungen, nämlich jene der Performance Art und vereinzelt Solo-Aufführungen des postmodernen Tanzes. Zwar erweist sich die hiermit implizierte Unterscheidung zwischen Aufführungen des experimentellen Theaters und der Performance Art der 1960er und 1970er Jahre als schwierig und mag zuweilen obsolet erscheinen, ich nehme im Kapitel IV dennoch eine heuristische Trennung vor, die auf der Komplexität der Inszenierung basiert; vgl. S. 172ff. Zum Begriff der Aufführung vgl. Erika Fischer-Lichte: »Einleitende Thesen zum Aufführungsbegriff«, in: dies./Clemens Risi/Jens Roselt (Hg.): Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst, Berlin: Theater der Zeit 2004, S. 11-26.

Einleitung

gesetzt als mit der Wiederholung in der Aufführung. So charakterisiert Herbert Blau in den frühen 1980er Jahren in seiner Studie Take Up the Bodies. Theater at the Vanishing Point Theater als ständigen Kampf der Anwesenden gegen deren Verschwinden: »All theater comes against the inevitability of disappearance from the struggle to appear«,8 schreibt er und fragt: »What is the theater but the body’s long initiation in the mystery of its vanishings?«9 Peggy Phelan spitzt sein Argument in den frühen 1990ern weiter zu: »Performance’s being […] becomes itself through disappearance«,10 befindet sie in ihrem Buch Unmarked. The Politics of Performance. »Performance cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations of representations: once it does so, it becomes something other than performance.«11 Eine weitere Dekade später zeigt Rebecca Schneider in ihrem Essay Performance Remains auf, dass Verschwinden und Bleiben (remaining) der Performance einander nicht widersprechen müssen. Sie weist auf Phelans oben zitierte Definition von Performance hin und folgert: »This phrasing, importantly different from an ontological claim of being, invites us to think performance as a medium in which disappearance negotiates, perhaps becomes, materiality.«12 Schneider eröffnet hier einen Weg, Performance selbst (und nicht deren Dokumentationsmaterialien) als Gegenstand historischer Forschung zu betrachten, den sie in ihrem 2011 erschienenen Buch Performing Remains. Art and War in Times of Theatrical Reenactment in einer Diskussion ihres Essays weiter ausbaut: »Much as a dramatic script is given to remain for potential future production, or dance steps may be housed in bodily training for acts requiring dancers, materials in the archive are given, too, for the future of their (re)enactment. Here it becomes

8 | Herbert Blau: Take Up the Bodies. Theater at the Vanishing Point, Urbana/ Chicago/London: University of Illinois Press 1982, S. 298 [Herv. i.O.]. 9 | Ebd., S. 299 [Herv. i.O.]. 10 | Phelan: Unmarked, S. 146. 11 | Ebd. [Herv. i.O.]. 12 | Rebecca Schneider: »Performance Remains«, in: Performance Research 6.2 (Sommer 2001), S. 106.

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clear: the theatricality of this equation, even the performative bases of the archive, is that it is a house of and for performative repetition, not stasis.« 13

Schneider ist daran interessiert, die Dichotomie von Performance und Archiv auszuhebeln; sie weist auf die performative Dimension, die einem jeden Archiv innewohnt, hin und betont somit dessen Parallelen zum Akt der Verkörperung. Die Überlegungen Marvin Carlsons, der sich dem Verhältnis von Aufführung und Wiederholung aus der Perspektive der Erinnerung widmet, weisen dabei in eine vergleichbare Richtung. Auch er untersucht, wie sich das Vergangene auf der Bühne materialisiert. Dabei prägt er den Begriff des »ghosting«,14 um die Wiederkehr von Texten, Körpern und Produktionen zu beschreiben und um zu analysieren, wie Erinnerung die Rezeption von Aufführungen, aber auch deren Komposition beeinflusst: »All theatre, I will argue, is as a cultural activity deeply involved with memory and haunted by repetition. Moreover, as an ongoing social institution it almost invariably reinforces this involvement and haunting by bringing together on repeated occasions and in the same spaces the same bodies (onstage and in the audience) and the same physical material.« 15

Carlsons und Schneiders Überlegungen zu dem, was von der Aufführung bleibt bzw. wie Vergangenes bleibt, indem es im Produktions- und Rezeptionsakt aktualisiert wird, sind vor allem für das Phänomen der Wieder-Holung im Reenactment von Interesse, von dem das einleitende Beispiel zeugt und auf das ich im letzten Kapitel zurückkommen werde. Dem zentralen Gegenstand meiner Überlegungen aber, nämlich den formalen Wiederholungsstrukturen und Wiederholungsverfahren innerhalb von Aufführungen der Performancekunst und des experimentellen Theaters, wurde bisher wenig Beachtung geschenkt. Zwar erarbeitet die Theaterwissenschaftlerin Annette Storr in ihrem Buch Die Wiederho-

13 | Schneider: Performing Remains. Art and War in Times of Theatrical Reenactment, S. 108 [Herv. i.O.]. 14 | Marvin A. Carlson: The Haunted Stage. The Theatre as Memory Machine, Ann Arbor: University of Michigan Press 2001, S. 7 [Herv. i.O.]. 15 | Ebd., S. 11.

Einleitung

lung, Gertude Stein und das Theater anhand interdisziplinärer Lektüren16 eine Kategorie von Wiederholung zur Erfassung inhaltlicher und formaler Merkmale. Mittels dieser Kategorie, die bei Storr die Zeitlichkeit von Wiederholungsphänomenen fokussiert, widmet sie sich allerdings vornehmlich der Analyse von Texten Gertrude Steins. Ich verfahre in meiner Arbeit insofern ähnlich, als dass auch ich einleitend anhand unterschiedlicher Lektüren einen operablen Wiederholungsbegriff entwickele. Mein Vorgehen unterscheidet sich aber insofern von dem Storrs, als dass mein Wiederholungsbegriff vor allem darauf ausgerichtet ist, aufgeführte Phänomene zu betrachten. Den unterschiedlichen Spielarten formaler Wiederholung wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Monografien anderer kunstwissenschaftlicher Disziplinen gewidmet. Das Buch Wörtlichkeit und Wiederholung des Literaturwissenschaftlers Eckhard Lobsien hat meine eigene Theoriebildung beeinflusst, indem dessen Überlegungen zur Verschränkung von Wörtlichkeit und Wiederholung meine Sinne für das komplexe Verhältnis von Präsenz und Wiederholung geschärft haben.17 Auch verdanke ich dem Buch Serielle Verfahren der Kunsthistorikerin Elke Bip16 | Storr arbeitet hier mit dem Begriff der dramaturgischen Analyse: »Dem zugrunde liegt ein Begriff der Lektüre, wie ihn Roland Barthes oder auch Wolfram Groddeck ausgeprägt haben, ein Begriff, der sich auf literarische wie szenische Gegenstände der Darstellenden wie der Bildenden Künste bezieht und den zeitlichen Aspekt ihrer Aussageweise zentral erfaßt.« Annette Storr: Die Wiederholung, Gertrude Stein und das Theater. Lektüren der Zeit als bedeutender Form, München: Wilhelm Fink 2003, S. 12f. 17 | Lobsiens Kategorie der Wörtlichkeit lässt sich durchaus mit jener der Präsenz auf der Bühne vergleichen: »Wörtlichkeit bezeichnet dabei die Tendenz von Texten, sich in möglichst unüberbietbarer und unverwechselbarer Prägnanz in den Blick zu bringen […]. Wörtlichkeit als Extremfall dessen, was literarische Texte intendieren und leisten wollen, wäre so gesehen identisch mit dem ästhetischen Augenblick, der aus dem linear-homogenen Zeitfluß herausspringt […].« Eckhard Lobsien: Wörtlichkeit und Wiederholung. Phänomenologie poetischer Sprache, München: Wilhelm Fink 2005, S. 10. Lobsien stellt der Wörtlichkeit nun die Wiederholung entgegen: »Jede Wiederholung bestreitet die Möglichkeit von Wörtlichkeit. […] Jede erfahrene Wörtlichkeit ihrerseits desavouiert Wiederholungen als schlechte Dispersionen, Textrupturen oder Mechanismen der Desintegration.« Ebd., S. 12. Überraschenderweise berücksichtigt Lobsien nicht, dass auch und gerade um-

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Ästhetik der Wiederholung

pus wichtige Anregungen.18 Wie bereits Katharina Sykora vor ihr mit Das Phänomen des Seriellen in der Kunst 19 widmet sich Bippus der Theoretisierung serieller Kunst. Während Sykora dabei thematische Serien etwa Claude Monets und Piet Mondrians in ihre Betrachtungen einschließt, beschränkt sich Bippus auf die Kunst der 1960er Jahre, fokussiert werkimmanente Serialität und technische Reproduzierbarkeit und untersucht damit Künstler und Verfahren, die auch für meine Arbeit relevant sind. Die Kunsthistorikerin Ulrike Kristin Schmidt hingegen nimmt provokante Kunstzitate in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts in den Blick und konzentriert sich dabei auf die ikonoklastischen Bildzitate in den Collagen der Dadaisten und auf deren Einfluss auf die Kunstzitate anderer Kunstströmungen im 20. Jahrhundert.20 Ihre Überlegungen lassen sich aber durchaus auch auf aufgeführte zitierende Praktiken, insbesondere auf das Reenactment und auf dessen Bezugnahme auf vergangene Ereignisse, übertragen. Eine ganze Fülle von Theoriebildungen haben die seit Mitte der 1980er Jahre aktuellen digitalen Wiederholungsverfahren in der Musik hervorgerufen. So erschienen seit den 1990er Jahren zahlreiche Veröffentlichungen zum Sampling und zum Remix,21 die – vielfach unter dem gekehrt das Aufmerken ob der wahrgenommenen Wiederholung als Moment der Präsenz konzipiert werden kann. Vgl. Storr: Die Wiederholung, S. 126. 18 | Vgl. Elke Bippus: Serielle Verfahren. Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism, Berlin: Reimer 2003. 19 | Vgl. Katharina Sykora: Das Phänomen des Seriellen in der Kunst. Aspekte einer künstlerischen Methode von Monet bis zur amerikanischen Pop Art, Würzburg: Königshausen & Neumann 1983. 20 | Vgl. Ulrike Kristin Schmidt: Kunstzitat und Provokation im 20. Jahrhundert, Weimar: VDG 2000. 21 | Simon Reynolds legt in seinem Kapitel »Ghosts of Futures Past. Sampling, Hauntology and Mash-Ups« eine umfassende Geschichte der betitelten musikalischen Appropriationsverfahren vor. Vgl. Simon Reynolds: Retromania. Pop Culture’s Addiction to Its Own Past, London: Faber & Faber 2011, S. 311-361. Vgl. außerdem Alexander Mayers und Erich Picks künstlerisch-wissenschaftlich verfasstes Glossar zum Thema Sampling (im Kontext digitaler Musikproduktion wie auch darüber hinaus als medienübergreifende Kulturtechnik), das hilfreiche Beschreibungen von Begriffen wie ›covern‹, ›Loop‹ oder ›Remix‹ enthält, die zum Teil verschiedene Argumentationen vor- und gegenüberstellen. Alexander Mayer/Erich

Einleitung

Stichwort des Recyclings auf populärkulturelle und künstlerische Phänomene im Allgemeinen übertragen – von einer allgegenwärtigen Kultur der Wiederholung zeugen, deren Höhepunkt gegenwärtig postuliert wird.22 In eine ähnliche Richtung weisen auch kulturwissenschaftliche Zeitdiagnosen, die die Parodie bzw. das Pastiche als zentrale Phänomene postmoderner Kultur betrachten und deren ästhetische und kritische Implikationen beleuchten. Hier möchte ich nur exemplarisch auf die kulturpessimistische Sicht des Literatur- und Kulturtheoretikers Fredric Jameson sowie auf die optimistischere Einschätzung der Literaturwissenschaftlerin Linda Hutcheon verweisen, da deren Positionen in Kapitel III meiner Studie relevant werden und ein Spannungsfeld markieren, in dem kulturelle Wiederholungsverfahren immer wieder neu zu verorten sind. Während Jameson bereits in den 1980er Jahren die Einfallslosigkeit der wiederholungsaffinen Kulturschaffenden anprangert und eine nothing new-Mentalität moniert, deren Produkte sich primär nach den Gesetzen des Kapitalmarktes richten,23 geht Hutcheon von einem kritischen Potenzial der Parodie aus, das sie in einer durch Ironie markierten Distanznahme zum Ausgangstext verortet.24 Der Musikkritiker und Kulturtheoretiker Simon Reynolds geht 2011 in Bezug auf unsere zeitgenössische Kultur gar so weit, eine ›Retromanie‹ zu diagnostizieren und formuliert die aktuelle Tendenz, den Stil sowie konkrete Elemente vergangener Epochen im Bereich der Musik, aber Pick: »Neuauflage«, in: Sabeth Buchmann u.a. (Hg.): Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen. In Kunst, Popkultur, Film, Musik, Alltag, Theorie und Praxis, Hamburg/Berlin: Materialverlag/b_books 2005, S. 152-178. 22 | Zu Beginn des neuen Millenniums erschienen zahlreiche Sammelbände, die sich zeitgenössischen Wiederholungsverfahren in ganz unterschiedlichen Disziplinen widmen. Vgl. Buchmann u.a. (Hg.): Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen; Stefan Bidner/Thomas Feuerstein (Hg.): Sample Minds. Materialien zur Samplingkultur, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2004; vgl. ferner Christoph Jacke/Eva Kimminich/Siegfried J. Schmidt: Kulturschutt. Über das Recycling von Theorien und Kulturen, Bielefeld: transcript 2006. 23 | Vgl. Fredric Jameson: »Postmodernism and Consumer Society«, in: ders.: The Cultural Turn. Selected Writings on the Postmodern, 1983-1998, London/New York: Verso 1998, S. 7. 24 | Vgl. Linda Hutcheon: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms, London/New York: Routledge 1991, S. 32.

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Ästhetik der Wiederholung

auch der Mode, des Designs, der Kunst und des Lifestyles zu wiederholen, als zentrale Entwicklung des neuen Millenniums: »Instead of being the threshold to the future, the first ten years of the twenty-first century turned out to be the ›Re‹ Decade. The 2000s were dominated by the ›re-‹ prefix: revivals, reissues, remakes, re-enactments. Endless retrospection.«25 Reynolds macht dabei die einfache Handhabbarkeit digitaler Datenspeicherung und Datenverarbeitung für die Obsession mit der Vergangenheit verantwortlich: »We’ve become victims of our ever-increasing capacity to store, organise, instantly access, and share vast amounts of cultural data. Not only has there never before been a society so obsessed with the cultural artifacts of its immediate past, but there has never before been a society that is able to access the immediate past so easily and so copiously.« 26

Diese Rückwärtsgewandtheit sowie die einzelnen Praktiken und Phänomene, die Reynolds aufführt – vom Recycling über den Remix, das Remake, das Revival bis hin zur band reunion –, und auch verwandte, mit der postmodernen Kultur assoziierte Verfahren der Parodie, des Pastiches, des Zitates, der Kopie, des Fakes, der Imitation und der Simulation, werde ich in dieser Studie, die vornehmlich den strukturellen Wiederholungsverfahren zu Beginn der positiven Umdeutung des Wiederholungsparadigmas ab den späten 1950er Jahren gewidmet ist, nicht im Einzelnen beleuchten. Vielmehr gilt es mittels der Analyse von Konzepten der Wiederholung in Moderne und Postmoderne, einen Wiederholungsbegriff zu erarbeiten, der für die Untersuchung dieser so unterschiedlichen Phänomene fruchtbar gemacht werden kann und sie in ihren ästhetischen und vor allem in ihren theatralen Dimensionen zu erfassen vermag. Die Wiederholung als potenziell unendliches Phänomen ist dabei nicht nur in den Kunst- und Kulturwissenschaften eine zentrale Kategorie, sondern ebenfalls in der psychoanalytischen Theorie, der Soziologie und der Philosophie. Zudem ist sie ein integraler Bestandteil allen menschlichen Lebens, das ohne die ordnungsstiftende Funktion alltäglicher Rituale und Automatismen gar nicht handhabbar wäre. All diese und unzählige weitere Dimensionen der Wiederholung, wie Lobsien treffend 25 | Reynolds: Retromania, S. XI [Herv. i.O.]. 26 | Ebd., S. XXI [Herv. i.O.].

Einleitung

zusammenfasst, von »organischen und anorganischen Prozessen auf elementarstem Niveau bis hin zu kosmischen Großereignissen, von kalendarischen Zeitrhythmen bis zu psychophysischen Selbstempfindungen, von der schulmäßigen Anapher bis zur unlimitierten Intertextualität«,27 und all die Forschungsliteratur, die diese thematisiert und aufarbeitet, können weder in diesem Überblick noch im Rahmen dieser Veröffentlichung Platz und Anwendung finden. Eine interdisziplinäre Aufarbeitung des Phänomens der Wiederholung würde den Rahmen jeder Studie sprengen, vor allem aber dem Ziel des vorliegenden Buches, nämlich der Erarbeitung einer Ästhetik der Wiederholung entgegenlaufen. So sind meine Untersuchungen – ausgehend von der Beschreibung, Reflektion und Kontextualisierung produktionsästhetischer Wiederholungsverfahren – insbesondere dem Entwurf einer Wahrnehmungstheorie gewidmet, die das destabilisierende Potenzial der letztlich unfassbaren Wiederholung in Bezug auf die ganz unterschiedlichen künstlerischen, dabei besonders die verkörperten und aufgeführten Wiederholungsphänomene in den Blick zu nehmen vermag. Das erste Kapitel ist der Untersuchung moderner und postmoderner Wiederholungskonzepte in Hinblick auf das Zusammenspiel von Wiederholung und Theatralität gewidmet.28 Ich stelle Lektüren von Texten Sören Kierkegaards, Friedrich Nietzsches, Sigmund Freuds, Gilles Deleuzes, Jaques Derridas und Judith Butlers vor, die sich allesamt mit Wiederholung und jeweils unterschiedlichen Aspekten von Aufführung, Inszenierung oder Verkörperung auseinandersetzen. Davon ausgehend arbeite ich einen Begriff von Wiederholung heraus, der vom Wandel der Wiederholungskonzeptionen in Moderne und Postmoderne informiert und der Herausforderung gewachsen ist, aufgeführte Wiederholungsphänomene in ihrem kulturhistorischen Zusammenhang und in ihren ästhetischen Dimensionen zu untersuchen. Dabei ergeben sich Repräsentation, Exzess und Liminalität, Differenz und Verkörperung als zentrale Aspekte, die – mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung – bei der Analyse von ästhe-

27 | Lobsien: Wörtlichkeit und Wiederholung, S. 7. 28 | Ich arbeite mit dem Theatralitätsbegriff Erika Fischer-Lichtes, die Theatralität als Zusammenspiel von Aufführung, Inszenierung, Verkörperung und Wahrnehmung definiert. Vgl. Erika Fischer-Lichte: »Einleitung«, in: dies. (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation, Stuttgart/Weimar: Metzler 2001, S. 1-5.

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tischen Wiederholungsverfahren und deren Wahrnehmung von Bedeutung sind. Die Kapitel II bis V widmen sich der Wiederholung als ästhetischer Praxis der New Yorker Downtown-Szene. Die späten 1950er bis späten 1970er Jahre bieten sich dabei als Fokus der Untersuchung an, da zu dieser Zeit zahlreiche bildende Künstler in New York genre- und medienübergreifend arbeiteten. An jenem Umfeld, in dem Maler und Bildhauer Happenings durchführten, an experimentellen Tanzperformances teilnahmen oder Bühnendekorationen und Lichtregie entwarfen, lassen sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Wiederholungsstrategien der bildenden und der aufführenden Künste besonders komprimiert und plastisch herausarbeiten. Dabei führten Reaktionen auf die Ästhetik des Abstrakten Expressionismus sowie auf dessen genieästhetisch motiviertes Kunstverständnis, aber auch der Einfluss und die Verfügbarkeit von Reproduktionstechnologien – wie dem Fotosiebdruck und ab den späten 1960er Jahren der tragbaren Videokamera 29 – und zahlreiche weitere, die gesellschaftlichen Umwälzungen nach dem Krieg betreffende Faktoren zu Veränderungen und Entgrenzungen der Künste, als deren zentrales Merkmal sich die Wiederholung erweist. Indem die Geschichte der USamerikanischen Neo-Avantgarde als Geschichte der Wiederholung erzählt wird, die die Aufführungen der Künste integriert, soll untersucht werden, inwiefern sich die radikalen Veränderungen in Bezug auf das Verständnis der Originalität von Kunst und Künstler, die sich in der bildenden Kunst ob der Integration von Wiederholungsverfahren vollzogen haben, auf die aufführenden Künste übertragen lassen. Wozu führte die positive Umdeutung des Wiederholungsparadigmas im Kontext von Performancekunst und experimentellem Theater?30 29 | Zum Einsatz von Video in der Performance Art und Medienkunst der 1960er und 1970er Jahre vgl. Annette Jael Lehmann: Kunst und Neue Medien. Ästhetische Paradigmen seit den sechziger Jahren, Tübingen/Basel: Francke 2008, S. 43-55. Lehmann fokussiert hier das Spannungsfeld zwischen Reproduktion und Ereignishaftigkeit in medialen Körperinszenierungen und arbeitet heraus, dass die Reflexion und Unterwanderung ebendieser Dichotomie die performative und installative Videokunst von Anbeginn begleitet. 30 | Mit einer vergleichbaren Fragestellung ließen sich zudem neue Strömungen in Literatur und Musik ab den 1950er Jahren analysieren. Eine Untersuchung ästhetischer Wiederholungsverfahren würde sich dabei zweifellos für die Lyrik der

Einleitung

Das zweite Kapitel bietet einleitend einen Überblick über die Entwicklung und Funktion der zahlreichen ästhetischen Wiederholungsphänomene in der Herstellung und in der Komposition der US-amerikanischen bildenden Kunst nach dem Abstrakten Expressionismus und dient als Vorbereitung der Analysen von Wiederholung in Performancekunst und experimentellem Theater im dritten und vierten Kapitel. Ausgehend von neuen, repräsentationskritischen Bildverfahren, von denen die Kunstpraxis, aber auch die Postulate Ad Reinhardts (Art as Art) und Frank Stellas (What you see is what you see) zeugen, gerät die Selbstreferenzialität der Malerei in den Blick. Die Aspekte Serialität, Materialästhetik und – im Falle Stellas – Objekthaftigkeit, die deren Werke auszeichnen, werden in der Minimal Art radikalisiert, deren viel diskutierte Theatralität hier mit Fokus auf die Wahrnehmung der Objekte auf dem Prüfstand steht. Die Untersuchung der Pop Art mit ihren prominenten Wiederholungsstrategien der reproduktiven Herstellungsweise und der Serialität (Andy Warhol) sowie der intermedialen Übersetzung (Roy Lichtenstein) kreist schließlich um die intentional hervorgebrachten Differenzen zwischen technischer Reproduktion und manueller Spur sowie um deren ästhetische und kritische Potenziale.31 Gegenstand des dritten Kapitels ist die auf theater- bzw. kunsthistorische Dokumente gestützte Analyse aufgeführter Wiederholungen in der Performance Art. Mit der parodistischen Performance 21.3 von Robert Morris (1964), der einem seriellen Prinzip folgenden Choreografie Primary Accumulation (1972) von Trisha Brown sowie Dan Grahams New York School Poets (John Ashbery, Barbara Guest, Frank O’Hara, Anne Waldman, Ted Bergan und andere) sowie insbesondere für die experimentelle Musik von und nach John Cage anbieten. Allerdings würde dies den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen. 31 | Am Ende der Kapitel II bis V steht zudem ein kurzes, mit »Wiederholung« betiteltes Fazit, das zum einen die Ergebnisse des vorangegangenen Kapitels zusammenfasst, zum anderen diese Ergebnisse abschließend mit dem in Kapitel I erarbeiteten Wiederholungsbegriff konfrontiert, der bereits die Argumentation im jeweiligen Kapitel bestimmt hat. So bietet die Lektüre der Definition eines operablen Wiederholungsbegriffes im ersten Kapitel (I.3) gemeinsam mit den Wiederholungen am Ende der Kapitel II bis V (II.4, III.4, IV.3, V.3) eine 25-seitige, komprimierte Kurzfassung dieser Studie, die aber dementsprechend aller Herleitungen, Argumentationen und Analysen von Werken und Aufführungen ermangelt.

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Videoinstallation Present Continuous Past(s) (1974), die ihre Betrachter endlos vervielfältigt zu Darstellern transformiert, werden verschiedene Spielarten der Verkörperung von Wiederholung untersucht und gegenübergestellt. Die Strategien der verkörperten und technisch-medialen Vervielfältigung sowie der seriellen Reihung werden auf ihr repräsentationskritisches Potenzial und die Irritation der Betrachterwahrnehmung hin überprüft, Parallelen und Unterschiede zu vergleichbaren Verfahren in der bildenden Kunst werden ausgelotet. Welche aus der artefaktischen Kunst bekannten Wiederholungsstrategien lassen sich in der Performance Art feststellen? Welche Veränderungen ergeben sich, wenn diese Strategien zur Aufführung kommen? Und – last but not least – wie verhält sich die Wiederholungspraxis der Performerinnen und Performer zu dem modernistischen Mythos der Einmaligkeit und Unmittelbarkeit von Performances? Das vierte Kapitel ist dem Verhältnis von Wiederholung und Aufführung im experimentellen Theater der New Yorker Downtown-Szene gewidmet. Dabei geht es nicht um die auf der Inszenierung beruhende allgemeine Wiederholbarkeit der Aufführung, sondern vielmehr um den Eingang formaler Wiederholungsstrategien, wie sie in der bildenden Kunst und der Performancekunst auszumachen sind, in die experimentelle Theaterinszenierung. Am Beispiel von Rumstick Road (1977) der Wooster Group und Robert Wilsons Einstein on the Beach (1976) werden minutiös choreografierte Synchronisationsverfahren und serielle Reihungen von Laut-, Sprach-, Bewegungs- und Bildmaterial untersucht. Deren Vermögen, Wahrnehmung zu destabilisieren und theatrale Zeichen zu resignifizieren, wird unter Rückgriff auf Videoaufzeichnungen von Aufführungen beider Inszenierungen und eines Publikumsgespräches sowie aufführungsanalytisch ausgerichtete Artikel untersucht. Dabei stellt sich die Frage nach den theoretischen Konsequenzen einer Ästhetik der Wiederholung im Kontext des Theaters. Das fünfte Kapitel fällt aus dem hier fokussierten Zeitrahmen heraus und beschäftigt sich mit dem Phänomen des Reenactments in der Performance Art und dem experimentellen Theater, also einem vornehmlich zeitgenössischen Wiederholungsphänomen. Sowohl in der Hamlet-Inszenierung (2007) der Wooster Group, deren Untersuchung aufführungsanalytisch angelegt ist, als auch in Marina Abramovićs Seven Easy Pieces (2006), deren Analyse den gleichnamigen Film von Babette Mangolte zum Ausgangspunkt nimmt, geht es um Wiederholung als Wieder-Ho-

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lung. Die Motivation und Funktion dieses selbstreflexiven und laut David Savran »den Tod der Avantgarde«32 markierenden Wiederholungsverfahrens stehen im Mittelpunkt dieses abschließenden Kapitels. Ausgehend von dem für meinen Wiederholungsbegriff zentralen Befund, dass Wiederholungsprozesse etablierte Formen der Bedeutungsstiftung insbesondere der Repräsentation zu irritieren und zu hinterfragen vermögen, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die oben aufgeführten theater- und kunsthistorischen Dokumente, auf die ich in vielen der folgenden Untersuchungen zurückgegriffen habe – Filme, Videos, Fotos, Texte – zweifellos ebenfalls Wiederholungen darstellen. In diesem Sinne sind meine Beobachtungen und die aus ihnen resultierenden Folgerungen ebenfalls jener Beweglichkeit von Bedeutung ausgesetzt, mit der sie sich auseinandersetzen. Daraus den Schluss zu ziehen, auf wiederholendes Dokumentationsmaterial zu verzichten und stattdessen eine Begrenzung auf live erlebte Phänomene vorzunehmen, hätte sich allerdings im Rahmen dieser Arbeit als so absurd wie kontraproduktiv erwiesen. Denn abgesehen davon, dass ich der hier vorgenommenen historischen Ausrichtung ob meines Alters gar nicht hätte gerecht werden können, ist es ja gerade ein Ziel der vorliegenden Studie, die Dichotomie von medialer Reproduktion und Aufführung als letzter Bastion der Originalität herauszufordern und aufzuzeigen, dass auch im Zuge des Live-Vollzuges Wiederholungsstrukturen zum Tragen kommen. Somit ist meines Erachtens im Umgang mit den unterschiedlichsten Wiederholungsphänomenen – ob technisch-medialer Art oder ereignishaft – eine Sensibilität für die Instabilität von Signifikationsprozessen geboten. Ich möchte aus diesem Grund im Umgang mit der Wiederholung für eine Offenheit der Formulierung plädieren, die ebendieser Beweglichkeit von Bedeutung gerecht werden kann, dem Zweifelsfall konsequent Raum gibt und sich zuweilen erlaubt, im Modus der Frage zu verbleiben. Ich hoffe, dass meine Sprache diesem Anspruch in den folgenden Analysen gerecht werden kann.

32 | David Savran: »The Death of the Avantgarde«, in: The Drama Review 49.3 (Herbst 2005), S. 10-42.

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I. Theorien der Wiederholung I.1 W IEDERHOLUNG IM 19. UND FRÜHEN 20. J AHRHUNDERT In den Lektüren der folgenden Wiederholungskonzepte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegt der Fokus auf dem Verhältnis von Wiederholung und Theatralität. Die hier in chronologischer Reihenfolge diskutierten Autoren – Sören Kierkegaard, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud – nutzen die Aufführung, Inszenierung oder Verkörperung von Wiederholung als Modell, um gängige Repräsentationspraktiken zu kritisieren und neue Wege multisensorischer Bedeutungskonstitution zu eröffnen. Kierkegaards Text Die Wiederholung von 1843 inszeniert die Wiederholung als vielschichtiges Phänomen von paradoxaler und theatraler Struktur. Wiederholungen werden in seinem Text besprochen, vorgeführt, zum Scheitern verurteilt und immer wieder auf inhaltlicher wie formaler Ebene als textuelles Verfahren erprobt. Dabei bildet ein Theaterereignis das Zentrum des Textes: Der wiederholte Besuch der Aufführungen einer Inszenierung soll Aufschluss über die Möglichkeiten und die Grenzen von Wiederholung geben. Meine Lektüre konzentriert sich auf die unterschiedlichen Inszenierungen von Wiederholung im Text und geht von der Frage aus, inwieweit die Wiederholung bei Kierkegaard als ästhetisches Phänomen gedacht werden kann.

I.1.1 Sören Kierkegaards Die Wiederholung (1843) Constantin Constantius’ Schatten Kierkegaards pseudonymen Autor, und damit der fiktiven Quelle des Textes, ist die Wiederholung bereits eingeschrieben: Constantin Constantius – der Nachname wiederholt den Vornamen mit leichter Variation, beharrend. Konstanz, also Unveränderlichkeit, wird indirekt postuliert und

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noch einmal betont. Konstanz ist auch die Eigenschaft, die Constantius als zentrales Kriterium für die Wiederholung behauptet. Sein Experiment der Wiederholung einer Reise, die sich letztlich durch mehr Unterschiede denn Übereinstimmungen von der Ausgangsreise abhebt, kann seiner Meinung nach nicht den Titel ›Wiederholung‹ für sich beanspruchen: »Meine Entdeckung war nicht bedeutend und doch war sie sonderbar; denn ich hatte entdeckt, daß es die Wiederholung überhaupt nicht gab, und dessen hatte ich mich vergewissert, indem ich es mir auf alle mögliche Weise wiederholen ließ.« 1 Constantius hatte sich nach Berlin begeben, »um die Möglichkeit und Bedeutung der Wiederholung zu erproben«.2 Doch fand er aber auch gar nichts so vor, wie er es bei seiner vorigen Reise erlebt hatte. Schon die Erinnerung an die Ankunft im Hotel reizt ihn zum bedauernden Ausruf: »Ach! aber hier war keine Wiederholung möglich. Mein Wirt, der Drogist, er hatte sich verändert […].«3 Die Veränderung des Wirtes, der sich ihm beim ersten Besuch als typischer Junggeselle dargestellt hatte und sich nun als verheirateter Mann präsentierte, sollte eine der unspektakuläreren Unwiederholbarkeiten bleiben. Nachdem auch die Stadt und das Hotelzimmer wenig Konstanz bewiesen hatten und sich von seiner Erinnerung stark unterschieden, dehnte Constantius sein Experiment auf das Theater aus, indem er sich mehrfach Aufführungen einer Inszenierung ansah, die er bereis bei seinem letzten Besuch mehrfach besucht hatte. Im Königstädter Theater wurde erneut Johann Nestroys Posse Der Talisman aufgeführt; und die Theatervorstellungen, die sich schließlich durch ihre vermeintliche Wiederholbarkeit auszeichnen, nimmt Constantius zum Anlass komplexer Überlegungen zum Phänomen der Wiederholung. Sein Exkurs über das Theater beginnt mit der Feststellung, die Bühne fungiere für den Zuschauer als Ort der Wiederholung seiner selbst. Dieser suche die Verdopplung, suche Schatten seiner selbst, denen er beobachtend gegenübertreten könne.

1 | Sören Kierkegaard: »Die Wiederholung« [1843], in: ders.: Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, hg. v. Hermann Diem u. Walter Rest, übers. v. Günther Jungbluth, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2005, S. 379. 2 | Ebd., S. 353. 3 | Ebd., S. 355.

I. Theorien der Wiederholung

»Es gibt wohl keinen jungen Menschen mit etwas Phantasie, der sich nicht einmal vom Zauber des Theaters gefesselt gefühlt und gewünscht hätte, selber mit in jene künstliche Wirklichkeit hineingerissen zu sein, um sich wie ein Doppelgänger selber zu sehen und zu hören, sich selber in seine all-mögliche Verschiedenheit von sich selber zu zersplittern und dennoch auf eine solche Weise, daß jede Verschiedenheit wieder man selber ist. […] In einer solchen Selbstanschauung der Phantasie ist das Individuum keine wirkliche Gestalt, sondern ein Schatten, oder richtiger, die wirkliche Gestalt ist unsichtbar zugegen und begnügt sich daher nicht damit, einen einzigen Schatten zu werfen, sondern das Individuum hat eine Mannigfalt von Schatten, die ihm alle gleichen und die momentweise gleichberechtigt sind, es selber zu sein.« 4

Was Helmuth Plessner etwa hundert Jahre später in seinem Text Zur Anthropologie des Schauspielers mit dem Begriff der »Abständigkeit des Menschen zu sich«5 beschreibt und als anthropologische Grundbedingung bestimmt, die sich am Beispiel des Schauspielers besonders gut verdeutlichen lasse, führt Kierkegaard hier am Beispiel des Zuschauers vor. Nicht in der Aufspaltung des Schauspielers, der phänomenaler Leib ist und zudem einen Rollenkörper hat, sondern in der Verdopplung des Zuschauers, der sich in der Rezeption imaginär wiederholt und somit Schatten seiner selbst beobachtend gegenübersteht, sieht Kierkegaard einen besonderen Reiz des Theaters. Nachdem Constantius diese Theorie der Funktion des Theaters für den Zuschauer vorgestellt hat, beginnt er, sich der rhetorischen Figur der Wiederholung bedienend, über die Posse zu berichten, die er am Königstädter Theater mehrfach gesehen hat. »Im Königstädter Theater wird die Posse aufgeführt«,6 setzt er zu einer ersten, freudigen Umschreibung an, in der er der Posse einen ganz besonderen Kunstgenuss zuspricht: Constantius zufolge »kann sich die einzelne Individualität in einem ganz anderen Verstande geltend machen und ist in ihrem Genuß jeder ästhetischen Verpflichtung, traditionell zu bewundern, zu lachen, gerührt zu sein und

4 | Ebd., S. 358. 5 | Helmuth Plessner: »Zur Anthropologie des Schauspielers« [1948], in: ders.: Ausdruck und menschliche Natur (= Gesammelte Schriften, Bd. 7), hg. v. Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Ströker, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 407. 6 | Kierkegaard: Die Wiederholung, S. 364.

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so weiter entbunden«.7 Das Publikum könne somit zutiefst verunsichert werden, schließlich könne man bei der Posse »nie mit Sicherheit wissen, ob man sich im Theater als ein würdiges Mitglied der Gesellschaft aufgeführt, also jeweils an den passenden Stelle [sic!] gelacht und geweint hat«.8 Die Besonderheit der Posse wird dabei seiner Meinung nach durch den »abstrakten Maßstab«9 hervorgerufen, der die Rollengestaltung, wie auch »Situation, Handlung, Replik« 10 charakterisiert. Der hohe Abstraktionsgrad ist es, so Constantius, der vom Zuschauer das Selbstvertrauen fordert, »bei sich selbst zu wissen, ohne mit eines anderen Menschen Wissen zu Rat zu gehen, ob er sich amüsiert hat oder nicht«.11 »Im Königstädter Theater wird die Posse gegeben«,12 wiederholt er mit leichter Variation, den nächsten Absatz einleitend, und stimmt eine Lobeshymne auf das Theater, die Inszenierung und die Schauspieler an, so wie er sie bei seinen zahlreichen Besuchen während der ersten Reise vorgefunden hat. »›Der Talisman‹ sollte im Königstädter-Theater aufgeführt werden«,13 beginnt unheilvoll ein späterer Abschnitt mit einer weiteren Variation. Zwar wurde das Stück aufgeführt, doch zeigte sich alles anders: Constantius bekam nicht seinen gewohnten Platz, er entdeckte das Mädchen nicht, das er früher zu beobachten pflegte, und sein Lieblingsschauspieler, dessen komödiantisches Talent er eben noch gelobt hatte, vermochte es nicht, ihn zum Lachen zu bringen. »Eine halbe Stunde hielt ich es aus, dann verließ ich das Theater und dachte: es gibt überhaupt keine Wiederholung. […] Am nächsten Abend war ich im KönigstädterTheater. Das einzige, was sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung.«14

7 | Ebd., S. 365. 8 | Ebd. 9 | Ebd., S. 366. 10 | Ebd. 11 | Ebd. 12 | Ebd. 13 | Ebd., S. 376 [Herv. v. J.K.K.]. 14 | Ebd., S. 377 u. 378f.

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Constantin Constantius’ Ironie Constantius thematisiert das Phänomen der Wiederholung für den Leser, er berichtet von seinem Experiment der Wiederholung einer Reise, erklärt dieses im Anschluss als gescheitert, die Wiederholung für unmöglich. Seine Formulierung in Bezug auf sein Theatererlebnis, »[d]as einzige, was sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung«, entwirft die Wiederholung als Paradox und weist gleichzeitig auf eine für ihn charakteristische Qualität hin: die Ironie. Die Ironie als zentrales Textverfahren, als eine Form der Maskierung, bei der zum Schein das Gegenteil des Gemeinten behauptet wird, eröffnet dem Rezipienten die Möglichkeit, gemeinsam mit ihm Abstand zu einer eng gefassten Definition von Wiederholung als exakter Reproduktion des Gleichen zu erlangen und Widersprüche zuzulassen. So lässt sich das Paradox einer Wiederholung der Unmöglichkeit der Wiederholung mit ironischer Distanz als Hypothese aufstellen. Umkehrschluss wäre schließlich die Unwiederholbarkeit einer möglichen Wiederholung. Anders formuliert: Die Wiederholung ist nur dann möglich, wenn man ihr jene Veränderung zugesteht, die sie immer schon auszeichnet. Constantius vollzieht auch in der Bewegung seines Textes Wiederholungen, stets mit offensichtlicher Variation, die, wie oben ausgeführt, als solche auffällig werden. Er baut zudem seinen ganzen Text als spiegelbildliches Phänomen auf, indem er sich ein Gegenüber entwirft, den »jungen Menschen«,15 einen namenlosen Melancholiker, der sich, wie Constantius und doch ganz anders, dem Phänomen der Wiederholung widmet.16 Constantius stellt gleich zu Beginn des Textes klar, dass er die Wiederholung für eine Bewegung hält, die dem Erinnern entgegengesetzt ist: »Wiederholung und Erinnerung stellen die gleiche Bewegung dar, nur in entgegengesetzter Richtung; denn woran man sich als Ge15 | Ebd., S. 332. 16 | So stellt Constantius’ junger, unglücklich verliebter Freund unter dem Einfluss seiner Bibellektüre und der intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte Hiobs Überlegungen zu Liebe und Wiederholung an. Vgl. ebd., S. 422-425 u. S. 430-432. Der Relevanz der Geschichte des jungen Mannes für Kierkegaards Überlegungen zur Wiederholung widmet sich der Literaturwissenschaftler Samuel Weber in dem Kapitel »Kierkegaard’s Posse« seines Buches Theatricality as Medium. Vgl. Samuel Weber: Theatricality as Medium, New York: Fordham University Press 2004, S. 207-211.

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wesenes erinnert, das wird in rückwärtiger Richtung wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung Erinnerung in Richtung nach vorn ist.«17 Hierin besteht nun, vergegenwärtigt man sich das Experiment der Wiederholung einer Reise, das er ob dessen Abweichungen für gescheitert erklärt, ein weiteres Paradox. Constantius entwirft Wiederholung als vorwärtsgerichtete Bewegung und vollzieht in seinem Text Wiederholung als Bewegung; er selbst aber ist es, der sich während der Reise zur Erprobung der Möglichkeit von Wiederholung der Bewegung widersetzt. Die Wiederholung ist in dem Text vor allem als paradoxale Figur gegenwärtig, eindeutig wie im eben genannten Zitat oder aber mit Blick auf das gesamte Textverfahren, das sich durch die Inszenierung von Wiederholungen auf inhaltlicher und formaler Ebene auszeichnet, die immer durch Variationen gekennzeichnet sind und somit der Konstanz, die Constantius als konstitutiv für die Wiederholung erklärt, entgegenstehen. Constantius’ Worte sind nicht ›ernst zu nehmen‹, seine Schlüsse führen etwas vor, ohne ›die Wahrheit‹ für sich in Anspruch nehmen zu wollen, vielmehr ironisch den Umkehrschluss anbietend. Wir Leserinnen und Leser stehen einer komplexen Verschachtelung gegenüber, die sich nicht klar nachvollziehen lässt: Kierkegaard, der Autor, hat sich in einer anderen Person wiederholt, im Pseudonym des fiktiven Autors Constantius, der sich durch sein ironisches Textverfahren auszeichnet, somit häufig das Gegenteil von dem zu behaupten scheint, was er meint. Dieser fiktive Autor stellt nun zum einen Überlegungen über das Phänomen der Wiederholung an, die alle von paradoxaler Struktur sind. Zum anderen entwirft er den Text als Bühne der Wiederholungen, indem er die Wiederholung als Textverfahren nutzt und sich mit dem jungen Mann einen Schatten gegenüberstellt, der sich ebenfalls dem Phänomen der Wiederholung widmet. Es bleibt, will man den Text zusammenfassen, keine Definition, die sich als haltbar oder als durchführbar erweist, keine Erwägung bezüglich der Wiederholung, die nicht im Text infrage gestellt oder gar widerlegt wird. Es bietet sich daher an, die Wiederholung bei Kierkegaard als existentes, im Text präsentes Phänomen zu betrachten, das sich jedoch seiner Festschreibung durch eine Definition entzieht. Der Text negiert weder die Möglichkeit der Wiederholung noch deren Gelingen. Stellt er zwar infrage, was Constantius als Wiederholung definiert, so nutzt er Wiederholung 17 | Kierkegaard: Die Wiederholung, S. 329.

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doch erfolgreich als formales Strukturmerkmal wie auch als rhetorische Figur. Wiederholungs- und Verdopplungsprozesse strukturieren und rhythmisieren den Text und treiben ihn somit voran. Die Germanistin Elisabeth Strowick schließt in ihrem Buch Passagen der Wiederholung Constantius’ Ausspruch »Die Wiederholung ist auch mir zu transzendent.« 18 mit einer Bemerkung des pseudonymen Autors in Kierkegaards Text Der Begriff der Angst von 1844 kurz: »[D]er Begriff der Bewegung selbst [ist] eine Transzendenz, die in der Logik keinen Platz finden kann.« 19 Strowick folgert: »Keineswegs ist Constantin Constantius so begriffsstutzig, wie er vorgibt zu sein. Vielmehr begreift er, so viel man nur begreifen kann: nämlich daß die Wiederholung transzendent, Bewegung des Übergangs jenseits der Repräsentation, d.h. nicht zu denken ist.«20 Geht man von einer Definition von Repräsentation als Akt der Stellvertretung aus, so scheint die Wiederholung bei Kierkegaard tatsächlich jenseits der Repräsentation verortet zu sein. Sie ist, so Strowick, »nicht als Kategorie im herkömmlichen Sinn, sondern als deren ironische Verstellung zu lesen, d.h. als radikale Irritation und Befragung der Kategoriebildung auf ihre Konstitutionsbedingungen hin«.21 Von der inszenierten Kategoriekritik ist der Weg zur Repräsentationskritik nicht weit; zweifellos lässt sich Kierkegaards Textverfahren auch als »ironisch[e] Aushöhlung der Kategorien«22 und damit des repräsentierenden Begriffes auffassen. Noch fruchtbarer aber erscheint mir die Perspektive, dass der Begriff der Wiederholung in diesem Text den theatralen Charakter von Repräsentation vorführt. Anhand der Überlegungen Constantius’ zur Aufführung der Posse werde ich nun die Verschränkung von Wiederholung, Wiederholbarkeit, Repräsentation und Präsenz, wie sie in diesem Text in Szene gesetzt wird, ausloten.

18 | Ebd., S. 396. 19 | Sören Kierkegaard: »Der Begriff der Angst« [1844], in: ders.: Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, hg. v. Hermann Diem u. Walter Rest, übers. v. Rosemarie Lögstrup, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2005, S. 452. 20 | Elisabeth Strowick: Passagen der Wiederholung. Kierkegaard, Lacan, Freud, Stuttgart/Weimar: Metzler 1999, S. 19f. [Herv. i.O.]. 21 | Ebd., S. 2 [Herv. i.O.]. 22 | Ebd.

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Die selige Erfüllung des Augenblickes Ich möchte an dieser Stelle auf Constantius’ Exkurs über das Theater und das Wesen des Schauspieles zurückkommen, in dem er die Funktion der Repräsentation, verstanden als Form des Verweises oder Akt der Stellvertretung, für das intensive Theatererlebnis hintenanstellt. Das Theater ist der Ort, den Constantius aufsucht, nachdem zahlreiche Wiederholungsversuche gescheitert sind. Dass er sich hier eine Wiederholung verspricht, scheint auf der Hand zu liegen, wird doch mit der Inszenierung etwas dargeboten, das auf Wiederholbarkeit angelegt ist, in diesem Falle gar etwas, von dessen Wiederholbarkeit er sich bereits an mehreren Abenden seiner vorigen Reise überzeugt hatte. Er begibt sich zudem an einen Ort, dem er die Qualität der Selbstverdopplung, »das Schattenspiel des verborgenen Individuums«,23 zuspricht. Doch Constantius’ kunsttheoretische Überlegungen anhand der Posse zeigen, dass sein Interesse der Entstehung von Präsenzmomenten in der Aufführung gilt. Die zentralen Begriffe seiner Ausführungen sind dabei Abstraktion und Zufall. Der Posse schreibt er aufgrund deren hohen Grades an Abstraktion, der sie von Tragödie und Komödie wesentlich unterscheide, eine anarchische Sprengkraft zu: »Die sonst so beruhigende gegenseitige Achtung zwischen Theater und Publikum ist aufgehoben; man kann beim Ansehen einer Posse in die unberechenbarste Stimmung geraten und kann daher nie mit Sicherheit wissen, ob man sich im Theater als ein würdiges Mitglied der Gesellschaft aufgeführt, also jeweils an den passenden Stelle [sic!] gelacht und geweint hat. Man kann nicht als gewissenhafter Zuschauer die feine Charakterzeichnung bewundern, die das Drama aufweisen soll; denn die Personen der Posse sind alle nach dem abstrakten Maßstab ›überhaupt‹ entworfen. Situation, Handlung, Replik, alles ist nach diesem Maßstab. Man kann daher ebensowohl wehmütig gestimmt werden wie oben hinaus lachlustig.« 24

Der Begriff der Abstraktion meint hier demnach eine stilistische Reduktion von Charakteren und Handlungen, die dermaßen viel Offenheit lässt, dass der Zuschauer sich intensiven Stimmungen ausgesetzt sieht, deren Motivation nicht eindeutig aus der Handlung des Bühnengeschehens resultiert. Die Bühnensituationen sind von solcher »Geräumigkeit 23 | Kierkegaard: Die Wiederholung, S. 360. 24 | Ebd., S. 365f.

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des Abstrakten«,25 dass es keine adäquate Reaktion gibt, wohl aber eine Intensität, die von der Ebene der Erzählung abgekoppelt zu sein scheint. Constantius betrachtet die Posse als besonders gelungen, wenn sie zu einer Verunsicherung des Publikums führt, den Zuschauer zwingt, fern der Sicherheit gängiger Wahrnehmungsgewohnheiten und Verhaltenscodes zu rezipieren. »Ein eigentliches Theaterpublikum besitzt im allgemeinen einen gewissen bornierten Ernst, es will, oder will sich dies wenigstens einbilden, daß es im Theater veredelt und gebildet werde; es will, oder will sich dies wenigstens einbilden, daß es einen seltenen Kunstgenuss gehabt habe, es will, sobald es das Plakat gelesen hat, im voraus wissen können, wie es den Abend zu verbringen hat.« 26

Damit nun eine Posse vortrefflich gelingt, also mit den Wahrnehmungsgewohnheiten des Publikums bricht, bedarf es nach Constantius eines besonderen ›Personals‹: »Es dürfen zwei, höchstens drei ganz entschiedene Talente oder richtiger produktive Genies darunter sein. […] Das übrige Personal brauchen keine Talente zu sein, es ist nicht einmal gut, wenn sie es sind. Das übrige Personal braucht auch nicht nach dem Reglement der Schönheit ausgehoben zu sein, es soll eher zufällig zusammengebracht sein. […] Man braucht nicht einmal jemanden wegen körperlicher Gebrechen auszuschließen; ein solcher Zufall würde im Gegenteil vorzüglich hineinpassen. Ob jemand o-beinig oder x-beinig oder zu aufgeschossen oder vor der Zeit im Wuchs steckengeblieben wäre; kurz, ein im einen oder anderen Kasus defektes Exemplar, kann er in der Posse gut gebraucht werden, und die Wirkung, die er hervorruft, kann unberechenbar sein.« 27

Constantius hat also konkrete Vorstellungen, was die Besetzung einer in seinen Augen erfolgreichen Posse angeht. Nicht zu viel schauspielerisches Talent soll sich auf der Bühne versammeln und die Nebendarsteller dürfen sich gerne durch ihre eigenwillige Körperlichkeit fern des Ideals und gar der Norm auszeichnen. Jene auffälligen Körper dienen seiner Meinung nach der unberechenbaren Wirkung der Posse. Er geht gar nicht 25 | Ebd., S. 366. 26 | Ebd., S. 365. 27 | Ebd., S. 367f.

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auf schauspielerisches Vermögen im Sinne eines mimetischen Potenzials ein, vielmehr scheint es ihm um die direkte Wirkung der Schauspielerkörper fern ihrer Rollen zu gehen. Gleich eines Einbruches der Realität in das Bühnengeschehen destabilisieren sie die Wahrnehmung des Publikums, das die Nebenrollen weniger als fiktive Figuren denn als abstrakte Masse wahrnimmt, die das Allgemeine komprimiert in Szene setzt, indem sie vor allem sich selbst präsentiert: »Insofern ist man dann nicht weiter als bis zur Wirklichkeit gekommen. Das soll man auch nicht; aber der Zuschauer versöhnt sich komisch damit, diese Zufälligkeit die Forderung erheben zu sehen, die Idealität zu sein, was sie durch ihren Eintritt in die Kunstwelt der Bühne tut.«28 Die Ausstellung des phänomenalen Leibes auf Kosten der Darstellung des semiotischen Körpers einer fiktiven Figur ist im heutigen Theater eine gängige Inszenierungsstrategie, um die Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer herauszufordern und mit normativen Körper- und Rollenvorstellungen abzurechnen. Dass dieses Vorgehen Mitte des 19. Jahrhunderts als positive Authentifizierungsstrategie beschrieben wird, überrascht. Das Urteil Constantius’ erstaunt, denn es privilegiert das Fehlerhafte, Untalentierte, Hässliche nicht allein deshalb, weil es dem Realismus der Darstellung dient, sondern tatsächlich, weil es die Wahrnehmungskonventionen unterwandert. Das anarchische Moment der Destabilisierung des Zuschauers, der »beim Ansehen einer Posse in die unberechenbarste Stimmung geraten«29 kann, scheint eng mit dem von Constantius als Zufälligkeit beschriebenen Moment der Irritation zusammenzuhängen. Den Erfolg der Hauptdarsteller, für die Constantius zwar Talent einfordert, beurteilt er nach überraschend ähnlichen Kriterien. Es geht ihm auch beim begabten Personal nicht um die gekonnte Charakterdarstellung, sondern um die Stimmung der Darsteller. »Beckmann ist ein entschieden komisches Genie, das rein lyrisch im Komischen durchgeht, sich nicht durch Charakterzeichnung auszeichnet, sondern durch übersprudelnde Stimmung.«30 Auch bei Constantius’ Beurteilung der Qualität der Hauptdarsteller steht die referenzielle Funktion, die Repräsentation

28 | Ebd., S. 369. 29 | Ebd., S. 365. 30 | Ebd., S. 369.

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einer Figur, hinter der gekonnten Präsentation von Humor und Intensität zurück. So beschreibt er noch einmal Beckmann: »Was B. sich hier getraut, ist halsbrecherisch; denn er vertraut vermutlich nicht darauf, in strengerem Verstand durch seine tänzerischen Stellungen zu wirken. Er ist nun ganz oben hinaus. Weder Gestalt noch Replik vermögen den Wahnsinn des Lachens in ihm mehr zu behausen, nur dies, wie Münchhausen, sich selbst beim Nacken nehmen und sich in tollen Bocksprüngen hinjubeln, ist der Stimmung gemäß.« 31

Die unmittelbare, ekstatische Präsenz, die Constantius am Possenschauspieler Beckmann lobt, scheint sich bei seinem erneuten Besuch der Aufführung nicht einzustellen. Nachdem er sich lebhaft und voller Freude erinnert hat, folgt die enttäuschte Feststellung: »[E]s gibt überhaupt keine Wiederholung.«32 Die Theatervorstellung hat Constantius als Herzstück seiner Wiederholung einer Reise inszeniert; nach zahlreichen Enttäuschungen sollte sie nun endgültig entscheiden, ob es die Wiederholung gibt oder nicht. Und doch ist es nach seiner Beschreibung der Posse, wie er sie bei der letzten Reise erlebt hatte, kein Wunder, dass sie sich als mindestens so unwiederholbar erweist wie die Erfahrung der Stadt. Alles, was er hervorgehoben hatte – die Stimmung der Schauspieler, die Überraschungseffekte, die Abstraktion und Zufall hervorriefen, die Destabilisierung der Rezeptionshaltung und Rezeptionserfahrung –, entsteht ob einer Präsenz der beteiligten Schauspieler und der Geistesgegenwart des Publikums. Die Zufälligkeit aber verbraucht sich, ist die Inszenierung wohlbekannt, und der hohe Abstraktionsgrad führt dazu, dass Assoziationen stark von jenen des letzten Besuches abweichen können. Kurz: Die Posse am Königstädter Theater als Paradigma von Wiederholbarkeit zu erklären, muss in diesem Sinne der ironischen Textstrategie zugeschrieben werden.

Fazit Constantius’ Umgang mit der Aufführung der Posse bietet zahlreiche Parallelen zu seiner Inszenierung der Wiederholung im Text. Er weigert sich, die Zeichensysteme der Aufführung in Bezug auf mögliche 31 | Ebd., S. 370f. 32 | Ebd., S. 377.

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Bedeutungen zu lesen. Kein Wort verliert er über den Text, den Inhalt, die Figuren. Stattdessen spricht er über die Akteure in ihrer phänomenalen Leiblichkeit, ihrer Präsenz, ihrer Stimmung, über die Intensität der Darstellung und den Eindruck auf das Publikum. Das Theatererlebnis, das der Erzähler bespricht, entzieht sich der Repräsentation als Illusionsschaffung in Form eines Verweises auf ein imaginäres Anderes. Anstatt Theatralität – wie es der vorherrschenden Theaterpraxis des 19. Jahrhunderts entsprochen hätte – auf die semiotische Funktion des Verweisens zu reduzieren, setzt er in Bezug auf die Aufführung die Theatralität der Repräsentation in Szene, indem er nicht beschreibt, welche Wirklichkeit abgebildet, sondern wie Wirklichkeit hervorgebracht wird.33 Repräsentation erweist sich in diesem Text – und damit bereits hundert Jahre vor der poststrukturalistischen Repräsentationskritik – als Inszenierung von Präsenz. Auch der Begriff der Wiederholung fungiert in dem Text als theatrales Phänomen, das verschiedene und gegenteilige Wirklichkeiten konstituiert, die sich eindeutigen Definitionen entziehen, und das die Repräsentation als Inszenierung von Präsenz in den Mittelpunkt rückt. Der Erfolg der präsentischen Kraft der Wiederholung ist bei der Lektüre wie beim Theaterbesuch vor allem von der Rezeptionshaltung abhängig. Jene Distanzierung, die aus einer Kenntnisnahme der Ironie resultiert, entspricht der Erkenntnis der Abstraktion als Bühne des Allgemeinen. Die Wiederholung lässt sich in ihrer Inszeniertheit mit einem theatralen Phänomen, wie es die Posse in Constantius’ Betrachtungen darstellt, vergleichen: einem Phänomen der Präsenz, dem man nur in der Betrachtung aus zahlreichen Perspektiven, der des Individuums und jener seiner Schatten, gerecht werden kann.

33 | Zweifellos hat die Posse im Theater des 19. Jahrhunderts einen besonderen Status. So unterscheidet sie sich von Drama und Komödie unter anderem dadurch, dass viele sehr offen gehaltene Szenen gezielt Raum für Stegreifspiel bieten. Vgl. Volker Klotz: Bürgerliches Lachtheater. Komödie, Posse, Schwank, Operette, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1980, S. 89-151. Die Posse als Betrachtungsgegenstand lädt somit dazu ein, performative Prozesse zu fokussieren. Aus diesem Grund möchte ich bereits die Wahl des Bühnenstückes Kierkegaards Strategie der Konzentration auf Präsenzmomente in der Aufführung zuschreiben.

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I.1.2 Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra (1883-85) Vierzig Jahre nach Kierkegaard widmet sich Friedrich Nietzsche in seinem Also sprach Zarathustra ausführlich der Wiederholung. Auch seine Überlegungen sind für die Theoretisierung des Verhältnisses von Wiederholung und Theatralität von zentralem Interesse, findet doch hier sein Konzept des Dionysischen eine Umdeutung gegenüber dessen Auslegung in der frühen Tragödienschrift (1872). Bildete dort das Dionysische als universales schöpferisches Prinzip die Basis von Nietzsches ästhetischer Weltauslegung, so findet im Zarathustra eine Verschiebung hin zum Schöpfungspotenzial des Individuums statt. Der Gedanke der ›Ewigen Wiederkunft des Gleichen‹ lässt sich dabei in seiner Forderung der höchsten Bejahung des Daseins als Zuspitzung des Dionysischen verstehen. So ist es das Konzept unendlicher Wiederholung, das das ästhetische Paradox eines exzessiven Augenblickes konstituiert, in den mit der Erkenntnis der Ewigen Wiederkunft die Ewigkeit einbricht. Nietzsche verfasst hier eine eigene Tragödie, in der das Moment der Wiederholung zwar der Bühne fernbleibt, dessen Ankündigung aber alles überlagernd destruktive wie schöpferische Prozesse initiiert und zu vereinen scheint, was Nietzsche ehemals in die Kunsttriebe des Dionysischen und des Apollinischen aufspaltete. Meine Lektüre spürt diesem kreativen Potenzial nach und zielt dabei darauf ab, die ästhetische Dimension des Wiederholungsphänomens der Ewigen Wiederkunft des Gleichen herauszuarbeiten.

Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten 34 Zarathustra hat es niedergestreckt. Nietzsches fiktive Figur des einsamen Gelehrten und Lehrenden, der auf seinen Reisen wie in der Einsamkeit des Gebirges allerlei durchgestanden hat, bringt ihr eigener, ihr schwerster Gedanke zu Fall: »Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und

34 | Friedrich Nietzsche: »Also sprach Zarathustra« [1883-85], in: ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, Bd. 4: Also sprach Zarathustra I-IV, S. 272.

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blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken.«35 Die Worte, die Zarathustras Zusammenbruch unmittelbar vorangehen, verraten dabei wenig über seinen Gedanken der Ewigen Wiederkunft, bleiben sie ihm doch nahezu im Halse stecken: »Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises – dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken! Heil mir! Du kommst – ich höre dich! Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an’s Licht gestülpt! Heil mir! Heran! Gieb die Hand – – ha! lass! Haha! – – Ekel, Ekel, Ekel – – – wehe mir!« 36

Was dieser »abgründlichste« Gedanke umfasst, erfahren die Leserinnen und Leser vorerst nicht und auf eine eindeutige Erklärung aus Zarathustras Munde sollen sie ganz und gar vergeblich warten. Auch genesend wird Zarathustra über die Andeutung nicht hinausgehen.37 Seine Tiere aber kennen den Gedanken und fassen ihn in folgende Worte:

35 | Ebd., S. 271. 36 | Ebd. [Herv. i.O.]. 37 | Martin Heidegger zeigt in seinem Buch Nietzsche, dass die von Nietzsche zur Veröffentlichung freigegebenen Äußerungen des Gedankens der Ewigen Wiederkunft allesamt als Fragen formuliert sind. Das gilt sowohl für die erste Erwähnung am Ende des dritten Teiles der Fröhlichen Wissenschaft (1882) und für den Zarathustra, den Heidegger als Ganzes als Auseinandersetzung mit der Ewigen Wiederkunft definiert, wie auch für die 1886 erschienene Schrift Jenseits von Gut und Böse, in der die Ewige Wiederkunft im dritten Hauptstück relevant wird. »Alle drei Mitteilungen des Gedankens der Gedanken sind Fragen in je verschiedener Gestalt und Stufe. […] Die Mitteilung ist keine ›Lehre‹ und kein ›Lehrvortrag‹ im Sinne der Darstellung einer fachwissenschaftlichen Theorie, nicht die ›Lehre‹ als Aussage eines Gelehrten. […] Angesichts eines solchen denkerischen Werkes kann darüber kein Zweifel mehr aufkommen, ob wir es im Handumdrehen in unsere gewohnten und geläufigen Rubriken einzwängen dürfen, oder ob ein solches Denken umgekehrt uns zur Besinnung und zur Loslösung vom Geläufigen bestimmen muß.« Martin Heidegger: Nietzsche, 2 Bde., Pfullingen: Neske 1961, Bd. 1, S. 324f. [Herv. i.O.].

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»Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins. In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.« 38

Zarathustras Tiere formulieren den Gedanken der Ewigen Wiederkunft des Gleichen. Sie sprechen aus, was Zarathustra unsagbar erscheint. Zarathustras Reaktion aber zeigt, dass er mit ihren Worten nicht zufrieden ist. So reagiert er auf die oben angeführte Passage zwar mit einem Lächeln: »Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! […] Und ihr, – ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus?«39 Seine Tiere haben, so scheint es, vorgetragen, was Zarathustra erkannt hat: »[W]ie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen musste: – – und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich würgte! Aber ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir.«40 Dennoch werden die Tiere seinem Gedanken nicht gerecht. Die Ewige Wiederkunft ist Zarathustras wie Nietzsches schwerster Gedanke, der – spät in Also sprach Zarathustra und spät in Nietzsches philosophischem Schaffen geäußert – als Klammer, oder besser: Ring, beide umfasst und fundiert. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft des Gleichen an sich lässt dabei die spezifische Zeitstelle seiner Äußerung obsolet erscheinen, mag doch jeder Augenblick als Ursache aller anderen, vergangenen wie kommenden Augenblicke gelten. Die oben zitierten Passagen entstammen dem Kapitel »Der Genesende«, in dem sich die Formulierungen des Gedankens der Ewigen Wiederkunft zuspitzen und in dem die Schwere deutlich wird, mit der jener Gedanke auf Zarathustra lastet. In einem früheren Kapitel wird die Ewige Wiederkunft des Gleichen bereits in Form eines Rätsels vorgestellt. Zarathustra, der sich auf einem Schiff befindet, erzählt den Seeleuten eine Parabel, die diese auflösen sollen. Die Parabel handelt von einem Zwerg, der auf Zarathustras Schulter sitzt und ihm seinen Aufstieg erschwert. Schließlich befreit sich Zarathustra von dem Zwerg, indem er ihm Fragen stellt, die ihn veranlassen, von der Schulter zu springen und wenig 38 | Nietzsche: Also sprach Zarathustra, S. 272f. 39 | Ebd., S. 273. 40 | Ebd.

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später zu verschwinden. »›Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von uns Beiden –: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! Den – könntest du nicht tragen!‹«,41 leitet Zarathustra seine Fragen ein. Daraufhin beschreibt er den »Thorweg«, vor dem sie gerade stehen, als »›Augenblick‹«42 und somit Treffpunkt zweier Gassen in entgegengesetzter Richtung, zurück und nach vorn, die jeweils eine Ewigkeit währen. Zarathustra richtet nun seine erste Frage an den Zwerg: »Aber wer Einen von ihnen weiter gienge – und immer weiter und immer ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?«43 Der Zwerg antwortet murmelnd: »Alles Gerade lügt […]. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.«44 Diese Antwort, die auf den ersten Blick als Äußerung des Gedankens der Ewigen Wiederkunft erscheint und Zarathustra in diesem Sinne überzeugen dürfte, verärgert diesen vielmehr und führt zu seinem Urteil, der Zwerg mache es sich zu leicht. Zarathustra schließt nun weitere Fragen an: »Von diesem Thorwege Augenblick läuft eine lange ewige Gasse rückwärts: hinter uns liegt eine Ewigkeit. Muss nicht, was laufen kann von allen Dingen, schon einmal diese Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn kann von allen Dingen, schon einmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein? Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon – dagewesen sein? Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser Augenblick alle kommenden Dinge nach sich zieht? Also – – sich selber noch? Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse hinaus – muss es einmal noch laufen! – Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flüsternd, von ewigen Dingen flüsternd – müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein? – und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen schaurigen Gasse – müssen wir nicht ewig wiederkommen?« 45 41 | Ebd., S. 199 [Herv. i.O.]. 42 | Ebd., S. 200. 43 | Ebd. 44 | Ebd. 45 | Ebd. [Herv. i.O.].

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Der Zwerg bleibt seine Antwort schuldig, ist kurz darauf gar verschwunden. Wenig später sieht Zarathustra einen jungen Hirten am Boden liegen, in dessen Schlund sich eine Schlange festgebissen hat. Nachdem Zarathustra vergeblich versucht hat, ihm die Schlange aus dem Hals zu reißen, ruft er dem Hirten zu, er solle zubeißen. Dieser beißt den Kopf der Schlange ab und beginnt zu lachen. »Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, – ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte! Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie er lachte.«46 Zarathustra beendet seine Geschichte schließlich mit der Rätselfrage an die Seeleute, wer denn dieser Hirte sei, wer also der Mensch, dem das »Unthier«47 in den Hals kroch. Die einleitenden Auszüge aus dem Kapitel »Der Genesende« haben eine mögliche Antwort bereits vorweggenommen. Beschreibt doch Zarathustra hier den Gedanken der Wiederkunft als die Schlange, die ihm in den Schlund kroch und die er mit seinem Biss enthauptete – das Lachen aber blieb aus. Der Hirte hingegen scheint jener Mensch zu sein, der dem Gedanken standhält und in der Lage ist, das Menschsein in der exzessiven Bejahung unendlicher Wiederholung zu transzendieren.

Die ewige Wiederkehr des Augenblickes Mögen sich die Ausführungen zum Gedanken der Ewigen Wiederkunft sowohl der Tiere als auch des Zwerges für uns nicht klar von Zarathustras fragend formulierten Annahmen unterscheiden, so verurteilt dieser sie doch als Falschaussagen. Nicht an dem Inhalt ihrer Aussagen scheint er sich dabei zu stören, sondern an ihrem Vortrag, jener Leichtfertigkeit, mit der Zwerg wie Tiere diesem »grösste[n] Schwergewicht« 48 begegnen. 46 | Ebd., S. 202 [Herv. i.O.]. 47 | Ebd., S. 273. 48 | »Das grösste Schwergewicht« ist der Titel des Kapitels 341 im vierten Buch von Nietzsches Die fröhliche Wissenschaft. Hier wird das Wissen um die Ewige Wiederkunft des Gleichen als schwere Belastung beschrieben: »Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem ›willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?‹ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen!« Friedrich Nietzsche: »Die fröhliche Wissenschaft« [1882], in: ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, Bd. 3: Morgenröte u.a., S. 570 [Herv. i.O.].

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Das Denken des Gedankens der Ewigen Wiederkunft, also dessen, dass alles, was ist, genau so schon war und genau so immer wiederkehren wird, kann folglich mit Oberflächlichkeit geschehen oder aber zu einer Erschütterung führen. Kein Mittelweg wird aufgezeigt. Es gibt viele Gründe dafür, die Ewige Wiederkunft als den Knotenpunkt in Nietzsches Philosophie zu betrachten, als Punkt, an dem verschiedene Konzepte zusammenlaufen und ineinander auf- und übergehen. Der Germanist Theo Meyer fasst in seiner Studie Nietzsche und die Kunst zusammen: »Der Wiederkunftsgedanke hat für Nietzsche eine dreifache Relevanz, nämlich in Hinblick auf die Bejahung, das Schaffen und den Übermenschen.« 49 So ist der Übermensch, den Nietzsche erstmals im Zarathustra verkündet, jener Mensch, der den Gedanken der Ewigen Wiederkunft erträgt, und damit ein Mensch, der an der Erkenntnis unendlicher Wiederholung nicht zerbricht. Der Schlüssel zu dieser Standfestigkeit ist dabei die absolute Bejahung des Daseins, konkretisiert in Nietzsches Konzept des amor fati. Indem diese Schicksalsliebe den Gedanken der Ewigen Wiederkunft umfasst, nimmt sie ihm den Schrecken und wird gleichzeitig zu einer unendlichen Bejahung. Der Übermensch, den Nietzsche lehrt und sucht, scheint im Zarathustra in der Figur des Hirten aus der Parabel vom Torweg auf. Der Hirte, der jener Schlange, die Zarathustra später als Fleischwerdung der Ewigen Wiederkunft identifiziert, den Kopf abbeißt und anschließend in übermenschliches Gelächter ausbricht (»Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, – – und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird.«50), überwindet die Bedrohlichkeit der Ewigen Wiederkunft, indem er mit ihr ringt und sie nach hartem Kampf besiegt. Sein ›Wille zur Macht‹ hat ihm erlaubt, die Bedrohung ewiger Wiederholung zu überkommen und sich seinem unendlichen Schicksal mit größter Bejahung zuzuwenden.51 Zarathustras Parabel vom Torweg erweist sich aus einem weiteren Grund als zentral: Zarathustra äußert sich hier über den Augenblick, eine 49 | Theo Meyer: Nietzsche und die Kunst, Tübingen/Basel: Francke 1993, S. 55. 50 | Nietzsche: Also sprach Zarathustra, S. 202. 51 | Für ausführliche Erläuterungen des Zusammenspieles der Konzepte von Ewiger Wiederkunft, Übermensch, Willen zur Macht und amor fati bei Nietzsche vgl. das Kapitel »Schaffen, Übermensch, Wiederkunft« in Meyer: Nietzsche und die Kunst, S. 43-58.

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Zeitstelle, die im Denken der Ewigen Wiederkunft von besonderer Relevanz ist. Der Ewigen Wiederkunft kann man nur im Augenblick habhaft werden. Sie impliziert zwar die Wiederkehr alles Vergangenen wie die Vergangenheit alles Zukünftigen, lässt sich aber immer nur vom Augenblick aus denken. Mag dieser auch sofort zu Vergangenheit und Zukunft werden, so nimmt er doch in Bezug auf die Implikationen von Ewigkeit einen zentralen Platz ein: »Das permanente Werden und Vergehen, der unablässige Zeitablauf, ist aufgehoben im Erlebnis der ›Ewigkeit‹. Dabei ist freilich diese ›Ewigkeit‹ keine Dimension jenseits der Zeit, so als gebe es eine metaphysische Zeitlosigkeit über der realen Zeit, sondern diese ›Ewigkeit‹ ist der Einbruch des Zeitlosen mitten in der Zeit. Sie ist im ›Augenblick‹ komprimierte bzw. getilgte Zeit. Die Wiederkunft wird in einem ›Augenblick‹ erlebt. Der Gedanke der ›Wiederkunft‹ ermöglicht das Erlebnis der ›Ewigkeit‹, einer ›Ewigkeit‹ mitten in der Zeit, im ›Augenblick‹.« 52

Meyers Deutung hat eine Aufwertung des Augenblickes zur Folge: Nur diesen, als die Zeitstelle unmittelbaren Erlebens, trifft die unfassbare Größe der Ewigkeit als Erschütterung und wird in diesem Sinne gegenwärtig. Auch Martin Heidegger betont in seinem Nietzsche die präsentische Kraft des Wiederkunftsgedankens: »Die Ewigkeit denken, verlangt: den Augenblick denken […].«53 Heidegger geht davon aus, dass die Ewige Wiederkunft sich nur augenblicklich denken lässt, und spitzt seine These in Bezug auf die Parabel des Torweges zu: Er interpretiert die Augenblicklichkeit, die das Denken der Ewigen Wiederkunft fordert – jene, die dem Zwerg versagt ist –, als Gewaltakt, der sich im Biss der Schlange in den Schlund des Hirten manifestiert. »Der Gedanke ist nur als jener Biß«,54 folgert er. »Bevor der Biß nicht vollzogen ist, ist auch der Augenblick nicht gedacht; denn der Biß ist die Antwort auf die Frage, was der Torweg selbst, der Augenblick sei […].«55 Der Augenblick als Biss, als Gewaltakt und Gewalterfahrung bietet sich als Folie der Ewigen Wiederkunft des Gleichen an. Schließlich wird diese lediglich dann relevant, wenn sie erkannt und 52 | Ebd., S. 54. 53 | Heidegger: Nietzsche, S. 447. 54 | Ebd., S. 445 [Herv. i.O.]. 55 | Ebd.

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gedacht, wenn sich ihr gestellt wird. Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Gedanken unendlicher Wiederholung, einer Ewigkeit, die sich aus immer gleichen Singularitäten zusammensetzt, macht dabei die Lehre und deren Implikationen aus. Die Erkenntnis, dass dieser Augenblick, wie auch der nächste, unendlich oft wiederkehren und somit nicht enden wird, dass die Verantwortung für den Augenblick sich in eine Verantwortung für die Ewigkeit steigert, macht das Gewicht des Augenblickes aus.

Die Kunst des Augenblickes Elf Jahre bevor der Gedanke der Ewigen Wiederkunft von Nietzsche im Zarathustra formuliert wurde, nämlich in dessen erster und kunsttheoretischer Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872), äußerte Nietzsche eine radikale Weltanschauung, von der er sich später distanzieren sollte: Die Welt als ästhetisches Phänomen. »Denn dies muss uns vor allem, zu unserer Erniedrigung und Erhöhung, deutlich sein, dass die ganze Kunstkomödie durchaus nicht für uns, etwa unsrer Besserung und Bildung wegen, aufgeführt wird, ja dass wir ebensowenig die eigentlichen Schöpfer jener Kunstwelt sind: wohl aber dürfen wir von uns selbst annehmen, dass wir für den wahren Schöpfer derselben schon Bilder und künstlerische Projectionen sind und in der Bedeutung von Kunstwerken unsre höchste Würde haben – denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt […].« 56

Im 1886 als nachträglichem Vorwort hinzugefügten »Versuch einer Selbstkritik« bezeichnet Nietzsche die Rechtfertigung der Welt als eines ästhetischen Phänomens als »anzügliche« 57 und differenziert rückblickend: »[D]iese ganze Artisten-Metaphysik mag man willkürlich, müssig, phantastisch nennen –, das Wesentliche daran ist, dass sie bereits einen Geist verräth, der sich einmal auf jede Gefahr hin gegen die moralische Ausdeutung und Bedeutsamkeit des Daseins zur Wehre setzen wird.« 58 56 | Friedrich Nietzsche: »Die Geburt der Tragödie« [1872], in: ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, Bd. 1: Die Geburt der Tragödie u.a., S. 47 [Herv. i.O.]. 57 | Ebd., S. 17. 58 | Ebd. [Herv. i.O.].

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Die in der kühnen Reduzierung des Daseins auf ästhetische Parameter offenkundige Abkehr von der Moral deutet der späte Nietzsche rückblickend als erste Abkehr von christlichen Wertmaßstäben, als »eine grundsätzliche Gegenlehre und Gegenwerthung des Lebens, eine rein artistische, eine antichristliche. […] ich hiess sie die dionysische.«59 Das Dionysische steht im Zentrum der Geburt der Tragödie. Nietzsche entwirft die Theorie zweier gegensätzlicher Kunsttriebe, die in einem Widerstreit stehen, welcher die Kunst der griechischen Tragödie hervorbringt: »Wir werden viel für die aesthetische Wissenschaft gewonnen haben, wenn wir nicht nur zur logischen Einsicht, sondern zur unmittelbaren Sicherheit der Anschauung gekommen sind, dass die Fortentwicklung der Kunst an die Duplicität des Apollinischen und des Dionysischen gebunden ist: […] beide so verschiedne Triebe gehen neben einander her, zumeist im offnen Zwiespalt mit einander und sich gegenseitig zu immer neuen kräftigeren Geburten reizend, um in ihnen den Kampf jenes Gegensatzes zu perpetuieren, den das gemeinsame Wort ›Kunst‹ nur scheinbar überbrückt […].« 60

Das Apollinische steht dabei für das bildnerische Prinzip, den Traum, das Schöne, die Harmonie und die Individuation, das Dionysische hingegen für die Musik, den Rausch und die Ekstase, die Disharmonie und das Aufgehen des Einzelnen in der Masse.61 Ist die Kunst der Tragödie (und letztlich alle Kunst) Nietzsches Meinung nach zwar ausschließlich im Spannungsfeld der beiden Kunsttriebe realisierbar, so privilegiert Nietzsche doch immer wieder das Dionysische und stellt es als überlegenes Phänomen dar: »In der Gesammtwirkung der Tragödie erlangt das Dionysische wieder das Uebergewicht; sie schliesst mit einem Klange, der niemals von dem Reiche der apollinischen Kunst her tönen könnte. Und damit erweist sich die apollinische Täuschung als das, was sie ist, als die während der Dauer der Tragödie anhaltende Umschleierung der eigentlichen dionysischen Wirkung: die doch so mächtig ist, am Schluss das apollinische Drama selbst in eine Sphäre zu drängen, wo es mit 59 | Ebd., S. 19 [Herv. i.O.]. 60 | Ebd., S. 25 [Herv. i.O.]. 61 | Vgl. vor allem Kapitel 1 und 2 der Geburt der Tragödie, in: ebd., S. 25-34.

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dionysischer Weisheit zu reden beginnt und wo es sich selbst und seine apollinische Sichtbarkeit verneint. So wäre wirklich das schwierige Verhältnis des Apollinischen und des Dionysischen in der Tragödie durch einen Bruderbund beider Gottheiten zu symbolisiren: Dionysus redet die Sprache des Apollo, Apollo aber schliesslich die Sprache des Dionysus: womit das höchste Ziel der Tragödie und der Kunst überhaupt erreicht ist.« 62

Zarathustra ist nun ganz und gar keine ästhetische oder kunstwissenschaftliche Schrift, und doch scheint in ihr das dionysische Prinzip in der Figur des Zarathustra verwirklicht zu sein. Es überrascht nicht, dass Nietzsche sein verspätetes Vorwort der Geburt der Tragödie mit einem Zitat aus dem Zarathustra schließt, das er wie folgt einleitet: »Ihr solltet vorerst die Kunst des diesseitigen Trostes lernen, – ihr solltet lachen lernen meine jungen Freunde, wenn anders ihr durchaus Pessimisten bleiben wollt; vielleicht dass ihr darauf hin, als Lachende, irgendwann einmal alle metaphysische Trösterei zum Teufel schickt – und die Metaphysik voran! Oder, um es in der Sprache jenes dionysischen Unholds zu sagen, der Zarathustra heisst: ›[…] Das Lachen sprach ich heilig: ihr höheren Menschen, lernt mir – lachen!‹« 63

Im Zarathustra erfährt das Dionysische eine Renaissance und gleichzeitig eine Umdeutung. »Ist er [der Ring, J.K.K.] deus? – selbst der Gott? Jener, den Nietzsche noch am Ende seines Weges ruft – Dionysos?«,64 fragt Heidegger. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft geht über den Nihilismus hinaus, indem er als dionysisches Prinzip an die Stelle des moralischen, christlichen Gottes getreten ist, dem Nietzsche den Tod erklärte. Dabei konkretisiert sich das dionysische Prinzip im Zarathustra immer mehr im schaffenden Menschen selbst, der hier zum Schöpfer des Übermenschen wird. Während das Dionysische in der Geburt der Tragödie noch als göttliches Prinzip konzipiert wird, das die Welt (als ästhetisches Phänomen) hervorbringt, verortet sich im Zarathustra der Schaffensakt im Individuum.

62 | Ebd., S. 139f. 63 | Ebd., S. 22 [Herv. i.O.]. 64 | Heidegger: Nietzsche, S. 321 [Herv. i.O.].

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»Damit erfolgt die absolute Rangerhöhung des Menschen, des schaffenden Menschen. Er erscheint als die höchste kreative Potenz überhaupt, als ›Gott‹. Der Schaffende wird zur autarken, omnipotenten Größe. Er steht allerdings in der Spannung von Verneinung und Bejahung. Er muß die bisherigen Werte negieren, um neue Werte schaffen zu können.« 65

Das Dionysische erfährt im Zarathustra also die Umwertung vom Universalwillen zum Individualwillen. Das künstlerische Prinzip, das Nietzsche in Die Geburt der Tragödie als Spannungsfeld des apollinischen und des dionysischen Kunsttriebes und somit in der Doppelstruktur von Entwurf und Destruktion skizziert, findet nun seine Vollendung in der Figur des Zarathustra: Er ersetzt das dionysische Gottesprinzip als Schöpfungsund Erkenntnisinstanz und wird selbst zum individuellen Schöpfer. Das Dionysische und das Apollinische sind im Zarathustra in einem Spannungsfeld zwischen dem destruktiven nihilistischen Akt der Absage an den Schöpfergott und dem Entwurf der Schöpfung des Übermenschen verortet. Die gottlose Leerstelle wird aufgezeigt, verschoben, nun vom weltschaffenden Individuum gefüllt. Hier lässt sich der Weltentwurf insofern als ästhetischer beschreiben, als dass er dem schöpferischen Akt des Individuums entstammt, das neue Wirklichkeiten zu konstituieren vermag. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft nimmt dabei eine zentrale Stellung ein: Erst der Gedanke endloser Wiederholung des Gleichen schafft den Impuls zum schöpferischen Akt des Individuums, indem er in seinem augenblicklichen Exzess nach einer neuen Menschlichkeit verlangt, die ihn ertragen, gar bejahen kann.

Fazit Nietzsche formuliert in seiner Tragödienschrift eine Kritik am bildungsbürgerlichen Publikum, die an Kierkegaards Ausführungen zum Theaterpublikum in Die Wiederholung erinnert. Hatte Kierkegaard doch anhand seiner Beschreibung einer Posse und deren Herausforderung an ein traditionelles Publikum, das an der Tragödie und Komödie geschult ist, eine harsche Kritik an der Oberflächlichkeit des Zuschauers formuliert: »Ein eigentliches Theaterpublikum besitzt im allgemeinen einen gewissen bornierten Ernst, es will, oder will sich dies wenigstens einbilden, daß es im Theater 65 | Meyer: Nietzsche und die Kunst, S. 45.

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veredelt und gebildet werde; es will, oder will sich dies wenigstens einbilden, daß es einen seltenen Kunstgenuss gehabt habe, es will, sobald es das Plakat gelesen hat, im voraus wissen können, wie es den Abend zu verbringen hat.« 66

So wie Kierkegaard für ein Publikum plädiert, dessen Zugang zur Theaterkunst nicht durch die artige Nachahmung von Konventionen verstellt ist, fordert Nietzsche dem ›ästhetischen Zuhörer‹ (konzentriert sich Nietzsche doch hier auf die Musik der Opern Richard Wagners, von denen er sich während der frühen 1870er Jahre die Wiedergeburt der griechischen Tragödie verspricht) ganz ähnliche Qualitäten ab: »So ist mit der Wiedergeburt der Tragödie auch der aesthetische Zuhörer wieder geboren, an dessen Stelle bisher in den Theaterräumen ein seltsames Quidproquo, mit halb moralischen und halb gelehrten Ansprüchen, zu sitzen pflegte, der ›Kritiker‹. […] Der darstellende Künstler wusste in der That nicht mehr, was er mit einem solchen, kritisch sich gebärdenden Zuhörer zu beginnen habe und spähte daher, samt dem ihn inspirierenden Dramatiker oder Operncomponisten, unruhig nach den letzten Resten des Lebens in diesem anspruchsvoll öden und zum Geniessen unfähigen Wesen. Aus derartigen ›Kritikern‹ bestand aber bisher das Publicum; der Student, der Schulknabe, ja selbst das harmloseste weibliche Geschöpf war wider sein Wissen bereits durch Erziehung und Journale zu einer gleichen Perception eines Kunstwerks vorbereitet.« 67

Nietzsche geht davon aus, dass die Bildung der unvoreingenommenen Wahrnehmung und somit der ästhetischen Erfahrung im Wege steht. Er kritisiert die klassische »Tendenz, das Theater als Veranstaltung zur moralischen Volksbildung zu verwenden«,68 und plädiert für einen »edler und zarter von der Natur Befähigte[n]«,69 einen begeisterungsfähigen, intensiv erlebenden Zuschauer/Zuhörer, dessen Erfahrungen den dionysischen Trieb des Künstlers spiegeln, der »diese ganze Welt der Erscheinungen verschlingt, um hinter ihr und durch ihre Vernichtung eine höchste künstlerische Urfreude im Schoosse des Ur-Einen ahnen

66 | Kierkegaard: Die Wiederholung, S. 365. 67 | Nietzsche: Die Geburt der Tragödie, S. 143 [Herv. i.O.]. 68 | Ebd., S. 144. 69 | Ebd.

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zu lassen«.70 Wie Kierkegaard privilegiert Nietzsche in der Kunstwahrnehmung die Erfüllung des Augenblickes, die Intensität der Präsenz und des Präsens, zu der nur jener ästhetische Zuhörer/Zuschauer fähig ist, der »mit einer wohlwollenden Concession gleichsam das Wunder als ein der Kindheit verständliches, ihm entfremdetes Phänomen zulässt«.71 Das Dionysische als Kunsttrieb, der die Repräsentationslogik der abbildenden Künste übersteigt, der Rausch und Ekstase entstammt und Präsenz und Dissonanz hervorbringt, steht dabei im Zentrum von Nietzsches Konzeption der Geburt der Tragödie. Im Zarathustra nun entwirft Nietzsche elf Jahre nach der Tragödienschrift eine eigene, neue Version der Tragödie. So wird die Geschichte Zarathustras in Die fröhliche Wissenschaft (1882) mit den Worten »Incipit tragoedia«72 (Die Tragödie beginnt) eingeleitet. Zudem spielt die Form des Zarathustra, der teilweise in dithyrambischen Versen verfasst ist, auf den halkyonischen Stil antiker Tragödien an. Und ist es auch kein Dramentext, den Nietzsche entworfen hat, so ist es doch ein dramatischer Text, dessen Grundgedanke – der Gedanke der Ewigen Wiederkunft – eine aktualisierte Auseinandersetzung mit dem Dionysischen darstellt, die nun den ästhetischen Leser fordert. Die Wiederholung, die Ewige Wiederkunft des Gleichen, ist die Hamartia in der Tragödie Zarathustras; als schwerster Gedanke des tragischen Helden bringt sie ihn zu Fall. Sie entzieht sich der Zusammenfassung, der einfachen Beschreibung, wie sie Zwerg und Tiere probieren, und verlangt nach einem gedanklichen Exzess, der sich letztlich nur im übermenschlichen Lachen äußern kann. Die Wiederholung wird somit zugleich zum übermächtigen Antagonisten, der schließlich einen neuen Helden, den Übermenschen, fordert. Wie in Kierkegaards Wiederholung bleibt die Wiederholung dabei der Bühne fern; sie ist gegenwärtig lediglich in ihrer Reflexion und Konzeptualisierung, allenfalls als rhetorische Strategie gegeben. In Kierkegaards Text durchbricht die Wiederholung die Repräsentationslogik, indem sie sich stetig ihren Definitionen entzieht, und weist somit Parallelen zum Theatererlebnis der Aufführung der Posse auf, dessen buchstäblicher Inhalt im unwiederholbaren Überschuss von Körperlichkeit, Komik und Zufälligkeit verloren geht. In Nietzsches 70 | Ebd., S. 141. 71 | Ebd., S. 145. 72 | Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, S. 571.

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Zarathustra kann die Wiederholung nicht auffällig werden, schließt das Konzept der Ewigen Wiederkunft des Gleichen doch die Erinnerung an das Sich-Wiederholende aus. Das Denken der Möglichkeit aber konstituiert den Augenblick als Konkretisierung und Aktualisierung der Wiederholung und des Dionysischen, als Zeitstelle, die den Exzess der Erkenntnis der Ewigkeit beinhaltet und somit schöpferische Prozesse initiiert.

I.1.3 Sigmund Freuds Konzept des Wiederholungszwanges Wie Kierkegaard und Nietzsche wählt auch Sigmund Freud für seine Auseinandersetzung mit der Wiederholung eine interdisziplinäre Form, die sich den Konventionen seines Faches entzieht. Der von ihm geprägte Begriff des Wiederholungszwanges, den er in Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (1914) einführt und dessen Definition er in Jenseits des Lustprinzips (1920) zu konkretisieren versucht, bleibt in der Schwebe. Freud selbst leitet seine Überlegungen zu einem ›Jenseits‹ des Lustprinzips, dem Ziel des Triebes zur Wiederholung, mit folgenden Worten ein: »Was nun folgt, ist Spekulation, oft weitausholende Spekulation, die ein jeder nach seiner besonderen Einstellung würdigen oder vernachlässigen wird.« 73 Die Offenheit seiner Konzeption, die ihre Unfertigkeit und Prozesshaftigkeit nicht zu leugnen sucht, sondern gar hervorhebt, eröffnet mir erneut die Möglichkeit einer Lektüre, die den Text und seinen Gegenstand in ihren inhaltlichen und ästhetischen Dimensionen untersucht. Freuds Gegenüberstellung von wiederholendem Ausagieren und Erinnern möchte ich mit Kierkegaards Konzept von Wiederholung und Erinnerung als entgegengesetzten Bewegungen vergleichen. Im Anschluss wird meine Lektüre um den Dualismus von Neuschöpfung und Destruktion kreisen, den Freud in Jenseits des Lustprinzips konstatiert, indem er von einem Todestrieb ausgeht, der die Wiederholung vorantreibt und den auf die Fortsetzung des Lebens ausgerichteten Sexualtrieben entgegensteht. Die Dichotomie von Neuschöpfung und Destruktion erinnert dabei an Nietzsches Konzeption des Gegensatzes der Kunsttriebe des Apollinischen und Dionysischen, die – wie ich im letzten Kapitel gezeigt habe

73 | Sigmund Freud: »Jenseits des Lustprinzips« [1920], in: ders.: Gesammelte Werke, 19 Bde., hg. v. Anna Freud u.a., Frankfurt a.M.: Fischer 1999, Bd. 13: Jenseits des Lustprinzips u.a., S. 23.

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– erst im Bewusstsein der Ewigen Wiederkunft des Gleichen ineinander aufgehen.

Erinnern nach alter Manier 74 Freud stellt in seinem Text Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten fest, dass seine Annahme, er könne Patienten heilen, indem er ihre verdrängten Erinnerungen in der Hypnose ans Licht bringt und anschließend benennt, zu kurz greift. Er verweist auf ein häufiges Wiederholungsphänomen, das sich diesem Vorgehen widersetzt und das Resultat vereitelt. Er beschreibt: »[D]er Analysierte erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen und Verdrängten, sondern er agiere es. Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es, ohne natürlich zu wissen, daß er es wiederholt.«75 Freud widmet sich in diesem Text vor allem dem Thema der Übertragung, also der Reaktivierung und Verlagerung verdrängter Emotionen, Erfahrungen und Wünsche auf neue soziale Beziehungen. »Natürlich wird uns das Verhältnis dieses Wiederholungszwanges zur Übertragung und zum Widerstande in erster Linie interessieren. Wir merken bald, die Übertragung ist selbst nur ein Stück Wiederholung und die Wiederholung ist die Übertragung der vergessenen Vergangenheit nicht nur auf den Arzt, sondern auch auf alle anderen Gebiete der gegenwärtigen Situation. Wir müssen also darauf gefaßt sein, daß der Analysierte sich dem Zwange zur Wiederholung, der nun den Impuls zur Erinnerung ersetzt, nicht nur im persönlichen Verhältnis zum Arzte hingibt, sondern auch in allen anderen gleichzeitigen Tätigkeiten und Beziehungen seines Lebens […].« 76

Die Erinnerung, so Freud, wird also aufgrund eines Widerstandes unterdrückt und eine Wiederholung tritt an ihre Stelle. Beide beinhalten für Freud eine Reproduktionsleistung, die Erinnerung gedanklich, die Wiederholung hingegen als Tat.

74 | Sigmund Freud: »Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten« [1914], in: ders.: Gesammelte Werke, 19 Bde., hg. v. Anna Freud u.a., Frankfurt a.M.: Fischer 1999, Bd. 10: Werke aus den Jahren 1913-1917, S. 133. 75 | Ebd., S. 129 [Herv. i.O.]. 76 | Ebd., S. 130.

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In der unbewussten Aktualisierung der Erinnerung, die das Wiederholen hier bedeutet, liegt eine Parallele zu Kierkegaards Konzeption der Wiederholung als vorwärtsgerichteter Erinnerung. Entwirft Kierkegaard Wiederholung zwar als paradoxales Phänomen, das sich der eindeutigen Festschreibung durch einen Begriff entzieht, so bleibt doch ein Aspekt in seinen Definitionsversuchen durchgängig erhalten: die Bewegung. Wiederholung ist in seinem Text ob ihrer Unmöglichkeit immer schon in die Zukunft gerichtet. Sie transportiert einen der Erinnerung ähnlichen Inhalt, richtet diesen aber nach vorn, da sie, immer von ihrem Bezugspunkt verschieden, Veränderung vollzieht, Neues schafft. Auch Freud verweist in seinem Text mit der Betonung des Agierens auf die schöpferische Dimension der Wiederholung, die er wie Kierkegaard der Erinnerung gegenüberstellt. Kierkegaards Text changiert aufgrund der Differenz, die jeder Wiederholung bei ihm innewohnt, zwischen Definitionsversuchen und deren Unzulänglichkeit. Die Wiederholung bleibt immer zwischen Erinnerung als Vorlage und differentem Resultat, das zu Neuem vorantreibt, verhaftet. Auch in Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten ist sie in einem Dazwischen situiert. Freud beschreibt: »Die Übertragung schafft so ein Zwischenreich zwischen der Krankheit und dem Leben, durch welches sich der Übergang von der ersteren zum letzteren vollzieht. Der neue Zustand […] ist gleichzeitig ein Stück des realen Erlebens, aber durch besonders günstige Bedingungen ermöglicht und von der Natur eines Provisoriums.«77

Mit anderen Worten: Freud beschreibt die übertragende Wiederholung als Provisorium, das im instabilen Bereich zwischen verstellter Erinnerung (Krankheit) und einem Handeln im Bewusstsein der Erinnerung verortet ist. Das Wiederholen wird als liminale Phase konzipiert, als Phänomen des Überganges, das – schließlich geht es dem Arzt Freud darum, die Erinnerungsblockaden aufzuheben – zur Gesundheit führen kann. Um dies zu erreichen, muss die Wiederholung allerdings als solche erkannt und in die richtigen Bahnen gelenkt werden: »Wir machen ihn [den Wiederholungszwang, J.K.K.] unschädlich, ja vielmehr nutzbar, indem wir ihm sein Recht einräumen, ihn auf einem bestimmten Gebiete gewähren

77 | Ebd., S. 135.

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lassen. Wir eröffnen ihm die Übertragung als den Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, sich in fast völliger Freiheit zu entfalten […].« 78 Die Situation der psychoanalytischen Therapie wird also genutzt, um die Wiederholung zu beobachten (birgt sie doch Ähnlichkeit zur verdrängten Erinnerung), zu kanalisieren und dann zu überwinden. Schließlich ist für den Arzt »das Erinnern nach alter Manier, das Reproduzieren auf psychischem Gebiete, das Ziel«. 79 Die Erinnerung führt nach einer Phase des Durcharbeitens zur Heilung: »Man muß dem Kranken die Zeit lassen, sich in den ihm unbekannten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzuarbeiten, ihn zu überwinden, indem er ihm zum Trotze die Arbeit nach der analytischen Grundregel fortsetzt.« 80 Die Wiederholung ist lediglich der Weg zum Ziel, ein Phänomen des Überganges, dessen Antrieb Freud hier nicht weiter untersucht, sondern stillschweigend seiner auf der Triebenergie Libido basierenden Triebökonomie unterordnet. Strebt die Wiederholung in dieser Konzeption zwar in aller Freiheit nach vorn und nimmt gestaltenden Einfluss auf das Leben, so ist es doch Ziel der Behandlung, den Widerstand, der sie initiiert, zu erkennen und durchzuarbeiten, um die Wiederholung zu beenden.

Zu Tode wiederholen 1920 zeigt die Wiederholung nun ein ganz anderes Gesicht; sie erscheint als unbändige Kraft und offenbart ihren »dämonischen Charakter«.81 In Jenseits des Lustprinzips misst Freud dem Wiederholungszwang ein weit größeres und gefährlicheres Potenzial bei. Er geht nun von der Frage aus, warum vor allem das wiederholt wird, was anscheinend keine Lustmöglichkeiten bietet, und kommt zu dem Resultat: »Es kann also nur so sein, daß eine starke Tendenz zum Lustprinzip in der Seele besteht, der sich aber gewisse andere Kräfte oder Verhältnisse widersetzen, so daß der Endausgang nicht immer der Lusttendenz entsprechen kann.« 82 Eine solche Kraft ist also der Wiederholungszwang, »Kraftäußerung des Verdrängten«, 83 der »auch solche Erlebnisse der Vergangenheit wiederbringt, 78 | Ebd., S. 134. 79 | Ebd., S. 133. 80 | Ebd., S. 135 [Herv. i.O.]. 81 | Freud: Jenseits des Lustprinzips, S. 36. 82 | Ebd., S. 5. 83 | Ebd., S. 18.

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die keine Lustmöglichkeit enthalten, die auch damals nicht Befriedigungen, selbst nicht von seither verdrängten Triebregungen, gewesen sein können«.84 Freud beschreibt den Wiederholungszwang als »ursprünglicher, elementarer, triebhafter als das von ihm zur Seite geschobene Lustprinzip«.85 Damit hat er ihm Triebcharakter zugeschrieben und zudem einen Antagonismus konzipiert, der bis heute umstritten ist. Um die Bedingungen des Triebes zur Wiederholung, seine Funktion und vor allem seine Beziehung zum Lustprinzip zu erforschen, verweist Freud – wie einleitend zitiert – auf die spekulative Natur seiner Überlegungen und schließt an: »Im weiteren ein Versuch zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde, wohin dies führen wird.« 86 Die folgenden Ausführungen, die sich auf Belege aus dem Bereich der Biologie, der Philosophie, gar der Mythologie stützen, basieren auf Freuds neuer Definition von Trieb: »Ein Trieb wäre also ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes«.87 Da vor allem Leben das Leblose war, folgert Freud, der ursprüngliche Trieb sei jener, »zum Leblosen zurückzukehren«.88 Entsprechende Triebe, von Freud als »konservative« 89 bezeichnet, zielen also »auf Regression, Wiederherstellung von Früherem«;90 letztlich seien sie auf die »Erreichung des Todeszieles«91 gerichtet. Freud formuliert hier eine überraschende, gewagte und spektakuläre These: Er geht davon aus, dass es einen Trieb gibt, der auf das Ende des Lebens zielt, und dass dieser Trieb gar der ursprünglichste aller Triebe ist. Die Radikalität von Freuds Theorie überrascht vor allem, da er diese ohne Bezug zu seiner psychoanalytischen Praxis entwickelt und seine Theorie vornehmlich auf biologischen Spekulationen basiert. So fasst der Psychoanalytiker Stefan Reichard in seiner der Rezeptionsgeschichte und Weiterentwicklung des Freudschen Konzeptes des Wiederholungszwanges gewidmeten Monografie treffend zusammen: »[A]b dem Moment, in 84 | Ebd. 85 | Ebd., S. 22. 86 | Ebd., S. 23. 87 | Ebd., S. 38 [Herv. i.O.]. 88 | Ebd., S. 40. 89 | Ebd., S. 41. 90 | Ebd., S. 39. 91 | Ebd., S. 41.

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dem Freud dieses Abstraktionsniveau erreicht, kommen in seinem Text keine Menschen mehr vor; die Hypothese vom Todestrieb scheint durch Beobachtungen aus der psychoanalytischen Arbeit mit Patienten nicht belegbar (und möglicherweise auch nicht widerlegbar) zu sein.« 92 Auch die Konzeption des Wiederholungszwanges ermangelt, so Reichard, in Bezug auf die psychoanalytische Praxis jeglicher Dringlichkeit: »Man gelangt zu der Schlußfolgerung, daß Freud nicht von bestimmten Beobachtungen ausgeht, für die er dann eine Erklärung sucht, sondern daß er umgekehrt zuerst eine Theorie formuliert und diese im Anschluß daran durch Belege zu stützen versucht. Dieses Vorgehen hat nun allerdings die fatale Konsequenz, daß mit dem Wiederholungszwang zwar ein allgemeines Prinzip beschrieben ist, aber letztlich unklar bleibt, welche beobachtbaren Phänomene auf dieses Prinzip zurückzuführen sein sollen.« 93

Indem für Freud der Wiederholungszwang – und damit das destruktive Prinzip von Wiederholung ohne Lustmöglichkeit – die Basis für den Todestrieb bildet, begründet also ein instabiles Theoriemodell ein noch instabileres. Nun kann und soll es hier nicht darum gehen, Freuds Theorien auf ihren Wahrheitsgehalt oder gar auf ihre therapeutische Anwendbarkeit zu überprüfen. Vielmehr ist von Interesse, dass es hier ein Wiederholungsphänomen ist, das Freud dazu bringt, einen weiteren Schritt in der Trieblehre zu konzipieren, der alles Vorige ins Wanken bringt. Noch spektakulärer wird dieser Schritt dadurch, dass er spekulativ bleibt und doch von Freud publik gemacht wird. Es scheint, so lässt sich folgern, Freud ein wichtiges Anliegen zu sein, »die letzten Dinge, die großen Probleme der Wissenschaft und des Lebens«94 zu behandeln. Er gesteht: »Ich glaube, ein jeder wird da von innerlich tief begründeten Vorlieben beherrscht, denen er mit seiner Spekulation unwissentlich in die Hände arbeitet.«95 In diesem Zuge konzipiert Freud also einen Widerstreit antagonistischer Triebe im Ich: Libidinösen Selbsterhaltungstrieben wirken regressive, 92 | Stefan Reichard: Wiederholungszwang. Ein psychoanalytisches Konzept im Wandel, Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer 1997, S. 21. 93 | Ebd., S. 20. 94 | Freud: Jenseits des Lustprinzips, S. 64. 95 | Ebd., S. 64f.

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nach Unbelebtheit strebende Triebe entgegen. Ein Riss zieht sich durch das Individuum.

Fazit In Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten steht die Wiederholung als Übertragung im Mittelpunkt, die Freud als liminale Phase zwischen Krankheit und Gesundung konzipiert. Die Situation der Übertragung weist dabei theatrale Grundzüge auf. Von Freud als »Tummelplatz« 96 der Wiederholung beschrieben, lässt sie sich ebenso als Bühne interpretieren. Die Wiederholung, verstanden als maskierte Erinnerung, tritt in Erscheinung und soll sich »in fast völliger Freiheit […] entfalten«.97 Der Patient erweist sich als Akteur, der zwar unbewusst einem Skript folgt, dieses aber, einem Schauspieler gleich, wieder und wieder zur Aufführung bringt. Sein Agieren verstellt ihm die Erinnerung, bringt sie für den Zuschauer aber gleichsam – in modifizierter Form – hervor. Betrachtet man diese Übergangsphase als eine Phase des Rollenspieles, so kommt dem Analytiker eine dreifache Aufgabe zu: die des Publikums, des Regisseurs und des Spielpartners. Er beobachtet die Aktion des Patienten, erkennt die Wiederholung und entwirft eine Strategie, dieser zu begegnen, nach der sich sein eigenes Handeln richten wird. Ziel ist es, die Wiederholung aufzudecken, sie aus der Bahn zu werfen und umzuleiten. Wenige Jahre später in Jenseits des Lustprinzips begegnet Freud der Wiederholung mit weniger Optimismus. Hier geht es nun um die unterschiedlichsten Wiederholungsphänomene: Freud beschreibt Wiederholungsvorgänge im Kinderspiel, sich wiederholende Träume, sich wiederholende Schicksalsschläge etc. Er unterlässt es, seinen Begriff des Wiederholungszwanges auf eines dieser Phänomene einzugrenzen, lässt die Vielfalt im Raum stehen, um die Prävalenz pathologischer Wiederholungsakte und -widerfahrnisse zu betonen. Erwies sich die Wiederholung in Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten als theatrales Phänomen des Überganges, dessen Ziel im Idealfall die Erinnerung an Verdrängtes darstellt, so konzipiert Freud sie in Jenseits des Lustprinzips noch nachdrücklicher als Brücke in die Vergangenheit. Der Wiederholungszwang ist hier Ausdruck eines Triebes, der darauf abzielt, einen Zustand wiederherzustellen, der noch vor allem Leben situiert ist: die unbelebte Materie, 96 | Freud: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten, S. 134. 97 | Ebd.

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den Tod. Mit der Dichotomie von Sexualtrieben und Todestrieb, die Freud in diesem Text einführt, konstituiert er ein gespanntes, gar zerrissenes Subjekt, das zwischen antagonistischen Trieben verortet ist. Dieser neue Schritt in seiner Triebtheorie bleibt seltsam in der Schwebe, weder kann Freud seine Mutmaßungen belegen, noch würde er auf sie verzichten. Der Wiederholungszwang, der allein ihm als Beispiel und Grund für den Todestrieb gilt, bleibt für Freud die »Aufstellung eines neuen geheimnisvollen Motivs«98 und übt doch solche Faszinationskraft auf ihn aus, dass er sich hinreißen lässt, auf wissenschaftliche Argumentationen zu verzichten. Wie bei Kierkegaard ist die Wiederholung in Freuds Texten ein irrationales Moment, das sich einer eindeutigen Definition entzieht. Und wie bei Nietzsche ist sie im Spannungsfeld von Neuschöpfung und Destruktion verortet. Die widerstreitenden Kunsttriebe des Dionysischen und des Apollinischen, die Nietzsche beschreibt, entspannen sich im Zarathustra schließlich mit der Aussicht auf den Übermenschen, der die Ewige Wiederkunft zu denken vermag. Die Wiederholung als »jene neue Kategorie, die es zu entdecken gilt«99 findet bei Freud nun kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert gemeinsam mit der Destruktivität Eingang in die Psyche eines jeden Subjektes. Konzipiert als internes Subversionspotenzial, unterläuft sie das Streben des Individuums nach Lustmöglichkeit und lässt einen dem Leben entgegenstehenden Trieb erahnen. Die Kategorie der Wiederholung überführt mit der Zweiteilung von Eros und Todestrieb somit Unvereinbares in die Psyche und konstituiert das Subjekt als immer schon gespanntes. Der Riss als Anfang vom Ende des einheitlichen und fortschrittlichen Subjektes der Moderne entspringt hier der Wiederholung.

I.2 P OSTMODERNE UND W IEDERHOLUNG Den Begriff ›postmodern‹ möchte ich – der Definition des Philosophen Jean-François Lyotard folgend – für »den Zustand der Kultur nach den Transformationen, welche die Regeln der Spiele der Wissenschaft, der Literatur und der Künste seit dem Ende des 19. Jahrhunderts getroffen 98 | Freud: Jenseits des Lustprinzips, S. 22. 99 | Kierkegaard: Die Wiederholung, S. 351.

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haben«100 verwenden. Diese Transformationen führt Lyotard bekanntlich auf eine »Krise der Erzählungen«101 zurück, die er als selbstbezügliche Fabeln beschreibt, welche neben ihren metaphysischen Inhalten auch ihre eigene Legitimation hervorbringen. Aus dem Zweifel an diesen großen Erzählungen, »wie die Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns, die Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts«,102 folgt nach Lyotard die Krise einer metaphysischen Philosophie. Aufklärerisches Fortschrittsdenken und die Universalismen Wahrheit, Glauben, autonome und einheitliche Subjektivität sowie vernunftgesteuerte Wissenschaft haben dabei schon in der Moderne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an Stabilität verloren. So erwiesen sich auch die im ersten Teil dieses Kapitels diskutierten Philosophen bereits als Vertreter repräsentationskritischer und erkenntnisskeptischer Tendenzen, welche in der Postmoderne radikalisiert werden. Meine Lektüre der Wiederholungskonzepte Kierkegaards, Nietzsches und Freuds konnte deren Abkehr von klassisch moderner, vernunftgesteuerter Wissenschaftlichkeit hin zu fragmentarischen Narrativen ohne eindeutigen Wahrheitsanspruch hervorheben. Die in den Kapiteln II bis V untersuchten Exponate und Aufführungen lassen sich allesamt der kulturhistorischen Epoche der Postmoderne zuschreiben, und ich möchte im Folgenden meine Lektüre poststrukturalistischer – und damit den untersuchten Arbeiten weitestgehend zeitgenössischen – Konzeptionen von Wiederholung vorstellen. Die sprachkritische Wende (linguistic turn),103 die für die Entstehung des Strukturalismus und 100 | Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht [1979], hg. v. Peter Engelmann, übers. v. Otto Pfersmann, 5. Aufl., Wien: Passagen 2005, S. 13. 101 | Ebd. 102 | Ebd. 103 | Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die unterschiedlichen Facetten und Auslegungen des viel diskutierten Begriffes linguistic turn eingehen, sondern stattdessen auf die offen gehaltene und meines Erachtens unstrittige Beschreibung in Klaus Stierstorfers Artikel zum linguistic turn im Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie verweisen: »[D]er Begriff bezeichnet eine Reihe von sehr unterschiedlichen Entwicklungen im abendländischen Denken des 20. Jh.s. Allen gemeinsam ist eine grundlegende Skepsis gegenüber der Vorstellung, Sprache sei ein transparentes Medium zur Erfassung und Kommunikation von Wirklichkeit. Diese Sicht wird durch die Auffassung von Sprache als unhintergehbare Bedin-

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des Poststrukturalismus von zentraler Bedeutung ist, erweist sich dabei insbesondere für das Verhältnis von Wiederholung und Bedeutungsstiftung als relevant. Geht man nämlich von der Annahme aus, alle menschliche Erkenntnis sei immer schon sprachlich strukturiert, so resultiert daraus, dass jegliche Erfahrung letztlich auf Wiederholung basiert: Indem Sprache und – da diese aller erfahrbaren Wirklichkeit zugrunde liegt – somit auch jegliches ästhetische Phänomen als Zeichensystem darstellbar ist, unterliegt jede Erfahrung immer schon jener Wiederholbarkeit eines Codes, der die Basis einer Entschlüsselung ebendieser Zeichen bildet. Dieser Aspekt der Unumgänglichkeit von Wiederholung in jeder (ästhetischen) Erfahrung und in jedem (künstlerischen) Ausdruck, wird im Folgenden insbesondere von Jacques Derrida in seiner Artaud-Lektüre aufgegriffen, bestimmt aber auch Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Überlegungen zu einem Jenseits der Repräsentation, sowie Derridas und Judith Butlers Auslegungen des Austinschen Performatvitätskonzeptes als eines produktiven Wiederholungssystems, dessen Abweichungen subversive Strategien erlauben. Die Untersuchungen der Texte in diesem Kapitel fallen dabei allesamt kürzer und deskriptiver aus als meine vorausgegangenen Lektüren moderner Wiederholungskonzepte. Dies liegt zum einen darin begründet, dass mein Vorhaben, den Zusammenhang von Wiederholung und Theatralität in den Konzepten herauszuarbeiten, hier schlicht weniger Mühe bedarf. Die Zusammenhänge liegen vielmehr auf der Hand, werden von den Autorinnen und Autoren selbst offen gelegt und von mir über weite Strecken lediglich nachvollzogen. Zum anderen leisten die Autoren – zumindest im Fall von Deleuze und Guattari sowie von Derrida – bereits Versuche, ihre Überlegungen zur Wiederholung für die Auseinandersetzung mit ästhetischen Phänomenen fruchtbar zu machen. Die Synthesearbeit, die diesbezüglich meine Lektüren insbesondegung des Denkens ersetzt. Danach ist alle menschliche Erkenntnis durch Sprache strukturiert; Wirklichkeit jenseits von Sprache ist nicht existent oder zumindest unerreichbar. Wichtigste Folgen sind, daß Reflexion des Denkens, bes. die Philosophie, damit zur Sprachkritik wird und daß Reflexion sprachlicher Formen, auch der Lit., nur unter den Bedingungen des reflektierten Gegenstandes, eben der Sprache, geschehen kann.« Klaus Stierstorfer: »Linguistic turn«, in: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 3., aktualisierte u. erweiterte Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2004, S. 386.

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re der Wiederholungskonzepte Nietzsches und Freuds bestimmte, entfällt also hier. Im Anschluss an meine entsprechend kürzer geratene Auseinandersetzung mit diesen poststrukturalistisch ausgerichteten Überlegungen zur Wiederholung werde ich einen von der Entwicklung moderner und postmoderner Wiederholungskonzepte informierten Wiederholungsbegriff herausarbeiten, der das Verhältnis von Theatralität und Wiederholung fokussiert und sowohl die spezifische Ästhetik als auch den kulturhistorischen Zusammenhang aufgeführter Wiederholungsphänomene zu beleuchten vermag.

I.2.1 Gilles Deleuze und das Theater der Wiederholung Auch Deleuze arbeitet die Theatralität der Wiederholung bei Nietzsche und Kierkegaard heraus. Er nimmt deren repräsentationskritische Ausführungen und Textverfahren zur Wiederholung zum Ausgangspunkt seines Buches Différence et répétition (1968). Nietzsche und Kierkegaard machen nach Deleuze »die Wiederholung nicht nur zur eigentlichen Macht der Sprache und des Denkens, […] sondern auch zur Grundkategorie der zukünftigen Philosophie. Mit jedem von ihnen 104 verbindet sich […] ein Theater, ein theatralisches Konzept, und eine Hauptfigur in diesem Theater, die als Held der Wiederholung agiert«.105 Jene zukünftige Philosophie, die von der Wiederholung durchdrungen ist, beruht, so Deleuze, auf einer Mobilmachung der Metaphysik, die Alternativen zur Vermittlungspraxis der Repräsentation schafft: »Was nun in ihrem gesamten Werk verhandelt wird, ist die Bewegung. […] Sie wollen die Metaphysik in Bewegung, in Gang setzten. Sie wollen sie zur Tat, zu unmittelbaren Taten antreiben. Es genügt ihnen folglich nicht, bloß eine neue Repräsentation der Bewegung vorzulegen; die Repräsentation ist bereits Vermittlung. Es handelt sich im Gegenteil darum, im Werk eine Bewegung zu erzeugen, die den Geist außerhalb jeglicher Repräsentation zu erregen vermag; […] die mittelbaren 104 | Deleuze bezieht sich an dieser Stelle nicht nur auf Kierkegaard und Nietzsche, sondern zudem auf den französischen Schriftsteller Charles Péguy (1873-1914). 105 | Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung [1968], übers. v. Joseph Vogl, 3. Aufl., München: Wilhelm Fink 2007, S. 20.

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Repräsentationen durch direkte Zeichen zu ersetzen; Schwingungen, Rotationen, Drehungen, Gravitationen, Tänze oder Sprünge auszudenken, die den Geist direkt treffen. Dies ist die Idee eines Theatermanns, eines Regisseurs – seiner Zeit voraus.«106

Deleuze beschreibt Kierkegaards wie Nietzsches Denken der Wiederholung als kraftvolle Bewegung, die unmittelbar berührt. Die Repräsentation, der sie widerstehen und die sie irritieren, ist hingegen immer schon Vermittlung. Deleuzes Kritik trifft hier einen Repräsentationsbegriff, der Repräsentation als stellvertretenden Verweis definiert. Diese Bedeutung von Repräsentation, die sich auf philosophiegeschichtliche Umbrüche im 17. Jahrhundert zurückführen lässt und die Geschichte der Metaphysik prägt, wurde auch durch die strukturalistische Neuinterpretation des Verhältnisses von Zeichen und Repräsentation zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht infrage gestellt. Zwar schließt der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure, der als Begründer der modernen Linguistik und des Strukturalismus gilt, aus seinem relationalen Zeichenmodell den Referenten (also das Bezugsobjekt) aus – Bedeutung entsteht nach ihm lediglich aufgrund von Differenzen der Zeichen untereinander107 –, das arbiträre Verhältnis von Bezeichnendem und Bezeichnetem beruht aber auch in diesem zweigliedrigen System auf einer Stellvertreterfunktion. 108 Im zitierten Absatz hingegen plädiert Deleuze für Alternativen der Hervorbringung von Bedeutung, angelehnt an eine Bedeutsamkeit der Intensität, die zwar zeichenhaft verfasst ist (Schwingungen, Rotationen, Drehungen), den Rezipienten jedoch unvermittelt angehen kann. Diese derart bewegte Signifikationspraxis nennt Deleuze an anderer Stelle auch »Theater der Wiederholung«.109 Er beschreibt: »Die Zeichen sind die 106 | Ebd., S. 24 [Herv. i.O.]. 107 | Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft [1916], hg. v. Charles Bally u. Albert Sechehaye, übers. v. Herman Lommel, 2. Aufl., Berlin: de Gruyter 1967, S. 138: »Innerhalb einer und derselben Sprache begrenzen sich gegenseitig alle Worte, welche verwandte Vorstellungen ausdrükken: Synonyma wie denken, meinen, glauben haben ihren besonderen Wert nur durch ihre Gegenüberstellung; wenn meinen nicht vorhanden wäre, würde sein ganzer Inhalt seinen Konkurrenten zufallen.« [Herv. i.O.]. 108 | Vgl. ebd., S. 76-79. 109 | Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 26.

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wahren Elemente des Theaters. […] Sie bedeuten die Wiederholung als reale Bewegung, im Gegensatz zur Repräsentation als falscher Bewegung des Abstrakten.«110 Der Stellvertreterfunktion der Repräsentation im herkömmlichen Akt der Bedeutungsstiftung stellt Deleuze also eine wandelbare und alle Sinne ansprechende Wiederholung theatraler Zeichen entgegen.111 Der Begriff ›Wiederholung‹ bildet dabei in Deleuzes Denken eine Einheit mit dem Begriff ›Differenz‹; sie treten als einander bedingende und wechselseitig konstituierende, prozesshafte Größen hervor. So leitet Deleuze seine Überlegungen mit einem Verweis auf deren Interdependenz ein: »Diese beiden Untersuchungen von Wiederholung und Differenz haben sich von selbst miteinander verschränkt, weil sich diese Begriffe einer reinen Differenz und einer komplexen Wiederholung unter allen Umständen zu vereinigen und zu verschmelzen schienen […].« 112 Noch im Vorwort konstatiert er in Bezug auf Jorge Luis Borges’ Behandlung eines wirklichen Buches als eines imaginären Buches, das von einem imaginären Autor wiedergegeben wird:113 »Die exakteste, die strengste Wiederholung korreliert dann mit dem Maximum an Differenz.«114 Was auf den ersten Blick als Paradox anmutet, erschließt sich vor dem Hintergrund, dass derselbe Text von einem anderen Autor gleich110 | Ebd., S. 42. 111 | Deleuzes Theaterbegriff konvergiert dabei offensichtlich nicht mit dem dieser Studie zugrunde gelegten Theatralitätsbegriff Erika Fischer-Lichtes. Vielmehr steht das Theater bei Deleuze, wie der Philosoph Ingo Uhlig herausarbeitet, vor allem für einen kontingenten Bedeutungsraum: »Reine Theatralität entspricht dem Bild eines leeren Bühnenraumes, der an sich ohne Bedeutung und Referenz ist, aber alle Bedeutungen annehmen und multiple Verbindungen eingehen kann. Die gänzliche Kontingenz dieses symbolischen Ortes, der die verschiedensten raumzeitlich variablen Ereignisse als virtuelle enthält, eröffnet einen phantastischen und mit Bedeutung überfüllten Raum.« Ingo Uhlig: Poetologien des Ereignisses bei Gilles Deleuze, Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S. 41. 112 | Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 12 [Herv. i.O.]. 113 | Deleuze bezieht sich hier auf Jorge Luis Borges’ Kurzgeschichte Pierre Menard, autor del ›Quijote‹ (1939), in der Borges in Form einer fiktiven Rezension dem ebenfalls fiktiven Autor Pierre Menard zuschreibt, das Buch Don Quijote von Miguel de Cervantes im exakten Wortlaut erneut niedergeschrieben zu haben. 114 | Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 14.

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zeitig als exakte Wiederholung und als maximale Differenz beschrieben werden kann. Doch lässt sich dieses Zitat Deleuzes Denken von Wiederholung und Differenz als Motto voranstellen, denn es verdeutlicht Deleuzes Ablösung der Wiederholung von Konzepten der Ähnlichkeit und der Analogie. Die Wiederholung lässt sich zwar »als eine äußerste Ähnlichkeit oder eine vollendete Äquivalenz ›repräsentieren‹. Aber die Tatsache, daß man in winzigen Schritten von einer Sache zur anderen gelangt, verschlägt nicht, daß eine Wesensdifferenz zwischen beiden besteht.«115 In diesem Sinne wird anschaulich, warum Deleuze eine bewegte, von ihm als theatral charakterisierte Konstituierung von Bedeutung mittels direkter Zeichen mit der Wiederholung gleichsetzt: So ist es gerade die Differenz der Wiederholung, die eine permanente Entstehung von Neuem sicherstellt. Differenz wie Wiederholung unterliegen dabei zwar durchaus »der Fessel der Repräsentation«,116 die Deleuze allerdings expliziert, um zu ihrer Aufsprengung zu gelangen. Als »Ort der transzendentalen Illusion«117 besitzt die Repräsentation nach Deleuze vier miteinander verwobene Formen,118 von denen uns im Folgenden vor allem die Illusion des Sinnlichen interessieren soll, betrifft sie doch die Unterordnung der Differenz unter die Ähnlichkeit. Deleuze zeigt auf, wie sich die Repräsentation mittels der Ähnlichkeit scheinbar indifferent auf Dinge bezieht, und weist darauf hin, dass diese Form der Bezugnahme Differenz und Differentes lediglich verschleiert. Die Illusion besteht hier nicht nur in der Annahme, dass sich die Differenz der Ähnlichkeit ergibt. Ist die Ähnlichkeit in ihrer Negation der Differenz sinnlich erfahrbar, so vermag diese Erfahrung die Differenz dennoch nicht zu tilgen. Vielmehr geht Deleuze davon aus, dass die Differenz in ihrer Intensität als »Sein des Sinnlichen«119 die Grundlage sinnlicher Erfahrung bildet. Sie inhäriert der sinnlichen Er-

115 | Ebd., S. 16. 116 | Ebd., S. 329. 117 | Ebd., S. 333. 118 | Vgl. ebd.: »Diese Illusion besitzt mehrere Formen, vier miteinander verflochtene Formen, die insbesondere dem Denken, dem Sinnlichen, der Idee und dem Sein entsprechen.« Deleuze führt die einzelnen Illusionen der Repräsentation auf den Seiten 333-340 aus. 119 | Ebd., S. 334.

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fahrung somit schon immer und ist in jeder Ähnlichkeitsrelation nicht aufgehoben, sondern nur verschoben. Die Illusionen der Repräsentation betreffen dabei ebenfalls die Wiederholung. So »verfügt die Repräsentation über keinerlei direktes Kriterium zur Unterscheidung zwischen Wiederholung und der Ordnung der Allgemeinheit, Ähnlichkeit oder Äquivalenz. Darum wird die Wiederholung als eine vollkommene Ähnlichkeit oder äußerste Gleichheit repräsentiert«.120 Jene Wiederholung, die der Repräsentation unterliegt, indem sie als Ähnlichkeit auffällig wird, bezeichnet Deleuze dabei als »materielle und nackte Wiederholung«.121 Diese lässt sich repräsentieren, da sie statisch und mechanisch nach der Reproduktion desselben strebt. Dieser Form der Wiederholung stellt Deleuze mit der »bekleidete[n] Wiederholung«122 eine komplexere Wiederholung entgegen, die auf Differenz ausgerichtet ist. »Die eine beruht auf Exaktheit und Mechanismus, die andere auf Selektion und Freiheit. Die eine ist eine nackte Wiederholung, die nur als Zugabe und nachträglich maskiert werden kann; die andere ist eine bekleidete Wiederholung, deren Masken, Verschiebungen, und Verkleidungen die ersten, letzten und einzigen Elemente darstellen.«123

Diese zwei unterschiedenen Modelle von Wiederholung stehen einander allerdings nicht gegenüber, sondern sind ineinander verschachtelt: Deleuze konzipiert das Spiel der Differenzen, deren Verschiebung und Verkleidung als Herzstück der Wiederholung, das ihr immer zugrunde liegt. Die mechanische, bekleidete Wiederholung bleibt somit ein Oberflächenphänomen, das als ein Produkt des Spieles freier Differenzen dessen Rand markiert: »Auf diese Weise ist es das Bekleidete, das unter dem Nackten liegt und es erzeugt, es ausscheidet [excrète] als Wirkung seiner Sekretion [sécrétion]. Die verborgene [secrète] Wiederholung ist es, die sich mit einer mechanischen und nackten Wiederholung als einer letzten Barriere umgibt.« 124 Wie aber zu ihrem Kern vordringen? Wie lässt sich jene 120 | Ebd., S. 337. 121 | Ebd., S. 356. 122 | Ebd., S. 358. 123 | Ebd. 124 | Ebd., S. 360.

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Wiederholung, die sich der Repräsentation widersetzt, präsentieren? Wo wird sie erfahrbar? Wie bringt sie Differenz hervor? Der Ausweg, den Deleuze als Tummelplatz freier Differenz und komplexer Wiederholung stilisiert, ist das Verfahren der Simulation. Ist die Geschichte der Repräsentation eine Geschichte des Ebenbildes, so entwirft Deleuze die Geschichte des Trugbildes als Gegensystem. Hier sieht er die Möglichkeit gegeben, Differenz und Dezentrierung zu bejahen und die Illusionen der Repräsentation auszuhebeln: »Das System des Trugbilds bejaht die Divergenz und die Dezentrierung; die einzige Einheit, die einzige Konvergenz aller Reihen ist ein formloses Chaos, das sie alle umfaßt. Keine Reihe ist privilegiert gegenüber einer anderen, keine besitzt die Identität eines Urbilds, keine die Ähnlichkeit eines Abbilds. Keine steht im Gegensatz zu einer anderen oder ist ihr analog. Jede besteht aus Differenzen und kommuniziert mit den anderen über Differenzen von Differenzen. Die gekrönten Anarchien ersetzen die Hierarchien der Repräsentation; die nomadischen Verteilungen die seßhaften Verteilungen der Repräsentation.«125

Das Trugbild lässt sich nach Deleuze also jenseits der Repräsentation verorten. Eine Möglichkeit seiner Generierung ist für ihn die moderne Kunst: »Man muß die Differenz im Verlauf ihrer Differenzierung zeigen. Bekanntlich versucht das moderne Kunstwerk diese Bedingungen zu verwirklichen: Es wird in diesem Sinne ein regelrechtes Theater, bestehend aus Metamorphosen und Permutationen.« 126 Die Theatralität moderner Kunst, die Deleuze hier beschreibt, geht zweifellos auf seine oben beschriebene Konzeption eines unmittelbaren Theaters als eines kontingenten Bedeutungs- und Erfahrungsraumes zurück, in dem Zeichen die Rezipientinnen in ihrer Intensität direkt erreichen und die Vermittlungspraxis der Repräsentation unterwandern: »Das Kunstwerk verläßt das Gebiet der Repräsentation, um ›experimentelle Erfahrung‹ zu werden, transzendentaler Empirismus oder Wissenschaft vom Sinnlichen.«127 Die Kunst ist nach Deleuze somit dazu prädestiniert, Differenz und Wiederholung eine Rahmung zu geben, die sie dem verweisenden Als-Ob der Repräsentation enthebt: »Die Kunst ahmt 125 | Ebd., S. 346f. 126 | Ebd., S. 83f. [Herv. i.O.]. 127 | Ebd., S. 84.

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nicht nach, ahmt aber vor allem deswegen nicht nach, weil sie wiederholt und aufgrund einer inneren Macht alle Wiederholungen wiederholt (die Nachahmung ist ein Abbild, die Kunst aber Trugbild, sie verkehrt die Abbilder in Trugbilder).«128 Am Beispiel von Andy Warhols seriellen Arbeiten beschreibt Deleuze die Verkehrung des repräsentierenden Abbildes zum referenzlosen Trugbild: Die nackte, rohe Wiederholung des seriellen Reproduktionsverfahrens, das sich Warhol mit dem Siebdruck zunutze machte, gerät hier durch die inflationäre Erzeugung von Abbildern an den Punkt, an dem das Verhältnis von Original und Kopie implodiert. Die bekleidete Wiederholung offenbart sich in der Differenz, die einen jeden Druck als Trugbild entlarvt. Wird hier das Verfahren von Wiederholung (Siebdruck) und Differenz (unendliche Variationen des wiederholten Motivs) zwar konkret anschaulich, so bleibt das Verfahren der Simulation doch nicht auf die Kunst begrenzt. Die Simulation dehnt sich auf alle Lebensbereiche aus und entzieht dem Verweischarakter der von Deleuze monierten Repräsentation den Boden. Das Theater der realen Wiederholung ist als Medium der Simulation somit weder an die Rahmung der Bühne noch an die Rahmung der Kunst gebunden. Verschwistert mit Deleuzes Interpretation der ›Ewigen Wiederkunft des Gleichen‹, die Nietzsches Wiederholungskonzept eine weder lineare noch zyklische »dritte Zeit« 129 zuschreibt, in der alles Differenz ist, steht die Simulation hier für einen Gegenentwurf zum Sein, der die Regeln der Repräsentation außer Kraft setzt: »Die ewige Wiederkehr sondert aus, was, indem es den Transport der Differenz unmöglich macht, die Wiederkunft selbst unmöglich macht. Was sie aussondert, ist das Selbe und das Ähnliche, das Analoge und das Negative als Voraussetzungen der Repräsentation.« 130 Während Deleuze hier also unter Rekurs auf die Ewige Wiederkehr mit der Simulation ein Prinzip aufruft, dessen Ziel es ist, Repräsentation zu unterwandern, indem es jene Reproduktionsleistungen vereitelt, die auf Exaktheit abzielen und Differenz unterschlagen, tritt in seinem zwölf Jahre später erschienenen und gemeinsam mit dem Psychiater und Philosophen Félix Guattari geschriebenen Buch Mille Plateaux (1980) ein weiterer Aspekt der Wiederholung in den Vordergrund. Nun wird in dem 128 | Ebd., S. 364. 129 | Ebd., S. 368. 130 | Ebd., S. 372.

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Kapitel »Zum Ritornell« die stabilisierende Funktion der Wiederholung in Form eines Refrains beleuchtet. Die Wiederholung als ein Strukturprinzip, das Licht ins Dunkel bzw. Ordnung ins Chaos zu bringen vermag, gewinnt somit an Bedeutung: »Ein Kind, das im Dunklen Angst bekommt, beruhigt sich, indem es singt. Im Einklang mit seinem Lied geht es weiter oder bleibt stehen. Hat es sich verlaufen, versteckt es sich, so gut es geht, hinter dem Lied, oder versucht, sich recht und schlecht an seinem kleinen Lied zu orientieren. Dieses Lied ist so etwas wie der erste Ansatz für ein stabiles und ruhiges, für ein stabilisierendes und beruhigendes Zentrum mitten im Chaos.«131

Das Ritornell – nach Deleuze und Guattari ein vornehmlich klangliches Wiederholungsgefüge132 – bietet Orientierungshilfe, schafft Vertrauen und Gewohnheit, einen bekannten Ort in der Fremde. Ein Territorium wird abgesteckt, ein Raum konstituiert, an dessen klanglichen Begrenzungen das Chaos abprallt. Dabei ist es der Rhythmus – von Deleuze und Guattari nicht als Maß, sondern als Phänomen der Differenz konzipiert –, der immer neue Räume (Millieus) schafft, die ihrerseits – aufgrund der endlosen Bewegung rhythmischer Verschiebung – stets im Werden und damit im Übergang begriffen sind.133 Deleuze und Guattari bezeichnen die rhythmische Wiederholung hier als »produktive Wiederholung«134 und setzen sie vom »reproduzierenden Maß«135 ab; eine Unterscheidung, die mit jener der nackten und der bekleideten Wiederholung in Différence et répétition korrespondiert. Indem der Rhythmus zugleich als Ordnungsprinzip und als Phänomen des Überganges hervortritt, wird offensichtlich, dass sich das Ritornell nicht in seiner stabilisierenden Funktion erschöpfen kann, sondern die rhythmisch markierten Grenzen eines Territoriums aufgrund ihrer Differenzen vielmehr in ständiger Bewegung sind. So verbinden sich im 131 | Gilles Deleuze/Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie [1980], hg. v. Günter Rösch, übers. v. Gabriele Ricke u. Ronald Voullié, Berlin: Merve 1992, S. 424. 132 | Vgl. ebd., S. 474f. 133 | Vgl. ebd., S. 445. 134 | Ebd., S. 428. 135 | Ebd.

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Ritornell Ordnung, Begrenzung und Territorialisierung mit Auflösung, Überschreitung und Reterritorialisierung. Deleuze verweist in Différence et répétition auf Nietzsches Konzept der Ewigen Wiederkunft, um die Simulation als Modell jenseits künstlerischer Praxis einzuführen;136 in Mille Plateaux wird in Bezug auf Nietzsches Überlegungen zu Ästhetik und Wiederholung ein weiterer Aspekt relevant. So befindet der Philosoph Hannes Böhringer in einem Text zum Begriff des Ritornells: »Nietzsches Lehre von der dionysisch-apollinischen Musik und der ewigen Wiederkunft werden hier im Ritornell zusammengeführt.« 137 Das Ritornell verbindet schließlich die Entgrenzung der Musik und der Rhythmuserfahrung als dionysische Merkmale mit den apollinisch-bildnerischen Merkmalen des Absteckens eines Territoriums. Differenz und Wiederholung haben sich hier also im Begriff des rhythmischen Ritornells vereint und stehen für Verräumlichungen und Temporalisierungen, die Anlaufpunkt und Halt geben können, doch zugleich ständiger Veränderung unterworfen sind, ja deren Grenzen permanent verhandelt werden.138 Das Ritornell als Wiederholungsbegriff geht in seiner Anwendbarkeit auf flüchtige Phänomene insofern über jenen des Trugbildes hinaus, als dass es in sich dynamischer, prozesshafter konzipiert ist. Hier geht es weniger darum, etwas der Stellvertretungslogik der Repräsentation entgegenzusetzten, vielmehr hat das rhythmische Wiederholungsphänomen bereits in seiner Expressivität die Logik der Repräsentation überkommen und steht in seiner Eigenschaft, wiederholend Neues herzvorzubringen, kurzzeitig zu fixieren und dann zu verschieben, im Mittelpunkt. Parallelen zwischen der flüchtigen Konstitution des ebenfalls immer rhythmisch gestimmten Raumes einer Aufführung und dem raumzeitlichen Übergangsphänomen des Ritornells liegen somit ganz nah.

136 | Vgl. Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 371f. 137 | Hannes Böhringer: »Fehlendes Volk. Über den Begriff des Ritornells in ›Tausend Plateaus‹ und ›Was ist Philosophie?‹ von Gilles Deleuze und Félix Guattari«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hg.): Deleuze und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007, S. 150. 138 | Die Verräumlichungen und Temporalisierungen der Wiederholung spielten durchaus bereits in Différence et répétition eine Rolle, wurden aber im Begriff des Ritornells konkretisiert. Vgl. Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 274ff.

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I.2.2 Jacques Derrida und das Theater der Grausamkeit »Artaud wollte die Wiederholung überhaupt tilgen«,139 schreibt Jacques Derrida in seinem Text Le Théâtre de la cruauté et la clôture de la représentation (1967) über Antonin Artauds Vision von einem ›Theater der Grausamkeit‹. Schließlich rief der Theater-Avantgardist in seinen zwischen 1932 und 1936 entstandenen Schriften zum Theater, die erstmals 1938 unter dem Titel Le Théâtre et son double erschienen, zu einem unmittelbaren und einmaligen Theater auf, das mit jeder Aufführung und in jedem Moment ganz neu entsteht: »[S]ehen wir ein, daß das Gesagte nicht noch einmal gesagt zu werden braucht; daß ein und derselbe Ausdruck nicht zweimal taugt, nicht zweimal lebt; daß jedes Wort tot ist, sobald es ausgesprochen ist, und nur in dem Augenblick wirkt, in dem es ausgesprochen wird, daß eine einmal verwendete Form zu nichts mehr nütze ist und nur dazu einlädt, nach einer anderen zu suchen, und daß das Theater der einzige Ort auf der Welt ist, wo eine Gebärde unwiederholbar ist.«140

Das Theater, in der Regel als eine Kunst konzipiert, die auf Wiederholbarkeit angelegt ist, wird von Artaud hier als einziger Ort der Unwiederholbarkeit charakterisiert. Die Ereignishaftigkeit des Theaters biete sich an, um neue Ausdrucksformen zu entwickeln, die wirksamer seien als jene textueller und bildhafter Phänomene. Schließlich erschöpften sich »die Poesie und die Wirksamkeit des Theaters […] am wenigsten schnell, weil sie die Aktion dessen erlaubt, was sich durch Gebärden ausdrückt und sich niemals ein zweites Mal wiederholt«.141 Artaud konzipiert die Aufführung als Raum, in dessen Zentrum die Zuschauer angesiedelt sind, in dem die klassische Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum also aufgehoben ist und »die Sensibilität des Zuschauers von allen Seiten«142 139 | Jacques Derrida: »Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation«, in: ders.: Die Schrift und die Differenz [1967], übers. v. Rodolphe Gasché, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1976, S. 372 [Herv. i.O.]. 140 | Antonin Artaud: Das Theater und sein Double [1938] (= Werke in Einzelausgaben, Bd. 8), übers. v. Gerd Henniger, mit einem Nachwort v. Bernd Mattheus, München: Matthes & Seitz 1996, S. 80. 141 | Ebd., S. 83f. 142 | Ebd., S. 91.

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angegangen werden soll. Hier soll ein unmittelbarer Ausdruck erreicht werden, der in Texten aufgrund der Mittlerfunktion der Sprache nicht möglich ist. Die unwiederholbare Gebärde bei Artaud übersteigt dabei jene Unwiederholbarkeit, die man einer Aufführung aufgrund ihrer Flüchtigkeit und ihres Entstehens aus der Interaktion von Akteuren und Zuschauern tatsächlich zusprechen kann, wenn man von einem Wiederholungsbegriff ausgeht, der Wiederholung mit exakter Reproduktion gleichsetzt. Doch Artaud geht viel weiter, entwirft er doch eine Theaterutopie, in der die theatrale Repräsentation keinen Platz hat, ja Zeichen komplett ihrer Verweisfunktion enthoben werden sollen. Auf der Ebene der Darstellung sei »das Theater […] weit davon entfernt, das Leben zu kopieren«,143 vielmehr habe eine »gewaltsame, geraffte Handlung […] Ähnlichkeit mit der lyrischen Sprache: sie ruft übernatürliche Bilder an«.144 Artaud hat die radikale Vision eines Theaters, das jene Wiederholung, die auf Nachahmung der Realität zielt, ebenso von der Bühne verbannt wie die Mittelbarkeit des Zeichens an sich. Dass Artauds Theaterutopie zudem eine Abkehr von der Verbalsprache beinhaltet,145 verwundert nicht, ermangelt diese doch aufgrund ihrer arbiträren Relation von Bezeichnendem und Bezeichnetem offensichtlich der angestrebten Unmittelbarkeit. Stattdessen fordert Artaud eine radikale Theatersprache, die unvermittelt große ästhetische Sprengkraft zu entfalten vermag. Diese direkte Sprache, von der Theaterwissenschaftlerin Doris Kolesch als »analogische Theatersprache«146 bezeichnet, muss vielmehr ständig neu erfunden werden, da sie auf kein existentes Zeichenrepertoire zurückgreifen soll. »Im Theater Artauds wird der Signifikant konkretisiert und erhält dadurch eine Eigenständigkeit und Intensität, die er in der logisch-diskursiven Sprache eingebüßt hat. […] In semiotischer Begrifflichkeit können wir Artauds theatralen Code als einen vollkommen ikonischen bezeichnen. Ein Ikon verweist aufgrund von Ähn143 | Ebd., S. 87. 144 | Ebd. 145 | Vgl. ebd., S. 95f. 146 | Doris Kolesch: »Der magische Atem des Theaters. Ritual und Revolte bei Antonin Artaud«, in: Franz Norbert Mennemeier/Erika Fischer-Lichte (Hg.): Drama und Theater der europäischen Avantgarden, Tübingen/Basel: Francke 1994, S. 243.

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lichkeiten und inneren Korrespondenzen auf den bezeichneten Gegenstand […]. Vollkommene Ikonizität liegt paradoxerweise dann vor, wenn das Zeichen seinen Zeichen-, das heißt seinen Repräsentationscharakter verloren hat, da es mit dem Bezeichneten deckungsgleich zusammenfällt.«147

Deleuzes bereits beschriebene Konzeption eines philosophischen Theaters der realen Wiederholung und der direkten Zeichen, die er der Idee eines Theatermannes zuschreibt,148 scheint sich auf ebendiese unmittelbare Zeichenfunktion, vielleicht gar auf Artauds Visionen, auf die er an anderer Stelle eingeht,149 zu beziehen. Zwar ist es bei Artaud gerade die Absage an die Wiederholung, die vergleichbare, selbstbezügliche Präsenzphänomene hervorbringen soll, während Deleuze dieses Potenzial der realen Wiederholung zuschreibt. Dennoch ergibt sich hier zwischen Abkehr und Forderung von Wiederholung kein Paradox. Schließlich ist Deleuzes Wiederholung doch nicht ohne deren Differenzen zu denken, ein Phänomen des Überganges, der Grenzüberschreitung und der Subversion zielgerichteter Bedeutungsstiftung. Derrida nutzt nun in den 1960er Jahren Artauds radikale Ausführungen zu einem Theater, das sich der Vermittlungspraxis der Repräsentation und mithin der mimetischen Wiederholung verwehrt und stattdessen mittels konkreter, sich augenblicklich materialisierender Zeichen eine Bedeutsamkeit der Präsenz hervorbringt, um diesen seine eigene Zeichentheorie entgegenzustellen. Dieser zufolge allerdings ereignet sich alles immer schon im Modus der Wiederholung: »Die reine Verausgabung, die absolute Freigiebigkeit, die die Einmaligkeit der Gegenwart dem Tod darbietet, um die Präsenz als solche zum Erscheinen zu bringen, hat bereits damit begonnen, die Präsenz des Präsenten aufbewahren zu wollen […]. Das Präsente nicht bewahren zu wollen, heißt das bewahren zu wollen, was seine unersetzliche und tödliche Präsenz bildet, das, was sich in ihm nicht wiederholt.«150

147 | Ebd. 148 | Vgl. Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 24. 149 | Vgl. ebd., S. 276. 150 | Derrida: Das Theater der Grausamkeit, S. 374 [Herv. i.O.].

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Laut Derrida eignet also auch dem Präsenten immer schon seine Nachträglichkeit; die Wiederholung ist dem flüchtigsten Moment eingeschrieben und tilgt somit jegliche Möglichkeit eines reinen Ereignens. Um seine Theorie zu entfalten, dass alles schon immer der Struktur der Wiederholbarkeit unterliege, wählt Derrida mit der Lektüre und Deutung von Artauds Schriften zum Theater (oder besser gesagt: der von ihm collagierten Textauszüge) also eine gegenteilige Meinung. Dessen Vision eines ›Theaters der Grausamkeit‹ reizt Derrida offenbar, weil sie seiner Meinung nach »die Grenze der Repräsentation«151 ankündigt. Derrida dient dabei jenes bürgerliche Theater, das Artaud revolutionieren will, als Paradebeispiel unzähliger Repräsentationstechniken (»Repräsentieren mittels Repräsentanten, Regisseure oder Schauspieler, unterjochte Interpreten, die Personen repräsentieren, die in dem, was sie sagen, zunächst mehr oder weniger direkt den Gedanken des ›Schöpfers‹ repräsentieren.«152). Das Theater eignet sich aus diesem Grund auch für Derrida ganz besonders zur Destruktion dieser Funktionen: »Die theatralische Kunst muß zum ausgezeichneten und privilegierten Ort dieser Destruktion der Nachahmung werden: mehr als jede andere ist sie von dieser Arbeit der totalen Repräsentation gekennzeichnet.«153 Ein Theater, das nicht mehr danach strebt, den Inhalt eines Textes zu repräsentieren, der seinerseits die Wirklichkeit repräsentiert, sondern das auf die intensive Erregung aller Sinne eines Publikums abzielt, das nicht mehr durch eine vierte Wand von den Darstellern getrennt, sondern vielmehr in deren Zentrum verortet ist, hält auch Derrida für fähig, die Praktiken der Repräsentation zu irritieren. Er plädiert allerdings in Bezug auf Artauds Theatervision nicht für eine Abkehr vom Repräsentationsbegriff, sondern vielmehr für dessen Resignifizierung. Man müsse sich in Bezug auf ein ›Theater der Grausamkeit‹ nicht vom Begriff der Repräsentation trennen, »vorausgesetzt, man verstünde wohl den schwierigen und mehrdeutigen Sinn dieses Begriffs. Man müßte hier auf all den deutschen Wörtern spielen können, die wir hier ununterschieden mit dem einzigen Wort Repräsentation übersetzen«.154 Sein Hinweis lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass Repräsentation nicht nur Stellvertretung, 151 | Ebd., S. 353. 152 | Ebd., S. 356. 153 | Ebd., S. 354. 154 | Ebd., S. 358.

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sondern auch Darstellung, Vorstellung und Vergegenwärtigung meinen kann. Richtet man den Blick also auf die Darstellung, so tritt die Ebene der Performanz vor jene der Referenz und die Kontingenz performativer Prozesse rückt in den Vordergrund. Derridas Begriff der »originäre[n] Repräsentation« sucht dabei den Reichtum differierender Bedeutungen von Repräsentation zu fassen. »Sie [die Szene, J.K.K.] wiederholt und re-präsentiert nicht länger mehr eine Präsenz, die anderswo und vor ihr bestünde, deren Fülle älter als sie, die auf der Szene abwesend wäre […]. Ebensowenig wird sie eine Repräsentation sein, wenn Repräsentation ausgebreitete Fläche eines Voyeuren dargebotenen Schauspiels meint. Sie wird uns selbst keine Präsentation einer Präsenz darbieten, wenn Präsenz etwas bedeutet, das vor mir steht. Die grausame Repräsentation muß mich einkleiden. Die Nicht-Repräsentation ist daher originäre Repräsentation, wenn Repräsentation auch noch Entfaltung eines Ausmaßes, eines Milieus vielfältiger Dimensionen, erzeugende Erfahrung seines eigenen Raums heißt.« 155

Als »originäre Repräsentation« bezeichnet Derrida hier also die Konstitution eines Erfahrungsraumes, der sich nicht im Verweis auf ein imaginäres Anderswo erschöpft und der Sprache und visuelle Struktur zu übersteigen vermag. Artauds Entwurf eines ›Theaters der Grausamkeit‹ dient Derrida somit dazu, ebendiese originäre Vielfalt und Ambivalenz des Begriffes zu bündeln. Dieser Erfahrungsraum bleibt für Derrida dabei allerdings ein Spielraum von Differenz und Wiederholung, den die Repräsentation begrenzt. Das Theater bleibt für ihn ein Medium der Wiederholung und war es seiner Meinung nach auch bei Artaud. »Dazu genügt es, dass es ein Zeichen gibt, das heißt eine Wiederholung.«156 Derrida schließt also die Möglichkeit vollkommener Ikonizität aus: Artaud gelang es seiner Meinung nach zwar, »sich in allernächster Nähe zur Grenze«157 zu einer »Reinheit einer Präsenz ohne innere Differenz und ohne Wiederholung«158 aufzuhalten, er war sich jedoch, so Derrida, in jedem Moment der Unmöglichkeit reiner Präsenz bewusst.

155 | Ebd., S. 359 [Herv. i.O.]. 156 | Ebd., S. 378. 157 | Ebd., S. 377. 158 | Ebd., S. 378.

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Derrida geht davon aus, dass es kein Außerhalb von auf Wiederholung basierenden Zeichensystemen gibt. Er spricht sich für einen erweiterten Begriff von Repräsentation aus, der zwar alle Sinne einzunehmen vermag, dennoch aber immer mittelbar bleibt. Zwar ließe sich konstatieren, dass die Repräsentation bei Derrida unumgänglich ist, während sie bei Deleuze mittels der Simulation unterwandert werden kann. Letztlich aber scheint die Definition der Grenzen der Repräsentation hier von einer Definition des Wiederholungsbegriffes abhängig zu sein. Deleuzes produktiven Dimensionen der Wiederholung in der ästhetischen Praxis wie in der Alltagspraxis der Simulation, die bei ihm die Repräsentation zu unterlaufen vermögen, korrelieren weitgehend mit Derridas Entwurf von originärer Repräsentation. Dieser spricht Derrida die Entfaltung eines Erfahrungsraumes zu – »Verräumlichung, das heißt Erzeugung eines Raums, den keine Sprache zusammenfassen oder begreifen kann«159 –, eines Gefüges, das wiederum an Deleuzes und Guattaris Konzeption des Ritornells erinnert, dessen rhythmische Wiederholung sich doch ebenfalls räumlich entfaltet. Diese Wiederholungszeiträume, in denen Prozesse der Bedeutungsstiftung und der ästhetischen Erfahrung verhandelt werden, verbindet dabei zumindest ihre permanente Transformation mit Artauds radikaler Vision eines ›grausamen‹ Aufführungszeitraumes.

I.2.3 Performativität und Wiederholung Die ›Performativität‹ ist von Beginn ihrer jungen Begriffsgeschichte an eng mit der Wiederholung verknüpft. Der englische Sprachphilosoph John L. Austin erfindet den Begriff in den 1950er Jahren als Teil seiner Sprechakttheorie, um Äußerungen zu bezeichnen, die ihren Inhalt im Akt des Sprechens gleichsam vollziehen. Im Gegensatz zu rein beschreibenden, konstativen Aussagen, die etwas feststellen oder behaupten, bringen performative Äußerungen wie beispielsweise Versprechen, Wetten oder Urteilssprüche eine neue Wirklichkeit hervor.160 Die Performativa müssen laut Austin zwei Bedingungen erfüllen:

159 | Ebd., S. 359 [Herv. i.O.]. 160 | Vgl. John Langshaw Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words) [1962/1975], übers. v. Eike von Savigny, Stuttgart: Reclam 2002, S. 27ff.

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»A. Sie beschreiben, berichten, behaupten überhaupt nichts; sie sind nicht wahr oder falsch; B. das Äußern des Satzes ist, jedenfalls teilweise, das Vollziehen einer Handlung, die man ihrerseits gewöhnlich nicht als ›etwas sagen‹ kennzeichnen würde.«161

Austin widmet sich in seinen Vorlesungen zur Sprechakttheorie ausgiebig den Bedingungen des Gelingens der Performativa und nicht minder ausführlich Situationen, in denen der performative Handlungsvollzug scheitert. So spezifiziert er die Bedingungen für ein Gelingen des performativen Sprechaktes weiter: Alle Beteiligten eines Sprechaktes müssen sich den erforderlichen Konventionen gemäß verhalten, sie (sowie die Umstände ihres Zusammentreffens) müssen zum Sprechakt passen, das Verfahren aufrichtig, korrekt und vollständig ausführen sowie sich im Anschluss an den Sprechakt gemäß der neuen Wirklichkeit verhalten.162 Die Aufzählung der Gelingensbedingungen impliziert dabei schon die vielen Möglichkeiten ihres Scheiterns: Ist eine Sprecherin nicht autorisiert, wird ein ritualisierter Sprechakt nicht zu Ende geführt oder verhalten sich die beteiligten Personen nicht gemäß der Konventionen, so scheitert der Sprechakt: Das Paar tritt nicht in den Stand der Ehe, das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Wette gilt nicht. Es liegt nahe, dass die Handlungen, Formeln und Worte eines Sprechaktes nur aufgrund ihrer Wiederholbarkeit Anwendung finden. Würde das Ritual der Eheschließung nicht einem Set von Regeln folgen, die sich in jedem Fall wiederholen, wäre ein den Gelingensbedingungen gemäßes Verhalten gar nicht möglich. So offensichtlich ein konventionelles und damit von auf Wiederholbarkeit angelegten Codes abhängiges Verhalten notwendig ist, so sehr verwehrt sich Austin jedoch einem nachahmenden Verhalten: Er geht davon aus, dass jeder Teilnehmer eines Sprechaktes die dem Akt entsprechenden »Meinungen und Gefühle wirklich haben«163 muss, und impliziert somit die Authentizität des Sprechens aller Beteiligten als Gelingensbedingung. Jeden anderen Sprachgebrauch verurteilt Austin als »parasitär« und verweist an dieser Stelle mit Nachdruck auf das Theater:

161 | Ebd., S. 28 [Herv. i.O.]. 162 | Vgl. ebd., S. 37. 163 | Ebd.

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»In einer ganz besonderen Weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig, wenn ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn jemand sie zu sich selbst sagt. Jede Äußerung kann diesen Szenenwechsel in gleicher Weise erleben. Unter solchen Umständen wird die Sprache auf ganz bestimmte, dabei verständliche und durchschaubare Weise unernst gebraucht, und zwar wird der gewöhnliche Gebrauch parasitär ausgenutzt. Das gehört zur Lehre von der Auszehrung [etiolation] der Sprache. All das schließen wir aus unserer Betrachtung aus. Ganz gleich, ob unsere performativen Äußerungen glücken oder nicht, sie sollen immer unter normalen Umständen getan sein.«164

Das zitierende Sprechen, also die wiederholte Äußerung der Worte eines anderen – seien es die des Autors, der den Text verfasste, oder der Rollenfigur, die der Schauspieler verkörpert –, schließt Austin aus seiner Sprechakttheorie aus. Tatsächlich verkompliziert sich die Situation, sobald ein Sprechakt auf der Theaterbühne getätigt wird, und die Frage nach erfolgreicher oder gescheiterter Konstitution einer neuen Wirklichkeit soll uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen. Interessant ist vielmehr, dass Austin dem wiederholenden Sprechen die Performativität aberkennt, ohne eine allgemeine Zitathaftigkeit der Sprache zu bedenken. Derrida kritisiert in seinem Text Signature événement contexte von 1972 Austins Ausschluss von wiederholendem Sprechen und fragt: »Denn ist nicht schließlich […] das Zitat (auf der Bühne, in einem Gedicht oder im Selbstgespräch), die bestimmte Modifikation einer allgemeinen Zitathaftigkeit vielmehr einer allgemeinen Iterabilität – ohne die es nicht einmal einen ›gelungenen‹ Performativ gäbe?«165 Zu Recht zeigt Derrida in seiner Lektüre Austins auf, dass die Basis allen Sprechens die auf Wiederholbarkeit angelegte Codierung ist und die häufig ritualisierte Äußerung eines Performativs gar in besonderem Maße von deren Wiedererkennung abhängt: »Könnte eine performative Aussage gelingen, wenn ihre Formulierung nicht eine ›codierte‹ oder iterierbare Aussage wiederholen würde, mit anderen Worten, wenn 164 | Ebd., S. 43 [Herv. i.O.]. 165 | Jacques Derrida: »Signatur Ereignis Kontext« [1972], in: ders.: Die différance. Ausgewählte Texte, hg. v. Peter Engelmann, übers. v. Werner Rappl unter Mitarbeit v. Dagmar Travner, Stuttgart: Reclam 2004, S. 98 [Herv. i.O.].

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die Formel, die ich ausspreche, um eine Sitzung zu eröffnen, ein Schiff oder eine Ehe vom Stapel laufen zu lassen, nicht als einem iterierbaren Muster konform identifizierbar wäre, wenn sie also nicht in gewisser Weise als ›Zitat‹ identifiziert werden könnte? Nicht daß die Zitathaftigkeit hier von derselben Art wäre wie in einem Theaterstück […]. Deshalb gibt es eine relative Spezifität, wie Austin sagt, eine ›relative Reinheit‹ von Performativen. Aber diese relative Reinheit erhebt sich nicht gegen die Zitathaftigkeit oder die Iterabilität, sondern gegen andere Arten von Iteration innerhalb einer allgemeinen Iterabilität, die in die vorgeblich strenge Reinheit jedes Ereignisses von Diskurs oder speech act einbricht.«166

Derrida plädiert dafür, nicht zwischen ernsthaftem und unernstem Sprachgebrauch zu unterscheiden, sondern die unterschiedlichen Formen von wiederholendem Sprachgebrauch zu spezifizieren. Anstelle des Begriffes ›Wiederholung‹ setzt er jenen der ›Iterabilität‹ (von lat. iter: ›von neuem‹, abgeleitet aus dem Sanskrit itara: ›anders‹), der Wiederholung und Andersheit verbindet, und entwirft somit einen Wiederholungsbegriff, der die Differenz bzw. différance 167 immer schon einschließt. Die Iterierbarkeit jedes Zeichens führt in diesem Sinne nicht zu dessen Stabilität, sondern fördert vielmehr dessen Kontingenz. Auch Judith Butler greift Austins Begriff der Performativität wieder auf und macht ihn in den späten 1980er Jahren für die Gender Studies fruchtbar. In ihrem Buch Gender Trouble von 1990 stellt sie ihr Konzept der Performativität von Geschlechtsidentität (gender) vor. Butler geht 166 | Ebd., S. 99 [Herv. i.O.]. 167 | Seine Wortschöpfung différance dient Derrida dazu, das geschriebene Wort dem gesprochenen Wort gegenüber aufzuwerten und somit den Phonozentrismus der abendländische Philosophietradition zu unterwandern. So klingt das Wort différance genau wie das Wort différence, der Unterschied ist also nur im Schriftbild wahrnehmbar. Während différence die korrekte Subjektivierung des Verbs différer ist, das sowohl ›sich unterscheiden‹ als auch ›auf-‹ und ›verschieben‹ meint, verweist das ›a‹ in différance auf das Suffix ›-ant‹ und damit auf das Partizip Präsenz différant, das ›das Unterscheidende‹ bzw. ›das Verschiebende‹ bedeutet. Der Begriff différance führt in seiner Mehrdeutigkeit somit jene Verschiebungen aus, die er bezeichnet, und exemplifiziert die Wandelbarkeit der Bedeutung sprachlicher Äußerungen. Vgl. dazu Jacques Derrida: »Die différance« [1972], in: ders.: Die différance. Ausgewählte Texte, hg. v. Peter Engelmann, übers. v. Eva PfaffenbergerBrückner, Stuttgart: Reclam 2004, S. 110-149.

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davon aus, dass die Geschlechtsidentität nicht wie in zeitgenössischen feministischen Theorien als kulturelle Interpretation eines gegebenen biologischen Geschlechtes zu verstehen ist, sondern vielmehr eine Praxis bezeichnet, mittels derer die biologischen Geschlechter erst hervorgebracht werden: »Die Geschlechtsidentität umfaßt auch jene diskursiven/ kulturellen Mittel, durch die eine ›geschlechtliche Natur‹ oder ein ›natürliches Geschlecht‹ als ›vordiskursiv‹, d.h. als der Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird.«168 Die beschriebene Produktion ›natürlicher‹ Geschlechter, die Butler als heteronormativen Machtmechanismus kritisiert, charakterisiert sie als performativen Vorgang. Sie geht davon aus, dass das Phantasma der Geschlechtsidentität als Ausdruck einer Innerlichkeit, die an den geschlechtlichen Körper gebunden ist, ebendiese Innerlichkeit inszeniert: »[Die] Akte, Gesten und Inszenierungen erweisen sich insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch leibliche Zeichen und andere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen/Erfindungen sind. Daß der geschlechtlich bestimmte Körper performativ ist, weist darauf hin, daß er keinen ontologischen Status über die verschiedenen Akte, die seine Realität bilden, hinaus besitzt.« 169

Wie Austin bestimmt Butler Performativität hier über ihre selbstreferenzielle und Wirklichkeit konstituierende Funktion. Sie löst den Begriff dabei von der Sprechakttheorie und überträgt ihn auf jegliche Form verkörperter Zeichenproduktion. Nach Butler bringt eine als Identität missverstandene Zeichenproduktion sich selbst und zugleich das Phantasma eines ihr vorgängigen Wesens, das sich mit ihr veräußert, hervor und konstituiert somit die Realität eines Geschlechtes und seiner Identität. Doch während Austin das Zitat als ›parasitären‹ Zeichengebrauch aus seiner Theorie ausschließt, macht Butler dieses zur Grundlage ihrer Theorie. Sie konzipiert die Geschlechtsidentität als »leiblichen Stil«,170 der permanent zur Aufführung gebracht werde. Die Verkörperung sei dabei 168 | Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter [1990], übers. v. Kathrina Menke, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 24. 169 | Ebd., S. 200 [Herv. i.O.]. 170 | Ebd., S. 205 [Herv. i.O.].

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weder rein intentional noch komplett kulturell determiniert und bedürfe ständiger Wiederholung. »Ähnlich wie andere rituelle gesellschaftliche Inszenierungen erfordert auch das Drama der Geschlechtsidentität eine wiederholte Darbietung. […] Wir dürfen die Geschlechtsidentität nicht als feste Identität oder als locus der Tätigkeit konstruieren, aus dem die verschiedenen Akte hervorgehen. Vielmehr ist sie eine Identität, die durch die stilisierte Wiederholung der Akte in der Zeit konstituiert bzw. im Außenraum instituiert wird.«171

Zwar spricht Butler von repetition und nicht von iteration, dennoch wird deutlich, dass ihr Wiederholungsbegriff hier an Derridas Lektüre von Austins Sprechakttheorie angelehnt ist. Die Wiederholung bei Butler schließt immer deren Differenz mit ein. Die Verschiebungen, die hierbei entstehen, beschreibt Butler als Subversionspotenzial: Da der performative Akt der Verkörperung und Konstituierung von geschlechtlichem Körper und Identität Wiederholungen bedarf, ist die Möglichkeit für zufällige wie strategische Abweichungen gegeben. »Die Möglichkeiten zur Veränderung der Geschlechtsidentität sind gerade in dieser arbiträren Beziehung zwischen den Akten zu sehen, d.h. in der Möglichkeit, die Wiederholung zu verfehlen bzw. in einer De-Formation oder parodistischen Wiederholung, die den phantasmatischen Identitätseffekt als eine politisch schwache Konstruktion entlarvt.«172

Dementsprechend wird die Differenz der zitierenden Wiederholung bei Butler als produktive Kraft verstanden, die den Spielraum von Geschlechtsidentität und geschlechtlich bestimmter Körperlichkeit hervorbringt und sichtbar machen kann. In ihrem Essay Performative Acts and Gender Constitution (1988) greift Butler auf eine Theatermetapher zurück, um die Performativität der Geschlechtsidentität zu veranschaulichen. Hier tritt das Verhältnis von Wiederholung und Neuschöpfung besonders deutlich hervor. Butler definiert dabei Geschlechtsidentität als Akt bzw. Handlung (act), der bzw. die niemals ein Original sein kann. 171 | Ebd., S. 206 [Herv. i.O.]. 172 | Ebd., S. 207.

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»The act that one does, the act that one performs, is, in a sense, an act that has been going on before one arrived on the scene. Hence, gender is an act which has been rehearsed, much as a script survives particular actors who make use of it, but which requires individual actors in order to be actualized and reproduced as reality once again.«173

Geschlechtsidentität als Akt der Materialisierung sowie geschlechtliche Körperlichkeit als Resultat dieses Verfahrens sind somit ständiger Veränderung unterworfen. Sie bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen normierter Vorgabe und individueller Interpretation, dessen Grundlage die Wiederholung ist. Das aus Butlers Überlegungen resultierende Performativitätskonzept nutzt Theatralität – verstanden als Zusammenspiel von Inszenierung, Aufführung, Körperlichkeit und Wahrnehmung – als Modell. Dabei ist es die theatrale Wiederholbarkeit, die jene produktiven Differenzen hervorbringt, die Geschlecht und Identität als fluide Größen konstituieren.

I.3 A RBEITSBEGRIFF ›W IEDERHOLUNG ‹ In Anlehnung an meine Lektüren moderner und postmoderner Wiederholungskonzepte, die sich allesamt durch ein Spannungsverhältnis von Wiederholung und Theatralität auszeichnen, möchte ich einen Wiederholungsbegriff formulieren, der sich für die folgenden Betrachtungen ästhetischer Wiederholungsphänomene als operabel erweist. Im Zentrum meiner Überlegungen stehen dabei die repetitiven Strukturen und Phänomene in den Aufführungen der Künste, die ich in ihrem kulturhistorischen Zusammenhang analysieren möchte. Um der Vielschichtigkeit und Differenz der Wiederholung gerecht zu werden, entwickele ich meinen Wiederholungsbegriff in Form einer parataktischen Liste. Diese soll anhand von vier Themenbereichen, die sich bei meinen Lektüren als zentral erwiesen haben, ein Feld von Anwendbarkeiten, Herausforderungen und Grenzen öffnen, durch deren Berücksichtigung sich eine ästhe173 | Judith Butler: »Performative Acts and Gender Constitution. An Essay in Phenomenology and Feminist Theory« [1988], in: Sue-Ellen Case (Hg.): Performing Feminisms. Feminist Critical Theory and Theatre, Baltimore/London: Johns Hopkins University Press 1990, S. 277.

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tische Kategorie von Wiederholung, die sich mit postmodernen Phänomenen auseinandersetzt, auszeichnen muss. Dabei können nicht für jeden Untersuchungsgegenstand alle Themen (in gleichem Maße) relevant sein und in jedem Kapitel wird sich eine andere Gewichtung ergeben.

a) Repräsentation Kritik an und Resignifizierung von Repräsentationspraktiken und -konzepten prägen die Überlegungen zur Wiederholung der hier diskutierten Autoren. Dabei wird Theatralität regelmäßig als Ausweg aus tradierten Modellen und als Eröffnung neuer Möglichkeiten direkter und multisensorischer Bedeutungskonstitution konzipiert. Schon Sören Kierkegaard inszeniert Wiederholung als theatrales Phänomen, das verschiedene und gegenteilige Wirklichkeiten, die sich eindeutigen Definitionen entziehen, konstituiert und Repräsentation als Inszenierung von Präsenz in den Mittelpunkt rückt. Friedrich Nietzsche schafft mittels seines Wiederholungskonzeptes der Ewigen Wiederkunft den Augenblick als Konkretisierung und Aktualisierung der Wiederholung und des Dionysischen, und somit als Zeitstelle, die den Exzess der Erkenntnis der Ewigkeit beinhaltet und rauschhafte schöpferische Prozesse initiiert, die sich der Repräsentationslogik der bildnerischen Künste widersetzen. Sigmund Freud erfindet mit dem Wiederholungstrieb eine Kraft, deren Streben nach der Unbelebtheit auch in ein Jenseits der Repräsentation zielt. Und Gilles Deleuze, Jacques Derrida und Judith Butler entwerfen und hinterfragen Gegenmodelle zur Vermittlungspraxis sprachlicher und körperlicher Repräsentation und zu deren normativen Machtpotenzialen. Kulturelle Wiederholungsphänomene lassen sich dementsprechend auf Strategien der Destabilisierung ästhetischer Repräsentationsmechanismen hin untersuchen. In der werkimmanenten Wiederholung wie in der Serie eignet Artefakten wie Aufführungen postmoderner Kunst das Potenzial, die an zeitgenössischen Repräsentationsmodellen geschulte Wahrnehmung zu irritieren. Welche alternativen Verfahren der Konstitution von Bedeutung werden mittels ästhetischer Wiederholungsverfahren hervorgebracht?

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b) E xzess und Liminalität 174 Die Grenzüberschreitung hat sich in den vorliegenden Lektüren als Merkmal und Funktion der Wiederholung erwiesen und immer wieder in Zwischenbereiche geführt. Freud überschreitet zwecks der Theoretisierung des Wiederholungszwanges offenkundig die Grenze seriöser wissenschaftlicher Praxis zugunsten wilder Spekulation. Er stellt den Sexualtrieben einen Todestrieb entgegen und verortet das Individuum somit in der Spannung zwischen Eros und Thanatos. Deleuze und Félix Guattari entwerfen mit ihrem Ritornellbegriff ein raumzeitliches Übergangsphänomen, das immer liminal bleibt und mittels Dezentrierung und Verschiebung den produktiven Abstand zwischen den rhythmischen Wiederholungen materialisiert. Jener Abstand findet sich bei Butler als instabile Phase zwischen den Konstituierungsakten von Körper und Identität wieder und beherbergt das Subversionspotenzial der Wiederholung. Und Derrida führt mit der Iteration einen Begriff in die Philosophie ein, der Wiederholung und deren Liminalität in Form des ständigen Überganges zu etwas anderem vereint. Die in den Kapiteln III bis V analysierten Aufführungen, die im Falle von Happenings, Environments und Performances offensichtlich zur Entgrenzung der Künste beigetragen haben, lassen sich zudem in Bezug auf ihre Wiederholungsstrategien auf ihr grenzüberschreitendes Potenzial hin untersuchen. Inwiefern führen serielle Verfahren und Reproduk174 | Der Begriff ›Liminalität‹ bezeichnet Schwellenerfahrungen und Prozesse der Grenzüberschreitung. Der belgische Ethnologe Arnold van Gennep führte ihn in seiner Studie Les rites des passages (1909) ein, um die Schwellenphase in Übergangsriten zu kennzeichnen. In den 1960er Jahren wurde der Begriff von dem schottischen Anthropologen Victor Turner weiterentwickelt und unter anderem für die ästhetische Theorie fruchtbar gemacht. So kann die Erfahrung eines ›Zwischen‹ die Wahrnehmung von Kunst und insbesondere von Aufführungen begleiten und ästhetische Erfahrung initiieren. Vgl. Victor Turner: The Ritual Process. Structure and Anti-Structure, London/New York: Routledge & Kegan Paul 1969; Erika Fischer-Lichte: »Liminalität und Transformation«, in: dies.: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 305-314. Die Transformation von Teilnehmern und Rezipienten, die Rituale und nach Fischer-Lichte auch die ästhetische Erfahrung kennzeichnet, bleibt am Einzelfall zu klären und ist in der vorliegenden Studie, die Liminalität in ihrem Irritationspotenzial thematisiert, nicht relevant.

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tionsprozesse in der Aufführung die Wahrnehmung der Zuschauerinnen an deren Grenze oder beanspruchen diese gar darüber hinaus und ermöglichen liminale Erfahrungen?

c) Differenz Kierkegaards Wiederholungsparadox – die sich ständig wiederholende Unmöglichkeit der Wiederholung – offenbart Wiederholung als differentes Phänomen: Ließe sein Erzähler jene Bewegung der Differenz zu, die dessen Reise und dessen Theaterbesuche kennzeichnet, müsste er die Wiederholung gar nicht erst leugnen. Noch 125 Jahre später arbeitet Deleuze daran, die wechselseitige Abhängigkeit beider Phänomene aufzudecken. Er plädiert dabei für das Ende der Unterwerfung der Wiederholung unter die Ähnlichkeit und für ein freies Spiel der Differenzen. Dementsprechend entwirft er das referenzlose Trugbild als ästhetische Wiederholungsstrategie der Bejahung von Differenz, dem er das Abbild als eine der Repräsentation verschriebene Reproduktion entgegenstellt. Auch Derrida dient die Differenz (bzw. die différance) als Abkehr von gängigen Repräsentationskonzepten und als Hinwendung zu einem Zeichenmodell, das immer schon von Wiederholung durchdrungen ist. Bei ihm, wie auch bei Butler, eignet der Differenz das kreative und widerständige Potenzial, im grundsätzlich zitathaften Sprech- oder Verkörperungsakt eine andere Wirklichkeit jenseits der Normen hervorzubringen. Die Untersuchung ästhetischer Wiederholungsphänomene verlangt die Reflexion des Verhältnisses von Ähnlichkeit und Differenz, von Abbild und Trugbild. Welche Funktion haben die Strategien der Minimierung oder Maximierung von Differenz und wie unterscheiden sie sich in den bildenden und aufführenden Künsten?

d) Verkörperung Die Wiederholung wird in vielen der Texte als verkörperte untersucht, so in Kierkegaards Theaterexperiment, im Fall von Freuds Wiederholungszwang, in Derridas Auseinandersetzung mit Artauds Vision einer nonverbalen Theatersprache oder in Austins und Butlers Ausrichtung auf performative Sprech- und Verkörperungsakte. Zum Teil dienen dabei theatrale Prozesse als Vorbild, um die Wiederholung zu überprüfen, zum Teil werden Alltagsakte in ihrer Wiederholungsstruktur mit Theatermetaphern beschrieben und charakterisiert.

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Wiederholungen in der Pop und Minimal Art der 1960er Jahre – bild- und objektimmanent wie auch in Form einer Bild- oder Objektserie – wurden bereits erschöpfend untersucht. Ihre Radikalität und ihre Häufigkeit führten dazu, die noch im Abstrakten Expressionismus gültige Genieästhetik grundlegend infrage zu stellen. Die ihnen zeitgenössischen verkörperten Wiederholungsakte allerdings wurden bisher wenig beachtet. Dabei kommt die Wiederholung zum Beispiel als Verdopplung, Synchronisation, Reihenbildung, Appropriation, Parodie, technisch-mediale Vervielfältigung und als künstlerisches Reenactment in der Performance Art, dem experimentellen Theater und dem postmodernen Tanz vor. Die Beschreibung und kulturhistorische Einordnung dieser ästhetischen Verkörperungen der Wiederholung werden Gegenstand der folgenden Untersuchungen sein.

II. Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges etablierte sich mit dem Abstrakten Expressionismus erstmals eine genuin US-amerikanische bildende Kunst, die international erfolgreich war. Das Zentrum moderner Kunst verlagerte sich in den 1950er Jahren von Paris nach New York und die neue Weltmachtstellung der USA dehnte sich auf den kulturellen Bereich aus. Dabei wies der Abstrakte Expressionismus Parallelen zu mehreren europäischen Traditionen auf, deren Vertreter in großer Zahl während der 1930er Jahre in die USA emigriert waren. So war der gesteigerte Ausdruck der neuen amerikanischen Kunst sowohl dem französischen Fauvismus als auch dem deutschen Expressionismus verwandt. Auch die geometrischen Abstraktionen Piet Mondrians, der 1939 nach New York ausgewandert war, sowie Kasimir Malewitschs und Wassily Kandinskys expressionistische Abstraktionen prägten die US-amerikanische Kunstszene.1 Den größten Einfluss aber hatten die französischen Surrealisten, an deren automatische Kunst die unterschiedlichen Strömungen des Abstrakten Expressionismus programmatisch anknüpften. André Bretons Definition von Surrealismus in seinem ersten Manifeste du Surréalisme von 1924 lässt sich auf die Arbeitsweise zahlreicher abstrakt-expressionistischer Künstler übertragen: »Reiner psychischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf jede andere Weise den wirk1 | 1935 gelangten mehrere abstrakte Arbeiten Malewitschs auf Umwegen nach New York, nachdem Alfred Barr, Gründer und damaliger Direktor des Museum of Modern Art (MoMA), sie von Alexander Dorner, Direktor des Provinzialmuseums Hannover, gekauft bzw. geliehen und sie somit vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten gerettet hatte. Kandinskys Bilder waren in New York unter anderem 1936 in der Ausstellung Cubism and Abstract Art (MoMA) zu sehen.

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lichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung.«2 Das Unbewusste galt als Inspirationsquelle und der Zufall trat als Gestaltungsprinzip an die Stelle der intendierten Bildkomposition. Ganz ähnlich beschrieb Jackson Pollock 1944 sein Bildverfahren: »When I am in my painting, I’m not aware of what I am doing. It is only after a sort of ›get acquainted‹ period that I see what I have been about. I have no fears about making changes, destroying the image etc., because the painting has a life of its own. I try to let it come through. It is only when I lose contact with the painting that the result is a mess. Otherwise there is pure harmony, an easy give and take, and the painting comes out well.« 3

Pollock charakterisierte sein Verfahren als automatisches, sich selbst als fremd- bzw. vom entstehenden Bild gesteuert. Die resultierenden dripund Action Paintings, aber auch die Farbfeldmalerei Mark Rothkos, Barnett Newmans und anderer zeichnete ein all over-Effekt aus, eine Farbfläche ohne Zentrum und Grenzen, deren Beschreibung und Deutung nach einer neuen Kunstkritik verlangte. Die den Abstrakten Expressionisten zeitgenössische Kritik spaltete sich bereits in den späten 1940er Jahren in zwei konkurrierende Lager, die von den prominenten Antagonisten Clement Greenberg und Harold Rosenberg angeführt wurden. Greenbergs formalistisch ausgerichtete Analysen der ästhetischen Oberfläche zielten auf die Reinheit und Flachheit moderner Malerei ab und werteten den radikalen Bruch mit Narration und Darstellung als zentrale Qualitätsmerkmale. Ihm zufolge zeichnet sich moderne Kunst durch ihre Selbstbezüglichkeit aus, die durch formale Strenge und Abstraktion erreicht werde. Rosenbergs existenzialistisch geprägte Untersuchungen hingegen konzentrierten sich auf den Prozess des Malens. Ihm ging es darum, die Aktion, in der die Bilder hervorgebracht werden, mitzudenken. 2 | André Breton: »Erstes Manifest des Surrealismus« [1924], in: ders.: Die Manifeste des Surrealismus, übers. v. Ruth Henry, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977, S. 26. 3 | Jackson Pollock: »My Painting«, in: Possibilities 1.1 (Winter 1947-48), S. 7883, zit.n. Barbara Rose (Hg.): Readings in American Art 1900-1975, New York u.a.: Holt, Rinehart & Winston 1975, S. 123 [Herv. i.O.].

II. Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst

»At a certain moment the canvas began to appear to one American painter after another as an arena in which to act – rather than as a space in which to reproduce, re-design, analyze or ›express‹ an object, actual or imagined. What was to go on the canvas was not a picture but an event. […] Criticism must begin by recognizing in the painting the assumptions inherent in its mode of creation. Since the painter has become an actor, the spectator has to think in a vocabulary of action: its inception, duration, direction – psychic state, concentration and relaxation of the will, passivity, alert waiting.« 4

Der Maler wurde zum Akteur, die Betrachterinnen und Betrachter zum Publikum, das sich mit dem Bild auch in Hinblick auf die Motivation, Dauer und Intensität seiner ›Aufführung‹ auseinandersetzen konnte. Aus heutiger Perspektive ergänzen sich beide Herangehensweisen und widersprechen einander weniger, als die polemisch geführten Diskussionen der jeweils um die Deutungshoheit bemühten Kritikerlager suggerierten. Beide Kritiker schrieben das Paradigma der Genieästhetik fort, indem sie politische, ökonomische und soziale Einflüsse weitestgehend ausblendeten und die von ihnen favorisierten Künstler zu einzig aus sich selbst schöpfenden Genies stilisierten. »Indeed, Greenberg went so far as to imply that a single risky Intuitive Gesture could yield a Sublime Masterwork. Underlying all his claims to formalist rigor was his adherence to the Romantic myth of the artist as inspired Genius«,5 kritisiert der Kunsthistoriker Irving Sandler in seiner 1988 erschienenen Monografie American Art of the 1960s. Rosenberg stand seinem Kontrahenten bei der romantischen Verklärung der Künstler in nichts nach. Zwar verurteilte er den Geniekult Greenbergscher Manier: »If the picture is an act, it cannot be justified as an act of genius in a field whose whole measuring apparatus has been sent to the devil.«6 Gleichzeitig führte auch er den Bildinhalt einzig auf die Subjektivität des Künstlers zurück: »A painting that is an act is inseparable from the biography of the artist. The painting itself is a ›moment‹ in the adulterated mixture of his life […]. The act-painting is of

4 | Harold Rosenberg: »The American Action Painters«, in: ders.: The Tradition of the New, London: Thames & Hudson 1962, S. 25 u. 29. 5 | Irving Sandler: American Art of the 1960s, New York: Harper & Row 1988, S. 49. 6 | Rosenberg: The American Action Painters, S. 28 [Herv. i.O.].

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the same metaphysical substance as the artist’s existence.« 7 Rosenberg definierte das Bild als Momentaufnahme im Leben des Künstlers. Geprägt von dessen Biografie und gesteuert von dessen aktueller Stimmung gebe es dessen individuellen Ausdruck wieder. Das Zelebrieren von Spontaneität und Authentizität von Werk und Künstler führte dazu, dass ästhetische Wiederholungsstrategien im Abstrakten Expressionismus eine untergeordnete Rolle spielten. Zwar weisen Pollocks Bilder Spuren rhythmischer Wiederholung auf und Farbfeldmaler wie Rothko, Newman oder Clyfford Still strukturierten ihre Bilder immer wieder ähnlich, der Begriff ›Wiederholung‹ (repetition) jedoch war aufgrund seiner inhaltlichen Nähe zur verpönten Abbildung von Realität und zu strategischer Bildkomposition negativ konnotiert und somit keine adäquate Analysekategorie. Vielmehr versicherte Rosenberg: »The modern painter is not inspired by anything visible, but only by something he hasn’t seen yet. […] In short, he begins with nothingness. That is the only thing he copies. The rest he invents.«8 In diesem Punkt war Greenberg gleicher Meinung: »The avant-garde poet or artist tries in effect to imitate God by creating something valid solely on its own terms, in the way a landscape – not its picture – is aesthetically valid; something given, increate, independent of meanings, similars or originals.«9 Abstraktion, nicht im Sinne der Verfremdung eines Konkreten, sondern im Sinne der Neuschöpfung eines bisher formlosen Inhaltes, wurde Gegenständlichkeit und Repräsentation, die als Nachahmung verurteilt wurden, gegenübergestellt und vorgezogen. Jegliche Form der Wiederholung widersprach in diesem Sinne dem abstrakt-expressionistischen Ideal unmittelbarer Selbstveräußerung. Eine veränderte Sensibilität in Bezug auf Wiederholungsverfahren in der Kunst zeigt sich zu Beginn der 1960er Jahre. So zeugt die folgende Anekdote über Ad Reinhardt, die Sandlers 2003 erschienenen Memoiren 7 | Ebd., S. 27f. 8 | Harold Rosenberg: »The Intrasubjectives«, in: Samuel M. Kootz (Hg.): The Intrasubjectives [Ausstellungskatalog], New York: Kootz Gallery 1949, o.S., zit.n. Ellen G. Landau: »Introduction. Abstract Expressionism: Changing Methodologies for Interpreting Meaning«, in: dies. (Hg.): Reading Abstract Expressionism. Context and Critique, New Haven/London: Yale University Press 2005, S. 8 [Herv. i.O.]. 9 | Clement Greenberg: »Avant-Garde and Kitsch«, in: ders.: Art and Culture, Boston: Beacon Press 1961, S. 6 [Herv. i.O.].

II. Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst

A Sweeper-Up After Artists entnommen ist,10 von einem Bruch mit dem Diktum der Originalität. Reinhardt, der – wenn auch gegen seinen Willen – zum Zirkel der Abstrakten Expressionisten gerechnet wurde, machte dem Museum of Modern Art in den frühen 1960er Jahren einen Vorschlag, der mit Entrüstung aufgenommen wurde: »The surfaces of Ad’s paintings were often mauled by hostile viewers and he would have to repair them. He resigned himself to that. He would send his pure paintings out into the world where they would be defiled. They would then return to his studio to be purified again. The Museum of Modern Art’s black Reinhardt was damaged and the curator phoned Ad and asked him to repair it. Ad told him to ship it down to his studio and he would send another one up. The curator demurred: ›But ours is the Museum of Modern Art’s picture.‹ Ad replied: ›I don’t know what you’re fussing about. I’ve got paintings here that look more like that painting than that painting does.‹«11

Diese nicht genau datierte Anekdote12 kündigt eine neue Einstellung gegenüber dem Verhältnis von Original und Kopie an. Mit der Geste, ein Bild durch ein anderes ersetzen zu wollen, stellte Reinhardt den Wert der Originalität eines Bildes radikal infrage. Indem er behauptete, die anderen Bilder ähnelten dem Original mehr als es sich selbst, unterwanderte er gar die Logik von Original und Kopie. Basierte die atmosphärische Aufladung der Action- wie Farbfeldmalerei des Abstrakten Expressionismus bisher maßgeblich auf der Idee und Wertschätzung der Veräußerung einer konkreten Stimmung im Leben der Künstler, so sprach Reinhardt seinen Bildern hier diese biografische Ausrichtung ab. Es ging nicht mehr darum, unter welchen Umständen das Bild entstand: Ein anderes, so suggerierte er, könne für ihn sowie für das Museum und die Betrachterinnen von gleicher Bedeutung sein. 10 | Die Anekdote findet sich in anderem Wortlaut auch in Sandler: American Art of the 1960s, S. 23 u. 25. 11 | Irving Sandler: A Sweeper-Up After Artists, New York: Thames & Hudson 2003, S. 74f. [Herv. i.O.]. 12 | Das MoMA kaufte das erste sogenannte Black Painting Reinhardts 1963 an und zeigte es im selben Jahr in der Ausstellung Americans 1963 (22. Mai bis 18. August 1963), in der mehrere von Reinhardts Bildern vom Publikum beschädigt wurden. Das besagte Gespräch fand somit wahrscheinlich 1963 oder 1964 statt.

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Ich möchte der sich hier ankündigenden positiven Umdeutung der Wiederholung nachgehen und im Folgenden anhand der reduzierten Malerei und der kunsttheoretischen Äußerungen Ad Reinhardts und Frank Stellas (II.1), der Minimal Art (II.2) und der Pop Art (II.3) Wiederholungsstrategien im Prozess der Herstellung sowie in der innerbildlichen bzw. innerinstallativen Komposition künstlerischer Arbeiten in den späten 1950er und den 1960er Jahren vorstellen und untersuchen. Ziel dieses kurzen Überblickes ist es, die Entwicklung ästhetischer Wiederholung in der US-amerikanischen bildenden Kunst nach dem Abstrakten Expressionismus zu skizzieren und somit den Kontext zu bereiten, in dem die aufgeführten und verkörperten Wiederholungen, denen das dritte, vierte und fünfte Kapitel gewidmet sind, verortet werden können. Dabei möchte ich keineswegs suggerieren, dass es sich bei den von mir untersuchten Aufführungen der Wiederholung, die alle in den 1960er und 1970er Jahren stattfanden, um eine Weiterentwicklung oder Übersetzung der artefaktischen Wiederholungspraxis handelt. Vielmehr sind die hier vorgestellte bildende Kunst, die Performances und die experimentellen Theateraufführungen allesamt einer radikalen Entgrenzung der Künste zuzuschreiben, die auf gesellschaftliche Umbrüche nach dem Zweiten Weltkrieg, eine neue Konsum- und Warenkultur, den Einfluss der Massenmedien auf die Wahrnehmung, aber auch auf die Verfügbarkeit und einfache Handhabbarkeit des neuen elektronischen Mediums Video zurückgeht. Es wäre im Rahmen dieser Arbeit kontraproduktiv, von starren Genregrenzen und einer unidirektional vollzogenen Beeinflussung auszugehen, wo Künstlerinnen und Künstler ebendiese zu überkommen bzw. zu unterwandern suchten. Der im ersten Kapitel vornehmlich in Hinblick auf verkörperte Wiederholungsphänomene herausgearbeitete Wiederholungsbegriff wird in diesem vor allem Artefakten gewidmeten Kapitel weniger relevant sein als in den drei darauf folgenden Kapiteln, die sich Aufführungen der Wiederholung widmen. Dennoch wird sich auch hier in der Auseinandersetzung mit Produktions- und Kompositionsverfahren der Wiederholung zeigen, dass die Herausforderung tradierter Repräsentationsverfahren, die Evokation von Differenz und die daraus resultierenden Irritationen der Wahrnehmung eine wesentliche Rolle spielen.

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II.1 A D R EINHARDTS UND F R ANK S TELL AS B LACK PAINTINGS Reinhardt zeigte von Beginn seiner Ausstellungsaktivitäten 1938 an ausschließlich abstrakte Bilder. Nachdem er in den späten 1930er Jahren in kubistisch-abstrakter Manier gemalt hatte, wandte er sich in den 1940er Jahren verstärkt gestisch-kalligrafischer Abstraktion zu. In den 1950er Jahren reduzierte er seine Bildsprache zunehmend und distanzierte sich immer weiter von den Automatismen, Anthropomorphismen und der emotionalen Aufladung der Bilder seiner abstrakt-expressionistischen Kollegen. Er begann 1950 in Gitterstrukturen unterteilte geometrische Bilder zu malen, die leichte Variationen einer einzigen Farbe aufwiesen. Ab 1954 führte er diese Kompositionen nur noch in Schwarz aus, ab 1960 dann zudem im immer gleichen Format, einem Quadrat mit einer Seitenlänge von 152 cm. Die Leinwände wurden in eine Matrix von drei mal drei Feldern gegliedert, deren schwarze Flächen sich kaum unterschieden (Abb. 1).13 Sandler berichtet: »Reinhardt considered the black-square abstraction not only the culmination of three decades of his own painting but the ultimate picture, and he began to repeat it, and continued to do so (as he claimed he would) until the end of his life.« 14 Reinhardt fertigte wieder und wieder (fast) das gleiche Bild an, dessen Komposition zudem von einer seriellen Struktur bestimmt wurde. Er beschrieb seine Wiederholungspraxis der Black Paintings als einzige Möglichkeit, Intensität und Perfektion zu erreichen: »The one direction in fine or abstract art today is in the painting of the same one form over and over again. The one intensity and the one perfection come only from long and lonely routine preparation and attention and repetition.«15 Die Perfektion, 13 | Reinhardt arbeitete mit drei Schwarztönen, die er durch das Abmischen von roten, blauen und grün-gelben Farbpigmenten und Marsschwarz (Kohle) erreichte. Er erzeugte lediglich matte Farben, um die unberechenbare Reflexion des Raumes zu vermeiden. Vgl. Stephanie Rosenthal: »Ad Reinhardt. ›How to look at …‹«, in: dies. (Hg.): Black Paintings. Robert Rauschenberg, Ad Reinhardt, Mark Rothko, Frank Stella [Ausstellungskatalog, Haus der Kunst, München], Ostfildern: Hatje Cantz 2006, S. 38. 14 | Sandler: American Art of the 1960s, S. 23 [Herv. i.O.]. 15 | Ad Reinhardt: »Art-as-Art« [1962], in: Barbara Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, Berkeley/Los Angeles: University of California Press 1975, S. 56.

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die Reinhardt anstrebte, hatte dabei nichts mit einer Perfektionierung des Motivs zu tun. Vielmehr ging es ihm um den Akt des Malens, in dem die Konzentration des Malers (und mit ihr die Intensität und Reinheit des Bildes) durch die Einschränkung während des Schaffensprozesses gesteigert wurde. Indem jene Entscheidungen wegfielen, die die Wahl des Formates, des Motivs und der Farben betrafen, und das Bild wiederholt gemalt wurde, konnte Reinhardt sich diesem in größter Konzentration widmen. Die Reduktion, die er anstrebte, stand der Emotionalität und Subjektivität des Abstrakten Expressionismus, die er regelmäßig verurteilte, diametral entgegen. So zählte er in seinem Text Abstract Art Refuses unter anderem folgende Aspekte modernen Kunstschaffens auf, die seiner Meinung nach verweigert werden sollten: »no cream pictures or drippings, no delirium trimmings, […] no therapy, […] no poetry or drama or theater, […] no low level of consciousness, […] no life-mirroring«.16 Die spontane, unbewusste Selbstveräußerung in surrealistischer Tradition, die vor allem den Actionpainters zugesprochen wurde, fiel für Reinhardt unter die Vermischung von Leben und Kunst, die er unter allen Umständen zu vermeiden suchte. »Art as Art« lautete seine Devise, die er in zahlreichen Texten, Statements und Interviews verfocht.17 Seine Ablehnung von Theater und Drama in der Kunst scheint dabei an Rosenbergs Deutung angelehnt, der abstraktexpressionistische Künstler sei ein Akteur, die Leinwand seine Bühne. Das Einbringen des persönlichen Ausdruckes wie auch und vor allem die zeitliche Dimension theatraler Verfahren, die sich in der Rezeption nachvollziehen lassen, wies Reinhardt weit von sich: »The one thing to say about art is its breathlessness, lifelessness, deathlessness, contentlessness, formlessness, spacelessness, and timelessness. This is always the end of art.«18 Eine das Theater charakterisierende Kombination von Inhalt, Lebendigkeit, Verletzlichkeit, Zeit und Räumlichkeit findet sich in dieser Aufzählung also beispielhaft für das sogenannte ›Ende der Kunst‹.

16 | Ad Reinhardt: »Abstract Art Refuses« [1952], in: Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. 50f. 17 | Sein erstes »Art as Art«-Statement veröffentlichte Reinhardt 1958 in dem Kunstmagazin It Is. Weitere »Art as Art«-Statements in unterschiedlicher Form (Texte, Aufzählungen, Interviews, Vorträge sowie von Barbara Rose posthum herausgegebene und bis dato unveröffentlichte Notizen) folgten bis 1967. 18 | Reinhardt: Art-as-Art, S. 56.

II. Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst

Der Begriff der Wiederholung zieht sich wie ein roter Faden durch Reinhardts kunsttheoretische Schriften. In seinem ersten veröffentlichten »Art as Art«-Statement 25 Lines of Words on Art von 1958 zählte er unterschiedliche Verfahren und Strategien auf, die sich als Wiederholung charakterisieren lassen: »11. PAINTING AS CENTRAL, FRONTAL, REGULAR, REPETITIVE. 12. PREFORMULATION, PREFORMALIZATION, FORMALISM, REPAINTING. 13. FORMS INTO UNIFORM INTO FORMLESSNESS. ST YLE AS RECURRENCE. 14. LIGHT AS REAPPEARENCE, DULLNESS. COLOR AS BLACK, EMPT Y.«19

Reinhardt thematisiert hier die (von ihm selbst) strikt vorgegebene Struktur seiner Bilder, die Raum für nichts als Wiederholung lässt. Die ›ewige Wiederkehr‹ des gleichen Stiles, der gleichen Farbe in gleicher Lichtqualität definierte er schließlich als Leere. Offensichtlich zielte seine Selbstlimitierung darauf ab, einen Nullpunkt zu erreichen. »Repetition of formula over over again until loses all meaning«,20 notierte er in einer anderen stichwortartigen Aufzeichnung. Die Verweigerung nicht nur von konkretem Inhalt, sondern von Bedeutung schien er seinen Black Paintings zum Ziel zu setzen, dem er sich mit der Reduktion von Bild und Bildproduktion zu nähern suchte. Barbara Rose, die Reinhardts theoretische Schriften 1975 unter dem Titel Art as Art herausgab, interpretierte diese Entzugsstrategie als Insistenz, die sich der aufkommenden Kommerzialisierung von Werk und Künstler widersetzt: »If Reinhardt repeated himself, becoming increasingly insistent, it was because he saw, more clearly than anyone else, that the values of aesthetic detachment and moral integrity, of rationality and civilized awareness to which his own life was dedicated, were besieged on all sides by the rising pressures of commercialism and media culture.« 21 19 | Ad Reinhardt: »25 Lines of Words on Art: Statement« [1958], in: Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. 52. 20 | Ad Reinhardt: »End« [undatiert], in: Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. 114. 21 | Barbara Rose: »Introduction«, in: dies. (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. XV.

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Tatsächlich sah sich Reinhardt durch die Pop Art mit einer Entwicklung konfrontiert, die sein Dogma einer selbstbezüglichen, abstrakten, reinen und freien Kunst, die sich der Ausrichtung auf den Kunstmarkt verwehrt, konterkarierte. So monierte er 1966 in einem Interview: »The pop artists exploded the thing. […] They really ran all those meanings into the ground. Pollock wanted to become a celebrity and he did. […] But finally it was Andy Warhol. […] He ran together all the desires of artists to become celebrities, to make money, to have a good time, all the surrealist ideas.« 22

Die Spaßkultur und Geltungssucht, die Reinhardt den Pop-Künstlern zuschrieb, sowie deren Rückkehr zur Gegenständlichkeit und die Vereinnahmung und technische Reproduktion von Bildern aus Populärkultur und Werbung – all das musste auf ihn wie ein Albtraum gewirkt haben. Die zunehmende Reduktion seiner Bilder ab den späten 1950er Jahren ließe sich somit auch als Reaktion auf die neue populäre, realistische und marktorientierte Kunst deuten.23 Spätestens seit der Ausstellung 10 in der New Yorker Dwan Gallery von 1966-67 galt Reinhardt als Vorbote und Anhänger einer minimalistischkonzeptuellen Kunst. Der Kunsthistoriker Yve-Alain Bois, der in seinem Essay The Limit of Almost ausführlich die Missdeutungen und Missverständnisse thematisiert, die Reinhardts Kunst begleiteten und begleiten, weist darauf hin, dass dessen Bilder sich trotz zahlreicher Differenzen zumindest ästhetisch gut in die Landschaft der Minimal Art einfügten: 22 | Ad Reinhardt: »Monologue« [1966/1970], in: Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. 27. 23 | Auch mit der radikalen Entgrenzung der Künste, die in den späten 1950er Jahren einsetzte, fand eine Entwicklung statt, die Reinhardts Kunstauffassung entgegenlief. So stieß er sich an der Vermischung unterschiedlicher Kunstformen ebenso wie an der Vermischung von Kunst und Leben: »The number of poets and musicians and writers mixed up with art is disreputable. Cage, Cunningham, Johns, Rauschenberg. I’m against the mixture of all the arts, against the mixture of art and everyday life.« Ebd., S. 28. Sowohl die Kunstaktionen am Black Mountain College, die Musik, Lesung, Tanz und bildende Kunst vereinten, als auch die in den späten 1950er Jahren einsetzenden Happenings und die Performance Art der 1960er Jahre hatten Reinhardts Dogma zufolge nichts im Kontext der bildenden Kunst verloren.

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»After all, Reinhardt’s canvases – which, as he among others noted, did ›not hang easily in group shows‹ 24 since everything alongside them had a tendency to appear fussy – felt remarkably at home in the company of works by Carl Andre, Jo Baer, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt, Agnes Martin, Robert Morris, Michael Steiner, and Robert Smithson […].« 25

Eine Verbindung mit der Minimal Art setzte sich durch, obwohl, wie Bois herausarbeitet, vieles dagegen sprach und Reinhardt, der 1967 starb, sich vermutlich nicht in dieser Tradition gesehen hätte. Zum einen ist seine Ablehnung skulpturaler Kunst bekannt, zum anderen distanzierte er sich zu Lebzeiten vehement von Marcel Duchamp, der als Wegbereiter von Minimal wie Concept Art betrachtet wird und dessen Hybridisierung von Kunst und Leben Reinhardts »Art as Art«-Dogma entgegenlief. Während Reinhardts Karriere mit der Wiederholung der Black Paintings endete, begann der Maler Frank Stella seine Karriere 1958 mit einer Serie schwarzer Bilder, die er 1960 abschloss. Stella, der wie Reinhardt zu den Minimal Artists der ersten Stunde gezählt wird, erwarb bereits 1960 als 24-Jähriger eines von Reinhardts Black Paintings und betonte in einem Interview nach Reinhardts Tod dessen Bedeutung für die Entwicklung der Kunst der 1960er Jahre: »He can’t play the game anymore, but nobody can get around the paintings anymore either. If you don’t know what they’re about you don’t know what painting is about.« 26 Wie Reinhardt malte Stella abstrakte und fast monochrome Bilder, die er geometrisch in einzelne Felder unterteilte. Und wie beim späten Reinhardt dominierte dabei die Farbe Schwarz. Doch gibt es erhebliche Unterschiede: Während Reinhardts Farbfeldstrukturen nur langsam und bei genauem und aufmerksamem Hinsehen sichtbar werden, sind Stellas Leinwände, auf denen Streifen identischer Breite parallel zueinander vom Bildrand auf ein oder zwei Zentren hin zulaufen, durch helle Streifen unbehandelter Leinwand zwischen den Farbaufträgen klar unterteilt (Abb. 2). Zudem 24 | Ad Reinhardt in Bruce Glaser: »An Interview with Ad Reinhardt« [1966-67], in: Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. 16. 25 | Yve-Alain Bois: »The Limit of Almost«, in: Ad Reinhardt [Ausstellungskatalog, Museum of Contemporary Art, Los Angeles/Museum of Modern Art, New York], New York: Rizzoli 1991, S. 13. 26 | Frank Stella: »A Tribute to Ad Reinhardt«, in: artscanada 113 (Oktober 1967), S. 2, zit.n. Sandler: American Art of the 1960s, S. 23.

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wählte Stella eine leicht glänzende Farbe, während Reinhardts Schwarztöne allesamt mattiert waren. Auch sind Stellas Bilder mit einer Höhe von etwa 210 bis 230 cm und einer Breite von etwa 150 bis 340 cm größer als Reinhardts quadratische Leinwände mit einer Seitenlänge von 152 cm. Zwar hielt Stella an der abstrakt-expressionistischen all over-Struktur fest, abgesehen davon aber erreichten seine Bilder eine noch nie dagewesene Flachheit. Indem der Bildraum nicht weiterführt, sondern sich auf den ersten Blick als grafisches Muster erschließt und als abgeschlossen präsentiert, radikalisierte Stella Reinhardts anti-illusionistische Tendenz und rückte seine Leinwände in die Nähe von Objekten. Sandler schreibt der Malerei beider eine radikale Negation abstrakt-expressionistischer Gestaltungsprinzipien zu. Nach Abwägen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Black Paintings beider Künstler weist er allerdings auf folgenden feinen Unterschied hin: »The distinction is subtle but crucial; whereas Reinhardt’s picture tried not to refer to anything outside itself, Stella’s referred only to itself and clearly revealed that it did and how it did. It zeroed in on what a painted object is rather than on what it is not.«27 Hatte Reinhardt vor allem versucht, den Verweis auf eine Realität außerhalb des Bildes (und sei es die Subjektivität des Künstlers) zu eliminieren, so betonte Stella die Objekthaftigkeit seiner Bilder, indem er die Betrachter mit reiner Oberfläche konfrontierte: Weder wurden diese von den Bildern umfangen, noch konnten sie in sie hineinblicken. Nehmen Reinhardts Bilder Rezeptionszeit in Anspruch, um sie zu erschließen, so stellen Stellas Bilder ihren Objektcharakter direkt zur Schau, indem sie einem möglichen Verweischarakter auf den ersten Blick eine Absage erteilen und so den Unterschied zwischen Bildträger und Abgebildetem gänzlich aufheben. Stellas Wahl von etwas tieferen Keilrahmen als üblich, die seine Bilder weiter in den Raum stehen ließen, verstärkte diese Tendenz zum Objekt, die Stella ganz offensichtlich verfolgte. So betonte er 1966 in einem Interview: »My painting is based on the fact that only what can be seen there is there. It really is an object. […] What you see is what you see.«28 Zwar hatte Stella zu diesem Zeitpunkt bereits seine shaped canvases ausgestellt, Bilder, deren Format sich komplett von den 27 | Sandler: American Art of the 1960s, S. 25 [Herv. i.O.]. 28 | Frank Stella in Bruce Glaser: »Questions to Stella and Judd« [1966], in: Gregory Battcock (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology, Berkeley/Los Angeles/ London: University of California Press 1995, S. 158 [Herv. i.O.].

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rechteckigen Rahmen der Malereitradition gelöst hat und deren skulpturale Qualität ganz offensichtlich ist. Dennoch lässt sich die Aussage, seine Bilder seien mit ihrer Erscheinung identisch, durchaus auf seine Black Paintings beziehen, die in ihrer Selbstreferenzialität und anti-subjektivistischen Reduktion Eigenschaften vorweggenommen hatten, die wenige Jahre später in den Objekten der Minimal Art wiederkehren sollten. Reinhardts steter Kampf mit der Repräsentation, der auch aus seinen Schriften hervorgeht, richtete sich nicht primär gegen Repräsentation als Abbildung von Realität. Schließlich zeigte Reinhardt seit Beginn seiner Ausstellungsaktivitäten ausschließlich abstrakte Bilder. Vielmehr ging es ihm um die Tilgung der Subjektivität, welche die ihm zeitgenössischen abstrakt-expressionistischen Bilder repräsentierten. Seine strikte Arbeitsroutine, das Arbeiten an einem Bild, das er stetig wiederholte und der ausschließliche Einsatz von Schwarz, das er als »non-color« 29 charakterisierte, lässt sich somit als Strategie zur Einschränkung von subjektivem Ausdruck deuten. Auch seine bildimmanente Wiederholungspraxis in Form der seriellen Abfolge schwarzer Farbflächen hatte die Funktion, die Subjektivität aus der Bildfläche und dem Schaffensprozess zu verbannen. Indem Reinhardt den Herstellungsprozess automatisierte und sich kaum Entscheidungsfreiheiten ließ, arbeitete er daran, die Repräsentation des Künstlers vom Bild zu trennen. Die oben zitierte Anekdote, in der Reinhardt dem Museum of Modern Art anbietet, ein beschädigtes Black Painting durch ein anderes zu ersetzen, ließe sich angesichts der während seiner Schaffenszeit aufkommenden Pop Art als Strategie interpretieren, die Kopie dem Original gegenüber aufzuwerten und den Künstler in Andy Warhols Sinne der Maschine anzunähern.30 Doch zeugen seine Ablehnung der Pop Art und sein Streben nach puristischer Kunst von einer Sensibilität, die mit der technischen Reproduzierbarkeit der Bilder und 29 | Ad Reinhardt: »Black as Symbol and Concept« [1967], in: Rose (Hg.): Art as Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, S. 87: »The reason for the involvement with darkness and blackness is, as I said, an aesthetic-intellectual one, certainly among artists. And it’s because of its non-color. Color is always trapped in some kind of physical activity or assertiveness of its own; and color has to do with life.« 30 | Andy Warhol äußerte 1963 in einem Interview mit Gene Swenson: »The reason I’m painting this way is that I want to be a machine, and I feel that whatever I do and do machine-like is what I want to do.« Gene Swenson: »What is Pop Art? Interviews with Eight Painters«, in: Art News 62.7 (November 1963), S. 26.

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der Distanzierung des Künstlers vom Produktionsprozess nichts zu tun hat. Zwar antwortete Reinhardt in einem Interview für das Magazin Art International auf die Frage, ob jemand anderes erfolgreich ein Bild von ihm kopieren könnte: »Yes. It would be as impersonal, or personal, a statement as anyone would want to make it.«31 Auf die Nachfrage, warum er seine Bilder dann nicht von jemand anderem malen lasse, antwortet er allerdings: »Someone else can’t do them for me. They have to do their own for themselves. But I’m not quite sure why.«32 Bei aller Skepsis gegenüber der biografischen Aufladung abstrakt-expressionistischer Kunst blieben auch für Reinhardt seine Bilder an seine Person gebunden, und ihm fehlten die Worte für eine Begründung. Stella hingegen äußerte 1960 während einer Podiumsdiskussion in der New York University, er wäre froh, wenn ein anderer oder ein Maschine seine Bilder nach seinen Vorstellungen für ihn ausführen würde.33 Noch radikaler als Reinhardt strebte er die Entsubjektivierung seiner Bilder an und propagierte gar eine Loslösung von seiner Person. Beide Maler suchten mit ihrer geometrischen Abstraktion die expressionistische Abstraktion zu radikalisieren und deren Repräsentationsmechanismen zu unterlaufen. Ihre seriellen Strategien im Produktionsprozess und in der Bildkomposition nahmen die Bedeutung der Serie als eines ästhetischen Strukturprinzips und die Bedeutung der technischen Reproduktion in der Minimal und Pop Art vorweg.

II.2 M INIMAL A RT : S ERIALITÄT UND S ELBSTREFERENZ Stella bezeichnete Jasper Johns’ Flag Paintings, die er erstmals 1958 in der New Yorker Galerie Leo Castelli gesehen hatte, als Inspirationsquel31 | Ad Reinhardt in Glaser: An Interview with Ad Reinhardt, S. 13. 32 | Ebd. 33 | Irving Sandler berichtet in seinen Memoiren von dieser Äußerung Stellas, ohne auf deren genauen Anlass einzugehen: »While participating on a panel at New York University in 1960, he remarked that he found very few creative ideas in current art; there were not even any good gimmicks. He then said that it was enough for him to have an interesting idea; he would be happy if someone else, or a machine, made his pictures according to his specifications.« Sandler: A Sweeper-Up After Artists, S. 281.

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le für seine Auseinandersetzung mit der Wiederholung: »The thing that struck me most was the way he [Johns] stuck to the motif […] the idea of stripes – rhythm and the interval – the idea of repetition. I began to think a lot about repetition.«34 Die rhythmische Wiederholung gleich breiter Streifen übernahm Stella von Johns, überführte sie aber gleichsam in die Abstraktion. Seine Streifen verweisen auf kein gestreiftes Objekt, sondern lediglich auf sich selbst. Stellas Prinzip der werkimmanenten abstrakten Serie sollte auch für die Objekte der Minimal Art zentral werden. In seinem Essay The Serial Attitude definiert der Künstler und Kunsttheoretiker Mel Bochner Serialität wie folgt: »Series – A set of sequentially ordered elements, each related to the preceding in a specifiable way by the logical conditions of a finite progression, i.e., there is a first and last member, every member except the first has a single immediate predecessor from which it is derived and every member except the last a single immediate successor.« 35

Bochner geht es hier nicht um die Werkserie, sondern vielmehr um bild- bzw. werkimmanente Serialität, also ein strukturelles Ordnungsprinzip in Bild, Objekt oder Installation, das die subjektive künstlerische Gestaltung einschränkt, die gleichsam dem seriellen Regelwerk folgend automatisiert wird. Auch Stellas Streifenstrukturen lassen sich nach Bochners Definition als seriell beschreiben, folgt doch ein Streifen dem nächsten, wobei sich die Länge der Streifen mit nahendem Zentrum stetig reduziert.36

34 | Frank Stella in William S. Rubin: Frank Stella [Ausstellungskatalog], New York: Museum of Modern Art 1970, S. 12, zit.n. Sandler: American Art of the 1960s, S. 21. 35 | Mel Bochner: »The Serial Attitude«, in: Artforum International 6.4 (Dezember 1967), S. 31. 36 | Bochner selbst charakterisiert Stellas Streifenstrukturen in den Black Paintings als modular. Diese Klassifizierung überrascht, schreibt er doch im selben Text: »Modular works are based on the repetition of a standard unit. The unit, which may be anything (Andre’s brick, Morris’s truncated volumes, Warhol’s soup cans) does not alter its basic form, although it may appear to vary by the way in which units are adjoined.« Ebd., S. 28.

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Die zahlreichen Namen der in den 1960er Jahren aufkommenden Objektkunst – Minimal Art (Richard Wollheim), Cool Art (Irving Sandler), ABC Art (Barbara Rose), Primary Structures (Kynaston McShine), Literalist Art (Michael Fried), Systemic Art (Lawrence Alloway) – verweisen auf die systemische Verfasstheit der Objekte oder aber auf deren Effekt der Distanzierung und Automatisierung des Künstlers.37 »Serial order is a method, not a style«,38 verkündet Bochner und rechtfertigt damit die Gruppierung ästhetisch sehr unterschiedlich anmutender Arbeiten zeitgenössischer, seriell arbeitender Künstler. Die serielle Methode charakterisiert er wie folgt: »1. The derivation of the terms or interior divisions of the work is by means of a numerical or otherwise systematically predetermined process, (permutation, progression, rotation, reversal). 2. The order takes precedence over the execution. 3. The completed work is fundamentally parsimonious and systematically selfexhausting.« 39

Wie Elke Bippus in ihrer Studie Serielle Verfahren feststellt, verabschiedet Bochner hier nachdrücklich zeitgenössische ästhetische Konzepte des Abstrakten Expressionismus. Die serielle Methode sei von einem systemischen Vorgehen gekennzeichnet, das dem intuitiven und spontanen Ausdruck des Künstlers keinen Raum lasse: »Die Abwertung der individuellen Herstellung, die Materialien der industriellen Serienfertigung und die Darstellungsweisen der Mathematik, der Kartografie und der Linguistik sowie die divergente Wiederholung eines Systems zur Realisierung der Objekte standen in Widerspruch zur gängigen Kunstauffassung.«40 Die Arbeiten Carl Andres, Dan Flavins, Donald Judds, Robert Morris’ und Sol LeWitts, um nur die prominentesten Vertreter serieller Objektkunst der 1960er Jahre zu nennen, eint das Motiv der Wiederholung so37 | Ich werde im Folgenden mit der Bezeichnung ›Minimal Art‹ arbeiten, die sich durchgesetzt hat und der die Arbeiten Donald Judds, Robert Morris’, Sol LeWitts, Dan Flavins, Carl Andres und anderer zugeordnet werden. Die genannten Künstler hingegen identifizier(t)en sich selbst nicht mit der Bezeichnung. 38 | Bochner: The Serial Attitude, S. 28. 39 | Ebd. 40 | Bippus: Serielle Verfahren, S. 10.

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wohl auf der Ebene der Herstellung ihrer Kunst (sie verwenden vornehmlich industriell gefertigte Objekte oder Materialien) als auch in deren werkimmanenten seriellen bzw. modularen Arrangements. Setzen doch Permutation (Veränderung der Anordnung), Progression (Fortschreiten und Reihung), Rotation (Drehung) und Umkehrung allesamt die Wiederholung der Strukturelemente einer Menge voraus. Diese Dominanz der Wiederholung in der Minimal Art wurde von zeitgenössischen Kritikern ganz unterschiedlich bewertet. So schreibt Barbara Rose im Hinblick auf die Skulpturen der Minimal Art der »repetition of standard units«41 einen »rhythmic beat«42 zu. Sie erlebe bei der Betrachtung der Reihung standardisierter und doch differierender Objekte einen Rhythmus, der ihre Wahrnehmung strukturiere. Auch der britische Kunsthistoriker Lawrence Alloway betont die zeitliche Dimension, die die Wiederholung in der Kunstwahrnehmung öffne: »The recurrent image is subject to continuous transformation, destruction, and reconstruction; it requires to be read in time as well as in space.« 43 Alloway wie Rose zeigen auf, dass die systemischen Arbeiten eine neue Anforderung an die Wahrnehmung stellen: Die Betrachtung vollzieht sich raumzeitlich; die strukturellen Wiederholungen lassen sich nicht rein visuell erfassen, sondern ihr Wechselspiel von Wiederholung und Differenz fordert zur Bewegung des Betrachters auf, dem sich die serielle Abfolge je nach Perspektive unterschiedlich erschließt und ein vergleichendes Moment einfordert. Der Begriff des Rhythmus deutet dabei zudem auf ein leibliches, multisensorisches Eingebundensein hin, das eine rein visuelle Herangehensweise vereitelt.44 41 | Barbara Rose: »A B C Art« [1965], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 289. 42 | Ebd. 43 | Lawrence Alloway: »Systemic Painting« [1966], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 56. 44 | Der Theater- und Musikwissenschaftler Clemens Risi beschreibt den Rhythmus als Wahrnehmungs- und Inszenierungsqualität, die sich zwischen Betrachter und Betrachtetem ereignet und nicht an eine einzelne Sinnes-Modalität gebunden ist. Sie eigne sich insbesondere zur Erfassung der Aufführungssituation in ihren performativen Dimensionen: »Rhythmuswahrnehmung erweist sich nämlich als Paradigma einer Aufführungsrezeption, die sich im Spannungsfeld von Erwartung, Erleben und Antizipation ereignet.« Clemens Risi: »Rhythmen der Aufführung. Rhythmus-Kollisionen bei Steve Reich und Heiner Goebbels«, in: Fischer-Lichte/

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Die formalistische Beurteilungsästhetik Greenbergs bietet keinen Zugang zu diesem Phänomen. So geht Greenberg in seinem Essay Recentness of Sculpture, in dem er sich der Minimal Art widmet, von einem heute überraschenden Dualismus von Phänomenologie und Ästhetik aus: »Minimal Art remains too much a feat of ideation, and not enough anything else. […] There is hardly any aesthetic surprise in Minimal Art, only a phenomenal one of the same order as in Novelty Art, which is a one-time surprise.«45 Greenberg spricht den Objekten Präsenz zu, beschuldigt sie aber, sich hinter dieser zu verstecken: »That sculpture could hide behind it – just as painting did – I found out only after repeated acquaintance with Minimal works of art: Judd’s, Morris’s, Andre’s, Steiner’s, some but not all of Smithson’s, some but not all of LeWitt’s. Minimal Art can also hide behind presence as size […]. What puzzles me, if I am puzzled, is how sheer size can produce an effect so soft and ingratiating, and at the same time so superfluous. Here again the question of the phenomenal as opposed to the aesthetic or artistic comes in.« 46

Er moniert die rationale Komposition der seriellen Kunst, die seiner Meinung nach überflüssige phänomenale Effekte hervorruft. Die Präsenz der Objekte im Raum führt er auf deren beeindruckende Größe zurück. Bochner hingegen bewertet den Präsenzeffekt der Objekte positiv und schreibt diesen dem Arrangement im Raum zu. So betont er in seinem Essay Serial Art, Systems, Solipsism Andres und Flavins Sensibilität bei der Inszenierung ihrer Objekte: »Although in no way involved with environmental art, both Andre and Flavin exhibit acute awareness of the phenomenology of rooms. Andre’s false floors, Flavin’s demolished corners ders./Roselt (Hg.): Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst, S. 165. Diese Qualität des Rhythmus lässt sich meines Erachtens auf die Rezeption der in dieser Studie diskutierten Installationen der Minimal Art übertragen. Deren serielle Verfasstheit evoziert zum Beispiel im Falle von Andres bodenbezogenen Arbeiten die Bewegung der Besucher. Deren Wahrnehmung erstreckt sich demnach in der Zeit und lässt sich aufgrund einer den vergleichenden Blick fordernden Struktur der Arbeiten ebenfalls zwischen Erleben und Antizipation verorten. 45 | Clement Greenberg: »Recentness of Sculpture« [1967], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 183f. 46 | Ebd., S. 185f.

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convert the simple facts of ›roomness‹ into operative artistic factors.« 47 Laut Bochner führt also die Inszenierung im Raum zu einer besonderen Präsenz der Objekte, die räumlich wie zeitlich erfahrbar ist und den Betrachtern eine multisensorische Wahrnehmungsleistung abverlangt. Mehrere Charakteristika der Minimal Art evozieren in den 1960er Jahren eine negativ konnotierte Klassifizierung als theatral. Rosenberg beschreibt zum einen die wortreiche Begleitung der Minimal Art durch die rege Diskussion von Kunsthistorikern und die zahlreichen Statements und Essays von Künstlern wie Judd und Morris als Komödie bzw. Absurdes Theater.48 Vor allem aber ist es die Involvierung der Betrachter, die die Minimal Art seiner Meinung nach zur aufführenden Kunst degradiert: »Primary art is environmental and audience-participation art to no less a degree than a kinetic fun house or a Happening. In it aesthetic education has taken the place of eye-dazzle and unfamiliar doings. An exhibition of ABC paintings and structures transforms the gallery into a lecture hall.« 49 Ähnlich argumentiert Michael Fried in seinem Essay Art and Objecthood, in dem er die Aufwertung der Konfrontation von Betrachter und Kunstwerk als theatral charakterisiert und kritisiert: »Literalist sensibility is theatrical because, to begin with, it is concerned with the actual circumstances in which the beholder encounters literalist work.«50 Die Abhängigkeit vom Betrachtersubjekt degradiere die Kunst zum Objekt, das seinen Status der Autonomie verliere, indem es der Verfügungsgewalt des Betrachters ausgeliefert sei. Auch die von Greenberg monierte Präsenz schreibt Fried der Theatralität einer Grundsituation zu, in der die Subjektivität des Betrachters zu stark hervorgebracht werde. Sie sei »basically a theatrical effect or quality – a kind of stage presence«.51 Hinzu kommt die Dauer der Wahrnehmung der Minimal Art, die von Fried ebenfalls als theatral charakterisiert wird: »The literalist preoccupation with time – more precisely with the duration of the experience – is, I suggest, para47 | Mel Bochner: »Serial Art, Systems, Solipsism« [1967], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 99. 48 | Vgl. Harold Rosenberg: »Defining Art« [1967], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 306. 49 | Ebd., S. 307. 50 | Michael Fried: »Art and Objecthood« [1967], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 125. 51 | Ebd., S. 127 [Herv. i.O.].

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digmatically theatrical […].«52 Frieds Theatralitätsbegriff ist dabei extrem negativ konnotiert und er geht sogar so weit zu behaupten, »that theatre and theatricality are at war today, not simply with modernist painting (or modernist painting and sculpture), but with art as such«.53 Er stilisiert die Theatralität zum größten Feind der Kunst, da sie seiner Meinung nach um ein Publikum buhlt, und argumentiert damit, dass selbst das zeitgenössische Theater um einen Bruch mit dem traditionellen Verhältnis von Publikum und Bühne bemüht sei.54 Theatralität zeigt sich bei Fried als ästhetische Kategorie, die er mit einem opportunistischen Weltverständnis gleichsetzt. Das Theater als Zeitkunst, die das Publikum einbezieht, umwirbt und sich schließlich in Abhängigkeit von diesem konstituiert, läuft seiner Meinung nach dem Projekt moderner – und nach seiner Definition sich augenblicklich erschließender – Kunst entgegen.55 Ich möchte im Folgenden Frieds Gedanken zu Minimal Art und Theatralität am Beispiel von Objekten Carl Andres und Robert Morris’ überprüfen. Dabei wird es nicht um die Stichhaltigkeit von Frieds Argumenten gehen, die bereits die Philosophin Juliane Rebentisch in ihrer Ästhetik der Installation überzeugend widerlegt hat.56 Vielmehr möchte ich 52 | Ebd., S. 145 [Herv. i.O.]. 53 | Ebd., S. 139. 54 | Fried verweist dabei auf die Texte Bertolt Brechts und Antonin Artauds. Vgl. ebd., S. 140. Dabei verwundert es, dass Fried Theaterkonzeptionen anführt, die eine Aktivierung des Publikums anstreben. Schließlich vollzieht auch die Minimal Art eine Aktivierung, indem sie die Betrachter zur Bewegung im Raum mobilisiert. Juliane Rebentisch erklärt die positive Bezugnahme auf Artaud und Brecht mit dem engen Austausch zwischen Fried und dem Philosophen Stanley Cavell, nach dessen Ansicht sich ein modernes Theater gegen seine Theatralität wenden muss, indem es sich dem Publikum nicht leichtfertig zum Konsum anbietet. Vgl. eine ausführlichere Diskussion in Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 41f. 55 | Fried: Art and Objecthood, S. 145: »It is as though one’s experience of the latter [modernist painting and sculpture, J.K.K.] has no duration – not because one in fact experiences a picture by Noland or Olitski or a sculpture by David Smith or Caro in no time at all, but because at every moment the work itself is wholly manifest.« [Herv. i.O.]. 56 | Rebentisch arbeitet in ihrem Kapitel »Theatralität und die Autonomie der Kunst (Michael Fried)« heraus, dass die konstitutive Abhängigkeit von der Be-

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überprüfen, in welchem Verhältnis der Aufführungscharakter, den man der Minimal Art aufgrund der Einbeziehung und Rhythmisierung ihres ›Publikums‹ durchaus zusprechen kann, zu der seriellen Verfasstheit ihrer Objekte steht. Auch jenseits Frieds negativer Konnotationen einer ›Theatrigkeit‹, die vom Publikum abhängig um dieses buhlt und demzufolge keine Autonomie für sich beanspruchen kann, macht es Sinn, die theatralen Dimensionen der Minimal Art in den Blick zu nehmen. So wird von ihr positiv wie negativ gesonnenen Kritikern beschrieben, dass die seriellen Objekte eine neue Raumwahrnehmung evozieren. Die Installation spielt eine zentrale Rolle und lässt sich als Inszenierung verstehen, die dem Publikum, je nach Standpunkt, neue Einblicke und Einsichten bietet und es zum Nachvollziehen des spezifischen seriellen Arrangements einlädt. Die phänomenologische Einbindung der Betrachter, die von der Präsenz der Objekte berührt werden, weist ohne Zweifel eine Sensibilität auf, die jener der etwa zeitgleich entstehenden Happenings und Performance Art verwandt ist.57

Carl Andres ›Sculpture as Place‹ 58 Carl Andre, der von 1958 bis 1960 das Atelier mit Frank Stella teilte, wurde mit seinen bodenbezogenen Arbeiten bekannt. Seine Objekte weisen in der Regel eine serielle Struktur auf, die in der von Elke Bippus als »Kombinatorik«59 charakterisierten Wiederholung und Anordnung einzelner Module besteht. Andre nutzt industriell gefertigte Materialien, die bereits in geometrischen Formen hergestellt und von ihm nicht weiter bearbeitrachterperspektive für alle ästhetischen Objekte gilt, von der Minimal Art allerdings reflektierend hervorgehoben wurde. Vgl. Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 40-78. 57 | Die Theaterwissenschaftlerin Sandra Umathum führt einen weiteren Grund für den Aufführungscharakter der Minimal Art auf. Sie weist darauf hin, dass deren Betrachter zu Beobachtern anderer Betrachter und somit zu Performern und Zuschauern werden, den Installationen also durchaus die kopräsentische Qualität einer Aufführung eignen kann. Vgl. Sandra Umathum: Kunst als Aufführungserfahrung, Bielefeld: transcript 2011, S. 66f. 58 | Carl Andre selbst nahm die Definition seiner Arbeiten als »Sculpture as place« vor. Carl Andre in David Bourdon: »The Razed Sites of Carl Andre« [1966], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 103. 59 | Bippus: Serielle Verfahren, S. 65.

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tet wurden. Metallplatten, Holzbalken und Ziegelsteine bilden die Basis vieler seiner Arbeiten. In der Ausstellung Primary Structures von 1966 im New Yorker Jewish Museum zeigte Andre mit Lever seine erste bodenbezogene Arbeit: Aus 137 aneinandergelegten Ziegelsteinen schuf er eine etwa neun Meter lange Linie, die von einer Wand ausging und in den Raum führte. 1967 entstanden seine ersten Bodenobjekte aus Metall, mit denen er fortan und bis heute seine Ausstellungsflächen meist in quadratischen oder linearen Formationen auslegt. So besteht zum Beispiel seine Arbeit Steel-Magnesium Plain von 1969 aus 36 Modulen, jeweils 18 quadratische Bodenplatten mit einer Seitenlänge von 30 cm aus Stahl und aus Magnesium, die einander abwechselnd im Schachbrettmuster zu einer quadratischen Fläche zusammengefügt sind (Abb. 3). Die Betrachterinnen können die Platten betreten, sich also auf der Skulptur bewegen. In einem Interview antwortet Andre auf die Frage, ob die Entstehung seiner Skulpturen vom Interesse an Bewegung beeinflusst sei: »I think all my works have implied, to some degree or another, a spectator moving along them or around them. […] My idea of a piece of sculpture is a road. […] Most of my works – certainly the successful ones – have been ones that are in a way causeways – they cause you to make your way along them or around them or to move the spectator over them. They’re like roads, but certainly not fixed point vistas. I think sculpture should have an infinite point of view.« 60

Die Antwort bestätigt Frieds Vorwurf, die Objekte der Minimal Art seien für ein Publikum gemacht. Andre beschreibt die Betrachter (bzw. seine Vorstellung der Betrachter) als konstitutives Moment seiner Skulpturen. Diese sollen, einer Straße ähnlich, dazu einladen, auf oder neben ihnen zu gehen und unterschiedliche Standpunkte einzunehmen. Es gibt also keine korrekte Perspektive, aus der sich seine Arbeiten ideal erschließen, sondern deren Struktur fordert zum Perspektivwechsel auf. Diese Bewegung impliziert Dauer und verstößt damit gegen ein weiteres Diktum Frieds.

60 | Carl Andre in Phyllis Tuchman: »An Interview with Carl Andre« [1970], in: Eva Meyer-Hermann (Hg.): Carl Andre, Sculptor 1996 [Ausstellungskatalog, Haus Lange und Haus Esters, Krefeld/Kunstmuseum Wolfsburg], Stuttgart: Oktagon 1996, S. 47.

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Fried geht davon aus, dass die Theatralität der Kunst dem Projekt moderner Kunst entgegenläuft. Für ihn sind deren zentrale und in ästhetischer Autonomie resultierende Qualitätsmerkmale schließlich Augenblicklichkeit und Unabhängigkeit von der Perspektive, während Theatralität für die Dauer der Entzifferung buchstäblicher Objekte und für die Abhängigkeit vom Betrachter und seinem Standpunkt stehe. Warum aber trifft seine Kritik ausgerechnet die Objekte der Minimal Art? Schließlich sind Skulpturen generell im Raum erfahrbar und evozieren in der Regel eine Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven. Rebentisch stellt fest, dass die Objekte der Minimal Art in besonderem Maße zur Reflexion der performativen Dimensionen ästhetischer Erfahrung einladen: »Gerade die einfachen Formen der Minimal Art scheinen aufgrund der Eliminierung interner Beziehungen oder ihre zum Teil serielle Installation im Raum zu einer gesteigerten Reflexion auf die performative Leistung des Herstellens von Beziehungen herauszufordern, die aber prinzipiell jeden ästhetischen Objektbezug kennzeichnet.« 61

Die Inszenierung der Objekte im Raum spielt also eine Schlüsselrolle in der Konstitution einer Einbeziehung, die Rebentisch als »selbstreflexivperformative Struktur des ästhetischen Objektbezugs«62 charakterisiert. Der Betrachter ist, wie Andres Aussage bestätigt, zu körperlicher Aktivität bei der Erkundung der Objekte aufgerufen und die Reihung unverbundener Objekte, die in ihrer Gesamtheit das Werk ausmacht, motiviert zu einer größeren raumzeitlichen Involvierung als die Erkundung einer freistehenden Skulptur. Die systemische Struktur vieler Arbeiten Andres, LeWitts, Morris’ oder Judds offenbart sich in deren Arrangement mehrerer Objekte; die Betrachterin bewegt sich in einer Installation. Die prozessuale Verfasstheit der Arbeiten wird aufgrund ihrer systemischen Struktur auffällig und die seriellen Arrangements fordern zum Nachvollziehen auf, was die raumzeitliche Dimension der ästhetischen Erfahrung weiter ausdehnt. Die Prozessualität der Arbeiten korrespondiert dabei mit der multisensorischen Wahrnehmung, die in ihrer Prozesshaftigkeit erfahrbar wird. So wird in Andres oben beschriebenen Bodenskulpturen die modulare Abwechslung zweier Metalle nicht nur als stetige Wiederholung 61 | Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 59 [Herv. i.O.]. 62 | Ebd.

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des Musters sichtbar, sondern hat zudem das Potenzial, einen Rhythmus zu entfalten, der die Be- oder Umgehung der Arbeiten affizieren kann und die ästhetische Wahrnehmung in ihrer Zeitlichkeit erfahrbar macht. Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Eva Meyer-Hermann beschreibt ihre ästhetische Erfahrung einer Arbeit von Andre als stark von deren Abwechslung zweier unterschiedlicher Elemente beeinflusst: »Felder aus vereinzelten Elementen kombinieren zwei Raumerfahrungen. Einerseits bilden sie Gegenpole zum Menschen, andererseits werden die Module der Skulptur in einem Raster über eine Grundfläche verteilt zu Taktgebern für Ort und Zeit.«63 Tatsächlich scheint die von Fried monierte Betrachterabhängigkeit der Objekte der Minimal Art – hier exemplifiziert in deren Rhythmisierung der Betrachterwahrnehmung – maßgeblich auf die Wiederholungsstruktur der modularen Reihung zurückzuführen zu sein.

Robert Morris’ Untitled (1965-66) Fried setzt sich kritisch mit einem weiteren Faktor auseinander, der seiner Meinung nach ebenfalls die Theatralität der Minimal Objekte befördert. So schreibt er ihnen einen anthropomorphen Charakter zu, den er auf ihre Größe, ihre symmetrische Ganzheitlichkeit und ihre hohle Form, die eine Innerlichkeit zu verbergen scheint, zurückführt. Diese Eigenschaften lassen sich nicht an Andres Bodenobjekten veranschaulichen, wohl aber an den Objekten von Robert Morris, auf die sich auch Fried in diesem Zusammenhang explizit bezieht: »It is […] as though the work in question has an inner, even secret, life – an effect that is perhaps made most explicit on Morris’s Untitled (1965-66), a large ringlike form in two halves, with fluorescent light glowing from within at the narrow gap between the two.« 64 In der besagten Arbeit stehen sich die zwei scheinbar identischen ringförmigen Strukturen mit einer Höhe von 61 cm und einer Tiefe von 36 cm wie gespiegelt gegenüber und formen einen Kreis mit einem Durchmesser von nahezu zweieinhalb Metern, der durch einen schmalen Spalt zwischen den Elementen unterbrochen ist (Abb. 4). Fried kritisiert dabei die Tendenz, die menschlichen Qualitäten der Objekte zu verber63 | Eva Meyer-Hermann: »Orte und Möglichkeiten«, in: dies. (Hg.): Carl Andre, Sculptor 1996, S. 18. 64 | Fried: Art and Objecthood, S. 129.

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gen: »[W]hat is wrong with literalist work is not that it is anthropomorphic but that the meaning and, equally, the hiddenness of its anthropomorphism are incurably theatrical.« 65 Die Theatralität der Objekte führt er also weniger auf deren anthropomorphe Qualität zurück denn auf ihre ›Maskerade‹. Diese evoziert, wie Rebentisch herausarbeitet, ein »unentschiedenes Oszillieren zwischen Buchstäblichkeit und Bedeutung«.66 Sie charakterisiert diese Ambivalenz als »Doppelpräsenz als Ding und als Zeichen«,67 die zu einer Irritation der Wahrnehmung führe: »In dem Moment, in dem die minimalistischen Objekte in den Augen des Betrachters anthropomorphe Bedeutung angenommen zu haben scheinen, ist zugleich klar, daß nichts an ihnen dies objektiv rechtfertigt: Die Sinnproduktion erweist sich als Sinnprojektion. Der Betrachter wird auf die Faktizität des Materials zurückverwiesen, deren vermeintliche Evidenz sich nun aber ebenfalls als instabil […] erweist. In dieser Weise sind Sinnproduktion und Sinnsubversion in der doppelten Lesbarkeit minimalistischer Objekte so aufeinander verwiesen, daß sie sich gegenseitig ebensowohl verstärken wie bestreiten […].« 68

Diese doppelte Lesbarkeit der Objekte als Ding und als Zeichen scheint es zu sein, die Fried als Theatralität moniert: Er vermutet ein Rollenspiel gleich dem eines Schauspielers, der seinen physischen Leib hinter dem semiotischen Körper seiner Rollenfigur zu verbergen sucht. Rebentisch betont, dass diese Doppelpräsenz nicht nur für die Objekte der Minimal Art gelte: »Nun ist die ›unheilbar theatralische‹ Verdopplung in Ding und Zeichen keineswegs nur ein Spezifikum der Minimal Art oder von Theaterzeichen; sie ist, so meine ich, ein Strukturmoment aller Kunst.«69 Rebentisch versteht also ästhetische Erfahrung per se als oszillierende Bewegung zwischen semiotischer Entzifferung und der Wahrnehmung von etwas in seiner spezifischen Materialität. Ihre Definition weist damit Parallelen zu Erika Fischer-Lichtes Definition von ästhetischer Erfahrung als Schwellenerfahrung auf, die sie unter anderem in ihrer Ästhetik des Performativen formuliert. Die Theaterwissenschaftlerin 65 | Ebd., S. 130. 66 | Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 55. 67 | Ebd. [Herv. i.O.]. 68 | Ebd. 69 | Ebd.

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arbeitet heraus, dass die auf die Entgrenzung der Künste zurückzuführende performative Wende seit den 1960er Jahren verstärkt, was für jede ästhetische Erfahrung gelte: »Der Materialstatus fällt nicht mit dem Signifikantenstatus zusammen, er löst sich vielmehr von ihm ab und beansprucht ein Eigenleben. Das heißt, die unmittelbare Wirkung der Objekte und Handlungen ist nicht von den Bedeutungen abhängig, die man ihnen beilegen kann, sondern geschieht durchaus unabhängig von ihnen […].« 70

Fischer-Lichte beschreibt, vor allem in Hinblick auf Theater und Performance Art, wie ab den 1960er Jahren eine Vielzahl von Inszenierungsstrategien darauf abzielten, ein Spannungsverhältnis zwischen semiotischen und performativen Dimensionen zu etablieren. So trete, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen, der phänomenale Darstellerleib in Konkurrenz zu seinem Rollenkörper, wenn er besonders auffällig sei, sich physisch verausgabe oder gar verletze. Resultat sei das Oszillieren der Wahrnehmung zwischen einer Ordnung der Repräsentation (Rollenfigur bzw. Geschichte, die erzählt wird) und der Ordnung der Präsenz (Leiblichkeit bzw. Materialität, die in ihrem phänomenalen Sein wahrgenommen wird). Die Dichotomie der Wahrnehmungsordnungen lasse sich nicht aufrechterhalten, sondern werde regelmäßig zum Einstürzen gebracht. Dabei gelte: »Je öfter die Wahrnehmung zwischen der Ordnung der Präsenz und der Ordnung der Repräsentation umspringt, also zwischen eher ›zufälligen‹ und eher zielgerichteten Prozessen der Wahrnehmung und Bedeutungserzeugung, desto größer erscheint das Maß an Unvorhersagbarkeit insgesamt und desto stärker richtet sich die Aufmerksamkeit des Wahrnehmenden auf den Prozeß der Wahrnehmung selbst.« 71

Wie Rebentisch der Minimal Art durch deren Inszenierung im Raum und deren serielle Struktur das Potenzial zuschreibt, die doppelte Lesbarkeit der Objekte erfahrbar zu machen und somit deren Reflexion durch den 70 | Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 29 [Herv. i.O.]. 71 | Ebd., S. 261.

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Betrachter zu initiieren, so schreibt Fischer-Lichte den Inszenierungsstrategien, die beide Wahrnehmungsordnungen kollidieren lassen, die Fähigkeit zu, auf den oszillierenden Charakter der Wahrnehmung selbst zu verweisen. Sie entleiht der Ritualtheorie den Begriff der Liminalität, um das Dazwischen zu charakterisieren, das ästhetische Erfahrung ausmache: »Wenn Gegensätze zusammenfallen, das eine auch zugleich das andere sein kann, dann richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Übergang von einem Zustand zum anderen. Es öffnet sich der Raum zwischen den Gegensätzen, ihr Zwischen-Raum.« 72 Die ästhetische Erfahrung lasse sich demnach als Schwellenerfahrung charakterisieren, da sie die Dichotomie von Repräsentation und Präsenz unterwandere.73 Die Entwürfe ästhetischer Erfahrung, die Fischer-Lichte mit Blick auf die aufführenden Künste entwickelt und die Rebentisch für die Minimal Art beschreibt, weisen offensichtlich Parallelen auf. Doch überrascht, dass die Theatralität, die Fried der Minimal Art zuspricht, gerade auf einem Theatermodell beruht, das das Oszillieren verschiedener Wahrnehmungsmuster zu vermeiden sucht. Indem Fried die Verstellung moniert und als theatral verurteilt, bezieht er sich auf ein Modell von Illusionstheater, das sich der semiotischen Dimension (›so tun, als ob‹) verschrieben hat. Er charakterisiert die Objekte der Minimal Art als Akteure, die ihre wahre Identität verbergen, indem sie eine Rolle spielen. Wie meine Ausführungen gezeigt haben, macht diese Einteilung wenig Sinn, stellen die Objekte doch vielmehr ihren Zwiespalt aus. Ihre doppelte Lesbarkeit allerdings lässt sich viel treffender als theatral charakterisieren: als theatral im Sinne einer Theaterästhetik, die zeitgleich aufkommt und die Tradition des Illusionstheaters herausfordert. Wie Fischer-Lichte herausgearbeitet hat, liegt die Stärke von Aufführungen, 72 | Ebd., S. 305. 73 | Fischer-Lichte zeigt auf, dass in der Aufführung zudem die Dichotomien von Kunst und Gesellschaft/Politik, von Ästhetik und Ethik, autonomer und fremdbestimmter Subjektivität zusammenfallen und die Beteiligten in einen Schwellenzustand versetzen können. Die Liminalität ästhetischer Erfahrung lasse sich dabei zwar nicht mit ritueller Schwellenerfahrung gleichsetzen, welche zu dauerhafter und gesellschaftlich anerkannter Transformation der Beteiligten führen könne. Dennoch habe die ästhetische Erfahrung das Potenzial, zu einer zumindest temporären Veränderung der Welt-, Fremd- und Selbstwahrnehmung der Beteiligten zu führen. Vgl. das Kapitel »Einstürzende Gegensätze« in ebd., S. 294-314.

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die sich im Zuge der Entgrenzung der Künste auch andere Kunstformen zunutze machen, gerade in der Betonung ihrer konstitutiven Gleichzeitigkeit von Zeichen- und Ereignishaftigkeit. Das experimentelle Theater, das Happening und die Performance Art der 1960er und 1970er Jahre arbeiten dezidiert mit der Destabilisierung der Wahrnehmung der Zuschauer und initiieren somit deren Reflexion. Den Installationen der Minimal Art kann man in diesem Kontext also zweifellos Theatralität zusprechen – eben nicht im Sinne einer Bühnenillusion, sondern vielmehr im Sinne einer Destabilisierungsstrategie der Betrachterwahrnehmung, die Parallelen zu den Verfahren der zeitgenössischen aufführenden Künste aufweist.

II.3 P OP A RT : V ERDOPPLUNG , I MAGE -M AKING UND Ü BERSE T ZUNG Mit der Pop Art, die sich parallel zur Minimal Art entwickelte, kehrte nach dem Abstrakten Expressionismus die Gegenständlichkeit in die USamerikanische Kunst zurück. Gegenstände der Populärkultur und der Warenwelt wurden zum Bildinhalt: Andy Warhol bildete Konsumgüter und Banknoten, Stars und Todesarten ab. Roy Lichtenstein übernahm Comicszenarien und deren Ästhetik und übertrug sie mit Öl und Acryl auf Leinwand. Claes Oldenburg fertigte nach Alltagsobjekten modellierte Skulpturen an. James Rosenquist malte von der Ästhetik der Werbung inspirierte großformatige Bilder, in denen er ganz unterschiedliche Szenen und Objekte der zeitgenössischen Kultur miteinander konfrontierte. Und Tom Wesselmann nahm seinen weiblichen Akten jede Individualität, indem er sie nach den Spielregeln der Werbung als Objekte inszenierte. Doch ungeachtet der offensichtlichen Abbildung von Gegenständen und Phänomenen der Alltagskultur gab es in Bezug auf das Bestreben der Irritation repräsentationaler Sinnstiftung durchaus Parallelen zur Minimal Art. Versuchten deren Künstler mittels der Betonung der Materialästhetik und der Rückführung ihrer Skulpturen auf Primärformen den Verweischarakter ihrer Objekte einzudämmen, so arbeiteten auch die Pop-Künstler mit vergleichbaren Reduktionsverfahren. Zwar bieten ihre Bilder und Objekte wieder erkennbare Gegenstände und Szenarien dar, dennoch eignet ihnen ein hohes Maß an Abstraktion im Sinne einer vereinfachten, standardisierten, oft verflachten Wiedergabe des Konkreten.

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»Die Pop-art will das Objekt entsymbolisieren, ihm die Mattheit und die stumpfe Hartnäckigkeit einer Tatsache verleihen«,74 konstatiert der Philosoph Roland Barthes in seinem Text Cette vieille chose, l’art (1980), der als Beitrag für den Katalog einer Pop Art-Ausstellung entstand. Sein Befund verwundert, ließe er sich doch viel offensichtlicher auf die Malerei Stellas, die Objekte Andres oder Morris’ anwenden. Doch Barthes spielt hier auf die ›Oberflächlichkeit‹ der Vorlage an: »Vor lauter Bildsein wird die Sache von jeglichem Symbol befreit. […] Nicht mehr die Tatsache verwandelt sich in ein Bild (was genaugenommen die Bewegung der Metapher ist, aus der die Menschen jahrhundertelang die Poesie gewonnen hat), sondern das Bild wird zu einer Tatsache.« 75 Die Pop Art bildet Bilder ab. Und indem sie zuallererst auf das Bild verweist, das sie darstellt, und weniger auf eine Realität außerhalb dieses Bildes, deutet sie immer auch selbstbezüglich auf ihr reproduzierendes Bildverfahren hin. Barbara Rose macht in Bezug auf die Pop-Ästhetik eine ähnliche Beobachtung: »No metaphorical allusion was hidden beneath the self-evident surface: painting was revealed in all its nakedness as an object in the world, as opposed to an allusion to any absolute.«76 Das Bild nähert sich hier dem Objekt an, ganz ohne sich in die Dreidimensionalität zu erstrecken. So wird beispielsweise in vielen Bildern Warhols eine materiale Tatsache geschaffen, indem der künstlerische Schaffensprozess weitestgehend auf die technische Reproduktion reduziert und eine Interpretation, die über die Wiederholbarkeit hinausgeht, verweigert wird. Donald Judd ging 1963 sogar so weit, Warhols Arbeiten als abstrakt zu charakterisieren: »[I]t is easy to imagine Warhol’s paintings without […] subject matter, simply as ›over-all‹ painting of repeated elements.« 77 Und Irving Sandler merkt an: »If other critics would not go so far as Judd, many believed that Pop Art had more in common with the new abstrac74 | Roland Barthes: »Die Kunst, diese alte Sache…« [1980], in: ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, übers. v. Dieter Hornig, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 210. 75 | Ebd., S. 211. 76 | Barbara Rose: American Painting. The Twentieth Century, New York: Rizzoli 1980, S. 96. 77 | Donald Judd: »New York Exhibitions: In the Galleries: Andy Warhol«, in: Arts Magazine 37.4 (Januar 1963), S. 49, zit.n. Sandler: American Art of the 1960s, S. 156.

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tion than with any contemporary realist style.«78 Dies resultierte zum einen aus der bereits erwähnten Verflachung vieler Pop Art-Bilder (Warhols Fotosiebdrucke, Lichtensteins Comicszenen). Zum anderen erinnerte die Ästhetik jener Bilder, die sich komplett von jeder malerischen Geste und Pinselspur verabschiedet hatten, auch an die Farbfeldabstraktionen von Hard Edge-Malern wie Ellsworth Kelly und Kenneth Noland.79 Natürlich lassen sich die Pop Art-Bilder nicht komplett entsymbolisieren. Ihr Bildinhalt evoziert selbstverständlich Bedeutungszuschreibungen, die mit dem abgebildeten Star oder der transformierten Comicszene und gleichzeitig mit jener Dekontextualisierung, die ihnen widerfahren ist, in Zusammenhang stehen. Im Folgenden soll die Gegenständlichkeit der Pop Art mit Fokus auf ebendiese Brüchigkeit ihrer Bedeutungsebenen beleuchtet werden. Mit der Verdopplung, dem Image-Making und der intermedialen Übersetzung bilden dabei drei charakteristische Wiederholungsverfahren der Pop Art den Schwerpunkt meiner Untersuchungen.

Verdopplung Die Verdopplung, die Warhol mittels des Fotosiebdruckes auf die Spitze trieb, war seit den späten 1950er Jahren ein zentrales Verfahren und Motiv in den unterschiedlichsten Spielarten der Malerei und Skulptur nach dem Abstrakten Expressionismus. So stellte Robert Rauschenberg seinem Bild Factum I mit Factum II (beide 1957) ein zum Verwechseln ähnliches, manuell gefertigtes Duplikat an die Seite. Die Bilder beinhalten die exakten Reproduktionen des gleichen Fotos, aber auch kaum unterscheidbare Farbspritzer, die an die drip-Ästhetik des Action Painting erinnern 78 | Sandler: American Art of the 1960s, S. 156. 79 | Die Interpretation der Pop Art als den ihr zeitgenössischen abstrakten Künsten Minimal Art und Hard Edge-Farbfeldmalerei formal verwandt war durchaus umstritten. So wendete Lawrence Alloway in seiner 1974 erschienenen Monografie American Pop Art in Bezug auf die Grenzverwischung zwischen Pop Art und abstrakter Kunst ein: »The error of this view, the isolation of formal devices, is a common one in American Art criticism, and it has a special disadvantage for Pop art. This approach, by reducing the importance of iconography, discounts the complexities of signifier and signified which, it has been argued, constitute the core of Pop art.« Lawrence Alloway: American Pop Art, New York/London: Collier 1974, S. 125.

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(Abb. 5). Indem die gestische Spur und damit der Inbegriff spontaner und authentischer Selbstveräußerung des Künstlers von Rauschenberg wiederholt wurde, führt das Ensemble der Bilder die Klischees des Abstrakten Expressionismus vor und enttarnt sie humorvoll. Rauschenberg, der vor allem aufgrund seiner Combine Paintings, die Alltagsobjekte in die Malerei aufnahmen, als Vorreiter der Pop Art gilt, arbeitete sich mit den Factum-Bildern am Erbe des Abstrakten Expressionismus ab. Bereits mit seinem Erased de Kooning Drawing (1953) hatte er sich mit einer Geste, die Auslöschung und Wiederholung kombinierte, von dem derzeit prominentesten Vertreter des Abstrakten Expressionismus verabschiedet. Rauschenberg hatte Willem de Kooning um eine Zeichnung gebeten und ihm offenbart, dass er diese ausradieren wolle. De Kooning gab ihm daraufhin eine Arbeit, mit der Rauschenberg viel zu tun hatte: Um die Spuren de Koonings auszuradieren, musste er unentwegt dessen Linien wiederholen. Diese frühen Arbeiten Rauschenbergs lassen sich als »›art‹ about art«80 klassifizieren, setzen sie sich doch ganz konkret mit der Tradition ihrer Vorgängergeneration auseinander. Auch in diesem Sinne nehmen sie einen Aspekt der Pop Art vorweg, der sich vor allem bei Warhol und Lichtenstein finden lässt. 81 Beide bildeten neben den popkulturellen und alltäglichen Objekten und Szenarien auch ›Ikonen‹ der Kunstgeschichte ab. So siebdruckte Warhol zum Beispiel die Mona Lisa und Lichtenstein übersetzte kubistische Porträts von Pablo Picasso in die Rasterpunktästhetik seiner Bilder. Beide orientierten sich dabei nicht an den Originalen, sondern nahmen Reproduktionen zum Ausgangspunkt ihrer eigenen Bildproduktion. Sie hoben die Verdopplung also auf eine weitere Ebene, indem sie die Verdopplung einer Verdopplung produzierten und die medialen Spezifitäten des zwischengeschalteten Reproduktionsmediums ebenfalls wiederholten. Die Pop Art wurde von einer anderen realistischen Strömung in der Malerei begleitet, dem US-amerikanischen New Realism, zu dessen pro80 | Patrick S. Smith: Andy Warhol’s Art and Films, Ann Arbor: UMI Research Press 1981, S. 86. 81 | Auch in Wesselmanns Environments hingen oft Duplikate moderner Kunstwerke an den Wänden, so beispielsweise das Duplikat eines Piet Mondrian-Bildes in S TILL L IFE N O. 20 (1962) oder eine Henri Matisse-Kopie in G REAT A MERICAN N UDE N O. 48 (1963).

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minentesten Vertretern Alex Katz und Philip Pearlstein zählen. Diese konzentrierten sich ab den späten 1950er Jahren auf figurative Darstellungen von Menschen, setzten sich dabei aber dezidiert von der painterly figuration der 1950er Jahre ab, die die Materialität des Malprozesses hervorhob. »Both Katz and Pearlstein came to believe that if figurative painting was to be renewed, it would have to venture toward realism, to look out at the world rather than into the artist’s psyche.«82 Ihr figuratives Engagement wurde trotzdem als rückwärtsgerichtet betrachtet und aus dem formalistischen Kritikerlager scharf verurteilt. Die Künstler reagierten darauf, indem sie konzeptuelle Rahmenbedingungen ihrer Repräsentationspraxis formulierten, die den formalistischen Prinzipien an Rigorosität in nichts nachstanden.83 Hatte Greenberg die Flachheit des Bildes, die Verweigerung jeglicher illusionistischer Tiefe zum zentralen Qualitätsmerkmal moderner Kunst erklärt, so verkehrten die New Realists sein Anliegen: Die abstrakten formalistisch ausgerichteten Künstler der späten 1950er und frühen 1960er Jahre hatten die Objekthaftigkeit des Bildträgers betont bzw. diesen in die Dreidimensionalität erweitert. Die New Realists hingegen wandten sich der Gegenständlichkeit abgebildeter Objekte zu und beharrten auf dem Anspruch, deren Dinghaftigkeit malerisch gerecht zu werden. 84 Katz wählte seine Bildgegenstände zwar nie aus populärkulturellen Quellen, sondern bildete in der Regel seine Familie, Freunde und Bekannten ab. Dennoch gab es Übereinstimmungen mit der Pop Art, die Irving Sandler der »›cool‹ sensibility of the sixties«85 zuschreibt. So wiesen Katz’ Verflachung der Bildräume und sein Umgang mit leuchtender, scharf umrissener Farbe Parallelen zu den Hard Edge- und Pop-Künstlern seiner Generation auf. Auch die Großformatigkeit seiner Bilder und Close-ups, die an filmischen Konventionen orientiert zu sein scheinen, lassen Anleihen bei populärkulturellen Quellen vermuten. Zudem erinnern seine cutouts – flache, beidseitig bemalte, den Umrissen des Dargestellten folgende und im Raum installierte Objekte – an Wesselmanns flache Environments, die Bildflächen auf verschiedenen Ebenen kombinieren, oder an Lichtensteins Explosions, die aus mehreren farbig la82 | Sandler: American Art of the 1960s, S. 200. 83 | Vgl. ebd., S. 202f. 84 | Vgl. ebd., S. 203. 85 | Ebd., S. 204.

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ckierten Metallschichten bestehen. Ich möchte mich hier allerdings auf den Aspekt der Verdopplung konzentrieren, der Thema zahlreicher Bilder von Katz ist. So zeigt das Bild Ada Ada (1959) seine Frau Ada, die vor einem monochromen Hintergrund in doppelter Version mit verschränkten Armen, in blauem Kleid und blauen Schuhen mit leichtem Lächeln den Blick des Betrachters erwidert (Abb. 6). Die zwei Porträts in seinem Bild unterscheiden sich bei genauem Hinsehen vor allem in der Mimik ein wenig voneinander. Die Monochromie des Hintergrunds evoziert eine Ortlosigkeit der Darstellungen, die die seriellen Abbildungen Warhols, die ihrem Kontext entnommen auf die monochrome Leinwand übersetzt wurden, vorwegnimmt.86 Eine weitere prominente Verdopplung lieferte Claes Oldenburg 1962 mit seiner Skulptur Two Cheeseburgers with Everything, einer mit Emaillefarbe angemalten Pappmaschee-Nachbildung zweier Cheeseburger in ungefähr realistischer Größe. Zwischen den Brötchenhälften befinden sich Tomatenscheiben, Mayonnaise, Käsescheiben, Frikadellen und Salatblätter (Abb. 7). Oldenburg, der seit den späten 1950er Jahren Gebrauchsgegenstände wie Telefone, Toiletten und Lippenstifte, aber auch Lebensmittel wie Tortenstücke oder Fastfoodartikel als Skulpturen nachbildete, liefert hier eine Skulptur aus zwei eng nebeneinanderstehenden, zum Verwechseln ähnlichen Cheeseburgern. Die Verdopplung der Burger, deren manuelle Fertigung an Form und Farbauftrag sichtbar ist, lädt hier weniger zur Reflexion populärer Bildgebungs- und Reproduktionsverfahren ein. Vielmehr steht die tatsächliche Ähnlichkeit der Konsumartikel, die an industrielle Fertigung erinnert, im Vordergrund. Indem Oldenburg einen Cheeseburger skulptural verdoppelt, lenkt er die Aufmerksamkeit auf die normierte Erscheinung von Waren, die in diesem Fall sogar Mahlzeiten einschließen. Die Verdopplung als ›einfache‹ Wiederholung, die mit Rauschenbergs Arbeiten aus den 1950er Jahren am Anfang der ästhetischen Wiederholungsverfahren der New Yorker Neo-Avantgarde steht, markiert die Schnittstelle zweier Stilrichtungen: Die expressive Veräußerung trifft auf die der Massenproduktion entliehene Geste serieller Fertigung und resultiert bei Rauschenberg, Katz und Oldenburg in Objekten und Bildern, die ihre Medialität thematisieren und mittels offensichtlich differenter 86 | Katz’ A DA A DA entstand 1959 gleich in zwei Versionen: Katz fertigte das Doppelporträt sowohl als Bild als auch als cutout an.

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Wiederholung ausstellen. Oldenburgs Nebeneinanderstellung von zwei Cheeseburgern exemplifiziert diese Grenzverwischung in aller Deutlichkeit: Die Verdopplung des Burgers verweist einerseits auf die reale Serialität von Fastfoodartikeln, wird andererseits aber durch die malerische Qualität des Emailleanstriches der Skulpturen gebrochen. Der Farbauftrag wirkt spontan und lässt bei genauem Hinsehen die expressiven Pinselstriche erkennen. Die Cheeseburger sind somit Objekte einer neuen Zeit, in der sich Serialität und Massenproduktion auf alle Lebensbereiche erstrecken. Dabei zeugen Farbanstrich und Modellierung von einer Ära der Individualität und Originalität. Die Kollision von malerischem Ausdruck und gegenständlicher Darstellung eines Konsumgutes resultiert hier in Objekten, die zwischen zwei kulturhistorischen Epochen und künstlerischen Traditionen verortet sind.

Image-Making Andy Warhol arbeitete ab 1960 mit zahlreichen Wiederholungsstrategien, die sich zunehmend miteinander verschränkten. So wiederholte er ›Images‹ 87 der Warenwelt, wie seine prominenten Campell’s Soup Cans oder Coca Cola Bottles (beide 1962), aber auch Werbe-, Reportage- oder Comic-Images, die er den Printmedien entnahm. Anfangs fanden diese Reproduktionen im Medium der Malerei statt; seine ersten Coca ColaBilder wie auch seine frühen Comicadaptionen oder der Werbung entliehenen Vorher-Nachher-Bilder entstanden in Acryl auf Leinwand. Dieser Phase gemalter Bilder folgte eine kurze Periode, während der Warhol mit Stempeln und Schablonen arbeitete, um Serien zu erstellen, bis er dann

87 | Ich arbeite im Folgenden mit dem Begriff ›Image‹, um Bildstrukturen zu bezeichnen, die einem vorgängigen Klischee entsprechen. Im Gegensatz zum Bild, mit dem ich die Gesamtheit aller Eingriffe beschreibe, die sich auf und an der Bildfläche versammeln, meint das Image hier ein Abbild, das das ursprünglich Abgebildete distanziert wiederholt und überhöht. In Bezug auf Warhols Bilder lässt sich somit feststellen, dass sie ein Image, dessen Verdopplung oder aber dessen serielle Reihung beinhalten können. Der Begriff des Images spielt in diesem Kontext zudem darauf an, dass Warhol Bildmaterial für seine Fotosiebdrucke nutzte, das das ›Image‹, also den durch Medien und Marketing geprägten massenwirksamen Gesamteindruck von Stars oder Waren, reflektiert, den Bildgegenständen also eine möglichst oberflächliche Interpretation einschreibt.

II. Die positive Umdeutung der Wiederholung in der bildenden Kunst

1962 den Fotosiebdruck für sich entdeckte, ein bisher vornehmlich kommerziell genutztes Verfahren.88 »The rubber-stamp method I’d been using to repeat images suddenly seemed too homemade; I wanted something stronger that gave more of an assembly line effect. With silkscreening, you pick a photograph, blow it up, transfer it in glue onto silk, and then roll ink across it so the ink goes through the silk but not through the glue. That way you get the same image, slightly different each time. It was so simple – quick and chancy.« 89

Mit dieser reproduktiven Herstellungsweise der Bilder war also ein Wiederholungsverfahren dazugekommen, das die Produktion von Bildserien stark vereinfachte. Doch Warhol generierte ein weiteres serielles Verfahren, das der Kunsthistoriker Michael Lüthy als dessen »eigenwilligste und zugleich provozierendste bildnerische Erfindung«90 charakterisiert: die gegenständliche innerbildliche Serialität. Lüthy weist darauf hin, dass »das innerbildlich serielle Bild durch die simultane Präsentation mehrerer Drucke die reproduktive und serielle Herstellungsweise unmittelbar anschaulich werden lässt«.91 Jene Bilder Warhols also, die mehrere Drucke präsentieren, kennzeichnet damit eine besonders dichte Verflechtung von Wiederholungsverfahren: Die bildimmanente Wiederholung verweist auf das konstitutive Wiederholungsverfahren des Siebdruckes und erhebt es somit zu einem Thema des Bildes,92 gleichzeitig impliziert sie, dass das Bild Teil einer Serie identischer Druckkompositionen sein kann. Das Zitat Warhols zeugt zudem davon, dass er mit der Nutzung des Fotosiebdruckes dem Impuls folgte, die ›Handschrift‹ des Künstlers zu minimieren, nicht nur einen Bildinhalt wiederzugeben, der nicht original von ihm stammte, sondern sich mittels eines technischen Reproduktionsverfahrens auch von der Wiedergabe selbst zu distanzieren. Er machte 88 | Robert Rauschenberg hatte den Fotosiebdruck allerdings bereits in den 1950er Jahren für seine Kunst genutzt. 89 | Andy Warhol/Pat Hackett: POPism. The Warhol Sixties, New York/London: Harcourt Brace Jovanovich 1980, S. 22. 90 | Michael Lüthy: Andy Warhol. Thirty Are Better Than One, Frankfurt a.M./ Leipzig: Insel 1995, S. 89. 91 | Ebd. 92 | Vgl. ebd.

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sich ein Verfahren zunutze, das den Gestus des Malers gänzlich von der Leinwand trennte. Hatten bereits Ad Reinhardt und nach ihm die minimalistischen Farbfeld- und Hard Edge-Maler den malerischen Ausdruck aus ihren Bildern getilgt, so ermöglichte der Siebdruck nun eine technische Automatisierung des Farbauftrages, die den Künstler noch weiter von der Leinwand entfernte. Doch trotz des automatisierten Produktionsprozesses, der bis dato vor allem in der Werbung genutzt wurde, strebte Warhol in seiner Bildgebung nicht die Perfektion an, von der jene kommerziellen Arbeiten zeugten. Die Umsetzung der Drucke war vielmehr durch ihre ›Fehlerhaftigkeit‹ gekennzeichnet. Die Wiederholung tritt in diesen Arbeiten in ihrer Prozesshaftigkeit in den Vordergrund. Wie in den Action Paintings der vorherigen Künstlergeneration wird auch hier der Zufall zum Gestaltungsmerkmal; der Arbeitsprozess wird in seiner Kontingenz erfahrbar. »According to the amount of ink a print uses, according to the amount of pressure with which it is applied, the silk-screen image will vary through its repetitions. The Marilyn Monroe Diptych, 1962, is a good example of the variety that comes from this apparent mechanization of picture production. One panel is a blaze of bright, glamorous color, the other is printed in black, with some images of her head clotted in paint and other images present only as a dry trace on the canvas. The nuances of each image are as evident as the repetition which is what has been over-stressed in criticism of Warhol.« 93

Während Alloway vorschlägt, die Variation der seriellen Images in den Vordergrund zu stellen, anstatt von deren Wiederholung auszugehen, bin ich der Meinung, dass es hier ausgesprochen sinnvoll ist, mit dem Begriff der Wiederholung zu arbeiten. Gerade die Abweichungen der Images Warhols führen Wiederholung als Bewegung vor, die nicht ohne Differenz zu denken ist und sich somit genau den Themen stellt, die die Konzeptionen von Wiederholung in Moderne und Postmoderne begleiten. Gilles Deleuze führt in Différence et répétition Warhols Wiederholungen als Beispiel für die Simulation auf, die er als Ziel eines freien Spieles von Differenz und Wiederholung versteht, das sich von der Dichotomie von Original und Kopie löst. Er schreibt der Pop Art zu, dass sie »das Abbild, das Abbild des Abbilds usw. voranzutreiben vermochte, bis hin 93 | Alloway: American Pop Art, S. 113.

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zu jenem äußersten Punkt, an dem es sich verkehrt und zum Trugbild wird«.94 Warhols Wiederholungen in Bildern wie Marilyn Diptych (1962) entziehen sich der Logik von Original und Kopie. Indem fünfzig Images von Marilyn Monroe neben- und untereinander gereiht werden, lässt sich nicht entscheiden, ob Warhol hier mit jedem Image dessen auf das Sieb transferierte Vorlage oder den direkt vorgängigen Abdruck, vielleicht auch alle bisher mit dem Sieb gedruckten Images, ein Abbild von Marilyn Monroe oder aber das Abbild eines Images von Marilyn Monroe wiederholt (Abb. 8). Zwar repräsentiert jeder Abdruck das Image, dessen Ursprung aber lässt sich nicht festmachen. Schließlich impliziert die Technik des Fotosiebdruckes, dass die Quelle von Warhols Arbeiten immer bereits zweidimensional ist. Die Images können und sollen nur oberflächlich sein, beziehen sie sich doch nie auf die Dreidimensionalität, sondern immer schon auf deren mediale Vermittlung. In Ihrer Studie Serielle Verfahren schreibt Elke Bippus Warhols seriellen Wiederholungen von Personenimages eine theatrale Qualität zu: »Die Theatralität auch von Warhols Bildern ist wesentlich von ihrem reproduktiven Charakter bedingt. Die Dargestellten posieren vor der Kamera, sie werden nicht abgebildet, sondern stellen sich dar, indem sie kulturell verfügbare stereotype Images wiederholen.«95 Bippus verwendet den Begriff der Theatralität hier synonym mit Verstellung. Ähnlich wie Michael Fried den Objekten der Minimal Art Theatralität aufgrund ihres verborgenen anthropomorphen Charakters vorwarf, charakterisiert Bippus nun die Reproduktionstechnik Fotografie als theatral, da sie den Dargestellten ein Forum zur Selbstinszenierung öffnet. Ein Theatralitätsbegriff, der sich lediglich auf die Inszenierung und deren Potenzial zur Täuschung gründet, greift in der Analyse von Warhols seriellen Porträts allerdings zu kurz. Viel bedeutender als die Selbstinszenierung der Abgebildeten ist Warhols Inszenierung der Images: So bietet er deren Variationen, ›Fehlern‹, unterschiedlichen Farbintensitäten und leicht versetzten Anordnungen eine Bühne. Damit lädt er die Betrachterinnen immer auch zum Vergleichen ein und rückt zudem in besonderem Maße die Materialität seiner Bilder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Warhols bildimmanente Imageserien weisen dabei Parallelen zu Filmstreifen auf. Die Differenzen zwischen den aneinandergereihten Ab94 | Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 365. 95 | Bippus: Serielle Verfahren, S. 51.

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bildungen erinnern an jene Differenzen aufeinanderfolgender Einzelbilder einer Filmsequenz. Tatsächlich erweiterte Warhol seine Kunstpraxis nur ein Jahr nach der ersten Fotosiebdruckarbeit um die filmische Reihung von Bildern. Der Kunsthistoriker Patrick S. Smith führt in seinem Buch Andy Warhol’s Art and Films die statische Kamera und die lange Einstellung als zentrale stilistische Merkmale von Warhols Filmen auf und zeigt Parallelen dieser Verfahren zu den seriellen Siebdrucken auf.96 So möchte ich exemplarisch auf seine Filme Sleep (1963) und Empire (1964) verweisen, die beide von statischer Kamera und langer Einstellung geprägt sind. Empire beinhaltet bekanntlich die filmische Aufnahme des Empire State Buildings in gleichbleibender Einstellung über die Dauer von acht Stunden; Sleep zeigt Warhols Freund John Giorno beim Schlafen. Während in Empire tatsächlich die Zeit des Filmes mit der gefilmten Zeit übereinstimmt, die Kamera das Empire State Building vom 40. Stock des Time-Life-Gebäudes von der Dämmerung bis zum Morgen eingefangen hatte, besteht Sleep aus Loops von Bildmaterial, das Warhol bei zahlreichen Schlaf-Sessions Giornos gesammelt hatte. Auch hier reihen sich lange Einstellungen aneinander, die Perspektive wechselt allerdings gelegentlich, mal wird das Gesicht des Schlafenden fokussiert, dann seine Hände oder sein Bauch. Smith vergleicht diese statischen Kompositionen mit Tableaux vivants97 und beschreibt: »Warhol directs an absolute attention to an object (Lucinda Child’s shoulder, the Empire State Building etc.) or to a situation (a screen test, an erotic encounter, a courtroom, etc). Either the viewer chooses to contemplate it or to turn away from the movie screen. Such isolated and monumentalized ›plastic idols‹, like the iconic images of Warhol’s Pop Art, are sustained by means of his second cinematic trope: The Long Take.« 98

Jene Zuschauerinnen, die sich auf die lange Betrachtungsdauer einlassen, können also eine Überhöhung bezeugen. Personen oder Gegenstän-

96 | Vgl. Smith: Andy Warhol’s Art and Films, S. 147-166. Als weitere zentrale Verfahren der Filme Warhols führt Smith den strobe cut (Röhrenblitzschnitt) und den Zoom an. 97 | Vgl. ebd., S. 150. 98 | Ebd., S. 152.

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de werden ob ihrer pausenlosen Fokussierung zum Idol erhoben – und teilen diesen Status mit den Images der Siebdrucke. Die besagten und manch andere Filme Warhols verlangen der Betrachterin ob ihrer Dauer ein ungewöhnliches Maß an Geduld ab. Sie reihen fast identische Bilder aneinander, die sich nur durch subtile Variationen unterscheiden. Die ästhetische Erfahrung der Betrachtung von Sleep vergleicht Smith dabei mit der Performance der Uraufführung von Erik Saties Vexations durch John Cage, die 1963 stattfand und bei der Warhol anwesend war. »Although Vexations is not a movie, there is a comparable effect on the audience. During such a performance, the possibility of a musician making a mistake during the 18 hours and 40 minutes is, to say the least, high, and such an accident would not only be noticeable but a part of and perhaps, an unexpected climax in the musical marathon. Likewise, when a viewer experiences Sleep, the incidents of the sleeping variations concentrate the attention of the viewer.« 99

Das Aufmerken durch Abweichung, das Smith hier der Rezeption von Warhols Filmen und der zeitgleichen Arbeit von Satie und Cage zuschreibt, lässt sich durchaus auf Warhols Bilder übertragen. Die Wiederholung und Reihung der Images rückt die Ausführung der Drucke ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Erfahrung von Wiederholung und Differenz mag vereinzelt gar eine rhythmisierte Zeitlichkeit entfalten, indem sie den Betrachter in einen Prozess des Vergleichens einbindet. Smith zeigt auf, dass Warhols Auseinandersetzung mit Wiederholung, Abweichung und Dauer in den frühen 1960er Jahren in New York in einem Kontext stattfand, in dem sich auch die aufführenden Künste experimentell der Erforschung von Wiederholung und Differenz widmeten. Warhol, der regelmäßig als Zuschauer an Konzerten, aber auch an Tanzaufführungen der Judson Church Group, an Performances, experimentellem Theater und Happenings teilnahm, beeinflusste diese Entwicklung also nicht nur, sondern ließ sich auch von dieser inspirieren.

Übersetzung Wie Warhol nahm Roy Lichtenstein zweidimensionale Quellen zum Ausgangspunkt seiner Bilder. In den späten 1950er Jahren hatte er noch im 99 | Ebd., S. 155.

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Stil abstrakt-expressionistischer Action Paintings gearbeitet, doch ab 1960 malte er erste Bilder, in denen Comiccharaktere auftauchten, die allerdings noch vom expressiven malerischen Gestus gekennzeichnet waren. 1961 dann begann er Comicszenarien mit Öl- und Acrylfarbe auf Leinwand zu übertragen. Er folgte dabei einem recht aufwendigen Verfahren, das manuelle und maschinelle Praktiken kombinierte. Der Kunsthistoriker Michael Lobel nimmt Lichtensteins Werk Image Duplicator (1963), dessen Genese 1964 im Life Magazine vorgestellt wurde, zum Ausgangspunkt seines gleichnamigen Buches und beschreibt: »Consider the complexity of the process: Lichtenstein begins with a comic book panel (that is, a mechanically reproduced image); makes a small sketch of that motif by his own hand; magnifies that handmade sketch using a machine (in this case an opaque projector); and finally traces that projected image, again by his own hand, onto the canvas. It is as if there is a tug-of-war here, a repeated back and forth between the artist’s body and the machine.«100

Lichtenstein ging also von der gedruckten Vorlage aus, fertigte nach dieser eine Skizze an, die er dann vergrößert auf die Leinwand projizierte und nachzeichnete, um die Grundlage für seine Malerei zu schaffen. Nun erst folgte die stilistische Besonderheit seiner Bilder, für die Lichtenstein bekannt wurde: Die Rasterpunkte (Ben-Day dots), mit denen er die Ästhetik der gedruckten Vorlagen zitierte. Dabei übernahm Lichtenstein nicht unbedingt die Rasterung seiner Vorlage, sondern variierte diese bzw. überzog auch Bilder mit Rasterpunkten, deren Vorlagen mit einem anderen Druckverfahren erstellt oder gar gemalt waren. Sein Zitat der industriellen Drucktechnik durchlief mehrere Stadien: Die Rasterung wurde anfangs durch eine unregelmäßige Struktur feiner Punkte dargestellt. Lichtenstein hatte eine Aluminiumplatte durchlöchert und trug mittels einer Bürste, die er über die Platte rieb, Farbe auf. Um die Regelmäßigkeit zu steigern, experimentierte er mit verschiedenen Frottage-Techniken, bis er ab 1963 begann, mit Schablonen aus Drahtgeflecht zu arbeiten, die

100 | Michael Lobel: Image Duplicator. Roy Lichtenstein and the Emergence of Pop Art, New Haven/London: Yale University Press 2002, S. 12.

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das Imitat der Rasterpunkte perfektionierten und die manuelle Erstellung der Punkteauftrages verschleierten.101 Lichtensteins Verfahren lässt sich als intermedial charakterisieren, als Bildstrategie zwischen Malerei und Rasterdruck. Zum einen findet mit der Übersetzung der gedruckten Comicszenen auf Leinwand ein Medienwechsel statt, ein Verfahren, das die Literaturwissenschaftlerin Irina Rajewsky in ihrem Überblickswerk Intermedialität wie folgt definiert: »Die Qualität des Intermedialen betrifft hier den Produktionsprozeß des medialen Produkts, also den Prozeß der Transformation eines medienspezifisch fixierten Prä›textes‹ bzw. ›Text‹substrats in ein anderes Medium, d.h. aus einem semiotischen System in ein anderes.« 102 Lichtenstein übersetzt das Produkt eines Mediums in ein anderes: Eine gedruckte Comicszene, die als Vorlage diente, wird im Übersetzungsprozess transformiert und auf Leinwand festgehalten. Zudem imitiert er die medialen Spezifitäten des Ausgangsmediums: Die Rasterpunkte haben im Kunstwerk ihre Funktion verloren, sie sind Relikte eines mechanischen Reproduktionsverfahrens, das in der aktuellen Bildgenese keine Rolle gespielt hat. Lichtenstein erstellt manuell ein Unikat, behauptet aber ein standardisiertes Produkt, das aus einem automatischen Wiederholungsverfahren hervorging. Diese Strategie lässt sich mit Rajewsky als intermediale Bezugnahme charakterisieren, die gleichzeitig sowohl Einzel- als auch Systemreferenz ist.103 So nimmt das Produkt eines Mediums (ein Bild Lichtensteins) sowohl auf eine konkrete Vorlage (den Comicausschnitt) Bezug als auch auf die medialen Besonderheiten eines anderen medialen Systems (des Rasterdruckverfahrens). Rajewsky geht davon aus, dass die erfolgreiche Reproduktion medialer Strukturen des Ausgangssystems in einem anderen System nicht möglich ist. Vielmehr »wird die mediale Differenz zwischen den Systemen relevant, die mit den Mitteln des kontaktnehmenden Mediums immer nur in der scheinhaften Form des ›Als ob‹ überwunden werden kann und eine genuine Reproduktion der betreffenden Komponenten vereitelt. Die Komponenten können lediglich evoziert oder imitiert bzw. simuliert werden.«104 101 | Vgl. Janis Hendrickson: Roy Lichtenstein. Die Ironie des Banalen, übers. v. Matthias Wolf, Köln: Taschen 1988, S. 45f. 102 | Irina O. Rajewsky: Intermedialität, Tübingen/Basel: Francke 2002, S. 16. 103 | Vgl. ebd., S. 16f. 104 | Ebd., S. 84.

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Was Rajewsky hier negativ konnotiert als scheinhaftes ›Als-ob‹ beschreibt und an anderer Stelle als »unüberbrückbare mediale Differenz – ein ›intermedial gap‹«105 charakterisiert, trifft jene Differenz, die Lichtensteins Arbeiten kennzeichnet. Seine Leinwände lassen sich in ebendieser Lücke verorten, deren produktives Potenzial Doris Kolesch hervorhebt, wenn sie Intermedialität als »Differenzform des Dazwischen« charakterisiert, »die weniger auf die Integration verschiedener Medien abhebt, sondern vielmehr auf Figurationen von Übergängen, Zwischenräumen, und Grenzen, in denen Übersetzungs- und Transformationsleistungen dargestellt und selbstreflexiv ausgestellt werden«.106 Lichtenstein erstellt keine Kopie der Vorlage, sondern vielmehr eine Übersetzung, die beide medialen Systeme miteinander konfrontiert und so ihre medialen Spezifitäten und Grenzen erfahrbar macht. Lichtensteins Bilder weichen nicht nur in ihrer Größe von ihren gedruckten Vorlagen ab, sondern wurden inhaltlichen und formalen Veränderungen und Vereinfachungen unterzogen. Er wählte oft nur einen Ausschnitt des Ausgangsmotivs, kombinierte zum Teil mehrere Motive miteinander oder veränderte deren Farbgebung. Vergleicht man das Bild In the Car (1963) und dessen Comicvorlage, fällt auf, dass Lichtenstein die Farbpalette seiner Vorlage weiter reduziert hat (Abb. 9). So ist die Haarfarbe des Mannes blau wie sein Anzug, während im Comicbild ein Braunton verwendet wurde. Hier wird deutlich, dass Lichtenstein die Ästhetik der populärkulturellen Vorlagen zuspitzt. Der geübte Comicbetrachter ›liest‹ das Blau der Haare als Schwarz, weil er an die der Kostenersparnis geschuldete reduzierte Farbpalette gewöhnt ist. Lichtenstein macht diese am Medium des kostengünstigen Rasterdruckes geschulte Lesart auffällig. Auch die Rasterpunkte werden auf der Leinwand vergrößert und im isolierten Bild auffällig, während man im Comic über sie hinwegsieht. Zudem präsentiert Lichtenstein Szenen, die das Klischee des jeweiligen Ausgangsgenres (romance comic, war comic) überhöhen. Wartende, weinende und anhimmelnde ›gute Mädchen‹, intrigierende ›böse Mädchen‹ oder gewaltverherrlichende Explosionsszenen wirken isoliert derart absurd, dass sie auch als ironischer Kommentar zur Pop105 | Ebd., S. 70 [Herv. i.O.]. 106 | Doris Kolesch: »Intermedialität«, in: Erika Fischer-Lichte/dies./Matthias Warstat (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 161.

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kultur, der sie massenhaft entspringen, verstanden werden können. Lichtensteins Wiederholungsstrategie ist somit durchaus als medienreflexive zu betrachten. Seine intermedialen Übersetzungen zeigen auf, wie sehr unsere Wahrnehmung an den Darstellungsmedien geschult und deren Strategien zur Konstituierung von Bedeutung unterworfen ist.

II.4 W IEDERHOLUNG Die zentralen Themen des im ersten Kapitel vornehmlich in Hinblick auf Aufführungsphänomene entwickelten Wiederholungsbegriffes haben sich auch für die US-amerikanische bildende Kunst nach dem Abstrakten Expressionismus durchaus als relevant erwiesen. Die Kategorien der Repräsentation, der Grenzüberschreitung und Liminalität sowie der Differenz sind zweifellos miteinander verschränkt, und jede einzelne ist für die Ebenen der Darstellung, der Wahrnehmung und der Bedeutungsstiftung relevant. Dennoch möchte ich in der folgenden kurzen Zusammenfassung vereinfachend die Herausforderung tradierter Repräsentationsstrategien durch Ad Reinhardt und Frank Stella, das Potenzial zur Destabilisierung der Wahrnehmung in der Minimal Art und die aus der Konstitution von Differenz resultierende Medienreflexivität in der Pop Art hervorheben. Als Reinhardt in den 1950er Jahren begann, seinen Bildern eine serielle Gitterstruktur zu geben, sie ab 1960 dann gar auf das immer gleiche quadratische Format und die Farbe Schwarz (mit leichten Nuancen) reduzierte, führte er gleich mehrere Wiederholungsstrategien und Elemente in die abstrakte Malerei ein.107 Gleichzeitig wurde sein Kunstschaffen zur Wiederholung: Er minimierte seine Entscheidungsfreiheit, legte 107 | Natürlich stammen die Strategien der Monochromie, der geometrischen Abstraktion und der Gitterstruktur nicht von Reinhardt selbst, sondern haben Vorbilder in den klassischen Avantgarden. Somit gelten seine Neuerungen für die Malerei nach dem Abstrakten Expressionismus, sie wiederholen aber eine Tendenz konstruktivistischer Malerei im frühen 20. Jahrhundert. Vgl. Krauss: The Originality of the Avant-Garde, S. 157-162. Dennoch zeugt Reinhardts Verschränkung der unterschiedlichen Wiederholungsstrategien mit seiner mehrjährigen Wiederholung des (fast) gleichen Bildes, seinen oben zitierten kunsttheoretischen Statements und seiner Neubewertung des Status der Originalität seiner Bilder meines Erach-

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Format, Komposition und Farbe vorab fest und arbeitete somit immer wieder an (fast) dem gleichen Bild. Seine Wiederholungspraxis sowohl im Schaffensprozess als auch in der Bildkomposition konterkarierte den Stil wie die Dogmen des ihm zeitgenössischen Abstrakten Expressionismus. Dessen Action Paintings – vom formalistischen Kritikerlager für ihre Flachheit und Originalität, vom existenzialistisch geprägten Lager für ihren Aufführungscharakter und ihre Spontaneität gelobt – setzte Reinhardt größtmögliche Reduktion entgegen. Auch von der Farbfeldmalerei, in deren Tradition er gegen seinen Willen rezipiert wurde, entfernte er sich. Farbfeldmaler wie Mark Rothko und Barnett Newman setzten oft leuchtende und kontrastierende Farben ein, um Atmosphären zu schaffen und um Raum und Betrachter einzunehmen, während Reinhardt sich auf Monochromie verlegte. In seinen »Art as Art«-Statements formulierte er das Streben nach einer reinen Kunst, die sich der Repräsentation vollkommen verweigert. Er suchte dem Bild als Bild eine Chance zu geben, indem er sich gegen jene Freiheiten entschied, für die der Abstrakte Expressionismus stand. Stella folgte ihm mit ähnlichem Impuls: »What you see is what you see«108 lautete seine Devise, die darauf abzielte, seinen Bildern keine Bedeutungen zuzuschreiben, die außerhalb derer zu finden sind. Weder verweisen seine geometrischen Strukturen auf eine externe Realität, noch sollen sie zu Rückschlüssen auf seine Persönlichkeit führen. Sie bedeuten vielmehr, was sie sind: materielle und ästhetisch strukturierte Gegebenheiten im Raum. Die serielle Reihung seiner schwarzen Streifen hat dabei den Effekt, ein sich selbst erschöpfendes Ordnungsprinzip auf den ersten Blick sichtbar und durchschaubar zu machen und so der Wahrnehmung des Bildes in seiner Materialität Raum zu geben. Die Arbeiten beider Maler zeugen also vom Anspruch, ihren Verweischarakter – und sei es der Bezug auf die Subjektivität des Künstlers – zu tilgen. Die Materialästhetik, die Reinhardt und Stella in ihren Bildern zu betonen suchten, rückte mit den Objekten der Minimal Art noch weiter in den Vordergrund. Hatte schon Stella und vor ihm unter anderem Robert Rauschenberg mit seinen Combine Paintings die Bildträger in die Dreidimensionalität geöffnet, so waren die Gegenstände der Minimal Art altens von einer neuen Sensibilität im Umgang mit der Wiederholung, die aus der Abgrenzung von der ihm zeitgenössischen Action- und Farbfeldmalerei entstand. 108 | Frank Stella in Glaser: Questions to Stella and Judd, S. 158.

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lesamt offensichtlich Objekte im Raum. Deren industrielle Herstellung unterwanderte den individuellen Selbstausdruck des Künstlers konsequent; eine ›Handschrift‹ war lediglich in Konzeption und Arrangement auszumachen. Die Installation der Objekte folgte dabei häufig seriellen Strukturen. Um sich die Arbeiten zu erschließen, mussten sich die Betrachterinnen im Raum bewegen, verschiedene Perspektiven einnehmen und vergleichen. Die Serialität in Form von Abwechslung, Reihung oder Spiegelung geometrischer Objekte evozierte einen Rhythmus, der die Wahrnehmung beeinflusste und zu einem multisensorischen Eingebundensein führte. Die Inszenierung der Minimal Art weist dabei Parallelen zu ihr zeitgenössischen theatralen Phänomenen auf. Allerdings geschieht dies eben nicht im Rahmen einer Illusionstheaterästhetik, die auf ungebrochene Repräsentation setzt, wie Michael Fried es der Minimal Art vorwirft, wenn er deren Maskierung moniert. Vielmehr eignet der Minimal Art eine Qualität, die das experimentelle Theater dieser Zeit bzw. Performance Art und Happening gerade erst für sich entdecken: Die Destabilisierung der Betrachterwahrnehmung mittels der Ausstellung und Betonung des Zwiespaltes von Materialität und Zeichenhaftigkeit. Mit der Pop Art kehrte die Gegenständlichkeit in die US-amerikanische Avantgardekunst zurück. Alltagsgegenstände, Konsumgüter, Superstars und Comicfiguren sowie die Ästhetik ihrer massenmedialen Verbreitung fanden ihren Weg auf die Leinwand. Dabei ging es nicht darum, die Gegenstände neu zu interpretieren, sondern die Wiederholung ihrer gängigen Repräsentationen stand im Vordergrund. Andy Warhols mittels der Technik des Fotosiebdruckes durchgeführte bildimmanente Wiederholungen suchen Differenz gar nicht erst zu verschleiern, sondern werfen die Betrachter vielmehr qua Abweichung auf die Materialität der Bilder zurück. Die Fehlerhaftigkeit, die Warhol im Siebdruckprozess zulässt und herausfordert und die sich von der kommerziellen Verwendung des Verfahrens unterscheidet, betont die Prozesshaftigkeit des Druckvorganges und eröffnet den Betrachterinnen die Möglichkeit des Vergleichens. Ein weiteres Spannungsfeld zwischen populärer Reproduktionstechnik und Image führte Roy Lichtenstein mit seinen Comicadaptionen vor: Er malte seine Bilder mit der Hand, imitierte aber mit dem Malen von Rasterpunkten ein Druckverfahren. Seine intermediale Übersetzung nicht nur eines Bildinhaltes, sondern auch der Spezifik eines anderen Mediums betont die mediale Differenz und macht diese sinnlich erfahrbar. Wie in Warhols Siebdrucken wird der Konflikt von automatisierter Re-

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produktionstechnik und manueller Spur auffällig und vermag eine Reflexion über die involvierten Medien, deren (Un-)Sichtbarkeiten und deren Widerstreit im Übersetzungsprozess einzuleiten.

III. Performance und Wiederholung

Die bildende Kunst der US-amerikanischen Neo-Avantgarde begann sich in den frühen 1950er Jahren zunehmend in Handlungsvollzüge aufzulösen. Schon die Action Paintings der Abstrakten Expressionisten und deren Deutung durch Harold Rosenberg, der die Leinwand als »arena in which to act«1 charakterisierte, legten den Fokus auf den Akt des Künstlers und dessen Nachvollzug, der aus dem Betrachter einen Zuschauer machte. Etwa zeitgleich kam es am Black Mountain College in North Carolina zu künstlerischen Aktionen, bei denen nicht nur die Malerei, sondern ebenfalls Skulptur, Literatur, Musik und Tanz lediglich durch time brackets 2 strukturiert zum Ereignis wurden. So stand in Untitled Event (1952) der Prozess der Aufführung im Vordergrund, schließlich folgten die einzelnen Beiträge keiner Narration und wurden willkürlich kombiniert. Die Beteiligten, nämlich der Initiator John Cage, der Tänzer und Choreograf Merce Cunningham, der Maler Robert Rauschenberg, der Pianist David Tudor und die Lyriker Mary Caroline Richards und Charles Olson führten unterschiedliche Handlungen simultan aus, ohne aufeinander Bezug zu nehmen. So verlasen sie Texte, schütteten Wasser von einem Eimer in den anderen oder tanzten durch die Gänge. Zudem kamen technische Medien zum Einsatz: Rauschenberg projizierte Dias und Filmausschnitte 1 | Rosenberg: The American Action Painters, S. 25. 2 | Time brackets sind ein von John Cage eingeführtes System, um Musik oder andere Aktionen jenseits klassischer Notationssysteme zu strukturieren. Sie geben lediglich einen Zeitraum vor, währenddessen die Interpreten die Möglichkeit haben, ein (Klang-)Ereignis zu beginnen und zu beenden. Dabei können sie innerhalb der klar definierten Zeitspanne die Dauer flexibel gestalten. Vgl. John Cage über den Einsatz von time brackets in U NTITLED EVENT (1952) in Richard Kostelanetz: Conversing with Cage, New York: Limelight 1988, S. 103f.

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an die Decke und spielte außerdem Schallplatten auf einem Grammofon ab, während Cage eine Sinfonie mit Radio aufführte. Die referenzielle Funktion der Arbeit trat hinter deren Ereignishaftigkeit zurück, die Zuschauerinnen und Zuschauer wurden im Akt der Bedeutungsstiftung auf die Selbstreferenz der Geschehnisse zurückgeworfen: Weder stellten die Beteiligten Figuren dar, noch vermittelten sie eine Geschichte oder präsentierten Handlungen, denen ein konkreter Verweischarakter zukam.3 Eine vergleichbare Struktur wiesen die Happenings der späten 1950er Jahre auf, deren Handlung ebenfalls »[n]on-dramatic« 4 war. Dabei schuf Cages Schüler Alan Kaprow mit 18 Happenings in 6 Parts (1959) in der New Yorker Reuben Gallery, dem ersten öffentlichen Happening, ein zentrales Ereignis, dem zahlreiche Kunstaktionen in den folgenden Monaten und Jahren ihren Namen verdankten. Wie im Untitled Event fanden mehrere Aktionen simultan statt, hier allerdings in drei unterschiedlichen Räumen, auf die das Publikum verteilt war und zu bestimmten Zeiten aufgefordert wurde, den Platz zu wechseln. Auch hier wurden Dias projiziert, wurde vorgelesen, musiziert und gemalt. Die Darsteller führten die Handlungen aus, sie spielten aber keine Rolle im Sinne der Bühnenfiktion einer traditionellen Theateraufführung. Der Performancetheoretiker und Performer Michael Kirby macht den Unterschied zwischen Theater und Happening an der Dichotomie acting vs. not-acting fest: »Acting means to feign, to simulate, to represent, to impersonate. As Happenings demonstrated, not all performing is acting. Although acting was sometimes used, the performers in Happenings generally tended to ›be‹ nobody or nothing other than themselves; neither did they represent, or pretend to be in, a time or place different from that of the spectator.« 5

3 | Vgl. Marvin A. Carlson: Performance. A Critical Introduction, 2. Aufl., London/New York: Routledge 2004, S. 104; Erika Fischer-Lichte: »Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Weg zu einer performativen Kultur«, in: dies./Friedemann Kreuder/Isabel Pflug (Hg.): Theater seit den 60er Jahren. Grenzgänge der NeoAvantgarde, Tübingen/Basel: Francke 1998, S. 1-6. 4 | Carlson: Performance, S. 104. 5 | Michael Kirby: »On Acting and Not-Acting«, in: Gregory Battcock/Robert Nickas (Hg.): The Art of Performance. A Critical Anthology, New York: Dutton 1984, S. 98.

III. Per formance und Wiederholung

Die Gegenüberstellung von theatraler Repräsentation einer fiktiven Welt und der Selbstreferenz der Happenings6 verdeutlicht die Qualität dieser Kunstaktionen, die Ereignisse hervorbrachten, die die referenzielle Funktion von Aufführungen unterwanderten, welche im zeitgenössischen Theater im Vordergrund stand. Und doch gibt es Überschneidungen mit dem Theater. So weist Marvin Carlson darauf hin, dass 18 Happenings in 6 Parts einem minutiösen Plan folgte: »[L]ike many such events, [it, J.K.K.] was scripted, rehearsed, and carefully controlled. Its real departure from traditional art was not in its spontaneity, but in the sort of material it used and its manner of presentation.« 7 Die traditionell dem Theater zugeschriebene Inszenierung – also die auf Wiederholbarkeit angelegte Planung der Aufführung – war demnach auch ein Merkmal vieler Happenings. Zwar entstand durch die Verweigerung, konkrete Bedeutungen zu erzeugen, die über das sicht- und erfahrbare Geschehen hinausgingen, der Eindruck von Spontaneität. Tatsächlich war es aber vielmehr die Betonung der Selbstreferenz von Handlungen, die mit den zeitgenössischen Theaterkonventionen radikal brach. Die chaotisch anmutenden Aktionen und Happenings der späten 1950er und frühen 1960er Jahre, in denen Alltagshandlungen und Objekte in Szene gesetzt wurden, lassen sich zwar im Kontext der Pop Art und deren Hinwendung zur Darstellung von Alltagsrealität verorten. Sie weisen auf den ersten Blick hingegen gar keine Parallelen zu den reduktionistischen Tendenzen der seriellen Ästhetik der Minimal Art auf. Dennoch führt Mel Bochner in seinem Text The Serial Attitude Kaprows 18 Happenings in 6 Parts als Beispiel für die Häufung serieller Phänomene auf: »An odd ›free‹ utilization of series was Allan Kaprow’s 18 Happenings in 6 Parts. His initial set was capriciously chosen – seven smiles, three crumpled papers and nineteen lunch box sounds. […] The arrangement of sounds will be 3, 12, 7, 8, 10, 6 | Kirby betrachtet dabei im Verlauf seines Essays On Acting and Not-Acting den Unterschied zwischen Spiel und Nicht-Spiel in der Aufführungssituation viel differenzierter, als das Zitat oben verdeutlicht. Er stellt eine Skala auf, mittels derer er zahlreiche Abstufungen vornimmt. Vom not-acting führt diese über nonmatrixed performing, nonmatrixed representation, received acting, simple acting und complex acting zum acting. Vgl. ebd., S. 98-117. 7 | Carlson: Performance, S. 105.

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2, 15, 6, 1, 13, 5, 18, 4, 19, 17, 9, 14. While being a completely arbitrary use of row technique it does present an interesting possibility for the routinization of spatio-temporal events.« 8

Bochner zeigt, dass dem Anschein von Chaos hier eine Ordnung zugrunde liegt. Diese lässt sich zwar als Reihenbildung ausmachen, folgt aber keinem nachvollziehbaren System, sondern ist anscheinend willkürlich gesetzt. Es offenbart sich ein Zwiespalt: Einerseits ist das Happening nicht so spontan und chaotisch, wie es anmutet, sondern beruht auf klaren Strukturen. Andererseits eignen diesen Strukturen keine Logik und Kohärenz, ihr Ergebnis unterscheidet sich somit für die Rezipientin nicht von der Strukturlosigkeit. Der Arbeitsprozess ist dennoch ein ganz anderer. Das Happening folgt strikten Regeln, diese lassen sich für den Betrachter lediglich nicht identifizieren. Die Experimente am Black Mountain College und die Happenings Kaprows, aber auch diejenigen von Claes Oldenburg, Jim Dine, Red Grooms und Robert Whitman lassen sich als Vorläufer der Performance Art betrachten, die sich in den späten 1960er Jahren als neues Genre etablierte. Viele Minimal- wie Pop-Künstler erweiterten ihr Kunstschaffen um Environments und Ereignisse. So mietete Oldenburg in der Lower East Side ein ehemaliges Möbelgeschäft an und simulierte einen Gemischtwarenladen, den er »Ray Gun Mfg. Co.« taufte (The Store, 1961-1962) und in dem seine Pop Art-Objekte in Form von Waren wie Lebensmitteln oder Kleidung arrangiert waren. Auch fanden hier unter dem Titel »Ray Gun Theater« zahlreiche Happenings statt, die Oldenburg 1962 in seinen Notizen als »play of consciousness in reaction to certain objects«9 klassifizierte. »This differs from conventional theater in that the communication is less fixed … more in doubt … there is a sequence but no plot or given relation of the events and objects as they occur […].«10 Oldenburg betonte die Rolle seiner Objekte, mit denen in lose geplanten Szenen und unter möglicher Einbeziehung des Publikums umgegangen wurde.

8 | Bochner: The Serial Attitude, S. 31. 9 | Claes Oldenburg zit.n. Coosje van Bruggen (Hg.): Claes Oldenburg. Nur ein anderer Raum [Ausstellungskatalog], Frankfurt a.M.: Museum für Moderne Kunst 1991, S. 26. 10 | Ebd.

III. Per formance und Wiederholung

Meine folgenden Betrachtungen der US-amerikanischen Performance Art der 1960er und 1970er Jahre möchte ich in Anlehnung an die Kunsthistorikerin und Kuratorin RoseLee Goldberg auf jene Phänomene konzentrieren, die auf Grenzüberschreitungen bildender Künstler zurückzuführen sind.11 So schreibt Goldberg: »It was in the 1960s that an increasing number of artists turned to live performance as the most radical form of art-making, irrevocably disrupting the course of traditional art history and challenging the double-headed canon of the established art media – painting and sculpture.« 12 Diese Entwicklung hin zur Aktionskunst brachte in den USA neben den oben genannten HappeningKünstlern aus dem Umfeld der Pop Art unter anderem auch Robert Morris aus dem Umfeld der Minimal Art, Dennis Oppenheim aus dem Umfeld der Concept Art, die derzeit mit Neo-Dada assoziierte Künstlerin Carolee Schneeman sowie Yvonne Rainer, Lucinda Childs, Trisha Brown und Steve Paxton aus dem Umfeld des Modern Dance zur Performance. Die letztgenannten Tänzerinnen und Choreografinnen hatten sich in Anna Halprins Tanzworkshops in Kalifornien, zum Teil auch in Robert Dunns Kompositionsklasse im Merce Cunningham Studio in New York kennengelernt und prägten gemeinsam mit anderen das Judson Dance Theater, das zwischen 1962 und 1964 in der Judson Memorial Church am 11 | Marvin Carlson weist zu Recht darauf hin, dass die Rückführung neo-avantgardistischer Performances auf die Aufführungen der historischen Avantgarden wie Futurismus, DADA und Bauhaus sowie die Interpretation von Performance als medialer Erweiterung der Artefakte bildender Künstler eine Verkürzung und Verfälschung der Performancetraditionen darstellt. Er lenkt den Blick auf die Vorläufer aus anderen Traditionen wie dem Zirkus, der mittelalterlicher Spielkultur oder der Minstrelshow. Vgl. Carlson: Performance, S. 84ff. Meine Fragestellung aber, die von dem Interesse geleitet ist, ästhetische Wiederholungsstrukturen in den Aufführungen der New Yorker Downtown-Szene zu untersuchen, legt nahe, Performances zu betrachten, die im Zuge der Entgrenzung der Künste von bildenden Künstlerinnen und Künstlern aufgeführt wurden. Zudem werde ich auf die Grenzüberschreitungen darstellender Künstlerinnen und Künstler aus dem Umfeld des Modern Dance eingehen, deren Performances und Choreografien im Rahmen und in Folge der Judson Church Group von unterschiedlichen ästhetischen Wiederholungsstrategien gekennzeichnet waren. 12 | RoseLee Goldberg: Performance. Live Art Since the 60s, London: Thames & Hudson 1998, S. 15.

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Washington Square beheimatet war. An ihren Performances und dance concerts waren unter anderem auch Rauschenberg, Jasper Johns, Morris und Dine beteiligt. Rauschenberg und Johns lassen sich somit nicht nur als Vorreiter der Pop Art klassifizieren, sondern sie nahmen ebenfalls früh Einfluss auf die sich in den 1960er Jahren etablierende Performance Art und deren interdisziplinären Charakter. Rauschenberg arbeitete zwischen 1954 und 1964 für die Cunningham Dance Company. Er konzipierte und fertigte während dieser Zeit fast alle Bühnenbilder und Kostüme für die Company und war zudem ab 1961 deren Stage Manager und Beleuchter.13 Johns übernahm 1967 bis 1972 die Rolle des Artistic Directors in der inzwischen renommierten Cunningham Dance Company und entwarf in den kommenden Jahren Bühne und Kostüme für zahlreiche Inszenierungen. Zudem regte Johns die Zusammenarbeit der Company mit Morris, Frank Stella und Andy Warhol an. Während sich Johns’ Interesse an den Aufführungen auf deren Ausstattung konzentrierte, wurde Rauschenberg auch als Performer und Choreograf aktiv. Er nahm 1960 und 1961 an Dunns Kompositionsklasse teil, trat als Performer auf und begann zudem ab 1963 eigene Tänze zu choreografieren. 1966 lieferte er mit der Technologie-Performance Open Score einen Beitrag zu dem Festival 9 Evenings: Theater and Engineering, das er gemeinsam mit dem Elektroingenieur Billy Klüver initiiert und organisiert hatte. Rauschenbergs Performance beinhaltete unter anderem ein Tennisspiel (Stella war einer der Spieler), bei dem die Schläger mit Kontaktmikrofonen ausgestattet waren. »So erfüllte jeder Schlag den Armory-Saal mit einem lauten ›Bong‹ und löschte zugleich jeweils eines der 48 Lichter aus, die das Spielfeld erleuchteten. Sobald es völlig dunkel war, betraten etwa 700 Personen die Armory, welche von den Zuschauern nur mit Infrarot-Kameras sichtbar gemacht werden konnten, die das Erscheinen der Personen auf große Leinwände projizierten. […] Nachdem die Kameras abgeschaltet und die 700 Menschen verschwunden waren, trat Rauschenberg selber mit Simone Forti Whitman auf, die in einen Leinwandsack gehüllt war 13 | Vgl. Gail B. Kirkpatrick: Tanztheater und bildende Kunst nach 1945. Eine Untersuchung der Gattungsvermischung am Beispiel der Kunst Robert Rauschenbergs, Jasper Johns’, Frank Stellas, Andy Warhols und Robert Morris’ unter besonderer Berücksichtigung ihrer Arbeiten für das Tanztheater Merce Cunninghams, Würzburg: Königshausen & Neumann 1996, S. 36.

III. Per formance und Wiederholung

und von Rauschenberg getragen wurde. Er bewegte sich zögernd vorwärts, bis ein kleines Scheinwerferlicht in dem riesigen Saal auf ihn fiel. Seine Partnerin begann nun, mit leiser, hoher und klagender Stimme zu singen. Dann trat der Künstler mit seiner geheimnisvollen Last ab und Open Score endete in völliger Stille und Dunkelheit.«14

Rauschenbergs Open Score vereinte somit Elemente der MultimediaPerformance, die in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle spielen sollte, mit jenen theatraler Großereignisse sowie der Body Art, die an die Performances Vito Acconcis und Chris Burdens denken lassen. Rauschenberg nahm mit dieser Aufführung zahlreiche künstlerische Strategien späterer Performancekünstler vorweg und collagierte sie.

Postmoderne und Performance Das Aufkommen der Performance Art fällt mit dem Beginn der kulturhistorischen Epoche der Postmoderne zusammen, als deren Ausgangspunkt die kulturellen und politischen Umbrüche in den USA der 1960er Jahre gelten: Die Performance exemplifiziert die der Epoche paradigmatisch zugeschriebene Entgrenzung der Künste. Der Literaturwissenschaftler Ihab Hassan stellt in einer Merkmalliste zur Abgrenzung von Moderne und Postmoderne den der Moderne zugeordneten Stichwörtern »Art Object/Finished Work«15 die die Postmoderne charakterisierenden Phänomene »Process/Performance/Happening«16 gegenüber. Die einer postmodernen Ästhetik zugeschriebenen Aspekte der Offenheit, Kontingenz, Intertextualität, Multi- und Intermedialität, Selbstreferenz sowie Vereinigung populärer Kultur und elitärer Kunst lassen sich auf das neue und viele Spielarten umfassende Genre übertragen. Dennoch ist die Beziehung von Postmoderne und Performance komplizierter, als die historische Nähe und offensichtliche Verwandtschaft beider Phänomene nahelegen. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass trotz der ästhetischen Vielfalt der Performance Art, die sich seit den 1970er Jahren abzeichnet (Feministische Performance, Multimedia-Performance, Autobiografische 14 | Ebd., S. 84. 15 | Ihab Hassan: »POSTFACE 1982. Toward a Concept of Postmodernism«, in: Stanley Trachtenberg (Hg.): Critical Essays on American Postmodernism, New York: Hall 1995, S. 87. 16 | Ebd.

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Performance, Interkulturelle Performance etc.), mit dem Begriff ›Performance‹ nach wie vor häufig die Body Art gleichgesetzt wird. Diese Variante der Performance rückt den Performerkörper in seiner Unmittelbarkeit und Verletzlichkeit in den Vordergrund und verzichtet in der Regel auf illusionistische und narrative Momente. Die Liveness der real präsenten und flüchtigen Körperlichkeit der Performerinnen und Performer steht im Zentrum der Betrachtungen und führte und führt zu einer Theoretisierung, die – wie Carlson aufzeigt – in der Tradition der klassischen Moderne und der formalistischen Kritik zu verorten ist. Dies mag überraschen, setzte Michael Fried doch das Theater bzw. die Theatralität mit dem Ende moderner Kunst gleich.17 Doch Carlson weist darauf hin, dass »Fried’s rejection of ›theatricality‹, interpreted in the case of performance as a rejection of the narrative, discursive, mimetic quality of traditional theatre, fitted in well with a growing interest in non-narrative, non-discursive, non-mimetic performance, concerned with the immediate experience of an event«.18 Die frühe Theoretisierung der Performance war also von einem Essentialismus gekennzeichnet, der auf die Einmaligkeit der Aktionen sowie auf die Präsenz der Performer abhob, die sich von der Fiktion der auf Wiederholbarkeit angelegten Theateraufführung unterscheiden. Noch in den 1990er Jahren betont Peggy Phelan die Einmaligkeit der Performance, wenn sie konstatiert: »Performance in a strict ontological sense is nonreproductive.«19 Indem Phelan Performance auf die flüchtige Präsenz des Performerkörpers reduziert und jegliche Möglichkeit der Repräsentation und Reproduktion negiert, schreibt sie das modernistisch-formalistische Paradigma in der Tradition Clement Greenbergs und Frieds fort und schließt gleichzeitig ein produktives Verhältnis von Performance und Wiederholung aus. Einer anderen Lesart werden hingegen Performances unterzogen, die sich der typisch postmodernen Strategie des double-coding zuordnen lassen. Als der Architekt und Architekturtheoretiker Charles Jencks den Begriff 1975 in die Postmoderne-Debatte einführte, bezog er ihn auf die Doppelstruktur postmoderner Architektur, die moderne und klassizistische Stilelemente kombinierte und sich einer verspielten und ana17 | Vgl. Kapitel II, S. 103f. 18 | Carlson: Performance, S. 141f. 19 | Phelan: Unmarked, S. 148.

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chronistischen Ästhetik bediente, die sowohl ein elitäres Publikum von Architekturexperten als auch die Massen begeisterte.20 Linda Hutcheon entwickelte das Konzept in den 1980er Jahren weiter und macht es für die kulturellen Phänomene aller Medien fruchtbar. Sie befindet, »that postmodernism is a fundamentally contradictory enterprise: its art forms (and its theory) at once use and abuse, install and then destabilize convention in parodic ways, self-consciously pointing both to their own inherent paradoxes and provisionality and, of course, to their critical or ironic re-reading of the art of the past«.21 Die Auseinandersetzung mit und die Variation und Kombination von ästhetischen Strategien der Vergangenheit führte zu neuen Praktiken der Verdopplung und Kopie, der Collage, der Parodie, des Pastiches und des Zitates, die den unterschiedlichen Gattungen und Hybridformen postmoderner Kunst als dominante Strategien zugeschrieben werden. Während Hutcheon dieser Entwicklung kritisches Potenzial zugesteht, wird die Zitathaftigkeit postmoderner Kunst von anderen infrage gestellt. So bezweifelt Fredric Jameson nicht nur, dass postmoderne Reproduktionsstrategien der Logik der kapitalistischen Konsumgesellschaft widerstehen können,22 sondern er bezichtigt die Kunstschaffenden in den 1980er Jahren zudem der Einfallslosigkeit: »[T]he writers and artists of the present day will no longer be able to invent new styles and worlds – they’ve already been invented; only a limited number of combinations are possible; the unique ones have been thought of already. […] Hence, once again, pastiche: in a world in which stylistic innovation is no longer possible, 20 | Charles Jencks: The New Paradigm in Architecture. The Language of PostModernism, 7., überarbeitete Aufl., New Haven/London: Yale University Press 2002, S. 19: »On the one hand, architecture is as conservative as spoken language (we can still understand Renaissance English); and, on the other, as revolutionary and esoteric as modern art and science. The result is that architecture is radically schizophrenic, and this fact leads directly to the Post-Modern strategy of double-coding. […] Post-Modernists design buildings with mixed languages that recognize the basic duality. Put another way, there are two forms of getting to know architecture.« [Herv. i.O.]. 21 | Linda Hutcheon: A Poetics of Postmodernism. History, Theory, Fiction, London/New York: Routledge 1988, S. 23. 22 | Vgl. Jameson: Postmodernism and Consumer Society, S. 20.

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all that is left is to imitate dead styles, to speak through the masks and with the voices of the styles in the imaginary museum. But this means that contemporary or postmodernist art is going to be about art itself in a new kind of way.« 23

Diese Form der Selbstreferenz postmoderner Kunst deutet Jameson als schweres Erbe der klassischen Moderne und ihrer radikalen ästhetischen Neuerungen. Seinen Zeitgenossen wirft er eine rückwärtsgerichtete nothing new-Mentalität vor, die keine Überraschungen birgt. Die viel beachtete Doppelstruktur des performativen Zitates, das das Wiederholte festschreiben oder unterwandern kann, hat sich bis heute als zentrale Analysekategorie postmoderner Wiederholungsstrategien erwiesen. Die folgenden exemplarisch untersuchten Performances zeigen allerdings, dass die dem double-coding entsprechende Parodie nur ein Beispiel zahlreicher Wiederholungsverfahren in der Performance Art ist. Entgegen Phelans Überzeugungen fällt auf, dass Performances nicht nur sehr wohl aufgezeichnet und dokumentiert werden können, sondern Performancekünstlerinnen bereits seit den 1960er Jahren mit Verfahren technischer Reproduktion (wie Robert Morris in 21.3 und Dan Graham in Present Continuous Past(s)) und Serialität (wie Trisha Brown in Primary Accumulation) arbeiteten und sich gezielt und in großer Komplexität mit Wiederholung als Reproduktionsverfahren und Strukturmerkmal von Performance auseinandersetzten. Meine Analysen sind dabei den spezifischen Potenzialen der Aufführung von Wiederholung gewidmet, von denen ausgehend ich abschließend die Unterschiede und Gemeinsamkeiten artefaktischer und verkörperter Wiederholungsstrategien herausarbeiten werde.

III.1 A GAINST I NTERPRE TATION : R OBERT M ORRIS ’ 21.3 (1964) Robert Morris führte seine Soloperformance 21.3 1964 im New Yorker Surplus Theatre auf. Sein Auftritt beinhaltete einen kunsthistorischen Vortrag, der ein dreistufiges System der Bedeutungszuschreibung vorstellte und explizierte. Dabei wiederholte Morris die Worte eines Anderen: Der Vortragstext war Studies in Iconology entnommen, einer Aufsatzsamm23 | Ebd., S. 7.

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lung des deutschen Kunsthistorikers Erwin Panofsky, die 1939 aus dessen Mary Flexner Lectures am Bryn Mawner College hervorgegangen war. Morris betrat die Bühne, auf der sich lediglich ein Stehpult mit Mikrofon und ein Beistelltisch mit Wasserkaraffe und Glas befanden, und begab sich hinter das Pult. Er trug einen grauen Anzug, ein weißes ButtonDown-Hemd mit Krawatte und eine große dunkle Brille (Abb. 10): »He adjusts his glasses, he drops his left hand, he feels his chin momentarily, and then he begins his lecture. The words come haltingly, echoed by a tape recording of the speech, which moves in and out of synchronization.« 24 Morris wiederholte nicht lediglich Panofskys Vortrag Wort für Wort, sondern sprach zudem lippensynchron eine Toneinspielung des Vortrages mit: »When an acquaintance greets me on the street by removing his hat, what I see from a formal point of view is nothing but a change of certain details within a configuration that forms part of the general pattern of color, lines, and volumes which constitute my world of vision. When I identify, as I automatically do, this as an event (hat-removing), I have already overstepped the limits of purely formal perception and entered a first sphere of subject matter or meaning.« 25

Dabei stammte die Tonaufnahme nicht von Panofskys Vortrag, sondern war eine von Morris eingesprochene Version, auf der neben seinem Sprechen auch Geräusche wie das Einschenken eines Getränkes, Schlucken, Räuspern und das Rascheln von Papier zu hören waren. Morris glich seine Bewegungen mit den Geräuschen des Vortrages ab, konstituierte dabei aber immer eine intendierte minimale Differenz. Er füllte sich fast zeitgleich mit dem Geräusch des Einschenkens Wasser in sein Glas, räusperte sich in etwa an den entsprechenden Stellen, blätterte seinen Text ungefähr zeitgleich weiter. Die Skriptseiten seines Vortrages weisen mehrere hundert Vermerke wie »›look at ceiling‹«26 oder »›bend over text‹«27 auf, die ihm den Einsatz zu den Bewegungen diktierten. Nach etwa zehn

24 | Maurice Berger: Labyrinths. Robert Morris, Minimalism, and the 1960s, New York: Harper & Row 1989, S. 1. 25 | Ebd. 26 | Ebd., S. 2. 27 | Ebd.

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Minuten endete die Lecture Performance, Morris verbeugte sich und verließ die Bühne.28 Morris’ Performance weist gleich mehrere Wiederholungsstrategien auf: Zum einen wiederholt er einen Vortrag Panofskys, zum anderen wiederholt er fast lippensynchron eine eigens erstellte Tonaufnahme, die ihrerseits bereits Panofskys Vortragstext wiederholt. Dabei erzeugt er ebenfalls leicht versetzt die Nebengeräusche der Tonaufzeichnung, indem er die Gesten und Bewegungen vollzieht, die diese Geräusche hervorbrachten. Der Kunsthistoriker Maurice Berger charakterisiert 21.3 als Parodie,29 und somit als Wiederholungsverfahren, das in der Regel mit verspottender Nachahmung gleichgesetzt wird. Hutcheons Definition von Parodie als »repetition with difference«30 allerdings, die sie in ihrer Theory of Parody vornimmt, erweist sich hier als besonders fruchtbar, legt sie doch den Fokus auf die kritische Distanz, die mittels der Parodie hervorgebracht werden kann:31 »There is nothing in parodia that necessitates the inclusion of a concept of ridicule, as there is, for instance, in the joke or burla of burlesque. […] A critical distance is implied between the backgrounded text being parodied and the new in28 | Grundlage der Beschreibung von Morris’ 21.3 bilden Maurice Bergers Analyse der Performance (vgl. ebd., S. 1-4) und die von Babette Mangolte aufgezeichnete Rekonstruktion der Performance mit Michael Stella und der Originaltoneinspielung von 1964 mit der Stimme von Morris. Vgl. Babette Mangolte: Four Pieces by Morris (1993), 16 mm-Film, Farbe, mit Ton, 94 min. 29 | Vgl. Berger: Labyrinths, S. 4. 30 | Hutcheon: A Theory of Parody, S. 32. 31 | Hutcheons Definition von Parodie weist dabei in Bezug auf ihre Abkehr von der verhöhnenden Wiedergabe eines Originals Übereinstimmungen mit Jamesons Definition von Pastiche überein, den er als dominantes ästhetisches Wiederholungsverfahren postmoderner Kunst charakterisiert. Dabei steht Jameson dem Phänomen allerdings viel negativer gegenüber und stellt dessen subversives Potenzial infrage: »Pastiche is, like parody, the imitation of a peculiar or unique style, the wearing of a stylistic mask, speech in a dead language: but it is a neutral practice of such mimicry, without parody’s ulterior motive, without the satirical impulse, without laughter, without that still latent feeling that there exists something normal compared to which what is being imitated is rather comic.« Jameson: Postmodernism and Consumer Society, S. 5 [Herv. i.O.].

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corporating work, a distance usually signaled by irony. But this irony can be playful as well as belittling; it can be critically constructive as well as destructive.« 32

Hutcheon geht davon aus, dass durch die parodistische Dopplung von Inhalt und dessen Ironisierung Repräsentationsmuster je nach Rezeptionshaltung fortgeschrieben oder aber unterwandert werden können. Als Resultat der neuen Situierung eines Textes (oder anderer kultureller Phänomene) kann sich dessen Bedeutung verändern. In diesem Sinne bietet es sich tatsächlich an, Morris’ Performance als Parodie der von Panofsky propagierten ikonologischen Methode zu betrachten, die mittels der Erzeugung einer Wiederholung die Instabilität von Bedeutung und deren Generierung vorführt. Morris intensiviert dabei die Differenz der Wiederholung, indem er sie mittels der Verschiebung in der Synchronisation der Toneinspielung physisch erfahrbar macht. Da seine Worte mit jenen der Tonaufnahme zwar übereinstimmen, jedoch nicht sekundengenau zeitgleich gesprochen werden, entsteht der Effekt eines Echos, das mal die leise und doch nachvollziehbare Artikulation Morris’, mal dessen technisch-medialer Gegenpart bildet. »Ultimately, the clash of reduplicated voices and the intentional lapses in synchronization frustrate the spectator’s ability to render meaning from the mannered gestures or from the now-garbled text.«33 Berger beschreibt hier, wie die Verdopplung der Sprache aufgrund der kleinen Verschiebungen zu ›frustrierenden‹ Hörerlebnissen führt. Die Differenzen machen die Verdopplung auffällig und belegen diese so mit Bedeutung. Der Inhalt des Vortrages – ein Inhalt, der sich zudem mit der Konstituierung von Bedeutung auseinandersetzt – verliert an Bedeutung, wird vielleicht sogar unverständlich, da die Konzentration der Rezipierenden durch die Vortragssituation abgelenkt wird. Morris’ Vervielfältigung des Textes von Panofsky tritt in diesem Sinne nicht als Insistenz hervor, sondern vielmehr als polyfones Verwirrspiel. Morris hat sich mit Panofskys Erläuterungen zur ikonologischen Sinnbildung einen Schlüsseltext der seinerzeit gängigen kunstkritischen Praxis ausgesucht. Panofsky führt hier am Beispiel der Renaissancekunst vor, dass die Bedeutungszuschreibung in drei Schritten erfolgt. Einer

32 | Hutcheon: A Theory of Parody, S. 32 [Herv. i.O.]. 33 | Berger: Labyrinths, S. 2.

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ersten Sphäre der Bedeutung ordnet er das »Sujethafte«34 zu, das in der Feststellung von Gegenständen und der Identifikation von Personen besteht. Diesem folgt eine Bedeutungsebene, die auf der Entschlüsselung von Symbolen, Allegorien und Metaphern beruht und zu der es gegebenenfalls Expertenwissens bedarf. Diesen ikonografischen Zugängen folgt nun in einem weiteren Schritt eine Interpretationsleistung, die Panofsky als ikonologische Methode klassifiziert: Unter Berücksichtigung der analytischen Erkenntnisse werden Rückschlüsse auf die kulturhistorische Gesamtsituation im Hintergrund des Kunstwerkes geschlossen, die sich der Intention des Künstlers entziehen können.35 Als minimalistisch arbeitender Künstler erlebte Morris in den frühen 1960er Jahren die frustrierende Situation, dass Kunstkritiker sich den Objekten der Minimal Art primär abwertend näherten, ihnen gar den ästhetischen Wert absprachen. Er sah sich vermutlich auch aus diesem Grund dazu angehalten, eigene theoretische Überlegungen anzustellen. Im ersten Teil seines Textes Notes on Sculpture, der 1966 im Artforum veröffentlicht wurde, stellte er die Anwendbarkeit ikonologischer Interpretation auf die Objekte der Minimal Art infrage: »When it [present-day sculpture, J.K.K.] is discussed, it is often called in to support a broad iconographic or iconological point of view […]. The distinction is helpful, for the iconographer who locates shared elements and themes has a different ambition than the iconologist, who, according to Panofsky, locates a common meaning. There may indeed be a general sensibility in the arts at this time. Yet the histories and problems of each, as well as the experiences offered by each art, indicate involvements in very separate concerns. At most, the assertions of common sensibilities are generalizations that minimize differences.« 36

Morris schreibt der ikonologischen Methode die Negation von Differenz zu. Er kritisiert, dass die Interpretation und Verallgemeinerung die 34 | Erwin Panofsky: Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance [1939], übers. v. Dieter Schwarz, Köln: DuMont 1980, S. 30 [Herv. i.O.]. 35 | Vgl. ebd., S. 30-41. 36 | Robert Morris: »Notes on Sculpture, Part 1«, in: ders.: Continuous Project Altered Daily. The Writings of Robert Morris, Cambridge, MA/London: MIT Press 1993, S. 1.

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künstlerischen Arbeiten auf einen Inhalt reduziere und die Erfahrungen, die sie ermöglichen, außen vor lasse. Seine Objekte sowie diejenigen einiger zeitgenössischer Objektkünstler zeichnen sich seiner Meinung nach gerade dadurch aus, dass sie außerhalb einer Sphäre der Repräsentation existieren. Sie weisen nicht über sich hinaus, sondern stellen vielmehr als autonome Formen ihre Buchstäblichkeit (literalness) aus. Morris beschreibt diese Objekte als einheitliche Formen (unitary forms), die sich der herkömmlichen ikonologischen Analyse entziehen: »Sculpture involving unitary forms, being bound together as it is with a kind of energy provided by the gestalt, often elicits the complaint among critics that such works are beyond analysis. Characteristic of gestalt is that once it is established, all the information about it, qua gestalt, is exhausted.« 37 Die Objekte gäben keinen Inhalt preis und ihr Informationsgehalt erschöpfe sich in ihrer Gestalt. Morris’ Skepsis gegenüber der kunstkritischen Interpretation, seine Überzeugung, die zeitgenössische Kunst werde im Akt der Interpretation zu Unrecht vereinheitlicht, weist Parallelen zu Susan Sontags Essay Against Interpretation auf, der zwei Jahre zuvor erschienen war. Die Literaturwissenschaftlerin und Essayistin beschreibt 1964 die aktuelle Interpretationspraxis US-amerikanischer Kritiker als Intellektualisierung der Kunst, die den Weg zu ästhetischer Erfahrung verstelle: »By reducing the work of art to its content and then interpreting that, one tames the work of art. Interpretation makes art manageable, conformable.«38 Ihre Forderung nach einer Einbindung der »erotics of art«39 entspringt einer Sensibilität, die mit jener Morris’ vergleichbar ist, wenn dieser betont, dass eine Schlichtheit der Form nicht automatisch mit einer Schlichtheit der Erfahrung gleichzusetzen sei.40 Sontag beschreibt, dass viele Künstler versuchen, sich der Interpretation zu entziehen: »In fact, a great deal of today’s art may be understood as motivated by a flight from interpretation. To avoid interpretation, art may become parody.« 41 Morris setzt mit seiner parodistischen Performance nun gleichzeitig auf eine Demonstration der 37 | Ebd., S. 7. 38 | Susan Sontag: »Against Interpretation«, in: dies.: Against Interpretation, and Other Essays, New York: Farrar, Straus & Giroux 1966, S. 8 [Herv. i.O.]. 39 | Ebd., S. 14. 40 | Vgl. Morris: Notes on Sculpture, Part 1, S. 8. 41 | Sontag: Against Interpretation, S. 10.

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Sinnverweigerung und auf eine Steigerung jener Erfahrung, die der Performancesituation per se inhäriert. 21.3 als Illustration von Morris’ kunsttheoretischen Überzeugungen zu interpretieren, wäre in diesem Kontext zweifellos kontraproduktiv. Die Performance geht über die Manifestation eines Inhaltes hinaus, indem sie das Publikum überfordert und unverständliche Botschaften sendet. Morris’ Aufmachung und die Struktur seines kurzen Auftrittes suggerieren den traditionellen kunsthistorischen Vortrag eines Professors. Der Inhalt seines Vortrages geht mit Erscheinung und Setting konform, und dennoch wäre der Vortrag allein (ohne die mediale Verdopplung des Textes) in einem New Yorker off space 1964 als Parodie rezipiert worden. Zeigt sich doch schon bei den einleitenden Worten, dass das Beispiel des Hut-Ziehens zum Gruß veraltet, dessen Dekodierung bereits weniger selbstverständlich ist, als vom Vortragenden vorausgesetzt. Ein geradezu absurdes Element aber entsteht infolge der Dopplung von Vortrag und Toneinspielung, die eine Differenz von Sprechen und Stimme hervorbringt und betont sowie den Nachvollzug des Vortrages erschwert. Während Morris also ein intelligibles System der Bedeutungsstiftung vorstellt, erlebt das Publikum die Instabilität der Bedeutungszuschreibung, das Abschweifen, die Konzentration auf das Detail des Echos, des Effektes der technischen Mediatisierung, die hier als fehlerhafte hervortritt. Eine Synthese aus Gesehenem und Gehörtem wird vereitelt und die widerständige mediale Situation resultiert in der Überforderung des Publikums. Das Verstehen wird erschwert und die sinnliche Erfahrung rückt in den Vordergrund. Mittels parodistischer Verdopplung öffnet Morris eine Sphäre, die die Repräsentationslogik der auf den ersten Blick recht eindeutigen Situation auszuhebeln vermag: Bedeutungsvolle Worte werden vorgetragen, lösen sich aber in ihrer Wiederholung auf. Sinnlich erfahrbar als Sprachmaterial, das sich mal mit dessen Artikulation deckt und mal verschiebt, treten die Worte in einem Moment als Lautmaterial hervor, im nächsten wieder als zusammenhängender Text, der vom Verstehen handelt. Morris reduziert seine Performance nicht auf den Text, sondern agiert auch die Bewegungen zum Soundtrack aus. Anders als die Happenings der frühen 1960er Jahre, in denen vor allem selbstreferenzielle Alltagshandlungen vorgeführt wurden, ist Morris’ Performance offensichtlich minutiös choreografiert und widmet sich mit dem akademischen Vortrag einer Ausnahmesituation, deren vornehmliches Ziel die Erzeugung von

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Bedeutung ist, in diesem Fall gar einer Bedeutung, die vom Erzeugen von Bedeutung handelt. 21.3 führt vor, wie die Differenzen der Wiederholung Aufmerksamkeit herausfordern, Repräsentation erschweren und ästhetische Erfahrung intensivieren. Morris versetzt seine Zuschauerinnen in einen Zwischenbereich. Zwischen Sprechen und Stimme, zwischen einem historischen Text und seiner aktuellen Verkörperung sowie zwischen Liveness und Mediatisierung gerät deren Wahrnehmung ins Wanken. Die mittels der Tonaufnahme medial verstärkte Parodie führt zu einer Instabilität der Wahrnehmung, die sich mit Judith Butlers Aufführungsmodell zur Konstituierung von Bedeutung veranschaulichen lässt. Butler geht es dabei um die Bedeutungsebene des Geschlechtes, das sie als performative Konstruktion entlarvt: Die permanente Wiederholung stilisierter Akte bringe das Geschlecht als Bedeutung erst hervor, konstituiere dabei aber die Fiktion einer vorgängigen Essenz, die lediglich verkörpert werde.42 Gleichzeitig birgt die Notwendigkeit zur Wiederholung Butler zufolge ein subversives Potenzial: Die Abweichungen, die sich einschleichen oder die – zum Beispiel mittels der Parodie – bewusst hervorgebracht werden, bringen etwas anders und damit etwas Neues hervor, das jenseits der Geschlechternorm verortet sein kann.43 Morris’ Parodie macht ebenfalls den Zwischenraum der Differenz erfahrbar und arbeitet mit der Irritation des Publikums. Er stellt die planvolle Bedeutungsstiftung, wie sie Panofskys Ikonologie und dem Text seines Vortrages entspricht, infrage, indem er sie mittels leichter Verschiebungen zum Scheitern bringt. So wie bei Butler die Parodie bestenfalls enttarnt, dass gar kein der Wiederholung vorgängiges Original existiert, führt Morris’ Wiederholung vor, dass ein ahistorisches und kontextunabhängiges Modell der Bedeutungszuschreibung keine adäquate Basis für die Analyse von Kunst sein kann: Als bedeutsam wird wahrgenommen, was auffällig wird.

42 | Vgl. Butler: Performative Acts and Gender Constitution, S. 276ff. 43 | Vgl. ebd.

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III.2 A DDING U P : TRISHA B ROWNS P RIMARY A CCUMULATION (1972) Trisha Browns Primary Accumulation fand erstmals 1972 im Wadsworth Athenaeum, einem Kunstmuseum in Hartford, Connecticut, statt. Es ist nach Group Primary Accumulation (1970) und Accumulation (1971) das dritte ihrer Accumulation-Stücke, die alle eine serielle Aneinanderreihung sich wiederholender Bewegungen beinhalten. Während der gesamten Dauer der etwa 18-minütigen Performance befand sich Trisha Brown allein und in Rückenlage auf dem Fußboden. Sie trug eine locker anliegende, dreiviertellange weiße Hose, ein ebenfalls locker anliegendes weißes Oberteil und offenes, knapp schulterlanges Haar. In der Ausgangsposition waren ihre Beine leicht geöffnet, ihre nackten Füße lagen locker auf, ihre Arme waren ausgesteckt und lagen nah neben ihrem Körper. Sie lag flach auf, blickte gerade nach oben, ihr Körper war dabei parallel zum Publikum ausgerichtet. Die Tanzwissenschaftlerin Sally Banes beschreibt Browns Bewegungen in Primary Accumulation als »low-key: raise the forearm, raise the whole arm, brush hair back at the temple, turn the head to the side, lift the knee, lift the hip, bring the leg across the body, and so on«.44 Brown winkelte zuerst ihren rechten Unterarm an, sodass er senkrecht nach oben zeigte, legte ihn dann wieder ab. Sie winkelte daraufhin erneut den rechten Unterarm an, legte ihn ab, hob dann den linken Arm an, sodass dieser gestreckt senkrecht nach oben zeigte, legte ihn wieder ab. Wieder winkelte sie den rechten Unterarm an, legte ihn ab, hob den linken Arm, legte ihn ab, fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar… Die Aneinanderreihung aller insgesamt dreißig Bewegungen folgt einem seriellen Prinzip: 1 / 1, 2 / 1, 2, 3 / 1, 2, 3, 4 / 1, 2, 3, 4, 5 / usw. Wie in dem Spiel Ich packe meinen Koffer kommt ein neues Element zum Ablauf jeweils nur dann hinzu, wenn alle Elemente in der Reihenfolge ihres bisherigen Auftretens wiederholt wurden. Zwischen den einzelnen Bewegungen entstehen keine Pausen und auch der erneute Beginn der Bewegungssequenz wird nicht rhythmisch markiert. Die Bewegungen werden nicht von Musik begleitet, folgen aber einem gleichmäßigen Rhythmus. Zu hören ist lediglich, wie der Stoff von Browns Kleidung über den Boden 44 | Sally Banes: Terpsichore in Sneakers. Post-Modern Dance. With a New Introduction, Middletown: Wesleyan University Press 1987, S. 83.

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reibt. Die 29. und 30. Bewegung führen dazu, dass Brown sich jeweils um 45 Grad dreht. Abschließend wiederholt sie die gesamte Kette der dreißig Bewegungen noch drei Mal, sodass das Publikum sie von allen Seiten sehen kann und sie schließlich in einer Position ankommt, die sich nur um 45 Grad von ihrer Ausgangsposition unterscheidet. Browns Bewegungen wirken unangestrengt, unterspannt, fast beiläufig, werden aber präzise wiederholt. Das Tempo nimmt im Laufe der Performance leicht zu und die Bewegungen gehen immer fließender ineinander über. Browns Gesichtsausdruck ist konzentriert und ernst, ihr Blick ist geradeaus gerichtet, trifft bei einer Seitwärtsbewegung des Kopfes aber direkt die Blicke der Zuschauer.45 Browns Performance liegt ein klar strukturiertes System serieller Reihung zugrunde. Sie wiederholt dabei alle Bewegungen zwischen 33 Mal (erste Bewegung) und vier Mal (letzte Bewegung). Die mathematische Reihenfolge der Abläufe wird nicht durchbrochen. Es liegt auf der Hand, Parallelen zwischen Browns Performance und den seriellen Arbeiten bildender Künstler zu ziehen. Aufgrund der Abstraktion der Bewegungen, die sich nicht klar deuten oder gar verstehen lassen, wird Primary Accumulation häufig mit den abstrakten Arbeiten der Minimal Artists verglichen. So befindet Banes: »The Accumulation Pieces, like the serial variations of visual artists Sol LeWitt and Mel Bochner, are physical descriptions of ideas.« 46 Tatsächlich lässt sich Bochners Definition von Serialität, die er 1967 in seinem Essay The Serial Attitude in Hinblick auf die zeitgenössischen seriellen Verfahren in der bildenden Kunst formuliert hat, auf Browns Performance übertragen: Auch Browns Akkumulation von Bewegungen lässt sich als logisches Fortschreiten einer endlichen Reihenbildung beschreiben, in der Ausgangs- und Endpunkt klar markiert sind.47 Banes verweist zudem auf die enge Verwandtschaft von Primary Accumulation und Carl Andres bodenbezogenen Arbeiten.48 Browns 45 | Die Beschreibung bezieht sich auf eine Videoaufzeichnung von P RIMARY A CCU MULATION , die 1974 in Browns Studio in New York entstand. Vgl. Fredericka Hunter: Trisha Brown Early Works 1966-1979 (2005), ArtPix, 2 DVDs, s/w u. Farbe, mit Ton, 245 min. 46 | Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 84. 47 | Vgl. Bochner: The Serial Attitude, S. 31. 48 | Vgl. Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 84.

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Äußerung über die im Liegen ausgeführten Performances – »that was like taking the dance off its pedestal: the legs, and laying it down on the floor«49 – stellt einen weiteren Bezug zu den Objekten der Minimal Art und besonders zu Andres Bodenobjekten dar. Wie die Minimal Artists die Skulptur vom Sockel geholt und auf den Fußboden gestellt, in Andres Fall gar gelegt haben, unterwandert Brown in ihrer Performance mit dem Verzicht auf die ›Aufrichtung‹ eines der Grundprinzipien des klassischen und modernen Tanzes. Während Andre einzelne Module wie Metallplatten oder Ziegelsteine aneinanderreiht, setzt Brown auf dem Boden Bewegungssequenz an Bewegungssequenz. Yvonne Rainer, eine weitere zentrale Performerin und Choreografin, die wie Brown aus der Judson Church Group hervorging und wie diese in ihren Performances und Choreografien mit formaler Wiederholung experimentierte, stellt in ihrem Essay A Quasi Survey von 1968 Charakteristika der Minimal Art Entsprechungen in ihrem Tanz gegenüber: Während die Minimal Artists »uninterrupted surface«50 anstrebten und der »texture«51 expressiver Malerei oder Skulptur entgegensetzten, dienen den Künstlern aus dem Judson Church Umfeld »repetition or discrete events«52 entsprechend dazu, die »variation«53 expressiver Tanzformen zu überkommen. Zweifellos lässt sich eine verwandte Sensibilität in der Entwicklung beider Genres ausmachen, die die hier thematisierte Reduktion individuellen Ausdruckes betrifft. Serielle Reihungen ersetzen die Subjektivität und Expressivität des Künstlers und der Performerin mit einer systematischen und weitestgehend neutralen Struktur. Dennoch unterscheidet sich die Reihung oder Kombination abgeschlossener Objekte im Raum von jener in der Bewegungsabfolge. Die sich in der Zeit und im Raum erstreckende physische Ausführung serieller Wiederholung birgt zusätzliche Ebenen der Differenzerfahrung. In diesem Sinne charakterisiert Banes Browns Anliegen nicht als Prä49 | Trisha Brown im Gespräch mit dem Kunsthistoriker Klaus Kertess, zit n. Hunter: Trisha Brown Early Works 1966-1979, DVD [Transkription von J.K.K]. 50 | Yvonne Rainer: »A Quasi Survey of Some ›Minimalist‹ Tendencies in the Quantitatively Minimal Dance Activity Midst the Plethora, or an Analysis of Trio A« [1968], in: Battcock (Hg.): Minimal Art, S. 263. 51 | Ebd. 52 | Ebd. 53 | Ebd.

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sentation der Perfektionierung von Wiederholung, sondern vielmehr als Aufführung der »tension between the mathematical or formal precision of a movement idea and its physical distortion«.54 Browns Bewegungen sind schon ob ihrer Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption großer Kontingenz ausgesetzt. Brown bringt die Serie, die sie präsentiert, live hervor, sie entsteht in aktueller Konzentration vor den Augen des Publikums und ihr ist die Möglichkeit des Scheiterns immer schon eingeschrieben. Jede Performance liegt dem Scheitern näher als ein Artefakt, dessen Produktion unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, doch die komplexe Reihung von dreißig Bewegungen ist dem Verzählen, der Vermischung und dem Vergessen in besonders großem Maße ausgesetzt. Gleichzeitig führt der Live-Vollzug in Primary Accumulation dazu, dass die Differenzen in der Wiederholung nur erschwert nachvollziehbar sind. Schließlich sind die Wiederholungen nie simultan erfahrbar. Das serielle Prinzip konstituiert sich anders als bei verwandten Verfahren der bildenden Kunst erst in der Zeit, die Dauer der Performance spielt eine zentrale Rolle. Dabei nimmt die serielle Verfassung des Zeit-Raumes der Performance einen mit den Raumsituationen der Minimal Art vergleichbaren Einfluss auf die ästhetische Erfahrung der Rezipientinnen. 55 Wird das serielle Prinzip erkannt oder erahnt, konstituiert die Antizipation des Verlaufes einen eigenen Rhythmus, der gemeinsam mit dem Rhythmus der Performance die individuelle Zeiterfahrung strukturiert. Obwohl Primary Accumulation nicht narrativ ist und sich schnell als Illustration eines seriellen Prinzips erschließt, bleiben eine Vielzahl von Assoziationen, die der auf dem Boden liegende und agierende Körper Browns auslöst. So wird meine erste Sichtung einer Aufzeichnung der Performance von dem Versuch bestimmt, die Reihenfolge der Bewegungen zu behalten und vor der jeweils nächsten Bewegung zu erahnen, wie diese aussehen wird. Da ich als Betrachterin dabei aber die Bewegungen nicht ausführe, sondern sie in meinem Kopf nachvollziehe und dann vorherzusehen suche, gebe ich ihnen Namen, um eine Struktur zu schaffen. So speichere ich sie als Begriffe ab; sie werden in meinen Gedanken zu »halber Arm«, »Hand ins Haar«, zu »Hände Brust« oder »Hüfte hoch«. Während ich die Performance zum Test meiner Erinnerungs- und Konzentrationsfähigkeit mache, transportieren die einzelnen Bewegungen 54 | Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 85. 55 | Vgl. Kapitel II, S. 107f.

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gleichzeitig Bedeutungen, die über sie hinausgehen. Zwar stellen nur wenige Bewegungen eine klar identifizierbare Alltagsgeste nach, dennoch haben viele Ähnlichkeit mit bekannten Bewegungen oder lassen sich vor allem mit einer Stimmung oder Emotion in Verbindung bringen. Schon Browns Rückenlage evoziert die Assoziation zum Liegen in einem Bett. Zudem haben mehrere ihrer Bewegungen, wie das Öffnen der Beine, das Heben der Hüfte, das Berühren ihrer Brüste sexuelle Konnotationen. Brown selbst thematisiert die aus ihrer Position resultierenden Festschreibungen in einem Interview: »I went through a period of feeling extremely vulnerable. This position conjured up quite a few feelings which had to be dealt with right from the beginning: feeling infantile, sexual, helpless, lazy.«56 Auch Banes versucht Worte für die Stimmung zu finden, die die Accumulation-Stücke transportieren: »There is a certain sensuality in the various Accumulation Pieces, an erotic suggestion that comes more from the insistent rhythm of the sequence and the methodical articulation of the body than from any specific symbolic or literal reference.«57 Trotz der Neutralität der Bewegungen, die auf keinen eindeutigen Referenten verweisen, transportieren deren Situierung und Wiederholung eine identifizierbare intime und erotische Atmosphäre. Der Tanzwissenschaftler Ramsay Burt, der in seinem Buch Judson Dance Theater ein Kapitel der Wiederholung gewidmet hat, fasst diesen performativen Bedeutungsüberschuss der Wiederholung in folgende Worte: »What is disturbing about repetition is the way it brings into play qualities that exceed the explicit meaning of the repeated image.« 58 Der Wiederholung eignet eine exzessive Qualität, die Bedeutsamkeit auch jenseits intelligibler Bedeutung hervorbringt. Burt geht davon aus, dass jene Intensität, die eine Selbstreferenz der Bewegungen vereitelt, bereits in der Konzeption von Browns Performance angelegt ist, indem sie der Differenz Raum gibt: »Brown’s use in the 1970s of formal, repetitive structures was not intended to produce ›pure dance‹ in a high modernist way but to frame the humanness and lack of physical precision that the dancing body revealed in performance.«59 Wie Banes 56 | Trisha Brown zit.n. Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 83. 57 | Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 84f. 58 | Ramsay Burt: Judson Dance Theater. Performative Traces, London/New York: Routledge 2006, S. 143. 59 | Ebd., S. 146.

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charakterisiert er die formale Wiederholung als Abkehr vom Perfektionismus klassischer und moderner Choreografie. Schließlich stellt die Wiederholung ihre Fehlerhaftigkeit aus und bietet sich als Strukturelement dar, dem sein Scheitern häufig ganz offensichtlich eingeschrieben ist. In Browns Group Primary Accumulation (1970) und Group Accumulation (1973), in denen mehrere Tänzerinnen Bewegungsserien parallel ausführen, aber auch in Yvonne Rainers We Shall Run (1963) oder deren Trio A (1966) und zahlreichen anderen Performances, die aus der Judson Church Group und deren Umfeld hervorgingen, diente Wiederholung ganz offensichtlich dazu, Differenz erfahrbar zu machen. Abgesehen von der formalen seriellen Strukturierung der Performances, wurden dabei Bewegungssequenzen von mehreren Akteuren gleichzeitig ausgeführt und Abweichungen im simultanen Vollzug wurden augenblicklich auffällig. Rainer selbst stellt dabei in Bezug auf diese Arbeiten die Frage nach den Grenzen der Definition von Wiederholung in der Aufführung: »Naturally the question arises as to what constitutes repetition. In Trio A, where there is no consistent consecutive repetition, can the simultaneity of three identical sequences be called repetition? Or can the consistency of energy tone be called repetition? Or does repetition apply only to successive specific actions?« 60

Die Wiederholung als serielles Ordnungsprinzip oder im simultanen Vollzug von Bewegungssequenzen ist zum Charakteristikum der Tanzperformances im Umfeld der Judson Church Group avanciert. Dennoch lässt sie sich als Phänomen schwer fassen und eingrenzen und widersetzt sich der eindeutigen Festschreibung. So bleibt ihre Definition auch in Rainers Essay als Frage im Raum.

III.3 N E VERENDING S TORY : D AN G R AHAMS P RESENT C ONTINUOUS P AST (S) (1974) Dan Grahams Present Continuous Past(s) von 1974 ist eine Videoinstallation, in der die Betrachter zu den Objekten ihrer eigenen Beobachtung und somit zu (Sich-)Aufführenden werden. Sie wurde 1975 in der John Gibson Gallery in New York erstmals öffentlich gezeigt. Graham 60 | Rainer: A Quasi Survey, S. 271.

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wendete hier zum ersten Mal eine Technik von Videoaufnahme und deren zeitverzögerter Wiedergabe an, die viele seiner Arbeiten in den 1970er Jahren bestimmt.61 Die Installation entfaltet eine komplexe Raumstruktur, die Spiegelungen und Projektionen miteinander verschränkt. So sind zwei aneinandergrenzende Wände des knapp sechs Quadratmeter großen Raumes mit quadratischer Grundfläche komplett verspiegelt. Im Zentrum der weißen Wand gegenüber einer der Spiegelwände befindet sich ein großflächiger Videomonitor und über diesem eine fest installierte Videokamera, die gerade in den Raum ausgerichtet ist und deren Winkel die gesamte gegenüberliegende Spiegelfläche abdeckt. Bei Ausrichtung auf die Kamera bzw. auf den Videomonitor befindet sich rechts eine weiße Wand ohne Verspiegelung, in der eine türlose Öffnung durch einen kleinen Gang nach draußen führt. Je nach ihrer Ausrichtung im Raum sehen die Teilnehmerinnen sich gar nicht, im Spiegel verdoppelt oder aber auf dem Videomonitor, auf dem ihre Aufnahme mit einer Zeitverzögerung von acht Sekunden präsentiert wird. Somit sehen sie sich entweder live verdoppelt oder eben ein Abbild ihrer selbst aus der jüngsten Vergangenheit. Da sich Videomonitor und Kamera einer Spiegelwand gegenüber befinden, reflektieren und verschachteln sich die Projektionen endlos ineinander. Sind die Personen auf den Monitor ausgerichtet, sehen sie also nicht nur die Aufnahme von sich selbst vor acht Sekunden, sondern ebenfalls im Hintergrund die acht Sekunden alte Spiegelung ihrer selbst (somit sich selbst von hinten), noch weiter im Hintergrund die Spiegelung der Videoprojektion, die weitere acht Sekunden zurück liegt usw. In der endlosen Verschachtelung des Videoausschnittes, der sich mit jeder Spiegelung verkleinert, kommt es dabei zu einer potenzierten zeitlichen 61 | Auch in seinen sieben ebenfalls 1974 entstandenen TIME D ELAY R OOMS arbeitet Graham mit der zeitverzögerten Wiedergabe und Projektion von Raumansichten. Diese Installationen beinhalten allerdings zwei oder drei separate Räume, zu denen die Betrachterinnen und Betrachter, zum Teil auch lediglich ein Performer, Zugang haben und dort auf Monitoren und mit Zeitverzögerung sehen, was in den anderen Räumen stattfindet und wie dort die Aufnahmen des eigenen Raumes projiziert und rezipiert werden. In einigen dieser Installationen setzt Graham zudem einen Performer ein, der die Handlungen in den anderen Räumen kommentiert. Seine Stimme und seine Ansicht, die wiederum auf Monitoren die Ansicht der jeweils anderen Räume beinhaltet, werden dabei live in diese projiziert.

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Rückwärtsrichtung. Sind die Beteiligten hingegen auf die dem Monitor gegenüberliegende Spiegelwand ausgerichtet, sind sie vordergründig mit ihrer unverzüglichen Spiegelung konfrontiert, während gespiegelt im Hintergrund die zeitverzögerte Wiedergabe ihrer Rückansicht immer weiter zeitversetzt geschachtelt sichtbar ist (Abb. 11).62 Graham hat mit Present Continuous Past(s) also ein Szenarium geschaffen, das mit dem Betreten einer oder mehrerer Personen unweigerlich zur Performance wird: Die Beteiligten betrachten sich und einander live und in endloser Wiederholung. Gleichzeitig werden sie zum Objekt ihrer Betrachtung und der Betrachtung aller anderen Beteiligten. Da sie dabei die Standpunkte wechseln, aus dem und in den Fokus der Kamera treten und sich ihnen weitere Personen zugesellen können, die sich ebenfalls im Raum bewegen, den Fokus der Kamera betreten, verstellen, verlassen können, gestaltet sich ihr Vervielfältigungsprozess überaus dynamisch und komplex. In den verschachtelten Spiegelungen können mehr oder weniger Personen zurückgeworfen werden, als sich aktuell im Raum befinden, woraus die Schichtung von Reflexion der Gegenwart und Projektion der Vergangenheit (und deren Reflexionen) in einem dichten Geflecht von Zeitebenen resultiert, welche den Raum strukturieren und die Wahrnehmung bestimmen. Dabei kann die gegenwärtige Spiegelung je nach Standpunkt und Perspektive die Spiegelung der Videoprojektion und damit vergangener Präsenz beinhalten. So nehmen die Beteiligten sich und andere nicht in endloser Vervielfältigung wahr, wie sie bei der Gegenüberstellung zweier Spiegel evoziert wird, sondern ihnen wird mit den Spiegelungen der Projektionen auch ihre (mit zunehmender Schachtelung der Bildausschnitte immer fernere) Vergangenheit gespiegelt. RoseLee Goldberg weist darauf hin, dass dabei via Antizipation auch die Zukunft eine Rolle spielt: »The viewers therefore would see before them what they had recently performed but also knew that any further actions would appear on the video as ›fu-

62 | Meine Beschreibung von P RESENT C ONTINUOUS PAST (S) bezieht sich unter anderem auf die Darstellungen von und Auseinandersetzungen mit der Installation in den veröffentlichten Texten Grahams, RoseLee Goldbergs und Birgit Pelzers, aus denen ich im Folgenden zitiere, und auf von mir gesichtetes Bildmaterial. Ich selbst habe die Installation nicht live gesehen und somit auch ihre Transformation zur Performance nicht erlebt.

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ture time‹.«63 Die Funktion der Spiegelwand, die sich im rechten Winkel zur Monitorwand befindet, beschreibt Graham als »present-time view of the installation as if observed from an ›objective‹ vantage exterior to the viewer’s subjective experience and to the mechanism that produces the piece’s perceptual effect«.64 Da dieser Spiegelwand keine Reflexions- oder Projektionsfläche gegenübergestellt ist, bietet ihre Betrachtung also eine aktuelle Übersicht der Raumsituation, deren Fokus nicht auf den zeitverzögerten Projektionen liegt. Wie in Warhols bildimmanenten Siebdruckserien, die teilweise eine inflationär anmutende Aneinanderreihung der Images beinhalten, werden in Grahams Installation Porträts wieder und wieder technisch reproduziert. Gilles Deleuzes Beschreibung »wie die Malerei der Pop-art das Abbild, das Abbild des Abbilds usw. voranzutreiben vermochte, bis hin zu jenem äußersten Punkt, an dem es sich verkehrt und zum Trugbild wird«,65 lässt sich auch auf den Abbildungsprozess in Grahams Rauminstallation übertragen: Der Blick in den Spiegel oder auf den Videomonitor ist hier auch ein Blick auf eine ganze Reihe von Abbildern, die sich auf gegenwärtige oder auf vergangene Bilder beziehen. Sie lassen sich insofern als Trugbilder charakterisieren, als dass sie Gegenwärtigkeit simulieren, jedoch mit Vergangenheit gespeist sind. Je nachdem, wie sich die involvierten Personen ›aufführen‹, wird die Zeitverzögerung mehr oder weniger sichtbar, bei statischer Positionierung vielleicht gar nicht auffallen. Mehr noch als Warhols serielle Siebdrucke bietet sich hier der Vergleich zu dessen Film Outer and Inner Space von 1966 an. Der 16-mmFilm zeigt Edie Sedgwick, die vor einem Fernseher sitzt, auf dessen Bildschirm ein vorab aufgenommenes Video ihrer selbst läuft. In der Videoaufnahme ist Sedgwick vom Betrachterstandpunkt aus links positioniert. Sie ist im Profil zu sehen und nach rechts ausgerichtet. Es wirkt, als würde sie mit einer Person rechts im Off des Fernsehmonitors sprechen. Die zweite Edie Sedgwick, die sich im Film vor dem Fernseher befindet, 63 | RoseLee Goldberg: Performance. Live Art 1909 to the Present, London: Thames & Hudson 1979, S. 104. 64 | Dan Graham: »Video in Relation to Architecture«, in: Doug Hall/Sally Jo Fifer (Hg.): Illuminating Video. An Essential Guide to Video Art, New York: Aperture Foundation 1990, S. 186. 65 | Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 365.

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ist hingegen im rechten Bildausschnitt des Filmes positioniert und nach links ausgerichtet. Obwohl sie sich vor dem Monitor befindet, entsteht teilweise der Eindruck, sie sei mit ihrem Videobild im Gespräch. Die Multiplikation Sedgwicks wird mittels der Präsentation des Filmes weiter zugespitzt: Der Film ist zwei Filmrollen von jeweils 33 Minuten lang, und beide werden simultan nebeneinander, beide mit Ton projiziert: links die erste Rolle, rechts die zweite. Zu sehen sind somit vier Abbilder von Sedgwick, die zum Teil alle zeitgleich sprechen. Present Continuous Past(s) und Outer and Inner Space sind sowohl die Vervielfältigung von Abbildern und die Kombination zweier unterschiedlicher Reproduktionsverfahren als auch die Simultaneität unterschiedlicher Zeitlichkeiten gemein. Während in Warhols Film die Protagonistin mit ihrer vergangenen Videoaufnahme konfrontiert wird, das Publikum gar zwei Variationen eines Doppelporträts und somit vier unterschiedliche Zeitstränge vor sich sieht, sind die Performer und Betrachterinnen in Grahams Szenarium mit als Spiegelung erfahrenem Live-Abbild und mehreren Videoprojektionen vergangener Situationen konfrontiert. Im Unterschied zum Filmpublikum sind sie direkt in das Geschehen involviert, nicht nur Zuschauer, sondern gleichzeitig Teil der Performance. Tatsächlich steht die Spiegelung für die zeitgleiche Reproduktion, Wiedergabe mehr denn Wiederholung. Dennoch unterläuft Grahams Installation die Erfahrung von Unmittelbarkeit und bringt ein Reproduktionsszenarium hervor, dem die Kunsthistorikerin Birgit Pelzer Überwachungscharakter zuschreibt: »Through repetition, Graham locks the spectator into the fiction of a closed and self-contained time loop where everything is retained, recorded and controlled, producing a distinct unease in the viewer. What the work sets out is that there is no possible experience of one’s own self that is not mediated.«66 Die Teilnehmerinnen an Present Continuous Past(s) können den Raum nur betrachten, indem sie sich selbst betrachten, gleichzeitig können sie sich selbst nur durch den Raum, mittels der Spiegelung oder Projektion, wahrnehmen. Die häufig mit der Performance Art in Verbindung gebrachte Präsenzerfahrung wird hier vereitelt, da die Vermittlung im Vordergrund steht und der live anwesende Körper als Medienprodukt er66 | Birgit Pelzer: »Double Intersections. The Optics of Dan Graham«, in: dies./ Mark Francis/Beatriz Colomina: Dan Graham, London/New York: Phaidon 2001, S. 53.

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fahren wird. Graham selbst beschreibt seine Rauminstallationen, die mit Spiegelung und zeitverzögerter Projektion arbeiten, als Gegenentwurf zum Unmittelbarkeitsethos der 1960er Jahre: »A premise of 1960s modernist art was to present the present as immediacy – as pure phenomenological consciousness without the contamination of historical or other a priori meaning. The world could be experienced as pure presence, selfsufficient and without memory. Each privileged present-time situation was to be totally unique or new. My video time-delay, installations, and performance designs use this modernist notion of phenomenological immediacy, foregrounding an awareness of the presence of the viewer’s own perceptual process; at the same time they critique this immediacy by showing the impossibility of locating a pure present tense.« 67

Grahams Räume ermöglichen eine Präsenzerfahrung anderer Art, die sich treffender als Präsenzeffekt charakterisieren lässt: Offensichtlich vermitteln sie Präsenz und präsentieren diese in diesem Zuge als medial und historisch geprägten Zustand. Zwar weist Present Continuous Past(s) der Body Art verwandte Züge auf: Die Performer stellen nichts dar, sondern lediglich sich selbst in ihrer Körperlichkeit zur Schau. Sie bringen eine Aufführung hervor, die mit ihrer Anwesenheit beginnt, ihr Abgang beendet das Geschehen. Die Aktion ist spontan und kommt ohne Requisiten, Kostüm, Text oder einen Kontext, der über den Raum hinausgeht, aus. Dennoch wird das Geschehen Phelans Anspruch einer von Unwiederholbarkeit und Verschwinden gekennzeichneten Performancesituation nicht gerecht, sondern ist ihr zum Teil gar entgegengesetzt: »Performance implicates the real through the presence of living bodies. In performance art spectatorship there is an element of consumption: there are no left-overs, the gazing spectator must try to take everything in. Without a copy, live performance plunges into visibility – in a maniacally charged present – and disappears into memory, into the realm of invisibility and the unconscious where it eludes regulation and control.« 68

67 | Graham: Video in Relation to Architecture, S. 186. 68 | Phelan: Unmarked, S. 148.

III. Per formance und Wiederholung

Doch Present Continuous Past(s) wird von Wiederholungsstrategien der Spiegelung und der Video-Reproduktion bestimmt und ein Verschwinden des anwesenden Körpers wird durch dessen endlose mediale Wiederkehr unterwandert. Die Wiederholung bei Graham vereitelt die Erfahrung reiner Präsenz, denn jeder Augenblick kehrt unendlich oft wieder und kann mehrfach und unterschiedlich wahrgenommen werden: Er wird als Spiegelung erfahren, nach acht Sekunden auf dem Videomonitor wiederholt, dann erneut gespiegelt, die Spiegelung wird Teil einer weiteren Videoaufnahme, die ebenfalls zeitverzögert wiederkehrt, erneut gespiegelt wird usw. Graham inszeniert hier unweigerlich eine Variation der Ewigen Wiederkunft des Gleichen und der Augenblick gewinnt ob seiner Unendlichkeit an Gewicht. Wird bei Friedrich Nietzsche der Augenblick zum Exzess, da er die Konkretisierung des Undenkbaren (der Ewigen Wiederkehr des Gleichen) beinhaltet, so findet bei Graham eine verwandte Grenzüberschreitung statt: Auch hier gewinnt der Augenblick als unfassbare Größe an Bedeutung. Er präsentiert sich als hintergründige Variation, deren unendliche Schachtelung unvorstellbar ist. Bei Nietzsche initiiert die Zeitstelle des Augenblickes schöpferische Prozesse, da die augenblicklich erfahrene Größe des Gedankens Ewiger Wiederkunft nach einer Einstellung, ja einer Existenzform verlangt, die erst geschaffen werden muss. Grahams Installationen evozieren keinen derart existentiellen Umbruch, doch initiieren sie den kreativen Umgang mit ihren räumlichen Gegebenheiten: Ihre Wiederholungsstrukturen schaffen Möglichkeitsräume, die eine unendliche Fülle von Performances beinhalten.

III.4 W IEDERHOLUNG In den Performances Robert Morris’, Trisha Browns und Dan Grahams lassen sich drei dominante Wiederholungsphänomene ausmachen: So haben sich aufführungsimmanent Verdopplung und die serielle Reihung von Bewegungs-, Text- oder Lautmaterial als Strukturmerkmale erwiesen. Auf produktionsästhetischer Ebene hingegen ist die Reproduktion mittels technischer Medien bzw. deren Synchronisation zentrales Wiederholungsverfahren. Die hier untersuchten Performances sind dabei keine Einzelfälle, sondern lediglich Beispiele einer großen Anzahl vergleichbar

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strukturierter oder hervorgebrachter Kunstereignisse ab Mitte der 1960er und während der 1970er Jahre in den USA. Die Doppelstruktur der fast simultanen Übersetzung, wie sie in Morris’ parodistischer Lecture Performance 21.3 auftrat, kennzeichnet ebenfalls Vito Acconcis Performance Two Track, die der New Yorker Künstler 1971 in der kanadischen A Space Gallery aufführte. Hier saß Acconci zwischen zwei Vorlesenden und wiederholte den kompletten Text, den ihm sein Gegenüber aus dem Roman The Big Sleep von Raymond Chandler vorlas. Zeitgleich hörte er der weiteren, seitlich von ihm positionierten Vorleserin zu, die aus Mickey Spillanes Roman I, the Jury vortrug. Auf Zuruf einer weiteren Person im Off unterbrach er seine Wiederholung des Chandler-Romans und versuchte stattdessen wiederzugeben, was soeben aus dem Spillane-Buch vorgelesen worden war (Abb. 12).69 Auch Dennis Oppenheims Performances seiner Transfer Drawings (1971-72), während derer Oppenheim auf dem Rücken seiner Kinder bzw. seine Kinder auf dessen Rücken eine Zeichnung anfertigten, die diese bzw. dieser gleichzeitig auf Papier nachvollzogen, eignet ein Moment der leicht zeitverzögerten Verdopplung, die mit der Wiederholung immer auch deren Differenz offenbart (Abb. 13).70 Serielle Reihungen, wie sie Browns Accumulation Pieces auszeichnen, finden sich in zahlreichen weiteren Performances und Choreografien, die aus dem Umfeld der Judson Church Group hervorgingen. So beinhaltet Yvonne Rainers We Shall Run (1963) eine repetitive Schrittfolge, die von zwölf simultan rennenden Performerinnen und Performern ausgeführt wurde. Ihr Trio A (1966) bietet neben sich wiederholenden Bewegungsfolgen deren Reihung durch den simultanen Vollzug mehrerer 69 | Vito Acconci erinnert sich nicht an die Titel der Romane von Chandler und Spillane, gibt aber die genannten als die wahrscheinlichsten an [Emailkorrespondenz von J.K.K. mit Jean Coleman, derzeit Archivarin Acconcis, am 24.12.2010]. 70 | 1971 fanden mehrere TRANSFER D RAWINGS mit Oppenheim und seinen Kindern statt. So zum Beispiel das 2-S TAGE TRANSFER D RAWING in zwei Teilen, bei dem Oppenheim seinem Sohn Erik auf den Rücken zeichnete, und sein Sohn Erik auf seinen Rücken zeichnete. Im selben Jahr vollzog Oppenheim Performances nach dem gleichen Muster mit seiner Tochter Chandra. Zudem entstand ebenfalls 1971 die Performance A F EEDBACK S ITUATION, bei der Dennis und Erik Oppenheim zeitgleich auf dem Rücken des jeweils anderen die gleiche Zeichnung anzufertigen versuchten. 1972 kam es zum THREE S TAGE TRANSFER D RAWING mit beiden Kindern.

III. Per formance und Wiederholung

Performer. Als Serie lassen sich auch zahlreiche Atelier-Performances Bruce Naumans, wie zum Beispiel Walking in an Exaggerated Manner Around the Perimeter of a Square (1967-68), charakterisieren, in der er prononciert und wiederholt eine auf dem Boden abgeklebte quadratische Fläche abschritt und somit ein Quadrat an das nächste reihte. Nauman lebte und arbeitete zwar in Kalifornien, wurde aber ab 1968 von dem New Yorker Galleristen Leo Castelli vertreten und beeinflusste seit den späten 1960er Jahren auch die New Yorker Kunstszene. Die in Grahams Present Continuous Past(s) vorgenommene technische Reproduktion der Anwesenden mittels Videoaufnahme und deren zeitverzögerter Wiedergabe ist nur eines von vielen Beispielen von Performances, die sich technisch-medialer Vervielfältigungsstrategien bedienten. So integrierte Brown schon 1966 in ihre Performance Homemade einen Filmprojektor, der auf ihrem Rücken angebracht war und in den Raum projizierte. Dabei zeigte der Film eine bereits vergangene Performance jener Bewegungsabfolge, die sie zeitgleich vollführte, lediglich trug die projizierte Version ihrer selbst dabei keinen Filmprojektor auf dem Rücken. Die Projektionen bewegten sich mit Browns Körper im Raum und boten dem Publikum die Möglichkeit, die Live-Performance mit der aufgezeichneten Version abzugleichen. In Robert Whitmans Prune Flat, das 1967 in der New Yorker Film-Makers’ Cinematheque stattfand, wurden auf die live agierenden Performer Aufnahmen ihrer selbst bzw. auf die Leinwand im Hintergrund Filmsequenzen projiziert, die simultan von den Performern direkt vor der Leinwand ausagiert wurden. Und auch Joan Jonas nutzte das Prinzip der Live-Verdopplung in ihren Performances. So hatte das Publikum ihrer Performance Funnel (1974) die Möglichkeit, das Geschehen entweder live oder aber als Live-Übertragung auf einem Monitor zu verfolgen. Dieses Verfahren des closed-circuit-Videos, einer Anordnung, bei der Aufnahmemedium und Wiedergabemedium direkt verbunden sind,71 nutzte neben Jonas auch Nauman beispielsweise in seinem Live-Taped Video Corridor (1970), in dem die Betrachterinnen mit irritierenden Live-Aufnahmen ihrer selbst konfrontiert wurden. Wie in Grahams Spiegel- und Video-Installationen wurden die Zuschauer hier zu Objekten ihrer Wahrnehmung und die Betrachtung wurde zur Performance.

71 | Vgl. Lehmann: Kunst und Neue Medien, S. 54.

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Ein verwandtes Wiederholungsverfahren, das hier bisher nicht thematisiert wurde und aufgrund des Fehlens eines strukturellen und nachvollziehbaren ästhetischen Momentes der Wiederholung nicht weiter betrachtet werden soll, stellen jene Performances der 1960er und 1970er Jahre dar, die auf Handlungsanweisungen basieren. Diese avancierten schon im Fluxus zu einer neuen Spielart der Kunst und erfreuten sich im Rahmen der Concept Art erneuter Popularität. Vergleichbar mit Sol LeWitts Wall Drawings (1968-2007), die nur als Handlungsanweisungen von ihm geschaffen wurden und nach seinen Vorgaben nachvollzogen werden können, entwarfen Künstlerinnen und Künstler Performances, die sich erst im Nachvollzug ihrer Anweisungen konkretisierten. Auch hier ist Nauman als zentraler Vertreter zu nennen, der beispielsweise mit seinem Body Pressure (1974) zu einer Performance aufrief, die das Pressen des Performerkörpers an eine Wand beinhaltete. Yoko Ono hatte schon 1962 mit Go Walking eine Performanceanweisung geschaffen, die ihre Teilnehmer dazu anhielt, eine imaginäre Landkarte mit einem Zielort und dem Weg dorthin zu zeichnen. Die Karte sollte anschließend auf die reale Straßensituation übertragen, ihre Weganweisungen trotz Hindernissen befolgt werden. Die Strategie der Verkörperung schriftlicher Anweisungen lässt sich dabei als intermediale Übersetzung klassifizieren, beinhaltet aber keine Möglichkeit, die Wiederholung als ästhetisches Moment oder Verfahren zu isolieren und konkret zu untersuchen. Verdopplung, serielle Reihung und technisch-mediale Reproduktionsverfahren kennzeichnen auch die artefaktischen bzw. installativen bildenden Künste der 1960er und 1970er Jahre. Dennoch gibt es gravierende Unterschiede. Zwar lässt sich für die Serialität in der bildenden Kunst wie auch für die verkörperte Serialität der Anspruch der Minimierung von individuellem und virtuosem Ausdruck konstatieren. So wurden die seriellen Wiederholungen im Umfeld der Judson Church Group vergleichbar vehement der Expressivität und Metaphorik des Modern Dance entgegengesetzt, wie sich die Maler nach dem Abstrakten Expressionismus von dessen Expressivität zu befreien suchten. Doch zielten die im zweiten Kapitel untersuchten seriellen Kompositionen Frank Stellas und der Minimal Artists konsequent auf eine Entsubjektivierung derer Bilder und Objekte ab und sind schon aus diesem Grund nicht mit den subjektiven Verkörperungen von Serialität – wie sie zum Beispiel in Browns Accumulation-Stücken stattfanden – vergleichbar. Es hat sich gezeigt, dass die Reduktion des subjektiven Ausdruckes bei Stella in Arrangements resul-

III. Per formance und Wiederholung

tierte, die sich augenblicklich erschließen, während die sich in der Zeit erstreckende serielle Reihung ebenjene Betrachtungsdauer fordert, die der Maler zu vermeiden suchte. Auch hat die Analyse von Browns Primary Accumulation ergeben, dass trotz der Reduktion des Ausdruckes und der mathematischen Logik der Komposition angesichts der präsenten Körperlichkeit der Performerin ein performativer Überschuss entstand, der bei den Zuschauerinnen zu assoziativen Bedeutungszuschreibungen führte. Jene Selbstreferenz, die den Bildern Ad Reinhardts und Stellas eignet, wird in der Performance also schon ob jener Kontingenz, die der Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption geschuldet ist und eine Emergenz von Bedeutungen fördert, erschwert. Ebendiese instabile Wahrnehmungssituation erlaubt hingegen den Vergleich verkörperter Serialität mit den Objekten der Minimal Art, denen aufgrund der Dauer und Rhythmik, die sich in deren Rezeption ergeben können, durchaus performative Züge eignen. Die doppelte Lesbarkeit, die Juliane Rebentisch den Minimal-Objekten aufgrund deren Oszillierens zwischen Material- und Zeichenhaftigkeit zuschreibt,72 lässt sich auf die Performance übertragen. Hatte doch Browns Primary Accumulation – trotz ihrer Anlehnung an ein mathematisches Prinzip – Assoziationen transportiert, die in einem Spannungsverhältnis mit der präsenten Materialität von Browns Körper resultierten. Die Verdopplung, die die Pop Art sowie die ihr zeitgenössischen gegenständlichen Kunstströmungen nutzten, weist hingegen Parallelen zu Morris’ parodistischer Verdopplung des Panofsky-Vortrages auf. So wie die werkimmanenten Verdopplungen besonders die Differenzen der intermedialen Übersetzung (Roy Lichtenstein) oder der ›fehlerhaften‹ Anwendung (Andy Warhol) des technischen Reproduktionsverfahrens, das sie hervorbrachte, betonen, macht auch Morris mittels der zeitversetzten Wiedergabe des Vortrages die Differenz zwischen dessen Inhalt und seiner Ausführung fruchtbar. In beiden Fällen – der bildenden wie der aufführenden Kunst – werden die Widrigkeiten und die aus diesen resultierenden Differenzen sinnlich erfahrbar und übersteigen die Bedeutung ihres Gegenstandes. Im Falle von Warhols Siebdrucken rückt das technische Reproduktionsverfahren in seiner Materialität in den Vordergrund. Wie in Grahams Rauminstallation Present Continuous Past(s) spielt auch hier die Abweichung eine zentrale Rolle. Während bei Graham die 72 | Vgl. Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 55.

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Verzögerung der Videoprojektion eine Irritation in die Selbstreflexion der Teilnehmenden einschreibt, die Gegenwart gleichzeitig als von Vergangenem geprägt sowie die Zukunft antizipierend auftritt, irritiert bei Warhol die Spur des Reproduktionsmediums die Darstellung seines Gegenstandes und vereitelt die reibungslose Repräsentation. Und dennoch unterscheidet sich die Performance der Wiederholung vom ihr verwandten Artefakt. Haben die Wiederholungsverfahren der bildenden Kunst in Pop wie Minimal Art dazu geführt, die Materialität als widerständige und medial geprägte hervorzubringen und dem Inhalt entgegenzusetzen, so ist der Körper – zentrales Medium der Performance – weitaus unverfügbarer: Die ›Fehler‹ und ›Ungenauigkeiten‹ in der Reproduktion, die ›unsauberen‹ Abläufe und unvorhersehbaren Entwicklungen, die der Live-Situation geschuldet sind, vermögen Differenz in größerer Intensität erfahrbar zu machen. Morris’ Vortrag wird trotz verständlicher Sprache ob der Verzögerung der Wiedergabe als ›Kauderwelsch‹ wahrgenommen, da die Vortragssituation das Publikum an die Grenzen seiner Aufmerksamkeit führt. Der Wahrnehmung aufgeführter Wiederholungsstrategien eignet dabei ob ihrer multisensorischen Einbindung ein besonders großes Potenzial, die Zuschauer in einen Schwellenzustand zu versetzen. Zwischen Körper und Reproduktionsmedium, zwischen Bewegung und deren Wiederholung, zwischen Reflexion und Projektion verlieren Wahrnehmungsmuster an Stabilität. Die Verkörperung der Wiederholung in der Performance führt dazu, dass Repräsentationsverfahren scheitern, Bedeutungen jenseits intelligibler Botschaften hervorgebracht werden und sich zwischen Ähnlichkeit und Differenz ein liminaler Raum öffnet. Die im ersten Kapitel herausgearbeitete Theater- und Aufführungsmetaphorik moderner und postmoderner Wiederholungskonzepte findet somit in der Performance Art ein angemessenes Spielfeld. Zudem haben die untersuchten Beispiele von Performances, die sich ästhetischer Wiederholungsstrategien bedienen, gezeigt, dass der modernistische Mythos der Einmaligkeit, Unmittelbarkeit und Unwiederholbarkeit von Performances nicht haltbar ist. Vielmehr widerspricht die Rede vom reinen Ereignen der Performances deren dominanten Verfahren und den Intentionen zahlreicher Performancekünstlerinnen. Dass deren Wiederholungsverfahren von Differenz gekennzeichnet sind, erlaubt keineswegs den Schluss, dass die Wiederholung nicht stattfindet, sondern lässt sich im Zuge der poststrukturalistischen Theoriebildung vielmehr dem

III. Per formance und Wiederholung

Befund zuschreiben, dass Differenz und Wiederholung als untrennbare Größen zu denken sind. Neben den strukturellen Wiederholungsverfahren der Verdopplung und seriellen Reihung begleiteten Film und Video die US-amerikanische Performance Art bereits seit Mitte der 1960er Jahre sowohl als ästhetische Übertragungs- bzw. Reproduktionsmittel während der Aufführung wie auch als Aufzeichnungsmedien, die zu deren Dokumentation dienten. Die Charakterisierung von Performance als Hort authentischer, einmaliger und unmittelbarer Selbstveräußerung erweist sich somit als Erzählung, die der Fortschreibung modernistischer Paradigmen diente, nicht aber die Realität der Performancepraxis der 1960er und 1970er Jahre in New York wiedergibt. Zwar erwiesen sich die Performances in Bezug auf deren Vermarktung widerständiger als künstlerische Artefakte, dennoch lassen sie sich nicht außerhalb einer Sphäre der Kommodifizierung situieren. Gerade die Fähigkeit der Performancekunst, andere Medien zu integrieren, erlaubte den Performancekünstlern die komplexe Einbindung technischer Reproduktionsverfahren, deren Medialität sich nicht von der jeweiligen Performance trennen lässt.

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IV. Die Inszenierung der Wiederholung

Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte das Literaturtheater ungebrochen die US-amerikanische Theaterlandschaft und das New Yorker Theater erschöpfte sich weitestgehend in der Unterhaltungskultur des Broadways. Ab den 1960er Jahren (und vereinzelt schon früher) aber entwickelten sich an der Westküste und vor allem in New York zahlreiche Theaterkollektive, deren ästhetische und zum Teil politische Motivation darauf abzielte, das Diktat des erzählenden Dramas zu brechen und sich von Inszenierungskonventionen zu befreien, um das Publikum unmittelbar zu erreichen. Diese Entwicklung eines experimentellen Theaters vollzog sich dabei parallel zu jener einer Off-Broadway-Szene, die sich zwar vom Broadway abgrenzte, doch dessen Organisationsstrukturen und dessen Abhängigkeit vom dramatischen Text in der Regel fortschrieb. Den Unterschied beider Bewegungen macht der Theaterwissenschaftler Arnold Aronson in seiner Geschichte des amerikanischen Avantgardetheaters an deren verschiedenen Wurzeln fest. Er beschreibt »the creation of the Off Broadway movement as a response to the economic restrictions and increasingly narrow repertoire of Broadway; and the emergence of an avant-garde out of a confluence of trends in the visual and plastic arts, new music, Beat writing, and historical and contemporary European innovations in theatre«.1 Beide Entwicklungen wiesen dabei durchaus Parallelen auf und hatten vor allem ihre inhaltliche und örtliche Distanzierung von den Broadway-Theatern gemein, die ab den 1950er Jahren zunehmend auf leichte Unterhaltung setzten. Die Off-Broadway-Theater widmeten sich somit unter anderem der Produktion von Tennessee Williams’ und Eugene 1 | Arnold Aronson: American Avant-Garde Theatre. A History, London/New York: Routledge 2000, S. 42f.

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Ästhetik der Wiederholung

O’Neills Stücken, aber auch von europäischen Dramen Jean Genets, JeanPaul Sartres und Samuel Becketts. Der dramatische Text bildete dabei den Ausgangspunkt der Inszenierungen. Das neue und von Aronson als avantgardistisch charakterisierte Theater hingegen brach konsequent mit dem Literaturtheater, arbeitete zum Teil ohne Textgrundlage, zum Teil mit poetischen Texten oder aber mit Texten zeitgenössischer Autoren, die die herkömmliche Struktur dramatischer Texte radikal unterwanderten. »Its relation to conventional theatre consisted of its use of structural components common to all performance, but the compositional attributes that accrued to Western drama, from the neoclassicism of the Renaissance through the absurdism of the mid-twentieth century were virtually absent from the avant-garde of Happenings and chance theatre and the later formalist inventions of Richard Foreman or the Wooster Group.« 2

Aronson klassifiziert hier auch die Happenings der 1950er Jahre als avantgardistische Theateraufführungen. Seine Definition stützt sich dabei auf deren Abkehr von der Repräsentation der realen Welt und auf deren Prozesshaftigkeit und Intensivierung der aufführungsspezifischen ästhetischen Erfahrungen: »It [the avant-garde theatre, J.K.K.] created an art in which the reference points were other forms of art, the creative process of the artist, and the theatrical experience itself – not the external or socalled ›real‹ world.«3 Die Selbstreferenz der Aufführungselemente trat also im Avantgardetheater in den Vordergrund, während die literarische Bezugnahme auf die Realität und damit verbundene lineare, illusionistische und psychologisch motivierte Erzählstrategien vermieden wurden. Diese wurden als erstarrte Konventionen wahrgenommen, denen es an Direktheit mangelte. So befindet der Künstler und Kulturtheoretiker Richard Kostelanetz 1968: »The literary theatre has by now become so encrusted with clichés that the words and movements of staged emotion more closely resemble archaic conventions than the immediate and intimate realities we know.«4 Das experimentelle Theater suchte ebendiese 2 | Ebd., S. 4. 3 | Ebd., S. 5. 4 | Richard Kostelanetz: The Theatre of Mixed Means. An Introduction to Happenings, Kinetic Environments, and Other Mixed-Means Performances, New York: Dial Press 1968, S. 277.

IV. Die Inszenierung der Wiederholung

Klischees zu unterwandern und sich dem Publikum mit unkonventionellen Szenen zu nähern. Die Pioniere dieses neuen Theaters waren Judith Malina und Julian Beck, die bereits 1947 in New York das Living Theatre gründeten. Malina war unter anderen von Valeska Gert, in deren Beggar Bar sie gearbeitet hatte, und von Erwin Piscator, bei dem sie an der New School studiert hatte, beeinflusst worden. Beck hingegen hatte Kunst studiert und gehörte dem Kreis abstrakt-expressionistischer Maler an. Aronson beschreibt den Einfluss der unterschiedlichen Lehrer und Weggefährten auf das Living Theatre: »From Gert came an appreciation of the exaggerated and distorted anti-naturalistic acting of expressionism; from Piscator came the notion of theatre as a force for social and political change […]. From the art world, which for Beck included acquaintanceships with Jackson Pollock, Mark Rothko, and Robert Motherwell among others, came a rejection of narrative space in painting and consequently a rejection of conventional narrative in drama, and an emphasis on process over content and product.« 5

Beck und Malina erarbeiteten einen an Antonin Artauds Schriften orientierten Schauspielstil, der sich bewusst vom derzeit dominanten Method Acting6 absetzte, und suchten mit ihren Stücken ihre politische Überzeugung auszudrücken und dem Publikum nahezubringen. Sie waren in den 1960er Jahren in der Ban-the-Bomb-Bewegung und der War Resisters League aktiv und ihre anarchistisch-pazifistische Ausrichtung spiegelte sich in der Wahl ihrer Stücke. Ihre Inszenierungen waren häufig von einer Stück-im-Stück-Struktur gekennzeichnet, welche die Grenzen zwischen 5 | Aronson: American Avant-Garde Theatre, S. 49. 6 | Die von Lee Strasberg in den 1930er Jahren begründete Schauspielmethode knüpft an die Ideen Konstantin S. Stanislawskis an und entwickelte vor allem dessen Erforschung der Psychotechnik weiter. Ziel war es, Momente der Intensität und Emotionalität zu erforschen und wiederholbar zu machen. Die Schauspieler sollten auf der Bühne nicht nachahmen, sondern auf der Basis von Erinnerungen ein Spiel entwickeln, das auf ›wahren‹ Gefühlen und Gedanken beruhte. Vgl. Heike Gäßler: »Method«, in: C. Bernd Sucher (Hg.): Theaterlexikon, 2 Bde., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1996, Bd. 2: Epochen, Ensembles, Figuren, Spielformen, Begriffe, Theorien, S. 278-280.

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Realität und Fiktion verwischte, und behandelten in dokumentarischer Manier aktuelle gesellschaftliche Themen. So spielte The Connection (1960) unter anderem mit der Lebensrealität von Drogensüchtigen und The Brig (1963) thematisierte den Alltag in einem US-amerikanischen Militärgefängnis. Nach The Brig begann das Living Theatre Mitte der 1960er Jahre ein nomadisches Dasein, bis es 1984 seinen Schwerpunkt erneut nach New York verlagerte, wo es bis heute ein eigenes Theater betreibt. 1960 prägte der Village Voice-Kritiker Jerry Talmer den Begriff ›Off Off Broadway‹, der fortan jene experimentellen Theater bezeichnete, die im Greenwich Village und im East Village entstanden. Zu ihnen zählten neben dem Living Theatre unter anderem das Café LaMaMa, das Judson Poets Theatre, das Old Reliable, das Take 3 und das Theatre Genesis. Aronson nimmt dabei folgende Zweiteilung dieser insgesamt von großer Experimentierfreude und flachen Hierarchien gekennzeichneten Downtown-Szene vor: »One branch was the formalist work to be found in performance art and the creations of Jack Smith, Richard Foreman, Robert Wilson, and others that was informed by Happenings, Cagean aesthetics, and influences from other arts […]. But another branch – the one most popularly associated with the 1960s – was founded on an Artaudian search for a non-literary theatre and a non-verbal means of communication.« 7

Die der zweiten Kategorie entsprechenden Produktionen des Living Theatre, des Open Theatre, der Performance Group, des Bread and Puppet Theatre und weiterer neuer Theater waren häufig von Artaud sowie Jerzy Grotowski beeinflusst und legten ihren Fokus in der Regel auf die kollektive Erarbeitung energetischer und zum Teil ritualhafter Aufführungen, die ihre sozialen und politischen Überzeugungen oft unter Einbeziehung des Publikums transportieren sollten. Aufführungen wie A Man Says Goodbye to His Mother (Bread and Puppet Theatre, 1968), The Serpent (Open Theatre, 1969) oder Commune (Performance Group, 1970) bezogen sich auf die gegenwärtigen Unruhen in den USA und die Gewalttaten im Vietnamkrieg. Sie lassen sich direkt der counterculture zuschreiben, der kulturellen, politisch ausgerichteten Teilhabe an Anti7 | Aronson: American Avant-Garde Theatre, S. 79.

IV. Die Inszenierung der Wiederholung

kriegs- und Bürgerrechtsbewegungen in der zerrütteten US-amerikanischen Gesellschaft. Die sozialen Unruhen in den USA erreichten ihren Höhepunkt in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren. Die von den Morden an den Kennedys und Martin Luther King geschürten Proteste galten sozialer Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung und dem Vietnamkrieg, aber auch einer wohlstandsorientierten, als prüde empfundenen Mehrheit, die für normative Gesellschafts- und Identitätsentwürfe stand. Die offensichtlich politisch und sozial motivierten Theateraufführungen beinhalteten entsprechende Konflikte nicht unbedingt narrativ, sondern suchten sie zum Teil in direkter Interaktion mit dem Publikum zu verhandeln und dieserart zu aktualisieren. Für die Untersuchung von Wiederholungsverfahren werde ich mich mit der Wooster Group und mit Robert Wilson aber jener eher formalistischen Ausrichtung des experimentellen Theaters zuwenden. Da in deren Inszenierungen der Fokus weniger auf gemeinschaftlicher und das Publikum direkt einbeziehender spontaner Aktion denn auf konkreten Absprachen beruht, lassen sie sich zum einen besser nachvollziehen. Zum anderen spielt hier die Wiederholung als ästhetische Strategie zweifellos eine größere Rolle, da viele Inszenierungen von seriellen Strukturen, die minutiöser Choreografie bedurften, wie auch von technischen Reproduktionsstrategien bestimmt werden. Offensichtlich besteht eine enge Verwandtschaft zwischen dem experimentellen Off-Off-Broadway-Theater und der damals aktuellen bildenden Kunst. Was Aronson als Avantgardetheater beschreibt, weist zahlreiche Parallelen zu dem auf, was Kostelanetz »Theatre of Mixed Means«, Theodore Shank »American Alternative Theatre« und Bonnie Marranca »Theatre of Images« tauften.8 Alle Bezeichnungen beziehen sich auf die Abkehr vom Diktat des Literaturtheaters; alle Autoren heben den Einfluss der bildenden Kunst auf das neue Theater hervor. Während Kostelanetz die Prozesshaftigkeit des neuen Theaters als Parallele zur zeitgenössischen Kunst aufführt,9 betont Theaterwissenschaftler Shank die Evokation einer neuen Rezeptionshaltung, die mit dem Eskapismus des 8 | Vgl. Kostelanetz: The Theatre of Mixed Means; Theodore Shank: Beyond the Boundaries. American Alternative Theatre, Ann Arbor: University of Michigan Press 2002; Bonnie Marranca (Hg.): The Theatre of Images, New York: Drama Book Specialists 1977. 9 | Vgl. Kostelanetz: The Theatre of Mixed Means, S. 9.

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Illusionstheaters breche: »[M]ost artists of the alternative theatre adopted a spectator-performance relationship similar to that in the visual arts. Spectators in a gallery do not lose consciousness of themselves or of the time and place of the exhibition.«10 Aronson hingegen vergleicht die Abkehr von narrativen Repräsentationsstrategien im Theater mit der Abkehr von der Gegenständlichkeit der avantgardistischen bildenden Kunst der 1950er Jahre und beschreibt die Parallelen in Bezug auf die Illusionsräume beider Systeme: »Narrative in the drama functions much as the objective image does in painting: it is an illusionistic replication of the external world framed and placed in a context so as to convince the observer of its reality, or at least of its clear connection to a recognizable and identifiable object, action, or emotion.«11

Auch die Theaterwissenschaftlerin Marranca diagnostiziert eine disziplinübergreifende Abwendung von gegenständlichen Tendenzen und geht der theatralen Hinwendung zur Abstraktion nach: »In the Theatre of Images the painterly and sculptural qualities of performance are stressed, transforming this theatre into a spatially-dominated one activated by sense impressions, as opposed to a time-dominated one ruled by linear narrative. Like modern painting, the Theatre of Images is timeless […], abstract and presentational […], often static […]; frequently the stage picture is framed two-dimensionally […]. It is the flattening of the image (stage picture) that characterizes the Theatre of Images, just as it does modern painting.« 12

So sei die Verflachung des Bildraumes, die aus dem Bruch mit traditionellen Repräsentationsstrategien resultiere, der modernen Kunst und zahlreichen Inszenierungen des experimentellen Theaters der 1960er und 1970er Jahre gemein. Die einem neuen Theater zugeschriebenen Charaktereigenschaften der Unmittelbarkeit, Prozesshaftigkeit, Selbstreferenz, Präsenz, Abstraktion und Bildhaftigkeit weisen dabei auffällig viele Parallelen zu jenen der Performance Art auf, und die von Aronson vorgenommene Einbeziehung 10 | Shank: Beyond the Boundaries, S. 4. 11 | Aronson: American Avant-Garde Theatre, S. 9f. 12 | Marranca: The Theatre of Images, S. XIIf.

IV. Die Inszenierung der Wiederholung

von Happenings und Environments in dessen Konzeptualisierung avantgardistischen Theaters lassen die Grenzen gänzlich verschwimmen. Marvin Carlson definiert ›Performance‹ am Anfang seiner diesem Phänomen gewidmeten Monografie wie folgt: »Its practitioners, almost by definition, do not base their work upon characters previously created by other artists, but upon their own bodies, their own autobiographies, their own specific experiences in a culture or in the world, made performative by their consciousness of them and the process of displaying them for audiences.«13

Auch für die Performance gilt die Abkehr von der Darstellung einer textbasierten fiktionalen Figur und ihrer Geschichte. Und auch die Performance legt ihren Fokus auf den Prozess der Hervorbringung der Aktion, nicht auf ein in sich geschlossenes Resultat. Die Grenzen zwischen beiden Genres sind zweifellos fließend und jeder Versuch einer klaren Trennung erweist sich als obsolet. Dennoch soll ein weiteres Merkmal, das Carlson aufführt – »[t]ypical performance art is solo art«14 –, in diesem Kapitel als Differenzkriterium fungieren. Die beiden im Folgenden vorgestellten und untersuchten Beispiele experimenteller Theaterinszenierungen aus den 1970er Jahren der New Yorker Wooster Group und des seit den frühen 1960er Jahren ebenfalls in New York beheimateten Regisseurs Robert Wilson, die sich durch zahlreiche ästhetische Wiederholungsverfahren auszeichnen, unterscheiden sich von den Beispielen im vorherigen, der Performance Art gewidmeten Kapitel vor allem in der Komplexität ihrer Inszenierung, der Involvierung mehrerer Darsteller und der – wenn auch zum Teil durchlässigen – Trennung von Regie und Darstellung. Hat sich zwar im letzten Kapitel gezeigt, dass die Inszenierung auch ein Merkmal der Performance Art sein kann, so wird sich dieses Kapitel Aufführungen widmen, die sich ob der Anzahl ihrer Teilnehmerinnen und Mitwirkenden, ihrer Dauer, ihrer Ausstattung und Raumsituation ungleich vielschichtigerer Inszenierungsstrategien bedienen. Dementsprechend gewinnt auch die Inszenierung und Aufführung von Wiederholungsphänomenen in diesen Ereignissen an Komplexität. Die folgenden Untersuchungen sind dabei nicht von der 13 | Carlson: Performance, S. 5. 14 | Ebd., S. 6.

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Annahme geleitet, dass die Theaterinszenierungen Elemente aus der Performance Art aufgreifen und vertiefen, vielmehr gehe ich von einer wechselseitigen Beeinflussung beider Genres aus, die zudem beide zweifellos maßgeblich von den zeitgenössischen Strömungen in der bildenden Kunst und dem postmodernen Tanz – im Falle der Wilson-Inszenierung auch von der Minimal Music – geprägt wurden. Meine Untersuchung ästhetischer Wiederholungsstrategien im experimentellen New Yorker Theater ist dabei von der Fragestellung geleitet, ob die Wiederholungsverfahren in Herstellung wie Komposition, die ein bis zwei Dekaden zuvor in der bildenden Kunst zu gravierenden Umbrüchen und Entgrenzungen geführt hatten, im Theater vergleichbare Veränderungen evozierten. Die positive Umdeutung von Wiederholung in der bildenden Kunst initiierte ein grundlegendes Umdenken in Bezug auf die Kategorien Originalität, Authentizität, Inspiration und Künstlertum. Wozu führte sie etwa fünfzehn Jahre später im Kontext des Theaters?

IV.1 W IEDERHOLUNG UND M ANIPUL ATION : R UMSTICK R OAD (1977) DER W OOSTER G ROUP Die New Yorker Wooster Group ging offiziell 1980 aus Richard Schechners Performance Group hervor. Einige Mitglieder hatten allerdings schon seit 1975 zusammengearbeitet und bis 1980 bereits vier Inszenierungen zur Aufführung gebracht. Nach Schechner übernahm Elizabeth LeCompte die künstlerische Leitung der sich neu formierenden Gruppe und zudem die Performing Garage, eine ehemalige Metallstanzerei und Besteckfabrik in der Wooster Street in SoHo, die der Wooster Group noch heute als Proben- und Aufführungsstätte dient. LeCompte, die bildende Kunst studiert hatte und zuletzt die Regieassistentin Schechners war, führte und führt bei den Produktionen der Wooster Group Regie. Rumstick Road (1977) war nach Sakonnet Point (1975) ihre zweite Produktion und bildet den Mittelteil der Trilogie Three Places in Rhode Island, die die Biografie des Darstellers Spalding Gray zum Ausgangspunkt nimmt. Während Gray und seine Mitspielerinnen und Mitspieler im überwiegend textlosen Sakonnet Point Kindheitserinnerungen in die Gegenwart übersetzten, widmet sich Rumstick Road den psychischen Problemen und dem Selbstmord von dessen Mutter Bette Gray. Der dritte Teil Nayatt School, der 1978 entstand, verknüpft die Erkrankung Bette Grays mit

IV. Die Inszenierung der Wiederholung

T.S. Eliots Stück The Cocktail Party, insbesondere mit der Figur der Celia Coplestone. 1979 folgte mit Point Judith ein Epilog, in dessen Zentrum eine Kurzfassung von O’Neills Long Days Journey into Night steht und der den Abschied von der an Gray angelehnten Figur Spud vollzieht, die alle bisherigen Produktionen dominierte. Die Bühne in Rumstick Road ist dreigeteilt.15 In ihrem Zentrum vorne steht ein schlichter, leerer Tisch. Hinter diesem befindet sich in etwa anderthalb Metern Höhe ein kleiner Raum, in dem der Techniker (Bruce Porter, später Jim Clayburgh) mit Mikrofon, Lampen, Tonbandgeräten und Verstärker ausgestattet sichtbar Toneinspielungen vornimmt sowie an einer Stelle einen Brief verliest. Von diesem Technikzentrum führen zwei Wände schräg nach hinten und bilden die inneren Seitenwände von zwei in der Grundfläche identischen, sich nach hinten verjüngenden Zimmern, die nach vorne und somit zum Publikum hin geöffnet sind (Abb. 14). Von beiden Zimmern aus führt eine innen verspiegelte Tür zu einem nur mittels der Spiegel einsehbaren Raum, der hinter und unter der Technikzentrale liegt. Im linken, leeren Raum führt zudem eine Tür von der äußeren Zimmerwand ins Off, im rechten Raum steht zeitweise ein rotes Igluzelt und an der Rückwand befindet sich ein großes Fenster, das, so es beleuchtet ist, zu einer weiteren Spielfläche weist. Die Bestuhlung für das Publikum hat die Form eines Dreieckes, dessen stumpfe Spitze der Länge des Tisches im Zentrum der Bühne entspricht und das sich zudem direkt auf dessen Höhe befindet. Die Wand- und Bodenflächen der Räume sind hell, vor den Räumen und somit unter dem Tisch erstreckt sich der dunkle Boden der Vorbühne. Die Inszenierung formiert sich unter Einbezug persönlicher Dias mit Aufnahmen aus Grays Kindheit, von Briefen seiner Eltern sowie von 15 | Meine Beschreibung aus der Perspektive des Publikums bezieht sich auf die im Archiv der Wooster Group vorliegende Videoaufzeichnung einer RUMSTICK R OAD -Aufführung, die am 15. April 1980 im American Place Theatre in New York stattfand. Der Text von RUMSTICK R OAD wurde gemeinsam mit Einleitungen von LeCompte und Gray, in denen diese den Inhalt und die Entstehung der THREE P LACES IN R HODE I SLAND -Trilogie und insbesondere von R UMSTICK R OAD skizzieren, 1978 im Performing Arts Journal abgedruckt. Vgl. Elizabeth LeCompte: »An Introduction«, in: Performing Arts Journal 3.2 (Herbst 1978), S. 81-86; Spalding Gray: »Playwright’s Notes«, in: ebd., S. 87-91; Spalding Gray/Elizabeth LeCompte: »Rumstick Road«, in: ebd., S. 92-115.

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Tonbandaufnahmen von Gesprächen, die Gray mit seinen Großmüttern sowie seinem Vater über die Krankheit und den Tod seiner Mutter geführt hatte. Spalding Gray verkörpert in einem Akt inszenierter Selbstverdopplung mit Spud eine Version seiner selbst, Libby Howes spielt die Frau, Ron Vawter den Mann und Bruce Porter betreibt in der Technikzentrale meist sichtbar die Technik. Rumstick Road gestaltet sich dabei als lose, weder zeitlich noch inhaltlich kohärente Aneinanderreihung von Szenen, die aus Improvisationen aller Beteiligten mit Grays Audio- und Fotomaterial hervorgegangen und von der Regisseurin LeCompte ausgewählt, bearbeitet und zusammengefügt worden waren. Zwar steht Grays Biografie im Zentrum der Inszenierung, doch lassen sich die Darstellerinnen und Darsteller nicht eindeutig als Figuren ausmachen, die Grays Familienmitglieder zum Vorbild haben. Vielmehr wechseln sie die Rollen und ›springen ein‹, wenn es eine Erinnerung zu verkörpern oder ein Tondokument zu synchronisieren gilt. Viele Szenen orientieren sich an den Tonmitschnitten und Diaaufnahmen, somit an fixiertem Erinnerungsmaterial, das nur begrenzten Spielraum bietet. So werden die Interviews, die Gray mit seinem Vater und seinen beiden Großmüttern geführt hatte, nicht zur Text- und Situationsvorlage der Szenen der Inszenierung, sondern die Tonaufnahmen werden eingespielt, also Abend für Abend wiederholt. Die Worte und das Sprechen seiner Verwandten werden also nicht von Darstellern repräsentiert, sondern stehen medial vermittelt für sich selbst. Die konkrete Umsetzung der Präsentation des Materials variiert dabei: So wird während einer Diavorführung ein Gespräch zwischen Gray und seiner Großmutter über ebenjene Bilder, die das Publikum sieht, lediglich eingespielt, während die Bühne in dunkles Licht getaucht ist. Bei Grays Interview mit seinem Vater hingegen sitzen Spud und der Mann nebeneinander und präsentieren eine realistische Version jener Szene, von der die Einspielung zeugt. Das Gespräch zwischen Gray und seiner Großmutter Gram Gray wiederum wird von einer surrealen Bewegungssprache begleitet, die den Inhalt des Gespräches pantomimisch und überspitzt bebildert. Ich möchte im Folgenden drei Wiederholungssequenzen in Rumstick Road genauer untersuchen und schließlich auf ihre Funktion in der Inszenierung hin überprüfen. Ich werde dabei auf das Gespräch zwischen Spud und dem Mann als Gray und dessen Vater, das Telefongespräch Spuds mit Dr. Bradford sowie einen repetitiven Tanz der Frau eingehen.

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Wiederholung als formale Imitation: Spuds Inter view mit Grays Vater Spud und der Mann stellen eine Interviewsituation nach; lautlos und lippensynchron mit der Toneinspielung sprechen sie abwechselnd in ein Handmikrofon, das an ein Tonbandgerät angeschlossen ist. Dabei ist die Imitation derart perfekt choreografiert, dass die Illusion einer live gesprochenen Szene entsteht. Erst bei ganz genauem Hinsehen und aufgrund der Tatsache, dass am Ende der Szene noch leise Gesprochenes auf der Aufnahme wiedergegeben, von den Darstellern aber nicht mehr ins Mikrofon gesprochen wird, bricht die Illusion. Anders als in Morris’ 21.3, in dem dieser die Synchronisation der Toneinspielung bewusst verzögerte, wird die Differenz hier zunächst kaum auffällig. Es stellt sich die Frage, warum die dermaßen perfektionierte Synchronisation des Sprechens, die von einem Teil des Publikums als Live-Dialog wahrgenommen wird, 16 einer imitierenden, live vollzogenen Wiederholung des Sprechens vorgezogen wird. Wir hören die Stimme von Grays Vater, seinen Sprechrhythmus, seine Intonation, seine Modulation. Die Worte gehen ihm zögerlich, beim Sprechen über den Selbstmord seiner Frau besonders schwer über die Lippen. Seine Empörung über jene Fragen seines Sohnes, die die vermeintlichen Visionen und Geistheilungen seiner verstorbenen Frau betreffen, seine Trauer um sie und sein Unbehagen der Tonbandaufzeichnung gegenüber finden sich nicht nur in seinen Worten, sondern gehen mit seinem Sprechen einher. Indem nun seine Stimme auf der Bühne wiederholt wird, verliert Vawter, der Grays Vater in diesem Moment verkörpert, ein zentrales Ausdrucksmittel. Vawter verleiht der Stimme lediglich einen Körper, dessen Gesten und Bewegungen ein der Einspielung entsprechend kohärentes Bild abgeben. Dabei wird deutlich, dass Vawter die Sprache von Grays Vater so weit verinnerlicht hat, dass sich während der Szene seine Körperhaltung, seine Atmung und seine Mimik komplett dessen vergangenen Worten unterwerfen. Selbst Gray, der Vawter in dieser Szene 16 | Die Videoaufzeichnung der Aufführung aus dem Archiv der Wooster Group beinhaltet ein anschließendes Publikumsgespräch. Hier zeigt sich eine Zuschauerin überrascht, dass das Interview nicht live gesprochen wurde. Auch David Savran verweist in seinem Buch über die frühen Produktionen der Wooster Group auf diese Täuschung des Publikums. Vgl. David Savran: Breaking the Rules. The Wooster Group, New York: Theatre Communications Group 1988, S. 98.

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in seiner Rolle als Spud gegenübersitzt und der Einspielung gemäß seine eigenen vergangenen Worte wiederholt, musste feststellen: »One night I looked across at Ron and heard my father’s voice coming out his chest. I thought Ron was actually talking. I did a double take. It was perfect illusion.«17 Der Theaterwissenschaftler David Savran beschreibt in seinem den frühen Produktionen der Wooster Group gewidmeten Buch Breaking the Rules diesen und andere Synchronisationsvorgänge in Rumstick Road als magische Wieder-Holung vergangener Momente: »Throughout Rumstick Road there runs a sense of a power of illusion far more disruptive and dangerous than that associated with the simple act of impersonation. Many times, the piece provides access to a sense of the magic of re-presentation: when the slide of Bette Gray is projected onto Libby Howes, when Ron Vawter and Spalding Gray perform the ›Interview with Dad in Chairs‹ in lip-sync so accurately that Vawter appears to some spectators really to be speaking. In an almost shamanistic way, these activities call up spirits, animating the inanimate.« 18

Die Darsteller werden ob der Wiederholung von Aspekten ihrer Vorbilder zu deren Stellvertretern. Ihre Verkörperung orientiert sich an konkretem biografischen Material und lässt sie hinter ihre Rollen zurücktreten, dabei gleichzeitig in ihrem Akt perfektionierter Imitation über sich hinauswachsen. Vawter, der als der Mann in dieser Szene für Grays Vater einsteht, ist ganz zentralen Merkmalen schauspielerischer Bühnenpräsenz beraubt: Erlaubt die Live-Situation der Theateraufführung in der Regel spontane Reaktionen – die kurze Pause, die je nach Verhalten des Publikums gesetzt wird, die ungeplante Anpassung einer Betonung an die aktuelle Atmosphäre oder die Möglichkeit, in Lautstärke wie Klangfarbe zu variieren –, so hat er in dieser Szene keinerlei Einfluss auf das Sprechen. Das Band läuft ab, und er muss die Situation gemäß unveränderbarer Parameter (er-)füllen. Und dennoch wirkt die Szene ›echt‹, Vawter scheint nicht nur zu sprechen, sondern seine Körperlichkeit und die fremde Stimme ergänzen einander bruchlos. Die Wiederholung stellt in dieser Szene eine ganz außergewöhnliche Anforderung an die Darsteller: Sie verkörpern ihre Rollen weder mit 17 | Ebd. 18 | Ebd. [Herv. i.O.].

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Brechtscher Distanz zwischen Schauspieler und Rolle, wie sie auch beispielsweise Schechner für seine Performance Group forderte, noch mit eigener psychologisch-realistischer Motivation. Stattdessen fügen sie sich der rein formalen Rollengestaltung eines technischen Imitationsvorganges, erzeugen dabei aber die Illusion eines psychologisch-realistischen Stiles. Die Wiederholung schlägt hier die klassische, dem Literaturtheater gemäße Re-Präsentation mit ihren eigenen Mitteln: Das stellvertretende ›So-tun-als-ob‹ wird so weit getrieben, dass die psychologische Motivation subvertiert und zur rein formalen Strategie wird. Der Erfolg der Szene hängt von der Perfektion der Wiederholung ihrer Ausgangssituation ab und macht die Darsteller in einer inhaltlich brisanten und hoch emotionalen Situation vor allem anderen zu Künstlern der Verstellung.

Wiederholung als Appropriation: Spuds Telefongespräch mit Dr. Bradford Während die Tonaufnahme des Interviews von Grays Vater mit dessen Wissen aufgezeichnet wurde, entstammt das knapp zehnminütige Telefongespräch Spalding Grays mit dem Psychiater von Bette Gray einem heimlichen Mitschnitt. Zwar wurde der Name des Arztes in Dr. Bradford geändert, doch entfachte die Verwendung des ›erschlichenen‹ Materials eine Kontroverse um die Persönlichkeitsrechte jener, deren Stimmen ohne ihr Wissen oder ohne ihre Zustimmung in den Aufführungen wiederholt wurden. Der Kritiker Michael Feingold schrieb 1980 in der Village Voice: »I’d like to register a vehement protest about the morality of using private documents and tapes in this kind of public performance.« 19 LeCompte hingegen legitimiert die Appropriationsstrategie als notwendigen Schritt auf dem Weg zu einer konsequenten Abkehr vom Literaturtheater.20 Savran, der LeCompte zu den Plagiats- und Missbrauchsvorwürfen befragt hat, folgert: »For LeCompte, this theft of language is far more than a convenient way of obtaining texts; it is a necessary step toward a radical confrontation of the canons of art and society.«21 Tatsächlich unterwandert diese Form der Einbindung von Material, das nicht für den Bühnengebrauch entstand, die Regeln, denen Schau19 | Michael Feingold in Village Voice vom 21. April 1980, S. 84, zit.n. Savran: Breaking the Rules, S. 95. 20 | Vgl. Savran: Breaking the Rules, S. 92. 21 | Ebd.

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spiel und Regie bislang selbst im experimentellen Theater folgten. So wurde dort die Freiheit von einer dramatischen Vorlage bisher mit dem gesteigerten, möglichst unmittelbaren Selbstausdruck der Darsteller gleichgesetzt: Diese improvisierten, reagierten auf das Publikum, spielten mit ihm und erhöhten somit die Kontingenz der Aufführung. Indem in Rumstick Road bis auf wenige Ausnahmen private Briefe und Bekenntnisse in Szene gesetzt werden, distanziert sich die Inszenierung vom literarischen Theater mit dramatischer Vorlage ebenso wie von gemeinschaftlich erarbeiteten oder improvisierten Texten. Die Wiederholung des Sprechens verleiht der Inszenierung eine formale Strenge, die den Spielraum schauspielerischen Ausdruckes und regietechnischer Einflussnahme einschränkt. Die Szene des Telefongespräches zwischen Spud und Dr. Bradford zeichnet allerdings eine andere Strategie aus als das Gespräch zwischen Spud und Grays Vater. Kam dort der gesamte Dialog vom Band, so spricht Spud beim Telefongespräch live, während die Stimme des Arztes eingespielt wird. Spud, der frontal zum Publikum auf einem Stuhl im linken Bühnenraum sitzt und zu einem Telefon greift, das neben ihm auf dem Boden steht, ist in der Wahl seiner Worte frei. Dem Gespräch ist somit die Möglichkeit der Manipulation eingeschrieben. So lässt Spuds Aussage »I’m member of a theatre company in New York City, and I’m here with the Company this afternoon, we’re at The American Place Theatre on West 46th Street«22 hellhörig werden. Ganz offensichtlich passt er seine Worte dem Ort und der Gegebenheit an, wird also bei den vorherigen Aufführungen in der Performing Garage deren Adresse genannt, im ursprünglichen Gespräch mit dem Arzt eventuell etwas ganz anderes gesagt haben. Die Antworten des Psychiaters mögen sich also dementsprechend während des ganzen Gespräches auf Fragen oder Aussagen Grays beziehen, die in der Aufführung nicht geäußert werden. Der Arzt, den Gray zu seiner Mutter befragt hatte, konnte sich kaum an Bette Gray erinnern und spricht recht allgemein über die Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung manischer Depression. Er beendet das Gespräch schließlich mit der zwiespältigen Aufmunterung: »But don’t be frightened. You may not necessarily get it – yet.«23 Die Brisanz und Grausamkeit dieser Äußerung und des gesamten Gespräches, das von 22 | Transkription der genannten Videoaufzeichnung von J.K.K. 23 | Transkription der genannten Videoaufzeichnung von J.K.K.

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einer fast absurden Ignoranz des Arztes zeugt, wird letztlich durch Spuds Haltung und Formulierungen zugespitzt. So kommt der wenig tröstliche Kommentar des Arztes scheinbar aus heiterem Himmel. Er hatte zuvor in der Annahme, Gray habe darüber gelesen, auf die genetische Prädisposition manischer Depression hingewiesen. Im aufgeführten Gespräch geht Spud gar nicht auf seine Angst vor dieser Möglichkeit ein, erfährt aber trotzdem den zweischneidigen Trost des Arztes. Geht man aber davon aus, dass der Arzt zu dieser Äußerung gereizt wurde, weil Gray unmittelbar davor gefragt hatte, wie die Chancen stünden, dass er, der sich auch depressiv fühle, die Krankheit bekäme, sieht die Situation ganz anders aus. Hier wird deutlich, welche Macht der Präsentation und dem Arrangement des Materials zukommt. Die Wiederholung der Einspielung erweist sich als instabile Größe, deren Bedeutung je nach Rahmung von Differenz geprägt ist. Zwar ist das in den Tonaufnahmen oder Briefen verwendete Material ›echtes‹ Material, dennoch – so wird in dieser Szene deutlich – steht es immer nur für die halbe Wahrheit bzw. zeigt es auf, dass ›die Wahrheit‹ in der Aufführung immer eine fragwürdige, der Komposition unterworfene Größe ist. Die Einflussnahme, die die Zusammenstellung und Präsentation des Materials nach sich zieht – dessen Reihenfolge, Rhythmisierung, Kommentierung – wird in dieser Szene zugespitzt und auffällig. So steht neben der offensichtlichen sozialen Inkompetenz des Arztes und der offensichtlichen Verletzung von dessen Persönlichkeitsrechten durch die öffentliche Verwendung der heimlichen Aufzeichnung, die manipulative Strategie der Inszenierung im Vordergrund: Anhand der Rahmung einer Wiederholung werden hier deren Instabilität sowie der Interpretationsspielraum im Umgang mit der Wiederholung auffällig.

Wiederholung als Verausgabung: Der repetitive Tanz der Frau In einer weiteren Wiederholungsszene von Rumstick Road steht Libby Howes als die Frau vor der Projektion des Hauses in der Rumstick Road und lässt ihren Oberkörper vornüber tief nach unten hängen, sodass ihre langen, offenen Haare und ihre Handinnenflächen den Boden berühren. Sie steht im Profil zum Publikum, ist barfuß und trägt ein langes, weites Kleid. Nach etwa fünf Sekunden richtet sie sich schwungvoll auf, lässt ihren Oberkörper jedoch sofort wieder tief nach unten fallen. Sie wiederholt diese Bewegung mit kurzen Unterbrechungen während der folgenden zwölf Minuten. Ihre Haare bewegen sich dabei auf und ab: Sie hän-

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gen bei der Beugung nach unten und berühren den Boden, werden bei der Aufrichtung zurückgeworfen, sodass sie sich in Verlängerung ihres Oberkörpers nach oben bewegen, schließlich bei beginnender Abwärtsbewegung kurz über ihre Schultern fallen. Howes’ sogenannter »House Dance« beginnt, kurz nachdem ein Violinsolo – der letzte Satz, die Ciaccona, aus Johann Sebastian Bachs Partita für Violine Solo Nr. 2 d-Moll (BWV 1004) – eingesetzt hat, und Howes bewegt sich im Rhythmus eines sich unablässig wiederholenden Themas in der Bassstimme, über das sich freie Variationen legen. Sie führt die Bewegungen ihres Oberkörpers derart schnell und schwungvoll aus, dass dieser pausenlos vor- und zurückgeworfen wird. Obwohl Howes also Beugung und Aufrichtung wiederholt, stellen sich offensichtliche Veränderungen ein. So wird die Bewegung schon nach etwa einer halben Minute etwas kürzer, da Howes den Oberkörper nicht mehr ganz aufrichtet, bevor sie ihn wieder vorbeugt. Nach etwa zwei Minuten verändert sie ihre Ausgangsposition leicht, indem sie den linken Fuß nach vorne setzt und ihre Bewegung in Schrittstellung fortsetzt. Ihre bisher locker schwingenden Arme werden jetzt steif vor den Körper geführt, sie legt die Hände kurz in ihren Nacken, dann auf ihren Bauch. Ihre Abwärtsbewegungen werden weniger tief, sodass ihre Haare nicht mehr den Boden berühren. Nach insgesamt etwa drei Minuten stützt sie ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ab und unterstützt ihren Oberkörper so beim Schwungholen. Wieder eine Minute später dreht sie sich zur anderen Seite, ohne die Bewegungsroutine zu unterbrechen, und setzt die Bewegungen dann, dem musikalischen Accelerando entsprechend, mit zunehmendem Tempo fort. Nach insgesamt etwa sechs Minuten unterbricht Howes die Bewegungen erneut und beginnt ihren ganzen Körper aufrecht, doch mit hängendem Kopf und hängenden Schultern leicht zu schütteln. Sie nimmt die Beugung ihres Oberkörpers etwa dreißig Sekunden später wieder auf und vollzieht diese nun schneller denn je, bis sie sich erneut dreht, und Gray mit beschwörend fächernden, auf sie ausgerichteten Handbewegungen auf sie zukommt. Sie reagiert nicht direkt auf ihn, führt nun aber ihren rechten Arm mit dem Aufrichten des Oberkörpers immer höher und greift schließlich in Richtung des projizierten Dachfirstes. Gray wendet sich daraufhin von ihr ab und verlässt den Raum. Howes erweckt bei der Weiterführung ihrer Bewegungen den Anschein, sich am Haus festzuklammern. Sie legt eine Pause ein, lässt ihren Oberkörper hängen, zieht ihn dann langsam, sich weiter am ›Haus‹ festhaltend, in

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eine aufrechte Position. Sie dreht sich zur Wand, reckt sich, stellt sich auf die Zehenspitzen und erweckt den Eindruck, über das Dach des Hauses hinwegzuschauen. Diese Unterbrechung dauert gut zwei Minuten an, bevor sie ihre Bewegungen wieder aufnimmt, diesmal wie anfangs mit frei schwingenden Armen. Ihr Tanz endet etwa drei Minuten später, als sie hinter dem mittleren Zimmer verschwindet, während Vawter auf dem Weg zu Gray die Bühne überquert. In der von mir gesichteten Videoaufzeichnung von Rumstick Road verlassen im Laufe dieses repetitiven Tanzes der Frau gleich mehrere Zuschauer das Theater. Auch beim anschließenden Publikumsgespräch wird diese Sequenz von einer Zuschauerin als besonders qualvolle Erfahrung hervorgehoben. Zum einen ist die Szene von besonderer Intensität, da die Bewegungen, die Howes vollführt, als schmerzhaft wahrgenommen werden. Minutenlanges schnelles Bücken und Aufrichten lässt sich vom Publikum nachvollziehen und als physische Qual identifizieren. Zudem zeugen die kleinen Veränderungen in ihrem langen Tanz – Positionswechsel, das Abstützen der Hände, die kurze Pause – von der zunehmenden Anstrengung, die sie kompensieren muss, um die Bewegungsroutine fortsetzen zu können. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Intensität der Szene und das Unbehagen, das diese Sequenz auslöst, nicht nur mit der nachvollziehbar schmerzhaften Erfahrung zu tun haben, sondern in direktem Zusammenhang mit der minutenlangen Wiederholungssequenz stehen, die gepaart mit der repetitiven Musik einen besonders prononcierten Aufführungsrhythmus entfaltet. Die Bewegung, die Howes ausführt, lässt sich zwar inhaltlich interpretieren: Sie mag für Bette Grays unaufhaltsamen Kampf gegen ihre Krankheit, der sie sich immer wieder beugen muss, stehen, für eine pausenlose Anstrengung, die sie gefangen nimmt, für die zermürbenden Hochs und Tiefs ihrer manisch-depressiven Störung. Dennoch ist die Wiederholung in dieser Szene weitaus mehr als eine Metapher für die Ausweglosigkeit von Bette Grays Situation. Die Wiederholung wird als primär selbstbezügliches, sinnliches Moment physisch für den Zuschauer erfahrbar: Sie entzieht sich der Repräsentation, denn ihre metaphorische Ebene ist nach wenigen Wiederholungen erschöpft und bedarf keiner zwölfminütigen Fortsetzung. Die ›Sinnlosigkeit‹ der Bewegungssequenz steht in einem Gegensatz zu deren rhythmischen Intensität: Die Wiederholung bringt keine symbolische Bedeutung hervor, dafür aber eine sinnliche Fülle und Insistenz mit verstörender Wirkung.

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Ein Teil des Publikums verlässt während dieser Szene vermutlich den Raum, weil die scheinbar endlose und vermeintlich sinnlose Wiederholung die Grenzen theatraler Repräsentation radikal übersteigt. Dem Aufführungsrhythmus, der hier besonders intensiv erfahrbar wird, eignet dabei das Potenzial, die rhythmischen Vorgänge der ebenfalls rhythmisch organisierten Körper der Zuschauer zu beeinflussen.24 Sie werden in diesem Moment auf sich und ihre eigene Körperlichkeit zurückgeworfen und mit der exzessiven Wiederholung allein gelassen: Die rhythmische Wiederholung konstituiert eine atmosphärische Räumlichkeit, die von gegensätzlichen Impulsen gekennzeichnet ist. Gleich dem Ritornell, wie es Gilles Deleuze und Félix Guattari konzipierten, öffnet sich ein flüchtiger Raum, der hier zwischen Bedeutungsstiftung und physischem Unwohlsein, zwischen intelligibler Interpretation und körperlichem Nachvollzug einer Bewegungssequenz aufgrund seiner rhythmischen Verfassung permanenter Veränderung unterworfen ist und der einige Zuschauerinnen zum Ausbrechen veranlasst. Die insistierende Konfrontation mit dieser rhythmischen Sequenz, die einige der Zuschauer zu energetisieren vermag, indem sie deren eigene rhythmische Gestimmtheit affiziert, hebt in aller Deutlichkeit die Abkehr der Produktion vom Intelligibilitätsanspruch narrativer Inszenierungsstrategien hervor, die – egal wie ambitioniert sie dies zu verhindern suchen – immer Gefahr laufen, auch von der aktuellen Körperlichkeit und physischen Anwesenheit des Publikums abzulenken.

Fazit Spud berichtet dem Publikum am Ende der Aufführung von einem Brief, den Gray von seinem Vater erhalten habe, und erklärt, dessen wiederholte Lektüre habe ihn dazu bewegt, sein gesamtes Material neu zu bewerten. Daraufhin liest er den Brief vor, den Grays Vater 1966 verfasst hatte, während dessen Ehefrau in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht war. Grays Vater schilderte, dass er ein totes Rebhuhn in seinem Schlafzimmer gefunden habe. Dies habe auf wundersame Weise den Flug durch 24 | Zu energetischen Austauschprozessen zwischen Akteuren und Zuschauern sowie zwischen einzelnen Akteuren und innerhalb des Publikums vgl. Erika Fischer-Lichte: »Rhythmus als Organisationsprinzip von Aufführungen«, in: Christa Brüstle u.a. (Hg.): Aus dem Takt. Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur, Bielefeld: transcript 2005, S. 242ff.

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zwei Glasscheiben und einen Vorhang überlebt, allerlei Chaos im Zimmer angerichtet, um dann ausgerechnet auf seinem Nachtschrank tot zu landen. Er habe den Vogel anschließend eingefroren und am folgenden Wochenende ein köstliches Rebhuhngericht für seine eigene Mutter und sich selbst zubereitet. Dieser Brief evoziert die Auseinandersetzung mit der mystischen Seite von Bette Grays Krankheit. Bisher wurden deren Visionen, ihre außerkörperlichen Erfahrungen und ihre religiöse Heilung von Grays Gesprächspartnern als Nonsens abgetan und der Verwirrung seiner Mutter zugeschrieben. Das mysteriöse Auftauchen des Rebhuhnes, dessen Zielstrebigkeit und Tod lassen Bette Grays Visionen aber plötzlich in einem anderen Licht erscheinen. Das Rebhuhn, das in der christlichen Mythologie für den Heiligen Geist steht,25 irritiert die Rationalität, mit der Bette Gray bisher begegnet wurde, und der Verzehr des Tieres evoziert den Gedanken an ein Opferritual. Entsprechend dieses irrationalen, geheimnisvollen Momentes gerät die Wiederholung, wie sie sich im Tanz der Frau entfaltet, als Phänomen des Überganges, das die Grenzen der Repräsentation und die Grenzen der Rationalität sprengt, in den Blick. Die unterschiedlichen Wiederholungsstrategien in Rumstick Road kreisen alle um das Thema der Repräsentation. Auf den ersten Blick verspricht die Einbeziehung des dokumentarischen Materials – etwa die medial vermittelte Stimme als ein direktes Abbild des originalen Sprechaktes – eindeutige Repräsentation. Doch die Inszenierung verfolgt eine andere Strategie: Mittels der Reproduktion der aufgezeichneten Worte spitzt sie das ›So-tun-als-ob‹ theatraler Repräsentation dermaßen zu, dass es als strategischer, im Falle der Verwendung der unautorisierten Tonaufzeichnung des Psychiaters gar als brutaler Akt der Übernahme auffällig wird. »The chain of brutality […] reaches into every system of representation, producing both language and theatre. It allows repetition; it permits actions and characters (both alphabetical and theatrical) to be figured forth. It ensures that the act of reproduction will always be an act of violation.« 26

Savran weist hier auf das Zusammenspiel von Gewalt und Wiederholung hin. Bette Gray, die in dieser Inszenierung durch die Worte anderer, die 25 | Vgl. Savran: Breaking the Rules, S. 101. 26 | Ebd., S. 95f.

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sich ihrer Äußerungen erinnern, repräsentiert wird, gerät als Opfer ihrer Krankheit, aber auch als Opfer der Fehlinterpretationen ihres Handelns und Sprechens durch andere in den Blick. Der Gewaltakt, der ihr Leben beendete, lässt sich – folgt man Savrans Argumentation – auch auf die Gewalt zurückführen, die ihr von jenen angetan wurde, die sich schon zu Lebzeiten anmaßten, für sie zu sprechen. Indem Rumstick Road theatrale Repräsentation in Form des Wiederholungsaktes als Stellvertretung problematisiert, die Darsteller im Gespräch zwischen Spud und Grays Vater als ›Schwindler‹ inszeniert und im Telefoninterview mit Dr. Bradford Möglichkeiten der Manipulation technischer Reproduktion aufzeigt, wird der repräsentierende Wiederholungsakt in dieser Inszenierung als gewaltsames Aneignungsverfahren auffällig.

IV.2 M INIMAL THE ATER : R OBERT W ILSONS E INSTEIN ON THE B EACH (1976) Robert Wilson kam 1963 nach New York, um am Pratt Institute in Brooklyn Architektur zu studieren. Er nahm zudem an einem Tanzprogramm teil, das Pratt-Studenten außerhalb des Lehrplanes zur Verfügung stand, und stellte 1966 seine erste Choreografie am Pratt Institute vor. Wilson hatte bereits in seinem Heimatort, dem texanischen Waco, mit verhaltensauffälligen Jugendlichen theaterpädagogisch gearbeitet und finanzierte sich nun in New York sein Studium durch kunsttherapeutische Arbeit mit hirngeschädigten Kindern und schwerkranken Patienten, die an Eiserne Lungen angeschlossen waren. 1968 gründete er die Byrd Hoffman School of Byrds, benannt nach der Tänzerin und Tanzlehrerin Byrd Hoffman, die ihm als Teenager geholfen hatte, sein Stottern zu überwinden. In dieser Schule arbeitete Wilson sowohl mit Schauspielern als auch mit Laien, mit gesunden wie mit körperlich und geistig auffälligen Menschen und entwickelte ein Theatervokabular, das unter anderem von den Bewusstseinsaktivitäten und Ausdrucksformen autistischer und taubstummer Mitglieder inspiriert war. Die Produktionen The King of Spain und The Life and Times of Sigmund Freud hatten 1969 Premiere. Ihnen folgte unter anderem 1970 Wilsons erster internationaler Erfolg mit der wortlosen Oper Deafman Glance, inspiriert und unter Mitwirkung von Raymond Andrews, einem taubstummen Teenager, den Wilson adoptiert hatte. A Letter from Queen Victoria (1974) entstand in Zusammenarbeit

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mit dem autistischen Teenager Christopher Knowles, der als Darsteller auftrat und dessen Texte und Wortexperimente Eingang in den Inszenierungstext und das Bühnenbild fanden. Wilson erarbeitete die Oper Einstein on the Beach, die 1976 auf dem Festival von Avignon uraufgeführt wurde, gemeinsam mit dem Komponisten Philip Glass, der Choreografin Lucinda Childs, dem Choreografen Andrew de Groat sowie Knowles, der einige der Texte beisteuerte. Die vier Stunden und vierzig Minuten lange Oper weist wie alle frühen Arbeiten Wilsons keine dramatische Erzählstruktur auf, sondern reiht einer traumlogischen Dramaturgie folgend atmosphärisch dichte Bilder und Szenenverläufe aneinander und behandelt die Biografie und die Forschungen Albert Einsteins vor allem assoziativ.27 So entsprechen einzelne Bilder und Eindrücke, die Wilson evoziert, einem vom kulturellen Allgemeinwissen geprägten ›Image‹ von Einstein. Lediglich mittels der Projektion weniger Fotografien Einsteins sowie in der Aufmachung des ersten Violinisten (Einstein spielte bekanntlich Geige), der in Kostüm, Make-up und Frisur an Einstein erinnert, wird direkt auf die historische Person Albert Einstein Bezug genommen. Andere Elemente der Inszenierung, wie die Erwähnungen eines Segelschiffes (Einstein war Hobbysegler), das Schreiben mathematischer Formeln auf eine Tafel oder auch das Herausstrecken der Zunge durch die Chorsänger, das die Erinnerung an ein berühmtes Foto Einsteins von 1951 wachruft, stehen in Einstein on the Beach ausschließlich in assoziativer Verbindung mit dem Titelgeber. Die szenische Entwicklung vom Motiv der Dampflok (industrielles Zeitalter) zum Motiv der Atombombenexplosion (Atomzeitalter) lässt sich zudem als Rahmung einer Geschichte interpretieren, deren Titelheld mit seiner 27 | Meine Beobachtungen beziehen sich auf die Videoaufzeichnung einer Aufführung von E INSTEIN ON THE B EACH , die zwischen dem 28. und 30. September 1976 im La Monnaie in Brüssel stattfand (die Aufzeichnung befindet sich in der Library for the Performing Arts sowie im Robert Wilson Archive in New York). Die Videodokumentation ist allerdings lückenhaft, sodass ich an einigen Stellen auf die Beschreibung einer E INSTEIN -Aufführung von Susan Flakes zurückgegriffen habe. Vgl. Susan Flakes: »Robert Wilson’s Einstein On the Beach«, in: The Drama Review 20.4 (1976), S. 69-82. Maria Shevtsova ist eine weitere ausführliche Schilderung der Inszenierung zu verdanken. Sie bezieht sich allerdings auf die Wiederaufnahmen von 1984 und 1993. Vgl. Maria Shevtsova: Robert Wilson, London/New York: Routledge 2007, S. 83-117.

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Relativitätstheorie ebendiese epochale Entwicklung ermöglicht hatte und dessen wissenschaftliche Errungenschaften auf tragische Art und Weise vereinnahmt wurden. Einstein on the Beach ist in vier Akte mit insgesamt neun Szenen gegliedert. Dabei wird jede Szene von einem von insgesamt drei Bildern dominiert, die jeweils aufeinander folgen: Die Szenen 1, 4 und 7 dominiert eine Lokomotive (bzw. in Szene 7 ein an den Umrissen der Lokomotive orientiertes Gebäude); die Szenen 2, 5 und 8 ein Gerichtssaal und ein Bett; die Szenen 3, 6 und 9 ein Feld mit einem Raumschiff bzw. in der letzten Szene das Innere des Raumschiffes. Dabei sind den drei visuellen Themen zwei musikalische Themen zugeordnet, die instrumental (verstärkte Violinen, Bläser und Keyboards) und gesanglich hervorgebracht werden. Die Akte werden von Vor- bzw. Zwischen- und Nachspielen gerahmt, den kneeplays, die am Anfang und am Ende der Inszenierung sowie zwischen der 2. und 3. Szene (somit nach dem I. Akt), der 4. und 5. Szene (somit nach dem II. Akt) und der 6. und 7. Szene (also nach dem III. Akt) eingesetzt werden. Die häufig beschriebene ›atmosphärische Dichte‹ der Aufführungen resultiert dabei aus dem Zusammenspiel von repetitiver Musik, intensiven Lichtwechseln, dynamischen Tanzsequenzen, spannungsvoll arrangierten statischen Bildern und deren Auflösung durch Bewegungssequenzen, die häufig in Zeitlupentempo vollzogen werden, sowie einem imposanten, variablen Bühnenbild. Der Text der Inszenierung hingegen spielt eine untergeordnete Rolle: Als sich wiederholendes Strukturelement wird er vor allem zu Lautmaterial, das rhythmisch und harmonisch eingesetzt wird. Der Sprache kommt folglich in der Inszenierung keine narrative oder dialogische Funktion zu, sie fungiert vielmehr als gleichberechtigtes atmosphärisches Material unter anderen. Wiederholungsstrategien hingegen spielen in Einstein on the Beach eine zentrale Rolle und dominieren sowohl die Sprechtexte und das Libretto als auch die Gesamtstruktur der Inszenierung, der Partitur und der Choreografie. Die Texte von Knowles zeichnen sich durch Wortwiederholungen und Wiederholungen ganzer Sätze und Sequenzen aus. Sie basieren größtenteils auf populärkulturellem Material, das Knowles rezipiert, sich gemerkt und in zahlreichen Variationen kombiniert hatte. So entspringen seine von Sheryl Sutton und Childs gesprochenen Texte unter anderem den Songtexten zu Mr. Bojangles (1968) von Jerry Jeff Walker oder Carole Kings I Feel the Earth Move (1971) sowie der Programmvorschau eines Radiosenders. Childs’ Tanzsolo im I. Akt besteht

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aus Bewegungssequenzen, die sie eine halbe Stunde lang stetig wiederholt. Das Libretto setzt sich aus Wiederholungen unterschiedlicher Reihenfolgen der Zahlen 1 bis 10 und der Solmisationssilben zusammen, und die Bilder, die die einzelnen Szenen dominieren, tauchen jeweils dreimal auf. Anhand dreier Beispiele möchte ich nun die zentralen ästhetischen Wiederholungsverfahren in Einstein on the Beach untersuchen. Aufgrund der kollaborativen Arbeit dieser Produktion werde ich die folgenden Analysen mit kurzen Einführungen in die Arbeit der an der jeweiligen Sequenz Beteiligten beginnen. In den unterschiedlichen Beispielen wird der Fokus dabei auf der Musik, der Bewegung sowie dem Text liegen.

Wiederholung und Variation: Philip Glass’ »Knee Play 1« Der aus Baltimore stammende Komponist Philip Glass hatte zuletzt Komposition bei Nadia Boulanger in Paris studiert und war anschließend durch Indien und Tibet gereist, bevor er 1967 nach New York kam.28 Er prägte gemeinsam mit Steve Reich, Terry Riley und La Monte Young in den 1960er Jahren eine neue Musikrichtung, die häufig als Minimal Music, zum Teil auch als ›Ac’ Art‹, ›Meditative Music‹ oder ›Repetitive Music‹ bezeichnet wird. Der Begriff ›Minimal Music‹, dem die formale Betrachtung der Musikstücke zugrunde liegt und der die Beschränkung des Tonmaterials fokussiert, setzte sich letztlich durch. Er wurde 1968 von dem Komponisten und Musikwissenschaftler Michael Nyman geprägt und verortet die neue Musik in einem kulturellen Umfeld der Entgrenzung der Künste, spielt er doch offensichtlich auf die zeitgenössischen Bewegungen der Minimal Art und des Minimal Dance an. Auch die Bezeichnung ›Ac’ Art‹ (acoustical art) betont den Bezug der neuen Musik zu einer ihr zeitgenössischen Strömung in der bildenden Kunst, der ›Op’ Art‹ (optical art). Die Op’ Art, deren exakte Anordnungen von Linien und weiteren geometrischen Formen Effekte wie Flimmern, Bewegungseindrücke und andere optische Täuschungen evozieren, hat mit der neuen Musik die akribische Strukturierung einfacher Elemente und die konzeptuelle Ausrichtung gemein. Die Bezeichnung ›Meditative Music‹ hingegen spielt auf Entgrenzungserfahrungen in der Zeitwahrnehmung an,

28 | Glass hatte bereits vor seinem Studium bei Nadia Boulanger in Paris an der New Yorker Juillard Music School studiert, davor wiederum sein Philosophie- und Mathematikstudium an der University of Chicago abgeschlossen.

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die sich vor allem in der Rezeption jener Musikstücke von langer Dauer einstellen können. Alle genannten Phänomene, die die eine oder andere Namensgebung evozierten, lassen sich dabei auch auf die Wiederholungsstrukturen dieser neuen Musik zurückführen.29 So impliziert die minimalistische Einschränkung des Materials bereits dessen Wiederholung: »Denn sind Menge und Abwandlungsmöglichkeiten des Ton- bzw. Notenvorrats begrenzt, wird die Wiederholung zwangsläufig zum Prinzip, soll eine bestimmte zeitliche Quantität erreicht werden«,30 folgert der Musikwissenschaftler Fabian R. Lovisa. Auch befindet er, dass »die stete Wiederholung einzelner oft geometrischer Elemente in der Op’ Art […] dem Repetitionsgedanken der minimal-music entspricht«.31 In Zusammenhang mit der Meditative Music konstatiert Lovisa: »Zweifellos ist es auch das Element der Repetition, das weite Teile der minimal-music mit meditativen Praktiken zunächst einmal verbindet.«32 Von der Bezeichnung ›Repetitive Music‹, die – wie Lovisa herausarbeitet – überwiegend negativ konnotiert ist und häufig synonym mit monotoner Musik verwendet wird, distanziert sich Glass in einem Interview in der Dokumentation Einstein on the Beach. The Changing Face of Opera vehement:

29 | Wim Mertens weist zu Recht darauf hin, dass Wiederholung als Strukturmerkmal auch in der klassischen Musik schon immer eine Rolle gespielt hat. Mit der Minimal Music verschiebe sich lediglich die Funktion von Wiederholung von der Repräsentation hin zur Performativität. »Repetition in the traditional work appears as a reference to what has gone before, so that one has to remember what was forgotten. […] The music of the American composers of repetitive music can be described as non-narrative and a-teleological. Their music discards the traditional harmonic functional schemes of tension and relaxation and (currently) disapproves of classical formal schemes and the musical narrative that goes with them (formalizing a tonal and/or thematic dialectic).« Wim Mertens: American Minimal Music: La Monte Young, Terry Riley, Steve Reich, Philip Glass, London/ New York: Kahn & Averill 1983, S. 17 [Herv. i.O.]. 30 | Fabian R. Lovisa: Minimal-music. Entwicklung, Komponisten, Werke, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 17. 31 | Ebd. 32 | Ebd., S. 12.

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»The difficulty isn’t that it keeps repeating but it’s that it almost never repeats. This is one of the secrets of the music, which is not generally heard. In fact, one of the difficulties of hearing this music at all is that to be able to hear that it is changing all the time is almost it means shifting gears in the way you listen. So, it’s such a profound shift that many people […] simply just don’t make it. And they may like it or they may not like it and they say, ›Oh, it’s the same thing over and over again.‹ In fact, it is something what’s so difficult for the performers […] that it’s always so different. We’re talking about a vocabulary that can appear so radical compared to traditional vocabulary that at first time, at first glance, at first sight, at first hearing, it simply may not be heard at all.« 33

Glass setzte also Tonfolgen aneinander, die sich durch minimale Verschiebungen auszeichnen, welche dem ungeschulten Hörer entgehen können. Nach seinen Flöten-, Klavier- und Kompositionsstudien beschäftigte sich Glass intensiv mit indischer Musik. Er bereiste von 1966 bis 1967 Indien und Tibet und studierte die additiven Strukturmerkmale nicht-westlicher Musik, die auch die Kompositionen von Einstein on the Beach dominieren. Inspiriert von dem indischen Sitarspieler Ravi Shankar, mit dem er in Paris zusammengearbeitet hatte, suchte Glass seine Komposition vor allem rhythmisch zu strukturieren. Er reduzierte die Harmonien und Melodien seiner Stücke, um den Rhythmus als Strukturelement auffällig werden zu lassen. Obwohl ein additives Prinzip durchaus Wiederholung beinhaltet, wendet Glass sich gegen diese Charakterisierung. Das oben stehende Zitat macht dabei deutlich, dass Glass’ Begriff der Wiederholung sich auf ebenjene möglichst exakten Reproduktionsleistungen bezieht, die dessen Komposition unterwandert. Der in dieser Studie entwickelte Begriff von Wiederholung hingegen, der Differenz für konstitutiv erklärt, lässt sich für Glass’ Einstein on the Beach als fruchtbare Analysekategorie nutzen, mittels derer ich im Folgenden das »Knee Play 1« und damit den Beginn der Oper untersuchen möchte.34 Die isolierte Betrachtung der Musik 33 | Philip Glass in einem Interview in der Dokumentation von Marc Obenhaus/ Chrisann Verges: Einstein on the Beach. The Changing Image of Opera (1984), Los Angeles: Direct Cinema, DVD, Farbe, mit Ton, 58 min, www.ubu.com/film/ glass_einstein.html (23.01.2013) [Transkription von J.K.K]. 34 | Clemens Risi weist auf die enge Verwandtschaft von Rhythmus und Wiederholung hin und charakterisiert in seinem Aufsatz Rhythmen der Aufführung Rhyth-

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erweist sich in dieser kollaborativ entworfenen Oper als wenig sinnvoll. Darum werde ich die Szene – soweit anhand der vorliegenden Videoaufzeichnung und verschiedener aufführungsanalytisch ausgerichteter Texte möglich – in ihrer Gesamtheit untersuchen, den Schwerpunkt aber auf die Musik legen. Das kneeplay hat bereits begonnen, als das Publikum eintritt, und setzt sich während des gesamten Einlasses und darüber hinaus, insgesamt etwa dreißig Minuten lang, fort. Das Orchester sitzt im Orchestergraben und die elektronische Orgel spielt ein Motiv, bestehend aus der fallenden Tonfolge A-G-C, als Ostinato. Diese Figur wird während des gesamten kneeplays beibehalten. Der Chor kommt nun nach und nach dazu und versammelt sich auf der rechten Seite. Die Köpfe der Sängerinnen und Sänger sind vor der Bühne als Silhouetten sichtbar. Das Licht auf der Bühne und im Saal wird nun gedimmt, lediglich Childs (links) und Sutton (rechts) sitzen auf identischen, minimalistisch gestalteten Metallstühlen, die wiederum auf einer rechteckigen, hellen Fläche stehen, jeder an einem Tisch mit quadratischer Tischfläche. Dabei ist Childs’ Tisch um etwa zwanzig Zentimeter niedriger als der von Sutton, und da beide die Hände auf dem Tisch abgelegt haben, sitzen sie in dementsprechend unterschiedlichen Positionen. Die beiden Darstellerinnen werden von vorne beleuchtet, während der Rest der Bühne im Dunkeln liegt, und ihre Schatten fallen auf eine helle, ebenfalls rechteckige Fläche auf dem Vorhang direkt hinter ihnen. Bereits während des Orgel-Intros haben Childs und Sutton begonnen, einzelne, scheinbar zufällig angeordnete Zahlwörter zu sprechen. Im weiteren Verlauf verdichtet sich dieser Text und wird um eine kaum ver-

mus als »Wiederholung und Differenz« und damit als ständig im Werden begriffenes Phänomen des Überganges; Risi: Rhythmen der Aufführung, S. 171 [Herv. i.O.]. Diese Definition von Rhythmus weist offensichtlich Parallelen zu dem hier erarbeiteten Wiederholungsbegriff auf. Angesichts der von mir herausgearbeiteten Omnipräsenz von Wiederholung und strategischer Variation in Musik, Libretto, Text, Bewegung, Tanz sowie im Ablauf von E INSTEIN ON THE B EACH wäre demnach eine musikwissenschaftlich ausgerichtete Analyse der Rhythmen dieser Aufführung besonders geeignet, um das zentrale, doch in meinen Ausführungen nur angerissene atmosphärische Potenzial einer Energetisierung des Publikums durch Rhythmisierungs- bzw. Wiederholungsprozesse zu analysieren.

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ständliche Textpassage ergänzt. Nach einer Minute setzt der erste Teil des Chores ein und singt folgenden Text zu dem Ostinato der Orgel: »one, two, three, four one, two, three, four, five, six one, two, three, four, five, six, seven, eight«

Der Gesang ist rhythmisch gleichbleibend und folgt tonal dem Ostinato: Die Männer singen die erste Zeile auf dem Ton A, die zweite auf dem Ton G und die dritte auf dem Ton C. Die Frauenstimme lautet analog in Gegenbewegung dazu: C-D-E. Die Sequenz wird wiederholt, dann leicht variiert: »one, two, three, four one, two, three, four, five, six two, three, four, five, six, seven, eight«

Nach einer weiteren Wiederholung folgt: »one, two, three, four two, three, four, five, six one, two, three, four, five, six, seven, eight«

Erneut variiert die Zahlenreihe nach einer Wiederholung: »two, three, four one, two, three, four, five, six one, two, three, four, five, six, seven, eight«

Während beim Zuhören die Veränderungen im Text kaum auffällig werden, entdeckt man bei genauer Analyse die mathematische Logik der Variationen: So wird die dreiteilige Sequenz wiederholt, dann folgt eine Variante, bei der der letzte Teil der Sequenz mit einer Auslassung begonnen, dann erneut wiederholt wird. In der folgenden Variation wird der zweite Teil der Sequenz mit einer Auslassung begonnen, wiederholt, und schließlich beginnt der erste Teil mit einer Auslassung. Dabei entspricht das Singen der Zahlwörter dem rhythmischen Puls des Stückes. Die einzelnen Zahlen haben als Noten jeweils die Länge eines Schlages und in-

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nerhalb einer tonalen Einheit die von ihnen selbst bezeichnete Position. Zum Gesang der Zahlwörter kommt nach wenigen Minuten das Singen von Solmisationssilben hinzu. Da jeder Teil der dreigliedrigen Struktur einer anderen Tonhöhe entspricht, werden diese Höhen nun ebenfalls mit dem Gesang hervorgebracht und bezeichnet. So wird beispielsweise mit »one« gleichzeitig ein »do« gesungen und bis ans Ende des dieser Höhe entsprechenden Teiles gehalten. Wird ein anderer Ton angeschlagen, wird nun dessen Bezeichnung erneut gemeinsam mit dem seiner rhythmischen Position entsprechenden Zahlwort gesungen. In »Knee Play 1« werden die beschriebenen musikalischen Figuren bis zum abrupten Schluss beständig wiederholt, dabei aber entweder durch Hinzufügen einer weiteren Stimme oder durch die später auftretenden, immer dem gleichen System folgenden Auslassungen einzelner Wörter bzw. Noten variiert. Die Wiederholungen in Partitur wie Libretto haben in diesem ersten kneeplay offensichtlich die Funktion, das Publikum für die Differenzen der Wiederholung zu sensibilisieren. Glass’ Musik fordert Aufmerksamkeit, Konzentration und Hingabe, liefert entsprechend eine viel komplexere musikalische Struktur, als beim oberflächlichen Hören erkennbar ist. Sie schult mittels der Wiederholung und deren Variation das differenzierte Hören und schärft somit die Wahrnehmung des Publikums. Gleich zu Beginn der Oper wird dieses Prinzip mit dem ersten kneeplay eingeführt und aufgrund der Reduktion der Ausstattung auf einfache geometrische Formen und der Überschaubarkeit der Handlung sind die Bedingungen für ein konzentriertes Hören besonders günstig. Indem die Sprechtexte Childs’ und Suttons von der Musik stellenweise überlagert werden, zeigt sich hier zudem, dass die referenzielle Funktion des Sprachmaterials eingeschränkt ist und diesem, wie auch dem Libretto, eine performative Funktion zukommt: So bringt die Sprache der Beteiligten vor allem Lautmaterial hervor, welches für sich steht und mittels seines Klanges und seines Rhythmus’ eine musikalische Wirkung erzeugt. Die gesungenen Zahlwörter und Solmisationssilben sind dabei insofern selbstbezüglich, als dass sie nicht für das Zählen oder Verorten stehen, sondern im Akt ihrer Äußerung jene neue Klangrealität konstituieren, die sie bezeichnen.

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Wiederholung und Bewegung: Lucinda Childs’ »Character on Three Diagonals« Die Tänzerin und Choreografin Lucinda Childs arbeitete in Einstein on the Beach zum ersten Mal mit Robert Wilson zusammen. Sie hatte unter anderem bei Merce Cunningham studiert und schloss sich 1963 der Judson Church Group an, in deren Rahmen sie im Laufe der folgenden vier Jahre 13 Choreografien erarbeitete. 1973 gründete sie ihre eigene Company. Während Childs’ Performances, die sie im Umfeld der Judson Church Group entwickelte, häufig die Manipulation von Alltagsobjekten beinhalteten, folgen viele ihrer Choreografien in den 1970er Jahren geometrischen Strukturen: »In Calico Mingling (1973), four dancers have similar, but not identical paths that consist only of circles, semicircles and straight lines. They walk either forward or backward […]. Each dancer’s strand of movement consists of so many similar elements that within the four main sections there seem to be an infinite number of repetitions. […] In Radical Courses (1976), four large circles are established diagrammatically on the floor as the four dancers walk quickly in three-quarter or half circles, switching directions frequently to pair off in varying combinations. In Reclining Rondo (1975) the constantly changing relationships between the dancers as they sit, lean, and lie down, shifting directions separately, generate a set of insistently regular flat triangles and squares.« 35

Die hier von Sally Banes beschriebene Struktur der Tänze Childs’ weist Parallelen zu dem von Childs choreografierten und auch selbst getanzten Solo »Character on Three Diagonals« in der 1. Szene von Einstein on the Beach auf, das sich mit den Vor- und Rückwärtsbewegungen auf verschiedenen Diagonalen ebenfalls durch eine geometrische Struktur auszeichnet. Die Szene beginnt mit schnellen, hektischen Orgel- und Flötentönen, die nach wenigen Sekunden um Chorstimmen erweitert werden. Links auf der Bühne steht ein Kran, dessen Plattform sich Richtung Bühnenmitte erstreckt. Auf der Plattform befindet sich ein Kind, das nach unten blickt und im Verlauf des insgesamt etwa halbstündigen Solos von Zeit zu Zeit ein Papierflugzeug auf die Bühne gleiten lässt. Rechts der Mitte bewegt sich Childs im Rhythmus der Musik auf drei Diagonalen vom 35 | Banes: Terpsichore in Sneakers, S. 137f.

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zentralen Mittelgrund der Bühne nach links vorne schnell vor und zurück, wobei ihr Gesicht konsequent dem Publikum zugewandt ist (Abb. 15). Sie trägt graue weite Hosen mit Hosenträgern und ein weißes kurzärmliges Hemd; ihr gewelltes Haar fällt lose auf ihre Schultern, ist aber vorne streng zum Mittelscheitel fixiert. In der linken Hand hält sie eine Pfeife. Im rechten Bühnenhintergrund taucht langsam eine Dampflok (bzw. eine große bemalte Pappfläche, deren Umrisse mit denen einer Lokomotive übereinstimmen) auf und bewegt sich kaum merklich parallel zur Rampe Richtung Bühnenmitte. Im Laufe der Szene erscheinen nach und nach von rechts eine Frau, deren Handbewegungen das Tippen auf einer Schreibmaschine andeuten, ein Mann, der mit dem Rücken zum Publikum mathematische Formeln auf eine imaginäre Tafel zu schreiben scheint, drei Personen, die ein Band vom Boden aufnehmen und es in einer Dreiecksformation halten und nach links hinten tragen, wo sie im Stillen verharren, und schließlich Sutton, die mit einer Zeitung rechts auf die Bühne kommt und die Bühne anscheinend lesend nach links hin überquert. Die Papplokomotive bewegt sich während der gesamten Szene kaum merklich vorwärts, verschwindet in einem Black dann völlig von der Bühne, fährt aber kurz darauf erneut und so langsam wie zuvor ein. Zwischenzeitlich wird zudem etwa in der Bühnenmitte eine Tafel mit der Zeichnung einer Lokomotive, die durch eine verschneite Landschaft fährt, hinuntergelassen, nach kurzer Zeit aber wieder hochgezogen. Die Veränderungen im Bühnenbild wie auch die Auftritte, Abgänge, Bewegungen und Aktionen der einzelnen Figuren weisen keinen Zusammenhang auf. Die Aktionen laufen parallel ab, ohne dass die Beteiligten Bezug auf ihre Umgebung nehmen oder aufeinander reagieren. Selbst die auf der Bühne nahe den Darstellern landenden Papierflugzeuge bleiben ohne Resonanz. Childs’ Tanz dauert die komplette Szene über an und bildet sowohl räumlich als auch energetisch deren Zentrum. Childs bewegt sich mit energischen Wechsel-, Hüpf- und Laufschritten in leicht variierenden Schrittfolgen etwa fünfzig Mal vor und zurück, bevor sie die gleiche Bewegungsabfolge erneut beginnt. Ihr Oberköper ist zu Beginn der Tanzszene aufgerichtet, ihr Kopf erhoben, ihr Gesicht immer dem Publikum zugewandt. Tempo und Intensität ihrer Schritte und Gesten richten sich nach dem Tempo und der Dynamik der Musik. Childs schwingt anfangs nur ihren rechten Arm leicht vor und zurück, während sie den linken Arm, in dessen Hand sie die Pfeife trägt, angewinkelt hält. Ihre Gesten

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werden jetzt größer; sie bewegt beide Arme, als wolle sie für ihre Schritte Schwung holen, steigert sich dann, als gestikuliere sie wild im Gespräch: Ihre Arme und Hände scheinen Inhalte, die sie nicht äußert, zu unterstreichen und zu betonen, dann wiederum beschwichtigen sie und nehmen zurück. Während sich Intensität und Tempo der Bewegungen gemeinsam mit Childs’ Schritten – der Musik gemäß – steigern, geben weder die Bewegungen noch die Musik einen Hinweis auf die Stimmungen, die Childs andeutet. Sie bewegt sich inzwischen seitlich auf der Diagonalen, nun permanent hüpfend, und dreht sich an deren Ende um etwa 180 Grad, sodass ihr Körper mal der Bühne, mal dem Hintergrund zugewandt ist. Weiterhin gestikuliert sie und nimmt nun mithilfe der Beugung und Drehung ihres Oberkörpers Posen ein, die einander blitzschnell abwechseln. Auch Banes geht in ihrer Beschreibung auf diese expressive Qualität des ansonsten so klar und minimalistisch strukturierten Solos ein: »At a distance, the dance looks like a typical Childs solo. She advances and retreats schematically along different diagonal lines barely distinguishable from each other, making high pointing arm gestures in rhythmic counterpoint to the springy pacing. Yet if one sat close enough to see the gestural detail, one realized that, unlike in her own solos, the Einstein dance expresses a character, many characters. This did not come through dramatic pantomime, not even through facial expression; the character constantly changes as images evoked by posture and arm gestures flicker across her body, images of sternness, mirth, urgency, inebriation, pedantry.« 36

Banes schreibt Childs keine klare Charakterisierung zu, sondern weist vielmehr darauf hin, dass die Eigenschaften und Stimmungen, die Fragmente von Charakteren, die sie immer wieder auf blitzen lässt, sich mit den jeweils neuen Bewegungen und Haltungen sogleich auf- und ablösen. Die Wiederholung bildet die Basis des Solos und der gesamten Szene. Das ständige rhythmische Vor und Zurück erschöpft sich schnell in seiner Selbstreferenz und unterwandert jeden Deutungsversuch: Nicht nur haben Childs’ Bewegungen nichts mit Einstein zu tun, sie erzählen auch sonst nichts über eine Figur, einen Zustand oder eine Situation. Ihr Tanz findet zwar inmitten einer immer bewegter werdenden und stärker bevölkerten Szene statt, er bleibt aber isoliert und steht unabhängig von seiner 36 | Ebd., S. 139f.

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Umgebung für sich. Dennoch paart sich nach wenigen Minuten eine dramatische Ebene mit der abstrakten Bewegungssequenz: Die expressiven Gesten Childs’, die Bewegungen ihrer Arme und ihres Oberkörpers stehen in einem Widerspruch zum Hin und Her ihrer Bewegung. Sie setzen Akzente, rufen Assoziationen zu Charaktereigenschaften, Haltungen und Emotionen auf. Die Wiederholung leitet hier eine Desemantisierung ein, die schließlich den Nährboden für flexible Zuschreibungen, befreit vom ›Ballast‹ eindeutigen Bedeutens, bereitet.

Wiederholung und Text: Sprache als Material In der 5. Szene von Einstein on the Beach wiederholt Childs für die Dauer von etwa zwanzig Minuten ununterbrochen folgenden, von ihr selbst verfassten Text: »I was in this prematurely air-conditioned supermarket, and there were all these aisles, and there were these bathing caps that you could buy that had these kind of Fourth-of-July plumes on them that were red and yellow and blue, and I wasn’t tempted to buy one, but I was reminded of the fact that I had been avoiding the beach.« 37

Childs’ Sprechen kennzeichnet keine wahrnehmbare Differenz; der Text wird im immer gleichen Tempo, im gleichen Rhythmus, mit gleicher Betonung und in gleicher Lautstärke vorgetragen. Childs beginnt, während sie auf einem Bett im Zentrum der Bühne liegt, spricht etwa neun Minuten lang im Liegen, bis sie sich langsam aufrichtet, aus dem Bett steigt, über die Bühne geht und vor dem Gitter einer Gefängniszelle stehen bleibt. Hier vollführt sie plötzlich schnelle Bewegungen, Hampelmannsprünge und kreisende Armbewegungen, geht in die Hocke und beginnt, sich umzuziehen. Auch während dieser körperlichen Aktionen – sie bückt sich mehrfach, zieht sich Kleidungsstücke an und aus, nimmt ein Gewehr auf, legt es wieder ab etc. – verändert sich ihr Sprechen nicht merklich, vielmehr scheint es vollkommen von ihren Körperbewegungen abgekoppelt zu sein. Die Wiederholungen des Textes führen in dieser Szene dazu, dass ihrer Sprache eine fast dekorative Funktion zukommt, sie wird trotz ihres verständlichen Inhaltes zu reinem Sprachmaterial. Der Inhalt des Ge37 | Transkription der genannten Videoaufzeichnung von J.K.K.

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sprochenen bietet keinerlei Bezug zur Szene und macht in Kombination mit Childs’ Bewegungen keinen Sinn. Ob der Wiederholungen findet auch hier eine Desemantisierung statt: Die Sprache wird zu Klang und Geräusch und trägt zur Atmosphäre der Szene bei; sie tritt aber nicht in ihrer referenziellen Funktion in Kraft. So kommt es mittels der Wiederholung zu einer Enthierarchisierung der theatralen Mittel: Mit dem Text – hier der Bewegung, dem Licht, der Musik und der Bühne gleichberechtigt eingesetzt – wird das zentrale Instrument des illusionistischen Literaturtheaters seines Vorranges beraubt. Als Childs schließlich abgeht und ihre Wiederholung des Textes beendet, setzt – zumindest in der von mir eingesehenen Videoaufzeichnung von Einstein on the Beach – mitten in der Szene stürmischer Applaus seitens des Publikums ein. Zum einen scheinen die Zuschauerinnen hier Childs’ Fertigkeit, den Text über so lange Zeit ohne wahrnehmbare Variation wiederholen zu können, zu honorieren. Zum anderen mag der Applaus mitten in der Szene auf eine Erleichterung hindeuten: auf die Befreiung von der Wiederholung, einer quälenden Sequenz des exzessiven Sprachgebrauches, der letztlich trotz seines intelligiblen Inhaltes lediglich auf sich selbst, das Sprechen auf der Bühne, verweist. Wie bei Howes’ Tanz der Frau in Rumstick Road scheint das intensive und vermeintlich sinnfreie Wiederholen über einen langen Zeitraum mittels der prominenten Rhythmisierung des Bühnengeschehens Energien im Publikum freizusetzen, die sich mit dem Ende der Wiederholung entladen.

Fazit In Einstein on the Beach ist die Wiederholung ein zentrales Stilmittel, das sich auf allen Ebenen der Oper – dem Aufbau, den Szenenverläufen, dem Umgang mit dem Text, der Choreografie und der Musik – wiederfindet und als Bindeglied der einzelnen Elemente fungiert. Aufgrund des Verzichtes auf eine narrative Klammer in Form einer fortschreitenden Handlung oder von wiedererkennbaren Charakteren, die das Geschehen strukturieren, tritt die Wiederholung an die Stelle eines zentralen Akteurs. Bereits das erste kneeplay eröffnet die Möglichkeit, mittels strategischer Variationen die Wahrnehmung des Publikums für die Differenzen der Wiederholung zu sensibilisieren. Die Erfassung dieser Variationen fordert ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Konzentration seitens des Publikums, ermöglicht diesem im Gegenzug aber bei entsprechender Hingabe ein ungleich intensives Hörereignis. Die Selbstbezüglichkeit,

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die der Gesang in Glass’ »Knee Play 1« exemplifiziert und auf die Spitze treibt (die Worte bezeichnen ebenjene Klangrealität, die sie im Akt ihrer Äußerung hervorbringen), ist dabei ein zentrales Merkmal aller Wiederholungsprozesse in der Inszenierung. So wird auch in der 1. Szene von Einstein on the Beach, die das Tanzsolo »Character on Three Diagonals« beinhaltet, deutlich, dass Childs’ halbstündige Vor- und Zurückbewegungen nicht für etwas anderes stehen, sondern als selbstreferenzielles Phänomen, das sich nicht im Sinne einer historischen Person namens Einstein interpretieren lässt, in den Vordergrund tritt und schon nach kurzer Zeit das Zentrum der Aufmerksamkeit bildet. Die Wiederholung hat an dieser wie an anderen Stellen in Einstein on the Beach dabei nicht allein die Funktion, Bedeutungszuschreibungen zu subvertieren und durch die Bedeutsamkeit der Auffälligkeit zu ersetzen, sondern sie bereitet zugleich den Boden für neue, unkonventionelle Signifikationsprozesse. So konstatiert Banes in Bezug auf das Tanzsolo Childs’ eine ungewöhnliche Form der Charakterisierung, die sich durch deren Flüchtigkeit auszeichne: Kurze Momente der Strenge, der Rigidität, der Verwirrung etc. tauchen auf und werden augenblicklich von anderen Charaktereigenschaften abgelöst. Der Desemantisierung, durch das stetige Vor und Zurück initiiert, folgt somit ein bewegter Signifikationsprozess, der keine kohärenten Bedeutungen, sondern vielmehr kurze Blitzlichter einzelner Bedeutsamkeiten hervorbringt. Einstein on the Beach bietet folglich eine bis zum Zeitpunkt seiner Premiere ungekannte Aushebelung theatraler Repräsentationspraktiken: Die radikale Enthierarchisierung aller theatralen Mittel geht so weit, dass der gesprochene Text als reines Laut- und Rhythmusmaterial verwendet und seine Funktion als sprachlicher Bedeutungsträger mittels unzähliger Wiederholungen – wie anhand der 5. Szene beschrieben – ad absurdum geführt wird. Wieder tritt die Wiederholung in ihrem rhythmischen Potenzial, das Publikum leiblich zu affizieren, in den Vordergrund.

IV.3 W IEDERHOLUNG Die Wiederholungsverfahren der beiden untersuchten Inszenierungen der New Yorker Downtown-Theaterszene der 1970er Jahre stimmen größtenteils mit jenen der im vorangegangenen Kapitel analysierten Performance Art überein. So bedient sich die Wooster Group in Rumstick

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Road mit der Einspielung, Projektion und Synchronisation von vorproduziertem Audio- und Bildmaterial verschiedener medialer Reproduktionsstrategien, die zur Live-Verdopplung medial fixierter Momente aus der Vergangenheit führen. In Robert Wilsons Einstein on the Beach finden sich serielle Reihungen, die im Aufbau der Inszenierung, der Choreografie, der Partitur und des Librettos einer mathematischen Logik folgen. Eine weitere Strategie, die sich in der exzessiven Tanzszene von Libby Howes in Rumstick Road genauso wie in Lucinda Childs’ Solo in der 1. Szene des I. Aktes von Einstein on the Beach findet, aber auch den scheinbar endlosen Wiederholungen einzelner Textpassagen in Einstein zugrunde liegt, ist die verausgabende (und beizeiten erschöpfende) Wiederholung einzelner Elemente, die somit aus jedem Sinnzusammenhang gerissen werden.38 Die Synchronisationsszenen in Rumstick Road sind dabei so minutiös choreografiert, dass sie die Illusion von Spontaneität und Originalität erwecken und nur schwer und bei gesteigerter Aufmerksamkeit als nachahmende Live-Verdopplung medialer Produkte auffällig werden bzw. als manipulative Strategien in Erscheinung treten. In beiden Fällen entspricht das Wiederholen einem Täuschungsversuch, der perfektioniert und doch brüchig ist, überzeugt und doch entlarvt werden kann. Diese Rahmungen von Wiederholung lassen sich als Kommentare zu traditionellen Formen theatraler Repräsentation deuten. Das ›Als-ob‹ der theatralen Behauptung von fiktiver Figur, fiktivem Ort und fiktiver Zeit wird hier abwechselnd auf die Spitze getrieben und enttarnt, indem die Rahmenbedingungen der Repräsentationspraktiken offengelegt werden. Die Praxis theatraler Repräsentation, insbesondere die Appropriation der Biografien anderer (hier gar in Form der Stimmen und der Worte) im Zuge bühnentauglicher Rollengestaltung, wird als Gewaltakt offenbar, der – so schlägt David Savran vor – letztlich aller Repräsentation, allem Einstehen und Sprechen für jemand anderen, innewohnt.39 Die synchronisierende Wiederholung erweist sich dabei 38 | Das hier als ›verausgabende Wiederholung‹ bezeichnete ästhetische Verfahren habe ich zwar in Kapitel III nicht als dominante Strategie aufgeführt, es lässt sich aber durchaus auch verschiedenen Performances zuschreiben, so beispielsweise Bruce Naumans B OUNCING IN THE C ORNER N O. I (1968) oder Charlemagne Palestines B ODY M USIC I (1973-74), die allerdings im Rahmen dieser Studie nicht untersucht wurden. 39 | Vgl. Savran: Breaking the Rules, S. 95f.

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als adäquates Mittel der Sichtbarmachung dieser Prozesse, da sie zum einen ein Extrem der Nachahmung vollzieht (die Synchronisation wird zuweilen gar nicht als solche auffällig), zum anderen in ihrer formalen Perfektion ein Level der Abstraktion erreicht, das die Reflexion theatraler Repräsentation begünstigt. Die formale Strenge der Wiederholungsvorgänge führt dabei oft zu einer Begrenzung der schauspielerischen Ausdrucksmittel sowie der Einflussnahme der Regisseurin auf die Charaktergestaltung. Philip Glass’ Aussage, seine Musik in Einstein on the Beach werde zwar fälschlicherweise immer wieder als repetitiv wahrgenommen, sie sei aber ganz im Gegenteil von ständiger Variation bestimmt, deren Wahrnehmung jedoch eine gesteigerte Aufmerksamkeit fordere, lässt sich auch auf die anderen als repetitiv wahrgenommenen Elemente der Inszenierung übertragen: Nie steht die Verschleierung von Differenz im Vordergrund; immer ist das Publikum eingeladen, sich mit allen Sinnen auf die Differenzen der Wiederholung einzulassen. Es geht dabei weniger um eine rationale Herangehensweise, die der Entschlüsselung serieller Verfahren dient und die Antizipation der kommenden Variation ermöglicht, als um ein sinnesübergreifendes Eintauchen in eine Stimmung, in der die kleinste Abweichung auffällig wird und somit an Bedeutung gewinnt. Wilsons Inszenierung, Glass’ Musik wie auch Childs’ Choreografie und die Texte von Christopher Knowles und Childs dienen somit der Förderung eines differenzierten Sehens und Hörens. Aufgrund der Nebeneinanderstellung von Text, Bild, Bewegung und Musik, die keineswegs ineinander aufgehen, sondern häufig ganz unterschiedlichen Rhythmen folgen, erfordert die Inszenierung ein multisensorisches, differenziertes Wahrnehmen, das intensive ästhetische Erfahrungen ermöglicht. Childs’ Tanzsolo »Character on Three Diagonals« in Einstein on the Beach und Howes’ Tanz der Frau in Rumstick Road weisen Übereinstimmungen auf. Beide Bewegungssequenzen beinhalten keine expressiven Elemente aus dem klassischen oder modernen Tanz, sondern reihen exzessiv Alltagsbewegungen aneinander. So bewegt sich Childs etwa dreißig Minuten lang, gehend, hüpfend, im Wechselschritt auf drei Diagonalen vor und zurück; Howes wirft minutenlang ihren Oberkörper vor und zurück. Beide Szenen gewinnen ob ihrer scheinbar unendlichen Wiederholung an Bedeutung. Narrative Bedeutungszuschreibungen hingegen laufen spätestens nach wenigen Minuten ins Leere, das Auf und Ab, das Vor und Zurück bedeuten nicht mehr und nicht weniger als die Bewegungen, die beide Tänzerinnen immer wieder vollziehen. Als rhythmi-

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sche Phänomene gehen sie die Zuschauerinnen und Zuschauer an und machen die Wiederholung als Prozess erfahrbar, der die eigenleibliche rhythmische Organisation zu affizieren vermag. Die beschriebenen und ähnliche Wiederholungsverfahren werden sowohl von der Wooster Group als auch von Wilson in nachfolgenden Produktionen eingesetzt und weiterentwickelt. So arbeitete die Wooster Group in Nayatt School (1978), dem dritten Teil der Trilogie Three Places in Rhode Island, mit der Einspielung einer Videosequenz auf einer großen Leinwand, die im Hintergrund über dem Bühnengeschehen platziert war, während die Darsteller auf der Bühne ebendiese Szene unter der Projektion zeitgleich live spielten. In L.S.D. (…Just the High Points…) (1984) wurde diese Strategie der Synchronisation von Videomaterial fortgesetzt. Die Darsteller der Produktion hatten nach der Einnahme von LSD eine Szene aus Arthur Millers The Crucible (1953) geprobt, wobei sie auf Video aufgezeichnet worden waren. Diese Szene fand Eingang in die Inszenierung, wurde minutiös choreografiert und Abend für Abend wiederholt.40 Auch Wilson nutzte ein Verdopplungsprinzip für seine Produktion I Was Sitting on my Patio This Guy Appeared I Thought I Was Hallucinating (1977). Hier wurde dem Publikum derselbe etwa vierzigminütige Monolog zweimal nacheinander präsentiert, zuerst von Wilson, im Anschluss von Childs gesprochen. Doch die Wiederholungsstrategien fanden auch Eingang in andere Produktionen der 1970er Jahre. So nutzte Childs in ihrer Choreografie Dance (1979), die sie gemeinsam mit Glass und Sol LeWitt entwickelte, eine großflächige Projektion, die auf einem Gaze-Vorhang vor der Bühne genau das aus verschiedenen Perspektiven darbot, was die Tänzerinnen und Tänzer zeitgleich live auf der Bühne vollzogen (Abb. 16). LeWitts Film erlaubte es dem Publikum, die visuelle Synchronisation von Leinwand und Live-Geschehen direkt zu überprüfen.41 Serielle Reihungen fanden 40 | Weitere Beispiele zum Einsatz von Videotechnik in den Inszenierungen der Wooster Group sowie Vorschläge zu dessen unterschiedlichen Funktionen vom Verfremdungseffekt bis hin zur musikalischen Strukturierung des Bühnengeschehens finden sich in Chris Salter: Entangled. Technology and the Transformation of Performance, Cambridge, MA/London: MIT Press 2010, S. 135-139. 41 | DANCE wurde 2009 in neuer Besetzung, aber mit dem Originalfilm von LeWitt wieder aufgenommen. Meine Beobachtungen beziehen sich auf eine Aufführung am 12. August 2011 im Hebbel am Ufer (HAU 1) in Berlin.

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ebenso Eingang in das experimentelle Theater Michael Kirbys, der mit seinem Structuralist Workshop darauf abzielte, ebenjene Strukturen einer Inszenierung auffällig zu machen, die das Illusionstheater zu verbergen sucht: »In his plays, the principle means used to put structure into the foreground is a systematized repetition of related movements, speeches, sounds, objects, and images presented verbally or visually.«42 Die systematische Wiederholung, die Theodore Shank hier beschreibt, fand sich zum Beispiel in Kirbys Photoanalysis (1976). Hier befanden sich zwei Darstellerinnen und ein Darsteller jeweils vor einer Projektionsfläche. Sie sprachen abwechselnd zum Publikum, während ihre Rede von jeweils drei Diaaufnahmen begleitet wurde, bevor der nächste Sprecher übernahm. Die drei Darsteller folgten einer klaren Struktur, erzählten aber in sehr unterschiedlicher Manier: Beide Frauen gaben Erinnerungen aus ihrem Leben preis, während der Mann die Bilder auf seiner Projektionsfläche analysierte. Es kam zu rein strukturellen Wiederholungen: So wiederholten sich Elemente der Narration der einen Frau in der Rede der anderen, oder Orte waren erst auf der Projektionsfläche der einen, später auf der einer anderen Person zu sehen. Während die Wiederholungen einem System folgten und plötzliche Beziehungen aufgrund wiederkehrender Worte und Motive rein struktureller Natur waren, nahm die Wiederholung dennoch Einfluss auf die Interpretation der einzelnen Erzählungen: Das Publikum schrieb den Wiederholungen Bedeutungen zu, die auf Mutmaßungen beruhten, obwohl das System der Generierung dieser Wiederholungen offensichtlich war. Damit wurde der Mechanismus der Erzeugung von Zufällen, Geheimnissen und anderen Momenten, die zu Spekulationen führen, offengelegt.43

42 | Shank: Beyond the Boundaries, S. 150. 43 | Vgl. ebd. Kirby selbst distanziert sich in einem Interview von Shanks Interpretation: »In Ted Shank’s Alternative American Theatre (MacMillan, London: 1982), he claims that what I’m trying to show the audience are these structures and that it’s a process of recognising them, of discovery […]. I don’t agree with that at all. I think that happens to some extent, but I don’t do them for the audience as a game. I do them primarily for myself.« Michael Kirby in Nick Kaye: Art Into Theatre. Performance Interviews and Documents, Amsterdam: Harwood Academic Publishers 1996, S. 117ff. Trotz der unterschiedlichen Deutungen lässt sich meines Erachtens konstatieren, dass den strukturellen Wiederholungen in P HOTOANALYSIS, inten-

IV. Die Inszenierung der Wiederholung

Die Tänzerin Suzanne Helmuth und der Bildhauer Jock Reynolds hingegen begannen Mitte der 1970er Jahre in San Francisco, Theaterproduktionen zu inszenieren, in denen sie abstrakte, stilisierte Versionen von Alltagshandlungen aneinanderreihten. Hospital (1977) weist dabei intensive Sequenzen exzessiver, erschöpfender Wiederholung auf. So entfaltete sich in einer Szene ein repetitiver Tanz, wenn sich in jedem Zimmer des Bühnenbildes eine Nonne mit großem Tempo um sich selbst drehte.44 Ihr ebenfalls formalistisch arbeitender kalifornischer Kollege Allan Finneran inszenierte Stücke, die zwar auf Erzählstrukturen basierten, aber deren vom Publikum antizipierte Geschlossenheit verweigerten: »Instead, the work is unified by the cause-and-effect relationship of the tasks which are mutated by the changes such tasks make in the actual stage space; and the shapes, colours, and recognizable objects are related through repetition, counterpoint, transformation, and visual echoes.«45 Auch hier dienten laut Shank Wiederholungsverfahren also dazu, Repräsentationspraktiken zu subvertieren, indem deren Strukturen offengelegt wurden. Eine Form serieller Reihung entstand mittels der Aufführungen des New Yorker Theaterregisseurs John Jesurun, der 1981 mit Chang in a Void Mood eine Theaterserie ins Leben rief, die bis heute mit jeder neuen Aufführung an die Handlung der vergangenen Aufführung anknüpft. So wiederholen sich die Charaktere, während sich deren Bühnenleben in Fernsehserien-Manier weiterentwickelt. Die einzelnen Episoden folgen insofern einer seriellen Logik, als dass sie jeweils Vorgänger und Nachfolger haben und ihre Reihung einem nachvollziehbaren System entspricht. Gleichzeitig aber knüpfen sie an literarische Erzähltraditionen an und widersprechen in ihrer progressiven Handlung der bis dato in bildender Kunst, Performance und Theater mit serieller Logik erzielten Abkehr von individueller Autorschaft und subjektivem Ausdruck. Wie im vorherigen Kapitel zu Performance und Wiederholung aufgezeigt, finden die dominanten Funktionen ästhetischer Wiederholungsverfahren – nämlich Repräsentationskritik, ästhetische Grenzüberschreitung und die Irritation von Wahrnehmungskonventionen – ein adäquates Spielfeld in der Verkörperung der Wiederholung, wie sie in der Perfordiert oder nicht, das Potenzial eignet, den Aufbau und die narrativen Strategien der Inszenierung auffällig zu machen. 44 | Vgl. Shank: Beyond the Boundaries, S. 134ff. 45 | Ebd., S. 148f.

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mance Art, aber offensichtlich auch in der Aufführung experimenteller Theaterproduktionen stattfand. Die aufführungsspezifische Körperlichkeit sowie die Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption spitzen dabei die Kontingenz des ästhetischen Verfahrens der Wiederholung zu und maximieren die Aspekte von Differenz, die hier sinnesübergreifend erfahrbar werden. Im Unterschied zur Performance bieten die Wiederholungsverfahren in den Inszenierungen der Wooster Group und von Robert Wilson eine weitere Ebene der Reflexion, die es erlaubt, die Wiederholung als ästhetisches Verfahren und zudem in deren Potenzial zur Manipulation, als Gewaltakt der Repräsentation oder auch als Folie für Resignifikationsprozesse zu thematisieren. Wie die Analysen gezeigt haben, führt die Wiederholung in diesem Sinne im experimentellen Theater der 1970er Jahre – neben anderen Inszenierungsstrategien46 – zu einer Umdeutung vorherrschender Konzeptionen von Regie, Schauspiel und Autorschaft.

46 | Auch Strategien jenes Off-Off-Theaters, das die Interaktion mit dem Publikum sucht und oftmals auf Improvisation basiert, unterwandern dem Literaturtheater entsprechende Vorstellungen von Regie, Schauspiel und Autorschaft, indem sie die Kontingenz der Aufführung steigern und Texte, Handlungen sowie den konkreten Ablauf der Aufführung dem Zufall überlassen.

V. Reenactment: Wiederholungsstrategien in Theater und Performance

Während der 1990er und 2000er Jahre ›boomte‹ mit dem Reenactment ein ganz neues Wiederholungsverfahren in Theater und Performancekunst, das seine radikalsten Ausprägungen erneut in New York fand. Die Wiederaufführung an sich mutet dabei im Kontext des Theaters zunächst als wenig innovative Strategie an, schließlich ist jeder auf einer Inszenierung basierenden Aufführung doch ihre Wiederholung bereits von vornherein eingeschrieben. Das Reenactment jedoch ist radikaler: Es strebt nämlich nicht nach einer Wiederholung der Inszenierung, sondern nach jener einer Aufführung, Performance oder eines anderen Ereignisses. Der Begriff des Reenactments ist dabei im angloamerikanischen Raum bereits von den historical reenactments geprägt, Aufführungen historischer Ereignisse bzw. der Alltagsrealität vergangener Jahrhunderte, die an Originalschauplätzen oder in theatralen Settings im Rahmen historischer Museumslandschaften (living history) wiederbelebt werden. In den 1990er Jahren nun wurde die Performance, lange romantisierte Bastion der Unwiederholbarkeit, mit dem Reenactment konfrontiert: Performancekünstlerinnen und -künstler der ersten Stunde suchten ihrer flüchtigen Ereignisse aus den 1960er und 1970er Jahren erneut habhaft zu werden und diese eventuell medial zu fixieren. So entstand 1993 mit Four Pieces by Morris eine von der Filmemacherin Babette Mangolte festgehaltene Wiederholung von vier Performances von Robert Morris, die von Schauspielern nachgestellt und von Mangolte ohne die Anwesenheit eines Publikums aufgezeichnet wurden. Auch Trisha Browns frühe Arbeiten erschienen 2005 unter dem Titel Trisha Brown: Early Works 1966-1979 auf DVD, zum Teil unter Verwendung von Originalmaterial, zum Teil von Brown in den 1990er Jahren erneut aufgeführt. Mike Kel-

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ley und Paul McCarthy lieferten 1995 mit Fresh Acconci einen Film, in dem sie Performanceklassiker von Vito Acconci aus den 1970er Jahren neu interpretierten. Yoko Ono führte 2003 im Pariser Ranelagh Theater ein Reenactment ihres Cut Piece (1964) auf; und im Rahmen des zweiten Teiles der Ausstellung A Short History of Performance (2003) in der Whitechapel Art Gallery in London wiederholten unter anderem Carolee Schneeman und Hermann Nitsch eigene Performances aus den 1960er Jahren. Ich möchte vorschlagen, die ästhetischen Strategien des Reenactments als Ausläufer der Appropriation Art zu betrachten. Die Bezeichnung ›Appropriation Art‹, die für kopierende und zitierende Kunst seit den ausgehenden 1970er Jahren steht, wurde in den frühen 1980er Jahren von einer Gruppe New Yorker Künstlerinnen und Künstler (allen voran Mike Bidlo, Sherrie Levine und Philip Taaffe) in Bezug auf ihr eigenes Schaffen geprägt.1 Viele Arbeiten Bidlos aus den 1980er Jahren gleichen den Originalen anderer Künstler und werden erst durch ihre Titel wie Not Warhol oder Not Yves Klein bzw. durch den Expertenblick als Kopie erkennbar. Levine hingegen orientierte sich an den Reproduktionen bekannter Kunstwerke und stellte Fotos dieser Reproduktionen aus. Taaffes wohl bekannteste Bilder der 1980er Jahre sind seine Versionen von Werken Barnett Newmans, die den Originalen in Maßen und Farbe entsprechen, anstelle von zips2 aber von aufgedruckten Girlanden unterteilt werden. Das Kunstzitat in Form der Verwendung von Reproduktionen anderer Werke findet sich schon in Kasimir Malewitschs Collage Komposition mit Mona Lisa (1914) und den wenige Jahre später entstehenden Collagen der Dadaisten. Die mit eigenen künstlerischen Mitteln und im eigenen Stil vorgenommene Umsetzung einer kunsthistorischen Vorlage lieferte bereits Fernand Léger, ebenfalls in einer Auseinandersetzung mit der Mona Lisa mit La Joconde aux Clés (1930). In seiner Nachfolge lassen sich zudem Roy Lichtensteins Rasterbilder rezipieren, die Kunstdrucken von Bildern Pablo Picassos nachempfunden sind, aber auch Andy Warhols 1 | Vgl. Romana Rebbelmund: Appropriation Art: die Kopie als Kunstform im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1999, S. 11. 2 | Für Newmans Bilder charakteristisch waren als zip (Reißverschluss) bezeichnete vertikale Linien, die – von Newman durch Abklebung erzeugt – die Bildfläche unterteilten.

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Aneignungen prominenter Kunstmotive, wie beispielsweise seine Mona Lisa-Siebdruckserie Thirty Are Better Than One (1963). Und auch Tom Wesselmann reproduzierte Kunstwerke anderer: So schmücken Kopien von Bildern Leonardo da Vincis, Piet Mondrians, Picassos und anderer die Wände in seinen Interieurs, denen sie teilweise farblich angepasst sind.3 Während die Appropriationen der Pop Art neben der Vereinnahmung kunsthistorischen Materials vor allem durch die Reproduktion populärkultureller Images dominiert werden, zeichnet sich die Appropriation Art durch die ausschließliche Aneignung und Wiederholung von Kunstwerken oder Elementen dieser Werke bzw. des Stiles eines Künstlers aus. Die Wiederholung ist hier somit konkret und ausschließlich auf die Reproduktion eines ästhetischen Materials oder Verfahrens ausgerichtet, dem im Kanon der bildenden Kunst bereits ein Wiedererkennungswert eignet. Die Appropriation Artists folgten damit der Kunstpraxis Elaine Sturtevants, die bereits seit den 1960er Jahren künstlerische Arbeiten ihrer Zeitgenossen – zum Beispiel von Warhol, Lichtenstein und Claes Oldenburg – kopiert. Sturtevant verortet sich zwar in der Tradition der Concept Art und wehrte sich gegen das Label der Appropriation, doch leistete sie mit ihren Gesten der Vereinnahmung künstlerischer Arbeiten anderer Pionierarbeit. Beim Reenactment hingegen werden im Medium der Aufführung die vergangenen Aufführungen anderer wiederholt und damit wiederbelebt. Auch eine junge Generation von Performern sucht sich vom ehrfürchtigen Abstand zu den Performanceklassikern zu befreien und das Material neu zu interpretieren bzw. ihrer eigenen Kunstpraxis in Manier der Appropriation Art einzuverleiben.4 Neben einer Vielzahl von Performances, die mit dem Material künstlerischer Aktionen der 1960er und 3 | Zur ausführlichen Betrachtung des Kunstzitates in den historischen Avantgarden und den Neo-Avantgarden mit Fokus auf den Einfluss der dadaistischen Collagen auf die Kunst der Nachfolgegenerationen vgl. Schmidt: Kunstzitat und Provokation im 20. Jahrhundert. 4 | So wurde Onos C UT P IECE (1964) im Rahmen der Ausstellung A Little Bit of History Repeated von 2001 in den Berliner Kunst-Werken von Laura Lima, einer Studentin Marina Abramovićs, neu interpretiert und aufgeführt. Auch Tino Sehgal präsentierte dort eine eigene Version von John Baldessaris I AM M AKING A RT (1971). Ebenfalls 2001 führte Andrea Fraser Martin Kippenbergers Stegreifrede K UNST M USS H ÄNGEN (1995) wieder auf. Und Allan Kaprows 18 H APPENINGS IN 6 PARTS

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1970er Jahre spielen, es interpretieren oder neu kombinieren, zeigt sich mit dem Beginn des neuen Millenniums zudem der Trend, sich mittels des Reenactments oder der Re-Inszenierung bzw. einer der vielen Formen, die sich zwischen diesen beiden Polen etablierten, mit der eigenen Geschichte und der Geschichte des eigenen Mediums auseinanderzusetzen. In ihrem Essay Nichts ist erledigt, nur weil es verging, der einer vom Living Theatre vorgenommenen Re-Inszenierung von The Brig (1963) gewidmet ist, befindet die Theaterwissenschaftlerin Christel Weiler: »Es geht somit in dieser theatralen Geste des Re-Inszenierens um Verlust und Kontinuität. Es geht um etwas, was Künstler und das Publikum gleichermaßen mit der Vergangenheit verbindet, weil es – aus unterschiedlichen Gründen – noch nicht erledigt ist. […] Was uns also mit Blick auf das Living Theatre und The Brig inte ressieren könnte, ist das Gegenwärtige im Vergangenen oder das Vergangene in der Gegenwart, das sich in dieser neuerlichen Inszenierung von The Brig und vor allem in der nachträglichen Auseinandersetzung damit möglicherweise entdeckt.« 5

Weiler weist hier darauf hin, dass die Re-Inszenierung einer inzwischen kanonischen Inszenierung des Off-Off-Theaters der 1960er Jahre durch das gleiche Theaterkollektiv über vierzig Jahre später nicht (allein) an ihrem ästhetischen Wert, ihrem Inhalt oder ihrer Botschaft gemessen werden kann und wird, sondern vielmehr eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sowie mit Möglichkeiten der Aktualisierung vergangener Ereignisse fordert. Das Living Theatre ist dabei mit der Geste, eine alte Inszenierung und damit auch vergangene Aufführungen zu aktualisieren, nicht allein. Die Wooster Group nimmt zahlreiche Inszenierungen nach Jahren wieder auf und bringt sie überarbeitet und teilweise mit neuer Besetzung zur Wiederaufführung.6 Zudem widmet sie sich 2004 in Poor Theater dem (1959) wurde 2006 von André Lepecki reinszeniert und kam im Münchner Haus der Kunst erneut zur Aufführung. 5 | Christel Weiler: »Nichts ist erledigt, nur weil es verging. Living Theatre: ›The Brig‹ – Re-Inszenierung und Gegenwärtigkeit«, in: Theater der Zeit 6 (2008), S. 23. 6 | Die von James Strahs für die Wooster Group geschriebene und in Kollaboration mit ihm entwickelte Produktion N ORTH ATLANTIC beispielsweise kam erstmals 1984 mit Mitgliedern der Wooster Group und niederländischen Performern der

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Reenactment von Ausschnitten der Filmaufzeichnung einer Aufführung von Jerzy Grotowskis Akropolis-Inszenierung von 1962. Sie kehrt damit zum einen zu ihren Wurzeln zurück und erinnert an den Einfluss Grotowskis auf die New Yorker Off-Off-Szene der 1970er Jahre und insbesondere auf Richard Schechners Performance Group, aus der die Wooster Group hervorging. Zusätzlich wird in der Inszenierung, die die Aufzeichnung einer Aufführung zum Ausgangspunkt nimmt, die mediale Spezifik des Aufzeichnungsmediums bedacht und wiederholt. Diesen Prozess treibt die Wooster Group mit ihrem Hamlet (2007) auf die Spitze, indem sie den Film einer Aufführung der legendären, gleichnamigen Broadway-Inszenierung von John Gielgud mit Richard Burton in der Hauptrolle zum Ausgangspunkt ihrer eigenen Inszenierung nimmt und die Aufzeichnung – nicht die jener zugrunde liegende Aufführung – minutiös zu wiederholen sucht. Robert Wilson, Philip Glass und Lucinda Childs erarbeiteten 1984 und 1993 Wiederaufnahmen von Einstein on the Beach (1976), und re-inszenierten die Oper dann 2012 erneut. Zudem sollte Anfang 2012 mit I Was Sitting on My Patio This Guy Appeared I Thought I Was Hallucinating von 1977 im Rahmen des Pacific Standard Time Performance and Public Art Festivals in Los Angeles eine weitere Produktion von Wilson und Childs wiederaufgeführt werden.7 Childs’ Dance von 1979 wurde bereits 2009 wieder aufgenommen und befand sich bis Anfang 2012 in den USA, Europa und Australien auf Tournee. Diese und weitere Beispiele machen deutlich, wie sehr die Wieder-Holung der Aufführungen und Inszenierungen der New Yorker Neo-Avantgarde (bzw. im Fall Grotowskis und Gielguds wichtiger Einflüsse auf diese) die zeitgenössische Theater- und Tanzszene bestimmen und wie vordergründig damit die Reflexion der Geschichte dieser Avantgarde ist. Ich möchte mich im Folgenden zwei zentralen Reenactments der Theater- und Performancekunst widmen. Am Hamlet (2007) der WoosGlobe Theater Company in Eindoven zur Aufführung und wurde dann 1985 ausschließlich mit Wooster Group-Darstellern neu inszeniert. Weitere Versionen der Inszenierung folgten 1999 und 2010. Auch die Inszenierung von THE E MPEROR J ONES (1993) entstand 2006 erneut, H OUSE L IGHTS (1998) feierte 2005 seine zweite Premiere und H AMLET (2007) kam 2012 zur Re-Inszenierung. 7 | Die Premiere wurde allerdings bis auf Weiteres verschoben. Zur Drucklegung dieses Buches stand noch nicht fest, ob es tatsächlich zur Wiederaufführung kommen wird.

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ter Group lässt sich aufzeigen, wie ein Theaterkollektiv, das das experimentelle Theater maßgeblich geprägt und um avancierte Wiederholungsstrategien bereichert hat, seine Wiederholungspraxis weiterentwickelt. Mit dem Reenactment kommt eine Wiederholung als Rahmung hinzu, die nun zwei Gesten der Reproduktion (die Synchronisation und die Wiederaufführung) verschränkt und die Wiederholungsszenarien verkompliziert. Mit Marina Abramović tritt zwar keine US-amerikanische Künstlerin in Aktion, 8 ihre Seven Easy Pieces (2005) fanden allerdings im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum statt, und unter den internationalen Performanceklassikern, deren Reenactment Abramović sich hier widmet, sind mit Vito Acconcis Seadbed (1972) und Bruce Naumans Body Pressure (1974) gleich zwei Performances US-amerikanischer Künstler vertreten.9 Die Projekte der Wooster Group und Abramovićs suchen mittels der Wieder-Holung dezidiert die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und erproben die Potenziale und Widerstände der Reproduktion im flüchtigen Medium Aufführung. Ich möchte abschließend die Gemeinsamkeiten der Gesten beider Inszenierungen herausarbeiten.

V.1 P LE ASE S TAND B Y : H AMLET (2007) DER W OOSTER G ROUP 1964 zeichnete Bill Colleran eine Aufführung der erfolgreichen HamletInszenierung John Gielguds mit Richard Burton als Hamlet auf und verarbeitete sie zu einem Theatrofilm. Dieser wurde daraufhin in den USA an nur einem Wochenende in etwa tausend Kinos ausgestrahlt. Auch 8 | Die im ehemaligen Jugoslawien geborene Künstlerin ist allerdings seit 2005 Wahl-New Yorkerin. 9 | B ODY P RESSURE bestand bei Nauman aus der Installation eines Stapels mit Papieren, auf die jeweils dieselben Handlungsanweisungen gedruckt waren. Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung wurden eingeladen, anhand dieser Anweisungen ihre eigene Performance zu realisieren. Somit ist es fragwürdig, B ODY P RESSURE als Reenactment einer Performance Naumans zu betrachten. Vielmehr findet Abramovićs Performance, die sich nach dieser Anweisung richtet, im Rahmen seiner Arbeit statt. Trotzdem werde ich im Folgenden Abramovićs Bezeichnung ›Reenactment‹ für die ersten sechs der S EVEN E ASY P IECES, die ganz unterschiedlich mit ihren ›Originalen‹ verfahren, beibehalten.

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jenen Amerikanern, die nicht nach New York reisen konnten, um die Broadway-Produktion am Lunt-Fontanne Theatre zu sehen, sollte diese durch den Film zugänglich gemacht werden. Nach dem besagten Wochenende wurden auf Anweisung Burtons mit zwei Ausnahmen alle Kopien zerstört. Erst nach dessen Tod, über zwanzig Jahre später, gab seine Witwe eine der Kopien frei und der Film erschien bald darauf auf Video und DVD.10 Das Konzept des Theatrofilmes lässt sich als intermediale Strategie bezeichnen, die Theateraufführung in das mediale System des Filmes zu übersetzen und filmisch zu wiederholen. Gefilmt wurde lediglich während einer Aufführung, wobei sich die Aufzeichnung der Flüchtigkeit des Theaterereignisses insofern annäherte, als dass sie überall nur ein einziges Mal zu sehen war. Die Verwendung von 17 unterschiedlichen Kameraperspektiven verrät aber bereits einen gravierenden Unterschied zur Aufführung. Der Film wurde geschnitten, verschiedene Perspektiven und Einstellungsgrößen vom Close-up bis zur Totale, die den kompletten Bühnenraum erfasst, wechseln einander ab. Die Wooster Group versucht sich in ihrem Hamlet 11 an einer Rückübersetzung dieses Prozesses. Ihr liegt lediglich der Film der GielgudInszenierung vor, den sie nun in das mediale System der Aufführung übersetzt. Tatsächlich scheint es dabei weniger darum zu gehen, die auf Film aufgezeichnete Aufführung von 1964 zu wiederholen, als vielmehr das historische Dokument des Theatrofilmes auf die Bühne zu bringen: Nicht die Perspektive des Publikums wird rekonstruiert, vielmehr wer10 | Zu Collerans H AMLET -Theatrofilm vgl. William B. Worthen: »Theatrofilm by Electronovision«, in: ders.: Drama. Between Poetry and Performance, Chichester/ Malden, MA: Wiley-Blackwell 2010, S. 127f. 11 | Ich beziehe mich in den folgenden Ausführungen auf die erste Aufführung des H AMLET der Wooster Group im Mercat de les Flors in Barcelona am 27. Juni 2006 (Koproduktion mit dem Festival de Barcelona Grec), auf die Aufführungen im Rahmen des Gastspieles der Wooster Group im Hebbel am Ufer (HAU 2) in Berlin am 16., 17. und 19. November 2006 sowie auf einen Aufführungsmitschnitt vom 05. August 2009 (Festiwal Szekspirowski im Teatr Muzyczny, Gdynia, Polen) aus dem Archiv der Wooster Group. Die Datierung des H AMLET auf 2007 resultiert aus der New York-Premiere, die von der Wooster Group als offizielle Premiere gewertet wird und somit ausschlaggebend für die Kennzeichnung all ihrer Produktionen ist. Die Premiere fand demnach am 09. Oktober 2007 im Public Theater statt.

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den für die medialen Besonderheiten, die der Film bietet – die Schnitte und Perspektivwechsel sowie die Tatsache, dass ein Großteil des Bühnengeschehens filmisch nicht übermittelt wird –, theatrale Entsprechungen gefunden. Dieser Prozess, die Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen des Filmes in die Aufführung zu übertragen, ist von zahlreichen Widerständen gekennzeichnet und die unzähligen Differenzen der Wiederholung bestimmen die Ästhetik des Theaterabends. Strategien, die auf die Überwindung der Widerstände, die sich im Übersetzungsprozess ergeben, abzielen, stehen dabei Seite an Seite mit Strategien, diese Widerstände zu betonen und neue zu etablieren. Die Bühne der Wooster Group-Produktion ist keineswegs eine direkte Kopie der Bühne der ›Original‹-Aufführung. Sie enthält zwar alle wichtigen Elemente: einen Tisch, mehrere Stühle, einen Kleiderständer, zwei Schiebewände im Hintergrund, ein Plateau und einen Steg auf der vom Publikum aus gesehen rechten Seite, der in den Bühnenraum hineinführt. Die Nachbildung zeichnet sich aber durch Abweichungen aus. So fehlt eine große Treppe, die im ›Original‹ vom Plateau rechts ins Off führte, und die Treppe, die zum Plateau führt, ist um eine Stufe kürzer. Zudem befinden sich zusätzlich zehn Monitore, drei Kameras und ein Mikrofon auf der Bühne. Drei der Monitore sind großformatige Flachbildschirme, die mit Seilzügen an Metallstangen befestigt sind und manuell auf verschiedene Höhen gefahren werden können. Diese Bildschirme sind frontal zum Zuschauerraum ausgerichtet, einer befindet sich mittig im Bühnenhintergrund, die anderen beiden sind rechts und links auf Rollelementen platziert und werden im Laufe der Aufführung immer wieder unterschiedlich positioniert. Die übrigen sieben Monitore sind auf die Darsteller ausgerichtet und werden von einem weiteren Monitor ergänzt, der im Zuschauerraum über den Köpfen des Publikums angebracht ist. Den Bühnenhintergrund bildet eine große Leinwand, auf die Collerans Hamlet-Theatrofilm projiziert wird. Alle Möbel im Bühnenbild befinden sich auf Rollen und können schnell und ohne großen Kraftaufwand bewegt werden. Die Bewegungen, die die Schauspielerinnen der Wooster Group parallel zum ablaufenden Film ausführen, entsprechen nicht nur den Bewegungen der Darsteller im Film, sondern sie rekonstruieren gleichzeitig dessen wechselnde Kameraperspektiven und Einstellungsgrößen. Wechselt der Film von einer weiten Einstellung zur Nahaufnahme, rücken die involvierten Darsteller blitzschnell nach vorne und bewegen zudem das Mobiliar mit sich. Wird ein Schauspieler im Film plötzlich von der Seite

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gezeigt, so präsentiert der entsprechende Darsteller auf der Bühne dem Publikum nun ebenfalls seine Seitenansicht. Dass die Übersetzungsleistungen nicht reibungslos und schon gar nicht so schnell bzw. so ›unsichtbar‹ wie die Montage im Film vor sich gehen können, liegt auf der Hand, und ein grotesk anmutender Überschuss an Bewegung entsteht (Abb. 17). Der intermedialen Übersetzung sind seitens der Inszenierung zusätzliche Grenzen gesetzt. So spielen die meisten Darsteller mehrere Rollen und geraten somit in zahlreichen Szenen in den Konflikt doppelter Anwesenheit, der auf unterschiedliche Weise gelöst wird. Zudem kommt erschwerend hinzu, dass Scott Shepherd, der Darsteller des Hamlet, den Text des Burton-Filmes in vielen Passagen wieder dem in William Shakespeares Hamlet (1603) angelegten Sprechrhythmus angepasst hat. Lange Pausen der Gielgud-Inszenierung sind also in der Aufführung der Wooster Group gestrichen, einzelne Passagen wieder in den Versrhythmus gesetzt. Das Resultat sind glitches 12 im digitalisierten Filmmaterial, die sich in Sprüngen der mediatisierten Personen manifestieren, die dem Rhythmus der Sprache entsprechend von einer Position in eine viel spätere ›katapultiert‹ werden. Zudem sind weitere glitches in das Film- und Tonmaterial integriert, die als Materialstörungen die Übertragung unterbrechen und häufig die Übergänge zwischen den Szenen markieren. Diese neu entstandenen Inkohärenzen im Filmmaterial werden, ebenso wie echte Materialfehler der alten Aufzeichnung, von den Darstellerinnen der Wooster Group ausagiert. Dem Publikum wird das Nachvollziehen und Vergleichen von Film und Live-Geschehen zudem insofern erschwert, als dass der Film, der im Hintergrund läuft, verfremdet wurde. Die Darsteller in der Filmversion sind über weite Strecken des Filmes wegretuschiert und oft nur schemenhaft, partiell oder gar nicht zu sehen. Was bleibt, ist 12 | Der Begriff ›glitch‹ stammt aus der Elektronik und meint eine kurzzeitige Falschaussage in logischen Schaltungen. Seit den 1990er Jahren steht die Glitch Art (auch Art from Error) für eine Ästhetik, die von Computerabstürzen und digitaler Korruption geprägt ist. In der elektronischen Musik bezeichnet glitch ein Genre, das digitale Störgeräusche wie Sprünge, Verzerrungen und Übersteuerungen als Stilmittel nutzt. Die Ästhetik der Wooster Group-Inszenierung orientiert sich sowohl in der digitalen Bildbearbeitung der Filmvorlage als auch in den Toneinspielungen häufig an dieser glitch-Ästhetik. Vgl. Kim Cascone: »The Aesthetics of Failure. ›Post Digital‹ Tendencies in Contemporary Computer Music«, in: Computer Music Journal 24.4 (Winter 2000), S. 12-18.

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die Aufzeichnung der leeren Bühne, in der sich die wechselnden Kameraperspektiven und die Veränderungen im Bühnenbild zeigen, während die Darsteller nur noch zu erahnen sind.

Hamlet, II. Akt, 2. Szene Ich werde mich nun detailliert einer knapp achtminütigen Sequenz in der 2. Szene des II. Aktes des Hamlet der Wooster Group widmen, die mit dem Auftritt der Figuren Rosencrantz und Guildenstern beginnt und mit dem Auftritt der Schauspielertruppe endet. In dieser Szene, die das erste Zusammentreffen von Hamlet, Rosencrantz und Guildenstern in Shakespeares Stück beinhaltet, spielt Scott Shepherd den Hamlet, während Casey Spooner abwechselnd die Rollen Rosencrantz und Guildenstern übernimmt und die Texte beider spricht. Ari Fliakos, der in dieser Szene die Möbel entsprechend der Einstellungsgrößen der Filmaufnahme bewegt, bleibt stumm, springt Spooner aber gemäß der Vorlage des Filmes immer wieder als Guildenstern oder Rosencrantz zur Seite. Nach wenigen Minuten übernimmt Daniel Pettrow überwiegend den Part und den Text des Rosencrantz. Die Szene beginnt damit, dass Shepherd – in seiner Rolle als Hamlet, der kurz davor steht, die Begrüßung durch Rosencrantz und Guildenstern zu erwidern – gen Technikzentrale hinten im Zuschauerraum den Befehl »Fast Forward« gibt.13 Sofort beginnen Ton und Film schneller abzulaufen und in der linken oberen Ecke der Filmleinwand wird der Schriftzug »Play« nun von »FF« abgelöst. Shepherd bewegt sich dem rasanten Tempo entsprechend auf seine beiden Mitspieler zu und spricht Hamlets Gruß so schnell, dass er kaum verständlich ist. Mitten in der Begrüßung gibt er dann die Befehle »Pause« und »Rewind« und begibt sich gemeinsam mit den beiden anderen Darstellern entsprechend des Zurückspulens in eine frühere Position zurück, von der, ebenfalls nach seinem Befehl, der Film wieder abgespielt werden soll. Nun aber kommt ein Kommentar aus der Technikzentrale und Shepherd lässt nach einem Moment der Irritation verlauten, er müsse das Mikrofon wechseln, und geht nach hinten ab. Die beiden Darsteller Spooner und Fliakos sind jetzt allein auf der Bühne und auf der Leinwand und den Monitoren erscheint anstelle des Filmstills der großflächige Schriftzug »Please Stand By«. Beide Darsteller 13 | Bei diesem Zitat sowie den in diesem Kapitel folgenden Zitaten handelt es sich um Transkriptionen der genannten Videoaufzeichnung von J.K.K.

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lösen nun ihre jeweilige Position auf, ›fallen aus ihren Rollen‹, sehen auf die Uhr, lockern ihre Muskeln, gehen ein paar Schritte etc. Dann kommt Shepherd zurück, setzt sich, und der Film wird auf seine Anweisung hin fortgesetzt. Die Darsteller spielen erneut und wieder im Vorspulmodus die Begrüßungsszene. Im folgenden Dialog übernimmt Spooner den Text Rosencrantzs und Guildensterns und wechselt zum Teil zwischen den Positionen beider. Fliakos, der entsprechend der Einstellungswechsel die Möbel verschiebt, springt immer wieder ein, um für den zweiten Gast einzustehen. Ändern sich dabei die Kameraperspektiven, so wird das Spiel der beiden rasant schnell, sie wechseln und tauschen die Positionen und bewegen sich zudem den Einstellungsgrößen gemäß auf das Publikum zu oder von ihm weg. Offensichtlich folgen sie einer virtuosen Choreografie, deren Timing meist mit der Filmaufzeichnung im Hintergrund übereinstimmt. Die Aufzeichnung ist dabei von zahlreichen Auslassungen gekennzeichnet. So lösen sich im digitalisierten Filmmaterial immer wieder einzelne oder auch mehrere Personen komplett oder partiell auf, und die ›Kopie‹ auf der Bühne lässt sich streckenweise erschwert oder nur für einzelne Figuren abgleichen. Die Kamera im Vordergrund der Bühne fängt zudem einen Ausschnitt des Live-Geschehens ein, der zeitgleich auf dem zentralen Flachbildschirm im Mittelgrund der Bühne sichtbar ist. Wiederholt fokussiert sie das Gesicht Fliakos’, während dieser hinter dem Tisch kniet, bereit, diesen nach vorne, nach hinten oder zur Seite zu bewegen. Auch während Hamlet Rosencrantz und Guildenstern nach dem Grund ihres Besuches befragt, ist Fliakos’ Gesicht im Close-Up auf dem Bildschirm sichtbar. Gegen Ende der Sequenz – Hamlet hat bereits von Rosencrantz erfahren, dass der Besuch der beiden vom Königspaar Claudius und Gertrude initiiert wurde – lässt er in dem Satz »My uncle is King of Denmark.« das Wort »Denmark« aus. An dessen Stelle ertönt, dem Sprechrhythmus und der Intonation Shepherds entsprechend, die Toneinspielung Burtons, worauf sich dessen »Denmark« – zwar als medial vermittelte Stimme auffällig, doch insgesamt reibungslos – in Shepherds Rede einfügt. Während Hamlet sein Misstrauen Claudius und Gertrude gegenüber andeutet und den Freunden verkündet, deren Einladung folge einer Strategie des Königspaares, legt Shepherd seine Hand auf eine Stuhllehne, die Fliakos, in seiner Position als Bühnenarbeiter, um den Hals trägt. Hamlet kündigt an, zu enthüllen, warum das Königspaar nach den Freunden schickte, und nennt als Grund seiner Offenheit, dass er vereiteln wolle,

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von den Freunden ausspioniert zu werden: »I will tell you why, so shall my anticipation prevent your discovery, and your secrecy to the King and Queen moult no feather. I have of late, but wherefore I know not, lost all my mirth […].« Shepherd steigt daraufhin auf den Tisch und berichtet in seiner Rolle als Hamlet von oben, dass ihn nichts mehr mit Freude erfülle, er auch die Freude an den Menschen verloren habe. Dabei illustriert er seine Rede mit großen Gesten und balanciert auf den Möbeln, während Fliakos hinter ihm ins Leere blickt. In der beschriebenen Sequenz offenbart sich, wie radikal die Wooster Group ihre Verkörperung der Wiederholung seit Rumstick Road weiterentwickelt hat. Waren bereits damals Tonaufnahmen und Diaprojektionen Ausgangspunkt minutiös choreografierter Synchronisation, mittels derer Repräsentationspraktiken in ihrer Brutalität thematisiert und unterwandert wurden,14 verfährt die Hamlet-Inszenierung noch konsequenter: Die Darsteller richten ihre Synchronisation nun nach einem Film und damit dem Zusammenspiel von Bild, Bewegung und Ton sowie den medialen Besonderheiten des Filmes.15 Von kleinen Ausnahmen – so der Einspielung des Wortes »Denmark« – abgesehen, unterscheidet sich Hamlet von Rumstick Road aber auch dadurch, dass nun die Sprache der Live-Darsteller die Sprache ihrer medialen Vorbilder ersetzt. Die Tonspur des Filmes bleibt den Darstellern vorbehalten, die sie über in ear monitors empfangen; das Publikum hört sie nur in wenigen Ausnahmen. Die Darsteller verkörpern hier jeweils ein Vorbild (Shepherd, Pettrow) oder gleich mehrere Vorbilder (Spooner, Fliakos). Sie wiederholen einerseits deren Ausdruck, deren Gesten, Bewegungen, Sprache und Betonung. Andererseits schließt ihre Kopie der Darsteller des Filmes immer auch die Kopie des Reproduktionsmediums Film mit ein. Sie agieren also neben ihren Vorbildern auch deren mediale Verfasstheit mit aus. Fliakos bewegt in der beschriebenen Szene Tisch und Stuhl den oft schnell hintereinan14 | Vgl. Kapitel IV.1, S. 174-186. 15 | Diese in H AMLET auf die Spitze getriebene Form der umfassenden Rekonstruktion audiovisuellen Materials geht bereits auf R OUTE 1 & 9 (1981) zurück. Hier begann die Inszenierung mit der Einspielung eines Videos, in dem Ron Vawter ein Lehrvideo von Clifton Fadiman über Thornton Wilders Our Town (1938) wiederholte. Ein Live-Reenactment fand erstmals in L.S.D. (…J UST THE H IGH P OINTS …) (1984) statt. Hier wurde allerdings die Videoaufzeichnung einer Probe der Wooster Group und somit eigenes Material in der Aufführung minutiös wiederholt.

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der geschnittenen Einstellungswechseln folgend hin und her. Er ist dabei als Darsteller sichtbar und als Claudius-Darsteller aus vergangenen Szenen erkennbar und steht doch in den Momenten des Perspektivwechsels lediglich für die Übersetzung der filmischen Konventionen auf die Bühne. Im nächsten Moment aber springt er seinem Mitspieler Spooner zur Seite, verkörpert mal Rosencrantz, mal Guildenstern, bis ein erneuter Einstellungswechsel folgt und seine Aufmerksamkeit fordert. Das Publikum ist hier mit einer komplexen Wahrnehmungssituation konfrontiert: Die Darsteller sind wie in jeder Aufführung in ihrer konkreten Leiblichkeit anwesend. Gleichzeitig verkörpern sie eine Rolle aus Shakespeares Drama Hamlet.16 Ihre Verkörperung entspricht dabei gemäß der Wiederholung dem antiquierten Stil eines überkommenen Repräsentationstheaters, gepaart mit einem absurd anmutenden Bewegungsüberschuss, der auf die physischen Anpassungen an die Einstel16 | Erika Fischer-Lichte nimmt in ihrer Ästhetik des Performativen die Unterscheidung zwischen den Wahrnehmungsordnungen der Repräsentation und der Präsenz vor, wobei sie nicht von einem dichotomischen Verhältnis beider ausgeht, sondern sie als Resultate der Wahrnehmung spezifischer Verkörperungsprozesse beschreibt. Der Ordnung der Repräsentation entspricht in diesem Sinne die Wahrnehmung des Rollenkörpers des Schauspielers, also der fiktiven Figur, welcher der Schauspieler mittels seiner Körperlichkeit Ausdruck verleiht. Seine konkrete Leiblichkeit hingegen wird auffällig, wenn sich die Zuschauerwahrnehmung im Rahmen der Ordnung der Präsenz auf das phänomenale Sein der Materialitäten des Bühnengeschehens konzentriert und deren eventuell vorhandener Verweischarakter in den Hintergrund rückt. Vgl. Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 255261. Im Falle des H AMLET der Wooster Group gestaltet sich der Wahrnehmungsprozess noch komplexer: Dem Publikum stehen hier live anwesende Darsteller gegenüber, die eine dramatische Rolle und zudem ihre medialen Vorbilder verkörpern, welche ihrerseits eine dramatische Rolle hervorbringen. Dabei können die live anwesenden, aber auch die mediatisierten Darsteller sowohl in ihrer konkreten Leiblichkeit als auch als Rollenfigur auffällig werden, wobei sie aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Medialitäten ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. Der performative Überschuss, der ob der Verkörperung der medialen Spezifik des Filmes entsteht, wirft das Publikum dabei häufig auf die präsente Leiblichkeit der Darstellerkörper zurück. Die digital bearbeiteten Filmkörper, die sich regelmäßig auflösen und neu zusammensetzen, rücken ebenfalls die vergängliche Leiblichkeit der (Film-)Darsteller in den Vordergrund.

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lungswechsel im Film zurückzuführen ist. Gleichzeitig lässt sich auf der Leinwand im Hintergrund die Schauspielleistung der Darsteller der Gielgud-Inszenierung nachvollziehen, die die Vorlage für den Schauspielstil der Live-Akteure bietet. Richtet das Publikum seinen Fokus auf den Film, ist es dabei ebenfalls mit der Dichotomie konkreter Leiblichkeit und repräsentierter Rollenfigur konfrontiert – hier aber erscheinen beide medialisiert. Die Zuschauerinnen werden somit in einen vielschichtigen und durch seine Inkohärenzen in Material und Übersetzung komplizierten Vorgang des Vergleichens eingebunden. Streckenweise kann das Publikum alle Figuren mit ihren medialen Vorbildern vergleichen. Während des Großteiles des Geschehens aber wird der Wiederholungsprozess gebrochen, der Vergleich erschwert. Das Publikum wird auf die Leiblichkeit der Live-Darsteller zurückgeworfen, die sich virtuos in dem Raum bewegen, den die intermediale Übersetzung hier öffnet. Dieser Zwischenraum wird ganz offensichtlich bespielt, wenn Shepherd wie zu Beginn der beschriebenen Sequenz der Technik das Vor- oder Zurückspulen diktiert und – einem Master of Ceremonies gleich – Einfluss auf die Manipulation des Filmes und somit den Ablauf der Aufführung nimmt. Das Publikum gerät mittels dieser und anderer Destabilisierungsstrategien immer wieder zwischen die Medien, vor allem zwischen die anwesenden und mediatisierten Körper und deren Rollenfiguren. Erst lange nachdem das Wiederholungssystem, dem die Aufführung folgt, erschlossen ist, passt sich die Wahrnehmung den ungewohnten Anforderungen an, und die Zuschauer sind zumindest zeitweise in der Lage, dem Inhalt der verdoppelten Inszenierung von Hamlet zu folgen. Die komplexe Wiederholung des Filmes mutet auf den ersten Blick als Medienwechsel an. Ein Film, der seinerseits eine Aufführung zum Inhalt hat, wird zurück in das mediale System der Aufführung übersetzt. Fruchtbarer ist es aber, die Übersetzungsstrategien der Wooster Group als intermediale Bezüge in Form von System- und Einzelreferenzen zu charakterisieren. Im theatralen Vollzug wird sowohl auf den besagten Theatrofilm Collerans als auch auf das Referenzmedium Film an sich verwiesen. Dabei sucht die Inszenierung die Differenzen der Wiederholung zuweilen zu minimieren, dann wieder ist sie darauf angelegt, diese zu vertiefen. So ließe sich zum Beispiel der häufige Wechsel Spooners zwischen der Verkörperung Rosencrantzs und Guildensterns vermeiden, wenn Pettrow die Bühne wenige Minuten eher betreten und eine der beiden Figuren durchgehend verkörpern würde. Das gewählte, widerständi-

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ge Wiederholungsverfahren weist dabei Parallelen zu Roy Lichtensteins Übersetzung von Comicmaterial auf die Leinwand auf.17 Lichtenstein übertrug nicht nur das gedruckte populäre Bildmaterial – das seinerseits bereits von der Zeichnung in den Druck übersetzt worden war – in das Medium Malerei, sondern er kopierte mit seiner Rasterpunktästhetik auch die mediale Spezifik des Ausgangsmediums. So wie in Lichtensteins Bildern das Rasterpunktverfahren auffällig wird, während es in der Comicbetrachtung längst den Wahrnehmungsgewohnheiten der Rezipienten entspricht, geraten in der Wooster Group-Übersetzung die filmischen Konventionen mittels ihrer Live-Entsprechungen in den Fokus der Wahrnehmung. Die Wiederholung führt hier in aller Perfektion eben nicht zum bruchlosen Aufgehen eines Mediums in einem anderen, sondern entfaltet vielmehr ein freies Spiel von Differenzen. So werden den der Übersetzungsleistung geschuldeten Irritationen, wie die Identifikation des lediglich möbelrückenden Fliakos, der gleichzeitig aber auch als lauschender Claudius wahrgenommen werden kann, weitere Irritationsmomente an die Seite gestellt: Shepherds Befehle und sein (vermeintlich intendierter) Mikrofonwechsel führen dazu, dass der Übersetzungsprozess unterbrochen, gar thematisiert wird und sich im Rahmen der Kopie des Filmes immer mehr Abweichungen ergeben. Das Verhältnis von Original und Kopie scheint sich dabei in der Aufführung von 2009 zuweilen zu verkehren: Die Darsteller haben die Bewegungen und Gesten ihrer medialen Vorbilder nun zum Teil so sehr verinnerlicht, dass sie ihnen häufig einen Augenblick zuvorkommen: Plötzlich scheinen sie den Impuls zu geben, den ihre medialen Schatten im Hintergrund lediglich wiederholen. Auch das Verfahren, mittels des Live-Videos auf den Monitor im Bühnenhintergrund vor der Leinwand gegenwärtig eingefangene Details zu übertragen und den Filmbildern der Vergangenheit an die Seite zu stellen, führt dazu, dass die klare Abgrenzung von Vergangenem und Gegenwärtigem aufgehoben wird, die Zeitebenen im Blick der Zuschauerin verschmelzen und ununterscheidbar werden. Zudem werden die Filmbilder immer wieder ihrer Vorbildfunktion enthoben, indem sie sich partiell auflösen. Ständig verblassen und verschwinden die Charaktere im Film, während ihre Live-Entsprechungen anwesend sind. Hier ist den Filmbildern mit dem Verschwinden eine Qualität eingeschrieben, die in der Regel der Aufführung zugespro17 | Vgl. Kapitel II.3, S. 123-127.

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chen wird: »Performance’s only life is in the present. […] Performance’s being […] becomes itself through disappearance«,18 konstatiert Peggy Phelan und grenzt die flüchtige Aufführung damit bekanntlich von deren medialer Fixierung ab. Die Wooster Group aber hebelt hier diese Dichotomie aus und findet theatrale Entsprechungen für die tatsächliche Komplexität des Verhältnisses von Live-Geschehen und dessen Konservierung: Der gegenwärtigen Aufführung von Hamlet sind hier ganz offensichtlich Konventionen eingeschrieben, die auf die mediale Fixierung einer vergangenen Aufführung zurückzuführen sind. Ist die Aktion der Wooster Group-Darsteller zwar live, so speist sie sich doch aus der Vergangenheit, deren Erinnerung regelmäßig und nicht nur in dieser offensichtlichen Aneignung auch von der Rezeption medialer Artefakte geprägt wird. Gleichzeitig wird der Status des Filmes in seiner Flüchtigkeit offenbar. Indem die medial gebannten Körper streckenweise getilgt sind, spielt die Wooster Group auch darauf an, dass die Live-Situation nicht nur Aufführungen auszeichnet, sondern ebenfalls konstitutives Moment der Entstehung jedes Filmes ist. Der Tod von Darstellern, Traditionen und Repräsentationsmechanismen, die den Film hervorbrachten, schreibt sich mittels der Rezeption auch in das artefaktische Produkt ein, dem in diesem Sinne durchaus ein Maß an Vergänglichkeit eignet. Die Wooster Group hat mit ihren Wiederholungsverfahren bereits Mitte der 1970er Jahre und in vielen Inszenierungen seitdem versucht, die Toten ›auferstehen‹ zu lassen.19 Von Rumstick Road (1977) bis Hamlet (2007) kennzeichnet dabei der Versuch, mittels der ›wieder holenden‹ Synchronisation, Vergangenes zu vergegenwärtigen, die ästhetischen Strategien des Ensembles. »Under her [Elizabeth LeCompte’s, J.K.K.] guidance, the Group quickly developed what could be called a house style of performance. Gray, Dafoe, Peyton Smith, Valk, Ron Vawter, and the many associate artists helped to remake acting not by attempting to become characters but by merely standing in for others (to borrow Vawter’s phrase), the ones who could not be present, pointing to the absent others with an unparalleled dynamism, virtuosity, and rigor. […] In that sense, the Wooster Group performers have always been the producers not of characters but

18 | Phelan: Unmarked, S. 146. 19 | Vgl. Salter: Entangled, S. 139.

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simulacra. And their performances represent not impersonations, but, to borrow Joseph Roach’s term, acts of surrogation.« 20

Seien es die realen Toten (wie Grays Mutter in Rumstick Road), die fiktionalen Toten (wie Emily in Wilders Our Town in Route 1 & 9 von 1981) oder sei es die vergangene Theaterpraxis, in Relation zu der sich die New Yorker Theater-Avantgarde konstituierte (wie Grotowskis Akropolis-Inszenierung von 1962 in Poor Theater 2004 und der Hamlet Gielguds von 1964 in der gleichnamigen Produktion 2007) – mittels medialer Vermittlung und deren Synchronisation suchte die Wooster Group, sich dem Vergangenen anzunähern, die Vergangenheit gleichzeitig ›wieder zu holen‹ und ihren Verlust zu markieren. David Savran widmet sich in seinem Essay The Death of the Avantgarde bereits 2005 mit Fokus auf Poor Theater (und damit vor Hamlet) der Radikalisierung der Wieder-Holungspraxis der Wooster Group, die er unter anderem als ästhetische Verarbeitung zahlreicher Verluste deutet: »If Poor Theater traces a set of private losses, its foregrounding of this most commemorative of artistic practices cannot help but evoke other shapes and figures that just appear, a series of more public losses. For the death of the avantgarde is more than a figure of speech.«21 Savran stellt die Synchronisationsleistungen der Wooster Group dem Method Acting gegenüber und vergleicht das Verhältnis beider Ansätze mit Sigmund Freuds Konzept vom Unterschied zwischen Trauer und Melancholie. Während nach Freud der Melancholiker nicht in der Lage ist, den Verlust eines anderen trauernd zu verarbeiten und sich diesen in einem Akt der Aneignung stattdessen einverleibt, stellt sich der Trauernde dem Verlust und bearbeitet und verortet ihn außerhalb des eigenen Selbst. Savran konstatiert: »In this context, the Method actor, unable to acknowledge the absence of a character, could be said to be suffering a kind of melancholia, mistaking the role for the self and attempting to introject it. […] The performer, on the other hand, schooled in the kind of work that the Wooster Group epitomizes, takes on the guise of mourner, always cognizant of the phantasmatic nature of performance and the

20 | Savran: The Death of the Avantgarde, S. 15. 21 | Ebd., S. 29.

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impossibility of completely internalizing the absent other (see Freud 1949). […] The former produces (false) interiority, the latter, magical simulacra […].« 22

Savran weist hier darauf hin, wie sehr die Wiederholungspraxis der Wooster Group von Differenzen bestimmt ist. So setzt er eben nicht die Synchronisationsvorgänge mit der Introjektion gleich, sondern schreibt die einverleibende Identifizierung vielmehr dem Method Acting zu. Zwar eignen sich die Darsteller der Wooster Group die Verkörperung ihrer Vorbilder minutiös an. Ihre Imitation basiert allerdings nicht auf Identifikation, sondern auf konkreter Nachahmung aller sicht- und hörbaren Zeichen: der Stimme, des Sprechens, der Bewegung, der Gestik und der Mimik. Das Spiel der Wooster Group zielt damit eben nicht auf die Verinnerlichung ihrer Rollen, ganz im Gegenteil. So fasst der Literatur- und Theaterwissenschaftler Johan Callens treffend zusammen: »[T]he copying prevents the performers from individualizing and fleshing out their parts […].«23 Die in ihrer formalen Strenge als Choreografie anmutende Inszenierung vereitelt jegliche Innerlichkeit der Figuren; diese entstehen vielmehr mittels des Nachstellens aller äußerlichen Zeichen ihrer Vorbilder. Der Vorschlag des Theaterwissenschaftlers Ulf Otto, in Bezug auf Schauspiel im Illusionstheater und im Reenactment eine »Unterscheidung von dar-stellen und nach-stellen«24 vorzunehmen, erweist sich auch für die von ihm nicht betrachtete Theaterpraxis der Wooster Group als operabel: »Mitte des 19. Jahrhunderts legt sich Theaterkunst auf Menschendarstellung fest, bestimmt den Maßstab als wahrhaften Ausdruck von Innerlichkeit […]. Nachstellen hingegen lässt sich kein Selbst, kein Subjekt, keine Rolle – ob psychologisch oder sozial –, sondern nur ein Bild: Eine räumliche Anordnung der Körper, die keine Geschichte hat, keine Motivation kennt und Handeln auf ein situatives Agieren

22 | Ebd., S. 15. 23 | Johan Callens: »The Wooster Group’s Hamlet, According to the True, Original Copies«, in: Theatre Journal 61.4 (Dezember 2009), S. 545. 24 | Ulf Otto: »Die Macht der Toten als das Leben der Bilder«, in: Jens Roselt/ Christel Weiler (Hg.): Schauspielen heute. Die Bildung des Menschen in den performativen Künsten, Bielefeld: transcript 2011, S. 195.

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reduziert. […] Nachstellen heißt Oberflächen verkörpern, um sie dinglich werden zu lassen und im gleichen Atemzug zu verbildlichen.« 25

Otto schreibt hier dem Reenactment (er betrachtet dabei historische Reenactments ebenso wie ästhetische Aneignungen vergangener Performances und Aufführungen) eine Wiederholungsfunktion zu, die mit dem Paradigma der Einfühlung, das sich im 19. Jahrhundert als zentrale ästhetische Kategorie herausbildete, bricht. Die Identifikation von Schauspieler und Rolle und damit die Voraussetzung für Einfühlung wird hier durch die Kopie theatraler Zeichen ersetzt. Zwar gab es bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts verschiedene Ansätze der Distanzierung des Schauspielers von seiner Rolle, deren prominentester zweifellos der in den 1930er Jahren von Bertolt Brecht entwickelte Verfremdungseffekt ist.26 Interessant ist aber in Bezug auf die Wiederholungspraxis der Wooster Group, dass sie in Hamlet mittels der Wiederholung der Körperlichkeit von Darstellern einer Broadway-Produktion rein äußerlich Zeichen hervorbringen, diese aber einer Verkörperungspraxis entspringen, die auf Einfühlung beruht.27 25 | Ebd., S. 196. 26 | Vgl. unter anderem Bertolt Brecht: »Kurze Beschreibung einer neuen Technik der Schauspielkunst, die einen Verfremdungseffekt hervorbringt« [1940], in: ders.: Gesammelte Werke, 20 Bde., hg. v. Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1967, Bd. 15: Schriften zum Theater 1, S. 341-357. 27 | Die Diskussion von Verfahren der Distanznahme und Einfühlung von Schauspielern lässt sich dabei bis in die Schauspieltheorien des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. So plädierte der französische Journalist Pierre Rémond de SainteAlbine in seiner Abhandlung Le Comédien (1747) für den ›heißen‹ Schauspieler, der die dargestellten Gefühle tatsächlich empfindet, während sein Landsmann und Zeitgenosse, der Schauspieler Francesco Riccoboni, in seinem Text L’Art du théâtre (1750) einen ›kalten‹ Schauspieler forderte, dessen Gefühlslage sein Spiel nicht beeinflusst. Vgl. Pierre Rémond de Sainte-Albine: Der Schauspieler. Ein dogmatisches Werk für das Theater, übers. v. Friedrich Justin Bertuch, Altenburg: Richter 1772; Francesco Riccoboni: »Die Schauspielkunst. An die Madame*** durch den Herrn Franziskus Riccoboni den Jüngern. Aus dem Französischen übersetzt«, in: Gotthold Ephraim Lessing: Werke, 25 Bde., hg. v. Julius Petersen u. Waldemar von Olshausen, Berlin u.a.: Bong 1925, Bd. 10 (Teil 12): Kleinere dramaturgische Schriften, S. 474-483.

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Den standardisierten Reproduktionen der Pop und Minimal Art vergleichbar, die das noch den Abstrakten Expressionismus bestimmende Diktum der Genieästhetik durchbrachen, führen die theatralen Reproduktionen zu alternativen Entwürfen des Verhältnisses von Darstellern und Rolle. Dabei ist das Resultat des Nachstellens keineswegs so geschichtslos, wie Otto es beschreibt. Mögen zwar die Motivationen und Impulse rein äußerlich vorgegeben sein, so entsteht mit der Aneignung und Wiederbelebung historischen Materials eine schwer fassbare, doch keineswegs ahistorische Zeitlichkeit. Wie Doris Kolesch in ihrer Studie Theater der Emotionen aufzeigt, kreuzen sich im Körper des Schauspielers »rhetorische, schauspieltheoretische, ästhetische, aber auch moralische, geschlechtsspezifische und gesellschaftlich-soziale Praktiken und Diskurse«.28 Das Reenactment wird somit durch die Doppelstruktur zweier Körperlichkeiten gekennzeichnet, deren Implikationen im Rahmen der Aufführung in Widerstreit geraten: Zwar ist das Reenactment an den Leib des Nachstellenden gebunden, der immer wieder in seiner Materialität, die aus seiner konkreten Geschichte resultiert, hervortritt. Gleichzeitig aber bringt er an und mit diesem Leib Zeichen einer vorgängigen Verkörperung hervor, die von einer anderen Historie und einem anderen Theaterverständnis zeugen und ganz andere ästhetische und soziale Inhalte transportieren können. Evoziert wird also ein Theater, das keineswegs oberflächlich bleibt, sondern mittels der Verschränkung zweier Zeitebenen an Tiefe gewinnt. Die Wiederholungen der Wooster Group rufen Erinnerungen wach und bringen im Akt derer Vergegenwärtigung ungekannte Körpertechniken und ›Sensationen‹ hervor. Ein neues Verkörperungsvokabular ist entstanden, das (an) der virtuosen Verschränkung von Vergangenem und Gegenwärtigem gewachsen ist. Das wiederholende Spiel fungiert somit in Hamlet und in anderen Synchronisation inkorporierenden Inszenierungen der Wooster Group ganz im Sinne Sören Kierkegaards als Pendant zur Erinnerung. Ist die Erinnerung rückwärtsgerichtet, so vollzieht die Wiederholung eine vergleichbare Bewegung nach vorne: »Wiederholung und Erinnerung stellen die gleiche Bewegung dar, nur in entgegengesetzter Richtung; denn woran man sich als Gewesenes erinnert, das wird in rückwärtiger Richtung wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung Erinnerung 28 | Doris Kolesch: Theater der Emotionen. Ästhetik und Politik zur Zeit Ludwigs XIV., Frankfurt a.M./New York: Campus 2006, S. 155.

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in Richtung nach vorn ist.«29 Die Wooster Group präsentiert nun eine Strategie, die Toten ›auferstehen‹ zu lassen und gleichzeitig die mediale Verfasstheit der uns dabei leitenden (und in der Regel durch mediale Artefakte gestützten) Erinnerungen zu reflektieren. So verbindet deren Schauspielstil die Kopie der vergangenen Bewegungen, Gesten und Stimmen mit neuen Bewegungen (kurze Blicke auf die Monitore, schnelle Positionswechsel gemäß der Einstellungswechsel, Handlungen, die der Filmeinspielung entsprechend im Vor- oder Rückspulmodus vollzogen werden), die der medialen Verfasstheit des Referenzmediums Film geschuldet sind. Die vorwärtsgerichtete Erinnerung materialisiert sich hier im Einklang mit Kierkegaards Anspruch einer ob ihrer Bewegung immer schon differenten Wiederholung in Form einer ästhetischen Praxis auf der Bühne.

V.2 THE A RTIST WAS P RESENT : M ARINA A BR AMOVIĆS S EVEN E ASY P IECES (2005) The Artist Is Present. Diesen Titel tragen nicht nur Marina Abramovićs Retrospektive von 2010 im New Yorker Museum of Modern Art und ihre über 700-stündige Performance im Rahmen dieser Ausstellung, sondern auch Entering the Other Side, das letzte ihrer Seven Easy Pieces (2005), die sie im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum zur Aufführung brachte, wird im begleitenden Flyer sowie im Ausstellungskatalog mit den Worten »The artist is present, here and now«30 charakterisiert. Diese Aussage vereint dabei ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen. Zum einen wiederholt Abramović mit dieser Formulierung die Konvention, bei Ausstellungseröffnungen mit der Anwesenheit des Künstlers zu werben, der ansonsten in der Regel nicht in den Ausstellungsräumen anwesend ist. Sie spielt also auf das Spannungsverhältnis von Ausstel29 | Kierkegaard: Die Wiederholung, S. 329. 30 | Marina Abramović: Seven Easy Pieces [Ausstellungskatalog, Solomon R. Guggenheim Museum, New York], Mailand: Charta 2007, S. 220. Zudem trägt der Film von Matthew Akers, der die Entstehung und den Verlauf der Retrospektive im MoMA und insbesondere der titelgebenden Performance dokumentiert, ebenfalls den Titel »The Artist is Present«. Vgl. Matthew Akers: Marina Abramović. The Artist Is Present (2012), Chicago: Music Box Films, DVD, Farbe, mit Ton, 106 min.

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lungs- und Aufführungsraum an und verweist damit auf eine Ambivalenz, die die Präsentation von Performance bis heute begleitet und die in der ›Musealisierung‹ ihrer Arbeiten besonders augenscheinlich wird: Die Anwesenheit der Künstlerin fungiert im Rahmen der Ausstellung artefaktischer Kunst als aufwertende Authentifizierungsstrategie für die Kunstwerke (und somit ebenfalls für jene Institution, die die Werke zeigt und eventuell verkauft) und macht das Ereignis einer Ausstellungseröffnung gleichzeitig insofern zur Performance, als dass bereits vorab ein aufführungsspezifisches Setting konstituiert wird: Die Künstlerin wird sich zeigen; sie soll gesehen werden. Für die Performance Art hingegen ist die Anwesenheit der Künstlerin in der Regel eine Notwendigkeit; die Performance realisiert sich flüchtig und im Medium der Aufführung. Der Museums- oder auch Galerieraum funktioniert hier nur außerhalb seiner eigentlichen Regeln. Das Publikum findet eben keine Ausstellungsituation vor, die es während der Öffnungszeiten jederzeit rezipieren kann, sondern muss sich darauf einstellen, zu einer spezifischen Zeit mit einer ergebnisoffenen Situation konfrontiert zu werden.31 Die Betonung ihrer Gegenwärtigkeit, die Abramović mit ihrer Titelwahl offensichtlich vornimmt, ist dabei zudem von einer Doppeldeutigkeit gekennzeichnet, die auch in der deutschen Übersetzung erhalten bleibt. Die Künstlerin ist präsent: Ihre leibliche Anwesenheit, die der Eröffnungssituation ebenjene Kontingenz einer Aufführung einschreibt (wie sich die Künstlerin wohl diesmal aufführen wird?) ist nur im Präsens erfahrbar. Aus dieser mit dem Publikum geteilten Gegenwart mag nun zudem das Phänomen der Präsenz resultieren: Die Künstlerin strahlt eine exzessive Form der Gegenwärtigkeit aus, die das Publikum in ihren Bann zieht und nur augenblicklich erfahrbar ist. Die Hervorhebung des flüchtigen und aus der Kopräsenz der LiveSituation resultierenden atmosphärisch aufgeladenen Charakters ihrer eigenen Performances weist mit Blick auf den Inhalt, der sich hinter beiden bezeichneten Performances, aber auch hinter der Retrospektive von

31 | Abramovićs Geste, die S EVEN E ASY P IECES im Guggenheim Museum jeweils sieben Stunden lang aufzuführen, und sich im Fall der Retrospektive The Artist Is Present gar an die Öffnungszeiten und in etwa an die übliche Dauer einer Ausstellung im MoMA zu halten, treibt die Performances dabei offensichtlich an die Grenzen ihrer musealen Institutionalisierung.

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2010 verbirgt, weitere Ambivalenzen auf.32 Ihrer Performance Entering the Other Side ist bereits die zukünftige mediale Wiederholung mittels des Filmprojektes von Babette Mangolte, die Abramović beauftragt hatte, alle Seven Easy Pieces von der ersten bis zur letzten Sekunde zu filmen, eingeschrieben. Ihre Performance im MoMA, bei der Abramović während einer Gesamtlaufzeit von zweieinhalb Monaten zu den Museumsöffnungszeiten pausen- und nahezu regungslos an einem Tisch saß und in Blickkontakt mit all jenen Ausstellungsbesuchern trat, die sich ihr einzeln gegenübersetzten, ermöglichte zwar ohne Frage ein intensives augenblickliches Erleben. Sie wurde aber gleichzeitig als Livestream auf der Internetseite des MoMA allen Online-Besuchern zur Verfügung gestellt und resultierte zudem ebenfalls in einem Film von Matthew Akers, der die Entstehung und den Verlauf der Retrospektive im MoMA dokumentiert.33 Die Kunsthistorikerin Caroline A. Jones beschreibt die Wahrnehmungssituation während der MoMA-Performance: »The experience of the intersubjective gaze, admittedly compelling, is consistently bracketed through photo releases you must sign, through the three ›live‹ webcams, through the Italian photographer making a book of the piece, and not least through the picture-snapping visitors surrounding the spotlighted atrium […].« 34

Zweifellos ist die Künstlerin präsent. Konstitutiv für das Präsens der Performance und die Präsenz der Performerin sind allerdings durch die Anwesenheit der filmenden Kameras sowie durch die Einforderung der Bildrechte bereits Mediatisierungen, deren Produkte – Film, Foto und Livestream – weder Kopräsenz noch unmittelbare Gegenwärtigkeit für sich beanspruchen können. Ich möchte im Folgenden keineswegs die Ende der 1990er Jahre zwischen Peggy Phelan und Philip Auslander ausgefochtene ›Liveness‹32 | Caroline A. Jones schlägt in ihrem Text Staged Presence für die Ausstellung The Artist Is Present den Untertitel »Except When She Isn’t« vor und verweist darauf, dass im Rahmen der Retrospektive von Abramović angeleitete junge Performerinnen und Performer deren und Ulays historische Performances nachstellten. Caroline A. Jones: »Staged Presence«, in: Artforum International 48.9 (Mai 2010), S. 216. 33 | Vgl. Anm. 30. 34 | Jones: Staged Presence, S. 218.

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Debatte evozieren und weder für Liveness als Differenzkriterium der flüchtigen, im Verschwinden begriffenen Performance (Phelan) noch für Liveness als erst in Folge der und somit in Abhängigkeit von Mediatisierung konstituiertes Phänomen (Auslander) plädieren.35 Zudem war ich weder bei den Aufführungen der Seven Easy Pieces noch bei der Performance The Artist Is Present anwesend und kann ob meiner Rezeption via Film, Livestream und Ausstellungskatalog keine Aussagen über die präsentische Ausstrahlung der Künstlerin machen. Dennoch stellen sich im Rahmen der Performances Abramovićs gerade wegen deren Beanspruchung und Betonung der an die Live-Situation gebundenen Präsenz Fragen zum Verhältnis von Präsenz, verkörperter Wiederholung und medialer Reproduktion, denen ich mich im Folgenden anhand der Seven Easy Pieces und insbesondere anhand des zweiten Reenactments Abramovićs, Vito Acconcis Seedbed, widmen werde. Dabei wird es also nicht darum gehen, die Möglichkeiten und Grenzen der Präsenz Abramovićs zu erforschen oder gar zu beurteilen. Vielmehr kreisen meine Überlegungen um die Frage, inwiefern sich die Wieder-Holung von Vergangenem im Medium der Aufführung bzw. der präsenten Körperlichkeit ereignen kann. Abramović vollzieht im Rahmen ihrer Seven Easy Pieces sechs Reenactments von Performance-Klassikern der 1960er und 1970er Jahre, darunter mit Lips of Thomas (1975) auch die Wiederaufführung einer eigenen Performance. An sieben aufeinanderfolgenden Tagen im November 2005 präsentierte sie jeweils sieben Stunden lang eine eigene Version der vergangenen Performances. Sie begann dabei mit Bruce Naumans Body Pressure (1974), am zweiten Tag folgte Vito Acconcis Seedbed (1972), am dritten Valie Exports Aktionshose: Genitalpanik (1969), am vierten Gina Panes Action Autoportrait(s): mise en condition (1973), am fünften Tag Joseph Beuys’ Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) und schließlich am sechsten Tag ihr eigenes Lips of Thomas. Am siebten und letzten Tag fand mit Entering the Other Side (2005) eine neue Performance Abramovićs statt. Zur Rekonstruktion der Performances konnte Abramović zum Teil nur auf sehr dürftiges Überlieferungs- und Dokumentationsmaterial zurückgreifen. Während sie Lips of Thomas selbst aufgeführt hatte und ihr im Falle des Beuys-Reenactments ein ungeschnittener Film der gesamten 35 | Vgl. Phelan: Unmarked, S. 146; Philip Auslander: Liveness. Performance in a Mediatized Culture, London/New York: Routledge 1999, S. 51.

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Performance zur Verfügung stand, gelang es ihr bei Exports Aktionshose: Genitalpanik nicht einmal, das exakte Datum der Performance zu recherchieren und sie musste ihr Reenactment anhand von widersprüchlichen Berichten und wenigen Fotos, die erst nach der Performance entstanden waren, entwerfen.36 Abramović beschreibt ihr Vorgehen und ihre Zielsetzung in der Einleitung zum Katalog zu den Seven Easy Pieces: »I interpreted them [the performances, J.K.K.] as one would a musical score. The project confronted the idea that documentation rarely existed in the critical early period of performance history. One often had to rely on testimonial witnesses, poor quality video recordings, and photo negatives. Due to the dire conditions of performance art documentation, these substitutable media never did justice to the actual performances. The only real way to document a performance art piece is to re-perform the piece itself. […] Seven Easy Pieces examines the possibilities of representing and preserving an art form that is, by nature, ephemeral.« 37

Abramović geht also davon aus, dass das Reenactment als Dokumentation fungieren kann und dass es, verglichen mit anderen Formen der Dokumentation, der ›Original‹-Performance am ehesten gerecht wird. Dabei bleiben der Performerin und dem Performer Spielräume der Interpretation, die sich mit der Interpretation einer Partitur oder der Cover-Version eines Musikstückes vergleichen lassen. Dieser künstlerischen Freiheit sind nach Ansicht Abramovićs aber klare Grenzen gesetzt: Die Rechte des Urhebers müssen respektiert und honoriert werden. So schlägt sie ein Modell zum Reenactment von Performances vor, das klaren Regeln folgt: »Ask the artist for permission. Pay the artist for copyright. Perform a new interpretation of the piece. Exhibit the original material: photographs, video, relics. Exhibit a new interpretation of the piece.«38 Diese strikte Herangehensweise Abramovićs deutet Jones als paradoxes Vorgehen, »that posits performance art both as a formal, repeatable repertoire (Bach is one of her favorite analogies) and as the sole possession of singu-

36 | Zu Abramovićs Recherchen für ihre Reenactments vgl. Nancy Spector: »Marina Abramović interviewed«, in: Abramović: Seven Easy Pieces, S. 22-24. 37 | Marina Abramović: »Reenactment. Introduction«, in: dies.: Seven Easy Pieces, S. 11. 38 | Ebd.

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lar bodies«.39 Abramovićs Regeln muten zu Zeiten der Appropriation Art antiquiert an und werfen die Frage auf, warum sie ihr eigenes Vorgehen exemplarisch allen künstlerischen Reenactments voranstellen will. Die Kunsthistorikerin Carrie Lambert-Beatty wendet ein: »[I]n 2010, the aspect of Abramović’s idea of reperformance that privileges ownership is preposterous. The twentieth-century model of artists’ rights was developed to protect artists from dealers and institutions. But setting standards for the reenactment of a performance protects artists from … what? From the free circulation of information, images, and ideas; from the techniques and ethos of sampling inherent to digital media; and from the models of cultural commons and open-source sharing that are the only brakes on corporate control of culture?« 40

Diese Kritik verweist auf die Gefahr, mit den strikten Urheberrechten die Performance vor allem den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen und gleichzeitig den kreativen Umgang mit deren Material, dem auch die artefaktische Kunst ausgesetzt ist, zu unterbinden. Wie aber geht Abramović in ihren Seven Easy Pieces praktisch mit den von ihr aufgestellten Regeln und mit dem verbleibenden Freiraum um? Welche Aspekte der Ausgangsperformances wiederholt sie tatsächlich und (wie) lässt sich ihr Anspruch auf den dokumentarischen Charakter ihres Vorgehens rechtfertigen?

Seedbed reenacted Vito Acconcis Seedbed fand vom 15. bis 29. Januar 1972 jeweils mittwochs und samstags für acht Stunden in der New Yorker Sonnabend Gallery statt. Acconci befand sich unter einer Rampe, über die die Besucher liefen, um den Raum zu betreten, und war somit nicht sichtbar. Dabei onanierte er (angeblich) pausenlos: »My attempt is to maintain the activity throughout the day, so that maximum seed is produced […]. My aids are the visitors to the gallery – in my seclusion, I can have private images of them, talk to myself about them: my fantasies about them can excite me […].« 41 Acconci lag also unter der Rampe und bezog das Publikum, das sich über ihm 39 | Jones: Staged Presence, S. 216. 40 | Carrie Lambert-Beatty: »Against Performance Art«, in: Artforum Internat ional 48.9 (Mai 2010), S. 212. 41 | Vito Acconci zit.n. Abramović: Seven Easy Pieces, S. 70.

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aufhielt, in seine erotischen Fantasien ein, die er unentwegt verbalisierte. Seine Stimme wurde dabei mittels eines Lautsprechers in den ansonsten leeren Galerieraum übertragen und war für die Teilnehmer live zu hören. Von der Performance sind nur wenige Dokumente erhalten. Es gibt einen etwa elfminütigen, tonlosen Film, der Acconci unter der Rampe sowie den Galerieraum zeigt, der zwischenzeitlich von wenigen Besucherinnen aufgesucht wird.42 Abramovićs Reenactment unterscheidet sich schon in der Raumstruktur von Acconcis Performance.43 In der Sonnabend Gallery musste das Publikum die besagte Rampe, die wie der restliche Fußboden mit Holzdielen belegt war, überqueren, um den Ausstellungsraum zu betreten. Im Guggenheim Museum fand Seedbed wie alle anderen Seven Easy Pieces im Foyer – in diesem Fall unter einer kreisförmigen Präsentationsfläche – statt. Die Besucherinnen gelangten über fünf Stufen auf das weiße Rund, das das Zentrum der prominenten Rotunde des Museums bildete und von einer etwa ein Meter hohen Rückwand umgeben war (Abb. 18). Dabei konnten sie die Fläche erst betreten, wenn das Wachpersonal sie vorließ. Die Anzahl der Personen, die sich auf der Plattform aufhalten durften, war begrenzt und wurde streng kontrolliert. Die Museumswächter schalteten sich zudem maßregelnd ein, sobald eine Teilnehmerin zu heftig auf den Boden stampfte oder klopfte und versuchte, mit Abramović Kontakt aufzunehmen bzw. mittels einer etwaigen Reaktion zu überprüfen, ob diese sich tatsächlich unter der Konstruktion befand oder ihre Stimme, die via Lautsprecher in das Rund übertragen wurde, vom Band kam. Abramović beschrieb nun mit gedämpfter Stimme ihren nackten Körper, ihre erotischen Gedanken, die immer auch die Besucher miteinbezogen, ihre autoerotischen Handlungen sowie ihre Orgasmen. Ihr Sprechen war immer wieder von Pausen unterbrochen, während derer man nur ihr schweres Atmen vernahm, das sich mal beschleunigte, mal verlangsamte und zuweilen von Stöhnen und Schreien begleitet war:

42 | Der Film ist online auf dem Filmportal Ubuweb verfügbar: www.ubu.com/ film/acconci_seedbed.html (23.01.2013). 43 | Meine Beobachtungen beziehen sich auf Mangoltes bereits erwähnte Dokumentation von S EVEN E ASY P IECES. Babette Mangolte: Seven Easy Pieces by Marina Abramović (2007), New York: Sean Kelly Gallery, DVD, Farbe, mit Ton, 93 min.

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»My legs are open and I’m lying below you so you’re walking on me on my naked body. I’m masturbating. Touching my tits, touching my clitoris. You’re on me all the time in ths [sic!] moment here and now. You’re here. I’m moving. I want to see where are you, if you’re moving with me. I want to know, are you feeling my heat? Are you feeling me? Are you feeling me, how I’m actually really really aroused? I’ve been so hot all these weeks, waiting and waiting and keeping it. Keeping it just now to get it to you, to produce this moist, to produce this space.« 44

Dem Ausstellungskatalog lassen sich neben den hier zitierten eigenen Worten Abramovićs auch die Kommentare einzelner Besucher entnehmen, da an jedem Abend sieben (eingeweihte) Anwesende mit unauffälligen, kleinen Mikrofonen versehen waren und deren Worte (sowie die anderer Besucher, die sich unwissentlich in der Nähe der Mikrofone aufhielten) aufgezeichnet wurden. Diese im Katalog wiedergegebenen Äußerungen deuten darauf hin, dass der Skandal, den die ›Original‹Performance von 1972 auslöste, in diesem Fall ausblieb und sich die unangenehme Stimmung, wie sie damals in der Konfrontation mit Acconcis Handlung entstand, nicht einstellte. So kommentierten drei Teilnehmende die Performance und das Verhalten der anderen Besucher: »Woman 2: I think it’s funny how people try to be so nonchalant. […] Man: Well, um, it’s the effect of these institutions. Woman 2: Yeah, it’s hypnotizing, I guess (pause). Woman 1: That’s why we love our museums. Woman 2: I don’t know. I feel that the people up on stage are kinda posing like… Man: Of course they are. Woman 2 [sic!]: Thinking that it’s art and they’re really here because well, I come just to hear someone masturbate. Woman 2: You did? (surprised and laughing). No you didn’t!« 45

Das transkribierte Gespräch verrät gleich mehrere gravierende Unterschiede zur Erfahrung der Teilnehmerinnen der Seedbed-Performance 44 | Ausschnitt aus der Transkription der Stimme Abramovićs während ihres Reenactments von S EEDBED in Abramović: Seven Easy Pieces, S. 80. 45 | Ausschnitt aus den »Conversations« der Besucherinnen und Besucher während Abramovićs Reenactments von SEEDBED in ebd., S. 97.

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von 1972: Die Sprecher betiteln das Rund, auf dem sich die Besucherinnen aufhalten, als Bühne. Sie kommentieren und reflektieren, dass aufgrund der Mikrofone, der Kameras, der zentralen und von den Rängen der Rotunde einsehbaren Stellung der Präsentationsfläche, aber auch aufgrund der visuellen Absenz Abramovićs die Besucher damit beschäftigt seien, einander zu beobachten und die Performance der anderen zum zentralen Betrachtungsgegenstand würde. Zudem reflektieren sie den Ort des Geschehens und thematisieren, dass dem erotischen Inhalt der Performance ob seiner musealen Rahmung die Schärfe genommen sei. Als weiterer Unterschied erweist sich zudem, dass offensichtlich manche der Teilnehmer (wie die hier aufgenommenen) bereits vor ihrer Ankunft über Inhalt wie Ablauf der ›Original‹-Performance informiert waren und somit in etwa wussten, was sie erwarten würde. Bezeichnenderweise wird in keinem der zahlreichen Kommentare eine eigene Irritation oder Verärgerung bezüglich der expliziten Worte Abramovićs thematisiert. Dafür aber wird gleich mehrmals den anderen eine Überforderung oder verklemmte Distanzierung zugesprochen. So äußert ein Mann: »And you kinda want to enjoy it with her, but I’m kinda standing up there with a grin on my face, and people were thinking, ›God, look at that sick ole git.‹« 46 Zwar klingt ein paar Mal an, die offene Sexualität, von der die Performance zeuge, sei in den USA noch heute spektakulär,47 doch überwiegt in den Kommentaren die Haltung, dass Abramovićs Reenactment ein Spektakel sei, das einer populärkulturellen Dramaturgie folge und somit jegliche Provokation, die Acconcis Seedbed geeignet haben mag, verloren gegangen sei. So werden das lange Anstehen und die entsprechend ansteigende Erwartung mit der Vorfreude auf Entertainment Events verglichen: »What I was wondering about is the line, it’s like waiting for Splash Mountain! (laughs) I might as well be at Disneyland […].«48 Eine andere Besucherin entgegnet auf die Frage, ob sie schon auf dem Rund über Abramović gewesen sei: »No, not yet. I felt that it’s like waiting for like a circus exhibit and I really didn’t like that. I didn’t like her to be the object of that so I left the line.«49 Zudem äußert sie Bedenken,

46 | Ebd., S. 96. 47 | Vgl. ebd., S. 96 u. 97. 48 | Ebd., S. 110. 49 | Ebd., S. 107.

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dass der Medienzirkus, der die Performance begleitet und alle Besucher einbindet, die Erfahrung der Live-Situation einschränke: »So I wish there was just a little something, just don’t know, it’s just not intimate, like maybe the original one was […]. [T]here’s like a camera right on the floor. It’s a little bit strange that now it’s made for an entirely different public, you know. […] It’s just the fact that she can have it so clean so put together and everything. I think it’s like seeing it on TV rather than in real life […].« 50

Die Besucherin hat also das Gefühl, dass die Präsenz der Kameras die Zukunft des Augenblickes als Film- bzw. Fernsehbild impliziert und somit das intensive Erleben der Gegenwart beeinflusst. Sie empfindet sich selbst als Teil einer Dokumentation und weniger als Zeugin einer LivePerformance. Ihr Kommentar und eine Vielzahl weiterer Äußerungen deuten darauf hin, dass die Besucherinnen die Mediatisierung des Events negativ beurteilten und zudem die museale Rahmung problematisch fanden. Das Wachpersonal reglementierte nicht nur den Zugang zur Rampe, sondern setzte zudem in autoritärer Weise Verhaltensregeln um. So wurde ein Mann, der sich auf den Boden fallen ließ, der Rundfläche verwiesen, und auch später verwehrte man ihm den erneuten Zugang und erklärte auf seine Nachfragen: »Because you were throwing yourself about up there and that’s not acceptable. […] Because you started slow and you were doing some kind of dance […] until you threw yourself, and to me that clearly stated that you were escalating into something more.« 51 Der Besucher stellte also einen Risikofaktor dar, dessen Entschärfung offensichtlich klaren Absprachen folgte. Während Acconci die akustische Interaktion als Konstituens seiner Performance konzipierte und behandelte, spielte die Feedbackschleife zwischen Performerin und Besuchern im Falle des Reenactments Abramovićs offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Zwar bezog sich Abramović in ihren während der Performance gesprochenen Äußerungen wiederholt darauf, dass sie das Publikum und dessen Schritte hören, dessen Präsenz fühlen könne, die bewusste Kontaktaufnahme seitens der Besucherinnen mittels akustischer Signale wurde aber streng unterbunden. Hier offenbart sich, dass Abramovićs Konzept durch ein weite50 | Ebd. 51 | Ebd., S. 111f.

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res Paradox gekennzeichnet ist: Mittels der Mikrofonausgabe an die Anwesenden und der umfassenden Integration der Transkriptionen in den Katalog zu Seven Easy Pieces wurde das Publikum konsequent in die Arbeit eingebunden, seinen Kommentaren, Fragen und Empfindungen explizit (wenn auch nach verborgenen Kriterien ausgewählt) Raum gegeben. Diese Aufwertung und Einbeziehung der Anwesenden, die sich auch in Mangoltes Film spiegelt, in dem sie das Publikum andauernd in Szene setzt, mag als Metapher für jene Kopräsenz fungieren, die die Emergenz vieler Performances der 1960er und 1970er Jahre ausmachte. Das Publikum konnte unmittelbar eingreifen, unterbrechen, stören, teilhaben – Performer und Zuschauer standen einander schutzlos und unmittelbar gegenüber. Indem die Institution Museum in den Seven Easy Pieces, repräsentiert vom autoritären Wachpersonal, zwischen die Performerin und das Publikum geschaltet ist, wird die Feedbackschleife zwischen beiden Lagern allerdings beeinflusst und stark eingeschränkt. Während also den Besuchern in der Dokumentation der Seven Easy Pieces ungleich viel Platz eingeräumt wird, wurde deren Teilhabe an den Performances selbst stark reglementiert. Die Kunsthistorikerin Johanna Burton beschreibt diesen Prozess als Annäherung der Reenactments an bildhafte Phänomene: »Based largely on images, the artist’s performances were also quite consciously staged in order to become images – representation, that is (a quality Abramović emphasized each night by showing footage of the previous evenings’ proceedings on flat-screen monitors behind the stage). […] ›The artist is present here and now.‹ Yet she looks, for all the world, like a picture.« 52

Burton geht davon aus, dass Abramovićs Fokus in den Reenactments auf deren medialer Dokumentation liegt. Ihre Performances schließen zwar inhaltlich mehr oder weniger direkt an die ursprünglichen Performances an, formal sucht Abramović aber nicht deren konkrete Abläufe oder Strukturen zu wiederholen. Zudem schränkt die Performerin ihre für die Aufführungssituation konstitutive Interaktion mit dem Publikum ein. Mehrere Kommentare der Anwesenden thematisieren, dass die

52 | Johanna Burton: »Repeat Performance«, in: Artforum International 44.5 (Januar 2006), S. 56 [Herv. i.O.].

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Mediatisierung im Falle von Seedbed ihrer Meinung nach zu Lasten der Live-Situation ging. Es zeigt sich, dass das ambivalente Verhältnis von Präsenz und Repräsentation, das in der Regel das Illusionstheater betrifft, hier plötzlich in der Performance Art an Bedeutung gewinnt. Ich möchte Burtons durchaus nachvollziehbaren Vorwurf der Bildhaftigkeit der Performances allerdings an dieser Stelle entkräften und in eine andere Richtung lenken. So liefert meines Erachtens weder die für mehrere der Performances konstitutive verkörperte Wiederholung von Bildmaterial noch die auf die eigene Bild- bzw. Filmwerdung ausgerichtete Inszenierung der Performances einen Grund dafür, den Aufführungscharakter der Performances Abramovićs infrage zu stellen. Was Burton als Bildhaftigkeit moniert, möchte ich vielmehr als performative Abbildhaftigkeit charakterisieren: Diese resultiert hier aus der Produktion von Szenarien, deren referenzielle Dimension im Kontext der Performance Art erstaunlich vordergründig und denen zudem ihre eigene Reproduzierbarkeit besonders offensichtlich eingeschrieben ist. Zeichneten sich Abramovićs eigene Performances der 1960er und 1970er Jahre, aber auch jene Performances, die sie in Seven Easy Pieces interpretiert, noch durch ihre Selbstreferenz aus – sie bedeuteten in der Regel genau das, was sie vollzogen –, gewinnt in den Reenactments der Seven Easy Pieces die Dimension der Repräsentation an Gewicht: Abramović onaniert in Seedbed nicht nur versteckt unter den Füßen der Besucherinnen, sie verweist zudem auf Acconcis inzwischen kanonischen Akt von 1972. Sie präsentiert also nicht nur eine Aktion, sondern repräsentiert gleichzeitig eine (kunst-)historische Begebenheit. Ihre Reenactments im Rahmen der Seven Easy Pieces verweisen immer schon auf etwas, sie stehen unter anderem für die Akte und Impulse anderer, denn sie wurden von anderen Performern sowohl vollzogen als auch entwickelt. Charakteristisch für die Performance Art hingegen ist deren Bindung an den Urheber und dessen Körper, die Marvin Carlson wie folgt zusammenfasst: »Its [performance’s, J.K.K.] practitioners, almost by definition, do not base their work upon characters previously created by other artists, but upon their own bodies, their own autobiographies, their own specific experiences in a culture or in

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the world, made performative by their consciousness of them and the process of displaying them for audiences.« 53

Abramović, deren eigene Performances in der Regel dieser Logik folgen, bricht hier mit diesen Grundsätzen. Gewollt oder nicht, schlüpft sie immer auch ein Stück weit in die Rolle der Urheberin der Performance. Ebendieser semiotische Rollenkörper, den sie mit und an ihrem phänomenalen Leib hervorbringt, unterscheidet ihre Reenactments von den Performances, auf die diese sich beziehen. Entsteht Präsenz in der Regel vor allem in der Wahrnehmung des phänomenalen Leibes des Performers, welcher in Performances (und auch in vielen der Performances, die den Seven Easy Pieces zugrunde liegen) oft mittels Anstrengung, Verletzung, Ausstellung oder Erotisierung betont wird, so wird dieser Effekt in den Seven Easy Pieces immer auch von der referenziellen Funktion der Dokumentation vergangener Ereignisse überlagert. Abramovićs Insistenz »The artist is present« mag in diesem Sinne auch als Gegenpol verstanden werden, als bewusste Verweigerung der Rezeption ihrer Performances als Repräsentationstheater. Der Satz könnte von Abramovićs Annahme zeugen, dass die referenzielle Funktion, die ihren Reenactments so offensichtlich eignet, ihre eigene Präsenz nicht beeinflussen kann. Die siebte und letzte Performance der Seven Easy Pieces, Entering the Other Side, schließt nach sieben Stunden mit Abramovićs Sätzen: »Please, just for the moment. All of you, just listen. I am here and now, and you are here and now with me. There is no time.«54 Bei der Betrachtung des Filmes von Mangolte fällt dabei auf, dass die Worte zu Beginn nicht live gesprochen sind, sondern vom Band kommen. Abramović wird entweder von der Toneinspielung überrascht oder es entspricht ihrer Inszenierung, dass nur der Beginn der Sequenz vom Band kommt, sie dann aber ab »I am here and now« lippensynchron mitspricht bzw. live übernimmt. Dies bedeutet, dass sie entweder etwas zu spät einsteigt, ihre ›Panne‹ aber zu überspielen sucht, indem sie ihre Lippen nach kurzer Zeit exakt zu dem vorproduzierten Text bewegt, oder es soll bewusst nur jene Passage, die vom Hier und Jetzt handelt, auch im Hier und Jetzt gesprochen werden. Die Worte, die Abramovićs 49-Stunden-Performance 53 | Carlson: Performance, S. 5. 54 | Marina Abramović in Mangolte: Seven Easy Pieces by Marina Abramović (2007), DVD [Transkription von J.K.K.].

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beschließen und zum Abschied auf die leibliche Kopräsenz im Hier und Jetzt verweisen, erweisen sich also – zumindest teilweise – als Playback. Dabei lässt sich nicht entscheiden, ob der Situation eine unfreiwillige Komik eignet oder aber eine von Abramović intendierte (oder zumindest nicht konsequent verhinderte) Ironie: Der Satz, der von diesem Augenblick handelt (»Please, just for the moment.«), wurde in einem anderen Augenblick gesprochen. Ein Satz, der an ebendieses Publikum adressiert ist (»All of you, just listen.«), wurde für ein unbekanntes Publikum entworfen. Diese Ungereimtheit zum Abschluss der Seven Easy Pieces steht exemplarisch für die Brüchigkeit der Inszenierung Abramovićs und zeigt die Komplexität der Verschachtelung von Liveness und Mediatisierung, von Wiederholung und Differenz auf: Ebenjene kleine Verzögerung in der Synchronisation, die das Playback auffällig macht und die besagte Gegenwärtigkeit infrage stellt, macht gleichzeitig deutlich, dass ein etwaiger Fehler sich nur aus der Live-Situation ergeben und die Emergenz der Situation trotz einer perfekten Inszenierung, Rahmung und Überwachung nicht vollends getilgt werden kann. Mittels dieser Differenz wird Abramovićs Satz zum performativen Sprechakt, der die Ambivalenz der gesamten Veranstaltung spiegelt und doch eben aufgrund der Abweichung – ganz im Sinne der Künstlerin – Präsenz hervorbringt.

V.3 W IEDER -H OLUNG : A NDERS BLEIBEN Ich möchte den Hamlet der Wooster Group und die Wiederaufführung von Vito Acconcis Seedbed durch Marina Abramović in deren Seven Easy Pieces abschließend mit Fokus auf die Substanz ihrer Wiederholungen betrachten und versuchen, anhand gemeinsamer Sensibilitäten eine Aussage über zeitgenössische künstlerische Reenactments, deren Motivation und Funktion zu treffen. Während im Fall der Wooster Group dem Publikum eine ob der Einbeziehung medialer Besonderheiten der Filmvorlage immer schon explizit differente Wiederholung vorgeführt wird, ist im Fall von Abramovićs Seven Easy Pieces die Überlieferungs- und Dokumentationslage der ›Original‹-Performances zum Teil sehr dürftig. So beschränkt sich die Wiederholung beispielsweise in Abramovićs Reenactment von Valie Exports Aktionshose: Genitalpanik auf die Verkörperung von deren Posen auf bekannten Fotografien, die zwar auf Exports Performance verweisen, aber nicht in deren Rahmen entstanden

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sind. Dennoch beansprucht Abramović für ihr Live-Vorgehen (und übrigens nicht für dessen mediale Fixierung) den Status der Dokumentation: »The only real way to document a performance art piece is to re-perform the piece itself.«55 Ich weise hier noch einmal auf diesen bereits zitierten Satz hin, um zu verdeutlichen, dass die vordergründige, aufdringliche und von den Besuchern zuweilen als unangenehm empfundene Präsenz der Reproduktionsmedien auf die Dokumentation der Seven Easy Pieces abzielte, während die Reenactments als solche von Abramović als Dokumentationen der Performances der 1960er und 1970er Jahre konzipiert und kontextualisiert wurden, selbst wenn sie nicht deren konkrete Struktur wiederholten und teilweise Abbildungen zum Ausgangspunkt nahmen. Hier wird ein Aspekt deutlich, der von dem Medienapparat, der Abramovićs Seven Easy Pieces begleitete, überschattet wurde und der die Argumentation Johanna Burtons, die eine Bildwerdung der Performances unter anderem aufgrund von deren Bezugnahme auf artefaktische Dokumentationen moniert, entkräftet. Die Künstlerin definiert eindeutig die Performance, die Aufführung, das Ereignis als mögliche Dokumentationspraxis: »This is Vito Acconci’s Seedbed, Performance he made in 1973, and I’m redoing it in 2005«,56 sagt sie während des Seedbed-Reenactments. Nicht ›this is inspired by‹ oder ›this is based on‹, sondern »this is Vito Acconci’s Seedbed«. Die Performance wird hier nicht über ihre Flüchtigkeit oder ihr Verschwinden charakterisiert (Acconcis Seedbed ist noch immer), sondern – ganz im Gegenteil – mit der Zuschreibung der performativen Dokumentation wird eine potenzielle Fortdauer betont, in der die artefaktische Erstarrung lediglich als Übergangsphänomen Bestand hat. Die Theaterwissenschaftlerin Rebecca Schneider kommt zu einer verwandten Erkenntnis und widmet ihren Essay Performance Remains der Subversion jener Logik von Archiv, die Performance mit Verschwinden gleichsetzt. Sie fragt: »And yet, in privileging an understanding of performance as a refusal to remain, do we ignore other ways of knowing, other modes of remembering, that might be situated precisely in the ways in which performance remains, but remains differ55 | Abramović: Reenactment. Introduction, S. 11. 56 | Marina Abramović in Mangolte: Seven Easy Pieces by Marina Abramović, DVD [Transkription von J.K.K.].

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ently? The ways, that is, that performance resists a cultural thrall to the ocular – a thrall that would delimit performance as that which cannot remain to be seen.« 57

Schneider verweist darauf, dass die Konzeption von Performance als Verschwinden verhindert, sich dem zu widmen, was bleibt, selbst wenn die Aufführung nicht mehr zu sehen ist. Der Impuls, von einem spurlosen Verschwinden auszugehen, zeugt ihrer Meinung nach von einer Dominanz des Visuellen, die dem sinnesübergreifenden Anspruch der Performance nicht gerecht werden kann und aus einer kunsthistorisch geprägten – und somit an der Auseinandersetzung mit Artefakten geschulten – Theoretisierung von Performance resultiert.58 Sie schlägt stattdessen vor, Performance als einen Akt zu betrachten, den die Möglichkeit des Wiedererscheinens (reappearance) kennzeichnet und der somit different verbleibt: »In this sense performance becomes itself through messy and eruptive reappearance, challenging, via the performative trace, any neat antinomy between appearance and disappearance, or presence and absence […].«59 Schneider plädiert für die Berücksichtigung einer ›fleischgewordenen Erinnerung‹ (»flesh memory«60), die sie mit einem Echo vergleicht: »[T]he past performed and made explicit as performance can function as the kind of bodily transmission conventional archivists dread, a counter-memory – almost in the sense of an echo […]. If echoes […] resound off of lived experience, such as performance, then we are challenged to think beyond the ways in which performance seems, according to our habituation to the archive, to disappear.« 61

Gleich der Stimme, die wieder und wieder zurückgeworfen wird, kann jeglicher verkörperter Ausdruck nach dem Ende seiner direkten Erfahrung weitergetragen und verbreitet werden. In Anbetracht der kopräsentischen Situation, die trotz vielfach kritisierter Erstarrung auch für Abramovićs Performances gilt, lässt sich die Figur des Echos meines Erachtens auch auf die Seven Easy Pieces 57 | Schneider: Performance Remains, S. 101. 58 | Vgl. ebd. 59 | Ebd., S. 103. 60 | Ebd., S. 105. 61 | Ebd., S. 106.

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übertragen. Schon die transkribierten Dialoge der Zuschauerinnen, die sich mit den Performances auseinandersetzen, zeugen davon, dass den Reenactments das Potenzial eignet, Vergangenes aufzurufen, wiederzubeleben und fortzuführen. Dass Abramović die von ihr als Dokumentationen charakterisierten Performances und deren allgegenwärtige Mediatisierung Seite an Seite stellt, lässt sich mit Schneider als Versuch deuten, unterschiedliche Möglichkeiten des Archivierens miteinander zu konfrontieren und die Dichotomie zwischen medialer Reproduktion (von Geschichte) und verkörperter Wieder-Holung (von Erinnerung) auszuhebeln. Schneider weist darauf hin, dass das Verschwinden allen Dokumenten eingeschrieben ist, also durchaus nicht nur dem Körper oder der flüchtigen Performance eignet.62 Abramovićs in den Kritiken und den Besucherkommentaren moniertes Verweben von Liveness und Mediatisierung ließe sich, folgt man Schneiders Argument, als eine Strategie deuten, die das Archiv erweitert und die Hegemonie des Visuellen mittels einer Verbindung von Film, Foto, Tonaufnahme und anwesender Körperlichkeit immer wieder zu unterwandern sucht. Der Hamlet der Wooster Group weist ästhetisch keine Parallelen zur Arbeitspraxis Abramovićs auf. Die Wooster Group wiederholt minutiös die für das Publikum streckenweise nachvollziehbare Dokumentation einer vergangenen Aufführung. Die Performer werden zu Kopisten, deren Individualität in der Wiederholung überdeckt wird. Ihr Schauspielstil sucht die eigene Präsenz zu unterwandern, indem sie immer mit der Präsenz eines Anderen (nämlich jener des Schauspielers im Film) unterfüttert wird. Und dennoch schreiben sie in einem Akt, der in seiner Konzeption dem Vorgehen Abramovićs nicht unähnlich ist, dem Film, der ihnen als Vorlage dient, Vergänglichkeit ein: Indem das Bildmaterial digitalisiert und bearbeitet wurde, einer glitch-Ästhetik entsprechend von Fehlern, Sprüngen und Störungen geprägt ist, sich die Filmfiguren partiell oder vollkommen auflösen, dann wieder erscheinen, eignet das Verschwinden hier nicht nur der Aufführung, sondern auch dem Filmdokument. Die performative Abbildhaftigkeit, die sich einigen von Abramovićs Seven Easy Pieces zuschreiben lässt, ruft einen ähnlichen Effekt hervor: Indem Abramović die vorhandenen Dokumente mittels der Wiederholung von Gesten, Worten, Bewegungen und Handlungsabläufen während der jeweils siebenstündigen Performances in die Gegenwart übersetzt, schreibt 62 | Vgl. ebd., S. 104.

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auch sie den zugrunde liegenden Fotos, Video- oder Filmbildern nachträglich Flüchtigkeit ein. In beiden Fällen handelt es sich um Wieder-Holungen medialer Wiederholungen von Aufführungen und Performances; in beiden Fällen wird ob der Übersetzung der Erinnerung leitenden und Geschichte schreibenden Artefakte in die Körperlichkeit gleichzeitig die Gegenwart mit Historie, aber auch das historische Dokument mit Gegenwärtigkeit gespeist. Die Wiederholungspraxis der Wooster Group und Abramovićs in den 2000er Jahren lässt sich somit als Zuspitzung jener verkörperten ästhetischen Wiederholungsverfahren im US-amerikanischen experimentellen Theater und in der Performance Art ab den 1960er Jahren deuten, die ich in den Kapiteln III und IV herausgearbeitet habe. Wie die Appropriation Art, die in den 1980er Jahren die Wiederholungsprozesse der bildenden Kunst, die bisher in Pop und Minimal Art ihren Höhepunkt erreicht hatten, auf die Spitze trieb, stellt das künstlerische Reenactment eine Radikalisierung der Wiederholungstendenzen dar, die sich in den Performances und dem experimentellen Theater der 1960er und 1970er Jahre in Verdopplungs- und Synchronisationsprozessen, technisch-medialen Reproduktionsstrategien, seriellen Reihungen und verausgabenden Wiederholungssequenzen geäußert hatten. Die Live-Verdopplung medial fixierter Momente aus der Vergangenheit ist dabei im Hamlet der Wooster Group zu einem neuen Schauspielstil herangereift, der die möglichst exakte Wiederholung des Spieles medialer Vorbilder und deren medialer Verfasstheit verbindet. In Abramovićs Seven Easy Pieces kommen Strategien der Verdopplung, der seriellen Reihung und der verausgabenden Wiederholung zusammen: So verdoppelt sie isoliert die vergangenen Akte (oder deren Dokumentationen) anderer, streckt diese aber in einer konzeptuellen Geste auf die für alle Seven Easy Pieces gleiche Länge von sieben Stunden und präsentiert somit alle Reenactments in der Struktur eines Loops. Im Fall der Wooster Group kommt zudem das Verfahren der medialen Reproduktion zum Tragen, mischt sich doch die Präsentation des filmischen Dokumentes mit dem Live-Video der Aufführung, das auf dem Monitor im Zentrum der Bühne zu sehen ist, sodass die Bilder der Vergangenheit sowie der Gegenwart Seite an Seite rezipiert werden können. Diese beiden ästhetisch so unterschiedlichen Wiederholungsverfahren haben in Bezug auf Fragen theatraler und performativer Repräsentation zu neuen und viel diskutierten Ansätzen geführt. Dem Schauspiel-

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stil der Wooster Group spricht Schneider nicht nur die Hervorbringung jener Innerlichkeit ab, auf die den Vorbildern gemäß zeichenhaft verwiesen wird, sondern sie moniert in diesem Zuge eine mangelnde Bühnenpräsenz. So beschreibt sie in einer Analyse das Spiel der Wooster Group in Poor Theater (2004) – das sich meines Erachtens durchaus mit jenem in Hamlet vergleichen lässt – und ihre Reaktion auf deren Stil der verkörperten Wiederholung: »The live reenactment is so precise as to be stunning, in the way that any feat of technical virtuosity is impressive. The technical reproduction of and in the live act (in the ›technique‹ of the actors) is partially what is so striking. The Wooster Group actors technically reenact the Grotowski actors, who are technologically reproduced in film. They reenact the acting with precision, but it is a precision that cannot spark, or enliven, the very feelings it nevertheless appears to precisely cite.« 63

Schneiders Argument erinnert hier überraschenderweise an Walter Benjamins These vom Auraverlust des Kunstwerkes im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.64 Während Benjamin die Aura eines Kunstwerkes an die Erfahrung von dessen Hier und Jetzt gebunden sieht, scheint Schneider der Wiederholung selbst im Medium der gegenwärtigen Aufführung ob deren technischen Präzision eine besondere Aura bzw. den Darstellern eine besondere Präsenz abzusprechen. Der technisch perfekte Akt der Wiederholung trete vielmehr als solcher in den Vordergrund, werde in einem komplexen Prozess des Vergleichens zentraler Gegenstand der Publikumswahrnehmung und vereitle die Empfindung einer ›Tiefe‹ der Figuren, die nur mehr als bewegte Abbilder ihrer Vorbilder wahrgenommen würden. Beim Besuch der Aufführungen von Poor Theater und Hamlet habe ich allerdings eine ganz andere Erfahrung gemacht: So ging das Spiel der Darstellerinnen immer wieder über die technische Wiederholung hinaus. Gerade in jenen Momenten, in denen sie sich die Synchronisation exakt zu eigen gemacht hatten, überstiegen sie in Energie und Ausstrahlung den Kopiervorgang und verhalfen Szene und Charakteren zu besonderer Intensität. 63 | Schneider: Performing Remains, S. 118 [Herv. i.O.]. 64 | Vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, 7. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974, S. 13-17.

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Sowohl bei der Wooster Group als auch bei Abramović werden gängige Konzepte von Repräsentation im jeweiligen Genre unterwandert: Das komplexe Synchronisationsverfahren der Wooster Group in Poor Theater und Hamlet führt nicht nur dazu, dass die repräsentative Funktion des Schauspielstiles und damit die Inhalte, die die von den Darstellern hervorgebrachten Zeichen transportieren, in den Hintergrund treten. Ob der Differenz ihrer Wiederholung wird die Wiederholungspraxis als solche auffällig: Es werden andere Bedeutungen hervorgebracht, die Repräsentation wird gebrochen, indem die Bewegungen der Darsteller einem ungekannten Bewegungsrepertoire entsprechen und vor allem poetisch auf sich selbst verweisen. In Abramovićs Seven Easy Pieces hingegen, die ›Klassiker‹ der Performance Art wiederholen und in diesem Zuge dokumentieren, wird die mit der Performance verbundene Selbstreferenz der Aktionen Abramovićs mittels der Ebene der Repräsentation vergangener Ereignisse und Künstler irritiert. Eine mit dem Illusionstheater assoziierte Praxis des Stellvertretens gewinnt hier als Aktualisierungsmechanismus vergangener Ereignisse an Bedeutung. Diese durch die Wiederholungsverfahren evozierten instabilen Repräsentationskonstrukte – das Changieren zwischen Darsteller, Rolle und medialem Vorbild in Hamlet sowie zwischen präsenter und Andere repräsentierender Körperlichkeit in Seven Easy Pieces –, die jene gegensätzlichen und doch nachvollziehbaren Interpretationen, die in diesem Kapitel vorgestellt wurden, provozierten, lenken die Wahrnehmung der Betrachterinnen entsprechend immer wieder auf ein ›Zwischen‹ der präsenten Körper und deren Vorbilder. Die Wahrnehmung von Theater und Performance wird dabei herausgefordert und bleibt zudem beständig in Bewegung, da sich die Grenzen zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem auflösen. Diese Liminalität der Wahrnehmung, die zwischen Präsenz und Repräsentation, unmittelbarem und mediatisiertem Erleben, Aktualisierung von Vergangenem und Neuschöpfung mittels Wieder-Holung und Appropriation oszilliert, korrespondiert dabei mit den Fragestellungen, die sowohl Hamlet als auch Seven Easy Pieces in deren Auseinandersetzung mit der jeweils eigenen Geschichte sowie der Vergänglichkeit von Aufführung und Performance begleiten. Die künstlerischen Reenactments der Wooster Group und Abramovićs, die nur die konsequentesten Ausprägungen einer in den 2000er Jahren aufkommenden Wiederholungspraxis darstellen, deuten auf eine gesteigerte Sensibilität in Bezug auf Fragen der Originalität und Urheberschaft von

V. Reenactment

Aufführungen hin. Theater- und Performancekünstlerinnen scheinen dem Verlangen zu folgen, den Mythos der Originalität und Unwiederholbarkeit von Aufführungen grundlegend infrage zu stellen und mittels der Wiederholung als Praxis verkörperter Auseinandersetzung mit dem Verschwinden die im Zeitalter der Digitalisierung zunehmend komplexer werdenden Themen der Reproduktion sowie der Speicherung zu reflektieren. Hatten Künstler bereits in den 1960er und 1970er Jahre mittels der Verkörperung von Wiederholung die Differenz intensiv erfahrbar gemacht und Wiederholung als bewegtes Phänomen in Szene gesetzt, so haben sich im neuen Millennium mit der Wooster Group und Abramović Vertreter dieser Neo-Avantgarden zum Ziel gesetzt, die Bewegung der Wiederholung mit dem Reenactment zuzuspitzen. Tatsächlich haben ihre radikalen Wieder-Holungen diejenige Epoche, der das Ausgangsmaterial entstammt, als historische markiert – und mit der Wieder-Holung der jeweiligen Aufführungen das Projekt der US-amerikanischen NeoAvantgarde vielleicht gar zu Ende geführt.

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Obwohl sich die Wiederholung in meinen Lektüren und Analysen als immer andere erwiesen hat, als bewegtes Phänomen des Überganges, das sich der Festschreibung entzieht und mit jeder Variation Neues hervorbringt, werde ich ihr an dieser Stelle widerstehen. Stand sie doch bereits am Ende eines jeden der fünf Kapitel, so soll ihr performatives Vermögen nicht überstrapaziert werden. Stattdessen möchte ich beginnen, dort weiterzudenken, wo das letzte Kapitel endet: heute. Und da die Häufung ästhetischer Wiederholungsstrategien der US-amerikanischen Neo-Avantgarde nicht nur innerästhetisch motiviert, sondern zudem auf gesellschaftliche Umbrüche nach dem Zweiten Weltkrieg, auf neue mediale Gegebenheiten und vor allem auf populäre Phänomene und Trends zurückzuführen ist, so macht es auch für die Beschäftigung mit heutigen Wiederholungsphänomenen Sinn, den Blick zuerst auf unsere Alltagskultur zu richten. Dabei drängt sich die Frage auf, welche Wirkung der Wiederholung als ästhetischer Strategie noch eignen kann, wenn sie sich pausenlos wiederholt. Schließlich zeichnet unsere zeitgenössische Kultur in all ihren Spielarten eine Omnipräsenz der Wiederholung aus: Ob als Sampling, Remix oder Cover-Version in der Musik, als Retrobewegung oder Revival in Lifestyle und Kunst,1 als Serie in Fernsehen und Hörfunk oder gar als Wiederholung seiner selbst im virtuellen Second Life – die Wiederholung als postmodernes Phänomen par excellence hat sich offensichtlich durchgesetzt, den Alltag erobert und gleichsam an Brisanz verloren. Mit 1 | Retrobewegungen bestimmen zwar schon seit den 1990er Jahren die kulturelle Praxis, deren Diskussion und Theoretisierung in den Feuilletons wurde aber jüngst durch das Erscheinen des Buches Retromania von Simon Reynolds angefacht. Vgl. Reynolds: Retromania.

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dem Aufkommen des Internets und digitaler Speichermedien sind die Verfügbarkeit über und die Reproduzierbarkeit von Bild- und Tonmaterial exponentiell gestiegen und inzwischen allen Computer- und Internetnutzern ohne große Vorkenntnisse und technische Expertise möglich. Die Wiederholung ist nichts Besonderes mehr; sie scheint in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen kaum noch als solche auffällig und benannt zu werden und die Konnotationen der Einfallslosigkeit oder der Nachahmung, die frühe Debatten der Postmoderne dominierten, eignen ihr nicht länger. Ich möchte an dieser Stelle keinesfalls ein so komplexes Phänomen wie die Wiederholungstendenzen in unserer Alltagskultur untersuchen und meine kurz zusammengetragenen Merkmale erheben keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie genügen aber, um die im Zusammenhang mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie relevante Frage aufzuwerfen, ob ein Phänomen, das sich in meinen Untersuchungen durch sein Irritationspotenzial, seine Herausforderung an die Wahrnehmung und seine Möglichkeit, Prozesse der Bedeutungsstiftung zu reflektieren, ausgezeichnet hat, als ästhetische Strategie noch relevant sein kann, wenn es im Mainstream angekommen ist. Eignet der Wiederholung, deren Geschichte sich für die US-amerikanische Neo-Avantgarde als eine Geschichte zunehmender Differenzierung verstehen lässt, die mit der Verkörperung von Wiederholung in Performance Art und experimentellem Theater intensiviert wurde, also heute noch das Potenzial einer kritischen Kategorie? Die Kunsthistorikerin Ulrike Kristin Schmidt spricht angesichts der Radikalität der Wiederholungen in der Appropriation Art von einem »vorläufigen Endpunkt […] der retrospektiven künstlerischen Haltungen des 20. Jahrhunderts«.2 Tatsächlich gelang der Appropriation Art mit der ›Fälschung‹ vielleicht die letztmögliche Provokation im Rahmen ästhetischer Wiederholungsverfahren. Der Wiederholung eignete dabei zumindest im Fall zahlreicher Arbeiten Mike Bidlos eine neue Qualität: Im Gegensatz zu allen hier betrachteten Wiederholungsverfahren der US-amerikanischen Neo-Avantgarde galt es in Bidlos möglichst exakten Kopien der Arbeiten

2 | Schmidt: Kunstzitat und Provokation im 20. Jahrhundert, S. 209.

Ausblick

anderer Künstler, die Differenz der Wiederholung zu minimieren.3 Auch in den aktuellen Wiederholungsstrategien des US-amerikanischen experimentellen Theaters fällt auf, dass das im Theater seit den 1970er Jahren erprobte und ausgestellte Verhältnis von Wiederholung und Differenz an Relevanz verliert. Nachdem die Wooster Group das offensichtliche Spiel mit Wiederholung und Differenz in Hamlet (2007) auf die Spitze getrieben hatte, zeigte sie 2011 mit dem Tennessee Williams-Stück Vieux Carré eine Produktion, die die Wiederholung zwar als formales Stilmittel nutzt, das die Ästhetik der Inszenierung maßgeblich prägt, die sich aber weitestgehend von der Nachvollziehbarkeit der Wiederholung durch das Publikum getrennt hat:4 Die Darsteller empfangen die Tonspur von Filmund Videomaterial – ähnlich wie bei Hamlet – durch ihre in ear monitors und sehen das entsprechende Bildmaterial zeitgleich auf zahlreichen Videomonitoren im Bühnenraum (in diesem Fall unter anderem Ausschnitte aus den Filmen Flesh (1968), Trash (1970) und Heat (1972) von Andy Warhol und Paul Morrissey, Ryan Trecartins Video I Be Area (2007) sowie Ausschnitte aus Produktionen des Nō-Theaters und der Chinesischen Oper). Das Material weist dabei allerdings keinen inhaltlich offenkundigen Bezug zu Williams’ Vieux Carré (1938) auf und wird auch nicht kohärent in das Bühnengeschehen einbezogen. Der permanente Ton im Ohr und die pausenlosen Bilder auf der Leinwand dienen den Darstellerinnen vielmehr vornehmlich zur Inspiration. Die Wiederholungspraxis ist offenbar so sehr zum Schauspielstil der Wooster Group geworden, dass sie 3 | Wie schon in Kapitel V ausgeführt, brachte Elaine Sturtevant bereits in den 1960er Jahren ›Fälschungen‹ hervor, die sich durchaus als Vorläufer von Bidlos Bildern betrachten lassen und diesen an Radikalität in nichts nachstehen. Ich möchte aber an meinem Argument einer veränderten Sensibilität ab den 1980er Jahren festhalten, da Sturtevants Arbeiten zu dieser Zeit wiederentdeckt wurden und die internationale Aufmerksamkeit sowie die institutionellen Einzelausstellungen aus der Rezeption ihrer Arbeiten im Kontext der Appropriation Art resultierten. 4 | VIEUX C ARRÉ hatte am 2. Februar 2011 am Baryshnikov Arts Center seine New York-Premiere. Meine Beschreibung bezieht sich auf die Vorstellungen am 06. und 07. Mai 2011 am De Singel International Arts Campus in Antwerpen. Hier gab es keine auf das Publikum ausgerichteten Monitore oder Leinwände, die – wie beispielsweise in H AMLET oder P OOR THEATER – den Abgleich der Wiederholungen erlaubten. Nur wer weit genug vorne saß, konnte – je nach Blickwinkel – trotzdem erkennen, was auf den auf die Darsteller ausgerichteten Videomonitoren zu sehen war.

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nun von ihr Gebrauch macht, ohne gezielt zu wiederholen: Die Darsteller übernehmen von der Tonspur Stimmungen, Stimmlagen, Betonungen, Dynamiken und Lautstärken, die sie in ihr eigenes Sprechen übersetzen, wiederholen aber nicht den konkreten Text. Vielmehr scheint sich das fremde Sprechen in das eigene einzuschreiben, es zu durchkreuzen und zu irritieren. So bringen die Darsteller schizophrene Figuren hervor: Sie hören Stimmen und werden immer wieder zu anderen. Ebenso übernehmen sie Bewegungen und Gesten von den Bildern auf den Monitoren und integrieren diese in ihr eigenes Spiel. Dabei sind sie in vielen Szenen keineswegs an spezifische Vorbilder gebunden, vielmehr gehen sie frei und eigenständig mit dem Material um. So kann es geschehen, dass plötzlich mehrere der Beteiligten eine ähnliche Bewegung vollziehen oder denselben Ton anschlagen, da sie sich zeitgleich für die Wiederholung eines medial vermittelten Merkmals entschieden haben.5 Die Wiederholung hat hier offensichtlich ein neues Level erreicht – in der Geschichte der Theaterpraxis der Wooster Group, aber auch im experimentellen Theater als solchem. Das Publikum kann die Wiederholung nicht mehr nachvollziehen, ihm kann der Wiederholungsprozess, der noch in Hamlet in den Fokus der Wahrnehmung geriet, gar entgehen. Als rein formales Verfahren, das nicht mehr an die Generierung und Irritation einer spezifischen Bedeutung gebunden ist, wird es gezielt eingesetzt, um die Darstellerinnen von ihrem Spiel zu distanzieren. Die Wiederholung wird zum Ablenkungsmanöver, das ein Einswerden mit der Rolle, ja mit der gesamten illusionistischen Situation des Bühnengeschehens vereitelt. Zwar folgen die Performer nicht wie in Hamlet durchgehend den Vorgaben eines anderen, sie sind aber doch permanent von den akustischen und visuellen Spuren von anderen künstlerischen Produktionen umgeben und lassen sich – so die Vereinbarung – von diesen beeinflussen. Die Wiederholung ist hier zur Körpertechnik geworden. Die Differenz kennzeichnet das Spiel der Darstellenden, sie entzieht sich aber der Wahrnehmung des Publikums, dem verborgen bleibt, was, wann und möglicherweise sogar, dass überhaupt wiederholt wird. 5 | Die Informationen über die Wiederholungsverfahren in VIEUX C ARRÉ verdanke ich neben eigenen Beobachtungen vor allem Teresa Hartmann, Stage Managerin dieser Produktion sowie zahlreicher anderer Wooster Group-Arbeiten, die alle Proben und Aufführungen begleitet hat und meine Fragen somit präzise beantworten konnte.

Ausblick

Gewiss ist die ästhetische Praxis der Wooster Group sehr spezifisch. Keinesfalls lässt sich anhand dieser aktuellen Inszenierung ein neuer, allgemeingültiger Trend diagnostizieren. Dennoch möchte ich aufgrund des Umganges mit Wiederholung in Vieux Carré einen Ausblick auf zukünftige Möglichkeiten, die Errungenschaften einer Ästhetik der Wiederholung in die künstlerische Aufführungspraxis zu integrieren, wagen und an einem weiteren Beispiel aufzeigen. Eine ganz konkrete Einbindung in ein formales Wiederholungssystem zeigt sich in Episode 1 (2009) des Life and Times-Projektes des ebenfalls in New York ansässigen Nature Theater of Oklahoma.6 In diesem Mehrteiler wird der gesamte Text eines 16-stündigen, am Telefon vollzogenen Berichtes einer 34-jährigen Amerikanerin über deren Leben von der Kindheit bis heute konsequent – inklusive jedes Räusperns und Versprechens – transkribiert und exakt wiederholt. Die als Musical umgesetzte und minutiös choreografierte Konzeptinszenierung dieser Episode 1, in der der Text auf verschiedene Performerinnen verteilt wurde, weist ästhetisch keinerlei Ähnlichkeit zu Vieux Carré auf. Dennoch eint das Verfahren beider Inszenierungen, dass die Differenz der Wiederholung in der Zuschauerwahrnehmung eine untergeordnete Rolle spielt: Auch das Nature Theater of Oklahoma nutzt Wiederholung als formales Prinzip, dessen Ausgangspunkt allein den Aufführenden vorbehalten bleibt. So kann das Publikum die Wiederholung nicht nachvollziehen und dementsprechend nicht mit dem ›Original‹ abgleichen. In diesem Sinne möchte ich abschließend vorschlagen, das Reenactment nicht vorschnell als Endpunkt aufgeführter künstlerischer Wiederholungsverfahren zu betrachten, sondern vielmehr von einem anschließenden Richtungswechsel auszugehen.7 Schließlich eignet dem 6 | Meine Beobachtungen beziehen sich auf eine Aufführung von L IFE AND TIMES – E PISODE 1 des Nature Theater of Oklahoma am 20. März 2011 im Hebbel am Ufer (HAU 1) in Berlin. Dieser erste Teil der Trilogie hatte am 07. September 2009 im Wiener Burgtheater Premiere. 7 | Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die beschriebenen Tendenzen keinesfalls als dominante Strategien der New Yorker Theaterszene missverstanden werden dürfen. Meine Ausführungen betreffen lediglich das experimentelle Theater New Yorks, das zwar national und international durchaus großen Einfluss auf die Entwicklung experimenteller Theaterformen ausübt. Dominiert werden die New Yorker Spielpläne allerdings nach wie vor von einem in BroadwayTradition inszenierten Illusionstheater.

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freien Umgang bezüglich der Wahl und der theatralen Umsetzung der Wiederholungsmotive in aktuellen Aufführungen ein Spielraum, der sich von der ästhetischen Wiederholungspraxis der 1960er und 1970er Jahre, die sich noch durch die formale Strenge ihrer Verfahren auszeichnete, wesentlich unterscheidet. Das Eintauchen in einen Synchronisationsprozess gestaltet sich nun ähnlich wie in dem diese Arbeit einleitenden Beispiel der Zuschauerpartizipation in Vorführungen der Rocky Horror Picture Show als lustvolle Teilhabe, als kalkuliertes Außer-SichSein, als Selbstverlust ohne Kontrollverlust im Sinne einer zwanglosen Ästhetik der Wiederholung, die den Wiederholungszwängen theatraler Repräsentation inzwischen geübt und lässig entgegensteht. So mag ob der Omnipräsenz kreativer Recyclingprozesse jene medienreflexive Geste der Differenzierung ihren Reiz verloren haben, die mittels der Betonung von Übersetzungsverfahren und Synchronisationsprozessen in Artefakten, Installationen und Aufführungen der New Yorker Neo-Avantgarde im Vordergrund stand. Die Wiederholung aber bleibt in Bewegung und scheint ihre Differenzen derweil vornehmlich auf die Ebene der Darstellung zu verlagern.

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Ästhetik der Wiederholung

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Ästhetik der Wiederholung

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V ERZEICHNIS DER A UFFÜHRUNGEN , F ILME UND V IDEOS Acconci, Vito: Two Track (1971), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, s/w, mit Ton, 28:35 min. Acconci, Vito: Seedbed (1972), New York: Electronic Arts Intermix, s/w, ohne Ton, 11:10 min, www.ubu.com/film/acconci_seedbed.html (23.01.2013). Akers, Matthew: Marina Abramović. The Artist is Present (2012), Chicago: Music Box Films, DVD, Farbe, mit Ton, 106 min. Hunter, Fredericka: Trisha Brown Early Works 1966-1979 (2005), ArtPix, 2 DVDs, s/w u. Farbe, mit Ton, 245 min. Lucinda Childs Dance Company: Dance (1979), Besuch der Aufführung am 12. August 2011, Hebbel am Ufer (HAU 1), Berlin.

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Mangolte, Babette: Four Pieces by Morris (1993), 16 mm-Film, Farbe, mit Ton, 94 min. Mangolte, Babette: Seven Easy Pieces by Marina Abramović (2007), New York: Sean Kelly Gallery, DVD, Farbe, mit Ton, 93 min. Nature Theater of Oklahoma: Life and Times – Episode 1 (2009), Besuch der Aufführung am 20. März 2011, Hebbel am Ufer (HAU 1), Berlin. Nauman, Bruce: Walking in an Exaggerated Manner Around the Perimeter of a Square (1967-68), New York: Electronic Arts Intermix, 16 mm-Film auf Video, s/w, ohne Ton, 10 min. Nauman, Bruce: Bouncing in the Corner No. 1 (1968), New York: Electronic Arts Intermix, Video, s/w, mit Ton, 60 min. Obenhaus, Marc/Verges, Chrisann: Einstein on the Beach. The Changing Image of Opera (1984), Los Angeles: Direct Cinema, DVD, Farbe, mit Ton, 58 min, www.ubu.com/film/glass_einstein.html (23.01.2013). Oppenheim, Dennis: 2 Stage Transfer Drawing (Advancing to a Future State) (1971), in: ders.: Program Four (1971-72), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, s/w, ohne Ton, 11:55 min. Oppenheim, Dennis: 2 Stage Transfer Drawing (Advancing to a Future State) (1971), in: ders.: Program Six (1971-72), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, Farbe, ohne Ton, 2:48 min. Oppenheim, Dennis: 2 Stage Transfer Drawing (Returning to a Past State) (1971), in: ders.: Program Four (1971-72), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, s/w, ohne Ton, 7:53 min. Oppenheim, Dennis: 2 Stage Transfer Drawing (Returning to a Past State) (1971), in: ders.: Program Six (1971-72), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, Farbe, ohne Ton, 2:57 min. Oppenheim, Dennis: Two Stage Transfer Drawing (Returning to a Past State) (1971), in: ders.: Program Six (1971-72), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, Farbe, ohne Ton, 3 min. Oppenheim, Dennis: 3 Stage Transfer Drawing (1972), in: ders.: Program Six (1971-72), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, Farbe, ohne Ton, 3:07 min. Palestine, Charlemagne: Body Music I (1973-74), in: ders.: Body Music I/Body Music II (1973-74), New York: Electronic Arts Intermix, DVD, s/w, mit Ton, 12:54 min. Wilson, Robert: Einstein on the Beach (1976), Videoaufzeichnung der Aufführung vom 28., 29. oder 30. September 1976, La Monnaie, Brüssel, New York: Robert Wilson Archive.

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Ästhetik der Wiederholung

The Wooster Group: Rumstick Road (1977), Videoaufzeichnung der Aufführung vom 15. April 1980, The American Place Theatre, New York, New York: The Wooster Group Archive. The Wooster Group: Nayatt School (1978), Videoaufzeichnung einer Aufführung von 1978, The Performing Garage, New York, New York: The Wooster Group Archive. The Wooster Group: Route 1 & 9 (1981), Videoaufzeichnung einer Aufführung von 1987, The Kitchen, New York, New York: The Wooster Group Archive. The Wooster Group: L.S.D. (…Just the High Points…) (1984), Videoaufzeichnung einer Aufführung von 1985, The Performing Garage, New York, New York: The Wooster Group Archive. The Wooster Group: Hamlet (2007), Besuch der Aufführungen am 27. Juni 2006, Mercat de les Flors, Barcelona, sowie am 16., 17. und 19. November 2006, Hebbel am Ufer (HAU 2), Berlin. The Wooster Group: Hamlet (2007), Videoaufzeichnung der Aufführung vom 05. August 2009, Festiwal Szekspirowski, Teatr Muzyczny, Gdynia/Polen, New York: The Wooster Group Archive. The Wooster Group: Vieux Carré (2011), Besuch der Aufführungen am 06. und 07. Mai 2011, De Singel International Arts Campus, Antwerpen.

V ERZEICHNIS ABGEBILDE TER W ERKE Abb. 1

Abb. 2

Abb. 3

Abb. 4

Ad Reinhardt: Abstract Painting (1960-61), Öl auf Leinwand, 152,4 x 152,4 cm, Museum of Modern Art, New York. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Frank Stella: The Marriage of Reason and Squalor II (1959), Emaille auf Leinwand, 230,5 x 337,2 cm, Larry Aldrich Foundation Fund, Museum of Modern Art, New York. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Carl Andre: Steel-Magnesium Plain (1969), 18 Stahl- und 18 Magnesiumplatten, jede 1 x 30,5 x 30,5 cm, insgesamt 1 x 182,9 x 182,9 cm. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Robert Morris: Untitled (1965-66), Sperrholz, Acryl, Plexiglas, fluoreszierendes Licht, Höhe: 60 cm, Tiefe: 35,6 cm, Durchmesser: 246 cm. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013.

Anhang

Abb. 5a

Abb. 5b

Abb. 6

Abb. 7

Abb. 8

Abb. 9a

Abb. 9b

Abb. 10

Abb. 11

Robert Rauschenberg: Factum I (1957), Öl, Tinte, Bleistift, Farbstift, Papier, Stoff, Zeitung, gedruckte Reproduktionen und gedrucktes Papier auf Leinwand, 156,2 x 90,8 cm, Museum of Contemporary Art, Los Angeles. © Robert Rauschenberg Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Robert Rauschenberg: Factum II (1957), Öl, Tinte, Bleistift, Farbstift, Papier, Stoff, Zeitung, gedruckte Reproduktionen und gedrucktes Papier auf Leinwand, 155,9 x 90,2 cm, Museum of Modern Art, New York. © Robert Rauschenberg Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Alex Katz: Ada Ada (1959), Öl auf Leinwand, 125,7 x 127 cm, Grey Art Gallery, New York University Art Collection, New York (Schenkung von Mr. und Mrs. Samuel Golden). © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Claes Oldenburg: Two Cheeseburgers with Everything (dual hamburgers) (1962), in Gips getränkte Leinwand mit Emailfarbe bemalt, 17,8 x 37,5 x 21,8 cm, Philip Johnson Fund, Museum of Modern Art, New York. © Claes Oldenburg. Andy Warhol: Marilyn Diptych (1962), Siebdruck auf Leinwand, zweiteilig, jedes Teil: 205,4 x 144,8 x 2 cm, Tate Gallery of Modern Art, London. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York 2013. Roy Lichtenstein: In the Car (1963), Öl und Magna auf Leinwand, 172 x 203,5 cm, Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Ausschnitt aus »Tomorrow and Tomorrow«, in: Girls Romances 78 (September 1961). Quelle: Michael Lobel: Image Duplicator. Roy Lichtenstein and the Emergence of Pop Art, New Haven/London: Yale University Press 2002, S. 147. © DC Comics. Robert Morris: 21.3 (1964), Performance im Surplus Dance Theater, New York. Quelle: Robert Morris. The Mind/Body Problem [Ausstellungskatalog, Solomon R. Guggenheim Museum, New York], New York: Rizzoli 1994, o.S. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Dan Graham: Present Continuous Past(s) (1974), Verspiegelte Wand, Videokamera und Monitor mit Zeitverzögerung,

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Ästhetik der Wiederholung

Abb. 12 Abb. 13a

Abb. 13b

Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16

Abb. 17

244 x 366 x 244 cm, Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris. © Dan Graham. Vito Acconci: Two Track (1971), Performance in der A Space Gallery, Toronto. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Dennis Oppenheim: 2-Stage Transfer Drawing (Advancing to a future state) (1971), Arbeit in zwei Teilen: 2. Erik to Dennis Oppenheim; As Erik runs a marker along my back I attempt to duplicate the movement on the wall. His activity stimulates a kinetic response from my sensory system. He is, therefore, Drawing Through Me. Sensory retardation or disorientation make up the discrepancy between the two drawings, and could be seen as elements that are activated during this procedure. Because Erik is my offspring, and we share similar biological ingredients, my back (as surface) can be seen as a mature version of his own.… in a sense, he makes contact with a future state. © Dennis Oppenheim/Estate of Dennis Oppenheim. Dennis Oppenheim: 2-Stage Transfer Drawing (Returning to a Past State) (1971), Arbeit in zwei Teilen: 1. Dennis to Erik Oppenheim; As I run a marker along Erik’s back he attempts to duplicate the movement on the wall. My activity stimulates a kinetic response from his sensory system. I am, therefore, Drawing Through Him. Sensory retardation or disorientation make up the discrepancy between the two drawings, and could be seen as elements that are activated during this procedure. Because Erik is my offspring, and we share similar biological ingredients, his back (as surface) can be seen as an immature version of my own…. in a sense, I make contact with a past state. © Dennis Oppenheim/Estate of Dennis Oppenheim. The Wooster Group: Rumstick Road (1977), Premiere in The Performing Garage, New York. Robert Wilson: Einstein on the Beach (1976), Premiere auf dem Avignon Theater Festival, Avignon. Lucinda Childs: Dance (1979), Premiere in der Brooklyn Academy of Music, New York (die Abbildung zeigt eine Aufführung der Wiederaufnahme von 2009). The Wooster Group: Hamlet (2007), Premiere im The Public Theater, New York.

Anhang

Abb. 18

Marina Abramović: Seven Easy Pieces (10.11.2005), Reenactment von Vito Acconcis Seedbed (1972), Performance im Solomon R. Guggenheim Museum, New York. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013.

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Abbildungen

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 1 Ad Reinhardt, Abstract Painting, 1960-61 Digital Image © (2013) The Museum of Modern Art, New York/ Scala, Florenz

Abbildungen

Abbildung 2 Frank Stella, The Marriage of Reason and Squalor II, 1959 Digital Image © (2013) The Museum of Modern Art, New York/ Scala, Florenz

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 3 Carl Andre, Steel-Magnesium Plain, 1969 Courtesy Paula Cooper Gallery, New York

Abbildungen

Abbildung 4 Robert Morris, Untitled (ring with light), 1965-66 Foto © Jens Ziehe Courtesy Sonnabend Gallery, New York/Sprüth Magers Berlin London

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 5a (links) Robert Rauschenberg, Factum I, 1957 Courtesy Robert Rauschenberg Foundation, New York Abbildung 5b (rechts) Robert Rauschenberg, Factum II, 1957 Digital Image © (2013) The Museum of Modern Art, New York/ Scala, Florenz

Abbildungen

Abbildung 6 Alex Katz, Ada Ada, 1959 Courtesy Grey Art Gallery, New York

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 7 Claes Oldenburg, Two cheeseburgers with everything (dual hamburgers), 1962 Digital Image © (2013) The Museum of Modern Art, New York/ Scala, Florenz

Abbildungen

Abbildung 8 Andy Warhol, Marilyn Diptych, 1962 Image and Artwork © (2013) The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 9a (oben) Roy Lichtenstein, In the Car, 1963 Foto © Antonia Reeve Abbildung 9b (unten) Ausschnitt aus dem Comic »Tomorrow and Tomorrow«, 1961 © DC Comics

Abbildungen

Abbildung 10 Robert Morris, 21.3, 1964 Photo by Peter Moore © Estate of Peter Moore/licensed by VAGA, New York

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 11 Dan Graham, Present Continuous Past(s), 1974 Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, New York

Abbildungen

Abbildung 12 Vito Acconci, Two Track, 1971 Courtesy Electronic Arts Intermix (EAI), New York

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Ästhetik der Wiederholung

Abbildung 13a (oben) Dennis Oppenheim, 2-Stage Transfer Drawing (Advancing to a future State), 1971 (Erik to Dennis Oppenheim) © Dennis Oppenheim/Dennis Oppenheim Estate Abbildung 13b (unten) Dennis Oppenheim, 2-Stage Transfer Drawing (Returning to a Past State), 1971 (Dennis to Erik Oppenheim) © Dennis Oppenheim/Dennis Oppenheim Estate

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Abbildung 14 The Wooster Group, Rumstick Road, 1977 (v.l.n.r. Ron Vawter, Spalding Gray, Bruce Porter und Libby Howes) Foto © Ken Kobland

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Abbildung 15 Robert Wilson, Einstein on the Beach, 1976 (3. v.l. Lucinda Childs) Foto © Fulvio Roiter Courtesy Robert Wilson Archive, New York

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Abbildung 16 Lucinda Childs, Dance, 1979 (die Abbildung zeigt eine Aufführung der Wiederaufnahme von 2009) Foto © (2009) Sally Cohn

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Abbildung 17 The Wooster Group, Hamlet, 2007 (Scott Shepherd) Foto © Paula Court

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Abbildung 18 Marina Abramović, Seven Easy Pieces, 2005 (Marina Abramović führt Vito Acconcis Seedbed (1972) auf) Foto © Kathryn Carr/The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York

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Danksagung

Dieses Buch wurde zuerst und vor allem durch die Theaterpraxis der Wooster Group inspiriert. Deren Archivar, Clay Hapaz, danke ich dafür, dass er mir großzügig und freundschaftlich Zugang zu seinem Wissen und seinem Archiv gewährt und mich unermüdlich mit neuen Anregungen versorgt hat. Bei Liz LeCompte und deren Assistentin Teresa Hartmann möchte ich mich bedanken, da ich immer in der Performing Garage willkommen bin. Meine Erfahrungen bei deren Proben waren für die Entstehung dieses Buches von unschätzbarem Wert. Auch viele andere Künstler – besonders Robert Morris und Vito Acconci – sowie deren Archivare – allen voran Jean Coleman, ehemals bei Vito Acconi, sowie Joseph Bradshaw und Thom Donovan von Robert Wilsons Byrd Hoffman Watermill Foundation – haben meine Arbeit freundlich und tatkräftig unterstützt. Ich danke zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fales Library & Special Collections an der New York University und der Galerie Sprüth Magers Berlin und London wie auch den Fotografinnen Paula Court und Sally Cohn und dem Fotografen Fulvio Roiter, die mir überaus hilfsbereit die Recherche erleichtert haben. Die Aufarbeitung und Diskussion meines Materials konnte am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin in einem außerordentlich anregenden Arbeitsumfeld stattfinden. Dafür und für die zuverlässige Betreuung meiner Dissertation gilt mein besonderer Dank Erika Fischer-Lichte. Auch Doris Kolesch hat mein Schreiben als aufmerksame und kritische Leserin von Anfang an begleitet und herausgefordert. Martin Müller, Adam Czirak und Johannes Birlinger danke ich sehr für ihre sorgfältige Lektüre und die vielen hilfreichen Gespräche. Die neuen Perspektiven, die sich mir durch den Austausch mit ihnen, aber auch mit den engagierten Studentinnen und Studenten in meinem Seminar zur Wiederholung eröffnet haben,

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sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Für ihre Freundschaft und ihre Hilfe bei der Entstehung dieses Buches möchte ich mich zudem ganz herzlich bei Julia Wolf und Franziska Rieder bedanken. Mein größter Dank aber gilt Dennis Loesch, der mein Schreiben und mich über weite Strecken inspiriert und zusammengehalten hat, und meiner Familie – wieder und wieder – für deren andauernde Unterstützung und Geduld.

Theater Nina Birkner, Andrea Geier, Urte Helduser (Hg.) Spielräume des Anderen Geschlecht und Alterität im postdramatischen Theater November 2013, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1839-6

Andreas Englhart Das Theater des Anderen Theorie und Mediengeschichte einer existenziellen Gestalt von 1800 bis heute Oktober 2013, ca. 420 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2400-7

Melanie Hinz Das Theater der Prostitution Über die Ökonomie des Begehrens im Theater um 1900 und der Gegenwart September 2013, ca. 250 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2467-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Theater Friedemann Kreuder, Michael Bachmann, Julia Pfahl, Dorothea Volz (Hg.) Theater und Subjektkonstitution Theatrale Praktiken zwischen Affirmation und Subversion 2012, 752 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1809-9

Annemarie Matzke, Ulf Otto, Jens Roselt (Hg.) Auftritte Strategien des In-Erscheinung-Tretens in Künsten und Medien Dezember 2013, ca. 270 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2392-5

Patrick Primavesi, Jan Deck (Hg.) Stop Teaching! Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen September 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1408-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Theater Daniele Daude Oper als Aufführung Neue Perspektiven auf Opernanalyse August 2013, ca. 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2493-9

Natalie Driemeyer, Jan Deck (Hg.) »Odyssee : Heimat« Identität, Migration und Globalisierung im Blick der Darstellenden Künste September 2013, ca. 202 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2012-2

Andreas Englhart, Artur Pelka (Hg.) Junge Stücke Theatertexte junger Autorinnen und Autoren im Gegenwartstheater August 2013, 416 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1734-4

Denis Hänzi Die Ordnung des Theaters Eine Soziologie der Regie Mai 2013, 454 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2342-0

Gunter Lösel Das Spiel mit dem Chaos Zur Performativität des Improvisationstheaters Juni 2013, 348 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2398-7

Annemarie Matzke Arbeit am Theater Eine Diskursgeschichte der Probe 2012, 314 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2045-0

Eckhard Mittelstädt, Alexander Pinto (Hg.) Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland Diskurse – Entwicklungen – Perspektiven Juni 2013, 234 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1853-2

Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft (Hg.) Freispieler Theater im Gefängnis April 2013, 106 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2349-9

Ulf Otto Internetauftritte Eine Theatergeschichte der neuen Medien Januar 2013, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2013-9

Jens Roselt, Ulf Otto (Hg.) Theater als Zeitmaschine Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1976-8

Daniela A.M. Schulz Körper – Grenzen – Räume Die katalanische Theatergruppe »La Fura dels Baus« und ihre Performances Februar 2013, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2316-1

Nina Tecklenburg Performing Stories Erzählen in Theater und Performance September 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2431-1

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Birgit Wagner, Christina Lutter, Helmut Lethen (Hg.)

Übersetzungen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2012

2012, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2178-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 12 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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