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German Pages [693] Year 2019
ERNST BRUCKMÜLLER
ÖSTERREICHISCHE
GESCHICHTE VON DER URGESCHICHTE BIS ZUR GEGENWART
Ernst Bruckmüller
ÖSTERREICHISCHE G ESCHICHTE Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart
Böhl au Verl ag W ien Köln Weimar
Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Wissenschaft des Landes Niederösterreich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildungen : Wien, Hof burg, Blick vom Michaelerplatz. © Irena Bruckmüller-Vilfan © 2019 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat : Ute Wielandt, Baar-Ebenhausen Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-20873-0
Inhalt
Das Problem einer österreichischen Geschichte – ein Vorwort . . . . . . . . . . 9 1 Vom Beginn menschlicher Besiedlung bis zur Völkerwanderung . . . . . . 15
1.1 Älteste Besiedlungsspuren – Die »Venus« von Willendorf (15) 1.2 Von der neolithischen Revolution bis zum Regnum Noricum (16) 1.3 Die römische Expansion – Rätien, Noricum, Pannonien (20) 1.4 Völkerwanderung und Kontinuitätsfage (25) 2 Das frühe Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.1 Die Baiern (33) 2.2 Die Karantanen (38) 2.3 Die Awaren (40) 2.4 Die Alpenromanen (42) 2.5 Die Alemannen (43) 2.6 Das karolingische Ostland (43) 2.7 Mährer und Ungarn (49) 3 Das Hochmittelalter.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3.1 Die Kolonisation und ihre Folgen (55) 3.2 Helden und Heilige (62) . 3.3 Herzogtümer und Marken (68) 4 Das späte Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.1 Die Etablierung der Habsburger im Ostalpenraum (99) 4.2 Gescheiterte Herrschaftskonsolidierung: Görzer und Cillier (116) 4.3 Glanz und Krise des Spätmittelalters (119) 4.4 Reichs- und Landesherrschaft: Aufstieg der Stände (129) 4.5 Herrschen durch Papier: Der Beginn bürokratischer Regierungsformen (135) 4.6 Branchen mit Konjunktur: Neue Arbeitsformen (137) 4.7 Haus Österreich und Burgund (140)
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Inhalt
5 Die frühe Neuzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5.1 Die Ständerevolte nach dem Tod Maximilians I. und die Anfänge Ferdinands I. (147) 5.2 Ferdinand I. und die Konsolidierung der deutschen Linie) des Hauses Österreich (149) 5.3 Die Reformation (152) 5.4 Die zweite Teilung (1564) (155) 5.5 Reformation und ständische Bewegung: »Der Türk ist der Lutherischen Glück« (161) 5.6 Katholische Reform und Gegenreformation (167) 5.7 Vom »Bruderzwist« zum Weißen Berg: Höhepunkt und Scheitern der Ständebewegung (170) 5.8 Der große Krieg: Dreißig Jahre Not und Zerstörung (177) 5.9 Der »Erbfeind christlichen Namens«: Die Türkenkriege (181) 5.10 Bauernkriege (186) 5.11 Blüte und Krise: Bergbau, Eisenwirtschaft, Weinbau, Handel (194) 5.12 Vom Westfälischen Frieden bis zum Ende der spanischen Habsburger (201) 6 Die Monarchia Austriaca im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6.1 Prinz Eugen und die Expansion der österreichischen Monarchie (215) 6.2 Karl VI. und die Pragmatische Sanktion (219) 6.3 Die Barockisierung Österreichs (222) 6.4 Kriege, Steuern, Armut: Der Merkantilismus (228) 6.5 Maria Theresia: Staatsbildung und Staatsreform (233) 6.6 Joseph II. als Alleinherrscher (244) 6.7 Die theresianisch-josephinischen Reformen (251) 6.8 Spätbarock und »Tauwetter«: Skizzen einer österreichischen Kulturund Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts (270) 6.9 Leopold II.: Fortsetzung des Reformabsolutismus oder Restauration? (281) 7 Kaisertum Österreich.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7.1 Kaiser Franz II. (I.) (285) 7.2 Von der Französischen Revolution zum Wiener Kongress (287) 7.3 System Metternich? (297) 7.4 Zensur und kulturelle Blüte (306) 7.5 Die industrielle Revolution (313) 7.6 Das »Erwachen der Nationen« (325) 7.7 Ungarn: Konstitutionalismus, Reform und Nationalismus (340) 7.8 Der Weg zur Revolution (343) 7.9 Das Sturmjahr 1848 (348) 8 Das Zeitalter Franz Josephs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1 Der Herrscher (365) 8.2 Der Neoabsolutismus und die innere Modernisierung (368) 8.3 Niederlagen und neue Chancen: Von Solferino zum Ausgleich mit Ungarn (372) 8.4 Gründerzeit und Hochindustrialisierung (384) 8.5 Jahre der Konsolidierung (396) 8.6 Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien« (400) 8.7 Der Aufstieg des Nationalismus (418) 8.8 Reichtum und Kultur (439) 8.9 Die Tragik des Kaisers (454) 8.10 Habsburgs letzter Krieg (457)
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Inhalt
9 Erste Republik und Diktatur 1918–1938 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9.1 Deutsch-Österreich und St. Germain 1918–1922 (471) 9.2 »Bürgerliche« Regierungen (486) 9.3 Das österreichische Wirtschaftsproblem (501) 9.4 Kanzlerdiktatur, »autoritärer Ständestaat« oder »Austrofaschismus«? (508) 9.5 Das Problem der nationalen Identität (518) 9.6 Das »Rote Wien« und die Provinz: Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938 (523) 10 Die Herrschaft des Nationalsozialismus 1938–1945. . . . . . . . . . . . .
535
10.1 Der Anschluss (535) 10.2 Das Herrschaftssystem (540) 10.3 Der große Raubzug (542) 10.4 Verfolgung, Vertreibung, Deportation (546) 10.5 Der große Krieg (551) 10.6 Friedens- und Kriegswirtschaft. Zwangsarbeit (553) 10.7 Zustimmung, Skepsis, Widerstand (557) 10.8 Das Ende: Zusammenbruch, Niederlage, Befreiung? (561) 11 Die Zweite Republik.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11.1 Das Ringen um den Staatsvertrag und die große Koalition (571) 11.2 Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Wohlfahrtsstaat, Sozialpartner schaft (584) 11.3 Die Krise der Koalition – Die Alleinregierungen Klaus und Kreisky (591) 11.4 Von Vranitzky zu Schüssel. Österreich und Europa (604) 11.5 Kritische Begleitung: Die Kultur der Zweiten Republik (618) 11.6 Die österreichische Gesellschaft um die Jahrtausendwende (626) Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Problem einer österreichischen Geschichte – ein Vorwort
»Österreichische Geschichte« ist zunächst einmal die Geschichte des Gebietes der Republik Österreich. Diese existiert in der heutigen Form aber erst seit 1921 und wieder seit 1945. Die Republik entstand 1918 unter dem Namen »Deutsch-Österreich« und war als Nationalstaat der Deutschen des früheren Österreich-Ungarn geplant. Aber nur ein Teil der Deutschen Österreichs kam in den neuen Staat. Nur Vorarlberg, Salzburg und Oberösterreich als ganze Länder, Niederösterreich (mit Wien), reduziert um einige kleinere an die ČSR abgetretenen Gebiete, Tirol ohne das Gebiet südlich des Brenner, Kärnten ohne Kanaltal und Mießtal, aber nach der Volksabstimmung vom Oktober 1920 mit einer erheblichen slowenischen Minderheit, Steiermark ohne die slowenische Untersteiermark bildeten zunächst die Republik Deutsch-Österreich. Nach dem Frieden von Trianon 1920 fiel ein ganz überwiegend deutschsprachiger Teil Westungarns mit einer kroatischen Minderheit und einigen Magyaren ebenfalls an Österreich (Ende 1921). Die Gebiete der neuen Republik waren aber schon seit Jahrhunderten unter der Herrschaft der Habsburger beisammen gewesen – nur Salzburg erst seit 1816. Umgangssprachlich existierte längst eine Bezeichnung für das Gebiet der Herrschaft der Habsburger – Österreich. *** Die meisten Staats- bzw. Landesnamen in Europas haben einen Zusammenhang mit den Bewohnern des Staates : Frankreich – Reich der Franken, Deutschland – Land der Deutschen. Der Staats- und Landesname Österreich geht nicht auf irgendein »Volk« zurück. Er ist – als geographischer Hinweis – ähnlich konstruiert wie die Niederlande, die »niederen Lande« der Herzöge von Burgund, zum Unterschied von deren oberen Landen, Herzogtum und Freigrafschaft Burgund. Der Name »Österreich« folgt einem ähnlichen Konstruktionsprinzip. Ostarrîhhi bezeichnete im 9. Jahrhundert eine Region im Osten. Die Bezeichnung »ostarrîchi« überlebte im Volksmund offenbar die Herrschaft der Ungarn (907 – 955) im Land östlich der Enns. In einer auf das Jahr 996
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Vorwort
datierten Urkunde Ottos III. heißt es, das geschenkte Gut liege in einer Gegend, die im Volksmund (»vulgari vocabulo«) ostarrîchi genannt werde. Daraus wurde ab 1050 der Landesname »Osterrich«, Österreich. Die diffuse Regionalbezeichnung wurde zum festen Namen eines Herrschaftsgebietes. Diese Mark wurde 1156 zum Herzogtum erhoben. Für das Herzogtum Österreich wurde ein lateinischer Name benötigt : Austria. »austr-« bezeichnet in verschiedenen germanischen Sprachen den Osten. Es handelt sich daher um eine hybride Sprachform (germanische Wurzel – lateinische Endung), die so ähnlich (Austrasia) schon im 7. und 8. Jahrhundert für das östliche Teilreich der Franken gebraucht wurde. Auch die Langobarden verwendeten eine ähnliche Form – für sie war Cividale eine (oder die) »civitas Austriae« (Hauptstadt des Gebietes im Osten). Ab 1282 waren die Habsburger Herren der Herzogtümer Österreich und Steier (mark). Sie kamen aus dem Westen und hatten reichen Besitz im Elsass, in der späteren Schweiz, im Schwarzwald. Im 14. Jahrhundert gelangen weitere Erwerbungen (Kärnten, Krain, Tirol). Man brauchte dafür einen zusammenfassenden Begriff und fand ihn in der Herrschaft zu Österreich. Das Herzogtum Österreich gab damit dem ganzen Gebietskomplex seinen Namen. »Österreich« wurde auch zum Namen der Dynastie : Haus Österreich, maison d’Autriche, casa d’Austria, Casa de Austria. In der frühen Neuzeit verband man auch größere Territorialkomplexe mit dem Österreich-Begriff. Bei der Erbteilung von 1564 unter den drei Söhnen Kaiser Ferdinands I. unterschied man »Niederösterreich«, »Innerösterreich« und »Oberösterreich«. Seit 1619 bestand eine für alle diese Regionen gemeinsame »österreichische« Hofkanzlei in Wien. Da die Habsburger seit Friedrich III. stets römisch-deutsche Kaiser waren, galt ihre Armee als die kaiserliche. 1742 wurde jedoch, nach dem Tod Karls VI., ein Wittelsbacher zum Kaiser gewählt. Die Armee wurde jetzt zur Armee des Hauses Österreich, zur »österreichischen«. Die ganze österreichische Monarchie wurde seit 1804 in Konkurrenz zum neuen Kaisertum Napoleons zusammenfassend Kaisertum Österreich benannt. Das bedeutete keine Veränderung in der Stellung, Verfassung und Verwaltung der einzelnen Königreiche und Länder. Erst die 1849 siegreiche Konterrevolution versuchte, das Kaisertum in einen zentralistischen Einheitsstaat umzuwandeln. Dieser Versuch scheiterte auf den Schlachtfeldern von Solferino und Königgrätz. Der 1867 abgeschlossene »Ausgleich« mit Ungarn schuf innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie zwei Staaten mit einigen Gemeinsamkeiten (Herrscher, Armee, Außenpolitik). Der westliche Teilstaat, dessen Bewohner seit 1867 österreichische Staatsbürger waren, erhielt erst 1915 den Namen »Österreich«. Das Wappen des österreichischen Teilstaates von 1915, ein Doppeladler mit dem rot-weiß-roten Bindenschild als Herzschild, diente dem republikanischen Wappen von 1919 als Vorbild. Dabei fielen ein Adlerkopf und diverse monarchische Symbole (Krone,
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Vorwort
Szepter, Schwert) der Republik zum Opfer, aber der Bindenschild blieb, als Symbol der Kontinuität vom habsburgisch-monarchischen zum republikanischen Österreich. Daneben symbolisiert das Wappen die staatsgründenden und -tragenden Schichten bzw. Klassen der jungen Republik : Mauerkrone – Bürgertum, Sichel – Bauernstand, Hammer – Arbeiterklasse. Die im Wappen verborgene Farbsymbolik (schwarz-rotgold) deutet die deutsche Selbstdefinition der jungen Republik und damit ihr zentrales Identitätsproblem an. Sie wollte ja – siehe oben – »Deutsch-Österreich« heißen. Durch den Vertrag von St. Germain wurde der Name Österreich festgelegt. Nachdem die Zeit des so heiß ersehnten »Anschlusses« an Deutschland, zwischen 1938 und 1945, in einer Katastrophe geendet hatte, legten die Österreicher nach 1945 langsam ihr »Deutschtum« ab und wurden zu einer eigenen Nation. Diese späte Nationsbildung erfolgte gleichzeitig mit dem langwierigen, ebenso konflikt- wie erfolgreichen europäischen Einigungsprozess nach 1945. Nach einigen Umwegen wurde Österreich 1995 Mitglied der Europäischen Union. Österreich kehrt, nach einer kurzen Phase der Isolierung (1918–1938, 1945–1955) nach Europa zurück – freilich in ein neues, das sich vorgenommen hat, den Konflikt als zentralen Interaktionsmodus durch Kooperation zu ersetzen. Der Blick zurück auf die österreichische Geschichte soll bewusst machen, dass diese immer schon eine eminent »europäische« war. Stets war man hier eingebunden in alles, was Europa betraf. Hier ist nicht nur die engere Nachbarschaft gemeint, mit der man jahrhundertelang staatlich verbunden war, wozu auch noch die engen Verbindungen mit Süddeutschland, Belgien, den Niederlanden und Italien zu zählen sind. Diese europäische Position des alten Österreich blieb bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Als dieses Buch entstand, wurde der Autor mit der Frage konfrontiert, wie denn der Kaiser Franz Joseph 1863 die deutschen Fürsten nach Frankfurt habe einladen können – das liege doch wirklich nicht in Österreich ! Dass Frankfurt am Main der Sitz des Bundestages des Deutschen Bundes war und dass Österreich dessen Präsidialmacht war – diese und andere »österreichischen« Bezüge wurden aus der deutschen Geschichte ebenso entfernt wie die überaus zahlreichen »deutschen« Bezüge aus der österreichischen. Vereinfachende Geschichtsbilder in Frage zu stellen, ist eine der Aufgaben dieses Buches. *** Die Anregung zu diesem Buch ging zunächst von den slowenischen Kollegen und Freunden Peter Vodopivec und Peter Štih aus. Sie ermunterten den Autor dazu, für eine in Slowenien erscheinende Reihe von Nationalgeschichten den Österreich-Band zu verfassen. Aus diesem 2017 erschienen Band wurden die von Frau Mateja Rihtaršič mit bewundernswerter Perfektion gezeichneten Karten in das vorliegende Buch (natürlich mit deutscher Beschriftung) übernommen. Da 2018 ein berüchtigtes Jubilä-
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Vorwort
umsjahr war, mussten zahlreiche Neuerscheinungen rezipiert und neue Forschungsergebnisse allenfalls eingebaut werden. Der Autor hat zunächst in Vorlesungen zur Sozialgeschichte Österreichs, als Buch 1985 und 2002 erschienen, diese Facette der österreichischen Geschichte beleuchtet. Sei 1991 ist er Vorsitzender des Instituts für Österreichkunde. In dieser Funktion waren zahlreiche thematisch ganz verschiedene Fortbildungstagungen und Sammelbände – immer zu Themen aus der österreichischen Geschichte – zu planen, zu leiten und zu betreuen. Den Autorinnen und Autoren, die dabei vorgetragen bzw. darin publiziert haben, verdankt der Autor außerordentlich viel an Kenntnissen über sein engeres Fachgebiet hinaus. Auch die Beschäftigung mit Landesausstellungen (so 1996, gemeinsam mit Peter Urbanitsch) erweiterte den Horizont. Es ist nicht möglich, alle Damen und Herren namentlich zu nennen, denen der Autor zahllose Hinweise verdankt. Die Liste müsste bei akademischen Lehrern wie Alfred Hoffmann oder Heinrich Fichtenau und älteren (späteren) Kollegen wie Gerald Stourzh oder Erich Zöllner beginnen und über Generationskollegen wie Gerhard Botz, Emil Brix, Josef Ehmer, Peter Feldbauer, Ernst Hanisch, Herbert Knittler, Wolfgang Mantl, Michael Mitterauer, Roman Sandgruber, Hannes Stekl und Manfried Welan bis zu jenen jüngeren Autorinnen und Autoren reichen, die sich mit immer neuem Engagement der Erforschung der österreichischen Geschichte widmen. Wenn ich aus der Gruppe der (etwas) jüngeren Fachkolleginnen und -Kollegen Christa Hämmerle, Ernst Langthaler, Peter Melichar, Hubert Weitensfelder und Gerhard Baumgartner nenne, dann ist das natürlich allen Ungenannten gegenüber ungerecht, soll aber vor allem meine Dankbarkeit für zahlreiche interessante Diskussionen zum Ausdruck bringen. Vom Verlag danke ich Frau Dr. Ursula Huber, die ja – damals noch beim Verlag für Geschichte und Politik – auch schon bei früheren Büchern beteiligt war, ferner Frau Julia Beenken, die die Produktion leitete und der Lektorin Ute Wielandt. Bei der Erstellung der Register und bei der Endkorrektur war die Mitarbeit meiner Frau, Irena Bruckmüller-Vilfan, besonders hilfreich. Ihr verdankt das Buch auch das Foto vom Burgtor am Michaelerplatz. Wenn nach allen Lektoraten und Korrekturen Fehler zu finden sind, ist der Autor allein dafür verantwortlich. Wien, im Mai 2019
Abb. 1: Venus von Willendorf. Statuette aus Sandstein. Naturhistorisches Museum Wien.
1 Vom Beginn menschlicher Besiedlung bis zur Völkerwanderung
1.1 Älteste Besiedlungsspuren – Die »Venus« von Willendorf Die ältesten menschlichen Spuren in Österreich wurden in der Repolusthöhle bei Peggau in der Steiermark gefunden. Sie stammen von Altmenschen (»Neandertalern«), die hier vor etwa 250.000 Jahren gewohnt und gejagt haben. Vor etwa 90.000 Jahren suchten altsteinzeitliche Jäger wieder die Repolusthöhle und andere Höhlen auf der Jagd nach dem Höhlenbären auf. Erst einige zehntausend Jahre später verdichtet sich das Fundmaterial etwas, typischerweise in den siedlungsgünstigeren Löß-Landschaften Niederösterreichs (Weinviertel, Wachau). Die bedeutendsten Zeugnisse aus diesen Zeiten sind die berühmte »Venus« von Willendorf (in der Wachau, um 25.000 v. Chr. – es wird auch eine frühere Datierung diskutiert) und die eigentlich noch bedeutsamere, wenngleich zerbrochene »Venus« vom Galgenberg bei Stratzing (im Kremstal, NÖ, um 33.000 v. Chr.). Die Letztere ist vielleicht die älteste Steinplastik der Welt – sie teilt sich diesen Ruhm mit einer etwa gleich alten Darstellung aus der Höhe Hohlefels in Baden-Württemberg. Etwa dem Zeithorizont der Venus von Willendorf entstammen analoge Frauenfiguren aus Südmähren (Dolní Věstonice) und der Slowakei (Moravany nad Váhom). Über mehrere Jahrtausende hinweg entstanden zwischen Atlantik und Ural mehrere hundert solcher Frauendarstellungen. Die Bedeutung dieser ungewöhnlichen Kulturdenkmäler bleibt vorläufig ungewiss. Mit dem Klimawechsel nach dem Ende der Würm-Eiszeit (um 8000 v. Chr.) verschwanden die jagdbaren Groß-Säuger, die Vegetation änderte sich. Es wurde aber nicht kontinuierlich wärmer, vielmehr wechselten mehrere Wärme- und Kälteperioden einander ab. Entsprechend den veränderten Jagd-Gegebenheiten veränderten sich nun auch die Geräte. Sie wurden kleiner. Die Bearbeitung dieser verschiedenen SteinWerkzeuge erreichte bereits einen sehr hohen Grad der Vervollkommnung (Mesolithikum, 8000 bis 5500/5000 v. Chr.).
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Vom Beginn menschlicher Besiedlung bis zur Völkerwanderung
1.2 Von der neolithischen Revolution bis zum Regnum Noricum Ab ca. 9000/8000 v. Chr. vollzogen sich im Orient revolutionäre Veränderungen. In der »neolithischen Revolution« begann die Zähmung von Wildtieren, zuerst von Schafen und Ziegen, später von Schweinen und Rindern. Und es begann der systematische, wenngleich seinem Umfang nach noch bescheidene Getreidebau. Fast noch bedeutsamer war die Entdeckung, dass man Gefäße nicht nur mühsam aus Knochen, Steinen und Holz herausarbeiten, sondern auch aus bestimmten Ton-Erden formen und durch Brennen zu haltbarer Keramik gestalten konnte. Das Sachinventar wurde dadurch enorm bereichert. Schafwolle wurde versponnen und zu Stoffen gewebt. Spinnwirtel, Töpferscheibe und Webrahmen gehörten ebenso wie das Rad zu jenen anonymen, aber revolutionären Innovationen des Neolithikums, welche die Entwicklung der Menschheit entscheidend vorantrieben. Durch erhöhte Sesshaftigkeit entstand eine neue, bisher unbekannte Wohnkultur. Die Jungsteinzeitler bauten schon richtige Häuser. So wurde in Salzburg-Maxglan ein Haus der jüngeren Steinzeit mit 12 Meter Länge und 3,3 Meter Breite ausgegraben. In Brunn am Gebirge fand man 34 Langhäuser von 20 mal sieben bis acht Meter im Grundriss, die auf etwa 5600 bis 5100 v. Chr. datiert werden. Diese Siedlungs- und Wirtschaftsweise kann man schon als »bäuerlich« bezeichnen. Die Errichtung dieser Anlagen setzt bereits eine gewisse Koordination innerhalb von größeren familialen oder dörflichen Verbänden voraus. Die neuen Techniken (Ackerbau, Viehzucht, Töpferei, Spinnen und Weben) bewirkten Arbeitsteilung. Arbeitsteilung wiederum beschleunigt soziale Differenzierung sowie überregionalen Austausch. Sesshaftigkeit und Bevölkerungszunahme waren die gesellschaftlichen Folgen dieser Veränderungen. Im 5. Jahrtausend entstanden in Niederösterreich weitläufige, zuweilen sogar von zwei Gräben umschlossene Anlagen (Kreisgrabenanlagen) mit unklarer Funktion. Um 4000 v. Chr. wurde auch schon Bergbau betrieben (etwa auf der Antonshöhe in Mauer Wien XXIII), um den begehrten Hornstein als Rohmaterial für Feuersteingeräte zu gewinnen. Im 4. Jahrtausend wurde das Kupfer bekannt. Jetzt wurden jene Feuchtbodensiedlungen an diversen Seen des Alpengebietes und Alpenrandes errichtet, die man »Pfahlbaudörfer« genannt hat. Es wurden hier Gußlöffel und Gußkuchen als Überreste des Kupfergusses gefunden. Die Errichtung dieser Siedlungen kann daher auf die Suche nach Kupfer in den angrenzenden alpinen Regionen zurückgehen (Mondseekultur um 3600 bis 3500 v. Chr., Keutschacher See in Kärnten : 3850/3800 v. Chr.). Solche Siedlungen begegnen bis in die Eisenzeit hinein. In der Kupferzeit (»jüngeres Neolithikum«) lebte auch der »Ötzi« (ca. 3000 v. Chr.), dessen im Eis erstaunlich gut konservierten Überreste im September 1991 auf dem Hauslabjoch in 3200 m Seehöhe gefunden wurden. Werkzeug (Kupferbeil), Waffen (Dolche, Pfeile und Bogen) und
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Bekleidung (unter anderem eine Jacke aus Schaffell, hochgebirgstaugliches Schuhwerk) geben so detaillierte Auskunft über die Lebensverhältnisse dieses Menschen wie bisher noch kein anderer Fund. Ab der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends wurde die älteste neolithische Kultur im mitteleuropäischen Raum, die nach ihrem Verbreitungsgebiet so genannte »donauländische« Kultur, durch eine neue Richtung abgelöst. Bei diesen Menschen soll sich der Wandel zum (sprachlichen) »Indogermanischen« vollzogen haben. Der Beginn einer systematischen Metallverarbeitung am Ende des 3. und zu Beginn des 2. vorchristlichen Jahrtausends (»Bronzezeit«, von ca. 2300/2200 bis 800 v. Chr.) brachte weitreichende Veränderungen. Auf dem Mitterberg (bei Mühlbach am Hochkönig in Salzburg) und auf der Kelchalpe bei Kitzbühel begannen beachtliche Bergbautätigkeiten. Am Mitterberg hat man von etwa 1800 bis um 700/600 v. Chr. Kupfer abgebaut. In dieser Zeit wurden etwa 20.000 Tonnen Kupfer erzeugt. Das erforderte die koordinierte Arbeitsleistung von bis zu 1000 Menschen zur gleichen Zeit ! Hier waren bereits spezialisierte Bergleute am Werk, deren Ernährung nur durch Zufuhren aus den Tälern gesichert werden konnte. Zum Teil könnten diese Leute während der günstigeren Jahreszeit auch eine Art Almwirtschaft zur Eigenversorgung betrieben haben, wie dies für die Kelchalpe vermutet wird. Der Bergbau erwies sich schon in der Vorzeit als wichtiges Medium für die Entstehung neuer Formen sozialen Zusammenlebens. In der späten Bronzezeit (1300/1200 bis 750/700 v. Chr.) breitete sich die vorherrschende Bestattungssitte der »Urnenfelder« relativ rasch über größere Gebiete Europas aus. Manche Forscher bringen diese »Urnenfelderwanderung« mit dem Einfall der »Seevölker« im östlichen Mittelmeerraum und mit der Dorerwanderung in Griechenland (um 1100 v. Chr.) in Zusammenhang. Große Befestigungsanlagen, Wallburgen, werden als (Stammes-) Zentren interpretiert, die durch mächtige Erdwälle gesichert waren und im Innern Wohnbauten, Speicher und Werkstätten enthielten, zum Teil aber auch unverbaut blieben (Stillfried an der March, Oberleiserberg, beide östliches Niederösterreich). Neben Streitwagenkriegern gab es auch Reiterkrieger. Beiden kam ein erhöhter sozialer Status zu. Die Verteilung der durch den Bergbau angesammelten Reichtümer erfolgte offenkundig recht ungleich. Noch deutlicher als beim Kupferbergbau lässt sich das beim Salzbergbau beobachten, dessen Blüteperiode fast zeitgleich mit dem Rückgang des Kupferbergbaues beginnt – zuerst in Hallstatt (danach benannt die »Hallstattkultur«, ca. 800 bis ca. 500 v. Chr.), dann auf dem Dürrnberg bei Hallein. Neben Bronze wurde übrigens auch schon Eisen (ab etwa 900 v. Chr.) verwendet. Man bezeichnet daher die Hallstattkultur auch als »ältere Eisenzeit«, die ab etwa 500 v. Chr. folgende La-TèneZeit hingegen als »jüngere Eisenzeit«. – Die ausgedehnten Gräberfelder von Hallstatt und vom Dürrnberg haben verschiedene Interpretationen gefunden. Reich ausgestat-
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tete Gräber mögen vielleicht »Fürstengräber« sein, diese Prunkgräber könnten aber auch reich gewordene Händler beherbergen, die ihren neu erworbenen gesellschaftlichen Status durch besonders reiche Grabbeigaben unterstreichen wollten. Waffenbeigaben kennzeichnen zweifellos Krieger. Besonders vornehme Tote wurden mit Wagen bestattet. Am Dürrnberg konnte Altersverteilung und Lebenserwartung der Menschen untersucht werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Neugeborene dürfte bei 26 Jahren gelegen sein. Hatte ein Mensch bis zum 20. Lebensjahr überlebt, dann konnte er immerhin ein Durchschnittsalter von 36,5 Jahren erreichen. Bei Frauen lag die höchste Sterblichkeit bei 20 bis 25 Jahren – offenbar eine Folge der großen Gefährdung im Zusammenhang mit Geburten. Ein besonders eindrucksvolles kulturelles Zeugnis jener Zeit bietet die Situlenkunst. Situlen sind Bronzeeimer, die sich als Grabbeigaben in einigen Gräbern in Norditalien, Tirol, Oberösterreich, Niederösterreich und Slowenien erhalten haben. Szenen von Gelagen – eventuell waren dies Kultgelage – sind etwa auf der Situla von Kuffern abgebildet, bei denen Männer mit ihren Rang unterstreichenden breitkrempigen Hüten dargestellt werden. Es finden sich aber auch Kriegerdarstellungen, berittene Krieger und solche zu Fuß (Vače, Slowenien). Auf einer Situla sind Streitwagen abgebildet (ebenfalls Vače), die man seit etwa 1500 v. Chr. kannte. Im Begräbnisritual der vornehmen Herren wurde der Verstorbene auf einen vierrädrigen Wagen aufgebahrt und mit dem Wagen sowie mit reichen Beigaben von Waffen, Würdezeichen, Speisen und Trinkgarnituren in einem großen Hügel bestattet. Bedeutende Zeugnisse der (östlichen) Hallstattkultur bargen Siedlung und Nekropole auf dem Burgstallkogel zwischen Gleinstätten und Kleinklein (Gem. Großklein) zwischen Sulm- und Saggautal aus der Zeit von 800 bis 600 v. Chr. Die Nekropole ist die größte der kontinentalen Eisenzeit mit ursprünglich mindestens 2000 Grabhügeln (Tumuli). Neben den gewöhnlichen Begräbnissen fallen durch Größe und Funde (etwa eine bronzene Gesichtsmaske) vier so genannte »Fürstengräber« auf. In das 7. Jahrhundet v. Chr. wird auch der berühmte »Kultwagen« von Strettweg bei Judenburg datiert – ein mehr als 40 cm hoher Wagen mit vier Speichenrädern, auf dessen Plattform stehend eine größere weibliche Figur, umgeben von kleineren Menschen und Tieren, eine Schale hält. – Die keltischen Wanderungsbewegungen, als deren Folge die »Hallstattkultur« durch die »La-Tène-Kultur« (ca. 500 v. Chr bis um Christi Geburt) ersetzt wurde, bedeuteten sicher keinen völligen Wechsel der Bevölkerung. In abgelegenen Alpengebieten Tirols hat sich überhaupt eine ältere Kultur (Melauner Kultur) relativ unberührt von den Ereignissen in den günstigeren Siedlungslandschaften erhalten. Wenn im Ostalpenraum jetzt »Kelten« lebten, dann bedeutet dies häufig wohl nur einen Wechsel der tonangebenden Führungsgruppen. Vielleicht waren für die Formierung gallischer Stämme
Von der neolithischen Revolution bis zum Regnum Noricum
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auch einheimische vorkeltische Traditionen wichtig – etwa die Verehrung von Gottheiten, die möglicherweise in den Namen »Rätien« und »Noricum« erhalten blieben. Diese späteisenzeitliche Expansionsbewegung war auch eine Zeit wachsender Bevöl kerung. Die Gehöfte standen schon häufig in dorfähnlichen Verbänden. Im Zuge der keltischen Expansion wird erstmals auch so etwas wie eine Stammesgliederung sichtbar. Um 186–183 v. Chr. traten die Römer Versuchen alpenkeltischer Gruppen entgegen, sich in der Nähe des späteren Aquileja niederzulassen. Dabei wurden – von Livius – verschiedene Namen von Stämmen genannt, die wohl in Slowenien zu lokalisieren sind. Daneben kommt ein nicht namentlich bezeichneter größerer Stamm (gens) vor, bestehend aus populi (vielleicht Gaue ?), der mit großer Wahrscheinlichkeit in Kärnten lebte. Die Verfassung dieser gentes war vermutlich aristokratisch. Von inneren Spannungen, eventuell Folge eines raschen Bevölkerungswachstums, wird berichtet. Wenig später (171/170 v. Chr.) erscheint in diesem Raum ein Königtum – das des Cincibilus –, welches sich wohl auf einen bestimmten Stamm bezog, unter dessen Führung aber auch noch andere Stämme (socii) standen. Man vermutet in diesen Vorgängen jene Prozesse, aus denen das später so genannte »norische Königreich« (regnum Noricum) hervorging. Soziale Spannungen führten zu Auswanderungsversuchen (186–183 und 179) nach Oberitalien. Der norische Stammesname galt offenbar für den führenden Stamm in einer breiteren Konstellation. Er hängt mit einer Göttin »Noreia« zusammen, die möglicherweise als Ahnmutter der Noriker galt. In das regnum waren auch zahlreiche andere Stämme eingegliedert, deren Namen uns aber erst zur Zeit der anbrechenden Römerherrschaft überliefert sind, unter anderem die Ambidravi an der Drau, die Ambilini im Gailtal, die Latobici in der Steiermark, die Taurisker in Slowenien, die Laianci in Osttirol, die Saevates im Pustertal. Dabei ist nicht so sehr an einen Bund gleichberechtigter Stämme zu denken als vielmehr an eine Form, in der die diversen Stammes-Chefs in möglicherweise auch gestufter Abhängigkeit zum norischen König standen. Die Stammesbildung der norischen Kelten wurde sicher durch die Lage am Rande des expansiven Imperium Romanum gefördert. Der Druck, der von großen Reichen ausgeht, begünstigt Zusammenschlüsse. Andererseits hatte das Römerreich selbst Interesse an einer Herrschaftsordnung, die den Alpenraum befriedete und vor allem die Bezugsquellen des in Italien begehrten »norischen Eisens«, das aus dem heutigen Kärnten stammte, sicherte. Die engen Beziehungen zwischen Aquileja (gegründet 181 v. Chr.) und dem Zentrum des norischen Reiches auf dem Magdalensberg reflektieren dieses Interesse. Die Bauten auf dem Magdalensberg zeigen starke italische Einflüsse. Oppida wie jenes auf dem Magdalensberg entstanden im 2. und 1. vorchristlichen Jahrhundert in größerer Zahl. Vermutlich waren sie politische, religiöse und wirtschaftliche Zentren gentiler Einheiten (civitates) – »Stämme«. Die Kultur dieser oppida war
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stark von der städtischen Kultur des Mittelmeerraumes beeinflusst. Diese frühstädtische Gestaltung der norischen Gemeinwesen begünstigte später deren Eingliederung in das Imperium Romanum. Besonders der Raum des späteren Binnennoricum war darauf schon gut vorbereitet. 1.3 Die römische Expansion – Rätien, Noricum, Pannonien Durch die Eroberungskriege von Drusus und Tiberius 15 v. Chr. wurde die Eingliederung der Ostalpengebiete und des Alpenvorlandes bis zur Donau in das Imperium Romanum vorbereitet. Noricum, schon bisher in engster Verbindung mit Rom, wurde friedlich integriert. Anders die Pannonier, die wenig später unterworfen wurden. Ein heftiger Aufstand dieser Völkerschaften (6–9 n. Chr.) beschäftigte Tiberius durch einige Jahre und verhinderte nebenbei die Eroberung Germaniens. Unter Claudius wurden Rätien, Noricum und wohl auch Pannonien als Provinzen eingerichtet, die Stadt auf dem Magdalensberg (Virunum) wurde Sitz der römischen Verwaltung, aber bald als Höhensiedlung aufgegeben und in der Ebene nach klassischen römischen Mustern neu errichtet. Pannonien wurde unter Traian 106 n. Chr. geteilt, Hauptstadt der Pannonia Superior wurde Carnuntum, jene der Pannonia Inferior Aquincum (Buda). Unter Diocletian erfolgte eine weitere Verkleinerung der Provinzen. Noricum zerfiel jetzt in Noricum ripense (zwischen Donau und Alpenhauptkamm) und Noricum mediterraneum (zwischen Alpenhauptkamm und Gebirgszügen der Südalpen) ; Pannonien, traditionell in Ober- und Unterpannonien unterteilt, wurde sogar viergeteilt : In die Pannonia prima (von der Donau und dem Wienerwald bis etwa zum Plattensee und zur Drau), die Pannonia Savia (von der Drau bis südlich der Save), die Pannonia secunda (östlich anschließend – Ostslawonien bis zur Donau) und Pannonia Valeria (vom Plattensee bis zur Donau und zur Drau). Gruppen von Provinzen fasste man zu Diözesen zusammen : Die beiden Noricum, die pannonischen Provinzen und die Provinz Dalmatia bildeten die pannonische Diözese. Raetien hingegen gehörte zu Italien. Die Mittelpunktsiedlungen der (keltischen) civitates wurden von den Römern früher oder später in die Ebene verlagert. Solche Siedlungsverlegungen begleiteten offenbar die Gründung von Virunum (auf dem Zollfeld), von Carnuntum im östlichsten Niederösterreich, aber auch von Aguntum (Osttirol), Teurnia (auf dem Lurnfeld in Kärnten) und Iuvavum (Salzburg). Diese Mittelpunktsorte erhielten denn auch als erste die Selbstverwaltungsrechte römischer municipia. Um 124 n. Chr. weilte Kaiser Hadrian in Pannonien und verlieh Carnuntum das Stadtrecht. Die Siedlung hieß jetzt Municipium Aelium Carnuntum. Große kommunale Vorhaben wurden begonnen, Carnuntum wurde langsam zur Großstadt. Auch Ovilava (Wels) und Cetium (St. Pölten) wurden zu Munizipien erhoben. Später konnte ein solcher munizipaler Rang auch den im
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Zusammenhang mit Legionslagern entstandenen Zivilsiedlungen zuerkannt werden, so Lauriacum (Lorch bei Enns) und Vindobona (Wien). Erst im 4. Jahrhundert erfolgte der Aufstieg von Aelium Cetium (St. Pölten), das offenbar zur Zeit Konstantins des Großen ausgebaut wurde und vermutlich als Verteilerstation für eine ganze Reihe von Limeskastellen (Favianis/Mautern, Augustianis/Traismauer und Asturis/Zwentendorf ) diente. Trotz dieser Städte im Norden war Noricum mediterraneum (Binnennoricum) südlich des Alpenhauptkammes wesentlich städtereicher. Zuletzt bestanden in den drei Provinzen folgende städtische Siedlungen : In Ufernoricum (Noricum ripense) Lauriacum, Ovilava (Wels), Cetium (St. Pölten) und Iuvavum (Salzburg) ; in Binnennoricum Virunum (auf dem Zollfeld), Aguntum (bei Lienz), Teurnia (St. Peter in Holz), Flavia Solva (bei Leibnitz) sowie Celeia (Cilli, Celje), in der Pannonia prima neben Vindobona und Carnuntum die in Ungarn liegenden Savaria (Steinamanger, Szombathély), Scarabantia (Ödenburg, Sopron), Brigetio (Alt-Szöny), Arrabona (Raab, Győr), Mogentiana (Nähe Plattensee), Mursella und das heute slowenische Poetovio (Pettau, Ptuj). Poetovio wurde später zu Noricum gezählt. In der Raetia prima gab es neben Brigantium (Bregenz) nur zwei Städte : Curia (Chur) in der Schweiz und Campodunum (Kempten) im Allgäu ; auch die Raetia secunda hatte nur drei municipia, nämlich Augusta Vindelicorum (Augsburg), welches Stadtgebiet auch den größten Teil Nordtirols mit umfasste, Castra Regina (Regensburg) und Quintana (Künzing, zwischen Regensburg und Passau). Die römische Welt war eine Welt der Städte. Rom, die urbs schlechthin, hatte ihr eigenes Stadtgebiet weit ausgedehnt, darüber hinaus bestand ein Netz von Städten, die irgendwie zu Rom gehörten. Freilich war dieses Netz von Städten nicht lückenlos. Es gab Gebiete, die nicht zu einem Stadtgebiet gehörten. Dort lebten die Nicht-Römer, peregrini, in civitates oder pagi (Gaue), von pagenses besiedelt – ein abwertender Begriff, der später nicht zufällig »Heiden« bedeutete. Eine solche civitas bildeten jene Boier, deren Mittelpunktsiedlung wahrscheinlich die Vorgängersiedlung von Carnuntum war (civitas Boiorum, zur Zeit nimmt man den Burgberg von Bratislava als diesen Ort an). Die neuen municipia zogen verschiedene Leute an, Römer und Nichtrömer. Die Selbstverwaltung der Munizipien und der etwas höherrangigen coloniae war der römischen nachgebildet. Zwei- bzw. Viermännerkollegien standen an der Spitze (duoviri iure dicundo, duoviri aedilicia potestate). Sie gehörten der politisch allein voll berechtigten Gruppierung an, dem ordo decurionum. Position und Funktion der städtischen Dekurionen war durch ihr Vermögen, in erster Linie durch ihren Grundbesitz bestimmt. Durch die Bekleidung öffentlicher Ämter wurden Ehre und Ansehen gesteigert. Allerdings mussten die Inhaber der städtischen Spitzenpositionen auch die Kosten für die öffentlichen Gebäude und andere Auslagen tragen (System der Leiturgie). So hat zum Beispiel ein gewisser C. Domitius Zmaragdus in Carnuntum den Bau eines Amphitheaters aus eigener Tasche finanziert. Dieses System funktionierte so lange, als das Reich
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in Blüte stand und die Übernahme öffentlicher Ämter nicht bloß eine Ehre bedeutete, sondern auch weitere Aufstiegsmöglichkeiten eröffnete. Es drohte aber zusammenzubrechen, als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Reiches nach Seuchen und Barbareneinfällen im 2. und 3. Jahrhundert immer mehr zurückging. Daher wurde in der letzten Phase der Kaiserzeit die Mitgliedschaft im ordo decurionum erblich, um auf diese Weise die leiturgischen Leistungen für die Allgemeinheit sicherzustellen. Den zweiten Rang hinter dem Ordo der Dekurionen nahmen in der Hierarchie der Kaiserzeit jene reichen Freigelassenen ein (liberti), die zwar nicht Dekurionen, wohl aber Priester des kaiserlichen (Staats-) Kultes werden und daher verschiedentlich einen eigenen ordo Augustalium bilden konnten. Der Freigelassene gehörte auch nach der Freilassung zur Klientel seines Herrn und war diesem bis zu dessen Tod verpflichtet. Durch die – wieder – mit erheblichen materiellen Opfern verbundene Übernahme jener priesterlichen Funktion konnte der libertus deutlich an Prestige gewinnen. Die nach der Freilassung geborenen Kinder des Freigelassenen galten als Vollbürger. Unterhalb dieser beiden Schichten rangierten die arbeitenden Menschen, Bürger und Nichtbürger, Freie und Sklaven. Der Lebensstandard dieser plebs urbana war als Folge von Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung und zur Erhöhung der Bequemlichkeit (Errichtung von Bädern) wesentlich höher als jener der ländlichen Unterschichten, jener Leute, die von Ackerbau und Viehzucht lebten. Soweit die städtische plebs bestimmten Berufen nachging, war sie in besonderen collegia zusammengefasst. Solche sind auch in Munizipien auf österreichischem Boden nachgewiesen (Carnuntum, Flavia Solva). Junge Leute bildeten die sogenannten collegia iuvenum, die neben religiösen auch Aufgaben der Wehrertüchtigung wahrzunehmen hatten. Rechtlich am schlechtesten standen die Sklaven. Freilich verbesserte sich der Status in der Spätantike, wohl auch deshalb, weil der Nachschub an Sklaven aus Eroberungskriegen zurückging und die Reproduktion im Reich selbst nicht ausreichte. Hadrian verbot 121 n. Chr. die Tötung der eigenen Sklaven. Sklaven und Freigelassene waren auch im kommerziellen Bereich tätig, häufig auf Rechnung ihrer Herren. So haben zahlreiche Sklaven und Freigelassene der Barbii aus Aquileja in den Städten Noricums und Pannoniens als geschäftliche Agenten ihrer Herren gewirkt – nebenbei ein schönes Beispiel für die beherrschende Rolle, die Aquileja in den ökonomischen Beziehungen zwischen Italien und den Donau- und Alpenprovinzen spielte. Ein berührendes Exempel der menschlichen Beziehung zwischen Sklaven und Herrn bietet jener Grabstein aus Carnuntum, den ein wohlhabender Herr seinem 26-jährigen Sklaven Florus setzen ließ. Mit der Constitutio Antoniniana von 212 n. Chr. wurde allen freien Bewohnern des Reiches das Bürgerrecht verliehen. Durch diesen Akt wurde die Entwicklung einer gleichberechtigten (oder besser : gleich rechtlosen) breiten Schicht von humiliores vorangetrieben, denen die wenigen bevorrechteten honestiores umso deutlicher gegenübertraten.
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Über die Kultur der römischen Städte informieren zahlreiche Bodenfunde. Große Tempelanlagen dienten dem Staatskult der römischen Götterwelt und damit auch der vergöttlichten Kaiser. Daneben fanden auch andere Kulte Verbreitung, so jener der ägyptischen Göttin Isis (Carnuntum), vor allem aber die persische Mysterienreligion des Mithras (Mithräen in Carnuntum, Poetovio und anderen Orten). Die Alltagsreligiösität fand in zahlreichen Darstellungen der Laren, der Hausgötter, ihren Ausdruck. Daneben und davon nicht zu trennen wurden magische Praktiken geübt, denen wiederum zahlreiche verschiedene Gegenstände wie phallische Darstellungen usw. dienten. Der Körperpflege, dem Sport, dem Zeitvertreib ebenso wie dem Austausch von Informationen dienten die Thermen, von denen eine in Carnuntum 2010 rekonstruiert wurde. Die Anlage stand mit einem Abwasserkanal, einer cloaca, in Verbindung, die zur Donau führt. Die wichtigen Straßen der Städte waren mit großen Steinen gepflastert. Das gilt auch für die bedeutenden Überlandstraßen. Neben der Straße über den Reschenpass von Italien nach Augusta Vindelicum (Augsburg) war die gut ausgebaute Bernsteinstraße von Aquileja über Emona (Ljubljana), Celeia, Poetovio, Savaria (Szombathély), Scarabantia (Sopron) nach Carnuntum bzw. Vindobona die wichtigste Verbindung. Von hier führte sie weiter entlang der March nach Mähren und Schlesien, und von dort an die Ostsee, woher das begehrte Mineral ja stammte. Die Straßen dienten nicht nur dem Militär und der staatlichen Post, sondern auch dem Handel. Das wichtigste Exportprodukt Noricums war das norische Eisen. Aus dem Mittelmeerraum wurde das unentbehrliche Olivenöl eingeführt, sowie terra sigillata, keramische Massenware. Aber auch bessere Stoffe und Gewürze kamen von auswärts, aus den östlichen Provinzen des Reiches. Die Donau war als Verkehrsweg nur bedingt brauchbar, da die reichen Herkunftsgebiete begehrter Waren im Osten lagen – der Zug auf der Donau stromaufwärts war aber nur bei extrem teuren Gütern rentabel. Vielleicht kamen Güter aus Gallien zu Schiff donauabwärts. Den Weinbau soll nach einer bekannten Überlieferung der Kaiser Probus (276–282) in das Donauland gebracht haben – doch war er schon vor ihm hier heimisch. Die Provinzen lagen an der Grenze, am limes. In unseren Breiten bildete die Donau diese Grenze. Nur vorübergehend beherrschten die Römer jenseits der Donau Dacien (Teile des heutigen Rumänien). Immer wieder war das Grenzland Schauplatz von Kämpfen. Das begann schon mit dem späteren Kaiser Tiberius, der 6 n. Chr. bei Carnuntum seine operative Ausgangsbasis für den geplanten Krieg gegen den Markomannenkönig Marbod errichtete. Der Ausbruch des pannonischen Aufstandes verhinderte den Angriff auf das Marbod-Reich und verwickelte Tiberius in einen langwierigen Guerilla-Krieg zwischen Donau und Balkan. Nach der Beruhigung der Lage wurde in Carnuntum ein stabiles Legionslager errichtet (40/45 n. Chr.). Durch lange Zeit herrschte dann relative Ruhe, wobei die umsichtige römische Diplomatie
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die unruhigen germanischen Völker stets achtsam im Auge behielt. Der große Einfall der Markomannen änderte die Situation grundlegend. Kaiser Mark Aurel führte von 171–173 persönlich das Kommando an der Donau, Ausgangspunkt seiner Operationen gegen Markomannen, Quaden und Sarmaten war Carnuntum (Markomannenkriege, 166–180 n. Chr.). Hier schrieb er das zweite Buch seiner berühmten philosophischen Betrachtungen unter dem Titel »eis heauton« (ἐις ἑαυτόν – an sich selbst). Auf den 11. Juni 172 wird das auf der Mark-Aurel-Säule in Rom verewigte Regenwunder im Quadenland datiert, das die römischen Truppen vor dem Verdursten in den barbarischen Gefilden – vermutlich – des nordöstlichen Niederösterreich rettete. Aber auch die Siege Mark Aurels brachten nur eine vorübergehende Beruhigung. Neue Befestigungen wurden angelegt, ältere verstärkt. Eine Kette von Legionslagern, Munizipiaen und Kastellen begleitete die Donau bis zur Mündung. Sie wurden im 2. und 3. Jahrhundert errichtet und bis ins 4., ja vereinzelt bis ins 5. Jahrhundert immer wieder erneuert. Auch nördlich der Donau existierten für längere oder kürzere Zeit befestigte Posten oder militärische Lager, so in Stillfried oder am Oberleiserberg in Niederösterreich. Dennoch durchbrachen die »Barbaren« immer wieder auch diese stark gesicherte Grenze. So nach den Markomannen die Alamannen und mit ihnen verbundene Gruppen im 3. Jahrhundert. Sie verheerten Rätien, aber auch den Westen Noricums, erstmals 213, dann wieder 233, 235, 254 und 260, als sie sogar bis Mailand vordrangen. Zur selben Zeit rumorten die Goten an der unteren Donau, auch Markomannen und Quaden im Vorfeld Pannoniens und Noricums wurden wieder lästig. Die »Soldatenkaiser« des 3. Jahrhunderts, meist tüchtige Feldherren, reagierten mit einer extremen Bevorzugung des Militärs, dessen Sold mehrfach erhöht wurde – mit der Folge einer rasch wachsenden Bedrückung der Zivilbevölkerung. In Carnuntum wurde 193 n. Chr. Septimius Severus (193–211) zum Kaiser ausgerufen und brach von hier aus zum erfolgreichen Kampf um Rom auf. Später erhielt die Stadt den Status einer Colonia (Colonia Septimia Aurelia Antoniniana Karnuntum). Im Jahre 308 traf sich hier Diocletian mit den beiden Kaisern Maximian und Galerius, um über die Zukunft des von Diocletian erfundenen Modells der Tetrarchie (zwei Kaiser plus zwei unterstützende Caesares) zu beraten. Die Maßnahmen Diocletians und Konstantins versuchten die Effizienz von Zivil- und Militärverwaltung zu steigern, waren aber teuer und bedrückten insbesondere die besitzenden Schichten der Städte. Constantius II. ließ um 360 das einzige bauliche Großdenkmal errichten, das im Donaugebiet oberirdisch erhalten blieb : Das so genannte »Heidentor« bei Petronell, von dem nur sicher ist, dass es niemals ein »Tor« war, und das derzeit als Monument der Wiederherstellung der Grenzsicherheit interpretiert wird. Aber Pestzüge und Erdbeben schwächten die Verteidigungsbereitschaft weiter – um 355 wurde Carnuntum durch ein Erdbeben schwer beschädigt. Als wahrscheinlich letzter Kaiser hielt sich
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Karte 1: Österreich und seine Nachbargebiete im 4. Jahrhundert n. Chr.
Valentinian I. an der Donau auf und bekämpfte von dem noch in Trümmern liegenden Carnuntum aus die Quaden (364–375 n. Chr.). Noch einmal wird die Erneuerung der Befestigungen am Donaulimes bezeugt. 1.4 Völkerwanderung und Kontinuitätsfage Und nun kam die Völkerwanderung. Ob da tatsächlich »Völker« gewandert sind, oder Armeen von Jungmannschaften, die von der Aussicht auf Beute und auf ein schöneres Leben im sonnigen Süden getrieben wurden, können wir hier offen lassen. Jedenfalls wurde die Bewegung der sowieso stets unruhigen Barbaren jenseits der Grenzen immer weniger kontrollierbar. Schon bisher hatte man germanische, sarmatische und andere Krieger als Söldner verwendet oder als foederati, als Bundesgenossen in das römische System eingegliedert. Infolge des Bevölkerungsrückganges im Reich wurden sie immer öfter auch angesiedelt. Mit dem Auftreten der Hunnen in Osteuropa (375) erhielten diese Probleme eine neue Dimension. Vor dem Einbruch dieser asiatischen Reiter, welche zu-
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nächst die Ostrogoten unterworfen hatten, wichen die Visigoten (»Westgoten«) über die untere Donau ins Reich aus. 378 besiegten sie das kaiserliche Heer bei Adrianopel. 410 eroberten sie unter Alarichs Führung sogar Rom ! Die traditionelle Grenzsicherung wurde brüchig. Um 430 überließ man den Hunnen, die sich in der ungarischen Tiefebene festgesetzt hatten, Pannonien im Rahmen eines foedus (Bündnisvertrag). Neue Stammesnamen begegnen im Grenzland oder nördlich davon : Rugier, Eruler, Langobarden. Alte wie die der Markomannen oder Quaden verschwinden. Im 5. Jahrhundert fielen Thüringer, Alemannen, Goten ein. Nach dem Ende des Hunnenreiches (454 n. Chr.) verselbstständigten sich die bisher den Hunnen verpflichteten Alanen, Gepiden und Ostgoten, die zunächst Pannonien und den Balkan unsicher machten, bevor sie, offiziell im Namen (Ost-) Roms, als »Goten« den in Italien seit 476 herrschenden König Odoaker bekämpften und besiegten. Das Gotenreich Theoderichs (493–526) umfasste Binnennoricum mit, Ufernoricum dürfte nach den Rugiern von den Langobarden beherrscht worden sein, die bis um 500 auch nördlich der Donau siedelten. Die Raetia secunda war seit etwa 450 aufgegeben worden, hier begann die Ethnogenese der Bajuwaren. Die Raetia prima gehörte offensichtlich noch zum Reich Theoderichs. Aber eine Art Oberhoheit übte dieser Herrscher wohl auch noch über das Land bis zur Donau aus. Und doch wuchs in dieser trüben Zeit eine neue Kraft von größter historischer Bedeutung – das Christentum. Bekanntlich wurde das Christentum seit 312 toleriert, seit 391 galt es als Staatsreligion. Der außergewöhnliche Aufschwung dieser neuen Erlösungsreligion beruht zunächst auf der Faszination, die ihre Antworten auf die bangen Fragen der bedrückten Menschen ausübten. Seit Konstantin kam aber eine immer engere Verbindung mit dem Reich dazu. Die kirchlichen Verwaltungssprengel wurden an jene des Staates angeglichen. Bischofssitze sollten prinzipiell nur in städtischen Siedlungen situiert werden. Binnennoricum war wesentlich stärker urbanisiert als die übrigen Gebiete. Hier sind daher Bischofssitze sicher in Virunum, Aguntum und Teurnia nachweisbar, ferner in Celeia und Poetovio. Ufernoricum hatte nur einen sicheren Bischofssitz, nämlich Lauriacum (Lorch( ; Ovilava (Wels) und Favianis (Mautern) sowie Asturis (Klosterneuburg) sind unsicher. In der Raetia I war nur Chur und in der Raetia II nur Sabiona (Säben, oberhalb Klausen, Südtirol) mit Sicherheit Bischofssitz, in der Pannonia I Scarabantia (Ödenburg, Sopron). Verlor gerade durch seinen wachsenden Zwangscharakter der Staat immer mehr an Anziehungskraft, so entfalteten kluge und tatkräftige Männer in kirchlichen Ämtern, vom Staate relativ unbehelligt, schöpferische Initiativen. Diese Menschen erlangten in ihren Gemeinwesen eine immer größere Bedeutung, umso mehr, als die staatliche Hierarchie in den Wirren des 4. und 5. Jahrhunderts an Wirkungskraft verlor und sich in den Randprovinzen des Reiches auch zurückbildete. Für den norischen Bereich des 5. Jahrhunderts besitzen wir ein Zeugnis ersten Ranges über das Wirken eines solchen Mannes – Severinus (gestorben 482 in Favianis).
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Selbst aus einer Familie der Oberschicht stammend, vielleicht sogar vorher Inhaber hoher Staatsämter, wurde Severin nach einem Bekehrungserlebnis die Zentralfigur für alle Lebensbereiche im noch römischen Noricum und in seinen rätischen Nachbargebieten. Obgleich das nicht im Zentrum des Interesses des Eugippius, des Biographen Severins, stand, enthält die Lebensbeschreibung Severins zahlreiche Angaben über die Verhältnisse der Zeit. Ein »städtisches« Leben im traditionellen Sinne existiert kaum mehr. Die Bevölkerung hatte sich in Militärlager und sonstige, im 4. und 5. Jahrhundert noch ausgebaute befestigte Stützpunkte (burgi) zurückgezogen. Immerhin existiert eine ausgeprägte kirchliche Organisation – Bischöfe, Priester, Mönche. Besonders das Mönchtum wurde von Severin gefördert und durch Klostergründungen unterstützt. Die Bevölkerung ist durchwegs christlich, das Glaubensleben hing mit dem täglichen Leben eng zusammen – Eugippius berichtet von Fasten und Gebeten zur Abwehr von feindlichen Einfällen, Heuschrecken usw. Heidnische Kulthandlungen wurden nur mehr vereinzelt und nur im Geheimen ausgeübt (belegt für Cucullis/Kuchl). Vor dem Druck der Alemannen und der Thüringer organisierte Severin die Rücknahme der romanischen Bevölkerung donauabwärts : von Künzing über Passau bis Lorch. In diesem Restbestand Ufernoricums lebten die Römer dann unter dem Schutz der Rugier, bis nach dem Sieg Odoakers über diese Germanen (Ufer-)Noricum auch offiziell aufgegeben und die romanische Bevölkerung nach Italien geführt wurde (488). Zur Zeit Severins lebte die Bevölkerung überwiegend bäuerlich. Auch die »Bürger« von Passau oder Lauriacum waren auf die Erträgnisse ihrer Felder angewiesen. Eine Frau aus Iuvavum (Salzburg) nahm nach ihrer auf ein Gebet Severins hin erfolgten Heilung von schwerer Krankheit ihre Arbeit (opus agrale) »mit eigenen Händen« wieder auf – was Eugippius seinen italienischen Lesern mit iuxta morem provinciae (wie es in der – oder in dieser ? – Provinz üblich ist) erläuterte. Denn immer noch galt Handarbeit als opus servile, als sklavische Verrichtung, die man als freier Mensch eigentlich vermied. Neben den Resten einer provinzialrömischen Oberschicht und den kleinbäuerlichen cives der verschiedenen castella begegnen pauperes, arme Leute und besitzlose Flüchtlinge. Zu deren Versorgung diente der Zehent, den die Kirche organisierte. 472 musste man allerdings mit den auf diese Weise gesammelten Kleidern den Abzug der (Ost-) Goten von der damaligen Hauptstadt Binnennoricums, Teurnia (St. Peter in Holz), erkaufen. Und nach dem Tode Severins plünderte der Rugierkönig Ferderuch die aufgestapelten Vorräte im Kloster des Heiligen zu Favianis. Immerhin kam noch Olivenöl über die Alpen. Bis 476 scheint es hin und wieder auch noch Sold gegeben zu haben, da sich einmal Soldaten aus Passau aufmachten, solchen aus Italien zu besorgen (sie sind dabei umgekommen). Die Donau diente noch einem gewissen Handelsverkehr. So kamen Frachtschiffe mit Getreide, die auf dem Inn durch Eis festgehalten worden
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waren, nach dem Tauwetter bis nach Favianis. Jenseits der Donau, im Rugierland, gab es einen Markt (beim heutigen Krems ?), wo sich die Barbaren mit Gütern aus dem Römischen eindeckten. Kaufleute aus Passau baten Severin, der mit den Rugiern ein recht einverständliches Verhältnis herstellen konnte, er möge ihnen bei diesen eine Handelslizenz erwirken. Die weströmische Geschichte des 4. bis 6. Jahrhunderts wird gerne als Verfallsgeschichte geschrieben. Das war sie wohl auch, angesichts der andauernden Einfälle und Durchzüge barbarischer Völker – aber auch die Züge der barbarisierten römischen Heere waren für die Betroffenen nicht weniger katastrophal. Dennoch ist ein differenzierter Blick notwendig. Die eindrucksvollen Kirchenbauten von Virunum, Lauriacum, Teurnia oder Aguntum, die Doppelkirchenanlagen auf dem Kärntner Hemmaberg oder die bemerkenswerten Gutshöfe von Loig bei Salzburg und bei Bruckneudorf (Burgenland), der noch nach 355 n. Chr. prächtig ausgebaut wurde, können ebenso wenig als bloße Verfallsprodukte analysiert werden wie die starken Befestigungen des 4. und noch 5. Jahrhunderts, die sich zum Teil in mittelalterlichen Stadtmauern erhalten haben, wie die »Hufeisentürme« in Mautern, Tulln und Traismauer. Das Reich entwickelte eine erhebliche Widerstandskraft, deren kulturelle Ausdrucksformen bis heute beeindrucken. Im 5. und 6. Jahrhundert zog sich das »römische« (= christliche) Leben freilich immer mehr in meist befestigte Höhensiedlungen zurück : Die Bewohner von Flavia Solva auf den Frauenberg bei Leibnitz, die von Iuenna auf den Hemmaberg, die von Aguntum auf den Lavanter Kirchbichl, wo auch der Bischof von Aguntum residierte. Auf dem Hemmaberg entwickelte sich ein frühchristliches Pilgerheiligtum mit (mindestens) zwei Doppelkirchen. Eine Besonderheit ist die stark befestigte Höhensiedlung auf dem Duel im Kärntner Drautal. Die romanischen Höhenbewohner waren weitgehend autark, nur das Olivenöl kam immer noch aus Italien. Die Gebrauchskeramik wurde ohne Töpferscheibe produziert. Diese Siedlungen blieben bis ins 6. bzw. frühe 7. Jahrhundert in Gebrauch. Die am Hemmaberg wurde im ausgehenden 6. Jahrhundert zerstört. Man wird diese Katastrophe mit der slawischen Landnahme erklären können. Die Kontinuitätsfrage ist daher sehr unterschiedlich zu beantworten. In Pannonien gab es wahrscheinlich schon seit dem frühen 5. Jahrhundert nur mehr Reste römischen Lebens. Die Provinz wurde um 430 faktisch aufgegeben. Hier lebten verschiedene Barbaren – Goten, Alanen, dann Hunnen, dann wieder Goten, im 6. Jahrhundert die Langobarden, ab 568 die Awaren. An die Reste der römischen Städte scheinen sich freilich immer wieder Siedlungen ankristallisiert zu haben, so in Wien. Aus jenem Teil Ufernoricums, der zuletzt unter rugischer Hoheit stand, also zwischen Traun (oder Enns) und Wienerwald, dürfte die romanische Bevölkerung 488 weitgehend abgezogen sein. Hier ist im Vergleich zu den westlichen Gebieten die Kontinuität der Siedlungsnamen sehr gering. Westlich davon existiert nicht bloß eine stärkere Namenskontinuität (Lorch,
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Linz, Wels, Passau, Regensburg), sondern auch eine starke Siedlungskontinuität. Viele Romanen gab es bis ins 9.Jahrhundert im Raum von Salzburg, besonders südlich der Stadt, aber auch in breiter Streuung im bayerischen, salzburgischen und oberösterreichischen Alpenvorland. Weiter westlich lebte eine romanisierte, in ihrem Selbstverständnis aber an vorrömischen Einheiten orientierte Bevölkerung. So sollen die Breonen (im heutigen Tirol) im 5. Jahrhundert vorübergehend sogar einen eigenen »König« gehabt haben. In der Raetia I hat mit dem Zentrum Chur die spätantike Einheit von Kirchensprengel und Verwaltungsgebiet unter bischöflicher Führung eine Fortsetzung bis in die Karolingerzeit gefunden ; das südliche Vorarlberg gehörte dazu. Die Raetia II war aber seit der Mitte des 5. Jahrhunderts faktisch in der Hand der Alemannen. In Binnennoricum lebte die Spätantike, wie schon betont, noch länger fort. In das erste Viertel des 6. Jahrhunderts sind die bemerkenswerten Mosaiken von Teurnia zu datieren, als deren Stifter sich ein Ursus vir spectabillis und seine Frau Ursa verewigt haben. Dieser Ursus kann ein von Theoderich eingesetzter »Grenzgeneral« für Binnennoricum gewesen sein, vielleicht analog zu einem dux vir spectabilis Servatus in Rätien. Ebenfalls unter Theoderich bzw. Kaiser Justinian lebte in Kärnten ein als Heiliger verehrter Diakon Nonnosus, der 532 starb. Seine Grabinschrift wurde mitsamt seinen Gebeinen später in die Kirche von Molzbichl transferiert – offenbar hat hier eine romanische Gemeinde ihr Christentum auch nach der slawischen Landnahme beibehalten. Zur Zeit Tassilos III. wurde gerade hier ein Kloster gegründet. Noch um 590 sind die binnennorischen Bistümer belegt, aber gefährdet : 587 floh Bischof Johannes von Celeia (Celje) nach Italien. Kurz darauf sind jene Bistümer verschwunden. Sie wurden offenkundig ein Opfer der Slaweneinfälle, denn ab 592 sind Kämpfe zwischen Baiern und Slawen bezeugt. Um 610 erlitten die Baiern bei Aguntum eine kräftige Niederlage gegen diese. Die Salzburger Mission des 8. und 9.Jahrhunderts knüpfte im früheren Binnennoricum immer wieder an die alten römischen Zentralorte – zum Teil ehemalige Bischofssitze – an.
Abb. 2: Tassilokelch. Kupfer, vergoldet, um 770. Stift Kremsmünster Kunstsammlungen. Foto: The Best Kunstverlag.
2 Das frühe Mittelalter Baiern und Karantanen/Das karolingische Ostland
Mit der Niederlage der Rugier gegen Odoaker und deren Abwandern aus dem niederösterreichischen Zentralraum setzten sich hier die Langobarden fest. Das mittlere und, nach einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit den Erulern 508, auch das nordöstliche Niederösterreich wurde von ihnen besiedelt, ebenso wie die angrenzenden Gebiete Pannoniens. Dort lag auch das Zentrum ihres Reiches. Sie blieben bis 568, verließen aber die Siedlungsplätze nördlich der Donau schon ab etwa 550. Als sie nach Italien zogen, überließ ihr König Alboin Pannonien ihren Verbündeten gegen die Gepiden, den Awaren. In Pannonien und den angrenzenden Gebieten siedelten sich jetzt Awaren und die mit ihnen gekommenen Slawen an. In Niederösterreich und Pannonien haben die Langobarden, offenbar infolge des Kontaktes mit der provinzialrömischen Kultur, jene unverwechselbaren Eigenheiten entwickelt, die wir noch heute an ihrer bedeutenden kulturellen Hinterlassenschaft in Oberitalien (etwa in Cividale) bewundern können. 2.1 Die Baiern Inzwischen hatte sich aber im Westen ein neuer, für die Zukunft des Ostalpenraumes höchst bedeutsamer Stamm herausgebildet, die Baiern. 551 werden die Bajuwaren von Jordanes in seiner Gotengeschichte, die inhaltlich auf Cassiodor zurückgeht, erstmals genannt. Vor dem Auftreten der Baiern tummelten sich im Gebiet des westlichen Ufernoricum und der Raetia secunda verschiedene germanische Stämme, Stammessplitter, Germanengruppen ohne feste ethnische Bindung (Laeten) sowie Romanen. Die wichtigeren Leute in diesen Gruppen dürften sich um einen traditionstragenden Kern, der wohl aus Böhmen (Boierland – Boiohemum – Bojovarii) kam, geschart haben. Inhaltlich identische Fundbereiche in Südböhmen und Niederbayern verweisen vielleicht auf diese traditionsbildende Gruppe. Sie könnte eine Abspaltung der Langobarden oder der Thüringer gewesen sein. Die fünf Genealogiae, das sind die in der Lex
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Das frühe Mittelalter
Baiuvariorum genannten Adelsgeschlechter, könnten aus den Führungsgruppen älterer Kleinstämme hervorgegangen sein. Die Ethnogenese der Baiern ist am ehesten als Vereinigungs- und Verselbstständigungsprozess der unter der Oberhoheit der Franken zusammengefassten germanischen Gruppen des Raumes zwischen Lech und Traun bzw. Enns zu deuten. Für die Ethnogenese war ein traditionstragendes Geschlecht (stirps regia) wichtig, diese Rolle spielten die Agilolfinger. Ferner benötigt ein erfolgreicher Stamm eine Herkunftssage, eine origo gentis. Von Göttern oder antiken Heroen oder gar von Meerungeheuern (wie die Franken) konnten sich die Baiern, die in einer einigermaßen christianisierten Umwelt entstanden, nicht herleiten. Das dürfte der Grund für die Annahme ihrer Abstammung von den römischen Norikern gewesen sein : Damit stammte man von christlichen und gleichzeitig römischen Vorfahren ab. Das mochte nobel genug erscheinen. Tatsächlich war der Noriker-Name inzwischen nach Westen gewandert und bezeichnete geographisch das Tiroler Wipptal. Das baierische Herrschaftsgebiet dehnte sich im 7. und 8. Jahrhundert nach Osten bis zur Enns aus. Gegen Norden blieb zunächst die Donau die Grenze. Die Romanen der Alpenvorland- und Alpengebiete gehörten zum baierischen Herzogtum. Die mit dem Aufstieg von Salzburg eng verbundene romanische genealogia (Adelsfamilie) »de Albina« (Oberalm) bei Hallein und im Pongau wurde zum Baiernstamm gerechnet. Die landbebauende Bevölkerung der Romani tributales bildeten auch eher eine soziale Schicht als eine ethnische Einheit. In den westlicheren Gebirgsgegenden lebten noch lange Romanen, die ein vom bairischen (noch) abgehobenes oder ein doppeltes ethnisches Bewusstsein hatten. 827/28 tritt ein Quarti bzw. Quartinus als Schenker auf, der sich als nationis Noricorum et Pregnariorum bezeichnete (zum Volk der Noriker und der Breonen gehörig). Die natio Noricorum bezeichnete da schon die Baiern. Gegen die Alpenslawen verlief die Grenze östlich von Innichen, dann über die Hohen und Niederen Tauern zu den nördlichen Kalkalpen. Nach Osten bildete durch lange Zeit die Enns die Grenze. Donauländische Slawen sind aber im 8. Jahrhundert, in der Gründungsurkunde von Kremsmünster (im Kern wohl 777) auch innerhalb Baierns nachweisbar. In das soziale Gefüge des Stammes gewährt das bairische Stammesrecht, die freilich erst im 8. Jahrhundert und unter fränkischem Einfluss entstandene Lex Baiuvariorum, einige Einblicke. Nach dem Wergeld, also der Höhe der Bußzahlung für den Verzicht auf Blutrache, stand an der Spitze der Baiern der Herzog, dann folgen die genealogiae, die Geschlechter, also der Adel. Unter ihm rangierten die liberi, die Freien. Es folgten die liberti, die Freigelassenen. Als letzte werden die servi, Sklaven, eingestuft. Servi und liberti standen unter der Herrschaft eines Herrn. Die Wehrhaftigkeit unterschied das freie Stammesmitglied von anderen Menschen. Außerdem war dieser Freie ein bäuerlich lebender Hausherr, dessen Behausung in kleinen Siedlungsverbänden auch archäo-
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logisch nachgewiesen wurde. Das Haus des freien kriegerbäuerlichen Baiern bestand nach der Lex Baiuvariorum aus mehreren Baulichkeiten : Backofen, Stall, Scheune und ein oder mehrere Vorratsgebäude waren vom Wohnhaus getrennt. Herzoglicher bzw. – später – königlicher Amtsträger für einen größeren Bezirk war der Graf. Er hatte für Gerichtsversammlungen einen iudex in den pagus (Gau) zu entsenden. Er fungierte auch als Anführer im Krieg : Als die Langobarden 680/88 bei Bozen kriegerisch mit den Baiern zusammenkrachten, nannten diese ihren Chef »Graf« (quem illi gravionem dicunt – den jene Graf nennen). Die Gerichtsgemeinde des pagus war wohl eine Unterabteilung der kriegerischen Stammesgemeinde. Diese Aufgaben des Grafen setzten sich auch unter den Karolingern fort. Freilich wäre die Vorstellung eines wohlorganisierten Netzes von Grafschaften jenen Zeiten nicht angemessen. Grafschaften dürften dort eingerichtet worden sein, wo freie Bayern in größerer Zahl lebten und öffentliches Gut (herzogliches, später königliches) eine ausreichende materielle Basis für das Grafenamt bot. Der erste Agilolfinger soll ein Garibald (um 555–592) gewesen sein, der mit Waldarada, einer Tochter des Langobardenkönigs Wacho, verheiratet war. Eine Tochter Garibalds, Theodelinde, war nacheinander die Frau der Langobardenkönige Authari (584–590) und Agilulf (591–616), ihr Bruder Tassilo I. war bis um 610 Herzog der Baiern, ihm folgte Garibald II., von dem man sonst wenig weiß. In die Regierungszeit Garibalds fallen Niederlagen gegen Awaren und Slawen im oberen Drautal. – Durch mehrere Generationen hört man dann nichts von den baierischen Agilolfingern. Fassbar wird wieder ein Herzog Theodo (vor 696 bis um 717/18). In seine Zeit fällt die Ankunft des heiligen Hrodbert (Rupert) in Salzburg. Theodo schenkte diesem (696 ?) die »Stadt« Salzburg und die Obere Burg. Unter dieser Burg gründete er (713/14) das älteste noch existierende Frauenkloster im ganzen mittleren Europa – Nonnberg. Hrodbert selbst ließ sich – als Abtbischof ? – in dem von ihm gegründeten und vom Herzog reich bestifteten Kloster St. Peter nieder. Kurz vor seinem Tod zog Hrodbert wieder nach Worms. In das 8. Jahrhundert fallen weitere wichtige Klostergründungen : Innichen/Südtirol (769), Mondsee (748), Mattsee (vor 784), Kremsmünster (777), Scharnitz (763, 772 nach Schlehdorf verlegt). Von Salzburg aus wurden »Mönchszellen« in Bischofshofen und Zell am See gegründet. Das geistliche Leben dieser Institutionen wurde durch eine ausreichende Bestiftung mit Land und (abhängigen) Leuten gesichert. Einen ganz besonderen künstlerischen Rang erreichte das Skriptorium von Mondsee, in dem einige der eindrucksvollsten karolingerzeitlichen Handschriften entstanden. Die Herzöge, aber auch Freie und edle Herren machten den Bistümern und Klöstern überaus reiche Schenkungen. Schon bei der Gründung erhielten St. Peter, Nonnberg und Bischofshofen auch Anteile an der Saline Reichenhall, die als Salzproduzent den Dürrnberg abgelöst hatte.
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Zum wichtigsten geistlichen Zentrum wurde Salzburg. 739 organisiert Bonifatius die baierische Kirche neu, Salzburg ist seit diesem Zeitpunkt sicher Bistumssitz. 746 oder 747 wurde der Ire Virgil (Feirgil) Bischof von Salzburg. Unter ihm begann die Mission der Karantanen. Und er ließ die Kathedrale erbauen, in römische Ruinen hinein und nach langobardischem Vorbild (767–775). Es war für Jahrhunderte der mächtigste Bau im ganzen mittleren Europa. Erst in den 760er Jahren ließ sich Virgil zum Bischof weihen. Das Salzburger Skriptorium erreichte unter ihm einen europäischen Rang (Psalter von Montpellier, Codex millenarius maior von Kremsmünster, Wiener Cutbercht-Evangeliar). Auch der exzeptionelle Tassilo-Kelch für Kremsmünster dürfte in Salzburg entstanden sein. Virgil starb 784, 1233 wurde er heilig gesprochen. Zur Zeit Virgils ereignete sich die finale Tragödie der Agilolfinger. Der letzte von ihnen war auch der bedeutendste. Tassilo III. (* um 741, † um 796) war ein Sohn des Herzogs Odilo und der Hiltrud, Tochter des fränkischen Hausmeiers Karl Martell aus dem Geschlecht der Karolinger, deren Mutter eine Agilolfingerin war. Karl der Große war also ein echter Cousin des Agilolfingers. Unter Odilo (Herzog von 736/37 bis 748) aber war Baiern zum Zentrum der antikarolingischen Opposition geworden, die Aquitanier, Sachsen, Alamannen, Baiern und Slawen umfasste. Er half erfolgreich den Karantanen gegen die wieder angeriffslustigen Awaren, dafür gerieten jene unter die Oberhoheit der Baiern (741/743). Aber schon Pippin zeigte 742 den Baiern die Grenzen ihrer Selbstständigkeit. Tassilo III. besiegte 772 die heidnische Reaktion bei den Karantanen und machte deren Fürsten endgültig von den Baiern abhängig. Seine großzügigen Klostergründungen (neben Kremsmünster ist vor allem Innichen zu nennen) stärkten seine Position weiter. Der berühmte Tassilo-Kelch in seiner zentralen Stiftung Kremsmünster ist das bleibende Zeugnis dieser Stiftungstätigkeit. Tassilo erregte Karls Argwohn : jener war mit Luitberga verheiratet, einer Tochter des Langobardenkönigs Desiderius. Diese Verbindung machte ihn noch verdächtiger, als Desiderius von Karl dem Großen besiegt und abgesetzt wurde (774). Als sich Karl später Tassilo selbst vorknöpfte, warf er diesem vor, er habe die dem fränkischen König geschuldete Heerfolge nach Aquitanien 763 verweigert. Außerdem soll Tassilo mit den Awaren in zu gutem Einvernehmen gestanden sein. 787 wurde Tassilo zum Lehensmann Karls degradiert, 788 – vielleicht nach einem verzweifelten Versuch, mit Hilfe der Awaren seine Position zu halten – unter dem Vorwand des Treubruchs abgesetzt und in ein Kloster gesteckt. 794 trat er in Frankfurt nochmals in der Öffentlichkeit auf, um feierlich für sich und seine Nachkommen auf Baiern zu verzichten. Damit fand das alte bairische Herzogtum zunächst ein Ende. Virgils Nachfolger Arn(o), Abt eines fränkischen Klosters, war durch seine Freundschaft mit Alkuin dem Hof Karls des Großen eng verbunden. 798 wurde Arn zum Erzbischof ernannt und zum Metropoliten einer Kirchenprovinz, die ganz Baiern und das Missiongebiet im (Süd-) Osten umfasste (Karantanien und das Awaren-Gebiet).
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Suffragane saßen in Regensburg, Passau und Freising, später wurde auch Säben/Brixen zur Salzburger Kirchenprovinz gezählt. Für das Missionsgebiet wurden Chorbischöfe (von griech. χωρά – Land, im Gegensatz zu Stadt) eingesetzt. Damit schloss Arn an eine Institution Virgils an, der schon um 757 Modestus als Chorbischof in Karantanien ernannt hatte (bis 763). Ein Chorbischof Theoderich ist von 799 bis nach 821 nachweisbar. Arn war nicht nur ein engagierter Bischof, sondern häufig als missus Karls des Großen, mit dem er in bestem Einverständnis stand, tätig. Die Besitzungen der Salzburger Kirche ließ er aufzeichnen (Notitia Arnonis vor 790, Breves Notitiae, nach 798). »Der Salzburger Bischof verfügte im Jahre 790 über 11 bischöfliche Eigenklöster und -zellen und über nicht weniger als 67 Mensalkirchen, die zumeist reich ausgestattet waren.« (Heinz Dopsch). Auch eine Annalenhandschrift entstand. 150 Bücher sollen unter diesem Erzbischof abgeschrieben worden sein, unter anderem sind durch ihn Alkuins Briefe erhalten geblieben. 821 starb Arn. Sein Name lebt in drei Siedlungen mit dem Namen »Arnsdorf« in der Wachau – alter salzburgischer Besitz – fort. Unter seinen Nachfolgern Adalram (821–836) und Liupramm (836–859) wurde die Mission im Osten intensiviert : Adalram weihte in Nitra (Slowakei) vor 830 eine Kirche für den Slawenfürsten Privina. Als dieser von dem Mährerfürsten Moimir verdrängt wurde, ließ sich Privina in Traismauer vom Salzburger Erzbischof taufen. Ab 838 konnte Privina im Gebiet des Plattensees ein christliches Tributärfürstentum errichten, in dem Salzburg eine lebhafte Tätigkeit entfaltete : Nicht weniger als 17 Kirchen wurden unter Adalram dort erbaut. Allein in Privinas Burg Mosapurc-Zalavár standen drei Kirchen, die Handwerker schickte Liupramm aus Salzburg dorthin. Auch in Zalabér, Pettau (Ptuj) (ad Bettobiam) und Fünfkirchen (Pécs) (ad Quinque basilicas) wurden Kirchen errichtet. Liupramm weilte selbst öfter in Pannonien, während in Karantanien Salzburger Chorbischöfe wirkten. Sein Nachfolger Adalwin (859–873) erhielt 860 von Ludwig dem Deutschen jene besonders umfangreiche Schenkung, die die Grundlage für den späteren Salzburger Besitz in Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten bot. Gerade in seine Regierungszeit fiel das Auftreten der griechischen Slawenapostel Konstantin und Methodios im Mährerreich, aber auch in Pannonien. Dort konnte Method aber nur bis zum Tod des Fürsten Chozil, des Sohnes Privinas, wirken, danach wurde Methods vom Papst verliehene erzbischöfliche Würde auf das Mährerreich beschränkt. Nach Methods Tod (885) wurden seine Schüler aus Mähren vertrieben. Zur Verteidigung der Salzburger Position in Pannonien, die durch Methods Wirken bedroht wurde, entstand die berühmte Conversio Bagoariorum et Carantanorum, eine Art »Weißbuch« zur Dokumentation der lang andauernden seelsorglichen und missionarischen Tätigkeit Salzburgs nicht nur in Baiern, sondern auch bei den Karantanen und den pannonischen Slawen. Nach der Absetzung Tassilos wurde Gerold sein Nachfolger, ein Schwager Karls des Großen. Er trug nur mehr den Titel eines Grafen. Er und seine Nachfolger wurden
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auch praefecti genannt, wohl um eine gewisse Überordnung über die anderen Grafen anzudeuten – aber eben nicht als dux ! Die Baiern wurden jetzt verstärkt der zentralen Kontrolle der fränkischen Könige unterworfen, fränkische Grafen wurden eingesetzt. Die baierische Kirche wurde ein wichtiger Teil der fränkischen Reichskirche. 2.2 Die Karantanen »Die Karantanen entwickelten auf mehr als 35 Prozent des heute österreichischen und etwa 10 bis 15 Prozent des slowenischen Staatsgebiets nicht bloß die älteste frühmittelalterliche Staatlichkeit des Raums, sondern waren überhaupt die erste slawisch bestimmte Gens, die nicht bloß einen einheimischen Sondernamen annahm, sondern auch eine Herrschersippe mit monarchischer Spitze besaß und das bis heute älteste Herrschaftszeichen hinterließ, das weder in Mitteleuropa noch darüber hinaus ein erhaltenes Gegenstück besitzt. Die karantanische stellt demnach die älteste frühmittelalterliche Stammesbildung dar, die den ältesten bis heute lebendigen Volksnamen hervorbrachte. Entsprechend ihrer, an den westlichen Vorbildern orientierten Herrschaftsordnung waren die Karantanen auch das erste slawische Volk, das erfolgreich, weil ›von oben nach unten‹ missioniert und christianisiert wurde. Die Karantanen waren nachweisbar auch die einzigen, die ihre Identität gegen die Awaren errangen und bewahrten.« (Herwig Wolfram, Grenzen und Räume, S. 301)
Die Alpenslawen kamen im Gefolge der awarischen Expansion in ihre neuen Heimstätten. Seit dem Abzug der Langobarden 568 aus Pannonien waren dort deren Verbündete, die Awaren, heimisch, die selbst oder durch ihre slawischen Klientelvölker die Reste der alpenrömischen Kultur gründlich zerstörten. Die Ethnogenese der Karantaner wurde durch ihr Verhältnis zu den Awaren beeinflusst. Offenbar haben die Awaren auf ihre inneren Verhältnisse keinen erheblichen Einfluss genommen, sich aber immer wieder der Ressourcen der Slawen bedient. Ein Aufstand des berühmten Samo – angeblich ein fränkischer Kaufmann – war 623 von Erfolg begleitet. In dessen Reich waren die Alpenslawen wohl einbezogen (vielleicht als marca Vinedorum). Mit der Niederlage der Awaren vor Konstantinopel 626 wurde deren Macht bis auf weiteres geschwächt. Schon in dieser Zeit ist mit den Anfängen eines ziemlich eigenständigen karantanischen Stammesfürstentums zu rechnen, als erster Fürstenname ist der eines Wallucus um 631/32 belegt. Vor der (zweiten) awarischen Expansion nach 700 wollte man sich durch eine stärkere Bindung an die Baiern sichern. Dabei geriet man um 740 in bairische Abhängigkeit. Namen karantanischer duces sind in der Salzburger »Conversio« überliefert. Der erste bekannte Fürst ist Boruth (»der Kämpfer«), der von vor 740 bis um 750 belegt ist. Er war noch nicht getauft. Ihm folgte nur kurz sein Sohn Cacatius (bis 752), nach ihm
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kam dessen Vetter Cheitmar. Die beiden Jungen waren als Geiseln und zur Sicherung des Christentums auf der Herreninsel im Chiemsee festgesetzt und erzogen worden. Jetzt begann eine intensivere, primär von Salzburg getragene Christianisierung. Christianisierungsversuche provozierten Aufstände, die die Baiern carmula nannten (um 763 und 765). Sie wurden von Tassilo III. niedergeschlagen. 769 starb Cheitmar, im selben Jahr wurde Innichen gegründet. Ein neuerlicher Aufstand wurde von Tassilo III. erst 772 niedergeworfen, dann wurde ein Waltunc als Fürst eingesetzt. Später sind noch vier Fürsten bekannt : Priwizlauga, Cemicas, Ztoimar und Etgar. Dem Aufstand der unterpannonischen Slawen unter Ljudewit (819–823) schloss sich ein Teil der Karantanen an. Wahrscheinlich hängt auch die Attacke »gottloser heidnischer Slawen« auf die Maximilians-Zelle zu Bischofshofen (820) damit zusammen. Nach der Niederschlagung dieser Bestrebungen wurden die Karantanen stärker in das fränkische Herrschaftssystem eingegliedert und verloren, so wie zuvor die Baiern, ihren eigenen Fürsten. Dieser war der wichtigste überregionale Integrationsfaktor des Stammes. Zu einem Herren gehörte eine Gefolgschaft. Als solche hat man (unter anderen) die vieldiskutierten »Edlinger« (slow. Kosezi) interpretiert, die gerade im Zentralbereich Karantaniens gehäuft auftreten. Daneben existierte in der Karolingerzeit ein höherer Adel. Dieser Adel wurde vom baierischen als durchaus gleichrangig angesehen, was sich im 9. und 10. Jahrhundert in gemeinsamem Konnubium und gegenseitigen Namens-Übernahmen äußerte. In der Kremsmünsterer Gründungsurkunde von 777 begegnet ein Župan (iopan). Auch bei den Karantanen gab es Župane. Der Titel dieses Chefs einer kleineren slawischen Gruppe (vielleicht eines Clans ?) ist awarischen Ursprungs. Nach späteren Nennungen konnte man sogar die Grenzen des karantanisch besiedelten Raumes in der Steiermark rekonstruieren : östlich einer Linie, die im 12. Jahrhundert von Norden her – baierisch – besiedelt wurde, gibt es keine Župan-Nennungen mehr ; dort heißt der entsprechende Funktionär »Richter«. Ihre Funktion in vorgrundherrschaftlichen Verhältnissen bleibt einigermaßen dunkel. Später lebte der Begriff in der grundherrschaftlichen Ordnung des Hochmittelalters weiter und bedeutete etwa »Amtmann« oder eben auch »Richter«. Die Binnenstruktur des ganzen weiten Bereiches war durch die Natur geprägt. Tallandschaften innerhalb der Alpen, getrennt durch relativ unzugängliche Höhenzüge, aber verbunden durch relativ leicht begehbare Pässe (Schoberpass, Neumarkter und Obdacher Sattel usw.) erlaubten regionale Siedlungs- und Herrschaftsverdichtung. Zentrum dieser Herrschaft war in Nachfolge spätantiker Strukturen das Zollfeld mit der Karnburg (civitas Carantanorum), doch kommt für die Zeit davor auch ein Herrschaftszentrum in der Nachfolge des alten Teurnia (»Liburnia«) bei Spittal an der Drau, vielleicht auch bei Moosburg in Frage. Südlich der Karawanken existierte um 800 ein
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von Karantanien unabhängiges Fürstentum der »Krainer«. Karantanisch waren auch der Lungau und das Murtal, ebenso das Ennstal. Die nördlichen Kalkalpen waren die Grenze nach Norden – noch im 12. Jahrhundert galt die Gegend um den Ötscher als Grenze zu »Kärnten«. Die Ostgrenze verlief vielleicht entlang der Fischbacher Alpen nach Süden. Die Slawen in der Kremsmünsterer Gründungsurkunde (777) waren ebenso w enig »Karantanen« wie die übrigen Donauslawen. »Slawen« waren die meisten jener Leute, die im awarischen Herrschaftsbereich keine Awaren waren, was mit der Vermutung, die Kremsmünsterer Slawen seien aus dem Awarengebiet zugewandert, gut übereinstimmen würde. Später sollte für diese Westslawen der Name der »Böhmen« in Gebrauch kommen (vgl. Ortsname »Böheimkirchen« in Niederösterreich, östlich von St. Pölten). In der Karolingerzeit waren jedenfalls slawische Dialekte die dominanten Idiome nicht nur in Karantanien, sondern auch im heutigen Niederösterreich und seinen Nachbargebieten ; auch in Oberösterreich nördlich der Donau und auch im Gebiet zwischen Traun und Enns wurden slawische Idiome gesprochen. 2.3 Die Awaren Mit ziemlicher Sicherheit waren die in Europa auftauchenden Awaren identisch mit jenen Steppennomaden, die nördlich der Chinesischen Mauer zwischen 520 und 550 ein bedeutendes Reich aufgerichtet hatten. Diese Reichsbildung wurde durch einen geglückten Aufstand türkischer Stämme vernichtet. Die Awaren wandten sich darauf hin nach Westen, in die Gegend nördlich des Asowschen Meeres. 562 kam es zu kriegerischen Zusammenstößen mit den Franken. 567 verbündete sich der Awarenchef Bajan mit den in Pannonien sitzenden Langobarden gegen die Gepiden. Nach deren Vernichtung zogen die Langobarden nach Italien ab. Damit beginnt die Zeit der awarischen Herrschaft über große Teile des östlichen Mitteleuropa. Vom Aufstand Samos und von der Katastrophe der Awaren vor Konstantinopel 626 war schon die Rede. Bis zum Ende des 7. Jahrhunderts war damit die Expansionskraft der Awaren gebrochen. Um 680 sollen jedoch neue Gruppen zugewandert sein, was nicht nur zu einer Renaissance des Reiches führte. Es erfolgte eine Siedlungsverdichtung und gleichzeitig eine stärkere West-Ausbreitung bis hin zum Alpenostrand. Awarische Gräberfelder sind ab der Mitte des 7. Jahrhunderts im südöstlichen und nordöstlichen Niederösterreich belegt. Die späteren Awaren sind nach dem archäologischen Befund weitgehend zu Ackerbauern geworden. Ihre Bewaffnung und ihre Kampfweise behielten sie aber bei. Um 700 dürfte ein awarischer Vorstoß Lorch an der Enns zerstört haben. Baiern und Awaren scheinen aber in der Folge ihre Grenzen respektiert zu haben. Erst die Awarenfeldzüge Karls des Großen (791–803) brachten dann das Ende der
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Karte 2: Das Gebiet des heutigen Österreich im Frühmittelalter (7./8. Jahrhundert n. Chr.).
awarischen Herrlichkeit. Nach der endgültigen Niederlage empfingen die Unterworfenen die Taufe. Es wurde ein christlicher awarischer Klientelstaat des Frankenreiches gebildet. Diese Restawaren erhielten zuletzt eine Art Reservat im heutigen Ost-Niederösterreich und Westungarn bzw. Burgenland. Nach etwa 820 hört man nichts mehr von ihnen. Das bedeutet nicht, dass sie physisch ausgerottet wurden oder ausstarben, sondern nur, dass sie als Ethnos nicht mehr existierten, dass sich also niemand mehr als Aware selbst bezeichnete oder bezeichnen ließ. Vielleicht die eindrucksvollste kulturelle Hinterlassenschaft der Awaren, möglicherweise ein kleiner Teil des sagenhaften Schatzes der Awarenkhane, der von den Franken nach der Eroberung des zentralen »Ringes« der Awaren angeblich in zahlreichen Ochsenkarren nach Westen abgeschleppt wurde, ist der so genannte »Schatz von Nagy szentmiklos«, geborgen 1799 in einem kleinen ungarischen (heute rumänischen) Dorf (Sânnicolau Mare). Er besteht aus 23 Gefäßen, Kannen, Schüsseln und Schalen aus purem Gold. Zwei sind mit Stierköpfen verziert, auf einer befindet sich die Darstellung eines Reiterkriegers. Der Schatz wird auf das 8. und 9. Jahrhundert datiert, könnte also auch auf die Bulgaren zurückgehen, die im 9. Jahrhundert im Osten der ungarischen Tiefebene herrschten.
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2.4 Die Alpenromanen In den Alpengebieten haben größere Gruppen von Provinzialromanen das Ende des Römerreiches überdauert. Noch lange über das Ende der besonderen Institutionen hinaus wurde im Montafon und Vinschgau bis ins 16. Jahrhundert eine romanische Sprache gesprochen, die als »Rätoromanisch« in Graubünden und als »Ladinisch« in Südtirol bis heute weiterlebt. Ein eigenes Land dieser ziemlich selbstständigen Alpenromanen war die Raetia Curiensis, Churrätien. In geschützter Lage blieb ein Rest des römischen Rätien in Form der Herrschaftsbildung der »praesides« und Bischöfe von Chur bestehen. Die Würde des Bischof und des Präses blieb dabei durch längere Zeit in der Hand einer Familie, zuletzt jener der so genannten »Viktoriden«. Das Bistum Chur galt zwischen dem 5. Jahrhundert und 842 als Suffragan des Erzbistums Mailand. Danach wurde Chur der Mainzer Kirchenprovinz zugeordnet. Herrschaftlich wurde das Gebiet jetzt enger mit den Alemannen verbunden. Der erste Herzog von Schwaben, Burchard, nannte sich marchio Curiensis Raetiae, Markgraf von Churrätien. An der Bischofswahl wirkte der populus, das »Volk« (also die politisch Berechtigten), mit. Churrätien umfasste ungefähr das heutige Graubünden. Auch das südliche Vorarlberg mit dem Zentrum Rankweil war Teil dieses Herrschaftsgebietes. Vom historischen Land Tirol gehörte der Vinschgau dazu, wo Chur ja bis in die Neuzeit geistliche und weltliche Herrschaftsrechte ausübte. In diesem Rätien galt ein eigenes Recht, die auf die »Lex Romana Visigothorum« zurückgehende Lex Romana Curiensis. Nach dieser Quelle waren Curialen in der Tradition spätantiker Dekurionen für die öffentlichen Abgaben verantwortlich. Sie sollten nur aus den besitzenden Gruppen stammen. In den kleineren Siedlungen erscheinen maiores mit gewissen Aufgaben betraut, gleichwie Pfarrer. Eine Besonderheit in der Wirtschaftsweise war die Almwirtschaft. Unfreie sind ebenso bezeugt wie ausgedehnter Besitz des Bischofs, seiner Klöster und Kirchen. Dieser Besitz bot später die Grundlage für die Ausstattung des karolingischen Grafen. Er galt also als »öffentliches« Gut. Auch hier kommt es im 8. Jahrhundert zu Klostergründungen (Pfäfers, 735/40), deren Ausstattung zur Fortentwicklung grundherrschaftlicher Lebensweisen führte. Seit etwa 540 stand Churrätien nicht mehr unter gotischer, sondern unter fränkischer Herrschaft. Die Bischöfe erscheinen nach 610 auf Synoden der fränkischen Reichskirche. Dennoch blieben die Eingriffe der fränkischen Könige geringfügig. Erst nach der endgültigen Unterwerfung der Alemannen in der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts (746) wurde der fränkische Einfluss stärker. Dies ist besonders auch im Zusammenhang mit den beginnenden Italienzügen – Karl der Große eroberte 773/74 das Langobardenreich – zu sehen, denn das Churer Gebiet beherrscht wichtige Alpenübergänge. Nach dem Tod des letzten Viktoriden zog Karl der Große die Zügel fester
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an, Rektoren und Bischöfe wurden von ihm eingesetzt. 806 wurde die Bischofsfunktion von der des Rektors getrennt. Fränkische Grafen kamen ins Land, der reiche Landbesitz der Viktoriden diente als Ausstattung für die neuen Machthaber. Die Bischöfe von Chur konnten späterhin ihre weltliche Macht (wieder) ausbauen. Das war wohl auch der Grund, warum in ihrem Herrschaftsbereich das Rätoromanische fortbestand. 2.5 Die Alemannen Etwa zur gleichen Zeit, als in Chur die Viktoriden herrschten, gehörte der nördliche Teil Vorarlbergs schon zum Siedlungsgebiet der Alemannen, ebenso das Lechtal. Bekanntlich haben diese schon im 3. Jahrhundert das Gebiet zwischen Rhein und Donau (das Dekumatenland) besetzt, wahrscheinlich vollzog sich hier ihre Ethnogenese, unter Einbeziehung diverser Gruppen, die früher als »Sueben« galten. Erst im 4. und 5. Jahrhundert schoben sich ihre Siedlungen auch in das Gebiet südlich von Rhein und Bodensee vor. Die einzelnen Stämme hatten Könige, die diverse Verträge untereinander und mit den Römern abschlossen. Nach der Niederlage der Alemannen gegen Chlodwig (506) wurde ein Teil des Stammes von Theoderich unter seinen Schutz genommen und durfte auf dem von den Goten noch beherrschten Gebiete Rätiens siedeln – vielleicht auch im nördlichen Vorarlberg. Seit 536 war aber das ganze Stammesgebiet der Alemannen unter fränkischer Herrschaft. Immer wieder kam es zu Verselbstständigungstendenzen. Noch im 8. Jahrhundert waren mehrere Feldzüge und brutale Maßnahmen (Blutbad von Cannstatt, 746) nötig, mit denen Karl Martell und Pippin die Alemannen endgültig unterwarfen. Entscheidend für die spätere Entwicklung im Bodenseegebiet wurde die Gründung von St. Gallen und die Ausstattung des Konstanzer Bistums durch König Dagobert (615–630). Bis ins 19. Jahrhundert gehörte das nördliche Vorarlberg kirchlich zu Konstanz. Und St. Gallener Besitz spielte für die weitere Entwicklung (Grundherrschaft, Aufbau von Adelsherrschaften auf der Basis des Kirchenbesitzes) eine große Rolle. Schließlich ist der allgemein bekannte St. Gallener Klosterplan (entstanden um etwa 819/826) sozusagen das gesamteuropäische Muster für mittelalterliche Klosteranlagen. 2.6 Das karolingische Ostland Unter Karl dem Großen wurden die frühmittelalterlichen gentes auf dem Boden der ehemaligen römischen Provinzen im Ostalpengebiet und an der Donau intensiver dem fränkischen Reich eingegliedert ; die nördlich der Donau gelegenen Gebiete blieben
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überwiegend außerhalb des Reiches. Seit der Absetzung Tassilos III. (788) gab es keine baierischen Herzöge mehr. Die churrätischen Romanen verloren ebenfalls ihre eigentümliche Sonderstellung (806). Etwas länger dauerte die Weiterexistenz des karantanischen Stammesfürstentums. Auch dieses wurde ab 828 nicht mehr besetzt. Seither erscheinen auch hier Amtsträger des fränkischen Königs als Grafen. Seit 822 ist auch kein awarisches Fürstentum mehr nachweisbar, das Volk der Awaren verschwand überhaupt. Die Alemannen waren schon 746 ziemlich brutal gedämpft worden. Räumlich griff die karolingische Herrschaft weit aus. Wohl im Sinne der Ideologie einer Wiederherstellung des römischen Reiches waren es im Südosten ziemlich genau die ehemaligen Provinzgebiete von (Ufer-)Noricum und Pannonien, die Karl der Große seinem Reich einverleibte. Karantanien hatte ja in etwa dem alten Binnen noricum entsprochen, das Awarenland Pannonien (mit einem ufernorischen Glacis zwischen Wienerwald und Enns, wo Baiern begann), das restliche Baiern dem übrigen Noricum und einem großen Teil Rätiens. Die Eroberung des Awarenlandes erfolgte zwar in mehreren Zangenangriffen, sowohl entlang der Donau wie von Friaul aus, der entscheidende Stoß kam aber von Italien. Die (Mark-) Grafen von Friaul hatten daher auch zeitweilig erheblichen Einfluss in der Verwaltung dieses Raumes, besonders südlich der Drau. Man kann daher neben dem baierischen auch von einem friaulischen Ostland sprechen. Im Machtbereich der Franken bzw. an dessen Rand existierten mehr oder weniger abhängige slawische Fürstentümer, als erstes und wichtigstes Karantanien. Auch das awarische Restfürstentum ist so ähnlich einzustufen, ebenso wie die dem friaulischen Dukat zugeordneten Carniolenser (»Krainer«), die Guduskaner oder das Fürstentum des Ljudewit mit dem Zentrum in Siscia (Sisak). Am Aufstand dieses Ljudewit gegen die fränkische Oberherrschaft (819 – 823) beteiligten sich auch andere slawische Gruppen, Carniolenser und ein Teil der Karantanen. Der friaulische Herzog Balderich unterwarf die letzteren aber wieder, worauf auch Karantanen und die Krainer seiner Herrschaft zugeschlagen wurden. Als Balderich aber gegen die Bulgaren scheiterte, wurde das gesamte Ostland dem baierischen Präfekten unterstellt. Etwa um die gleiche Zeit wurden die Klientel-Fürstentümer aufgehoben und die einzelnen Gebiete fränkischen Grafen untergeordnet – Karantanien einem Grafen Helmwin. Zur Überwachung der lokalen Herrschaftsträger (Grafen) ebenso wie der zugeordneten slawischen Fürsten ernannte Karl der Große missi dominici, königliche bzw. kaiserliche Kommissare. Obgleich das politische Personal im baierischen Ostland der Karolingerzeit – Karantanien einerseits, die Grafschaften an der Donau und in Oberpannonien sowie die slawischen Fürstentümer in Unterpannonien und an der Save andererseits – häufig wechselte, sah man es doch als eine Art Einheit an. Bis um 870 hatte sich ein neuer
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Sprachgebrauch eingebürgert. Man sprach von der plaga orientalis, von oriens, wenn man die weiten Gebiete des bayerischen Ostlandes meinte. Althochdeutsch hieß das wohl ostarrîhhi, Land oder Gebiet »im Osten«. Dieser Begriff wurde auch von Otfried von Weissenburg gebraucht, um das ganze Reich Ludwigs des Deutschen zu bezeichnen. Im 11. Jahrhundert wurde der Geltungsbereich dieses Begriffes lokal eingeschränkt und konnte so zum Landesnamen für die babenbergische Mark werden. 2.6.1 Königsherrschaft, Präfekten und Grenzgrafen
Baiern und das baierische Ostland, das genauso wie Baiern seinen eigenen Präfekten hatte, galten im 9. Jahrhundert zusammen als regnum. Faktisch wurde dieser ganze Bereich als Teilreich des Karolingerreiches behandelt. Ludwig (»der Deutsche« – der Beiname ist eine romantisch-falsche Übersetzung des zeitgenössischen »Germanicus«, der sich auf die römische Germania bezieht) erhielt das baierische Regnum von seinem Vater Ludwig dem Frommen schon 817. Es umfasste »Baiern, die Karantanen, die Böhmen und die Awaren wie die Slawen, die im Osten der Baiern wohnen«. Ludwig der Deutsche trat seine Herrschaft faktisch 826 an, wobei er allerdings in seinem Onkel Gerold II. einen starken Grafen und Präfekten unter (oder : neben) sich hatte. Dann setzten, mit den Versuchen des Kaisers Ludwig, seinen spät geborenen Sohn Karl (»den Kahlen«) ins Teilungsspiel einzubringen, jene Turbulenzen ein, in denen sich die drei älteren Brüder gegen den Kaiser verbündeten. Ludwig der Deutsche erwarb 833 das regnum in orientali Francia. 856 erhielt Karlmann von seinem Vater die Verwaltung des baierischen Ostlandes übertragen, 865 in Alleinherrschaft. Nach 876 (Tod Ludwigs des Deutschen) war Karlmann König in Baiern, Karantanien und Pannonien sowie – theoretisch – über die böhmischen und mährischen Slawen ; die beiden andern Brüder teilten sich den Rest des Ostfrankenreiches. Karlmann übergab aber das gesamte Ostland (Karantanien und die Grafschaften östlich der Enns sowie Pannonien) an seinen Sohn aus einer nicht ebenbürtigen Verbindung, Arnulf (»von Kärnten«). Karlmann und sein Bruder Ludwig (der Jüngere) starben 880 und 882, jetzt folgte ihnen Karl III. (der »Dicke«), der auch zum Kaiser gekrönt wurde, freilich ebenso wie seine Brüder an einer Erbkrankheit litt. Vor seinem Tod fielen die Stämme des Ostfränkischen Reiches von ihm ab, er zog sich nach Lustenau zurück. Im Jänner 888 starb er in Neudingen an der Donau. Schon vorher, im Herbst 887, war Arnulf von Kärnten in Frankfurt zum König erhoben worden. In den Donaugrafschaften, von der Traun bis zur Raab, wirkten verschiedene Grafen. Als übergeordneter praefectus ist von etwa 833 bis 854 ein Graf Ratpot bezeugt. Ein wichtiges Zentrum seiner Macht wurde Tulln. Seine Grafschaft reichte bis an die Raab. 854 wurde er von Ludwig dem Deutschen abgesetzt. Offenbar war er dem König zu
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mächtig geworden. Unter König Karlmann erlangten die aus dem Traungau stammenden Wilhelminer, die Brüder Wilhelm (II.) und Engelschalk, großen Einfluss. Sie wurden jedoch 871 in einem Krieg gegen die Mährer getötet. Nun ernannte Ludwig der Deutsche einen Ar(i)bo, der bis ins Jahr 909 belegt ist. 882 wollten die Söhne von Wilhelm und Engelschalk wieder in die Positionen ihrer Väter einrücken. Gegen sie mobilisierten König Karl III. und Arbo die Mährer, die gegen die Wilhelminer mit Mord und Brand vorgingen. Mehrere der Wilhelminer wurden ein Opfer dieser Gemetzel. Zehn Jahre später versuchte einer der letzten Wilhelminer, Engelschalk II., nochmals sein Glück. Er war nach einer romantischen Episode (Raub einer illegitimen Tochter König Arnulfs und Flucht ins Mährerreich) von Arnulf wieder aufgenommen und mit dem Posten eines marchensis in oriente betraut worden. Engelschalk versuchte nun Arbo zu verdrängen, wurde aber gefangen gesetzt und in Regensburg zur Blendung verurteilt. Sein Vetter Wilhelm (III.) nahm offenbar Kontakt mit den Mährern auf, wurde aber ebenfalls gefangen und wegen Treulosigkeit – Verletzung der Vasallenpflichten – zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das Eigengut der Wilhelminer gelangte später zum Teil an Kremsmünster. Nachdem Arnulf König geworden war, wurde ein Verwandter des Königs, der marchio (Markgraf ) Luitpold, die dominierende Erscheinung in Baiern und im Ostland. Wohl 893 wurde er Graf in Karantanien. Zu Arbo blieben die Beziehungen gespannt, ein Angriff Luitpolds auf Mautern, wo sich Arbos Sohn Isanrih verschanzt hatte, scheiterte (899). 2.6.2 Grafschaften und Burgbezirke
Grafschaften wurden dort eingerichtet, wo Königsgut und freie Leute in größerer Dichte vorhanden waren. Das war zunächst im Altsiedelland westlich der Enns der Fall. Die spätere Ausdehnung der Grafschaft im Traungau bis zur Raab lässt ungefähr das Gebiet der intensiveren baierischen Landnahme erkennen. In Westungarn, um Savaria (Szombathély, Steinamanger) wurde ebenfalls eine Grafschaft eingerichtet, seit 828 mehrere auch in Karantanien. Als Folge der endlosen Kämpfe zwischen den fränkisch-baierischen Großen sowie gegen die Mährer ging der dadurch verwüstete pannonische Osten des Ostlandes offenbar schon vor 900 an die Ungarn verloren. Die Raffelstettener Zollordnung (904/906) spricht nur mehr von drei Grafschaften Ar(i)bos, die an der Donau lagen, etwa zwischen Linz und Mautern. »Slawen und Baiern« waren die Bewohner istius patriae (dieses Landes). Die Zollordnung regelte Aus- und Einfuhr über die Reichsgrenze, damals noch durchwegs die Donau. Die Händler waren Juden oder andere Kaufleute. Ausgeführt wurde vor allem Salz, meist aus Reichenhall, per Schiff bis zum
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»Markt der Mährer« – wo auch immer der gelegen war. Salz war im Reich der Mährer Mangelware. Unter den Einfuhrgütern werden auch Sklaven genannt. Rätselhaft ist die Nennung von slawischen »Rugiern« jenseits der Grenzen, wohl eine gelehrte Reminiszenz an die Spätantike. Damit könnten die Slawen unter der Herrschaft jenes Edlen Joseph gemeint gewesen sein, der 902/03 eine große Schenkung an Freising machte und höchstwahrscheinlich der Herr auf der »Schanze« von Gars-Thunau über dem Kamptal war. Diese bedeutende Befestigungsanlage wurde in den letzten Jahrzehnten archäologisch gründlich erforscht. Burg und Grafschaft waren ursprünglich aufeinander bezogen. Eine »Burg« war noch nicht die adelige Höhenburg späterer Jahrhunderte. Sie war ein zentraler, befestigter Platz. Solche Plätze waren an der Donau Linz, »Eparesburg« (vielleicht Ybbs) und Mautern. Ein Burgort war nicht nur militärisches, sondern auch wirtschaftliches Zentrum. Nach der schon genannten Zollordnung von Raffelstetten befand sich hier der mercatus legitimus, der rechtmäßige Platz für den Warenaustausch. Gleichzeitig wurde hier der Zoll für das Grafschaftsgebiet (als Gegenleistung für den oft recht theoretischen Schutz, den der Graf dem Handel dafür zu bieten hatte) eingehoben. Eine solche »Burg« hatte also nicht nur militärische, sondern auch frühstädtische Funktionen, was sich unschwer auch aus der althochdeutschen Übersetzung von civitas oder urbs mit »burg« belegen läßt. Die ältesten zu Städten gewordenen »Burgen« tragen die Burgbezeichnung entweder heute noch (Salzburg, Judenburg, Herzogenburg) oder haben sie später erst abgelegt (so entstand Enns aus Enns-Burg, Steyr aus Styra-Burg). Dieser Typus der spätkarolingischen Raumordnung mit einem zentralen Burgplatz (also ein »Burgbezirk«) hat dann wohl auch das Vorbild für ähnliche Einrichtungen im slawischen Bereich und bei den Ungarn (megye oder comitatus) geboten. 2.6.3 Königsschenkungen und Kolonisation
Das eroberte Land galt zunächst als Eigentum des Königs. Erhebliche Teile des Königsgutes gingen bereits in karolingischer Zeit an geistliche Institutionen über. Den Löwenanteil sicherte sich Salzburg, das auch in erster Linie für die Mission in den eroberten Gebieten verantwortlich war. Die Schenkungen schlossen häufig an spätantike Mittelpunktsorte an. So erhielt Salzburg den Kärntner Zentralraum (Virunum !) mit Maria Saal übertragen, aber auch St. Peter in Holz (Teurnia), ferner Besitz bei Pettau (Ptuj, Poetovio), Steinamanger (Szombathely, Savaria), auf dem Aichfeld im oberen Murtal, dann bei Leibnitz (Flavia Solva) ; aber auch der niederösterreichische Besitz mit dem späteren Zentrum Traismauer schloss an spätantike Siedlungen an. – Die drei anderen bairischen Bistümer, Passau, Regensburg und Freising, gingen zwar nicht leer aus, wurden aber deutlich weniger stark berücksichtigt. Begehrt war offenbar
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auch Weingartenbesitz in der Wachau – solchen erhielten nicht bloß Salzburg, sondern auch die Klöster Niederalteich, Tegernsee, Kremsmünster usw. Die Schenkungsurkunden »(…) nennen hauptsächlich Orte zwischen der Mündung der Ybbs und der Pielach, in der Wachau und vor allem an beiden Ufern der Traisen von St. Pölten bis zur Donau.« (Wolfram, Grenzen und Räume, 222) Dort lebenden freien Slawen wurden ihre Rechte ausdrücklich verbrieft. Die baierische Kolonisation überschritt in der Wachau und unterhalb von Krems vereinzelt auch schon die Donau. Auch Gegenden östlich des Wienerwaldes werden bereits genannt, an der Fischa und Schwarza, Orte wie Pitten und Zöbern. Baden bei Wien wurde 869 als karolingische »Pfalz« bezeichnet. Ortsnamen wie Gerolding oder Wilhelmsburg verweisen auf einen Präfekten Gerold (I. oder II.) oder auf den Grenzgrafen Wilhelm. Zahlreiche Orts- und Weilernamen auf »Meier« und »Meierhof« zeugen von der typischen Meierhofverfassung der älteren Grundherrschaft. 2.6.4 Salzburg und Aquileja
In der Karolingerzeit wurde auch das kirchliche Verwaltungsnetz weiter ausgebaut. Der Bischof von Salzburg erhielt 798 den Rang eines Erzbischofs. Salzburg hatte auch für die christliche Mission in Karantanien und Pannonien die zentrale Funktion inne. Doch kam es dabei zu Streitigkeiten mit Aquileja, dessen Patriarch ebenfalls Metropolitanrechte für den ehedem binnennorischen Bereich anmeldete. Schließlich wurde die Grenze zwischen beiden Erz-Bistümern an der Drau festgelegt (811). Nördlich davon – und bis zur Mündung der Drau in die Donau – war Salzburg zuständig, südlich davon Aquileja. – Auch zwischen Passau und Salzburg ergaben sich Meinungsverschiedenheiten. Im Westen taucht im späteren 8. Jahrhundert wieder ein Bischof von Säben auf. Von diesem Bistum war durch längere Zeit keine Nachricht erhalten. Nun übte dieser Bischof offenbar bischöfliche Gewalt im oberen Inntal und im Wipptal aus. Im karantanisch-pannonischen Missionsgebiet gab es noch keine festen Bischofssitze. Der Erzbischof von Salzburg ernannte für diese Gebiete eigene »Chor«-Bischöfe. Dennoch hat hier Maria Saal bald eine wichtige Rolle als geistliches Zentrum gespielt. In diesen Missionsgebieten wurde eine Sonderform des für den Unterhalt des Klerus gedachten Zehenten eingeführt (der prinzipiell dem Bischof zustand), der sog. »Slawenzehent«, der etwas geringer bemessen wurde, um den Widerstand dagegen zu mildern. Der Zehent wurde zwischen Bischof und Pfarrer meist im Verhältnis 2 :1 geteilt. Neben Salzburg war in der Slawenmission auch Freising tätig. Schon Bischof Arbeo (764–783) hatte sich Einfluss auf die Klöster Scharnitz/Schlehdorf und Innichen gesichert. Das letztere sollte der Slawenmission dienen, lag es doch an der Slawengrenze, nahe den termini Sclavorum. Freising erhielt in der Folge reichen Besitz im heutigen Kärnten und in Nord- wie in Südtirol. Im 10. Jahrhundert kamen große Schenkungen
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im heutigen Slowenien dazu, sowohl in Ober- wie in Unterkrain. Dass die einmaligen »Freisinger Denkmäler« höchstwahrscheinlich zur Zeit jenes Bischofs Abraham – wohl in Kärnten – aufgezeichnet wurden, der auch die Schenkungen von 973 in Slowenien erhielt, ist daher kein Zufall. Diese Freisinger Denkmäler sind im sogenannten Missionshandbuch des Bischofs Abraham überliefert. Sie enthalten Formeln für das Sündenbekenntnis im Rahmen der katholischen Beichte sowie einen Predigttext, zum selben Thema. Sie sind die ältesten Belege für das damalige Alpenslawische (oder Protoslowenische), gleichzeitig das älteste slawische Sprachzeugnis in lateinischen Lettern. Nun begann der Bau zahlreicher Kirchen, die auch mit Priestern besetzt wurden. Dabei handelt es sich um Eigenkirchen, über die der Herr (König, Bischof oder Adeliger) verfügte wie über irgendeinen Meierhof, ebenso über den jeweiligen Geistlichen. Der galt ja ebenso als Mitglied der herrschaftlichen familia (abhängige Haus- und Untertanengruppe) wie jeder andere Herrschaftsunterworfene. Am Anfang entstanden Kirchen mit ausgesprochen zentraler Funktion (Ortsname Taufkirchen !), die sich häufig in Zentren entweder des kirchlichen oder des königlichen Besitzes befanden. So gelangte die ursprünglich auf Königsgut gelegene Kirche zu Traismauer später an Salzburg. Als Bauten haben sich aus der Karolingerzeit ledigilich die Martinskirche zu Linz und die Kirche von Karnburg erhalten. 2.7 Mährer und Ungarn Die Expansion der Mährer begann um 833, als Fürst Moimir den Fürsten Privina aus dessen Herrschaftszentrum Neutra (Nitra) (heutige Slowakei) vertrieb. Der Nachfolger Moimirs, Rastislav (846–870), wurde vor allem durch seine an Byzanz gerichtete Bitte um Missionare historisch bedeutsam. 864 dürften Konstantin und Methodios in sein Reich gekommen sein. 867 reisten sie über Venedig nach Rom, traten in päpstliche Dienste und erhielten 869 die Genehmigung für ihre slawische Liturgie. Konstantin (Kyrill) starb in Rom, Method kehrte zurück, wurde aber von den bairischen Bischöfen gefangen gesetzt : Es ging um politische Einflusssphären, die man durch die bei den betroffenen Neu-Christen eventuell sympathischere Liturgie in einer verständlichen Sprache massiv bedroht sah. Der empörte Papst erzwang Methods Freilassung. Rastislav wurde schließlich mit fränkischer Hilfe abgesetzt (und geblendet), sein Neffe Zwentibald I. (Svatopluk) gelangte an die Herrschaft (871–894). Er besiegte 872 Thüringer und Sachsen, die Ludwig der Deutsche gegen ihn geschickt hatte, ebenso wie die Baiern an der Donau. Um 885/980 hatte Zwentibald die größte Ausdehnung seiner Herrschaft erreicht : Ein Fürstentum an der Weichsel (vielleicht mit dem Zentrum in Krakau ?) anerkannte
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seine Oberhoheit, 890 verzichtete Arnulf von Kärnten zugunsten Zwentibalds auf Böhmen. Sein Einflussbereich umfasste neben Böhmen und Mähren die heutige Slowakei und Südpolen sowie Teile Ungarns und Niederösterreichs. Method war Erzbischof von Pannonien, später von Mähren. Freilich erhielt er einen fränkischen Suffraganbischof Wiching in Neutra (Nitra). Unmittelbar nach dem Tode Zwentibalds begannen sich die Ungarn in Pannonien und in der Donau-Theiß-Ebene festzusetzen (894–896). Als 907 die Baiern eine vernichtende Niederlage erlitten, dürfte damit auch das Schicksal des Mährerreiches besiegelt gewesen sein. Seither fehlt von ihm jede Nachricht. Methods Nachfolger und Schüler waren schon früher aus Mähren und Pannonien vertrieben worden. Ihr Konflikt mit dem bairischen Episkopat hatte natürlich einen machtpolitischen Hintergrund – Salzburg und Passau hatten kein Interesse an einer eigenständigen pannonischen oder mährischen Kirchenprovinz. Aber es stand auch ein dogmatischer Streit dahinter : Die fränkische Kirche hatte sich die spanische Anschauung zu Eigen gemacht, der Heilige Geist, die dritte göttliche Person, ginge nicht nur vom Vater, sondern auch vom Sohne aus (filioque-Streit). Demgegenüber beharrte Method auf der sowohl in Konstantinopel wie damals auch noch in Rom vertretenen älteren Anschauung des Konzils von Nikaia (Nicäa), nach welcher der Geist nur vom Vater seinen Ausgang nehme. Die Westslawen ebenso wie die pannonischen und Alpenslawen blieben also Rom erhalten, während das von Konstantin (Kyrill) und Method bei den Mährern und den pannonischen Slawen entwickelte Instrumentarium mit größtem Erfolg bei der Christianisierung der Ostslawen sowie der Serben und Bulgaren angewandt wurde. Im frühen 9. Jahrhundert waren die Magyaren ein Klientelvolk der Chasaren nördlich des Schwarzen Meeres. Von dort wichen sie vor der Bedrohung durch die Petschenegen nach Bessarabien und später in den Karpatenbogen aus. 881 wird ein Zusammenstoß mit ostfränkisch-bairischen Kräften apud Weniam, also bei Wien (erste Nennung !), gemeldet. Um 896 erfolgte die endgültige Landnahme der Ungarn in der Donau-TheißEbene und bis 900 auch in Pannonien, westlich der Donau. Von dort unternahmen sie Raub- und Plünderungszüge nach Italien, nach Baiern und tief in fränkisches Gebiet hinein. Den Zeitgenossen galten die Ungarn als neue Hunnen. Übrigens versuchte später (11./12. Jahrhundert) auch die ungarische Abstammungssage von Hunor und Magor, die Magyaren in eine engere Verwandtschaft mit den Hunnen zu bringen – das legitimierte die Landnahme der Ungarn, die ja nach dieser Lesart nur in das Land ihrer Vettern, der Hunnen, kamen. Um 900 wurde die Ennsburg errichtet – ein Indiz dafür, dass man bei den Baiern die neue Bedrohung nun ernst zu nehmen begann. Nach der bairischen Katastrophe von Pressburg 907, als der Graf Luitpold, mehrere Bischöfe und der größte Teil des bairischen Adels gefallen waren, wurde die Enns – wieder – zur Reichsgrenze.
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Allerdings siedelten die Magyaren nicht bis dorthin. Ähnlich wie die Awaren haben sie den Wienerwald mit Dauersiedlungen nicht überschritten, ebensowenig wie jene Höhenzüge, die die mittlere von der östlichen Steiermark trennen. Eine nicht sehr dichte Kette von ungarischen Wehrdörfern scheint östlich der Mur, aber auch im nördlichen Niederösterreich (Fallbach b. Staatz verweist auf fálva = Dorf, hier gibt es ebenso wie in der Steiermark auch den Ortsnamen Ungardorf ) die westliche Siedlungsgrenze gebildet zu haben. Westlich davon bestand (ähnlich wie bei den Awaren) ein Glacis, in welchem die Kontinuität zur karolingischen Siedlung nicht völlig abriss. So verunglückte der Freisinger Bischof 926 im Greiner Strudel auf der Reise zur Besichtigung freisingischer Güter in Niederösterreich. Der Markgraf Rüdiger von »Bechelaren« (Pöchlarn) des Nibelungenliedes könnte an einen bairischen Amtsträger der Ungarn zwischen Enns und Wienerwald erinnern. Einen anderen als diesen literarischen Hinweis gibt es jedoch nicht. Nach der Niederlage in der Lechfeldschlacht gegen den ostfränkischen König Otto I. 955 wurden die Ungarn sesshaft. Ihr Fürst Geza nahm das Christentum an. Zur Jahrtausendwende erhielt Stefan I. vom Papst Silvester eine Königskrone – das christliche Ungarn war geboren. Stefan war mit Gisela, einer Tochter des Bayern-Herzogs Heinrich der Zänker aus dem Geschlecht der Ottonen, vermählt. Das führte zu einer engen Verbindung zwischen dem christlichen Ungarn und dem bayerischen Bereich (den wir ab jetzt mit »y« schreiben, um auf diese Weise das ältere Baiern bis zum 10. Jahrhundert vom »jüngeren Stammesherzogtum« Bayern zu unterscheiden).
Abb. 3: Romanisches Kruzifix. © Stift Melk, Augustin Baumgartner, Graz.
3 Das Hochmittelalter Kolonisation und Landesbildung
Im hohen Mittelalter, also in der Zeit zwischen etwa 1000 und etwa 1250, beschleunigte sich der demographische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Wandel enorm. Die im frühen Mittelalter »erfundene« Dreifelderwirtschaft erweiterte mit Hafer und Roggen den Nahrungsspielraum für die Menschen und lieferte das Futter für die Pferde der Ritter. Der schwere Pflug ermöglichte die Bearbeitung tiefgründiger Böden. Das waren die technischen Voraussetzungen für eine bisher unbekannte Bevölkerungsvermehrung und -verdichtung, die im Nordwesten Europas begann und sich im Laufe des Hochmittelalters über den ganzen Kontinent ausbreitete. Die feudale Ausstattung mit Land und Leuten begünstigte die demographische Dynamik. Denn sie führte immer wieder zur Verselbstständigung der Belehnten bzw. Beschenkten. Der durch Belehnung oder Schenkung mit Land ausgestattete herrschaftliche Funktionsträger, ein Herzog, Graf oder Bischof, behauptete seine Stellung nur mit Hilfe einer kriegerischen Gefolgschaft, die tendenziell selbst wieder nach Landausstattung drängte. Lehensherren aller Stufen, vom König abwärts, waren daher ständig mit dem Problem des Schwindens ihrer Landreserven konfrontiert. Im 12. Jahrhundert hören die Königsschenkungen praktisch auf. Es musste also immer wieder Ersatz für das einmal ausgegebene Land gesucht werden. Aus dieser Eigentümlichkeit ist nicht nur die Aggressivität der europäischen Feudalgesellschaften nach innen und außen zu erklären, sondern auch das Streben nach Rodung und Kolonisation. 3.1 Die Kolonisation und ihre Folgen Um 1000 waren weite Gebiete des heutigen Österreich nur dünn besiedelt. Bis um 1300 wurde eine hohe Siedlungsdichte erreicht. Die vielfach heute noch erkennbare Verteilung von Wäldern, Ackerland und Grünland, von Dörfern, Marktsiedlungen und Städten, entstand in ihren Grundzügen in diesen Jahrhunderten.
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Um 1000 hatten im gesamten heutigen Österreich höchstens 200.000 bis 250.000 Menschen gelebt. In der Kolonisationsperiode wurden auf dem Gebiet der Republik Österreich ungefähr 100.000 Siedlerstellen geschaffen. Somit lebten hier im 13. Jahrhundert vielleicht 500.000 Menschen mehr als am Beginn dieser Periode. Niederösterreich (mit Wien) hatte damals etwa 70.000 Häuser – ungefähr 350.000 Einwohner. Der Alpenraum war immer noch ziemlich dünn besiedelt. Die Gesamteinwohnerzahl des heutigen Österreich überschritt kaum 700.000 bis 900.000 Menschen. Im 16. Jahrhundert waren es dann ungefähr 1,5 Millionen. Im Zuge der Kolonisationsbewegung weitete sich der Geltungsbereich des bayerischen Zweiges des (Mittel-)Hochdeutschen aus. Eine wachsende Bevölkerung ermöglicht Arbeitsteilung. Arbeitsteilung erfordert Austausch. Austausch braucht Verkehrswege und Marktplätze. Auch die Städteland schaft ist daher ein Produkt des Hochmittelalters. Um 1000 gab es gerade einige bescheidene Burgzentren (Salzburg, Enns, Krems). Um 1300 existierten schon die meisten heute bestehenden Städte – wenn man von den Veränderungen durch die industrielle Revolution absieht. Mit dem Fortschreiten der Kolonisation änderte sich auch die ländliche Siedlungsweise. An die Stelle von vereinzelten kleinen Weilern oder Haufendörfern traten größere Straßen- oder Angerdörfer. Allerdings waren auch im 13. Jahrhundert die bäuerlichen Behausungen zumeist bescheidene Hütten, die noch nicht einmal als Häuser (domus) galten, sondern zur Fahrhabe des Bauern gerechnet wurden. Eine Wüstung im südlichen Mähren (Pfaffenschlag, bei Slavonice, CZ), bestand zunächst aus hölzernen Grubenhütten. Erst im späten 13.Jahrhundert wurden Stallungen und Vorratsräume aus Stein gebaut oder wenigstens fundiert. Nicht wenige spätere Straßendörfer waren zunächst nur Zeilendörfer, bestehend aus einer Häuserzeile ; erst in späteren Jahrhunderten wurden sie zu Straßendörfern ergänzt. Von bayerischen, aber auch einheimischen (slawischen, romanischen) Kolonisten wurden zunächst die günstigeren Lagen erschlossen. Die Siedlungen lagen meist in den Tälern bzw. an deren Rändern, wenn entlang der Flussläufe das Gelände versumpft und hochwassergefährdet war. Auch eiszeitliche Terrassen über den Tälern, wie das Tiroler Mittelgebirge über dem Inntal, waren bevorzugte Siedlungsgebiete. Erst später drang man in den »Nordwald« – das Grenzgebiet zu Böhmen – und in die Gebirgstäler vor und erst zuletzt wurden die Höhenlagen besiedelt. Begonnen hat die intensivere bayerische Besiedlung entlang der Donau, in der neu eingerichteten Mark im Osten. Hier nahmen die bayerischen Hochstifte und Klöster ihre Besitztitel aus der Karolingerzeit wieder wahr – Salzburg etwa in der Wachau und um Traismauer, Passau im Tullnerfeld und um St. Pölten, Regensburg in und um Pöchlarn. In dessen Nähe erhielt Bischof Wolfgang von Regensburg 976/79 ein Stück
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Landes am Zusammenfluss von Großer und Kleiner Erlauf mit der Erlaubnis, hier zum Schutz für seine bayerischen und slawischen coloni eine Burg zu bauen. Offenbar war das Grenzland damals noch recht unsicher. Große Gebiete ebenso wie die wichtigsten Donauburgen (Krems, Tulln) blieben noch in der Hand der ottonischen und salischen Könige, die sie aber im Verlauf des 10. und 11. Jahrhunderts zum größten Teil an weltliche »Getreue«, besonders aber an Bistümer und Klöster weiter gaben. Schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts stabilisierte sich die Ostgrenze an March und Leitha, die Grenze gegen die Mährer rückte nach Norden. Jetzt begann eine intensive Besiedlung der nord- und südöstlichen Gunstlagen Niederösterreichs. Dieses Land ist offen, leicht zugänglich und verfügt meist über gute Ackerböden. Noch im 11. Jahrhundert wurden hier zahlreiche neue Ortschaften, aber auch schon Pfarrorte gegründet. Der »Nordwald«, das Waldland gegen Böhmen, wurde erst später erschlossen, ab der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. An dessen Südrand hatte das junge Kloster Göttweig um 1090 ein Stück Urwald erhalten. Zwei Jahrzehnte später wird hier die Rodung eines »Chotan« (slawischer Name !) – Chotansruti (Ortsname Kottes) – genannt. Und noch ein wenig später gibt es statt des Waldes des Chotan (Chotiwald) schon mehrere Dörfer. Vom Urwald bis zum besiedelten Land war kaum mehr als eine Generation vergangen ! Die Siedlungsverdichtung im Mühl- und Waldviertel mit ihren zahlreichen slawischen topographischen Bezeichnungen dauerte freilich noch bis weit ins 13. Jahrhundert. Die vielen sprechenden Ortsnamen auf -schlag, -schwend oder -reuth, oft in Verbindung mit einem Personennamen (Ortsname Ottenschlag), überliefern uns nicht nur Rodungstechniken, sondern auch die Namen von Ortsgründern. In diesem Prozess bildete sich auch die Grenze des werdenden Landes Österreich aus : 1179 legte Kaiser Friedrich I. (»Barbarossa«) im Einvernehmen mit den Betroffenen und den Reichsfürsten im Rahmen eines Friedensvertrages die Grenze zwischen Österreich und Böhmen bzw. Mähren fest. Der »Nordwald« kommt hier nicht mehr vor, das Waldland war schon von zahlreichen Siedlungen durchdrungen. Die Grenze entsprach ungefähr der späteren Landesgrenze, wenngleich es noch manche Verschiebungen gab. Ähnliche Vorgänge lassen sich überall feststellen. In der (späteren) Steiermark erfolgte die Bajuwarisierung (wie wir besser statt »Germanisierung« sagen) nicht von Nordwesten (direkt aus Bayern), sondern vom Nordosten her. Hier lag, heute in Niederösterreich, die Grafschaft Pitten (die »bucklige Welt«), ein von den Grafen von Formbach seit etwa 1050 beherrschtes und kolonisiertes Land, das nach deren Aussterben an die steirischen Markgrafen fiel. Noch um 1140 werden hier »Neubrüche«, Rodungen, genannt. Durch die seit 1158 bestehende Verbindung mit der karantanischen Mark wurde von hier aus das oststeirische Hügelland bayerisch besiedelt. Auch im engeren Bereich des karantanischen Herzogtums breiteten sich nun die bayerischen Siedlungen aus, wobei auch hier die günstigeren Lagen bevorzugt wurden, das Gebirge konnte warten. Vielfach lebten hier slawische und bayrische Siedler ne-
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beneinander, wie das topographische Namensgut, aber auch die Namen von Zeugen in Urkunden belegen. In diesem sprachlich bayerisch-slowenischen Mischungsgebiet kam es im Spätmittelalter zu Assimilationsvorgängen, in deren Verlauf die meisten bayerischen Kolonisationsgebiete südlich der späteren Sprachgrenze slowenisiert wurden, während sich nördlich davon die bayerische Variante des Hochdeutschen durchsetzte. In den westlichen Alpenländern des heutigen Österreich verliefen die Entwicklungen ähnlich, nur dass statt der slawischen hier die romanischen Dialekte allmählich zurückgedrängt wurden. Auch im äußersten Westen, in Vorarlberg, drang die Siedlung im Hochmittelalter in die Wälder vor, so in den bis ins 13. Jahrhundert kaum besiedelten Bregenzer Wald. Das Große und Kleine Walsertal bewahren bis heute in ihren Namen das Andenken an ihre Kolonisatoren – Bergbauern aus dem Wallis (spätes 13./14. Jahrhundert). Sie brachten eine entwickelte Alp- und Heuwirtschaft mit. Im nach Osten angrenzenden Tirol waren die bayerischen Bistümer wie Freising, Regensburg und Salzburg kolonisatorisch tätig, ebenso wie eine Reihe von Adelsgeschlechtern, die ebenfalls ihren Besitz – und dessen Ertragsfähigkeit – ausdehnten, um im feudalen Konkurrenzkampf bestehen zu können. Dagegen dominierte im späteren Land Salzburg der Erzbischof mit seinen weitläufigen Besitzungen und seinen zahlreichen Leibeigenen den Landesausbau. Nur in einigen Regionen (Pinzgau, Gasteiner Tal) hatten auch Adelsgeschlechter Anteil daran. Die Romanen des Landes wurden in diesem Prozess endgültig bajuwarisiert. Den Siedlungsfortschritt kann man vor allem durch das Auftreten von immer mehr neuen Ortsnamen belegen. Frühe bayerische Besiedlung ist mit echten »-ing«-Namen verbunden, auch Namen auf -hausen, -hofen, -heim gelten als Belege für frühe bayerische Siedlung. Später dominieren Bezeichnungen mit -dorf, wobei diese Namen in Verbindung mit einem Personennamen wohl den Dorfgründer (und Dorfherren ?) überliefern. Nicht wenige dieser Dorfnamen in Niederösterreich sind mit slawischen Personennamen kombiniert, wie Stammersdorf (heute in Wien). Vielleicht waren das kleinere mährische Herren, die nach etwa 1050 in den Dienst der Babenberger traten. Im erst im 12./13. Jahrhundert erschlossenen Mühl- und Waldviertel dominieren die genetivischen Ortsnamen, die uns (wieder) den Namen des Dorfgründers überliefern. – Das schönste Beispiel für das Fortschreiten der Siedlung bietet aber nicht das heutige Österreich, sondern Slowenien. In Oberkrain kann man von den Königsschenkungen an den Freisinger Bischof Abraham von 973 bis ins Spätmittelalter den Landesausbau um den Mittelpunkt der freisingischen Herrschaft Bischoflack (Škofja Loka) genau beobachten. Zunächst wurde die einheimische slowenische Landbevölkerung in Ämtern und nach Huben organisiert, dann erfolgte ein organisierter Zuzug aus Bayern, aber auch aus Kärnten. Um 1160 gab es schon 160 slawische und 90 bayerische Huben, dazu kamen 15 Huben von Kärntnern, wohl aus dem freisingischen Gebiet um
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Maria Wörth oder am Lurnfeld, damals ebenfalls Slawen. Bis 1291 hat sich die Zahl der Huben fast vervierfacht, von etwa 300 auf 1181. Die Ebene zwischen Bischoflack und Krainburg war jetzt schon so dicht besiedelt, dass keine neuen Stellen mehr eingerichtet wurden. In den Bergregionen hat man aber noch im späteren 13. Jahrhundert Bauern aus dem heutigen Südtirol (Innichen) angesiedelt, deren deutsche Sprachinseln lange Bestand hatten. 3.1.1 Ein neues Bauerntum
Auch die sozialen Organisationsformen der Leute, die den Boden bebauten, wandelten sich. Zunächst herrschten (Meier-oder Vieh-) Höfe der Herren vor, mit Unfreien, die die Arbeit leisteten. Im 12. Jahrhundert trat die Eigenwirtschaft der Herren langsam zurück. Erfolgte die Abschöpfung der agrarischen Erträge bislang in Form von Arbeitsrenten, so traten nun die Produktrente und bald auch die Geldrente in den Vordergrund (Rentengrundherrschaft). Die Meierhöfe wurden im 12. und 13. Jahrhundert immer öfter an Bauern vergeben und dabei meist aufgeteilt – aus einem Meierhof wurden zwei, meist aber drei oder mehr bäuerliche Huben oder Lehen. Diese Entwicklung setzte im Osten früher ein als im Westen. Wahrscheinlich trug der Weinbau im östlichen Österreich und das rasche Wachstum von Wien zu diesem eigenartigen Vorsprung des Kolonisationsgebietes vor dem Altsiedelland mit seinen konservativeren Strukturen bei. Nun verlor die Unfreiheit ihre Bedeutung – aber noch in der Mitte des 13. Jahrhunderts hatten bayerische Klöster bis zu einigen hundert servi (wörtlich : Sklaven) auf ihren Höfen ! Um 1200 unterteilte man die Leute, die einem Herrn unterstanden, in »Bauleute« auf den landwirtschaftlichen Betrieben, »Eigenleute« (servi, proprii oder mancipia), »Zensualen« (Leute, die zu einem Zins verpflichtet waren) und Ministerialen. Nur die ersten drei bildeten die bäuerliche Untertanenschaft. Aber diese Kategorien verloren an differenzierender Bedeutung. Die hochmittelalterliche Kolonisation brachte schließlich eine neue gesellschaftliche Klasse hervor, nämlich die weitgehend einheitliche, herrschaftlich abhängige, aber ökonomisch selbstständige Bauernschaft. Dieser grundherrlich abhängige Bauer hatte eine Hube (oder Hufe) inne, später oft auch eine halbe oder eine Viertelhube. Etwas später (im 12. Jahrhundert) wurde der Begriff »Lehen« oft auch für bäuerlichen Besitz üblich. Das war eher im Osten des Kolonisationsgebietes der Fall. Das »Lehen« war im Allgemeinen mit Geldabgaben verbunden (Zinslehen). Zwischen bäuerlichen und Ritterlehen waren im 13. Jahrhundert die Übergänge noch fließend. Bald begegnen auch Halb- oder Viertellehen.
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Das Hochmittelalter
3.1.2 Von der »Burg« zur »Stadt«
Das »städtische« Leben der Spätantike war im Frühmittelalter weitgehend erloschen, doch dürften bestimmte Plätze auf Grund ihrer Befestigungen in reduziertem Umfang weiter benützt worden sein. Auch die Salzburger Mission des 8./9. Jahrhunderts knüpfte an antike Stadtplätze an (Virunum, Teurnia – verballhornt zu »Liburnia« – Flavia Solva, Poetovio). In Salzburg selbst erhielt Hrodbert (Rupert) vom Herzog Theodo um 696 die Reste der alten Römerstadt Iuvavum und das castrum superius (»die obere Burg«) auf dem Nonnberg. Spätestens im 10. Jahrhundert wurde im Anschluss daran eine Kaufmannssiedlung angelegt, für die 996 Otto III. dem Erzbischof Hartwig einen täglichen Markt verlieh. Der Bedarf an unentbehrlichen Gütern (Salz, Vieh, Eisen in geringem Umfang) hatte immer einen überregionalen Handel nötig gemacht. Dieser Handel brauchte Schutz. Den Schutz gewährte der König bzw. sein Amtsträger, der Graf, für einen bestimmten Sprengel. Orte des Warenaustausches waren befestigte Plätze, meist Zentren königlichen Besitzes und damit öffentlicher Herrschaftsausübung. Unter den Handelstreibenden treten Juden hervor (iudaei vel ceteri mercatores in der von uns schon genannten Raffelstettener Zollordnung von 904/906). Die befestigte Siedlung wurde im Althochdeutschen als burg bezeichnet, woher die Burgbezeichnung in vielen alten Stadtnamen stammt (Salzburg, Judenburg, Klosterneuburg und Korneuburg, Ybbs – urspr. Ybbsburg, Steyr – urspr. Stiraburg, Enns – urspr. Ennsburg usw.). Im 11. Jahrhundert erschienen solche Mittelpunktsorte teilweise in der Hand der öffentlichen Amtsträger (Babenberger, Otakare), teils gingen sie in kirchlichen Besitz über. Eine größere Zahl von Burgstädten lag an der Donau bzw. in ihrem näheren Einzugsbereich. Neben diesen »öffentlichen« Burgorten waren auch die Zentren geistlicher Immunitäten (Brixen, Laufen, Villach, Eferding, St. Pölten, Pöchlarn, Mautern) wirtschaftliche Umschlagplätze. In diesen Fällen dürfte für die Stadtentwicklung ein königliches Marktprivileg (wie das schon erwähnte für Salzburg) Bedeutung erlangt haben. St.Pölten erhielt im 12. Jahrhundert (1159) von seinem geistlichen Herrn (dem Bischof von Passau) ein ähnliches Privileg. Auf dem Höhepunkt der Städtegründungswelle des 12./13. Jahrhunderts zeigen Namen wie Wiener Neustadt (nach 1194) und Freistadt (um 1200), dass sich Burg und Stadt begrifflich getrennt haben. Der Terminus »Burg« wird ab nun befestigten Sitzen vorbehalten. Die mit den adeligen Höhenburgen korrespondierenden Marktflecken hat man seither in der Regel als »Markt« bezeichnet. In der neuen »Stadt« spielt die Schutzfunktion (Stadtburg, Mauer) weiterhin eine zentrale Rolle. Als Städtegründer und Stadtherr fungiert zunächst der König. Daneben jene Gruppen, die man seit dem 12. Jahrhundert als »Reichsfürsten« bezeichnete, geistliche wie weltliche. Das System war noch offen : Städtegründung unterstrich den Anspruch auf
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fürstliche Stellung des Gründers. Zeitlich ist diese Phase relativ kurz. Alle wichtigen Ausbauten älterer Plätze und Neugründungen erfolgten zwischen 1180 und etwa 1280. Das war nicht zufällig jene Periode, die sowohl für die babenbergischen Gebiete (Österreich und Steiermark) wie auch für Salzburg und Tirol als Zeit wirtschaftlicher Blüte und erfolgreichster herrschaftlicher Konzentrationspolitik (Landesbildung) gilt. Die Neugründungen stechen durch ihre regelmäßigen Grundrisse und die großen, meist rechteckigen zentralen Platzanlagen ins Auge. Die Stadtburg rückt an den Rand, in eine Ecke der Stadtmauer ; eine ähnliche Randstellung nehmen die gegen Ende der Periode rasch zunehmenden Bettelordensklöster ein. Nach Auffassung des 13. Jahrhunderts gehörte zu einer Stadt auch ein spezielles Stadtrecht. Solche »komplette« Stadtrechtsurkunden sind zunächst für Enns (1212), wenig später für Wien (1221) erhalten. Sie bedeuten in diesen Fällen aber nicht den Beginn der städtischen Siedlungs- und Sozialformen. Bestimmte Vorrechte zielten auf die Sicherung der Stellung im Handel, etwa die Niederlagsrechte für Wien (1221) und Innsbruck (1239). Durch sie wurde der Warenverkehr zugunsten eines bürgerlichen Abnahmemonopols unterbrochen. Ähnlich wirkte die Bannmeile, also die Untersagung nichtstädtischer Handels- bzw. später auch Gewerbetätigkeit in einem bestimmten Umkreis um die Stadt (Aschbach vor 1238, Enns 1244). Die frühe städtische Oberschicht war Teil der herrschenden feudalen Gewalten. Sie stammte zum Großteil aus der herrschaftlichen familia, also dem Gefolge des Stadtherrn. Oft hatten deren militärische oder administrative Funktionsträger, Ministerialen oder ritterliche Burgmannen, die Verwaltung finanzieller Einkünfte inne. Von diesen ritterlichen Gruppen gab es daher Querverbindungen zu den wohlhabenden Kaufleuten. Die Immunität des Marktgebietes zog die Ausbildung eines eigenen städtischen Rechtsbezirkes nach sich. Dieser stand anfangs unter der Kontrolle eines herrschaftlichen Organs, eines eingesetzten Richters. Zur Führung der täglichen Geschäfte entstand eine gremiale Organisation, die vor, zumeist aber erst nach 1250 zum Rat wurde. Neben Stadtadel, ritterlichem und bürgerlichem Patriziat sowie Handwerkern gab es in den meisten Städten Institutionen und Gruppen, die wohl zum Siedlungsverband der Stadt gehörten, nicht aber rechtlich zur Bürgergemeinde. Das war zunächst die Geistlichkeit, vor allem die Konvente der Bettelorden, deren Seelsorge- und Fürsorgetätigkeit auf die wachsende Stadtbevölkerung ausgerichtet war (erste Dominikanerniederlassung 1217 in Friesach), ferner stadtherrliche Funktionäre, das Gesinde der adeligen und geistlichen Feudalherren, auch der Landadel selbst. Auch die Juden wohnten zwar in der Stadt, gehörten aber nicht zur Stadtgemeinde. Vor dem 12. Jahrhundert zumeist in der Nähe der Burgstädte nachweisbar, siedelten sie seither innerhalb der Ummauerung, wenn auch als soziale Sondereinheit. Die Lage des Judenviertels signalisiert dabei häufig den besonderen Schutz, den sie von Seiten des
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Stadtherrn genossen – etwa in Wien, wo der Judenplatz der herzoglichen Burg »am Hof« benachbart lag. Den Wiener Juden erteilte Kaiser Friedrich II. 1238 ein Privileg, doch erließ der Babenberger Herzog Friedrich II. 1244 eine neue, das kaiserliche Privileg ablösende Judenordnung, die neben Rechtssätzen über die persönliche Sicherheit und Gewährleistung der religiösen Einrichtungen vor allem die Regelung des Pfandund Kreditwesens zum Inhalt hatte. Hinsichtlich der Größe der Städte ist man auf Schätzungen angewiesen. Der arabische Geograph Idrisi nannte 1153 Krems und Wien als wichtigste Donaustädte neben Ulm, Regensburg und Passau ; Arnold von Lübeck bezeichnete 1189 Wien als »bedeutende Stadt«. Am Ende der Babenbergerzeit war Wien mit etwa tausend Häusern die bei Weitem größte Stadt des heutigen Österreich – je nach angenommener Belagszahl der Häuser ergibt das Einwohnerzahlen zwischen 10.000 und 20.000. Aus der Masse der Kleinstädte ragten ferner Krems-Stein, St.Pölten, Linz und Salzburg mit 2000 bis 5000 Einwohnern heraus. 3.2 Helden und Heilige Das Ideal der Herren war der Held. Am Beginn des Nibelungenliedes, das um 1200 im Umkreis des Passauer Bischofshofes entstand und dessen Autor sich an der österreichischen Donau hervorragend auskannte, war von helden lobebaeren, von lobenswerten Helden, die Rede, die freilich allesamt einem furchtbaren Schicksal entgegen gingen. Grôze arebeit bedeutete in diesem Zusammenhang nicht Handarbeit, sondern Kummer, Not und letztlich den Tod. Aber der Held durfte den Tod nicht fürchten. Der junge »Recke« wurde zur Gewaltanwendung erzogen. In den Turnieren, wie sie im 13. Jahrhundert Ulrich von Liechtenstein beschrieb, wurden Kampfszenen geübt, und nicht selten gingen sie ebenso schlimm aus wie wirkliche Kämpfe. Eine Zeit voller Gegensätze : Gleichzeitig mit der Rodung der Wälder, der Gründung von Dörfern, Städten, Klöstern und Burgen war Gewaltausübung an der Tagesordnung. Die Quellen sprechen von Tötungen (etwa der Grafen von Wels-Lambach um 1050, des Grafen Wilhelm von Friesach durch den Eppensteiner Adalbert, auch der junge Stauferkönig Philipp wurde 1208 ermordet), Blendungen (Erzbischof Herold von Salzburg, 954) oder Entmannungen (ein Patriarch Lupus von Aquileja, etwa zur gleichen Zeit wie die Blendung Herolds). Dabei ging es nicht nur um Brutalität und Rache, sondern auch um Politik : Die so Entstellten konnten kein hohes Kirchenamt mehr bekleiden. Blanke Gewalt besorgte auch häufig den Nachschub an Unfreien : In einer Lebensbeschreibung des Salzburger Erzbischofs Konrad (ca. 1170/77) heißt es, Raub und Verkauf von Menschen beiderlei Geschlechts seien von altersher durchaus üblich gewesen, erst jetzt galten sie als selten, ja unerhört. Also bis um die Mitte des 12. Jahrhunderts
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war Menschenraub und -verkauf ein ganz normales Mittel zur Ergänzung der unfreien Untergebenen ! 3.2.1 Kirchenreform und Reformkirche
Die Geistlichkeit sprach nicht nur von der Milde Christi, sondern auch von der Hölle und von ewiger Verdammnis, wenn jemand mit schwerer Schuld belastet starb. So manche Klostergründung verdankt sich wohl dem erwachenden Schuldbewusstsein der Helden. Nur langsam wurden diese Helden zivilisiert. Norbert Elias hat diesen Vorgang mit der Herausbildung höfischer Zentren und dem dort üblich werdenden Zwang zu »höfischem«, höflichen Betragen erklärt. Zweifellos war der »wonnigliche Hof« zu Wien ein solches Zentrum – aber er wurde es erst unter den letzten Babenbergern. Die höfische Zivilisation war nur ein Weg zur überaus langsamen Reduktion der täglichen Gewaltsamkeit. Sicher trug auch das Bemühen der Kirchenreformer etwas zum Bewusstsein bei, dass es keine große Heldentat sei, pflügende Bauern zu berauben oder zu erschlagen oder friedlichen Kaufleuten ihre Güter weg zu nehmen. Die Bewegung um einen Gottesfrieden (treuga Dei) musste sich lange mühen, bis die rauflustigen Helden wenigstens einige Räume und Zeiten des Friedens anerkannten : Friedhöfe, Kirchen, Marktzeiten, Sonn- und Feiertage. Breiter durchsetzen konnten sich diese Gottesfrieden nur, wenn auch eine weltliche Gewalt etwas zu ihrer Durchsetzung tat. Erste Ansätze gab es schon unter Kaiser Heinrich IV. (1085). 1103 ließ der Kaiser einen Frieden auf vier Jahre (!) für das ganze Reich beschwören, spätere Kaiser folgten diesem Vorbild. Mit der Durchsetzung der Landesherrschaft des im 12. und 13. Jahrhundert entstandenen Landesfürstentums wurden die Länder zu Friedensgebieten. Die Verkündigung und Aufrechterhaltung des Landfriedens war jetzt Sache der Fürsten und gemeinsam mit ihnen der jeweiligen Landstände. Die Träger der Kirchenreform und die großen Prediger wie Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153) sprachen von der Nachfolge Christi, die durchaus einer heldischen Anstrengung entspräche und eines Herren und Helden würdig sei. Tatsächlich wurde die Reform von Cluny (ab 910) oder die Radikalisierung des benediktinischen Mönchtums durch Zisterzienser (Gründung von Citeaux 1098, Ausbreitung durch Bernhard von Clairvaux ab 1112) und Kartäuser (1084 gründete Brun von Köln das erste Kloster in Chartreuse bei Grenoble) von Menschen aus denselben Gruppen getragen, die auch die zahllosen Fehden, Überfälle und Kämpfe um Besitz und Ehre ausfochten. Die strengen Varianten des Klosterlebens waren attraktiv : Das Leben in einem Zisterzienserkloster mit seinen über den Tag und die Nacht verteilten Gebetszeiten und seiner überaus asketischen Ordnung war in der Tat ein ständiges Heldentum – das man auch nur in den ersten Generationen in dieser Strenge ertrug. Die geistlichen Herren aber
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waren genauso Herren wie die weltlichen und ebenso selbstbewusst – aber es ging dabei nicht um ihre persönliche Position, sondern um die Ehre Gottes, ihrer Kirche bzw. des der Kirche als Patron vorstehenden Heiligen. Ottonen und Salier begünstigten die Reichskirche in besonderer Weise – durchaus im eigenen Interesse. Bischöfe von Reichsbistümern erhielten reiche Besitzungen und weltliche Herrschaftsrechte. Durch ihre Herkunft aus den besten Familien und durch die Erziehung in der kaiserlichen Kapelle oder in Domschulen wie der von Bamberg blieben sie mit dem Hof und seinen Zielen eng verbunden. Sie dienten unter anderem als schriftkundige Kanzler, die auch selbst Politik betrieben. Es bestand keine Gefahr, dass sie die ihnen übertragenen Ämter und Besitzungen legal vererben konnten, wie dies bei den weltlichen Amtsträgern seit dem 10./11. Jahrhundert immer üblicher wurde. Die Alpenländer standen bei der Ausstattung von Bistümern mit Besitz und Herrschaftsrechten im Mittelpunkt – das hängt mit der Sicherung der Wege nach Süden zusammen. So gab Kaiser Heinrich II. nach der Gründung des Bistums Bamberg dem neuen Bischof Villach und das Kanaltal sowie reichen Besitz im Lavanttal (1007). Die Bischöfe erhielten aber nicht nur großen Grundbesitz, samt Immunität, sondern auch königliche Rechte, Regalien. Chur bekam von den Ottonen Forstbann, Zoll- und Fischereirechte. Salzburg erhielt schon im 10. Jahrhundert Forst, Jagd und Fischerei, unter Otto III. 996 schließlich Marktrechte (für die frühstädtische Siedlung in Salzburg) und das Münzregal übertragen. Brixen wurden bereits 893 Forstrechte verliehen, im 11. Jahrhundert Befestigungsrechte, Zoll und Wildbann. An Freising hatten Otto II. und Otto III. neben reichem Grundbesitz in Niederösterreich, Kärnten und Krain Jagd-, Fischerei-, Markt- und Münzrechte übertragen, an Passau seit 976 Zollrechte, 999 Markt- und Münzregal. Aquileja bekam im 11. Jahrhundert Befestigungsrechte, Münz- und Wildbannrechte, Augsburg unter Heinrich IV. Wildbann und Münze, Bamberg schließlich von Konrad III. Markt und Zoll. Diese Aktionen wurden im 11. Jahrhundert durch die Übertragung von Grafschaften gekrönt. Die freien Kriegerbauern, die Nachfolger der fränkischen oder bairischen Stammeskrieger, die vordem der Graf aufzubieten gehabt hatte, waren allerdings schon weitgehend verschwunden, zum Teil sogar im Gefolge von Königsschenkungen an Kirchen gelangt (Niederösterreich 985 : Übergabe von Freien durch den Kaiser an den Bischof von Passau). Die Grafschaftsübertragungen betrafen zunächst das spätere Land Tirol : 1027 erhielt der Bischof von Trient durch Konrad II. die Grafschaften Trient, Vinschgau und Bozen, im selben Jahr bekam der Bischof von Brixen die Grafschaft im Eisacktal, die im Pustertal 1091. Aquileja erhielt nach Grafschaftsrechten in Friaul sogar die Marken Istrien und Krain übertragen. Die zunächst von Cluny ausgehende Reformbewegung forderte nicht nur eine Rückbesinnung von Klerus und Laien auf ursprüngliche Werte des Evangeliums.
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Sie lehnte die Einsetzung von Bischöfen und Äbten durch weltliche Gewalten – nämlich die Kaiser – radikal ab. Auch die Verwendung des Kirchengutes vorwiegend oder ausschließlich für die Zwecke der Herrscher stieß auf Kritik – es hatten die Reichserzbischöfe und -bischöfe dem Kaiser auf jeder Italienfahrt ihre bewaffnete Gefolgschaft zur Verfügung zu stellen ! Diese Ablehnung der »Simonie« war Teil jener gewaltigen Emanzipationsbewegung der westlichen Kirche, die als »Investiturstreit« nur unzulänglich charakterisiert wird. Die Kirche sollte völlig aus der Vormundschaft des Kaisertums befreit werden. Dieses Interesse konnte für die Zeit der intensivsten Auseinandersetzungen (ca. 1056–1122) Reformkirche und wichtige Teile des Adels zusammenführen – oder auch auseinander. 3.2.2 Mönchsklöster und Chorherrenstifte, Ordensgemeinschaften
Die Verbindung von monastischen Reformbewegungen und Papsttum stärkte dessen Position massiv. Dadurch erst erhielt die römische, westliche Papstkirche ihre »klassische« Gestalt. Die großen Äbte von Cluny oder der heilige Bernhard von Clairvaux, Papst Innozenz III. und Franz von Assisi gehörten zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des ganzen Mittelalters. Dahinter steht nicht nur die geistige Ausstrahlung bedeutender Einzelpersönlichkeiten. Dieser gewaltige geistig-religiöse Aufbruch ist wohl nur durch die Intensivierung des christlichen Glaubens- und Gewissenslebens zu erklären : Nun erst wurde es zumindest vielen Mitgliedern der herrschenden Eliten wirklich bewusst, was die Evangelien berichteten – und forderten. Neue kirchliche Organisationsmuster entstanden : Zum Unterschied vom älteren, benediktinischen Klosterwesen hat schon Cluny seine Gründungen stärker an sich gebunden. Im 12. und 13. Jahrhundert erhielten sowohl die Zisterzienser als auch die Bettelorden eine den einzelnen Häusern übergeordnete territoriale (Provinz-)Organisation – die ersten wirklichen Orden. Die an der Benedikts-Regel orientierten Klöster waren ja selbstständige, miteinander höchstens durch Gebetsverbrüderungen verbundene Häuser. Schließlich wurde die römische Kirche durch den Ausbau der Kurie und die Ausgestaltung des kanonischen Rechtes seit dem 12. Jahrhundert auch organisatorisch zu einer das ganze »lateinische« Europa umspannenden und von den weltlichen Herrschaftsträgern – für kurze Zeit ! – weitgehend unabhängigen Großorganisation. Gründungen der Reformbewegung waren als Mönchsklöster (Benediktiner) etwa Ossiach (vor 1028), Lambach 1056, Admont 1074, St. Paul im Lavanttal 1091/1109, Göttweig – gegründet als Kanonikerstift 1083/1094, Melk 1089, Arnoldstein 1106, St. Lambrecht 1109, Seitenstetten 1114, Altenburg 1144 oder das Schottenstift in Wien 1155. Nonnenklöster entstanden in St.Georgen am Längsee (um 1010) und in Göss (um 1000, 1020 Reichsstift), jenes in Gurk war nur von kurzer Dauer.
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Auch die Weltpriester sollten in klosterähnlichen Verbänden (Kanonikerstifte) zusammengefasst werden. Diese wurden häufig in Augustiner-Chorherrenstifte umgewandelt, so St. Florian 1071, St. Pölten 1081 oder Klosterneuburg 1133. Neu gegründet wurden Reichersberg 1084, 1112 St. Georgen (später nach Herzogenburg verlegt), Ranshofen 1125, Suben 1142, Vorau 1163, Stainz ca. 1229, Eberndorf 1132/1149 usw. In diesen Stiften lebten Priester nach der Ordensregel des heiligen Augustinus. Sowohl Mönchsklöster wie Chorherrenstifte waren häufig Doppelklöster, d. h., es gab neben dem Herrenstift ein Frauenstift. Zisterzienserklöster wurden niemals auf gut sichtbaren Höhen, sondern in entlegenen, nicht selten unwirtlichen Tälern errichtet. Der Verzicht auf jeglichen Herrschaftsanspruch äußerte sich auch im Fehlen großer Kirchtürme. Sie waren zunächst auch nicht Grundherren, sondern bebauten durch Laienbrüder (Konversen) eigenes Land (Grangien). Die erste Zisterze entstand im steirischen Rein (1129), es folgten Heiligenkreuz (1133), Sittich (Stična) (1136), Zwettl (1138), Baumgartenberg (1142), Viktring (1142), Wilhering (1146) und Lilienfeld (1202). Prämonstratenser waren reformierte Chorherren, die ähnlich unwirtliche Örtlichkeiten aufsuchten wie die Zisterzienser. 1128 erfolgte die Umwandlung von Wilten in ein Prämonstratenserstift, 1149/1159 die Gründung von Geras und Pernegg als Herren- und Frauenstift, 1218 die von Schlägl, 1236 von Griffen in Kärnten. Nicht nur Klöster wurden errichtet, sondern auch immer mehr Pfarrkirchen. Besonders im 12. und 13. Jahrhundert vermehrt sich deren Zahl ganz deutlich. 3.2.3 Kultur des Heiligen, Kultur der Helden
Mit den wachsenden Städten, den zahlreichen neuen Pfarrorten und Dörfern, vor allem aber mit den Klöstern und (Kanoniker- bzw. Chorherren-) Stiften ändert sich die gesamte Kulturlandschaft. Während aus der Karolingerzeit an bis heute bestehenden Bauten aus Stein eigentlich nur die Linzer Martinskirche und die Kirche zu Karnburg übrig blieben (der Salzburger Virgil-Dom wurde im 12. Jahrhundert abgetragen, um einem Neubau zu weichen), dürfte der älteste noch bestehende Bau des 10. Jahrhunderts das auf den heiligen Wolfgang von Regensburg und das Privileg von 976/79 zurückgehende Oktogon von Wieselburg sein, das später in die Apsis einer gotische Kirche umgewandelt wurde. Nur wenige Kilometer entfernt verweist der Ortsname »Steinakirchen« auf die Seltenheit des Steinbaues ; übrigens gibt es auch den Ortsnamen Holzkirchen. Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts wuchsen Türme empor – Türme von Pfarr- und Klosterkirchen, die Wehr- und Tortürme der neuen Städte, die Türme der Adelsburgen. Diese neuen Kirchenbauten müssen die Zeitgenossen sehr beeindruckt haben – die Kathedrale von Gurk oder die Stiftskirchen von St. Paul oder
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Klosterneuburg sind ja bis heute mächtige Zeugen dieser Baukunst. Das großartigste Denkmal romanischer Baukunst muss der neue Dom von Salzburg gewesen sein, der allerdings im 17. Jahrhundert einem barocken Neubau weichen musste. Neben den Kirchen entstanden auch eindrucksvolle Rundbauten, die Karner (etwa) von Tulln, Deutsch-Altenburg oder Pulkau. In diesen Kirchenbauten haben sich – leider oft nur sporadisch – zum Teil hochwertige Fresken erhalten. Spät entdeckt wurde die von Lambach, die durch den barocken Umbau paradoxer Weise vor späteren Zerstörungen bewahrt wurden. Besonders zu nennen ist die Ausmalung der Johanneskapelle zu Pürgg, hoch über dem Ennstal. Auch in der Burg Ottenstein (Waldviertel, Niederösterreich) blieben bemerkenswerte Fresken erhalten. Eine durchaus rätselhafte Bauplastik schmückt die Pfarrkirche von Schöngrabern. Einen weiteren Höhepunkt der Kunst des Hochmittelalters bildete die Buchmalerei. Sie entwickelte sich – wieder, nach den karolingischen Anfängen – mit der neuerdings aufblühenden Schriftkunst. Wieder stand Salzburg am Ausgangspunkt. Mit der Reformbewegung sind aber auch Einflüsse aus anderen Kulturlandschaften nachweisbar. Zunächst wurden nur liturgische Bücher abgeschrieben, denn man brauchte natürlich die Messtexte (Missale), Texte der Evangelien (Evangelistar), aber auch die der Psalmen, die täglich im Stundengebet der Mönche gesungen wurden (Psalterium). Dazu kamen einige Kommentare zur Heiligen Schrift. Durch die Abschriften etwa des Boëthius leisteten die Mönche zusätzlich wertvolle Überlieferungsarbeit auch für Texte aus der »klassischen« Antike. Schon sind erste Ansätze der Geschichtsschreibung (Annalistik – Melker Annalen, 12. Jahrhundert) zu beobachten. Man schrieb aber nicht mehr nur lateinische Texte. Die berühmte »Millstätter Genesis« ebenso wie analoge Handschriften aus Vorau und Wien enthalten die ältesten Beispiele frühmittelhochdeutscher Dichtung im Ostalpenraum. Es handelte sich vorerst (»Genesis«) um Nachdichtungen von Büchern des Alten Testaments. Eine Klausnerin Ava schrieb in Niederösterreich (in Göttweig oder in Melk) als erste Dichterin in deutscher Sprache ein Leben Jesu. Es muss also eine wachsende Nachfrage nach religiösen Themen in der Alltagssprache gegeben haben. Ein Laienbruder Heinrich von Melk kritisierte um 1160 in seiner satirischen Schrift »von des tôdes gehugede« die Sinnlosigkeit des weltlichen Treibens der höfischen Geselligkeit. Damit nahm er auch jene damals noch junge Minnedichtung aufs Korn, die im Bereich des heutigen Österreich etwas verspätet, aber lebhaft erblühte. Dafür stehen Namen wie der Kürnberger oder Dietmar von Aist, deren Dichtungen in die Zeit von etwa 1150 bis1175 fallen. Dann Reinmar von Hagenau, »tonangebender Hofpoet am Babenberger Hof in Wien« (Helmut de Boor), früh, schon um 1205 gestorben – er schuf die klassische Form der Minnelyrik. Reinmar war der Lehrer Walthers von der Vogelweide. Aber der Schüler wuchs dem Lehrer über den Kopf, was dieser nie verwand.
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Schon 1198 musste Walther Wien verlassen, den »wünneclîchen hove ze Wiene«, wo er »singen und sagen« gelernt hatte – ohne dass wir den Grund dafür kennen. Zu diesen großen Schöpfungen der mittelhochdeutschen Literatur gehört auch die Epik, vor allem das große Heldenepos des Nibelungenliedes. Da im Lied selbst der historische Bischof Pilgrim von Passau (10. Jahrhundert) genannt wird, dessen literarische Interessen bekannt waren, ist wohl Passau der Ort der Vollendung dieser großen epischen Dichtung gewesen. Der Dichter selbst kommt sicher aus dem Umkreis des Passauer Bischofs – und er war im ganzen Donauraum hervorragend bewandert. Das Los der Helden, nämlich Kampf, manchmal Sieg und zuletzt sicherer Tod, wird hier in vielen Strophen dargestellt, aber auch Motive von Liebe und Rache. Von christlicher Religiosität ist nichts zu spüren, das Heldische steht ganz im Vordergrund. 3.3 Herzogtümer und Marken Der Blick in historische Atlanten zeigt in der Regel Flächenfarben für Reiche und Herzogtümer des Hochmittelalters. Diese Informationen führen jedoch in die Irre. Zwar haben die Herzöge nach dem Ende der Karolinger die neuen ostfränkischen Könige (Konrad I., 911–919, Heinrich I., 919–936) gewählt. Zwar war der Herzog oberster Gerichtsherr für die Freien, Grafen und Herren seines Sprengels ; zwar hatte er das Aufgebot für den König bereitzustellen, aber diese Rechte waren durch geistliche Besitztümer und deren Immunitäten ebenso begrenzt wie durch die Herrschaftsrechte anderer weltlicher Herren. Ferner : 955 wurde das militärische Aufgebot nach Herzogtümern aufgerufen, einige Jahrzehnte später nach Lehensträgern – damit war eine wichtige Herzogsfunktion faktisch obsolet geworden. Zudem reichten die Aktivitäten der adeligen Geschlechter stets über die in den historischen Atlanten gezeigten Grenzen hinaus – da konnte schon einmal ein sächsisches Geschlecht wie die Grafen von Weimar (-Orlamünde), im Süden, in Krain und Istrien, Besitz und Herrschaftsrechte innehaben. Alle diese großen Familien, Herzöge, Grafen und freie Herren ohne besondere Titel, waren miteinander zumindest durch Verschwägerungen verbunden. In Wirklichkeit waren sie eine einzige, überschaubare Gruppe von Mächtigen, deren innerer Zusammenhalt und das gemeinsame Selbstverständnis als heldenhafte »Recken« heftige Konkurrenzkämpfe keineswegs ausschlossen. Diese Herren hatten zunächst kaum ein genealogisch fundiertes (»agnatisches«) Bewusstsein, sondern eher ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit in derselben Zeitebene (»kognatisch«), als Brüder, Schwestern, Vettern, Schwäger und Schwägerinnen. Eine intergenerationelle Verbundenheit innerhalb eines Geschlechts entwickelte sich erst im Hochmittelalter, nicht zuletzt durch die Gründung von Klöstern, in denen für die Seelen der verstorbenen Vorfahren gebetet wurde.
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Adelige Expansionswege waren oft mit der Reichskirche verbunden. Denn die (Erz-) Bischöfe nahmen die Vögte für das Immunitätsgut ihrer Kirchen gerne aus jenen Familien, denen sie selber entstammten. So nimmt man an, dass die so genannten Sighardinger, die immer wieder als Grafen im Chiemgau begegnen, als Vögte von Salzburg in die Mark im Osten kamen – denn der Erzbischof Friedrich (958–991) war ein Sighardinger. Dieser Adelskonstellation entstammten in verschiedenen Generationen aber auch der berühmte Bischof Pilgrim von Passau (971–991), Bischof Hartwig von Brixen (1022–1039), Patriarch Sigihard von Aquileja (1068–1077) und Bischof Heinrich von Freising (1098–1137). Die Güter der Sighardinger waren dementsprechend weitläufig und lagen zwischen Friaul und dem westlichen Niederösterreich, mit Schwerpunkten im Alpenvorland (Grafschaften Peilstein und Schala, Vogtei über Freising im Ybbstal) sowie im engeren und weiteren Umland von Salzburg, im Pinzgau usw. Die Immunitäten wurden zu Gerichtsbezirken der Vögte. Um 950 hörte man auf, die Übertragung von Besitz an kirchliche Institutionen vor dem gräflichen Gericht zu vollziehen. Man tat dies jetzt vor dem Taiding (der Gerichtsversammlung) des Vogtes. Die späteren, seit dem 13. Jahrhundert auftretenden Landgerichte gingen häufig auf solche Vogteigerichte zurück. Nicht selten wurden diese neuen Sprengel wieder als »Grafschaft« bezeichnet. Offenbar löste sich die Grafen-Qualität seit dem 11. Jahrhundert von den alten Grafschaften : Wer immer fähig war, Grafenrechte (wohl auch als Vogt !) auszuüben, nannte sich »Graf«, wobei die jetzt üblich werdende topographische Zusatzbenennung immer seltener auf »wirkliche« alte Grafschaften verwies, sondern auf die neuen Burgzentren der adeligen Herren (Grafen von Tirol – das war der Name ihrer wichtigsten Burg, nicht einer alten Grafschaft ). Die kirchlichen Quellen sind voller Klagen über die Entfremdung von Kirchengut, vor allem auch über die Verleihung von Kirchengut durch die Vögte an deren eigene Vasallen. Besonders die seit dem 12. Jahrhundert nachweisbare Neigung der Vögte, auf dem Boden der bevogteten Kirche Burgen zu bauen – nach dem neuen Modell der Höhenburg – rief den Missmut der Bischöfe und Äbte hervor. Wir können solche Auseinandersetzungen mehrfach genauer verfolgen. So baute etwa Graf Albert von Tirol auf dem Boden des von ihm bevogteten Bistums Chur im Vinschgau die Burg (Ober-) Montani. Bischof Berthold protestierte zwar lebhaft dagegen, aber es blieb ihm zuletzt nichts anderes übrig, als 1228 dem Grafen die Burg zu Lehen zu geben. Damit bewahrte er sich eine wenngleich eher theoretische Oberhoheit. Ungefähr zur gleichen Zeit stritten die Bischöfe von Freising mit ihren niederösterreichischen Vögten, den Grafen von Peilstein, weil diese die nach einem der Grafen benannte Burg Konradsheim (unweit des späteren Waidhofen an der Ybbs) auf bischöflichem Grund gebaut hatten. 1215 wurde eine Besitzteilung erreicht ; freilich erleichterte das baldige Aussterben der Grafen die Situation für den Bischof.
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3.3.1 Das bayerische »regnum« wird zur Königslandschaft
Nach dem letzten Karolingerkaiser Arnulf war Graf Luitpold (gefallen bei Pressburg 907) Herr im bayerisch-kärntnerischen regnum. Ihm folgten sein Sohn und Nachfolger Arnulf (907–937) und dessen Bruder Berthold. Beide leiteten Personenverbände (als dux Baiuvariorum und dux Carantanorum). Auf dieses regnum bezieht sich die Nennung Arnulfs als Beherrscher eines regnum Teutonicorum in einer Salzburger Quelle (zu 919) : Denn auf die Bayern beziehen sich auch zeitgenössische »Teutonen«-Bezeichnungen italienischer Provenienz ebenso wie die ersten nemci-Bezeichnungen aus slawischem Mund. Nach dem Tod Arnulfs behielt zwar dessen Bruder Berthold (938–947) die Herzogs würde, König Otto I. (936–973) konnte aber die Rechte des ostfränkischen Königs, vor allem jene über die Reichskirche, wieder verstärkt zur Geltung bringen. Nach dem Tode Bertholds wurde der bayerisch-karantanische Komplex zu einer zentralen Königslandschaft. 3.3.2 Bayern
Heinrich II. ebenso wie einige seiner Nachfolger behielten das bayerische Herzogtum oft jahrelang selbst in der Hand. Dieser Herrscher stattete seine Gründung Bamberg besonders reich mit Besitzungen und Herrschaftsrechten aus (1007), nicht nur im Main-Gebiet, sondern auch im Traungau und in Kärnten. Bayern war eben eine Königsprovinz. Seit 1070 waren die Welfen – wenn auch mit Unterbrechungen ! – Herzöge. Damit ging die dominante Stellung des Königtums zu Ende. Die Welfen verfügten nicht nur über den Herzogstitel, sondern auch über reichen Besitz im Zentrum und im Westen Bayerns ebenso wie in Schwaben, aber auch im Süden, dem späteren Tirol, die Grafschaft im Unterinntal. Reiche Einnahmequellen sicherte ihnen die Hallgrafschaft, die Herrschaft über die Saline von Reichenhall. Ein bayerischer Landfrieden von 1094 sollte noch bis zur ungarischen Grenze gelten, schloss also die Mark östlich der Enns mit ein. Als Hauptstadt des Herzogtums galt Regensburg (metropolis ac sedes ducatus, so bei Otto von Freising). Neben den Welfen treten in Bayern ebenso wie in Karantanien und in den Marken die Diessen-Andechser, die Eppensteiner, Formbacher, Bogener, die Rapotonen (Diepoldinger) und die Wittelsbacher hervor. Die letzteren erhielten in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts die bayerische Pfalzgrafenwürde In der ersten Phase des Investiturstreits wurde den Welfen das Herzogtum Bayern entzogen Als Parteigänger Heinrichs IV. erhielten die späteren Andechser ihre Aufstiegschancen : Die Grafen von (Andechs-) Dießen erhielten die Vogtei über Brixen. Seit dem Aussterben der Salier beherrschte der Konflikt zwischen Staufern und Wel-
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fen die Reichspolitik. Die Macht der Welfen war groß, aber immer wieder umstritten. 1139 entsetzte der erste Stauferkönig, Konrad III., Herzog Heinrich den Stolzen seines Herzogtums ; an seine Stelle trat Markgraf Leopold IV. von Österreich (ein Halbbruder des Stauferkönigs). Nach dem Verzicht der Babenberger 1156 kamen die Welfen wieder ans Ruder, freilich verlagerte sich der Schwerpunkt unter Heinrich dem Löwen mehr nach Norden. Noch 1176 zeigt ein Gerichtstag Heinrichs des Löwen in Enns, dass das Land bis zur Enns zu Bayern gehörte. Der Löwe fühlte sich so mächtig, dass er dem Kaiser die Heerfolge verweigerte. 1180 schlug Barbarossa zurück : Heinrich wurde seiner Herzogtümer verlustig erklärt, der steirische Markgraf Otakar III. wurde zum Herzog erhoben und sein Herrschaftsbereich zu einem selbstständigen Herzogtum – damit endete die nominelle Zugehörigkeit des Traungaus zu Bayern. Die mit den Welfen konkurrierenden Andechser wurden zu Herzögen von »Meranien« erhoben. Der bayerische Herzogstitel ging an den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach. Wittelsbacher und Andechser standen sich nunmehr als Hauptkonkurrenten gegenüber. Die Grafen von Andechs schienen zunächst stärker. Sie verfügten – nach modernen Begriffen – über Besitz und Herrschaftsrechte in Bayern (Andechs und Wolfratshausen, ferner nördlich und südlich von Passau sowie in Franken), Österreich (Tirol und Oberösterreich), Slowenien (Gründung von Stein [Kamnik]), Kroatien (Istrien) und Frankreich. Mitglieder des Hauses Andechs waren (Erz-) Bischöfe und Äbte bzw. Äbtissinnen. Unter den Kindern des Herzogs Berthold (†1204) befanden sich zwei Königinnen, Gertrud von Ungarn als Gemahlin des Königs Andreas (die Mutter der heiligen Elisabeth von Thüringen) und Agnes von Frankreich, sowie die als heilig verehrte Herzogin Hedwig von Schlesien, eine Äbtissin und ein Bischof von Bamberg ; zwei Söhne führten als Herzöge und Markgrafen die männlichen Linien weiter. Sie verfügten auch über eine ganze Reihe von Gerichten im Zentrum und Süden Bayerns sowie südlich und nördlich von Passau und im Inntal, sie waren Vögte von Dießen, Benediktbeuern, Tegernsee, St. Georgenberg und Wilten sowie Hochstiftsvögte von Brixen. Die von ihnen gegründete Stadt Innsbruck (zwischen 1180 und 1209 zur Stadt geworden) konnte, so schien es, zum Mittelpunkt eines ausgedehnten süddeutsch-adriatischen Territoriums werden. Heinrich (IV.) war Markgraf von Istrien und verheiratet mit der Erbin des Weichselburger Besitzes in Krain und Umgebung. Otto (VII.) trug den Herzogstitel für seine Güter an der Adria (»Meranien«) ; er heiratete Beatrix von Burgund. 1209 verfiel Markgraf Heinrich der Reichsacht, weil er der Mitschuld an der Ermordung König Philipps beschuldigt wurde. Damals gingen alle Güter und Lehen in Zentralbayern und im Gebirge verloren, teils an die Wittelsbacher als Herzöge von Bayern, teils an die Grafen von Tirol, die ihrerseits mit den Andechsern eng verwandt waren. Unter Kaiser Friedrich II. wurden die Andechser jedoch rehabilitiert, Otto VII. erhielt die Tochter des Tiroler Grafen Albrecht zur Frau, starb aber schon 1248, ohne Nachkommen. Das Haus Andechs war damit erloschen. Die Positionen im Gebirge
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fielen an den Tiroler Schwiegervater zurück, in Bayern konnten sich die Wittelsbacher durchsetzen. Sie schufen das jüngere territoriale Herzogtum Bayern. 3.3.3 Kärnten
947 erhielt König Ottos I. Bruder, Heinrich, Bayern mit Kärnten, 952 vermehrt um die oberitalienischen Gebiete von Verona, Friaul und Istrien. Dessen Sohn Heinrich, mit dem hübschen Beinamen »der Zänker« (seit 955), benützte aber diese Basis zu Intrigen gegen Otto II., sodass der Kaiser dem unbotmäßigen Vetter 976 die beiden Herrschaftsgebiete abnahm und getrennt vergab. Dass 976 in Kärnten ein »Amts-« oder »Titularherzogtum« eingerichtet worden sei, ist durch keine Quelle belegt. Viel zwangloser lässt sich eine simple Trennung zweier Groß-Einheiten argumentieren, die auch vor 976 innerhalb des bayerischen regnum als solche existiert hatten, wie der Titel eines Karentanorum dux für Herzog Heinrich, Sohn des Arnulf-Bruders Berthold, im Jahre 977 nahelegt : Ein politischer Personenverband der »Karentani« konnte ja nicht in einem Jahr geschaffen werden, er hatte offenbar auch schon im bayerischen Regnum der späten Karolingerzeit existiert, wohl mit Kontinuitäten zum vorkarolingischen karantanischen Fürstentum. Dieser Herzog Heinrich übte beim Osterfest 986 in Quedlinburg das Hofamt des Mundschenken aus ; gegenüber den anderen anwesenden Herzögen (von Bayern, Schwaben und Sachsen) erschien er als völlig gleichrangig. Mit Kärnten verbunden erscheinen mehrere Marken im Osten und Südosten, von denen die Karantanische Mark an der Mur und die Mark Krain die bedeutendsten wurden. In der Mark hinter dem Drauwald war durch die starke Position Salzburgs um Ptuj (Pettau) der Markgraf ziemlich machtlos. Die Mark an der Sann (Savinja – Saunien) blieb im späteren Begriff der »Windischen Mark« erhalten. Die Kärntner Herzöge waren bis 1152 aber auch Markgrafen von Verona sowie von Friaul und Istrien. Diese Positionen waren bedeutsamer als jene in Kärnten. In Verona fanden bis 1085 elf Gerichtstage der Kärntner Herzöge als Markgrafen von Verona statt, in Kärnten selbst ist der erste Tag dieser Art erst aus dem Jahr 1174 überliefert. Das Kärntner Herzogsamt war ein Schleudersitz. Durch kürzere oder längere Zeit hatten die Könige selbst das Herzogtum inne. Den raschen Wechsel der Amtsinhaber wollen wir nicht verfolgen. Fast wichtiger als der Herzog erscheint der »Gewaltbote«. In dieser Funktion ist im 10. Jahrhundert, zwischen etwa 965 und 980, ein Graf Hartwig nachweisbar, der auch in Bayern als Pfalzgraf wirkte und dessen gleichnamiger Sohn 991 Erzbischof von Salzburg wurde. Hartwigs Töchter wurden mit großen Herren verheiratet. Die erste Tochter stiftete das Kloster St. Georgen am Längsee, die Nachkommen der zweiten das Kloster Göss (1020). Ein Urenkel gründete 1077 das
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Kloster Millstatt. Nach Hartwig erschien ab 994 ein gewisser Oci/Otger (Otakar) als Gewaltbote. Er gründete das Stift Ossiach. Die Position des Gewaltboten wird 994 als die eines Grafen und Königsboten (missus) beschrieben – eine Position, die wir aus der Karolingerzeit kennen, als Kontrollorgan des Königs und eine Art Über-Graf. Vielleicht gehörte die Verwaltung des Königsgutes zu seinen Aufgaben, weshalb das Amt mit dem Ende königlicher Besitzungen (nach den großen Schenkungen) zum Erliegen kam. Die letzte Nennung stammt aus dem Jahr 1027. Im Jahr 1000 erhielt ein Markgraf Adalbero aus dem Geschlecht der später so genannten Eppensteiner von Kaiser Otto III. 100 Hufen in der Provinz Karantanien zu freiem Eigen. 1012 wurde er Herzog von Kärnten, der erste mit großem Besitz in der Region. Er war aber auch Herr in der Karantanischen Mark sowie in Verona. Schon lebte die Konkurrenz zu den Grafen von Friesach auf. 1035 wurde Adalbero des Herzogtums und seiner Lehen für verlustig erklärt. Die Karantanische Mark ging an die Grafen von Wels-Lambach. Aber die Wels-Lambacher erlitten ein hartes Schicksal : Im Februar 1050 wurden die meisten Familienmitglieder im Zuge einer Fehde getötet – der Letzte des Geschlechts, der heilige Adalbero von Würzburg, errichtete eine Gedenkstiftung in seiner Burg zu Lambach, das Benediktinerkloster Lambach (1056). Als Ex-Herzog tötete der »Eppensteiner« Adalbero 1036 den (Mark-) Grafen Wilhelm, den Gemahl der heiligen Gräfin Hemma. Wilhelm war Markgraf von Saunien (an der Savinja, heute Slowenien) gewesen. Er hatte von König Konrad II. 1025 zu seinen großen Gütern noch weitere 30 Königshufen in seiner Grafschaft an der Sann erhalten. Wilhelms Ehefau Hemma stammte ebenfalls aus einer mächtigen Familie – als Vorfahren gelten Zwentibold und Waltuni, die zur Zeit Kaiser Arnulfs von Kärnten reiche Schenkungen im Gurk- und Metnitztal sowie um Trixen bekommen hatten. Hemma gründete als Witwe ein Nonnenkloster in Gurk, starb aber bald. Der Salzburger Erzbischof verwendete später den weitläufigen Hemma-Besitz in der heutigen Steiermark, in Kärnten und in Slowenien als Ausstattung für sein Eigenbistum Gurk, aber auch für das Kloster Admont. Der Leichnam Hemmas wurde 1174 im neuen Gurker Dom bestattet, bald wurde sie als Selige verehrt. Die Heiligesprechung durch den Papst (Pius XI.) erfolgte 1938. Erst 1077 erhielt wieder ein Eppensteiner das Herzogtum. Im nunmehr einsetzenden Kampf zwischen Kaiser und Papst (»Investiturstreit«) waren die Eppensteiner kaiserlich, das heißt, sie profitierten von Erfolgen Heinrichs IV., galten aber als Feinde Roms. Jetzt erst wurde die namengebende Burg Eppenstein (bei Judenburg) erbaut. Hauskloster der »Eppensteiner« sollte St. Lambrecht werden, das 1109 ein päpstliches Privileg erhielt. 1122 starb der letzte Eppensteiner, die auch nun erst, nach ihrem Aussterben, mit diesem Geschlechternamen benannt wurden. Das reiche Erbe dieses Geschlechts, großer Grundbesitz und Grafschaftsrechte in der späteren Obersteiermark, die Vogtei über St. Lambrecht und zahlreiche Ministe-
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rialen fielen nicht an die Kärntner Herzöge, sondern an die näher verwandten Otakare, die aus dem damals bayerischen Traungau stammenden Markgrafen der Karantanischen Mark. Nun wurden die Spanheimer Kärntner Herzöge. Sie kamen aus dem Rheinland. Schon 1091 konnten sie ein Kloster in Kärnten gründen : St. Paul. Dennoch blieben die Positionen der Spanheimer in Kärnten relativ schwach, im Vergleich mit Salzburg, Bamberg, den Otakaren, den Ortenburgern usw. 1151 ging auch die Markgrafschaft Verona verloren. Alle Konkurrenten verfügten auch außerhalb Kärntens über starke Positionen. Keine dieser Mächte erlangte ein deutliches Übergewicht. Die Position der Spanheimer-Herzöge wurden noch weiter geschwächt, als 1172 Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) die Markgrafschaft Istrien, die bisher von einem Spanheimer beherrscht war, an Berthold von Andechs verlieh. Bis zu ihrem Ende versuchten die Spanheimer Herzöge, aus ihrem Amt mehr zu machen als eine Art Ehrenvorrang. Erfolgreich waren sie nur in einem kleinen Bereich im Zentrum des Landes. Bernhard II. (1202–1256) nannte sich »Landesfürst« – princeps terre. Seine Pläne scheiterten am Block von drei Andechser Brüdern, Bischof Ekbert von Bamberg, Patriarch Berthold von Aquileja und Markgraf Heinrich von Istrien. Im Herzen Kärntens legte Berthold II. jedoch mit dem Städtedreieck St.Veit – Klagenfurt – Völkermarkt den Grundstein für die spätere landesfürstliche Position. Ungefähr im Bereich des Städtedreiecks war auch die herzogliche Ministerialität konzentriert – die Ruinen der Kraiger Schlösser nördlich von St.Veit zeugen heute noch davon. Unweit von St. Veit erhebt sich Hochosterwitz, in der heutigen Imposanz freilich ein Werk der Khevenhüller des 16. Jahrhunderts, ursprünglich Sitz der Herren von Osterwitz, der Erbmundschenken des Kärntner Herzogs. Herzog und Adel sprachen »windisch«, also die in Kärnten übliche Variante des mittelalterlichen Slowenischen – so berichtet es jedenfalls der steirische Dichter Ulrich von Liechtenstein, dessen Darstellung des Friesacher Turniers ein anschauliches Bild vom adeligen Leben des 13. Jahrhunderts gibt. In Kärnten konnte sich Bernhard II. gegen die starke adelige Konkurrenz nicht durchsetzen. In späteren Jahren entfaltete er aber eine lebhafte Tätigkeit im heutigen Slowenien, so in Ljubljana (Laibach) (Pfalz 1220) oder nahe seiner Stadt Landstrass (Kostanjevica), wo er 1234 die Zisterze Mariabrunn gründete. Bernhards Sohn, Herzog Ulrich III. (1256–1269), heiratete Agnes von Andechs-Meranien. Allerdings starben Frau und Sohn bald, die Ehe mit seiner zweiten Frau blieb kinderlos. Erheblich aktiver war sein Bruder Philipp (†1279), der 1246 zum Erzbischof von Salzburg gewählt wurde, aber die höheren Weihen ablehnte, weil er die Hoffnung auf das Kärntner Herzogtum nicht aufgab. Der »Erwählte« (electus) war ein kriegstüchtiger Held. 1257 wurde er als Erzbischof abgesetzt, legte aber erst 1267 den Titel eines electus von Salzburg ab. Nach dem Tod Ulrichs III. wurde Otakar II. Přemysl von Böhmen
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Herzog von Kärnten. Vom Sturz Otakars konnte Philipp nicht mehr profitieren. Der letzte Spanheimer starb in Krems an der Donau. Die weitere Geschichte Kärntens ist engstens mit jener der Görzer und der Habsburger verbunden. 3.3.4 Schwaben
Das Herzogtum Schwaben interessiert uns hier nur insofern, als es im Süden ins heutige Österreich hineinreichte. Auf dem Boden des neuzeitlichen Vorarlberg begegnen Grafen von Bregenz, deren Ursprünge bis in die Karolingerzeit und zu Hildegard, der Frau Karls des Großen, zurück reichen. Nach ihrem Leitnamen werden sie »Udalriche«genannt. Ulrich X. (†1097) gründete ein Kloster, das später in die Mehrerau bei Bregenz verlegt wurde. Reichen Besitz in Vorarlberg hatte St. Gallen, vor allem im Rheintal. Kirchlich gehörte das nördliche Gebiet zu Konstanz, der Süden nach wie vor zu Chur. Die Udalriche hatten sich 1043 in zwei Linien gespalten, in eine Bregenzer und eine Buchhorner. Nach dem Ende der Buchhorner erbten deren Besitzungen aber nicht die Bregenzer, sondern die Welfen. Nach einem tüchtigen Grafen Rudolf übernahm dessen Neffe das Erbe. Er nannte sich nach verschiedenen Herrschaftssitzen, einmal nach Bregenz, einmal nach Pfullendorf, aber auch nach Lindau, Ramsberg oder Schweinshut. Nach seinem kinderlosen Tod fiel das Eigengut an die Staufer. Die waren übrigens nach Welf VI. (†1191) auch Nachfolger im Herzogtum Schwaben und Erben des sonstigen überaus reichen Erbes dieser Welfenlinie. Schon 1180 waren Heinrich dem Löwen wegen dessen Verweigerung der Heerfolge (1176, Chiavenna) die Herzogswürden in Schwaben, Bayern und Sachsen entzogen worden. Nun waren die Staufer plötzlich die mächtigsten Herren im Süden und Südwesten des Reiches. Die Bregenzer Grafschaft fiel an den Schwiegersohn Rudolfs, Hugo von Tübingen. Der nannte sich seit etwa 1206 Graf von Montfort. Zentrum seiner Herrschaft wurde Feldkirch. Die Montforter teilten sich dann freilich in zwei (und später noch weitere) Linien, die nur selten kooperierten. Neben den Montfortern haben vor allem die Herren von (Hohen-) Ems, von denen als Ministeriale ein recht bedeutender Dichter, Rudolf von Ems, abhing, eine gewisse Bedeutung bewahrt. So bestand das heutige Vorarlberg im 13. Jahrhundert ähnlich wie das übrige Schwaben aus mehreren recht kleinteiligen Herrschaften.
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3.3.5 Die Marken im Südosten und die Landesbildung Ausgangspunkte der Landesbildung
Die Landausstattung von Bistümern und Klöstern verkleinerte die Herrschaftsbasis der Herzöge in Bayern und Kärnten. An die Stelle der großräumigen, aber nur extensiv beherrschten Herzogtümer traten kleinere Herrschaftsbereiche der verschiedenen Herren (der Bischöfe, Markgrafen, Grafen, Vögte, sonstigen Adeligen). Aus der heftigen Konkurrenz dieser Herren untereinander gingen wieder neue, größere Gebilde hervor, die sich schließlich in den Ländern des späten 12., 13. und 14. Jahrhunderts zu neuen politischen Verbänden von großer Beständigkeit verfestigten. Die adeligen Dynastien wurden sich jetzt ihrer Kontinuitäten bewusst. Ein bestimmtes Familien- bzw. Geschlechtsbewusstsein entstand etwa ab der Mitte des 11. Jahrhunderts, häufig in Zusammenhang mit einer bestimmten Burg und (oder) mit einem bestimmten Kloster, das nicht selten als Grablege von diesem und für dieses Geschlecht gegründet worden war, häufig in Umwidmung der Stammburg. Damit war meist auch die erbliche Vogtei verbunden, die die Herrschaft der Adelsfamilie über dieses Kloster sichern sollte. Klostergründungen signalisieren daher ein verstärktes Bewusstsein nicht nur der eigenen Sündhaftigkeit, sondern auch ein verstärktes Geschlechtsbewusstsein (Erbbegräbnis, Erbvogtei). Wer sich solches leisten konnte, war ein Herr. Wir haben schon am Kärntner Beispiel auf die Klostergründungen der Familie des Gewaltboten (Ossiach) oder der Eppensteiner (St. Lambrecht) hingewiesen. Andere taten desgleichen : Die Wels-Lambacher gründeten Lambach, die Gräfin Hemma das Nonnenkloster in Gurk, die Grafen von Poigen-Rebgau Altenburg im Waldviertel, die Traisen-Feistritzer Seckau, die Grafen von Raschenberg-Reichenhall Traunkirchen, die Sighardinger Michaelbeuern, die Andechser Dießen am Ammersee, die Formbacher das Kloster Formbach (Vornbach am Inn, Bayern) und ein Priorat dieses bayerischen Klosters in Gloggnitz, die Herren von Stille und Heft Seitenstetten usw. Es gab also eine größere Zahl adeliger Herren, in Bayern ebenso wie in Kärnten und in den Markgebieten. Die Zeit der Kreuzzüge ebenso wie die Kämpfe des Investiturstreites verminderten ständig die Zahl der herrschaftsfähigen Männer, auch die zahlreichen kirchlichen Führungspositionen, die solchen Herren vorbehalten waren, reduzierten die legalen Fortpflanzungschancen in den männlichen Linien. Zu viele Kinder bedeuteten aber auch eine gewisse Gefahr, wegen der drohenden Besitzzersplitterung. Tatsächlich gingen dann nicht wenige Erbfälle im Adel über die Töchter.
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Die Karantanische Mark, dem Kärntner Herzogtum im Osten vorgelagert, umfasste im 10. Jahrhundert einen 40 bis 50 km breiten Gebietsstreifen zwischen Kor- und Gleinalpe einerseits und dem das Grazer Becken nach Osten abgrenzenden Höhenzug andererseits. Im Norden grenzte sie an die Grafschaft Leoben und im Süden (südlich von Leibnitz) an die Mark an der Drau. Um 1043 wurde die Grenze nach Osten vorgeschoben. Das tragische Schicksal der Grafen von Wels-Lambach (Markgrafen seit 1035, als Adalbero aus dem später so genannten Geschlecht der Eppensteiener abgesetzt wurde) wurde schon erwähnt. Nach ihnen wird 1056 Otakar I. als Markgraf genannt, der schon 1048 Graf im Chiemgau war und der ab 1074 auch nach seiner Burg Steyr benannt wurde. Seine Hausmacht lag wohl im Traungau (daher auch »Traungauer«). Er folgte den Wels-Lambachern auch in der Vogtei über Lambach. Otakar I. war mit der Eppensteinerin Wilibirg verheiratet, sein Sohn Otakar II. mit der Babenbergerin Elisabeth, einer Schwester Leopolds III., des Heiligen. Bis 1122 hatten sich die Markgrafen (Adalbero, † vor 1082 und Otakar II., 1082– 1122) auf den Ausbau der Traungauer Basis konzentriert : die Vogtei über Traunkirchen und Lambach sowie über Besitz von Würzburg und Bamberg, Aufbau einer starken Ministerialität. Diese wurde wichtig, als 1122 das Erbe der Eppensteiner (nach Wilibirg !) in der Mark und in den Grafschaften im oberen Enns-, Mur- und Mürztal ebenso wie die Vogtei über das Kloster St. Lambrecht Markgraf Leopold »dem Starken« (1122–1129) zufiel. Man kann daher mit einer gewissen Berechtigung das Jahr 1122 als Geburtsjahr der Steiermark bezeichnen : Nun entstand jener weitläufige Komplex von Besitzungen und Herrschaftsrechten zwischen der Donau um Linz und der Drau, der später das Land der Markgrafen von Steyr genannt wurde. Es begann eine lebhafte Siedlungs- und Rodungstätigkeit im Osten der Mark (Gründung von Hartberg), getragen von Ministerialen der Otakare aus ihren Traungauer (also bayerischen) Besitzungen. Leopolds Nachfolger Otakar III. (1129–1164) erbte vor 1138 Besitzungen und Rechte von den Grafen von Cordenons in Friaul ; diese waren mit den Otakaren stammverwandt gewesen, von ihnen kam auch die Vogtei über das Kloster Ossiach an die Traungauer. 1147 fiel Bernhard von Marburg, Gemahl einer Traungauerin und Stifter von Viktring, in Kleinasien. Die Güter dieses Spanheimers lagen um Marburg (Maribor), Radkersburg, aber auch um Tüffer (Laško), hauptsächlich im slowenischen Draugebiet. Das Erbe trat Otakar III. an. 1158 fiel der Formbacher Ekbert III. vor Mailand. Neuerlich erbte Markgraf Otakar III., diesmal als Neffe. Der Formbacher Besitz befand sich im Süden des späteren Niederösterreich, nördlich von Semmering und Wechsel (Grafschaft Pitten – »Bucklige Welt«). Eine gezielte Politik der Klostergründungen setzte ein : 1129, im Todesjahr Leopolds, das Benediktinerkloster Garsten und
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die Zisterze Rein, die erste im heutigen Österreich, 1160 das Spital am Semmering, 1163 das Augustiner-Chorherrenstift Vorau, um 1164 die Kartause Seitz (Žiče), heute in Slowenien. Zahlreiche Klöster standen zuletzt unter der Vogtei des Markgrafen : Neben den eigenen Gründungen waren dies Traunkirchen (gegründet von den Grafen von Raschenberg-Reichenhall), Lambach (Gründung des hl. Adalbero von Würzburg, des letzten Wels-Lambachers), St. Lambrecht (Gründung der Eppensteiner), ferner St. Paul im Lavanttal und die Zisterze Viktring (nach Graf Bernhard von Marburg) sowie die Benediktinerklöster Ossiach (von Otto von Cordenons) und Formbach (von Ekbert von Formbach-Pitten) sowie das Chorherrenstift Seckau (1152, gegründet von Adalram von Waldeck). Damit hatte der Markgraf Otakar III. die Herrschaft über alle wichtigen geistlichen Institutionen des werdenden Landes (und darüber hinaus !) in der Hand. Die junge Zisterze Rein war auch als Grablege des Geschlechts gedacht. Die Kartause Seitz (Žiče) wiederum war die erste ihrer Art auf dem Boden des Reiches. Otakar III. wurde hier auch bestattet. Die Auseinandersetzung mit dem hochfreien, den Markgrafen an Besitz und Selbstbewusstsein zunächst gleichrangigen Adels beschleunigte sich. Einzelne Mitglieder dieser Geschlechter traten freiwillig oder gezwungen in die Ministerialität der Markgrafen über. In einem Falle gab es auch so etwas wie Frauenraub und Zwangsverheiratung freier adeliger Töchter mit Ministerialen. Andere starben aus, wieder andere gingen ins Kloster, besonders hartnäckige – so die Söhne Bernhards von Stübing, des Besitzers des Grazer Bodens – wurden hingerichtet. Nun konnte, mit Erwerbung dieser zentralen Landschaft, die zentrale Stadt ausgebaut werden – Graz, um 1164. Die Verleihung des Bergregals durch Kaiser Friedrich I. und die Ausübung anderer Königsrechte seitens der Otakare unterstrichen nur die fürstengleiche Stellung des Geschlechts. Erstmals 1158 gebrauchte auch Kaiser Friedrich I. den Titel princeps, Fürst, für Otakar III. Seit 1162 verwendet der Markgraf auch den Majestätsplural und die Gottesgnaden-Formel. Die Herzogswürde (1180) war Ausdruck dieser fürstlichen Position und hob sie demonstrativ hervor, schuf sie aber nicht neu. Die Titelverleihung selbst steht im Zusammenhang mit dem Sturz Heinrichs des Löwen im selben Jahr. Wer immer in Bayern als Herzog nachfolgte – gegenüber dem steirischen Herzog hatte er keinerlei Prärogativen. Im Raum zwischen Hausruck und der Enns konnte ein bayerischer Herzog keine Herrschaftsrechte mehr ausüben. Grundlage der otakarischen Stellung war nicht ein Titel, sondern die erfolgreiche Kombination von Gütererwerb und Herrschaftsrechten (vor allem auch über kirchliche Einrichtungen !) mit Landesausbau und, im Hinblick auf die feudalen Funktionsträger, deren Ausschaltung oder Integration in die Ministerialität des Markgrafen, in den Verband der Stirenses, der »Steyrer«, benannt nach der zentralen Burgstadt der Markgrafen/ Herzöge. Diese Stirenses waren es, die am Georgenberg bei Enns 1186, als der unheilbar kranke Otakar IV. (1164–1192) die berühmte Erbverbrüderung mit dem Baben-
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berger Leopold V. abschloss, auf die Sicherung ihrer Rechte (des ius provinciae, also des Landrechts) pochen konnten und diese auch verbrieft erhielten. Sie waren Träger der Landesbildung, sie und ihre Nachfolger sollten als Landesadel in erster Linie Träger des Landesbewusstseins bleiben. Dies auch (und erst recht) dann, als das alte Zentrum Steyr im 13. Jahrhundert vom Lande abgetrennt wurde. Jedenfalls blieb auch unter den Babenbergern und Habsburgern die Steiermark stets ein eigenes, auf ihr eigenes Recht und ihre besondere Stellung beharrendes Land. Von Ostarrîchi zum Herzogtum Österreich: Die Babenberger
Neben den Markgrafen aus dem Haus der später so genannten Babenberger meldeten sich bald nach 955 wieder die schon in der Karolingerzeit mit Besitzrechten ausgestatteten geistlichen Herren – der Erzbischof von Salzburg, der Bischof von Passau, die Bischöfe von Freising und Regensburg. Kaiser Otto II. bestätigte 977 dem Salzburger Erzbischof seinen Besitz zu Melk, wo nach dem Markgrafen Leopold I. (976–994) auch Markgraf Heinrich I. (994–1018) saß. In seine Burg zu Melk wurde 1014 der Leichnam des einem Justizmord zum Opfer gefallenen fremden Pilgers Koloman übertragen, im Beisein des Eichstätter Bischofs Megingaud. Eichstätt hatte in Melk vermutlich Besitz, der vom Eigenkloster Herrieden stammte. Seither wurde Koloman als Heiliger verehrt, durch Jahrhunderte galt er als der Landespatron Österreichs. Eigentümlicherweise beginnt in den erzählenden Quellen des 13. Jahrhunderts die Reihe der »babenbergischen« Markgrafen erst mit Adalbert (1018–1055), dem Bruder des Markgrafen Heinrich. In die Zeit Adalberts fallen die Ungarnkriege Kaiser Heinrichs III. An deren Ende war die Ostgrenze der Mark an March und Leitha fixiert. Sie erwies sich als sehr stabil – bis zum heutigen Tag. Neben den Markgrafen tritt in der Frühgeschichte der Mark ein Geschlecht auf, das besonders weit gespannte Beziehungen hatte und das man später die Ebersberger nannte. Der letzte Mann des Geschlechts fiel 1044. Man findet sie auch im Süden, in Karantanien und als Markgrafen von Krain (Ulrich, †1029). Dessen Tochter Willibirg war mit einem furlanischen Grafen Werigand verheiratet, eine Enkelin heiratete einen Grafen von Weimar-Orlamünde, die auf diese Weise in den Süden kamen : Ulrich I. von Weimar-Orlamünde starb 1070 als Markgraf von Krain. Relativ früh treten auch die (später so benannten) Formbacher auf, deren Hauskloster Formbach (Vornbach am Inn) war. Sie waren Grafen im Schweinachgau an der Donau unterhalb der Isarmündung und Vögte von Niederaltaich. Sie beherrschten daneben das Gebiet vom Innviertel bis ins Eferdinger Becken. Ein Zentrum der Formbacher lag in Radelberg nördlich von St. Pölten, nach dem sie sich auch benannten (Ratelnberg). Weiter südöstlich hatten sie Besitz in der »Buckligen Welt«, der auch »Grafschaft Pitten« genannt wurde. Die Formbacher stellten einen Erzbischof von Salzburg (Thiemo, 1090 bis 1098) und eine
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Königin von Ungarn (Tuta, verheiratet mit König Bela I.), verwandt und verschwägert war man sowieso mit aller Welt – mit den Sulzbachern, Sighardingern, Andechsern, Markgrafen von Krain, Lurngaugrafen usw. Kaiser Lothar III. (1125–1137) war Enkel eines Grafen Friedrich von Formbach. Andere größere Herren in der Mark waren die Domvögte von Regensburg oder die Herren von Traisen, deren Besitz um Alt- und Neulengbach wahrscheinlich auf eine Königsschenkung an einen gewissen Engilrich (998) zurückgeht. Die Lengenbacher starben 1236 als Domvögte von Regensburg aus. Auch sie waren weitum im bayerisch-karantanischen Raum begütert, verwandt, verschwägert. Ein Pilgrim erhielt 1002 eine bedeutende Königsschenkung im Westen der Mark ; das Gebiet kam später an Bamberg. 1025 erhielt Graf Arnold von Lambach eine bedeutende Schenkung durch Konrad II., jetzt schon weit im Osten, zwischen March und Donau, vielleicht fiel das Gebiet später an Regensburg. Ein Graf Siegfried erhielt 1045 umfangreichen Besitz im Osten, an der Reichsgrenze, auch diese Schenkung scheint ohne nachhaltige Folgen geblieben zu sein. 1066 erhielt ein gewisser Liutwin eine Königsschenkung im Gebiet von Hollabrunn, auf ihn soll ein regionales Ministerialengeschlecht – die Sonnberger – zurückgehen. Nördlich der Donau, im Grenzgebiet zu Mähren, treten die Grafen von Plain (nahe Salzburg) auf, die sich später auch nach Hardegg nannten. Im Grenzgebiet zu Ungarn sind die Vohburger nachweisbar, nach ihren Leitnamen auch Diepoldinger oder Rapotonen genannt. Sie kamen aus dem bayerischen Nordgau, wo sie Grafen nach den Babenbergern waren. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts treten ihre Gefolgsleute an der March-Leitha-Grenze auf. Auf die Sighardinger wurde schon verwiesen. Sie treten im 12. Jahrhundert unter den Bezeichnungen der Grafen von Tengling, von Burghausen, von Schala (Schallaburg in Niederösterreich), von Peilstein, von Mörle und Kleeberg auf. Sie waren Vögte über freisingische Güter in der Mark, aber auch über Güter des Erzbischofs von Salzburg. Um 1230 erlosch dieses mächtige Geschlecht. Zahlreiche andere edle Familien wären noch zu nennen : Die Grafen von Poigen, die von Falkenstein-Hernstein, die Freien von Schleunz, von Falkenberg usw. Um 1050 wurde es zur ständigen Übung, die Mark des Markgrafen mit dem Gegend-Namen »Österreich« zu bezeichnen. Offensichtlich wurde das althochdeutsche ostarrîchi – Gegend im Osten – nicht mehr verstanden. Die diffuse Gegend-Bezeichung wurde von jetzt an zum Landesnamen. Auf Adalbert war Ernst »der Tapfere« gefolgt (1055–1075), dessen Gebeine in Melk noch die Spuren seiner tödlichen Verletzungen in einer typischen Schlacht der Zeit (bei Homburg, auf der Seite des Kaisers, gegen aufständische sächsische Adelige) zeigen. Auf ihn folgte sein Sohn Leopold II. (1075–1095). Er dürfte den Mittelpunkt seiner Tätigkeit weiter nach Osten verschoben haben – nach Tulln ; auch Gars, am Rande des Waldviertels, war eine wichtige Hauptburg. Schon hatte der Landesausbau auch nördlich der Donau eingesetzt. Unter Leopold II. erfolgten bedeutsame Klostergrün-
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dungen : Der Markgraf selbst berief 1089 Mönche aus Lambach nach Melk, wo vorher wahrscheinlich Kanoniker in der Markgrafenburg gewesen waren. Nun wurde die Burg zum Kloster. In diese Zeit fällt auch die Gründung von Göttweig durch Bischof Altmann. Die Stiftungsurkunde für Göttweig zeigt bereits ein entwickeltes Netz von Kirchorten und Dörfern (im Besitz von Passau !), die der Bischof seinem neuen Kloster übertrug – nicht nur im Kerngebiet der Mark, sondern auch schon im Norden. Für die Zeit Leopolds II. wird auch schon von einer Art Landtag gesprochen – 1081 wurde der Abfall des Markgrafen von Kaiser Heinrich IV. in Gegenwart der Grafen und der Großen seines Herrschaftsbereiches (primores sui regiminis) in Tulln beschworen. Die Folge war eine schwere militärische Schlappe gegen den kaisertreuen Herzog Wratislaw von Böhmen bei Mailberg im nördlichen Niederösterreich. Sie blieb, zum Glück für den Babenberger, politisch folgenlos. Für diese Zeit wird auch schon von einem Landrecht (ius illius terrae) gesprochen. Eine neue Dimension gewann die Politik der österreichischen Markgrafen mit Leopold III. (1095–1136), der bald nach seinem Tod als »pius marchio« verehrt und 1485 auf Betreiben Kaiser Friederichs III. heilig gesprochen wurde. Die erste Frau Leopolds III. kennen wir nicht, aber er muss aus dieser ersten Ehe einen Sohn (Adalbert) gehabt haben, der später als Vogt zahlreicher Klöster Bedeutung für die babenbergische Kirchenpolitik bekam. Wie kam es zur folgenreichen zweiten Ehe Leopolds III.? Im Jahre 1105 standen sich der alte Kaiser Heinrich IV. und dessen Sohn, der junge König Heinrich V., mit Waffen und Truppen gegenüber. Leopold von Österreich und der Herzog von Böhmen standen mit ihren Rittern im Lager des alten Kaisers. Der junge König machte dem gerade verwitweten Leopold III. ein Angebot : Er solle doch auf seine, des jüngeren Heinrich, Seite treten, der würde ihm dafür seine Schwester Agnes zur Frau geben, die ebenfalls zufällig gerade Witwe war. Bald darauf zog Leopold seine Gefolgsleute ab und wechselte die Seiten. Der alte Kaiser hatte keine Chance mehr. 1106 heiratete Markgraf Leopold III. die Kaisertochter Agnes. Sie war in erster Ehe mit einem Gefolgsmann Kaiser Heinrichs IV. vermählt gewesen, dem Schwabenherzog Friedrich von Staufen. Schon dieser Ehe waren (mindestens) elf Kinder entsprossen. Ein Sohn aus dieser Ehe sollte später als Konrad III. selbst König werden (1137–1152) ! Agnes’ Söhne aus ihrer zweiten Ehe wurden dadurch zu Halbbrüdern eines Königs. Agnes, Urenkelin, Enkelin, Tochter, Schwester, Mutter und Großmutter von Kaisern, Stammutter von Staufern und Babenbergern, de regia stirpe Waiblingensium – war also eine glänzende Partie. Sie muss auch unglaublich gesund und kräftig gewesen sein, denn sie soll in ihren zweiten Ehe »Dank Gottes Gnade« noch zahlreiche Kinder, nämlich 18, gehabt haben – neun sind namentlich bekannt, sieben weitere sind jung gestorben. Agnes soll also 29 Geburten überlebt haben. Sie folgte ihrem Mann 1143 ins Grab, etwa siebzigährig.
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Leopold III. gilt als Stifter von vier Klöstern : Melk, Klosterneuburg, Heiligenkreuz und Klein-Mariazell. Das Kloster in Melk bestand zwar schon, aber seine Dotation stammt im Wesentlichen von Leopold III. Die geschenkten Pfarren und Güter lagen meist im Norden und Osten der Mark, nur sehr wenige um Melk. Seine Lieblings- und Hauptgründung war aber Klosterneuburg. Hierher hatte Leopold III. schon um 1113 seine Hauptburg verlegt. Leopolds Sohn Otto wurde jedenfalls mit 14 Jahren um 1126 zum Propst des neuen Kanoniker-Stiftes ernannt. Die Residenz und die erste Stiftskirche wurden etwa gleichzeitig erbaut (1136 Weihe der ältesten Kirche). 1133 wurde das Kanonikerstift in ein reguliertes Chorherrenstift umgewandelt. Otto studierte in Paris und lernte hier einen neuen Orden kennen, die Zisterzienser ; er selbst trat in das Kloster Morimond ein. 1133 gründete Leopold III. die erste Zisterze in der Mark Österreich, in Heiligenkreuz im Wienerwald. Viel bescheidener wurde die vierte und kleinste Gründung dotiert, Mariazell in Österreich oder auch Klein-Mariazell genannt, im südlichen Wienerwald, nicht weit von Heiligenkreuz. Sie ging in Wahrheit auf eine Gründung durch ein dort begütertes Adelsgeschlecht zurück. Nach dem Tod Heinrichs V. galt Leopold III. als Königskandidat (1125), lehnte aber eine mögliche Wahl ab. 1136 spricht Leopold von seinem principatus terrae, seiner fürstlichen Gewalt über das Land. Wie ein Fürst hatte er bereits einen Hofstaat, mit den üblichen Funktionen der Hofämter – Truchsess, Marschall und Kämmerer. Diese Ämter hatten babenbergische Ministerialen inne. Wohl noch zu Lebzeiten Leopolds III. kam auch der latinisierte Landesname Austria auf, der seit 1147 urkundlich regelmäßig gebraucht wurde. – Schon Leopolds Sohn, der bedeutende Historiker und Bischof Otto (von Freising), nannte seinen Vater einen »überaus christlichen Mann«, einen Vater des Klerus und der Armen. Eine bald einsetzende lokale Verehrung führte schließlich im Spätmittelalter zur Heiligsprechung. Adalbert und der älteste Sohn der Agnes aus der Ehe mit Leopold III., Heinrich (II.), wurden zugunsten von Luitpold (Leopold IV.) zurückgestellt, der von 1136 bis 1141 als Markgraf begegnet. Erst dann konnte ihm Heinrich II. folgen, mit dem seltsamen Beinamen »Jasomirgott« (»Ja, so mir Gott helfe«, das soll ein häufiger Stehsatz von ihm gewesen sein, vielleicht aber auch verballhornter arabischer Spruch ?). 1137 starb Kaiser Lothar, gewählt wurde Konrad von Staufen, der Halbbruder der Babenberger. Da der Welfe Heinrich der Stolze dem neuen König die Huldigung verweigerte, wurde er abgesetzt. »Sein« Herzogtum Bayern erhielt nun der Halbbruder des Königs, Markgraf Leopold IV. von Österreich. Nach dessen frühem Tod folgte ihm Heinrich II. Jasomirgott im Herzogtum Bayern und in der Mark Österreich nach. König Konrads Neffe Friedrich I. (Barbarossa, 1152–1190) plante jedoch einen Ausgleich mit den Welfen. Dazu musste der Babenberger Heinrich II. auf Bayern verzichten. Als Gegenleistung wurde aber die angestammte Mark Österreich zusammen mit drei Grafschaften zum Herzogtum erhoben (1156).
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Karte 3: Alte Herzogtümer – neue Länder. Österreich um 1200.
Der Herzog von Österreich erhielt nach dem so genannten Privilegium minus – zum Unterschied von dem unter Rudolf IV. um 1358 gefälschten maius – einige besondere Begünstigungen : Unter anderem war er nur zur Teilnahme an Hoftagen des Königs in Bayern verpflichtet, ferner zur Heerfolge nur gegen Ungarn. Das Herzogtum sollte auch in weiblicher Linie erblich sein. Und es sollte im Herzogtum keine Gerichtsbarkeit ausgeübt werden, die nicht vom Herzog ausging. Durch den Rechtsakt von 1156 wurde die bisherige Mark auch rechtlich von Bayern gelöst ; der viel diskutierte »Gerichtsparagraph« dürfte die langsame Durchsetzung der allgemeinen Gerichtshoheit des Herzogs in seinem Land zumindest begünstigt haben. Die Möglichkeit, bei Fehlen von Leibeserben den Erben selbst auszuwählen, blieb theoretisch. Nach Heinrich II. folgte als österreichischer Herzog Leopold V. (1177–1194). Sein Name ist mit dem Erbvertrag vom Georgenberg bei Enns verbunden (1186), durch den die Nachfolge der Babenberger nach dem unheilbar kranken Steirer Otakar IV. in der Steiermark geregelt wurde ; Barbarossa genehmigte die Abmachungen ein Jahr später. 1192 starb Otakar, Leopold wurde jetzt auch Herzog von Steiermark.
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Mit Leopold V. und seiner Kreuzzugsteilnahme sind zwei Geschichten verbunden : Eine mythologische und ein sehr reale. Dem Mythos gehört die Entstehung des rotweiß-roten Wappens nach der Erstürmung von Akkon an – der Waffenrock des Herzogs sei rot vom Blut der Feinde gewesen, nur dort, wo sich der breite Gürtel befand, blieb das Weiß übrig. In die Realgeschichte gehört ein Zwist, der sich vor oder in Akkon ereignete : Der englische König Richard Löwenherz beleidigte den Babenberger, worauf sich dieser 1191 wütend zurückzog. Als König Richard selbst bei seiner Rückfahrt an der oberen Adria Schiffbruch erlitt, versuchte er sich über Land durchzuschlagen, kam aber ausgerechnet nach Österreich und wurde in Erdberg (damals noch bei, heute in Wien) im Dezember 1192 erkannt und auf der Burg Dürnstein festgesetzt. Hoch erfreut über diese Wendung war auch Kaiser Heinrich VI., der schon vorher die Festnahme Richards angeordnet hatte, wenn man seiner irgendwo habhaft würde – Richard war ja der engste Verbündete der dem Staufer weiterhin feindlichen Welfen. Richard musste dem Kaiser ein enormes Lösegeld zahlen – man spricht von 100.000 Mark Silbers (etwa 24 Tonnen, legt man das Wiener Münzgewicht von 1 Mark = 240 g zugrunde), wovon Leopold V. die Hälfte erhalten sollte. Zwar bannte der Papst den Kaiser und den Herzog, die einen Kreuzfahrer widerrechtlich festgesetzt hatten, dennoch wurde Richard erst 1194 frei gelassen, nach der Zahlung des Lösegeldes. Der Herzog verwendete das Geld für eine neue Stadtmauer um Wien, jedenfalls für die Gründung von Wiener Neustadt und die Befestigung von Enns und Hainburg. Der gebannte Herzog erlitt im Dezember 1194 in Graz einen schweren Unfall, der zur Amputation des Unterschenkels zwang, mit sicherer Todesfolge. Knapp vor dem Tod wurde Leopold V. vom Salzburger Erzbischof Adalbert II. vom Kirchenbann gelöst, der Kaiser starb jedoch im Kirchenbann. Leopolds V. Söhne teilten zunächst das Erbe, doch starb Friedrich I. als Herzog von Österreich schon 1198 auf einem Kreuzzug. Leopold VI., zunächst Herzog der Steiermark, übernahm nun auch Österreich (1198–1230). Er setzte den territorialen Integrationsprozess entschieden fort. Erst jetzt entstand das »Land« Österreich auch als territorial einigermaßen geschlossener Komplex. Er beerbte mehrere große Familien, kaufte im Westen von den Bischöfen von Würzburg die Herrschaften Wels und Lambach (1216), erwarb von den Haunsbergern Linz, von Ulrich von Klamm das wichtige Freistadt im Mühlviertel, an der Hauptstraße von Linz nach Böhmen. Die Grafschaft Raabs im Waldviertel kostete ihn 2000 Mark Silbers. Durch das Aussterben der Peilsteiner fielen auch deren Grafschaften im Westen und Südwesten an den Herzog. Im Süden erwarb Leopold die freisingischen Lehen der Andechser in Krain (1229). Wien erfuhr eine neuerliche Stadterweiterung – dieser Umfang blieb dann bis in die Neuzeit erhalten. Enns (1212) und Wien (vor 1208 und wieder 1221) erhielten die ersten kompletten Stadtrechte. Die bedeutendste Klostergründung in Österreich betraf die Zisterze Lilienfeld (1202/1209), die den Landesausbau ins Traisental und bis in das
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obere Erlauftal vorantrieb. Im heutigen Slowenien erneuerte der Herzog die Kartause Gairach ( Jurklošter, 1209). Sein religiöser Eifer trieb ihn aber auch zur Ketzerbekämpfung im eigenen Land und in Südfrankreich sowie zum Kampf gegen die spanischen Muslime. 1217 beteiligte er sich am gescheiterten Kreuzzug nach Damiette in Ägypten. Der Plan eines eigenen Landesbistums für Österreich, das der Herzog gegenüber dem Papst mit der Größe der Passauer Diözese und der großen Entfernung vom Bischofssitz ebenso begründete wie mit der Existenz von Ketzern in seinen Ländern, scheiterte jedoch am Widerstand des Passauers und vor allem des Metropoliten, des Erzbischofs von Salzburg, der einen österreichisches Landesbischof als Suffragan von Passau nicht dulden wollte – denn so wäre Passau selbst Erzbistum geworden. Leopold VI. starb in Italien 1230, wo er an den Vorbereitungen des Friedensschlusses von San Germano zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. beteiligt war. Seine Gebeine wurden in seiner Stiftung Lilienfeld bestattet. Den Nachfahren galt seine Regierungszeit als goldenes Zeitalter. Herzog Friedrich II. mit dem nicht unzutreffenden Beinamen »der Streitbare« (1230–1246) wurde eine ähnlich gute Nachrede wie seinem Vater nicht zuteil. Mit einer Andechserin (Agnes) verheiratet, nahm er den Titel eines dominus Carniolae an. Die österreichischen ebenso wie die steirischen Ministerialen hatten als Werkzeuge der Landesbildung ihrer Herren selbst Herrschaftsrechte und ein kräftiges Selbstbewusstsein erlangt. Sie forderten Mitspracherechte, an die gerade Friedrich II. nicht entfernt dachte. Unter Führung des mächtigsten dieser Geschlechter, der Kuenringer-Brüder, kam es zu einem ersten Aufstand des ministerialischen Landesadels. Der Herzog eroberte allerdings ihre wichtigsten Burgen : Aggstein, Dürnstein und Weitra, damit brach der Aufstand zusammen. Dafür handelte sich Friedrich II. bald darauf die Feindschaft des gleichnamigen Kaisers ein, der über ihn nach zahlreichen Klagen die Reichsacht verhängte (1235). Der Kaiser zog selbst über Graz nach Wien, das er 1237 zur Reichsstadt erklärte ; den steirischen Ministerialen verbriefte er deren Rechte, mit dem angenehmen Zusatz, dass sie nun Reichsministerialen wären. Aber dann zog der Kaiser wieder nach Italien und der Herzog konnte von seiner Wiener Neustädter Basis aus seine Länder wieder in Besitz nehmen. 1239 versöhnte man sich wieder. Bald aber stellte die mongolische Bedrohung alle anderen Probleme in den Schatten. Friedrich versprach dem ungarischen König Bela IV. Hilfe, wofür ihm dieser die westungarischen Komitate Wieselburg (Moson), Ödenburg (Sopron) und Eisenburg (Vasvár) abtreten musste. Die Hilfe Friedrichs war dann höchst bescheiden, zu seinem Glück wandten sich die mongolischen Armeen aber rechtzeitig wieder nach Osten. Ungarn ließen sie verwüstet zurück (1242). Bevor der verärgerte Bela IV. seine west ungarischen Gebiete wieder zurückfordern konnte, tauchte neuerlich der Plan auf, ein österreichisches Landesbistum mit dem Sitz in Wien zu schaffen, wo ein Kolomansheiligtum zur Kathedrale des neuen Bischofs werden sollte.
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Doch bald trat dieses Vorhaben zugunsten eines anderen zurück – des Königreichsplans. In Verona sollte im Frühsommer 1245 alles finalisiert werden : Der Babenberger sollte König eines Reiches werden, das aus Österreich und der Steiermark bestand, samt Krain als lehensabhängigem Herzogtum. Dafür sollte Gertrud, eine Nichte des Babenbergers, den Kaiser heiraten. Da der Herzog bisher keine Kinder hatte, stand die Chance gut, dass die Staufer die Babenberger in ihrem neuen Königreich beerben würden ! Aber Gertrud kam nicht. Sie wollte den gebannten Kaiser nicht ehelichen. Das beirrte den Kaiser nicht : Trotzdem wollte er den Babenberger zum König erheben, um nach dessen erbenlosem Tod seine Länder als erledigtes Reichslehen einzuziehen. Die Absetzung des Kaisers durch das Konzil von Lyon, die Wahl eines Gegenkönigs, vor allem aber der Tod des Babenbergers in einer Schlacht an der Leitha am 15. Juni 1246 – man erinnert sich an den Frust des ungarischen Königs ! – beendeten alle diese Spekulationen. Sofort setzte der Kampf um das babenbergische Erbe ein. Die Nachbarn, Bayern, Böhmen und Ungarn, machten sich ebenso Hoffnungen wie die überlebenden babenbergischen Damen. Die schon erwähnte Gertrud, bereits Witwe nach Wladislaw von Böhmen (†1247), wollte mit ihrem zweiten Mann, Markgraf Hermann von Baden, das babenbergische Erbe regieren, doch starb der Markgraf schon 1250. Kaiser Friedrich II. hingegen betrachtete Österreich und Steiermark als erledigte Reichslehen und entsandte einen kaiserlichen Statthalter, Otto von Eberstein. Otto konnte sich in der Steiermark durchsetzen, nicht jedoch in Österreich. Otto resignierte, worauf der Kaiser Otto II. von Bayern und Meinhard III. von Görz zu Statthaltern ernannte. Keiner der neuen Herren konnte wirklich Terrain gewinnen, es ging drunter und drüber. Nun gab es aber noch eine Schwester Friedrichs des Streitbaren, die Königin Margarete, Witwe nach dem Kaisersohn Heinrich (VII.), der von seinem Vater, Kaiser Friedrich II. abund gefangen gesetzt wurde. Heinrich war schon tot, aber Margarete und Heinrich hatten einen Sohn, der ebenfalls Friedrich hieß. Dieser Enkel des Kaisers sollte nun nach Österreich kommen, aber er starb zu früh. Nun ergriffen die österreichischen »Landherren«, wie sich die Ministerialen etwas großspurig nannten, die Initiative und holten Přemysl II. Otakar, den Sohn König Wenzels von Böhmen und Markgrafen von Mähren, ins Land. Er kam zu Jahresende 1251 und führte seither den Titel eines Herzogs von Österreich. Zwecks zusätzlicher Legitimation ließ er sich schriftlich belehnen und heiratete die in Hainburg sitzende Königin Margarete (1252). Freilich entsprossen dieser Ehe keine Nachkommen. Die verärgerte Gertrud wandte sich den Ungarn zu und heiratete im selben Jahr den Fürsten Roman von Halics. Der scheitert aber militärisch, schickte Gertrud nach Hause und verzichtete. König Bela IV. stritt sich nun höchstselbst mit Otakar II., bis man 1254 ein Kompromiss fand : Bela erhielt die Steiermark, Otakar Österreich, aber mitsamt den bisher steirischen Gebieten nördlich des Gebirges. Die Bucklige Welt und
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der Traungau wurden von da an österreichisch – das Gebiet westlich der Enns wurde schließlich ein neues Land, das Land ob der Enns. Přemysl II. Otakar war nun unangefochten Herzog von Österreich, bald wurde er auch König von Böhmen. Die Unzufriedenheit der Steirer mit der ungarischen Herrschaft nützte Otakar zu einer erfolgreichen Auseinandersetzung (Schlacht bei Groißenbrunn), als deren Ergebnis nun auch die Steiermark unter seine Herrschaft fiel (1261). Nach dem Tod des Spanheimers Ulrich (1269) übernahm er auch die Herzogswürde von Kärnten und Krain, 1272 wurde er »Generalkapitän« von Friaul, damit reichte seine Herrschaft bis zur Adria. Der Herrscher begünstigte die Kirche und die Städte ; aber bald verscherzte er es sich mit dem Adel, der ihn ja gerufen hatte. Přemysl II. Otakar ließ illegitime Burgen brechen, den Landrichter Otto von Meissau, einen der prominentesten österreichischen Landherren, hinrichten und zahlreiche steirische Adelige inhaftieren. Der Steirer Seifried von Mahrenberg wurde ohne Gerichtsverfahren getötet. Es gärte unter den Herren, aber nicht nur in Österreich und Steiermark, sondern auch in seinen Stammlanden. Das ist der Hintergrund der schließlichen Niederlage des »goldenen« Böhmenkönigs gegen den »armen« Grafen Rudolf von Habsburg. Als dieser 1273 zum römischen König gewählt wurde, hätte Otakar um die Belehnung nachsuchen müssen, unterließ dies aber. Darauf verhängten König und Reich Acht und Aberacht über den Přemysliden. 1276 kam es zur Exekution. König Rudolf rückte in die babenbergischen Länder ein, der österreichische und steirische Adel ebenso wie die Mehrzahl der Städte fielen von Otakar ab ; er musste sich unterwerfen, erhielt aber Böhmen und Mähren anstandslos zu Lehen, während die babenbergischen Länder zunächst unter königlicher Verwaltung blieben. Ein neuerlicher Waffengang endete dank starker ungarischer Unterstützung für Rudolf auf dem Marchfeld mit Niederlage und Tod des böhmischen Königs (1278). 1282 konnte Rudolf Österreich und Steiermark mit Zustimmung der Reichsfürsten an seine Söhne verleihen. Marken vor Karantanien: Saunien, Krain, Istrien, Friaul
Der von uns schon genannte Graf Wilhelm (II.) wird Markgraf »an der Sann« genannt. Auch die Geschichte des 1144 in einem Seitental der Savinja gegründeten Klosters Obernburg (Gornji Grad) bewahrt durch zahlreiche Nennungen von Besitzungen und Pfarren »in der March« die Erinnerung an diese Mark. Durch Hemma und die Erzbischöfe von Salzburg fiel ein großer Teil des (mark-)gräflichen Gutes an das Bistum Gurk bzw. das Erzbistum Salzburg. Später haben in diesem Gebiet die Grafen von Cilli bedeutende Besitztümer und Rechte konzentriert. Der Süden dieser Mark fiel schon im 11. Jahrhundert an die Markgrafen von Krain. Graf in der Mark Krain war 973, als Otto II. dem Bischof von Freising eine bedeutende Schenkung in dieser Gegend macht, aus der sich die bischöfliche Herrschaft und
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Stadt Bischoflack (Škofja Loka) entwickelten, ein gewisser Pabo. Bei späteren Schenkungen Ottos III. und Heinrichs II., die diesen Besitz erweiterten, war ein Waltilo dort Graf. Nördlich anschließend und den See von Veldes (Bled) einschließend erhielt Brixen reichen Besitz (1004). Bei späteren diese Güter abrundenden Schenkungen begegnet ein Markgraf Ulrich bzw. dessen Sohn Eberhard († um 1041/44) – die so genannten »Ebersberger«. Deren Position in der Mark könnte noch auf die späte Karolingerzeit zurückgehen. Eine Schwester Eberhards heiratete einen Grafen in Friaul, deren Tochter einen Grafen Poppo von Weimar-Orlamünde. Deren Sohn Ulrich I. war Markgraf von Krain bis 1070. Diese Mark umfasste damals nur Oberkrain, das Laibacher Becken und das östliche Innerkrain. Der größte Teil von Unterkrain gehörte zur Mark Saunien (Mark an der Sann). Aber bald wurden Orte in der Mark an der Sann als »in der Mark Krain« gelegen bezeichnet. Die südlich der Save liegenden Teile der Sanntaler Mark bewahrten im neuen, größeren Krain eine gewisse Sondertradition ; diese lebte noch lange in der Doppelbezeichnung »Krain und die (Windische) Mark« fort. Auch als eigene »Landgrafschaft« wurde das Tal der Savinja (allerdings viel später) bezeichnet. Ulrich I. war spätestens ab 1061 auch Markgraf von Istrien, eine Machtkonzentration begann schon sich vorzubereiten. Doch Ulrich II. von Weimar zog sich nach Verlust der markgräflichen Würde ins heutige Thüringen zurück, den Familienbesitz in Istrien überließ er dem Patriarchen von Aquileja. Schon 1040 hatte der Patriarch eine reiche Königsschenkung bei Zirknitz (Cerknica) erhalten. 1077 kamen Krain und Istrien unter seine markgräfliche Herrschaft, Krain nach kurzer Unterbrechung wiederum 1093, Istrien jedoch erst 1208/10. Die Ausübung dieser Rechte nahmen weltliche Lehensträger (»Landgrafen«) wahr. Jedenfalls haben in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Andechser, in steter Konkurrenz mit den Spanheimern, hier eine führende Rolle zu spielen begonnen. Berthold I. von Andechs nannte sich auch »Graf von Stein« (Kamnik, Slowenien). 1208 wurde den Andechsern Istrien und Krain aberkannt. Immerhin verschoben die Grafen von Weichselburg (Višnja gora) und die Spanheimer die Südostgrenze der Mark und damit die Reichsgrenze gegenüber Kroatien, bis zur Kolpa. In Oberkrain dominierte Heinrich IV. von Andechs weiterhin, durch seine Heirat erbte er die reichen Besitzungen der Weichselburger. Aber er starb 1228 kinderlos. Nun kamen die Babenberger ins Spiel : Herzog Friedrich II. heiratete Agnes, die Nichte des letzten Andechsers, die unter anderem Stein (Kamnik), Krainburg (Kranj), Weichselburg, Wördl (Otočec) usw. mit in die Ehe brachte. Schon 1232 nannte sich Friedrich der Streitbare daher dominus Carniolae, Herr von Krain. Aber es gab daneben noch andere Herren, vor allem die Spanheimer : Herzog Bernhard wurde 1229 vom Bischof von Gurk als Landesfürst (princeps terre) bezeichnet. Sein Sohn Ulrich heiratete 1248 die Witwe des Babenbergers, die schon genannte Agnes. Damit kam das große andechsisch-weichselburgische Erbe an den Spanheimer. Dieser nannte sich jetzt durchaus mit Recht »Herr von Krain«. Da er nach dem Tod Bernhards II. sei-
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nem Vater auch in Kärnten nachfolgte, wäre ein starker spanheimischer Block noch im Bereich des Möglichen gewesen. Doch Ulrich starb, und jetzt rückte König Otakar II. Přemysl, bereits Herzog von Österreich und Steiermark, 1269/70 in Krain ein. 1272 wurde er auch Generalkapitän von Friaul. Sein Reich reichte jetzt von den Sudeten bis zur Adria. Aber es war nicht von langer Dauer. Nach Otakars Sturz und Tod verpfändete König Rudolf von Habsburg das seinen Söhnen verliehene Land Krain dem Görz-Tiroler Meinhard II. Erst nach dem Aussterben dieser Görzer Linie übernahmen die Habsburger 1335 die Landesherrschaft direkt. 1338 erhielt der Krainer Adel eine Bestätigung seiner alten Rechte und Freiheiten. Aber das Land war wieder klein geworden : Der größte Teil Unterkrains blieb görzisch, in der albertinischen Linie. Hier entstand ein neues, kleines Land, die Grafschaft in der Mark und Möttling, mit eigenem (Görzer) Landesfürsten (Albrecht), Landrecht und einem Gerichtsort – Möttling (Metlika). Bis weit ins 15. Jahrhundert war die Landesbildung Krains gefährdet, vor allem durch die wachsende Macht der Grafen von Cilli. 3.3.6 Neue Länder ohne Basis in einer Mark: Tirol und Salzburg
Als Folge reicher Königsschenkungen erlangten die Bistümer Säben (seit Bischof Albuin, ca. 975–1006, Brixen), Trient und Chur hervorragende Ausgangspositionen für die Ausbildung einer territorialen Herrschaft. Kaiser Heinrich II. verlieh 1004 die Grafschaft in Trient dem dortigen Bischof Ulrich. 1027 erhielt der Bischof von Feltre die Grafschaftsrechte im Val Sugana. Im selben Jahr wurden dem Bischof von Trient (wieder) die Grafschaften Trient und Bozen übertragen – obgleich der Vinschgau kirchlich weiterhin nach Chur orientiert blieb. Der Bischof von Trient hatte somit eine herzogsgleiche Stellung erlangt, er nannte sich im 13. Jahrhundert auch »dux«. Im selben Jahr 1027 übertrug der Kaiser die Grafschaft im Eisack- und Inntal an Bischof Hartwig von Brixen. Im heutigen Bundesland Tirol reichte damit die Herrschaft des Brixener Bischofs vom Arlberg und dem Finstermünz-Pass bis zur Ziller-Mündung. 1091 wurde dem Brixener Bischof durch Heinrich IV. auch die Grafschaft im Pustertal übergeben. Östlich des Ziller schloss Immunitätsgut der Bischöfe von Regensburg an. 1133 ging Kufstein als Regensburger Lehen an den Herzog von Bayern. Damit befanden sich alle wichtigen Alpenübergänge der Ostalpen unter bischöflicher Kontrolle. Ein Vizedom von Freising namens Albert (Adalbert) wurde vom Bischof von Trient 1077 mit der Wahrnehmung der weltlichen Herrschaft betraut. Er oder seine Söhne erbauten die Burg Tirol, nach der sich das Geschlecht seit 1141 nannte. Die starke Stellung der Bischöfe von Trient und Brixen wurde jedoch langfristig von ihren Vögten bedroht. Die Vögte waren einerseits Gerichtsherren, andererseits konnten sie das ritterliche Gefolge der Bischöfe aufbieten. Diese Vogteirechte wurden zur
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Basis für die Herrschaftsbildung der Tiroler, Andechser und schließlich der Görzer. Zunächst schienen die Andechser als Brixener Vögte im Inntal in der besseren Position. Durch die Gründung von Innsbruck (auf zuvor dem Stift Wilten gehörendem Boden) um 1200 (Stadtrecht 1239) hatten sie den wichtigsten Innübergang in der Hand. Aber 1248 starb Herzog Otto, Innsbruck und das Inntal fielen an Graf Albert von Tirol. Der große Alpen-Adria-Staat der Andechser entstand nicht. Der Graf von Tirol, dessen Machtzentrum im Süden lag (Podestá von Trient, Herr von Bozen), hatte schon früher seinen Einflussbereich als Vogt von Brixen langsam nach Norden und Osten erweitert, auf Kosten der Brixener Bischöfe. Aber auch auf Besitz des Bistums Chur griff er zu und erbaute im Vinschgau die Burg Obermontani (1228 Lehen vom Bischof ). Knapp vor dem Tod des Grafen Albert III. von Tirol (1253) starben auch die Grafen von Ulten aus, ihr Besitz fiel an die Erben des Tirolers. Innsbruck fiel zunächst an die Grafen von Hirschberg, 1263 an Meinhard von Görz-Tirol, einen Enkel des Grafen Albert. Dieser Meinhard II. (1259–1295) gilt als der eigentliche »Schöpfer« des Landes Tirol. In einem atemberaubenden Prozess vermehrte er nicht nur die Besitzungen und Rechte, die er von den Grafen von Tirol sowie den Grafen von Ulten oder Eppan geerbt hatte, um das Inntal zwischen Landeck und Schwaz und um mehrere Trienter und Brixener Gerichte in den heutigen Provinzen Bozen und Trient. Die Bischöfe von Trient und Brixen schaltete er zeitweilig völlig von der Herrschaft über deren Besitz aus – erst knapp vor seinem Tod versprach er eine Restituierung der bischöflichen Territorien, was allerdings erst 1307 umgesetzt wurde. Zahlreiche Ministerialen der Hochstifte traten in seine Dienste. Er schuf aus diesen auf ganz unterschiedlichen Rechten basierenden Besitzungen ein einheitliches Gebiet, für das er auch ein eigenes, besonderes Landrecht, abgesondert von Bayern, beanspruchte und durchsetzte (1280/1282). Tatsächlich hatte ja der Süden, das Bistum Trient, seit dem Frühmittelalter zum langobardischen Königreich gehört, die Brixener Bistumsgebiete allerdings immer zu Bayern. Die Verwaltung der Gerichte und Einkünfte übertrug er mit zeitlicher Befristung niederen – ritterlichen oder bürgerlichen – Dienstleuten, denen er den Ritterschlag verweigerte, um die Möglichkeit zu feudaler Verselbstständigung zu unterbinden. Die Richter wurden zum wichtigsten Bindeglied zwischen dem Fürsten und den Bauern. Dieser direkte Kontakt – mit weitgehender Ausschaltung der feudalen Zwischengewalten – war die Voraussetzung für die im späten Mittelalter durchgesetzte Landstandschaft der (bäuerlichen) Gerichte ! In seiner Politik spielte neben Gewalt und Diplomatie das Geld eine bedeutende Rolle. Durch Kreditgeschäfte und Kauf erwarb Meinhard große Besitzungen wie jene der Grafen von Flavon im Nonsberg oder der Edlen von Wangen oder der Grafen von Eschenloch oder der Grafen von Hirschberg im Unterinntal (bis zum Ziller). Neben Zolleinkünften von Brenner und Reschenpass, neben den Abgaben der blühenden Städte, unter denen Bozen als überregional bedeutender Handelsplatz eine besondere Stellung einnahm, und neben Einnahmen aus
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Silberbergbau und Münzprägung lieferte insbesondere die technisch verbesserte Saline Hall enorme Einnahmen – die Gewinne aus der Saline sollen ein Zehntel der gesamten fürstlichen Einkünfte betragen haben. Der Rechtssicherheit diente die Übernahme der in Italien schon verbreiteten Institution des Notariats – wie sich Meinhard ja auch in Oberitalien (als zeitweiliger Verbündeter der Veroneser Scaliger) bestens zurechtfand. Das neue Land Tirol, die Schöpfung Meinhards II., trägt im Namen weder die Erinnerung an ein altes Herzogtum (wie Bayern oder Kärnten) noch an eine Mark (wie Österreich), sondern an die Stammburg jenes Geschlechts, das der Görzer beerbte. Der rasche, mit Gewalt und Geld vorbereitete, durch eine kluge Verwaltung, Wirtschaftsund Sozialpolitik mit kräftigen Entfeudalisierungstendenzen nachhaltig gewordene Integrationsprozess führte schließlich zu einer neuen quasi-ethnischen Einheit, den Tirolern, die bis heute ihr hoch entwickeltes Bewusstsein von Eigen-, ja Einzigartigkeit beibehalten haben. Vergleichbar mit Tirol, wenngleich im territorialen Umfang weniger weitläufig, ist der Landesbildungsprozess der Erzbischöfe von Salzburg. Das Land der Erzbischöfe umfasst nur einen kleinen Teil des riesigen Diözesangebietes des Erzbistums ; als weltlicher Herrschaftsbereich der Erzbischöfe beschränkte es sich auf jene Regionen, in denen die Erzbischöfe nicht nur über große, räumlich zusammenhängende Besitzungen, sondern auch über alle wichtigen Herrschaftsrechte, vor allem Gerichtsrechte, verfügten. Im Wesentlichen entspricht diesem Land das heutige Bundesland Salzburg, reichte aber im Rupertiwinkel (Laufen, Tittmoning) ins heutige Bayern und über die Tauern nach Süden (Gmünd, Windisch-Matrei) nach Kärnten und Osttirol hinaus. Die Grundlage für dieses spätere Land bildeten die reichen Schenkungen, welche die (Erz-)Bischöfe von den bayerischen Herzogen, vom Adel, von karolingischen und späteren Königen und Kaisern erhielten. Hauptvögte waren seit etwa 1035 Mitglieder der verbreiteten Sippe der Sighardinger. Ein großes geschlossenes Herrschaftsgebiet der Erzbischöfe entstand zunächst in den Wald- und Rodungsgebieten des Pongaus, von wo man auch ins obere (karantanische !) Ennstal vordrang, später auch im Gasteiner- und im Rauriser Tal. Das Gasteinertal ging allerdings um 1020 im Tauschweg an die Sighardinger. Im 11. bis 13. Jahrhundert wurde auch das Gebiet zwischen Wolfgangsee und Fritztal (Osterhorngruppe) kolonisiert. Urkundenfälschungen auf König Arnulf und Kaiser Otto II. (1051 bestätigt) beschrieben den geschlossenen Besitz – er reichte von Zell am See bis an die Ischl. 1002 erhielt Salzburg auch Besitz im Lungau – das spätere Mauterndorf. Im Investiturstreit wandelten sich die Beziehungen zwischen dem Erzbischof und seinen adeligen Gefolgsleuten. Diese trachteten immer klarer danach, eigene Herrschaften auf Kosten des Kirchengutes aufzubauen. Erzbischof Konrad I. (1106–1147) war nicht nur ein unbeirrbarer Vertreter der Kirchenreform und des Papsttums, son-
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dern schuf auch eine neue Basis für die weltliche Herrschaft der Erzbischöfe. Er ließ zahlreiche Burgen erbauen oder verstärken, wie Hohensalzburg und Hohenwerfen, ferner in Friesach, Deutschlandsberg, Leibnitz, Pettau (Ptuj) und Reichenburg (Brestanica, beide in Slowenien). Burggrafen wurden ministerialische Dienstleute mit zahlreichem ritterlichem Gefolge. Aus der Familie der Burggrafen von Leibnitz stammte Bischof Roman I. von Gurk (1131–1167). Von den Burggrafen von Hohenwerfen stammten die späteren Herren von Gutrat ab, die die hohe Gerichtsbarkeit im Pongau ausübten und an der Besiedlung des Lammertales mitwirkten. 1142 schenkte der letzte Nachkomme der Grafen von Lurn, Bischof Altmann von Trient, dem Hochstift reichen Besitz in Oberkärnten, mit Sachsenburg und Gmünd. Mit der Einbeziehung der Freien von Katsch (südlich des Katschbergs) entstand hier ein großer salzburgischer Herrschaftskomplex, der – via Katschberg und Radstädter Tauern – einen wichtigen Alpenübergang sicherte. In Kärnten ließ Erzbischof Konrad I. den Gurker Markt Friesach abbrechen und unter dem Fuß der Petersberg-Festung neu anlegen. Friesach wurde zur bedeutendsten Stadt Kärntens. Die seit etwa 1130 hier geprägten Friesacher Pfennige erlangten überregionale Bedeutung. In Salzburg selbst treten zur Zeit Konrads erstmals cives auf, ein Stadtrichter und eine Zeche der Bürger – eine Novität im deutschen Sprachraum. Wahrscheinlich wurde die bürgerliche Siedlung auch in den Mauerring einbezogen – damit wies Salzburg früher als alle anderen Städte im heutigen Österreich die wichtigsten Züge einer mittelalterlichen Stadt auf. St. Peter und das Domkapitel erbauten den Almkanal, um Nutzwasser in die Stadt zu bringen – mit dem Stollen durch den Mönchsberg ein erstaunliches Denkmal technischen Könnens ! War die Stadt zunächst eine Marktsiedlung im Dienste der geistlichen Institutionen (Erzbischof, Domkapitel, Abtei St. Peter), so entwickelte sie sich im 13. Jahrhundert durch den Saumhandel von und nach Venedig zu einem wichtigen Platz des Fernhandels. Im Kampf zwischen Kaiser Friedrich I. und Papst Alexander III. stand Erzbischof Eberhard I. (1147–1164) eindeutig auf Seiten des Papstes, ebenso wie sein Nachfolger Konrad II. (1164–1168), ein Babenberger. 1168 wurde der böhmische Prinz Adalbert (II.) gewählt, dem freilich die Ministerialen bald die Gefolgschaft verweigerten, weshalb Barbarossa die Absetzung Adalberts durchsetzen konnte ; der Klerus blieb aber auf der Seite des Papstes Alexander. Erst nach dem Frieden von Venedig (1177) wurde ein allgemein anerkannter Erzbischof gewählt, Konrad III. (1177–1183), der war aber schon Erzbischof von Mainz, wohin er auch 1183 zurückkehrte. Unter seiner Regierung begann der Bau des romanischen Domes, des größten im damaligen Süddeutschland. Er sollte den baufällig gewordenen Virgil-Dom ersetzen. Jetzt durfte Adalbert II. wieder die Regierung antreten (1183–1200). Von den aufsässigen Ministerialen wurde er 1198 zwei Wochen lang gefangen gehalten. Als sein Nachfolger wurde Eberhard II. (1200–1246) gewählt, von schwäbischer Herkunft und ein unbedingter Anhänger der Staufer. In der Reichspolitik erwies er
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sich häufig als erfolgreicher Vermittler. Gleichzeitig vertrat er mit großem Nachdruck die fürstliche – weltliche – Position des Salzburger Metropoliten. Wichtige territoriale Erwerbungen konnte er buchen, wie (Windisch-) Matrei im heutigen Osttirol, aber auch die Grafschaft Oberpinzgau mit Mittersill (beides von den Grafen von Lechsgemünd, 1207). 1228 erwarb Eberhard die Lehenshoheit über den gesamten Pinzgau. Nach dem Aussterben der Grafen von Lebenau 1229 erwarb der Erzbischof deren Herrschaftsgebiet. Von großer Bedeutung war die Einziehung der Hochstiftsvogtei nach dem Aussterben der Peilsteiner 1218, die seither nie mehr verliehen wurde – damit wurde das Gerichtsmonopol der Erzbischöfe vorbereitet. Der peilsteinische Besitz in Reichenhall und im Gasteinertal fiel aber zunächst an den Bayernherzog. Ähnlich wie im Falle Meinhards II. spielten Einkünfte aus der Salzproduktion eine höchst bedeutende Rolle in der Politik des Erzbischofs. Schon im späten 12. Jahrhundert war der Bergbau am Dürrnberg wieder in Betrieb genommen worden, die Sole wurde in den später »Hallein« genannten Ort (1262 civitas) geleitet und dort versotten. Technische Innovationen dürften von den Zisterziensern von Salem oder Raitenhaslach stammen. Eberhard überschwemmte den Markt mit billigem Salz und verdrängte so das Salz von Reichenhall. Später ließ er die Produktion drosseln und erhöhte die Preise. – Eigentümlich war die »Regierung« Philipps von Spanheim (1247–1256), der die höheren Weihen verweigerte, als »Erwählter« (electus) und tüchtiger Kriegsmann aber eine für das Erzstift durchaus erfolgreiche Politik betrieb. Er expandierte ins Ennstal und es schien, als würde Salzburg nach einem Sieg bei Greifenburg über die Tiroler und Görzer auch ganz Oberkärnten beherrschen können. Beide Positionen gingen aber später wieder verloren. Die Grafschaft im Lungau konnte er als erledigtes Lehen einziehen, er bereitete auch den Anfall der Herrschaftsrechte und Besitzungen der letzten Grafen von Plain vor, der 1260 gerade die Gerichte im engeren Umkreis der Stadt Salzburg unter die direkte Herrschaft des Erzbischofs brachte. Entscheidende Fortschritte in der Landesbildung brachte die Regierung Erzbischof Friedrichs II. von Walchen (1270–1284), der schon seit 1265 als Dompropst gewirkt hatte. Er ging konsequent gegen die inzwischen mächtig und selbstbewusst gewordenen Ministerialengeschlechter mit militärischen ebenso wie geistlichen Mitteln vor. Von König Rudolf von Habsburg, den er massiv unterstützte, hatte er 1278 ein Privileg zur unbeschränkten Ausübung der Gerichtsbarkeit erhalten. Der Erzbischof sollte zum obersten Gerichtsherren in seinen Landen werden. Der Kampf gegen die mächtigen Geschlechter dauerte noch lange, doch blieben die Erzbischöfe letztlich siegreich. Im Ergebnis wurde das Land der Erzbischöfe ein früher Beamtenstaat.
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3.3.7 Das Neue an den neuen Ländern
Die neuen Gebietskomplexe wiesen eine veränderte Binnenstruktur auf. Man hat für die älteren Herrschaftsverhältnisse von einem »Personenverbandsstaat« gesprochen, für die spätmittelalterlich-neuzeitlichen von einem »institutionellen Flächenstaat«. Die im Hochmittelalter neu entstandenen Einheiten könnte man als »territorialisierte Personenverbandsstaaten« bezeichnen. Denn einerseits sind diese neuen »Länder« viel stärker als ältere politische Einheiten auf eine bestimmte Fläche, auf ein bestimmtes Territorium bezogen. Andererseits entspricht den neuen Ländern stets ein Personenverband, der noch nicht mit der Einwohnerschaft identisch ist : Es sind in erster Linie die Ministerialen der Landesfürsten, dann aber auch deren niedere Ritter, ferner die ritterlich-bürgerliche Oberschicht der Städte, die zunächst allein den Personenverband des Landes (die Österreicher, die Steirer, die Tiroler) ausmachten. Diese Leute waren das militärisch-ritterliche Potential der zum Landesfürsten aufsteigenden Herren. Man verwendete sie aber auch im Siedlungsausbau und übertrug ihnen die Verwaltung wichtiger Positionen : die Position von Burggrafen der wichtigsten Burgen, Richterämter und die Untervogtei über bevogtete Kirchen und Klöster. So gelangten diese Ministerialen auch zum Recht des Burgenbaues und zu guter Letzt zu voller adeliger Herrenstellung. Bald traten sie auch als Klostergründer auf : Besonders früh die österreichischen Kuenringer, die nicht nur als Gründer von Zwettl (1137/38) hervortraten, sondern auch als Städtegründer und Stadtherren (Zwettl, Weitra, Zistersdorf, Dürnstein). Das war vor der Mitte des 13. Jahrhunderts durchaus ungewöhnlich. Aber die Kuenringer waren auch Ministerialen besonderer Art. Der Ahnherr des Geschlechts soll im 11. Jahrhundert ein Azzo gewesen sein, der 1056 von Heinrich IV. (in Wirklichkeit von dessen Mutter) Besitz zu Hetzmannswiesen erhielt. Die Kuenringer nahmen damit eine Entwicklung vorweg, die im 12. und 13. Jahrhundert den Charakter der Ministerialität vollständig änderte : Aus den »ministeriales ducis«, den Dienstleuten des Herzogs, wurden »ministeriales terrae«, Dienstleute des Landes (in Österreich vereinzelt schon vor, ständig aber seit 1246). Aus den »Dienstmannen« wurden – im Deutschen – »Dienstherren« und schließlich noch im 13. Jahrhundert »Landherren«. Das war der Kern des »Herrenstandes«, der oberen Adelskurie der österreichischen und steirischen Landtage des Spätmittelalters. Außerdem zog der erfolgreiche Landesfürst die Gefolgschaft der unterlegenen (oder ausgestorbenen) adeligen Konkurrenz an sich. Diese letzteren Gruppen verschmolzen schließlich mit den Rittern in und um die alten Burgstädte zum »Ritterstand« des Spätmittelalters. Solche landesfürstlichen »Ritter« wurden schon im späten 13. Jahrhundert vom Landesfürsten zu Beratungen mit herangezogen. Der Warenaustausch auf den diversen Märkten, die Marktimmunität, aber auch der Warentransport selbst erheischten größeren Schutz. Der wachsende Verkehr bediente
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sich lieber jener Straßen, von denen man wusste, dass sie von mächtigen Herren geschützt waren. Ausbau und Schutz von Straßen und Pässen, Städten und Märkten konnten nur die größten Herren leisten. Diese Leistung verlieh diesen Herren ein weiteres Übergewicht über ihre Konkurrenten. Denn die Städte und die Mautstationen an den diversen Pässen und Straßen brachten zusätzliche Einnahmen, noch dazu in Geld. Mit Geld konnte man statt feudaler Lehensleute Söldner bezahlen, deren großer Vorteil in ihrer beliebigen Verwendbarkeit bestand. Und mit Geld konnte man zur Abrundung der territorialen Basis wichtige Positionen käuflich erwerben – noch dazu, wo eben dieses Geld den ärmeren (und auf ihre agrarische Basis beschränkten) Konkurrenten nur begrenzt zur Verfügung stand. So haben die Babenberger durch Kauf nicht unbeträchtliche Gebiete erworben. Ganz ähnlich ging Meinhard II. von Görz-Tirol in der Endphase der Landesbildung von Tirol vor. Er hat eine ganze Reihe von Adelsgeschlechtern einfach ausgekauft. Die Städte brachten nicht nur Geld, sondern auch militärische Potenzen. Diese wachsende militärische Bedeutung kann wenigstens mit erklären, warum im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts neben die »Landherren« (die Ministerialen des Landes, nur mehr wenige Grafen und freie Herren) nun auch die Ritter und Städte treten, wenn der Landesfürst mit »seinen« Leuten – dem Personenverband des Landes – wichtige Dinge des Landes (etwa einen Landfrieden) berät und verfügt. Die zum Lande gehörigen Gruppen, die Ministerialen, Ritter und Städte des Landesfürsten, bilden seit dem Spätmittelalter die Landstände. Erste Spuren dieser neuen Gruppierungen sind in der Frühzeit der Habsburger in Österreich erkennbar, als 1281 die stete und ritter und chnappen von dem lande ze Oesterreich dem zwischen König Rudolf von Habsburg und den Landherren (= Dienstherren, Ministerialen) in Österreich geschlossenen Landfrieden mit gesonderter Urkunde beitraten. Im Zuge der feudalen Entwicklung haben sich die Stammesgesellschaften der Bayern und der Karantanen völlig aufgelöst. Ebenso wie früher der Stamm hat auch das neue Land ein von Kriegern getragenes Bewusstsein (»Landesbewusstsein«). Man kann es auf Grund verschiedener Quellenaussagen als ethnisches Bewusstsein erkennen, da dem »Österreicher« oder dem »Steirer« des 13. Jahrhunderts Verhaltensweisen zugeschrieben werden, die als »ethnisch« zu interpretieren sind wie gemeinsame Haartracht, Kleidung, Sprache. Diese »Österreicher« und »Steirer« sind natürlich noch nicht alle Bewohner des entsprechenden Territoriums : Es waren die Angehörigen der Landstände, wie sie sich im Prozess der Landesbildung herausgebildet hatten. Das neue Land war auch ein besonderes Rechtsgebiet – jedes Land hatte sein je eigenes Landrecht. Es enthielt zunächst die Rechte und Pflichte der Ministerialen (später Landherren !), entwickelte sich aber darüber hinaus zu einem flächendeckenden, gemeinsamen Recht, das auch auf den Besitzungen von Reichsfürsten in den einzelnen Ländern galt, etwa auf den freisingischen Besitzungen in Österreich.
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Das Hochmittelalter
Der Vorgang der Landesbildung hatte auch eine reichsrechtliche Seite. Von den princeps-Nennungen Barbarossas für den steirischen Markgrafen Otakar III. war schon die Rede. Offensichtlich zielte die Politik der Staufer darauf ab, die Gunst dieser Herren zu gewinnen und zu erhalten – wobei Kaiser Friedrich I. sehr darauf sah, dass die Herrschaftsgebiete dieser neuen Reichsfürsten deutlich kleiner waren als die alten Herzogtümer. Summarisch wurden den Fürsten in zwei solennen Rechtsakten ihre Positionen verbrieft, in der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (1220) und im Statutum in favorem principum (1231). Während Friedrich II. im ersten Vertragswerk praktisch auf alle kaiserlichen Rechte nach dem Wormser Konkordat von 1122 verzichtete, ging es im zweiten Privileg inhaltlich in erster Linie um eine Begünstigung der Fürsten und ihrer Städte gegenüber den damals aufblühenden königlichen (»Reichs«-) Städten, denen unter anderem verboten wurde, Eigenleute der Fürsten und Adeligen aufzunehmen. Ergänzt wurde diese Privilegierung allerdings durch die Verpflichtung der Fürsten, neue rechtliche Bestimmungen nur mit Zustimmung der meliores et maiores terrae (der Besseren und Größeren des Landes) zu erlassen, worin man einen der Ansatzpunkte für die Mitwirkung der Landstände an der landesfürstlichen Herrschaft sehen kann.
Abb. 4: Porträt Herzog Rudolf IV. Dom Museum Wien – Domkapitel. Foto: © Dom Museum Wien
4 Das späte Mittelalter Herrschaft und Haus Österreich
4.1 Die Etablierung der Habsburger im Ostalpenraum Rudolf von Habsburg hatte über Otakar II. Přemysl gesiegt, weil er starke Unterstützung erfuhr, so durch Erzbischof Friedrich von Salzburg, durch König Ladislaus von Ungarn und vor allem durch Meinhard II. von Görz-Tirol. Wie so häufig wurde das Bündnis durch eine Familienverbindung bekräftigt : Albrecht, der älteste Sohn Rudolfs, wurde mit Elisabeth, der Tochter Meinhards II., verheiratet. Rudolf verlieh, nach Zustimmung durch die Reichsfürsten, 1282 Österreich, Steiermark und Krain mit der Windischen Mark seinen beiden Söhnen Albrecht und Rudolf. Meinhard II. wurde 1286 das Kärntner Herzogtum verliehen, Krain und die Windische Mark erhielt er als Pfandschaft, für seine Ausgaben im Kampf um das babenbergische und spanheimische Erbe. Den Österreichern war die Doppelherrschaft ungewohnt, sie baten Rudolf um einen einzigen Herzog. Das wurde dann Albrecht I. (Herzog von Österreich und Steiermark 1282–1298, König 1298–1308). Sein Bruder Rudolf (II.) heiratete Agnes von Böhmen, starb aber schon 1290. Dessen erbenloser (und deshalb unzufriedener) Sohn wurde 1308 zum Mörder seines Onkels. 4.1.1 Albrecht I. und seine Söhne
Der Eintritt der Habsburger in die österreichische Geschichte gestaltete sich keineswegs einfach : Die Klöster und viele Städter trauerten Otakar II. Přemysl nach, der der Kirche und den Städten wohl gesonnen war. Wien galt unter Rudolf (wieder, wie schon unter Kaiser Friedrich II.!) als Reichsstadt, der Landesadel fühlte sich schon als Reichsadel. Albrecht aber war ein Fremder, ein »Schwabe«. Der herzog muoz gen Swâben wider Mit allen sînen Swâben (Der Herzog muss wieder nach Schwaben, mit allen seinen Schwaben), so lieh der Dichter des sog. »Seifrid Helbling« der Ablehnung österreichischer Verschwörer gegen Albrecht unmissverständlichen Ausdruck. Unter »seinen
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Schwaben« befanden sich etwa die Herren von Walsee (Waldsee, östlich des Bodensees), die Landenberger oder die Wehinger. Die Walseer gelangten später als Hauptleute in verschiedenen Ländern, vor allem aber im Land ob der Enns noch zu großer Bedeutung. Ein Nachkomme der Wehinger wurde später Bischof von Freising. Albrecht war ein strenger Herr. Sein Aussehen – als Folge einer seltsamen Behandlung einer Erkrankung, die man als Vergiftung interpretierte, fehlte ihm ein Auge – war nicht besonders einnehmend, auch scheint ihm die Leutseligkeit des Vaters gefehlt zu haben. Den bei Regierungsantritt eingerichteten »Rat« von 16 Landherren berief er kaum ein, dafür erhielten die verhassten »Schwaben« die wichtigen Ämter eines Landrichters ob der Enns oder eines Marschalls von Österreich. Den Steirern verweigerte Albrecht zunächst die Bestätigung der Georgenberger Handfeste. Rasch wuchs die Unzufriedenheit. Ein erster Aufstand brach in Wien aus, unter Führung der einflussreichen Sippe der Paltrame (der bekannteste war Paltram vor dem Stefansfreithof ), welche die Handwerker mobilisieren konnten. Aber der Aufstand brach bald zusammen, Wien verlor seine Reichsunmittelbarkeit. Wenig später führte die »Güssinger Fehde« (1289/90) zu einer Konfrontation mit Ungarn, die wie üblich 1296 mit einer Heirat (König Andreas III. bekam Albrechts Tochter Agnes zur Frau) beendet wurde. Inzwischen probten die Steirer, unterstützt durch Erzbischof Konrad IV. von Salzburg, den Aufstand. Albrecht kam jedoch mitten im Winter (Februar 1292) über den verschneiten Semmering, die Gegner flohen, Albrecht eroberte und zerstörte das salzburgische Friesach. Doch bestätigte jetzt Albrecht die steirischen Landesfreiheiten, das beruhigte die Steirer. Allerdings verlor Albrecht gleichzeitig die durch den Tod des Vaters notwendig gewordene Königswahl gegen Adolf von Nassau – man wollte den energischen Habsburger im Reich nicht ! Es folgten weitere Aufstände, aber die Gegner Albrechts gingen zu dessen Glück nie gemeinsam vor. Dadurch gelang es Albrecht, die Träger der antihabsburgischen Bewegungen zu isolieren – gegen die Landherren begünstigte er die niederen Ritter und die Städte, gegen die Bischöfe und alten Orden die Bettelorden. Die Sicherung des babenbergischen Erbes in der überaus kritischen Situation ab 1292 sei der Leistung des Vaters »ebenbürtig zur Seite zu stellen«, urteilt Alois Niederstätter. Zur Stabilisierung der Landesherrschaft in den ehemals babenbergischen Herzogtümern kam, in Fortsetzung der Politik des königlichen Vaters, eine konsequente Politik der Erweiterung der Besitzbasis. Den breiten Streubesitz im Westen ergänzte er durch zahlreiche Ankäufe an der oberen Donau und im Neckargebiet, aber auch in der späteren Schweiz. Nach dem 1302/03 angelegten Urbar der »oberen Lande« herrschte der Habsburger im Elsass, in Schwaben und auf dem Boden der späteren Schweiz über 28 Städte, 164 Höfe, 43 Burgen und 76 Kirchen, dagegen war die Zahl der abhängigen Bauern relativ klein. Der gesamte Besitz lag außerdem durchwegs in Gemengelage mit Besitz und Rechten anderer Herren, ein geschlossenes Territorium wurde daraus
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Karte 4: Das Gebiet des heutigen Österreich um 1350.
nie – auch wenn die Habsburger noch lange nach der Erneuerung des Herzogtums Schwaben strebten. 1298 setzten die Kurfürsten König Adolf von Nassau (wieder) ab und wählten doch Albrecht zum »römischen König«. Die Schlacht bei Göllheim (1298) entschied Albrecht für sich, Adolf fiel. Albrecht wurde in Frankfurt nochmals gewählt und in Aachen gekrönt. Mit Österreich, Steiermark, Krain, der Windischen Mark und Pordenone belehnte er seine Söhne Rudolf (III.), Friedrich (»den Schönen«) und Leopold zur gesamten Hand, doch sollte Rudolf III. als ältester der Chef sein. Rudolf heiratete 1300 Blanche von Valois, die aber schon 1305 starb. Der zukünftige Schwager Rudolfs, König Philipp IV., hatte darauf gedrungen, dass jener allein die Herzogtümer beherrschte, die jüngeren Brüder mussten verzichten. In Böhmen endete nach den rasch aufeinander folgenden Todesfällen Wenzels II. (†1305) und Wenzels III. (ermordet 1306) die Dynastie der Přemysliden. Albrecht I. sicherte seinem Sohn Rudolf III. die Königskrone, doch der regierte nicht einmal ein Jahr und starb schon im Frühsommer 1307. Ihm folgte in den Herzogtümern Friedrich »der Schöne« (1306–1330). Böhmen ging rasch verloren. Die Ehemänner der überlebenden Töchter Wenzels II., Herzog
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Heinrich von Kärnten-Tirol und Johann von Luxemburg, stritten um die Nachfolge. Erfolgreich war der Luxemburger. Seit der Ermordung Albrechts I. durch dessen Neffen Johann Parricida (1308) waren die habsburgischen Brüder allein auf sich gestellt. Neben Friedrich, dem – jetzt – ältesten des Hauses trat Herzog Leopold I. vor allem im Westen hervor, der sich sogleich an die Verfolgung der Königsmörder machte. Friedrich bemühte sich weder um Böhmen noch um das Reich besonders intensiv. In beiden Fällen setzten sich die Luxemburger durch : 1308 wurde Heinrich von Luxemburg als Heinrich VII. römischer König (und später auch Kaiser), sein Sohn Johann wurde König von Böhmen. Friedrich ließ sich finanziell entschädigen. Während Friedrichs Abwesenheit von Wien versuchten Wiener Erbbürger und österreichische Landherren nochmals einen Aufstand, aber der steirische Landeshauptmann Ulrich von Wallsee schlug die Revolte nieder. Für die 1314 erfolgte Heirat Friedrichs des Schönen mit Isabel, Tochter des Königs Jayme II. von Aragon, forderte der Schwiegervater eine Verzichtsleistung der Brüder und eine Garantie durch die österreichischen Landstände. Die gab es damals noch nicht als voll ausgebildete Institution, aber die einzelnen (späteren) Kurien waren schon mehrfach mit den Landesfürsten aufgetreten. In der Bestätigung für den aragonesischen König sind sie erstmals gemeinsam genannt – die (Land-) Herren, die Ritter, die Städte und die Prälaten. Der Tod Heinrichs VII. (1313) bot Friedrich dem Schönen eine zweite Chance als Königskandidat. Es kam zu einer Doppelwahl zwischen ihm und dem Wittelsbacher Ludwig dem Bayern. Letztlich mussten die Waffen entscheiden. Bis zur Entscheidung dauerte es freilich. Die lang anhaltende militärische Bereitschaft war teuer – die österreichischen, steirischen oder auch vorländischen (schwäbischen) Herren betonten, dass ihre landrechtliche Heerfolgepflicht nur ein Monat dauere und nur für den Verteidigungsfall gelte. Feldzüge außer Landes ließ man sich bezahlen. Unzählige Verpfändungen einzelner landesfürstlicher Einkünfte zeigen das Bild einer noch nicht besonders elaborierten Finanzverwaltung. Schließlich kam es – erst 1322 – in der Nähe des damals salzburgischen Mühldorf am Inn zur Entscheidung. Friedrich verlor die Schlacht und geriet in Gefangenschaft des Bayern. Während der Auseinandersetzung zwischen den beiden Königskandidaten Friedrich und Ludwig mussten die Habsburger auch in einem anderen Konflikt eine Niederlage hinnehmen. Herzog Leopold wollte die Schweizer wegen eines Überfalls auf das unter habsburgischer Vogtei stehende Kloster Einsiedeln bestrafen. 1315 siegten die Schweizer Bauern am Morgarten über das habsburgische Ritterheer ; die Schweizer hatten die Gunst der Lage genützt und die Panzerreiter in einer Talenge angegriffen, wo sich diese nicht entfalten konnten. Das war also gründlich misslungen. Die seit 1291 bestehende Eidgenossenschaft zwischen Schwyz, Uri und Unterwalden wurde erneuert.
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Leopold I., jedenfalls der aktivere der habsburgischen Brüder, bemühte sich dennoch, die Position der Habsburger in den »oberen Landen« wieder zu befestigen. 1318 kam es zu einem Vertrag mit den Eidgenossen. Friedrich wurde 1325 aus der Gefangenschaft entlassen mit der Auflage, bei seinen Brüdern die Anerkennung Ludwigs durchzusetzen. Falls dies nicht gelänge, würde er wieder als Gefangener zurückzukehren. Tatsächlich kam Friedrich nach dem Scheitern seiner Mission nach Bayern zurück. Aber Ludwig setzte ihn nicht mehr gefangen, sondern anerkannte den Habsburger als zweiten König ! Dieses in der Verfassungsgeschichte des Reiches einmalige Doppelkönigtum war aber eher Schein als Wirklichkeit, denn Friedrich wurde in der Folge in Reichsangelegenheiten nicht (mehr) aktiv. 1326 starb Leopold I. Friedrich der Schöne, der zuletzt häufig in Gutenstein, damals an der Grenze zwischen Österreich und Steiermark, lebte, starb 1330. Bestattet wurde er in der von den habsburgischen Brüdern 1316 gestifteten Kartause Mauerbach im Wienerwald. Nach dem Tod Leopolds wünschte der jüngste der habsburgischen Brüder, Otto »der Fröhliche«, eines der Herrschaftsgebiete für sich. 1329 übernahm er den Westen, also die »oberen Lande«. Dort residiert Königin Agnes, eine der Töchter Albrechts und verwitwete Königin von Ungarn, in dem von ihrer Mutter Elisabeth nach dem Mord an Albrecht I. gegründeten Kloster Königsfelden. Sehr geschickt verwaltete sie das Kloster und ihren Eigenbesitz, wirkte auch als diplomatische Vermittlerin und Friedensstifterin. Auf Grund einer schweren Behinderung Albrechts II., der seit 1330 faktisch gelähmt war, musste Otto auch anderwärts herrscherlichen Verpflichtungen nachkommen. Vielleicht hängt die Gründung einer zweiten Kartause im Herzogtum Österreich (Gaming), im selben Jahr 1330, mit Albrechts Erkrankung zusammen. Gerade jetzt wurde auch die Kärntner Frage wieder akut. Herzog Heinrich von Tirol und Kärnten hatte nur zwei Töchter, seine Brüder waren vor ihm gestorben. Kaiser Ludwig (»der Bayer«) kam mit den Herzogen Albrecht und Otto überein, dass diese nach dem Tod Herzog Heinrichs Kärnten und Krain, der Kaiser selbst aber Tirol erhalten sollte. Das richtete sich auch gegen die Luxemburger, denn die görzische Erbtochter Margarete »Maultasch« hatte gerade Johann Heinrich von Luxemburg geheiratet. Nach dem Tod Heinrichs hielt Kaiser Ludwig sein Wort : Am 5. Mai 1335 belehnte er Albrecht II. und Otto den Fröhlichen in Linz mit dem Herzogtum Kärnten. Auch die Pfandschaft über Krain, die bisher Herzog Heinrich innegehabt hatte, fiel nun an die Habsburger (eigentlich : zurück). Otto der Fröhliche unterzog sich im Juli 1335 der ehrwürdigen, aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammenden Zeremonie am Fürstenstein nächst der Karnburger Kirche und nahm so das Land (wir erinnern uns : eigentlich nur den Herzogstitel und einen relativ kleinen Teil des alten Landes) in Besitz. Dabei empfing der Herzogsbauer,
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ein Edlinger, auf dem Fürstenstein, einem umgedrehten antiken Säulenstumpf, sitzend, den neuen Herzog. Dieser kam selbst in Bauernkleidung und führte ein Ackerpferd sowie einen Stier an der Hand. Nun fragte der Herzogsbauer den Herzog auf Slowenisch, ob er ein guter Christ, ein gerechter Richter (usw.) sein würde. Nach den rituellen positiven Antworten und einem Umzug mit Gesang um den Stein gab er den Sitz frei, erhielt Pferd und Stier zum Geschenk. Jetzt nahm der Herzog hier Platz. Anschließend erfolgte die kirchliche Weihe im »Dom« von Maria Saal. Zuletzt huldigte der Adel dem Herzog, der jetzt seine bäuerliche Kleidung ablegte. Vom Herzogsstuhl auf dem Zollfeld aus verlieh der neue Herzog die Lehen des Landes. Das adelige Gefolge des Herzogs schätzte diese eigentümlichen Vorgänge jedoch nicht und betrachtete sie als Beleidigung der herzoglichen Würde. Dennoch wurden sie einige Jahre später, 1342, nach dem Tode Ottos (1339), auch von Herzog Albrecht II. wiederholt, allerdings in einer Form, die seiner Behinderung angepasst war. Der letzte Kärntner Herzog, der sich dieser Form der Einsetzung unterwarf, war Herzog Ernst der Eiserne (1414). Otto galt als Freund der Musen, er scharte zeitgenössische Dichter um sich, wie den Pfaffen vom Kahlenberg oder einen gewissen Neithard Fuchs. Das bedeutendste Denkmal Ottos ist zweifellos seine Gründung Neuberg im oberen Mürztal, eine Zisterze. In Neuberg wurde Otto auch bestattet. Seine beiden Söhne starben 1344. So blieb von den sechs Söhnen König Albrechts I. plötzlich nur mehr Albrecht II. übrig. Auf Grund seiner Behinderung erschien es fraglich, ob er Nachkommen haben würde. Aber nach einer Wallfahrt nach Aachen stellten sie sich doch ein, zunächst Rudolf (IV.), geboren 1339, dann noch weitere Söhne und Töchter. Albrecht galt als kluger Fürst, seine ruhige und ausgleichende Politik, die mit allen Nachbarn gut auskam, bestätigt diese Einschätzung. Nur mit den Schweizern gab es Händel. Zürcher Bürger, die vor dem neuen Machthaber Rudolf Brun flohen, suchten Zuflucht bei den Habsburgern. 1351 verbündete sich Zürich mit den Waldstätten und Luzern. Erst 1359 kam es zu einem Vertrag mit Rudolf Brun, der zum geheimen Rat Herzog Rudolfs IV. ernannt wurde. Im Jahre 1355 ließ Herzog Albrecht eine »Hausordnung« von den »Landherren« von Österreich, Steiermark und Kärnten bestätigen, nach welcher seine vier Söhne gemeinsam regieren sollten. Albrecht II. starb 1358 und wurde in seiner Stiftung Gaming bestattet. Er hinterließ nach den Turbulenzen der ersten drei Jahrzehnte des Jahrhunderts eine gefestigte und vergrößerte Landesherrschaft sowohl in den östlichen Herzogtümern wie im Westen, nach den riesigen Verpfändungen durch Friedrich den Schönen wieder geordnete Finanzen und damit seinen Söhnen eine solide Ausgangsbasis für deren Herrschaft.
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105 4.1.2 Rudolf »der Stifter«
Die trat jetzt, als ältester, Rudolf IV. (1358–1365) an. Seine Frau Katharina war die Tochter Kaiser Karls IV. In seinem überaus stark entwickelten fürstlichen Selbstbewusstsein trachtete er danach, seine Person und sein Haus in nächster Nähe zum kaiserlichen Schwiegervater zu positionieren. Schon im Winter 1358/59 ließ er fünf gefälschte Urkunden herstellen, die nominell von den Kaisern bzw. Königen Heinrich IV., Friedrich Barbarossa, Heinrich (VII.), Friedrich II. und Rudolf I. stammen sollten. In die erste Urkunde wurden seltsamer Weise Urkunden Julius Caesars und Neros inseriert, was den Argwohn und die wütende Ablehnung eines hochgebildeten Italieners erregte – Francesco Petrarcas, der 1361 vom Kaiser um ein Gutachten gebeten wurde. Freilich glaubte auch er nicht an eine zeitgenössische Fälschung, sondern an Bildungslücken des 11. Jahrhunderts, aus dem jene Urkunde stammen sollte. Basis der zweiten Urkunde war das echte Privilegium minus von 1156, inhaltlich jedoch erheblich erweitert : Der Herzog von Österreich dürfe seine Lehen zu Pferd empfangen, er dürfe eine Zinkenkrone tragen und ein Zepter führen usw. Österreich wird in der Urkunde als clipeus et cor sacri Romani imperii, als Schild und Herz des Heiligen Römischen Reiches, bezeichnet ; an den Hoftagen des Reiches sei der Herzog den Kurfürsten gleich zu halten wie ein »Pfalzerzherzog«. Mit dieser Urkunde erscheinen die Verpflichtungen des Herzogs gegenüber Kaiser und Reich auf ein Minimum reduziert (12 Reiter, aber nur gegen Ungarn und nur auf einen Monat), ansonsten könne er in seinen Landen frei schalten und walten. An die Urkunde wurde die echte Goldbulle des 12. Jahrhunderts für das Privilegium minus angehängt, dieses selbst aber vernichtet. Der Erzherzogstitel wurde mit der Position des Kärntner Herzogs als Reichsjägermeister begründet – damit war dieser Inhaber eines der Erzämter (neben dem König von Böhmen als Erzmundschenk, dem Erzbischof von Mainz als Erzkanzler usw.). Aufbauend auf dem den Habsburgern 1348 tatsächlich schon verliehenen Privilegium de non evocando, das den Instanzenzug aus den habsburgischen Ländern zum Kaiser abschnitt, ging es auch um das Gerichtsmonopol in den österreichischen Ländern, um das Besteuerungs- und Lehensmonopol, kurz, neben der symbolischen Aufwertung des fürstlichen Ranges um konkrete Herrschaftsverdichtung im Inneren. Die übrigen drei Urkunden wurden als Bestätigungen des 13. Jahrhunderts (jeweils wieder mit einigen rechtlichen Erweiterungen) ausgegeben. Rudolfs Fälschungswerk war überaus gekonnt, die Urkunden wirken in der Tat völlig zeitgenössisch, Material und Schrift »passten« vollkommen in die angebliche Zeit ihrer Entstehung. Erst im 19. Jahrhundert konnte es als solches zweifelsfrei nachgewiesen werden. Freilich – ohne Bestätigung durch den Kaiser blieb es eine Summe frommer Wünsche. Kaiser Karl aber verweigerte die Bestätigung. Rudolf IV. verwendete jedoch sofort die in der Fälschung angesprochene Herrschaftssymbolik : Schon das erste Rei-
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tersiegel zeigt eine Art Krone mit Bügel, ähnlich jener auf dem bekannten Porträt Rudolfs im Wiener Dom- und Diözesanmuseum. Karl IV. wies den Schwiegersohn in die Schranken, indem er ihm 1359 die Belehnung mit den Reichslehen verweigerte. Sie folgte erst 1360, jedoch nicht mit dem im »Maius« vorgesehenen Zeremoniell. Im selben Jahr zwang Karl IV. den Herzog, auf Titel wie »Pfalzerzherzog« oder »Herzog in Schwaben und im Elsass« zu verzichten, wenig später auch auf königliche oder kaiserliche Insignien. Später unterließ Rudolf Versuche, das Privilegium maius via facti durchzusetzen. Nur den Erzherzogtitel führte er weiter, das hat den Kaiser offenbar nicht so gestört. Noch einen neuen Titel führte Rudolf IV : Er nannte sich seit 1364 nicht mehr »Herr«, sondern »Herzog von Krain«. Das für die weitere Geschichte der Habsburger wichtigste Ereignis der Regierungszeit Rudolfs IV. war zweifellos die Erwerbung Tirols. Dort hatte die Erbtochter nach Herzog Heinrich von Tirol und Kärnten, Margarete »Maultasch«, ihren Ehemann Johann Heinrich von Luxemburg eines Tages (wegen seiner Impotenz, wie sie verkünden ließ) einfach vor die Tür gesetzt und später – ohne dass jene Ehe irgendwann offiziell für ungültig erklärt worden wäre – den Wittelsbacher Ludwig von Brandenburg geheiratet. Natürlich befanden sich die beiden im Kirchenbann. Beider Sohn Meinhard III. heiratete Albrechts II. Tochter (und Rudolfs IV. Schwester) Margarete 1358. Albrecht wiederum verwendete sich bei der Kurie um eine Legitimierung der Ehe der Görzerin und des Brandenburgers, samt Bannlösung. 1361 starb Markgraf Ludwig von Brandenburg, im Jänner 1363 folgte ihm sein Sohn Meinhard III. Schon vorher hatte sich Rudolf IV. auf den Weg nach Tirol gemacht, wo er Margarete Maultasch davon überzeugen konnte, die beste Lösung sei eine Übertragung Tirols an die Habsburger (was vermutlich mit einer weiteren, auf das Jahr 1359 gefälschten Urkunde unterlegt wurde). Noch im Jänner 1363 stimmte auch der Tiroler Adel zu. Margarete regierte jetzt nur mehr als Regentin der Habsburger, aber auch das nur bis September, dann übernahm Rudolf das Land gleich selbst. Die Bischöfe von Trient, Chur und Brixen akzeptierten die Herrschaft des Herzogs. Im Februar 1364 erfolgte die Belehnung durch den Kaiser, mit dem gleichzeitig ein gegenseitiger Erbvertrag geschlossen wurde. Tirol war überaus wertvoll, nicht nur als Landbrücke zwischen den westlichen, »oberen« Landen und dem Landkomplex im Südosten. Tirol war auch das wichtigste Transitland zwischen Venedig und Oberdeutschland, mit reichen Zolleinkünften ; aber auch das Haller Salz, die Münze und der Bergbau auf Silber und Kupfer brachten dem Landesfürsten ein solides Einkommen. Mit der kleinen Herrschaft Neuburg am Rhein erwarb Rudolf IV. – ebenfalls 1363 – einen ersten Stützpunkt im heutigen Vorarlberg. Dagegen ging der große Plan, das Territorium von Aquileja, also ganz Friaul, den Patriarchen abspenstig zu machen, nicht auf.
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Rudolfs IV. Beiname »der Stifter« hängt jedoch besonders mit Wien zusammen. Wien war schon Albrechts II. bevorzugte Residenz gewesen, jetzt nannte der Herzog die Stadt » ein Haupt des Herzogtums von Österreich und die oberste Wohnung der fursten daselbst (…)«.Vorbild war wieder der Schwiegervater, Karl IV., und dessen Ausgestaltung von Prag. Es begann mit der Gründung eines Kollegiatskapitels (1358), das 1364 an die Pfarrkirche von St. Stephan übertragen wurde. Das Patrozinium von St. Stephan wurde um Allerheiligen (den Geburtstag Rudolfs) erweitert, der im Gange befindliche Neubau sollte durch Herzogsgruft und Viertürmigkeit zur Kathedrale ausgestaltet werden, die gleichzeitig als capella regia Austriaca fungieren sollte. 1365 verzichtete der Passauer Bischof zugunsten des Herzogs auf das Patronat von St. Stephan. Am 12. März 1365 gründete der Herzog die Wiener Universität. Der frühe Tod Rudolfs verzögerte die Vollendung der Universitätsgründung, die erst durch eine Reorganisation unter Herzog Albrecht III. 1384 voll ins Leben trat. Der ideologischen Befestigung des österreichisch-habsburgischen Selbstbewusstseins diente auch die Belebung des Kolomans-Kultes. Koloman, ein irischer Pilger, der 1012 in Stockerau ermordet und dessen Leichnam 1014 nach Melk transferiert worden war, wurde seither als Heiliger verehrt und galt als österreichischer Landespatron. Rudolf ließ den Kolomansstein, über den angeblich das Blut des Heiligen geflossen war, in den Neubau von St.Stephan übertragen und hier einmauern. Dem Heiligen selbst widmete er in Melk ein kostbares neues Hochgrab, von dem freilich nur eine Abbildung erhalten ist – das Grab fiel dem übersteigerten Selbstbewusstsein des Hochbarock zum Opfer. Neben dem Kolomani-Kult nahm im 14. Jahrhundert auch die Verehrung des »frommen Markgrafen« Leopold III. intensivere Formen an ; Rudolf IV. beantragte bei Papst Innozenz VI. die formelle Kanonisation. Das Verfahren wurde eröffnet, aber erst 1485 abgeschlossen. Angeblich hat man schon früher im Grab des Markgrafen einen Mantel aus blauem Stoff mit aufgelegten goldenen Adlern gefunden. Diese Kombination interpretierte Rudolf IV. als Wappen von »Altösterreich«, das seit etwa 1360 sehr häufig gemeinsam mit dem rot-weiß-roten Bindenschild (»Neuösterreich«) verwendet wurde. Erst seit 1804 gilt das Wappen mit den fünf auffliegenden Adlern (manchmal auch als »Lerchen« interpretiert) ausschließlich als Landeswappen des Erzherzogtums Niederösterreich. Ebenfalls im 14. Jahrhundert entwickelten sich die Begriffe »Haus Österreich« (domus Austriae) und »Herrschaft Österreich« (dominium Austriae). Der Name des größten und wichtigsten der habsburgischen Länder war damit zum Namen der Herrscherdynastie geworden, aber auch zum zusammenfassenden Begriff für deren vielfältige Herrschaftsgebiete. Eine neue Hausordnung (1364) legte wie früher die gemeinsame Herrschaft der Brüder fest : Neben Rudolf erlangten auch seine jüngeren Brüder Albrecht und Leopold Anteil an der Herrschaft, aber der älteste sollte eine Vorrangstellung einnehmen.
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4.1.3 Albertiner und Leopoldiner: Die Teilungen
Nach dem frühen Tod Rudolfs in Mailand (27. Juli 1365) übernahmen seine Brüder Albrecht III. (1365–1395) und Leopold III. (1365–1386) die habsburgischen Länder. Karl IV. belehnte die Brüder 1366 in Wien. Eine Erhebung des großen Adelsgeschlechtes der Aufensteiner in Kärnten schuf eine kritische Situation, die aber mit deren Niederlage und dem Erwerb von Bleiburg endete. Ein bayerischer Angriff auf Tirol endete mit einem Übereinkommen mit Bayern (Frieden von Schärding 1369) samt endgültiger Anerkennung der Herrschaft der Habsburger über Tirol durch die Wittelsbacher. 1368 unterstellte sich Freiburg im Breisgau, das seinen früheren Stadtherren losgeworden war, den österreichischen Herzögen. Schon 1366 hatten diese mit der Oberhoheit über Duino (Tybein, Devin) die Küste der Adria erreicht. 1374 folgte die Erwerbung der Grafschaft Mitterburg (Pazin, Pisino) in Istrien und der Herrschaft in der Windischen Mark und in Möttling (Metlika, Slowenien) nach dem Ende einer der Görzer Linien. 1382 stellte sich Triest unter den Schutz der Habsburger. Damit hatte man einen Hafen an der Adria – dessen Bedeutung damals allerdings durch die Dominanz Venedigs an diesem Meer eher gering war. Große Finanzprobleme, die noch auf die Zeit Rudolfs IV. zurückgingen, bewogen die Herzöge dazu, die Juden, die als fürstliche »Kammerknechte« unter dem oft sehr theoretischen Schutz der Landesfürsten standen, zur Ader zu lassen. Albrecht und Leopold ließen 1370 oder 1371 alle Juden gefangen setzen, um von ihnen große Summen zu erpressen : von den Juden von Krems beispielsweise 40.000 Gulden, das Vierfache der üblichen Jahresleistung aller jüdischen Gemeinden im Herzogtum Österreich. Das mit Hilfe solcher Maßnahmen erbeutete Geld wurde seltsamer Weise in so genannte »Preußenfahrten« beider Herzöge investiert. Dabei massakrierte man unschuldige Leute, die – noch – keine Christen waren, um nachher als Lohn der Tapferkeit den Ritterschlag zu erhalten – so wurde Albrecht III. von Graf Hermann von Cilli 1377 in Preußen nach einer solchen »Heldentat« zum Ritter geschlagen. Auf die Dauer war eine gemeinsame Herrschaft der Brüder nicht möglich. Der jüngere, Leopold, forderte ein eigenes Herrschaftsgebiet. 1373 kam es zu einem ersten Vertrag, der auf eine faktische Teilung hinauslief, ihm folgten bald weitere. Eine dauerhafte Einigung wurde im September 1379 im steirischen Kloster Neuberg an der Mürz erzielt. Dieser »Neuberger Vertrag« wies Albrecht das Herzogtum Österreich mit Steyr, Hallstatt und dem Ischlland zu, ferner einige Burgen an der (damaligen) steirischen Grenze (heute im südlichen Niederösterreich). Leopold erhielt Steiermark, Kärnten, Krain mit der Windischen Mark, die Güter in Istrien, Feltre, Belluno, Tirol und die Besitzungen westlich des Arlbergs, in Schwaben und im Elsass, dazu Wiener Neustadt, Neunkirchen und einige Burgen im südöstlichen Niederösterreich. Beide durften weiterhin Titel und Wappen aller habsburgischen Länder führen. Starb einer der
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Brüder, fielen seine Besitzungen an den Überlebenden. Ebenso wurden gegenseitiges Vorkaufsrecht und gegenseitige Hilfe vereinbart. König Wenzel bestätigte den Vertrag anstandslos. Offen blieben Fragen, an die man damals nicht gedacht hat : Etwa wie sich das Verhältnis der verschiedenen Linien bei länger dauernder Teilung gestalten sollte. Tatsächlich entwickelte sich in der Folge die Politik beider Linien in verschiedene Richtungen. Albrecht III. und seine Nachkommen orientierten sich an den böhmischen Luxemburgern, während Leopold an den Beziehungen zum Süden und Westen interessiert war. Sogar im 1378 ausgebrochenen Großen Schisma der westlichen Christenheit standen die Brüder auf verschiedenen Seiten : Albrecht entschied sich wie die Luxemburger und die meisten Reichsfürsten für den römischen Papst (Urban VI.), Leopold für den »französischen« Clemens VII. in Avignon. Die Linie Albrechts III. ist leicht zu verfolgen : Auf ihn folgte Albrecht IV., diesem wieder Albrecht V. Der letzte Albertiner war dessen Sohn Ladislaus (Posthumus). Komplizierter verhielt sich die Sache bei den Leopoldinern. Leopold III., vermählt mit Viridis Visconti, war zunächst recht erfolgreich in seinen Expansionsbemühungen. 1379/80 konnte er die Herrschaft über Feldkirch (samt hinterem Bregenzerwald und Dornbirn) vom letzten Grafen von Montfort-Feldkirch an sich bringen, 1381 die obere und untere Grafschaft Hohenberg im oberen Neckartal. Doch endete die Konfrontation mit den Schweizern 1386 bei Sempach tödlich, mit dem Herzog selbst fielen zahlreiche Angehörige prominenter vorländischer, aber auch tirolischer Geschlechter. Leopold hinterließ vier Söhne, Wilhelm, Leopold IV., Ernst und Friedrich IV. Zwar war Wilhelm 1386 schon großjährig, akzeptierte aber die Vormundschaft seines Onkels Albrecht über ihn und seine jüngeren Brüder. Albrecht versuchte daher auch, die Rache für Sempach zu organisieren, was aber bei Näfels (1388) nur zur nächsten Niederlage gegen die Schweizer führte. 1392 erhielt der nächste Leopold (IV.), die Verwaltung der vorderen Lande (zwischen Vogesen und Arlberg). Gemeinsam mit Albrecht III. bemühte er sich um eine Konsolidierung der habsburgischen Position im Westen. Zahlreiche Landfriedensbündnisse wurden geschlossen, 1390 fielen Stadt und Herrschaft Feldkirch an die Habsburger, 1394 auch Bludenz und das Tal Montafon, 1395 die Grafschaft Sargans am linken Ufer des Alpenrheins. Albrecht III. zwang auch die zwischen Bayern und Österreich recht selbstständigen Grafen von Schaunberg 1383 zur Anerkennung der österreichischen Landeshoheit (Schaunberger Fehde, 1379–1381). Noch einmal wurden die Schaunberger 1389/90 unterworfen, aber noch lange versuchten sie, ihre Reichsunmittelbarkeit zu behaupten – so ließen sie sich 1396 von König Wenzel die Reichslehen bestätigen. Albrecht III. starb im August 1395. Sein Sohn Albrecht IV. war bereits volljährig, doch bestand dessen Cousin Wilhelm, der älteste der vier Söhne Leopolds III., auf einer Vorrangstellung. Jahrelange Konflikte folgten. 1396 wurde wieder geteilt : Leopold IV. erhielt Tirol und die Vorlande, Wilhelm und Albrecht IV. herrschten gemeinsam im größeren Rest, wobei Wilhelm der aktivere war. Albrecht IV. starb noch jung
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(1404). Wilhelm wurde Vormund des kleinen Albrecht V., starb aber selbst schon 1406. Jetzt stritten Leopold IV. und Ernst »der Eiserne« heftig um die Vormundschaft. Unter Vermittlung der Stände einigte man sich auf die Vormundschaft Leopolds, während Ernst dafür die Steiermark (samt Kärnten und Krain) erhielt. Friedrich IV., der später unter dem Beinamen »mit der leeren Tasche« bekannt wurde, bekam Tirol und die Vorlande. Die Spannungen zwischen den Brüdern blieben aber, und sie verschärften sich, weil sie sich mit sozialen Spannungen in Wien kreuzten : Das Patriziat stand zumeist auf Seiten Ernsts, die Handwerker und Studenten auf denen Leopolds. Nach Meinung seiner Gegner war dieser in der Friedenssicherung nachlässig, man rief den steirischen Herzog, der dem Ruf nur zu gern folgte. Die Brüder standen sich im Winter 1407/08 an der Donau mit Truppen gegenüber. In der Stadt wurde eine Konspiration zugunsten Leopolds aufgedeckt, worauf der Bürgermeister Konrad Vorlauf fünf Verschwörer hinrichten ließ. Nach einer vorübergehenden Einigung der Brüder herrschte Leopold wieder in Wien, der nun seinerseits Konrad Vorlauf und zwei weiteren Ratsherren den Prozess machte, drei Köpfe rollten. Vorlauf erhielt am neuen Wiener Rathaus im 20. Jahrhundert eine Gedenktafel. 1411 wurde Albrecht V. großjährig, die Stände Österreichs huldigten ihm in Eggenburg, wohin man den jungen Herzog heimlich gebracht hatte. Leopold IV. traf darauf – angeblich vor Zorn – der Schlag. Mit seinem Tod und dem im Oktober 1411 erfolgten Verzicht Ernsts auf eine weitere Vormundschaft beruhigte sich die Lage etwas. Ernst blieb Herzog von Steiermark, Kärnten und Krain (samt der Herrschaft Steyr). Dem jungen Albrecht V. wurde von König Sigismund, der vermittelt hatte, dessen zweijährige Tochter Elisabeth versprochen. Sigismund pflegte gleichzeitig eine stabile Gegnerschaft zu Herzog Friedrich IV., also zur Tiroler Linie der Habsburger. Damit hatte sich bis auf weiteres eine Dreiteilung der habsburgischen Länder etabliert – erstens Österreich, zweitens Steiermark, Kärnten und Krain, drittens Tirol und die Vorlande. Sie sollte sich im 16. Jahrhundert wiederholen. Aber auch der steirische (»eiserne«) Ernst wurde nicht alt, er starb 1424. Von seiner zweiten Frau, der polnischen Prinzessin Cymburgis (Czimburga) von Masowien, von der die Habsburger angeblich die ausgeprägte Unterlippe geerbt haben, hatte er zwei überlebende Söhne, Friedrich V. und Albrecht VI. Vom »Tiroler« Friedrich IV. überlebte nur ein Sohn Sigmund. Die Vormundschaft über Ernsts Söhne übernahm dessen Bruder Friedrich IV. Erst 1435 wurden die beiden für selbstständig erklärt. Nun war Friedrich V. Herzog von Steiermark, Kärnten und Krain – und blieb es auch, bis zu seinem Tod 1493. Inzwischen geriet die Herrschaft Friedrichs IV. in Tirol und den Vorlanden (1404– 1439) 1415 in eine schwere Krise. Als Anhänger Johannes XXIII., eines der drei Päpste dieser Jahre, verhalf er dem auf dem Konzil zu Konstanz abgesetzten Papst zur Flucht ins habsburgische Schaffhausen. Daraufhin eröffnete König Sigismund nicht nur gegen
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den Ex-Papst Johannes, sondern auch gegen seinen alten Feind Herzog Friedrich IV. ein Verfahren. Dieser wurde geächtet. Die Reichsacht bot allen Gegnern Habsburgs im Westen die erwünschte Gelegenheit, sich am habsburgischen Gut zu bedienen. Am schnellsten griffen die Schweizer zu, aber auch oberschwäbische Städte und Adelige beteiligten sich freudig an der Exekution der Reichsacht. Friedrich verlor fast alle Gebiete in der Schweiz und in Schwaben, hingegen hielten ihm die Tiroler die Treue. Nach der Aussöhnung mit Sigismund (1418) bemühte sich Friedrich bis zu seinem Tod um die Wiedererlangung der 1415 verlorenen Gebiete, unter denen sich auch der Aargau mit der Habsburg und das Kloster Königsfelden befanden. Die meisten schwäbischen Besitzungen konnte er zurückerlangen, was aber die Schweizer erobert hatten, gaben sie nie mehr heraus. – Albrecht V. (1411–1439) wurde als Schwiegersohn und Erbe des böhmischen, ungarischen und römischen Königs bzw. Kaisers Sigismund massiv in die Hussitenkämpfe hineingezogen. Die Anhänger des Jan Hus gaben Sigismund die Schuld am Feuertod des Reformators am Konstanzer Konzil (1415), wegen des gebrochenen Geleit-Versprechens. Nach dem Tod König Wenzels 1419 sollte Sigismund dem Bruder als König von Böhmen folgen. Das löste die offene Konfrontation aus. Die Hussiten, kampfstark und motiviert, mit ihren Wagenburgen bestens organisiert, besiegten mehrmals so genannte Kreuzfahrerheere. Sigismund verlieh dem Schwiegersohn Albrecht 1423 die Markgrafschaft Mähren, dieser wurde dadurch einer der Hauptträger des Krieges gegen die Hussiten. Ab 1425 drangen die Hussiten auch in Österreich ein, das Mühlviertel bis zur Donau wurde verheert, die Klöster Zwettl und Altenburg geplündert, die Städte Retz und Marchegg erobert. Erst eine neue Verteidigungsordnung 1431/32, die auch die Aushebung jedes zehnten Mannes der bäuerlichen Untertanen und eine Bereitschaftstruppe von 1500 Soldreitern vorsah, wirkte sich positiv aus. 1431 besiegten die Österreicher ein Heer der Hussiten bei Waidhofen an der Thaya. Durch die Zugeständnisse des Basler Konzils, das den Empfang des Abendmahles unter beiden Gestalten erlaubte (1433), wurden die Hussiten gespalten, schließlich besiegten die Gemäßigten die radikalen Taboriten 1436 bei Lipan ; im gleichen Jahr konnte Sigismund endlich als König in Prag einziehen. Nach seinem Tod folgte ihm Albrecht V. in Ungarn problemlos nach. Am 1. Jänner 1438 wurde er in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) gekrönt. Dagegen erhob sich in Böhmen eine kräftige Opposition, die auch nach einer zweiten Wahl im Juni 1438 nicht gänzlich verstummte. Im März war Albrecht (II.) auch zum römischen König gewählt worden, der erste unbestrittene Habsburger seit Albrecht I.! Aber schon hatte der König eine neue Aufgabe : Die Osmanen bedrohten Ungarn, Albrecht wollte die von Sultan Murad belagerte serbische Festung Semendria (Smederevo) entsetzen. Er starb, wohl an der typischen Lagerseuche, der Ruhr, im Oktober 1439 in Ungarn und wurde in Stuhlweißenburg bestattet.
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Erst nach seinem Tod, im Februar 1440, gebar seine Witwe einen Sohn. Dieser Ladislaus (Postumus) sollte einmal das Erbe des Vaters in allen drei Reichen bzw. Herrschaften antreten. Vormund wurde sein Onkel (zweiten Grades) Friedrich V. aus der steirischen Linie, der gleichzeitig auch Vormund des Tirolers Sigmund war. Ladislaus’ ebenso schlaue wie tüchtige Mutter Elisabeth, Tochter des Kaisers Sigismund und seiner Frau Barbara von Cilli, ließ den Säugling mit der von der Wienerin Helene Kottanner aus Visegrád entwendeten Stephanskrone am richtigen Ort (Stuhlweißenburg) krönen. Den gekrönten Prinzen übergab sie im November 1440 seinem Vormund. Der als Gegenkönig aus Polen nach Ungarn geholte Jagellone Wladislaw fiel schon 1444 in der Schlacht bei Varna am Schwarzen Meer gegen die Osmanen. Daraufhin wurde der kleine Ladislaus von den ungarischen Ständen anerkannt, allerdings ein Reichsverweser bestellt – der große Kriegsheld Janos Hunyadi. Auch in Böhmen wurde ein tüchtiger Gubernator für Ladislaus eingesetzt, Georg von Podiebrad. 4.1.4 Friedrich III.: Katastrophe oder Vorbereitung eines neuen Höhenfluges?
Die folgenden Vormundschaftskrisen waren nur ein Aspekt der langen und meist recht mühsamen Regierungszeit Friedrichs, der als König und Kaiser als Friedrich III. (1440–1493) gezählt wird. Friedrich ist eine höchst eigentümliche Figur. Oft wirkt er angesichts der zahlreichen Probleme, die er bewältigen musste, entschlusslos, langsam, wenig durchschlagskräftig. Manchmal konnte er freilich sehr aktiv sein, etwa als es um die Heirat seines Sohnes Maximilian mit Maria von Burgund ging. Immer beharrte er steif und fest auf der hohen Meinung, die er von seiner eigenen Majestät, aber auch von der providentiellen Rolle des Hauses Österreich hegte, und natürlich auf den Vorrechten des Hauses Österreich, die er durch die Bestätigung der Rudolfinischen Fälschungen gerade erst selbst – 1453 – geschaffen hatte. Manchmal wirkt er unbeholfen, zuweilen geizig, dann wieder mit seinen Schätzen auftrumpfend, bisweilen schäbig, nachtragend oder geradezu heimtückisch. Freilich mögen einige dieser Eigenheiten, zu denen eine ausgeprägte persönliche Sobrietät zählte, die Langlebigkeit des Herrschers mit ermöglicht haben, der ja die meisten seiner Konkurrenten und Gegner schlicht und einfach überlebte. Und von denen gab es viele. Da waren einmal diverse Mitglieder der Familie – sein unberechenbarer Neffe Sigmund von Tirol (»Sigmund der Münzreiche«), der ihm seit der Vormundschaftsgeschichte grollte, und vor allem sein aktivistischer Bruder Albrecht VI. Zunächst standen aber die Probleme mit dem Mündel Ladislaus im Vordergrund. Immer wieder forderten die Stände des Herzogtums Österreich die vorzeitige Mündigkeit ihres angestammten Herzogs. Friedrich entzog sich diesen Forderungen, in-
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dem er sein Mündel einfach nach Rom mitnahm (1451/52), zu Kaiserkrönung und kaiserlicher Hochzeit mit Eleonore von Portugal. Nach der Rückkehr spitzte sich die Lage wieder zu. Der Kaiser wurde von den Österreichern im Sommer 1452 in Wiener Neustadt belagert – dort rettete ihn nur der bewährte Krainer Recke Andreas Baumkircher. Der Kaiser gab Ladislaus frei, im September 1452 zog dieser in Wien ein. Davor hatte man alles »Steirische« gründlich von ihm abgewaschen ! Ladislaus war allerdings von zwei ehrgeizigen und durchaus nicht uneigennützigen Herren abhängig – von dem österreichischen Ritter und Populisten Ulrich von Eytzing und seinem Onkel Graf Ulrich von Cilli. Ulrich hatte Ungarn im Auge, wo er mit Hilfe des jungen Königs seinen Aufstieg krönen wollte ; der Eytzinger hatte engere österreichische Interessen. Aber schon 1457 starb König Ladislaus in Prag, kurz vor seiner Hochzeit. Ulrich von Cilli war kurz davor (1456) in Belgrad von Anhängern der Hunyadis ermordet worden. Die großen Besitzungen des Cilliers vor allem in der Untersteiermark fielen damit an den Kaiser. Es ist kein Zufall, dass der wenig später geborene Thronfolger den Namen des Cillier Stadtheiligen, des antiken Bischofs Maximilian, erhielt ! Die drei Sterne der Grafen von Cilli verblieben im großen Wappen der Habsburger, bis 1918. Heute zieren sie Flagge und Wappen der Republik Slowenien. Jetzt machte sich – neben den österreichischen Ständen – Bruder Albrecht wieder bemerkbar. Er wollte unbedingt auch regieren, so wies man ihm zunächst Herrschaften in den vorderen Landen zu (bis 1458) – hier gründete er die Universität in Freiburg im Breisgau ; nach dem Tod des Ladislaus forderte er Anteil an der Regierung des Herzogtums Österreich. Friedrich übergab ihm – 1458 – das Land ob der Enns als eigenes Fürstentum. Albrecht forderte aber auch das Land unter der Enns, mit Wien. Die Wiener gingen zu Albrecht über, im Herbst 1462 wurde der Kaiser samt Kaiserin und dem kleinen Maximilian von den Wienern sogar in der Hofburg belagert. Damals ritt Andreas Baumkircher durch Tage und Nächte nach Prag, um König Georg zu Hilfe zu holen. Der kam auch, ein neuer Kompromiss wurde gefunden, aber Unsicherheit und Unruhe blieben. Der Wiener »Volkstribun« Wolfgang Holzer, zuerst auf der Seite Albrechts, plante einen Seitenwechsel, der scheiterte aber, Holzer wurde hingerichtet. Da starb Herzog Albrecht im Dezember 1463. Der Kaiser war jetzt Herr von Österreich, das Land ob der Enns eingeschlossen. Dadurch wurde nichts besser. Die Unsicherheit blieb, zahllose Landtage fanden keine ausreichenden Mittel dagegen, der Kaiser sowieso nicht. Der »steirische« Kaiser hatte ja auch viel am Hals – »sein« Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain), wo man bereits immer öfter mit den Türken unerfreuliche Bekanntschaft machte, Österreich, immer noch einen habsburgischen Vetter in Innsbruck, aber auch das Heilige Römische Reich, samt der ebenso heiligen katholischen Kirche, deren oberster Vogt und Beschützer man ja auch noch war. Wenigstens war zeitweilig der Papst ein guter Bekannter – Pius II., Äneas Silvius Piccolomini, war in jungen Jahren länger (von
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1442–1455) am kaiserlichen Hof gewesen. Von Rom erhielt Friedrich endlich auch »eigene« Bistümer – Laibach (Ljubljana) 1462, schließlich auch Wien und Wiener Neustadt (beide 1469). Und einen neuen Landespatron : 1485 wurde, nach längerem Verfahren, der fromme Markgraf Leopold III. in Rom heilig gesprochen. Angesichts der immer wieder zu Tage tretenden militärischen Schwäche des Kaisers gewöhnten sich unzufriedene Herren daran, sich nicht nur gegenseitig Fehden anzusagen, sondern damit sogar ihrem obersten Herren zu drohen. Zur rechten Fehde gehörten vor allem ein Absagebrief und gewisse Regeln : Man durfte die Untertanen des Fehdegegners nach Herzenslust plündern und ihre Häuser verbrennen, nur die Person des Gegners war tabu. Das Fehdewesen nahm im 15. Jahrhundert überhand. Als Rechtsgrund dienten in der Regel ausstehende, nicht beglichene Forderungen. Vor allem die zahlreichen Söldnerführer holten auf diese Weise ausstehende Soldverpflichtungen herein – vielfach wohl mit Zins und Zinseszins. Auch einer der tüchtigsten Gefolgsleute des Kaisers sagte diesem schließlich Fehde an – Andreas Baumkircher, der Retter von Wiener Neustadt und Wien, inzwischen zum Freiherrn von Schlaining (damals in Ungarn !) und als Gespan von Pressburg von König Matthias’ Gnaden zum ungarischen Magnaten aufgestiegen. Seine Tochter hatte er mit einem prominenten steirischen Herrn, Hans von Stubenberg, verheiratet. Der Kaiser war ihm noch erhebliche Summen aus Soldverträgen schuldig. Als der Kaiser 1468 seinen zweiten Romzug antrat, sandten der Baumkircher, die Stubenberger und andere steirische Adelige Absagebriefe an die kaiserlichen Räte in Wiener Neustadt. Im Juli 1468 kam es sogar zu einer richtigen Schlacht bei Fürstenfeld zwischen den Kaiserlichen und dem Heer Baumkirchers. 1470 einigten sich die steirischen Stände und der Baumkircher auf eine Lösung, doch kam das versprochene Geld nicht zusammen. Schließlich wurde im April 1471 dem Baumkircher freies Geleit in der Grazer Burg versprochen, bis zum Vesperläuten. Der Kaiser zog die Verhandlungen hin – er musste erst ein wenig Rast halten, sich beraten usw. Schließlich ertönte die Vesperglocke – wahrscheinlich verfrüht – Baumkircher wurde verhaftet und sofort ohne Prozess und Urteil hingerichtet. Ein Nachspiel erfolgte Jahre später, als ein früherer Gefolgsmann Baumkirchers, Erasmus Lueger, von einem gut versteckten Felsennest im innerkrainischen Karst aus einen ganz persönlichen Raubkrieg führte. Erst nach langem Suchen konnte der Hauptmann von Triest, ein Herr von Rauber, das Felsennest Lueg (Predjamski grad) entdecken und belagern. Lueger fiel durch Verrat. Zu den nach wie vor »tätigen« Söldnerhaufen und Raubrittern kamen immer wieder Reibereien mit den Nachbarn. Zu diesen zählten neben Bayern, Böhmen, Ungarn, Venedig (um nur die wichtigeren zu nennen) seit Kurzem auch die Osmanen. Nach dem Fall von Konstantinopel 1453 unterwarf Sultan Mehmed II. 1463 Bosnien. Von hier aus starteten die Angriffe auf habsburgisches Territorium. Ein erster schwerer Einfall erfolgte 1469, die Türken drangen bis Laibach (Ljubljana) vor und verwüsteten das Save-
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und Sanntal, die Quellen sprechen von tausenden Toten. Die Akindschi, die »Renner und Brenner«, waren weniger auf Eroberung aus als vielmehr auf Beute, insbesondere auf Sklaven, besonders junge Frauen, aber auch Männer, die älteren brachte man einfach um. Diese irregulären Truppen mieden Städte und feste Burgen, ebenso die Konfrontation mit gegen sie aufgestellten Truppen ; umso ärger traf es die praktisch schutzlose Landbevölkerung. 1473, 1474, 1475 und 1476 folgten Einfälle in Kärnten, Krain und der Untersteiermark. Ein neuerlicher Einfall 1478 rief die Kärntner Bauern auf den Plan. Sie standen bereits in heller Empörung wegen einer finanziellen Forderung des Kaisers. Gleichzeitig erlebten sie die Ohnmacht des Kaisers und des Adels angesichts der häufigen Invasionen. Sie wollten nun selbst die Landesverteidigung übernehmen. Doch löste sich die bei Arnoldstein versammelte Bauernarmee beim Herannahen des Feindes auf, der Rest wurde bei Goggau niedergemetzelt oder geriet in die Sklaverei. Die Türken hatten damit jene Aufgaben übernommen, die ansonsten ständische oder landesfürstliche Truppen in Rachefeldzügen nach fast allen Bauernkriegen erledigten : Angst und Schrecken durch demonstrativen Terror möglichst nachhaltig zu verbreiten. 1480 drangen türkische Truppen in die Steiermark ein und gelangten bis nach Rottenmann und zum Erzberg, in Kärnten ins Lavanttal. Erst der Tod Sultan Mehmeds II. brachte eine gewisse Erleichterung. Kaiser Friedrich schloss einen Waffenstillstand mit der Pforte (bis 1491). Dann begannen die Einfälle neuerdings. Zur Abwehr dieser Einfälle wurde jeweils das Landesaufgebot herangezogen, das manchmal die abziehenden »Renner und Brenner« vor ihrer Rückkehr nach Bosnien zu fassen bekam, leider nicht sehr oft. Friedrich III. verlieh in den stark geschädigten Regionen von Unter- und Innerkrain einer Reihe von Marktorten Stadtrechte : Gottschee (Kočevje) 1471, Laas (Lož) und Gurkfeld (Krško) 1477, Weichselburg (ViŠnja gora) 1478. Die Stadterhebung bedeutete immerhin das Recht, neue Stadtmauern zu errichten. Eine durchaus nicht wirkungslose Verteidigungsmöglichkeit bot die Anlage von so genannten »Taboren« (nach der böhmischen Stadt Tabor und den Befestigungen der Hussiten !), meist Wehranlagen um bestehende Kirchen, die gegen türkische Streifscharen, denen es nicht ums Erobern ging, einen gewissen Schutz ermöglichten. Friedrich III. hatte lange Zeit die Stefanskrone in seiner Verwahrung, zum großen Ärger der Ungarn. Und er beanspruchte den ungarischen Königstitel. Nun hatte sich in Ungarn nach dem Tod des großen Janos (1456) der jüngere Hunyadi durchgesetzt, Matthias, mit dem Beinamen Corvinus – tüchtiger Feldherr, glänzender Renaissancefürst mit italienischer Gemahlin, italienischen Architekten, Malern und Dichtern. Corvinus verwies die Türken auf dem Balkan in ihre Schranken, dachte aber nicht daran, sich dort noch weiter auszudehnen. Ihn interessierte eher der Westen – Böhmen, Mähren, Schlesien. So verwickelte er sich in endlose Kämpfe, die ihm zu guter Letzt Schlesien, Mähren und – Österreich einbrachten (1485). Mit großem Pomp zog Matthias in Wien ein. Zuletzt kapitulierte auch die »allzeit getreue« wienerische Neustadt.
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Nicht ganz Österreich gewann er – einige Städte hielten, wie Krems. Aber Friedrichs Rezept, die Helden kämpfen zu lassen und selber ruhig abzuwarten, ging auf : 1490 starb der große Ungarnkönig, erst 47-jähig, in Wien. Sogleich ging Friedrichs junger Nachfolger Maximilian, bereits seit 1486 römischer (deutscher) König, an die Rückeroberung seines Erbes. Dabei wollte er auch Ungarn kassieren. Die Ungarn aber wählten den böhmischen König, den Jagellonen Wladislaw, zu ihrem König, Maximilian erreichte nur – wieder einmal – einen Erbvertrag. 1493 starb der alte Kaiser in Linz. 4.2 Gescheiterte Herrschaftskonsolidierung: Görzer und Cillier 4.2.1 Die Görzer
Die Söhne Meinhards II. von Görz-Tirol, Otto (1295–1310), Ludwig (1295–1305) und Heinrich (1295–1335), übernahmen das Erbe zur gesamten Hand, also zu gemeinsamer Herrschaft. Das Erbe bestand aus dem (jungen) Land Tirol und dem Kärntner Herzogtum – allerdings war das nicht viel mehr als der Titel und der Kärntner Zentralraum. Der Vater hatte ihnen eine volle Kasse hinterlassen, die sie unter anderem für phantastische Einkäufe in Venedig zwecks Veranstaltung eines grandiosen Turniers leerten. Heinrich bemühte sich 1307 um die Nachfolge nach Rudolf III. in Böhmen, wurde auch anerkannt, wich jedoch 1308 ohne Kampf einem neuen Rivalen, dem Luxemburger Johann. Bei der Königswahl desselben Jahres entschied er sich für keinen der Kandidaten, 1314 trat er für Friedrich den Schönen ein, vermied aber, wie öfters, eine konsequente Haltung. In den 1320er Jahren versuchte Herzog Heinrich, in Oberitalien als Reichsvikar eine neue Basis seiner Herrschaft zu gewinnen. Letztlich scheiterte er aber auch dort, trotz des Einsatzes beträchtlicher Mittel. Als sich abzeichnete, dass er ohne männliche Erben sterben würde, einigten sich Kaiser Ludwig der Bayer und die Habsburger auf eine Teilung : Das Herzogtum Kärnten sollte an die Habsburger fallen, Tirol an die Wittelsbacher. Tatsächlich blieb Tirol nach dem Tod Heinrichs 1335 in der Hand seiner Tochter Margarete (»Maultasch«), die mit dem Luxemburger Johann Heinrich verheiratet war, den sie aber eines schönen Tages ohne viel Federlesens abservierte. Dann heiratete sie den Wittelsbacher Ludwig von Brandenburg, den Sohn des gleichnamigen Kaisers. Unter seinem Namen firmiert eine bekannte »Landesordnung« für Tirol, die 1352 erlassen wurde und versuchte, einige Folgen der Pest zu mildern. Die weitere Geschichte kennen wir. Die albertinische Linie der Görzer – nach dem Bruder Meinhards IV. (als Graf von Tirol Meinhard II.!), Graf Albert I. von Görz – hatte einen weitläufigen, vom Pustertal bis zur oberen Adria reichenden, aber territorial nicht zusammenhängenden Besitz inne. 1303 erhielt nach dem Tod des Grafen Albert I. einer der Söhne, Heinrich II.,
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die Besitzungen in Istrien, auf dem Karst, im Isonzotal, in Friaul und in Krain, der zweite, Albert II., das Pustertal, Lienz sowie die Kärntner Rechte und Besitzungen. Heinrich II. starb schon 1323, damit gingen Eroberungen in Oberitalien sofort wieder verloren. Albert II. teilte seine Besitzungen auf drei Söhne auf, jede der Görzer Linien blieb für sich schwach und einflussarm. Albert III., Inhaber der Grafschaft Mitterburg (Pazin, Pisino) und der görzischen Herrschaften in der Windischen Mark, schloss 1364 mit Rudolf IV. einen Erbvertrag, durch den nach seinem Tod diese Besitzungen an die Habsburger fielen (1374). Es blieben der Linie Meinhards VI. noch Lienz und Görz, die »vordere« und »hintere« (oder »innere«) Grafschaft Görz mit der namengebenden Burg und Stadt, samt der Kärntner Pfalzgrafschaft und Besitzungen in Oberkärnten erhalten. Noch bedrohlicher wurde die Situation, als an die Stelle des Patriarchen Venedig als Beherrscherin Friauls trat. Nun orientierten sich die Görzer stärker an den Grafen von Cilli. Es half den Görzern wenig, dass sie 1365 von Kaiser Karl IV. in den Reichsfürstenstand erhoben worden waren. Nach dem Tod des Grafen Ulrich von Cilli 1456 war Graf Johann ein aussichtsreicher Kandidat wenigstens auf große Teile des reichen Erbes, doch zeigte sich Kaiser Friedrich III. jetzt energisch und entschlossen. Nach mehreren Jahren wechselnden Kriegsglücks musste Johann das Cillier Erbe dem Kaiser überlassen, auch alte Görzer Besitzungen in Oberkärnten gingen im Frieden von Pusarnitz (1460) an die Habsburger verloren. Für die Komplettierung des Landes Kärnten wurden diese Oberkärntner Positionen wichtig ! Nach Johanns frühem Tod folgte ihm Graf Leonhard, der letzte Görzer. Nach seinem Tod 1500 griff König Maximilian I. rasch zu. Die beiden Görzer Grafschaften fielen an das Haus Österreich. Lienz wurde – gegen den Protest der Kärntner Stände – dem Land Tirol angegliedert, aus der »inneren« Grafschaft um die Burg und Stadt Görz (Gorizia, Gorica) wurde das habsburgische Kronland Görz. Die Güter und Herrschaftsrechte der albertinischen Linie waren zwar weitläufig, hingen aber territorial nicht zusammen. Es bildete sich daher auch kein alle albertinischen Görzer Besitzungen umfassendes Land, sondern gleich vier kleine Länder : Die vordere und hintere Grafschaft, die Grafschaft Mitterburg (Pazin) im Zentrum Istriens und die Windische Mark mit Möttling. Alle vier Länder entwickelten die typischen Institutionen eines Landes, vor allem ein für das jeweilige Land zuständiges Adelsgericht (»Landschranne«), samt Landrecht, einem eigenen Landtag und einem Hauptmann als Vertreter des Landesfürsten. Auch nach dem Ende des Görzer Hauses blieben diese Institutionen bestehen, in Mitterburg und in der Windischen Mark bis in die frühe Neuzeit, in der Grafschaft Görz eigentlich bis 1918. Die vordere Grafschaft mit Lienz wurde freilich zu einem Teil des Landes Tirol.
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4.2.2 Die Grafen von Cilli
Die Vorfahren der Grafen von Cilli nannten sich zunächst nach der Sann (Savinja, von Soune), seit 1173 nach der von ihnen erbauten Burg Sannegg. Sie hatten im Tal der Savinja weitläufige Besitzungen und waren dort auch durch ihre Funktion als Vögte der Abtei Obernburg (Gornji Grad) wichtige Herrschaftsträger. 1308 trugen sie ihren Eigenbesitz den Habsburgern auf und nahmen ihn anschließend zu Lehen. Im frühen 14. Jahrhundert beerbten sie die Grafen von Heunburg, unter anderem kamen sie damals (1333) in den Besitz des später namengebenden Zentrums Cilli. In der Folgezeit suchten sie im Zusammenspiel, aber auch in der Konfrontation mit den Habsburgern ihren Vorteil. 1341 erhob sie Ludwig der Bayer zu Grafen von Cilli, was Kaiser Karl IV. 1372 bestätigte. Bald gab es Heiratsverbindungen mit den bosnischen Kotromanić, aber auch mit den polnischen Piasten. Im späten 14. Jahrhundert standen die Cillier an der Spitze der steirischen Herrengeschlechter, sie galten als deren edelstes. Graf Hermann von Cilli rettete König Sigismund in der verlorenen Schlacht von Nikopolis (1396) gegen die Türken das Leben ; der König zeigte sich dankbar. Er heiratete Hermanns Tochter Barbara. Die Beziehungen zum ungarischen König nutzte Hermann zur Expansion ins mit Ungarn verbundene Kroatien (Graf von Zagorje), 1406 ernannte Sigismund den Grafen Hermann sogar zum Banus (Stellvertreter des Königs) in Kroatien. 1418 beerbten die Cillier die hauptsächlich in Kärnten mächtigen Ortenburger. Die Grafschaft Ortenburg war aber ein Reichslehen. Sigismund, jetzt auch römischer König (und zuletzt noch Kaiser) verlieh sie dem Grafen Hermann anstandslos, ebenso die Blutgerichtsbarkeit. Sie galten nun selbst als reichsunmittelbar. 1423 musste Herzog Ernst der Eiserne die Reichsunmittelbarkeit anerkennen – damit schieden die Cillier aus der Reihe der steirischen Herren aus, ihr Herrschaftsgebiet war auf dem Weg zu eigener Landesbildung. 1436 erhob Kaiser Sigismund die Cillier Grafen Friedrich und dessen Sohn Ulrich in den Reichsfürstenstand, die Grafschaften Cilli und Ortenburg wurden zu Fahnenlehen des Reiches erklärt – damit standen sie auf der gleichen Ebene wie die Habsburger. Die adeligen Gefolgsleute der Cillier hatten einen eigenen Gerichtsstand (»Landschranne«) in Cilli und versammelten sich dort, wenn sie der Graf gerufen hatte. Ein eigenes Cillier Landrecht bildete sich heraus. Natürlich war dies den Habsburgern ein Dorn im Auge. Der steirische Herzog Friedrich V. – als Kaiser später der III. dieses Namens – anerkannte nach einem lange dauernden Krieg (»Cillier Fehde«, bis 1443) zwar die persönliche reichsfürstliche Position des Grafen Friedrich von Cilli, dafür musste dieser auf den Charakter eines Reichslehens verzichten und einen Erbvertrag mit Habsburg abschließen. Graf Ulrich, der letzte Cillier, setzte noch einmal auf die luxemburgisch-albertinische Karte : König Albrecht II. setzte ihn zum Landesverweser in Böhmen ein. Als engster Verwandter des kleinen Ladislaus (dessen Mutter Elisabeth eine Cousine Ul-
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richs war) spielte er sich im Bemühen um die Befreiung des Jungen aus der Vormundschaft des Kaisers sehr in den Vordergrund : Immerhin hatte er schon bei der Krönung in Stuhlweißenburg die Stefanskrone über dem Haupt des kleinen Königserben gehalten (1440). Als Ladislaus die Herrschaft in Ungarn antrat (1455), versuchte Ulrich, die in Ungarn so dominanten Hunyadis auszuschalten. Der junge König ernannte Ulrich zum Banus von Kroatien, Dalmatien und Slavonien und dazu noch zum obersten Befelshaber in Ungarn. Das schien dem Hunyadi-Clan gefährlich : 1456 wurde Graf Ulrich von den Hunyadis bzw. ihrem Gefolge in Belgrad getötet – Belgrad selbst war vom großen János Hunyadi gerade vor dem türkischen Sultan Mehmed II. für Ungarn gerettet worden. Der große Kriegsheld starb unmittelbar darauf an einer Lagerseuche. Das Haus Cilli aber hatte damit sein Ende gefunden – Ulrichs Söhne waren schon vor ihm gestorben. Kaiser Friedrich III. triumphierte : Das reiche Erbe der Cillier in der Untersteiermark, in Krain und in Oberkärnten fiel an das Haus Österreich. Die Landesbildung der Cillier wurde nicht vollendet, obgleich es noch lange gewisse Ämter in Cilli gab, die daran erinnerten. Andererseits wurde durch das Ortenburg-Cillier Erbe die Landesbildung sowohl in Kärnten wie in der Steiermark und in Krain entscheidend vorangetrieben. 4.3 Glanz und Krise des Spätmittelalters Während das 11. bis 13. Jahrhundert in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens von Fortschritt und Wachstum erfüllt erschienen, waren die folgenden zwei Jahrhunderte von zahlreichen Hungersnöten, Pestzügen (seit 1349), Wüstungen und einer anwachsenden Gefährdung der »Christenheit« durch die Osmanen gekennzeichnet. Nach einer Phase der Expansion begann der geographische Geltungsbereich der westlichen Christenheit wieder zu schrumpfen. Auch die Bevölkerungsexpansion war vorbei. Bis um 1340 dürfte die Bevölkerung zwar noch gewachsen sein. Dann trat ein Rückgang ein, der in Mitteleuropa erst im 16. Jahrhundert wieder ausgeglichen werden sollte. Auch im politischen Bereich fehlen die faszinierenden Persönlichkeiten vom Schlage Ottos III., der staufischen Friedriche oder der Päpste Gregor VII. und Innozenz III. Es hieße aber, die Dynamik des Spätmittelalters zu unterschätzen, wollte man hier nur Stagnation, Schrumpfung und eine Anhäufung betrüblicher Katastrophenfälle registrieren. Denn überaus zahlreich sind gleichzeitig die Hinweise auf quantitatives Wachstum in Verkehr, Montanwesen und Gewerbe, die Belege für neue soziale Organisationsformen genossenschaftlicher Art in allen Schichten der Bevölkerung (Gemeinde, Zeche, Bruderschaften), aber auch die Fortschritte in den Belangen des alltäglichen Lebensstandards (Aufkommen der rauchlosen Stube, eines reichhaltigeren Interieurs, besserer Stoffe und raffinierterer Kleidung).
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4.3.1 Eine neue Kunst: Die Gotik
Auch der enorme Aufschwung der Architektur, der Malerei, Plastik und des Kunsthandwerkes ist wohl kaum als Zeichen andauernden Niederganges zu interpretieren : Schon im späteren 13. Jahrhundert wurde sehr rasch das vielbewunderte Vorbild der Sainte-Chapelle in Paris nachgeahmt. Die hohen gotischen Fenster ließen viel Licht in die sakralen Innenräume. Mit ihren bunten Glasmalereien schufen sie eine geheimnisvolle, mit dem Wechsel der Tages- und Jahreszeiten wechselnde Stimmung. Der Hallenchor der romanischen Klosterkirche von Heiligenkreuz (eingeweiht 1295) ist einer der ersten vollendeten Zeugnisse des neuen Bauens. Dem Muster von Heiligenkreuz folgte man später in Neuberg an der Mürz – hier zogen nach der Gründung Mönche aus Heiligenkreuz ein. Zum Hallenchor kam nun auch ein dreischiffiges Langhaus, das fast bruchlos an den Chor anschließt. Zahlreiche Kirchenneubauten oder Um- und Ergänzungsbauten älterer romanischer Bauten wurden im neuen Stil realisiert. Wir erwähnen hier nur beispielsweise die Dominikanerkirchen von Retz, Wiener Neustadt, Krems oder Bozen (alle um 1300). In den folgenden Jahrzehnten entstand als Hofkirche die Wiener Augustinerkirche mit ihrem bemerkenswerten Chor. Zahlreiche Pfarrkirchen folgen dem neuen Muster, so etwa in Wiener Neustadt, Friesach, Gmünd, St. Leonhard im Lavanttal, Villach oder in Bruck an der Mur. Besonders nah am Vorbild der Sainte-Chapelle blieb die Katharinenkapelle in der Dominikanerinnenkirche von Imbach (bei Krems, vor 1350). Ebenso eine Stiftung eines Zweiges der Herren von Wallsee ist die Minoritenkirche (heute Pfarrkirche) von Enns. Katharina von Stubenberg stiftete die eindrucksvolle Wallfahrtskirche von Pöllauberg in der Steiermark. 1304 begann der Neubau von St. Stephan in Wien. Der romanische Westchor samt Riesentor blieb erhalten, der Neubau wurde im Osten begonnen, mit dem Chor, der 1340 geweiht wurde. Er folgt bereits dem in der Folge im habsburgischen Herrschaftsbereich so beliebten Hallenschema : Die drei Schiffe sind gleich hoch, das mittlere aber ragt weiter nach vorne. Die Wiener Bauhütte beeinflusste zahlreiche weitere Bauten, so die berühmte Wallfahrtskirche von Straßengel bei Graz, deren Turm mit dem der Kirche Maria »am Gestade« in Wien zu den originellsten Schöpfungen gotischer Turmbaukunst gilt. Angeregt von Straßengel erscheint die Wallfahrtskirche Maria Neustift (Ptujska gora, ab etwa 1398) – hier haben übrigens die Grafen von Cilli neben den Herren von Pettau als Mäzene eine bedeutende Rolle gespielt. Eine etwas andere Lösung wurde in Zwettl geschaffen : Die Stiftskirche erhielt im 14. Jahrhundert einen Chor nach dem Muster französischer Kathedralen, freilich in einer bemerkenswerten Abwandlung, die eine Orientierung an älteren französischen Mustern (Pontigny, Cluny) nahelegt. Ebenfalls im 14. Jahrhundert erfolgte der Neubau der Stiftskirche von St. Lambrecht, die nun auch einen Umgangschor erhielt. Von St. Lambrecht aus wurde
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auch die Wallfahrtskirche von Mariazell errichtet, unterstützt durch das Mäzenatentum des ungarischen Königs Ludwig I. Mit dem Weiterbau von St. Stephan unter Herzog Rudolf dem Stifter seit 1359 sollte der bedeutendste Kirchenbau des heutigen Österreich (und darüber hinaus) entstehen. Planende Meister waren nach dem auch bei anderen Bauten nachweisbaren Meister Michael Chnab Meister Menczla (wohl ein Sohn Peter Parlers) und schließlich Peter von Prachatitz (1404–1429), auf den wohl auch jene Planänderung des Hohen Turmes zurückgeht, der von Hans von Prachatitz 1433 vollendet wurde. Durch Einfügung eines weiteren Geschosses war der Turm auf mehr als 136 Meter Höhe erhöht worden – so entstand einer der eindrucksvollsten gotischen Türme Europas. Da Rudolf IV. eine viertürmige Anlage geplant hatte, begann bald nach der Fertigstellung des Südturmes auch der Bau des Nordturmes (1450). Jetzt wurde auch das Langhaus eingewölbt. Hans Puchsbaum übernahm die Bauleitung. Unter den letzten Baumeistern begegnet uns Anton Pilgram, der sich im bekannten Orgelfuß 1513 selbst verewigt hat. – In Salzburg entstand als Bau von besonderer Qualität bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts der Chor der damaligen Pfarr- (heute Franziskaner-) Kirche. Zur Zeit Friedrichs III. erbaute Peter Pusika die St. Georgskapelle zu Wiener Neustadt, mit ihrer berühmten Wappenwand. Friedrich holte auch den Bildhauer Nikolaus von Leyden nach Wien, der das Grabmal für den Herrscher im Dom (seit 1469) zu St. Stephan entwarf. Auch die Pfarr- (heute Dom-) Kirche zu Graz entstand damals. Im Umkreis der eindrucksvollen Pfarrkirche von Steyr (ab 1443, Meister Hans Puchsbaum) entstanden ländliche Pfarrkirchen, die durch höchst originelle Muster der Gewölberippen bemerkenswert erscheinen (Weistrach, Krenstetten, Scheibbs, St. Valentin). An weiteren Kirchenbauten des 15. Jahrhundert sei hier nur auf den Neubau der Propstei- und Pfarrkirche zu Maria Saal (der »Dom«) verwiesen, auf die Stadtpfarrkirchen von Eferding oder Freistadt im Mühlviertel (beide Oberösterreich) oder die Bürgerspitalskirche zu Braunau am Inn. Fast schon rokokohaft wirkt das Rippenmuster in der Pfarrkirche von Kötschach in Kärnten. Nimmt man dazu die überaus bemerkenswerte Kunst der Bildschnitzerei, deren Höhepunkte zweifellos die großen Altäre von St. Wolfgang und Kefermarkt darstellen, dann stellt sich unwillkürlich die Frage, wie eine derart unruhige, von Kriegszügen und Fehden dominierte Zeit solche hervorragende Kunstwerke hervorbringen konnte. Nun war Kaiser Friedrich III. zweifellos ein kunstsinniger Mäzen, aber auch andere Große müssen als Auftraggeber nicht geringe Geldmittel aufgetrieben haben. Der Bau von St. Stephan in Wien, von Albrecht II. begonnen und von Rudolf IV. aufwendig fortgeführt, wurde übrigens in hohem Maße vom Wiener Bürgertum finanziert. Neben dem Hinweis auf den Um- oder Neubau zahlreicher gotischer Kirchen ist daran zu erinnern, dass viele mit Renaissance- oder Barockfassaden versehene Bürgerhäuser von Innsbruck, Salzburg, Steyr, Krems, Graz, Judenburg und anderen Städten
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einen gotischen Kern besitzen. Lebhaft und bemerkenswert war auch die künstlerische Tätigkeit. Die Ausschmückung der Kirchen, aber auch von Burgen und Bürgerhäusern mit Fresken (so in den Wiener Tuchlauben oder auf Schloss Runkelstein bei Bozen) erreichte einen zahlenmäßigen und beachtlichen qualitativen Höhepunkt. Am Ende des Mittelalter steht die eindrucksvolle Architektur der großen Schnitzaltäre zu St. Wolfgang von Michael Pacher, in Kefermarkt (Oberösterreich), in Mauer bei Melk oder in Pulkau (beide Niederösterreich). Während in der Malerei die Meister zunächst nur mit dem Namen ihrer Hauptwerke bekannt sind (Meister des Albrechtsaltars, Meister des Schottenaltars – beide von der gleichzeitigen Malerei der Niederländer beeinflusst), bleibt das erste wirkliche Porträt im heutigen Österreich (und wahrscheinlich das zweite Fürstenporträt in Europa, nach König Johann dem Guten von Frankreich) anonym : das zeitgenössische Bildnis Rudolfs des Stifters (1358–1365) im Wiener Dom- und Diözesanmuseum. Später kennen wir auch Namen : In Salzburg wirkte Conrad Laib, in dessen Werk italienische und niederländische Einflüsse wirksam wurden. Von ihm hat sich unter anderem in der Pfarrkirche von Pettau (Ptuj) der dreiteilige Pettauer Altar erhalten. In Salzburg, später hauptsächlich in Passau, wirkte Rueland Frueauf der Ältere, während dessen Sohn fast ausschließlich für das Stift Klosterneuburg tätig wurde. Einen hohen künstlerischen Rang erreichte er in seinem Leopoldsaltar. Ebenfalls für Salzburg arbeitete durch einige Jahre auch der Tiroler Michael Pacher (†1498). Der Sterzinger Flügelaltar des Ulmers Hans Multscher bot für den Brunecker Pacher ebenso frühes Anschauungsmaterial wie ein Aufenthalt in Padua. Sein berühmter Altar von St. Wolfgang zeigt ihn bereits als Meister perspektivischer Dynamik. Meister Konrad von Friesach schuf das imposante Gurker Fastentuch (1458) ; mit seinem enormen Format von fast 9 x 9 Metern bietet es für Szenen aus dem gesamten Alten und Neuen Testament Platz. Ein beliebter Meister der Wandmalerei war Thomas Artula, auch Thomas von Villach genannt, von dem die »Symbolische Kreuzigung« in Thörl ebenso bekannt ist wie das Stifterbild in St. Paul im Lavanttal. Zwei junge deutsche Maler veränderten die Kunstlandschaft grundlegend – Jörg Breu und Lucas Cranach, dessen früheste Werke in Wien entstanden sind, so malte Cranach den Rektor der Wiener Universität, Johannes Cuspinian, einen typischen humanistischen Gelehrten. Breu und Cranach blieben nicht lange. Ihre Ansätze entwickelten Albrecht Altdorfer und Wolf Huber weiter. Man spricht zusammenfassend von der »Donauschule«. Jörg Breus Melker Altar von 1501/02 ist eines der Hauptwerke dieser Art, mit enormer technischer Meisterschaft, in seinem krassen Individualismus und Realismus wohl auch Ausdruck einer neuen Zeit. Ebenfalls von besonderer Qualität ist der Sebastiansaltar Albrecht Altdorfers im Stift St. Florian (2. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts).
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123 4.3.2 Religion und Religionskritik
Dieser neue Individualismus äußert sich auch in einer gesteigerten Sorge um das Seelenheil. Wohl haben die zunächst ungeheuer populären Bettelorden diese Lücke wenigstens zum Teil geschlossen, was ihnen verschiedentlich auch die wütende Feindschaft des um seine Rechte besorgten Pfarrklerus eintrug. Aber im Laufe der Zeit wurden auch diese Orden behäbiger. Ganz allgemein wurde über mangelnde Bildung, Lasterhaftigkeit und Habgier des Klerus geklagt. Dieses Ungenügen des Klerus wurde deshalb so stark empfunden, weil für die Menschen jener Zeit das Leben nach dem Tode in der Regel erheblich wichtiger war als jenes davor – eine Haltung, der man in einer Welt der Hungersnöte, Seuchenzüge, Überfälle, Übergriffe von Herren aller Art, öffentlichen Hinrichtungen und überhaupt der allgemeinen Erfahrung, wie nahe man dem Tode jederzeit stand, Berechtigung nicht wird absprechen können. Da half man sich in den Kreisen der religiös brennend interessierten Laien mit neuen Formen der Bruderschaften und Zechen, sowohl auf Pfarrebene als auch für einzelne Berufe. Gemeindebewegung und Bruderschaftsbewegung hängen eng zusammen. Je weniger die traditionelle kirchliche Organisation den Bedürfnissen der Menschen entsprach, desto eher konnten sich solche Bruderschaften ins Kirchenfeindliche, Sektiererische hinüberbewegen. Deutlich lässt sich dies anhand der zahlreichen Geißlerbruderschaften zeigen, die besonders zur Pestzeit 1349 auftraten, jedoch schon 1348 in der Steiermark ihren Ausgang genommen haben sollen. Ob diese Geißler an die zahlreichen älteren Sekten anknüpften, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts mehrfach bezeugt sind, muss offen bleiben. Schon 1315 bis 1318 war sehr energisch gegen Ketzer vorgegangen worden, zahlreiche ihrer Anhänger wurden verbrannt. Ein besonderes »Ketzernest« scheint Steyr gewesen zu sein, wo Maßnahmen der Inquisition mehrmals wiederholt wurden. Das ohne Zweifel intensivere religiöse Bewusstsein des spätmittelalterlichen Menschen wurde also mit einer Kirche konfrontiert, die jenem nur unzureichend genügte. Hoffnungen setzte man in eine ständisch-kommunale Organisationsform der Gesamtkirche, entsprechend den ständischen, bruderschaftlichen und kommunalen Bestrebungen auch auf unterer Ebene. Das Bündnis zwischen Papsttum und den weltlichen Gewalten, ausgedrückt etwa im Wiener Konkordat von 1448, zwecks Unterdrückung der konziliaren Bewegung enttäuschte diese Hoffnungen endgültig. Wir sehen darin einen wichtigen Markstein auf dem Weg zur Reformation.
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4.3.3 Wüstungen und Bevölkerungsrückgang
Es kam im 14., 15. und frühen 16. Jahrhundert in den östlichen Ländern (Niederösterreich, Steiermark) zu zahlreichen Wüstungen. Der Siedlungsrückgang betraf vor allem ungünstige, nährstoffarme Böden. Das waren in der Regel auch die am spätesten besiedelten. Getreidebaugebiete wiesen einen stärkeren Wüstungsgrad auf als Waldgebiete (Wienerwald) oder als Gebiete mit vorherrschendem Weinbau. Daneben finden wir Wüstungen im Nahbereich der größeren Städte (Wien, Wiener Neustadt) – hier wurden Dorffluren in die Stadt einbezogen, um sie entweder für städtische Viehzucht und städtischen Gemüseanbau oder für die Erweiterung von Befestigungsanlagen bzw. Vorstädten zu nützen. In den kriegerischen Wirren des 15. und 16. Jahrhunderts wurden zahlreiche Siedlungen und Einzelhöfe zerstört, nicht alle wurden später wieder aufgebaut. Namen wie Ödhof oder Brandstatt zeugen von solchen verlassenen Höfen. In anderen Gebieten kam es hingegen zu teils recht erheblichen Bevölkerungskonzentrationen, etwa in den Gegenden des im Spätmittelalters aufblühenden alpinen Edelmetallbergbaues (Inntal um Schwaz, Kitzbühel, Gasteiner Tal und Rauris, Schladming), in den Zentren des Salzbergbaues (Hallein, Hall in Tirol, Hallstatt) und denen von Eisengewinnung und Eisenverarbeitung (steirischer und Kärntner Erzberg, Steyr, Murtal, ober- und niederösterreichische Eisenwurzen). Die Bevölkerungsrückgänge des 14. und 15. Jahrhundert wurden bis ins 16. Jahrhundert wieder aufgeholt ; um 1527 dürften in etwa 250.000 Häusern (im heutigen Staatsgebiet) etwa 1,5 Millionen Menschen gewohnt haben. Doch hatte eine deutliche sektorale Verschiebung der Bevölkerung stattgefunden : Um 1300 lagen nicht einmal 7 % aller Häuser in Städten und Märkten, 1590 etwa 21 %. Die nichtagrarischen Siedlungen wuchsen also wesentlich stärker als die rein ländlichen. Die landwirtschaftliche Bevölkerung ging zugunsten von Bergbau, Handwerk und Handel anteilsmäßig zurück und fiel im Schnitt auf etwas unter 80 % der Gesamtbevölkerung (1300 : mehr als 90 %). Die »Krise« erweist sich daher im ökonomischen Bereich vorwiegend als Getreidekrise, während die spezialisierten landwirtschaftlichen Zweige, besonders der Weinbau, sich ausweiteten und die gewerbliche Wirtschaft sowie der Bergbau erstmals ganze Landstriche prägten. 4.3.4 Wessen Krise? Bauern und Ritter
Die auslaufende Konjunkturperiode des Hochmittelalters hinterließ eine rechtlich immer mehr zu Einheitlichkeit tendierende Bauernschaft. Je stärker die Konkurrenz der Bauern um den Boden wurde, desto mehr konnten nicht nur die Grundherren wieder ihre Rechte betonen, desto stärker wurde auch die soziale Differenzierung. Die begin-
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nende Landverknappung führte zu Gemeinerschaften – nicht aufgeteilte Besitzanteile etwa mehrerer Brüder, die eine ganze oder eine halbe Hube gemeinsam bewirtschafteten. Wo es außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten gab, entstanden Kleinhäuslerstellen. Auch die reale Teilung von Huben und Lehen ging weiter und führte im 14. Jahrhundert in einigen Regionen zu einer recht kleinteiligen Betriebsstruktur von großer ökonomischer Anfälligkeit. Die (für die Bauern sehr unangenehme) »Freistift«, die Leihe des Hofes auf ein Jahr, hieß im frühen 14. Jahrhundert oftmals das Baumannsrecht (Bauernrecht) schlechthin. Wohl als Folge der verstärkten Konkurrenz der Bauern um den Boden konnten seitens der Grundherren vereinzelt sogar noch schlechtere Leiherechte durchgesetzt werden. Schon die ersten Pestzüge (ab 1349) müssen eine Umkehrung des Arbeits- und Bodenmarktes nach sich gezogen haben. Nicht mehr die Bauern suchten Boden, sondern die Grundherren suchten Arbeitskräfte, die ihre öd gewordenen Höfe bewirtschafteten. Nicht zufällig fallen in diese Zeit die ersten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen von Landesfürsten, wie die berühmte »Landesordnung« Ludwigs des Brandenburgers für Tirol von 1352 oder eine analog zu wertende Anordnung Albrechts II. für Österreich aus dem selben Jahr : Steigende Dienstboten- und Arbeiterlöhne sollten gebremst, abziehende Bauern daran gehindert werden, sich bessere Böden und angenehmere Herren zu suchen – diese Gesetze liegen übrigens fast zeitgleich mit analogen Versuchen in Ungarn und England, dem so genannte statute of labour. Für Grundherren waren jetzt große Konzessionen nötig, um überhaupt noch Bauern für ihre leer gewordenen Höfe zu finden. Nicht nur die Pest, auch die kriegerischen Ereignisse des 15. Jahrhunderts (Baumkircherfehde, Ungarnkrieg, Türkeneinfälle) führten zu einer Entlastung des Bodenmarktes. Gemeinerschaften wurden jetzt aufgelöst, Kleinstwirtschaften verschwanden wieder. Insgesamt konsolidierte sich – trotz aller Nöte – die bäuerliche Situation. Die »Agrarkrise« des Spätmittelalters, genauer gesagt : Bevölkerungsschwund bzw. -stagnation und der Rückgang der Getreidepreise, haben also eher dazu beigetragen, den Bauern zu einer besseren Situation zu verhelfen. Um 1370 erscheint erstmals auch der Begriff domus als Bezeichnung für das bäuerliche Haus (in Niederösterreich) – wohl ein Hinweis nicht nur auf stabilere bauliche Gestaltung, sondern auch auf eine stabilere soziale Situierung des damit zum »Hausherrn« gewordenen Bauern. Gestiegenes bäuerliches Selbstbewusstsein spricht aus zahlreichen Banntaidingstexten (sog. »Weistümern«) des Spätmittelalters. In manchen Fällen wurde in solchen Texten gefordert, der von der Herrschaft einzusetzende Amtmann müsse ein »gemeiner Mann« sein, kein Edelmann. Dagegen befand sich der Adel, besonders der kleine, tatsächlich in einer schweren Krise. Häufig auf Geldrenten verwiesen, litt er unter dem Kaufkraftschwund der Feudalrente, die durch den anhaltenden Fall der Getreidepreise noch verschärft wurde.
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Dieser kleine Adel, der eigentliche »Ritterstand«, wurde reduziert. Einige verbauerten wohl. Eine größere Zahl suchte Unterschlupf in geistlichen Stiftungen. Wieder andere nützten die faktische Ebenbürtigkeit mit dem gehobenen Bürgertum zu vernünftigen Heiraten. Heimgefallene ritterliche Lehen wurden häufig nicht mehr an Ritter, sondern an Bauern vergeben (»Beutellehen«). Zahlreiche kleine Ritter versuchten, als Verwalter bei großen Herren unterzukommen. Die erfolgreichsten waren jene, die sich in die landesfürstliche Finanzverwaltung einschalten konnten. Und wer den neuen Trend im Militärwesen erkannte und als Söldnerführer eine vom organisierten Raub zwar kaum unterscheidbare, so doch erfolgreiche Karriere einschlug, konnte durchaus reich werden. Letzten Endes ging damit eine Konzentration des adeligen Besitzes einher, die einerseits zum Aufgehen zahlreicher Rittergüter in größeren Herrschaften führte, andererseits zur Ausbildung großer Grundherrschaften eines neuen Typs. Ein gutes Beispiel dafür bietet Grafenegg in Niederösterreich. Burg und Herrschaft sind nach Ulrich Grafenecker benannt, der als Söldner-Unternehmer und kaiserlicher Feldhauptmann tätig war, der das landesfürstliche Lehen Aspersdorf von 1472 bis 1477 innehatte. Der Name Grafenegg setzte sich allerdings erst bei den späteren Besitzern, den Prueschenk, durch. Die waren ebenfalls von bescheidenerer Herkunft, ebenfalls militärisch tätig und stiegen später zu Grafen von Hardegg auf. Heute ist Grafenegg durch seinen historistischen Neubau im Tudor-Stil des 19. Jahrhunderts bekannt. Wurde im Hochmittelalter die Theorie der drei »ordines« entwickelt, so begegnet man im Spätmittelalter einer neuen Auffassung der Gesellschaft. Der Bauer wurde häufig noch als der »arme Mann« bezeichnet, eine Fortsetzung des hochmittelalterlichen pauper, der nicht bloß (oder nicht einmal so sehr) materiell »arm« war, sondern vor allem schutzlos und schutzbedürftig. Der »arme« wird nun aber immer häufiger auch der »gemeine« Mann genannt. Diese Begriffsverschiebung reflektiert recht gut die spätmittelalterlichen Veränderungen. »Gemein« hat wohl mit »Gemeinde« zu tun. Es sind die Mitglieder der jetzt deutlich stärker gewordenen Gemeinden, die den »Herren« gegenübertreten. Denn auch auf der oberen Etage des Sozialgefüges änderte sich einiges. Die Reduktion des ritterlichen Adels traf primär die kleinadeligen, halbbürgerlichen oder halbbäuerlichen Zwischenschichten. Die Trennung zwischen »adelig« und »nichtadelig« wird schärfer. Dieser Trend wird durch Mechanismen der Selbstabgrenzung, wie sie nicht selten in der Geschichte von statusverunsicherten Gruppen entwickelt werden, beschleunigt. Turnierfähigkeit und Ahnenproben wurden für das adelige Selbstbewusstsein immer wichtiger. Das konnte auf lange Sicht für jene kleinadeligen Leute, die sich den teuren Spaß der Turniere nicht leisten konnten, den Verlust der Adelsqualität bedeuten. Auch die Mitgliedschaft in ritterlichen Gesellschaften, wie der (nieder-) österreichischen Gesellschaft des Häftels mit dem Stern oder dem tirolischen Elefantenbund, sollte die adelige Exklusivität betonen und der
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Vertretung der Adelsinteressen dienen. Gleichzeitig wird die Bezeichnung »Herr« auf alle Adeligen ausgedehnt. Ursprünglich war nur der Lehensherr ein Herr (analog zum französischen seigneur), später dann das Mitglied des Herrenstandes (der adeligen Oberschicht überwiegend ministerialischer Herkunft). Im Spätmittelalter werden auch Ritter schon mit der Bezeichnung »Herr« geehrt. In Banntaidingstexten wird zwar verschiedentlich noch zwischen »Edelmann« und »sendmäßigem Mann« (= Ritter) unterschieden, doch diese Differenz verblasst zusehends – bald wird nur mehr zwischen dem »Edelmann« und dem »gemeinen Mann« die Grenze gezogen. »Herren« auf der einen, »gemeine Leute« auf der anderen Seite – das ist, kurz zusammengefasst, das Ergebnis des sozialen Wandels im Spätmittelalter. 4.3.5 Die Gewinner – Städte und Märkte
Die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung war quantitativ der »Gewinner« der spätmittelalterlichen Entwicklung. Es wuchsen aber die »Märkte« (also Zentralorte mittlerer und unterer Kategorie) stärker als die Städte : Im 16. Jahrhundert befanden sich 21 % aller Häuser in Städten und Märkten, zwei Drittel von ihnen nur in den Märkten. Die Zahl der Städte auf dem heutigen österreichischen Bundesgebiet betrug gegen Ende des Mittelalters 87, die der Märkte 344. Hinsichtlich der Städte ist dies der Zustand zu Ende des 13. Jahrhunderts, ergänzt nur um wenige spätere Gründungsstädte. Die Städte waren nicht groß. Nur Wien mit 20.000 bis 25.000 Einwohnern war eine auch nach den spätmittelalterlichen Begriffen respektable Stadt. Zweitgrößte Siedlung wurde in dieser Zeit Schwaz in Tirol, wo im 16. Jahrhundert 15.000 bis 20.000 Menschen wohnten, was aus der einmaligen Blüte des Silberbergbaues zu erklären ist. Eine der größten Städte war Steyr, wo man 1543 über 6000 Einwohner zählte. Schon im 15. Jahrhundert und noch mehr in der frühen Neuzeit begann die Residenzfunktion die Größe der Städte zu bestimmen. So lebten in Wiener Neustadt, wo Friedrich III. mit Vorliebe residierte, in dieser Zeit vielleicht bis zu 8000 Menschen, im 16. Jahrhundert freilich schon erheblich weniger (Verlust der Residenzfunktion). Auch die fürstlichen Residenzen Innsbruck (etwa 5.000 Einwohner im 16. Jahrhundert), Graz (1528 : 8000 Einwohner) und Salzburg (1569 : etwa 8000) erlebten eine raschere Entwicklung als die große Zahl der Mittel- und Kleinstädte. Linz etwa, eine nicht unbedeutende Handelsstadt, hatte im Jahre 1542 nur 210 Hausstellen, was selbst bei einer Belagsdichte von etwa zehn Bewohnern kaum mehr als 2100 Stadtbewohner bedeuten kann. Die spätmittelalterliche Stadt war ein hochdifferenziertes, komplexes Sozialgebilde. Bürgerliche und sehr verschiedene nichtbürgerliche Gruppierungen lebten in ihr. Aber auch innerhalb der verschiedenen Gruppierungen gab es erhebliche Status-
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Unterschiede (Lehrjunge, Geselle, Meister im Handwerkshaus beispielsweise), die es keineswegs erlauben, auch nur die »bürgerlichen« Schichten als stark egalitär darzustellen. Dennoch unterscheidet sich die Stadt von älteren, am Idealbild der »familia« orientierten Sozialformen durch die erhebliche Rolle genossenschaftlicher Gebilde. Die ganze »bürgerliche« Gemeinde war ein solches, trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Mitglieder nach Beruf, Vermögen, Status im Hinblick auf militärische Verpflichtungen oder Zugangsmöglichkeit zu den politischen Entscheidungszentren. Und innerhalb der bürgerlichen Gemeinde gab es zahlreiche Zechen und Bruderschaften sowohl der Oberschichten wie der Handwerker und Gewerbetreibenden. Selbst die Unterschichten waren wenigstens teilweise derart genossenschaftlich organisiert (Armenzeche in Wiener Neustadt). Welche Gruppen in irgendeinem Sinne als zur »politischen Öffentlichkeit« der Stadt gehörig angesehen wurden, zeigt recht gut ein Ereignis aus dem bewegten Jahr 1408. Damals ließ Herzog Leopold IV. den Wiener Bürgermeister Vorlauf und zwei Ratsherren enthaupten, was seinen Bruder und Konkurrenten um die Vormundschaft für den unmündigen Albrecht V., Herzog Ernst dazu bewog, in Briefen an den Rat, die Erbbürger, die Hausgenossen und Laubenherren sowie an 45 Handwerkerzechen Aufklärung über die Schuld der Hingerichteten und die Korrektheit des Prozesses zu verlangen. Das kann nur bedeuten, dass alle diese genossenschaftlichen Verbände (denn um solche handelt es sich) in irgendeiner Form als Teilnehmer an der städtischen »Polis« gedacht wurden. Neben dem Rat als oberstem Organ der bürgerlichen Gemeinde treten die Organisationen der Führungsschichten (Erbbürger, Hausgenossen, Laubenherren) sowie der Handwerker deutlich genug hervor. Natürlich bestanden diese Genossenschaften ihrerseits aus Hausvätern, definitionsgemäß – der Handwerksmeister war nur als verheirateter Vorsteher eines Hausstandes denkbar. Schon im 15. Jahrhundert begann die Tendenz zu genossenschaftlicher Form gegenläufigen Trends zu weichen. Das Wachstum des Hofes, als jedenfalls hausrechtlicher Formation, zeigt dies zur Genüge. 4.3.6 Die Juden: Gemeinden und Verfolgungen
Auf Grund ritueller Vorschriften war die mittelalterliche jüdische Diaspora immer Gemeindesiedlung, niemals Siedlung einzelner Personen oder Familien. Dazu kam die Bindung an den Handel : Sie führte zur Konzentration jüdischer Siedlungen an Handelswegen und schließlich in Städten. Ortsnamen wie »Judendorf« (nördlich von Graz) oder forum Iudaeorum für Völkermarkt legen davon Zeugnis ab. Die Theorie der Kammerknechtschaft und das daraus erfließende vorerst kaiserliche, später landesfürstliche Judenregal verband notwendig die jüdischen Gemeinden mit den (Landes-) Fürsten und mit den sich entwickelnden Residenzen. In Wien soll die jüdische Gemeinde vor
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ihrer Vertreibung beziehungsweise Vernichtung 1421 500 Mitglieder umfasst haben. Diese jüdische Gemeinde stand unter dem Schutz des Landesfürsten, der aus diesem Schutz bedeutende Gewinne zog. Die räumliche Lage der Judengemeinde in der Stadt war Ausdruck dieses Verhältnisses : Sie lag jeweils unweit der fürstlichen Burg – in Wien war der Judenplatz das ältere Judenviertel nahe dem Platz »Am Hof«, wo die alte Burg lag ; später entwickelte es sich im Anschluss an Kärntner Straße und Stubenbasteiviertel. Ein Judenrichter vermittelte den Kontakt zur christlichen Bürgerschaft. Diese Kontakte waren häufig kontroverser Natur. Abgesehen von den ökonomischen Gegensätzen zwischen Gläubigern und Schuldnern scheinen Zeiten intensivierter (christlich-) religiöser Begeisterung der städtischen Massen jeweils Probleme für die Juden bedeutet zu haben. Die Kirche hätte den Kontakt zwischen Christen und Juden am liebsten unterbunden oder doch stärkstens eingeschränkt (Ausagen der Synode von Wien 1267). Nach einer Zeit relativer Ruhe im 13. Jahrhundert mehren sich seit dem 14. Jahrhundert wieder Unruhen und Verfolgungen. 1338 kam es, offenkundig im Zusammenhang mit einer Epidemie, zu Verdächtigungen wegen angeblicher Hostienschändung, zu Plünderungen und zur Ermordung von Juden. Auf die Pest von 1349 reagierte man in ähnlicher Weise. Als 1406 im Wiener Judenviertel ein Brand ausbrach, beeilten sich die christlichen Nachbarn, dieses Ereignis zu Plünderungen auszunützen. 1420/21 wurde die Wiener Gemeinde praktisch ausgerottet. Zunächst wurden die Juden verhaftet, 1421 schließlich 300 von ihnen in Erdberg verbrannt, ihre Kinder getauft. Ärmere Juden hatten nach Mähren und Ungarn (Burgenland !) ausweichen können. Im 15. Jahrhundert ging daher die Geschichte der jüdischen Gemeinde als organisierter Bestandteil der Stadt, wenn auch nicht als Teil der bürgerlichen Gemeinde, in Wien zu Ende. Maximilian I. folgte im frühen 16. Jahrhundert den Forderungen der Stände der innerösterreichischen Länder und verfügte die Vertreibung der Juden aus Steiermark, Kärnten und Krain sowie ein Verbot ihrer neuerlichen Ansiedlung. 4.4 Reichs- und Landesherrschaft: Aufstieg der Stände 4.4.1 Reichsstände
Die Steigerung der Stellung der Reichsfürsten durch die Stauferkaiser, besonders durch Friedrich I. und Friedrich II., engte die Herrscherposition der römisch-deutschen Könige des Spätmittelalters deutlich ein. Um sich gegen einen oder mehrere Fürsten durchzusetzen, bedurfte es einer starken eigenen Position. Nur eine eigene starke »Hausmacht« konnte seit dem 13. Jahrhundert einem römisch-deutschen König oder Kaiser eine beachtenswerte Stellung im Reich sichern. Ihm standen die Fürsten gegenüber, von denen sieben als Königswähler (Kurfürsten) eine besondere Stellung
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einnahmen, die durch die »Goldene Bulle« Kaiser Karls IV. auch dauerhaft abgesichert wurde. Die große Zahl der übrigen reichsunmittelbaren Herrschaftsträger, der Fürsten, Grafen und Reichsritter ebenso wie der Reichsstädte, versuchte, ihre Positionen durch Kooperationen miteinander (Landfriedenseinungen, Städtebünde, Ritter- und Fürstenbünde) und mit dem Reichsoberhaupt zu verbessern oder zumindest zu stabilisieren. Immer schon hatten die Kaiser und Könige durch Handlungen in der Öffentlichkeit regiert, auf Hof- und Gerichtstagen, wo Gericht gehalten und Gnadenakte erlassen wurden, die man in der Regel erst post festum in Urkunden bestätigte. Die zur Teilnahme berechtigten Herren, Reichsbischöfe und -äbte sowie Fürsten, Grafen und edelfreie Herren, kamen aus der näheren oder weiteren Umgebung. So brauchte der Herzog von Österreich seit 1156 nur an Hoftagen in Bayern teilzunehmen. Diese Hoftage wandelten sich im Spätmittelalter zu Reichstagen. Die Berechtigung zur Teilnahme musste eine endgültige Regelung finden. Reichsunmittelbarkeit verpflichtete zur Heerfolge gegenüber dem obersten Herrn des Reiches. Erstmals 1422 wurde ein Verzeichnis (Reichsmatrikel) angelegt, in der alle geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Herren mit ihrer Gefolgschaftspflicht verzeichnet wurden. Später wurde diese Verpflichtung in Geld umgewandelt und ein Verzeichnis derer angelegt, die eine Reichssteuer (»Römermonate«) entrichten mussten. Aus diesem immer noch sehr großen Kreis bildete sich der etwas engere Kreis der Reichstagsberechtigten. Die Kurfürsten ebenso wie die geistlichen und weltlichen Fürsten waren persönlich teilnahmeberechtigt, die Grafen aber wurden in »Bänke« eingeteilt, von denen jeweils nur einige Abgeordnete zum Reichstag entsandt wurden, ebenso die Städte. Die Reichsritter erlangten die Teilnahmeberechtigung nicht. Vom 15. Jahrhundert bis zum Ende des Reiches bildeten die Reichstage den institutionellen Rahmen, in dem die Reichsangelegenheiten besprochen wurden. Beschlüsse bedurften zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Kaisers. Eine kaiserliche Politik ohne Zustimmung des »Reiches« war damit ebenso unmöglich geworden wie eine Politik der Reichsstände gegen den Kaiser. Das zeigte sich um 1500 ganz deutlich, als Maximilian Pläne der Stände für eine von den Ständen dominierte Reichsreform ebenso blockierte wie die Stände ihrerseits jeden Versuch zur Stärkung der kaiserlichen Gewalt. 4.4.2 Landstände
Ganz analog zur Ebene des Reiches bildeten sich auch in den Territorien der Landesfürsten Beratungsorgane heraus, mit denen sich die Fürsten auseinandersetzen mussten, wenn es – zuerst und noch lange – um das Kriegswesen ging, später auch um viele andere Angelegenheiten, an denen sowohl der Landesfürst wie die Stände interessiert waren.
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Wie auf der Reichsebene ging es zunächst um den Kreis der Mitglieder. Wie im Reich waren es auch hier zuerst militärische Fragen : Wer war zu welchen Konditionen zur Heerfolge verpflichtet – und wie war diese Verpflichtung in Geld abzulösen ? Klarerweise waren das die zum Kampfe ausgebildeten Leute, zunächst also die Herren (mit eigenem Gefolge !) und die Ritter. In Kärnten, der Steiermark und Österreich gab es Herren und Ritter, doch war die Zahl der Herren in der Steiermark und in Kärnten sehr gering, sodass beide als gemeinsamer Adelsstand auftraten. Groß war der Herrenstand in Österreich – ein Erbe der starken babenbergischen Ministerialität, aus der sich dieser Stand entwickelt hatte. Auch die Städte hatten militärische Bedeutung, sie hatten zunächst ihre eigene Stadt zu verteidigen, konnten aber auch Kontingente an Fußknechten und Reitern stellen. Dann gab es noch die Prälaten – dass die nicht selbst kämpfen konnten (oder durften), war klar. Hier war es der Schutz (die »Vogtei«) des Landesfürsten, der einerseits Abgaben erforderte, andererseits ein gewisses (begrenztes) Mitspracherecht entstehen ließ. In Tirol und zeitweilig auch in Salzburg waren auch die bäuerlichen »Täler und Gerichte« vertreten, eine Folge der Unterstellung der meisten Gerichte unter die Pfleggerichtshoheit des Landesfürsten und der Einbeziehung der Gerichte in die Landesverteidigung. 1511 wurde die Tiroler Landesverteidigung durch das Landlibell Maximilians I., aufbauend auf früheren Traditionen, dauerhaft organisiert. Den Umgang mit den Waffen übten die in den Städten und Gerichten organisierten Schützen an Schießständen, weshalb sie später als »Standschützen« bezeichnet wurden. Dass im westlichen Europa die Organisation von Land- und Reichsständen schon weiter fortgeschritten war, haben wir schon bei der Hochzeit Friedrichs des Schönen 1313 gesehen, als der katalanische Schwiegervater eine Garantie durch die österreichischen Stände forderte, die es als Organisation noch nicht gab. Die einzelnen Gruppen, die Herren, die Ritter, die landesfürstlichen Städte und die Prälaten, traten aber, einzeln oder gemeinsam, bereits unter Rudolf von Habsburg politisch handelnd auf. Im 14. und 15. Jahrhundert beschleunigten die Kriege, die finanziellen Kalamitäten und die Teilungen bzw. Vormundschaftsstreitigkeiten im Haus Österreich den Bedeutungszuwachs der Stände der einzelnen Länder. Schon Albrecht II. hatte seine Nachfolgeordnung von den Ständen garantieren lassen. Rudolf IV. einigte sich 1359 in einem »offen gesprech« (das Wort entspricht dem lateinischen parlamentum !) mit den Herren und Rittern zu Österreich auf eine neue landesfürstliche (Umsatz-)Steuer, das »Ungeld«. Richtig ausspielen konnten die Stände, vor allem die Stände des Herzogtums Österreich, ihre Rolle in der ersten Teilungsperiode (1379 bis 1490), als sie immer wieder zu Schiedsrichtern zwischen streitenden Vormündern aufgerufen waren und zweimal, bei Albrecht V. (1411) und bei Ladislaus (1452), die frühe Großjährigkeit ihres angestammten Landesfürsten durchsetzten. Das kräftige Selbstbewusstsein dieser Herren schlägt sich etwa in der imponierenden Urkunde des »Mailberger Bundes«
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nieder, in dem sich die Stände Österreichs 1451 gegen König Friedrich III. vereinigt hatten. Zuletzt hatten 253 Ständemitglieder mit ihren Siegeln den Bund bestätigt ! Nach dem frühen Tod des Königs Ladislaus hörten die Probleme nicht auf – die Stände versammelten sich aus eigenem Antrieb, meist um sich über den Kaiser zu beschweren. Solche Tage wurden vom Kaiser aber niemals anerkannt ! Umgekehrt reagierte man auf die Ladungen Friedrichs zu Landtagen sehr verhalten, oft gar nicht. Da es dabei immer um Geld ging, also um Steuerbewilligungen, waren die friderizianischen Jahrzehnte von sich dahinschleppenden Verhandlungen und Verweigerungen gekennzeichnet, die die ewigen Bedrohungen durch vazierende Söldnerscharen und ähnliche Gruppen nie wirklich in den Griff bekamen. »Landtage sind Zahltage«, wusste ein zeitgenössischer Merkspruch : Da der Schutz des Landes immer weniger durch das adelige Aufgebot, sondern zunehmend durch Söldnerheere bewerkstelligt wurde, benötigte man Geld, und das Geld kam von den Untertanen. Der Adel pochte auf seine Steuerfreiheit, da er ja sich selbst mit eigener Person, Leib und Leben in die Bresche warf. Wollte der Landesfürst aber die Untertanen der Adeligen, kirchlichen Oberen und Städte zu den finanziellen Lasten heranziehen, so bedurfte es dazu der Zustimmung von deren Herren : Bei den Städten und Prälaten konnte sich der Fürst auch auf anderem Wege Einkünfte holen, es ging also primär um die Untertanen des Adels. 4.4.3 Parlamente der Kirche – die Konzilsbewegung und ihre Folgen
Ständische Bewegungen waren überall in Europa im späten Mittelalter zu beobachten. Sie fanden auch in der christlichen Kirche des Abendlandes ein lebhaftes Echo. Zahlreiche Missstände und insbesondere der Skandal der Spaltung zwischen Rom und Avignon riefen geradezu nach einer Lösung durch eine große Kirchenversammlung. Insbesondere die Pariser Universität wurde zum Zentrum der Konzilsbewegung. Der größte Erfolg dieser Bewegung waren die Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). In Konstanz fand man endlich zu einer Lösung des Papst-Problems. Die Zusammensetzung des Konzils mutet uns heute seltsam an : Neben den Bischöfen und den Ordensoberen waren auch die Universitäten teilnahmeberechtigt, aber auch die christlichen Fürsten ! Von Konstanz ging auch eine wirkungsvolle Bewegung zur Reform der alten Orden aus, die von Herzog Albrecht V. unter tatkräftiger Mitwirkung der Wiener Universität massiv gefördert wurde. Ausgangspunkt dieser Reformströmung wurde das Kloster Melk (»Melker Reform«). Der Eifer für die Rückkehr zu den originalen Regeln des heiligen Benedikt löste in den Klöstern eine lebhafte Suche nach den frühen Regeltexten aus und belebte so die Wissenschaft. Die Melker Reform blieb jedoch in ihrer Wirksamkeit auf die Klöster beschränkt. Sie strahlte nicht auf den Weltklerus und die Pfarrseelsorge aus.
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So blieb die Unzufriedenheit mit den Zuständen in der Kirche weiterhin lebendig, ebenso wie die Kritik an den Zuständen im Heiligen Römischen Reich, aber auch in den habsburgischen Ländern. Eine ganz eigentümliche Formulierung fanden diese Kritikströme in einer Programmschrift, die unter dem Namen des mehrfachen Königs und Kaisers Sigismund verbreitet wurde – die Reformatio Sigismundi. Sie tauchte im Umkreis des Basler Konzils 1439 auf, wurde 1477 erstmals (und danach noch öfter) gedruckt und forderte in deutscher Sprache die Beseitigung diverser Missstände in Kirche und Reich, unter anderem die Priesterehe und die Säkularisierung des Kirchengutes. Solche vorreformatorische Schriften geisterten jetzt immer häufiger durch das Land. Dass sich die weltlichen und kirchlichen Häupter – im Gegenteil – in eine ganz andere Richtung bewegten, hat zweifellos der Luther’schen Reformation den Boden recht gut aufbereitet. Denn Kaiser und Papst einigten sich 1448 (Wiener Konkordat) darauf, die Konzilsbewegung abzudrehen und vor allem die Verfügung über die kirchlichen Ämter in bester Tradition selber in die Hand zu nehmen. Und nach Papst Pius II. (dem Piccolomini-Papst), dem der Kampf gegen die Osmanen noch das wichtigste Anliegen war, gingen die Päpste in Rom daran, ihre Stadt zu einer prächtigen Renaissance-Metropole umzugestalten. Anderes trat da in den Hintergrund, ja gewisse Techniken zur Finanzierung insbesondere des Neubaues von St. Peter (Ablasshandel) haben die präreformatorische Kritik an der Rom-Kirche nochmals massiv verstärkt. 4.4.4 Neue Stände – neue Länder Salzburg
Wir haben oben schon die Grundtendenzen der Landesbildung im erzstiftlichen Territorium der Erzbischöfe von Salzburg erwähnt : Die Konzentration von grundherrlichen, vor allem aber von Gerichtsrechten in der Hand der Erzbischöfe im Zentralgebiet ihrer riesigen Erzdiözese. Dies war im Großen und Ganzen im 13. Jahrhundert abgeschlossen. Aber noch um 1300 »gehörte« das Salzburger Territorium (mit Ausnahme des alt-karantanischen Lungau und von Windisch-Matrei) zum Herzogtum Bayern. 1327 bewilligten die Dienstmannen, Ritter und Knechte des Gotteshauses Salzburg ihrem Herrn eine Steuer von ihren Vogt- und Lehensleuten. Das war eine eindeutig »ständische« Handlungsweise. Erzbischof Friedrich III. erließ 1328 eine Satzung, die noch kein volles Landrecht war, aber zu dessen Ausbildung beitrug. Als 1387 der Salzburger Erzbischof Pilgrim II. von den bayerischen Herzögen gefangen genommen wurde, reagiert das »Land« : Unter Führung des Dompropstes übernahmen der Bischof von Chiemsee, der Abt von St. Peter und mehrere Adelige die Regierungsgeschäfte und stellten Truppen auf, handelten also sehr selbstständig. Den dramatischsten Ausdruck fand die ständische
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Bewegung im so genannten »Igelbund« von 1403. Damals stellte eine große Zahl von Adeligen sowie die Städte Salzburg, Laufen, Tittmoning, Hallein und Radstadt für den zukünftigen Erzbischof eine ganze Reihe von Forderungen auf, die sich unter anderem auf regelmäßige Landtage und auf das Versprechen bezogen, Witwen und Waisen nicht gegen deren Willen zu verheiraten. Den Namen erhielt dieser Bund von der Urkunde, an deren Rand die Siegel der Unterzeichner wie die Stachel eines Igels angeordnet erschienen. Freilich blieb die Sache relativ folgenlos : Der Erzbischof stand auf Grund seiner reichen Einkünfte aus den Salinen und anderen Quellen eher selten so unter Druck, dass er die Stände öfter einberufen musste. Als Zeugnis eines besonderen Landesbewusstseins bleibt der Igelbund jedoch bemerkenswert. In der Folge reduzierte sich der Ritterstand (die »Herren« waren die Inhaber der Salzburger Hofämter – Erbmarschall, Erbtruchseß, Erbschenk und Erbkämmerer), viele Ritterlehen wurden als »Beutellehen« an Bürger und Bauern vergeben, was diesen aber keine Standeserhöhung oder Mitgliedschaft in den Ständen bescherte. Im 15. Jahrhundert erschienen auf den Salzburger Landtagen auch Vertreter der ländlichen Landgerichte, so 1473, als es um Maßnahmen zur Türkenabwehr ging. Die wichtige Aufgabe der Regierung des Landes während der Sedisvakanzen konnte das Domkapitel an sich ziehen. Die ständische Macht blieb bescheiden. Das Land ob der Enns
Einen Landrichter, später einen Hauptmann ob der Enns gab es schon seit dem 13. Jahrhundert. Ihm unterstanden die Gebiete zwischen Hausruck und Ybbs, aber nicht das Salzkammergut, die Herrschaft Steyr, die Riedmark und das Machland. Erst um und nach 1400 wurden diese Gebiete in die Hauptmannschaft integriert. Allmählich bildete sich so ein eigenes Land heraus : 1390 erscheint das Wappen der Herren von Machland als Landeswappen ob der Enns. 1408 berief der Hauptmann ob der Enns, Reinprecht von Wallsee, die Prälaten und Städte seines Bereiches zu einem Treffen ein, das als erster oberösterreichischer Teillandtag gilt. Gerade die sieben Städte des Landes waren hier früh Träger des Landesbewusstseins ! Der Adel tagte freilich noch länger gemeinsam mit den unterennsischen Österreichern. Einen besonderen Schub für die Landesbildung bedeutete die Herrschaft Albrechts VI. seit 1458. Damit wurde das Land ob der Enns als eigenes Fürstentum anerkannt. 1464 tagte ein obderennsischer Landtag, der sich für Friedrich III. und gegen den Tiroler Habsburger Sigmund entschied. 1478 begegnet erstmals der Titel eines »Landeshauptmannes«. Schließlich residierte Kaiser Friedrich III. von 1489 bis zu seinem Tod 1493 in Linz. Damit war Linz nun schon zum zweiten Mal Residenz geworden. Das Land ob der Enns war nun zwar klar als eigenständige Einheit anerkannt. Aber die Stellung dieses jungen Landes innerhalb der Reihe der habsburgischen Erbländer war keineswegs unumstritten : Weder war es ein eigenes Reichslehen noch ein eigenes
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(Erz-) Herzogtum. Als Maximilian ausgerechnet Linz zum Sitz des niederösterreichischen Regimentes bestimmte, weigerten sich die Vertreter der größeren Länder, dorthin, ins »Ausland«, vorgeladen zu werden, noch dazu in ein so junges Land ! Auf dem Generallandtag zu Augsburg 1510 wollte man den Obderennsern zunächst gar keine selbstständige Stimme, zuletzt bestenfalls die letzte zuerkennen. Maximilian erfand daher für das Land ob der Enns den Titel »Markgrafschaft«, was den Betroffenen wieder nicht recht war. Es blieb ein »Fürstentum« und jedenfalls ein eigenständiges Land – und das bis heute. 4.5 Herrschen durch Papier: Der Beginn bürokratischer Regierungsformen Kein Herrscher vor ihm hat eine derartige Masse an schriftlichen Enunziationen hinterlassen wie Friedrich III. Unermüdlich mussten seine Kanzleien Mandate, Empfehlungen, Einladungen, Ermahnungen, Genehmigungen, Ablehnungen und Briefe verfassen : Friedrich III. versuchte also bereits mit beschriebenem Papier zu herrschen. Mindestens 40.000 Schriftstücke haben seine Kanzlei verlassen ! Natürlich gab es nach wie vor feierliche Beurkundungen von Rechtshandlungen wie Belehnungen. Aber daneben nimmt die Zahl der weniger feierlichen Erlässe, Briefe (usw.) rasch zu. Man hat zwar nicht den Eindruck, dass diese »Herrschaft durch (beschriebenes) Papier« besonders effizient gewesen wäre, aber es zeigt sich in dieser Fülle von schriftlichen Quellen verschiedenster Art so etwas wie ein Vorschein auf eine Zukunft, in der bürokratische Regierungsformen zur Regel werden würden. Kaiser Friedrich III. setzte seine Mandate und ähnliche Schreiben gerne an der Stelle von Gewaltmitteln ein, an denen es ihm nicht selten mangelte. Aber durch seine vielen schriftlichen Stellungnahmen hielt er zumindest seinen Rechtsstandpunkt fest, betonte seine kaiserliche Autorität und konnte, wenn niemand folgte, wenigstens seine Hände in Unschuld waschen. Noch galt ja das alte Prinzip der persönlichen Herrschaft, durch Präsenz. Das wurde nun zunehmend schwierig, sowohl wegen der Ausdehnung der beherrschten Gebiete (das Reich, die Länder und Herrschaften des Hauses Österreich) als auch wegen der zunehmenden Komplexität der erforderten Regierungshandlungen. Wir verweisen hier nur auf die wachsende Notwendigkeit der Regelung der Versorgung der meist in Gebirgsgegenden liegenden Bergbaureviere. Sie wurden durch so genannte »Widmungen« sichergestellt. Aus den der Versorgung der Bergbauereviere »gewidmeten« Regionen durften Lebensmittel oder Holz nur mehr in das Salzkammergut oder in das Gebiet des steirischen Erzberges geliefert werden. Aber die Herrschaft Friedrichs III. blieb insgesamt durch langsame und oft nur bruchstückhafte Erledigungen gekennzeichnet. Sein Nachfolger, Maximilian I., sollte an noch mehr Schauplätzen anwesend sein : In Burgund, im Reich und in seinen Erblanden. Er richtete daher Behörden ein, die in
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Vertretung des Landesfürsten in seinem Namen Recht sprechen und für die Friedenswahrung sorgen sollten. Das bedeutete den Beginn einer kontinuierlich arbeitenden Zentralverwaltung. Maximilian fasste seine Erblande in zwei Einheiten zusammen : Tirol und alle westlich davon gelegenen Herrschaftsbereiche bis zu den Vogesen wurden als »Oberösterreich« bezeichnet, der Rest (Ober- und Niederösterreich, Steiermark, Kärnten und Krain samt Triest und seit 1500 auch Görz) bildete »Niederösterreich«. Jede der beiden Ländergruppen erhielt eine Gerichts- und Verwaltungszentrale, meist »Regiment« genannt, und eine Finanzbehörde (Schatzamt, Rechenkammer, später Hofkammer). Ähnlich verfuhr Maximilian auch in Burgund. Das Regiment für die oberösterreichischen Lande hatte seinen Sitz in Innsbruck, das für Niederösterreich wechselte zwischen Linz, Enns und Wien. 1497 richtete Maximilian einen »Hofrat« als oberste Justiz- und Regierungsbehörde für die Erblande und das Reich ein, dem die Regimenter unterstellt sein sollten. 1501 wurde ein ständiges Hofgericht in Wiener Neustadt eingerichtet. Die niederösterreichischen Stände, besonders jene des Erzherzogtums Österreich, liefen gegen alle diese neuen Institutionen Sturm. Hauptkritikpunkt war ihre Besetzung mit »Ausländern«, als welche damals selbstverständlich auch Tiroler galten. Auf einem Generallandtag aller altösterreichischen Länder in Augsburg (1510) konnten die Stände massiv in die Regimenter eindringen ; das niederösterreichische wurde von Linz nach Wien verlegt. Selbst in Tirol erhielten Ständemitglieder mehr Gewicht im Regiment. Die neuen Zentralbehörden wurden also teilweise zu Organen der Landstände, deren Bestrebungen freilich der überregionalen Koordination von Ressourcen, um die es Maximilian vor allem ging, diametral entgegenstanden. Für sie gab es nur ihr jeweiliges Land, darüber hinaus reichten ihre Perspektiven nicht. Für den Ausgang der gewaltig angewachsenen Mengen an Papier sorgten Kanzleien. Nach diversen Umorganisationen umfasste Maximilians Hofkanzlei mindestens 34 Personen. Sie war aber auch sowohl für das Reich wie für Burgund und die Erblande zuständig. Die Kanzler gehörten auch den Regimentern an. Wichtige Berater der Herrscher kamen aus dem Kanzleidienst, so der spätere Kardinal und Erzbischof von Salzburg, Matthäus Lang. Auch wenn verschiedene Einrichtungen ihre Namen änderten : Das Muster künftiger höfisch-bürokratischer Herrschaft wurde doch von Maximilian I. ausgebildet. Wichtig wurde die Kanzlei Maximilians auch für die Entwicklung der frühneuhochdeutschen Sprache – das hat niemand geringerer als Martin Luther bestätigt. Ebenfalls auf Maximilian geht die Einrichtung von regelmäßigen Postlinien zurück, vor allem zwischen den Niederlanden und Innsbruck, aber auch nach Rom und nach Frankreich. Eilboten legten bereits bis zu 200 Kilometer pro Tag zurück. Nachrichten erreichten den Kaiser daher mit erstaunlicher Geschwindigkeit.
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4.6 Branchen mit Konjunktur: Neue Arbeitsformen Die steigende Nachfrage nach den Produkten des Montanwesens bedeutete einen Anreiz für verschiedene technische Neuerungen. Im Eisenwesen wurden seit dem 14. Jahrhundert Abbau und Verhüttung getrennt, während bislang eher kleine »Rennfeuer« im bäuerlichen Nebenerwerb betrieben worden waren. Nun entstanden »Radwerke«, Verhüttungsanlagen mit größeren Öfen, zu deren Belüftung wassergetriebene Gebläse dienten. Das Produkt dieser Verarbeitungsstufe, das Roheisen, wurde dann in Hammerwerken in mehreren Stufen weiterverarbeitet. Ein Teil davon, der Kern des im Radwerk erschmolzenen »Massls«, wurde »Scharsach« genannt und war als qualitätsvoller Stahl gleich für Klingen, Werkzeuge oder Rüstungen weiter zu verarbeiten. Das geschah in vom Bergbau ziemlich weit entfernten Städten wie Steyr, Waidhofen an der Ybbs, Leoben oder Bruck an der Mur. Das weniger gute »Graglach« musste in so genannten »Zerrennhämmern« nochmals gefrischt werden, was meist schon außerhalb des engeren Bergbaugebietes geschah. Denn die wachsende Nachfrage nach Energie (Wasserkraft) und Holz (für die notwendige Holzkohle) führte zur Entstehung weiter Eisenlandschaften. Schließlich wurden die diversen Eisensorten den spezialisierten Schmieden in der weiteren Umgebung der Erzlager beziehungsweise der Eisenhandelsstädte (Steyr, Bruck an der Mur, Leoben, St. Veit) zur Endbearbeitung überlassen. Nicht wenig vom qualitätsvollen Stahl ging freilich auch an die oberdeutschen Reichsstädte, wo vor allem hochwertige Harnische hergestellt wurden. Das Kapital für alle diese Umstellungen kam aus dem Handel. Die Eisenhändler wurden die eigentlichen Beherrscher des Eisenwesens, die sowohl die Rad- und Hammermeister wie die Schmiede (Sensen-, Sichel-, Messer-, Nagelschmiede usw.) im Wege des »Verlages« beherrschten. Der »Verlag« bedeutete die Vorstreckung von Geld und/oder Rohstoffen an die verschiedenen Meister, die dadurch natürlich in steter Abhängigkeit vom Händler verblieben. Wo der Reichtum sich ansammelte, zeigt auch das Bild der Siedlungen – den bäuerlich-industriellen Bergbaurevieren um den steirischen und Kärntner Erzberg stehen die reichen und schönen Händlerstädte Steyr, Leoben, Bruck an der Mur, Waidhofen an der Ybbs oder St. Veit gegenüber. Für die Versorgung der Bergbaugebiete wurden die schon genannten »Widmungen« geschaffen – große Landstriche in Österreich ob und unter der Enns durften Getreide, (Butter-)Schmalz und Schlachtvieh nur an dafür privilegierte Händler verkaufen, die damit wieder die Bergbaugebiete versorgen mussten. Mit ähnlichen Widmungen wurden große Waldbestände belegt. Man brauchte das Holz nicht nur für die Verkohlung, sondern im Bereich der Salinen auch zur Verfeuerung in den Sudhäusern. Das Salzwesen war für die Habsburger vor allem als Einkunftsquelle wichtig. Die Konjunktur des später so genannten Salzkammergutes begann 1305 mit der Ablösung der Rechte des Klostes Traunkirchen am Hallberg bei Hallstatt durch Königin Eli-
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sabeth, die Frau Albrechts I. Sie übertrug zwölf Pfannstätten als Berglehen an sieben Burgmannen und fünf Bergleute. Diese und zwölf weitere Hallstätter Bürger erhielten das erbliche Recht zur Trocknung des »nassen Salzes« und zum Weiterverkauf. Bald lieferte die Saline große Mengen Salz, welche das salzburgische (Halleiner) Salz in Österreich verdrängten. Zuerst geschah die Produktion nur in Hallstatt, doch wurden mit der zunehmenden Holzknappheit immer längere Leitungen verlegt, bis Ischl und Ebensee, um weiter entfernt liegende Wälder für das Sudwesen heranziehen zu können. Die Verschiffung erfolgte schließlich von Gmunden aus, über Traun und Donau. Weiter nach Norden ging das Salz dann über Linz bzw. Stein/Krems. Für die Versorgung der Donauländer und des salzarmen böhmischen Raumes spielte das Salzkammergut mit dem Hauptort Gmunden die zentrale Rolle. Dabei stand man in Konkurrenz sowohl mit dem Erzbischof von Salzburg (Hallein) wie mit dem Herzog von Bayern (Saline Reichenhall). Die Steiermark und Kärnten sollten hingegen von Aussee aus beliefert werden. Südlich der Drau war auch das Meersalz präsent. Auch der Handel wurde kapitalintensiver. Gemeinschaftliche Einrichtungen von Händlern sollten die Aufbringung des notwendigen Kapitals erleichtern, aber auch das Risiko breiter streuen. Eine »Commune« der Leobner Eisenhändler von 1415, die später zweimal erneuert wurde, gilt als älteste Aktiengesellschaft in der Steiermark. Solche Communen errichteten auch die St. Veiter und Althofener Eisenhändler für den Absatz des Kärntner Eisens im späten 15. Jahrhundert. Ähnliche Gesellschaften bildeten sich auch für den Handel mit Rindvieh, etwa eine Villacher Ochsenhandelsgesellschaft zur Versorgung der Oberkärntner Bergbaugebiete. Der Ochsenhandel zwischen Ungarn und Venedig, der teils über Kärnten, teils über Krain oder Kroatien lief, lag primär in venezianischer Hand, freilich profitierten auch Handelsleute in Ptuj (Pettau), Ljubljana (Laibach) oder Villach davon. Maximilian I. hat diesen Verbindungen ein Ende gesetzt. Der Handel mit den Montanprodukten wurde verstärkt landesfürstlicher Kontrolle unterstellt, wie das Bergwesen überhaupt. Im Montansektor traten völlig neuartige Arbeits- und Lebensverhältnisse auf, die bis zu einem gewissen Grad Verhältnisse der industriellen Revolution vorwegnahmen. Neuartig waren zunächst die Menschenansammlungen in den Montangebieten, ferner die Formen des gemeinsamen Arbeitens und des Zusammenlebens. Prinzipiell wurden die am »Berg« Beteiligten und Beschäftigten als Gemeinde (Berggemeinde) aufgefasst – das hängt mit der Entwicklung einer speziellen Berggerichtsbarkeit zusammen, der alle jene, die mit dem »Berg« zu tun hatten, unterworfen wurden. Diese »Bergverwandten« erscheinen im 15. und 16. Jahrhundert in sich schon stark differenziert : Zur Berggemeinde gehörten Gewerken (also »Unternehmer«), Schmelzer, Berg- und Hüttenwerksverweser (Vorformen späterer Angestellter), Arbeiter, Erzkäufer, Diener, Schreiber, Einfahrer, Hutleute (Vorarbeiter), Grubenmeister, Erzknappen, Holzknechte, Säumer, Zimmerleute usw.
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Der Begriff »Knappe« bedeutet ebenso wie »Knecht« einen herrschaftlich abhängigen, in der Regel jungen, in Ausbildung begriffenen Menschen. Während aber der ritterliche Knappe durch den Ritterschlag zum Ritter und der Geselle zum Meister werden konnte (und im Spätmittelalter in der Regel auch noch wurde), kam es im Bergbau früh zu einer Knappensituation auf Lebenszeit. Die lebenslängliche Abhängigkeit von Lohnarbeit ohne Hoffnung, selbst zu Gewerken aufsteigen zu können, verlieh der Knappensituation ihr besonderes Gepräge. Sie waren auch nicht mehr in einen Haushalt ihrer Arbeitgeber eingebunden. Daher erhielten sie auch die Möglichkeit zur eigenen Familiengründung. Das bedeutete auch die Mitarbeit von Frauen und Kindern, freilich nicht im Berg (das hätte Unglück gebracht !), sondern beim Ausklauben und Waschen des Erzes und bei anderen durchaus auch schweren und mühevollen Arbeiten. Entsprechend der hohen Zahl an Knappen, die es im Edelmetallbergbau (besonders beim Silber) gab, waren hier die Probleme der Knappenschaft besonders ausgeprägt. In Schwaz gab es um 1550 etwa 11.000 Bergleute. Die besondere gesellschaftliche Organisation der Knappen im Edelmetallbergbau trat früh im religiösen Bereich hervor. Altar- und Meßstiftungen der Knappen bildeten den Anfang. Aus den Bruderschaften der Pfarrleute oder aber auch der Bergverwandten bildeten sich besondere Bruderschaften der Knappen (15. Jahrhundert). Mehr und mehr wurden die Bruderschaften zu einer Organisationsform der Arbeitnehmer, vor allem der eigentlichen Bergknappen. Knappen-Bruderschaften wurden auch Organisationen zur gegenseitigen Hilfeleistung. Historisch erstmalig wurde hier die Frage der Arbeitslosigkeit, bei »Unwürde« des Berges, also bei Absatzkrisen oder Unmöglichkeit des Abbaues infolge von Naturkatastrophen oder kriegerischen Ereignissen, aktuell. Besondere Bedeutung hatte die Frage der Invalidität sowie der Witwen- und Waisenversorgung. Die fehlende patriarchalische Schutzverpflichtung eines übergeordneten Hausherrn führte zu regelmäßigen Einzahlungen in Bruderladen bei den Bruderschaften, aus denen Unterstützungen bezahlt werden konnten. Die enorme Konzentration von Knappen im Silberbergbau Nordtirols führte um 1510 zur Gründung des ersten Berufskrankenhauses, des so genannten »Schwazer Bruderhauses« durch die Schwazer Knappenbruderschaft. Über diese Fürsorgefunktion hinaus boten die Bruderschaften aber Gelegenheit für die Artikulation gemeinsamer Interessen der Knappen gegenüber den Arbeitgebern. Zwar waren »Einungen«, also Absprachen der Knappen zwecks Lohnerhöhung, allgemein untersagt. Aber die Verfestigung der Knappenorganisation bedeutete doch eine Verstärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins der Knappen. Die große Wende von 1525/26 – der große Bauernkrieg – wurde daher von den Obrigkeiten zum Anlass genommen, die Knappenbruderschaften aufzulösen. In guten Zeiten stieg das Selbstbewusstsein der Knappen – davon zeugen nicht nur zahlreiche Sagen über Hochmut und Ausgelassenheit der Knappen, zu deren Strafe dann häufig der Bergsegen versiegte : Offensichtlich sind diese Sagen Erklärungsversu-
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che für den Zusammenbruch des Edelmetallbergbaues im späten 16. und 17. Jahrhundert. Streiks und Aufstandsversuche der Knappen waren nicht selten. Nicht bloß in der Organisation der Knappen, auch in der Betriebsorganisation weist der Bergbau viele »moderne« Züge auf. Überall begünstigte, ja erforderte der wachsende Kapitalbedarf das Eindringen des kapitalkräftigen Geldgebers. Der kam vor allem aus den oberdeutschen Reichsstädten wie Augsburg oder Memmingen. Er nahm nur mehr bestimmte Unternehmerfunktionen (Kapitalbeschaffung, Organisation des Absatzes) wahr und lukrierte die Gewinne, leitete aber nicht selbst den Betrieb. Diese Trennung von Betrieb und Unternehmen hat auch die Entstehung eines ebenfalls modern anmutenden Angestelltentyps, des so genannten »Verwesers«, stimuliert. Es erscheint in diesem Zusammenhang symptomatisch, dass die camera der Judenburger Kaufleute im fondaco dei Tedeschi, Beleg für deren Bedeutung im Venediger Handel, 1484 den Augsburger Fuggern übergeben wurde. Die traditionell wenig entwickelte einheimische Händlergesellschaft, durch Stapelzwang und Niederlagsrechte verwöhnt, wurde nun von den »Oberdeutschen« überrundet. Über den Handel mit den Produkten des österreichischen Montanwesens drangen sie in dieses ein. Die große Zeit des oberdeutschen Engagements im Edelmetallbergbau Tirols, Kärntens und der Steiermark sowie im Quecksilberbergbau Krains (Idrija/Idria) ist hingegen vor allem im Zusammenhang mit dem Geldbedürfnis Maximilians I., Karls V. und Ferdinands I. zu sehen, die den oberdeutschen Kapitalisten zur Sicherstellung ihrer Kredite immer wieder Einkünfte aus oder geradezu die Ausbeutungsrechte an dem Berg überlassen mussten. 4.7 Haus Österreich und Burgund Zweifellos der größte politische Erfolg Friedrichs III. war die Heirat seines Sohnes Maximilian (I.) mit Maria, der Erbtochter von Burgund (1477). Sie war nicht nur schön, sondern auch Erbin des damals wohl bedeutendsten Reiches der Christenheit. Burgund – das waren mehrere Herzogtümer in Frankreich (mit dem Zentrum Dijon), aber auch die burgundischen »Niederlande«, die sich über Nordfrankreich und die heutigen Benelux-Staaten erstreckten. Diese Niederlande waren damals das Zentrum der europäischen Wirtschaftstätigkeit, ihre Städte, Brüssel, Antwerpen, Brügge, Gent usw., ebenso wohlhabend wie selbstbewusst. Niederländische Malerei und Musik standen an der Spitze der künstlerischen Entwicklung der Zeit. Der Adel und die bürgerlichen Eliten entwickelten eine äußerst verfeinerte Alltagskultur. Maximilian erlebte eine glückliche, aber kurze Ehe, seine junge Frau starb schon nach wenigen Jahren an einem Jagdunfall. Doch waren schon Kinder da, Philipp und Margarete. Maximilian durfte in Burgund nur als Vormund der Kinder fungieren. Da aber auch die französischen
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Valois auf das burgundische Erbes spitzten, bedeutete das ein massives Engagement im Westen und eine neue Dauerfeindschaft der Habsburger – mit dem französischen Königshaus. Maximilian war ein tüchtiger Feldherr, der auch die eine oder andere Schlacht (etwa bei Guinegate 1479) für sich entschied. Und er kreierte eine neue Bezeichnung für die Habsburger – »Haus Österreich und Burgund« ! 1496 heiratete sein Sohn Philipp (I.) von Burgund die spanische Prinzessin Juana. Da alle anderen Prätendenten vorzeitig starben, wurden die beiden Könige von Spanien. Philipp starb aber bald. Die Söhne aus dieser Ehe, Karl (V.) und Ferdinand (I.), wurden die Erben eines weltweiten Reiches. Weder die burgundische noch die Reichs- oder die Italienpolitik Maximilians können wir in diesem Rahmen ausführlicher würdigen. Zu erwähnen ist hier immerhin der bayerische Erbfolgekrieg, in dem Maximilian Partei ergriff – seine Schwester Kunigunde war ja Gemahlin eines bayerischen Herzogs – und der ihm 1506 die Gerichte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg sowie Teile des Zillertales für Tirol, die Burg Wildeneck und die Vogtei über das Kloster Mondsee sowie Rannariedl und Neuhaus an der Mühl (zum Land ob der Enns) einbrachte, sowie in Österreich unter der Enns die hohe Gerichtsbarkeit im Tal Wachau, außerdem in den Vorlanden Kirchberg, Weißenhorn, Ortenau und die Landvogtei Hagenau im Elsass. Außerordentlich belastend sowohl für Tirol als auch für Innerösterreich, insbesondere für Krain, wirkte sich der ebenso lange wie teure, verlustreiche und weitgehend ergebnislose Krieg gegen Venedig aus (1508–1516), der zuletzt immerhin einige territoriale Ergänzungen sowohl am Isonzo und in Friaul (das Gebiet des Predil, Flitsch (Bovec) und Tolmein (Tolmin), Idria, ferner Gradisca d’Isonzo und Aquileja) sowie an den Grenzen Tirols (Rovereto, Riva, Ala und Cortina) brachte. Dieser Krieg, aber auch die Erfolglosigkeit des Kaisers beim Versuch, die Reichsstände für seine Politik zu mobilisieren, verwies ihn immer wieder auf seine Erblande, deren Ressourcen er bis aufs äußerste in Anspruch nahm. Die notwendigen Verhandlungen mit den Ständen seiner Länder führten zu relativ häufigen General- und Ausschusslandtagen. So traten 1502 die Stände der fünf niederösterreichsichen Länder in Wiener Neustadt zusammen, 1508 in Mürzzuschlag, 1509 in Salzburg. Hier kam sogar ein Vertrag der nieder- und der oberösterreichischen Länder zustande, die sich im Falle eines feindlichen Angriffes gegenseitige Hilfe zusicherten. 1510 tagte ein Generallandtag in Augsburg, dessen Abschied (Libell) einige der ständigen Klagen der Stände über die neuen Zentralbehörden berücksichtigte. Die Klagen der Wiener über das Ende des Niederlagsrechtes blieben zunächst ungehört, aber 1512 wurde es wieder in Kraft gesetzt. Die Oberdeutschen aber umgingen Wien in ihrem Handel mit Polen und Ungarn einfach über Brünn. Die Zeiten des Niederlagsrechtes waren eben vorbei. 1515 endgültig. Der letzte große gemeinsame Landtag Maximilians fand 1518 in Innsbruck statt. Die niederösterreichischen Landtage (Österreich und das Land ob der Enns, Steier-
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mark, Kärnten und Krain) waren durch 35 Abgeordnete vertreten, die oberösterreichischen (Tirol und die Vorlande) durch 30. Nach langen Verhandlungen beschloss man wieder ein gegenseitiges militärisches Hilfeprojekt, zumindest auf fünf Jahre. Und zuletzt wurde doch wieder eine große Steuer für den Kaiser bewilligt : 400.000 Gulden, von denen Österreich ob und unter der Enns 120.000, Steiermark, Kärnten und Krain 100.000, Tirol 120.000 und die Vorlande 60.000 Gulden berappen sollten. Maximilian war aber nicht nur ein tüchtiger Feldherr und ein kühner Projektant (einmal wollte er sogar Papst werden), sondern vor allem ein völlig modern anmutender Propagandist seiner selbst. Für seine künstlerischen und programmatischen Projekte setzte er auf die besten Künstler seiner Zeit. So arbeitete Albrecht Dürer für Maximilian, dem wir drei frühe Ansichten von Innsbruck und der Innsbrucker Hofburg ebenso verdanken wie das berühmte Porträt aus dem Jahr 1518. Bernhard Strigel malte die Familie des Kaisers. Große Publikationen, der »Weißkunig« mit den schönen Holzschnitten Hans Burgkmairs d. Ä. und der »Theuerdank« verbreiteten die Lebens- und Erfolgsgeschichte des Kaisers ebenso wie der große »Triumphzug« Albrecht Altdorfers. Der »Triumphzug« ist mit seinen mehr als 100 Metern Länge (!) »wohl das umfangreichste und bedeutendste seiner Auftragswerke« (Eva Michel). Einzelne Blätter wurden auch als Holzschnitte verbreitet, wie es ja Maximilian insgesamt um eine gewisse, freilich durch einen elitären Rezipientenkreis begrenzte Öffentlichkeit ging. – Dürer und Altdorfer waren die Künstler der »Ehrenpforte«, einer aus zahlreichen Holzschnitten zusammengesetzten Bilderwand, von der bis 1518 etwa 700 Exemplare gedruckt worden waren. Und vor allem beeindruckt das in seinen Dimensionen einzigartige (leere) Grabmal Maximilians in der Innsbrucker Hofkirche, das freilich erst viele Jahrzehnte nach dem Tod des Kaisers, 1553, begonnen und 1584 fertig gestellt wurde. Für dieses gewaltige Denkmal arbeiteten unter anderem Albrecht Dürer, der Innsbrucker Hofmaler Jörg Kölderer und andere. Um Ruhm und Ehre seiner Person und des ganzen Erzhauses ging es auch bei den umfangeichen genealogischen Erhebungen Maximilians, die zwar den erwünschten genealogischen Anschluss an die Colonna und letztlich an Julius Cäsar nicht erbrachten, insgesamt aber einen wichtigen Anstoß für historische Forschungen boten. Auch Maximilians Initiativen zur Etablierung der neuen Richtungen des Humanismus an der Wiener Universität müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden : Es gereichte dem Kaiser selbst zur Ehre, wenn er einen poeta laureatus (mit Lorbeer gekrönten Dichter) nach Wien berief, wie Conrad Celtis. Maximilian weilte ja relativ selten im Osten seiner alten Erblande. Sein letzter Aufenthalt in Wien – 1515 – galt wieder einmal dem alten Projekt der Thronfolge in Ungarn, das der Kaiser nie aus den Augen verloren hatte. Nach Vorverhandlungen in Pressburg (Bratislava) folgte am 17. Juli der Einzug in Wien, wohl der prächtigste, den die Stadt bis dahin erlebt hatte – ein Kaiser, zwei Könige (Sigismund von Polen, Wladislaw von Ungarn und Böhmen), zahlreiche Reichsfürsten usw. Danach wurde
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der Doppelheiratsvertrag endgefertigt und ratifiziert. Des Kaisers Enkelin Maria sollte Ludwig (II.) von Ungarn heiraten, Anna von Ungarn einen der Enkel des Kaisers – Karl oder Ferdinand. Am 22. Juli wurde die Hochzeit gefeiert. Zuerst wurde Anna von Ungarn mit Maximilian selbst getraut, freilich per procurationem für einen der beiden Enkel, Karl oder Ferdinand. Anschließend gaben sich Ludwig von Ungarn und Maria von Österreich das Ja-Wort. Anna sollte zur Erziehung nach Österreich kommen. Nach Hochzeit und Hochamt gab es 200 Ritterschläge, Turniere und natürlich ein solennes Festmahl. Die Folgen der Doppelhochzeit von Wien waren 1515 nicht vorhersehbar : Ob vom Vertrag die Jagellonen profitieren würden oder die Habsburger, war durchaus offen. König Wladislaw starb schon ein Jahr später. Der junge Ludwig II. kam zur Regierung, aber noch unter Aufsicht. Erst 1521 wurde er für volljährig erklärt, dann erst bekam er »seine« habsburgische Maria. Doch sie wurde bald Witwe, 1526 fiel ihr jugendlicher König in der Schlacht bei Mohács. Sie ging später nach Brüssel, wo sie als Statthalterin ihrer Tante Margarete folgte – zwei kluge Frauen auf heikler Mission für ihre kaiserlichen Onkel bw. Brüder (Margarete für Maximilian, Maria für Karl V.). Anna hingegen bekam 1521 »ihren« Ferdinand, der nach dem Tod seines Schwagers König von Böhmen und – umstritten – auch von Ungarn wurde. Anna lebte lieber in Prag, wo ihr Mann für sie das wunderschöne Belvedere, auf der Anhöhe neben dem Hradschin, bauen ließ. Sie hatten zahlreiche Kinder, darunter drei überlebende Söhne, die sich das Erbe teilten (1564). Dass Ferdinand nach dem Rückzug seines Bruders Karl V. 1558 auch noch Kaiser wurde, hat sie nicht mehr erlebt. Maximilian starb am 12. Jänner 1519 und wurde in Wiener Neustadt begraben – dort, wo er auch geboren worden war.
Abb. 5: Anonym, Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser, (1617–37), König von Böhmen und Ungarn, Porträt (als Erzherzog im Harnisch Ferdinands I. aus der Schlacht von Mühlberg). Gemälde, um 1614. Kunsthistorisches Museum Wien/KHM Museumsverband.
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5.1 Die Ständerevolte nach dem Tod Maximilians I. und die Anfänge Ferdinands I. Schon während der Regierungszeit Maximilians I. hatte es mannigfache Äußerungen des Unwillens in den österreichischen Ländern gegeben. Die zahlreichen Kriege Maximilians beanspruchten die Ressourcen seiner Erbländer bis aufs Äußerste. Proteste der Stände der verschiedenen Länder wurden immer wieder gerade an jene Institutionen verwiesen, die in ihren Augen die Hauptschuld an der ganzen Misere trugen – die maximilianischen Behörden, insbesondere die Regimenter für die nieder- bzw. oberösterreichischen Lande. Als Maximilian 1519 in Wels starb, tauchte ein Testament auf, in dem der Kaiser bestimmte, die Regimenter sollten weiter bestehen und die Stände sollten ihren Befehlen gehorchen. Nun waren aber diese Institutionen nach der traditionellen Anschauung nur zur Stellvertretung des lebenden Landesfürsten bestimmt. Wenn es keinen Herrscher mehr gab, fiel auch die Handlungslegitimation für die bürokratischen Stellvertretungen weg. Besonders die niederösterreichischen Länder beharrten auf diesem Rechtsstandpunkt. Die Österreicher (des Erzherzogtums Österreich unter der Enns) gingen sogleich daran, selbst die landesfürstliche Verwaltung zu übernehmen, solange es keinen Nachfolger für Maximilian gab. Sie vertrieben das Regiment – das sich nach Wiener Neustadt zurückzog – und setzten eine eigene Landesregierung ein, die auch das landesfürstliche Kammergut unter ihr Kommando brachte : War der Thron vakant, dann waren eben die Stände die legitimen Verwalter des Landes. Maximilians Nachfolger waren seine beiden Enkel, Karl (bereits spanischer König, theoretisch freilich für seine Mutter Juana) und Ferdinand I. Karl bereitete gerade die Wahl zum römischen (deutschen) König und damit den Sprung zur Kaiserwürde vor. Tatsächlich wurde er am 28. Juni 1519 zum römischen König gewählt. Karl V. war nun der mächtigste Fürst Europas. Als Nachfolger der burgundischen Herzöge (Karl fühlte stark als Burgunder !), der Könige von Kastilien und Aragon (und damit auch von Neapel und Sizilien), als erblicher Herrscher über die österreichischen Lande und nun als
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römisch-deutscher König und demnächst römischer Kaiser verfügte er über eine überaus eindrucksvolle Machtbasis, die außerdem zur gleichen Zeit durch die Eroberungen von Mexico und wenig später von Peru eine gewaltige außereuropäische Erweiterung erfahren sollte. Zu ihm entsandten die fünf niederösterreichischen Länder ebenso eine Gesandtschaft wie zu seinem Bruder Ferdinand in den burgundischen Niederlanden. In Spanien offenbarte sich ein Bruch zwischen den radikaleren Österreichern und Kärntnern einer-, den Steirern und Krainern andererseits. Der Vertreter der Stadt Wien, der Rechtsgelehrte Dr. Martin Kapp, nach seiner Herkunft meist Siebenbürger genannt, trug König Karl seine Beschwerden gegen das Regiment sehr selbstbewusst vor. Dagegen distanzierte sich der kluge Diplomat Siegmund von Herberstein (später der Verfasser einer berühmten »Moscovia«, nach seiner Russlandreise) von der präpotenten Haltung des Wiener Gelehrten und koppelte damit Innerösterreich von den (Donau-) Österreichern ab. Karl befahl den Gesandten nur, den von ihm delegierten Kommissaren die dem Fürsten gebührende Huldigung zu leisten. Das geschah auch im Jänner und Februar durch Kärntner und Steirer, auch das Land ob der Enns huldigte. Die Unterennser boykottierten zuerst den Huldigungslandtag, holten die Huldigung aber wenig später nach – zuletzt auch die störrischen Wiener. Daraufhin bestätigte König Karl die Privilegien der Länder. Nun ging es um das Erbe des Jüngeren, Ferdinand I. Karl einigte sich mit ihm 1521, dass jener die niederösterreichischen Länder (mit einigen unangenehmen Ausnahmen wie Triest) bekommen sollte. Die oberösterreichischen Länder wollte sich König Karl behalten, wohl vor allem wegen der großen verkehrspolitischen Bedeutung Tirols. Dennoch kam es 1522 entsprechend den Wünschen Ferdinands (und der Länder selbst !) im Vertrag von Brüssel zur Übergabe aller dieser Länder von den Vogesen bis zur Adria an Ferdinand I. Damit war der Grundstein für die Ausbildung von zwei Linien des Hauses Österreich (-Burgund) gelegt. Übrigens korrespondierten Ferdinand und Karl miteinander natürlich in der Sprache des burgundischen Hofes, also auf Französisch. Nun kam Ferdinand endlich persönlich in »seine« Länder. In Wiener Neustadt hielt er im Sommer 1522 Gericht über die renitenten Ständevertreter. Der Gerichtshof bestand durchwegs aus Landfremden. Er befand die Ständevertreter des Landes unter der Enns des Ungehorsams und Aufruhrs für schuldig. Sie hätten unbefugt die Regierungsgewalt übernommen sowie den Blutbann ausüben und Münzen schlagen lassen. Acht Herren wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet – Michael von Eytzing und Hans von Puchheim vom Adel, sowie sechs Wiener Bürger, an ihrer Spitze Dr. Martin Siebenbürger. Damit war bis auf weiteres die ständische Opposition eingeschüchtert – es bedurfte erst der Radikalisierung der religiösen Reformation um etwa 1600, die eine neuerliche Ständerevolte ermöglichte.
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5.2 Ferdinand I. und die Konsolidierung der deutschen Linie des Hauses Österreich Der Tod des ungarischen Königs Ludwig II. 1526 in der Schlacht bei Mohács brachte dessen Schwager Ferdinand I. keineswegs automatisch die Königstitel von Böhmen bzw. Ungarn (und Kroatien) : In diesen Ländern wurde der König gewählt. Nach einigen Schwierigkeiten wählten die Böhmen Ferdinand im Oktober 1526 zu ihrem König. Damit war er auch in den Nebenländern Böhmens (Mähren, Schlesien, die Lausitz) anerkannter Landesfürst. Ebensowenig wie die böhmischen akzeptierten die ungarischen Stände die Erbverträge zwischen Habsburgern und Jagellonen. Auch sie bestanden auf einer Wahl. Dabei hatte im Herbst 1526 der heimische Kandidat, Johann Szapolyai, die Nase vorn und wurde auch korrekt gekrönt. Aber auch Ferdinand wurde, zwar etwas später und von einer kleineren Partei, gewählt. Jetzt hatte man zwei Könige in Ungarn. Im Sommer 1527 eroberte eine Armee Ferdinands die wichtigen Donaustädte einschließlich Ofen (Buda). Nun wurde er als König anerkannt und im November 1527 in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) gekrönt. Szapolyai war nach Polen geflüchtet. Anstandslos wurde Ferdinand auch als König von Kroatien und Slawonien anerkannt. Hier erforderte die ständige Türkengefahr schon früh eine enge Kooperation mit den innerösterreichischen Ländern. Nun suchte Szapolyai Hilfe beim Sultan, dem großen Süleyman I. Der kam 1529 mit einer riesigen Armee, setzte seinen Vasallen Szapolyai wieder zum König ein und wandte sich dann gegen Wien. Die erste Belagerung Wiens dauerte vom 26. September bis zum 14. Oktober. Sie scheiterte an der von Niklas Graf Salm gut organisierten Verteidigung durch 12.000 Söldner Ferdinands und 5.000 Mann »eilende Reichshilfe« ebenso wie am Fehlen schwerer Belagerungsgeschütze. Auch ein neuer türkischer Versuch, Wien zu erobern, scheiterte 1532, da die von Nikolaus Jurišić hervorragend verteidigte kleine Festung Güns (Köszeg) die große osmanische Armee drei Wochen lang aufhalten konnte. Im Wiener Becken erlitt die Armee Süleymans, deren »Renner und Brenner« bis weit nach Westen vorgedrungen waren, schließlich durch eine große gemeinsame Armee Karls V. und Ferdinands I. eine schwere Niederlage. Ein Friedensschluss zwischen Ferdinand und Johann Szapolyai scheiterte nach dessen Tod an seiner Witwe, die den Thron mit türkischer Hilfe für ihren Sohn sichern wollte. Süleyman kam und eroberte wieder einmal Ofen (Buda), doch diesmal blieben die Türken – Zentralungarn wurde 1541 für mehr als 140 Jahre osmanisch. Den Szapolyais blieb immerhin Siebenbürgen, das sie von Gnaden des Sultans einigermaßen unbehelligt beherrschen durften. Ungarn war und blieb dreigeteilt : Der Westen und der Norden, also Westungarn (incl. Burgenland !) und die heutige Slowakei, standen unter der Herrschaft Ferdinands und seiner Nachfolger (das königliche Ungarn), das Zentrum, also die Tiefebene, war osmanisch und der Osten (Siebenbürgen und einige ungarische Komitate) unterstand eigenen Fürsten.
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Damit war der territoriale Umfang von Ferdinands Herrschaft geklärt : Er verfügte über die althabsburgischen und die böhmischen Länder, über Ungarn jedoch nur zum Teil – immerhin war das habsburgische Oberungarn, im Wesentlichen die heutige Slowakei, durch seine reichen Bodenschätze besonders wertvoll. Mit dem Silber aus Böhmen und Tirol, mit Kupfer, Silber und Gold aus Oberungarn (und dem Blei aus Kärnten sowie dem Quecksilber aus dem krainischen Idrija, dem Salz aus Hall und Ischl) verfügten die Habsburger in der Folge über wichtige Zentren des europäischen Bergbaus und der daraus zu lukrierenden Werte. Man konnte sie im Falle des Geldbedarfs als Sicherstellungen einsetzen. Wie bei Maximilian stellte sich auch bei Ferdinand, der neben seinen diversen Kronen 1531 – als Stellvertreter des Bruders, wenn der nicht im Reich weilte – auch noch zum Römischen König gewählt worden war, die Frage nach der Organisation der fürstlichen Herrschaft. Aufbauend auf den Institutionen Maximilians und Karls V. richtete 1527 Ferdinand I. seinen Hofstaat inclusive mehrerer Regierungsgremien ein. Das jetzt geschaffene Muster blieb bis ins 18. Jahrhundert, im Prinzip sogar bis 1848 wirksam. Ferdinand errichtete als Dachorganisation einen Hofrat, in dem alle seine Länder vertreten waren, freilich nicht als ständische Vertreter, sondern als Diener und Berater des Herrschers. Eine Hofkammer sollte die finanzielle Ordnung garantieren, ein Geheimer Rat als ständiger Rat des Königs fungieren. Die Hofkanzlei hatte den Einlauf und den Expedit der immer reichhaltigeren fürstlichen Korrespondenz zu besorgen und zu dokumentieren. Späterhin wurde sie nach Regionen aufgegliedert und erhielt mit der Zeit wichtige Verwaltungskompetenzen. 1556 ergänzte Kaiser Ferdinand I. die Zentralbürokratie durch ein eigenes Organ für die Kriegsführung, den Hofkriegsrat. Nach dem Rückzug Karls V. wurde Ferdinand 1558 Kaiser. Damit war er jetzt auch offiziell das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches, das inzwischen bereits konfessionell zwei- bis dreigeteilt war. Mit diesem Problem würden die Habsburger Kaiser von nun an und bis zum Ende des Reiches zu kämpfen haben. Auf das seit 1520 habsburgische Württemberg hatte er übrigens schon 1534 wieder verzichten müssen. Damit war auch die alte Idee eines habsburgischen Herzogtums Schwaben endgültig zu Grabe getragen. Ferdinand I. gelang dafür aber ein wichtiger Schritt zur Konsolidierung des Landes Kärnten. Zwar war der Cillier und der Oberkärntner Görzer Besitz schon 1460 an Kaiser Friedrich III. gefallen. Aber immer noch hatten die bambergischen und salzburgischen Besitzungen einen fast exterritorialen Charakter. Im so genannten »Bambergischen Rezess« sowie im Wiener Rezess, beide 1535 abgeschlossen, anerkannten die beiden (Erz-) Bischöfe die Landeshoheit des Habsburgers, sie würden ab jetzt mit den anderen Ständen die Landessteuern mittragen und die Appellation an den Landesfürsten erlauben. Damit waren diese Besitzungen, darunter so wichtige Städte wie Villach,
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Karte 5: Habsburgische Herrschaft in Europa im 16. Jahrhundert (um 1550).
Wolfsberg, St. Leonhard im Lavanttal oder das salzburgische Friesach, endgültig zu Teilen des Landes Kärnten geworden. Ferdinand I. trachtete danach, »seine« Königreiche und Länder stärker miteinander in Verbindung zu bringen. Vor allem sollten sie gemeinsam zu den ständigen und wachsenden finanziellen Belastungen beitragen, in einem Schlüssel, der nicht immer wieder neu und mühsam ausgehandelt werden musste. Besonders der steirische Landeshauptmann Hans Ungnad von Sonneck hatte wiederholt gefordert, dass es zu einer gerechteren Verteilung der Lasten kommen müsse. Immerhin trat 1541/42 in Prag eine Art Generallandtag zusammen – zu einem gemeinsamen Landtag der böhmischen Länder wurden auch Abgesandte der niederösterreichischen Länder und Ungarns geladen. Die Böhmen und die Vertreter der österreichischen Länder einigten sich auf eine vergleichbare Bemessungsgrundlage – Grundbesitz und Viehstand der steuerpflichtigen, untertänigen Bauern – und provisorisch auf eine regionale Verteilung, nach der der Löwenanteil, fast zwei Drittel, auf die böhmischen Länder entfallen sollte, das restliche Drittel wurde wieder gedrittelt : Tirol und die Vorlande zahlten knapp 12 %, die niederösterreichischen Länder etwas weniger als 24 %. In der Folge schwankte die
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Verteilung, aber die Relationen blieben durchaus vergleichbar. Die böhmischen Bauern waren am schwersten belastet, die österreichischen deutlich weniger, Ungarn zahlte sehr wenig. Aber Ungarn war und blieb ja auch Kriegsschauplatz. Auch in Böhmen stand der König vor einer schwierigen Situation. Hier gab es neben der »alten« Kirche Utraquisten, jenen Teil der gemäßigten Hussiten, denen im 15. Jahrhundert der »Laienkelch« genehmigt worden war. Die Mehrheit der Bevölkerung folgte ihnen. Daneben hatte sich, an hussitische und waldensische Traditionen anknüpfend, die Unität der Böhmischen Brüder gebildet. Im Unterschied zu den Utraquisten waren sie aber nicht anerkannt. Als die lutherische Lehre in Böhmen eindrang, fanden sich viele Gemeinsamkeiten mit den bestehenden vorreformatorischen Gemeinden. Im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg lutherischer Reichsstände gegen Karl V. formierte sich auch in Böhmen eine ständische Opposition, die 1546/47 den Aufstand probte. Die Niederlage der Protestanten in der Schlacht bei Mühlberg (April 1547) besiegelte auch das Schicksal der böhmischen Kollegen. Todesurteile und Konfiskationen der Güter führender Aufständischer folgten. Am meisten litten jene königlichen Städte, die sich dem Aufstand angeschlossen hatten. Nicht nur die ständische Opposition – im Reich, in Böhmen, in Ungarn, anfangs auch in Österreich – im Verein mit der religiösen Reformation erschwerte den habsburgischen Brüdern das Regieren. Die größte Herausforderung bedeutete die Reformation selbst. 5.3 Die Reformation Die Unzufriedenheit mit dem Zustand der christlichen Religion war schon im Spätmittelalter erheblich gewesen. Kritik insbesondere an der Geistlichkeit war nicht nur von Wyclif oder Hus geäußert worden, sondern auch auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts (Konstanz, Basel) und in zahlreichen populären Beschwerden, insbesondere im Vorfeld oder im Verlauf von Bauernaufständen. Die Sorge um das Heil der eigenen Seele war der mächtigste Antrieb der Kritik – wie konnte jenes gesichert werden, wenn Gebete und Sakramente von unwürdigen Geistlichen verrichtet bzw. gespendet wurden ? Von einer Geistlichkeit, die als überaus geldgierig galt, für jedes Sakrament hohe Stolgebühren forderte und selbst in sündigen Konkubinaten lebte (die früheren Priesterehen waren schon im Hochmittelalter abgeschafft worden) ? Für das eigene und für das Seelenheil anverwandter Verstorbener wurden viele und reiche Stiftungen errichtet, meist Messstiftungen, denn man war überzeugt, dass man damit den – angesichts zahlreicher Sünden – kaum vermeidbaren Aufenthalt im Feuer der Läuterung (»Fegefeuer«) für jene »armen Seelen« abkürzen konnte. Aber auch für die eigene Person konnte man einen kleineren oder größeren »Ablass« erwerben – von da war nur
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mehr ein kleiner Schritt bis zur Auffassung, dass schon eine mehr oder weniger große Geldleistung auch das eigene Seelenheil sichern würde. Gleichzeitig erreichte die spätgotische Kunst ihren eindrucksvollen Höhepunkt in den großen Schnitzaltären von St. Wolfgang oder Zwettl, und die neue Technik des Buchdrucks ermöglichte die massenweise Produktion von Marien- und Heiligenbildern, deren fromme Betrachtung allein schon eine kleine Himmelsversicherung sein mochte. Reliquiensammlungen privater Stifter oder frommer Fürsten wurden im Rahmen von »Heiltumsweisungen« den nach übernatürlichen Zeichen gierenden Menschen gezeigt. Zahlreiche und weite Wallfahrten, nach Köln zu den heiligen drei Königen, nach Aachen, Santiago oder Rom (im Jubeljahr 1500 mit vollkommenem Ablass !) unterstrichen jene von tiefer Angst um das ewige Heil getriebene Frömmigkeit. Diese reichen Stiftungen und vielfältigen Ausdrucksweisen vorreformatorischer Frömmigkeit waren, wie schon betont, mit einem kirchlichen Personal konfrontiert, das selbst eher selten den Forderungen der Evangelien entsprach. Neben der populären Kritik erschütterte auch die Kritik der gelehrten Humanisten die vorreformatorische Kirche. So forderte Erasmus von Rotterdam an der Stelle der Heiligenverehrung die Konzentration auf Person, Leben und Sterben (und Auferstehung) Jesu Christi. Während der hohe Klerus durch wichtige Aufgaben in der Politik engagiert war, blieb der niedere Klerus arm und ungebildet – ihn trennten Welten von der Sphäre der adeligen Äbte, Bischöfe und Kardinäle. Der Dorfklerus spendete vielfach die Sakramente erst nach vorheriger Zahlung, Begräbnisse wurden erst vorgenommen, wenn eine möglichst hohe Zahl von Messen für den Toten bestellt und bezahlt worden war. Schon auf dem Innsbrucker Ausschusslandtag aller österreichischen Länder von 1518 hatten die Ständedelegierten Kaiser Maximilian aufgefordert, die Reform der Kirche durchzuführen, denn diese selbst sei dazu nicht mehr imstande. Die Botschaft Luthers war also nur der Funke, der in ein riesiges Pulverfass fiel. Dass dieser Funke von Sachsen bis nach Wien und weit darüber hinaus fliegen konnte, war eine Folge des Buchdruckes. Dieses Medium würde in dem nunmehr eröffneten Kampf um den Glauben – und um die öffentliche Meinung – einen ganz zentralen Platz einnehmen. Schon 1521 wurde Luthers Lehre bei »Pfaffen und Laien, bei Herren und Bauern, in den Kirchen und auf den Gassen« Tirols laut und heftig diskutiert, so der Brixener Amtmann Georg Kirchmair. Luthers Schriften fanden in unglaublicher Geschwindigkeit und Menge Verbreitung : 1524 kursierten bereits 2400 Druckausgaben reformatorischer Schriften in über zwei Millionen Exemplaren. Der Bannfluch aus Rom ebenso wie die Reichsacht, ausgesprochen durch Karl V. auf dem Wormser Reichstag 1521, blieben wirkungslos. Die Geschichte der Reformation auf Reichsebene ist die Geschichte des letztlich erfolglosen Versuchs Karls V., diese Bewegung einzufangen, gleichzeitig gegen den Willen der Päpste eine Reform der alten Kirche durchzuführen, aber keine konfessio-
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nelle Spaltung zuzulassen – die spätestens mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 doch unabwendbar war. Dagegen erscheint die Geschichte der Reformation in den österreichischen Ländern als letztlich ebenso gescheiterter Versuche der mehrheitlich evangelisch gewordenen Stände, entgegen den Bestimmungen des Reichsrechtes unter einem katholischen Herrscher eine weitgehende Freiheit des religiösen Bekenntnisses durchzusetzen. Aber bis zum endgültigen Scheitern dieses Versuches dauerte es fast genau hundert Jahre. Bereits 1522 erließ Ferdinand I. erste Anordnungen gegen reformatorische Predigten und Schriften, 1523 wurde detailliert aufgeführt, dass man solche Schriften weder lesen, noch abschreiben, noch drucken, weder kaufen noch verkaufen durfte. Sie waren ebenso wirkungslos wie zahlreiche spätere Mandate. Auch ein 1527 erlassenes Ketzermandat führte zwar zur brutalen Verfolgung der Täufer, konnte aber die Verbreitung reformatorischen Gedankengutes nicht stoppen. Schon 1524 war der angesehene und fromme Wiener Bürger Caspar Tauber verhaftet und hingerichtet worden, da er seine lutherischen Lehren nicht widerrief. Tauber gilt als früher Märtyrer der Reformation. Rasch änderte sich die religiöse Praxis. Messstiftungen wurden ausgesetzt oder widerrufen, neue Stiftungen kamen nicht mehr zustande, die alten wurden nicht mehr entsprechend dem Stiftungszweck verwendet. Schon begannen adelige Anhänger der Reformation, ihre Besetzungsrechte in den Pfarren zur Einsetzung eindeutig reformatorischer Prediger zu nutzen. Auf einem Ausschusslandtag zu Augsburg 1525/26 forderten Delegierte der österreichischen Länder das »reine Evangelium«. Damit wurde die Reformation erstmals zum ständischen Programm der altösterreichischen Länder erhoben. Obgleich zentrale Anschauungen Luthers, etwa die vom Priestertum aller Gläubigen, von der alleinigen Gültigkeit der Schrift für den christlichen Glauben (sola scriptura) und von der alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben (sola fides) weithin akzeptiert waren, fehlte noch länger eine einheitliche Ausrichtung. Im Gottesdienst finden sich recht verschiedene Formen, manche noch eher dem »alten« Glauben verbunden, andere recht »alternativ«. Erst die »Confessio Augustana« von 1530, die gemeinsame und verbindliche Formulierung der Glaubenssätze der Lutheraner, setzte Grenzen – gegenüber dem alten Glauben, aber auch gegenüber der radikalen Reformation der Täufer und nicht zuletzt gegenüber der Züricher Reformation (Zwingli). Eine Visitation von Kirchen und Klöstern in Österreich unter der Enns (1528) dokumentierte triste Zustände : Die Geistlichen waren schlecht bezahlt und hatten wenig Ansehen, die Legate für Kirchen und Gottesdienste in den Testamenten St. Pöltener Bürger gingen gerade in diesen Jahren rasch zurück. Die Klöster leerten sich. 1544 waren viele Pfarren unbesetzt, die Gläubigen fanden niemanden, der die Taufe gespendet, die Messe gelesen oder die letzte Ölung vorgenommen hätte. Das zentrale Problem war ein geradezu extremer Priestermangel. Viele Pfarrer übten eine Art Mischkult aus,
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behielten einiges vom alten Glauben und übernahmen einiges von den Lutheranern. Dem wirtschaftlichen Niedergang nach der extremen Inanspruchnahme der klösterlichen Vermögenswerte – 1529 mussten die Klöster zur Finanzierung des Türkenkrieges ein Viertel ihres Vermögens an Ferdinand I. abliefern – folgte der spirituelle und personelle : Um 1560 lebten in den 122 Klöstern Österreichs unter der Enns nur mehr 340 Mönche, aber 199 Konkubinen, 55 Ehefrauen und 443 Kinder. Einige Konvente konnte man ohne weiteres zu den Evangelischen zählen. Ganz ausgestorben sind jedoch nur wenige Klöster, vor allem solche der weiblichen Zweige. Der Besitzstand der Orden blieb im Wesentlichen gewahrt – die Vogtei des habsburgischen Landesfürsten bewahrte die Konvente vor der Säkularisierung. Der Adel schickte seine Söhne zum Studium auf evangelische Universitäten im Reich. Die adeligen Grundherren ernannten als Patronatsherren zahlreicher Pfarren evangelische Prädikanten. Aber die Habsburger blieben katholisch. Als Vögte der Kirche von Rom sahen sie sich in der Verantwortung für die Durchsetzung des »wahren« Glaubens. Dabei waren weder Ferdinand I. noch Karl V. blind gegenüber der Reformbedürftigkeit der Kirche. Durch viele Jahre drängten sie mehrere Päpste auf die Einberufung eines allgemeinen Konzils, das alle Reformfragen beraten und die Einheit der Kirche wiederherstellen sollte. Erst 1545 hatten sie Erfolg. Das große Konzil wurde nach Trient einberufen. Aber für die Wiedervereinigung war es schon zu spät, die Evangelischen hatten inzwischen eigene Strukturen aufgebaut, die Gräben waren zu tief. Allerdings bereitete das Konzil, das nach zwei langen Unterbrechungen erst 1563 beendet wurde, eine grundsätzliche Reorganisation der »alten« Kirche vor, die erst seither mit Fug und Recht als »römisch-katholisch« bezeichnet wird. Obwohl zahlreiche Pfarrstellen mit evangelischen Predigern besetzt wurden, entstand in Österreich unter der Enns doch keine protestantische Kirchenorganisation. Man konnte sich auch nie sicher sein, wohin der Klerus tatsächlich inklinierte : Christoph Reutter, der protestantische Prediger auf der Rosenburg, klagte über Prädikanten, die gleichzeitig päpstlich und evangelisch sein wollten. Vielfach war bis nach 1550 die konfessionelle Zugehörigkeit nicht wirklich klar. Und die Kirchenorganisation war immer noch die der »alten« Kirche. 5.4 Die zweite Teilung (1564) Ferdinand I. wurde nach dem Rücktritt seines Bruders vom Kaisertum auch römischer Kaiser (1558). Er erwies sich in seinen mehr als vierzig Regierungsjahren als konsequenter, manchmal auch strenger Herr, dagegen verhielt er sich gegenüber den Reichsständen diplomatischer und flexibler als sein Bruder, dem man nachsagte, dass er seine großen Siege (bei Pavia oder bei Mühlberg) politisch nicht auszunützen vermochte.
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Der Augsburger Religionsfriede von 1555, der die Religionshoheit der Reichsstände festlegte (cuius regio, eius religio – eine allerdings erst viel später geprägte Kurzformel) kam mit Ferdinand zustande, Karl V. lehnte diese Einigung bis zuletzt ab. Ferdinand I. hinterließ drei Söhne. Nach seinem Tod teilten sie die habsburgischen Kronen und Länder wieder, wie im Spätmittelalter, in drei Teile : Tirol und die oberösterreichischen Lande fielen an Erzherzog Ferdinand II. (»von Tirol«), Innerösterreich an Erzherzog Karl (»von Innerösterrreich«) und »Niederösterreich« (die Länder ob und unter der Enns) an Maximilian II. Dieser wurde auch Kaiser, und gleichzeitig König von Böhmen und Ungarn, faktisch nur des »königlichen« Ungarn. 5.4.1 Tirol und die Vorlande
Ferdinand von Tirol heiratete die Augsburger Bürgerstochter Philippine Welser. Die Hochzeit wurde lange geheim gehalten, die Ehe galt als »morganatisch«. Als Folge der Unebenbürtigkeit seiner Frau waren seine Söhne daher in der Folge nicht erbberechtigt. Der Tiroler Landesfürst sicherte sich als großzügiger Mäzen und Sammler ein hervorragendes Andenken : Für den kaiserlichen Urgroßvater Maximilian I. ließ er dessen überdimensionales Grabmal in der Innsbrucker Hofkirche, die schon unter Ferdinand I. errichtet wurde, samt den begleitenden »schwarzen Mannern« fertig stellen. Und er baute das Schloss Ambras aus, im prächtigen Renaissancestil, wo er seine ungewöhnliche Sammlung von Kunstwerken verschiedenster Art, vor allem aber von Porträts und von erlesenen Exemplaren des zeitgenössischen Kunsthandwerks, aufstellen ließ. In Religionsfragen war er streng katholisch, die Reformation hatte in seinen Ländern keine Chance. Nach dem Tod Ferdinands von Tirol 1595 fielen die oberösterreichischen Lande wieder an die kaiserliche Linie (damals Rudolf II.). 1602 übernahm Erzherzog Maximilian »der Deutschmeister« (Chef des Deutschen Ordens im Reich), ein Bruder des Kaisers, die Regentschaft, 1612–1618 als Landesfürst. Ihm folgte Erzherzog Leopold (V.), ein Bruder Kaiser Ferdinands II., der seine geistlichen Würden (unter Anderem die eines Bischofs von Passau) ablegte, 1626 Claudia von Medici heiratete und nun als weltlicher Landesfürst herrschte. Mit seinem jüngeren Sohn Ferdinand Karl starb die neue Tiroler Linie aber schon 1665 aus, ab jetzt waren wieder alle habsburgischen Länder unter einem Szepter vereinigt. Leopold, Claudia und ihr Sohn regierten schon »absolutistisch«, unter weitgehender Ausschaltung der Stände. Gegen die schwache Politik Ferdinand Karls, der die habsburgischen Positionen in Graubünden aufgab, wandte sich der tüchtige Kanzler Wilhelm Biener, der 1650 einer Hof-Intrige zum Opfer fiel und 1651 hingerichtet wurde.
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157 Ein neues Land vor dem Arlberg
In die frühe Neuzeit fällt – nach wichtigen Anfängen im Spätmittelalter – die Landesbildung Vorarlbergs. Das Schicksal der Montforter ähnelt dem der Görzer : Mehrfache Herrschaftsteilungen, Streitigkeiten zwischen den einzelnen Linien, Verarmung, sukzessiver Erwerb ihrer Besitzungen durch die Habsburger. Wie schon erwähnt (vgl. S. 109) waren bereits im späten 14. Jahrhundert Stadt und Herrschaft Feldkirch und wenig später (endgültig 1420) Stadt und Herrschaft Bludenz mit dem Montafon habsburgisch geworden. 1451 fiel die halbe Stadt Bregenz samt der halben Herrschaft durch Verkauf an Österreich, 1453 der Tannberg und 1473 die Grafschaft Sonnenberg. Weitgehend geschlossen wurde der habsburgische Besitz im später so genannten Land vor dem Arlberg 1523, mit dem Kauf der zweiten Hälfte von Stadt und Herrschaft Bregenz. Reichsfrei blieben die Herrschaft Hohenems samt dem Reichshof Lustenau, die Herrschaft Blumenegg und die Propstei St. Gerold. Durch die im Bereich des früheren Herzogtums Schwaben so starke Zersplitterung von Besitzungen und Herrschaftsrechten spielten hier Landfriedensbünde und ähnliche Einungen eine große Rolle. Ob die so genannte »Vorarlberger Eidgenossenschaft« von 1391, ein Friedensund Verteidigungsbündnis mehrerer Herren mit ihren Städten und Untertanen, als eine Art Frühform eines Vorarlberger Landtags anzusehen ist, erscheint wohl fraglich. Andererseits spielte der von den Habsburgern dominierte »Schwäbische Bund« (1487) von zahlreichen adeligen Herren und Reichsstädten bis ins 16. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der gesamten Region. Diese starke bündische Tradition ist bei verschiedenen politischen Organisationsversuchen wohl mit zu bedenken. Die von drei Vogteiämern verwalteten Städte und Herrschaft »enhalb des Arl« wurden immer wieder zu gemeinsamen Landtagen eingeladen, erstmals wohl 1504. Auch zu Tiroler Landtagen ebenso wie zu General– und Ausschusslandtagen aller habsburgischen Länder entsandten sie Abgeordnete. Jene Landtage bestanden aus den Delegierten der drei Städte Feldkirch, Bludenz und Bregenz sowie der 19 ländlichen Gerichte, von denen zwei heute im bayerischen Allgäu liegen. Es gab keinen Adel, da unterhalb der habsburgischen Gerichtsorganisation keine adelige Gerichtsbarkeit existierte. Im Bregenzerwald übte das bäuerliche Gericht sogar die hohe Gerichtsbarkeit aus. Die Walsergerichte Tannberg, Mittelberg und Damüls verfügten über die niedere Gerichtsbarkeit und eine weitreichende Autonomie, die wohl mit der Rodungstätigkeit der hier angesiedelten Leute aus dem Wallis zusammenhing. Sitz der landesfürstlichen Verwaltung blieb stets Innsbruck. Analoge ständische Formen entwickelten sich auch in den übrigen »vorderen« Landen, wobei Elsaß und Sundgau ebenso wie der Breisgau (mit Freiburg) mit den Besitzungen im Schwarzwald häufig gemeinsam tagten. Östlich davon bildeten sich eigene Landtage für die Grafschaft Hohenberg (am oberen Neckar), und die stark
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zersplitterten Besitzungen an der oberen Donau und in Oberschwaben heraus (Landtage von »Schwäbisch-Österreich«). Zweimal tagten die Stände von Vorarlberg und Schwäbisch-Österreich gemeinsam. Bis ins 16. Jahrhundert versuchten die Habsburger immer wieder, ihre »vorländischen« Besitzungen zu erweitern, erst nach 1648 (Verlust des Elsaß und von Teilen des Breisgaues) erlahmte ihr Interesse an den Resten der alten Stammlande. Immerhin erwarb Ferdinand I. noch 1548 Konstanz am Bodensee, das wegen seiner reformatorischen Widerständigkeit von Karl V. seinem Bruder zwecks erfolgreicher Gegenreformation übergeben wurde. 5.4.2 Innerösterreich und die Militärgrenze
Mit dem Namen Karls (II.) von Innerösterreich (1564–1590) hängt vor allem die Errichtung bzw. Konsolidierung der Militärgrenze zusammen, aber auch der Höhepunkt der evanglischen Bewegung in den innerösterreichischen Ländern. 1578 übertrug Kaiser Rudolf II. als König von Ungarn und Kroatien dem Erzherzog die Verteidigung der den Habsburgern verbliebenen Reste von Kroatien und Slawonien. Die innerösterreichischen Länder, Steiermark, Kärnten, Krain und Görz, schlossen sich damals zu einem »unzertrennlichen Körper« zusammen. Sie übernahmen die Verantwortung für die Grenze : Die Steirer für die »Windische Grenze« im Vorfeld der Steiermark, die Kärntner und Krainer für die »Kroatische Grenze« im Vorfeld von Krain. Das Grenzsystem wurde nun perfektioniert. Zwar hatte es schon vorher ständige Besatzungen in den wichtigen Grenzfestungen in Ungarn und Kroatien gegeben. Die Finanzierung der Grenz-»Häuser« und der Besatzungen hatte zum Teil das Reich (durch besondere Beihilfen) geleistet. Aber den Löwenanteil hatten doch die angrenzenden habsburgischen Länder zu bestreiten. So hatten die böhmischen Länder die »bergstädtische Grenze« in der heutigen Slowakei zu erhalten, die Niederösterreicher die »Raaber Grenze«. Die »Grenze« war aber keine Linie, sondern jeweils eine ganze Region. Schon seit den 1520er Jahren war es zur zunächst vereinzelten Ansiedlung von christlichen (meist orthodoxen) Flüchtlingen aus den türkisch besetzten Gebieten Bosniens und Kroatiens in verlassenen Grenzgebieten Kroatiens, Slawoniens, aber auch Krains (Sichelburger Distrikt 1533) gekommen. Diese »Uskoken« oder »Walachen« galten als unzuverlässig und räuberisch, leisteten aber auch eine gewisse Sicherung des Grenzgebietes gegen die Osmanen. 1538 erließ Ferdinand I. ein erstes Privileg für solche Ansiedler, denen 20 Jahre Grundsteuerfreiheit, Kommandanten aus den eigenen Reihen für je 200 Mann und Anteile an allfälliger Beute zugesichert wurden. Im Kriegsfalle sollten sie gegen Sold aufgeboten werden. Später folgten weitere Privile-
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gien und weitere Ansiedlungen. Daraus entwickelte sich dann in Oberslawonien die sog. »Windische Grenze« um Kreuz (Križevci), Kopreinitz (Koprivnica) und Ivanich ; an der Grenze zu Krain entstand die »Kroatische Grenze«. 1556 erhielten die angesiedelten Grenzer einen eigenen Grenzobristen. 1597 kamen weitere Flüchtlinge, die zwischen Kulpa und Una angesiedelt wurden. Aus diesen Ansiedlungen entwickelte sich die spätere Kulpa- und Petrinjaer Grenze (18. Jahrhundert : Banal-Grenze). Die Kosten für dieses Gebiet wurden von Kroatien getragen. In Graz wurde ein eigener Hofkriegsrat errichtet. Die Steiermark bot durch die reichen Eisenvorkommen und die verbreiteten Eisengewerbe im Lande selbst eine günstige Voraussetzung für eine eigene Rüstungsindustrie. Die steirische Landschaft, deren berühmtes Zeughaus ja bis heute das eindrucksvollste steinerne (und nach seinem Inhalt : eiserne) Dokument landständischer Rüstungsanstrengungen geblieben ist, war zeitweilig der wichtigste Käufer von Waffen im gesamten innerösterreichischen Bereich. 1579 wurde der Bau der Festung Karlstadt (Karlovac) begonnen, die zum militärischen und verwaltungsmäßigen Mittelpunkt der Kroatischen (»Militär«-) Grenze wurde. In ihrem Namen hat sich das Andenken an den damaligen Landesfürsten von Innerösterreich bis heute erhalten. Die Einwohner der Festungsstadt erhielten besondere Besitzrechte an den Häusern (mit Vorkaufsrecht der Festungssoldaten im Verkaufsfalle) ; die Stadt wurde mit Jahr- und Wochenmarktrechten ausgestattet. Die Grenzbevölkerung war in Haushalten (»Hauskommunionen«) organisiert, die im Prinzip patriarchalisch aufgebaut waren und für die eine Unteilbarkeit des Familienbesitzes bei gemeinsamem Haushalt der verschiedenen Unterfamilien vorgesehen war. Die militärfähigen Männer konnten sich ihre Unterführer selbst wählen und wurden bei Feldzügen auch außer Landes gebraucht, wofür sie besoldet werden mussten. In den Festungen lagen hingegen zumeist »deutsche« Offiziere und Söldner, die von den Ständen der benachbarten innerösterreichischen Länder unterhalten wurden. Es erwuchsen den steirischen Ständen allein im Jahr 1628 aus der Bezahlung der Offiziere und Söldner sowie der Grenzer Kosten in der Höhe von etwa 296.000 fl. Man konnte aus dem Problemfall aber auch ein Geschäft machen : Sowohl die Festungen als auch die Grenzer brauchten die Zufuhr von Getreide, da die Natur des Landes und die Besitzverhältnisse dem Getreidebau wenig günstig waren ; findige steirische Grundherren verkauften ihr Getreide, das sie als Zehent empfangen hatten oder mit Hilfe bäuerlicher Robot produziert hatten, zu guten Preisen an die steirischen Stände, die es wiederum in die Grenze lieferten. Man konnte dabei einigen Standesgenossen einen hervorragenden Extraprofit zuschanzen – auf Kosten der Allgemeinheit. Durch den Zusammenfall von Grenzbildung und Länderteilung (1564) konnte die hohe militärische Bedeutung des innerösterreichischen Länderkomplexes wohl zur mindestens ansatzweisen Ausbildung einer »innerösterreichischen« Identität und
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frühen Staatlichkeit beitragen. 1620 kam jedoch das Ende der Residenzstadt Graz : Erzherzog Ferdinand verlegte als Nachfolger des Kaisers Matthias seinen Hof von Graz nach Wien. Aber durch den Fortbestand eigener Zentralbehörden, insbesondere des für die Militärgrenze zuständigen eigenen Hofkriegsrates in Graz, auch nach 1620, erhielt sich jene Sonderstellung bis 1749. Im großen Türkenkrieg von 1683 bis 1699 dehnte sich die Militärgrenze zunächst nach Süden und Südosten aus. Hier wurden die Türken auch deshalb zurückgedrängt, weil die Grenzer dringend eine Erweiterung ihrer landwirtschaftlichen Basis suchten. Nach der Rückeroberung ganz Slawoniens und Südungarns wurde das System der Militärgrenze auch in diesen neuen Grenzgebieten eingerichtet, wobei man sich auf die hier seit etwa 1690 eingewanderte serbische Bevölkerung stützte. Schließlich war Ungarn von Kroatien bis nach Siebenbürgen von einem Kranz umgeben, der »Militärgrenze« hieß, die Türken abhalten sollte, als Seuchenkordon auch eine medizinische Bedeutung hatte, stets zahlreiche und treue Mannschaften stellte und – nicht zuletzt – auch dazu mithelfen sollte, Ungarn in Schach zu halten. Die Militärgrenze blieb bis in die 1870er Jahre bestehen, dann wurden ihre Gebiete in die (kroatische bzw. ungarische) Zivilverwaltung eingegliedert. Die Grenze war bis zuletzt ein sicheres Rekrutierungsgebiet für kaisertreue Truppen und Offiziere. Von hier stammten die »Kroaten« des Banus Jelačić, die 1848 gegen Wien und Ungarn kämpften, und noch so mancher berühmte Name aus dem ersten Weltkrieg (Sarkotić, Boroević) verweist auf die Herkunft seines Trägers aus der alten Grenze. 5.4.3 Die kaiserlichen Länder
Maximilian II. (1564–1576) war der Chef des Hauses Österreich. Dementsprechend verblieben ihm die wichtigsten Länder : Böhmen und Ungarn, aber auch das Erzherzogtum Österreich und das Land ob der Enns. Außerdem war er Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er galt in religiösen Dingen als tolerant, die Wiedervereinigung der getrennten Christenheit war wohl sein Fernziel. Er lehnte jeden religiösen Rigorismus ab und begünstigte gemäßigte Vertreter der Reformation in der Tradition Phi lipp Melanchthons ebenso wie einer friedlichen Lösung zuneigende Reformkatholiken. Maximilian war ein Freund der schönen Künste und der modernen Renaissancearchitektur. Freilich blieben von seinem Traumschloss Neugebäude in Simmering bei Wien (heute der elfte Bezirk Wiens) nur die nackten Mauern erhalten. Dominant war wie immer das Finanzproblem : Die Erhaltung und Besatzung der zahlreichen Festungen in Ungarn kostete enorme Summen. 1566 zog, zu allem Überfluss, der große Sultan Süleyman wieder einmal Richtung Wien. Dieser Türkenkrieg ging zwar durch die tapfere Verteidigung von Szigetvár durch Miklos Zrinyi/Zrinski (samt dessen und aller
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Verteidiger Tod) und den Tod des alten Sultans im Lager glimpflich zu Ende, aber die große und teure Armee, die Maximilian versammelt hatte, löste sich ohne Feldschlacht auf. 1568 schloss man wieder einmal einen Waffenstillstand (keinen Frieden !). Die Schulden blieben. Dass ihm die mehrheitlich protestantischen Stände Österreichs (ob und unter der Enns) einen erheblichen Teil dieser Schulden abnahmen, brachte ihnen die wichtige Religionskonzession ein. Maximilian starb relativ früh, er ist in Prag begraben. Auf Maximilian II. folgte 1576 dessen älterer Sohn Rudolf II. Der in Spanien erzogene Kaiser, ein überaus kunstsinniger, aber sich immer mehr zurückziehender, zunehmend menschenscheuer Monarch, hatte fünf Brüder, die auch alle in irgendeiner Weise am Erbe nach Maximilian II. beteiligt werden wollten – am Besten gleich durch ein eigenes Herrschaftsgebiet. Nun gab es die eine oder andere Statthalterstelle : Eine in Tirol nach dem Tod des Erzherzogs Ferdinand (II.), nach der Verlegung der Residenz von Wien nach Prag auch eine in Wien – die hatte zuerst Erzherzog Ernst inne, ab 1595 Erzherzog Matthias. Der Bruder Maximilian wurde Deutschmeister des Deutschen Ordens, Albrecht (VII.) wurde Statthalter in den Spanischen Niederlanden und war ein tüchtiger Kunstsammler. Der überaus ehrgeizige Matthias war mit dem Statthalter-Job nicht zufrieden. Er führte die kaiserliche Armee in Ungarn während des langen Türkenkrieges (nominell) an, war aber als Feldherr nicht besonders erfolgreich. Neben ihm wirkte auch Erzherzog Maximilian als Feldherr. Der Ehrgeiz des Erzherzogs sollte sich noch dramatisch auswirken. 5.5 Reformation und ständische Bewegung: »Der Türk ist der Lutherischen Glück« Als Landesfürst der österreichischen Länder konnte Ferdinand I. nach den Grundsätzen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 seinen Untertanen ohne Weiteres seine Konfession aufzwingen. Daran dachte er keineswegs. Dafür erreichte er 1556 in Rom für seine Länder den »Laienkelch«, also die Spendung der Kommunion unter beiderlei Gestalten, womit er eine alte evangelische Forderung erfüllen konnte. Das bedeutete keine weitergehende Evangelisierung. Auch die – reichsrechtlich mögliche – Rekatholisiserung nahm Ferdinand I. nicht in Angriff. Denn der größtenteils protestantische Adel hatte gegenüber seinem Landesherrn ein wichtiges Faustpfand in der Hand : Das Steuerbewilligungsrecht der Stände. Man brauchte die Herren also, da die finanziellen Aufwendungen für die zahlreichen Kriege enorme Höhen erreichten. Das europaweite Engagement des Hauses Österreich machte sich negativ bemerkbar : Kriege gegen die Türken und die aufsässigen Ungarn im Osten, Kriege gegen Franzosen und Niederländer im Westen, in Italien (u. a. gegen die Päpste), in Nordafrika… Immer musste man
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rüsten, Kanonen gießen, Gewehre und Blei kaufen, den Nachschub für die zahlreichen Heere organisieren, den Landsknechten den ausbedungenen Sold bezahlen. Und gab es keinen Krieg, mussten die habsburgischen Kaiser dem Sultan jährliche »Ehrengeschenke« – also in Wahrheit Tribute – übermitteln, damit es einigermaßen ruhig blieb. Keine Zeit war daher so erfinderisch im Hinblick auf neue Steuern wie gerade das 16. Jahrhundert ! Und die adeligen Herren kombinierten die Steuerbewilligungen sehr klug mit der Frage ihres »Religionsexercitiums« – sie würden schon zahlen (das heißt, ihre Untertanen zahlen lassen !), aber da müsse doch der Kaiser zugeben, dass die Herren auch ihre Religion nach ihrem Gewissen ausüben dürften. Ferdinand I. wie auch Maximilian II. hofften, dass die Spaltung der Kirche noch nicht endgültig sei. Kaiser Maximilian hörte auch eher auf irenische Menschen aus beiden Richtungen, die Scharfmacher lehnte er ab. Nach dem gescheiterten Türkenkrieg von 1566 hatte der Kaiser eine riesige Schuldenlast zu tragen. Die protestantisch dominierten Stände des Erzherzogtums Österreich unter der Enns nahmen sie ihm ab, man spricht von 2,5 Millionen Gulden, dafür erfolgte die »Religionskonzession« (1568). Wenig später bewilligten die Stände des Landes ob der Enns 1,2 Millionen und erhielten ebenfalls die Konzession. Ab nun durfte der Adel in den beiden Österreich den lutherischen Kult offen ausüben, auch die Untertanen der Adeligen durften teilnehmen. Keine der beiden Konfessionen sollte die andere in der Öffentlichkeit beleidigen – wenn sich kämpferische Lutherische nicht daran hielten, fanden die Katholiken manchen Anhaltspunkt für Klage und Anfechtung der Konzessionen. Nicht einbezogen waren die Bürger der landesfürstlichen Städte – sie galten als des Kaisers weiteres Kammergut und hatten daher den Vorschriften des Kaisers zu folgen. Bedingung für die Konzession war eine evangelische Kirchenordnung, die der Rostocker Theologieprofessor David Chytraeus ausarbeitete. 1571 bestätigte sie der Kaiser (»Religionsassekuration«, nur für das Land unter der Enns), aber er verbot ein eigenes evangelisches Konsistorium, daher gab es auch keinen Superintendenten. Analoge Zugeständnisse wie Maximilian II. machte Erzherzog Karl von Innerösterreich 1572 (Grazer Pazifikation, gegen die Übernahme von Schulden von einer Million), was er 1578 in Bruck auf Kärnten und Krain ausweiten musste, auch auf einige Städte und Märkte, freilich nur in mündlicher Zusage. Immerhin brachte ihm das nochmals eine halbe Million. Der Protestantismus schien in den nieder- und innerösterreichischen Ländern gesiegt zu haben. In Innerösterreich konnte er sogar eine eigene Kirchenorganisation mit einem Superintendenten in Graz einrichten. Daß »der Türk« der Lutherischen Glück sei, klagte einer der Hofkapläne Karls von Inner österreich. Die adeligen Herren als wichtigste Gruppe in den Landständen entwickelten ein kräftiges Selbstbewusstsein, das im Bau und in der künstlerischen Ausstattung der Land-
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häuser zum Ausdruck kam. Man brauchte ja einen Ort, wo die schriftlichen Unterlagen, das Gedächtnis des jeweiligen Landes, aufbewahrt werden konnten, aber auch ein Lokal für Tagungen der Stände und als Sitz einer dauerhaften Organisation, eines Ausschusses, der meist »Verordnete« genannt wurde. Nur so war man auch in der Lage, mit der neuen Bürokratie der habsburgischen Landesfürsten auf etwa gleichem Niveau zu verhandeln. Als erste hatten die steirischen Stände, schon 1494, ein Bürgerhaus in der Grazer Herrengasse erworben. Später kamen weitere Häuser dazu. Um die Jahrhundertmitte waren die entsprechenden Umbauten fertig. Bald danach beauftragte man den im Dienste Ferdinands I. stehenden Domenico dell’Aglio mit der Neugestaltung der eindrucksvollen Herrengassenfront. Einen Sonderfall stellt Klagenfurt dar : Die Obrigkeit über die Stadt wurde schon von Maximilian I. 1518 den Ständen des Landes übertragen – also eigentlich eine Brandstätte, denn die Stadt war 1514 vollkommen abgebrannt. Diese Funktion des »Landes« als Stadtherr gilt in der Rechtsgeschichte Mitteleuropas als einzigartig. Die Stände errichteten daher auch hier ihr Landhaus, zwischen 1574 und 1594, die Renaissanceausstattung ging bei einem Brand im 18.Jahrhundert verloren. Daher erhielt der Bau neue Fresken von Josef Ferdinand Fromiller, die unter anderem die Szene der Herzogseinsetzung mit dem Fürstenstein darstellen. Klagenfurt wurde zum Zentrum des evangelischen Lebens in Kärnten. Die Stände errichteten eine adelige Schule. Deren Rektor war Hieronymus Megiser, dessen Geschichtswerk »Annales Carinthiae« freilich auf den protestantischen Prediger Michael Gothard Christalnick zurückgeht. Auch der wohl bedeutendste protestantische Kirchenbau im heutigen Österreich geht auf die Kärntner Stände zurück – die damalige Pfarrkirche, heute katholische Kathedrale der Diözese Gurk-Klagenfurt. Auch die Krainer Stände erbauten ein Landhaus und erweiterten es in der Folge zu einem sehr ansehnlichen Bau. Davon blieb nur der barockisierte Vorderteil erhalten. Ebenso wie die anderen Landhäuser ist auch das im 16. Jahrhundert errichtete Landhaus des Erzherzogtums Österreich unter der Enns großenteils erhalten geblieben, freilich in einer baulichen Einkleidung des 19. Jahrhunderts. Der große Saal, errichtet vom Dombaumeister Hans Saphoy (+1578), vermittelt noch immer den Raumeindruck der Renaissance, er wurde freilich barock übermalt. Es blieben auch die Verordnetenstube und ihre Vorhalle erhalten, samt ihrem Skulpturenschmuck, der das Selbstbewusstsein des Landes Österreich als zentrales, namengebendes Land des Hauses Österreich inszeniert, im Verein mit Böhmen und Ungarn. Damit reflektiert diese Inszenierung die Zeit von Maximilian II. bis Matthias, als das Erzherzogtum mit Böhmen und Ungarn gemeinsam Herrschaftsgebiet der kaiserlichen Linie war. Von den österreichischen Landhäusern jener Zeit ist ferner jenes des Landes ob der Enns in Linz bemerkenswert, das in der Südwestecke der Stadt errichtet wurde. Es wurde 1800 durch einen Brand schwer beschädigt, doch blieb das Gebäude erhalten. Hingegen ist das Tiroler Landhaus in Innsbruck ein Barockbau. Die Vorarlberger
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Stände (nur drei Städte und mehrere bäuerliche Gerichte) benötigten offenbar kein Landhaus. Das erstarkte Selbstbewusstsein des meist evangelischen Adels schlug sich auch in zahlreichen Neu- und – noch häufiger – Umbauten von Burgen und Schlössern nieder. Der Landesfürst ging voran : Schon Ferdinand I. hatte das luftige Belvedere auf einer Anhöhe nächst dem Prager Hradschin erbauen lassen, einen der schönsten Renaissancebauten im mittleren Europa. In Wien ließ er die Hofburg umbauen – das »Schweizertor« zeigt bis heute das Wappen des böhmischen, ungarischen und »germanischen« Königs Ferdinand. Die heute so genannte »Stallburg« wurde als Residenz für den Erzherzog (und späteren Kaiser) Maximilian II. errichtet, die »Amalienburg« für Rudolf II. bzw. Erzherzog Ernst. Mit dem Simmeringer Neugebäude entstand unter Maximilian II. nach Plänen von Jacopo Strada eine weitläufige ländliche Sommerresidenz als Lustschloss-Gartenanlage – damals noch ohne Vorbild nördlich der Alpen. Leider wurde es in späteren Zeiten zweckentfremdet, manches wurde zerstört, die Säulenarkaden in der Gloriette oberhalb von Schönbrunn wieder verwendet. Als glänzendes Gegenstück dazu fand Ambras bei Innsbruck schon Erwähnung. Eine neue Aufgabe erfüllten die Zeughäuser, in denen umfangreiche Sammlungen von Rüstungsgegenständen bereitgestellt wurden. Das heute bekannteste ist wohl das Grazer Zeughaus, aus dessen Beständen Soldknechte für Kriege gegen die Osmanen ausgerüstet werden konnten. Doch hatte schon Ferdinand I. 1524 ein großes Zeughaus in Wiener Neustadt errichtet, von dem wenigstens das Portal erhalten blieb. Die adeligen Herren dachten nicht nur daran, Landhäuser als Versammlungs- und Dokumentationsort der Stände zu bauen, sondern auch an ihre eigene bauliche Repräsentation. Häufig erweiterten sie ihre älteren Burgen, dabei blieb auch der Festungscharakter erhalten oder wurde noch verstärkt. Das kurioseste Beispiel dafür ist wohl Pöggstall in Niederösterreich, wo der älteren Burg ein riesiges Festungsrondell (»Barbacane«) vorgesetzt wurde, das offenbar nach einem Lehrbuch von Albrecht Dürer über den Festungsbau gestaltet wurde. Die älteren Türme hat man besonders in den gefährdeten Gebieten Innerösterreichs vielfach zu runden Basteien verstärkt, was übrigens auch bei den Stadtbefestigungen der Fall war. Die Baumeister dafür kamen durchwegs aus Italien. Einige Bauten haben durchaus kunsthistorische Bedeutung. Wir erwähnen hier nur die Burg Strechau bei Rottenmann, die der steirische Erblandmarschall (und Führer der evangelischen Stände) Hans Hoffman Freiherr von Grünbühel ausbauen ließ, samt einer malerischen Kapellendekoration, die klar die lutherische Gegenüberstellung von Gesetz (Moses) und Evangelium (Christus) zum Ausdruck bringt. Ein für den lutherischen Glauben im Land unter der Enns besonders wichtiges Geschlecht waren die Losensteiner. Diese aus Oberösterreich stammenden Herren hatten die Schallaburg (nahe Melk) geerbt, die im 16. Jahrhundert von Hans Wilhelm von Losenstein zu einem der bemer-
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kenswerten Renaissanceschlösser ausgebaut wurde : In den 1570er Jahren entstand hier eine zweigeschossige Arkadenstruktur, wobei die Arkaden im Obergeschoss aus 1600 Terrakotta-Teilen bestehen. Sie stellen Tugenden und Künste, antike Imperatoren, Szenen aus der Bibel und Grotesken dar. Das komplexe Bildprogramm vermittelt Anspruch und Standesethos des adeligen Bauherrn. Otto Brunner bezeichnete es als »das wichtigste bildnerische Dokument der Geisteswelt des österreichischen Adels dieser Zeit« (Brunner, Landleben, 185). Hans Wilhelm stand aber auch hinter der Gründung einer adeligen »Landschaftsschule« im nahen Loosdorf (bei Melk), von der eine bemerkenswerte Schulordnung erhalten blieb. Er ließ auch die Loosdorfer Pfarrkirche erneuern, wobei dieser Neubau eigentümlicherweise den in der Gegenreformation dominierenden Typus des Saalbaues mit Seitenkapellen vorwegnahm. In der Kirche stand auch die Tumba für Hans Wilhelm, die im 20. Jahrhundert in der Schallaburg neu aufgestellt wurde. Prächtige Grabdenkmäler sollten nicht nur die Frömmigkeit der bestatteten Persönlichkeit herausstellen, sondern auch ihr Gedächtnis sichern. Besonders schöne Beispiele sind das Grabmal des (katholischen) Freiherrn Johann Trautson in der Wiener Michaelerkirche (nach 1590), das des (evangelischen) Johann Georg von Kuefstein in der Pfarrkirche von Maria Laach in Niederösterreich (1607), oder die Tumba des Volkhard und der Elisabeth von Auersperg in der Pfarrkirche von Purgstall (ebenfalls Niederösterreich). Andere prominente Um- oder Neubauten betrafen die Rosenburg (Sebastian Grabner, 1593–1597), das Schloss von Weitra (Wolf Rumpf zum Wielroß, Kämmerer Rudolfs II., ca. 1584–1605), Greillenstein (Hans Georg und Hans Jakob von Kuefstein, um 1560 bis um 1600) oder Walpersdorf (Helmhard Jörger, 1577 bis um 1600) im heutigen Niederösterreich, Ehrenhausen in der Steiermark (Eggenberger), Tratzberg im Tiroler Unterland (zuerst die Gewerkenfamilie Tänzel, dann der Augsburger Patrizier Ilsung, schließlich die Fugger, 1554 bis um 1600), Schloss Porcia (Gabriel von Salamanca und seine Söhne) in Spittal an der Drau oder Hohenems in Vorarlberg (freilich waren die Emser keine landsässige Familie, sondern reichsunmittelbar). Auch die wohl malerischste Burg Kärntens, Hochosterwitz, erhielt im 16. Jahrhundert durch die Khevenhüller ihre endgültige Gestaltung. Einige protestantische Adelige waren hervorragende und vielseitige Gelehrte, wie Job Hartmann Enenkel auf Albrechtsberg (1576–1627) oder Reichard Streun von Schwarzenau (1538–1600). Enenkel war ein unermüdlicher Sammler und durchforschte zahlreiche Archive. Reichard Streun war Diplomat, Rechtsgelehrter, ein Freund der Künste und Historiker. Auch er ließ in Freydegg bei Amstetten ein neues Schloss im Renaissance-Stil errichten. Erwähnung muss auch Wolfgang Lazius finden, der die erste Karte von Niederösterrreich entwarf. Aber die bedeutendste kulturelle Folge der Reformation in den habsburgischen Ländern war zweifellos die Verschriftlichung des Slowenischen. Eine analoge Bedeutung wie Martin Luther für das Deutsche kommt für das Slowenische Primus Truber (1508– 1586) zu. Während Luther für seine Bibelübersetzung (unter anderem) immerhin auf
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die Kanzleisprache Maximilians I. zurückgreifen konnte, die in allen hochdeutschen (ober- und mitteldeutschen, nicht in den niederdeutschen) Gebieten verstanden wurde, konnte Truber auf keine einigermaßen verbreiteten verschrifteten Sprachusancen zurückgreifen. Der aus Unterkrain stammende humanistisch gebildete Kleriker erweiterte am Hof des Triester Bischofs Pietro Bonomo seinen Gesichtskreis nicht nur um antike Autoren, sondern auch um Erasmus von Rotterdam, Luther, Zwingli und andere. Truber wurde 1530 Priester, erhielt ein Vikariat in Tüffer (Laško) und wurde wenig später Prediger in Laibach. Seine heftige Kirchenkritik löste ebenso Zustimmung wie Ablehnung aus ; nach einem Zwischenstopp in Triest wurde er Kanoniker in Laibach. Zwei Personen wurden neben Bonomo für Truber sehr wichtig : Der Bischof von Capod’Istria (Koper), Pietro Paolo Vergerio, und der schon genannte steirische Landeshauptmann und Oberbefehlshaber an der Militärgrenze, Hans Ungnad von Sonnegg (1493–1564). Ungnad trat 1543 zum Luthertum über, Vergerio 1548. Ungnad verließ 1555 Inner österreich und wählte – wie Vergerio – freiwillig das württembergische Exil. Truber selbst konvertierte im selben Jahr wie Vergerio zum Glauben Luthers und flüchtete im selben Jahr ebenfalls ins Reich. Truber wirkte dann als Prediger in Nürnberg und in einer Reihe anderer Städte. Seine wichtigste Leistung aber waren seine Schriften in slowenischer Sprache, in der er den Slowenen das Evangelium verkünden wollte. In der von Ungnad begründeten Druckerei in Urach konnten viele seiner Schriften erscheinen. Schon 1550 veröffentlichte Truber zwei zentrale Werke : den »Catechismus« und das »Abecedarium« – die ersten Bücher in slowenischer Sprache überhaupt. Mit ihnen schuf er die slowenische Standardsprache. Das Neue Testament übersetzte er zwischen 1555 und 1577. Später übersetzte er auch Luthers Haus-Postille. Die Krainer Stände beriefen Truber 1561 nach Laibach zurück. Er wurde Superintendent der evangelischen Kirche in Krain. Für diese schuf er ein Glaubensbekenntnis (Articvli oli deli te prave stare vere kerszhanske – Artikel oder Teile des richtigen alten christlichen Glaubens, 1562). Zwei Jahre später folgte eine Kirchenordnung, der württembergischen nachempfunden (Cerkovna ordninga). Die Kirchenordnung aber war nach Ansicht des Landesfürsten, Erzherzog Karl, ein Eingriff in dessen Herrscherrechte. Die Ordnung wurde daher auf Befehl des Erzherzogs beschlagnahmt, Truber musste neuerlich ins Exil. Dort entwickelte er weiterhin eine lebhafte schriftstellerische Tätigkeit. Aber auch die nicht von ihm verfassten slowenischen Bücher wurden häufig von ihm redigiert. Neben Truber trat vor allem Jurij (Georg) Dalmatin (1547–1589) hervor, der die gesamte Heilige Schrift übersetzte und 1584 in Wittenberg erscheinen ließ. 1500 Exemplare wurden damals gedruckt. Als dritter für die slowenische Sprachkultur höchst bedeutsamer Name muss hier noch Adam Bohorič genannt werden, dessen in lateinischer Sprache verfasste Grammatik des Slowenischen Arcticae horulae 1584 erschien. Dieses Buch wurde bis ins 18. Jahrhundert mehrfach nachgedruckt. Ein deutsch-lateinisch-slowenisch-italienisches Wörterbuch erschien 1592 aus der Feder des Rektors der Klagenfurter Landschaftsschule, Hierony-
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mus Megiser. Diese eifrige Übersetzungs- und Publikationstätigkeit wurde bei Ungnad, aber auch bei Truber und am stärksten wohl bei Vergerio von dem Glauben bestärkt, dass die Endzeit unmittelbar bevorstehe : Dem Aufblühen des Evangeliums durch die Reformation stand die Erscheinung des Antichrist in der Person des römischen Papstes gegenüber, was den letzten Kampf zwischen Christus und Satan anzukündigen schien. Und in dieser Zeit musste das Evangelium noch lauter und noch weiter verkündigt werden, man musste nicht nur die Deutschen und Slowenen missionieren, sondern auch die Kroaten und alle Christen auf dem Balkan, bis nach Konstantinopel hin, aber auch bis Moskau. Zahlreiche reformatorische Bücher wurden daher auch in diesen Sprachen und in cyrillischer Schrift gedruckt ! 5.6 Katholische Reform und Gegenreformation Aber schon hatte die Gegenbewegung begonnen. Zunächst noch mit einem kleinen Vortrupp : 1551 waren die ersten Jesuiten nach Wien gekommen. Die Jesuiten waren ausschließlich dem Papst verpflichtet und überregional jederzeit einsetzbar. Nicht einmal ein gemeinsames Stundengebet kannte diese völlig neuartige Gemeinschaft. Die Mitglieder der Gesellschaft Jesu waren hervorragend ausgebildet und sollten auch selbst wieder intensive Erziehungsarbeit leisten. Ihr Wiener Kollegium, das erste im Reich, entwickelte bald eine starke Anziehungskraft. Denn die Jesuiten waren gelehrte Herren und hervorragende Lehrer, die in ihrem Unterricht »moderne« Mittel verwendeten (Altersklassen, Wettbewerbe, Schultheater usw.). Ihre Bemühungen waren zunächst nur auf schmale Bevölkerungsschichten zugeschnitten. Bald kam Petrus Canisius nach Wien, dessen großer und kleiner »Katechismus« die Lehren und Gebote der erneuerten katholischen Kirche auf ebenso praktische wie autoritative Weise zusammenfassten. Der »Canisi« wurde für Jahrhunderte das zentrale Lehrbuch des katholischen Glaubens. Die Jesuiten vertraten die Lehren der katholischen Kirche mit Eifer und größtem religiösem Ernst. In Diskussionen zeigten sie sich beschlagen und anpassungsfähig : Sie wollten überzeugen. Den Sieg der katholischen Seite wollten sie durch religiöse Überzeugungskraft erreichen, nicht durch Gewalt. Canisius war auch an der Gründung des Innsbrucker Kollegs (1562) beteiligt. 1573 folgte eines in Hall. Schon ein Jahr davor hatte Erzherzog Karl die Jesuiten nach Graz berufen. Das 1573 gegründete Kolleg wurde 1586 zur Universität erhoben. Nach 1600 wurden weitere Niederlassungen gegründet, in Linz (1600), in Klagenfurt und Eberndorf (1604), in Laibach (1607), zwischen 1613 und 1620 in Leoben, Görz, Triest, Krems und Judenburg. In den Jesuitenschulen wurden die Bischöfe der Gegenreformation erzogen – glaubenseifrige, gebildete Männer, die daran gingen, die Ergebnisse des Konzils von Trient umzusetzen.
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Das 1563 beendete Trienter Konzil hatte die »Konfessionalisierung« des Katholizismus bewirkt : Die römische Kirche war nun nicht mehr »die« christliche Kirche (des Westens), sondern nur mehr eine von mehreren, die freilich auf ihrer alleinigen Fähigkeit zur Vermittlung des ewigen Seelenheils beharrte. Zur Stärkung ihrer Position war zunächst der Priesterbildung erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, dazu wurden in jeder Diözese Seminare eingerichtet. Der Glaube der Katholiken sollte sich wie bisher auf die Schrift und die Tradition gründen. Die traditionelle Sakramentenlehre wurde ebenso bekräftigt wie viele andere von den Reformatoren bekämpfte überkommene Riten, Heiligenverehrung, Wallfahrten, Prozessionen, auch der Ablass, der aber nicht mehr gegen Bezahlung zugesichert werden durfte. Faktisch wurde die römisch-katholische Kirche stärker zentralisiert, nicht nur im Hinblick auf den Primat des Papstes, sondern auch in zahlreichen Details, etwa durch die von Rom herausgegebenen und allgemein vorgeschriebenen Bücher, wie Breviere, Missale und Rituale. Zur Verschärfung der Kontrolle der Priester mussten zahlreiche Visitationen durchgeführt werden, der Kontrolle der Gäubigen dienten die Matrikelbücher und die Beichtregister, die ersteren im Hinblick auf die Dokumentation der katholischen Taufen, Eheschließungen und Einsegnungen von Verstorbenen, die letzteren im Hinblick auf die Glaubenspraxis. Der Überprüfung der Lektüre diente die Einführung des »Index prohibitorum librorum«, des Verzeichnisses der verbotenen Bücher. Dies alles dauerte, man kann wohl erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von einer großflächigen Durchsetzung des Tridentinums sprechen. Den zur allein seligmachenden katholischen Kirche Zurückkehrenden bot der neue Katholizismus aber nicht nur Glaubenssicherheit und Erlösungshoffnung, sondern im Gewand des Barock auch eine neue Erlebnisdimension in Kirchenbesuch und Gottesdienst, die an die spätmittelalterliche Buntheit der Kirchenbauten anknüpfte und gleichzeitig die Botschaft von einer ewigen himmlischen Heimat verkündete, deren Erlangung durch die Fürbitten zahlreicher Heiliger zwar nicht vollkommen gesichert, wohl aber erleichtert werden konnte. Und während der evangelische Kirchengesang die Gemeinde in den Mittelpunkt stellte, sollten in den großen barocken Gottesdiensten kunstvolle Kompositionen der größten zeitgenössischen Meister die Gläubigen begeistern. Ab den 1590er Jahren verstärkte sich der gegenreformatorische Eifer. Der für den in Prag residierenden Kaiser in Wien wirkende Statthalter Erzherzog Ernst (einer der Kaiserbrüder) erkannte, dass die nach außen hin so mächtigen Protestanten theologisch und organisatorisch zerstritten waren – mehrere Flügel kämpften um Einfluss (u. a. Philippisten – nach Philipp Melanchthon, Gnesiolutheraner – sie wollten nur den Orinignal-Luther vertreten, schließlich die Flacianer, nach dem aus Istrien stammenden Matthias Flacius Illyricus, der eigentlich mit allen zerstritten war). Der Schwung der ersten Generation war vorüber. Gerade jetzt erhielt die katholische Seite eine neue
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Führungspersönlichkeit. Der Bäckersohn Melchior Klesl, von den Jesuiten zum Katholizismus bekehrt, wurde zum wirkungsvollsten Vorkämpfer des katholischen Lebens in Niederösterreich. Der hervorragende Prediger wurde 1579 Dompropst von St. Stefan, 1581 Offizial des Passauer Bischofs und Generalvikar des niederösterreichischen Anteils der Passauer Diözese, später auch Bischof von Wien und Wiener Neustadt (beide Bistümer reichten kaum über diese Städte hinaus). Klesl bereiste Pfarre um Pfarre, setzte unfähige Priester ab und neue an ihre Stelle. Schon 1577 begann die Gegenreformation in den landesfürstlichen Städten und Märkten – das widersprach nicht der Religionskonzession, in die ja diese Städte und Märkte nicht einbezogen waren. Der evangelische Gottesdienst im Landhaus wurde verboten. Wien erhielt einen katholischen Bürgermeister. Neu gewählte Stadtrichter und Räte mussten das katholische Glaubensbekenntnis ablegen, sonst wurden sie von der Regierung nicht mehr bestätigt. Mehrere Städte entließen ihre protestantischen Prediger. Wer sich nicht fügte, musste das Land verlassen. 1585 wurde jeder evangelische Gottesdienst in den landesfürstlichen Städten verboten, auch das Bürgerrecht an die katholische Konfession gebunden. Im Land ob der Enns folgten analoge Verbote wenig später. Der innerösterreichische Landesfürst, Erzherzog Karl, war 1579 mit seinem Bruder Ferdinand von Tirol und seinem Schwager, Herzog Wilhelm von Bayern, übereingekommen, in Übereinstimmung mit dem Augsburger Religionsfrieden in ihren Ländern den katholischen Glauben durchzusetzen. Dabei wollte man eine Salamitaktik anwenden – die Rekatholisierung sollte nicht ruckartig erfolgen, sondern sukzessive. Günstigerweise waren die Konzessionen gegenüber den Protestanten immer begrenzt gewesen, sie galten nur für den Adel, in Innerösterreich freilich auch für einige Städte (Graz, Klagenfurt, Judenburg, Laibach). Gegenüber den Städten setzte die Gegenreformation zuerst ein. 1585 wurde der evangelische Superintendent aus Graz ausgewiesen. 1587 begann eine landesfürstliche Religions-Reformationskommission ihre Tätigkeit in den Städten und Märkten. Neue katholische Pfarrer wurden eingesetzt. Ihr Start war schwierig. Alte Patronatsrechte wurden wieder beansprucht, Klosterpfarren wieder von katholischen Geistlichen besetzt, die man nicht selten von auswärts geholt hatte. Auch dagegen erhob sich massiver Widerstand, der auch in die oberösterreichischen Bauernaufstände von 1595/97 und insbesondere von 1626 hineinwirkte. Es war klar, dass der Landesfürst auch vor den Privilegien des Adels nicht Halt machen würde. Auf Karl folgte in Innerösterreich Ferdinand (als Erzherzog III., als Kaiser, später, II.), 1596 trat er die Regierung an. Ferdinand erklärte, er sei in religiösen Fragen nicht an die Zusagen seiner Vorgänger gebunden. Nun wurde die Frage des Widerstandes aktuell. Der Versuch, die innerösterreichischen Länder als »unter dem Schutz des Reiches« stehend darzustellen und daraus eine Berechtigung der protestantischen Reichsstände zum Eintreten für die Glaubensgenossen abzuleiten, scheiterte am Reichsrecht. Im Dezember 1597 huldigten die Steirer dem jungen Landesfürsten,
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im Jänner und Februar 1597 folgten die Kärntner und Krainer. Alle hatten, angesichts der beharrlichen Weigerung Ferdinands (und wohl auch angesichts des Türkenkrieges, in dem es gerade schlecht stand) vor der Erbhuldigung auf die Bestätigung der Konzessionen von 1578 verzichtet ! Damit erhielt der Landesfürst nun freie Hand für die Umsetzung seines ius reformandi. 1599 bis 1601 zogen Religions-Reformationskommissionen« durch die Steiermark. Sie führten »regelrechte Feldzüge gegen protestantische Bürger und Bauern« (Edelmayr) durch. Zahllose Bücher wurden verbrannt, protestantische Kirchen zerstört. Bürger und Bauern mussten sich in kurzer Frist dem katholischen Bekenntnis zuwenden, die Alternative hieß Auswanderung. Etwa 2500 Menschen aus dem städtischen Bürgertum wanderten aus, vielfach in protestantische Territorien des Reiches, vor allem nach Franken. Bis um 1605 waren Stadt und Land wieder einigermaßen katholisch geworden. Den Adel erwischte es erst später, ab 1628. Doch gab es erhebliche regionale Unterschiede. Während in Krain die Reformation zwar Adel und Stadtbürgertum, kaum aber die Bauern erreicht hatte, war in Kärnten und in Teilen der Steiermark auch die Landbevölkerung lutherisch geworden. Hier konnte sich regional ein zum Teil ziemlich starker Geheimprotestantismus halten. 5.7 Vom »Bruderzwist« zum Weißen Berg: Höhepunkt und Scheitern der Ständebewegung Dagegen schien es in den Ländern des Kaisers – wir erinnern uns : das königliche Ungarn, Böhmen und seine Nebenländer, Österreich und das Land ob der Enns (zusammen damals : »Niederösterreich«) – eine zweite Chance für die Sache der Reformation zu geben. Zwar war Rudolf II. streng katholisch erzogen worden, ebenso seine Brüder. Er selbst hatte die ersten Maßnahmen für die Gegenreformation in den Donauländern angeordnet. Da kam den Evangelischen ein familiärer Zufall zu Hilfe : Der Bruderzwist im Haus Österreich. Wie erinnerlich hatte Kaiser Rudolf II. mehrere Brüder. Insbesondere der überaus ehrgeizige, wenngleich weder militärisch noch politisch besonders glücklich agierende Erzherzog Matthias wollte durchaus eine eigene königliche Stellung. Nun hatten sich bei Rudolf II. Tendenzen einer Persönlichkeitsveränderung gezeigt, Anzeichen einer psychischen Erkrankung – er zog sich immer mehr zurück, widmete sich auf dem Prager Hradschin seiner exzellenten Kunstsammlung und ließ fast keine Menschen mehr an sich heran. In Fortsetzung der habsburgischen Tradition seit Friedrich III. hatte er aber von seinem Amt eine überaus hohe Meinung. Sie drückt sich in der berühmten Privatkrone des Herrschers aus, einem der Prunkstücke der weltlichen Schatzkammer in Wien und im 19. Jahrhundert Krone des Kaisertums Österreich. Die Probleme steigerten sich, als Rudolf kein Einsehen in die Notwendigkeit zeigte, den Krieg in Ungarn zu beenden. Erzherzog Matthias, wenig glückli-
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cher Feldherr, war aber von der Notwendigkeit eines Friedensschlusses überzeugt – das Kriegsglück hatte sich gegen die Kaiserlichen gewendet, an allen Ecken und Enden fehlte es am nötigen Geld. Und man hatte es nicht nur mit den Türken zu tun, sondern auch mit den aufständischen Ungarn des Stefan Bocskai. Im April 1606 beschloss ein in Wien tagender »Familienrat« der Habsburger, an Stelle des als krank und regierungsunfähig geltenden Kaisers intern Matthias als Haupt des Hauses Österreich anzuerkennen. Matthias verhandelte die beiden Friedensschlüsse dieses Jahres, mit den Ungarn und den Osmanen, und wurde 1607 zum »Gubernator« von Ungarn ernannt. Um aber den kaiserlichen Bruder ganz aus seiner Position zu verdrängen, verbündete sich Matthias jetzt mit den mehrheitlich protestantischen Ständen Ungarns und der beiden österreichischen Länder. Er schloss mit ihnen einen Defensivbund (eine »Konföderation«) gegen einen Aufstand in Ostungarn und zur Erhaltung des Friedens. Der Versuch, dem Kaiser auch Böhmen abzunehmen, scheiterte am Widerstand der böhmischen Stände. Im Vertrag von Lieben (Libeň, Juni 1508) trat Rudolf »freiwillig« die Herrschaft über Ungarn, Mähren und Österreich (ob und unter der Enns) an Matthias ab. Aber jetzt präsentierten die Stände dem Erzherzog ihre Gegenforderung : Völlige Religionsfreiheit, und Bewilligung noch vor der Huldigung ! Zwar huldigten die friedliebenden Mährer ohne große Probleme, die protestantischen Stände der beiden österreichischen Länder aber forderten die sofortige Umsetzung der Religionsfreiheit – jene des Landes ob der Enns unter Einschluss der Städte, jene des Landes unter der Enns ohne Städte, und nur für das Augsburger Bekenntnis. Die protestantischen Stände des Erzherzogtums Österreich unter der Enns zogen aus Wien aus und versammelten sich in der kleinen Waldviertler Stadt Horn (Horner Bund, 1608). Der spiritus rector des ständischen Widerstandes wurde der oberösterreichische Adelige aus einem Unterkrainer Geschlecht, Georg Erasmus von Tschernembl. Er vertrat die Anschauung, dass man auch einem legal herrschenden Fürsten, wenn dieser unrechtmäßige Handlungen setzte, offenen Widerstand leisten dürfe. Ein Fürst, der den in der Huldigung befestigten zweiseitigen Vertrag mit den Untertanen (= den Ständen !) durch einseitige Handlungen brach, hatte damit auch das Recht auf Gehorsam verwirkt. Der Widerstand gegen einen solchen Fürsten konnte sich auch in Verbindungen der rebellischen Stände mit den Ständen anderer Länder, ja sogar mit Ständen des Reiches äußern. Tschernembl stand sowohl hinter den Beschlüssen der Linzer Landtage wie auch hinter dem Horner Bund. Inzwischen hatten die katholischen Ständemitglieder, Prälaten, katholische Adelige, Städte und Märkte, Matthias in Wien gehuldigt. Nach langen und mühsamen Verhandlungen genehmigte Matthias im März 1609 die Religionskonzession Maximilians II. für Österreich mit der bedeutenden Erweiterung, dass die protestantischen Patronatsherren nicht verpflichtet waren, irgend jemanden von den Gottesdiensten in »ihren« Kirchen auszuschließen. Damit war sogar das »Auslaufen« (geheim-) protestantischer Gläubiger aus den landesfürstlichen Städten oder Märk-
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ten zu den protestantischen Gottesdiensten der adeligen Grundherren faktisch genehmigt – das war bisher noch nie der Fall gewesen ! Die protestantische ständische Bewegung erreichte damit das maximale Ausmaß an religiöser Duldung. Dies umso mehr, als gleichzeitig der Kaiser »seinen« treuen böhmischen Ständen als Belohnung für ihren Widerstand gegen Matthias den so genannten »Majestätsbrief« ausstellte, der ebenfalls eine äußerst weitreichende Religionsfreiheit enthielt, sogar mit dem Recht des nichtkatholischen Kirchenbaues auf königlichem Grund und Boden. Schließlich wurde Rudolf auch als König von Böhmen abgesetzt, Matthias wurde 1611 König von Böhmen, nach des Kaisers Tod folgte er ihm im Kaisertum (1612). Mit der Verschärfung der religiösen Gegensätze wurden die ständischen Vereinigungen mit ihren obligat protestantischen Mehrheiten den Habsburgern zunehmend verdächtig. Als erster verbot Ferdinand II. (1590–1637, Kaiser seit 1619) für seinen innerösterreichischen Herrschaftsbereich gemeinsame Landtage. Sein Vorgänger Matthias hingegen war kein grundsätzlicher Gegner solcher »Tage«, da er sich davon eine allgemeine Zustimmung zu seinen Kriegsplänen gegen die Osmanen versprach. Melchior Klesl, inzwischen wichtigster Berater des Kaisers, schlug nun vor, das Instrument der ständischen Bünde für das Haus Österreich und für die Verpflichtung zu gemeinsamer militärischer Anstrengung zu nutzen. Die groß angelegte Linzer Tagung von 1614 (auch als »erster österreichischer Reichstag« bezeichnet) scheiterte jedoch, da die Stände allen Kriegsplänen erfolgreich Widerstand leisteten. Seither gab es keine habsburgischen Generallandtage mehr. Die letzte und dramatischeste Phase des Konfliktes zwischen protestantischen Ständen und habsburgischem Herrscher begann in Böhmen. Hier hatte der Majestätsbrief Rudolfs II. den Protestanten weitestgehende Rechte eingeräumt. Ein Streit um einen Kirchenbau entfachte die Auseinandersetzungen neu. Noch dazu dämmerte es den Protestanten offenbar etwas spät, dass sie mit der Wahl des Innerösterreichers Erzherzog Ferdinand zum böhmischen König 1617 (als Nachfolger des kinderlosen Matthias) einen unbeugsamen Vertreter des Katholizismus zum Herrscher bekommen würden. Mit dem (zweiten) Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618, bei dem protestantische Herren unter Führung von Heinrich Matthias Graf Thurn zwei Vertreter der »spanischen« (ferdinandeischen) Partei im böhmischen Statthaltereirat, Jaroslav von Martinitz und Wilhelm Slavata von Chlum, gemeinsam mit dem Sekretär Fabricius aus einem Fenster der Prager Burg warfen, war der Bruch unvermeidbar. (Die »defenestrierten« Herren waren übrigens relativ weich, auf einem s. v. v. Misthaufen gelandet.) Nun beschleunigten sich die Geschehnisse. Im Sommer 1618 ließen Ferdinand von Innerösterreich und sein Bruder Maximilian Kardinal Klesl verhaften und nach Tirol bringen. Angeblich neigte der früher allmächtige Berater des Kaisers Kompromissen mit den Evangelischen zu ! Die Stände Böhmens, auch die Schlesier, stellten eigene
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Truppen auf. Die Mährer hielten sich zurück. Ein Bündnisangebot der Böhmen an die protestantischen Österreicher beantworteten diese positiv, aber eine »Konföderation« dürfe nicht gegen den Kaiser und das kaiserliche Haus gerichtet sein. – Im März 1619 beschloss ein Landtag in Prag die Ausweisung der Jesuiten und Güterkonfiskationen bei Katholiken. Fast gleichzeitig starb Kaiser Matthias in Wien, sein Erbe sollte der fromme Steirer Ferdinand II. antreten. Im April marschierten böhmische Truppen in Mähren ein, das sich nun der böhmischen Sache anschloss. Gleichzeitig übernahmen die Stände im Land ob der Enns selbst die Landesverwaltung – wie 1519 ! Tschernembl steuerte wieder, wie 1608, auf ein Bündnis der Stände aller habsburgischen Länder zu, nur dann könne man sich auf eine Übernahme der Regierung durch Ferdinand II. einlassen. Am 5. Juni 1619 bedrängten 50 evangelische Herren und Ritter Ferdinand in der Wiener Hofburg. Dass ein Herr Andreas von Thonradl den Herrscher am Westenknopf gepackt und gerufen habe : »Nandel, unterschreib !« ist freilich durch seriöse Quellen nicht gesichert. Ferdinand lehnte mit Blick auf das Kreuz jeden Kompromiss ab. Genau am Höhepunkt der hitzigen »Sturmpetition« ritten kaiserliche Kürassiere in die Hofburg ein und überraschten die Herren und Ritter. Habsburg und seine Gegenreformation waren gerettet. Wenige Tage später versuchte Heinrich Matthias Graf Thurn Wien zu erobern. Das misslang. Die protestantischen Stände des Landes unter der Enns übersiedelten wieder einmal nach Horn, brachen jedoch den Kontakt mit Wien nicht ganz ab, trotz der gleichzeitigen Kontakte mit den böhmischen Ständen. Auf einem Generallandtag im Juli 1619 beschlossen die fünf Länder der böhmischen Krone (Böhmen, Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz) die »Confoederatio Bohemica«, ein ausgefeiltes ständisches Staats- und Verfassungsdokument. Ein künftiger König würde erst in die Konföderation einbezogen, wenn er alle bisherigen Zusagen in Religionsfragen anerkannt hätte. Mitte August 1619 wurden die evangelischen Stände Österreichs (ob und unter der Enns) in die Konföderation aufgenommen, 1620 sogar noch die Stände Ungarns. Mindestens alle fünf Jahre sollte ein Generallandtag aller beteiligten Länder stattfinden. Im selben Jahr berichtete der venezianische Gesandte, es sei das Ziel der Länder (also der revoltierenden Stände), eine Konföderation unter sich zu schließen und eine freie Regierung ähnlich jener der Schweiz oder der holländischen Generalstaaten zu errichten. Konsequenterweise setzten die böhmischen Stände Ferdinand II. ab (August 1619) – ironischerweise fast gleichzeitig mit dessen Kaiserwahl. Neuer König von Böhmen wurde Kurfürst Friedrich von der Pfalz. Das Jahr 1620 brachte neue Bewegung und neue Verbündete, nämlich Fürst Gabriel Bethlen von Siebenbürgen, den die oppositionellen Ungarn zum »Fürsten von Ungarn« gewählt hatten, aber auch neue Probleme : Ferdinand rief die Österreicher zum Huldigungslandtag, und er versprach das freie Religionsexerzitium für das Augsburger Bekenntnis – aber nur unter der Bedingung, dass die Stände zuvor alle Bündnisse und
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Konföderationen widerriefen. Die Protestanten waren nun gespalten. Die kompromisslosen »Horner« nahmen die Resolution des Kaisers nicht an, der Kaiser erklärte daraufhin alle, die nicht huldigten, zu Rebellen und Hochverrätern. Am 13. Juli 1620 huldigten in Wien alle katholischen und ein Teil der protestantischen Ständemitglieder. Von den Ferngebliebenen holten viele später die Huldigung nach, der Rest blieb stur. Ferdinand sicherte sich die Unterstützung des Verbandes der katholischen Reichsfürsten, der »Liga« unter der Führung Bayerns. Im August zog Herzog Maximilian von Bayern im Land ob der Enns ein. Das Land musste bis zur Bezahlung der Kriegsschulden des Kaisers als Pfand unter bayerischer Herrschaft bleiben. Im Herbst vereinigten sich die Truppen der Liga unter Tilly mit der kaiserlichen Armee unter Bucqoy. Und wieder zog der protestantische Adel nach Horn, warb eigene Truppen an und schloss mit den böhmischen Ständen ein Bündnis. Während die Niederösterreicher daneben auch noch mit Ferdinand verhandelten, waren die Oberösterreicher radikaler, schlossen ein Bündnis mit den Böhmen und Ungarn und marschierten unter Ludwig von Starhemberg nach Osten, zur Eroberung Wiens. Diese scheiterte jedoch. Ferdinand schrieb einen neuen Huldigungslandtag aus, er verlangte die sofortige Aufgabe der ständischen Konföderation mit Böhmen. Die Religionsfreiheit sollte erhalten bleiben. Dieses Angebot spaltete die Protestanten – ein Teil blieb bei der böhmischen Option, ein Teil huldigte. Am 12. September 1620 erschien die erste Proskriptionsliste – 31 Adelige wurden geächtet und ihre Güter konfisziert. Am 14. Oktober kam eine zweite Liste. Die wichtigsten Führer der protestantischen Partei standen darauf, aus dem Geschlecht der Puchheimer auf Horn (usw.) allein sieben Personen. Wer sich zu viel hervorgetan hatte und keine Gnade erwarten durfte, ging ins Exil, in der Regel in protestantische Gebiete Deutschlands (Andreas von Thonradl, Ludwig von Starhemberg, Georg Erasmus von Tschernembl u. a.). Mit der Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620, dem Sieg der Truppen des Kaisers und der Liga, wurde nicht nur die böhmische, sondern auch die ober- und niederösterreichische Adelsfronde entscheidend getroffen. Der exilierte Proponent der oberösterreichischen Stände in dieser Bewegung, Georg Erasmus von Tschernembl, sei ein konservativer Revolutionär gewesen, aber auch der »Propagator eines föderativen Österreich der Stände und der Länder«, der »in seinem Ringen um diesen Ständestaat die andere Variante der möglichen Staatswerdung Österreichs« (Sturmberger) angedeutet habe. Auch die Huldigungsverweigerer unter den evangelischen Adeligen beider Länder mussten ihre Heimat verlassen. Die Gegenreformation wurde jetzt beschleunigt. Während der protestantische österreichische Adel durch Emigration und Güterverlust bestraft wurde, ging Ferdinand gegen die revoltierenden böhmischen Stände wesentlich härter vor. Ein Sondergericht verurteilte drei Herren, sieben Ritter und 17 Bürger zum Tod, sie wurden am 21. Juni 1621 auf dem Altstädter Ring in Prag hingerichtet. Auch in Mähren gab es einige Todesurteile, aber es wurden nur mehr wenige
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vollstreckt. In Böhmen wurden 680 Personen und fast 50 Städte (!) mit Vermögensverlust bestraft. 166 Menschen wurden völlig enteignet, der Rest musste einen Teil seiner (meist) liegenden Güter an den Fiskus abtreten. Die Profiteure waren vor allem Albrecht von Wallenstein, die Fürsten Eggenberg, die Slawata, Lobkowitz, Liechtenstein und einige andere. In Mähren profitierten die Liechtenstein und Dietrichstein. Böhmen (und wenig später auch Mähren) erhielten 1627 eine »erneuerte Landesordnung«, in der Ferdinand II. nach dem Recht des erobernden Siegers vorging : Das Wahlrecht des Königs wurde abgeschafft, Böhmen und seine Nebenländer wurden Erbländer, ebenso wie die österreichischen. Die böhmischen Stände hätten ihre Rechte durch die Rebellion verwirkt, so die Meinung des siegreichen Kaisers. Die erneuerte Landesordnung bedeutete eine absolute Herrschaft, die Herrschaft eines von den bisher geltenden Gesetzen losgelösten (»absoluten«) Herrschers. Er allein hatte in Zukunft das Recht der Gesetzgebung, den Ständen kam auf den (wieder eingerichteten) Landtagen kein Antragsrecht zu. Der König allein verlieh die Landsmannschaft (Mitgliedschaft in den Ständen). Dass er den Landtagen doch wieder das Recht der Steuerbewilligung verlieh, war allein Ausfluss seiner Gnade. Etwas weniger streng ging es in den österreichischen Ländern zu, wo aber auch die absolute Unterwerfung gefordert wurde : Die Adeligen des Landes ob der Enns, die 1620 die Huldigung verweigert hatten, mussten persönliche Abbitte leisten, es wurde ihnen streng verboten, Zusammenkünfte ohne kaiserlichen Befehl abzuhalten oder gar Botschaften mit fremden Fürsten oder den Ständen anderer Länder auszutauschen. Nach dem Tod des Herrschers durften die Stände niemals mehr interimsweise die Herrschaft im Lande ergreifen. Die Chancen auf eine eigenständige ständische Politik gegenüber dem Landesherren waren vorüber. 1626 wurden alle protestantischen Prediger und Schulmeister des Landes (unter der Enns) verwiesen, ein Jahr darauf auch die öffentliche Abhaltung evangelischer Gottesdienste verboten. Der protestantische Adel Österreichs unter der Enns durfte zwar persönlich bei seinem Glauben bleiben, für die Ausübung des Kultes musste man aber ins (habsburgische !) »Ausland«, meist nach Ungarn (in der Regel ins heutige Burgenland), reisen. Dennoch blieben einige Geschlechter, wie die Auersperg auf Purgstall, bis ins 18. Jahrhundert evangelisch. Auch viele Bauern blieben bei ihrer lutherischen Religion. Ab etwa 1650 wurde der Druck auf sie erhöht. Das Ziel lautete nun Bekehrung und nicht Exil, denn es fehlte an Arbeitskräften. Trotz aller Maßnahmen blieb ein relativ breiter Geheimprotestantismus bis zum Ende des Jahrhunderts lebendig. Dann erstarb er langsam. Immerhin hatte der Druck der Gegenreformation viele tausend Menschen ins Exil getrieben – meist ins protestantische Franken, wo auf Grund der enormen Menschenverluste im Dreißigjährigen Krieg zahlreiche bäuerliche, aber auch bürgerliche Häuser leer standen.
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Zweier evangelischer Exulanten – einer Frau und eines Mannes – ist gesondert zu gedenken, weil sie im Geistesleben der Zeit eine wichtige Rolle spielten. Die Dame war Catharina Regina von Greiffenberg (1633–1694). Sie gilt als bedeutendste deutschsprachige Lyrikerin des 17. Jahrhunderts. Die »Geistlichen Sonette, Lieder und Gedichte« wirken durch ihre ungewöhnliche Bildsprache bis heute. Nach dem Tod ihres Mannes Hans Rudolf emigrierte sie nach Nürnberg, wohin sie schon früher Kontakte gehabt hatte. Der Mann ist Wolf Helmhard von Hohberg (1612–1688). Zuerst Kriegsmann, dann Inhaber einiger kleiner Herrschaften in Niederösterreich, publizierte er epische Dichtungen (»Unvergnügte Proserpina«, »Der habspurgische Ottobert«). Sein bedeutendstes Werk aber waren die »Georgica curiosa«, ein Lehrbuch für den adeligen Hausvater, dessen Pflichten von der christlichen Lebens- und Familienführung bis zur ordentlichen Wirtschaftsführung überaus detailliert beschrieben werden. Das Werk erfuhr schon zu Lebzeiten Hohbergs eine vermehrte Zweitauflage und dann noch mehrere bis weit ins 18. Jahrhundert. Es war der Höhepunkt der »Hausväterliteratur« in deutscher Sprache. (Otto Brunner) 1665 verkaufte er seine niederösterreichischen Güter und übersiedelte ins protestantische Regensburg, wo er auch starb. 5.7.1 Scheitern der Stände: Ursachen und Folgen
Das Scheitern der Stände ist zum einen wohl aus der Schwäche der Städte erklärlich. Städte und adelige Grundherren trugen seit dem 15. Jahrhundert massive Streitigkeiten hinsichtlich der Reichweite ihrer ökonomischen Wirksamkeit aus. Im Wesentlichen befanden sich dabei die Städte in der Defensive. Als Folge der spätmittelalterlichen Agrardepression versuchten gerade die größeren und aktiveren Grundherren, Einnahmen aus nichtlandwirtschaftlichen Zweigen zu realisieren. Dies erschien den Städten, deren Politik stets auf Sicherung eines gewerblich-kommerziellen Monopols für einen bestimmten Landstrich (»Bannmeile«) hinausgelaufen war, als tödliche Bedrohung für die »bürgerliche Nahrung« ihrer Insassen. Im 16. Jahrhundert spitzte sich die Lage zu, da sich nun die Konjunktur langsam umdrehte, die Landwirtschaft wieder rentabler wurde und also die Grundherren wieder bessere Profite machten. Die Städte gerieten in eine ernsthafte Krise, deren Ausdruck die sinkende Teilnahme der Städte an den Landtagen, andauernde Klagen über ihre schrumpfende Einwohnerschaft und abnehmende Steuerkraft und häufige Bitten an den Landesfürsten waren, den Gäuhandel, also die gewerblichkommerzielle Betätigung der Bauern ebenso wie der Grundherren, zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund wird erst voll verständlich, dass die adeligen Stände die Städte, den »vierten Stand«, schmählich im Stiche ließen, als die Habsburger mit der Gegenreformation ernst machten, und nur an die Sicherung ihrer eigenen Religionsfreiheit dachten. Auch diese war mit dem Jahre 1620 endgültig verspielt.
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Insgesamt gesehen waren die Habsburger, unbeschadet ihrer zeitweiligen Probleme, doch übermächtige Gegner. So hatte die Kaiserkrone auch einen durchaus materiellen Inhalt, etwa in der Türkenhilfe des Reiches (so ungenügend sie auch stets erschien). Und im Entscheidungskampf konnte der Kaiser eben dank seiner Stellung die katholische Liga, den Bund der katholischen Reichsfürsten, für sich mobilisieren. Daneben dürfen die spanischen, und, solange sie noch funktionierten, burgundisch-niederländischen Verbindungen, denen immerhin das Wiener Kunsthistorische Museum seine Bruegels, Rubens’ und Rembrandts verdankt, nicht vergessen werden : Die Habsburger konnten gegen ihre oppositionellen Stände wenigstens zum Teil auch die Macht der Kaiserkrone, die Macht Spaniens und die Reichtümer der Niederlande einsetzen. 5.8 Der große Krieg: Dreißig Jahre Not und Zerstörung Die immer noch sehr große Bedeutung der Unterstützung durch Spanien wurde in der schweren Krise der Jahre 1618/20 überaus deutlich. Bald nach Ausbruch der Krise hatte der spanische Gesandte am Wiener Hof, Don Iñigo Graf von Oñate, in Madrid dringend die Bereitstellung von 10.000 bis 12.000 Mann für den Kaiser gefordert ; daraufhin stellte Spanien ein für den Uskokenkrieg (gegen Venedig, 1615–1617) geworbenes Regiment weiterhin zur Verfügung. Auf eigene Kosten ließ ferner Erzherzog Albrecht (VII.), Statthalter in den Spanischen Niederlanden, Truppen für den Kaiser werben. Aus seinem Herrschaftsbereich kam auch der in der ersten Kriegsphase kommandierende Heerführer, Karl Graf von Bucquoy, ein Wallone und bekannter Kriegsheld der »spanischen Schule«. Im Herbst 1619 traf ein spanisch-sizilianischoberitalienisches Hilfskorps aus Neapel ein. Im Jänner 1620 stießen auch noch etwa 3000 polnische Reiter, die vom Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Karl und von Johann Adolf von Althann geworben worden waren, dazu. Spanien entschloss sich darüber hinaus, ab Sommer 1620 12.000 Mann aus Flandern zum Angriff gegen die Pfalz einzusetzen, sowie den größeren Teil der kaiserlichen Armee, nämlich 12.000 Fußknechte, 4000 Reiter und die 3000 Mann polnischer Kavallerie, auf unbestimmte Zeit zu finanzieren ! Im Frühherbst 1620 hatte die kaiserliche Armee eine Stärke von 15.400 Mann Infanterie und 4580 Mann Reiterei, zusammen also 20.250 Mann. Zu rund drei Vierteln bestand diese Armee aus Italienern, Lothringern, Wallonen und Flamen, abgesehen von den Lothringern kamen die meisten aus Gebieten der spanischen Krone (Spanische Niederlande, Mailand, Neapel-Sizilien). Das Heer der katholischen Liga unter Herzog Maximilian, das nun ebenfalls in Böhmen einrückte, hatte eine Stärke von 16.400 Mann. Der militärische Sieg am Weißen Berg führte zum Aufstieg einer neuen Adelsgruppierung. Kaiserliche Financiers und Generäle erwarben die Güter der geächte-
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ten Protestanten. Unter den Neuen finden sich viele später klangvolle Namen : Kinsky, Lobkowitz, Czernin, Montecuccoli, Schönborn, Seilern, Wilczek, Berchtold, Cobenzl, Stürgkh usw. Nach dem Sieg über die böhmischen Stände verlagerte sich der Krieg zunächst nach Mittel- und Norddeutschland. Zuerst ging es gegen den Pfälzer, den böhmischen »Winterkönig«. Spanische und bayerische Truppen besetzten seine Länder, der Kaiser erklärte die Reichsacht über ihn und übertrug die pfälzische Kurwürde an den Bayernherzog Maximilian. Kaiserliche und Liga-Truppen bekämpften die militärischen Führer der protestantischen Union, Ernst von Mansfeld und Christian von Anhalt, ebenso wie den die protestantische Seite unterstützenden dänischen König. In diesen Krieg trat mit der neuen Armee Albrechts von Wallenstein ein ganz neuer Faktor ein. Wallenstein erbot sich 1625, ein Heer von 50.000 bis 60.000 Mann aufzustellen. Dafür verlangte er kein Geld, sondern nur die Werbepatente. Binnen weniger Wochen brachte er 7.600 Reiter und 14.800 Mann auf, darunter drei Herzöge und zwei Grafen als Obristen. Die Armee wuchs in kürzester Zeit auf 50.000 Mann und erreichte 1630 die damals unerhörte Größe von 150.000 Mann. An die Stelle vieler einzelner Obristen war der noch mächtigere Generalissimus getreten, an die Stelle konkurrierender Militär-Unternehmer ein Monopolist. Wallenstein gilt als der letzte große Condottiere. Bei ihm ging alles ins Große, ja Maßlose. Die Ausrüstung dieser Armee erfolgte zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Wallensteins nordböhmischen Besitzungen, dem Herzogtum Friedland. Hier wurden Werkstätten und Manufakturen für Zwecke der Rüstung geschaffen, hier wurden Geschütze, Musketen und Munition hergestellt, daneben Tuche und Lederteile für die Bekleidung der Soldaten. Wallenstein gilt damit als der Begründer des später so bedeutenden nordböhmischen Industriereviers. Seine eigenen Territorien (später auch Mecklenburg) nahm er bezeichnenderweise auch aus dem ruinösen Steuer- und Kontributionssystem aus, das alle von seinen Truppen besetzten Länder aussaugte. Was nicht dort hergestellt werden konnte, hatte der große Verleger und Bankier Wallensteins, Hans de Witte, zu beschaffen, ein Prager calvinischer Kaufmann niederländischer Herkunft, auf dessen Kredit das ganze enorme Unternehmen aufgebaut war. Hans de Witte finanzierte nicht nur Wallensteins Armee vor, sondern auch den prächtigen Bau des Waldstein’schen Palais in Prag, des ersten Palais nach italienischer, barocker Art in der böhmischen Kapitale. Freilich beruhte das ganze System auf einer gigantischen Ausbeutungsmaschinerie : Die von Wallensteins Truppen besetzten Gebieten hatten über »Kontributionen«, hohe Steuervorschreibungen, die an die Stelle der bisher üblichen Naturalverpflegung der lagernden Armeen getreten waren, die Vorschüsse de Wittes wieder hereinzubringen. Das funktionierte zunächst recht gut, mit zunehmender Verarmung der vom Kriege ausgezehrten Landstriche aber immer schlechter. Zuletzt ging Hans de Witte in Konkurs, sein Freund Wallenstein verwandelte sich in einen
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erbitterten Feind, de Witte endete 1630 durch Selbstmord. Nach Wallensteins Tod funktionierten die von ihm und de Witte entwickelten Formen der Kriegsfinanzierung schon gar nicht mehr. Die Kontributionen gingen in immer regellosere Plünderungen über, bis schließlich ganze große Landstriche völlig erschöpft waren und keiner Armee als Quartier dienen konnten. Wallensteins Aufstieg und seine Katastrophe zeigten mit aller Deutlichkeit die Chancen, aber auch die Gefahr, die der Groß-Condottiere für seinen Auftraggeber bedeutete. Nach dem Zusammenbruch der dänischen Machtstellung beherrschten Tilly und Wallenstein das Reich vom Bodensee bis zur Küste von Nord- und Ostsee. Wallenstein wurde 1629 Herzog von Mecklenburg, im selben Jahr musste der dänische König einen durchaus akzeptablen Frieden schließen. Nun wollte Ferdinand II. mit dem aus eigener Machtvollkommenheit und ohne Zustimmung der Reichsfürsten erlassenen »Restitutionsedikt« seine Stellung im Reich entscheidend stärken : Alle seit 1552 säkularisierten geistlichen Fürstentümer sollten wieder hergestellt werden ! Vor dieser Stärkung der kaiserlichen Macht scheuten auch die katholischen Fürsten zurück, ein (katholischer !) Kurfürstentag forderte 1630 die Abberufung Wallensteins. Der Kaiser musste nachgeben. Gleichzeitig trat Schweden in den Krieg ein und verbündete sich mit Kursachsen und Kurbrandenburg. Der Sieg der neuen Koalition bei Breitenfeld (1631) wendete das Kriegsglück – die Sachsen drangen in Böhmen ein, die Schweden in Bayern, ihr König Gustav II. Adolf zog im Mai 1632 in München ein. Wallenstein wurde zurückberufen. In der Schlacht bei Lützen fiel der Schwedenkönig, aber es war trotzdem eine Niederlage für Wallenstein. Danach erschien seine Kriegführung zögerlich und zuletzt – vielleicht – nur mehr auf seinen eigenen Nutzen berechnet. In den Augen des Kriegsherren und Auftraggebers hieß das aber – Treubruch und Hochverrat. Dementsprechend wurde Wallenstein (geheim) zum Tode verurteilt und in Eger im Februar 1634 ermordet. Nach der Monopolisierung des Söldnerunternehmertums durch Wallenstein erfolgte nun die direkte Unterstellung des Monopol-Heeres unter die kaiserliche Gewalt. 1634 erzielte diese Armee, unter Führung des Nachfolgers des Kaisers, Ferdinands III., der bereits König von Böhmen und Ungarn war, gemeinsam mit einer spanischen Armee bei Nördlingen ihren letzten großen Sieg über die vereinigten protestantischen Truppen. Nun schloss Kursachsen mit dem Kaiser den Frieden zu Prag 1635. Weitreichende Vorrechte des Kaisers wurden darin festgehalten, auch in der Verfügung über die künftige Reichsarmee : Offiziere und Mannschaften sollten auf den Kaiser vereidigt werden. Nun trat freilich Frankreich in den Krieg ein, und die Schweden blieben sowieso da. Der Krieg begann erneut, er wurde bis zur völligen Erschöpfung und Verödung weiter Landstriche geführt. Die Kaiserlichen und ihre bayerischen Verbündeten unterlagen in mehreren Schlachten (so beim südböhmischen Jankau, 1645), im Sommer 1648 gelang den Schweden sogar ein Überraschungsangriff auf die linksseitigen
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Stadtteile von Prag (Hradschin, Kleinseite). Alt- und Neustadt aber blieben kaiserlich. Auch Bregenz wurde kurz von den Schweden besetzt. Als die Schweden Prag verließen, brachten tausende Ochsenkarren die Schätze Kaiser Rudolfs II. als Kriegsbeute nach Schweden. Die österreichischen Länder waren zunächst nicht direkt vom Krieg betroffen (sieht man von der ersten, »böhmischen« Phase ab). Aber die unablässigen Steuerforderungen bedrückten die Länder schwer, die Ernährung der Armeen verursachte Lebensmittelknappheit. Werbungen verminderten die Zahl der arbeitsfähigen jungen Männer. Zahlreichen neuen Adeligen wurde vom Kaiser die Prägung eigener Münzen erlaubt, die dann in großer Zahl und mit immer schlechterem Edelmetallgehalt geprägt wurden (»Kipper und Wipper-Zeit«). 1623 kam es zur Abwertung der Währung (»MünzCalada«). Viele Vermögen gingen in dieser Inflationsperiode verloren. Schon 1631 lagen 13 % aller Bauernhöfe im Land unter der Enns wüst. Doch das große Unheil kam erst : Im Winter 1631/32 musste Niederösterreich acht Regimenter Wallensteins in die Winterquartiere übernehmen – in den Städten und in ummauerten Märkten. Das wiederholte sich in den folgenden Jahren und bedeutete eine enorme Belastung der Bevölkerung. Die Werbungen wurden immer intensiver, denn die Söldner verliefen sich nicht selten durch Desertion. Von den 3500 Leuten, die 1634 im Land unter der Enns ausgehoben wurden, desertierten zehn Prozent noch als Rekruten ! Die letzte Phase des Krieges war die schlimmste. Zu den kaiserlichen Kriegsvölkern, die das Land schon genug ausgeplündert hatten, kamen zu guter Letzt noch die Schweden. Im Frühjahr 1645 eroberten sie das Land nördlich der Donau fast zur Gänze, Korneuburg wurde vorübergehend zum Hauptquartier des schwedischen Feldherrn Lennart Torstenson. Da aber die mährische Hauptstadt Brünn der schwedischen Belagerung standhielt, blieb die niederösterreichische Position der Schweden unsicher. Sie zogen wieder nach Norden ab. Nicht wenige Erdställe, in denen die Bevölkerung Zuflucht suchte, sind bleibende Zeugen jener schlimmen Zeit. Im Westen Österreichs eroberten die Schweden Bregenz. Am Ende des Krieges waren fast 30 % der Häuser des Landes unter der Enns öde. Die ärgsten Schäden gab es im Waldviertel, wo 58 % aller Häuser betroffen waren, nur wenig besser war es im Weinviertel. Aber auch die südlichen Viertel, in denen »nur« die kaiserlichen Truppen hausten, hatten einen deutlich kleineren Bestand an aufrechten Bauernhäusern als vor dem Krieg. Auch die verbliebenen Häuser und Ställe waren häufig ausgeplündert, Vieh und Bargeld waren ebenso verschwunden wie der Hausrat. Noch schlimmer als Niederösterreich war Böhmen verwüstet. Hatte das Königreich um 1600 etwa 1,4 Millionen Einwohner, so waren es um 1650 nur mehr eine Million. Es dauerte etwa ein halbes Jahrhundert, bis sich die betroffenen Gebiete vom großen Krieg erholt hatten. Dieser Wiederaufbau ging nur langsam vor sich. Noch 1665 waren
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in Retz von 109 Bürgerhäusern nur 28 »aufrecht«, d. h. gut erhalten, 51 galten als baufällig und 30 als »ganz öde«, also als Ruinen. Die beiden Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück bedeuteten eine entscheidende Schwächung der Macht der Habsburger, die 1629 auf dem Gipfelpunkt ihrer Macht zu stehen schienen. Im Reich waren sie ab nun eindeutig an die Reichstage gebunden – einsame Entschlüsse der Kaiser wie 1629 waren nicht mehr möglich. Kaiser Ferdinand III. musste auch die von Frankreich erhobene Forderung akzeptieren, die spanischen Verwandten im fortdauernden Krieg zwischen Spanien und Frankreich nicht mehr zu unterstützen. Außerdem musste er die linksrheinischen vorderösterreichischen Besitzungen mit dem Zentrum in Ensisheim an Frankreich abtreten, ebenso die Stadt Breisach am rechten Rheinufer. Die Reichsstände erhielten ein weitgehendes Bündnisrecht. Die beiden Lausitzen blieben endgültig bei Sachsen. In den eigenen Ländern blieb der Kaiser hingegen (fast) unbeschränkter Herr. Den schlesischen Protestanten wurde allerdings Duldung zugesichert, ebenso dem lutherischen Adel des Landes unter der Enns, freilich mit starken Einschränkungen. 5.9 Der »Erbfeind christlichen Namens«: Die Türkenkriege Die Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts waren meist Kämpfe um Städte und Festungen. Italienische Festungsbaukunst schuf neue Fortifikationen, die auch der größeren Feuerkraft der Artillerie trotzen konnten. Neben dem Neubau einiger weniger Festungsstädte (wie dem venezianischen Palmanova oder dem habsburgischen Karlstadt (Karlovac) – 1580 – in der kroatischen Militärgrenze) wurden die Stadtmauern der schon stets befestigten Städte verstärkt und mit Basteien und Vorwerken umgeben. Die barocke Stadt wurde durch diese massiven Umbauungen von ihrer Umgebung geradezu abgetrennt. Um vor den neuen Befestigungen ein Schuss- und Beobachtungsfeld zu schaffen, erhöhte man die Distanz zu den Vorstädten, indem ältere Siedlungen in diesem Bereich geschleift wurden. So entstand in Wien ab 1529 das »Glacis«, eine bautenfreie Fläche, durchzogen von Straßen. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert diente es den Wienern als Naherholungsgebiet. Zu zentralen Verteidigungspunkten gegen die Osmanen wurden die ungarischen Festungen, ganz besonders Komorn (Komárom) – als Donausperre –, Raab (Györ) und Nagykanizsa. Sie galten als Vorposten der Verteidigung der Erblande, vor allem auch Wiens. Ihre Befestigung wurde in der Regel von Ungarn geleistet. Für Komorn und Raab engagierten sich aber auch das Erzherzogtum Österreich und das Reich. Gerade in den Auseinandersetzungen mit den Osmanen erlangten Fall, Halten oder (Rück-) Eroberung von Festungen auch eine hohe symbolische Bedeutung.
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Eine ständige Kriegsmacht existierte im 16.Jahrhundert noch nicht. Durch den Krieg in Ungarn und Kroatien, der ja nur durch verschiedene Waffenstillstände unterbrochen wurde, war es aber notwendig, in diesen Regionen stets Söldner zu unterhalten, vor allem als Besatzungen für die wichtigen Festungen. Diese Streit-»Macht« betrug beim Tode Ferdinands I. 1564 erst 9000 Mann. Durch lange Zeit hielt man übrigens ein offensives Vorgehen gegen die Osmanen für unmöglich. Selbst der berühmte Kriegsmann Lazarus Schwendi erklärte in einem Gutachten von 1572, dass die »deutsche Nation« zu schwach sei, um einen Offensivkrieg gegen die Türken führen zu können. 1566 wurde angesichts der neuen türkischen Bedrohung (es war das Jahr der Belagerung von Szigetvár und der Beginn des Türkenkrieges von 1566–1568) vom Reichstag neben der »eilenden« Hilfe von 24 Römermonaten für 1566 auch eine »beharrliche« Hilfe von weiteren 24 Römermonaten für die drei folgenden Jahre bewilligt. Schließlich forderte Maximilian II. vom Reichstag von 1576 die Errichtung eines exercitus perpetuus – damals wurde der Begriff zum ersten Male gebraucht. Natürlich genehmigten die Reichsstände keine Mittel, die dem Kaiser wirklich ein kräftiges stehendes Heer ermöglicht hätten. 1590 ging ein längerer Krieg der Osmanen gegen den Iran zu Ende. Sogleich wurden jene an ihrer Nordwestfront aktiv. Kaiser Rudolf II. sondierte daraufhin in Konstantinopel, ob eine Verlängerung des Waffenstillstandes (von 1568) möglich sei. Das wurde bestätigt. Aber fast gleichzeitig begann der Beglerbeg von Bosnien, Hassan Pascha, mit einer Intensivierung der Angriffe an der sowieso nie ganz ruhigen kroatischen Grenze. Im Juni 1691 eroberten seine Truppen die exponierte Festung Bihač und errichteten daraufhin eine Festung an der Kulpa. Ein erster Versuch zur Eroberung Sisaks scheiterte. Sisak war eine wichtige kroatische Festung am Zusammenfluss von Kulpa und Save, südöstlich von Zagreb. Im Juni 1593 versuchte eine türkische Armee von etwa 18.000 Mann unter Hassan Pascha neuerdings die Eroberung von Sisak. Sie wurde vom Aufgebot der Innerösterreicher, der Kroaten und der Grenzer, das nicht mehr als 4000 bis 5000 Kämpfer umfasste, geschlagen und verlor etwa zwei Drittel ihrer Mannschaften. Unter den christlichen Führern, von denen jeder nur relativ kleine Kontingente befehligte, befanden sich unter anderem der Banus von Kroatien, Thomas Erdödy, der Krainer Andreas Auersperg von Schönberg, Kommandant in der kroatischen Grenze, der Steirer Ruprecht von Eggenberg, Adam Rauber mit einem krainischen Aufgebot, aber auch ein Freiherr von Rödern mit 500 schlesischen Schützen. Diese Schande konnte man sich in Konstantinopel nicht bieten lassen. Die Pforte eröffnete nun einen wirklichen Krieg. Der war nicht mehr auf Kroatien beschränkt, sondern spielte sich in verschiedenen Teilen Ungarns ab. Es wurde der »lange Türkenkrieg« (1593–1606), von dem Franz Grillparzers in seinem »Bruderzwist« Kaiser Rudolf II. sagen lässt, er sei »gut« – denn er hielt die konfessionellen Gegensätze im
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Zaum. Nun mehrten sich die Nachrichten über Kriegsvolk, das auch über den Winter unter den Fahnen blieb. Darauf war dann auch die Wiedereroberung von Raab zurückzuführen. Nach der Übergabe der Festung an die Türken (1594) wurde ihr Kommandant, Graf Ferdinand von Hardegg, von einem Kriegsgericht in Wien zum Tode verurteilt. Für die Wiedereroberung wurden neben den »Grenzern« in Ungarn deutsche, wallonische und niederländische Reiter sowie diverses Fußvolk extra über den Winter 1597/98 unter Waffen gehalten. Mit diesen Truppen (etwa 6000 Mann) glückte Adolf von Schwarzenberg am 19. März 1598 ein Handstreich auf die Festung, deren Tore mit Hilfe der gerade neu in Gebrauch gekommenen »Petarden« zerstört wurden. Mit den so genannten »Raaber Kreuzen« gedachte man der Rückeroberung dieser so zentralen Festung, mehrere solcher Raaberkreuze blieben in Niederösterreich erhalten. Die Rückeroberung von Raab versetzte den Kaiser in Hochstimmung. Zeitweilig schien eine Rückeroberung ganz Ungarns möglich, vorübergehend war auch Siebenbürgen in der Hand kaiserlicher Truppen. Aber die Einheiten des kaiserlichen Generals Giorgio Basta wüteten so arg, dass er einen erfolgreichen Aufstand des ursprünglich mit Rudolf II. verbündeten Magnaten Stefan Bocskai auslöste, dessen Truppen bis an und über die Grenzen Mährens, Niederösterreichs und der Steiermark vordrangen. Schließlich musste im Wiener Frieden von 1606 mit den ungarischen Ständen die Autonomie Siebenbürgens ebenso wie die freie Religionsausübung in den (meist lutherischen) königlichen Städten Oberungarns zugestanden werden. Bald darauf endete auch der Krieg mit den Osmanen mit dem Frieden von Zsitvatorok, mit nur wenigen Änderungen. Immerhin wurde der Kaiser erstmals vom Sultan als gleichrangig anerkannt ! Die vom Sultan an Stefan Bocskai übermittelte prächtige Krone ist übrigens in der Wiener Schatzkammer zu bewundern. Zum Glück für die Habsburger waren die Türken während des Dreißigjährigen Krieges durch einen lang dauernden Konflikt mit dem iranischen Safawidenreich gebunden – ein türkischer Angriff im Rücken der habsburgischen Macht, die in Böhmen und im Reich in den schlimmsten Krieg ihrer Geschichte verwickelt war, hätte gerade noch gefehlt. Der siebenbürgische Fürst Bethlen Gabor kooperierte zwar mit den Gegnern Habsburgs, hatte aber nur vorübergehende Erfolge, nach 1620 war er isoliert. Man einigte sich auf einen Friedensschluss. Erst unter der Köprülü-Restauration in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde das Osmanische Reich gegen die Länder der Habsburger wieder aktiv. 1663 bewegte sich wieder einmal eine große türkische Armee nach Ungarn. Sie eroberte die wichtige Festung Neuhäusl (Nové Zámky, heute in der Slowakei), was erhebliche Aufregung verursachte. Freilich gelang es Raimund Montecuccoli 1664 die Türken bei Mogersdorf – St.Gotthard entscheidend zu schlagen, womit die Gefahr für Wien wieder gebannt war. Aber der rasche Friedensschluss, in dem den Türken ihre Eroberungen bestätigt wurden (Friede von Vasvár), löste in Ungarn eine breite Unzufriedenheit
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aus, die über die so genannte »Magnatenverschwörung« und einen neuerlichen Aufstand zur zweiten Belagerung von Wien 1683 führte. Sie richtete sich auch gegen die wieder verstärkte Gegenreformation in Ungarn. Von den Häuptern der Verschwörung starben Miklos Zrinyi (1664) und Franz Wesselényi (1667), an ihre Stelle traten der oberste Landrichter Franz Nádasdy, Peter Zrínyi (kroat. Zrinski, der jüngere Bruder des Kriegshelden), dessen Schwager Franz Frankopan (Frangepan), sein Schwiegersohn Franz I. Rákóczi, sogar der Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn Georg Lippay, und der steirische Graf Hans Erasmus von Tattenbach. Sie wurden verraten und verhaftet. Am 30. April 1671 wurden zwei Verschwörer (Zrinyi und Frankopan) in Wiener Neustadt hingerichtet (eine Tafel erinnert daran), je einer in Wien (Nádasdy) und Graz (Tattenbach). Nun begann eine der – mehreren – radikalen Phasen der Gegenreformation in Ungarn, samt Ungültigerklärung der ungarischen Verfassung. Sie mündete aber letztlich in einem großen Aufstand, jenem der »Kuruzzen« (seit Sommer 1672). Seit 1678 war Imre Thököly, der zweite Mann von Helena Zrinska, der Witwe nach Franz I. Rákóczi, die führende Figur. Er wurde 1682 vom Sultan als Fürst von Oberungarn anerkannt. In Wien lenkte man inzwischen ein und besetzte das seit zehn Jahren verwaiste Amt des Palatins wieder (mit Paul Esterházy). Aber das hinderte den Aufstand Thökölys und seine Unterstützung durch die Hohe Pforte nicht mehr. Thököly eroberte mit türkischer Hilfe fast ganz Oberungarn. Diese Konfiguration führte zur berühmte zweiten Türkenbelagerung Wiens im Sommer 1683. Niederösterreich war noch von einer 1678 hereinbrechenden Pestwelle erschüttert, die sich bis 1680 bemerkbar machte. Wieder hatte es tausende von Toten gegeben. Da nahte sich das riesige osmanische Heer des Großwesirs Kara Mustafa. Schon Anfang Juli schwärmten die »Renner und Brenner« ins südliche Niederösterreich aus. Die ländliche Bevölkerung gab den Geistlichen und Adeligen die Schuld am völligen Versagen der Landesverteidigung – man habe durch die Gegenreformation in Ungarn das ganze Unheil heraufbeschworen. Der Heiligenkreuzer Priester und Regens chori Balthasar Kleinschroth schildert diese Stimmung, die ihm auf der Flucht mit »seinen« Sängerknaben häufig begegnete. Die niederösterreichische Bevölkerung litt schwer. In Perchtoldsdorf, wo man kapitulationsbreit war, wurden am 16. Juli alle wehrfähigen Männer zusammengerufen und dann niedergemetzelt, anschließend auch die Frauen und Kinder, die in der Kirche Zuflucht gesucht hatten ; Überlebende wurden verschleppt. Noch im November lagen hunderte Leichen unbeerdigt auf dem Marktplatz. Gut befestigte Städte und Schlösser wurden von den tatarischen Scharen nicht angegriffen. Es gab auch Beispiele erfolgreicher Gegenwehr : So hat der Abt von Lilienfeld sein Kloster mit Hilfe von Bauern verteidigt, auch das innere Erlauftal erreichten die Plünderer nicht, da die Enge zwischen Scheibbs und Gaming gesperrt wurde. Während dieser Ereignisse ging es den Belagerten in Wien immer schlechter.
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Doch schon sammelte sich das Entsatzheer. Am 12. September 1683 standen bereit : 20.000 bis 26.000 Polen unter ihrem König Johann Sobieski (die Schätzungen variieren), mehr als 11.000 Bayern, ungefähr ebensoviele Sachsen, 9000 Mann aus dem fränkischen und schwäbischen Reichskreis, eine kleine Truppe des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg und etwa 10.000 Mann Kaiserliche unter Karl von Lothringen. Diese bildeten den linken Flügel (entlang der Donau), dann schlossen die Sachsen an. Bayern, Franken und kaiserliche Reiter bildeten das Zentrum. Am rechten Flügel standen die Polen, die zumeist beritten waren und den weitesten Anmarschweg auf die Höhen des Wienerwaldes (hinter Ottakring bzw. Dornbach) hinter sich hatten. Durch die Weingärten von Hernals und Ottakring gelang am späten Nachmittag den polnischen Panzerreitern der Durchbruch, nachdem auch der rechte Flügel des osmanischen Heeres gegen Karl von Lothringen zusammengebrochen war. Es war die schlimmste Niederlage, die die Türken gegen die Kaiserlichen je erlitten hatten. Dieses Mal war Niederösterreich südlich der Donau Schauplatz der ärgsten Verwüstungen. Tausende Häuser waren abgebrannt und ohne Bewohner, weitere tausende hatten Bewohner, waren aber ruiniert, weitere tausende Häuser waren geplündert. Etwa 30.000 Menschen waren von den Tataren getötet worden. »Während dieses Feldzuges sollten 6000 ältere Leute, 11.200 Frauen, 13.800 Mädchen, 204 adelige Fräulein und 56.000 Kinder aus Niederösterreich und Ungarn in Gefangenschaft geführt worden sein.« (Karl Gutkas, Geschichte Niederösterreichs). Die Wiederbesiedlung erfolgte zunächst vor allem durch Menschen aus der Steiermark, dann aus Oberösterreich, Bayern, Tirol, Schwaben und aus vielen anderen Gebieten. Der Krainer Polyhistor Johann Weichard von Valvasor berichtet zum 18. Mai 1685, damals seien Leute aus der Gottschee durch Laibach gezogen, nach Österreich, »weil daselbst viel Grundstücke öde gelegen, und solches aus Mangel des Land-Volcks.« (Valvasor, Ehre, XI. Buch, 728 f.) Schwaben kamen vor allem in den Brucker Bezirk. Unter den Zuwanderern befand sich auch der Tiroler Maurermeister Jakob Prandtauer, der aus Stanz ins Tullnerfeld gelangte ; 1692 übersiedelte er nach St. Pölten. Der Krieg ging nun in Ungarn weiter. Noch im Herbst 1683 wurde Gran (Esztergom) erobert. 1685 folgte die wichtige Festung Neuhäusl (Nové Zámky). Erst 1686 fiel nach langer Belagerung und heftigem Widerstand Ofen (Buda), fast völlig zerstört. Jetzt rückte man nach Süden vor : 1687 siegte Karl von Lothringen bei Harsány in der Nähe von Mohács. Die Kaiserlichen konnten nun auch Siebenbürgen besetzen. Als Folge dieser Siegesserie verzichtete der ungarische Adel auf einem Reichstag zu Pressburg auf sein Widerstandsrecht und anerkannte die erbliche Thronfolge im Haus Habsburg. Auch Siebenbürgen wurde nun ein Teil des Habsburgerreiches, endgültig nach dem Tod des letzten Fürsten, Michael I. Apafi 1690. Jetzt erst waren die Habsburger überall erbliche Herrscher in ihren Königreichen ! 1688 eroberte der bayerische
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Kurfürst Max Emanuel Belgrad, kaiserliche und Reichstruppen drangen bis nach Niš, Widdin und Priština vor. Da begann der »Sonnenkönig«, Ludwig XIV., den Pfälzer Krieg, der mit schweren Verwüstungen in Heidelberg, Speyer usw. verbunden war. Dadurch wurde die Balkanfront geschwächt, Belgrad ging wieder verloren. Etwa 30.000 serbische Familien flüchteten in das weithin entvölkerte Südungarn (die spätere Vojvodina). Sie erhielten eine gewisse Autonomie. Durch den Sieg des Markgrafen Ludwig von Baden (des »Türkenlouis«) bei Slankamen 1691 stabilisierte sich die Lage wieder. Doch erst der entscheidende Sieg des Prinzen Eugen von Savoyen bei Zenta 1697 erzwang einen Friedensschluss, durch den ganz Ungarn, mit Ausnahme des Banates, aber auch die bisher türkisch besetzten Teile Kroatiens und Slawoniens, nun endgültig an den Kaiser fielen. 5.10 Bauernkriege Vom 15. bis ins 18. Jahrhundert dauert eine fast ununterbrochene Kette von bäuerlichen Widersetzlichkeiten gegen Abgaben- und Robotsteigerungen, gegen neue Steuern und neue Formen von Gerichtsverfahren. Sie wird überlagert von einigen großen und auch konzeptuell bemerkenswerten Aufständen wie 1478 in Kärnten, 1515 in Innerösterreich, 1525/26 in Tirol und Salzburg, 1573 im kroatisch-slowenischen Bereich, 1595/97 in Ober- und Niederösterreich, 1626 in Oberösterreich und 1635 in der Untersteiermark. Im Schwabenspiegel hatte es geheißen, dass die Bauern ihren Herren deshalb dienen sollten, weil diese jene schirmten. (»Wir sullen den Herren darumbe dienen, daz si uns schermen.«) Von diesem »Schirm« war nicht allzu viel zu spüren. Dazu kam die wachsende Unzufriedenheit mit der Kirche, deren häufig oft recht unzulänglichen Vertreter einer intensiveren Religiosität nicht genügen konnten. 5.10.1 Die wichtigsten Aufstände
Wir können hier nur auf größere Aufstandshandlungen hinweisen. Unter den frühen Aufständen war der in Kärnten – 1478 – wohl der bemerkenswerteste. Den Hintergrund boten die fast alljährlichen Türkeneinfälle und die absolute Hilflosigkeit sowohl der ständischen Aufgebote wie auch des Kaisers Friedrich III. dagegen. Außerdem ging es um eine Steuerforderung. Der Chronist und Pfarrer Jakob Unrest berichtete ausführlich, wenngleich wohl einseitig : Die Bauern wollten sich nach den Gewohnheiten der »treulosen Schweizer« halten. Nur zur Tarnung sagten sie, der Bund sei allein gegen die Türken gerichtet. Angeblich wollten sie die überkommene
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Feudalordnung stürzen : Sie wollten ihre »Bundherren« (die gewählten Anführer) zu obersten Richtern einsetzen, in jedem Gericht sollten vier Bauern als Richter walten. Auch die Einsetzung der Pfarrgeistlichkeit wollten sie übernehmen. Dann kamen die Türken, das Bauernheer verlief sich, der Rest wurde niedergemetzelt. Größeren Anteil nahm Kärnten erst wieder am innerösterreichischen (»windischen«) Bauernaufstand von 1515. Die Kärntner hatten ihr Zentrum im Mieß- und Lavanttal. Unter den Führern waren Leute aus dem Bergbau. Mit Ausnahme von Villach und Völkermarkt haben sich auch die Städte und Märkte angeschlossen. Sie wurden von den ständischen Truppen geschlagen. 1525 blieb Kärnten im Allgemeinen ruhig. In der Steiermark war der »windische Bauernaufstand« von 1515 die erste große Erhebung. In der Untersteiermark eroberten die Bauern unter anderem die Stadt Rann (Brežice) und schlugen bei Gonobitz (Slovenske Konjice) ein großes Lager auf. Georg von Herberstein schlug sie schließlich in mehreren Treffen. Danach folgten die üblichen Greueltaten, mit denen Bauernaufstände gerächt wurden. Das große Bauernkriegsjahr 1525 betraf in der Steiermark nur das obere Mur- und Ennstal, es handelte sich um aus dem Salzburgischen übergreifende Unruhen. Im Ennstal reichte die Bewegung ungefähr so weit, als Bergbau betrieben wurde – mit Zentren in Schladming, Aussee, Eisenerz. Massiv beteiligten sich die Untersteirer am Aufstand von 1573, der von Kroatien auf die slowenische Steiermark übergegriffen hatte. Hier ging es primär gegen einen brutalen und ausbeuterischen Grundherren, Franz (Ferencz) Tahy, Oberbefehlshaber der Grenze zwischen Drau und Plattensee. Nach erfolglosen Beschwerden bei Kaiser Maximilian II. (als König von Kroatien) vertrieben die Bauern 1572 Tahy, dann kam eine königliche Kommission, die die Beschwerden aufnehmen sollte. Im Winter 1573 brach der Aufstand los, er erfasste auch Kroatien südlich der Save, die Steiermark zwischen Save und Sotla und Unterkrain südlich der Save. Das bäuerliche Programm war offenbar von den Freiheiten der Grenzer beeinflusst : Man wollte keine Grundherren mehr, sondern nur eine kaiserliche Vertretung in Zagreb, die Verwaltung der dem bäuerlichen Handel hinderlichen Mautstationen sollten Bauern übernehmen. Gegen die Bauern wurden adelige Aufgebote, aber auch die Grenzer mobilisiert. Bei Stubiške Toplice kam es zu einer richtigen Schlacht, in der etwa 3000 Aufständische getötet wurden. Der Anführer Ambrož (Matthias, Matija) Gubec wurde als »König und Kaiser der Bauern« mit einem glühenden Rindermaulkorb gekrönt, mit glühenden Zangen gezwickt und dann gevierteilt. Seinem Kollegen Ivan Pasanec blieb die »Krönung« erspart. Den Aufstand hatten nicht nur katholische Geistliche, sondern auch die Protestanten verurteilt – wie schon Luther den deutschen Bauernkrieg von 1525. Auch 1635 war die slowenische Untersteiermark Schauplatz eines Aufstandes.
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In den Jahren 1525/26 wurde Salzburg Schauplatz nicht nur der längsten, sondern auch der militärisch auffälligsten Auseinandersetzung dieser Jahre. Er begann als Aufstand der Gasteiner Gewerken gegen den Erzbischof, Kardinal Matthäus Lang (ein wichtiger Diplomat Maximilians I. und Ferdinands I.) Eher unter Druck schlossen sich ihnen die Bauern des Tales an. Gründliche organisatorische Vorbereitung, genügend Geld und die Kampfkraft der Knappen sorgten für rasche Erfolge. Die Stadt Salzburg öffnete den Aufständischen die Stadttore. Matthäus Lang zog sich auf die Festung Hohensalzburg zurück. Anfang Juli besiegten die aufständischen Salzburger den steirischen Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein bei Schladming – dieser selbst wurde gefangengenommen. Im August erschien das Heer des Schwäbischen Bundes vor Salzburg. Nach zwei Wochen wurde ein Waffenstillstand vermittelt, die Probleme wurden auf einen Landtag verwiesen. Der zweite Aufstand, 1526, war eigentlich eine Invasion von Tirolern, die unter Führung Michael Gaismairs Radstadt belagerten. Sie blieb erfolglos. Gaismair setzte sich über Rauris und die Tauern (Hochtor) nach Heiligenblut ab. Nun folgten Hinrichtungen, Brandschatzungen, neue Steuern – das gewohnte Bild nach niedergeschlagenen Aufständen. Nicht mit Unrecht fühlten sich die Bauern betrogen, denn die Führer und ebenso die den Aufstand von 1525 tragenden Gewerken hatten sich dem Strafgericht, das über jene hereinbrach, entziehen können. In Tirol kam es 1525 zum programmatisch bemerkenswertesten Bauernkrieg. Schon im Februar und März protestierten Schwazer Bergknappen gegen Teuerungen. Erzherzog Ferdinand konnte sie beruhigen. Im Mai brach der Aufstand in Brixen los. Geistliche Landesherren standen in diesen Zeiten häufig im Mittelpunkt der Kritik. Sehr rasch trat der bischöfliche Sekretär Michael Gaismair als führender Kopf des Aufstandes hervor. Ende Mai formulierten die Südtiroler in Meran ihre Forderungen. Diese »Meraner Artikel« sind neben den oberschwäbischen »Zwölf Artikeln«, den »24 Artikeln gemeiner Landschaft Salzburg« und Gaismairs später formulierter »Landesordnung« die bemerkenswertesten programmatischen Forderungen dieses Jahres. Mitte Juni trat ein Landtag in Innsbruck zusammen, ohne Geistlichkeit und mit starker Beteiligung von Landgemeinden und Städten. Gaismair wurde verhaftet, konnte aber entfliehen. Er hat wohl im Schweizer Exil seine revolutionäre Landesordnung formuliert. Ein neuer Aufstandsversuch scheiterte 1526. Gaismair zog mit seinem Anhang weiter ins Salzburgische und kämpfte hier im Sommer vor Radstadt. Nach der Niederlage entkam er über die Pässe nach Süden und trat in den Dienst der Republik Venedig. 1532 fiel er einem Mordanschlag, hinter dem die Innsbrucker Regierung stand, zum Opfer. In Tirol selbst war es seit 1525 relativ ruhig. Die Landesordnung von 1526 kam den bäuerlichen Wünschen weit entgegen, und selbst die schärfere neue Landesordnung von 1532 unterdrückte die Bauern nicht völlig.
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In Oberösterreich fand der erste überregionale Bauernaufstand 1595/97 statt. Dabei gab es nur eine einzige militärische Auseinandersetzung (am 13. November 1595), bei der das adelig-ständische Aufgebot eine Niederlage erlitt. Dann verlegte man sich aufs Verhandeln. Das wichtigste Ergebnis war eine Interims-Resolution Kaiser Rudolfs II. am 6. Mai 1597, die eine Begrenzung der Robot auf 14 Tage pro Jahr zugestand. Dieses »Interimale« galt übrigens bis zum Jahre 1848. Der in jeder Hinsicht größte Bauernkrieg auf dem Gebiete des heutigen Österreich fand wieder in Oberösterreich im Jahre 1626 statt. Das Land war bis zum Dreißigjährigen Krieg weithin protestantisch geblieben. 1620 wurde das Land an den Herzog Maximilian von Bayern verpfändet, dem Führer der katholischen Liga im Reich, zur Deckung von dessen Kriegskosten im böhmischen Feldzug. 1624 befahl der »richtige« Landesherr, Ferdinand II., den Bayern, die Gegenreformation durchzuziehen. Die Vertreibung eines katholischen Pfarrers nützte der Statthalter Graf Herberstorff zu einer exemplarischen Strafaktion, dem sogenannten »Frankenburger Würfelspiel«. 16 Bauern aus dem Kreis der »Rädelsführer« (Richter, Räte, Pfarrausschüsse, Zechpröpste) wurden gehängt. Daraufhin wurde eine umfängliche Verschwörung ins Werk gesetzt. Der Aufstand brach am 13. Mai 1626 etwas verfrüht aus. Am 21. Mai stieß Herberstorff mit den Bauern bei Peuerbach zusammen und unterlag. Nun ergriff der Aufstand unter Stephan Fadinger und Christoph Zeller das ganze Land. Gegen Ende Juni begannen die Bauern mit der Belagerung von Linz. Dabei wurde ihr populärer Führer Fadinger so schwer verwundet, dass er bald darauf starb. Die Belagerung blieb erfolglos. Dennoch schlugen die Bauern zwei bayerische Heeresgruppen, die im September ins Land einrücken wollten. Schließlich traf Anfang November Gottfried Freiherr von Pappenheim ein, dessen Kürassiere die Bauern endgültig besiegten. Leicht hatten sie es dabei nicht. Zum Unterschied von (fast) allen Bauernkriegen liefen die Oberösterreicher nicht einmal vor den gefürchteten Eisenreitern davon und lieferten ihnen noch drei Schlachten. Mindestens 12.000 Bauern fielen im Kampf, viele weitere wurden auch hier Opfer der nun einsetzenden Verfolgungen. Trotz dieser Katastrophe kam es in den 1630er Jahren noch einmal zu zwei kleineren Erhebungen eher radikal-religiösen Inhalts. In Niederösterreich brach der größte Bauernkrieg im Spätherbst 1596 aus. Neben zahlreichen Beschwerden gegen die Grundherren steht der Krieg (der »lange Türkenkrieg«, 1593–1606) im Vordergrund, der zahllose neue Steuern gebracht hatte. Führer waren fast ausschließlich nichtbäuerliche Leute, ein Binder, ein Schneider, ein Wirt oder ein Schulmeister. Es gab wenig zielgerichtetes Handeln seitens der Bauern, anfangs aber ebenso wenige zielgerichtete Gegenwirkungen. Eine Söldnertruppe unter Wenzel Morakshy von Noskau »befriedete« erst im Februar 1597 das Waldviertel, anschließend auch das Viertel ober dem Wienerwald, wo die Bauern Ybbs eingenommen und am
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5. April sogar begonnen hatten, St. Pölten zu belagern. Sie wurden jedoch schon am 6. April zerstreut. Damit war der Aufstand zu Ende, das übliche Strafgericht folgte. 5.10.2 Die Bauern und ihre Feinde
Bevorzugte Feindfiguren der bäuerlichen Beschwerden waren im Spätmittelalter zunächst einmal die geistlichen Grundherren und Landesfürsten. Das konnte bis zur Forderung nach dem Ende der geistlichen Fürstentümer (Brixen und Salzburg 1525) gehen. Im Zuge der Gegenreformation haben evangelisch gesonnene Bauern immer wieder neu eingesetzte katholische Pfarrer vertrieben. Neben den geistlichen werden zunehmend auch die weltlichen Grundherren, der Adel, kritisiert. Steht zunächst (in Kärnten 1478) seine Unfähigkeit zum Landesschutz im Vordergrund, so treten im 16. Jahrhundert immer öfter Beschwerden über steigende Robotforderungen und Todfallabgaben in den Beschwerden auf. »Wenn unsereiner stirbt und mit Tod abgeht, so ist die Herrschaft gleich da und greift uns in unsere Häuser, sie nimmt Vieh, Getreide, Fleisch und alles, was sie findet (…)«, klagten die slowenischen Bauern zu Gonobitz (lovenske Konjice) 1515. Ein bestimmter Typ von Herren tritt besonders hervor : Pfandherren und Pfleger. Die ersteren versuchten, ihre dem Landesfürsten vorgestreckten Darlehen durch Ausbeutung der Untertanen der ihnen als Pfand übergebenen Herrschaften hereinzubringen ; später wurden sie auch oft selbst Herrschaftsbesitzer. Die Pfleger waren Herrschaftsverwalter mit allen Vollmachten. Ihre Ausbeutungstechniken führten dazu, dass sie bald reich wurden, Häuser und Schlösser kauften. Das behaupteten die niederösterreichischen Bauern im Jahre 1596. Praktisch niemals war der Landesfürst selbst Gegenstand der bäuerlichen Ablehnung, mit Ausnahme der geistlichen Landesfürsten von Brixen und Salzburg 1525. Im Gegenteil : Der Landesherr, häufig zugleich der Kaiser, war immer der »gute« Herr, nur umgeben von »bösen« Räten. Daher beobachten wir eine Kette von bis ins 19. Jahrhundert fast ununterbrochenen Versuchen, die ländlichen Beschwerden direkt an den kaiserlichen Thron gelangen zu lassen. Die Hoffnungen und Erwartungen, die man in kaiserliche Audienzen setzte, waren auch dadurch nicht zu erschüttern, dass eine echte Unterstützung der bäuerlichen Anliegen kaum je erfolgte. Der Ablauf der Aufstände folgte meist einem gewissen Schema. Die Bauern rotteten sich, durch Glockengeläute oder »Ansagen« (= Aufgebot durch Boten von Haus zu Haus) gerufen, zusammen. Häufig folgte man dabei militärischen Organisationsmustern, mit denen die Landbevölkerung seit Hussiten- und Türkenkriegen vertraut war. Dabei treten lokale Führungskräfte wie Richter, Zechpröpste und Hauptleute hervor. In kurzer Zeit erscheinen neben diesen lokalen bäuerlichen Honoratioren überlokale
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Führer, häufig nichtbäuerlichen Standes : der bischöfliche Sekretär und Abkömmling einer Sterzinger Gewerkenfamilie Michael Gaismair in Tirol, Gewerken in Gastein, in Niederösterreich Handwerker und Wirte. Auch Großbauern oder Bauern-Händler wie Stefan Fadinger in Oberösterreich bilden in der ländlichen Sozialhierarchie die überlokal informierte und interessierte Ausnahme. Je »bürgerlicher« diese Führer waren (wie Gaismair oder die Salzburger Gewerken), desto eher gelang mittel- oder langfristige Planung und Organisation. Planungserfolge und programmatische Aussagen wie militärische Durchschlagskraft sind nur bei Gaismair, bei den Salzburgern 1525 und bei den Oberösterreichern 1626 feststellbar. Ansonsten bleibt das Vorgehen der Aufständischen, abgesehen vom raschen, plündernden oder rächenden Zugriff auf Klöster und Adelssitze, oft unentschlossen und in den Zielsetzungen unbestimmt. Die ersten Gegenwirkungen der Obrigkeit waren es ebenfalls. Noch fehlte ja das Gewaltmonopol des Fürsten. Beruhigende Abgesandte treten auf, wie der Reichsherold Rudolfs II. im Dezember 1596 in Niederösterreich. Kommissionen werden von Fürsten oder Ständen eingesetzt, die sich mit den Aufständischen treffen, Beschwerden sammeln und Abhilfe versprechen sollten. In Ländern mit Teilnahmeberechtigung für die ländlichen Gerichte an den Landtagen konnte man die Verhandlungsphase gleich zu einer weitgehenden Beruhigung nützen, wie in Tirol 1525. Wenn die Söldner eintrafen, rotteten sich die Bauern erneut zusammen – meist allerdings nur, um nun ihre endgültige Niederlage zu erleiden. Die letzte Phase bedeutete unweigerlich das nun einsetzende Strafgericht. Es bedeutete Hinrichtungen, oft durch vorausgehende Verstümmelungen verschärft, Zerstörung der Häuser, Plünderung des bäuerlichen Besitzes, Abstiftung, Übertragung einzelner Bauern und ihrer Familien in die Leibeigenschaft von Söldnerführern, als leichtere Strafe schließlich der Verlust von Ohren oder Nasen, die Verurteilung zur Zwangsarbeit bei den Stadtbefestigungen von Wien oder Raab (Györ) und nicht zuletzt schwere Geldstrafen. 5.10.3 Die Forderungen der Bauern
Fragt man nach den Zielsetzungen, so war schon der erste große Bauernkrieg, der Kärntner von 1478, wenn Unrest uns nicht völlig falsch informiert hat, fast so radikal wie Gaismairs Entwurf einer Bauernrepublik. Türkenbekämpfung, Übernahme der Gerichtsbarkeit, Herrschaft über die Geistlichkeit – das hätte eine völlige Ersetzung der überkommenen feudalen Ordnung durch den Bauernbund bedeutet. Die Bauern wären direkt unter dem Kaiser selbst zum »Land«, zum politisch berechtigten Landvolk, geworden. Programmatisch am fruchtbarsten waren die Aufstände von 1525/26. Die berühmten »Zwölf Artikel« des Memminger Kürschnergesellen Sebastian Lotzer für
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die oberschwäbischen Bauern verbreiteten sich schnell und weit. Sie forderten (etwas verkürzt) das Pfarrerwahlrecht, Besoldung des Pfarrers durch den Zehenten, Abschaffung der Leibeigenschaft, Jagdrecht, Rückgabe von Gemeindeweide und -wald an die Gemeinden, Rückführung der Dienste und Abgaben auf alte Gewohnheiten, Reduktion der (Geld-) Strafen, Abschaffung der Todfallsabgaben. Basis einer Neuordnung der Gesellschaft sollte die Heilige Schrift sein. – Einen ganz anderen Charakter als die Zwölf Artikel haben die Meraner Artikel vom Mai 1525. Zwar nahmen auch hier religiöse Probleme breiten Raum ein, daneben befassen sich aber auch zentrale Forderungen mit der Gestaltung der Staatlichkeit (Abschaffung der weltlichen Obrigkeit aller Geistlichen, Auslösung aller Pfandschaften und Verbot von Neuverpfändungen ohne Wissen der Stände, Besoldung der Richter und kurzer Instanzenzug, Abschaffung aller Freiungen und privilegierten Gerichtsstände). Ferner wurde die Abschaffung der Bettelmönche gefordert und die Einrichtung von Armenspitälern in allen Pfarrgemeinden, die aus dem Überschuss des Zehents erhalten werden sollten. Heftig wird auch über die großen oberdeutschen Handelshäuser geklagt, ferner über den »Fürkauf« (= Aufkauf landwirtschaftlicher Produkte beim Bauern, was die Marktbelieferung reduzierte und damit die Preise ansteigen ließ) und über die Machinationen ausländischer Hausierer (Savoyer). Weit über alle anderen Forderungen ging schließlich Gaismairs »Tiroler Landesordnung«, verfasst wohl im Schweizer Exil, hinaus. Gaismairs Entwurf war der einzige republikanische – kein Landesfürst sollte an der Spitze Tirols stehen, sondern eine Regierung aus den Gesandten der Landesviertel, die ihrerseits wieder von den Gerichten gewählt werden sollten. Die Rechtgläubigkeit der Regierungshandlungen sollte von Gelehrten der einzigen Universität in Brixen überprüft werden (Gaismair stand vermutlich unter dem Einfluss radikal-reformatorischer Gruppen, wohl von Wiedertäufern). Tirol sollte ein Agrarland werden : Die Mauern der Städte sollten geschleift, das gesamte Handwerk in Trient konzentriert werden, die Bergwerke verstaatlicht. Eine Regulierung der Etsch sollte die Getreideproduktion steigern und das Land unabhängiger von Einfuhren machen. Ausführlich machte sich Gaismair auch Gedanken über die Armenpflege. Gaismairs Programm ist der konsequenteste Versuch im österreichischen Raum, evangelische Gleichheitsforderungen, wie sie im Zuge der radikalen Reformation oder »Volksreformation« (etwa auch bei Thomas Müntzer) auftauchten, in politische Praxis umzusetzen. Träger dieser »christlichen« Gesellschaftsordnung sollten Bauern und Bergknappen sein. Vorstellungen einer Übernahme der Rolle der Landstände durch den Bauernbund existierten auch im slowenisch-kroatischen Aufstand von 1573. Entsprechend der großen Rolle des bäuerlichen Handels in diesem Raum wurden Forderungen nach Herabsetzung neuer Zölle und Öffnung der Straßen vom Meer bis ins Binnenland für den bäuerlichen Handel laut.
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Ganz anders der große oberösterreichische Bauernkrieg von 1626. Infolge seines »patriotischen« Charakters – die Bauern richteten ihren Hass praktisch ausschließlich gegen die Bayern und sollen dem Kaiser sogar angeboten haben, das Land aus der bayerischen Pfandschaft auszulösen – steht er eher in einer Linie mit dem bayerischen Aufstand von 1704 gegen die damalige österreichische Besatzung oder mit dem Tiroler Aufstand von 1809. Zwar hatte die gewaltsame Durchführung der Gegenreformation den Aufstand ausgelöst, aber im Vordergrund stand der Ruf : »Von Bayerns Joch und Tyrannei mach uns, o lieber Herrgott, frei !« Auch eine Vertretung im Landtag wurde gefordert – anstelle der Prälaten. Dagegen betonten die Bauern, dass sie niemals die völlige Abschaffung der Untertänigkeit gefordert hätten. Damit lässt aber auch der letzte landesweite Bauernkrieg gewisse Wünsche erkennen, die offenbar seit 1478 immer wieder geäußert wurden und die man als Forderung nach Anerkennung der Bauern als politischer Stand zusammenfassen kann. 5.10.4 Ursachen des Scheiterns
Aber Bauern und Adel standen sich stets als Gegner gegenüber. Selbst in den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Reformation und Gegenreformation, als große Teile des Adels und der Bauernschaft auf derselben Seite standen, kam es zu keiner Koalition. Zwar wünschten die Stände, also die adeligen und geistlichen Grundherren, keine Stärkung der landesfürstlichen Macht. Andererseits konnten sie unmöglich den Forderungen der Bauern nach dem Abbau traditioneller Obrigkeiten und nach der Reduktion von Abgaben zustimmen, weil dies ihre eigene soziale Position in Frage gestellt hätte. Damit verzichtete der Adel auf die Bundesgenossenschaft der Bauern im Kampf mit dem anwachsenden Zentralismus und Absolutismus. Er war, im Gegenteil, zur selben Zeit darauf angewiesen, dass Steuern eingingen, dass damit Söldner bezahlt wurden und dass auf diese Weise die Herrschaftsstellung von Adel und Prälaten auf dem Lande gesichert wurde. Damit wurden die Grundherren freilich erst endgültig zu »privilegierten«, durch die Gnade des Landesfürsten bevorzugten Gruppen, zu Feudalherren nicht mehr kraft eigenen Rechts, sondern durch die militärische Überlegenheit der Landsknechtsspieße. Nicht einmal bei der letzten großen Auseinandersetzung dieser Art, dem oberösterreichischen Bauernkrieg von 1626, ging der Adel, von einigen wenigen Randfiguren abgesehen, mit den Bauern. Wachsendes Selbstbewusstsein der Bauern traf zunächst mit der Krise von Kirche, Feudalherren und Territorialstaat im 15. Jahrhundert zusammen. Die Konsolidierung der Grundherrschaft ebenso wie die Konsolidierung des Territorialstaates im 16. Jahrhun-
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dert oder der Kirche in der Gegenreformation erzeugten ein Spannungsfeld, das bis zur endgültigen Festigung des Obrigkeitsstaates, ja bis 1848 weiter wirkte. Besonders stark war diese Spannung in den ersten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, als der spätfeudale Ständestaat des 15. Jahrhunderts nicht mehr und der früh-absolutistische Staat noch nicht funktionierte, der Zwangsapparat des Fürsten noch unausgebildet war und die alte Kirche als loyalitätsbildende Kraft ausfiel. Freilich hatte auch der »gemeine Mann« in dieser Situation nur sehr unklare Vorstellungen über einen alternativen »dritten Weg« zwischen feudaler Ständemacht und Absolutismus. Unscharf werden Konturen sichtbar, die dieser dritte Weg hätte haben können : Vertretung des »gemeinen Mannes« in den Ständen, vereinzelt vollkommener Übergang der ständischen Agenden an die »Landschaft« der gemeinen Leute, Kontrolle des fürstlichen »Rates« (also der entstehenden Bürokratie) bzw. seine Rekrutierung aus der Landschaft. Soweit diese Vorstellungen über die üblichen und althergebrachten Denkfiguren des guten alten Rechtes hinausgingen, sind sie zweifellos der befreienden Wirkung der Reformation zu verdanken, die nun, unter Rekurs auf das Evangelium, auch einen völligen Neuaufbau der Gesellschaft zur Denkmöglichkeit werden ließ. Dafür bleibt Gaismairs »Landesordnung« das hervorragendste Beispiel. 5.11 Blüte und Krise: Bergbau, Eisenwirtschaft, Weinbau, Handel Die Alpen sind, so stellt der deutsche Geograph Werner Bätzing fest, im Hinblick auf Bodenschätze »reich an armen Vorkommen«. Tatsächlich waren die Blütezeiten des Edelmetallbergbaues überall nur kurz. Nachhaltiger war der Abbau zweier anderer Bodenschätze : Salz und Eisen. 5.11.1 Edle Metalle: Gold, Silber, Kupfer
Der Edelmetallbergbau setzte in den Ostalpen vereinzelt schon im Hochmittelalter ein. Die Sage von den übermütigen und gewalttätigen Knappen, die die Söhne der heiligen Hemma in Kärnten töteten, berichtet keine »Tatsachen«, aber sie reicht mindestens bis ins Spätmittelalter zurück. Die Hochkonjunktur des Edelmetallbergbaues beginnt im Spätmittelalter und endet um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Gold wurde in den Seitentälern der Hohen Tauern gewonnen, im Gasteiner und Rauriser Tal, aber auch in den nach Süden streichenden Tälern. Vorübergehend war der größte Goldbergbau im Lavanttal mit dem Zentrum St. Leonhard (heute Bad St. Leonhard) zu finden. Eine größere Bedeutung als Gold erreichte der Silberbergbau. Eine frühe Abbaustätte war Oberzeiring in den Niederen Tauern, in der Steiermark. Seit der Mitte
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des 15. Jahrhunderts übertraf Schwaz in Tirol an Bedeutung alle anderen Silbervorkommen. Da Silber und Kupfer häufig zusammen vorkommen, wurde auch Kupfer in großer Menge gewonnen. Schwaz war um 1500 mit etwa 15.000 Einwohnern die zweitgrößte Siedlung im heutigen Österreich, eine ungewöhnliche Bevölkerungskonzentration, die noch dazu in sehr kurzer Zeit entstanden war. Der Schwazer Bergbau mit seinen schwierigen Bedingungen des Abbaues in großer Tiefe, der ständigen Notwendigkeit, Wasser auszupumpen, und der schwierigen Bringung der abgebauten Erze erforderte kühne technische Neuerungen. Zuerst mit Hilfe von Göpeln, später mit Hilfe von großen Wasserrädern wurden sowohl Pumpenanlagen wie die Emporhebung der Erze mit relativ geringem Personalaufwand möglich. Das »Schwazer Bergbuch« aus dem 16. Jahrhundert überliefert diese für die Zeit bewundernswerten, im Betrieb freilich anfälligen und aufwendigen Anlagen. Dennoch sank die Ausbeute ab der Mitte des 16. Jahrhunderts rasch. Das Silber aus Südamerika war billiger, der Abbau rentierte sich immer weniger, außerdem erschöpften sich die Erzvorräte. Die große Zeit von Schwaz ging zu Ende. 5.11.2 Salinen und Salzmonopol
Die Habsburger verfügten über drei reiche Salzvorkommen : im tirolischen Hall, im obderennsischen Salzkammergut in Hallstatt sowie im steirischen Salzkammergut in Aussee. Die wichtigste Konkurrenz bildete die erzbischöfliche Saline Hallein in Salzburg, daneben spielte auch das bayerische Reichenhall eine Rolle. Die Politik der Habsburger ging im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit konsequent dahin, ihren Salinen den Absatz in den eigenen Ländern zu sichern. Schon 1398 hatten die Habsburgerherzöge Wilhelm und Albrecht IV. Österreich südlich der Donau für das Halleiner Salz gesperrt, nur mehr nördlich der Donau durfte das Salzburger Salz verkauft werden. Maximilian I. sperrte die beiden Donauländer für das Halleiner Salz zur Gänze. Nach Böhmen – damals noch nicht habsburgisch ! – durfte Salzburg weiterhin liefern. Diesen wichtigen Markt sperrten erst Maximilian II. und Rudolf II. für Hallein und öffneten ihn für »ihr« Salz aus dem Salzkammergut. Das Salzburger Salz konnte nur mehr nach Westen abgesetzt werden. Der Erzbischof musste mit den bayerischen Fürsten Verträge über die Abnahme »seines« Salzes abschließen, welches dann von bayerischen Händlern weiter donauaufwärts verkauft wurde. Seit 1563 befanden sich alle Salinen in habsburgischen Territorien direkt in Staatshand. Früheren Berechtigten (etwa den Mönchen von Admont und St. Lambrecht und diversen Lehensinhabern) wurden ihre Rechte abgelöst. Die Produktion erfolgte ausschließlich unter der Ägide des Salzamtes. Auch der Absatz wurde 1632 staatlichen Organen übertragen. Denn für die fürstlichen Finanzen hatte das Salzmonopol
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eine enorme Bedeutung. Noch 1770 bedeckte es 14 % der gesamten ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen des Staates. Vor der theresianischen Steuerreform war dieser Anteil wohl noch höher. Im »Salzkammergut« hat sich die besondere Organisationsform dieser Monopolwirtschaft als Name einer ganzen Region begrifflich bis heute erhalten. Die weitgehende Eingliederung eines ganzen Landstriches in die Organisation dieses Betriebes mit stark bürokratisch-unternehmerischem Charakter ließ es fast als eigenen »Kammerstaat« erscheinen. Dieser wurde erst unter Maria Theresia und Joseph II. seiner Sonderstellung entkleidet. Dem Ausseer Salz blieb Innerösterreich bis zur Drau vorbehalten – die alte Diözesangrenze zwischen Salzburg und Aquileja wurde auch zur Salzgrenze. Das Meersalz, von slowenischen Bauernhändlern aus meist venezianischem Gebiet gebracht, war aber häufig billiger und wurde daher auch über die Drau geschmuggelt. Die stark überhöhten Preise für das Ausseer Salz belasteten die steirischen und Kärnter Bauern sehr. Proteste dagegen wurden häufig laut, sie spielten auch in diversen Bauernaufständen eine Rolle. 5.11.3 Eisen auf immerdar
Der steirische Erzberg bietet eine der wenigen Ausnahmen von der Bätzing’schen Regel : Er bietet ein bis in die Gegenwart und noch in absehbarer Zukunft ergiebiges Vorkommen. Damit bestätigt er bis heute die Gründungssage, nach der ein gefangener Wassermann als Lösegeld entweder Gold auf zehn, Silber auf hundert Jahre oder »Eisen auf immerdar« versprach. Die klugen Steirer wählten das Letztere. – Hier blieb es lange beim Privatbesitz der Gruben, allerdings bei allmählich immer stärkerer landesfürstlicher Kontrolle. Als eine 1581 gegründete Eisenhandelsgesellschaft zu Steyr, die schon unter erhöhtem landesfürstlichem Einfluss stand, im Zuge der Gegenreformation zerbrach und der »Verlag« des Eisenwesens nicht mehr gesichert erschien, wurde 1625 für den Bereich nördlich des steirischen Erzberges die »Innerberger Hauptgewerkschaft« unter massiver Kontrolle des landesfürstlichen Kammergrafenamtes gegründet. In ihr wurden die drei »Hauptglieder« des Eisenwesens, nämlich die Innerberger (= Eisenerzer) Gewerken (Radmeister), die Hammermeister, welche das Roheisen zu Halbfabrikaten weiterverarbeiteten, und die Händler, die zugleich den Verlag für den Erzberg, die Hämmer und die endverarbeitenden Schmiede besorgten, in einem ebenso großen wie komplexen Konzern zusammengefasst. Die Gewerken und Hammermeister wurden zu Teilhabern. Aus diesen Schichten kamen nun auch die »Offiziere«, die leitenden Beamten der neuen Gesellschaft. Als sich herausstellte, dass auch in der neuen Konstruktion die Abhängigkeit von den (Steyrer) Eisenhändlern bestehen blieb und dass diese hohe Gewinne lukrierten, während die Gesamtgewerk-
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schaft Verluste schrieb, wurde eine neuerliche Reorganisation fällig (1669), in deren Verlauf die Gewerkschaft dem Kammergrafenamt völlig unterstellt und damit zum quasi-öffentlichen, staatlich gelenkten und kontrollierten Konzern wurde. Hintergrund der Gewerkschaftsgründung war ein eigentümliches Motivengemisch : Der Wunsch nach Nahrungssicherung für alle Beteiligten (Radmeister, Hammermeister, Händler) wurde mit dem Versuch kombiniert, der Absatzkrise zu begegnen (was freilich nicht gelang) ; dazu kamen Tendenzen frühmerkantilistischer Art, etwa die Förderung der Erzeugung von Finalprodukten gegenüber dem Export von Stahl oder Halbfabrikaten (was ebenfalls nicht gelang). Denn ein beträchtlicher Teil des besten Stahls wurde als Halbzeug nach Oberdeutschland (Nürnberg) exportiert und dort weiterverarbeitet. Nur bestimmte Produkte aus den habsburgischen Erblanden eroberten ihre eigenen Exportmärkte – etwa die berühmten »blauen Sensen« aus Kirchdorf an der Krems im südlichen Oberösterreich. Die Sensenhämmer haben sich überhaupt in diesem ganzen voralpinen Bereich des Landes ob der Enns ausgebreitet, sodass hier eine dichte Eisengewerbelandschaft entstand. Die Innerberger Hauptgewerkschaft beschäftigte im Jahre 1678 2624 Personen. Davon waren nur 153 Bergknappen. Die Radwerks- und Rechenwirtschaft (Holzbesorgung) beschäftigte 824 Arbeiter, die Hammerwerkswirtschaft 973 und die Köhlerei 800. Erzabbau und -aufbereitung spielten also eine wesentlich geringere Rolle als Verhüttung, Weiterverarbeitung und Beschaffung von Holz und Holzkohle. Den Höhepunkt des Eisenabsatzes erreichte das Innerberger Eisen zwischen 1560 und 1570. Dann ging es rasch bergab. Um 1620 wurde kaum ein Drittel der Mengen des 16. Jahrhunderts produziert, pendelte sich dann auf etwa der Hälfte ein und erreichte im 18. Jahrhundert wieder etwa drei Viertel der Produktion des 16. Jahrhunderts. Diese Menge wurde erst nach 1830 wieder übertroffen. Besser ging es auf der Vordernberger Seite des Erzberges, die ihr Eisen hauptsächlich in die mittlere und untere Steiermark absetzte. Im 18. Jahrhundert produzierte Vordernberg mehr als Innerberg. Hier wuchs auch die Bevölkerung, während sie im Land unter der Enns im 17. Jahrhundert schrumpfte. Der Niedergang des Innerberger Eisenwesens betraf weniger den Stahl als vielmehr Weicheisen, also jene Sorten, die als Fassreifen, Wagenreifen, Pflugbleche oder Wagenachsen primär in der Landwirtschaft gebraucht wurden. Der Absatz dieser Sorten, die vielfach aus »Provianteisen« geschmiedet wurden, das als Gegengeschäft für den aus dem (meist) niederösterreichischen Alpenvorland bis zur Donau stammenden Proviant (Getreide, Butterschmalz u.a.) im Umkreis der »drei Märkte« Gresten, Scheibbs und Purgstall verarbeitet wurde, ging im 17. Jahrhundert sehr stark zurück. Da dieses Eisen primär in Niederösterreich verkauft wurde, muss man mit einer erheblich gesunkenen Kaufkraft der ländlichen Bevölkerung rechnen – ob die überwiegend auf Kriegseinflüsse oder die gesunkenen Lebensmittelpreise zurückzuführen ist, muss offen bleiben.
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Das wichtigste Zentrum des Eisenhandels und der Verarbeitung nördlich der Alpen war Steyr. 1598 hatte die Eisenstadt fast 9000 Einwohner. Nun setzte die erwähnte Stockung im Absatz ein, die um 1620 in eine schwere Depression überging. Verschärfend wirkte sich die Gegenreformation aus. 1626 wanderten im Zug der Gegenreformation hauptsächlich reichere Handelsleute, 1627 aber auch weniger bemittelte Gruppierungen, besonders Messerer und andere eisenverarbeitende Handwerker aus. Der Abzug des Kapitals der Eisenhändler brachte weitere Probleme, da jetzt niemand mehr den Verlag (= Vorstreckung von Geld und Rohstoffen) leisten konnte. In der Folge standen zahlreiche Häuser leer und fanden keine Käufer. Noch nach dem Dreißigjährigen Krieg waren fast 50 Prozent der insgesamt etwa 600 Häuser von der Steuer befreit – teils als »Freihäuser« (mit adeligen Besitzern), teils als Baulichkeiten der Geistlichkeit, teils weil sie unbewohnt, verfallen oder von armen Leuten bewohnt waren. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts belebte sich die Situation wieder etwas ; es siedelten sich jetzt einige Rüstungsbetriebe an. Um 1700 soll Steyr wieder etwa 7000 Einwohner gehabt haben. Die Holzversorgung für Salinen und Eisengewinnung erforderte ein kompliziertes System von Sicherungen (»Widmungen«) großer Wälder. In gleicher Weise sollte die Nahrungsmittelversorgung der Eisen- und Salzbezirke durch solche »Widmungen« sichergestellt werden : Aus Widmungsbezirken war die Nahrungsmittelausfuhr nur in die Montangebiete erlaubt. In der sogenannten »Eisenwurzen« Ober- und Niederösterreichs wurden die Lebensmittel zum Teil mit Eisen bezahlt (»Provianteisen«), was in den »Proviantmärkten« des südwestlichen Niederösterreich (Scheibbs, Gresten, Purgstall) die Grundlage für die dortige Kleineisenindustrie schuf. 5.11.4 Quecksilber
Ebenfalls staatlich in Abbau und (schließlich auch) Vertrieb wurde die Quecksilbergewinnung und -vermarktung. Dieses flüssige Metall wurde in Idria (Idrija, Slowenien) gewonnen, in einem Bergwerk, das erst seit 1493 ausgebeutet wurde und 1508/09 aus venezianischem in habsburgischen Besitz gelangte. Das Quecksilber wurde nicht nur für medizinische und gewerbliche Zwecke gebraucht. Die größte Menge brauchte man in Südamerika – die Erze des großen Silberbergwerkes Potosi wurden mit Hilfe von Quecksilber aufgeschlossen. 1575 erwarb der Landesfürst die Anteile der verschiedenen meist bürgerlichen Gewerken. Erst 1659 wurde der Handel verstaatlicht : Bis dahin bot der daraus erfließende Gewinn den Appaltoren, den Pächtern des Handelsmonopols, reiche Gewinnchancen. Der Quecksilberbergbau von Idrija beschäftigte um 1575 etwa 150, um 1600 etwa 200, 1629 274, um 1645 360 bis 400 Arbeitskräfte. Die Zahl fiel in der folgenden
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Flaute auf 280 bis 300. Auch hier bildeten die eigentlichen Knappen oder Häuer nur eine vergleichsweise kleine Minderheit, neben der vor allem die Fachleute für die In standhaltung der komplizierten Entwässerungs- und Belüftungsanlagen (»Kunststeiger«), die Arbeiter an den Wehr- und Rechenanlagen, die Holzknechte und die Arbeitskräfte für das Waschen und Sortieren des Erzes ins Gewicht fallen. Hier wie auch in Innerberg wurde die Spitze der Sozialpyramide von leitenden Beamten gestellt, die zwar einerseits Amtsträger des Landesfürsten waren, andererseits aber selbst Unternehmerfunktionen wahrnahmen (»Verweser«). Daneben standen ein Bergrichter und einige Schreiber. Darunter und über den Arbeitern die Vorarbeiter (Hutleute). Da das Quecksilber sehr giftig ist, zog der Abbau des teuren Metalls erhebliche Umweltschäden und gesundheitliche Probleme für Mensch und Tier mit sich. Das Brennen des Quecksilbers sollte daher nur im Winter erfolgen, da sich im Sommer die giftigen Abgase (der »Hüttrauch«) auf Wiesen und Feldern ablagerten, sodass die Kühe nur mehr rote Milch gaben. 5.11.5 Die Landwirtschaft
Zumeist wurde die Landwirtschaft traditionell geführt – Dreifelderwirtschaft mit einjähriger Brache alle drei Jahre. Auch die erzeugten Güter blieben durch lange Zeit dieselben. Roggen, Gerste, Hafer, Weizen, wenn der Boden und das Klima das erlaubten. Im Land unter der Enns, aber auch in der Untersteiermark, in Unterkrain und im Küstenland spielte der Weinbau eine große Rolle. Adel und höfische Gesellschaft verbrauchten erstaunliche Mengen, bis ins 16. Jahrhundert wurde auch viel exportiert. Schon im Spätmittelalter hatte sich der Weinbau ausgebreitet. Er war ursprünglich ein ganz überwiegend städtischer Erwerbszweig. Damit verbreiteten sich auch neue Formen der Lohnarbeit. Teilweise ist ein Übergang zu Teilpacht bzw. Bestandbau zu beobachten. Der Export von Wein donauaufwärts betrug im 15. Jahrhundert ca. 100.000 hl pro Jahr, das war gegenüber dem 13. Jahrhundert (20.000 hl) eine Steigerung auf das Fünffache. Im 16. Jahrhundert dürften in Niederösterreich 41.000 ha als Weingärten bearbeitet worden sein, etwa 820.000 hl wurden produziert, davon 130.000 hl in Städten und Märkten (60.000 hl allein von Wiener Bürgern). Der Geldwert des niederösterreichischen Weinexportes war um 1600 sechsmal so groß wie der Wert des Eisenexportes ins Reich. Mengenmäßig wurde etwa gleich viel oder sogar mehr Wein aus Österreich (Erzherzogtum Österreich !) exportiert als über Köln oder Bordeaux umgeschlagen wurde. Auch andere Spezialkulturen breiteten sich aus : Flachs, Hopfen, Safran und Mohn, Senf und Raps, Waid und Krapp, Teiche wurden angelegt. Ein Höhepunkt dieser agrarischen Modernisierung war die Zeit um 1550/1570.
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Im 17. Jahrhundert zeigen alle Indikatoren in die entgegengesetzte Richtung : Der Weinexport verlor seine Dynamik. An die Stelle des Qualitätsweinbaues auf den Besitzungen von Stadtbürgern, Klöstern und Adelsgütern trat ein bäuerlicher Massenweinbau von geringerer Qualität – offenkundig wichen viele Bauern damit dem Getreidebau aus, der immer geringere Erlöse brachte. Auf Grund des Rückganges der Masseneinkommen war dieser oft in den Ebenen produzierte billigere Wein wohl auch leichter abzusetzen als der teurere »Gebirgswein« (aus den Weinbergen nächst den Städten und Märkten Wien, Perchtoldsdorf, Mödling, Baden, Langenlois, Krems und Retz). Die große Zeit des österreichischen Weinbaues und -exportes war vorüber. Da von den Städten keine wirtschaftliche Dynamik ausging, musste die Landbevölkerung eben andere Lösungen suchen. Neben dem Weinbau verlegte man sich auf verschiedene gewerbliche Tätigkeiten, vom Spinnen und Weben bis hin zum Fuhrwesen und zur Holzwirtschaft. Missernten waren an der Tagesordnung. Eine gewisse Linderung brachte die Verbreitung des »Haiden« (Buchweizen), der als Zweitfrucht das Missraten der Haupternten unter Umständen ein wenig ausgleichen konnte. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts taucht ein neues Getreide auf : Der »türkische Weizen« (grano turco), kurz »Türken« genannt, auch kuruza oder zu (österreichisch-) deutsch Kukurruz. Der Maisanbau rettete die Mittelmeerländer vor einer massiven Hungersnot. Über den Balkan kam er auch in die habsburgischen Länder, wo er sich freilich nur in den wärmeren Gebieten durchsetzen konnte. 5.11.6 Handel und Gewerbe
Mit Eisen-, Salz- und Weinhandel wurden bereits drei wichtige Handelssparten erwähnt. Von den Absatzmöglichkeiten dieser Sparten hingen Wohl und Wehe kleinerer und größerer Städte weithin ab. Die Länder der Habsburger waren aber auch in andere überregionale Handelsnetze eingespannt. Wollten die Venetianer ihre Waren, die vielfach aus dem Orient kamen (Gewürze, feine Stoffe usw.), in die Gebiete nördlich der Alpen bringen, so mussten sie fast unweigerlich über habsburgisches Gebiet. Eine Alternative bot nur die Schweiz, aber die Schweizer Pässe sind viel höher und schwieriger zu begehen als der Brenner oder auch der Reschenpass. Der wichtigste Alpenübergang war eben der Brenner, über den die oberdeutschen Reichsstädte erreicht werden konnten. Ein anderer Weg nach Norden (oder Nordosten) war der »schräge Durchgang« von Venedig über Tarvis, Villach, St.Veit, Judenburg, Leoben, Bruck an der Mur, Wiener Neustadt nach Wien und von dort allenfalls weiter nach Krakau. Diese Straße vereinigte sich in Bruck an der Mur mit einer zweiten, die von Venedig über Laibach, Marburg und Graz nach Wien führte. Diese seit alters her begangenen und befahrenen Straßen wurden in der frühen Neuzeit verbessert und ergänzt. Schon
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1314 hatte Heinrich Kunter vom Tiroler Landesfürsten ein Privileg bekommen, das ihm erlaubte, durch die bisher unwegsame Eisackschlucht zwischen Bozen und Kollmann einen Saumpfad zu bauen (Kuntersweg). Ab 1480 wurde er zu einem Fahrweg ausgebaut. Das war eine wesentliche Erleichterung, denn bis dahin musste der gesamte Verkehr Richtung Brenner von Bozen über den Ritten geführt werden und sodann wieder hinunter ins Eisacktal. Die Stände von Kärnten und Krain ließen bis 1573/75 eine neue Straße über den Loiblpass errichten, die Passhöhe querte ein Tunnel. Vorher war auch dort nur ein Saumweg gewesen. Während von Süden nach Norden Gewürze, feine Stoffe, Südfrüchte und venezianisches Glas gehandelt wurden, kamen von Norden nach Süden Eisenwaren (primär aus Kärnten und Krain), Holz und Leinwand. Leinen aus Schlesien, Böhmen, Oberösterreich und Kärnten war ein begehrtes Gut im Mittelmeerraum. Die Produktion erfolgte teils durch gewerbliche (zünftische) Weber, teils aber auch im bäuerlichen Nebenerwerb. Verlegt und organisiert wurde die Produktion durch Kaufleute aus kleinen Marktorten und Städten wie Rohrbach oder Freistadt, aber auch aus Wels und anderen Orten. Die vielleicht eindrucksvollste Handelsbewegung der frühen Neuzeit waren die großen Züge ungarischer »Ochsen«. Sie kamen aus der Ungarischen Tiefebene (auch als diese türkisch beherrscht war). Ihr Ziel war einerseits Venedig, in der frühen Neuzeit eine der größten Städte Europas und ein riesiges Konsumzentrum, andererseits die deutschen Reichsstädte wie Nürnberg, die sich ebenfalls aus der Umgebung nicht mehr wohlfeil ernähren konnten. Die Ochsenzüge folgten gewissen Trassen, wo bebauungsleere Flächen als Weiden für die durchziehenden Rinder bereitgehalten wurden – etwa die Podersdorfer Heide im heutigen Burgenland. Die Route nach Venedig führte über slowenisches Gebiet. Hier waren Pettau, aber auch Laibach wichtige Stationen. Ein Teil der Rinder wurde von Triest nach Venedig verschifft. 5.12 Vom Westfälischen Frieden bis zum Ende der spanischen Habsburger 5.12.1 Höfischer Absolutismus und Staatsbildung
Durch die vielfältigen territorialen Herrschaftsfelder der Habsburger, aber auch durch die zahlreichen Konflikte, in die sie verwickelt waren, vermehrten sich die bei Hofe zu erledigenden Geschäfte. Der Hof wurde zum Entscheidungszentrum für immer zahlreichere Angelegenheiten. Nun erst entwickelte sich auch die »Außenpolitik«, als Summe aller jener Überlegungen und Entscheidungen, die in den steten Aus einandersetzungen mit Frankreich, Venedig, Ungarn, den Türken und den Ständen des Hl. Römischen Reiches zu treffen waren. Militärische Rüstungen erforderten Geld,
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ebenso der wachsende Repräsentationsaufwand, der mit Fürstenheiraten, mit zahlreichen Gesandtschaften und den damit verbundenen Festlichkeiten unvermeidlich verbunden war. Das Geld wurde im Kleinen eingenommen, aber im Großen ausgegeben. Die Entscheidungen über die Richtung der Ausgaben fielen am Hof. Wer es zu etwas bringen wollte, musste diese Entscheidungsprozesse kennen oder – noch besser – an ihnen teilnehmen. Das ist eine der wesentlichen Ursachen für den Drang zum Hof, den Großkapitalisten, Großhändler und Söldnerunternehmer seit dem 16. Jahrhundert entwickelten. Dazu kamen die Juristen, die der Herrscher seinem »Rat« schon seit dem 15. Jahrhundert immer häufiger beizog. Über das Mittel der Repräsentation drückte der Herrscher nicht nur seinen Untertanen sinnfällig aus, wo das Zentrum der Macht lag, er schuf auch eine Zone der Distanz zwischen der Majestät und den »Untertanen«. Maximilian I. war trotz seines kräftigen kaiserlichen Bewußtseins immer noch von ritterlich-adeligem Selbstverständnis geprägt, wofür seine zahlreichen militärischen Unternehmungen, aber auch die häufige Teilnahme an Turnieren Zeugnis ablegen. Er gab sich auch gegenüber den Untertanen gerne leutselig und huldvoll. Seit dem 16. Jahrhundert wuchs die Distanz zwischen den Untertanen und dem Kaiser, ohne freilich jenes Ausmaß zu erreichen wie in Madrid oder auch in Paris. Der Hof ist das Haus des Herrschers. Dadurch kam ihm ein erheblicher Symbolwert zu. So wurde die Wiener Hofburg von Wolfgang Schmeltzl in seinem »Lobspruch der Stat Wienn« 1548 als »Hauß von Österreich« bezeichnet. »Haus Österreich« (Casa d’Austria, Maison d’Autriche) war auch der Name des Herrscherhauses. Familienbezeichnung und Name seiner zentralen Behausung waren identisch. Je größer dieses Haus, desto beachtlicher die Rolle des Hausherrn : Man könnte begrifflich die Entstehung des Absolutismus als Ausdehnung der Hausvaterherrschaft des Fürsten über seinen eigentlichen Hofstaat hinaus auf alle Bevölkerungsgruppen verstehen. Der fürstliche Hausvater wird zum Landesvater über alle seine Landeskinder. Mit der Ausweitung des fürstlichen (Hof-) »Staates«, ausgehend vom Hof und dem Kameralgut des Herrschers, über das ganze Herrschaftsgebiet wird dieses in den »Staat« integriert, der dabei in seiner modernen, umfassenden Form erst entsteht. Staatsbildung in einem fürstlichen Staatswesen bedeutet also Ausweitung von Herrschaftsrechten über immer breitere gesellschaftliche Gruppen und Inanspruchnahme von Ressourcen, die früher dem Herrscher nicht zur Verfügung gestanden waren. Lo stato, der Staat, war ja begrifflich ursprünglich nichts anderes als der »Status« der dem Herrscher zur Verfügung stehenden Personen und materiellen Mittel. Staatsbildung war ein Prozess der Herrschaftsintensivierung, der sozialen und rechtlichen Nivellierung der Einwohnerschaft eines Herrschaftsgebietes zu Staats-»Untertanen«. Zunehmend wurden fürstliche Herrschaft, Herrschaftsapparat und beherrschtes »Staats«-Gebiet identifiziert.
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Am Ende dieses Prozesses steht ein klar abgegrenztes Staatsgebiet und ein eindeutiges Rechtssetzungs-, Steuer- und Gewaltmonopol des so entstandenen Staates. In Österreich dauerten diese Prozesse relativ lang. Unter Ferdinand II. wurden zunächst die protestantischen Stände der österreichischen und böhmischen Länder ausgeschaltet (1620). Zu einer flächenhaften Bürokratisierung des Herrschaftsgebietes kam es allerdings erst unter Maria Theresia und Joseph II. Der Fürst sah sich als Vater seiner Untertanen : Auf den Kniefall der oberösterreichischen Stände vor Ferdinand II. am 16. April 1625, mit dem sie Verzeihung für ihre Rebellion von 1619/20 erbaten, hieß jener sie sogleich aufstehen und meinte, wenn sie »treue Untertanen« seien, werde er sich als ihr »Vater« erweisen. In solchen Anschauungen wirkten sowohl die Konzeption Jean Bodins vom legitimen Herrscher wie jene Robert Bellarmins fort, der die Charitas paterna, die väterliche Liebe, als zentrale Herrschertugend des katholischen Königs darstellt. Auch der Princeps in compendio, eine Erziehungsanleitung für Fürsten und solche, die es noch werden wollten (wieder aus der Umgebung Ferdinands II.), sprach davon, der Fürst müsse sich die Liebe und Zuneigung der Untertanen angelegen sein lassen und sie so an sich binden, ut eum tamquam patrem diligant atque venerentur (dass sie ihn wie einen Vater lieben und verehren). Es gehört zu dieser neuen theoretischen Konzeption der väterlichen fürstlichen Majestät, dass Söhne und Töchter des Adels als Edelknaben und -fräulein Dienst bei Hofe leisteten – dies war natürlich auch eine günstige Voraussetzung für eine weitere Karriere. Allerdings konnten die Habsburger, anders als Ludwig XIV., niemals die Trennung zwischen einer bürgerlichen Kreisen entstammenden noblesse de robe und dem Adel von Geburt (noblesse d’epée) durchsetzen. Der Hofadel der Habsburger konnte nie auf bloße Repräsentation beschränkt werden. Er behielt, im Gegenteil, alle wichtigen Hofämter und damit die zentralen Positionen der Ratgeber des Herrschers in der Hand. Die Habsburger mussten ihren Feldherren, Ratgebern, aber auch Günstlingen und Hofschranzen letztlich immer wieder in gut feudaler Tradition Grund und Boden überlassen. Wallenstein ebenso wie der Prinz Eugen, die Kinsky, Lobkowitz, Liechtenstein, Dietrichstein, Schwarzenberg usw. sind alle in kurzer Zeit große Grundbesitzer geworden. Durch den ständigen gravierenden Geldmangel der Herrscher konnte man auch die finanziellen Forderungen der bürgerlichen Juristen und Händler, die man für die Zwecke des Hofes benötigte, immer wieder nur durch die pfandweise Übertragung oder den schließlichen Verkauf von Regalrechten (Mauten, Zölle), Monopolen (sog. »Appalte«) und Grundherrschaften absichern, wodurch jene aber in relativ kurzer Zeit feudalisiert wurden und in die soziale Nähe des älteren Adels gelangten. Dagegen betonte dieser zwar mit großem Ernst seine hervorragende Ahnengalerie – nichtsdestoweniger erwiesen sich diese Schranken binnen zweier oder dreier Generationen als durchlässig. So brachten es die Eggenberger, im 15. Jahrhundert noch Kaufleute aus Radkersburg und Graz, zunächst zum steirischen Adel ; 1622 gehörten sie zum Kreise jener, die
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aus den beschlagnahmten Gütern des böhmischen Adels große Besitzungen erwerben konnten, wurden schließlich Reichsfürsten (mit Gradisca als Fürstentum) und starben 1710 beziehungsweise 1717 aus. Es war eine wichtige Folge dieser Refeudalisierung des höfischen Adels, dass dadurch die Landstände als Korporationen des feudalen Adels bis zu Maria Theresia und sogar bis 1848 nicht nur weiterbestehen konnten, sondern auch personell immer wieder regeneriert wurden, während in Frankreich ihr Einfluss fast völlig verschwand. Nicht wenige Mitglieder des Hofadels empfanden sich nicht nur als höchst loyale Berater des Kaisers, sondern auch als Vertreter »ihrer« Länder und vertraten in der Hofkanzlei oder in anderen Zentralstellen die Interessen Böhmens oder der Steiermark eher als das Interesse der Zentralstellen selbst. Insbesondere die Hofkanzleien, über welche die Hofkammer ihre Steuerforderungen den Ländern übermitteln musste, galten um 1700 geradezu als Hemmschuh für die Durchsetzung zentralstaatlicher Interessen ! Diese später als »100 Familien« bezeichnete Adelsgruppierung war vielfach durch Heiraten verbunden, bildete also einen exklusiven und einflussreichen Konnubiumskreis. Schon im späten Mittelalter hatten einige Familien mit ihren Heiratsverbindungen die Ländergrenzen überschritten. Im 16. Jahrhundert gab es bereits Eheverbindungen zwischen böhmischen, ungarischen und österreichischen Adligen. Diese Verbindungen führten immer wieder zur Aufnahme in die Stände der neu erschlossenen Länder : »In den 1570er Jahren waren die miteinander verschwägerten und verwandtschaftlich verflochtenen Familien Harrach, Hoffmann, Jörger, Khevenhüller und Windischgrätz in den Ständen mehrerer österreichischer Erbländer vertreten. Leonhard IV. von Harrach erhielt 1563 außerdem die ungarische Landstandschaft (Indigenat), und 1577 wurde er in den böhmischen Adel aufgenommen.« (Thomas Winkelbauer 1, 193).
Es entstanden dabei auch teils rivalisierende, teils kooperierende Adelsgruppen, wie die »Harrachisten« und die »Trautsonisten« (um Hanns III. von Trautson). Nicht zufällig liegt das Palais Harrach in Wien sehr zentral an der so genannten »Freyung«, das (Garten-) Palais Trautson beherbergt das Justizministerium. Gemeinsam mit den aus Spanien stammenden Hoyos, den Breuner und Meggau bildeten die beiden Familien den Kern des katholischen Hofadels, später kamen noch die Liechtenstein und Khevenhüller dazu. Der Aufstieg in den engsten Kreis des Hofadels wurde durch das Konnubium abgesichert, das dann wieder die Türen für die Bekleidung höchster Hofämter öffnete. Aus den slowenischen Gebieten, in die Aufsteiger vor allem aus Oberitalien (Attems, Valvasor usw.) kamen, schafften es ebenfalls einige Familienzweige in die obersten Ränge des höfischen Adels, wie die (später gefürsteten) Linien der Auersperg und Windisch-Graetz. Auch die Lamberg kamen aus Krain und erwarben im 17. Jahrhundert große Besitzungen im Land ob der Enns. Standeserhöhungen
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unterstrichen die Bedeutung einer Familie. Die höchste Stufe (nach Ritter, Freiherr und Graf ) war die Erhebung in den Reichsfürstenstand. Sie blieb auch nach 1648 kaiserliches Reservatrecht. Um freilich in das ehrwürdige Kollegium der Reichsfürsten aufgenommen (»introduziert«) zu werden, bedurfte es des Besitzes eines reichsunmittelbaren Herrschaftsgebietes. Dafür erwarben die Fürsten Auersperg ein schlesisches Herzogtum, die Liechtenstein die Herrschaften Vaduz und Schellenberg (das heutige Fürstentum Liechtenstein !), die Windisch-Grätz eine reichsunmittelbare Herrschaft im Schwäbischen. Obgleich der Adel seine ritterliche Verpflichtung seit dem 16. Jahrhundert nur mehr theoretisch betonte (eine Ausnahme bildeten vielleicht die innerösterreichischen Länder, wo das adelige Aufgebot noch im 17. Jahrhundert existierte), keine Leistung im Sinne des oft zitierten »Schutzes« erbrachte und damit die Legitimation für die Ausbeutung seiner Bauern verlor, blieb er doch bis zur Revolution von 1848 Grundherr. Adelig zu sein bedeutete in der höfischen Gesellschaft nicht mehr Innehabung einer Position, die man sich selbst erworben und verteidigt hatte, sondern Auskosten von Privilegien. Außerdem passte die Grundherrschaft als Institution in das Konzept der »väterlichen« Gesellschaft und ihrer starken Betonung der auctoritas, der (haus- und staats-) väterlichen Autorität. Durch diese Konzeption konnte der Adel für seinen gesamtgesellschaftlichen Machtverlust entschädigt werden, der durch das Wachsen der höfischen Entscheidungssphäre zweifellos eingetreten war. An den Höfen entstand die Bürokratie. Schon 1404 waren bei Hofe neben den adeligen Räten, die man, entsprechend der feudalen Grundstruktur dieses Rates, eben nur fallweise heranzog, »tägliche Räte« aufgetreten. Unter Friedrich III. wuchs unter diesen Räten der Anteil bürgerlicher Juristen. Daß man zu Maximilians I. Zeiten darüber klagte, »Hirschen und Schreiber« seien an seinem Hofe wichtiger gewesen als die adligen Räte, verweist – neben der Jagdleidenchaft – auf den Bedeutungsgewinn nichtfeudaler Ratgeber und Geschäftsträger um und nach 1500. Den Streit um die maximilianischen Regimenter haben wir weiter oben schon thematisiert. Anknüpfend an Maximilian hat sein Enkel Ferdinand I. mit der Hofstaatsordnung von 1527 eine Behördenorganisation eingerichtet, welche die Grundlage für die Entwicklung der staatlichen Zentralbehörden bis 1848 blieb. Wichtigster Grundsatz war die Kollegialität der Räte : Nicht ein Rat hatte zu entscheiden, sondern deren Gesamtheit. Die Räte beraten – dieser einfache Grundsatz bewirkte, mit dem Anwachsen der Ratskollegien, auch deren später häufig gescholtene Unbeweglichkeit und Entscheidungsscheu. König Ferdinand errichtete einen Geheimen Rat, einen Hofrat, eine Hofkanzlei und eine Hofkammer, um mit diesen Behörden als Stellvertreter seines Bruders Karl V. das Hl. Römische Reich sowie seine eigenen Königreiche Ungarn und Böhmen (samt Mähren und Schlesien) sowie die habsburgischen Stammlande zu regieren. Bei
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der großen Rolle von Vorrangproblemen in der höfischen Gesellschaft ist die Vorrangordnung innerhalb der Räte nicht unwesentlich. Sie folgte zwei Kriterien. Einmal dem der ständischen Dignität – daher sollten (in der Sitzordnung und bei der Abgabe des Votums) zuerst die Grafen kommen, dann die Freiherren, die Herren, Pröpste, Dechanten und anderen Prälaten, dann die Ritter und die »doctores«, also die Rechtsgelehrten. Das zweite Kriterium war das Dienstalter. Ausdrücklich wird festgehalten, dass diese Räte nicht nach den Ländern ihrer Herkunft gereiht werden durften, denn sie seien nicht Gesandte ihrer Länder, sondern ausschließlich ihrer königlichen Majestät »rat und diener«. In diesen Bestimmungen äußert sich die vereinheitlichende Funktion des Rates. Er wie der ganze Hof sollte das wichtigste Integrationsinstrument für die zahlreichen höchst unterschiedlichen Herrschaftsgebiete der Habsburger werden. Dabei blieben die Räte aber weiterhin auch tatsächlich Teil des Hofes : Der Obersthofmeister als höchster Hofbeamter leitete in Abwesenheit des Herrschers die Sitzungen diverser Räte. Das ursprüngliche Regierungsorgan, der Hofrat, verlor im 17. Jahrhundert jede Kompetenz für die Erbländer. Er wurde als »Reichshofrat« zum obersten kaiserlichen Gericht und eines der letzten und wichtigsten Bindeglieder zwischen den Untertanen der Reichsstände des Heiligen Römischen Reiches und dem Kaiser. In dieser Funktion blieb er bis zum Ende des alten Reiches bestehen. Ein ähnliches Schicksal erlitt auch der Geheime Rat, der zunächst den Hofrat als zentrales Beratungsorgan des Herrschers ersetzte. 1576 gab es zwei, um 1650 bereits 39 geheime Räte. Besonders hier spielen die gelehrten Räte, die Juristen, eine große Rolle. Im 16. Jahrhundert kamen sie noch vielfach aus dem Reich, seit Ferdinand II. wurden die geheimen Räte aber immer mehr dem österreichischen, böhmischen und italienischen Hofadel entnommen (Eggenberg, Slawata, Werdenberg, Trauttmansdorff, Liechtenstein, Piccolomini, Porcia, Auersperg, Lobkowitz, Montecuccoli). Infolge der Zunahme der Zahl der Geheimräte (um 1705 waren es schon mehr als 150) verlor der Geheime Rat seinen Charakter als zentrales Regierungsorgan immer mehr an einen kleinen Ausschuss aus dem Geheimrat – an die »Geheime Konferenz«. Besonders wichtig war die Hofkammer, hatte sie doch den nervus rerum nicht nur für den kaiserlichen Haushalt, sondern auch für die auswärtige Politik und für die Kriegführung zu besorgen – das Geld. Im Allgemeinen sollten die Ausgaben für den Hof aus dem »Camerale« gedeckt werden, aus dem Kammergut, also aus den fürstlichen Grundbesitzungen, den Regaleinkünften (Zölle, Mauten, Bergwesen) und unter Umständen auch aus Abgaben der landesfürstlichen Städte und Märkte sowie der Prälaten, die man ja ebenfalls als Teil des (weiteren) Kammergutes auffasste. Kriege sollten über das »Contributionale« finanziert werden, also durch die von den Ständen der verschiedenen Länder bewilligten und auch eingehobenen Steuern, die vom Fürsten alljährlich (oder auch öfter) auf Landtagen gefordert und von den Landständen der verschiedenen Länder meist mit Abstrichen bewilligt wurden.
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Die Hofkanzlei war für die Entgegennahme von Eingaben und den Ausgang von Schriftstücken zuständig. Im 16. Jahrhundert gab es neben Sekretariaten für verschiedene Sprachen (Deutsch, Latein, Spanisch) und Ämter (Hofkammerkanzlei, Kriegskanzlei), neben der Reichs- und Hofkanzlei eigene Kanzleien für Böhmen und Ungarn. Als 1619 Ferdinand II. nach Wien kam, nahm er seine Kanzlei aus Graz mit und übertrug ihr die »Expedition« der ober-, vorder- und innerösterreichischen Lande. So entstand 1620 die österreichische Hofkanzlei als eigene Behörde. Dieser übertrug man bald auch die »Haussachen«, also die Angelegenheiten der Herrscherfamilie, und das bedeutete : die Außenpolitik. Schon 1637 wurde die (österreichische) Hofkanzlei auch zum Revisionsgerichtshof für die Ober- und Niederösterreichischen Lande. 1704 hieß es, die Hofkanzlei beschäftige sich mit »Publica, Landsachen und Justizangelegenheiten«. Sie wurde – aus einem Schreibbüro und einer Registratur – zum Innen-, Außen- und Justizministerium, zum eigentlichen Entscheidungszentrum, das den alten Hofrat ersetzte. Im frühen 18. Jahrhundert wurden schließlich zwei Hofkanzler eingesetzt, von denen sich einer den inneren Angelegenheiten, einer den äußeren widmen sollte. Der Amtsbereich des letzteren wurde 1742 als Staatskanzlei ausgegliedert. Zuletzt wurde der Hofkriegsrat eingerichtet. War früher die Kriegführung selbstverständlicher und ständiger, jedoch nicht sonderlich systematisierter Bestandteil fürstlicher Aufgaben, so erforderte die Situation seit Maximilian I. eine ständige Beobachtung und Betreuung der militärischen Fragen. Mit Ferdinands I. Hofkriegsrat wurde ein Organ für diese Aufgaben geschaffen. Er hatte besonders auf die Versorgung und den Ausbauzustand der Festungen (speziell in den nach 1547 habsburgisch gebliebenen Teilen Ungarns) zu achten und im Falle des Ausbruchs akuter Krisen die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Mit der Teilung von 1564 entstanden nicht nur drei Höfe, sondern auch drei neue Zentralbehörden, deren Wirksamkeit die Höfe in Innsbruck und Graz bis ins 18. Jahrhundert überlebte (bis 1749). Das bedeutete eine erhebliche Vermehrung der höfischen und bürokratischen Einrichtungen und einen wichtigen Ansatzpunkt zur Entfaltung von bürokratischen Organen für die drei Ländergruppen. Unterhalb der Ebene der Ländergruppen wirkten in den einzelnen Ländern Vizedome für die Verwaltung des landesfürstlichen Kameralgutes. Alle drei Ebenen wurden schließlich wichtig für die Expansion der Bürokratie seit der Regierungszeit Maria Theresias. Rekrutiert wurde diese Bürokratie zum Teil aus gebildeten Bürgerlichen, zum Teil aus dem Hofadel. Auch der Letztere musste jetzt, wollte er bei den genannten Ämtern reüssieren, einige juristische Kenntnisse haben, was viele Adelige seit dem 16. Jahrhundert bewog, wenigstens ein Quäntchen Universitätsluft zu schnuppern – etwa in Bologna mit seinen berühmten Rechtsstudien. Im 17. und 18. Jahrhundert scheint das bürgerliche Element zurückzutreten (Ausnahmen waren die Kanzler Hocher und
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Strattmann), zumindest die Spitzenpositionen blieben fest in der Hand angesehener Hochadelsfamilien (Sinzendorff, Starhemberg, Schwarzenberg, Montecuccoli). Man darf jedoch nicht übersehen, dass auch die neue Zentralbürokratie nach den in den verschiedenen Ländern und Ländergruppen geltenden Rechten vorging. Diese Zentralverwaltung brachte noch keine Vereinheitlichung der Rechtssysteme und In stitutionen ! Genau genommen blieb die Habsburgermonarchie ein zusammengesetzter Staat, mit höchst unterschiedlichen Institutionen und Traditionen, die auch durchaus weiterhin in Kraft blieben (sofern sie der Herrschaftsspitze nicht gefährlich wurden). Prinzipiell war die neue Bürokratie besoldet. Die Besoldung richtete sich zunächst nach Rang, Ansehen und Repräsentationsbedürfnis, was sich in der Zahl der Pferde ausdrückt, deren Haltung der Sold ermöglichen sollte. Obgleich die ausgewiesenen Summen nicht gering waren, reichten sie doch niemals aus, den erforderlichen repräsentativen Aufwand zu decken. Das machte die Räte für verschiedene »Ehrungen« empfänglich, die man von den Parteien, die ein Anliegen betreiben oder durchsetzen wollten, auch ganz ungescheut verlangte. So schrieb ein Krainer Abgesandter 1635 von Wien nach Hause : »Ich trauet mir alles wol zu verrichten, wo ich nur guldene hent het, den auf die verhaißung schätzt man allhie zu Wien gar nichts, wo man nicht res ipsa in actu comprobetur […]«.
Besonders im Bereich der Kameralverwaltung existierte immer noch der Typ des Kameralunternehmers, also eines Amtsinhabers, der sein Amt häufig auf Grund vorgestreckter Darlehenssummen als Pfand übernahm (oder auch in Pacht, was Appalt genannt wurde) und dann mit diesen fürstlichen Einkunftsquellen ganz selbstständig wirtschaftete. Gerade hier gab es auch enorme Unterschleifs- und Bereicherungsmöglichkeiten. Berüchtigt war der Hofkammerpräsident Ludwig Graf Sinzendorff, der 1679 abgesetzt und 1680 zur Rückerstattung von fast zwei Millionen Gulden veruntreuter öffentlicher Gelder verurteilt wurde – das war so ziemlich der Jahresbetrag für den gesamten höfischen Aufwand, die Zentralbürokratie, die ungarischen Festungen und die Außenpolitik der Habsburger. Phantastische Verdienstmöglichkeiten eröffnete die Kombination von Produktions- und Absatzmonopol und deren Verpachtung als »Appalt« (z. B. Sensenmonopol des Grafen Albrecht von Sinzendorff ) oder die Kombination von Positionen in der Hofkammer mit Handelsmonopolen. So resultiert der Aufstieg des Grafen Inzaghi vom kleinen Händler zum schwerreichen Adeligen aus solchen Funktionsverbindungen : Inzaghi wurde 1656 Rat der innerösterreichischen Hofkammer in Graz, setzte sich hier für die Verstaatlichung des Quecksilberhandels ein und übernahm diesen selbst in Pacht. Auch der Eisengroßhändler Hans Ludwig Mittermayr aus Steyr konnte durch monopolartige Positionen (Auslandshandel der Innerberger Hauptgewerkschaft) und Pacht (Kärntner Bleiproduktion 1675, Queck-
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silberverschleiß nördlich der Alpen) sowie durch Verwaltung des Kupferhandels und durch Armeelieferungen (besonders 1683 bei der Belagerung Wiens) riesige Vermögenswerte anhäufen ; selbstverständlich wurde auch er geadelt. Das Wachstum der Höfe und der mit ihnen verbundenen Behörden trug erheblich zum Wachstum der Residenzstädte bei – während die Handelsstädte meist stagnierten. Im heutigen Bundesgebiet waren neben Wien (von etwa 1530 bis um 1578, dann wieder ab 1612) und der fürsterzbischöflichen Residenzstadt Salzburg auch Innsbruck (zentraler Ort des Wirkens Maximilians I., Residenz seit der Teilung von 1564 bis 1665) und Graz (1564 bis 1620) eigene höfische Zentren. Auch nach dem Ende gesonderter Linien des Hauses Habsburg in Innsbruck und Graz blieben beide Städte Verwaltungszentren für »Oberösterreich« (Tirol und die Vorlande) und »Innerösterreich« (Steiermark, Kärnten, Krain, Görz und Triest, samt Verwaltung der Militärgrenze in Kroatien). Die barocke Residenzstadt wurde nicht nur durch die Anwesenheit des Hofes sowie des höfischen Adels (und seiner Palais) geprägt, sondern auch durch eine große Anzahl neuer und erneuerter Ordensniederlassungen. So wurden von den besonders frommen innerösterreichischen Herrschern Karl und Ferdinand nach Graz gerufen : 1572 die Jesuiten, 1600 die Kapuziner, 1603 die Klarissinnen, 1607 die Minoriten, 1615 die Barmherzigen Brüder, 1629 die Karmeliter. 1644 folgten die Karmeliterinnen, 1673 die Augustiner-Barfüßer, 1687 die Ursulinen, 1690 die Elisabethinen. Ganz ähnlich vermehrte sich die Zahl der Orden in Innsbruck, Wien und Salzburg. Am raschesten wuchs Wien. Die Vorstädte eingeschlossen, hatte die Stadt vor 1529 etwa 35.000 bis 40.000 Einwohner gezählt, davon 27.000 bis 30.000 in der Stadt (dem heutigen 1. Bezirk). Dem Hof selbst gehörten bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts fast 18 % aller Haushaltsvorstände in der Inneren Stadt an ; übertroffen wurde diese Gruppe nur vom Gewerbebürgertum mit knapp 34 %. Im 17. Jahrhundert wuchs der Hof weiter : 1674 gehörten 1966 Menschen (ohne militärische Körper) dem Hofe an, zur Zeit Karls VI. werden 2175 Menschen ausgewiesen. Diese Strukturveränderung der barocken Residenzstadt lässt sich auch an baulichen Veränderungen ablesen. Häufig entstanden an Stelle mehrerer älterer Bürgerhäuser wenige neue Ordenshäuser oder Adelspalais. Die höfischen Bezirke dehnten sich aus. Die neue Sozialtopographie überlagerte die spätmittelalterliche. Dazu kam die Abschnürung der Stadt von ihrem Umland durch neue Befestigungsanlagen, Basteien und Raveline, welche die alten Stadtmauern verstärkten und zumeist noch ein besonderes Schussfeld vorgelagert erhielten (das »Glacis«). Die barocke Residenzstadt zog sich von ihren gewerblichen Vorstädten wie vom gesamten Umland zurück – sinnfälliger Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandlungsprozesses, in dem eine neue, von den »Untertanen« distanzierte Machtzentrale entstanden war.
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5 Die frühe Neuzeit
5.12.2 Haus Österreich, Kaisertum und das europäische Gleichgewicht
Ferdinand II. starb 1637, trotz des Prager Friedens im Krieg. Er hatte eine enorme Zähigkeit bewiesen : Böhmen war ein Erbreich geworden, die Stände der böhmischen und österreichischen Länder mussten seine nur mehr wenig beschränkte Herrschaft akzeptieren. Ferdinand war der Begründer der habsburgischen Form des Absolutismus. Allerdings erzwangen die Reichsfürsten auf dem Gipfelpunkt seiner Macht die Absetzung Wallensteins. Aber noch im Prager Frieden erschien die Herrschaft des Kaisers im Reich so stark wie nie zuvor. Gerade jetzt aber wendete sich das Blatt. Sein Sohn und Nachfolger Ferdinand III. (1637–1657) musste nach weiteren elf Kriegsjahren und schweren Niederlagen einem Frieden zustimmen, durch den die Position des Kaisers im Reich nicht viel mehr bedeutete als einen zeremoniellen Vorrang. Die Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande ebenso wie der Schweiz vom Heiligen Römischen Reich wurde nun auch offiziell anerkannt. Immerhin hatte der Westfälische Friede die konfessionellen Auseinandersetzungen beendet. Die Calvinisten (Evangelische nach Helvetischem Bekenntnis) waren als eigene Konfession anerkannt, die Reichsverfassung verbot künftig ein Überstimmen in Religionsfragen. Der Westfälische und der elf Jahre später geschlossene Pyrenäenfriede zwischen Frankreich und Spanien zeigten eine völlig veränderte Situation in Europa. Die Dominanz Spaniens, um 1620 noch wichtig für das militärische Überleben Ferdinands II., war zu Ende. Als politische und militärische Vormacht auf dem Kontinent erschien jetzt das Frankreich Richelieus und Mazarins. Nur wenig später (und nach der Niederwerfung einer Adelsfronde) trat Ludwig XIV. die Alleinherrschaft an. Der französische Hof wurde zum allseits imitierten Vorbild für europäische Hofhaltungen, die französische Mode löste die spanische ab. Dementsprechend orientierten sich auch die Wiener Habsburger in der ersten Zeit nach 1648 stärker an Frankreich. So schloss Kaiser Leopold I. (1657–1705) mit Ludwig XIV. einen Geheimvertrag, in welchem dem französischen König nach dem zu erwartenden Aussterben der spanischen Linie des Hauses Österreich die Spanischen Niederlande (Belgien), die Freigrafschaft Burgund, die Philippinen, Navarra, Neapel und Sizilien zugesagt wurden. Erst die aggressive Politik Ludwigs XIV. gegen die Vereinigten ebenso wie die Spanischen Niederlande (seit 1672) und gegen diverse Reichsfürsten im Westen des Reiches (»Réunionen«) zwangen den Kaiser in eine antifranzösische Allianz. Der Parteigänger Frankreichs am Wiener Hof, Fürst Johann Weikhard von Auersperg, wurde 1669 gestürzt. Aber auch sein Nachfolger, Fürst Wenzel Eusebius von Lobkowitz, versuchte die frankreichfreundliche Politik weiter zu führen. Das war nach der Erklärung des Reichskrieges gegen Frankreich (im selben Jahr) nicht mehr opportun, Lobkowitz wurde auf seine Güter verbannt. Im Frieden von Nijmegen (1679) musste der Kaiser, trotz einiger militärischer Erfolge seines Feldherrn Mon-
Vom Westfälischen Frieden bis zum Ende der spanischen Habsburger
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tecuccoli, Verluste akzeptieren : Die (spanische) Freigrafschaft (Franche Comté) und zehn Reichsstädte im Elsass gingen ebenso verloren wie Freiburg im Breisgau. Diese Ereignisse und die Besetzung Straßburgs (1681) durch französische Truppen bewogen die Vertreter des Kaisers und der Reichsstände auf dem seit 1663 in Regensburg in Permanenz tagenden Reichstag zum Beschluss einer neuen Reichsdefensionsordnung (1681/82), die freilich eher schlecht als recht funktionierte : Neben den »armierten Ständen«, also den größeren Territorialstaaten wie Brandenburg, Sachsen, Bayern, sollten die kleinen Reichsstände auf der Ebene der Kreise eigene Truppen organisieren. Als 1688, während des großen Türkenkrieges in Ungarn, französische Truppen in der Pfalz einmarschierten, erwiesen sich die Kreistruppen als ganz ungenügend, erst eine gemeinsame Armee der »armierten« Reichsstände (Brandenburg, Sachsen, Braunschweig-Lüneburg, Hessen-Kassel) drängte die Franzosen hinter den Rhein zurück. Sie wurden von den Seemächten bezahlt, die größtes Interesse daran hatten, die Macht des Sonnenkönigs nicht ins Ungemessene wachsen zu lassen. Die Seemächte waren seit der Glorreichen Revolution in England (1688), die den Niederländer Wilhelm von Oranien auf den Thron brachte, eng verbunden ; freilich ließen die Briten die Holländer bald ökonomisch weit hinter sich. Nach einem langen Krieg wurde endlich 1697 ein Friede geschlossen, zu Rijswijk in den Niederlanden. Es änderte sich wenig, Habsburg erhielt immerhin Freiburg im Breisgau und Breisach zurück, auch das Reich einige »Reunionen«, aber nicht Straßburg. Schon ging es um das Spanische Erbe. Sowohl Leopold I. wie Ludwig XIV. erhoben Ansprüche, beide mit einem gewissen Recht – Ludwig XIV. war der Sohn der spanischen Habsburgerin Anne d’Autriche, Leopold I. der Sohn von Maria Anna, der Schwester Philipps IV. Im Jahr 1700 erlosch die spanische Linie des Hauses Österreich mit Karl II. Ein Testament begünstigte die Bourbonen. Europa rüstete zum nächsten Krieg.
Abb. 6: Martin van Meytens, Maria Theresia. Öl auf Leinwand, 1759 im Auftrag der Akademie. Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien.
6 Die Monarchia Austriaca im 18. Jahrhundert
6.1 Prinz Eugen und die Expansion der österreichischen Monarchie Auf dem Heldenplatz vor der Neuen Wiener Hofburg stehen sich in eindrucksvollen Denkmälern zwei habsburgische Helden gegenüber : Erzherzog Karl (er wird uns später beschäftigen) und Prinz Eugen von Savoyen. Der letztere stammt aus einem fürstlichen Geschlecht des alten Hl. Römischen Reiches – die Savoyer galten als dessen letzte »welsche Fürsten«. Politisch orientierten sich die Savoyer des 17. Jahrhunderts eher an Frankreich, zuweilen gingen sie aber auch Bündnisse mit dem Haus Österreich ein. Eugen Franz von Savoyen-Carignan wurde am 18. Oktober 1663 im Hôtel de Soissons in Paris geboren, als fünftes Kind des Grafen Eugen Moritz von Soissons (-Savoyen) und der Olympia Mancini. Seine Großmutter war Maria von Bourbon, weshalb Eugen in Frankreich zu den »Prinzen von Geblüt« zählte. Ein Cousin war Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, der später berühmte »Türken-Louis«. Er förderte später den jungen Eugen in Wien. Verwandt war Eugen auch mit dem bayerischen Kurfürsten Max Emanuel von Bayern. Eugens Mutter, Olympia Mancini, war eine der Nichten des Kardinals Jules Mazarin (Giulio Mazzarini), der damals die Geschicke Frankreichs lenkte. Olympia geriet nach dem Tod ihres Mannes in den Verdacht, diesen vergiftet zu haben. Ihr blieb die Wahl zwischen Exil oder Prozess. Sie wählte das Brüsseler Exil. Die Kinder blieben in Paris, unter wenig erfreulichen Umständen. Den jungen Eugen erwartete eine geistliche Laufbahn. Er aber strebte nach einer militärischen. Sein älterer Bruder Ludwig hatte schon zu Beginn des Jahres 1683 ein kaiserliches Regiment übernommen, in Wien eingeführt durch Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden. Ludwig starb am 13. Juli 1683 an den Wunden, die er in einem Gefecht gegen die anrückenden Türken bei Petronell, östlich von Wien, erlitten hatte. Schon am 26. Juli riss Eugen aus Paris aus und nahm den Weg nach Osten, zum Kaiser. Mitte August wurde er Leopold I. in Passau vorgestellt. Spätestens am 7. September war Eugen bei der Armee, er diente bei Ludwig Wilhelm von Baden als Ordonnanzoffizier. Beim Entsatz von Wien erlebte Eugen seine Feuertaufe. Noch im Dezember 1683 erhielt er vom Kaiser ein Regiment übertragen. 1687 hatte er einen gewissen Anteil am Sieg der
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kaiserlichen Armee am Berg Hársany, in der Nähe des Schlachtfeldes von Mohács. Im nächsten Jahr verbesserte sich endlich die bescheidene materielle Basis des Prinzen : Zwei Abteien in Piemont wurden ihm übertragen, seither fielen ihm die Einkünfte aus diesen beiden Institutionen zu, die er durch Vikare leiten ließ. 1688 hatte Kurfürst Max Emanuel Belgrad erobert, nun griff Ludwig XIV. wieder im Westen an. Eugen wurde zunächst an den Rhein beordert. Es folgten erfolglose Jahre in Oberitalien. Erst 1697 wurde Eugen mit dem Oberbefehl in Ungarn betraut. Im September dieses Jahres errang seine Armee den großen Sieg bei Zenta – überraschend ließ er die türkische Armee bei deren Übergang über die Theiß angreifen. Ein Teil ihrer Truppen war schon am linken Ufer, der größere Teil aber wurde beim Flussübergang vernichtet. 1699 wurde zu Karlowitz (Sremski Karlovci) ein Friede geschlossen, der den Habsburgern den größten Teil Ungarns und ganz Siebenbürgen sicherte. Im Oktober 1700 starb der letzte Habsburger der spanischen Hauptlinie, Karl II. In seinem letzten Testament hatte er den Bourbonen Philipp, Herzog von Anjou, zum Erben eingesetzt. Immerhin war ja Ludwig XIV. Sohn und Gemahl einer Habsburgerin – freilich war auch die Mutter Leopolds I. eine spanische Habsburgerin, Schwester Philipps IV. und Gemahlin Ferdinands III.; und seine erste Frau Margareta Teresia war eine Tochter Philipps IV. und Schwester Karls II.! Daher erklärte Leopold jenes Testament für ungültig und erhob namens der deutschen (österreichischen) Linie des Hauses Erbansprüche. König von Spanien sollte der jüngere Sohn Leopolds werden, als Karl III. Dieser wurde von den Seemächten England und Holland unterstützt, denen die Machterweiterung der französischen Bourbonen nicht geheuer war. Sofort schickte der Kaiser Eugen nach Oberitalien : Mailand konnte als erledigtes Reichslehen gelten, auf das sich der Kaiser den Zugriff sichern wollte. Eugen gab einige Proben seines Feldherrentalentes, musste aber mangels ausreichender Mittel auf eine Offensive verzichten. Angesichts des unglaublichen Schlendrians in Wien sah der Prinz die einzige Chance auf eine erfolgreiche Kriegführung in einem Personalwechsel durch eine gut vorbereitete Hof-Intrige : Er knüpfte Kontakte mit dem Finanzfachmann Gundakar Graf Starhemberg, dem Reichsvizekanzler Dominik Andreas Kaunitz und einigen anderen Herren ; auch der Thronfolger, der bereits gewählte römische und ungarische König Joseph I., stand auf ihrer Seite. Ein enger Freund Eugens war auch der spätere Oberste Kanzler des Königreiches Böhmen, Johann Wenzel Graf Wratislaw von Mitrowitz, ein hervorragender Diplomat und Architekt des Bündnisses mit England. Im Sommer 1703 gelang das große Revirement : Starhemberg wurde Hofkammerpräsident und sicherte in dieser Position langfristig die Kreditwürdigkeit des Wiener Hofes. Eugen selber wurde Präsident des Hofkriegsrates und damit Chef des gesamten Militärwesens. 1704 traf er mit dem englischen Oberbefehlshaber, John Churchill Duke of Marlborough, in Süddeutschland zusammen. Der bayerische Kurfürst Max Emanuel, der
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frühere Türkenheld, jetzt mit Frankreich verbündet, hatte seine Armee mit den Franzosen vereinigt. Marlborough und Eugen siegten gegen diese bayerisch-französischen Truppen bei Höchstädt und Blindheim. Bayern wurde jetzt von den Kaiserlichen besetzt und bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges nach Kräften ausgesaugt. Ein Aufstand bayerischer Bauern wurde blutig niedergeschlagen (»Sendlinger Mordweihnacht« 1705). Dann mäßigte die kaiserliche Besatzungsmacht ihre Forderungen. Im Mai 1705 starb Kaiser Leopold I. Die Nachfolge trat Joseph I. an, bereits zum Römischen König (und Nachfolger) gewählt und gekrönt, auch schon gekrönter König von Ungarn und Böhmen. Joseph galt als begabt, mit hervorragenden Anlagen. Allerdings bevorzugte er etwas zu sehr die angenehmen Seiten des Lebens, Musik, Jagd und amouröse Abenteuer. Eugen ging nun nach Italien. 1706 gelang ihm der Entsatz des von den Franzosen belagerten Turin, nach diesem Sieg wurden auch Mailand und Mantua kaiserlich. Aber der Krieg tobte an vielen Fronten : In Belgien, in Spanien, am Rhein, und zu allem Überfluss befand sich wieder einmal (seit 1703) Ungarn im Aufstand – die »Kuruzzen« Franz II. Rákóczis plünderten österreichische und steirische Grenzgebiete, sie schienen sogar für Wien bedrohlich, wo man 1704 den die Vorstädte einschließenden »Linienwall« errichtete. 1707 eroberte eine kaiserliche Armee unter Wirich Graf Daun Neapel, während ein Vorstoß Eugens nach Toulon wirkungslos blieb. Im selben Jahr stand der Führer der aufständischen ungarischen »Kuruzzen«, Franz II. Rákóczi, auf dem Höhepunkt seines Erfolges : Ein ungarischer Reichstag setzte Joseph I. ab, Rákóczi sollte bis zur Wahl eines neuen Königs das Land regieren. Inzwischen reiste Eugen in die Niederlande und nach Belgien, wo er wieder den befreundeten Marlborough traf und bei Oudenaarde, am nördlichen Ufer der Schelde, mit holländischen, englischen, dänischen, preußischen und hannöverschen Truppen einen wichtigen Sieg über die Franzosen errang. Noch im selben Jahr wurde auch die starke Festung Lille erobert. 1709 nahm Eugen als kaiserlicher Gesandter an Friedensverhandlungen in Den Haag teil, die aber an den überzogenen Forderungen der antifranzösischen Allianz scheiterten. Nochmals siegten die Verbündeten bei Malplaquet im September, aber bald danach sank der Kriegswille bei den Seemächten, geheime Verhandlungen wurden angebahnt. Immerhin konnte Karl III. 1710 für kurze Zeit in Madrid einziehen, musste es aber bald wieder räumen. Inzwischen hatte sich das Blatt in Ungarn gewendet : Der kaiserliche General Siegbert Graf Heister eroberte die Festung Neuhäusl (Nové Zámky), der wichtigste Gefolgsmann Rákóczis, Graf Alexander Károlyi, legte auf Anraten des kaiserlichen Generals Johann Graf Pálffy den Treueid auf König Joseph ab. Rákóczi ging ins türkische Exil. 1711 wurde der ungarische Krieg mit dem Frieden von Szatmár (Satumare) beendet, die relative Religionsfreiheit bestätigt. Da starb Joseph I. an den Blattern, von Eugen tief betrauert. Seine Nachfolge trat der Bruder an, jetzt Kaiser Karl VI.
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Sofort erklärten englische Diplomaten, eine Vereinigung Spaniens mit den österreichischen Ländern und der Kaiserkrone sei unmöglich. Außerdem hatte das Kabinett gewechselt, die neue Regierung war an einem Frieden mit Frankreich interessiert. England einigte sich mit Ludwig XIV., die Niederlande folgten (Friede von Utrecht 1713). Ohne die Unterstützung der Seemächte hatte auch Eugen keine Chance gegen den nach wie vor mächtigen Gegner. 1714 wurde zu Rastatt (zwischen Ludwig XIV. und Kaiser Karl VI.) der Friede geschlossen. Spanien und die Kolonien fielen an die Bourbonen, die Spanischen Niederlande (Belgien und Luxemburg) ebenso wie Mailand, Neapel und Sardinien (später gegen Sizilien eingetauscht – Tauschpartner war Savoyen) an Karl VI. Eugen war der Hauptverhandler des Kaisers, jener des französischen Königs der als Heerführer bestens bekannte Gegner Eugens, der Herzog von Villars. Die »Monarchia Austriaca« hatte große Gebiete gewonnen – aber sie lagen alle weit weg vom Zentrum und waren im Kriegsfall kaum zu verteidigen. Noch einmal erglänzte der Feldherrenruhm des Prinzen Eugen. Die Pforte erklärte 1714 Venedig den Krieg. Es ging um Morea (den Peloponnes). Die Venezianer suchten die Hilfe des Kaisers. Ein Vermittlungsversuch scheiterte, der Krieg brach aus. Eugen siegte im August 1716 bei Peterwardein, im Oktober fiel auch das bis dahin türkische Temesvár. Im Juli 1717 begann die Belagerung von Belgrad. Zum Entsatz rückte eine große osmanische Armee heran : Eugens Belagerungsarmee stand nun zwischen zwei Feuern. Völlig überraschend griffen Eugens Truppen im Morgengrauen des 16. August die Entsatzarmee an, die Türken flohen nach wenigen Stunden. Belgrad musste kapitulieren. Mit dem Frieden von Passarowitz (Požarevac) am 21. Juli 1718 hatte die österreichische Monarchie ihre größte Ausdehnung erreicht : Das Banat, das nördliche Serbien (und ein Streifen von Bosnien) sowie ein Teil der Walachei fielen nun Karl VI. zu. Die Kolonisierung des Banats wurde einem Lothringer, Claudius Florimond Graf Mercy übertragen. Ebenso wie im übrigen Ungarn wurden hier in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Menschen angesiedelt : Serben, Rumänen, Deutsche aus verschiedenen Gebieten, Slowaken, Kroaten, Lothringer. Freilich wurde das Kolonisationswerk durch den Türkenkrieg 1737–1739 nochmals massiv gestört. Doch wurde es unter Maria Theresia und Joseph II. mit Nachdruck fortgesetzt. Nun war das Habsburgerreich zwar sehr ausgedehnt, und der Prinz Eugen legte noch bis um 1730 Proben seines diplomatischen Geschicks ab, wenn es galt, das heikle europäische Gleichgewicht immer wieder auszutarieren. Die Armee aber verfiel, schon zur Lebenszeit des Prinzen, und sein letzter Einsatz im Rahmen des Polnischen Erbfolgekrieges 1734/35 am Oberrhein, zeigte Eugen nur mehr als Schatten seiner selbst (so hat ihn der preußische Kronprinz Friedrich, damals im Lager Eugens, charakterisiert). Neapel und Sizilien gingen verloren. Die Bourbonen konnten sich in Italien festsetzen, freilich ohne Verbindung ihres italienischen Königreichs mit Spanien. Das Herzogtum Parma bot den Habsburgern einen kleinen Ersatz. Nach dem Tod des letz-
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ten Medici sollte Franz Stephan von Lothringen, der Verlobte von Karls VI. Erbtochter Maria Theresia, Großherzog von Toscana werden (1737). Lothringen fiel hingegen an den zeitweiligen polnischen König Stanislaus Leszczyński und nach dessen Tod (1766) endgültig an Frankreich. Nach Eugens Tod (1736) zeigte ein letzter, blamabler Türkenkrieg (1737–1739), in dem zeitweilig sogar das Banat von den Türken besetzt wurde, den Niedergang der militärischen Macht Karls VI. Belgrad ging wieder verloren. Die Grenze zum Osmanischen Reich verlief ab jetzt von der Mündung der Una weg an Save und Donau, und ab Orsova entlang des Karpatenkammes. Der Leichnam des Prinzen Eugen, des treuen Dieners dreier Kaiser, wurde im Dom zu St. Stephan, in der Tirna-Kapelle, bestattet. Karls VI. Politik hatte sich vollkommen auf die diplomatische Anerkennung der Erbfolge seiner Tochter konzentriert. 6.2 Karl VI. und die Pragmatische Sanktion Karl VI. – als spanischer König Karl III. – sprach von zwei Monarchien, die das Haus Österreich beherrschte – der Monarchia Hispanica und der Monarchia Austriaca. Seine ihm zuletzt verbliebene »österreichische Monarchie« war die Summe der von den Wiener Habsburgern erblich beherrschten Länder. Aber diese Monarchie war noch kein »Staat«. Immer noch standen die einzelnen Länder je für sich ihrem gemeinsamen Herrscher gegenüber. Immerhin waren alle deutsch-österreichischen Erblande schon durch eine einzige »österreichische« Hofkanzlei mit dem Hof verbunden. Aber überall existierten nach wie vor die Stände der verschiedenen Länder, mit ihren eigenen Landhäusern in Wien (Erzherzogtum Österreich unter der Enns), Linz (Österreich ob der Enns), Graz (Steiermark), Klagenfurt (Kärnten), Laibach (Krain), Görz (Görz) und Innsbruck (Tirol). Nach wie vor gab es eigene Verwaltungen für die ehemaligen Teilungsgebiete von 1564 in Innsbruck und Graz. Der reiche und selbstbewusste böhmische Adel hatte in der böhmischen, der Adel der österreichischen Länder in der österreichischen Hofkanzlei starke Bastionen : Denn die dort tätigen Räte holten die junge Verwandtschaft aus »ihren« Ländern nach und setzten sie auf wichtige Posten. Dadurch wurden diese zentralstaatlichen Instanzen faktisch zu Vorposten der adeligen, ständischen Regional-Interessen. Und der ungarische Landtag hatte sowieso ein Mitgesetzgebungsrecht gegenüber dem König – hier war ohne oder gegen den Adel gar nicht zu regieren. Aber auch die Stände der böhmischen und österreichischen Länder entschieden immer noch über die Steuerforderungen des Herrschers, wobei ihre Landtagsbewilligungen die Forderungen der Hofkammer in der Regel deutlich nach unten korrigierten. Die Stände waren Träger eines kräftig ausgebildeten Landes- (oder, in Böhmen : Königsreichs-) bewusstseins, für das schon die habsburgischen Nachbarländer »Ausland« waren. Im Falle von Getreideknappheit beschlossen die Stände zuwei-
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len sogar die wirtschaftliche Abschließung von diesen Nachbarländern (so zwischen Oberösterreich und Steiermark im 17. Jahrhundert). In der Barockzeit wurden fast überall die Landhäuser der Stände modernisiert. Die malerische Ausstattung der Landhäuser unterstrich die Landestraditionen ; so wurden etwa im Klagenfurter Landhaus die berühmten Szenen an Fürstenstein und Herzogsstuhl dargestellt, aber auch die Erbhuldigung für Karl VI. In der Ausschmückung des neuen Tiroler Landhauses treten Teile des Landes mit ihren typischen Produkten auf. Ganz anders das niederösterreichische Landhaus in der Wiener Herrengasse. Dieser Saal erhielt nach einem Beschluss der niederösterreichischen Stände von 1710 eine völlig neue malerische Ausstattung durch den Bologneser Antonio Beduzzi. Der Maler setzt dabei ein Programm des kaiserlichen Geschichtsschreibers Giovanni Commazzi um. Und dieses Programm bot keine Illustration niederösterreichischer Landesgeschichte, wie es bei anderen Landhäusern üblich gewesen wäre – nein, es handelt sich um kein geringeres Thema als um die Weltherrschaft des Hauses Österreich ! Personifiziert in der »Austria«, einer Frauenfigur, die der göttlichen Vorsehung huldigt, stand das Haus Österreich, also Habsburg, im Mittelpunkt. Da Kaiser Karl VI. auch nach seinem Verzicht auf die spanische Krone den Titel eines spanischen Königs behalten durfte, konnte man mit einer gewissen Großzügigkeit Europa und (Latein-) Amerika als »österreichisch« interpretieren, bei Afrika geht’s schon nicht so gut ; das »heidnische« bzw. muslimische Asien liegt überhaupt noch in Ketten und erfleht von »Österreich« Macht und Freiheit, damit das »Vaterland Christi« nicht länger unter der Herrschaft der Ungläubigen schmachte. Flüsse symbolisieren die Länder unter Habsburgs (spanisch-österreichischer) Herrschaft : der Sebethos bei Neapel, die Donau, der Rhein, die Save, der Tajo, die Elbe und der Silberfluss (Rio de la Plata) in Südamerika. Verglichen mit dieser Weltherrschaftsphantasie war die reale Macht des Hauses Österreich deutlich bescheidener. Auch wenn in den Lehrbüchern zur österreichischen Geschichte immer (noch) vom »Aufstieg Österreichs zur Großmacht« zu lesen ist, waren doch in Wahrheit die habsburgischen Ressourcen im 18. Jahrhundert durch den Abstieg Spaniens im 17. Jahrhundert und dessen Übergang an die Bourbonen trotz der Gebietsgewinne von 1714 und 1718 deutlich kleiner als im 16. Jahrhundert und noch in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges. Die materiellen Möglichkeiten des Kaisers wurden mit etwa einem Drittel der französischen eingeschätzt. Und immer noch war die Einheit der österreichischen Monarchie durch mögliche Erbteilungen bedroht. Dem wollte Karl VI. vorbeugen – die ganze Monarchie sollte für immer als gemeinsamer Verband bestehen bleiben, auch wenn es mehrere mögliche Thronerben gab. Keine Erbteilungen mehr ! Im Jahre 1713 verkündete der Kaiser daher vor seinen wichtigsten Räten (an deren Spitze der Prinz Eugen), dass Kaiser Leopold, König Joseph und er selbst im Jahre 1703,
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ehe Karl zum Antritt seines spanischen Königtums abreiste, einen Vertrag über die gegenseitige Erbfolge geschlossen hätten (das pactum mutuae successionis). Dabei sei man unter Berufung auf frühere Testamente Ferdinands II. und III. übereingekommen, dass die Königreiche und Länder des Hauses Österreich immer unter einem einzigen Erben beisammen bleiben sollten, wobei beim Fehlen männlicher Erben auch die weibliche Erbfolge eintreten würde. Zunächst sollten die Töchter Karls VI. erbberechtigt sein, beim Tod aller Kinder Karls VI. die Töchter Josephs I. Unabhängig davon hatte schon 1712 der kroatische Landtag den Wunsch geäußert, für den Fall des Aussterbens der Habsburger in männlicher Linie (und einer eventuellen Teilung) von jenem Mitglied des Frauenstammes regiert zu werden, das auch die Länder Steiermark, Kärnten und Krain regieren würde – ein aus dem gemeinsamen Schicksal als Grenzregionen gegen das osmanische Reich verständlicher Wunsch. Nachdem Karl aus Spanien zurückgekehrt war, hat man jene Hausgesetze neuerdings den wichtigsten Beratern des Kaisers kundgemacht, weil von jenen Herren, die 1703 dabei gewesen waren, nur mehr wenige lebten. Beide Male war – neben anderen – sowohl 1703 wie 1713 der Prinz Eugen als Präsident des Hofkriegsrates dabei. Dieser Text wurden ab 1720 den einzelnen Landtagen mit der Aufforderung mitgeteilt, diese Hausgesetze ausdrücklich anzunehmen und anzuerkennen. Die nichtungarischen Landtage waren unproblematisch. Der niederösterreichische Landtag nahm die Pragmatische Sanktion schon am 25. April 1720 an, die Kärntner am 10. Juni, die Krainer am 19. Juni, die Görzer am 5. August, der Landtag von Gradisca am 8. August, die Triestiner am 30. September, der böhmische Landtag am 16. Oktober, der mährische am 17. Oktober, der schlesische am 25. Oktober, Tirol am 12. Dezember 1720, Vorarlberg am 14. Jänner 1722. Die Niederösterreicher regten bei dieser Gelegenheit auch eine Erbverbrüderung der habsburgischen Länder untereinander an. Doch wurde dies nicht aufgegriffen. Am wichtigsten war dem Kaiser die Zustimmung des ungarischen Landtages. Immerhin hatte man ja erst 1711 mit den aufständischen Ungarn einen Frieden geschlossen. In der Zustimmungserklärung des ungarischen Landtages wird besonders betont, dass die »wechselseitige, einvernehmliche Union mit den übrigen Erbkönigreichen und -ländern seiner geheiligten Majestät« die äußere und innere Sicherheit Ungarns sichern sollte. Der ungarische ebenso wie der siebenbürgische Landtag nahmen die Pragmatische Sanktion nach langwierigen und sorgfältigen Vorbereitungen 1722 an. Damit hatte man die schwierigste Hürde genommen. Die Pragmatische Sanktion blieb das allgemein anerkannte Grundgesetz der Habsburgermonarchie bis in die letzten Oktobertage 1918. Nun hatte man zwar die Anerkennung dieses Hausgesetzes durch die Stände der Erbkönigreiche und -länder in feierlicher, schriftlicher Form. Aber die große Frage war
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doch, wie sich das Ausland verhalten würde. Gegen den definitiven und schmerzlichen Verzicht auf die erfolgreiche Handels-Compagnie im belgischen Oostende erlangte Karl VI. das Einverständnis Großbritanniens und Hannovers zur Pragmatischen Sanktion, Spanien und die Niederlande traten später bei. Die Zustimmung des Reiches auf dem ständigen Reichstag in Regensburg erfolgte 1732, allerdings stimmten wichtige Reichsstände dagegen : Bayern, Sachsen und die Pfalz. Die Kurfürsten von Bayern und Sachsen waren ja mit Töchtern Josephs I. verheiratet und machten sich Hoffnungen auf die Thronfolge in Wien. Preußen hatte die Sanktion ebenfalls (1728) anerkannt, was bekanntlich den damaligen Thronfolger, den späteren König Friedrich II., nicht hinderte, unmittelbar nach dem Tod Karls VI. Österreich anzugreifen. 6.3 Die Barockisierung Österreichs Das Ende der osmanischen Bedrohung wirkte wie eine Erlösung. Nun entstand in kürzester Zeit ein völlig neues Bild des Landes – das barocke Österreich. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann die katholische Kirche, die »politische« Rekatholisierung durch eine mentale zu untermauern. Etwas vereinfacht könnte man sagen : Der erneuerte Katholizismus nahm dem Volk die Lesung der Bibel in seiner Sprache weg, bot aber dafür Ersatz durch beeindruckende Raumerlebnisse, Bilder, Statuen, feierliche Gottesdienste, Kirchenmusik, Prozessionen und Wallfahrten. Dieses »Programm« erforderte den Einsatz von Architektur, bildender Kunst, Musik und Theater. In allen Bereichen standen zunächst die Jesuiten an der Spitze, die nicht nur hervorragende Wissenschaftler und Lehrer, sondern auch Architekten und Theaterdichter hervorbrachten. Das katholische Volk erhoffte sich Hilfe in den Nöten eines zumeist schwierigen Alltags – durch die Anrufung der heiligen Dreifaltigkeit (Wallfahrtskirche am Sonntagsberg), diverser Heiliger (für die Bauern und das liebe Vieh : des heilige Leonhard oder der vierzehn Nothelfer), besonders aber der jungfräulichen Mutter Maria, die so etwas wie eine österreichische (aber auch bayerische, ungarische usw.) »Muttergottheit« wurde. An das große habsburgische Zentrum der Marienverehrung, Mariazell, reihten sich viele andere, populäre und sozusagen »von unten her« entstandene Wallfahrtsorte, wie Maria Taferl, Maria Dreieichen oder der Mariahilfberg bei Gutenstein (alle in Niederösterreich). Durchwegs erhielten diese Orte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eindrucksvolle barocke Wallfahrtskirchen. Die barocke Prägung reicht weit über das heutige Österreich und über die großen Kirchen, Schlösser und Klöster hinaus. Auch in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, in Ungarn, in Slowenien und in Teilen Kroatiens prägen barocke Kirchtürme, Dreifaltigkeits- und Mariensäulen, Kapellen, kleinere oder größere Schlossbauten und zahlreiche Fassaden von Bürgerhäusern eine neu gestaltete Kulturlandschaft. Und wo es zu einem Neubau
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nicht reichte, hat man wenigstens die Altäre der Kirchen barockisiert – was nicht selten so manche bedauernswerte Demontage gotischer Kunstwerke bedeutete. In Melk hat man sogar das von Herzog Rudolf dem Stifter gespendete gotische Grabmal des heiligen Koloman vernichtet ! Einmalig am künstlerischen Schaffen dieser Jahrzehnte war nicht nur die große Zahl von Neubauten oder Modernisierungen von Gebäuden aller Art. Einmalig war auch das intensive Zusammenspiel von Architekten, Bildhauern, Stukkateuren und Malern, das zu einer kaum jemals erreichten Verschmelzung dieser verschiedenen Künste zu einheitlichen Kunstwerken hohen Ranges führte. Andrea Pozzo, einer der großen Künstler der Zeit (er entwarf die neue Ausstattung der Jesuitenkirche in Wien), sah zwischen Malerei und Architektur keinen anderen Unterschied, als dass der eine mit Kalk und Mörtel, der andere mit Linien und Farben zu bauen pflege. Die Bauherren waren, neben dem Kaiser, sein wichtigster Feldherr, der Prinz Eugen von Savoyen mit dem Stadtpalais in der Himmelpfortgasse, dem Sommersitz Belvedere (Oberes und Unteres) und den Landschlössern Schlosshof und Niederweiden, zahlreiche andere Adelsfamilien wie die Schönborn (in Göllersdorf ), die Eggenberg (Schloss Eggenberg bei Graz), die Attems (Schloss Dornau, Untersteiermark/Slowenien), die Schwarzenberg (in Krumau [Český Krumlov]), die Althann (in Frain [Vranov] in Südmähren) oder die Harrach (in Rohrau, Niederösterreich), sowie eine Reihe von ebenso kunstsinnigen wie ökonomisch versierten Prälaten : Berthold Dietmayr von Melk, Gottfried Bessel von Göttweig, Placidus Much von Altenburg, Hieronymus Übelbacher von Dürnstein. Ziemlich das östlichste Beispiel dieser sakralen Barockarchitektur ist das Prämonstratenserstift Jasov westlich von Kaschau (Košice) in Oberungarn, der heutigen Slowakei. Die Bauherren waren vom damals sprichwörtlichen »Bauwurm« befallen. So schrieb der Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn aus Wien an seinen Onkel, den Reichserzkanzler und Erzbischof von Mainz, während des Baues seines Schlosses in Göllersdorf (Niederösterreich), der »Teufelsbauwurm« habe ihn verführt, im vergangenen Jahr anstatt der geplanten 12.000 mehr als 27.000 Gulden auszugeben. Die Barockisierung des heutigen Österreich begann in Salzburg. Das Land Salzburg war ja bis 1803 ein selbstständiges geistliches Reichsfürstentum, von den Habsburgern unabhängig. Dieses Land – mit dem heutigen Bundesland nicht identisch, aber vergleichbar – war viel kleiner als die riesige Diözese, die über große Teile Kärntens und der Steiermark bis an die ungarische Grenze reichte. Der Erzbischof war darüber hinaus der Metropolit einer Kirchenprovinz, die noch immer das alte Bayern samt dem früheren Karantanien und die ehemaligen Marken nördlich der Drau und die alten Bistümer Passau, Regensburg, Brixen und Freising mit umfasste. Der Titel eines »Primas Germaniae« war ihnen mehrfach verliehen worden ; im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit führten sie ihn mit Stolz und Selbstbewusstsein – obwohl
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mit dem Titel keine Jurisdiktion über Bischöfe oder gar Erzbischöfe außerhalb ihrer Kirchenprovinz verbunden war. Wie auch immer : Der bedeutendste Metropolitansitz im Süden des Reiches brauchte auch eine dem Rang und Anspruch entsprechende Kathedrale. Mit dem Neubau des Domes ließ Erzbischof Markus Sittikus von Hohenems (1612–1619) – nach ersten Planungen unter Wolf Dietrich von Raitenau – den ersten großen Kirchenbau nach römischem Muster im heutigen Österreich von Santino Solari (1576–1646) errichten. Solari war dann auch der planende Architekt für das Schloss Hellbrunn bei Salzburg sowie für die Innsbrucker Jesuitenkirche (1627–1646). Die singuläre Neugestaltung der Wallfahrtskirche von Mariazell, mit der Beibehaltung des gotischen Fassadenturmes, geht auf Domenico Sciassia (†1679) zurück, der auch für St. Lambrecht und Lilienfeld arbeitete. Es ist kein Zufall, dass bis um 1690 nicht Wien und Niederösterreich, sondern das Land ob der Enns, Tirol und Steiermark die wichtigsten neuen Bauten erhielten : Diese Länder waren nicht nur vom Dreißigjährigen Krieg, sondern auch vom Türkenkrieg 1683 nicht oder kaum betroffen. Auch die obderennsischen Klöster (bzw. Klosterkirchen) Kremsmünster, Schlierbach, Waldhausen, Garsten und St. Florian wurden zumeist schon im 17. Jahrhundert modernisiert. In der Steiermark wurden Pöllau (ab 1677) und Vorau (1660/62 von Domenico Scassia) barockisiert. Der vielleicht eindrucksvollste Palastbau dieser Jahrzehnte war das Schloss Eggenberg bei Graz, ab 1625 von Pietro de Pomis geplant und erbaut, der schon das Mausoleum für Ferdinand II. in Graz entworfen hatte. Erst ab 1660 erhielt die Wiener Hofburg mit dem Leopoldinischen Trakt (Filiberto Lucchese und Giovanni Pietro Tencalla) einen die alte Burg mit den jüngeren Bauten (Amalienburg) verbindenden neuen Trakt. Nach dem Abzug der Türken 1683 änderte sich die Lage : Nun gab es, nach der Zerstörung der Vorstädte rings um Wien, viel Platz, den man für weitläufige Gartenanlagen und dazugehörige Palais, aber auch für Kirchen- und Klosterbauten verwenden konnte. Das berühmteste (Doppel-) Palais bildeten ohne Zweifel die durch einen ansteigenden Garten verbundenen Bauten des Unteren und Oberen Belvedere des Prinzen Eugen, geplant von Johann Lucas von Hildebrandt. Auch das benachbarte Palais Schwarzenberg ( Johann Bernhard und Joseph Emanuel Fischer von Erlach) prägt bis heute das Stadtbild von Wien mit. In der Rossau wuchs das Liechtenstein’sche Gartenpalais empor (Domenico Egidio Rossi und Domenico Martinelli, ab 1690). Aber auch innerhalb der eigentlichen Stadt regte sich die adelige Bautätigkeit. In rascher Folge entstanden die Stadtpalais Kaunitz-Liechtenstein (Enrico Zuccalli – Domenico Martinelli, ab etwa 1690), das Stadtpalais des Prinzen Eugen ( Johann Bernard Fischer von Erlach und Johann Lucas von Hildebrandt, ab 1696) oder das Palais Daun-Kinsky ( Johann Lucas von Hildebrandt, ab 1713). Schließlich baute man auch an der Hofburg weiter : Die Hofbibliothek ( Johann Bernhard und Joseph Emanuel Fischer von Erlach, Fres-
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ken des Großen Saales von Daniel Gran, 1722/23 bis 1734) gehört ebenso zu diesem weitläufigen Komplex wie der Reichskanzleitrakt, den der Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn von Johann Lucas von Hildebrandt ab 1723 erbauen ließ – die Fassade zum Platz in der Burg wurde allerdings vom kaiserlichen Architekten Joseph Emanuel Fischer von Erlach gestaltet. Der ältere Fischer legte Entwürfe für Schönbrunn vor, die jedoch erst unter Maria Theresia von Nicoló Pacassi zwischen 1745 und 1764 ziemlich verändert umgesetzt wurden. War die Schloss- bzw. Palastarchitektur eines der großen Aufgabengebiete der Architektur des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, so stand ihr die sakrale Architektur nicht nach. Es ist nicht möglich, alle bedeutenderen barocken Kirchen- und Klostergebäude im heutigen Österreich aufzuzählen. Unbedingt muss man die beiden Kirchenbauten Johann Bernhards Fischer von Erlach in Salzburg nennen, die im Zuge der »zweiten Barockisierung« der Erzbischofsstadt unter Erzbischof Ernst Graf Thun entstanden : Die Dreifaltigkeitskirche (1694 – etwa 1700, Kuppelfresko von Johann Michael Rottmayr) und die Kollegienkirche (ab 1696), ein Meisterwerk Fischers. Und natürlich die Wiener Peterskirche (1701–1722, von Gabriele Montani, Johann Lucas von Hildebrandt und Matthias Steinl), ein ovaler Zentralraum, ausgemalt von Rottmayr ; oder Lucas von Hildebrandts zentralen Kuppelraum der Piaristenkirche (Fresken von Franz Anton Maulbertsch, 1716 bis 2. H. 18. Jh.) ; künstlerisch und programmatisch am wichtigsten ist aber doch die Karlskirche, ein singuläres Meisterwerk. Von Karl VI. seinem Namenspatron, dem heiligen Karl Borromäus (1538–1584), Erzbischof von Mailand, gewidmet, wurde sie zum wohl bedeutendsten neuen Sakralbau Wiens. Abgesehen von der Symbolik der Architektur, die durch ihre römischen (und anderen) Zitate die breite Kenntnis der Weltarchitektur ihres Architekten, Johann Bernhard Fischer von Erlach, zeigt, sollte der Bau die Einheit der habsburgischen Länder symbolisieren : Alle Kronländer beteiligten sich finanziell an den Baukosten. Die Weihe nahm ein aus Ungarn stammender Bischof vor, der Wiener Erzbischof und Kardinal Sigismund Graf Kollonitsch (1737). Die Betreuung der Kirche aber wurde einem Prager Orden übertragen, den Kreuzherren mit dem Roten Stern. Die Karlskirche ist das bedeutendste Beispiel jenes »Kaiserstils«, den vor allem Johann Bernhard Fischer von Erlach entwickelt und gepflegt hat : Gegenüber dem am römischen Hochbarock orientierten farblichen Überschwang der Wiener Peterskirche oder der Melker Stiftskirche bleibt der »Kaiserstil« kühler, Distanz schaffend, auch farblich zurückhaltender, einen Hauch von Klassizismus verbreitend. Viele, eigentlich sogar die meisten Klosterbauten blieben unvollendet. Von dem Entwurf Donato Felice d’Allios für Klosterneuburg – Kloster und Residenz sollten nach dem Vorbild des Escorial zusammengefügt werden – wurde nur ein Bruchteil (samt Kaiserkrone als Kuppelbekrönung) fertig gestellt. In der großartigen, das Kremser Donautal beherrschenden, von Johann Lukas von Hildebrandt entworfenen Anlage
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von Göttweig wurde die Kirche »nur« barockisiert, aber nicht neu gebaut, der Westtrakt blieb überhaupt unvollendet. Wirklich vollendet wurde von den Bauvorhaben dieser Größe eigentlich nur Melk. Das Benediktinerstift wetteiferte mit den AugustinerChorherren von Klosterneuburg durch Jahrzehnte, ja Jahrhunderte um den Vorrang im niederösterreichischen Prälatenstand. Der Melker setzte sich schließlich politisch durch. Melk und Klosterneuburg lagen auch in der Wirtschaftskraft etwa gleichauf : Beide bestritten im früheren 18. Jahrhundert etwa je 12 bis 14 % der Wirtschaftskraft aller niederösterreichischen Stifte und Klöster. An dritter Stelle stand zumeist Göttweig. Bleiben wir also beim Beispiel Melk. Das Werden des Melker Klosterplanes ist nicht sehr gut dokumentiert, die Baugeschichte hingegen schon. 1700 wurde ein neuer Abt, Berthold Dietmayr, gewählt. Er entwickelte eine enorme Energie, aber auch Zähigkeit in der Umsetzung seiner Planungen. Die Baufälligkeit des Turmes der gotischen Stiftskirche erforderte eine Auseinandersetzung mit deren Bauzustand. 1701 entschieden sich Abt und Konvent für einen Neubau. Die Durchführung wurde dem St. Pöltener Maurer- und Baumeister Jakob Prandtauer übertragen. 1702 begann der Bau der Stiftskirche. Als Ausweichquartier für den Gottesdienst wurde zuerst die Sommersakristei erbaut, in der sich Antonio Beduzzi als Planer und Freskomaler verewigt hat. Beduzzi wird noch zahlreiche Entwürfe für Melk liefern ! 1706 – die Kirche war noch lange nicht fertig – begann der Umbau der Klostergebäude. Ab 1711 löste ein »neuer Klosterriss« einen älteren Entwurf ab. Jetzt erst wurde auch mit den Planungen für die Innenausstattung der Kirche begonnen. Entwürfe Beduzzis für die Freskierung wurden von Johann Michael Rottmayr ab 1716 ( Jahr des Vertrages) umgesetzt. Für die Architekturmalerei engagierte Rottmayr den Bolognesen Ippolito Sconzani – den Schwiegersohn Beduzzis. Nach der Beendigung der Freskierung der Kirche ging es ab 1724 an die Inneneinrichtung. Für die Seitenaltäre existieren (realisierte) Pläne Beduzzis, der Hochaltar wurde hingegen von Giuseppe Galli-Bibiena geplant. Umgesetzt wurden die Entwürfe des genialen Theaterarchitekten von einem äußerst qualitätvoll arbeitenden Einheimischen, dem St. Pöltener Meister Peter Widerin, einem Schwiegersohn Prandtauers. Dieser hatte auch viele der als Tonmodelle vorgelegten Statuen-Entwürfe des großen Bildhauers Lorenzo Mattielli zu realisieren. Dass eine relativ kleine Provinzstadt wie St. Pölten ein wichtiges Zentrum der Barockkunst wurde, ist in erster Linie durch Prandtauers Ansiedlung zu erklären. Prandtauer baute vor allem in St. Pölten (Umgestaltung des Domes, Karmeliterinnenkloster u. a.), aber auch in der Umgebung (Herzogenburg, Dürnstein, Wallfahrtskirche auf dem Sonntagsberg, die Melker Pfarrkirchen von Ravelsbach und Wullersdorf usw.), sein Radius reicht bis St. Florian in Oberösterreich. Prandtauers Neffe, Schüler und Nachfolger Josef Munggenast, ebenfalls aus Tirol, wirkte in Seitenstetten, Altenburg, Herzogenburg, Geras und St. Pölten – er folgte Prandtauer auch in Melk nach. Im
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Umkreis dieser Architekten entwickelte sich ein qualitätsvolles Kunsthandwerk, das sich an den großen Italienern orientierte. Kirche und Klostergebäude von Melk waren 1736 fertig – der Wiener Maler und Architekt Franz Thomas Rosenstingl verfertigte daher einige große Gesamtansichten der eindrucksvollen Anlage. Der den Bau dirigierende Bauherr, Abt Berthold, blieb freilich durch fast 40 Jahre derselbe. Da beschädigte im August 1738 ein Brand das eben fertig gestellte Kloster schwer – die Turmhelme mussten komplett erneuert werden und erhielten jetzt ihre bis heute so typische, elegante Form durch Josef Munggenast. Auf ihn geht auch die Verbindung von Bibliothek und Marmorsaal über eine begehbare Altane zurück. Viele Dächer mussten erneuert werden. Abt Berthold starb bald darauf, tief getroffen. Erst unter seinem zweiten Nachfolger wurde die Kirche 1746 feierlich eingeweiht. Nun klang der Befall mit dem »Bauwurm« wieder ab. Das Ende hing nicht selten mit einer Überschuldung des Bauherrn zusammen. So wurde der Bau-Propst von St. Pölten, Michael Führer, wegen der Verschuldung des Stiftes 1739 abgesetzt. Man kann in der unvollendeten Stiftsbibliothek das Herannahen der Zahlungsunfähigkeit ablesen ; immerhin war vorher die romanische Stiftskirche durch Prandtauer und Joseph Munggenast äußerst qualitätsvoll modernisiert worden. Wo die Bauern massiv zur Baurobot herangezogen wurden, kam es auch vereinzelt zu Bauernaufständen (Admont). Durch die Steuerreform Maria Theresias wurden die grundherrlichen Einkünfte intensiver besteuert, auch diese Maßnahme führte zum Erlahmen der Baufreude. Ganz konträr zum Glanz des jubelnden Barock erscheint ein Ereignis, das man eher hundert Jahre früher vermutet hätte : Die Ausweisung der Salzburger Protestanten. Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian (1727–1744) war wie schon einige seiner Vorgänger mit der Existenz von Anhängern des Luthertums konfrontiert. 1727/28 betraute er Jesuiten aus Bayern mit umfänglichen Missionen im Land. Sie erreichten das Gegenteil : Der Widerstand der Lutheraner versteifte sich. Das Corpus Evangelicorum des Reichstages protestierte gegen erste harte Maßnahmen. Die Verschärfung der recht gewaltsamen Bekehrungsmaßnahmen führte zu einer weiteren Verhärtung des Widerstandes. 1731 wurde dem Evangelischen »Corpus« des Reichstages eine von 19.000 Personen unterzeichnete Bittschrift vorgelegt, in der um Unterstützung gegen die Maßnahmen des Erzbischofs gebeten wurde. Am 13. Juli 1731 versammelten sich in Schwarzach im Pongau etwa 150 bäuerliche Abgeordnete aus sieben Amtsbezirken und beschlossen, ihren evangelischen Glauben offen zu bekennen. Man hoffte auf die Hilfe des evangelischen Teiles des Reichstages. Nach einer weiteren Versammlung und Entsendung einer Delegation nach Regensburg, die allerdings in Oberösterreich abgefangen wurde, nahm der Erzbischof die Vorbereitung einer breiten Rebellion an und ersuchte den Kaiser um militärische Unterstützung. Kaiserliche Soldaten kamen. Die Zwangsemigration der Lutherischen wurde vorbereitet. Wer kein
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Haus besaß, sollte das Land binnen acht Tagen verlassen. Ansässige Leute hatten eine Abzugsfrist von ein bis drei Monaten. Bürger- und Meisterrechte der Evangelischen verfielen. Damit wurde den Salzburger Protestanten die reichsrechtlich verbriefte Dreijahresfrist für die Auswanderung vorenthalten. Die reichsrechtlichen Probleme wurden schließlich durch die Erklärung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., die Salzburger Protestanten aufzunehmen, stark abgemildert. Bis Ende März 1732 wurden fast 5000 »Unangesessene« aus dem Land vertrieben. Dann folgten die Angesessenen, Bürger und Bauern. Anders als die Abschiebung der »Unangesessenen« erfolgte die Abreise der Besitzenden in geordneten Zügen. Insgesamt 20.692 Personen wurden in Preußen aufgenommen, wo man sie in Ostpreußen-Litauen ansiedelte. Doch gab es mannigfache Schwierigkeiten und es dauerte mehrere Jahre, bis sich die Salzburger in der neuen Heimat zurechtfanden. Schließlich wanderten auch noch 780 Bergleute vom Dürrnberg bei Hallein in die Vereinigten Niederlande aus. »Nach der Emigration war die Gesamtbevölkerung des Landes wohl knapp auf unter 120.000 Personen gesunken.« (Ammerer) Jetzt erst wurde den bereits Ausgewanderten gestattet, nochmals zur Regelung ihrer Vermögensangelegenheiten zurückzukommen. 1176 Bauerngüter waren zum Verkauf angeboten. Es sanken daher die Preise. Auch nach der großen Ausweisung wurden weitere Personen vertrieben. Erzbischöfliche Verordnungen sollten Moral und Sitte heben – unter anderem hat man die gemeinsamen Badstuben von Männern und Frauen verboten, genauso zu kurze Röcke und Hosen, die nicht weit genug über die Hüften hinauf reichten. 1737 wurden die Jesuiten abberufen und die Missionen anderen Orden anvertraut. Salzburg wurde wieder »gut katholisch«. Die mentalen und ökonomischen Kollateralschäden waren beträchtlich. 6.4 Kriege, Steuern, Armut: Der Merkantilismus Bleibt die Frage, wie jene Explosion an Neubauten überhaupt möglich war – die habsburgischen Länder waren ja durch den Dreißigjährigen Krieg und den Einfall der Osmanen 1683 sowie die Kuruzzeneinfälle im Osten des Landes verwüstet und verarmt. Und die Kriege, samt ihren ständigen hohen Steueranforderungen, vor allem an den Prälatenstand, waren auch nach 1648 immer weitergegangen – Kriege gegen die Osmanen (1683–1699, 1717–1719), gegen Frankreich (1672–1677, 1688–1697 und wieder, als Spanischer Erbfolgekrieg, 1702–1713/14) und gegen die aufständischen Ungarn (»Kuruzzen«, 1703–1711). Den bedeutendsten Anteil an der Steuerlast trugen wie eh und je Böhmen gemeinsam mit Schlesien und Mähren, Niederösterreich lag mit Mähren gleichauf : Eine auf zehn Jahre aufgeteilte Bewilligung verpflichtete Böhmen zur Zahlung von 3 Millionen Gulden, Schlesien zu 2 Millionen, Niederösterreich und Mähren zu je einer Million, Oberösterreich übernahm eine halbe Million, Steiermark
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750.000 Gulden, Kärnten 450.000 Gulden, Krain 300.000. Ungarn und Tirol verweigerten überhaupt, mit Hinweis auf ihre eigenen Aufgebots-Systeme. Man kann sich keine Vorstellungen vom finanziellen Chaos jener Zeiten machen : Jedes Jahr fehlten von den für die Armeen in Italien, Ungarn, Spanien, dem Reich und den Niederlanden nötigen etwa 20 Millionen mindestens die Hälfte ! Immer neue kurz- und langfristige Anleihen mit Rückzahlungsanweisungen an Salz- oder Mautämter stopften die größten Löcher, dennoch stieg die Staatsschuld in schwindelnde, den Zeitgenossen jedoch unbekannte Höhen. Die Steueranforderungen an die einzelnen Länder schwankten, tendenziell stiegen sie. So hatte Niederösterreich im Friedensjahr 1701 ca. 118.000 Gulden Steuern aufgebracht, im folgenden Jahre wurden schon 640.000 Gulden gefordert, 1713 900.000 Gulden, dazu waren mehr als 2000 Rekruten zu stellen, Mehl und Hafer an die Armee in Ungarn zu liefern. In besonderem Maße wurden die Prälaten gefordert, die dem Kaiser Darlehen und Geldgeschenke überlassen »durften«, 1713 ein Darlehen von 600.000 Gulden, 1723 125.000 Gulden, 1735 (wieder eine Kriegszeit) 650.000 Gulden. Extra mussten die Prälaten für die Befestigung von Belgrad und Temesvár bezahlen. Wie war nun, neben dieser starken Beanspruchung, jene ungeheure barocke Bautätigkeit zu finanzieren ? Zurück zum Melker Beispiel. Der Bau verschlang von 1701 bis 1749 eine Gesamtsumme von 708.000 Gulden, im Schnitt also 14.750 Gulden pro Jahr. Für die Forderungen der Herrscher mussten immer wieder Darlehen aufgenommen werden – aber am Ende dieser Periode standen den Passiva dennoch Forderungen in doppelter Höhe gegenüber – man konnte also noch Gelder verleihen ! Die Grundlagen hatten kluge und kaufmännisch tüchtige Äbte im 17. Jahrhundert geschaffen. Sie haben damals, wenn möglich, vor allem Zehentrechte gekauft. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts kamen 70 % der Einnahmen des Stiftes aus dem Verkauf von Zehentwein und Zehentgetreide. Die Vermarktung erfolgte über Wien (Zentrale im Melkerhof ) und Melk. Es gilt zwar die Zeit zwischen etwa 1620 und 1750 als Phase einer Agrarkrise, also niederer Getreidepreise. Allerdings gab es da zwischen etwa 1680 und 1730 eine Art »Zwischenhoch«. Gerade in dieser Zeit aber wurden die meisten barocken Neubauten errichtet ! Noch etwas darf nicht übersehen werden : Die Zeit des Barock war eine Phase außerordentlich niederer Löhne. Nicht für die großen Künstler : Der Freskomaler Johann Michael Rottmayr erhielt für die Freskierung der Melker Stiftskirche mit etwa 10.000 Gulden ein wesentlich höheres Honorar als der »Maurer- und Baumeister« Prandtauer, der in Melk jährlich nur 300 Gulden verrechnen konnte. Die »kleinen« Handwerker, Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Spengler, Glaser, Tischler, aber auch viele Taglöhner waren froh, wenn sie überhaupt Arbeit hatten. Insofern fungierte der barocke »Bauwurm« auch als eine Art produktive Arbeitslosenfürsorge. In der Trauerrede für
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den Prinzen Eugen hat der Jesuit und Domprediger Franz Peikhardt genau diesen Punkt angesprochen, als er sagte, dessen prächtige Bauten hätten »(…) nicht so viel seiner Erquickung in müßigen Stunden als in teueren Zeiten der Versorgung vieler tausend Menschen (…)« gedient. (Gottfried Mraz, Prinz Eugen, S. 248) Dass die glanzvollen Barockbauten gerade während der Kriegs- und Krisenjahre des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts entstanden, wird dennoch immer ein bisschen rätselhaft bleiben. Denn neben den großartigen Baustellen und grandiosen Kunstwerken eröffnet ein Blick auf die Alltagswelt des frühen 18. Jahrhunderts düstere Dimensionen. Immer wieder kehrte die Pest zurück, ein besonders schlimmes Pestjahr war 1713. In Wien starben damals mehr als 8.500 Personen. Auch die Sicherheitsverhältnisse blieben unbefriedigend. Abgedankte oder invalide Soldaten sowie Deserteure durchstreiften das Land und bildeten ganze Banden. Es gab ja auf dem flachen Lande noch keine Polizei oder Gendarmerie, und selbst die »Stadtguardia« oder die später eingerichtete »Rumorwache« in Wien konnte kaum die Sicherheit in der Hauptstadt gewährleisten, ihre Befugnisse endeten außerdem an der Stadtgrenze. Die verantwortlichen Grundherrschaften boten zuweilen Bauern zur Bekämpfung der Räuberplage auf, aber auch das war nicht sehr erfolgreich. Ausgedehnte Wälder nördlich und südöstlich von Wien boten den Räubern hervorragende Rückzugsmöglichkeiten. Wichtige Straßen von und nach Wien durchquerten jene Wälder und wurden daher von Banden gerne für Überfälle genützt. 1721 wurde sogar Militär eingesetzt, um dem Bandenunwesen zu steuern. Schwere Strafen drohten : Überführte Verbrecher konnte sogleich standrechtlich verurteilt und hingerichtet werden, starke Männer wurden auf die Galeeren Venedigs geschickt. Nicht zuletzt hat man Zucht- und Arbeitshäuser eingerichtet, in denen »arbeitsscheue Elemente« nicht nur straf- und zwangsweise untergebracht wurden, sondern auch mit recht unfreundlichen Mitteln zur Arbeitsamkeit erzogen werden sollten. Das erste wurde schon 1671 in der Wiener Leopoldstadt errichtet, es folgten analoge Institute in Olmütz (1701), Innsbruck (1725), Graz (1735), Prag (1737), Troppau (1753), Klagenfurt und Laibach (1754), Triest (1772) usw. Auch das frühere kaiserliche Schloss Ebersdorf (Kaiser-Ebersdorf ) diente zeitweilig als Zucht- und Arbeitshaus. Landstreicher konnten auch nach Oberungarn (Slowakei) zur Bergwerksarbeit geschickt werden. »Einheimische« Arme hatten dagegen das Recht zu betteln, einige konnten in herrschaftlichen oder dörflichen Armenhäusern unterkommen. Doch boten diese eher erbärmliche Unterkünfte. Immerhin kam man anlässlich einer Untersuchung aus dem Jahr 1727 in Österreich ob der Enns, wo damals fast 26.000 Arme bzw. Bettler gezählt wurden, zur Erkenntnis, dass es sich hier nicht durchwegs um »arbeitsscheue« Elemente gehandelt habe, sondern dass diese Zahlen eine breite Arbeitslosigkeit als Folge einer Absatzkrise der oberösterreichischen Leinwand widerspiegelten. Die Idee, dass sich die
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Zucht- und Arbeitshäuser durch den Verkauf der von den Zwangsinsassen erzeugten Produkte, meist Textilien, selbst erhalten könnten, erwies sich allerdings als Illusion. Es stellte sich heraus, dass die meisten Menschen, die man in diese Anstalten einwies, gar nicht arbeitsfähig waren – Kinder, alte Menschen, Behinderte und Invalide. Nicht nur die Absicht, Menschen »in Nahrung« zu bringen, die ansonsten der Allgemeinheit zur Last fielen, sondern auch die Beobachtung, dass durch die Einfuhr teurer Luxuswaren sehr viel gutes Geld außer Landes ging, führte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu neuen ökonomischen Einsichten. Nun waren das heutige Österreich, Slowenien oder Tschechien keineswegs nur Bauernländer – es gab dichte Gewerbelandschaften wie die ober- und niederösterreichischen Eisenwurzen oder Teile des späteren Industrieviertels, das Mürz- und obere Murtal in der Steiermark, Teile von Kärnten und Oberkrain ; in vielen Landesteilen breitete sich die Verarbeitung von Schafwolle und Flachs aus, Schlesien und die böhmischen Länder exportierten sehr viel Leinwand und Wollstoffe. Und an den zahlreichen Verkehrswegen von und nach Wien, wo seit 1612 die Kaiser dauerhaft residierten, gab es eine starke Nachfrage nach Transport- und Verkehrsdienstleistungen. Immer mehr Menschen wollten oder mussten Wien erreichen – Wien samt den Vorstädten hatte schon um 1700 mehr als 100.000 Einwohner, um 1750 waren es bereits 175.000. Eine häufig gewählte Möglichkeit bot der Donauweg – zu Schiff, von Regensburg aus, über Linz und Krems. Andere Routen führten von Sachsen über Prag nach Wien oder von Italien auf dem alten »schrägen Durchgang« von Tarvis über Villach, St. Veit, Friesach, Judenburg, Bruck an der Mur usw. Unter Karl VI. wurden die Straßenverbindungen systematisch verbessert. Von Wien aus spann sich ein Netz von Fernstraßen – über St. Pölten, Amstetten und Linz ins Reich (Richtung Regensburg), oder von Wien über Stockerau und Holla brunn nach Prag (»Prager Straße«), über Wolkersdorf, Mistelbach und Nikolsburg (Mikulov) nach Brünn (Brno), Olmütz und Breslau (Wroclaw) (»Brünner Straße«), von Wien nach Pressburg (Pozsony, Bratislava) und weiter in die Zips, ferner von Wien über Bruck an der Leitha nach Ofen (Buda – Budapest) und schließlich von Wien über Ödenburg (Sopron) nach Südungarn und Kroatien. In Konkurrenz zu den alten Straßen von und nach Venedig wurde die Triester Straße ausgebaut, zur besseren Verbindung der Hauptstadt mit den neuen Freihäfen an der Adria, Triest und Fiume. Dabei erhielt die Straße über den Semmering eine neue Trasse. Diese durchgehend für Fuhrwerke, Kutschen usw. benützbaren Straßen wurden Kommerzialstraßen genannt. Drei Personen und ein Buch prägten das neue Wirtschaftsdenken. Die drei Herren waren Wilhelm von Schröder (1640–1699), Johann Joachim Becher (1635–1682) und Philipp Wilhelm von Hörnigk. Sie gelten als die Erfinder des deutschen (und österreichischen) »Merkantilismus« oder »Kameralismus«. Erstmals überlegte man, wie durch die Umwandlung von Rohstoffen in Fertigwaren eine bessere inländische Wertschöp-
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fung und dadurch insgesamt auch eine bessere militärische Position der Habsburger erreicht werden könnte. Philipp Wilhelm von Hörnigk (1640–1714) fasste diese Gedanken in seinem überaus erfolgreichen Buch »Österreich über alles, wann es nur will« (erste Auflage 1684) zusammen. Das Buch erlangte bis 1784 16 Auflagen und bot Generationen von Wirtschaftspolitikern Material für deren Programme. Erste Umsetzungsversuche merkantilistischer Politik erfolgten schon im 17. Jahrhundert. Becher gründete u. a. eine (erste) Orientalische Handelskompagnie, die den Viehhandel mit Ungarn betreiben wollte, aber auch ein wenig erfolgreiches »Manufakturhaus« am Tabor in Wien ; die Kompagnie überlebte das Türkenjahr 1683 nicht. Überhaupt litten die ersten merkantilistischen Betriebsgründungen daran, dass sie eher Luxuswaren (Seidenstoffe, venezianische Spiegel) herstellten als Dinge, die man massenweise absetzen konnte. Kaiser Karl VI. privilegierte die beiden Hafenstädte Triest (Trieste, Trst) und Fiume (Reka, Rijeka) als Freihäfen (1718). Da Karl VI. auch König von Neapel und Sizilien war, erschien eine gute Verbindung der altösterreichischen Länder mit diesen beiden neuen Reichsteilen über das Meer unerlässlich. Gleichzeitig sollte durch die Erklärung zu Freihäfen die Industrie angeregt werden – man konnte ja die nötigen Rohstoffe zollfrei ein- und Exportprodukte ebenso zollfrei wieder ausführen. Beide Hafenstädte benötigten für den Ausbau ihrer Hafenfunktion gute Verbindungen mit dem Hinterland, vor allem mit der Haupt- und Residenzstadt Wien. Die Triester Straße wurde 1728 fertig gestellt. Man versuchte auch, die Belastungen der transportierten Waren durch die zahlreichen Zoll- und Mautstationen zu vermindern, wenigstens auf den Straßen von und nach Triest. Aber der Export schlesischer Leinwand nach Holland oder England war noch lange Oder-abwärts (und über Stettin zur Ost- und Nordsee) sehr viel billiger als von Breslau über Triest ; ganz ähnlich berichteten Unternehmer aus Böhmen, sie könnten ihre Waren (Leinwand und Tuche) problemlos über die Elbe nach Hamburg verschiffen, die Hamburger hätten ein gut funktionierendes System eingerichtet, das trotz der verschiedenen Hoheitsgebiete eine nur geringe Zollbelastung bedeute. Einen kräftigen ökonomischen Aufschwung erlebte Triest trotz aller Maßnahmen Karls VI. erst unter Maria Theresia und Joseph II. Maria Theresia ließ im Bereich der Salinen einen neuen Stadtteil errichten, die Theresienstadt (città Teresiana), deren zentraler Kanal auch Hafenfunktion ausübte. Die wichtigsten Exportprodukte der Habsburgermonarchie waren – neben den immer noch wichtigen »ungarischen Ochsen« – Leinwand aus Schlesien, Böhmen, Oberösterreich, Kärnten und Krain, daneben Eisen und Eisenwaren aus Ober- und Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten und Krain, Quecksilber aus Idrija und Kupfer aus Neusohl (Oberungarn, heutige Slowakei). Alle hochwertigen Finalprodukte mussten hingegen importiert werden. Noch unter Karl VI. erfolgten immer mehr Neugründungen von Unternehmungen – allein in Niederösterreich entstanden Papiermühlen (etwa in Rannersdorf ),
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eine Tabakfabrik in Hainburg, Seiden- und Stofffabriken in Wiener Vorstädten, eine Gewehrfabrik in Hainfeld. 1719 wurde – nach dem Frieden von Passarowitz – eine zweite Orientalische Kompagnie gegründet, die 1723 eine Baumwollwarenfabrik in Schwechat ins Leben rief. Graf Ferdinand Mallenthein gründete in Groß-Siegharts eine Siedlung mit 160 Arbeiterhäusern. Werkmeister kamen aus Schwaben, Färber und Schafwollarbeiter aus Brabant, aus Sachsen Tuchmacher. Hier wurde Baumwollle verarbeitet, die der Graf über die Kompagnie bezog. Nach dem Ende der Kompagnie war Mallenthein zahlungsunfähig und verlor sein gesamtes Vermögen. Die durch lange Zeit größte dieser Unternehmungen war die Linzer Wollzeugfabrik, gegründet 1672 durch den Linzer Handelsmann Christian Sind, die zeitweilig in der Fabrik und im Verlag mehr als 30.000 Menschen beschäftigte ; die großen Zahlen bedeuten Spinnerinnen und Spinner als Heimarbeiter. Daneben dominierten aber gerade in der (Schafwoll-) Tucherzeugung noch lange handwerkliche Betriebe. Zentrum dieser gewerblichen Tuchmacherei war das nordböhmische Reichenberg (Liberec). In Böhmen entstand schon 1715 in Oberleutensdorf (Horní Litvínov) auch eine Tuchfabrik im Besitz des Grafen Johann Josef von Waldstein. Noch älter war die Wollenzeugfabrik des Stiftes Ossegg (1707). Böhmen hatte eben den Vorteil, dass über die Elbe der Export nach Deutschland, Holland und England möglich war – während auf die Erzeugnisse der Länder an Donau, Save und Theiß stromabwärts keine kaufkräftigen Abnehmer warteten ! »Fabrik« bedeutete damals begrifflich nicht »Großbetrieb«, sondern ein landesfürstlich privilegiertes Unternehmen, für welches die engen Zunftvorschriften nicht galten. Größere Betriebe nannte man »Manufaktur«. 6.5 Maria Theresia: Staatsbildung und Staatsreform 6.5.1 Die Herrscherin und der Österreichische Erbfolgekrieg
Die Nachfolgerin Karls VI. war 1717 geboren und seit 1736 mit Franz Stephan von Lothringen verheiratet, der als Folge des Polnischen Erbfolgekrieges 1737 Großherzog von Toscana wurde. 1739 hatte das junge Paar das neue Herrschaftsgebiet besucht. Unerwartet starb Kaiser Karl VI. am 20. Oktober 1740. Nun musste Maria Theresia völlig unvorbereitet eine wesentlich schwierigere Aufgabe übernehmen. Sofort meldete Karl Abrecht von Bayern seine Anwartschaft auf das habsburgische Erbe an : Er hatte die Pragmatische Sanktion nie anerkannt und stellte sich auf den Standpunkt, dass seine Frau als Tochter Josephs I. (also aus der älteren Linie nach Leopold I.) das erste Anrecht auf die Kronen und Throne Karls VI. hätte. Er wurde von Frankreich unterstützt. Auch der Nachbar im Norden, König Friedrich II. von Preußen, dessen Vater, der habsburgtreue Friedrich Wilhelm I. ebenfalls 1740 gestorben war, meldete
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sogleich Ansprüche auf diverse schlesische Herzogtümer an. Er setzte schon im Herbst 1740 Truppen in Bewegung und besetzte Schlesien, verbunden mit dem Angebot an die junge Königin, sie kräftig gegen alle Feinde zu unterstützen – allerdings um den Preis der Abtretung Schlesiens. Maria Theresia verfügte über keine Kenntnisse im Militär- und Finanzwesen und hatte wenig Ahnung von staatsrechtlichen Feinheiten. Die Kassen waren leer, das Militär in schlechtem Zustand. Die Berater und Generäle ihres Vaters waren alt und angesichts der zahlreichen Schwierigkeiten verzagt – die wichtigste Ausnahme war einer der jüngeren Räte ihres Vaters, Johann Christoph Freiherr von Bartenstein (1695–1770), der in dieser überaus kritischen Phase die stärkste politische Stütze Maria Theresias war. Maria Theresia lehnte Friedrichs Anerbieten (oder sagen wir lieber : Erpressung) ab, da eine Preisgabe auch nur eines ihrer Länder die Gier der anderen Konkurrenten nur angespornt hätte. Die erste Tat der jungen Königin ist außerordentlich bemerkenswert : Sie suchte einen verlässlichen vertrauten Berater, der ihr nicht die Politik erklären, sondern sie persönlich führen sollte ; seine wichtigste Aufgabe wurde es, der jungen Fürstin täglich vor Augen zu führen, was sie nicht gut gemacht hatte. Als diesen persönlichen weltlichen »Beichtvater« wählte sie Emanuel Graf von Silva-Tarouca, dessen Vater portugiesischer Botschafter und ein persönlicher Vertrauter Karls VI. gewesen war. Der Graf erfüllt diese ebenso wertvolle wie heikle Aufgabe mit größter Diskretion und Gewissenhaftigkeit. Seine Tätigkeit hatte wohl einen wichtigen Anteil am Wandel der jungen Herrscherin – von einer jungen, lebenslustigen Frau mit viel Freude an den heiteren Seiten des Hoflebens hin zu einem fleißigen und sehr verantwortungsbewussten Haupt des Hauses Österreich und der von ihr regierten Königreiche und Länder. – Für ihren Gemahl strebte Maria Theresia den Kaisertitel an, doch wurde der bayerische Konkurrent Karl Albrecht 1742 als Karl VII. zum Kaiser gewählt. Der österreichische Erbfolgekrieg begann. Eher überraschend unterlagen die Österreicher im April 1741 den Preußen bei Mollwitz. Das ermunterte Franzosen und Bayern, denen sich, mit der Aussicht auf habsburgische Gebiete in Italien, Spanien anschloss. Nun schloss Maria Theresia einen ersten Waffenstillstand mit Preußen, um der neuen Koalition entgegentreten zu können. Inzwischen wurde sie in Pressburg (Pozsony, Bratislava) zur Königin von Ungarn gekrönt (25. Juni 1741). Schon als gekrönte Königin riss sie den ungarischen Adel auf dem Reichstag im September 1741 mit einem hinreißend emotionalen und mit beträchtlicher schauspielerischer Begabung vorgetragenen Appell zu dem berühmten Ruf Vitam et sanguinem pro rege nostro Maria Theresia ! (Leben und Blut für unseren König Maria Theresia) hin. Dass sie dabei den kleinen Thronfolger, den späteren Kaiser Joseph II., im Arm gehalten habe, ist freilich eine – wenn auch berührende – Legende. Ungarn rüstete, die adelige Insurrektion wurde mobilisiert, dazu kamen reguläre Regimenter. Am wichtigsten war wohl die Botschaft : Die Ungarn stehen treu zu ihrer habsburgischen Königin !
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Gerade jetzt begann der bayerisch-französische Angriff. Linz fiel kampflos, viele adelige Herren huldigten dem Kurfürsten. Ende November 1741 besetzten französische Truppen Prag. Fast gleichzeitig brach Friedrich II. den Waffenstillstand und besetzte Olmütz (Olomouc) in Mähren. Aber Wien wurde durch den tüchtigen alten Feldmarschall Ludwig Andreas Reichsgraf Khevenhüller gesichert, der vom Wienerwald aus den Gegenstoß Richtung Westen führte. Über Oberösterreich ging’s weiter nach Bayern. Es war ein kurioser Zufall, dass fast am selben Tag, als Kurfürst Karl Albrecht in Frankfurt zum Kaiser (Karl VII.) gekrönt wurde (12. Februar 1742), die Truppen Khevenhüllers München besetzten. Und wieder wurde Bayern durch österreichische Truppen besetzt und schwer belastet. Aber gleichzeitig wuchs der spanische Druck in Italien, ein erster Friede mit Preußen, mit dem schmerzhaften Verzicht auf Schlesien, bot eine gewisse Erleichterung. 1743 wurde Prag zurückerobert, im selben Jahr besiegte eine »Pragmatische Armee« (Hessen, Hannoveraner, Österreicher) unter englischer Führung bei Dettingen die Franzosen, ein offizielles Bündnis zwischen Österreich und England kam zustande. Maria Theresia konnte in diesem Jahr nun endlich auch in Prag gekrönt werden, wobei sie jene Herren, die Karl Albrecht zu freundlich empfangen hatten, ihre Ungnade spüren ließ (dasselbe wenig später in Linz !). Habsburgische Truppen drangen bis ins Elsass vor. 1744 erschien die Position Maria Theresias recht günstig – da fiel Friedrich II. erneut in Böhmen ein (2. Schlesischer Krieg). 1745 starb Kaiser Karl VII. Nun wurde Maria Theresias Gemahl als Franz I. zum römisch-deutschen Kaiser gewählt und gekrönt (September 1745). Nach neuerlichen preußischen Siegen wurde ein zweiter Frieden mit Friedrich geschlossen, er bestätigte den vorangegangenen. In Italien besserte sich die Situation etwas, allgemein war man des Krieges müde. Der Friede wurde erst 1748 in Aachen beschlossen und zwang Maria Theresia, Parma und Piacenza abzutreten. Damit war der Österreichische Erbfolgekrieg beendet – mit Verlusten, aber ohne die befürchtete Zerschlagung der Habsburgermonarchie. 6.5.2 Staatsreform und Staatsbildung
Das zentrale Ziel der mit dem Frieden einsetzenden Staatsreform war die Erhaltung einer schlagkräftigen Armee. Sieht man von der Gründung der Staatskanzlei 1742 (Verselbstständigung der außenpolitischen Abteilung der österreichischen Hofkanzlei) ab, hatten die Reformen im militärischen Bereich begonnen. So wurden 1743 die »innerösterreichische Kriegsstelle« (Nachfolgerin des einst selbstständigen Grazer Hofkriegsrates) und 1744 das vor- und oberösterreichische Militär-Directorium für Tirol und die Vorlande aufgehoben. Als der Krieg zu Ende ging, reiften die Überlegungen zu einer grundlegenden Reform. Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz (1702–1765) hatte
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schon im österreichisch verbliebenen Teil Schlesiens eine Neuordnung durchgeführt – immer mit dem Ziel, erhöhte Staatseinnahmen zu erreichen und die Stände auszuschalten. 1747 amtierte er in Kärnten und Krain – beide Länder erwiesen sich für die Staatskasse als besonders unergiebig, die Stände hatten hohe Schulden, aber ihre eigenen Amtsträger waren hervorragend besoldet. Alle drei innerösterreichischen Länder hatten sich die Militärgrenze als Sinekurenreserve für die Söhne des Adels eingerichtet. Daher sollte auch die Militärgrenze dem Einfluss der innerösterreichischen Stände entzogen werden. Haugwitz richtete zunächst in diesen Ländern neue landesfürstliche Regierungen (»Cameral-, Commercial- und politische Repräsentation«) ein, die er direkt Wien (und nicht mehr Graz !) unterstellte. Doch wer sollte in der Hauptstadt Ansprechpartner der neuen Landesstellen werden ? Hier standen die Hofkammer und die Österreichische Hofkanzlei gleichberechtigt nebeneinander – genau diese Überlegung wurde zum Ausgangspunkt zur Schaffung einer neuen Zentralbehörde, des späteren Directorium in publicis et cameralibus. In diesem wurden die Hofkammer sowie die böhmische und die österreichische Hofkanzlei zusammengefasst. Die obergerichtlichen Befugnisse der Hofkanzlei wurden einer neuen Stelle, der Obersten Justizstelle, übertragen. So wurde, quasi nebenbei, die Trennung von Justiz und (Staats-) Verwaltung vollzogen. Durch die Staatreform von 1749 wurden die Stände der einzelnen Länder aus der Bewilligung und auf längere Sicht auch der Einhebung der Steuern ausgeschaltet, da die Steuern gleich auf zehn Jahre bewilligt werden mussten (Dezennalrezesse – solche Rezesse hatte es auch schon früher gegeben, für die Tilgung von Staatsschulden). Die noch bestehenden ober- und vorderösterreichischen sowie innerösterreichischen Regierungsstellen in Innsbruck und Graz wurden aufgehoben. Überall wurden neue, nur der Herrscherin unterstehende Länderbehörden (»Deputationen«) eingerichtet – Ungarn blieb vorsichtshalber unberücksichtigt. Größere Länder erhielten zudem, nach böhmischem Vorbild, unterhalb der Landesebene zusätzliche Kreisämter (für je ein Landesviertel), denen von der Herrscherin ernannte Kreishauptleute vorstanden. Teil dieser Heeres- und Steuerreform war auch die Anlegung eines nach Grundherrschaften organisierten, freilich noch nicht auf Vermessungen und Einschätzungen vor Ort basierenden Katasters, der sog. Maria-Theresianischen Rektifikationen bzw. Fassionen oder Gültbücher. Bauern- und Herrenland wurden getrennt dokumentiert (»Rustikalfassionen – Dominikalfassionen«). Auch die herrschaftlichen Eigengüter, die Dominikalgüter, wurden, wenngleich mit einem etwas günstigeren Steuersatz, in die Besteuerung voll einbezogen. Tatsächlich stiegen die Einnahmen des Staates während der Regierungszeit Maria Theresias von etwa 39 auf 57 Millionen Gulden im Jahr. Wenzel Anton Graf (spät : Fürst) Kaunitz-Rietberg, seit 1753 Leiter der Staatskanzlei, also Außenminister, kritisierte das zentrale Regierungsinstrument, das »Directorium«
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des Grafen Haugwitz, scharf : es sei unübersichtlich, ineffizient, einfach zu groß. 1761 wurde das Directorium daher wieder aufgelöst, die Hofkammer und eine Hofrechenkammer (eine Art Rechnungshof ) sowie die Generalkasse verselbstständigt. Als Innenministerium sollte die weiterhin vereinigte »böhmisch-österreichische Hofkanzlei« fungieren. Unabhängig davon blieb die Oberste Justizstelle bestehen, oberstes Appellationsgericht und gleichzeitig Justizministerium. Auf der Ebene der Länder wurden jetzt Gubernien oder Landeshauptmannschaften eingerichtet. Die Behörden für Ungarn (Statthalterei, Ungarische Hofkammer, Behörden für Siebenbürgen) blieben von den Einrichtungen des nunmehr entstehenden böhmisch-österreichischen »Kern staates« nach wie vor vollkommen getrennt. Kaunitz, der neue Star unter den Mitarbeitern Maria Theresias, schlug 1760 die Gründung eines obersten Beratungsorganes der Herrscherin vor, des so genannten Staatsrates, der alle ihm zugewiesenen Materien gründlich beraten und so für die Herrscherin Entscheidungsgrundlagen vorbereiten sollte. Der Staatsrat bestand nur aus sieben Mitgliedern, darunter Haugwitz, Kaunitz und – für die militärischen Angelegenheiten – Leopold Joseph Graf Daun. Die Seele des Staatsrates war Haugwitz, den man als eine Art »Innenminister« bezeichnen könnte. Kaunitz als Staatskanzler war in erster Linie für die Außenpolitik zuständig. Als wichtigster politischer Berater Maria Theresias nahm er stets eine Sonderstellung ein. Kaunitz stand bei der Kaiserin in so hoher Gunst, dass sie, die immer bei offenen Fenstern arbeitete, für den etwas hypochondrischen Kanzler sogar die Fenster schließen ließ. 6.5.3 Das Renversement des alliances und der »Geburtstag der Monarchie«
Die Reformen der 1750er Jahre dienten der Vorbereitung auf die Rückeroberung Schlesiens. Dazu bedurfte es neben einer neuen Armee auch neuer diplomatischer Anstrengun gen. Sie sind mit dem Namen von Wenzel Anton Fürst Kaunitz-Rietberg verbunden. Seine diplomatische Karriere führte ihn 1749 nach Paris, wo er die Annäherung der Monarchie an Frankreich betrieb. 1753 ernannte ihn die Kaiserin zum Leiter der Staatskanzlei und damit zum Außenminister. Er war der eigentliche Begründer des auswärtigen Dienstes, er organisierte die Staatskanzlei nach seinen Bedürfnissen. Die französische Diplomatie blieb lange sehr zurückhaltend. Andererseits hatte sich Preußen England angenähert, was die Franzosen verstörte. Nun konnte Kaunitz endlich »sein« Bündnis verwirklichen : Im Mai 1756 schlossen Frankreich und die Monarchie eine Defensivallianz, die alten Verbindungen waren damit umgedreht. 1757 wurde Russland in das Bündnis aufgenommen. Einer Kriegserklärung der Allianz kam Friedrich II. durch den Einmarsch in Sachsen zuvor. Der Siebenjährige Krieg begann.
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Die neue Armee Maria Theresias legte in diesem Krieg (1756–1763) ihre erste Bewährungsprobe ab. Nach den Schlägen, die man von den Preußen kassiert hatte, sah man dem neuen Krieg durchaus mit Vorsicht entgegen. Und Vorsicht sollte auch die Kriegsführung der österreichischen Feldherren, vor allem des Feldmarschalls Leopold Joseph Graf Daun (1705–1766), gegen das Feldherrengenie Friedrichs II. von Preußen kennzeichnen – österreichische Kommandanten liebten Abwehrschlachten. Aber schon nach dem ersten größeren Zusammenstoß bei Lobositz (1. Oktober 1756) meinte der preußische König anerkennend : »Das sind nicht mehr die alten Österreicher !« – womit wir gleich auch einen schönen Beleg für die kollektive Benennung dieser Armee in der Hand halten. Der Sieg bei Kolín (1757) war für Maria Theresia ein »gesegneter Tag«, geradezu der »Geburtstag der Monarchie«. Aus diesem Anlass stiftete die Kaiserin den Militär-Maria-Theresien-Orden. Daun erhielt ihn als erster. In dieser Schlacht (und in diesem Krieg) konnte sich der maria-theresianische Staat weitgehend aus eigener Kraft behaupten. Er gewann über seine Armee Selbstbewusstsein und Identität. Denn die Soldaten dieser Armee hatten bereits einen Namen, den das Staatswesen als Ganzes noch gar nicht trug, sie waren »Österreicher« – ein dauerhafte Folge der Trennung von Kaisertum und Haus Österreich 1740. Auch wenn die Armee seit 1745 wieder eine »kaiserlich-königliche« (k. k.) war, so blieb doch die kollektive Fremdbezeichnung für ihre Angehörigen »Österreicher« und »österreichisch«. Der lange und verlustreiche Krieg endete letztlich unentschieden. Im Frieden von Hubertusburg (in Sachsen 1763) musste Maria Theresia endgültig auf Schlesien verzichten. Ab jetzt wollte sie keine Kriege mehr führen. 6.5.4 Der Tod des Kaisers, die Staatsschuld und die Mitregentschaft Josephs II.
1765 starb Kaiser Franz I. in Innsbruck, von Maria Theresia tief betrauert. Sie war ihm in herzlicher Liebe zugetan, wovon die Zahl von 16 Geburten doch wohl Zeugnis ablegt. Der Kaiser selbst war freilich anderen Damen nicht abgeneigt, was Maria Theresia mit zuweilen heftiger Eifersucht erfüllte. In den habsburgischen Ländern war Kaiser Franz Mitregent seiner Frau, griff aber selten aktiv in das Geschehen ein. Auch die Reichspolitik wurde von der Kaiserin zumindest mitbestimmt. Daneben war Franz Stephan auch Großherzog von Toscana, wo er eine stellvertretende Regierung einsetzte. Eine besondere Vorliebe hatte Franz I. für die Naturwissenschaften – er förderte Forschungen auf diesem Gebiet nach Kräften. Gleichzeitig erwies er sich als ausgezeichneter Unternehmer und Finanzmann. Ihm gehörten mehrere große Unternehmungen (so im slowakischen Holics und in Sassin/Šaštin) und eine Reihe von Grundherrschaften, die er offenbar klug und gewinnbringend leitete. Nach seinem Tod verwendete die Kaiserin einen Teil seines ungeheures Vermögens, etwa 5,8 Mil-
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lionen Gulden in Obligationen der Wiener Stadtbank sowie die Herrschaften Scharfeneck und Mannersdorf an der Leitha sowie Ungarisch Altenburg, zur Gründung des habsburgischen Familienfonds, eines Vermögenskomplexes, der ausschließlich für den Unterhalt der habsburgischen Familie bestimmt war. Vom Rest wurden 2,7 Millionen an Stadtbank-Obligationen ohne Gegenleistung der Stadtbank zurückgegeben, was eine Verringerung der Staatsschuld um diesen Betrag bedeutete. Die »Banco-Zettel« des »Wiener Stadtbanco«, einer Gründung des Hofkammerpräsidenten Starhemberg, waren das erste Papiergeld. Es wurde während des Siebenjährigen Krieges ausgegeben, zur Überwindung der extremen Bargeldknappheit im Krieg. Die »Zettel« waren durchaus beliebt und wurden auch ohne weiteres angenommen, auch ohne Probleme eingelöst. Weitere mehr als 5 Millionen an Bargeld und Obligationen wurden ebenfalls zur Verminderung der Staatsschuld verwendet. Mit ihrer Hilfe wurden jene Teile der Staatsschuld, die höher als zu 4 % verzinst waren, in vierprozentige Papiere umgewandelt. Von nun an konnten, eigentlich erstmals, einigermaßen haltbare Budgetvoranschläge erstellt werden. Gleichzeitig wurde eine Übersicht über die Staatsschuld gewonnen : Österreich hatte eine »Ärarische Schuld« (eigentliche Staatsschuld) von knapp 133 Millionen Gulden, 103 Millionen betrug die von der Wiener Stadtbank verwaltete »Bankoschuld« (in Wirklichkeit natürlich auch ein Teil der Staatsschuld) und fast 24 Millionen betrugen die ständischen Schulden, also Verpflichtungen, die von den Ständen der verschiedenen Länder übernommen wurden waren. Die gesamte Staatsschuld betrug also etwas weniger als 260 Millionen. Bis zum Jahre 1777 war die Staatsschuld auf den Tiefstand von 157,6 Millionen Gulden gesunken. Der damalige Hofkammerpräsident Graf Leopold Kollowrat konnte berichten, dass erstmals in der überschaubaren Finanzgeschichte des Hauses Österreich ein Überschuss von mehr als 500.000 Gulden verzeichnet werden konnte. Doch blieb dieser Überschuss Episode. Nach dem Tod ihres Mannes wurde Maria Theresias ältester Sohn, Joseph II., der schon 1764 zum römischen König gewählt worden und daher seit 1765 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war, von Maria Theresia zum Mitregenten ernannt. Damit begann eine durchaus spannungsreiche Zeit. Der junge Kaiser, stark beeinflusst von Gedanken der Aufklärung, drängte auf schnelle Reformen. Die Mutter bremste, denn sie kannte die mannigfachen Kräfte des Widerstandes gegen allzu schnelle, wenn auch gut gemeinte Reformen. Außerdem teilte sie gewisse Ansichten ihres Sohnes, vor allem in religiösen Fragen, keineswegs. So lehnte sie die Idee der religiösen Toleranz entschieden ab. 15 Jahre dauerte diese Phase, bis zum Tod der Kaiserin. Dabei stimmte Maria Theresia nicht wenigen Wünschen des Sohnes zu – etwa hinsichtlich der Reduzierung des höfischen Aufwandes und der höfischen Pflicht-Kleidung (Abschaffung des »spanischen Mantelkleides«), auch die Abschaffung zahlreicher höfischer »GalaTage« fand ihre Zustimmung. Andererseits hat auch der junge Kaiser zumeist doch darauf geachtet, nichts gegen den Willen der Frau Mama zu unternehmen. Sie überließ
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ihm dafür die Aufsicht über die Armee. Für diesen wichtigen Aufgabenbereich holte er sich als Präsidenten des Hofkriegsrates nach dem Tode des Grafen Leopold Daun (des Siegers von Kolín) Franz Moritz Graf Lacy, ebenfalls einen erprobten Helden des Siebenjährigen Krieges. Lacy erwies sich als ausgezeichneter Organisator, als Heerführer im Krieg von 1778/79 versagte er jedoch. Joseph II. hatte einige für seine Umgebung mühsame Eigenheiten : Er wollte alles wissen, reiste ständig herum, interessierte sich für jede Kleinigkeit, notierte sich unendlich viele Details. Seine kritischen Kommentare waren häufig scharf, ironisch, nicht selten verletzend. Zweifellos war er vom Willen für das »allgemeine Beste« beseelt. Aber im Umgang mit Mitarbeitern und Untergebenen zeigte er häufig eine eher gering entwickelte Sozialkompetenz. Für Maria Theresia war die Verehrung Josephs II. für Friedrich von Preußen – die beiden Herrscher trafen sich zweimal persönlich – besonders quälend. Der preußische König schätzte an Joseph den »lebhaften Geist« und das gewinnende Wesen. Aber er sei »von Ehrgeiz verzehrt«, Europa würde »in Flammen« stehen, sobald Joseph zur Herrschaft gelangen werde. Während Maria Theresia eine große Familie hatte, wollte Joseph II. nach dem Tod seiner geliebten jungen Frau Isabella von Parma unvermählt bleiben. Die Tochter aus dieser Ehe starb, zum großen Schmerz für Joseph, 1770 ; man verheiratete ihn später mit der bayerischen Prinzessin Josepha, die er aber mied, nicht einmal bei ihrem Begräbnis – sie starb wie so viele Menschen in dieser Zeit an den Blattern – war er dabei. Inzwischen war die polnische Frage wieder akut geworden, alle angrenzenden Mächte zeigten Appetit. 1769 besetzten österreichische Truppen mit polnischem Einverständnis die Zips, eine Gruppe von ungarischen Städten, die 1412 an Polen verpfändet wurden und deren Rückholung die habsburgischen Könige Ungarns bisher vergeblich versprochen hatten. 1772 einigten sich Preußen und Russland über eine erste Teilung Polens, der Wiener Hof wurde zur Mitwirkung eingeladen. Da erinnerte man sich in Wien, dass im ungarischen Königstitel im Spätmittelalter auch ein Königreich Galizien und Lodomerien (nach den russischen Fürstentümern Halič und Vladimir) vorkam – gestützt auf diesen reichlich vagen Anspruch marschierten österreichische Truppen ein (1772). Auch Russland und Preußen annektierten ja polnisches Gebiet. Der polnische König Stanislaus protestierte vergeblich. Die österreichische Monarchie vergrößerte sich durch diesen Coup um ca. 83.000 km2 und fast 2,7 Millionen Einwohner. Rasch reiste Joseph II. nach Galizien, um diese Neuerwerbung in Augenschein zu nehmen. Er sah viel Elend. 1775 wurde der seither Bukowina genannte Landstrich der oberen Moldau von der Türkei erworben, der sowohl an Galizien wie an Siebenbürgen grenzte ; auch hinter dieser Annexion stand in erster Linie der Wille des Kaisers. Inzwischen war die Wirtschaft in den Vordergrund getreten : In den Jahren um 1770 lösten schlechte Ernten eine Hungersnot aus, die die Aufmerksamkeit besonders auf die Landwirtschaft lenkte. Ebenso wie Hörnigk vertrat Joseph II. die Meinung, die
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Karte 6: Die Habsburgermonarchie 1780.
Monarchie erzeuge eigentlich alles Lebensnotwendige in ihren Grenzen, sieht man von Gewürzen und feinen Stoffen ab. Man müsse nur die ganze Monarchie als ein einziges Wirtschaftsgebiet sehen und die Außengrenzen gegen die Einfuhr aller Waren schützen, die auch im Inland erzeugt werden könnten. 1775 wurde endlich ein die böhmischen und österreichischen Länder (aber nicht Ungarn, Tirol, Mailand und Belgien) umfassendes einheitliches Zollgebiet geschaffen. Schon 1773 war der international, aber auch am Wiener Hof massiv unter Druck geratene Jesuitenorden aufgehoben worden, nachdem sein Einfluss schon deutlich reduziert worden war. Doch werden wir die kirchlichen Reformen ebenso wie andere wichtige Reformen für die ganze theresianisch-josephinische Periode gemeinsam behandeln. 1777 unternahm Joseph II. eine Reise nach Frankreich. Im Vordergrund stand zwar der Besuch seiner Schwester, Marie Antoinette, seit 1774 als Gemahlin Ludwigs XVI. Königin von Frankreich. Wie immer nützte der Kaiser die Gelegenheit, um das weitläufige Königreich und seine Einrichtungen gründlich zu studieren. Sein Urteil über das königliche Paar war hingegen nicht sehr positiv, den König empfand er als geistig
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wenig interessiert, die Schwester als liebenswürdig, wenig besonnen und nur auf ihre Unterhaltung bedacht. Ebenso wie Maria Theresia widmete er ihr gute und wohlmeinende Ratschläge, er warnte sie bereits vor der drohenden Revolution. Die Franzosen zeigten sich von Joseph II. begeistert, seine leutselige Art ebenso wie seine breiten Interessen an Fabriken, Spitälern, Kanälen oder Hafenanlagen wurden positiv kommentiert. Er traf auch viele bedeutende Persönlichkeiten, wie Anne-Robert-Jacques Turgot, der als Finanzminister gerade gestürzt worden war. Dessen physiokratische Vorstellungen beeinflussten später sowohl Joseph II. wie dessen Bruder Leopold II. Rousseau dürfte er getroffen haben, ein Treffen mit Voltaire unterblieb auf Wunsch der Kaiserin. Joseph II. lernte in Paris die Macht der öffentlichen Meinung kennen und strebte eben deshalb bewusst nach Volkstümlichkeit. Der bayerische Kurfürst Maximilian III. Joseph starb Ende Dezember 1777, ohne direkte Erben. Nun wurde die bayerische Frage akut. Der nächste Anwärter, Karl Theodor von der Pfalz, war durchaus zu einer Abmachung mit Wien bereit, die ihm entweder die Niederlande eingebracht hätte (gegen ganz Bayern) oder aber Niederbayern an Österreich fallen ließ. Österreichische Truppen rückten in Bayern ein. Aber auch Karl Theodor hatte keine männlichen Erben. Sein voraussichtlicher Nachfolger, Herzog Karl von Pfalz-Zweibrücken, brachte jedoch Friedrich II. von Preußen ins Spiel. Dieser richtete ein Ultimatum an Österreich, mit der Aufforderung, Bayern zu räumen. Gleichzeitig wurde gerüstet und verhandelt, schließlich überschritten im Juli 1778 preußische Truppen die böhmische Grenze. Nach einem ersten unglücklichen, aber an sich belanglosen Treffen schrieb Joseph ganz verzweifelt an die Mutter, die daraufhin in einem persönlichen Brief an Friedrich II. um die Wiederaufnahme der Verhandlungen ersuchte. Obgleich die Preußen im Herbst Böhmen wieder räumen mussten, blieb die militärische Situation unsicher – weder Lacy noch Laudon hatten sich als gute Feldherren erwiesen, Joseph II. am wenigsten. Im Frieden von Teschen (13. Mai 1779) wurde Österreich das Innviertel zugesprochen – das war zwar weniger, als man gefordert hatte, aber diese Erwerbung erwies sich im Hinblick auf das heutige Österreich als die dauerhafteste der ganzen mariatheresianisch-josephinischen Epoche. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn war während der ganzen Zeit komplex. Die Stellung des Mitregenten gegenüber der Kaiserin war nicht genau abgegrenzt – nur im Militärischen und in Reichsangelegenheiten dominierte Joseph II. eindeutig. Josephs II. Vorgehen und Verhaltensweisen wurden von der Kaiserin öfter kritisiert, freilich immer liebevoll, wie ja auch die Liebe zum übereifrigen Sohn in ihren Briefen immer wieder durchschimmert. Andererseits folgte der Kaiser stets den strikt ausgesprochenen Wünschen der Kaiserin. Aber die Herrschaftsauffassung und die Art des Regierens widersprachen sich doch grundlegend : Maria Theresia geizte nie mit Lob, Joseph II. selten mit Tadel. Er wollte alles übers Knie brechen, wie die Beispiele Galizien, Bukowina und Bayern zeigen, Maria Theresia wollte nach ihren Erfahrungen
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keine Kriege mehr, mit ihrem Elend, den zahlreichen Opfern und den finanziellen Belastungen. Maria Theresia verharrte in ihrer persönlichen, strengen Gläubigkeit, die sich mit dem Alter noch steigerte, samt wachsender Abneigung insbesondere gegen die Sünden wider das sechste Gebot. Joseph II. trat zunehmend für religiöse Toleranz ein. Auch die Reiselust des Kaisers fand Maria Theresia, die selbst immer weniger mobil wurde, übertrieben. Eine scharfe Kritik an seinem steten Herumreisen führte Joseph sogar dazu, dass er die Mitregentschaft zurücklegen wollte (1773). Das wiederholte sich später. Großherzog Leopold (in der Toscana wurde er Pietro Leopoldo genannt) schrieb 1778, bei einem Besuch in Wien, es gäbe ununterbrochen Streit, wenn Mutter und Sohn beisammen seien ; würde der Kaiser aber gelobt, so sei sie wiederum sehr zufrieden. Gleichzeitig sei sie auf die Popularität des Kaisers eifersüchtig. Leopold kritisiert aber auch den Kaiser, der niemanden liebe und keinen Widerspruch dulde. Maria Theresia starb am 29. November 1780. Joseph II., Erzherzog Maximilian Franz sowie ihr Schwiegersohn, Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen, waren in der Todesstunde bei ihr. Ein abschließendes Urteil über Maria Theresia wird vor allem berücksichtigen, dass sie die einzige unter den (wenigen) Herrscherinnen der Neuzeit war, die nicht nur regierte, sondern auch sehr bewusst ihre Mutterrolle wahrnahm – und sie auch propagandistisch ausspielte. Für den misogynen Friedrich II. von Preußen waren ihre ständigen Schwangerschaften nicht nur unverständlich, sondern geradezu skandalös. Maria Theresia hingegen widmete sich nicht nur den Regierungsgeschäften mit großer Hingabe, sondern auch ihrer Familie. Sie traf täglich mit den Kindern zusammen und schrieb ihnen, wenn sie schon außer Haus waren, sehr oft. Sie sorgte sich bis an ihr Lebensende für sie und ermahnte sie brieflich, wenn sie von Unzukömmlichkeiten hörte. Persönlich war und blieb sie eine fromme katholische Christin, die als Herrscherin allerdings Wert darauf legte, dass sie die Kirche in ihren Ländern durchaus im Griff hatte. Die Glaubenseinheit dieser Länder war ihr ein Herzensanliegen. Dass jene in Ungarn nicht durchsetzbar war, hat sie jedoch beachtet. In den »deutschen« Erbländern setzte sie aber deutliche Signale : Als sie von Geheimprotestanten in Oberösterreich und Kärnten erfuhr, ging sie mit aller Härte gegen sie vor. Nach Preußen ließ man sie natürlich nicht mehr ziehen, doch es gab ja aufnahmebereite habsburgische Länder. »Landler« (aus Oberösterreich, dem »Landl« ob der Enns) wurden ab 1752 nach Siebenbürgen ausgewiesen, dort wollte man eine dichtere Bevölkerung haben, außerdem gab es mit den dortigen »Sachsen« ein deutschsprachiges und ebenfalls mehrheitlich lutherisches Element. Auch in Mähren fanden sich zahlreiche Geheimprotestanten. Sie konnten allerdings bleiben.
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6.6 Joseph II. als Alleinherrscher 6.6.1 Der Kaiser und das Reich, ein neuer Tauschplan und der Fürstenbund
Joseph II. war als Kaiser das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Dieses Oberhaupt hatte seit 1648 nur mehr wenige Kompetenzen, doch war es seit dem späten 17. Jahrhundert zum Erwachen eines zarten »Reichspatriotismus« gekommen, der den habsburgischen Kaisern zugute kam. Er diente der Mobilisierung des Reiches gegen aggressive Akte Frankreichs. Die Anwesenheit diverser Reichsfürsten am kaiserlichen Hof (Hermann und Ludwig von Baden als Präsidenten des Hofkriegsrates !) zeigt die wieder gewachsene Attraktivität des kaiserlichen Dienstes für hochrangige Reichsmitglieder. Der Reichsvizekanzler Graf Schönborn versuchte immer wieder, den Kaiser (Karl VI.) für die Vorgänge im Reich zu interessieren. Das habsburgische Kaisertum war insbesondere für die kleinen Reichsstände, vor allem die geistlichen (Reichsbischöfe, Reichsäbte), aber auch die Reichsstädte die wichtigste Schutzmacht gegen die territorialen Gelüste ihrer größeren Nachbarn. Das änderte sich langsam, das Interesse der Habsburger konzentrierte sich immer mehr auf ihre eigene Monarchie. Das Reich war hingegen eine mühsame Konstellation zahlreicher großer, mittlerer und kleiner Gebilde, von denen die großen, allen voran Preußen, Hannover, Kursachsen und Kurbayern, aber auch mittlere, wie Württemberg, HessenKassel oder Kurköln, durchaus als »Staaten« gelten konnten, während die zahlreichen kleineren Fürstentümer zwar als ebenso souverän galten, aber doch vielfach abhängig waren. Diese kleinen, meist geistlichen Fürstentümer, aber auch viele Reichsstädte traten immer wieder mit dem Kaiserhof in Verbindung. Vor dem Wiener Reichshofrat als einem der beiden obersten Reichsgerichte wurden tausende von Rekursfällen von Untertanen von kleineren Reichsfürsten, Äbten, Grafen, Reichsrittern und vor allem von Reichsstädten verhandelt, die nicht das Privilegium de non evocando besaßen. Das kaiserliche Gericht vertrat dabei in aller Regel die Interessen der Tradition. Eine erste grundlegende Entfremdung zwischen dem Reich und dem Haus Österreich trat 1740 ein, als erstmals seit Jahrhunderten die Identität von Kaisertum und Habsburg zerbrach. Das wurde durch die Wahl des bayerischen Kurfürsten zum Kaiser (Karl VII.) noch verstärkt. Dessen nur wenige Jahre währendes Kaisertum, das der Kaiser ausschließlich französischer und preußischer Unterstützung verdankte und das er außerdem meist im Exil verbringen musste (Bayern war von den Österreichern besetzt), schadete dem Ansehen dieser ehrwürdigen Institution sehr. Das Kaisertum Franz I. (1745–1765) ist wissenschaftlich wenig erforscht, Maria Theresia dürfte die Akten ihres Mannes aus den Wiener Archiven entfernt haben. Es gelang immerhin im Jahr 1756, den Einfall Friedrichs II. in Sachsen als Reichsfriedensbruch zu brandmarken und eine Reichsar-
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mee gegen den Preußenkönig aufzustellen. Sie war freilich nicht besonders effizient, band aber immerhin eine preußische Armee. Als Joseph II. 1765 seinem Vater im Kaisertum nachfolgte, dachte er über eine Stärkung dieser Institution, selbstverständlich zu Gunsten seines eigenen Hauses, nach. Ziel dieser Bestrebungen war die Gewinnung Bayerns, im Tausch gegen die Österreichischen Niederlande, was zweifellos eine gewichtige territoriale Arrondierung der habsburgischen Monarchie bedeutet hätte. 1779 war wenigstens das Innviertel an Österreich gefallen. Als Alleinherrscher verfolgte Joseph II. die Kräftigung seiner Position im Reich auf mehreren Wegen. Schon 1780 war es der österreichischen Diplomatie gelungen, die Wahl des jüngsten Bruders, Maximilian Franz, zum Erzbischof-Koadjutor von Köln (mit Münster) durchzusetzen. Der Kaiser zog auch die Reichskirche heran, um Personen aus seinem Umkreis diverse Pensionen zu verschaffen. Das erregte bei Reichsbischöfen und -äbten Unwillen, der noch durch die Kirchenpolitik Josephs in seinen Erblanden verstärkt wurde. Denn die Einrichtung neuer Bistümer in Innerund Niederösterreich (und im Land ob der Enns) ging auf Kosten der Rechte von Reichsfürsten : des Bischofs von Passau und des Erzbischofs von Salzburg. Der Passauer wollte sogar an den protestantischen König von Preußen herantreten, um seine Rechte zu wahren ! Man sieht, die aktivistische Politik Josephs II. kostete das Haus Österreich im Reich erhebliche Sympathien. Der Höhepunkt wurde mit einer Neuauflage des Tauschprojektes Niederlande – Bayern erreicht. Seit 1782 wurde dieses Projekt wiederbelebt, das bei Kurfürst Karl Theodor ja keineswegs auf Ablehnung stieß. Wieder war der Pfälzer Wittelsbacher aus Zweibrücken dagegen. Zuletzt entstand 1785 unter preußischer Führung ein Bund von drei Kurfürsten, zur Aufrechterhaltung der Reichsverfassung, dem sich zahlreiche andere Fürsten beider Konfessionen anschlossen. Josephs II. ausgreifende, dabei hektische und undiplomatische Reichspolitik war gescheitert. 6.6.2 Der Kaiser und seine Länder
Zweifellos kannte Joseph II. »seine« Monarchie besser als alle seine Vorgänger. Auf seinen zahlreichen Reisen hatte er insbesondere die böhmischen Länder, die ja wirtschaftlich und finanziell die Kernländer seines Erbreiches waren, gründlich studiert. Aber auch alle anderen Regionen waren ihm zumindest bekannt. Für Joseph II. war diese Monarchie ein einheitliches Herrschaftsgebiet, in dem zur Durchsetzung der damals oft zitierten »Glückseligkeit des Staates« nur ein Wille gelten konnte – der des Herrschers. Denn der Kaiser war ganz überzeugt, dass er allein am Besten für das Beste des Staates und seiner Untertanen sorgen könne. In diesem einheitlichen Herrschaftsgebiet waren die Stände der einzelnen Länder, die auch nach ihrer Entmach-
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tung durch Maria Theresia noch immer bestanden, nur mehr unnütze Überreste, die bloß die Umsetzung des Herrscherwillens behinderten. Maria Theresia, die viele ihrer Reformen auch den Ständen zur Begutachtung vorlegte, konnte ein Lied davon singen. Joseph II. ging rigoroser vor : Die ständischen Verwaltungen der einzelnen Länder wurden mit den staatlichen Landesverwaltungen vereinigt, die Verfügung über die oft großen ständischen Vermögen (Landesfonds) den Ständen entzogen, die Position des Landeshauptmannes aufgehoben oder mit der des Landmarschalles verbunden. Die Wahl von Verordneten (bisher das Exekutivkomitee der Stände) wurde untersagt, dafür wurden je zwei von ihnen in die landesfürstlichen (= »staatlichen«) Gubernialräte aufgenommen, die ausschließlich dem Kaiser verantwortlich waren. Die von den Ständen Österreichs unter der Enns, aber auch der Steiermark verfassten Protestresolutionen blieben ungehört. Da die Stände gleichzeitig die Interessenvertretung der (adeligen und geistlichen) Grundherren waren, sammelte sich in diesen Kreisen der Unmut über die Robotgesetze und noch mehr über die Steuer- und Urbarialregulierung. Erst in der letzten Regierungsphase des Kaisers, als der unglücklich geführte Türkenkrieg und die Krankheit des Kaisers die Kritikmöglichkeiten erweiterten, konnten einige Landtage ihre abweichenden Meinungen wieder offen artikulieren. Sie waren sich in der Ablehnung aller jener Reformen einig, die die Situation der bäuerlichen Untertanen zu verbessern suchten. Die Traditionen der Länder missachtete der Kaiser nach Kräften : Es gab keine Erbhuldigungen mehr, die ungarische und die böhmische Krone wurden ebenso nach Wien gebracht wie der steirische Erzherzogshut. Überall sollte ausschließlich das Deutsche als Sprache der Verwaltung verwendet werden, was der Kaiser einerseits mit den Erfordernissen seines zentralistischen Systems begründete, andererseits mit seiner ranghöchsten Charge : Er sei nun einmal der Kaiser der Deutschen, daher könne nur das Deutsche die unumgänglich notwendige Einheitssprache sein. Irgendeine Art von Nationalismus spielte bei Joseph II. keine Rolle – aber seine Vereinheitlichungstendenzen sollten die Entstehung nationaler Strömungen begünstigen. 6.6.3 Die josephinische Toleranz
Eine der bedeutendsten Maßnahmen Josephs II. war zweifellos das Toleranzpatent. Während Maria Theresia die immer wieder in verschiedenen Regionen vorgefundenen Geheimprotestanten, sofern sie nicht zum Katholizismus konvertierten, nach Siebenbürgen abschieben ließ, lehnte Joseph II. diesen Gewissenszwang als nicht mit den grundsätzlichen Rechten der Menschen vereinbar ab. Solange die Mutter lebte, konnte er sich nicht durchsetzen. Doch schon im ersten Jahr seiner Alleinherrschaft erließ er jenes berühmte Patent, mit dem er den »akatholischen« Christen, den Evan-
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gelischen des Augsburger (AB) ebenso wie des Helvetischen Bekenntnis (HB), sowie den Griechisch-Nichtunierten) das »Privat-Exercitium« ihrer Konfessionen gestattete (13. Oktober 1781). In der öffentlichen Ausübung gab es aber nach wie vor Einschränkungen – sie blieb dem katholischen Ritus vorbehalten. Auch sollten die Kirchen der »Akatholiken« unauffällig gestaltet sein. Da sich nach dem Patent sofort viel mehr Protestanten meldeten, als davor vermutet, schränkte ein weiteres Patent vom Jänner 1782 ein : Jeder einzelne nichtkatholische Untertan war nochmals vom Amt oder Magistrat vorzuladen und im Beisein eines Geistlichen über seine Grundsätze zu befragen. Auch wurden gruppenweise Anmeldungen nichtkatholischer Christen nicht akzeptiert. Die Befragungen waren zu protokollieren. Über die Befragung der im Gebiet des Ötschers im südwestlichen Niederösterreich auftretenden Protestanten ist ein solches Protokoll vorhanden. 183 Personen erklärten sich als Protestanten. Sie waren als Holzknechte um etwa 1760 aus Gosau (Salzkammergut) gekommen, wo sich ein kräftiger Geheimprotestantismus über die gesamte Gegenreformation erhalten hatte. 1784 wurde in Wien ein Consistorium für die Gemeinden AB und HB begründet, das für alle österreichischen und böhmischen Länder zuständig war. In Ungarn und Siebenbürgen bestanden solche Organisationen auf Grund des Friedens von Szatmár (1711) schon längst. Die meisten Toleranzgemeinden bildeten sich in Kärnten (14), gefolgt von Oberösterreich (9), in der Steiermark nur zwei und in Wien samt Niederösterreich drei (davon eine von den Holzknechten im Ötschergebiet in Mitterbach, an der Grenze zur Steiermark). Die Gläubigen sorgten selbst für Kirche und Friedhof ; bis evangelische Pfarrer kamen, dauerte es meist noch. Die rationalistische bzw. pietistische Spritualität dieser meist aus Deutschland gekommenen Pastoren passte mit der aus dem 16. Jahrhundert erhaltenen Religiosität der österreichischen Geheimprotestanten, die sich noch auf Bücher aus jener Zeit stützte, häufig nicht recht gut zusammen. Joseph II. erließ aber auch Maßnahmen zugunsten der Juden. Nach dem Toleranzpatent für die Wiener Juden ( Jänner 1782) durften sie zwar weiterhin in Wien und Niederösterreich keinen Grund erwerben und keine Gemeinde bilden, dafür war es ihnen jedoch erlaubt, höhere Schulen zu besuchen und jede Art von Handel und Gewerbe zu treiben. Diskriminierende Kleidervorschriften fielen. Freilich betraf dieses Patent die im Umkreis des Hofes schon bisher geduldeten privilegierten Juden, die man ökonomisch brauchte. Weitere Maßnahmen, wie der Zwang zur Übernahme deutscher Vor- und Familiennamen, beschleunigten einerseits die kulturelle Assimilation (der nicht selten auch die religiöse folgte), andererseits gab es vor allem in Galizien einen heftigen Widerstand des dort sehr starken Chassidismus. Eine wirkliche rechtliche Gleichstellung erfolgte jedoch nicht. Dennoch waren die josephinischen Maßnahmen wichtige Schritte in diese Richtung.
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6.6.4 Der Aufstand in Belgien
1781 war der Kaiser in »seinen« Niederlanden gewesen. Sein Versuch, die Barriere der Schelde (Verbot der Benutzung der Schelde für Schiffe von und nach Antwerpen durch die Holländer) aufzuheben, kam gut an. 1786 wurde das Generalseminar für die ganze österreichische Niederlande in Löwen (Louvain) eröffnet, gegen den massiven Widerstand der Bischöfe. Die Tauschpläne des Kaisers, der auf Belgien gern gegen Bayern verzichtet hätte, verletzten die traditionelle Loyalität zum habsburgischen Herrscherhaus. Da sich die Belgier gegenüber den überwiegend calvinistischen Holländern besonders stark über die religiöse Differenz definierten, wirkte auch die Kirchenpolitik Josephs II. in dieser Region besonders verstörend. Dass der Jansenismus gerade in Wien herrschend geworden war, erschütterte den traditionellen Katholizismus der Belgier. Sie wandten sich daher gegen einige zentrale Punkte der josephinischen Kirchenpolitik. Mit 1. Jänner 1787 ließ der Kaiser aber gleich die ganze Verwaltungsstruktur des Landes völlig umkrempeln, alle traditionellen Einrichtungen sollten einer neuen, rationalen Verwaltungseinteilung weichen. Die traditionell starken Stände (»Staaten«) der einzelnen Länder (Flandern, Brabant, Hennegau) sollten völlig entmachtet werden. Daher verbündeten sich die Stände und die Vertreter der katholischen Kirche gegen die Reformen. Die Statthalter, Maria Theresias Lieblingstochter Marie-Christine und ihr Gatte, Albert von Sachsen-Teschen, nahmen vorläufig einige der Maßnahmen zurück. Eine Delegation der Aufständischen empfing der Kaiser ungnädig – seine Reformen seien endgültig. Die Universität Löwen wurde nach Brüssel verlegt, mehr als die Hälfte der Professoren abgesetzt und verbannt. Antijosephinische Broschüren überfluteten das Land. Die Bischöfe und die Stände blieben bei ihrem zunächst passiven Widerstand. Im Juni 1789 eskalierte die Situation. Die »Staaten« (Stände) von Brabant weigerten sich jetzt offiziell, an den Reformen mitzuwirken. Jetzt ließ der Kaiser die Stände von ihren Pflichten entbinden und kündigte die Grundlage der ständischen Verfassung, die Joyeuse entrée (Frohe Einkehr), eine Privilegienbestätigung für die Stände von Brabant aus dem Jahr 1356, die seither von jedem Herrscher bestätigt worden war. Nun versteifte sich der Widerstand, im Herbst verkündete der Brüsseler Anwalt van der Noot ein Manifest des brabantischen Volkes, in dem Joseph II. des Thrones verlustig erklärt wurde. Eine in den Vereinigten Niederlanden versammelte Gruppe von etwa 2.800 Kämpfern unter einem ehemaligen kaiserlichen Offizier marschierte ein und schlug überraschend eine kaiserliche Truppe bei Turnhout. Mitte Dezember 1789 verließ die kaiserliche Regierung Brüssel, die einzelnen »Staaten« erklärten sich für unabhängig, im Jänner 1790 gründeten sie die Vereinigten Belgischen Staaten. Die brabantische Revolution fand zwar parallel zur Französischen statt, war aber eine erfolgreiche Bewegung der etablierten Kräfte, eine ebenfalls vorhandene demokratische Richtung unterlag. Die Unterstützung durch England, Preu-
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ßen und Holland schwand, als diese Mächte eine Orientierung des neuen Belgien am revolutionären Frankreich zu fürchten begannen. In der Konvention von Reichenbach ( Juni/Juli 1790, schon mit Leopold II.) legte man sich international auf die Rückkehr der Habsburger fest. Im Herbst 1790 verhandelte man wieder mit dem Kaiser, österreichische Truppen rückten ein, im Dezember wurde Brüssel besetzt. Die prominenten Aufständischen flohen. Die Brabanter Revolution scheiterte schließlich an ihrer inneren Zerrissenheit und der mangelnden Unterstützung durch auswärtige Mächte. 6.6.5 Der Kaiser und Ungarn: Der Türkenkrieg
Maria Theresias herzliches Einvernehmen mit dem ungarischen Adel auf dem Reichstag von 1741 dauerte nicht lange. Zwar blieb sie den Ungarn wegen dieser wichtigen Loyalitätsbezeugung am schwierigen Beginn ihrer Herrschaft immer gewogen, aber ihre Versuche, in Ungarn etwas – vor allem zugunsten der schwer belasteten Bauernschaft – zu ändern, stießen auf hartnäckigen Widerstand. Maria Theresias den Traditionen und führenden Persönlichkeiten Ungarns oft gezeigte Hochachtung verfehlte offenbar ihr Ziel. Sie hatte ja schon den kleinen Joseph II. öfter in ungarischer Kleidung auftreten lassen, sein wichtigster Erzieher war ein ungarischer Adeliger, Karl Joseph Graf Batthyány. 1760 hatte sie, um dem Stolz der Ungarn zu schmeicheln, eine eigene ungarische Garde gegründet. Sie berief aber den ungarischen Landtag (oder Reichstag) während ihrer Regierungszeit nur mehr zweimal ein : 1751 und 1764. Der erste Landtag gewährte zwar eine gewisse Steuererhöhung, verzögerte aber die Anerkennung von zusätzlichen Städten als königliche Freistädte, die damit auch am Landtag vertreten gewesen wären. 1764 forderte die Kaiserin-Königin ein Ende der adeligen Insurrektion und dafür eine Erhöhung des Steueraufkommens sowie eine Regulierung der Belastung der bäuerlichen Untertanen. Die Stände antworteten mit 250 Beschwerdepunkten. Zuletzt kam es in der Steuerfrage zu einem Kompromiss, nicht jedoch im Hinblick auf die Insurrektion und auf die bäuerlichen Probleme. Seither regierte Maria Theresia in Ungarn durch königliche Verordnungen. Aber weiterhin berücksichtigte sie ungarische Empfindlichkeiten : 1771 wurden die Städte der Zips wieder ins Königreich inkorporiert, 1778 auch das Banat. Auch die seit Jahrhunderten mit Innerösterreich verbundene Stadt Fiume (Rijeka) wurde als corpus separatum wieder direkt Ungarn angegliedert. Nach einem Bauernaufstand in Westungarn (Komitate Vas, Zala und Somogy) 1765 reagierte Maria Theresia mit dem Urbarialpatent von 1767. In ganz Ungarn sollte die Größe der Bauerngüter ebenso fixiert werden wie die Abgaben, Bauernland sollte jedenfalls Bauernland bleiben, das Herrschaftsland (das »allodiale« Land) ebenso. Die Roboten wurden festgelegt. Das Urbarium war bis 1779 fertig und überall eingeführt. Da es die einzige überall vorhandene Rechtsgrundlage für
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das grundherrlich-bäuerliche System bot, wurde es vom Reichstag 1791/1792 als Provisorium anerkannt (wie nicht wenige Maßnahmen Maria Theresias und Josephs II.!), es blieb auch die Grundlage für die Grundentlastung, die ab 1848 erfolgte. Joseph II. wollte Ungarn gleich wie alle anderen Gebiete der Monarchie nur als eine Provinz unter anderen behandeln. Er verweigerte wie auch in Böhmen die Krönung, weshalb ihn die Ungarn abfällig als »König mit dem Hut« bezeichneten. Die heilige Krone wurde nach Wien gebracht. Selbstverständlich berief er keinen Landtag ein. Ungarn wurde auch verwaltungsmäßig umgegliedert. Am schlimmsten traf den sehr zahlreichen ungarischen Kleinadel die Einführung der deutschen Amtssprache (1784). Dagegen erhob sich ein breiter Widerstand, denn gerade die Mitglieder jenes oft wenig begüterten Kleinadels besetzten die zahlreichen Verwaltungspositionen in den Komitaten. Hier war, wie auf dem Landtag, das Lateinische die offizielle Sprache (daneben benützte man die jeweilige regional dominierende Sprache). Gerade die kleinen Adeligen Zentralungarns beherrschten das Deutsche oft gar nicht oder nicht gut, anders als die Bewohner der Städte, deren Verwaltung zumeist auf Deutsch erfolgte – man hatte daher Angst, dass das bürgerliche Element den Adel in der Regional- und Lokalverwaltung verdrängen könnte. Steuer- und Rekrutenforderungen Josephs II. erhöhten die Abneigung gegen seine Regierung. Gerade der zahlreiche kleine Adel fühlte sich auch von Josephs Steuerund Agrarreform bedroht, denn nun sollten auch die adeligen Eigengüter (das Allod) besteuert werden. 1785 hob der Kaiser auch in Ungarn die Leibeigenschaft auf, eine gewisse Freizügigkeit der Untertanen sollte ermöglicht werden. Gleichzeitig wurde die Kolonisationstätigkeit gefördert, besonders auf den Staatsdomänen. Ein Aufstand meist rumänischer Bauern (1784) unter Horia (Nikolaus Ursz) und Klocka (Glotska), der sich auf den Kaiser berief, kostete mehr als 120 ungarischen Edelleuten das Leben. Der Aufstand wurde vom Militär niedergeschlagen, Horia grausam hingerichtet. Eine breite Missstimmung erfasste das ganze Königreich. Seit 1787 gab es Bestrebungen, Joseph II. – mit Unterstützung Preußens – abzusetzen und durch einen anderen Herrscher (die Rede war von Karl August von Weimar) zu ersetzen. Ungarn stand vor einem Aufstand. Die Komitate verweigerten die Umsetzung der königlichen Befehle, weder wurden Steuern bezahlt noch Rekruten gestellt. Knapp vor seinem Tod nahm Joseph II. die meisten seiner Anordnungen wieder zurück. In Kraft blieben das Toleranzpatent, die Aufhebung der Leibeigenschaft und die religiösen Gesetze. Die heilige Stefanskrone kehrte im Triumph nach Ungarn heim. Als sie in Ofen (Buda) ankam, war Joseph II. bereits tot. Ob seine Todeskrankheit mit dem Türkenkrieg zusammenhängt oder eine Folge seiner andauernden Überanstrengungen war, ist nicht mehr zu eruieren. Jedenfalls verschärfte dieser Krieg die Situation in Ungarn, erregte aber auch in Wien eine breite Unzufriedenheit, weil als Kriegsfolge – wie immer – die Lebensmittel teurer wurden. Joseph II. hatte sich der russischen Zarin Katharina 1781 und wieder 1787 gegenüber
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verpflichtet, bei einem russisch-türkischen Krieg an der Seite Russlands mit 30.000 Mann unterstützend einzugreifen. Als noch im selben Jahr das Osmanische Reich der Zarin den Krieg erklärte, sah Joseph II. den Bündnisfall gegeben. Österreich trat aber mit seiner gesamten militärischen Macht (mehr als 280.000 Mann) an, die jedoch von der Adria bis zu den Karpaten verteilt war und zunächst keine Offensivkraft entwickelte. Der Kaiser begab sich selbst zur Armee, erkrankte wie viele seiner Soldaten an Malaria, erlebte eine veritable Rückzugs-Panik seiner Truppen und kam schwer krank nach Wien zurück (Dezember 1788). Joseph litt schwer an einer Lungen-Tuberkulose. Im folgenden Jahr zog sich der Krieg weiter hin, bis endlich im Oktober 1789 der alte Gideon Freiherr von Laudon, ein verdienter General Maria Theresias, Belgrad erobern konnte. Als Laudon den Kaiser in Wien besuchte, war er über das Aussehen des Todkranken bestürzt. Schon unter Leopold II. wurde dann ein Waffenstillstand und 1791 Friede geschlossen, auf der Basis des status quo ante. Der ebenso unnötige wie teure und schlecht geführte Krieg untergrub das Ansehen von Kaiser und Heer und überschattete die letzte Regierungszeit Josephs II. 6.7 Die theresianisch-josephinischen Reformen 6.7.1 Die Reformen im bäuerlich-grundherrlichen System
Bei allen Reformüberlegungen spielte die »Kontributionsfähigkeit« (also die steuerliche Belastbarkeit) der Untertanen eine zentrale Rolle. Dabei stieß man mit den Interessen der adeligen und geistlichen Grundherren zusammen. Diese hatten bei der Entstehung des höfischen Absolutismus in den habsburgischen Ländern wesentlich weniger an gesellschaftlichem Gewicht eingebüßt als etwa in Frankreich. Durch Besitzkonzentrationen besonders im 17. Jahrhundert war der habsburgische Hofadel im 18. Jahrhundert ökonomisch viel stärker geworden als der früher bloß im Rahmen der einzelnen Länder aktive Landesadel. Bauernaufstände signalisierten eine breite ländliche Unzufriedenheit. Schon 1680 hatte es wieder Unruhen in Böhmen und Mähren gegeben. Leopold I. erließ daraufhin erste, noch sehr schwache Schutzbestimmungen gegen übermäßige Robotbelastungen. Bauern- und Grenzerunruhen in Kroatien 1755 und ein weitläufiger Robot-Aufstand in Böhmen 1775 wirkten als auslösende Elemente für die Einsetzung von Untersuchungskommissionen und anschließend auch für Veränderungen. Die Sozialpolitik des Reformabsolutismus verfolgte aber weitere Ziele : In erster Linie war zwar die Steuer- und Rekrutierungsfähigkeit der Bauerngüter zu sichern, in zweiter sollten diese mehr produzieren und drittens sollte die Landbevölkerung durch erhöhte Kaufkraft auch mehr konsumieren.
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Der ersten Zielvorstellung dienten Gesetze, die die Besteuerung, die persönliche Rechtsstellung, die Besitzrechte und die Belastungen der Bauernhöfe regelten. Schon die bereits genannten Anordnungen Maria Theresias ab 1749 führten zur Aufzeichnung der bäuerlichen Besitzungen und Abgaben in den so genannten »Rustikalfassionen«. Ebenso waren Verzeichnisse der von der Herrschaft direkt bewirtschafteten Grundstücke und der damit verbundenen Einkünfte anzulegen, die so genannten »Dominikalfassionen«. Die »Fassionen« fixierten überall Bauernland und Herrenland. Das bisher vor allem in den böhmischen Ländern so beliebte »Bauernlegen« war damit unmöglich geworden. Der »theresianische Kataster« diente als wichtigste Quelle bei allen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Grundherren bis 1848 – und noch danach bei der Festsetzung der Ablösezahlungen für die feudalen Verpflichtungen. Ebenfalls der rechtlichen Absicherung der bäuerlichen Position diente das berühmte Leibeigenschaftsaufhebungspatent für Böhmen Josephs II. (1781), dem analoge Gesetze für die meisten anderen Länder folgten. Dieses Gesetz erklärte die Freizügigkeit der böhmischen Bauern, ferner wurde ihnen freie Verehelichung gegen vorhergehende Anzeige und freie Berufswahl zugesichert. Formen persönlicher Abhängigkeit, wie sie Joseph II. in Böhmen festgestellt hatte, existierten zwar in den Alpenländern kaum, sodass diesen Gesetzen hier ein eher deklaratorischer Wert zukam. Sie setzten aber auf dem Weg zur staatsbürgerlichen Gesellschaft ein wichtiges Signal für die bäuerliche Bevölkerung. Im Sinne der Vermehrung der Bevölkerung (»Peuplierung«) waren schon unter Maria Theresia Heiratsmöglichkeiten erweitert worden : 1753 legte man den Grundherrschaften nahe, Ehekonsense großzügig auszustellen. 1765 wurde zumindest in der Steiermark und in Krain der Ehekonsens völlig aufgehoben. Eingeschränkt wurde die Freizügigkeit vor allem in Hinblick auf das Rekrutierungssystem ; die Wehrpflichtigen durften ohne Pass ihrer Obrigkeit ihre engere Umgebung nicht verlassen : An die Stelle der Grundherrschaft trat eben immer mehr der Staat als freiheitsbegrenzende Instanz. Im Hinblick auf die Sicherheit der bäuerlichen Besitzrechte galten die in Oberund Niederösterreich dominierenden Erb- und Kaufrechte als vorbildhaft. Die in den innerösterreichischen Gebieten herrschenden Freistifte (Kärnten) beziehungsweise Miethuben (Steiermark, Krain) sollten diesem Modell angeglichen werden. 1769 wurden Dekrete für die böhmischen Länder und für Krain erlassen, weitere folgten bis in die 1780er Jahre. Die Grundherren waren mit diesen Umwandlungen zufrieden, wenn sie ihnen einen zusätzlichen Kaufschilling einbrachten ; die Bauern weniger, weil sie in der Regel auch bei formell schlechterem Besitzrecht schon bisher faktisch über Haus und Grund verfügen konnten. Vorgeschrieben wurde die Verkaufrechtung für die Kärntner Freistifte 1772. Schwierig war die Regelung der Erbfolge : Die Regulierung der Intestaterbfolge durch Joseph II. 1786 hätte eine völlige Gleichberechtigung der Erben gebracht, was notwendig zu Teilungen hätte führen müssen. Dies aber wollte
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man wegen der Nachhaltigkeit der Steuerleistung und Rekrutenstellung nicht, sodass 1787 die bäuerliche Erbfolge neuerlich, nun eindeutig im Sinne des Anerbenrechtes, geregelt wurde. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Robotfrage. Alle wichtigen Theoretiker und Volkserzieher der Zeit wetterten gegen die Robot, die nur zur Faulheit erziehe und die Erziehung zu höherem Fleiß massiv konterkariere. Nach Bauernaufständen im österreichisch verbliebenen Teil Schlesiens 1766–1767 schritt man hier erstmals an eine Regelung, ohne wirklich etwas zu verändern. Die erste genaue Robot-Maximierung erfolgte 1772 für Niederösterreich (104 Tage im Jahr – dagegen galt im Land ob der Enns immer noch das »Provisorium« Rudolfs II. von 1597 mit maximal 14 Robottagen !). Daran orientierte man sich in den Alpenländern, wenngleich für Steiermark und Krain (156 beziehungsweise 208 Tage) höhere Maximalroboten festgelegt wurden. Für Böhmen erschienen nach dem großen Bauernaufstand von 1775 neue Robotverordnungen, für Galizien 1782 beziehungsweise 1786. Begrenzten die Robotverordnungen die Arbeitsrente, so bereiteten Robotabolition beziehungsweise -reluition die gänzliche Aufhebung der Arbeitsrente vor. »Abolition« bedeutete das Ende der Robot durch Bezahlung des (theoretischen) Kapitals (also eines höheren Betrags), »Reluition« die Umwandlung in eine jährliche Geldrente. In der Praxis erschienen diese Unterschiede aber häufig verwischt. Gleichzeitig forderten die Agrarfachleute die Umwandlung herrschaftlicher Meierhöfe in Bauernhöfe, was wiederum der Vermehrung der Bauernschaft (und der Bevölkerung) dienen sollte. Man begann damit 1775 in Böhmen auf Staatsgütern (Raabsches System, nach dem Hofrat Franz von Raab). Es sollten Bauerngüter mittlerer Größe geschaffen werden, die man als besonders ertragreich einschätzte. So wurden aus vier Meierhöfen des Stiftes Geras 14 Bauernstellen gebildet, also im Schnitt 3,5 je Meierhof – das entspricht ziemlich genau jener Zahl, die schon im Hoch- und Spätmittelalter bei der Umwandlung von Meier- in Bauernhöfen beobachtet wurde. Unter Joseph II. wurden die Abolitions- beziehungsweise Reluitionsverfahren erleichtert. Zahlreiche Kontrakte für Staats- beziehungsweise Fondsgüter unterzeichnete der Kaiser selbst. Der Sicherung der bäuerlichen Stellung dienten Dekrete über Beschwerdemöglichkeiten und Strafen der Untertanen (1781). Für die Rechtsprechung hatten die Grundherren mit Gerichtsbarkeit einen staatlich geprüften Justizbeamten anzustellen – Ausdruck des Staatseingriffes in die ursprünglich autonome Sphäre grundherrlicher Rechtsprechung. Durch die große Steuer- und Urbarialregulierung Josephs II. (1785) trat die Robotfrage in den Hintergrund. Die Steuer- und Agrarreform sollte die Abgaben der Bauern gegenüber Staat und Grundherren auf 30 % des Bruttoertrages begrenzen – etwa 17 %
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sollten den Herren zukommen, knapp 13 % dem Staat (als Steuern). Der Bruttoertrag sollte in neuen Unterlagen, den josephinischen »Lagebüchern«, für alle Grundstücke verzeichnet werden – mit genauen Verzeichnissen, aber ohne Kartenbild. Die Parzellen mussten vermessen werden, wofür man die Bauern selbst anlernte. Joseph II. stellte sich vor, dass das ganze riesenhafte Werk in wenigen Monaten vollendet sein würde. Wegen des starken Widerstandes der adeligen und geistlichen Grundherren widerrief er diese zentrale Reform aber knapp vor seinem Tod. – Die Bauern sollten mehr Produkte auf die Märkte bringen. 1751 wurde den Bauern der freie Verkauf eigener Produkte garantiert, ohne aber grundherrliche Vorkaufsrechte (den »Anfeilzwang«) abzuschaffen. Erst 1770 – im Jahr der Lebensmittelknappheit – wurde den Grundherren verboten, den Untertanen den freien Verkauf ihrer Produkte zu hemmen oder sie zum Ankauf herrschaftlicher Waren und zur Abhaltung ihrer Zehrungen in herrschaftlichen Schankhäusern (»Tavernenzwang«) zu zwingen. Auch andere Bannrechte, wie der Mühlenzwang, wurden abgeschafft. Damit allein war eine höhere Marktleistung der Bauern noch nicht zu erzielen. Einführung des Kleebaues auf der Brache, Sommerstallfütterung, Kartoffelanbau – alle diese ertragssteigernden Neuerungen wurden seitens der Regierung wiederholt angepriesen. Seit 1764 gründete man für die einzelnen habsburgischen Länder eigene Gesellschaften, sogenannte »Agrikultursozietäten«, welche diese neuen Methoden, Früchte und Techniken verbreiten sollten. Doch wie die Hungersnot von 1770/72 zeigte, waren die landwirtschaftlichen Fortschritte noch sehr ungenügend. Immerhin dürfte sich damals der Anbau der Kartoffel in einigen Gegenden schon verbreitet haben. Man schritt auch an größere Meliorationsprojekte, wie die Regulierung und Urbarmachung des oberen Inn- und Etschtales oder die Entwässerung und Besiedelung des Laibacher Moores usw. 1768 nahm man systematisch die Aufteilung von Gemeindegründen in Angriff. Sie waren wegen ihres schlechten Zustandes den Landwirtschaftsfachleuten ein besonderer Dorn im Auge ; vor allem die Gemeindeweiden. Wirksamer war die Zehentfreiheit für neue Produkte, die etwa für Klee oder Erdäpfel zumindest für eine Reihe von Jahren zugesichert wurde. Der Bauer sollte aber auch durch Konsumanreize zu mehr Fleiß, zu mehr Marktproduktion und zur Intensivierung seiner Wirtschaft angeregt werden. Tabak, Zucker, Kaffee, Kleidung, Seidentüchlein, Uhren, Hausrat verschiedener Art waren diese neuen Produkte, die an die Konsumenten herangebracht werden sollten. Um auch in entlegeneren Gegenden Kaufanreize zu verbreiten, wurden ältere Hausierverbote aufgehoben. Alle diese rechtlichen Änderungen trugen zweifellos dazu bei, das System der feudalen Grundherrschaft, wie es sich in der vorausgegangenen Periode noch einmal stabilisiert hatte, weitgehend auszuhöhlen. Dennoch waren beim Tod Josephs II. alle unzufrieden : Die Grundherren sowieso, aber auch die Bauern, die als Krönung all der
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genannten Maßnahmen die vollständige Grundentlastung erwarteten und in dieser Erwartung enttäuscht wurden. 6.7.2 Reformen im gewerblichen Bereich, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsentwicklung
Maria Theresia konnte auf jenen merkantilistischen Ansätzen aufbauen, die bereits unter ihrem Vater kräftig entwickelt waren. Schon unter dessen Herrschaft war die zünftische Produktionsweise stark relativiert worden. Um 1736 waren in Wien nur mehr ein Drittel der gewerblich Tätigen zünftische Handwerker, der größere Rest bestand aus »Hofbefreiten« oder »Dekretisten«, die durch einfache Verwaltungsakte den zünftischen Handwerkern gleich gestellt wurden. Unter Maria Theresia wurden 1754 die Gewerbe in Kommerzial- und Polizeigewerbe unterteilt. Die letzteren arbeiteten für den Lokalbedarf (als Rauchfangkehrer, Fleischhauer, Bäcker usw.), die ersteren für den überregionalen Markt. Diese sollten daher von den Begrenzungen durch Zunftvorschriften möglichst befreit werden, weshalb man sie auch den überregionalen (Landes-) Behörden unterstellte. Dagegen blieben die Polizeigewerbe den lokalen (grundherrlichen oder städtischen) Behörden unterstellt. Maria Theresia ermöglichte auch die Radizierung solcher Polizeigewerbe auf jene Häuser, in denen sie ausgeübt wurden, was den Wert dieser Häuser sehr erhöhte. Maria Theresia förderte wie ihr Vater Manufakturen und Fabriken, manchmal auch mit kräftigen Subventionen. In der Außenhandelspolitik blieb sie restriktiv. Joseph II. betrieb eigentlich keine systematische Gewerbepolitik. Aber er bestätigte keine Zunftprivilegien mehr und erleichterte die Erlangung einfacher Fabriksbefugnisse, die eine von Zunftschranken befreite Produktion ermöglichten. Solche Befugnisse sollten ohne große Schwierigkeiten von den Landesstellen vergeben werden. Seit 1791 konnten einfache Befugnisse sogar von allen Magistraten und Ortsobrigkeiten vergeben werden, nur mehr die großen Privilegien mit Erlaubnis zur Führung des kaiserlichen Wappens waren den Landesstellen vorbehalten. Aber in allen Privilegien vermied Joseph II. die Verleihung einer Monopolstellung, wie das in der ersten Jahrhunderthälfte üblich gewesen war. Er wollte die gewerblich-industrielle Produktion befreien und anregen. Da so manche Befreiung von älteren Begrenzungen überfallsartig geschah, konnte sich die Wirtschaft oft nur langsam darauf einstellen – etwa auf die Befreiung der Eisenerzeugung, die bis um 1780 streng reglementiert gewesen war und schlagartig frei gegeben wurde. Dagegen wurde der Import aller Waren, die auch im Inland erzeugt wurden oder erzeugt werde konnten, behindert oder ganz verboten. 1784 wurde das Prohibitivsystem verschärft, 1787 wurden noch weitere Waren »außer Handel« gesetzt. Freilich haben diese Verbote einen lebhaften Schmuggel nicht verhindert.
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Im josephinischen Jahrzehnt weisen jedenfalls nicht wenige Kennzahlen auf ein deutliches, wenngleich schwer bezifferbares Wachstum. Die Zahl der Manufakturen erhöhte sich allein in Niederösterreich von mindestens 90 im Jahr 1783 auf mindestens 140 im Jahr 1790. Ähnliche Entwicklungen sind in Böhmen zu beobachten. Die Kärntner Roheisenerzeugung wuchs von mehr als 5000 Tonnen (1770) auf 8680 Tonnen (1783) und fast 11.000 Tonnen (1794). Der Import von Kaffee stieg von 1776 bis 1800 auf das Dreifache. In Wien stieg die Zahl der in der Seidenweberei Beschäftigten von etwa 600 (1762) auf mehr als 5200 Beschäftigte im Jahr 1772. 1790 waren in allen Branchen der Seidenerzeugung bereits 14.600 Menschen beschäftigt, fast alle in Wien und seinen Vorstädten bzw. Vororten. Buchhandel und Buchdruck, überhaupt die graphischen Gewerbe (auch die Kupfer- und Stahlstecher) erlebten eine ausgesprochene Blütezeit, damit auch die Papiererzeugung. Die Verteuerung der Lebensmittel durch den unglücklichen Türkenkrieg schwächte hingegen die Kaufkraft für gewerbliche Produkte. 6.7.3 Die Rechtskodifikationen und die »Erfindung« der Polizei
Maria Theresia war keine Anhängerin der westeuropäischen Aufklärung, Voltaire war ihr ebenso verhasst wie Friedrich II. Dennoch sind mit ihrem Namen die Ansätze jener Entwicklung verbunden, die man später als »Josephinismus« bezeichnete. Das Bemühen um eine Verstärkung der Durchgriffsmöglichkeiten der Staatsspitze, das die Haugwitz’sche Staatsreform motiviert hatte, sollte um eine weitere Nuance ergänzt werden, nämlich um eine Vereinheitlichung des für den Alltag wichtigen Rechts, des Bürgerlichen (Privat-) Rechts, aber auch des Strafrechts. Das war nur eine logische Folge der Existenz der »Obersten Justizstelle« – denn wie konnte bei dem Nebeneinander verschiedener Privatrechtssysteme ein oberster Appellationsgerichtshof korrekt Recht sprechen ? 1753 wurde eine Kommission zur angleichenden Kodifikation der Privatrechte unter dem Vorsitz des mährischen Freiherrn Heinrich Kajetan von Blümegen eingesetzt, die bis 1755 drei starke Bände mit 17 Foliobänden Erläuterungen erarbeitete. Diese Arbeit wurde von einer Revisisonskommission unter Haugwitz überarbeitet, die bis 1766 den Entwurf eines »Codex Theresianus« in fünf Bänden vorlegte. Dieser große Umfang entsprach aber nicht den Wünschen der Kaiserin – sie wollte ein ebenso handliches wie übersichtliches Gesetzbuch. Eine neuerliche Überarbeitung blieb bis zum Tod der Kaiserin ohne konkretes Ergebnis. Dagegen erschien 1768 die neue »Constitutio Criminalis Theresiana«, die inhaltlich noch stark älteren Vorbildern verhaftet blieb. Auch die Folter als Mittel, Geständnisse zu erreichen, war noch vorgesehen, ebenso verschiedene Formen der Todesstrafe. Sie war das letzte neue Strafgesetzbuch Europas, das noch immer die Folter enthielt. Gegen Folter und Todesstrafe trat besonders Josef von Sonnenfels (1733–1817) auf, der schon
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seit 1763 an der Wiener Universität Polizey- und Kameralwissenschaften lehrte und sich auch massiv in die Bemühungen um eine Verbesserung der deutschen Sprache in Österreich einschaltete. Tatsächlich wurde die Folter selten angewendet : In Innerösterreich (Steiermark, Kärnten und Krain) hatte man in 25 Jahren 35 Menschen der Folter unterzogen. Neun legten ein Geständnis ab. Unterstellt man, dass diese neun tatsächlich schuldig waren, dann wurden entweder bis zu 26 Menschen unschuldig gefoltert – oder aber bis zu 26 Straftäter konnten auch durch die Folter nicht zu einem Geständnis bewogen werden. Solche Überlegungen haben die Legitimität der Folter massiv in Frage gestellt. Sonnenfels kritisierte schon in seinem 1765 erschienenen Lehrbuch die Folter, aber auch die Todesstrafe, weil durch sie dem Staat Arbeitskräfte entzogen würden. Die Studienhofkommission nahm an dieser ungebührlichen Kritik des geltenden Rechts Anstoß. Sonnenfels verteidigte sich so gut, dass ihm die Kaiserin erlaubte, nach den von ihm für gut gehaltenen Grundsätzen zu lehren. Nach dem Inkrafttreten der »Constitutio« regte sich aber neuerdings Kritik an Sonnenfels’ Darstellungen, auch von Seiten Maria Theresias. Sonnenfels wandte sich nun direkt an die Herrscherin. Zu dieser Schrift sollte der Staatsrat und oberste Hofkanzler Heinrich Kajetan von Blümegen ein Gutachten vorlegen – dieses fiel zugunsten Sonnenfels’ aus. Bald danach kritisierte ein Gutachten der Wiener medizinischen Fakultät die mehrtägige Folter, worauf Maria Theresia 1773 diese Form der Folter aufhob. Zwei folgenschwere Fälle übertriebener bzw. einer Folter einer Unschuldigen (mit Todesfolge !) fachten die Debatte weiter an, Maria Theresia forderte von allen Landesregierungen Gutachten ab. Sonnenfels konnte als Referent der Niederösterreichischen Regierung dieses Gremium nicht zu seinen Ansichten bekehren. Sein votum separatum erschien jedoch im Druck und beeinflusste die weitere Diskussion, löste aber auch eine Untersuchung gegen ihn aus. Inzwischen meldete sich auch der Mitregent, Joseph II., zu Wort, der sich gegen Tortur und Todesstrafe aussprach – wohl nicht (allein) durch Sonnenfels motiviert, sondern zumindest auch durch Cesare Beccarias in Mailand erschienene berühmte Schrift Dei delitti e delle pene, in der der große Rechtsgelehrte gegen Folter und Todesstrafe Stellung nahm. Eine nunmehr einberufene Kommission aus Staatsrat und Oberster Justizstelle empfahl die Abschaffung der »peinlichen Frage«, was Maria Theresia im Jänner 1776 bestätigte. In die letzte Entscheidung war Sonnenfels nicht eingebunden, doch bemühte er sich post festum sehr erfolgreich, sich als den wichtigsten Kämpfer gegen die Tortur zu stilisieren. Joseph II. setzte die Todesstrafe 1781 faktisch aus. Danach begann die Arbeit an einem neuen Strafgesetzbuch. Der fertige Entwurf wurde von Sonnenfels stilistisch bearbeitet und trat 1787 in Kraft. Es enthielt die Todesstrafe nicht mehr, aber das als schwerste Strafe vorgesehene »Schiffsziehen« in Ungarn, donauaufwärts, kam einer Todesstrafe gleich, da kaum ein Delinquent dies länger als zwei Jahre ertrug. Der Reformabsolutismus »erfand« die Polizei. Der ältere Begriff der »Polizey« als Sorge des Fürsten um das irdische und ewige Heil seiner Untertanen hatte seit dem
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16. Jahrhunderts in zahlreichen Polizei- und Kleiderordnungen seinen Niederschlag gefunden. Nun setzte eine begriffliche Verengung des Polizey-Begriffs auf die innere Sicherheit des Staates ein. Wieder finden wir den Freiherrn von Sonnenfels im Zentrum der Debatte. Die innere Sicherheit zerfalle in zwei große Felder, in die öffentliche Sicherheit (Staatssicherheit) und in die private, die zahlreiche Bereiche der persönlichen und gesellschaftlichen Wohlfahrt betraf. Sonnenfels wurde als Hofrat bei der Niederösterreichischen Regierung vom Kaiser beauftragt, Vorschläge für eine Neuordnung der Polizei zu erarbeiten. Seine Vorschläge wiesen alle Polizeigegenstände der Landesregierung zu. Von den zahlreichen dafür eingerichteten Kommissionen (für Handwerks-, Gesundheits-, Feuer-, Schul- oder Armenangelegenheiten) war nur eine für die Sicherheitspolizei zuständig. Wien und die Vorstädte wurden in zwölf Bezirke eingeteilt, für die Abteilungen der neu aufgestellten Stadtwache zuständig waren. Bei Sonnenfels spielte also die Sicherheitspolizei nur eine bescheidene Rolle. Doch hat Joseph II. in der Folge das Polizeiwesen dem Grafen Pergen übertragen, der vor allem die Organisation einer neuen Geheimpolizei auf den Weg brachte – eine Einrichtung, die später unter Kaiser Franz II. (I.) eine besondere Bedeutung erhalten sollte. Unter Joseph II. nahm man auch einen neuen Anlauf zur Kodifizierung des Privatrechts. 1781 erließ der Kaiser eine Allgemeine Gerichtsordnung, die das Zivilprozessrecht einheitlicher gestaltete. 1786 erschien schließlich der erste Teil des »Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches« (Eherecht und Ehegüterrecht). Der zweite und dritte Teil kamen erst unter Kaiser Franz 1811 heraus. Dennoch war dieses »Josephinische Gesetzbuch« ein erster und überaus wichtiger Schritt zur Kodifizierung und Vereinheitlichung des Privatrechtes. 6.7.4 Bürgerlichkeit und Bildung
Die »Aufklärung« und die dadurch letztlich ermöglichte »Glückseligkeit« aller Menschen beherrschten als Leitbegriffe zahlreiche Diskussionen des 18. Jahrhunderts. Damit wurde die Möglichkeit zu besserer Erkenntnis der menschlichen Natur verbunden, die man wiederum nur durch eine stark verbesserte Bildung erwerben konnte. Bildung, Kenntnis von Rechten und Pflichten, Achtung für die Mitmenschen – dieser ganze Komplex von »Aufklärung« mache das Wesen der »bürgerlichen Gesellschaft« aus. Gottfried van Swieten (1733–1803), Sohn Gerards van Swieten, definierte den Unterschied zwischen einer »bürgerlichen Gesellschaft« und einer Horde von »Wilden« mit der Existenz des Rechtes, ohne das es keine Verbindlichkeit gebe, und keine Verbindlichkeit ohne Recht. (Gottfried van Swieten, 1789, nach : Ernst Wangermann, 1978, S. 79).
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Eine so definierte »bürgerliche Gesellschaft« erforderte die Verbreitung von »Bildung« und »Aufklärung«. Dabei wurde die Tendenz zur gesellschaftlichen Disizplinierung noch verstärkt : Die »bürgerliche« Gesellschaft würde aus lauter ebenso aufgeklärten wie disziplinierten Individuen bestehen, die ihre »Glückseligkeit« in Pflichterfüllung gegen Gott und die Obrigkeit finden sollten. Daneben sollten sie nach einem ordentlichen Lebensunterhalt streben und durchaus auch nach den verschiedenen neuen Konsumgütern, die die wachsende Wirtschaft bereitstellte. Nicht nur reformierte Schulen sollten der Massendisziplinierung dienen und gleichzeitig die notwendige Bildung vermitteln, sondern auch ein reformiertes Militär- und Überwachungssystem. Die Reformen des 18. Jahrhunderts bedeuteten daher, dass die Geistlichkeit vermindert, Militär und Beamtenschaft jedoch stark vermehrt wurden. Da die materielle Grundlage für eine große Beamtenschaft noch fehlte, musste aber doch noch die Geistlichkeit in den Dienst des Staates genommen werden. Diese »josephinischen« Eigenheiten sollten die bürgerliche Gesellschaft Österreichs bis tief ins 19. Jahrhundert prägen. Die Hebung des Bildungsniveaus erforderte eine Auseinandersetzung mit der bislang im Bildungssystem praktisch unumschränkten Herrschaft der Kirche : Im Bereich der Universitätsbildung dominierten die Jesuiten, bei den »lateinischen« Schulen (Gymnasien) neben diesen die Piaristen ; die »deutschen« Schulen waren praktisch ausschließlich Pfarrschulen. Kirchen- und Bildungsreform der theresianisch-josephinischen Epoche gehören also untrennbar zusammen. Die Universitäten
Die Universitäten wurden von Stiftungen in Staatsanstalten umgewandelt. Diese Stiftungen, korporativ organisiert, standen schon seit dem 16. Jahrhundert unter der strengen Auflage, nur katholische Wissenschaft zu vermitteln. Die 1365 bzw. 1384 (faktisch wieder) gegründete Wiener Universität wurde schon im 16. Jahrhundert unter Ferdinand I. landesfürstlicher Kontrolle unterworfen. 1623 wurde sie mit dem Jesuitenkolleg vereinigt, der Orden übernahm die theologische Fakultät zur Gänze. Graz wurde 1568 als Jesuitenuniversität gegründet, Innsbruck 1669. In Salzburg bestand seit 1623 eine Universität, die von den Benediktinern getragen wurde. Im 18. Jahrhundert wurde die Vernachlässigung der juridischen und medizinischen Studien durch die Orden von den Aufklärern scharf kritisiert. Die Universitäten sollten stärker auf die Bedürfnisse des Staates hin orientiert werden. Von 1747 an beschäftigte sich Gerard van Swieten mit der Reform der Wiener medizinischen Fakultät, aus der – Schritt für Schritt – auch die Reform der anderen Fakultäten hervorging. Seit 1760 bestand eine Studien-Hofkommission, die sich ausschließlich mit Unterrichtsfragen beschäftigte. Die Jesuiten wurden zurückgedrängt, 1773 wurde der Orden vom Papst aufgehoben, Maria Theresia schloss sich dem an. Die Wiener Universität war seither Staatsanstalt, mit der einzigen
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Bestimmung, gute Staatsdiener, Juristen, Priester und Lehrer hervorzubringen. Für bestimmte Beamtenlaufbahnen wurde die Absolvierung eines Universitätsstudiums vorgeschrieben. Die Universität wurde ein wichtiger Teil der als »Politikum« angesehenen »Nationalbildung«, die nicht nur Kenntnisse und Wissen, sondern vor allem Haltungen zu vermitteln suchte : Loyalität und Staatstreue, Ergebenheit gegenüber dem Herrscher und persönliche Erfüllung im Dienste an dessen Staat. Trotz dieser Einschränkungen hat die medizinische und rechtswissenschaftliche Ausbildung von den Änderungen zweifellos profitiert. Radikaler ging man mit anderen Universitäten des heutigen Österreich um : Graz wurde nach 1773 zu einem Lyzeum degradiert, aber 1827 als Universität wieder errichtet. Salzburg wurde 1810, unter bayerischer Herrschaft, aufgehoben (und erst 1962 erneuert), nur die Innsbrucker Universität blieb bestehen. Bestehen blieben ferner Pest (statt Tyrnau), Prag, Freiburg im Breisgau, Löwen (Belgien), in Lemberg wurde 1784 eine Universität gegründet. Die Funktionszuschreibungen des Reformabsolutismus gegenüber den Universitäten blieben bis 1848 dieselben ; deren wissenschaftliches Niveau war dementsprechend bescheiden. Das mittlere Schulwesen
Aufgabe der Lateinschulen war die Vorbereitung auf die Universität. Auch sie wurden im 17. und 18. Jahrhundert durchwegs von Orden geleitet, von Piaristen und Jesuiten, aber auch von Benediktinern. Diese mittleren Schulen den Orden abzunehmen, fehlten dem Staate die Mittel. Auch auf diesem Feld brachten die 1770er Jahre eine entscheidende Wende. An die Stelle der Jesuiten traten meist Piaristen. Die Gymnasialreform kreierte einen sechsklassigen Schultyp, der im Prinzip noch immer die sieben freien Künste vermittelte. Noch immer herrschte das Klassen-, nicht das Fachlehrersystem, und die Klassen waren noch immer nach den artes liberales gegliedert. Joseph II. hob viele Gymnasien auf, da er kein halbgelehrtes Proletariat wollte. Auch die zur Heranziehung des eigenen Nachwuchses existierenden Ordens-Lateinschulen wurden vielfach aufgehoben. Sie bestanden nur dort weiter, wo sie direkt auf eine Universität oder ein Lyzeum vorbereiteten bzw. dort, wo ein wohlhabendes Kloster den Unterhalt der Professoren garantierte. So wurde 1778 dem Stift Melk gestattet, ein öffentliches Gymnasium einzurichten. 1787 wurde diese Schule in die Kreishauptstadt St. Pölten verlegt, die Professoren wurden aber nach wie vor vom Stift bereitgestellt. 1804 wurde diese Maßnahme allerdings zurückgenommen, das Stiftsgymnasium nahm wiederum in Melk seine Tätigkeit auf. Als die Benediktiner von St. Blasien im Schwarzwald nach ihrer Aufhebung nach Österreich kamen und hier eine neue Heimstätte suchten, wurde ihnen 1809 das aufgelassene Kloster St. Paul im Lavanttal zugewiesen, allerdings mit
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der Auflage, Gymnasium und Lyzeum in Klagenfurt zu betreuen sowie ein Gymnasium in St. Paul selbst zu errichten und zu unterhalten. Weitergehende Reformen (u. a. das Fachlehrersystem) wurden im Rahmen der Studien-Hofkommission zwar ausführlich diskutiert, scheiterten aber letztlich am Widerstand konservativerer Kreise und am ewigen Geldmangel. Grundschulausbildung
Die niederen Schulen sollten ein gewisses Maß an Bildung und »Aufklärung« sowie Basiskenntnisse in der Religion und in der Landwirtschaft vermitteln. Ein weiteres Bildungsziel war erhöhte Arbeitsamkeit und Disziplin. Diese »deutschen« (im Gegensatz zu den »lateinischen«) Schulen wurden 1774 durch Abt Felbiger von Sagan in Niederschlesien reguliert und vereinheitlich. An jedem Pfarrort sollte eine Schule bestehen, in der die drei wichtigsten Bildungsgüter Lesen, Schreiben und Rechnen (daher »Trivial«-Schulen) erworben werden konnten. Die Eltern wurden dringend ermahnt, ihre Kinder in die Schulen zu schicken. In Kreisstädten oder anderen größeren Orten wurden »Hauptschulen« eingerichtet und in den Landeshauptstädten »Normalschulen«, die zugleich die Aufgabe hatten, Lehrer heranzubilden. Auch angehende Geistliche sollten eine Normalschulprüfung absolviert haben. Voruntersuchungen ergaben anfangs der 1770er Jahre, dass wenigstens in den zentralen Gebieten der Monarchie ungefähr so viele Schulen bestanden wie Pfarrorte, doch war der Schulbesuch äußerst dürftig. Kirche und Schule blieben auch nach 1774 engstens verbunden : Nach wie vor war der Lehrer Mesner und eventuell Organist, auch die Schulaufsicht blieb vorerst bei den kirchlichen Instanzen. Nur 20 % der schulfähigen Kinder dürften um 1774 tatsächlich Unterricht erhalten haben – in Städten und Märkten mehr, in rein bäuerlichen Gegenden und in den Randzonen des Herrschaftsgebietes deutlich weniger. Kurz nach dem Regierungsantritt Josephs II. ergab eine Untersuchung der Wirksamkeit der theresianischen Schulreform, dass im Staatsdurchschnitt schon ein knappes Drittel der schulfähigen Kinder tatsächlich die Schule besuchte. Die Unterschiede waren allerdings noch immer groß : In Vorderösterreich betrug dieser Prozentsatz fast 70 %, in Krain dagegen nur 3 %. Von Galizien fehlten überhaupt verwertbare Angaben. Aber auch innerhalb der Länder gab es erhebliche Unterschiede. Die deutsche Schule sollte als Werkzeug staatlicher Integration und Vereinheitlichung dienen. Man stellte nur Lehrer an, die neben ihrer Landessprache auch des Deutschen mächtig waren, und wollte so viel an Deutschkenntnissen vermitteln, dass an den Haupt- und Normalschulen wenigstens im letzten halben Jahr die deutsche Sprache vorherrschen oder überhaupt die »einzige übliche« sein sollte. Joseph II. verschärfte diese Bestimmungen noch. So war in den überwiegend slowenisch-sprachigen
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Gebieten Kärntens nur der Religionsunterricht im Slowenischen erlaubt, im Übrigen war die Unterrichtssprache Deutsch. Sicher verminderte dies den Anreiz zum Schulbesuch. Noch 1825 stellte der Bischof Wolf von Laibach (Ljubljana) fest, dass die Krainer Bauern die Schulen wegen der deutschen Unterrichtssprache ablehnten. Als man wenige Jahre später »krainische« Trivialschulen, also Schulen mit slowenischer Unterrichtssprache, einrichtete, stieg, zur Befriedigung des Bischofs, der Schulbesuch sofort an, ebenso wie der Absatz von slowenischen Andachtsbüchern, da die Bevölkerung nun wirklich lesen lernte. Etwas anders verlief die Entwicklung in den böhmischen Ländern, in der Bukowina und bei den Rumänen, Kroaten und Serben. Hier erfolgte der Unterricht in der Landessprache (obwohl auch der Erwerb von Deutschkenntnissen beabsichtigt war). Die Übersetzung und Verbreitung von Schulbüchern hat zweifellos großen Einfluss auf die (Re-) Literarisierung der meisten ostmitteleuropäischen Sprachen ausgeübt. Denn diese Bemühungen um Wortschatz, Orthographie und Grammatik boten eine wichtige Voraussetzung für die spätere Ausbildung (sprach-) nationaler Bewusstseinsinhalte, welche – auch als Reaktion auf die scharfen Vereinheitlichungsbestrebungen Josephs II. – seit den 1780er Jahren beobachtbar werden. Das Ansehen der Schule hing mit dem Ansehen des Lehrers zusammen. Angesichts der schlechten Entlohnung blieben beide schwach. Auch die Freistellung der Lehrer vom Militärdienst änderte nichts an der geringen Wertschätzung dieses Berufsstandes. Auch wollten die Bauern ihre schulpflichtigen Kinder für die Beaufsichtigung der Kleinsten und zum Viehhüten, die größeren für andere Arbeiten zu Hause behalten. Joseph II. versuchte zwar, nicht bloß durch verschärfte Strafbestimmungen, sondern auch durch Befreiung der Knaben vom Schulgeld – die Mädchenbildung schätzte man gering, wer sie haben wollte, musste zahlen ! – zum Schulbesuch anzuregen, rief dadurch aber noch massivere Widerstände hervor, die fast bis zum offenen Aufruhr reichten. In Sulzberg (Vorarlberg) war es schon 1774 zu einem Aufstand gegen die neue Schule gekommen, Bücher wurden verbrannt ; die Regierung setzte Militär ein. Doch nicht nur dieser überwiegend ländliche Widerstand rückte die neue Schule in ein bedenkliches Licht. Gegen Ende der Regierungszeit Josephs II. mehrten sich die Stimmen, die vor einem Zuviel an Bildung warnten. Immerhin war es durch die josephinische Pfarrregulierung zu einer beträchtlichen Vermehrung der mit den Pfarren verbundenen Schulen gekommen. Die Besuchszahlen der Trivialschulen lagen um 1790 deutlich höher als 1780. In Böhmen, wo schon 1781 fast 42 % der schulfähigen Kinder die Schule besuchten, wurde in dieser Zeit die Zahl der Landschulen von 1200 auf 2400 verdoppelt. Der Besuchsgrad der Schulen stieg auch in den schwierig zu erfassenden Gebirgsländern. So wuchs die Zahl der Schulkinder in der Steiermark auf das Fünffache.
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Besonders unter dem Eindruck der in Wien auftretenden Broschürenflut wurde die Schule zunehmend kritisiert. Jener Hofrat Johann Melchior von Birkenstock (1738– 1809), der 1792 die Leitung des Unterrichtswesens übernahm, beschrieb, wohl etwas übertreibend, die rasche Ausbreitung der Lesewut in Wien und meinte, dass auch bei den arbeitenden Klassen durch die Schulen Kenntnisse verbreitet würden, die jene gar nicht bräuchten. Daher würden viel mehr Menschen als je zuvor über ihre Rechte und Pflichten lesen, schreiben und »raisonnieren«. Das war aber nicht das Bildungsziel des österreichischen Schulwesens. Man wollte besser ausgebildete Untertanen, aber keine selbstständig denkenden Menschen. Als 1792 das endgültige »Aus« für die josephinische Reformbewegung erfolgte, konnte die neue Richtung schon an Tendenzen der letzten Regierungsjahre Josephs anknüpfen. Schließlich wurde 1805 eine neue »Politische Verfassung der deutschen Schulen« erlassen, deren Hauptziel es war, »[…] die arbeitenden Volksklassen zu recht herzlich guten, lenksamen und geschäftstüchtigen Menschen […]« zu formen. 6.7.5 Die Reformen auf kirchlichem Gebiet
Am unmittelbarsten haben die theresianisch-josephinischen Reformen in das Selbstverständnis breiter Gesellschaftsschichten durch die Veränderungen im kirchlich-reli giösen Bereich eingegriffen. Vorbereitet wurde die Kirchenreform durch die innerkirchliche Bewegung des Jansenismus (nach dem Yperner Bischof Cornelius Jansen, 1585–1638). Ausgehend von einer an Augustinus orientierten strengen Gnadenlehre entwickelten die Jansenisten eine moralisch-asketische Spritualität, die sich gegen die Jesuiten und deren angebliche moralische Laxheit ebenso richtete wie gegen die Prunkentfaltung des gegenreformatorischen Katholizismus. Barocke Andachtsübungen, Wallfahrten, Prozessionen und Rosenkränze erschienen den Jansenisten als Hindernis für ein Leben im »wahren Christentum«, das auch durch vermehrte praktische Nächstenliebe ausgezeichnet sein sollte. Da sich der Jansenismus nach seiner Verurteilung durch päpstliche Bullen und der Verfolgung durch Ludwig XIV. in Frankreich gerade in den Niederlanden und in Belgien hielt, dürften die in Mitteleuropa wirksamen jansenistischen Strömungen von dort gekommen sein. In diesem Zusammenhang wird der Name von Gerard van Swieten genannt, des Leibarztes Maria Theresias, der in den Niederlanden als Katholik nur geringe Karrierechancen hatte. Auch Franz Stephan soll jansenistisch beeinflusst gewesen sein. Die jansenistischen Ideen trafen bei der Kaiserin auf den kräftig entwickelten Wunsch einer stärkeren direkten Herrschaft über die katholische Kirche, zunächst hinsichtlich der Nutzung ihrer materiellen Ressourcen. Auch in Italien machten sich Strömungen einer »katholischen Aufklärung« bemerkbar, verbunden mit dem Namen Ludovico Muratori (1672–1750), der als hochgebildeter
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Historiker, Bibliothekar und Philosoph ebenfalls als abergläubisch angesehene religiöse Praktiken kritisierte und in seinen Werken religiöse Reformwünsche mit Forderungen zur Steigerung der öffentlichen »Glückseligkeit« kombinierte. Im Zentrum der inner- ebenso wie der außerkirchlichen Kritik – insbesondere der kirchen- und religionskritischen französischen Aufklärung – standen zunächst die Orden. Angesichts einer wachsenden Forderung nach gesellschaftlicher Nützlichkeit der Religion (als Beförderin wahrer Moralität usw.) schienen insbesondere jene Orden hinterfragenswert, deren sozialer Nutzen problematisch erschien. Daneben standen die Jesuiten, als »Armee« des Papstes zu dessen alleiniger Verfügung, unter schwerster Kritik. Die »schwarze Legende« über den Katholizismus nährte sich in erster Linie aus düsteren Geschichten über die Verschlagenheit, Hinterhältigkeit und moralische Fragwürdigkeit der Jesuiten, die außerdem das Pech hatten, dass ihr im 16. und 17. Jahrhundert noch so vorbildliches Bildungssystem langsam veraltete. 1773 erfolgte auf Drängen mehrerer Staaten die Aufhebung des Jesuitenordens durch den Papst. Das Ordensvermögen in den habsburgischen Ländern wurde in den Studienfonds eingebracht, damit sollten Universitäten und Lyzeen finanziert werden. Auch die fromme Katholikin Maria Theresia war skeptisch gegenüber vielen Orden. Sie begrenzte die Zahl der Konventsmitglieder, außerdem erlaubte sie die Ablegung der »ewigen« Gelübde erst mit der Volljährigkeit, also mit 24 Jahren. Noch unter ihrer Herrschaft wurden in der Lombardei 80 Klöster säkularisiert. Seit 1783 durften Ordensmitglieder nur mehr in staatlich kontrollierten Generalseminarien studieren, denen schließlich auch die Ausbildung der Weltpriester anvertraut wurde. 1781/82 rollte die erste Welle josephinischer Klosteraufhebungen über die Habsburgermonarchie, die die »Müßiggänger«, also die in strenger Klausur nur dem Gebete lebenden Orden – Karmeliter, Kartäuser, Kamaldulenser usw. – ebenso betraf wie die Stifte der Domherren. Aus den dabei mobilisierten bzw. in Staatsbesitz übergegangenen Vermögenswerten wurden 1782 die (nach Ländern organisierten) »Religionsfonds« gegründet, die primär der Ausstattung und finanziellen Versorgung der neuen Pfarren bzw. dem Unterhalt der Pfarrer und Lokalkapläne dienen sollten. 1783–1787 erfolgte dann der große Klostersturm. In der gesamten Monarchie (also inklusive Mailand, Belgien, Ungarn) sollen 700 bis 800 Klöster aufgehoben worden sein. Nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1787, die der zuständige Beamte Franz Karl von Kressel erarbeitet hatte, waren in den »deutschen Erblanden« (einschließlich Galiziens) 299 Klöster mit 5291 Insassen aufgehoben worden, dafür wurden 592 Pfarren und 1095 Lokalkaplaneien gegründet, 2166 Priester wurden neu angestellt. 273 Klöster mit 4068 Mönchen blieben bestehen. Entfernungen von mehr als einer (Geh-) Stunde zur Kirche, schlechte Kommunikationsverhältnisse und Gemeindegrößen von mehr als 700 Einwohnern waren Voraussetzung für pfarrliche Neugründungen, das Vorhandensein einer (Filial-) Kirche oder Schlosskapelle begünstigte das Vorhaben. Die zahlreichen
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Priester, die man benötigte, gewann man teilweise durch die Klosteraufhebung, ebenso wie den materiellen Fundus. Nicht aufgehobene Klöster hatten neue Pfarren selbst zu errichten und erhalten. Das Benediktinerkloster Melk zum Beispiel hatte im frühen 19. Jahrhundert für 31 Seelsorgestationen und 32 Schulen aufzukommen – früher waren es etwa 15 gewesen. Der neu eingesetzte Pfarrklerus erhielt auch genaue Vorschriften hinsichtlich der Gebühren, die bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen verlangt werden konnten. Das Betteln der Mendikanten und ähnliche Sammlungen wurden stark eingeschränkt. Alle Reformwünsche bzw. -forderungen waren aber schwer durchzuführen, solange viele Bischöfe außerhalb der habsburgischen Territorien residierten, wie der Salzburger Erzbischof, der Patriarch von Aquileja, die Bischöfe von Augsburg und Passau, oder als Reichsfürsten auch dann nur locker mit den habsburgischen Ländern verbunden waren, wenn ihre Territorien inmitten habsburgischer Länder lagen (wie Trient oder Brixen). Die Macht auswärtiger Oberhirten sollte daher eingeschränkt, die Diözesangebiete sollten räumlich geschlossen werden und auch auf Sprachgebiete bzw. Ländergrenzen Rücksicht nehmen. Schon 1751 wurde das Patriarchat Aquileja aufgehoben und in die Erzdiözesen Udine (für das venezianische Friaul) und Görz (für den habsburgischen Teil) geteilt. 1783/84 entstanden die Bistümer Linz und – durch Verlegung von Wiener Neustadt – St. Pölten, die im Verein mit dem vergrößerten Erzbistum Wien nun die gleichnamige, Ober- und Niederösterreich umfassende Kirchenprovinz bildeten. Das Bistum Passau wurde auf seinen kleinen bayerischen Teil beschränkt. 1786 wurden die kleinen Salzburger Suffraganbistümer Gurk, Seckau und Lavant neu organisiert, eines in Leoben kam hinzu. Die vier Bistümer waren nun für Steiermark und Kärnten (Gurk) zuständig. Salzburg blieb aber Erzbistum und der Erzbischof Metropolit jener Kirchenprovinz, zu der die genannten Bistümer gehörten. Die Diözese Laibach (Ljubljana) erstreckte sich jetzt auf das ganze Herzogtum Krain und wurde 1787 anstelle von Görz zum Erzbistum erhoben. Für Südböhmen wurde das Bistum Budweis (České Budejovice) gegründet. Dass diese Maßnahmen, die auf Kosten vor allem des Bischofs von Passau, aber auch des Erzbischofs von Salzburg vorgenommen wurden, bei den geistlichen Reichsfürsten erhebliche Verstörung auslösten, wurde schon erwähnt. Klosteraufhebung, Betonung der staatlichen Kirchenaufsicht, Diözesan- und Pfarrregulierung führten nicht bloß zu grundlegenden Neugestaltungen innerhalb des Klerus, sondern auch in den Beziehungen zwischen Pfarrvolk und Geistlichkeit. Als besonders gravierend empfanden die Gläubigen Eingriffe in ihr gewohntes religiöses Leben, vor allem die Wallfahrts- und Prozessionsverbote, aber natürlich auch die Aufhebung der Bruderschaften und die Vorschriften über Gottesdienstgestaltung und Begräbnisse. Schon unter Maria Theresia wurden, um alle Hemmungen der angestrebten Arbeitsfreude zu beseitigen, Wallfahrten eingeschränkt und zahlreiche Feiertage abgeschafft. Seit 1771 durften neue Bruderschaften – eine in der österreichischen Barockfrömmig-
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keit besonders beliebte religiöse Sozialform – nur noch mit landesfürstlicher Genehmigung errichtet werden. 1783 wurden alle Bruderschaften aufgelöst, ihr Vermögen in die neuen Pfarrarmeninstitute eingebracht. Im selben Jahr wurden Prozessionen und Wallfahrten neuerdings reduziert. Nur noch zwei pro Jahr und Pfarre durften abgehalten werden, und diese nur an Feiertagen. Jeder als überflüssig angesehene Prunk sollte aus dem Gottesdienst verschwinden. Die Verstörung der Gäubigen erreichte schließlich einen Höhepunkt, als Joseph II. 1784 vorschrieb, man müsse die Toten ohne Kleider in Papiersäcken begraben (was zum Teil aus wachsenden Versorgungsschwierigkeiten mit Holz begründet wurde). Ein breiter Widerstand führte allerdings zur Zurücknahme dieser Vorschriften. Offenen Aufstand erzeugten die josephinischen Maßnahmen nicht nur in den Niederlanden. Auch in Vorarlberg brach ein Aufruhr gegen die kirchenpolitischen Neuregelungen aus, Beamte, Lehrer und Pfarrer wurden angegriffen, die abgeschafften Feiertage demonstrativ eingehalten. Auch nach der Rücknahme der anstößigsten Neuerungen dauerte ein zäher Widerstand an. So wird 1804 aus Kärnten berichtet, dass weder hinsichtlich der abgeschafften Feiertage noch auch bei anderen »Religions-Handlungen« nach den Vorschriften verfahren werde. 1808 musste man im krainischen Kamnik (Stein) die Verehrung einer bekleideten Statue, obgleich gegen die Norm, doch gestatten, weil es massive Demonstrationen gegen das Verbot gab. Palmsonntagsumzüge mit dem (verbotenen) Palmesel werden aus Südtirol berichtet, ebenso sogenannte »Gerichts-Umgänge« mit (verbotener) Segenerteilung auf den Feldern. In den stärker von Säkularisierungsprozessen ergriffenen städtischen und stadtnahen (bzw. Wien-nahen) Gebieten sind erheblich weniger Beispiele dieser halblegalen oder illegalen Volksfrömmigkeit zu beobachten. Das neue Priesterbild war stark antimonastisch bestimmt. Die Nützlichkeit für Staat und Gesellschaft stand im Vordergrund. Der ideale Pfarrer sollte »tätiges Christentum« üben, tiefe Einsicht in die echte (neue, rationalistische) Theologie haben, reine Sitten pflegen, sich aller weltlichen Begierden enthalten, »… und (er) gebe das Beispiel eines warmen Schulfreundes und gewissenhaften Verehrers der Landesgesetze«. Häufig scheinen die josephinisch ausgebildeten Pfarrer tatsächlich nicht bloß brave Staatsbeamte, sondern wirklich so etwas wie »Väter des Volkes« geworden zu sein, die sich in vielfacher Hinsicht um das Wohl ihrer Schäfchen bemühten. Wo die Geistlichkeit für die Alphabetisierung des Landvolkes und zugleich für die Entwicklung neuer Schriftsprachlichkeit entscheidende Leistungen vollbrachte, konnte sie bei der Entfaltung eines neuen sprachlich orientierten Nationalbewusstseins eine zentrale Stellung einnehmen. Das war bei allen jenen Völkerschaften der Monarchie der Fall, die weder über einen »eigenen« Adel noch über ein entwickeltes Bürgertum verfügten, also etwa bei den Serben, Rumänen, Slowaken, Ruthenen und Slowenen.
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Der Pfarrer fungierte auch als Obrigkeit : bei der Matrikenführung und bei der damit zusammenhängenden Konskription, bei der Volkszählung – beides primär für militärische Zwecke –, aber auch bei der Propagierung der Pockenimpfung, die viele als Kennzeichnung der Kinder für den Teufel ablehnten. Der Pfarrer war auch für die soziale Fürsorge im Rahmen des Armeninstitutes zuständig. Die Zwangsvereinigung aller Stiftungsvermögen im Pfarrarmeninstitut dürfte auch die Stiftungsfreude nicht gefördert haben – gingen doch die verschiedenen alten Stiftungen und Bruderschaften auf Einzel- und Gruppeninteressen (etwa von einzelnen Familien oder Zünften) zurück, die sich im Armeninstitut nicht berücksichtigt fanden. 6.7.6 Heeres- und Verwaltungsreform:. Die Formierung von Offizierskorps und Bürokratie
Alle Anstrengungen zur Erhöhung der Bevölkerungszahl und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dienten im Reformabsolutismus in erster Linie der Stärkung des militärischen Potentials. Vor dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) umfasste das kaiserliche Heer etwa 108.000 Mann, ohne die in Mailand und Belgien stationierten (etwa 40.000) und ohne die etwa 44.000 Grenzer ; 1788 stellte Joseph II. gegen die Türken fast 282.000 Mann ins Feld. Das Heeresbudget betrug 1777 fast 23 Millionen Gulden, also 20,5 % der Gesamtausgaben ; 1790 waren es 78,5 Millionen oder 33 %. Da militärische Schlagkraft nicht bloß eine Folge der Größe des Heeres ist, musste auch auf das Dienst- und Exerzierreglement sowie auf die Organisation der Versorgung mit Nachschub und Ersatzmannschaften gesehen werden. Hierin nahm man sich ein Beispiel an den Preußen, aus deren Siegen über die kaiserliche Armee man zu lernen gedachte. 1771 trat ein neues Reglement in Kraft, das Feldmarschall Franz Graf Lacy, der Nachfolger des im Kriege verdienten Grafen Leopold Daun, in Anlehnung an preußische Muster entworfen hatte. Auch der materielle und personelle Ersatz wurde neu organisiert. Lacy, den eine Reisebeschreibung von 1780 »eines der größten Genies unseres Jahrhunderts« nannte, verminderte die Einflussnahme der Oberst-Inhaber der Regimenter bei der Versorgung der Truppen, die sich bislang daran glänzend bereichert hatten. Ein staatliches Magazinsystem wurde eingerichtet. Für die Heeresergänzung wurden 37 sogenannte »Werbebezirke« geschaffen (1771), von denen – in den österreichischen und böhmischen Ländern – jeweils einer einem »deutschen« Infanterieregiment zugeteilt wurde, während die »ungarischen« Regimenter nach wie vor durch Werbung ergänzt wurden. In den Werbbezirken wurde nicht mehr geworben, sondern ausgehoben. Als Grundlage brauchte man die Konskriptionen, also die Volkszählungen, deren Träger die Pfarrer waren. Die Volkszählungen konnten wiederum nur funktionieren, wenn jedes einzelne Haus als identifizierbarer Wohnort mit Nummern
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versehen war. Die erste Volkszählung fand 1754 statt. Nach 1769 wurde nur mehr die wehrfähige männliche Bevölkerung erhoben. Die Auswahl der Rekruten wurde wieder den Obrigkeiten überlassen. Geistliche, Adelige, Beamte, Doktoren, Chirurgen, Bürger und Bauern sowie Übernehmer von Bauernwirtschaften blieben vom Militärdienst befreit, sodass eigentlich nur Angehörige der ländlichen (und allenfalls städtischen) Unterschichten eingezogen wurden. Das weite Ermessen der (meist grundherrschaftlichen) Behörden konnte daher auch als Disziplinierungsmittel gegen renitente Untertanen umgesetzt werden : Wer aufmuckte, wurde zum Militär gesteckt. In Friedenszeiten gab es aber auch zahlreiche Beurlaubungen. Soldaten, Soldatenfrauen und -kinder bildeten ferner eine bevorzugte Zielgruppe merkantilistischer Beschäftigungspolitik, sie wurden zur Arbeit in und für (Textil-) Manufakturen herangezogen, teilweise in Verbindung mit Zucht- und Arbeitshäusern. Der Dienst selbst war verhasst. Die brutalen Disziplinierungsmethoden und die enge Verbindung zur Manufakturarbeit ließen die Soldatenexistenz wenig erstrebenswert erscheinen. Noch 1808, als die Dienstzeit schon (auf 14 Jahre) verkürzt worden war, berichtete der Laibacher Bischof Kautschitsch über die Abneigung der Krainer gegen den Militärdienst, in dem die »Abrichtung« (so der noch lange übliche Begriff für »Ausbildung«) häufig mit kräftigen Prügeln verbunden war – wobei der arme Krainer oft nur deshalb geschlagen wurde, weil er die Sprache des Ausbildners nicht verstand. Außerdem erschienen den Bischöfen Militärurlauber und soldatische Einquartierungen in erheblichem Maße mitverantwortlich für die Steigerung der Unehelichenquote, abgesehen davon, dass ein ausgedienter Soldat zu nichts Rechtem mehr zu gebrauchen wäre. Man überstellte sie nach der Entlassung aus dem Dienst meistens auch in das große Heer der niederen Staatsdiener. Maria Theresia ließ sich besonders die Ausbildung eines nur ihr bzw. dem Herrscherhaus ergebenen Offizierskorps angelegen sein. Als neue Ausbildungsstätten wurde 1752 die Militärakademie in Wiener Neustadt und 1754 die Ingenieurakademie in Wien gegründet. Zur Hebung des Sozialprestiges des Heeres im Allgemeinen und der Offiziere im Besonderen wurde den Offizieren der Hofzutritt gestattet (1751). 1757 wurde überdies bestimmt, dass sie nach dreißigjähriger Dienstzeit und Teilnahme an einem Feldzug automatisch in den Adel erhoben wurden. Fast 50 % der zwischen 1701 und 1918 vorgenommenen Adelserhebungen betrafen daher Offiziere. 1766 wurde festgelegt, dass die Beförderung von Stabsoffizieren ausschließlich durch den Hofkriegsrat zu erfolgen habe. Erst ab 1849 war deren, seit 1868 die Beförderung aller Offiziere dem Kaiser vorbehalten. Damit erst wurde aus den Offizieren eines Obersten bzw. eines Regimentes das kaiserliche Offizierskorps, dem sich etwa Joseph II. durch demonstratives Tragen der Uniform verbunden zeigte.
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Die Heeresorganisation wurde immer stärker verstaatlicht. 1769 wurde der Regimentskommandeur und nicht (mehr) der Inhaber als »Haupttriebfeder, wodurch die anderen in Bewegung gebracht werden«, bezeichnet. Im gleichen Jahre erhielten die Regimenter, die bisher nur mit dem Namen der jeweiligen Inhaber benannt worden waren, durchlaufende Nummern. Offiziere waren häufig Mitglieder bei Freimaurerlogen – etwa 30 % der Mitglieder waren Offiziere, diese waren damit Teil der »aufgeklärten«, elitären Gesellschaft, in der die Logenmitgliedschaft Voraussetzung für eine gute gesellschaftliche Vernetzung war. Neben den Offizieren, dem höherem Adel und der Geistlichkeit gehörten die Beamten zu den wichtigsten Integrationsinstrumenten im vielgestaltigen Habsburgerreich. Ähnlich wie für künftige Offiziere die Militärakademie sollte eine eigene Akademie für den diplomatischen Dienst vorbereiten. An dieser »Orientalischen Akademie« (1754) lernte man vor allem orientalische Sprachen (Türkisch und Arabisch), erhielt eine höhere Allgemeinbildung sowie Unterricht in Rechtswissenschaften sowie im standesgemäßen Auftreten (Fechten, Reiten usw.). Die Tradition der Orientalischen Akademie setzt die Diplomatische Akademie bis heute fort. Für höhere Staatsbeamte sollte die 1746 gegründete Theresianische Akademie dienen, die mit der schon bestehenden Savoyschen Akademie vereinigt wurde. Sie wurde in der bisherigen Sommerresidenz »Favorita« in einem Vorort von Wien einquartiert. Die Ausweitung der Tätigkeit der Zentralstellen, die Einrichtung der landesfürstlichen Behörden auf Landesebene (seit 1763 »Gubernien«), die Errichtung der Kreisämter – das alles erweiterte die Zahl der Beamten beträchtlich. Genaue Zahlen sind allerdings nur schwer zu gewinnen. Die Stellung der Beamten änderte sich in der theresianischjosephinischen Zeit sehr stark. Zwar blieb der Charakter der persönlichen Abhängigkeit vom Herrscher erhalten, als dessen Diener die Beamten weiterhin galten. Das ist auch der Grund für das Fehlen einer besonderen Dienstpragmatik. Allerdings änderten sich die besoldungsrechtlichen Verhältnisse. In gewissen Ämtern, besonders im Bereich der Regalienverwaltung (Salzämter, Einnehmerämter bei großen Mautstellen), hatte sich bis ins 18.Jahrhundert immer noch etwas vom alten Kameralunternehmertum erhalten, weil die Beamten durch Taxen, Sporteln, Zettelgelder und Tantiemen am Umsatz beteiligt waren. An die Stelle dieser ungewissen, aber in einigen Fällen doch ziemlich reichhaltigen Einkünfte traten ab 1773 fixe Gehälter, was bis 1785 bereits zur herrschenden Entlohnungsform geworden war. Die neuen Gehälter waren allerdings bescheidener. In Olmütz (Olomouc, Mähren) soll ein Obereinnehmerposten vor 1770 durchschnittlich 2500 Gulden jährlich eingetragen haben, später aber nur mehr 640 Gulden. Joseph II., dem Heer gegenüber großzügig, war bei den Beamten knausrig. Da das neue Besoldungssystem für mittlere und niedere Ränge eine Eigenvorsorge für Krankheit und Arbeitsunfähigkeit ausschloss, wurde 1781 ein Pensionsnormale erlassen, das
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den kaiserlichen Beamten im Falle der Dienstunfähigkeit den Bezug einer Pension sicherte, wobei deren Höhe nach der zurückgelegten Dienstzeit bemessen wurde. Joseph II. trieb die Beamten unermüdlich an. Er bevorzugte Personen, die sich von untergeordneten Stellen hinaufgearbeitet hatten. Das Ethos, das er dieser seiner Bürokratie vermitteln wollte und das für diese neue Sozialkategorie bewusstseinsprägend werden sollte, spiegelt sich im berühmten »Hirtenbrief« des Kaisers aus dem Jahre 1783. Der Kaiser beklagt sich hier ausführlich über die langsame, eigennützige und mechanische Dienstverrichtung seiner Beamten und fordert eine initiative, gleichzeitig aber doch wieder rasch und genau die Anleitungen von oben ausführende Beamtenschaft. Der Kaiser, oberster Diener des Staates, ist zugleich »Vater« dieser Beamten. Der Beamte hat sich in besonderer Weise dem Dienst am »Vaterland«» verpflichtet zu fühlen, das nun nicht mehr eines der Kronländer, sondern die Gesamtmonarchie ist. Eifersüchteleien und Vorurteile zwischen den einzelnen Ministerien, aber auch den Provinzen und »Nationen« müssten daher aufhören. Die strenge, ebenfalls von Joseph II. angeordnete Überwachung der Beamten (wobei der Kaiser auch vor der Aufforderung zur Denunziation nicht zurückscheute), die Macht der 1783 eingeführten geheimen Führungs- (Conduite-) Listen und die damit verbundene Angst vor Auffälligkeit irgendwelcher Art führten allerdings zu Entscheidungsscheu und dem berühmten, besonders unter Franz II. (I.) höchstentwickelten Aktenschieben von einem Amt zum andern. Die materielle Bedürftigkeit soll der Korruption Tür und Tor geöffnet haben. So waren die Kreiskommissäre in Mähren angeblich so schlecht besoldet, dass ihre Vorgesetzten (die Kreishauptleute) die regelmäßige Geschenkannahme bei den Beamten duldeten – die Geschenke kamen von den an sich den Kreisämtern untergeordneten Grundherrschaften. Aber diese Beobachtungen sind nicht die ganze Wahrheit. Das josephinische (und später auch das vormärzliche) Beamtentum war nicht bloß bürokratischer Träger des habsburgischen Staatswesens, es wurde auch zum hauptsächlichen Träger einer neuen, bürgerlichen Kultur. Im josephinischen Wien wurde dieses neue Bildungsbürgertum zunächst durch säkularisierte Ordensmitglieder verstärkt. Exjesuiten (oder zumindest : Jesuitenschüler) spielten eine nicht unerhebliche Rolle in der ungeheuer raschen Entwicklung jenes bürgerlichen Publikums, die ab 1780 zutage trat. 6.8 Spätbarock und »Tauwetter«: Skizzen einer österreichischen Kulturund Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts Verschiedene Aspekte der Kultur- und Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts haben wir bereits angedeutet : die rasche Ausbreitung des Barock, das Eindringen jansenistischer und aufklärerischer Gedanken in die Reformen Maria Theresias und noch mehr
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Josephs II., die Ausbreitung einer bescheidenen Massenbildung und die Anfänge der Lesekultur im josephinischen Jahrzehnt. Dennoch bleibt einiges zu ergänzen. 6.8.1 Die klösterliche Kultur der Geschichtsforschung
Herausgefordert durch die Pflege der Kirchen- und Ordensgeschichte der Jesuiten (Bollandisten) und angeregt durch die französische Benediktinerkongregation von St. Maure (»Mauriner«) widmeten sich auch in nicht wenigen Klöstern der Habsburgermonarchie eine Reihe gebildeter und fleißiger Mönche der Erforschung der Geschichte ihrer Häuser, Orden und einzelner Länder. Trotz der ständigen Störung durch die pausenlosen Um- und Neubauten, die häufig ihre Arbeit behinderten, entwickelten gerade in Melk mehrere gelehrte Patres eine intensive Tätigkeit auf dem Feld historischer Forschungen. Es begann mit einem Chronicon Mellicense von Anselm Schramb (1702), 1722 erschien Philibert Huebers Austria ex archivis Mellicensibus illustrata, eine Landesgeschichte der Mark und des (Erz-) Herzogtums Österreich auf der Basis von meist urkundlichen Quellen aus dem Melker Stiftsarchiv. Den Höhepunkt der benediktinischen Geschichtsforschung des Barock bildet zweifellos das Lebenswerk der beiden Brüder Hieronymus (1685–1762) und Bernhard Pez (1683–1735). Bernhard Pez gab in einem sechsbändigen Thesaurus anecdotorum eine Sammlung von wissenschaftlichen Handschriften aus Klosterbibliotheken heraus, Hieronymus erzählende Quellen zur (nieder-) österreichischen Geschichte (Scriptores rerum Austriacarum in drei Bänden). Die Brüder beschwerten sich übrigens bei Karl VI. über die Bauwut ihres Abtes Berthold Dietmayr, die sie in ihren wissenschaftlichen Arbeiten ebenso wie in ihrer klösterlichen Klausur erheblich störte – freilich vergeblich, sie profitierten nur einen kräftigen Rüffel. Ihr Abt war bei Hof doch besser vernetzt als die unzufriedenen Mönche. Ihre räumlich weit ausgreifende Korrespondenz wurde in den letzten Jahren gründlich erforscht und publiziert. – Ein besonders wichtiges Beispiel barocker Geschichtsforschung bietet der Göttweiger Abt Gottfried Bessel mit seinem Chronicon Gottwicense (1732), das bereits eine grundlegende Arbeit zu den Hilfswissenschaften, insbesondere zur Urkundenlehre, darstellt. Aus Vorderösterreich kam eine der schönsten Leistungen spätbarocker Geschichtsforschung, die Monumenta Augustae Domus Austriacae des Mönches Marquard Herrgott (1694–1762) aus St. Blasien im Schwarzwald, einem alten habsburgischen Hauskloster. Er veröffentlichte bildliche und dingliche Quellen (Siegel, Münzen usw.) zur Geschichte der Babenberger und Habsburger und kann als Mitbegründer der Realienkunde gelten. Sein Prachtwerk gilt als Höhepunkt der barocken Geschichtskultur der habsburgischen Monarchie. Diese klösterliche Wissenschaftspflege riss mit dem Ende des Hochbarock keineswegs ab. So war der Melker Konventuale Gregor Mayer (1754–1820) ein bedeutender
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Bibelwissenschaftler und Kenner orientalischer Sprachen. Anton Reyberger (1757– 1818) wurde von Gottfried van Swieten als Pastoraltheologe nach Pest, 1788 als Moraltheologe nach Wien berufen ; er war 1810 Rektor der Wiener Universität und 1810 bis 1818 Abt des Stiftes Melk. Reyberger gilt als erster österreichischer Moraltheologe, der Kant rezipierte. Andere wie Ulrich Petrack widmeten sich der im Josephinismus so erwünschten praktischen Aufklärung ihrer Pfarrkinder, etwa durch Publikationen zum Obstbau. Daneben blühte bis ins josephinische Jahrzehnt die Kirchenmusik (Marian Paradeiser, Maximilian Stadler). Diese Beispiele ließen sich durch zahlreiche weitere aus anderen Klöstern leicht vermehren. Noch die Erneuerung der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert ist ohne gelehrte Mönche und Chorherren (wie Jodok Stülz oder Joseph Chmel aus St. Florian) nicht denkbar. 6.8.2 Musik und Theater
Die Habsburger von Ferdinand III. bis Karl VI. waren durchwegs sehr musikalisch, Ferdinand, Leopold und Joseph I. komponierten auch selbst. Die Barockoper diente der Repräsentation von Herrscher und Hof ebenso wie jener der siegreichen katholischen Kirche. In Ergänzung und Weiterführung der barocken Einheit von Architektur und Bildender Kunst kamen hier noch die Elemente der Bewegung (Tanz !) und der Musik zur Geltung. Die Theaterdichter ebenso wie die Komponisten waren zumeist Italiener wie der Komponist der berühmten Oper Il pomo d’oro, Marco Antonio Cesti (nach einem Text von Francesco Sbarra). Diese Oper wurde zur Vermählung des Kaisers Leopold I. mit der Infantin Margareta Teresia komponiert und aufgeführt. Die Oper des höfischen Barocks war wohl die eindrucksvollste Umsetzung der aus der Renaissance stammenden Idee eines Gesamtkunstwerkes. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkte in Wien Johann Josef Fux (1660–1741), dessen Gradus ad Parnassum ein bekanntes und verbreitetes Lehrwerk der Musiktheorie und -praxis war, das noch Joseph II. genau kannte. In Wien wirkte damals unter anderen Antonio Caldara (1670–1736), der von 1716–1736 Vizekapellmeister am Hof war. Die Texte für die meisten seiner Opern stammten von dem zu seiner Zeit hochberühmten Theater- und Operndichter Pietro Metastasio (1698–1782). Dieser ist in der Michaelerkirche zu Wien begraben. War die Oper eine Domäne italienischer Komponisten und Textdichter, so orientierte sich das Sprechtheater zwar zunächst ebenfalls an den Italienern, in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts aber auch stark an französischen Autoren. Insbesondere Fürst Kaunitz förderte das französische Drama. Theaterstücke in deutscher Sprache waren hingegen zumeist reine Unterhaltungsstücke, bei denen die komische Figur des Hans Wurst, kreiert von Joseph Anton Stranitzky (1676–1726), dominierte. Dabei bedienten sich die seit etwa 1710 am damals neuen Kärntnertortheater in Wien spielen-
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den »deutschen« Komödianten bei der italienischen commedia dell’arte, aber auch bei italienischen Opern oder bekannten Stücken des französischen Theaters. Die lustige Parallelhandlung karikierte das seriöse Hauptstück, wobei der Hans Wurst gehörig extemporieren durfte. Dabei wurden die Lachmuskeln der Zuschauer häufig durch ebenso schlichte wie derbe Formulierungen gereizt. Stranitzky war freilich nicht nur erfolgreicher Theaterprinzipal, sondern auch »Zahnbrecher« (Chirurg mit der Befugnis zum Zähneziehen), Weinhändler und Immobilienbesitzer. Sein Nachfolger wurde Gottfried Prehauser (1699–1769), der oft mit Felix Kurz (1717–1784) und dessen Kunstfigur Bernardon gemeinsam auftrat. Im 1741 errichteten Hof burgtheater wurden dagegen französische und italienische Opern und Theaterstücke aufgeführt. In den 1740er Jahren machte sich die in Deutschland schon länger aktive Bewegung zur Reform der deutschen Sprache, Literatur und besonders des Theaters auch in Wien bemerkbar. Ein erster Versuch, an die Stelle des Improvisationstheaters »regelmäßige« Stücke zu setzen und das Theater von einem Ort der Unterhaltung zu einer Institution der Belehrung und moralischen Erhebung des Publikums zu machen, scheiterte. Auch ein ähnlicher Versuch der Herrscherin selbst, 1751, das Verbot von ordinären Redensarten und Improvisationen durchzusetzen, schlug fehl. 1760 wurde in Wien eine »Deutsche Gesellschaft« gegründet, mit dem Ziel der Sprach- und Theaterreinigung. In diesem Kreis wurde neuerdings die Beschränkung des Extemporierens gefordert. Auch Josef von Sonnenfels engagierte sich im »Hanswurststreit« und forderte, dass die Schaubühne – wie von Gottsched gefordert – erbauen und belehren sollte und nicht belustigen und zerstreuen. Sonnenfels wurde daraufhin in einer Hanswurstiade selber zur Zielscheibe des Spottes. Ihm blieb – neben seinen Publikationen – aber die Lehrkanzel als Medium für seine Kritik. In seiner eigenen Wochenschrift »Der Mann ohne Vorurteil« schrieb er weiterhin kritische Bemerkungen zur Situation des Wiener Sprechtheaters. Wieder antwortete das Theater selbst, indem Prehauser Sonnenfels als eitlen Pedanten auf die Bühne stellte. Der Tod Prehausers führte freilich neben dem langsamen Wechsel des Publikumsgeschmacks zum Bedeutungsverlust der Hanswurstiaden. Ihm war schon der Tod Philipp Hafners (1736–1764) vorausgegangen, eines begabten Komödienschreibers, der sich von der Hans-Wurst-Tradition abgrenzte und einen an Goldoni geschulten Typus des Lustspiels vertrat. Sonnenfels selbst wurde 1770 zum Theaterzensor ernannt, verlor jedoch dieses Amt noch im selben Jahr. In den 1780er Jahren entstanden drei Vorstadtbühnen, das Josefstädter, das Leopoldstädter und das Theater an der Wien. Sie wurden zu den Bühnen des Wiener Singspiels und einer neuen komischen Figur, des »Kasperl«, personifiziert von dem Schauspieler Johann Laroche (1745–1806), für den Karl Marinelli (1745–1803) zahlreiche Stücke schrieb. Joachim Perinet, Friedrich Hensler und Emanuel Schikaneder entwickelten die allegorische Zauber- bzw. Märchenoper, deren unbestrittener Hö-
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hepunkt Mozarts und Schikaneders »Zauberflöte« (1792) wurde. Diese Zauber- und Märchenstücke blieben bis weit in den Vormärz hinein überaus populär. Damit sind wir wieder bei der Musik, die in diesen Jahrzehnten der Blüte der »Wiener Klassik« wohl die führende Rolle unter den im damaligen Österreich gepflegten Künsten einnahm. Wenn auch Maria Theresia, Kaiser Franz I. oder Joseph II. nicht selbst komponierten, so blieb die Liebe zur Musik bei allen Habsburg (-Lothringern) des 18. Jahrhunderts sehr lebendig. Alle Kinder Maria Theresias erhielten einen gründlichen Musikunterricht. Joseph soll auch noch als Kaiser täglich mit einigen Vertrauten die Kammermusik gepflegt haben. Dabei wurden keine Stücke von Haydn oder Mozart gespielt, obwohl Joseph die selbstverständlich gekannt hat. Ihm entsprachen eher Komponisten wie Georg Reutter (1708–1772), Georg Christoph Wagenseil (1715–1777) oder Johann Georg Zechner (1716–1778), ausgezeichnete Komponisten, die stilistisch freilich den älteren Mustern verpflichtet blieben. Hingegen hat der Kaiser Burg- und Kärntnertortheater ebenso wie das Belvedere und den Augarten (oder das dortige Palais) für öffentliche Konzerte zur Verfügung gestellt. Diese öffentlichen Konzerte waren eine wichtige Möglichkeit für die Komponisten, ihre neuen Piecen dem auf Novitäten neugierigen Publikum bekannt zu machen – außerdem konnte man mit den Eintrittskarten etwas Geld verdienen, denn gleichzeitig nahm die Zahl der in den Adelspalais gegebenen Konzerte (und der dort gehaltenen Orchester) deutlich ab. So wie in der ersten Jahrhunderthälfte wurde die höfische Prunk-Oper in italienischer Sprache gepflegt, für die Johann Adolph Hasse (1699–1783) mehrfach als Komponist auftrat (u. a. mit Texten von Metastasio). Christoph Willibald Gluck (1714–1787) brachte neue französische Opern nach Wien. Mit seinen eigenen Reformopern wollte er die alte italienische Tradition überwinden. Schließlich ist – neben anderen recht bedeutenden Komponisten – auf Joseph Haydn (1732–1809) und Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1792) zu verweisen, deren eingehende fachliche Würdigung wir uns freilich versagen müssen. Sie haben in allen Musiksparten – Oper, Kirchenmusik, Kammermusik, Symphonik – neue Maßstäbe gesetzt. Dabei blieb Haydn die längste Zeit seines Lebens noch ein Bediensteter des Fürsten Esterházy, während Mozart den Dienst beim Salzburger Erzbischof quittierte und als freier bürgerlicher Unternehmer in Wien zu leben versuchte. Haydn erlebte schließlich in London jene internationale Anerkennung seiner Symphonien, die ihm die Esterházy-Residenz Eisenstadt nicht bieten konnte. Mozart, das international berühmte Wunderkind, suchte in seiner Wiener Zeit immer wieder die Nähe des Hofes, wo er freilich relativ wenig Anerkennung fand – Joseph II. meinte, dass Mozart zu viele Töne komponiert habe. Den Geschmack des Kaisers hat er offenbar nicht getroffen. Aber er führte die italienische Oper mit den Lorenzo-da-Ponte-Opern (Don Giovanni, Cosí fan tutte, Le nozze di Figaro) zu einem neuen Höhepunkt, schuf mit der Entführung aus dem Serail das klassische deutsche Singspiel und mit der Zauberflöte den Hoch- und Abgesang auf die Freimaurerei als Märchen- und Zauberspiel.
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275 6.8.3 Die Literatur
Die bedeutendste deutsche Literaturlandschaft des 17. Jahrhunderts war das damals habsburgische Schlesien. Die dortige Literatur (Martin Opitz, Daniel Caspar von Lohenstein, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau) übte jedoch kaum Einfluss auf die Literatur des heutigen Österreich aus, nicht einmal die Lyrik des zum Katholizismus konvertierten Angelus Silesius. Von Schlesien abgesehen gab es um 1700 kaum eine nennenswerte Literatur in deutscher Sprache, sieht man von dem sprachgewaltigen Mönch und Sittenprediger Abraham a Sancta Clara (Ulrich Megerle, 1644–1709) ab, dessen Predigten und Schriften einen enormen Zulauf hatten. Dann hatte das Deutsche eine längere Pause, wenn man das populäre Theater außer Acht lässt. Unter Maria Theresia und Joseph II. änderte sich das grundlegend. 1753 wurde die erste Professur für deutsche Sprache an der Wiener Universität geschaffen. Über Vermittlung des Wiener Erzbischofs Johann Josef Graf Trautson wurde sie an Johann Siegmund Valentin Popowitsch (1705–1774) vergeben. Popowitsch stammte aus der slowenischen Untersteiermark, aus der Gegend von Cilli (Celje). Er hatte vor seiner Wiener Position unter anderem als Hauslehrer gewirkt, war viel gereist und hatte eine bedeutende Sammlung »österreichischer« und »steirischer« (man beachte die Unterscheidung !) Wörter und Begriffe angelegt. 1754 veröffentlichte er eine Einführung in die deutsche Sprache für den Gebrauch an österreichischen Schulen, die 1763 an den Gymnasien der Piaristen verpflichtend eingeführt wurde. Popowitsch bekämpfte die Tendenzen Gottscheds und Adelungs, sächsische Dialekte zum Zentrum einer neuen deutschen Einheitssprache zu erklären, und trat für die Eigenständigkeit des bayerisch-österreichischen Hochdeutsch ein. Gottsched kam 1749 nach Wien, um hier eine mögliche Anstellung auszuloten, doch blieb es bei den Plänen. Wie schon erwähnt, versuchte sich eine 1760 gegründete »Deutsche Gesellschaft« in einer Verbesserung des Deutschen, nicht nur auf der Bühne. Vorerst blieben die literarischen Früchte aus. Immerhin versuchte sich Michael Denis (1729–1800) in der Übersetzung des so genannten »Ossian«, einer angeblich altkeltischen (in Wirklichkeit zeitgenössischen) Bardendichtung. Von Denis stammen auch Kirchenlieder, von denen einige in der katholischen Kirche bis heute in Gebrauch sind. Aloys Blumauer (1755–1798) trat 1772 als Novize in den Jesuitenorden ein, der jedoch im Jahr darauf aufgelöst wurde. Durch die Bekanntschaft mit Sonnenfels erhielt er diverse Hauslehrerstellen, 1780 durch Gottfried van Swieten eine Stelle in der Hofbliothek. Gemeinsam mit Josef Franz Ratschky gab er von 1781 bis 1794 den Wiener Musenalmanach heraus und war von 1782 bis 1793 Bücherzensor. Ein Drama »Erwine von Steinheim« wurde am Burgtheater mit viel Erfolg aufgeführt. Blumauer war Freimaurer und Illuminat. Als sein Hauptwerk gilt die Travestie von Vergils Aeneis, die begeistert gelesen und vielfach übersetzt wurde.
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Als Joseph II. 1781 die Zensurbestimmungen fast bis zur Literaturfreiheit lockerte, brach eine wahre Broschürenflut über das interessierte Publikum herein. Wir haben am Beispiel Sonnenfels’ gesehen, dass schon unter Maria Theresia publizistische Auseinandersetzungen über Themen von größerer Wichtigkeit üblich wurden. Immer stärker wurde die öffentliche Meinung als wichtiger Faktor wahrgenommen. Neuere Forschungen haben deutlich gemacht, dass sich Joseph II. und sein Beraterstab – wie übrigens auch sein Bruder Leopold II. – dieses Faktors sehr bewusst waren. Man hat daher insbesondere die kirchenpolitischen Maßnahmen von positiven Kommentaren begleiten lassen, um das Volk, wie ein ungarischer Adeliger ( Johann Graf Fekete von Galantha) schrieb, »über seine wahren Interessen aufzuklären«. Es blieb aber nicht bei den von aufgeklärten Kreisen angeregten Schriften – die weitgehende Pressefreiheit unter Joseph II. kam auch den Gegnern der josephinischen Reformen zugute, die auf die kritischen Schriften der Aufklärer oft nicht minder kritisch antworteten. Schließlich entwickelten die Broschürenpolemiken eine erhebliche Eigendynamik. 1782 schrieb der englische Gesandte, die Diskussionsfreude in den Wiener Kaffeehäusern sei fast so exzessiv wie in England. 1787 weist ein Polizeibericht darauf hin, dass in den Kaffeehäusern immer mehr Reden gehalten würden, »[…] welche nicht weniger den Souverain als die Religion und die Sitte« beleidigten. Diese neu erwachte Diskussionsfreude hängt selbstverständlich eng mit der außerordentlich raschen Zunahme von Büchern, Broschüren und Zeitschriften zusammen. Der schon zitierte Hofrat Birkenstock – übrigens ein Schwager Sonnenfels’ – sah die Folgen der josephinischen Lockerung in einer raschen Zunahme der Buchdrucker und Buchhändler, die immer mehr Schriften unter das Volk brachten, auch die »bedenklichsten«. Alle Klassen der Bevölkerung »verschlangen« diese neuen Wiener Broschüren. Darin kritisierte man alles und machte sich über alles lustig, auch über das neue Strafgesetzbuch von 1787, das sogleich nach seinem Erscheinen durch eine »Schlendrian« betitelte Schrift lächerlich gemacht wurde. Was hier neu entstand, entspricht recht gut dem Habermas’schen Ideal eines bürgerlichen, literarischen Publikums, das öffentlich interessierende Probleme auch öffentlich diskutierte. Die dabei entstehende Literatur unterschied sich – nicht nur durch das schwächere künstlerische Niveau – erheblich von jener, die zur selben Zeit im »außerösterreichischen Deutschland« erschien. Theoretische Auseinandersetzungen über Kunst, die klassische Antike oder Bildungsfragen der Persönlichkeit spielten keine Rolle, dagegen Fragen der Gesetzgebung, Verwaltung und Gesellschaft des josephinischen Österreich. Dementsprechend standen auch nicht »klassische« Dramenformen, Lyrik oder Bildungs- und Entwicklungsromane im Vordergrund, sondern Alltagsprosa kritisch-satirischen Inhalts oder Romane mit leicht durchschaubarer Travestierung zeitgenössischer Verhältnisse. Voraussetzung dafür war einerseits die gewachsene
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Alphabetisierung breiterer Volksschichten, andererseits der einfache, verständliche Stil
dieser Schriften. Ihre billige Machart ermöglichte eine weite Verbreitung. Ab etwa 1784 ändert sich die Schreibweise. Die Vertreter der Aufklärung schreiben nicht mehr nur als Lobredner des Kaisers, sondern entwickeln ein schärferes staatsbürgerliches Bewusstsein, das zunehmend auch den Kaiser selbst kritisiert. Aber auch jetzt wirkte so mancher »Wink von oben«, um Tendenzen der kaiserlichen Politik publizistisch zu verstärken und zu erklären. Auch manche vom Kaiser barsch behandelten Mitarbeiter konnten sich über das Medium der Broschüre (wieder) zur Geltung bringen. Langsam wandelte sich das Klima. In der zweiten Hälfte der Regierungszeit Joseph II. ging das »Tauwetter« (Leslie Bodi) wieder zu Ende. 6.8.4 Die Logen der Freimaurer
Die um 1780 so erstaunlich rasch hervortretende kritische Öffentlichkeit wäre ohne die Freimaurerlogen undenkbar gewesen. Alle wichtigen Reformpolitiker, die meisten hohen Adeligen, Militärs und Beamten in zentralen Positionen gehörten einer Loge an. Obgleich die Anfänge schon in die 1740er Jahre zurückreichen, fällt die Hochblüte der Maurerei in das Jahrzehnt Josephs II. Am berühmtesten wurde die 1781 gegründete Loge »Zur wahren Eintracht«. Zu ihrer besonderen Anziehungskraft trug sicherlich die Person des Meisters vom Stuhl, des Naturforschers und Vorbilds des »Sarastro« in der »Zauberflöte«, Ignaz von Born, erheblich bei. Unter ihren Mitgliedern befanden sich Aufklärer wie Joseph von Sonnenfels, Franz von Zeiller (der Vollender des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches), Georg Graf Festetics (der Gründer der ersten mitteleuropäischen Landwirtschaftsschule in Keszthély am Plattensee), die Dichter und Schriftsteller Aloys Blumauer, Joseph Franz Ratschky, Johann Baptist Alxinger, schließlich Joseph Haydn – Wolfgang Amadeus Mozart hingegen war Mitglied der Loge »Zur Wohltätigkeit«. Unter den Ritterbrüdern der Loge befanden sich 113 Bürgerliche und 96 Adelige, wobei zu den letzteren neben Hochadeligen wie Festetics und den Grafen Leopold Kolowrat und Franz von Saurau eine große Zahl geadelter bürgerlicher Beamter, Unternehmer und Offiziere gehörte. Nicht wenige der führenden Mitglieder der »Wahren Eintracht« gehörten auch dem geheimen Orden der Illuminaten an. Die aufklärerische Energie der Freimaurerei blieb fast ausschließlich auf die »Wahre Eintracht« beschränkt. Daneben breitete sich durch die Beschäftigung mit ägyptischen, antiken oder mittelalterlichen »Mysterien« in der Hochgradmaurerei der »Rosenkreuzer« oder der »Asiatischen Brüder« auch ein gehöriges Maß an Romantizismus und Mystizismus aus. Sieht man von der »Wahren Eintracht« ab, die als eine Art wissenschaftliche Akademie der Wiener Aufklärung fungieren sollte, so sind die übrigen Logen weniger elitär. Allerdings lassen sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der
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Mitgliederstruktur feststellen. In manchen Logen dominierte der Adel, in anderen eher das neue Wirtschaftsbürgertum. Ein gewisses soziales Umfeld kennzeichnet die einzelnen Logen relativ deutlich. Insgesamt waren Beamte, Adelige, Offiziere, Gelehrte und Schriftsteller, Angehörige freier Berufe und Unternehmer unter den Mitgliedern. Handwerker wurden nirgends aufgenommen. Christliche Religion war selbstverständliche Voraussetzung. Ebenso wie sich in der Volksbildung Staatsinteresse und Aufklärung zwar ein Stück Weges begleiteten, später aber notwendig trennen mussten, konnte die Entfaltung einer kritischen bürgerlichen Öffentlichkeit in den Logen den staatlichen Intentionen letztlich nicht mehr entsprechen. Joseph II. befahl daher in seinem Freimaurerpatent von 1785 eine Zusammenlegung und zahlenmäßige Reduktion der Logen, genauso wie eine Öffnung für eine gewisse polizeiliche Kontrolle. Damit war die Hochblüte der Freimaurerei vorüber. Mit Jahresende 1785 stellte die »Wahre Eintracht« ihre Tätigkeit ein. Die Nachfolgeloge »Zur Wahrheit« war in ihrem Wirkungskreis und in ihrer Ausstrahlung nicht mehr vergleichbar. 1795 wurden die letzten Logen geschlossen. 6.8.5 Architektur und Bildende Kunst
Wenngleich es noch manche bauliche Fertigstellungen, Weiterführungen und Vollendungen gab, lief die Welle der Barockisierung nach etwa 1750 aus. Das gilt allerdings nicht für die Malerei, in der vor allem das Werk von Martin Johann Schmidt, des »Kremser« Schmidt (1718–1801), dem Barock verhaftet bleibt. Es war wohl wegen seiner warmen Farbigkeit enorm nachgefragt – Hauptwerke des Kremser Schmidt finden sich nicht nur in Niederösterreich (Seitenstetten), sondern auch in Kärnten (St. Paul) und in Slowenien (Pfarrkirche Gornji Grad, Kapelle im Gruber-Palais in Ljubljana). Neben ihm ist vor allem Franz Anton Maulbertsch (1724–1796) als Freskant zu erwähnen. In einem seiner Hauptwerke, den Kuppelfresken der Piaristenkirche Maria Treu in Wien, dominiert die Farbe über die Konstruktion, die Figuren scheinen keine Konturen mehr zu haben. Das Werk Maulbertsch’ weist auf den Impressionismus voraus, der neue Klassizismus findet kaum Eingang in seine Malerei. Neben diesen beiden ist Johann Bapstist Wenzel Bergl (1718–1789) zu erwähnen, der mit Maulbertsch befreundet war und dessen Malerei bei Maria Theresia großen Anklang fand. Seine idyllischen Landschaften mit exotischen Pflanzen und Tieren sind nicht nur in Schönbrunn zu finden, sondern auch im Gartenpavillon des Stiftes Melk. Er hat außerdem die Kirche von Kleinmariazell ausgemalt und an der Ausstattung von Klosterbruck bei Znaim (Louka) mitgewirkt. Während in der Freskomalerei die letzte Blüte des Barocks erstrahlte, schoben sich in der Architektur andere Bauprojekte in den Vordergrund. Der Staat übernahm immer
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mehr Aufgaben, daher musste er sich auch als Bauherr diesen neuen Aufgaben widmen. So hatte die Umwandlung der Universitäten von (geistlichen) Stiftungen in staatliche Anstalten die Folge, dass Universitätsgebäude nunmehr vom Staat errichtet werden mussten. Das beste Beispiel ist das neue Universitätsgebäude in Wien (heute : Österreichische Akademie der Wissenschaften), auf eine Initiative Gerard van Swietens geplant von dem Lothringer Nicolas Jadot (1753–55). Weitere prominente Bauten der zweiten Jahrhunderthälfte sind das Josephinum (für die Josephinische Militärakademie) oder der so genannte »Narrenturm«. In der josephinischen Militärakademie sollten die bisher schlecht ausgebildeten Militärchirurgen nach Vorschlägen des kaiserlichen Leibarztes Johann Alexander Ritter von Brambilla eine solide Ausbildung erfahren. Das Gebäude des Josephinums wurde von Isidore Canevale (1730–1786) geplant, nach französischen Vorbildern und – für einen praktischen Nutzbau ungewöhnlich – mit einem repräsentativen Ehrenhof versehen, der zur Währingerstraße geöffnet ist. Der zentrale Festsaal war wie ein Amphitheater gestaltet. Heute dient das Gebäude der Geschichte der Medizin. Ganz anders das Tollhaus oder der Narrenturm, von den Wienern wegen seines Aussehens auch »Guglhupf« genannt. Wieder nach einem Entwurf Canevales 1784 erbaut, ist es das radikalste Beispiel des Revolutionsklassizismus in Österreich. Der streng zylindrische Bau hatte in jedem seiner fünf Stockwerke 28 Zellen, die alle gleich groß sind und mit schmalen, schlitzartigen Fenstern versehen wurden. Sie waren alle von einem um einen Innenhof führenden kreisrunden Gang einseh- und damit kontrollierbar. Es ähnelte das »Tollhaus« zwar nach wie vor mehr einem Gefängnis als einer psychiatrischen Klinik, war aber doch eine wichtiger Schritt zur Neueinschätzung psychisch kranker Menschen, die man bisher, soweit sie nicht irgendwie in ihrer eigenen Umgebung »mitgelaufen« waren, einfach in Gefängnisse oder Zucht- und Arbeitshäuser gesteckt hatte. Der Narrenturm steht im Zusammenhang mit der Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses, das, wieder nach französischem Vorbild (hôtel Dieu in Paris – Joseph hatte sich da 1777 sehr genau umgesehen !), 1784 eröffnet wurde. Die weitläufige Anlage wurde freilich nicht in einem oder zwei Jahren errichtet. Man hat das bestehende Großarmenhaus umgewidmet und nur einzelne Gebäude neu errichtet, aufgestockt und alles adaptiert. Das neue Krankenhaus bot Platz für 2.000 Patienten, mit 61 Krankensälen für Männer und 50 für Frauen, mit je einem Gebärhaus (wo auch ledige Frauen gebären konnten), Findelhaus (für anonym abgegebene Kinder, die dort übernommen und später zur Pflege gegeben wurden) und den »Siechenhäusern«. Die vorher dort verpflegten Armen wurden in anderen Anlagen (etwa im Militär-Invalidenhaus oder im bürgerlichen Armenhaus zu St. Marx) untergebracht. Der seine Bürokratie ausweitende Staat brauchte Amtsgebäude und Gefängnisse, die wachsende gewerbliche Wirtschaft Gebäude für Manufakturen und Fabriken. Ehemalige Klöster erfuhren nicht selten entsprechende Umwidmungen. Das berühmte
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Die Monarchia Austriaca im 18. Jahrhundert
Zisterzienserkloster Viktring in Kärnten wurde 1786 aufgehoben, 1788 erwarben zwei Brüder Moro einen Teil der Gebäude und etablierten hier eine Tuchfabrik. Das 1787 aufgehobene Benediktinerkloster Garsten dient seit dem 19. Jahrhundert als Strafanstalt. Im selben Jahr erhielt der aus dem Rheinland eingewanderte Fabrikant Christoph Andrä das Gebäude des aufgehobenen Karmeliterklosters in Wiener Neustadt für seine neue Seidenfabrik. Klosterbruck bei Znaim war eine Zeitlang Militärerziehungsanstalt, später Kaserne. Besser erging es dem Chorherrenstift St. Pölten – nach seiner Aufhebung wurde es zum Sitz des Bischofs von St. Pölten, die Klosterkirche wurde zur Kathedrale. In der rasch wachsenden Großstadt Wien fehlte es aber vor allem an Wohnraum. Joseph II. hob die Hofquartierspflicht auf, die bisher den freien Markt für Mietwohnungen zugunsten der Bediensteten des Hofes begrenzt hatte. Um das Angebot an Wohnungen zu erhöhen, ordnete er an, dass die großen Stadthöfe der – zumeist – niederösterreichischen Stifte und Klöster in Miethäuser umgewandelt werden sollten, was dann auch mit den Stadtresidenzen der Äbte von Melk, Heiligenkreuz, Göttweig und Seitenstetten tatsächlich geschah ; auch das Wiener Schottenstift errichtete eigene Trakte mit Mietwohnungen. Schlimm erging es dem Bischof von Freising : Der ganz zentral, nahe dem Stephansdom gelegene sehr altertümliche Freisinger Hof sollte ebenfalls ein Miethaus werden, doch fehlten dem Bischof die nötigen Mittel. Der Kaiser ließ die altertümlichen Häuser des Freisingerhofes einfach zwangsversteigern. Der glückliche Erwerber des kostbaren Grundstückes, Thomas Edler von Trattner, ein überaus tüchtiger Buchdrucker und Verleger, der unter anderem durch Raubdrucke deutscher Autoren reich geworden war, ließ dort einen großen Miethauskomplex bauen, den Trattnerhof (der jetzige Bau stammt aus der Zeit um 1900). Traditionelle Bauaufgaben fehlten keineswegs : besonders in Ungarn mussten (noch immer) Kirchen gebaut werden, unter anderem für neue Bischofssitze wie Steinamanger (Szombathély) oder Waitzen (Vác), aber auch im heutigen Österreich wurden für manche josephinische Pfarren einige Kirchen neu errichtet. Sie waren schlicht und prunklos. Ein besonders schönes Exempel des neuen klassizistischen Kirchenbaues ist in Austerlitz (Slavkov u Brna) in Mähren zu bewundern, wo der Staatskanzler Wenzel Anton Fürst Kaunitz als Bauherr den führenden Vertreter des spätbarocken Klassizismus mit der Planung beauftragte : Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg (1732–1816), auch bekannt durch seine Vollendung der Gloriette in Schönbrunn und durch erste Regotisierungen von Kirchenbauten (Augustinerkirche, Minoritenkirche).
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6.9 Leopold II.: Fortsetzung des Reformabsolutismus oder Restauration? Beim Tod Josephs II. schien die Habsburgermonarchie extrem gefährdet : Belgien hatte sich für unabhängig erklärt, Ungarn stand knapp vor einem Aufstand, die Armee war durch den wenig erfolgreichen Türkenkrieg in ihrem Ansehen angeschlagen. Aus verschiedenen Gründen waren sowohl der Adel wie die Landbevölkerung unzufrieden. Angesichts dieser Problemlagen ist es erstaunlich, wie rasch es dem Bruder Josephs, Leopold II., der jetzt die Regierung übernahm, gelang, dieser verschiedenen gefährlichen Strömungen Herr zu werden. Viele missliebige Maßnahmen hatte noch Joseph II. selbst widerrufen. Leopold stellte die Landtage wieder her und berief den ungarischen Landtag wieder ein. Damit war dem gefährlichen aristokratischen Widerstand die Spitze abgebrochen. Auch die Niederlande kehrten wieder unter das habsburgische Szepter zurück. Leopold II. war ein kluger Kopf, der mit einer persönlichen Neigung zu Aufklärung und Physiokratismus ein gewisses Raffinement in der Behandlung der öffentlichen Meinung verband. Man vermutet den Herrscher selbst hinter nicht wenigen »öffentlichen« Anregungen und Aufforderungen an ihn. Dafür und um zu mehr Informationen über die Stimmung in der Bevölkerung zu bekommen, schuf er sich einen geheimen Stab, der zu einem Gutteil aus ehemaligen Aufklärern und Freimaurern bestand. Leopold war, wie sein Bruder und sein Sohn und Nachfolger, keineswegs gesonnen, die persönliche Herrschaft aufzugeben. Allerdings könnte er mit einer gewissen Beteiligung bestimmter Bevölkerungsschichten zumindest an der Beratung des Herrschers sympathisiert haben – für sein Großherzogtum Toscana hielt er jedenfalls eine Art von Verfassungsentwurf bereit, veröffentlichte ihn aber nicht. Ob Ähnliches auch für die wesentlich komplexere österreichische Monarchie vorgesehen war, ist nicht bekannt. Auch in religiösen Dingen kam er der massiven Kritik entgegen, löste die staatlichen Generalseminarien auf und gestattete wieder die Abhaltung von Prozessionen. Damit kam er auch den Belgiern entgegen, deren Revolte stark von religiösen Motiven genährt war. Außenpolitisch gelang ihm ebenfalls eine Beruhigung der Lage. Mit den Türken wurde, unter faktischer Beibehaltung des Status quo, rasch Frieden geschlossen. Die preußischen Drohungen wichen nach einigen Verhandlungen wieder dem normalen Zustand gegenseitiger Skepsis (Konvention von Reichenbach 1790). Die Französische Revolution scheint er in deren erster Phase nicht ohne Sympathie betrachtet zu haben. Die Radikalisierung des Terrors erlebte er nicht mehr.
Abb. 7: Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich-Winneburg. Lithografie von August Prinzhofer nach Gemälde von Thomas Lawrence. © ÖNB
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7.1 Kaiser Franz II. (I.) Der junge Franz war früh als künftiger Kaiser ausersehen, da sich bald zeigte, dass sein Onkel keine Kinder (mehr) haben würde. So holte ihn Joseph II. schon 1784 nach Wien, um ihn auf sein Amt vorzubereiten. Joseph II. beurteilte seinen Neffen – wie alle und alles – durchaus kritisch : Franz sei fleißig, zeige aber Misstrauen gegen die Meinung anderer. Misstrauisch und argwöhnisch blieb er stets. Er war zwar der älteste, aber seine Brüder, die Erzherzöge Carl (1771–1847), Joseph (1776–1847, ungarischer Palatin), Johann Baptist (»Erzherzog Johann«, 1782–1859) und Rainer (1783–1853, Vizekönig von Lombardo-Venetien), zeigten ausgeprägtere geistige Gaben. Carl war unter den späten Habsburgern einer der wenigen mit militärischen Talenten. Johann versuchte um 1809, aber auch 1812/13, eigene politische Wege zu gehen, was ihm allerdings schleunigst abgedreht wurde ; er ging als Privatmann in die Steiermark und hinterließ starke reale, aber auch symbolische Spuren im steirischen Gedächtnis. Joseph musste versuchen, die Ungarn zu höheren Steuerbewilligungen und Rekrutenaushebungen zu bewegen. Rainer wollte Oberitalien für die Habsburger auch mental gewinnen, was ihm freilich nicht gelang. Alle scheinen eine schnellere Auffassungsgabe und einen frischeren Geist besessen zu haben als ihr kaiserlicher Bruder. Es ist nicht ganz unverständlich, dass der Kaiser, der seine Brüder Carl und Johann anfangs mit wichtigen (militärischen) Aufgaben betraute, sie früher oder später ins Privatleben abdrängte. Der »gute« Kaiser Franz ist eine für die Geschichtsschreibung schwierige Figur. Zwar könnte man es sich leicht machen und ihn als unverbesserlichen Reaktionär charakterisieren, womit man ja nicht ganz unrecht hätte. Dass er ein unerschütterlich absolutistischer Monarch war, lässt sich nicht bestreiten. Ebenso sind seine abfälligen Bemerkungen über Gelehrte, die er nicht brauchen könne, wenn sie sich unterstünden, selbstständig zu denken, verbürgt. Franz regierte nicht nur absolutistisch, sondern auch bürokratisch und zentralistisch – aber auch das war gegenüber der Herrschaft Josephs II. keine Neuerung. Verschlossenheit, Misstrauen, fehlende Lebhaftigkeit und mangelnde
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Aufgeschlossenheit für die Erscheinungen einer neuen Zeit wurden und werden dem Kaiser nachgesagt. Dafür las er fleißig seine Akten, informierte sich gründlich über alles und jedes – vielleicht auch zu gründlich, denn seine Entschlusskraft war durch die Neigung gehemmt, immer und immer wieder nachzufragen, zusätzliche Erhebungen einzuleiten und Entscheidungen zu verschieben. Aber dieser Kaiser zeigte auch einige andere Facetten. So trat er zum Unterschied zum soldatisch-kriegerischen Onkel, der gleichwohl kein Feldherr war, gerne in Zivilkleidung auf. Auch sein Familienleben hatte einen ausgesprochen bürgerlichen Anstrich – er weilte mit Vorliebe im Kreis der Familie und ließ sich auch gerne in dieser familiären Intimität darstellen. Seine erste Frau, Elisabeth von Württemberg, starb früh bei der Geburt einer Tochter (die auch nicht lange lebte). Die nächsten 12 Kinder stammen aus der Ehe mit seiner Cousine Marie Therese von Neapel. Auch von ihnen überlebten Kindheit und Jugend nur sieben, darunter Maria Louise (1791–1847), später Frau Napoleons, Leopoldine (1797–1826), später Kaiserin von Brasilien, Ferdinand (1793–1875), später Kaiser von Österreich, und Franz Karl (1802–1878), der Stammvater der nach 1848 folgenden zwei Kaiser. Seine dritte Frau, Maria Ludovica von Modena, eine engagierte Feindin Napoleons, starb schon 1816, dafür überlebte ihn seine vierte und letzte, Caroline Auguste von Bayern (1792–1873), noch lange. Bei den wöchentlichen öffentlichen Audienzen vermittelte er nicht ungern den Eindruck, als wolle er ja gerne helfen, aber es sei nicht sicher, ob er sich auch gegenüber der Bürokratie durchsetzen könne. Den propagandistischen Höhepunkt der Darstellung des mit »seinem« Volk mitleidenden väterlichen Herrschers bietet zweifellos jenes eindrucksvolle Bild von Johann Peter Krafft (1834), auf dem der Kaiser – allein – einem Armenbegräbnis in oder bei Baden folgt, damit einem der Ärmsten seines Reiches seine Reverenz erweisend. Auch soll er 1811 einen Bauern über den Laxenburger Teich gerudert haben, der, ohne den Kaiser zu erkennen, diesen darum gebeten hatte ( Johann Peter Krafft 1837). Die neue Technik des Steindrucks (Lithographie) ermöglichte die rasche Verbreitung dieser und ähnlicher Sujets. Seine »Sommerresidenzen« waren – neben Laxenburg und Baden – einige kleine, bescheidene Schlösser im westlichen Niederösterreich, beiderseits der Donau, wie Luberegg, Weinzierl, Rotenhaus u. a., von wo er gerne zu den zahlreichen Reisen durch seine Länder aufbrach. Diese Reisen waren in der Regel von den Behörden sehr gut vorbereitet. Aber zusätzlich zu der durch Hof und Behörden geleisteten Vorbereitung notierte sich der Kaiser in seinen Heften zahllose Details, wobei er sich durchaus sachverständig zeigte. Tatsächlich war der Kaiser sehr populär – jedenfalls in den böhmischen und österreichischen Gebieten. Auch wenn er seinen Einzug in die Residenzstadt Wien nach verlorenen Kriegen und katastrophalen Friedensschlüssen (wie nach Pressburg 1805) hielt, jubelten ihm die Massen zu, ganz ebenso wie nach dem Pariser Frieden von 1814.
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Dass er diesen Jubel bei der emotionalen Kälte, die ihm vielfach nachgesagt wird, einer klugen Inszenierung verdankt, könnte der Wahrheit nahe kommen. Wirkliches Interesse zeigte der Kaiser an seinen Gärten – er wurde als Gärtner ausgebildet, alle Habsburger mussten ja ein Gewerbe lernen. Ebenso interessiert war er an Technik und technischem Fortschritt. Unter seiner Herrschaft wurden die ersten technischen Hochschulen (»Polytechnika«) gegründet, in Prag 1806, in Wien 1815 und in Graz (ab 1812, vollständiges Öffentlichkeitsrecht ab 1844). In Vordernberg wurde auf Initiative des Erzherzogs Johann als Teil des Grazer Joanneums eine ständische Schule für Bergbauund Hüttenkunde eingerichtet (1840). Aus ihr ging später die Montanistische Hochschule in Leoben hervor. Das technische Interesse zeigte sich auch im Fabriksproduktenkabinett des Kaisers (1807), das sämtliche inländische Fabriks- und Manufakturprodukte erfassen sollte. Es wurde später mit dem Wiener Polytechnikum vereinigt (heute im Technischen Museum, Wien). 1806 schickte er einen Naturforscher nach London mit dem Auftrag, wichtige Stücke aus der Sammlung von James Cook zu erwerben, die in diesem Jahr in London zur Versteigerung gelangte. Sie zieren bis heute das Naturhistorische und andere Wiener Museen. Auch legte er eine erlesene Privatbibliothek – die spätere Fideikommissbibliothek – und eine ausgezeichnete Sammlung von Kupferstichen – meist Porträts – an, wobei er in den ersten Jahren diese Sammlungen selbst betreute. Es mangelte ihm nicht an Kunstverständnis. Wie fast alle Habsburger liebte er das Theater. Für den strikten Vertreter des Legitimitätsprinzips stand es außer Frage, dass ihm nur sein ältester Sohn, der spätere Kaiser Ferdinand I., (1793–1875, Kaiser 1835–1848) nachfolgen konnte. Bei den deutlichen Defiziten des Thronfolgers war das ein schwieriges Vorhaben : Hatte schon der Absolutismus des Kaiser Franz darunter gelitten, dass er alles wissen, alles überwachen und alles entscheiden wollte, aber eben nicht konnte – wie sollte das bei einem bescheidenen Gemüt wie dem »Ferdinands des Gütigen«, funktionieren ? Kaiser Franz war sich dieser Probleme durchaus bewusst. Um die Legitimität der Herrschaft des Sohnes rechtzeitig abzusichern, ließ er ihn noch zu seinen eigenen Lebzeiten 1830 zum ungarischen König (Ferdinand V.) krönen. Krönungen in Prag (1836 zum König von Böhmen) und in Mailand zum König des lombardovenezianischen Königreiches (1838) folgten nach dem Tod des Vaters. 7.2 Von der Französischen Revolution zum Wiener Kongress 7.2.1 Revolutionsfurcht und Jakobinerprozesse
Im ersten Regierungsjahr Franz II. wurde seine Tante, die entthronte Königin von Frankreich, zum Tode verurteilt und hingerichtet (1793). Sicher war die andauernde Revolutionsfurcht des Kaisers und sein praktisch lebenslänglicher Kampf gegen »die
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Revolution« eine Folge dieses dramatischen Ereignisses. Man befand sich schon seit 1792 im von Frankreich erklärten Krieg. Aber mehr als die damals noch weit entfernten kriegerischen Ereignisse beschäftigten den Kaiser und seinen Polizeiminister, den wieder aktivierten Grafen Johann Anton von Pergen, die möglichen Revolutionäre im eigenen Land. Das waren die so genannten »Jakobiner«. Es handelte sich bei diesen kleinen Gruppen durchwegs um Freimaurer, zum Teil um Illuminaten, jedenfalls um Anhänger der Politik Josephs II. Die meisten dieser Herren hatten vorher im geheimen Mitarbeiterkreis Leopolds II. gewirkt, dessen schwer durchschaubare Politik unter anderem auch das Mittel der Beeinflussung der Öffentlichkeit durch scheinbar aus dem Volk kommende Stimmen gegen die neue Macht von Adel und Kirche benützte. Man erhoffte sich in diesem Kreis von Leopold II. eine Fortsetzung einer aufgeklärten, vielleicht sogar in Richtung einer Verfassung fortschreitenden Politik. Mit dem Tod Leopolds war damit Schluss. Franz II. wollte keine josephinisch gesinnten Mitarbeiter. Einen der wichtigsten Mitarbeiter seines Vaters, Andreas Riedel, seinen früheren Mathematik-Lehrer, erhob Kaiser Franz trotz einer erheblichen persönlichen Abneigung zwar noch in den Freiherrenstand, aber es gab keine weitere Verwendung für ihn. Riedel und einige andere »Jakobiner«, darunter der Offizier Franz von Hebenstreit, entwickelten eine neue Strategie : Eine wirkliche Revolution musste her ! Sie wurde für den Spätherbst 1792 vorgesehen, fand aber mangels an Revolutionären nicht statt. Hebenstreit übermittelte der Pariser Regierung sogar den Plan eines Streitwagens zur Bekämpfung der österreichischen Kavallerie. Riedel wiederum sandte an viele Bekannte im Deutschen Reich Aufrufe zur Revolution. Nur durch eine Reihe von Zufällen kam man der Gruppe auf die Spur. Nun wurde ein Polizeispitzel, der Buchhändler Vinzenz Degen, in die Gruppe eingeschleust, der beim Wein insbesondere aus Hebenstreit alles herausholte, was dieser wusste, und vielleicht auch etwas mehr. Degen hat das Ganze noch gehörig aufgebauscht, sodass bald von einer ungeheuer weitreichenden Verschwörung die Rede war. 1794 wurde die Gruppe verhaftet. Der Kaiser wünschte ein Sondergericht, doch die Oberste Justizstelle setzte die normale Gerichtsbarkeit durch. Hebenstreit unterstand der Militärgerichtsbarkeit und wurde wegen Hochverrat hingerichtet. Die Zivilisten wie Riedel wurden – noch galt das Josephinische Gesetzbuch, das für Zivilisten keine Todesstrafen vorsah – 1795 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der eher zarte und schon früher kränkliche Riedel überlebte lange Jahre in Kufstein und im ungarischen Munkács und wurde 1806 zu Klosterhaft in Brünn begnadigt ; 1809 wurde er von den Franzosen befreit und ging nach Paris, wo er 1837 starb. Größeren Umfang hatte die Verschwörung in Ungarn. Unter Führung eines Lemberger Professors und ehemaligen Franziskaners, Ignaz von Martinovits, und eines gelehrten bürgerlichen Juristen, Josef Hajnóczi, verbanden sich hier Josephiner und Freimaurer mit der adeligen, frühnationalen Unzufriedenheit mit dem Regime Josephs II. und des jungen Kaisers Franz. Sie bildeten geheime Klubs und Lesegesellschaften.
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Über ihre klein- oder mitteladeligen Mitstreiter konnten sie auch Eingang in die Selbstverwaltungseinrichtungen der Komitate finden. Anfang 1794 breitete sich die Unzufriedenheit so stark aus, dass der Ausbruch einer Revolution befürchtet wurde. Martinovits hatte nach seiner Rückkehr nach Ungarn zuerst als Spitzel für Leopold II. gearbeitet. Er empfahl dem Monarchen die Vernichtung der ungarischen Verfassung. Martinovits war von einem eitlen Geltungsdrang erfüllt, der ihn dazu trieb, seine später an Kaiser Franz adressierten Darstellungen der bevorstehenden Revolution – an der er gleichwohl arbeitete ! – immer dramatischer auszuschmücken. Vom Wiener Hof nicht beachtet, wandte er sich 1794 endgültig der Sache der Revolution zu und übernahm die Organisation der Unzufriedenen. Er erhob sich zum Chef von gleich zwei geheimen Organisationen, einer mehr jakobinischen und einer mehr kleinadelig-nationalistischen. Bald gab es 200 bis 300 Verschworene. Im Sommer 1794 setzten die ersten Verhaftungen ein. Der verhaftete Martinovits gestand alles, und noch weit mehr, als ihm zur Last gelegt wurde. Das führte zur Verhaftung aller wichtigen Verschwörer. Von 53 Angeklagten wurden 18 zum Tode verurteilt (Ungarn hatte ein anders Strafgesetz als Österreich), sieben Todesurteile wurden vollzogen, das erste an Martinovits ( Juni 1795). Die »Begnadigten« wanderten in Festungshaft. Klubs, Lesegesellschaften und Freimaurerlogen wurden überall aufgelöst. In anderen habsburgischen Ländern gab es nur ein schwaches Echo der Jakobinerbewegung. In Laibach wurde ein Baron Tauferer 1796 hingerichtet, er hatte in Oberitalien für die Franzosen gearbeitet. In Klagenfurt geriet der Industrielle Baron Herbert in Verdacht, doch blieb es dabei. Das Tauwetter war endgültig zu Ende. In den Kaffeehäusern kehrte Stille ein. 7.2.2 Die ersten Koalitionskriege und die Zerstörung des alten Reiches
Die Kriege gegen das revolutionäre Frankreich begannen 1792 und endeten erst 1815. Fast stets standen die Armeen der Habsburger auf der Verliererseite – mit Ausnahme der Jahre 1813–1815. Einige dem Ruhme des Erzherzogs Carl dienlichen Siege erwiesen sich für den Ausgang der jeweiligen Feldzüge als nicht ausschlaggebend. Der so genannte »erste Koalitionskrieg« gegen Frankreich – die Koalition bestand aus Österreich, dem Römisch-deutschen Reich, Preußen, seit 1793 auch England – war überschattet vom preußisch-österreichischen Gegensatz und von der preußischen wie russischen Gier nach weiteren Teilen Polens. Nach wechselvollen Kämpfen gingen Belgien und das linke Rheinufer 1794 gegen die neuen französischen Armeen der levée en masse verloren. Das waren nicht mehr geworbene oder mit Zwang ausgehobene Söldner, sondern für die Sache der Revolution begeisterte Söhne der französischen Nation. Ihrer Zahl und Kampfkraft hatte Europa lange nichts entgegen zu setzen, ebenso
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wenig wie ihrer Lust zu plündern und Beute zu machen – Italien, besonders Venedig, wurde seiner schönsten Kunstschätze beraubt. Dafür wurden nun überall revolutionäre Republiken gegründet – eine »cisalpinische« in Oberitalien, eine »batavische« in den eroberten Niederlanden, vorübergehend auch eine rheinische deutsche. 1795 schloss Preußen einen Sonderfrieden mit Frankreich und erklärte sich und Norddeutschland für neutral. Andere deutsche Staaten schlossen sich an. Österreich stand allein. Nach dem siegreichen Durchbruch des jungen Napoleon Bonaparte von Oberitalien bis in die Steiermark 1797 endete dieser Krieg mit dem Frieden von Campo Formido. Belgien und das linksrheinische Deutschland wurden an die französische Republik abgetreten, dafür heimste Österreich Venetien, das venetianische Istrien und Dalmatien ein. In der letzten Phase dieses Krieges hat man auch in Österreich erstmals an eine breitere Mobilisierung des Patriotismus gedacht. Das erste Mittel dazu wurde die »Volkshymne«, deren schlichten Text der niederösterreichische Regierungspräsident Franz Joseph Graf Saurau bei Lorenz Leopold Haschka bestellt hatte, die aber erst durch die wunderbare Melodie Joseph Haydns zu einem Kernstück habsburgischer Mythologie wurde (1796/97). Die Preußen und den übrigen betroffenen deutschen Reichsständen versprochene Entschädigung für die Verluste links des Rheins wurden auf einem Kongress in Rastatt diskutiert. Inzwischen war Napoleon nach Ägypten aufgebrochen, hatte dort Siege und Pest erlebt, war aber nach Europa zurückgekehrt, als der nächste Krieg ausbrach. Zuerst stürzte er das korrupte Direktorium und ließ sich zum »ersten Konsul« ernennen, dann eilte er wieder in den Krieg, den er auch schnell wieder siegreich beendete. Der Friede von Lunéville 1801 beließ es beim Ergebnis von 1797. Nun ging die Demontage des alten Heiligen Römischen Reiches in die Endrunde. Unter Ausschaltung des Kaisers einigten sich Frankreich und Russland mit den deutschen Reichsständen über die 1797 angekündigte Entschädigung. Sie erfolgte im so genannten »ReichsDeputations-Hauptschluss« vom 25. Februar 1803. Dieser bedeutete das Ende für die meisten kleinen weltlichen und für alle geistlichen Herrschaftsgebiete des Reiches. 112 Reichsstände verschwanden, für drei Millionen Menschen wechselte die Obrigkeit. Von den zahlreichen Reichsstädten blieben nur sechs (Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Bremen, Lübeck) bestehen. Für den Katholizismus in Deutschland bedeutete 1803 einen furchtbaren Schlag. Nicht nur die reichsständischen Erz- und Hochstifte, Abteien und Propsteien wurden aufgehoben, auch die meisten landsässigen Stifte und Klöster wurden jetzt kassiert, mit reichsrechtlicher Genehmigung. Säkularisierung bedeutete nach den Worten eines bayerischen Historikers »Versteigerung, Zertrümmerung, Zerstörung« (Peter C. Hartmann). Die enormen Bauaufgaben des Barock hatten regional bedeutsame Kunst- und Kulturzentren entstehen lassen. Viele davon wurden zerstört. Die berühmte Rokoko-Kirche »In der Wies« (Bayern), heute UNESCO-Weltkulturerbe, sollte versteigert und abgerissen werden. Die Bauern der
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Region kauften die Kirche und erhielten sie auf diese Weise für die Nachwelt ! Zerstört wurde auch eine große Zahl an Schul- und Bildungszentren. Manche Aufklärer hatten schon längst kritisiert, dass katholische Klöster zu vielen Kindern aus bäuerlichen Kreisen und Unterschichten höhere Bildung vermittelten ! Ein gutes Beispiel dafür bot die berühmte Barockbaumeister-Familie Dientzenhofer – das waren fünf Söhne eines kleinen Bergbauern in Oberbayern. Ein anderes Beispiel war die Vorarlberger Münsterschule, bestehend aus mehreren Mitgliedern der Familie Beer (Michael, † 1666, und besonders Franz (II.), 1660–1726, und Franz Anton, 1688–1749) aus Au im Bregenzerwald. Die Folgen der Säkularisation können gar nicht überschätzt werden. Die wichtigste war wohl die »protestantisch-norddeutsche Kulturhegemonie« im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts. Katholische Universitäten, Akademien und Klosterschulen verschwanden. Durch die vollständige Säkularisierung der Reichskirche verloren die Habsburger ihre traditionell wichtigste Stütze im Reich. Im stark vergrößerten und neu definierten Kollegium der Kurfürsten gab es jetzt eine protestantische Mehrheit. Der Kaiser hatte im Reich nichts mehr zu sagen. Profitiert haben neben Preußen vor allem Bayern, Württemberg, Hessen usw., ein wenig auch Österreich, das sich nun Trient und Brixen einverleibte, ebenso wie kleine reichskirchliche und reichsadelige Besitzungen um den Bodensee. Die aus Italien vertriebenen Habsburger (Toscana) wurden mit Salzburg entschädigt. Auch die Güter der aufgehobenen Reichsbistümer und -klöster in den habsburgischen Ländern zog der Staat ein. Der nächste Krieg kam, auf Betreiben Englands und einer kriegsfreundlichen Partei in Wien, schon 1805. Der von dieser Partei forcierte General Karl Mack rückte in Deutschland ein, wurde aber im Nu in Ulm von den Franzosen eingekesselt und zur Kapitulation gezwungen. Das katastrophale Ende erfolgte bei Austerlitz (Slavkov u Brna, 2. Dezember 1805). Wieder hatte Napoleon seine Gegner nacheinander geschlagen – zuerst die Österreicher, dann die Russen. Der Friede von Pressburg (26. Dezember 1805) war hart. Österreich musste nicht nur die Gewinne von 1797 wieder herausgeben, es verlor auch die alten habsburgischen Vorlande sowie Tirol und Vorarlberg. Eine bescheidene Entschädigung bot der Anschluss Salzburgs. 7.2.3 Kaisertum Österreich
Inzwischen war etwas Neues entstanden, das »Kaisertum Österreich«. Das heißt – im Innern blieb alles beim Alten, Kaiser Franz versicherte allen seinen »unabhängigen Staaten«, dass sich in ihrer inneren Verfasstheit gar nichts geändert habe, sie würden bei ihren »Titeln, Verfassungen und Vorrechten ungeschmälert« verbleiben, nur er selbst habe als Antwort auf das Kaisertum Napoleons im selben Jahre 1804 den Titel
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eines erblichen Kaisers von Österreich angenommen. Damit war auch eine gewisse Veränderung im Gebrauch der Landes- und Staatswappen verbunden. Das Wappen »Altösterreich« mit den fünf auffliegenden goldenen Adlern auf blauem Grund wurde ab jetzt ausschließlich für das Land Niederösterreich (Erzherzogtum Österreich unter der Enns) verwendet, während das Rot-Weiß-Rot von »Neuösterreich« als Herzschild des Doppeladlers sowohl das Haus Österreich wie den habsburgischen Staat repräsentierte, es bedeutete von nun an einfach – »Österreich«. Das seltsame Doppelkaisertum als römisch-deutscher und gleichzeitig österreichischer Kaiser nahm freilich bald ein Ende. Denn nach dem Frieden von Pressburg traten mehrere deutsche Mittelstaaten aus dem Reich aus und bildeten den so genannten »Rheinbund« unter dem Protektorat Napoleons. Unter starkem Druck Napoleons legte Kaiser Franz II. am 6. August 1806 die römisch-deutsche Krone nieder und erklärte das Heilige Römische Reich für erloschen. 7.2.4 Anno Neun
Der Krieg von 1809 unterschied sich von allen anderen Kriegen zwischen 1792 und 1815 durch seinen Versuch, so etwas wie eine »nationale« Erhebung gegen Napoleon zu erwecken – und zwar primär eine deutsche. Schon seit 1805/06 kamen immer mehr deutsche Dichter, Schriftsteller, aber auch Historiker wie Johannes von Müller nach Wien. Für kürzere oder längre Zeit weilten Adam Müller, Ludwig Tieck, Zacharias Werner, August Wilhelm und sein Bruder Friedrich Schlegel, aber auch Heinrich von Kleist, Bettina und Clemens Brentano, Theodor Körner und Joseph von Eichendorff in Wien. Nicht wenige von ihnen konvertierten zum Katholizismus, ebenso wie eine Reihe von Malern (»Nazarener«), für die Wien nur eine Zwischenstation nach Rom bedeutete. Wien wurde vorübergehend das Zentrum der Romantik und der Gegenrevolution. Der Wiener Schriftsteller Heinrich Collin dichtete patriotische »Wehrmannslieder«. Aber nicht nur im Kaisertum Österreich, sondern auch in den deutschen Staaten sollte ein antifranzösisches Nationalbewusstsein erweckt werden. Einige der in Wien versammelten deutschen Publizisten und Dichter wie Friedrich von Gentz oder Friedrich Schlegel sollten nach der Vorstellung des von der frühnationalen Bewegung begeisterten Außenministers Philipp Graf Stadion einen breiten Aufstand der Deutschen gegen Napoleon entzünden. Nur der ewig skeptische Erzherzog Carl warnte vor einem Krieg, der allerdings deshalb Erfolg versprach, weil sich Napoleon gerade mit einem breitflächigen Aufstand in Spanien herumschlug. Außerdem hatte man mit der »Landwehr« ein großes, aber wenig wirkungsvolles zweites Aufgebot geschaffen, eine Antwort auf die französische levée en masse. Österreichische Truppen marschierten also im Frühjahr 1809 in Bayern ein, schlugen überall wohlklingende Manifeste mit dem
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Appell an die deutsche Ehre an – doch es geschah nichts. Die Bayern blieben ihrem mit Napoleon verbündeten König gegenüber loyal. Nur der preußische Major Schill machte im Norden Deutschlands einen kleinen Privataufstand, der mit seinem und seiner Offiziere Tod endete. Und Napoleon war mit einem Male schon wieder in Bayern, verblüffte die Österreicher bei Regensburg wieder einmal mit seiner Geschwindigkeit und zwang sie schnell zum Rückzug. Schon im Mai war Wien (zum zweiten Male) von den Franzosen besetzt. In dieser Zeit starb Joseph Haydn, am 31. Mai 1809, hoch geehrt und tief betrauert. Doch gelang Napoleon der Übergang über die Donau nicht ; die bereits im Marchfeld befindlichen französischen Corps wurden von den Österreichern bei Aspern und Essling auf die Insel Lobau zurückgedrängt (21./22. Mai 1809). Aber diese Bastion konnte Napoleon halten, Verstärkungen heranziehen und wenig später relativ ungehindert doch das linke Donauufer erreichen. Nur sechs Wochen später siegte er bei Deutsch-Wagram über die Armee des Erzherzogs. Inzwischen war der einzige große Aufstand dieses Krieges ausgebrochen – im seit 1805 bayerischen Tirol. Den konservativen Tirolern war die Kirchenpolitik des bayerischen Ministers Montgelas ebenso zuwider wie die gesamte vereinheitlichende Politik und das Ende der Tiroler Landeseinheit. Ihr Aufstand war zunächst erfolgreich, der Führer der Tiroler, der Südtiroler Wirt Andreas Hofer, residierte in der Innsbrucker Hofburg als Statthalter des Kaisers Franz. Aber der Friede von Schönbrunn (Oktober 1809) lieferte Tirol – entgegen den Versprechungen des österreichischen Kaisers – wieder den Siegern aus. Dennoch erhoben sich die Tiroler noch einmal, diesmal vergeblich. Einige Führer flohen nach Österreich, Hofer, der sich auf eine Almhütte geflüchtet hatte, wurde verraten und in Mantua hingerichtet. Der Süden des Landes wurde dem napoleonischen Königreich Italien angegliedert, Osttirol fiel an die »illyrischen Provinzen«, der große Rest wurde wieder bayerisch. Der Friede von Schönbrunn am Ende des »heldischen« Jahres 1809 reduzierte das Kaisertum Österreich weiter : Es war jetzt, nach der Abtretung von Istrien, Triest, Krain, Kroatien südlich der Save sowie Oberkärnten (zusammen mit Dalmatien »Illyrische Provinzen« Frankreichs) zum Binnenland geworden und hatte keinen Zugang zum Meer, auch Salzburg ging an Bayern verloren, ebenso wie das Innviertel und Teile des Hausruckviertels in Oberösterreich. Teile Galiziens mussten an das neue Großherzogtum Warschau bzw. an Russland abgetreten werden. Die finanzielle Misere führte 1811 zum Staatsbankrott – einer massiven Abwertung des Papiergeldes, die eine schwere Wirtschaftskrise nach sich zog. Dem Kaiser Franz waren sowohl der Appell an den noch jungen Nationalismus wie der Aufstand der Tiroler nicht ganz geheuer gewesen. An die Stelle des erfolglosen »Nationspolitikers« Stadion trat als Außenminister Clemens Graf Metternich.
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7.2.5 Kehrtwendungen 1810 und 1813
Clemens Wenzel Lothar Reichsgraf von Metternich-Winneburg entstammte einem alten reichsadeligen Geschlecht, das sowohl links des Rheins wie in Böhmen (Königswart/Kynžvart) begütert war. Die Metternichs standen stets treu zur katholischen Kirche und zum Haus Habsburg. Der Vater, Franz Georg, hatte eine angesehene Stellung im westfälischen Grafenkollegium und stand sowohl im Dienst des Erzbischofs und Kurfürsten von Trier wie des Wiener Hofes. 1780 hatte er als kaiserlicher Wahlkommissär beim Kölner Domkapitel die Wahl des Erzherzogs Maximilian zum ErzbischofKoadjutor durchzusetzen – was ihm auch bestens gelang. 1791/92 und wieder 1793/94 amtierte er als kaiserlicher »dirigierender Minister« in Brüssel, bis Belgien endgültig von den Franzosen erobert wurde. Nun gingen auch die linksrheinischen Besitzungen der Metternichs verloren. Am Ende des ersten Koalitionskrieges befand sich die Familie Metternich als Flüchtlingsfamilie in Wien. Aber schon 1795 heiratete Clemens die Enkelin des Staatskanzlers Kaunitz, Eleonore Gräfin Kaunitz. Damit gehörten er und seine Familie zum innersten Kreis der »hundert Familien«, der Spitzengruppe des höfischen Adels, mit allen Chancen für hohe und höchste Staatsämter. Clemens ergriff die diplomatische Laufbahn. Nach Botschafterposten in Dresden und Berlin wurde er 1806 Botschafter in Paris. Dort hielt er Augen und Ohren offen, seine – auch amourösen – Kontakte reichten bis in die Regierung und in die Familie Bonaparte. Metternich warnte Stadion vor einem Alleingang gegen Frankreich – nur eine große, gut koordinierte Koalition könne Napoleon besiegen. Nach der Niederlage berief ihn Kaiser Franz an die Stelle Stadions. Niemand anderer konnte besser die kommende Kehrtwendung der österreichischen Politik begründen, umsetzen, ja verkörpern wie der immer freundliche, diplomatische und charmante Clemens Metternich. Dieser Wendung kam der Wunsch Napoleons nach einem legitimen Erben, wenn möglich von hohem Geblüt, entgegen. Da eine russische Prinzessin ausfiel, reifte beim Kaiser der Franzosen um Weihnachten 1809 der Entschluss zur Heirat mit einer habsburgischen Prinzessin, mit Marie-Louise, der ältesten Tochter des Kaisers Franz, natürlich nach der Scheidung von seiner Gemahlin Josephine de Beauharnais. Die von Napoleon schließlich geradezu diktierte Hochzeit fand am 2. April 1810 in Paris statt. Metternich war in Paris dabei und verweilte noch länger dort. Direkt aus Napoleons Mund erfuhr er hier von dessen Plänen eines Krieges gegen Russland. Österreichs – zurückhaltende – Beteiligung an diesem Krieg auf Grund eines Bündnisvertrages vom März 1812 war von der Besorgnis diktiert, andernfalls auch noch Galizien an ein neues Königreich Polen zu verlieren. Mit 30.000 Mann beteiligte sich das Kaisertum Österreich im Sommer und Herbst 1812 an Napoleons Russlandfeldzug, unter eigenem Kommando, vorsichtig und selbstständig, als rechte Flankensicherung der »Großen Armee«, die Richtung Moskau vorstieß. Die Österreicher zogen sich schon im Oktober 1812 zurück. Nach
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der Katastrophe der »Großen Amee« erfolgte im Jänner 1813 ein Waffenstillstand mit den Russen. Vorsichtig dirigierte Metternich den Kaiser Franz aus dem Bündnis mit Frankreich heraus. Erst im August 1813, nach einem längeren, von Österreich vermittelten Waffenstillstand und einer dramatischen Unterredung zwischen Napoleon und Metternich in Dresden (26.–30. Juni 1813) trat Österreich auf der Seite der Alliierten in den Krieg ein. Die Basis dafür bot eine Abmachung vom 27. Juni (Konvention von Reichenbach), die bereits einige Grundzüge einer neuen Friedensordnung enthielt. Nach Leipzig (»Völkerschlacht«, 16.–19.Oktober 1813) verlagerte sich das Geschehen nach Westen. Während des Feldzuges in Frankreich schlossen die Alliierten (England, Russland, Preußen, Österreich) Anfang März 1814 in Chaumont einen die bisherigen zweiseitigen Allianzverträge ergänzenden multilateralen Bündnisvertrag, in dem sie nicht nur den Endkampf gegen Napoleon bekräftigten, sondern auch für die Zukunft ein »Konzert« der Mächte beschlossen, das den Frieden in Europa sichern sollte. Diese »Quadrupelallianz« wurde 1815 noch einmal erneuert. Nach dem Einzug der Alliierten in Paris beendete der Erste Pariser Friede vom 30. Mai 1814 auch rechtlich die direkte oder indirekte französische Herrschaft über große Teile Europas. Die endgültige Regelung sollte ein großer Kongress finden, der für den Herbst nach Wien berufen wurde. 7.2.6 Der Wiener Kongress
Es ist schon richtig, wenn man den Wiener Kongress, der ja nur von Oktober 1814 bis Mai 1815 tagte, als großes gesellschaftliches Ereignis interpretiert (»Der Kongress tanzt«). In der Tat hatte die Welt bisher eine so eindrucksvolle Versammlung von gekrönten Häuptern, Ministern, Ghostwritern und Sekretären, feinen und weniger feinen Damen nicht gesehen. Diese Versammlung von insgesamt tausenden Menschen, von denen nur ein relativ kleiner harter Kern arbeitete, wollte unterhalten werden, und Unterhaltung bot die Kaiserstadt an der Donau in reichem Maße. Die wichtigste Vorentscheidung fiel schon Ende September, als der französische Minister Talleyrand den Versuch der »Großen Vier« (England, Preußen, Russland, Österreich), den Kongress zu dominieren, zu Fall brachte, indem er einfach bei einer geheimen Sitzung der »Vier« in Metternichs Villa erschien. Die anderen Minister akzeptierten sein Auftreten, und damit war auch klar, dass Frankreich am Kongress als gleichberechtigte Macht teilnehmen würde, nicht als besiegtes Land, über das die Sieger bestimmten. Schon am Kongress beherrschten die Fünferkonferenzen tatsächlich die Politik – als »Pentarchie« sollten die fünf Mächte auch in Zukunft die Probleme Europas diskutieren und nach Möglichkeit friedlich lösen. Zwei kritische Problemfelder waren Polen und Sachsen. Während Metternich, der britische Minister Castlereagh und der Preuße Hardenberg die Wiederherstellung ei-
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nes selbstständigen Polen befürworteten, wollte Zar Alexander ganz Polen an Russland angliedern. Diese unvereinbaren Anschauungen führten zur Jahreswende 1814/15 fast zum Krieg zwischen den Alliierten. Preußen hingegen wollte Sachsen zur Gänze schlucken. Gegen die preußischen und russischen Ambitionen schlossen England, Frankreich und Österreich im Jänner 1815 eine streng geheime Defensivallianz. Die Lösung bestand schließlich darin, dass die Teilungsmächte Preußen und Österreich zwar den größten Teil »ihrer« 1772 annektierten Gebiete (mit einer Abrundung mit Posen und Danzig für Preußen) behielten, der größere Teilungsrest von 1793 und 1795 aber als autonomes Königreich Polen mit eigener Verfassung mit Russland vereinigt wurde (»Kongresspolen«). Preußen erhielt schließlich die Hälfte Sachsens (Sachsen-Anhalt), der Rest mit Leipzig und Dresden blieb als eigenes Königreich erhalten. Die wieder hergestellten Niederlande wurden mit dem ehemals österreichischen Belgien vereinigt – so erschienen sie stark genug, um einer französischen Bedrohung zu widerstehen. In Spanien wurden ebenso wie in Frankreich die Bourbonen restauriert, auch in Neapel. Piemont-Sardinien wurde ebenso wieder hergestellt wie der Kirchenstaat und die österreichischen Sekundogenituren in der Toscana (Ferdinand III., Bruder des Kaisers Franz), in Parma (Exkaiserin Marie-Louise) und Modena (Erzherzog Franz IV. von Este, Vetter des Kaisers). Mailand und Venedig wurden als »lombardo-venezianisches Königreich« direkt der Habsburgermonarchie angeschlossen. Italien galt daher primär als österreichische Einflusssphäre. Die Schweiz wurde als Bund von Stadt- und Landkantonen wieder hergestellt, ihre Neutralität bestätigt und von den Signatarmächten garantiert. Preußen erhielt im Westen erhebliche Gebietserweiterungen, vor allem im Bereich der früheren geistlichen rheinischen Kurfürstentümer und in Westfalen, dadurch war aber sein Staatsgebiet zweigeteilt zwischen dem überwiegend agrarischen Osten (Ost- und Westpreußen, Posen, Pommern, Brandenburg, nur Schlesien war bereits industriell stärker entwickelt) und den kommerziell und industriell hoch entwickelten Westgebieten. Das Kaisertum Österreich erhielt die »illyrischen Provinzen« zurück, ebenso Tirol und Vorarlberg, das Innviertel und zuletzt, nach einigen Querelen mit Bayern, 1816 auch Salzburg (aber ohne die links der Salzburg gelegenen altsalzburgischen Gerichte, den bis heute so genannten »Rupertiwinkel«). Auf die territorial zersplitterten althabsburgischen Gebiete in Schwaben und am Rhein mit Freiburg im Breisgau wurde zugunsten Bayerns, Württembergs und Badens verzichtet. Diese drei Staaten behielten ihre Gebietserwerbungen von 1803 ebenso wie die meisten ehemaligen Rheinbundstaaten. Bayern erhielt als Ersatz für die an Österreich (zurück) gegebenen Regionen die Rheinpfalz. 35 souveräne deutsche Staaten und vier freie Städte (Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt) bildeten den Deutschen Bund, der unter dem Vorsitz Österreichs von einem Bundestag geleitet wurde, der in Frankfurt zusammen trat. Die im Juni 1815 beschlossenen Bundesakte waren Teil der Kongressbeschlüsse. Der 1803 mediatisierte Reichsadel – für den auf dem Kongress vor
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allem der Vater Metternichs, Franz Georg kämpfte – erhielt durch die Bundesakte eine Bestätigung seiner privilegierten Stellung innerhalb der Einzelstaaten. Im Kriegsfall war ein gemeinsames Bundesheer vorgesehen, ebenso Bundesfestungen (Mainz, Ulm u. a.), doch sollte im Norden Preußen und im Süden Österreich die militärische Abwehr leiten. Mitglieder im Bund waren auch die Könige von England (für das Königreich Hannover), von Dänemark (für Holstein) und der Niederlande (für Luxemburg). Österreich und Preußen waren nur mit jenen Teilen ihrer Staaten Mitglieder, die zum alten Reich gehört hatten. Von Österreich galten daher Galizien, Ungarn mit Kroatien und Siebenbürgen, aber auch das früher venetianische Istrien und Dalmatien ebenso wie das lombardo-venezianische Königreich nicht als Mitgliedsgebiete des Deutschen Bundes. Die bestimmende Idee des Kongresses, die insbesondere die beiden wohl entscheidenden Köpfe Metternich und Castlereagh beherrschte, war jene des Gleichgewichtes – keine der Mächte sollte im neuen Europa die Übermacht oder auch nur ein Übergewicht erhalten. Und nur das koordinierte »Konzert« der Mächte konnte die Bestrebungen nach Ausdehnung im Zaum halten und gleichzeitig das Überleben und die Interessen der kleineren Staaten garantieren. Überall sollte dieses Gleichgewicht herrschen, auch innerhalb des Deutschen Bundes, wo die »großen Zwei« Preußen und Österreich nur in Übereinstimmung miteinander und mit den Exponenten des »Dritten Deutschland« handeln konnten. Gar nichts hielten Kaiser Franz und Metternich von der vom Zaren Alexander erfundenen und in Paris zwischen Alexander, Franz I. und dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. unterzeichneten »Heiligen Allianz«. Für Metternich war Politik ein rationales Geschäft, das Attribut »heilig« hatte dabei nichts verloren. Jene Idee der Heiligen Allianz ging letztlich auf die pietistische Schriftstellerin Juliane von Krüdener zurück, die den Zaren für eine gewisse Zeit stark zu beeinflussen vermochte. Trotz der zeitweiligen pietistischen Stimmung blieb der Zar doch, was jeder russische Herrscher seit Jahrhunderten war – Herrscher eines Riesenreiches, das weiterhin vom Expansionsdrang bestimmt war, vor allem gegen das Osmanische Reich. Die »Heilige Allianz«, von Metternich als »lauttönendes Nichts« und als wertlose »moralische Manifestation« bezeichnet, stieß dennoch in der öffentlichen Meinung auf einen lauten und zumeist negativen Widerhall. Sie galt als »Stiftung zur Niederhaltung der Volksrechte«. 7.3 System Metternich? Wenn der 1813 zum Fürsten erhobene Metternich im Urteil noch des frühen 21. Jahrhunderts als Verkörperung alles Bösen gilt, als Unterdrücker der öffentlichen Meinung, liberaler, demokratischer und vor allem nationaler Strömungen, so ist die Frage zu stel-
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len, ob der österreichische Außenminister, der 1821 den seit Kaunitz nicht mehr üblichen Titel des »Staatskanzlers« erhielt, tatsächlich diese üble Nachrede verdiente (und verdient). Es ist diese Frage auf mehreren Ebenen zu stellen, im Hinblick auf Europa, auf den Deutschen Bund und auf die Habsburgermonarchie. 7.3.1 Die Pentarchie und der »Kutscher Europas«
Die »hundert Tage« Napoleons vom März bis Juni 1815 führten zur Wiederbelebung der Vierer-Allianz von Chaumont 1814. Der Zweite Pariser Frieden (November 1815) sollte die notwendige Erholung Europas und die Ruhe auf dem Kontinent sicherstellen. Frankreich wurde durch eine Okkupationsarmee von 150.000 Mann besetzt. Diese Besetzung konnte bis 1820 andauern. Frankreich musste auch eine Kontribution von 700 Millionen Francs leisten. Napoleons Wiedererscheinen hatte Europa vor Augen geführt, dass man jederzeit wieder mit einer massiven Beunruhigung rechnen müsse. Dagegen war man – vereint – sogleich eingeschritten. Dieses Szenario wurde zum Vorbild für die folgenden Interventionen. Das Erbe der napoleonischen Ära war sehr ungünstig. Alle Staaten waren hoch verschuldet. Das führte überall zu hohen Steuern und damit zur Schädigung der Kaufkraft der Bevölkerung. Die hohe Staatsverschuldung ließ in keinem Staat große öffentliche Investitionen zu. Die notwendige Zurückhaltung bei den Staatsausgaben verschärfte die verbreitete Krise. Außerdem wurde durch die Explosion des Vulkans Tambora in Indonesien 1815 auf einige Jahre das Klima der nördlichen Halbkugel radikal verschlimmert. Hungersnöte und Arbeitslosigkeit prägten weite Teile Europas. Zusätzlich verschärft wurde das Problem durch die Überschwemmung mit billigen englischen Waren nach dem Ende der von Napoleon verfügten Kontinentalsperre, die zum vorübergehenden Aufblühen mancher Industriezweige geführt hatte. All das hatte negative Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse zahlloser Menschen. In besonderer Weise betroffen waren jene, die vom Schreiben lebten : Es gab kaum neue Posten in den staatlichen Bürokratien, und in den Printmedien und Verlagen machte sich die schreibende Jugend Europas gegenseitig heftige Konkurrenz. Dass dieses junge Europa in den herrschenden Gewalten die Schuldigen suchte, ist ebenso verständlich wie das Unverständnis dieser Herrschenden, die nach 20 Jahren Krieg nur Ruhe haben wollten, mit der Ungeduld einer in knappe Verhältnisse gedrängten Generation. Eine Erlösung aus dieser unerfreulichen Lage sahen viele junge Intellektuelle, Dichter und Journalisten im erhofften neuen Paradies der selbstständigen Nation. Man kann den jetzt in vielen Ländern aufkeimenden Nationalismus als »politische Religion« verstehen, die nach dem Verblassen der Erlösungsverheißungen des Christentums, das in seinen aufgeklärten Varianten zu einer seichten Sittenlehre geworden
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war, einen ganz anderen, diesseitigen »Himmel« verhieß – die selbstbestimmte »Nation«, in der alle Übel beseitigt sein würden, und zugleich mit der Fremdbestimmung durch einheimische oder fremde »Tyrannen« auch das breite soziale Elend. Religiöse Metaphern prägten die Diskussion – man sprach von der heiligen Sprache, vom heiligen Vaterland, vom heiligen Blut der Nation, das notfalls vergossen werden müsse. Damit waren auch die Feinde dieser neuen Religionen klar, nämlich für die jungen Polen »die« Russen (und der Zar), aber auch die Regierungen in Berlin und Wien, für die jungen Italiener »die« Deutschen als Agenten der Wiener Regierung, für die Revolutionäre in Spanien ihre eigene Regierung, und für die Deutschen (und Österreicher) eben Metternich. Für Metternich und seine Partner von 1814/15 bedeuteten diese Bewegungen, die sich fast unmittelbar nach dem Ende der napoleonischen Kriege zu bilden begannen, schlicht und einfach Störfaktoren in der herbeigesehnten und zweifellos auch notwendigen »Ruhe« Europas. Die größte Gefahr sah man in terroristischen Einzelaktionen wie im Mord an dem Dichter und russischen Staatsrat August von Kotzebue durch den Studenten Carl Sand 1819. Dem waren Attentate auf den britischen Prinzregenten (1817) und auf Wellington (1818) vorausgegangen. Später folgte das erfolgreiche Attentat auf den Duc de Berry am 13. Februar 1820, den Sohn des späteren Königs Karl X., also den wahrscheinlichen Thronfolger. Nur wenig später wurden in London die »Cato-Street-Verschwörer« aufgedeckt, die das gesamte Kabinett ermorden wollten. Das Gespenst des »Tyrannenmordes« ging um in Europa. 1818 trafen sich die Monarchen und Minister zum ersten Nachfolgekongress nach Wien in Aachen. Man beendete die Besatzung Frankreichs vorzeitig. Frankreich wurde – wieder – ein vollwertiges Mitglied der Pentarchie. Die Dürener Industriellenfamilie Schoeller bereitete ihre Niederlassung in Österreich vor (dazu später mehr). Im Jahr darauf traten die deutschen Probleme in den Vordergrund. Aber nicht diese Reihe von Terrorakten, sondern die Revolutionsversuche in Spanien und Italien, hier vor allem in Neapel und Sizilien, wenig später in Piemont, veranlassten das »Europäische Konzert« zu Reaktionen. Eine Reihe von Konferenzen in Troppau (Opava, 1820), Laibach (Ljubljana, 1821) und Verona (1822) beschloss militärische Interventionen. Eigentlich sahen Castlereagh und Metternich Italien als österreichisches Interessengebiet an – für eine Intervention in Neapel hätte man ihrer Meinung nach nicht die ganze Pentarchie bemühen müssen. Aber der Zar wollte überall mitreden, daher wurde in Troppau eine Vollkonferenz versammelt, mit Kaiser Franz, Zar Alexander, König Friedrich Wilhelm III. und den entsprechenden Ministern. Der Zar verlangte, Kaiser Franz solle gleich seine Truppen marschieren lassen, aber Metternich forderte, dass König Ferdinand von Neapel zuerst um Intervention ersuchen müsse. Das forsche »Troppauer Protokoll« mit der kategorischen Formulierung des Interventionsrechtes kam den Wünschen des russischen Ministers Capodistrias entgegen. Es löste euro-
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paweit Besorgnis aus. Schließlich traf König Ferdinand beim Nachfolgekongress in Laibach ein, wo er die – erfolgreiche – österreichische Militärintervention legitimierte. Der nächste Aufstand brach in Piemont aus. Die Regierung rief sogleich die Österreicher zu Hilfe. Der von den Carbonari organisierte Aufstand brach im Juni 1821 zusammen. Als Dank für die erfolgreiche Konferenz- und Interventionsdiplomatie ernannte Kaiser Franz Metternich jetzt zu seinem Haus-, Hof- und Staatskanzler – ein Titel, der seit Kaunitz nicht mehr verliehen worden war. Schon aber tauchte das nächste Problem auf, an dem das »Europäische Konzert« beinahe zerbrach und das Europa an den Rand eines Krieges führte – der Aufstand der Griechen. Schon 1804 hatte der serbische Aufstand begonnen, der 1817 zu einer begrenzten Autonomie Serbiens geführt hatte, 1821 folgten die Griechen. Der Aufstand zog sich dahin, begeisterte aber eine ganze Generation idealistischer europäischer Philhellenen, vom Lord Byron bis zum bayerischen König Ludwig I. Entschieden wurde der Krieg durch die Intervention Russlands und der Westmächte. 1827 hatten sich England und Frankreich mit den Russen verbündet und mit ihrem Sieg über die türkische Flotte bei Navarino die griechische Sache gerettet. Die Londoner Konferenz von 1830 anerkannte die griechische Souveränität. Metternich hatte schließlich diese Lösung befürwortet, nicht eine Autonomie unter türkischer Oberhoheit. Mit dem Entschluss zur Unterstützung des griechischen Aufstandes waren 1827 drei Mächte der Pentarchie aus der von Metternich hoch gehaltenen Politik der Vermeidung von Veränderungen und der Bewahrung des Gleichgewichtes ausgeschieden. Preußen würde später folgen. Noch härter wurde das ganze System von 1815 scheinbar im Jahr 1830 auf die Probe gestellt. Die Revolutionen in Frankreich und Belgien, der Aufstand der Polen und zahlreiche vereinzelte Revolten in Deutschland und Italien versetzten die Regierungen und die europäische Öffentlichkeit in Unruhe. Metternich nahm die Pariser Julirevolution erstaunlich gelassen hin – hatte er doch den neuen »Bürgerkönig« Louis Philippe von Orleans durch einen Brief in der Hand, in der dieser als Emigrant den Österreichern angeboten hatte, an ihrer Seite gegen Frankreich zu kämpfen. Von einer Intervention in Frankreich konnte man daher absehen. Dasselbe galt für Belgien, dessen Selbstständigkeit nach dem erfolgreichen Aufstand gegen die holländische Herrschaft (September 1830) von den Mächten im November 1831 anerkannt wurde. Der polnische Aufstand betraf nur das russische Polen, nicht Galizien. Er wurde von Österreich nicht unterstützt, doch wurden polnische Flüchtlinge aufgenommen, jedoch entwaffnet. 1833 kamen die »Ostmächte« Preußen, Österreich und Russland überein, sich gegenseitig Beistand zu leisten, im Falle eines überstaatlichen polnischen Aufstandes, aber auch im gemeinsamen Kampf gegen die »Revolution« – die russische Intervention gegen das aufständische Ungarn 1849 war eine Folge dieses Vertrages. Gleichzeitig wurde der Bestand des Osmanischen Reiches garantiert.
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Radikal in Frage gestellt wurde das System von Wien in der Orientkrise von 1839/41. Durch die forsche Parteinahme Frankreichs im Konflikt zwischen dem ägyptischen Vizekönig und dem Sultan in Konstantinopel (er betraf hauptsächlich Syrien) wurden die anderen vier Mächte veranlasst, den Vizekönig in seine Schranken zu weisen und dem Sultan sein Reich zu garantieren. In Frankreich formulierten sich darob nationalistische Ressentiments, bis hin zur bekannten Forderung nach der Rheingrenze 1840, die ihrerseits eine neue Welle des jungen, aber schon recht kräftigen deutschen Nationalismus beflügelte. Aus der Orientkrise war die Rheinkrise geworden. »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein«, dichtete der ansonsten unbekannte Nikolaus Becker aus Bonn, der damit sogar den preußischen und den bayerischen König beeindruckte. Schon drohte wieder ein Krieg. In der zweiten Londoner Konferenz gelang es Metternich 1841, Frankreich doch wieder in das »Konzert« einzubinden und die Orientkrise zu begrenzen. Aber insgesamt war durch die expansionistische Politik Russlands und Frankreichs das Konzept von 1815 tot. Das Etikett »Restauration« für die europäische Politik nach 1815 ist falsch : Restauration hätte bedeutet, das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation wieder zu errichten, es hätte bedeutet, die Republik Venedig wieder zu errichten usw. Nein, Europa war nach 1815 nicht von der »Restauration«, sondern – mit dem Worten von Wolfram Sieman – von einer sowohl defensiven wie konstruktiven Sicherheitspolitik geprägt. Defensiv war diese Politik gegen soziale Revolutionen und Umsturzversuche, gegen Attentate und »nationale« Verselbstständigungen. Konstruktiv war das Suchen nach neuen Regierungsformen. Frankreich erhielt 1814 eine konstitutionelle Verfassung. Preußen und die Staaten des »dritten Deutschland« gaben sich teils neue Verfassungen, teils führten sie Reformen ohne grundlegende Systemänderungen durch. In den 1830er und 1840er Jahren wurden weitere Verfassungen eingeführt – aber nicht in Österreich. 7.3.2 Die Karlsbader Beschlüsse und der Deutsche Bund
In den Staaten des Deutschen Bundes lebten auf ein zukünftiges neues Deutschland bezügliche »nationale« Entwürfe vor allem in den Kreisen junger Studenten auf. Die 1815 in Jena gegründete Urburschenschaft war der erste Ausdruck dieses neuen Nationalbewusstseins, das von der Geisteswelt Johann Gottlieb Fichtes (»Reden an die deutsche Nation«) und Ernst Moritz Arndts, des ersten deutschnationalen Antisemiten und leidenschaftlichen Antifranzosen, aber auch von der Turnerbewegung des »Turnvaters« Friedrich Ludwig Jahn ihren Ausgang nahm. Studenten aus Jena und anderen sächsischen und thüringischen Universitätsstädten organisierten im Herbst 1817 eine doppelte Jubiläumsfeier. Sie bezog sich einerseits auf die Leipziger Schlacht vom Oktober 1813, andererseits auf den Thesenanschlag Luthers am 31. Oktober 1517. Als
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symbolträchtigen Ort wählten sie die Wartburg, wo Luther bekanntlich seine berühmte Übersetzung des Neuen Testamentes geschaffen hatte. Am nächtlichen Feuer begeisterte der Philosophiestudent Ludwig Rödiger seine etwa 500 Zuhörer mit dem gesamten Wortschatz der neuen Religion der Nation : Man werde kämpfen, gegen Finsternis, Knechtschaft und nationale Ehrlosigkeit, alle seien bereit, Märtyrer zu werden für die heilige Sache usw. Am Ende der Veranstaltung wurden Bücher verbrannt. Der offiziöse »Österreichische Beobachter« sprach daraufhin von einem »terroristischen Standrecht«. Doch entschuldigte man die Studenten mit ihrer Jugend, während die anwesenden Professoren scharf getadelt wurden. Unter den Zuhörern befand sich auch Carl Sand, der später den Dichter und russischen Staatsrat August von Kotzebue aus Gründen der »nationalen Ehre« ermordete. Das Wartburgfest und der Mord an Kotzebue zusammen mit der Aufdeckung einiger geheimer Gesellschaften führten zu den so genannten »Karlsbader Beschlüssen« (August 1819), die Metternich mit den leitenden Ministern Preußens, Bayerns, Sachsens, Hannovers, Württembergs und einiger anderer deutscher Staaten entworfen hatte : Verbot der studentischen Verbindungen, Einsetzen landesherrlicher Beauftragter in jeder Universität, Vorzensur für kleinere, vor allem für periodisch erscheinende Druckschriften (galt aber nicht für Werke über 300 Seiten), Einrichtung einer Bundesbehörde in Mainz (Zentraluntersuchungskommission), Übertragung der Kompetenz an den Bund, widerstrebende Einzelstaaten zur Übernahme der Beschlüsse von Karlsbad zu zwingen. Sie entsprechen weitgehend englischen Gesetzen, die als Reaktion auf das Attentat auf den Prinzregenten 1817 erlassen wurden. Metternich, so sagt man, habe den Einzelstaaten diese Richtlinien aufgezwungen. Neuere Forschungen hegen daran Zweifel und weisen auf das Drängen mehrerer deutscher Staaten hin, die von Metternich geradezu die Formulierung der Karlsbader Beschlüsse gefordert hätten. Sie wurden von der Bundesversammlung am 20. September 1819 formell als Bundesrecht verabschiedet. Aber wie auch immer : Seit Karlsbad ist Metternich in den Augen der nationalistischen und liberalen Zeitgenossen und deren Nachfahren der Hauptschuldige an der Unterdrückung des Geistes in Deutschland. Im Mai 1820 wurden die Schlussakte der Deutschen Bundesverfassung in Wien beraten. Heiße Debatten gab es um den Artikel 13, der lautete : » In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden.« Wie solche Verfassungen gestaltet würden, war noch weitgehend unklar – als »altständische« oder als moderne, »repräsentative«. Die Wiener Schlussakte ließen die Alternative jedoch offen. Wie auch immer die Verfassungen gestaltet seien, sie dürften den Bundeszweck nicht verletzen und Bundesfragen nicht beeinflussen wollen. Metternichs konservatives Prinzip der »Erhaltung« bedeutete, dass alle bestehenden Verfassungen – auch eine so liberale wie die badische – eben deshalb anzuerkennen seien, weil sie rechtens bestünden. Am 15. Mai 1820 wurden die Wiener Schlussakte endgültig beschlossen.
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Man hat in Wien die Fragen der wirtschaftlichen Einheit weitgehend ausgeklammert, obwohl Friedrich List, der eifrige Propagator der wirtschaftlichen Vereinigung aller deutschen Staaten, schon ein entsprechendes Programm vorgelegt hatte. Für die komplexen österreichischen Verhältnisse schien eine engere wirtschaftliche Vereinigung mit den deutschen Staaten damals noch kaum vorstellbar – hatte man doch im eigenen Kaisertum noch eine Zollgrenze zwischen Ungarn und dem »Rest«, und selbst Tirol war noch nicht zur Gänze in das Zollgebiet von 1775 integriert, das passierte erst 1825/26. Die Initiative zur wirtschaftlichen Einigung ging wenig später von Preußen aus. Die territoriale Teilung Preußens zwischen einem Staatsteil im Westen und einen im Osten führten notwendigerweise zu Überlegungen, wie man den Warenaustausch und die Kommunikation zwischen diesen Teilen, aber auch mit den dazwischen liegenden unabhängigen deutschen Staaten wie insbesondere Hannover, Braunschweig, Sachsen oder Hessen ohne lästige Zollgrenzen gestalten könne. 1818 wurde in Preußen eine neue Zollordnung eingeführt. Einige kleinere Staaten in der engeren Umgebung von Preußen schlossen sich bald an. Andere Initiativen setzten die drei süddeutschen Staaten ebenso wie die mitteldeutschen Staaten. Die preußischen Angebote waren jedoch zu verlockend : Preußen übernahm die Zollverwaltung, ließ aber die anderen Staaten an den Zolleinnahmen teilhaben. 1833 schlossen sich – zur großen Überraschung auch der Wiener Regierung – die süddeutschen Staaten dem Deutschen Zollverein an, der damit fast das ganze »außerösterreichische« Deutschland erfasste. Metternich begriff sofort die wirtschaftliche ebenso wie die längerfristig wichtigere politische Bedeutung : Österreich würde so für die deutschen Staaten immer mehr zum Ausland werden. Man müsse ein Alternativangebot überlegen. Umfangreiche Erhebungen wurden angestellt. Sie erbrachten, wie zu erwarten, eine große Zustimmung für eine Zolleinigung mit Deutschland beim Handel, große Skepsis bei der Industrie, heftige Ablehnung beim böhmischen Adel, der seine florierende Zuckerindustrie weiterhin durch hohe Zölle geschützt wissen wollte. Und der böhmische Adel hatte seinen »starken Mann« in Wien – den Grafen Franz Anton Kolowrat-Liebsteinsky, Staats- und Konferenzminister, Fachmann für Finanzen und den Staatshaushalt und intimer Feind Metternichs. Der Kaiser ließ schließlich alles beim Alten. Der Ausschluss Österreichs aus Deutschland hatte begonnen. 7.3.3 Die Habsburgermonarchie
Obwohl »nur« Außenminister, plante Metternich 1811 die Einrichtung einer »echten« Regierung mit Ministern. Und noch vor dem Wiener Kongress schlug er dem Kaiser vor, dieser sollte sich feierlich krönen lassen, in Anwesenheit von ständischen Deputationen aus allen Teilen der Monarchie. Ja mehr noch, er konnte sich sogar ei-
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nen »Reichsrat« vorstellen, von den Ständen gewählt, der ein Begutachtungsrecht im Gesetzgebungsverfahren bekommen hätte. Für Kaiser Franz waren diese Pläne ganz unakzeptabel. 1817 entwarf Metternich noch einmal einen Plan zur Reorganisation des Gesamtreiches. Man müsse davon ausgehen, dass Österreich ein zusammengesetzter und daher notwendig föderativer Staat sei. Joseph II. habe die Umwandlung in einen einheitlichen Staat versucht und sei daran gescheitert. Er schlage dagegen vor, die verschiedenen politischen Felder als Ressorts von Ministerien zu definieren, von denen er folgende als notwendig ansah : Je ein Ministerium für das Äußere, für die innere Verwaltung, die Finanzen, das Kriegswesen, die Justizpflege, die Polizei, die allgemeine Rechnungskontrolle (heute : Rechnungshof ). Einem Minister des Inneren als »Obersten Kanzler« sollten vier Kanzler für vier »Nationalitäten« mit ebenso vielen Kanzleien unterstehen : eine böhmisch-mährisch-galizische Kanzlei für die »Nordslawen«, eine österreichische für die »deutschen« Provinzen, eine illyrische für das »Königreich Illyrien« mit Dalmatien und für die dort lebenden Südslawen, und eine italienische Kanzlei für Lombardo-Venetien. Die ungarische und die siebenbürgische Kanzlei sollten sich a la longue zu analogen Positionen »herabneigen«. Wie eine Teilverwirklichung dieses Planes wirkt die Errichtung des »Königreichs Illyrien« 1816. Auch wurde ein eigener Hofkanzler für Böhmen, Mähren, Schlesien und Galizien ernannt. Weitere Veränderungen akzeptierte der Kaiser aber nicht. Für Lombardo-Venetien stellte sich Metternich ein ausgeprägtes System von Autonomie und Selbstverwaltung vor. »Die hiesigen Länder müssen hier regiert werden«, schrieb der Minister aus Mailand an den Kaiser, und, zugespitzt : »Sollen monatlich fünfhundert oder fünfzig Fragen nach Wien gelangen ?« Der Kaiser entschied sich für die »österreichische« Lösung, also eine direkte Verwaltung von Wien aus. Dadurch wuchs in kurzer Zeit die Unzufriedenheit mit der österreichischen Herrschaft stark an, trotz des Erbes an Loyalitätsgefühl, das wenigstens in Mailand vorhanden sein mochte (in Venedig nicht). Damit sprechen wir das zentrale Problem der Habsburgermonarchie jener Jahrzehnte an : Auch gegenüber seinem besten und engsten Mitarbeiter, und das war Clemens Fürst Metternich zweifellos, bewahrte der Kaiser stets eine deutliche Distanz. Er ließ ihm auch niemals die vom Staatskanzler erwünschte Position eines Premierministers zukommen. Letztlich wollte der Kaiser alles selbst entscheiden. Dafür holte er sich auch immer wieder Gutachten von ganz anderen Personen (etwa von seinem Leibarzt Andreas Stifft). Diese Form des bürokratischen Selbstregierens unter Hilfe von miteinander unverbundenen Kollegialorganen war aber in einem bereits in kräftiger wirtschaftlicher Entwicklung stehenden, großen Staatswesen mit einer zunehmend differenzierten Gesellschaft vollkommen anachronistisch. Fasst man das Verhältnis Kaiser Franz – Metternich zusammen, so wird klar, dass Metternich deshalb so in der Gunst des Kaisers stand, weil er dessen Herrschafts-
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grundsätze nicht nur respektierte, sondern auch unterstützte. Stand zunächst (1809– 1812) die Erhaltung der Monarchie im Vordergrund, so zwischen 1813 und 1816 die Wiederherstellung einer bedeutsamen Position in Europa, die zweifellos im Wiener Kongress gipfelte. Die Politik der Zeit danach diente im Innern wie im Äußeren der Sicherung der Stabilität – was bis dahin erreicht war, durfte nicht mehr in Frage gestellt werden. Diese konservierende, also konservative Zielsetzung musste allerdings zu einem starren Immobilismus führen, der nach dem Tod des Kaisers noch einmal durch die gegenseitige Lähmung der verschiedenen Positionen und Personen verschärft wurde, die für den regierungsunfähigen Kaiser Ferdinand I. (1835–1848), den »Gütigen« (im Volksmund auch »Gütinand der Fertige«), das Staatsschiff lenken sollten. Gegen das Testament des alten Kaisers, der seinem Sohn empfohlen hatte, in allem dem Rat des Staatskanzlers zu folgen, verlor dieser jedoch sehr rasch jeden Einfluss auf die innere Politik. Es wurde eine Staatskonferenz konstituiert, in der Metternich zwar den Vorsitz führte, in der aber die Erzherzöge Ludwig und Franz Karl (der Vater des künftigen Kaisers Franz Joseph) ebenfalls mitsprachen. Der vorübergehend ausgebootete Kolowrat gewann das Vertrauen des aus der Steiermark zurückgekehrten Erzherzogs Johann, der Metternich sowieso wegen 1813 gram war und Abfälliges über den Staatskanzler gerne hörte. Der Erzherzog selbst setzte Metternich, den er verdächtigte, die Stellung eines merowingischen »Hausmeiers« einnehmen zu wollen, massiv unter Druck, sodass dieser die Ordnung der Staatskonferenz im Sinne Kolowrats abänderte. Formell führte der Kaiser den Vorsitz (nicht mehr Metternich), faktisch sollte der Erzherzog Ludwig die Konferenz leiten. Alle Angelegenheiten der Finanzen, des Inneren und der Polizei sollten nur mehr Kolowrat allein anvertraut werden. Metternich war ab jetzt (Dezember 1836) vollkommen aus den innenpolitischen Entscheidungen ausgeschlossen. Er war nur mehr Außenminister. Europaweit konstatierte man den Einflussverlust des Staatskanzlers. Wenn es je ein »System Metternich« gegeben haben sollte (in Wirklichkeit hieß das System »Kaiser Franz«), dann war es jetzt zu Ende. Die wahre Macht lag bei Kolowrat – nur er war für Zensur, Polizei, Wirtschaft und Finanzen zuständig. Und Kolowrat repräsentierte den nach wie vor machtvollen böhmischen Adel, dessen Einfluss durch seine Position auch in Wien kräftig wuchs. Gegen den Staatskanzler stand auch die Riege der Erzherzöge, die sich, wie Carl und Johann, durch Metternich zurückgesetzt fühlten. Versucht man eine abschließende Würdigung des Staatskanzlers, so muss man vor allem davon ausgehen, dass Metternichs Kindheit und frühe Jugend von der Umwelt einer reichsadeligen Familie im Westen Deutschlands geprägt war, aber auch von der Erfahrung der Französischen Revolution, die er als Student in Straßburg und Mainz persönlich und direkt erlebt hatte. Diese Revolution vertrieb die Familie aus ihren angestammten Besitzungen und führte sie als Flüchtlinge nach Wien. Sein ganzes Leben war daher vom Kampf gegen die Revolution bestimmt, den er als Diplomat führte. Der
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Höhepunkt dieses Kampfes lag zweifellos in den Jahren 1813 bis 1815, als Metternich zu jenen Persönlichkeiten zählte, die in besonderem Maße zur Überwindung Napoleons beitrugen. Danach wollte er das in Wien geschaffene System erhalten. Das gelang eine Zeitlang ganz gut, mit Hilfe einer ausgefeilten Diplomatie, mit Überwachung und Zensur. Aber nationale Bewegungen und die zuerst in Großbritannien, dann in Frankreich zur Herrschaft gelangten liberalen Anschauungen im Verein mit imperialistischen Tendenzen sowohl Russlands wie Englands oder Frankreichs (Orientkrise 1840) stellten das System der Pentarchie in Frage. Es konnte zwar irgendwie erhalten werden, doch zu mehr als zur Verhinderung eines großen europäischen Krieges reichte es nicht mehr. Innenpolitisch prallten seine Vorschläge an der Sturheit des Kaisers Franz ab, und ab 1836 wurde er in diesem Bereich völlig kaltgestellt. Die üble Nachrede, die ihm schon zu Lebzeiten bereitet wurde, verdankte er einigen Herren, in deren Karriere er sehr störend eingegriffen hatte, vor allem Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg, den Metternich 1813 zur Verhinderung des »Alpenbundes« für einige Monate in Munkács und am Brünner Spielberg gefänglich festsetzen ließ. Der Tiroler Hormayr (1781–1848), seit 1808 Direktor des Geheimen Haus-, Hof und Staatsarchivs in Wien, verdienter Autor des »Österreichischen Plutarch« und Vertrauter des Erzherzogs Johann, hatte im Tiroler Aufstand von 1809 eine wichtige Rolle gespielt und war eine zentrale Figur der Alpenbund-Verschwörung. Hormayr wurde danach als Trostpflaster zum Reichshistoriographen ernannt. Aber 1828 ging er nach München und wurde zum unerbittlichen Gegner der Habsburger. Dem Staatskanzler vergaß er seine mehrmonatige Haft nie und rächte sich im Jahr 1848 mit einer wirkungsvollen biographischen Studie »Kaiser Franz und Metternich«, in der die meisten der bis heute wirksamen bösen Klischees vorformuliert wurden : Metternich sei ein kalter Intrigant gewesen, frivol, oberflächlich und charakterlos. Vieles davon hat auch der wirkungsvollste Metternichbiograph des 20. Jahrhunderts, der sehr deutschnationale Wiener Historiker Heinrich von Srbik, übernommen, der dem Staatskanzler – natürlich – auch dessen Defizit an deutschem Nationalgefühl vorwarf. 7.4 Zensur und kulturelle Blüte Die Zeit zwischen 1792 und 1848 erscheint als Zeit der Kriege, der Krisen, der erzwungenen Stabilität und der fehlenden Reformen, geradezu als Zeit einer allgemeinen Unterdrückung und Lähmung. Metternich habe, so kann man in jedem österreichischen Schulbuch lesen, jede freie Regung des Geistes, aber auch den politischen Liberalismus und das Erwachen der Nationen unterdrückt. Mit diesen apodiktischen Urteilen kontrastiert der Tatbestand einer künstlerischen und kulturellen Hochblüte mehr als seltsam. Zwar starb Wolfgang Amadeus Mozart gerade 1792, aber Joseph
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Haydn lebte noch und eines seiner bedeutendsten Werke, das große Oratorium »Die Schöpfung«, entstand 1796–98 und wurde sogleich mit ungeheurem Beifall uraufgeführt. Schon 1792 kam Ludwig van Beethoven (1770–1827) aus Bonn nach Wien, um zunächst bei Haydn Unterricht zu nehmen. Er blieb hier, wo alle seine neun Symphonien ebenso wie seine einzige Oper »Fidelio« uraufgeführt wurden, vor einem offenkundig sehr musikverständigen Publik. Hier in Wien hatten sich auch Förderer gefunden, die dem großen Komponisten auch eine materielle Zukunft garantierten. Diesen Mitgliedern wohlhabender, meist hochadeliger Familien (Breuning, Brunsvik, Kinsky, Lichnowsky, Lobkowitz u. a.) widmete er viele seiner Werke. Einer der großzügigsten Förderer und zugleich einer seiner begabtesten Schüler war Erzherzog Rudolf, der jüngste Bruder des Kaisers. Zu seiner Inthronisation als Erzbischof von Olmütz (1819) schrieb Beethoven die »Missa solemnis«. Als Beethoven 1827 starb, verlas der Schauspieler Anschütz am offenen Grabe die von Franz Grillparzer verfasste Grabrede. Franz Schubert (1797–1828) gilt als Vollender des deutschen Liedes (fast 1000 Lieder, vielfach in großen Zyklen), komponierte aber auch acht (oder neun) Symphonien, zahlreiche Opern und Singspiele, Streichquartette und ein überaus reiches Klavierwerk. Grillparzer verfasste den Text auf dem Grabstein des Frühverstorbenen. Aber während er zu Recht das einmalige Genie Beethovens pries, scheint er das ebenso einmalige Werk Schuberts doch nicht ganz erfasst zu haben – zu sehr blieb er dem Bild des liebenswürdigen Unvollendeten, der noch Großes hätte schaffen können, verhaftet ; er konnte aber die großen Orchesterwerke, vor allem die C-Dur-Symphonie, nicht kennen, denn sie wurde erst lange nach dem Tod Schuberts aufgeführt. Mit diesen drei Namen wollen wir es bewenden lassen, aber sie stehen nur für die großen, bis heute in den Programmen der Konzertsäle, Festivals und Opernhäuser vertretenen Meister der »Wiener Klassik« (und Romantik). Daneben gab es eine Fülle guter Komponisten und Musiklehrer, von Anton Diabelli über Konradin Kreutzer bis Adolf Müller und dem bei allen Klavierschülern berüchtigten Karl Czerny, die für den enormen Bedarf an Theatermusiken, Orchester- und Kammermusik, Klavier- und Violinschulen, Hausmusik in allen Varianten und Besetzungen und natürlich auch an Tanzmusik sorgten. Diese Tanzmusik stammte nicht nur, aber doch zumeist, von Josef Lanner (1801– 1843) und Johann Strauß (Vater, 1804–1849). Strauß spielte zunächst in Lanners Orchester, machte sich aber bald selbstständig. Der spätere, aus Deutschland stammende Burgtheaterdirektor Heinrich Laube schrieb über eines dieser Etablissements, in denen Strauß aufspielte, den »Sperl«, es habe sich dort eine große, sozial sehr gemischte Gesellschaft versammelt und Johann Strauß zugejubelt : »In der Mitte des Gartens ist das Orchester, von dem verführerische Sirenentöne kommen, die neuen Walzer, der Ärger unserer gelehrten Musiker, die neuen Walzer, die gleich dem Stich der Tarantel das junge Blut in Aufruhr bringen. In der Mitte des Gartens, bei jenem Orchester, steht der moderne Held Österreichs, Napoléon autrichien, der Musikdirektor Johann Strauß.«
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Der Auftritt von Johann Stauß beim »Sperl« hinterließ bei Laube einen tiefen Eindruck. Seine Schilderung vermittelt etwas von der Vitalität und von der Energie, die in diesem biedermeierlichen Wien steckte : »Nur an den gleichmäßig wirbelnden Mädchenköpfen unterscheidet man den Tanzstrom. Bacchantisch wälzen sich die Paare durch alle zufälligen oder absichtlichen Hindernisse hindurch, die wilde Lust ist losgelassen (…) All das könnte den Leser leicht zu dem Glauben verführen, er befinde sich in einer Kneipe. Dem ist aber keineswegs so. (…) Ich habe nie Exzesse dort erlebt. Das fatale Zauberwort des Nordens ›Branntwein‹, fehlt, es fehlen die dumpf Trunkenen, die Sinnlosen (….)«
Das Wiener Publikum galt auch als besonders theatersüchtig, und ebenso theaterverständig, was Grillparzer an diesem Publikum immer geschätzt hat. Diese andauernde starke Beliebtheit des Theaters und die Blüte gerade des dramatischen Schaffens in den Jahrzehnten der »Unterdrückung« sprechen ja nun gerade nicht für die totale Vernichtung des geistigen Lebens. Diese Jahrzehnte vor 1848 waren auf dem Volkstheater die Lebens- und Wirkungszeit von Adolf Bäuerle (1786–1859), der mit seinem Schirmmacher Chrysosthomus Staberl die ältere Figur des Kasperls ablöste. Bäuerles »Theaterzeitung« war das wichtigste Medium im Hinblick auf die Theaterwelt. Von größerer Bedeutung war wohl Ferdinand Raimund (1790–1836), der das traditionelle Feen- und Zaubermärchen in seinen besten Stücken (»Der Bauer als Millionär«, »Der Verschwender« oder »Alpenkönig und Menschenfeind«) zu heiteren, im Hinblick auf das Menschenbild jedoch durchaus realistischen Komödien mit melancholischen Passagen weiter entwickelte. Raimunds Wirkung wurde freilich weit übertroffen von Johann Nestroy (1801–1862), der als Theaterautor, Schauspieler und Manager große Erfolge feierte. Er gilt als der »wienerische Aristophanes«. Seine tiefe Skepsis im Hinblick auf die mögliche Verbesserung der Menschheit war mit einem genialen Wortwitz verbunden sowie mit der Fähigkeit zur Erfindung immer neuer Wortkombinationen. Nestroy schrieb außerordentlich viele Stücke, deren Sujets er häufig französischen Vorlagen entnahm, die er vollendet auf Wiener Verhältnisse hin adaptierte. Nestroy erreichte den Höhepunkt seiner Wirkung in den 1840er Jahren, doch bleiben auch sein Revolutionsstück von 1848, »Freiheit in Krähwinkel«, oder manche seiner späteren, manchmal in ihrer Bitterkeit kaum mehr komischen Stücke bis heute auf den Spielplänen vor allem österreichischer Bühnen. Schwerer hat es da schon Franz Grillparzer (1792–1873). Seine an der Weimarer Klassik orientierten Dramen sind zunächst in einer romantischen Welt angesiedelt (»Die Ahnfrau«, 1817), im alten Griechenland (»Sappho« 1819, »Des Meeres und der Liebe Wellen« 1831, die Trilogie »Das goldene Vließ« 1822), in einem imaginären Orient (»Der Traum ein Leben«, 1834) oder im Merowingerreich (»Weh dem der lügt«,
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1838). Nach dem Misserfolg dieses Dramas ließ er nichts mehr aufführen, obgleich er sich selbst nicht ohne einen gewissen Stolz als besten deutschen Dramatiker nach Schiller sah. Mehrfach thematisiert Grillparzer Schicksale aus der Geschichte Österreichs : »König Ottokars Glück und Ende« (1825) stellt eigentlich die Machtergreifung der Habsburger in Österreich auf die Bühne, »Ein Bruderzwist in Habsburg« (1847–51) das rivalisierende Brüderpaar Kaiser Rudolf II. und Matthias, mitsamt dem Umfeld der Zeit um 1600, vor dem Dreißigjährigen Krieg. Grillparzer stellt aber auch die Gründungsgeschichte Böhmens und Prags in seiner »Libussa« (ebenfalls 1847–51) dar. Im »Treuen Diener seines Herrn« behandelt er eine Episode aus der ungarischen Geschichte. Grillparzer war einerseits vom Glück begünstigt – infolge der Förderung durch Josef Schreyvogel, Dramaturg des Burgtheaters, aber auch durch die Gunst des Ministers Stadion, bei dem er sowohl als Beamter wie auch als anerkannter Dichter in Ehren stand. Immer wieder wurden ihm lange Auslandsreisen bewilligt – nach Deutschland (unter anderem zu Goethe in Weimar 1826), in die Türkei und nach Griechenland, nach Italien, nach Paris und London. Überall beobachtete er die Eigenheiten des Landes und der Menschen sehr genau, traf sich in Paris mit Heinrich Heine, mit dem er sich gut unterhielt, und bewunderte in London die englische Gerichtsbarkeit, besuchte auch das Parlament. Aber die Position, die er anstrebte, erreichte er nie, nämlich die des Direktors der Hofbibliothek. Daran war ein kleines Gedicht schuld, das schon 1820 offenbar versehentlich die Zensur passiert hatte – »Die Ruinen des Campo Vaccino«, also das Ruinengelände des Forum Romanum, auf dem ihn, den Verehrer der heidnischen Antike, ein Kreuz gestört hatte (»Tut es weg, das heilige Zeichen, die ganze Welt gehört ja Dir …«). Irgendwie bekam dieses Gedicht der Kaiser zu Gesicht. Der Zensor erhielt einen kräftigen Tadel und Grillparzer wurde niemals Direktor der Hofbibliothek. Es reichte »nur« zum Direktor des Hofkammerarchivs (1832). Grillparzer hatte in dieser Funktion gerade im Revolutionsjahr 1848 die Übersiedlung in ein neues Gebäude zu organisieren. Heute noch befinden sich in diesem Gebäude Grillparzers Amtsraum und die entsprechende Einrichtung (vor allem ein Stehpult – der Dichter schrieb offenbar im Stehen). Neben seinen amtlichen Schriften und seinen Dramen verfasste Grillparzer zahlreiche Aphorismen. Der bekannteste von ihnen sollte erst im 20. Jahrhundert seine volle und grauenhafte Bestätigung erfahren : »Der Weg der neueren Bildung geht Von Humanität über Nationalität zur Bestialität«.
Ausgerechnet Grillparzers patriotischestes Drama, der »König Ottokar«, bekam Probleme mit der Zensur. Das Stück wurde vom Dichter im Spätherbst 1823 im Burgtheater eingereicht und am 25. November mit einem Gutachten Schreyvogels der Polizeiund Zensurhofstelle zugeleitet. Diese leitete es weiter zur Staatskanzlei, von wo schon
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am Silvestertag (31. Dezember) das negative Gutachten an die Polizei zurückkam. Am 21. Jänner 1824 wurde durch diese das Verbot des Stückes ausgesprochen. Offenbar befürchtete man Anstände mit dem böhmischen Adel oder mit dem bereits erwachenden tschechischen Nationalbewusstsein. Nach nur drei Tagen fragte der Kaiser nach den Gründen für das Verbot, der Polizeiminister Graf Sedlnitzky rechtfertigte sich in einem Vortrag am 28. Februar. Er legte das Manuskript bei, das nunmehr beim Kaiser verblieb. Dieser betraute seinen Leibarzt, den Staatsrat Andreas Stifft, mit einem weiteren Gutachten. Dieses fiel positiv aus. Daraufhin verfügte der Herrscher die Aufführung, die am 19. Februar 1825 stattfand. Die letzte Entscheidung lag also immer beim Kaiser. Franz I. war in der Tat der oberste Zensor seiner Monarchie. Damit haben wir alle wichtigen zensurierenden Instanzen schon angesprochen. Die erste war die schon genannte 1801 durch Zusammenlegung geschaffene Polizei- und Zensurhofstelle, die unverändert bis 1848 bestehen blieb. In den Ländern bestanden entsprechende Abteilungen bei den Landesstellen. Die eingereichten Manuskripte wurden je zwei Zensoren übergeben ; wenn sie verschieden gutachteten, kam noch ein dritter Fachmann hinzu. Dass die Zensoren ungebildet gewesen wären, ist falsch. Es fanden sich hoch gebildete Männer mit oft breiten Sprachkenntnissen unter ihnen. Es sei hier nur an Bartholomäus Kopitar erinnert, der als Fachmann für die slawischen Sprachen in der Hofbibliothek gleichzeitig Zensor für diese Sprachen war. Die Staatskanzlei hatte ein eigenes Zensurreferat, das naturgemäß vor allem die im Ausland (besonders in Leipzig) erscheinenden Schriften kontrollierte, sich aber auch um inländische Produkte kümmerte. Metternichs Staatskanzlei verfügte auch über das so genannte »Ziffernbüro«, in dem wichtige Post geöffnet und der Inhalt »interzipiert« wurde, auch verstand man sich auf das Lesen von Zifferncodes. Metternich hatte das berühmte französische Polizeisystem unter Napoleons Polizeiminister Fouché in Paris gut studiert ! Napoleon hatte ja 1809 jenes Prinzip der Zensur formuliert, dem man in Österreich bis 1848 folgte : »Die Zensur ist das Recht, die Manifestation von Ideen zu hindern, die den Frieden des Staates, seine Interessen und seine gute Ordnung verwirren.« Grundlegendes Prinzip war die Präventivzensur. Das heißt, man wollte schon vor dem Erscheinen eines jeden Druckwerkes feststellen, ob es allenfalls als bedenklich einzustufen wäre. Die Zensur hatte daher ein riesiges Arbeitspensum zu bewältigen. Dabei wurde unterschieden zwischen eher dicken und wissenschaftlichen Werken und den dünnen, unwissenschaftlichen, vor allem den Broschüren für ein breites Publikum. Die ersteren schienen weniger gefährlich – sie würden nur von einigermaßen wohlhabenden und daher auch ungefährlichen Leuten gekauft werden. Oft wurde dem gebildeten Publikum der Bezug »bedenklicher« Literatur erga schedam, also gegen eine zensuramtliche Bewilligung, individuell gestattet. Aber auf die Kost für das breite Publikum musste man acht haben ! Denn gerade dieses durfte ja nicht von gefährlichen
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Ideen angesteckt werden. Allerdings wurde in der Regel nicht glatterdings verboten, vielfach kam es zu Rücksprachen und zu Empfehlungen an die Autoren. Was aber aus dem Ausland kam, konnte nur mehr so, wie es eben war, erlaubt oder verboten werden. Das betraf auch und insbesondere österreichische Autoren, die in Leipzig oder Hamburg publizierten. Zur unterdrückten Literatur gehörten etwa Anastasius Grüns »Spaziergänge eines Wiener Poeten«. Natürlich war auch Heines »Deutschland, ein Wintermärchen« verboten. Nach dem Tod des Kaisers Franz wurde das System zwar nicht geändert, aber es verlor an Abschreckungskraft. 1845 unterschrieben 99 Schriftsteller und Gelehrte eine Denkschrift an den Grafen Kolowrat über die Zensur, in der sie ein richtiges, veröffentlichtes Zensurgesetz forderten. Bisher waren die Zensurvorschriften nur den amtlichen Stellen bekannt gewesen. Franz Grillparzer hatte an dritter Stelle unterschrieben. Da Stefan Endlicher, Professor der Botanik und Historiker, ebenso wie der große Orientalist Josef von Hammer-Purgstall ihre Unterschrift aus Furcht vor Repressalien zurückzogen, stand Grillparzer plötzlich an erster Stelle. Es geschah ihm nichts – aber auch sonst passierte kaum etwas. Vielleicht kann man die Gründung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1847 als eine Art Echo auf die Wissenschaftler- und Schriftstellerpetition ansehen. Dass im selben Jahr Eduard von Bauernfelds Lustspiel »Großjährig« am Burgtheater aufgeführt werden konnte, in dem kaum verschlüsselt die Entlassung Metternichs, der verhassten Symbolfigur der Reaktion, gefordert wurde, war das Signal für die faktische Kapitulation der »Konferenz der Greise«. Die Kultur des so genannten »Biedermeier« war jedoch nicht nur eine wie auch immer gehemmte Schrift- und Theaterkultur. Auf die musikalische Seite haben wir schon hingewiesen. Aber mit »Biedermeier« verbindet man doch vor allem die Kultur einer gepflegten Häuslichkeit, eleganter, wenngleich formal zurückhaltender, einfacher Möbel, Vitrinen mit glatten, polierten Oberflächen, bequemer Fauteuils und Chaiselongues – und überall Klaviere, denn man liebte die Hausmusik. Die Kleidung von Herr und Frau Biedermeier war weniger üppig als die komplizierten Gewandungen des Barock oder des Rokoko. Ausgehend vom französischen Klassizismus der Revolutionszeit und der napoleonischen Epoche mit ihren weichen, fließenden Formen bei den Damen und den gegenüber der aristokratischen Kniebundhose bürgerlichen langen Hosen und mehr oder weniger phantasievollen Fräcken der Herren entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten eine gegenüber Paris etwas eigenständigere »Wiener Mode«. Die Damen bevorzugten Frisuren mit hübschen Locken, trugen gerne Hüte und verschiedenartige Röcke, Blusen und – vor allem – Tücher. Die Kleidung der Landbevölkerung blieb dem gegenüber traditionell, wenn uns die Bilder Waldmüllers nicht in die Irre führen. Der schöne Schein kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kultur des Biedermeier tatsächlich bereits auf der Industrie beruhte : Die hübschen Möbel konnte man bei der
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Wiener Möbelfabrik Danhauser schon aus einem Katalog auswählen und bestellen und die feinen Stoffe, die das bürgerliche und adelige Publikum trug, stammten bereits zu einem sehr hohen Prozentsatz aus Fabriken – auch und gerade dann, wenn man sie aus dem Ausland, vor allem dem als Vorbild so beliebten England, bezog. Joseph Ulrich Danhauser (1780–1829) hatte die genannte Fabrik gegründet, sein Sohn Joseph Danhauser (1805–1845) studierte an der Akademie der Bildenden Künste (bei Krafft) und übernahm nach dem Tod des Vaters die Leitung der Fabrik, gab sie aber 1831 an seine Brüder ab. Danhauser jun. wurde ein anerkannter Maler, dessen zuweilen moralisierende Sujets (»Der reiche Prasser« und »Die Klostersuppe« – die beiden Bilder hängen eng zusammen, der Reiche im ersten Bild ist im zweiten ein verschämter Armer) sehr beliebt waren. Genrebilder aller Art wurden in diesen Jahrzehnten gerne gesehen und gerne gekauft. Sie konnten patriotische Themen zum Inhalt haben wie Johann Peter Kraffts (1780–1856) »Auszug« bzw. »Heimkehr des Landwehrmannes«. Krafft lehrte auch an der Akademie und beeinflusste zahlreiche Schüler. Für repräsentative Porträts wurde bevorzugt Friedrich von Amerling (1803–1887) herangezogen. Von ihm stammt auch das bekannte Porträt des Kaisers Franz im österreichischen Krönungsornat, der allerdings nie für eine Krönung benützt wurde. Peter Fendi (1796–1842) schuf zahlreiche Genrebilder, wie den frierenden Bretzelbuben auf dem Glacis (1828). Fendi war aber auch der beliebteste Kinderporträtist, von ihm stammen die besten Porträts der Kinder der kaiserlichen Familie. Josef Kriehuber (1800–1876) wurde der bedeutendste Porträtlithograph des Wiener Biedermeier, er hat etwa 3000 solcher Blätter entworfen. Die Technik der Lithographie ermöglichte eine rasche und weite Verbreitung. Wohl der bedeutendste Maler jener Zeit wurde aber Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865). In seinen Genrebildern wird die Darstellung der Landschaft, vor allem des Wienerwaldes, verbunden mit religiösen, aber auch sozialkritischen Motiven – »Die Pfändung«, 1847, zeigt, wie einer überschuldeten Bauernfamilie das Vieh aus dem Stall getrieben wird. Waldmüller publizierte auch Schriften zu Kunst und Kunsterziehung, wobei er zuweilen heftig gegen die Akademie polemisierte, wo er doch selbst lehrte ; das führte 1857 zu seiner Zwangspensionierung. Seine Kunst der Licht-Schatten-Wiedergabe war unerreicht. Mehr in die religiöse Richtung tendierte Leopold Kupelwieser (1796– 1862), vor allem nach einer Romreise, als er sich den Nazarenern angeschlossen hatte. Bei den wenigen Kirchenbauten der Zeit (St. Johann Nepomuk und Altlerchenfelderkirche, beide in Wien) wurde er als Freskant herangezogen. Ein bekannter Freskenzyklus Kupelwiesers ist auch im Gebäude der Niederösterreichischen Landesregierung zu bewundern, der die Geschichte des Landes mit dem der herrschenden Familien der Babenberger und Habsburger verbindet (1848–50). Zu erinnern ist hier auch noch an die Malerfamilie Alt, Vater Jakob (1789–1872) und die Söhne Franz (1821–1914) sowie Rudolf (1812–1905). Der berühmteste wurde der letztere, dessen Aquarellkunst als unübertroffen galt. Von ihren weiten Reisen zeugen zahlreiche Landschaftsbilder von
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Franz, aber auch von Rudolf. – Wir könnten diese Aufzählung nach länger fortsetzen und auch auf die Landeshauptstädte ausdehnen, denn offenbar war zwischen 1800 und etwa 1840 eine enorme Nachfrage nach Porträts und Genrebildern entstanden – doch wohl eine Folge eines wachsenden Interesses an der eigenen Person und am engeren Familienkreis, andererseits auch die Folge des Wunsches nach Ausschmückung der eigenen vier Wände, auch und gerade in den bürgerlichen Kreisen. 7.5 Die industrielle Revolution 7.5.1 Der Beginn anhaltenden Wachstums
Die Basis für die Anfänge einer Massenproduktion, vor allem von Textilien, wurde zwar schon im 18. Jahrhundert gelegt, aber der Start in eine industrielle Gesellschaft wurde zunächst verfehlt. Dennoch waren einzelne Wachstumsbranchen im späten 18. Jahrhundert nicht zu übersehen. Dazu gehörte vor allem die Erzeugung von Baumwollstoffen, während die traditionsreiche, für den Export so wichtige Leinenproduktion ab etwa 1800 deutlich zurückging. Noch war die Textilproduktion arbeitsteilig organisiert, mit einem bedeutenden Anteil verlegter Heimarbeit. In den Fabriken selbst, wo es noch wenige Maschinen gab, wurde manchmal gewebt, manchmal wurde auch die Weberei ausgelagert. Immer fand die Endfertigung, Appretur, Verpackung und Versand in den zentralen Manufakturgebäuden statt. Die Erfindung des Schnellschützen (in England, 1733) vermehrte die Nachfrage nach verwebbaren Garnen, die Abertausende von Handspinnerinnen (und -spinnern) kaum befriedigen konnten. In gewissen protoindustriellen Verdichtungszonen, wie in Vorarlberg, in Nordböhmen, im niederösterreichischen Waldviertel oder in der Gegend südlich von Wien stellte sich daher die Frage, ob und wann man jene in England bereits üblichen neuen Spinnmaschinen (Hargreaves »Jenny«, 1764, Arkwrights »Water«-Maschine oder Cromptons »Mule«, 1774) einsetzen sollte, die genau diese Garn-Lücke schnell zu schließen versprachen. Während in Vorarlberg zunächst das Interesse von Schweizer Unternehmern das Spinnen und Sticken in der Landbevölkerung verbreitete, war es in Niederösterreich offenkundig die Nähe von Wien, die sich überaus günstig auf die Ausbreitung von neuartigen Unternehmungen auswirkte. Hier stand auch die Antriebskraft für die ersten mit Maschinen arbeitenden Fabriken, das Wasser, in ausreichender Menge zur Verfügung. Nicht zufällig entstand daher in Pottendorf, in der Nähe von Wiener Neustadt, 1801 die erste große Baumwoll-Spinnfabrik Österreichs, der schon 1802 vier weitere in derselben Region folgten. Die Maschinen für die Pottendorfer Spinnerei kamen aus England. Auch der Betriebsleiter des Unternehmens, John Thornton, kam von dort. Das Kapital streckte ein Konsortium vor, die »privilegierte Garnmanufaktur-Gesellschaft«,
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hinter der die Wiener Commerzial-, Leih- und Wechselbank, die erste Kommerzbank Österreichs, stand. Neben einigen Hochadeligen (Esterházy, Colloredo-Mansfeld) bestand die Gruppe aus Großhändlern (Thaddäus Berger) und Manufaktur-Großunternehmern ( Johann Julier von Badenthal). 1811 beschäftigte die Pottendorfer Spinnerei bereits 1.800 Menschen. Im niederösterreichischen Industrieviertel wurde die Baumwollspinnerei der größte Industriezweig. In 38 größeren Fabriken wurden im Vormärz fast 8.000 Arbeiter beschäftigt. Soweit diese Arbeiter nicht in der Nähe der Fabriken Wohnung finden konnten, musste man für sie bei den Fabriken Wohnraum schaffen. Eine neue Form des Arbeiterwohnens entstand. Je größer die zentralisierte Produktion wurde, desto weniger entsprach die traditionelle Siedlung aus Kleinhäusern (Keuschen) den Interessen der Unternehmer. Auch Probleme der Kontrollierbarkeit mögen dazugekommen sein. Jedenfalls wurde jetzt die Arbeiterkaserne des Industriezeitalters entwickelt. So wichtig diese neue Betriebsform für die Textilwirtschaft war, als endgültigen Durchbruch zur Industrialisierung kann man sie noch nicht betrachten. Denn mit den finanziellen Schwierigkeiten von 1811 und mit dem Ausbruch der allgemeinen Krise 1814 stockte diese Entwicklung wieder. Viele Betriebe stellten ihre Produktion ein. Erst ab etwa 1825 begann ein neuer Konjunkturaufschwung. Nun wurde erstmals in etwas breiterem Maß das Wasser als Antriebskraft durch die Dampfmaschine abgelöst – mit der Dampfmaschine aber begann jener Nachfrageschub, der nun immer weitere Bereiche erfasste und neben der Textilindustrie auch die Eisen- und Stahlindustrie sowie den Maschinenbau revolutionierte. Die Eisengewinnung und -verarbeitung hatte ja in den Alpenländern, besonders in Steiermark, Kärnten und Krain, dann aber auch in Ober- und Niederösterreich eine lange Tradition. Aber in der Technologie gerieten die österreichischen Länder deutlich ins Hintertreffen. Das Hauptproblem lag im Fehlen ausreichender Vorkommen von Steinkohle. Die bisher und auch weiterhin dominierende Verwendung von Holzkohle führte schon im 18. Jahrhundert zu Engpässen, die eine weitere Expansion von Eisenhütten und Stahlwerken kaum zuließen, denn um die reichen Waldbestände im näheren und weiteren Einzugsbereich der Donau wuchs eine starke Konkurrenz – die Brennholz-Nachfrage der rasch wachsenden Großstadt Wien. Der Anteil des früher so berühmten steirischen Eisens an der europäischen Eisenproduktion sank ständig. Der Übergang von den alten Stucköfen zu den moderneren Floß- und Hochöfen ging in Kärnten viel schneller vor sich als am Steirischen Erzberg. Das aus dem Hochofen kommende Roheisen musste freilich in komplizierten Verfahren gefrischt werden. Sie wurden im 19. Jahrhundert zunächst durch das in England 1787 erfundene Puddling-Verfahren abgelöst, das in der Habsburgermonarchie zuerst in Witkowitz – heute ein Stadtteil von Mährisch-Ostrau – in dem vom Olmützer Erzbischof Erzherzog Rudolf 1829 gegründeten Eisenwerk angewendet wurde. Witkowitz wurde 1843 an
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das Bankhaus S. M. von Rothschild verkauft. Es wurde zu einem der größten Eisenund Stahlwerke der Habsburgermonarchie, wo von der Verhüttung bis zur Produktion von Schienen und Dampfmaschinen alle Produktionsvorgänge vereinigt waren. Eine ähnliche Kette von der Urproduktion bis zur fertigen Ware vereinigten die fürstlich Salm’schen Werke zu Raitz und Blansko in Mähren, wobei hier aber der Eisenguß im Vordergrund stand. Man hat hier später, um 1880, die bekannten Denkmäler J osephs II. hergestellt. Die in Mähren hergestellte Menge von Roh- bzw. Gusseisen hatte sich zwischen etwa 1795 und 1844 mehr als verzehnfacht. Auch in Böhmen florierte die Eisenindustrie, vor allem im Berauner und Pilsener Kreis. Das Wachstum war zwar ebenfalls bedeutend, aber nicht so extrem dynamisch wie in Mähren-Schlesien. Die größten Mengen an Eisen kamen immer noch aus der Steiermark, wo der Erzberg mit seinen unerschöpflichen Vorräten in Vordernberg und Innerberg (Eisenerz) nicht nur den Betrieb zahlreicher Radwerke ermöglichte, sondern im Anschluss daran zwei Eisenregionen, eine in der oberen Steiermark (Mur- und Mürztal), eine in der ober- und niederösterreichischen »Eisenwurzen«, mit Arbeit versorgte. Das Zentrum der letzteren lag in Steyr. Die Eisenhändler von Steyr waren mit der Urproduktion und den Zwischenschritten (Hammerwerke) über die »Innerberger Hauptgewerkschaft« verbunden. Bis 1782 stand dieser Konzern unter strenger Staatsaufsicht, wurde nun aber plötzlich in die völlige unternehmerische Freiheit entlassen, womit man allerdings wenig anzufangen wusste. Um 1798 kaufte eine »Kanal- und Bergbaugesellschaft« die meisten Anteile, löste sich jedoch bald auf. Daraufhin wurde die Hauptgewerkschaft 1805 verstaatlicht. Die Vordernberger Radmeisterkommunität bestand hingegen aus selbstständigen Unternehmern. 1822 erwarb Erzherzog Johann ein Radwerk und wurde so Radmeister zu Vordernberg. 1829 schlossen sich 12 Radmeister für den gemeinsamen Erzabbau am Erzberg zusammen. Erwähnenswert ist auch das Gußwerk bei Mariazell, wo ab 1820 Kanonen gegossen wurden. – Auch in Kärnten und Krain wurde mehr an Roheisen produziert als in Böhmen oder Mähren. Wachstum und Freude an technischen Innovationen waren zunächst in Kärnten sogar stärker als in der Steiermark. Am Kärntner Erzberg (Hüttenberg) arbeitete man schon mit modernen Hochöfen, von denen einer in Lölling um 1840 bereits doppelt so produktiv war wie um 1800 deren zwei. In Lippitzbach wurde 1793 von Max Thaddäus Graf Egger auch das erste Walzwerk Mitteleuropas gegründet. Hier arbeiteten um 1840 auch bereits zwei Puddelöfen (allerdings mit Holzfeuerung). 1826 kauften die aus England stammenden Brüder Rosthorn eine Reihe von Grundherrschaften und Montanwerken im Lavant- und Mießtal, wo sie in Frantschach und Prävali (Prevalje) seit 1836 die Puddlingfrischerei betrieben. Hier wurden große Mengen an Eisenbahnschienen erzeugt. In Krain galt das 1794/95 gegründete fürstlich Auerspergsche Eisenwerk zu Hof (Dvor) als eines der wichtigsten. Zur Überwindung einer schweren Krise wurde Ignaz Ritter von Pantz aus Blansko angeworben. Durch ihn entwickelte sich Hof zu einer
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angesehen Gußfabrik. In Oberkrain galten die Valentin Ruard’schen Werke zu Sava nach einigen Problemen um 1840 als die größten Eisenwerke in Krain. Die Freiherren von Zois betrieben Eisenwerke zu Jauerburg ( Javornik) und Feistritz in der Wochein (Bohinjska Bistrica). Die wichtigsten Exportprodukte der damaligen österreichischen Eisenindustrie waren nach wie vor Sensen und Sicheln. Sie wurden nach Osteuropa – vor allem nach Polen und Russland – aber auch nach Deutschland und Frankreich und selbst nach Nordamerika exportiert. 1841 arbeiteten 125 Sensenwerke in Österreich, die meisten davon in Oberösterreich (Micheldorf ), gefolgt von Steiermark und Niederösterreich. Sie stellten damals 3,7 Millionen Sensen und 800.000 Sicheln bzw. Strohmesser her. Seit 1825 wurden Dampfmaschinen auch im Inland erzeugt, 1826 wurde die erste Dampfmaschine in Niederösterreich in Betrieb genommen, 1828 waren 15 in Betrieb. Seit 1837 übertraf die Zahl der aus dem Inland stammenden Dampfmaschinen die Zahl der (überwiegend aus England, Belgien und Preußen) importierten. 1841 waren allein in Niederösterreich 56 installiert, von denen bereits 37 aus dem Inland stammten. 1838 baute der schottische Ingenieur John Haswell die Maschinenfabrik der Österreichischen Staatseisenbahngesellschaft auf. Als »österreichischer Krupp« galt Georg Sigl, der in Wien eine Maschinen- und Lokomotivfabrik gründete. 1861 übernahm er die 1842 in Wiener Neustadt gegründete Lokomotivfabrik, die seit 1845 Wenzel Günther geleitet hatte. Im berühmten Wettbewerb um eine gebirgstaugliche Lokomotive für die Semmeringbahn belegte die Firma 1851 den zweiten Platz. Die Zahl der Mechaniker und Optiker in Wien wuchs von 38 im Jahre 1828 auf 135 im Jahre 1847 – ein Indiz für die rasch wachsende Bedeutung eines typischen Wirtschaftszweiges der industriellen Revolution. 1837 wurden erst 8.900 Zentner gewalzter Eisenbahnschienen im Inland erzeugt, 1843 waren es 171.000 Zentner. Neue Produkte und Verfahrensweisen werden eingeführt, so wurde 1837 eine Stearinfabrik in Liesing bei Wien (heute Wien XXIII.) gegründet. Jetzt setzte auch die Donaudampfschifffahrt ein. Nach ersten Probefahrten 1817 und 1823 wurde 1829 durch zwei Engländer die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft gegründet. Sie betrieb vor allem den Verkehr donauabwärts, nach Budapest und bis Orsova. Nach Linz konnte man erst 1837 per Dampfschiff gelangen, im selben Jahr, in dem auch von Regensburg bis Linz eine regelmäßige Dampfschiffverbindung aufgenommen wurde. Wieder im selben Jahr 1837 fuhr auch die erste Dampfeisenbahn von Floridsdorf nach Deutsch-Wagram, das war der erste Abschnitt der Nordbahn, die Wien mit Krakau verbinden sollte. Neue Walzwerke entstanden, in der Textilindustrie setzte eine neue Gründungswelle ein. Die industrielle Stoffdruckerei mit Hilfe der Perotine breitete sich aus, sehr stark in einer Reihe von Vororten Wiens. Das erhöhte auch die Nachfrage nach verschiedenen Farben und gab damit der chemischen Industrie wichtige Impulse. Die Staatsdruckerei, Nachfolgeeinrichtung des Trattnerschen
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Druckerei- und Verlagsimperiums, wurde 1841 mit neuen Maschinen ausgestattet und beschäftigte um 1850 schon 1.000 Menschen. Die Wiener Gewerbeausstellungen von 1835, 1839 und 1845 machten eine bereits überaus vielfältige neue Produktpalette bekannt ; darüber hinaus sind sie Indiz für das Vorhandensein eines entsprechend kaufkräftigen Publikums. Schon nahm die Einfuhr von Lebensmitteln aus Ungarn zu – Ausdruck wachsender überregionaler Marktverflechtung innerhalb der Habsburgermonarchie. Man wird daher in der Annahme nicht sehr in die Irre gehen, dass – nach den wichtigen Ansätzen des späten 18. und der ersten Jahre des 19. Jahrhunderts – zwischen 1825 und 1835 die Industrielle Revolution in Österreich einsetzte. Wenn man dabei Wien und Niederösterreich in den Vordergrund stellt, darf nicht übersehen werden, dass gleichzeitig das größte und reichste Land der (späteren) diesseitigen Reichshälfte, das Königreich Böhmen, zum wichtigsten Industrieland wurde. Hier bildete sich, neben einer florierenden Eisenindustrie, die Zuckerindustrie auf der Basis von Rübenzucker heraus, und in Nordböhmen, im Raum von Reichenberg (Liberec), entstand ein in einer langen Tradition zünftischer Tuchmacherei begründetes Zentrum der Textilindustrie. Mindestens ebenso bedeutend war die Tuchfabrikation von Brünn (Brno) in Mähren, wo schon um 1800 eine große Zahl von Tuchfabriken bestand, von denen allerdings im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts viele wieder ihren Betrieb einstellten. Der Wiederaufstieg der Brünner Tuchfabrikation ist mit den Gebrüdern Schoeller verbunden, die aus Düren bei Aachen hierher übersiedelt waren, um ihr oberitalienisches Absatzgebiet halten zu können. Man hatte auf dem Aachener Kongress 1818 Kontakt mit Metternich aufgenommen. 1824 wurde in der Schoeller-Fabrik eine Dampfmaschine installiert, seit 1827 hatte die Fabrik eine Gasbeleuchtung. Aber noch überwog die verbreitete handwerkliche Tuchproduktion die industrielle bei weitem. 7.5.2 Das neue Unternehmertum
Schon im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wuchsen die »bourgeoisen« Gruppierungen stark an. Sie bestanden aus Großhändlern und Privatbankiers, aus privilegierten Fabriksinhabern und Manufakturisten, aus Spediteuren und Spezialhändlern, vereinzelt auch aus zünftigen oder unzünftigen Gewerbetreibenden, die sich gegenüber ihren konservativeren Kollegen zu größeren Unternehmern oder sogar Verlegern entwickeln konnten. Die Zahl solcher unternehmerischer Individuen war insgesamt nicht sehr groß, sie nahm aber zwischen etwa 1770/80 und 1848 deutlich zu. Diese unternehmerischen Gruppen waren noch lange nicht einheitlich – weder in materieller noch in kultureller Hinsicht. Die Spitzengruppe dieses Unternehmertums, meist in mehreren wirtschaftlichen Bereichen tätige Großhändler und Privatbankiers, die häufig auch an den neuen Industrien beteiligt waren, konnte große Reichtümer an-
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häufen. Sie gehörten zu den Mäzenen Mozarts und Beethovens und versammelten in ihren Salons Diplomaten, Dichter und Musiker sowie Mitglieder des Hochadels. Dagegen hatten im Betrieb mitarbeitende Manufakturinhaber oder (auch wohlhabende) Gewerbsinhaber und Handwerker viel geringere materielle Möglichkeiten und auch andere kulturelle Ansprüche. Keiner von ihnen taucht im berühmten Salon der Fanny von Arnstein oder selbst im wesentlich bescheideneren der Karoline Pichler auf. Noch nach 1848 war von diesen Unterscheidungen einiges zu spüren, etwa wenn der Großvater des Schriftstellers Emil Ertl, ein wohlhabender Seidenfabrikant vom Wiener Schottenfeld, es ablehnte, die neue Hofoper zu besuchen – das gehörte sich (auch noch um 1870) nicht für dieses wenn auch recht wohlhabende Vorstadtbürgertum. Um 1790 existierte ein gemeinsamer Begriff für die neuen unternehmerischen Gruppen noch nicht. Jene nach heutigem Verständnis »bürgerlichen« Gruppen galten um 1800 und bis um 1840 eigentlich noch nicht als »Bürger«, weil dieser Begriff bis 1848 noch eindeutig mit dem Begriffsinhalt »Stadtbewohner mit Bürgerrecht« verbunden war. Im Vormärz begann man damit, diese neuen gesellschaftlichen Gruppierungen unter dem Begriff »Mittelstand« zusammenzufassen. So bezeichnete Eduard von Bauernfeld 1841 »Professoren, Gelehrte, Künstler, Fabrikanten, Handelsleute, Ökonomen, Beamte und Geistliche« als Angehörige des »Mittelstandes«. Erst nach dem endgültigen Aus für die alte Sozialverfassung 1848 wurde der Bürgerbegriff umfassender verwendet, es scheint, als ob nun der Begriff des »Bürgers«, »Besitz und Bildung« zusammenfassend, an die Stelle des »Mittelstandes« getreten wäre. Woher kamen die »neuen« Unternehmer in sozialer und geographischer Hinsicht ? Unter 500 für die Zeit von etwa 1770 bis 1810 untersuchten Angehörigen dieser »Bourgeoisie« (davon 240 Manufakturisten und Verleger, 163 Großhändler und Bankiers sowie 97 »multipotente« Unternehmer) scheint die Herkunft aus dem Handel zu dominieren. Kaufleute und Großhändler waren größtenteils bereits in die Fußstapfen (meist) des Vaters getreten. Bei den »reinen« Manufakturunternehmern, von denen man viel weniger weiß, sind aber viele aus dem zünftigen oder freien Handwerk aufgestiegen, durch Fleiß und Sparsamkeit, vielleicht auch durch den »Verlag« von Berufsgenossen. Auf jeden Fall herrschte die Herkunft aus einem dem Wirtschaftsleben verbundenen Milieu bei Weitem vor. Nur selten waren die Unternehmerväter Beamte oder auch Angestellte gewesen. Nach ihrer regionalen Herkunft stammten die meisten Wiener Unternehmer aus der Habsburgermonarchie (etwa 140 von 242 bekannten Fällen), die Mehrzahl davon aus Wien selbst. Die zweitgrößte Gruppe kam aus dem Römisch-deutschen Reich (45), dann folgten Schweizer (21), Italiener (14, wobei die meisten von ihnen wohl aus habsburgischen Gebieten kamen), Franzosen und Engländer (je sechs). Die Schweizer stellten die wichtigsten Bankiers (Fries, Geymüller, Steiner), aber auch Textilunternehmer ; Franzosen kamen als Seidenproduzenten und Großhändler, Engländer wie Rosthorn, Haswell, Hickmann und Thornton bereicher-
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ten die Textil- und Metall- bzw. Maschinenindustrie. Die meisten der aus Deutschland stammenden Unternehmer kamen aus Süd- und Südwestdeutschland und aus den mit Österreich und den Habsburgern seit Jahrhunderten eng verbundenen Reichsstädten wie Augsburg, Nürnberg und Frankfurt ; sie fungierten primär als »Niederleger« (privilegierte Großhändler alten Stils), Großhändler und Bankiers. Sehr viel weniger Unternehmer stammten aus dem Norden, darunter immerhin fünf aus Hamburg, die sich um neue Produktionen wie etwa die Samterzeugung verdient machten. Jedenfalls kamen fast alle Zuwanderer aus Städten – das neue Wirtschaftsbürgertum steht vielfach in genealogischer und ökonomischer Kontinuität zum »alten« Stadtbürgertum. Es entwickelt sich aus ihm heraus. Die Einheimischen scheinen das bereits dichte Mittelfeld der Betriebe besetzt zu haben, das hinter der Spitzengruppe der aus dem Ausland stammenden »Prominenz« offenbar in rascher Entwicklung stand. Dieses Zeugnis für das Wiener Unternehmertum wird bestätigt und unterstrichen, wenn man andere Regionen zum Vergleich heranzieht, etwa Vorarlberg oder Oberösterreich. Überall tritt zwischen etwa 1800 und 1840 ein neuer, einheimischer Unternehmertyp auf, oft angeregt durch das Vorbild von ausländischen Unternehmern, die eine Vorreiterrolle gespielt hatten. Das war insbesondere in Vorarlberg der Fall. In der stark ländlich geprägten Gesellschaft Vorarlbergs kamen die ersten Anstöße zur industriellen Entwicklung von Händlern und Fabrikanten aus der Schweiz bzw. Süddeutschland. Allmählich entstand eine eigene Unternehmerschaft aus relativ kapitalkräftigen halbbürgerlichen Gruppierungen, die Landwirtschaft mit Handel, Wirtsgewerben oder Verlag verbanden. Nach dem religiösen Bekenntnis waren von den genannten 500 Wiener Unternehmern 83 Evangelische und 40 Juden. Von den letzteren konvertierten 16 zum Katholizismus. Allerdings war der Anteil von Protestanten und Juden gerade in der Spitzengruppe der Unternehmer unverhältnismäßig groß. Katholiken waren mehrheitlich kleine Manufakturisten. Im Hinblick auf Innovationen und Kapitalkraft war das nichtkatholische Unternehmertum von besonderer Bedeutung. Das war der Regierung auch bekannt. Unter den privilegierten Unternehmern hatten sich auch schon vor Joseph II. zahlreiche Protestanten befunden. Gerade das Verbot, einer Zunft anzugehören, zwang protestantische Unternehmer zu einer innovativen Wirtschaftsweise. Wir finden sie in der Baumwollwarenproduktion, in der Seidenzeug- und Bandproduktion, in der Fabrikation leonischer Waren (falsche Gold- und
Silberdrähte und alles, was man daraus herstellte, Gespinste, Borten, Schnüre usw.), in der chemischen Industrie, im Verlagswesen. Juden waren bis 1782 höchstens
als Teilhaber bei industriellen Unternehmungen geduldet, sie waren eben Hoffaktoren gewesen und daher für die sonstige Wirtschaft nicht so wichtig. Kommerzielle Kenntnisse und Energien der nichtkatholischen Gruppen sollten in verstärktem Maße der inländischen Industrie dienstbar gemacht werden. Sowohl das Toleranzpatent Josephs II.
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für die akatholischen Christen 1781 als auch jenes für die Juden (1782) waren stark von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt. Allerdings wurden erhebliche Unterschiede zwischen Protestanten und Juden gemacht. Während die beiden evangelischen Konfessionen eigene Gemeinden gründen durften, blieb dies den Juden in Wien verwehrt. Der Erwerb von Grund und Boden war ihnen in Wien und in den eigentlichen österreichischen Ländern (nicht in Böhmen und Ungarn !) nach wie vor verboten. Dennoch sind auch jüdische Unternehmer jetzt etwas vermehrt in die Produktion eingestiegen (etwa die Arnsteiner und Eskeles), ohne dass diese bereits gegenüber den Geldgeschäften überwogen hätte. Auch in der Phase der eigentlichen Industriellen Revolution war die Bedeutung von Zuwanderern für die Rekrutierung der Bourgeoisie groß, vor allem für die Spitzenpositionen. Neben den im Zusammenhang mit der Finanzierung der Kriege gegen Napoleon nach Wien gekommenen Rothschild ist etwa auf mehrere Angehörige der Familie Schoeller zu verweisen, die – wie schon oben erwähnt – ab 1819 wichtige Positionen im österreichischen Wirtschaftsleben einnahmen. Im heutigen Österreich rief Alexander Schoeller gemeinsam mit dem ebenfalls aus Deutschland zugewanderten Hermann Krupp (einem Bruder des bekanten Alfred Krupp) die Metallwerke in Berndorf (Niederösterreich) ins Leben, oder gemeinsam mit dem deutschen Stahlfachmann Johann Heinrich Bleckmann ein Edelstahlwerk in Ternitz (Niederösterreich). Im Vormärz waren aber auch schon »amerikanische« Aufstiege möglich. Aus der Position eines liechtensteinischen Herrschaftsgärtners stieg Albert Klein, später nobilitiert mit dem Adelsprädikat »von Wisenberg«, zu einem der größten Bauunternehmer und -Industriellen auf ; die Firma Brüder Klein baute in den 1840er Jahren die wichtigsten Eisenbahnlinien der Monarchie. Ihr Chef wurde zum Mitbegründer der größten Eisenwerke der Habsburgermonarchie in Kladno/Böhmen. Das Unternehmerbürgertum bildete nun auch eine stärkere genealogische Konstanz heraus. Familienkontinuität seit dem 18. Jahrhundert zeigen nur wenige österreichische Unternehmerfamilien (etwa die Leitenberger, deren Zentrum das böhmische Kosmanos war), obgleich die Tendenz zur familialen Vernetzung innerhalb der unternehmerischen Gruppen auch damals schon deutlich ausgeprägt war. Seit dem Vormärz bildeten sich aber große Unternehmerdynastien heraus (wie die Schoeller, die aus Schottland stammenden Skene, die Klein-Wisenberg, die Miller-Aichholz usw.). Die familiale Vernetzung erreichte nunmehr über die eigentlich unternehmerischen Gruppen hinaus andere, bildungsbürgerliche und in den Spitzengruppen auch adelige Familien. Das Bürgertum als neue Klasse von »Besitz und Bildung« entsteht. Ein Beispiel dafür bilden die Nachkommen von Heinrich von Pereira (1774–1835) und Henriette Freiin von Arnstein (1780–1859), die übrigens eine Tochter der berühmten aus Berlin stammenden Saloniere Fanny von Arnstein war. Da die Arnsteiner im Mannesstamm
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ausstarben, erbten die Kinder aus dieser Ehe Wappen, Namen und Vermögen beider Familien. Flora heiratete 1836 Moritz Graf Fries (aus der Schweizer Bankiersfamilie), August von Pereira-Arnstein (1811–1847) heiratete eine Gräfin Varkony. Der ältere Sohn aus dieser Ehe heiratete eine Gräfin Széchenyi, der zweite, Viktor, Victoire Gräfin Fries, die ihrerseits der aus der Schweiz gekommenen Bankiersfamilie Fries entstammte, in die schon Flora von Pereira-Arnstein eingeheiratet hatte. Werfen wir einen kurzen Blick voraus, bis ins 20. Jahrhundert : Ein Sohn aus dieser Ehe, Adolf v. PereiraArnstein, hatte einen Sohn Ignatius, der Kitty von Böhler heiratete (die Böhler waren aus Deutschland zugewandert und Inhaber eines bedeutenden Edelstahlunternehmens in Kapfenberg). Eine Schwester des Ignatius, Maria, heiratete 1949 Gregor Zacherl aus einer Wiener Industriellenfamilie, die ihrerseits aus Bayern stammte und nicht nur durch das »Zacherlin«, ein Insektenpulver aus Chrysanthemenblüten für die Industrie bekannt wurde, sondern auch durch das von dem damals noch jungen slowenischen Architekten Josef Plečnik 1905 erbaute »Zacherlhaus« in der Wiener Innenstadt für die Architekturgeschichte einige Bedeutung erlangte. Auch die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Kunst wurden enger. Arrivierte Unternehmer ließen sich von den beliebten Malern des Biedermeier porträtieren, so der Großindustrielle Rudolf von Arthaber mit seinen Kindern von Friedrich Amerling (1837). Arthabers Villa in Döbling gelangte übrigens später in den Besitz der Familie Wertheimstein, die mit den Rothschilds verbunden war. Diese Villa war der Ort des wohl letzten bedeutenden literarischen Salons Wiens, jenes der Josephine von Wertheimstein (1820–1894) und ihrer Tochter Franziska (1844–1907). Hier war Eduard von Bauernfeld oft zu Gast, später Ferdinand von Saar und noch der junge Hugo von Hofmannsthal. – Andere Unternehmersöhne wurden selber Maler. Josef Danhauser haben wir schon erwähnt. Auch Leopold Kupelwieser stammte aus einer Unternehmerfamilie, sein Vater war Inhaber eines Hammerwerks in Niederösterreich. Kupelwiesers Söhne Paul und Karl sollten übrigens wieder eine bedeutende Rolle in Wirtschaft und Wissenschaft sowie als Mäzene spielen. 7.5.3 Die Arbeiterschaft
Die größten und wichtigsten Manufakturen des 18. Jahrhunderts befanden sich (mit Ausnahme der Linzer Wollzeugfabrik) außerhalb der Städte. Wien hatte zwar viele »Fabriken« in den Vorstädten, aber wenige ausgesprochene Großbetriebe. Solche fanden sich allenfalls in der Porzellanerzeugung, wo die Wiener Manufaktur um 1800 etwa 500 Arbeiter beschäftigte, in der Buchdruckerei, wo Johann Thomas Trattner um 1780 schon 200 Setzer und Drucker angestellt hatte (welche Zahl später wieder fiel),
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im späteren Vormärz schließlich in der Stoffdruckerei mit Betrieben zwischen 150 und 500 Arbeitern. Eher kleinbetrieblich arbeiteten die wichtigen Branchen der Uhrmacher, Sattler und Wagenfabrikanten, Maschinisten und Mechaniker. Hier herrschten noch handwerkliche Verhältnisse. Der wichtigste Zweig der Manufakturperiode in Wien wurde die Seidenindustrie. Der »Hausherr und Seidenfabrikant« wurde nicht zufällig im Wienerlied zum Symbol des wohlhabenden Bürgers. Die Konzentration der Seidenverarbeitung in Wien war zunächst die Folge der hier ebenfalls versammelten Nachfrage. Zweitens : Die hohen Ansprüche dieser Käuferschicht an die Güte und Originalität der Produkte stellten hohe Anforderungen an die Qualität der Arbeitskräfte. Solche hochqualifizierten Arbeitskräfte ließen sich leichter nach Wien ziehen als in entlegene Dörfer. Außerdem widerstand die Seidenverarbeitung wegen der Feinheit des Gewebes und der Vielfalt der verlangten Muster den Tendenzen in Richtung maschineller Massenfertigung. Man konnte daher erst viel später als etwa in der Baumwollspinnerei die Wasserkraft als Antriebsenergie nützen. Als die Französische Revolution die Lyoner Seidenerzeugung lahmlegte, brach die große Zeit der Wiener Seidenfabrikation an. Nun entstanden Betriebe mit bis zu 200 Beschäftigten. Noch am Ausgang dieser Konjunkturperiode (1813) sollen sich in Wien um die 600 Seidenzeugfabrikanten befunden haben, die bei guter Auftragslage über 6.000 Gesellen, 800 bis 900 Lehrlinge und 7.000 bis 8.000 Arbeiterinnen beschäftigten. Nach diesen Zahlen arbeitete etwa jeder fünfte Wiener Berufstätige in der Seidenindustrie. Überwiegend handelte es sich dabei um Heimarbeit. Der Unternehmer musste wenig oder nichts in Fabriksgebäude investieren. Man brauchte den Gesellen bloß einen Webstuhl in die Wohnung zu stellen. Der Nachteil lag in der geringeren Kontrollierbarkeit der Qualität. Daher versuchten größere Unternehmer wieder, die Produktion in einem oder in wenigen Häusern zu konzentrieren. Für die Arbeiterschaft hingegen war der hohe Anteil von (vorwiegend verlegter) Frauenarbeit günstig. Er erleichterte Hausstandsgründungen. Daher kam es in Wien während der Hochblüte des Manufakturwesens zu einer starken Ausbreitung von Arbeiterfamilien. Die Zahl der Trauungen in Wien stieg von 7,3 auf 1000 Einwohner im Jahr für die Zeitspanne 1754–1760 auf 10,7 (1781–1791) und sogar 12,1 (1811–1820). Danach sank diese Trauungsziffer wieder. Der Anteil der Verheirateten an der Gesamtbevölkerung lag 1780–1798 bei 34–35 %. Bis 1856 sank er wieder auf knappe 27 %. Zwischen 1780 und 1830 war nicht nur die große Zeit der Wiener (Seiden-)Manufaktur, es war auch die Zeit der Hochblüte des Volkstheaters und einer öffentlichen Geselligkeit, die keineswegs nur von den Oberschichten in Anspruch genommen werden konnte. Wenn auch das Bild von den österreichischen bzw. Wiener »Phäaken« oft unzulässig überstrapaziert wurde, war doch der Lebensstandard auch der arbeitenden Bevölkerung zu jener Zeit deutlich höher als in vergleichbaren anderen Städten. Sicher
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aber ging es den Unterschichten damals besser als später. Die zweite Hälfte des Vormärz zeigt bereits einen Rückgang einiger Wohlstandsindikatoren wie Trauungsziffer und Verheiratetenindex. Auch die Löhne stagnierten. Wien trat nun, ab etwa 1830, in die Phase der Industriellen Revolution ein. Das bedeutete in der Großstadt zunächst einmal den Verfall der Manufakturproduktion und eine langsame, krisenhafte Umstellung. Solange die neue, mit Maschinen arbeitende Industrie mit der Antriebskraft Wasser arbeitete, lag Wien dafür ungünstig. Die großen Fabriken entstanden daher außerhalb der Stadt. Schon 1816 erfolgte auch ein erster Abwanderungsversuch der Seidenindustrie : Der Fabrikant Christian Georg Hornbostel errichtete nach der Erfindung von »selbstwebenden Maschinenstühlen« einen neuen Betrieb außerhalb von Wien. Der Teppichproduzent Philipp Haas verlegte 1840 seine Produktion ebenfalls aufs Land. Der Verfall der Seidenindustrie und anderer traditionell städtischer Textilerzeugungen begann, und mit ihm der Verfall der traditionellen Manufakturproduktion in Wien. Dafür zeichnete sich gegen Ende des Vormärz eine neue Leitindustrie des städtischen Raumes ab – der Maschinenbau. Ausgehend von den hochqualifizierten Uhrmachern, Werkzeug- und Instrumentenbauern des Manufakturzeitalters entwickelte sich ein neuer Industriezweig, der durch den Übergang zu mechanischen Webstühlen und ähnlichen Geräten wichtige Anregungen empfing und schließlich vor allem durch den Eisenbahnbau bedeutsam wurde. Das Gesamtbild bestimmte diese Produktion jedoch noch lange nicht. Eigentümlicherweise trat in Wien jetzt das Handwerk stark hervor, vor allem die Bekleidungsgewerbe sowie die Holz- und Metallverarbeitung. Viele dieser Handwerker wurden rasch von Verlegern abhängig. Die handwerkliche Organisation der Produktion begünstigte ältere, hausrechtliche Arbeitsverhältnisse : Das Wohnen beim Meister wurde für Gesellen wieder zu einer dominierenden Lebensform, was zugleich das Haupthindernis für eine eigene Hausstandsgründung bedeutete. Die große Rolle der Schneider, Schuster, Pfeidler und anderer Bekleidungsgewerbe hängt mit dem raschen Wachstum der Stadt zusammen – und diese gewerbliche Handarbeit ließ sich noch nicht durch Maschinen ersetzen. Diese Veränderung traf genau zusammen mit immer neuen Wellen von Arbeitsuchenden, die durch die »Agrarisierung« des Landes in die Stadt gespült wurden. Diese »Agrarisierung« war in erster Linie eine Folge des Überganges vom verlegten Spinnen und Weben zur Produktion in großen Textilfabriken. »Aus einer Nebenbeschäftigung der Landbewohner entstand (…) durch die Maschinen eine moderne Fabriksindustrie mit einem zahlreichen Betriebspersonal in eigenen Fabriksgebäuden.« (Slokar) Die dadurch arbeitslos gewordenen Kleinhäusler und Inleute auf dem Land konnten nun entweder als Knechte, Mägde oder Taglöhner in der Landwirtschaft Arbeit suchen ; oder sie versuchten, als Dienstboten oder in der Handwerkslehre, als städtische Taglöhner, Kleinverkäufer oder Arbeiter unterzukommen. Der krisenhafte Abstieg der
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älteren Manufakturproduktion zusammen mit dieser Ausweitung der Zahl der Beschäftigungssuchenden, ungenügender Wohnungsbau und steigende Mieten bei stagnierenden Löhnen – das ist der Hintergrund der Märztage des Jahres 1848, soweit es die Lage der Unterschichten betrifft. Zuerst entstand die moderne Fabrikarbeiterschaft auf dem Land, nicht in der Stadt : Die Volkszählung von 1857 wies für Wien etwa 24.000 Fabrikanten und Gewerbsleute aus und knapp 28.000 Hilfsarbeiter beim Gewerbe, für das übrige Niederösterreich aber fast 34.000 Unternehmer, jedoch 73.000 Arbeiter. Das Verhältnis entspricht für Wien der Dominanz kleinbetrieblicher Arbeitsorganisation, für das übrige Niederösterreich deutet es das Vorhandensein großbetrieblicher Formen zumindest an. Häufig arbeitete die ganze Familie in der Fabrik : Der Vater als (manchmal) qualifizierter Arbeiter, Frauen und Kinder als Hilfskräfte. Frauen hatten in Spinnfabriken gerissene Fäden zu knüpfen, Kinder mussten unter den Maschinen herumkriechen, Abfälle beseitigen und Reinigungsarbeiten durchführen. Allerdings ist mit diesen Zahlen die in Gewerbe und Industrie arbeitende Bevölkerung nur unvollkommen erfasst. Besonders im städtischen Bereich kennzeichnet eine starke Fluktuation die Arbeitsverhältnisse. Bei Absatzstockungen, wie sie ab 1814, nach 1830 und seit 1844 verstärkt auftraten, wurden Arbeiter sofort entlassen und die nicht im Arbeitsort zuständigen in ihre – meist ländlichen und notleidenden – Heimatorte abgeschoben. Bei verstärkter Nachfrage arbeitete man zusätzlich in der Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen. Diese fast ruckartigen Veränderungen der Beschäftigungsverhältnisse, wie sie aus den Polizeiberichten des Vormärz erkennbar werden, erschweren die Berechnung des tatsächlichen Anteils an gewerblichen und industriellen Arbeitern aller Art. Arbeitsuchende, verarmte Leute strömten in immer größerer Zahl nach Wien. 1831 soll es in Wien etwa 40.000 Arbeiter gegeben haben, wovon aber nur 11.000 gemeldet waren und nur 7.000 beschäftigt (meist bei öffentlichen Bauten). 1837 werden 27.000 Hilfsarbeiter bei 23.000 Gewerben und 160 Fabriken angegeben. 1840 soll aber die Zahl der Arbeiter schon 58.600 betragen haben, bei 25.000 Gewerben und 200 Fabriken. Jährlich sollen in diesen besonders in den böhmischen Ländern überaus schlechten Jahren etwa 20.000 Menschen nach Wien zugezogen sein – in erster Linie in die billigeren Vororte außerhalb der »Linie« (an den Linienämtern wurde die Verzehrungssteuer eingehoben, eine allgemeine Umsatzsteuer für die »reichen« Städte). Immer häufiger wurden die Orte vor der Linie zu Industriestandorten. Für 1846 wurde die Zahl der Arbeiter auf 100.000 bis 130.000 geschätzt. Starke saisonale Schwankungen waren dabei ebenso bemerkbar wie konjunkturelle : »Das Zuströmen der Arbeiter beginnt mit dem Frühjahre, wo die Bauten und viele Sommerarbeiten in Angriff genommen werden. Die Zahl verringert sich gegen Anfang des Winters.
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Von März bis November beträgt die Zahl der Arbeiter regelmäßig um ein Viertheil der Winteranzahl mehr. Es gibt also kein Mittel, um die Zahl der Arbeiter genau kennen zu lernen. Eine Menge Arbeiten sind der Art, daß weder von der Behörde eine Bewilligung, noch von Arbeitgebern hierüber ein Ausweis gefordert werden kann. Viele Arbeiter, und besonders gilt dies von Arbeiterinnen, wohnen bei ihren Eltern, da sie unverheiratet sind ; sie sind daher nirgends als solche eingetragen.« (Fröhlich, Die gefährlichen Classen Wiens, S. 29 f )
7.6 Das »Erwachen der Nationen« 7.6.1 Ständische Opposition und erwachender Nationalismus
Als Folge der Aufklärung kam es im 18. Jahrhundert zu einer Neuinterpretation der Stände. Ursprünglich feudale Ratgeberkollegien, die durch Nähe zum Fürsten und gewisse Autonomierechte gekennzeichnet waren, wurden sie zunehmend als Repräsentationsorgane verschiedener sozialer Klassen angesehen. Hintergrund dieses Auffassungswandels war die zumindest in Westeuropa weit fortgeschrittene Einbeziehung breiter Bevölkerungsgruppen unter direkte königliche Herrschaft. Damit wurde aus der Vertretung der königlichen Städte eine Vertretung des städtischen Bürgertums schlechthin. Nach diesen neuen Auffassungen »vertrat« also die Adelskurie (bzw. die beiden Kurien der Herren und Ritter) den Großgrundbesitz bzw. die Landwirtschaft, die Prälatenkurie die Geistlichkeit und die Städtekurie das Bürgertum. Unter Kaiser Franz existierten die Stände der einzelnen habsburgischen Länder weiterhin, durften aber nur zu Huldigungs- und so genannten Postulatenlandtagen – bei denen sie die Steuerforderungen des Staates anzuhören und ohne Diskussion zu bewilligen hatten – zusammentreten. Echte Mitwirkungsrechte waren ihnen verwehrt, was die Stände mehrerer Länder aber nicht daran hinderte, Fragen wie eine mögliche Grundentlastung wenigstens informell zu diskutieren. Die Stände galten als die politisch berechtigte »Nation«. Diese altertümliche Identität von Nation und Ständen war jedoch im frühen 19. Jahrhundert nur mehr bei den Polen und Ungarn lebendig. Ansonsten erhielt der Nationsbegriff gerade zu dieser Zeit neben der politischen eine starke emotionale Färbung. Die Freisetzung aus sozialen und lokalen Bindungen, die der Reformabsolutismus ebenso bewirkte wie die sozialen Veränderungen durch Industrialisierung und Urbanisierung, schuf ein neues Bedürfnis nach überregionaler Integration. Kurz gesagt, entstand auf der Basis sprachlicher Gemeinsamkeit eine neue Gemeinschaftsform, die moderne Sprach-Nation. Das war in Wirklichkeit aber ein langwieriger und komplizierter Prozess. In einem mehrsprachigen Staatswesen, wie es das Kaisertum Österreich nun einmal war, stieg der Bedarf an Beamten, die mehrere Sprachen beherrschten. Die Intensivierung der Staatstätigkeit
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durch neue Behörden (Kreisämter !) konnte nicht nur in einer Sprache erfolgen. Auch wenn von den Landesstellen aufwärts nur das Deutsche Verwendung fand, so musste man doch in Ländern mit einer dominant nichtdeutschen Bevölkerung mit den Menschen in deren Sprache verkehren. Das bedeutete aber eine intensivere Auseinandersetzung mit den nichtdeutschen Sprachen, deren Ausdrucksfähigkeit gestärkt und deren Grammatik und Syntax vereinheitlicht werden mussten. Die gebildeten Träger dieser Entwicklung ebenso wie ihre in der Regel adeligen und großbürgerlichen Förderer nannten sich »Patrioten«. Dieser Patriotismus bezog sich zunächst auf das jeweilige Kronland (Königreich, Herzogtum o. ä.). Wenn sich aber der Landespatriotismus immer stärker auf eine der in den Ländern gesprochenen Sprachen bezog und mit dieser einen Sprache verbunden wurde, dann wurde aus Landespatrioten etwas Neues, nämlich Vertreter eines Sprachnationalismus. Dass sich diese immer noch »Patrioten« nannten, verschleiert das Neue, das hier entstand. Alle diese Bewegungen waren und sind Gegenstand intensiver Forschungen und zahlreicher Darstellungen der jeweiligen nationalen Geschichtsschreibung. Wenn wir diese frühen nationalen Bewegungen dennoch in einer »österreichischen Geschichte« erwähnen, dann deshalb, weil man in Wien, im Zentrum des Staates, alle nationalen Bewegungen genau beobachtete. Jeder Anspruch auf nationale Emanzipation, was logischerweise Selbstherrschaft bedeutet, führte früher oder später zur Ablehnung dieser Ansprüche durch die anderssprachigen Gruppen im jeweiligen Land. In Wien war man sich dessen bewusst, was unter anderem die Ablehnung der Zensur gegenüber Grillparzers »König Ottokar« zeigt. Man hat in Wien erkannt, dass die Intensivierung der nationalen Bestrebungen notwendig zu Konflikten führen musste – denn in der Habsburgermonarchie gab es mit Ausnahme des lombardo-venetianischen Königreiches, ferner von Vorarlberg, Salzburg, Tirol und Oberösterreich keine einsprachigen Länder. 7.6.2 Die Tschechen
Böhmen und seine Nebenländer Mähren und Österreichisch-Schlesien lagen im neuen theresianisch-josephinischen Staat. Die sprachlich einheitliche Staatsbildung schien bei einer ständig weitergehenden Zurückdrängung des Tschechischen seit Maria Theresia fast schon problemlos. Die endgültige bürokratische Vereinigung der böhmischen und österreichischen Länder in der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei hatte der traditionellen Sonderstellung jener Länder de facto ein Ende bereitet. Das Tschechische galt nur mehr als Haussprache bzw. als Sprache der Bauern und Dorf- oder Vorstadthandwerker. Wer als Angehöriger eines bürgerlichen Berufes ein höheres Sozialprestige genießen wollte, sprach Deutsch.
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Aber diese Bauern- und Unterschichtensprache wurde letztlich gerade durch die josephinischen Verordnungen neuerlich belebt. Wenn der Staat bis ins letzte Bauerndorf mit seinen Gesetzen und Erlässen verstanden werden wollte, dann war das durch die Übersetzung dieser Erlässe und ihre Erläuterung in der Sprache der Bauern leichter möglich als umgekehrt durch die Erziehung aller Bauern zur deutschen Sprache der Zentralbürokratie. Man musste also der Bevölkerung Lesen und Schreiben beibringen, dafür Lehrer ausbilden, für die Lehrerausbildung Lehrbücher und Lexika schaffen, für die Zwecke der Verwaltung die Bauernsprache ausdrucksvoller und geschmeidiger machen. Bücher und Zeitungen brachten aufklärerisches Gedankengut bald bis in die Bauerndörfer. Kommerzielle Verleger widmeten sich diesen Aufgaben ebenso wie diverse halboffizielle Organisationen, beispielsweise die »patriotisch-ökonomische Gesellschaft« Böhmens zur Pflege der Landwirtschaft. 1786 erschien der »Volkslehrer« in beiden Landessprachen, 1791 gab der Verleger Wenzel Mathias Kramerius (1753–1808) die erste Zeitschrift ausschließlich in tschechischer Sprache, die »Vlanstenské Noviny«, heraus. Diese Intensivierung der Beschäftigung mit der tschechischen Sprache traf mit zwei weiteren Strömungen zusammen. Eine davon war die adelig-ständische Opposition gegen den Wiener Zentralismus. Obgleich die adeligen Herren Böhmens in der Regel kaum mehr Tschechisch verstanden, gefiel es ihnen, durch den Gebrauch und die Förderung der alten Landessprache ihre eigenen Wünsche nach mehr Autonomie und mehr Mitbestimmungsrechten zu unterstreichen. Als Leopold II. anlässlich seiner Krönung in Prag weilte, wurden die Huldigungsadressen der Stände extra ins Tschechische übersetzt. Die Übersetzung besorgte der Seminarprofessor Josef Dobrovský (1753–1829), einer der Begründer der wissenschaftlichen Slawistik. Die zweite der oben angedeuteten Strömungen war mit dem Wirken Herders verbunden. Johann Gottfried Herder hatte in seinen »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« ein berühmtes, wenngleich kurzes Kapitel gerade über die slawischen Völker Europas (IV. Abschnitt des 16. Buches) geschrieben. Dieses Zusammentreffen von aufgeklärt-absolutistischen Verwaltungserfordernissen, ständischem Oppositionsdenken und Landesbewusstsein sowie herderisch-romantischer Geschichtsdeutung leitete die erste Phase der Nationsbildung bei den sog. »kleinen Völkern« Ostmittel- und Osteuropas ein. Leopold II. bewilligte 1791 eine Lehrkanzel der tschechischen Sprache an der Prager Universität, die Franz Martin Pelzel/Pelcl erhielt, der bereits die Tschechen als die eigentlichen Böhmen bezeichnete. Er schrieb eine Geschichte Böhmens und Schriften zur tschechischen Sprache, versuchte auch die Herausgabe der Schriften des Jesuiten Bohuslav Balbin aus dem Jahre 1669/70. Pelzel war Erzieher der Söhne des Oberstburggrafen Franz Anton Nostitz. Hier bildete sich ein Kreis von Adeligen und Gelehrten, die ihr Interesse an der vater-
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ländischen Geschichte mit dem an der tschechischen Sprache verbanden. Tschechische Theaterstücke wurden aufgeführt. Eine neue tschechische Literatur entstand. Nach 1805 erschien das erste, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten angelegte »Vollständige Wörterbuch der böhmischen, deutschen und lateinischen Sprache«. Im Vormärz, etwa seit 1820, wurde diese erste Phase des »gelehrten Interesses« in eine zweite übergeleitet, in die Phase der nationalen Agitation durch kleine Eliten. Während Josef Dobrovský seine so bedeutenden bohemistischen Studien und Publikationen mit einem auch die zweite Landessprache – Deutsch – respektierenden Landespatriotismus verband, erwuchsen in der nächsten Generation bereits radikalere Vertreter einer immer ausschließlicher tschechischen Interpretation des böhmischen Bewusstseins. Ideologischer Ausgangspunkt der Gleichsetzung von »böhmisch« und »tschechisch« war die begriffliche Gleichsetzung des Landes mit »seiner« Sprache im Tschechischen : česky bedeutet ebenso »tschechisch« wie »böhmisch«. Die wahren Böhmen konnten daher nur die tschechisch-sprachigen Landesbewohner sein. Der wichtigste Vertreter der neuen Schule war Josef Jungmann (1773–1847). Er erneuerte die tschechische Schriftsprache über die Herausgabe des fünfbändigen böhmisch-deutschen Wörterbuches einerseits durch den Rückgriff auf das Tschechische der Reformationszeit, andererseits durch sinnvolle Neologismen und Entlehnungen aus anderen slawischen Sprachen. Dieser Sprachvariante verschaffte er Erfolg und Anerkennung durch Übersetzungen (Milton, Chateaubriand, Goethe) ebenso wie durch eigene Dichtungen, auch durch seine große tschechische Literaturgeschichte. Jungmann entwickelte bereits panslawistische Vorstellungen. Diese konnten an populäre Erfahrungen aus den napoleonischen Kriegen anknüpfen, in denen häufig russische Soldaten in den böhmischen Ländern stationiert waren und viele Leute erstaunt erkannten, dass man sich mit diesen Russen – wenn auch mit einiger Mühe – ganz gut verständigen konnte. Solche Erfahrungen standen hinter einem zunächst noch schlichten Panslawismus, der sich bei Jungmann allerdings schon zum politischen Programm entwickelte. Darin wurde er gestärkt durch zwei berühmte Slowaken, Pavel Jozef Šafárik (1795–1861) und Ján Kollár (1793–1852). Beide hatten als evangelische Theologen in Jena studiert – das war erlaubt – und waren dort in Kontakt mit dem jungen deutschen Nationalismus getreten, Kollár hatte auch am Wartburgfest teilgenommen. Beide stammten aus Familien, deren Vorfahren aus Böhmen nach Ungarn gekommen waren. Die Kirchensprache der slowakischen Reformierten war die tschechische Bibelsprache des 16. Jahrhunderts. Eine Zukunft der slowakischen Nation konnten sie sich nur in Verbindung mit den Tschechen vorstellen. Was sie in Jena als romantischen Pangermanismus kennengelernt hatten, übertrugen sie in einen romantischen Panslawismus. Dieser manifestierte sich in Šafáriks »Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach alten Mundarten« (Ofen 1826) ebenso wie in Kollárs berühmtem slawischen Epos »Slávy dcera« (Die Tochter der Slava). Für die panslawistische Orientierung be-
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sonders wichtig wurde seine kleine Schrift über die »Die literarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation« (1837), 1842 folgte eine slawische Ethnographie. Beide Bücher berauschten die nächsten Generationen von begeisterten Forschern und Propagatoren der slawischen Sprachen. Für diese Phase, die mit 1848 ihren Abschluss fand, war, trotz anhaltender ständischadeliger Protektion, ihr bürgerlicher Charakter entscheidend. Die Verbindung von ständischer Förderung und national fühlendem und agitierendem Bürgertum verkörperte sich am eindrucksvollsten in der Person František Palackýs (1798–1876), des Historiographen der böhmischen Stände, der zum Historiographen des tschechischen Volkes wurde. Den Übergang von der Phase des gelehrten Interesses zu jener der nationalen Agitation durch intellektuelle Minderheiten markierten zweifellos auch jene berühmt-berüchtigten »Handschriftenfunde« Václav Hankas, die so sehr einem massiven Bedürfnis entsprangen, dass die Erklärung Dobrovskýs, es müsse sich um eine Fälschung handeln, einfach übersehen wurde. Selbstverständlich glaubte auch Palacký an den Inhalt der Fälschungen, der genau den Herder’schen Idealen entsprach. Die erwachende Nation brauchte eben einen Mythos, und den lieferten die Fälschungen. Später formulierte allerdings Palacký den tschechischen Hussitenmythos, der dann die führende Ideologie der tschechischen Bewegung bis ins 20. Jahrhundert werden sollte. Palacký ging aber auch schon so weit, dass er die Geschichte Böhmens als Geschichte eines ständigen Kampfes zwischen den friedlichen, einheimischen Tschechen und den stets gewaltsam eindringenden Deutschen interpretierte. Dagegen verblasste im späten Vormärz die panslawistische Begeisterung. Der Journalist und Schriftsteller Karel Havlíček-Borovský (1821–1856) war von 1842–1845 in Russland und seine dortigen Erfahrungen hatten ihn von panslawistischen Phantasien befreit. Nach Prag zurückgekehrt, wandte er sich der radikalen Demokratie zu, was nach der Revolution (1851) zu seiner Verbannung nach Brixen führte. An dieser zweiten Phase der Nationsbildung wirkte bereits ein neuer sozialer Organisationstypus mit, das bürgerliche Vereinswesen. Dieses Vereinswesen hing zunächst eng mit dem Landesmuseum zusammen. 1818 wurde das Böhmische Landesmuseum von den Ständen Böhmens gegründet, als Ausdruck adelig-ständischen, böhmischen Selbstbewusstseins. Es wurde eine wichtige Institution für die weitere Entfaltung des tschechischen Nationalbewusstseins. Seit 1827 wurde die Museumszeitschrift in einer deutschen und einer tschechischen Ausgabe herausgegeben – die erstere stagnierte rasch (ein Hinweis auf die Abnahme des Landesbewusstseins alten Stils bei den Deutschen in Böhmen), die zweite brachte es ebenso rasch zu erheblicher Bedeutung. 1831 wurde, vom Museumsausschuss her, die »matice česka« gegründet, ein Verein zur Förderung guter Publizistik, des Weiteren aber überhaupt jeder Art von tschechischer Literatur und Wissenschaft. Sie funktionierte als eine Art Buchgemeinschaft und bot zugleich
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das Vorbild für die später so zahlreich entstehenden Lesevereine. Büchereien und Laientheater, die in der Folge in dieselbe Richtung wirkten, rundeten diese sprachlichen Bemühungen nun schon auf erheblich breiterer Basis ab : 1848 hatte die matice immerhin schon 3.500 Mitglieder, die zumeist als »bürgerlich« einzustufen waren. Aber noch blieben die Bauern draußen, noch waren viele städtisch-bürgerliche Menschen national unentschieden, denn noch sprach man, auch in den angesprochenen Gruppen, bei gewissen Gelegenheiten ausschließlich Deutsch ; das nationale Bewusstsein war noch keineswegs stabil. Besonders in Mähren begegneten länger »national« unentschiedene Personen, in Böhmen hingegen gab es um 1848 solche kaum mehr. Für die Verbreitung und Stabilisierung des Nationalbewusstseins wurde die rasche Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft in Böhmen bedeutsam. Schon im Vormärz wurde Böhmen zum wichtigsten Industrieland der Monarchie. Diese Modernisierungsbewegung erfasste auch breite Schichten kleinerer tschechischer Gewerbetreibender ; andererseits waren für diese Schichten Fortbildungseinrichtungen zu schaffen. Sie entstanden im Schoße eines weiteren für die Nationsbildung wichtigen Vereins, des »Vereins für die Ermunterung des Gewerbsgeistes in Böhmen«, 1833 noch (und zum letzten Male) unter adelig-ständischer Führung in ganz patriarchalischem Geiste konstituiert. Der Verein engagierte sich zunehmend in Fragen der Aus- und Fortbildung, also des Gewerbeschulwesens. Dass hier in der Umgangssprache, also primär in Tschechisch, gelehrt wurde, ist verständlich. Die tschechische Intelligenz nützte diese Chance, um ihre eigenen nationalen Bestrebungen dem aufstrebenden Kleinbürgertum zu vermitteln. Soziale Emanzipation und nationale Emanzipation gingen ineinander über. 7.6.3 Die Polen
Erste Ansätze zu einer Ausweitung der polnischen »Gesellschaft« über die adeligen Kreise hinaus gab es während der Reformzeit zwischen der ersten und zweiten Teilung Polens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das war den Teilungsmächten so unheimlich, dass sie die Aufteilung des Landes umso schneller durchführten, je reformistischer man sich in Polen gab. Das fernere Geschehen, die Auslöschung Polens 1795 und das napoleonische Herzogtum Warschau, Kongreßpolen, der Freistaat Krakau usw., sind hier nicht darzustellen. Für die Entwicklung der polnischen Sprache spielte Józef Maksymiljan Ossoliński, Graf von Tenczyn (1748–1826), eine hervorragende Rolle. Früh begann er mit der Sammlung polnischer Texte. Metternich beförderte ihn 1809 zum Präfekten der Wiener Hofbibliothek, wo er Vorgesetzter unter anderem von Bartholomäus Kopitar wurde. Ossoliński förderte Samuel Gottlob Linde, der zuerst in Breslau, dann in Wien an seinem Wörterbuch der polnischen Sprache
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arbeitete und dieses 1814 abschloss. 1817 erhielt er die kaiserliche Erlaubnis zur Gründung eines kulturell orientierten Nationalinstitutes in Lemberg (Lwów, L’viv), das auf der Basis seiner Sammlung allerdings erst 1827 ins Leben trat (»Ossolineum«). Die Förderung der polnischen kulturellen Renaissance durch einen eigenen Lehrstuhl für die polnische Sprache an der Universität Lemberg war ein weiterer polenfreundlicher Akt der Wiener Regierung. Als sich aber im polnischen Aufstand von 1830 das Ossolineum zum Zentrum der antirussischen Konspiration wandelte, wurde es gesperrt, der Direktor ins Gefängnis geworfen. Die Polen waren nach der Niederschlagung des Aufstandes die stürmisch bedauerten Helden aller Nationalliberalen Europas. 1845 wurden zwei polnische Verschwörer verhaftet und zum Tod verurteilt (allerdings bald wieder begnadigt), die später in der österreichischen Politik noch eine wichtige Rolle spielen sollten : Franciszek Smolka war 1848/49 Präsident des österreichischen Reichstages und viel später auch des Wiener Abgeordnetenhauses (nach 1881), Florian Ziemałkowski war von 1873–1881 kaiserlicher Minister. Im Zusammenhang mit den Unruhen in Krakau organisierten polnische Patrioten 1846 auch einen Aufstand im österreichischen Polen, in Galizien. Dieser wurde aber von einem Bauernaufstand gegen die Adeligen beantwortet. Die aufgeregten (polnischen !) Bauern ermordeten zahlreiche polnische Grundherren, was die österreichische Herrschaft stabilisierte. Nun wurde Krakau Österreich zugeschlagen. Die Abneigung der galizischen Bauern, gleich ob polnischer oder ruthenischer Sprache, gegen die polnische »Nation« der Adeligen war dabei überdeutlich zu Tage getreten. Auch die polnisch sprechenden Bauern befürchteten, dass eine Wiedererrichtung des Königreiches Polen nur die Erneuerung ihrer Leibeigenschaft und den Verlust der österreichischen Bauernschutzmaßnahmen bedeuten würde. Eine Identifikation der polnischen Bauern mit der polnischen Nation trat auch 1848 nirgends zutage. Die polnische Nation blieb bis in die 1860er Jahre ausschließlich eine Sache des Adels. 7.6.4 Die Italiener
Ein selbstverständliches nationales Bewusstsein war schon im ganzen 19. Jahrhundert den Italienern der Monarchie zu Eigen. Mit einem (historisch) älteren Bürgertum als alle anderen entstehenden Nationen des Habsburgerreiches ausgestattet, mit einer eigenen Aristokratie, selbstverständlich mit kräftigen kulturellen Traditionen waren die Italiener folgerichtig die erste Nation, der das patriarchalische Gewand des alten Österreich zu eng wurde. Aber Kaiser Franz wollte keinerlei Autonomie gewähren, die 17 Provinzialkongregationen erhielten kaum Kompetenzen, der lombardo-venetianische Hofkanzler trat nach kurzer Zeit aus Protest zurück, denn alles wurde in Wien entschieden. Sogar die Bischöfe kamen aus Österreich, wie der neue Patriarch von
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Venedig, der bekannte Dichter (und vorher Abt von Lilienfeld) Ladislaus Pyrker. Damit verprellte man auch die frommen Katholiken, die doch normalerweise als Loyalitätsreserve galten. Aber auch das Bildungsbürgertum, in dem die Advokaten eine große Rolle spielten, verlor man rasch, indem man die Hauptrolle landfremden Beamten übergab. Dem selbstbewussten und aufstrebenden Bürgertum dieser Region erschien das habsburgische Regiment außerdem auch ökonomisch zweckwidrig – patriarchalische Gängelung wirkte sich in der ökonomisch bei Weitem am höchsten entwickelten Provinz der Monarchie eben keineswegs positiv aus. Dabei hatte sich Kaiser Franz, dessen Muttersprache ja Italienisch war, sehr dafür eingesetzt, dass die von den Franzosen entwendeten Kunstwerke wieder nach Mailand und Venedig (Pferde von San Marco) kamen. Die Versuche, die italienische Dichtkunst in einer »Biblioteca Italiana« zu versammeln, an der zunächst auch Silvio Pellico und Giacomo Leopardi mitarbeiteten, scheiterten bald an der österreichischen Zensur, was auch die Gemäßigten in das Lager der Unabhängigkeitskämpfer trieb. Nach den Kongressen von Troppau und Laibach setzten Verhaftungswellen ein, die in Haftstrafen und 19 Todesurteilen wegen Hochverrat endeten. Die Todesurteile wurden in Festungshaft umgewandelt. Der Spielberg in Brünn wurde durch seine italienischen Dichter-Häftlinge ebenso berühmt wie berüchtigt (Silvio Pellico, Le mie prigioni, 1832). Zwischen 1830 und 1832 wurden aber alle wieder begnadigt. Die seither erschienen Publikationen über die Haftzeiten zeichneten ein in ganz Europa wirksames Bild der österreichischen Unterdrückung. Die politische Repression wurde von einem kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung begleitet : 60 Prozent der Manufakturen des Kaiserstaates befanden sich in Oberitalien. Venedig konnte im österreichischen Kaiserstaat wieder an seine alte Rolle (zum Nachteil von Triest !) anknüpfen, 1846 erhielt die Stadt mit der Eisenbahnbrücke den Anschluss an das Eisenbahnnetz. Die Lombardei, schon früher hoch entwickelt, wurde zum höchst industrialisierten Land der Monarchie, Mailand zur zweitgrößten Stadt nach Wien. Kulturell war Oberitalien trotz der Wiener Zensur höchst lebendig : In der Lombardei erschien die Hälfte aller in Italien verlegten Bücher. An der Mailänder Scala wirkten Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti und der junge Giuseppe Verdi. 1842 wurde hier »Nabucco« uraufgeführt, mit dem seither als Klassiker in der ganzen Welt verbreiteten Gefangenenchor (Va, pensiero). 1831 gründete Giuseppe Mazzini den Geheimbund des »Jungen Italien« (La giovine Italia), der ausgerechnet von Mailand aus seine Umsturzpläne umzusetzen trachtete. Mazzinis nationalistische Religion machte das »Volk« selbst zum Gegenstand göttlicher Verehrung. Sein Radikalnationalismus beflügelte zahlreiche junge Menschen. Für ein zukünftiges Zusammenleben verschiedener Nationen enthielten Mazzinis Visionen keine praktischen Perspektiven.
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Die ständisch-adelige Tradition war auch für die Nationsbildung der Kroaten von großer Wichtigkeit. Dies in zweifacher Hinsicht : Einmal stellte das Vorhandensein eines relativ großen mittleren und kleineren Adels ein nicht unerhebliches soziales Substrat für nationale Bestrebungen dar. Und zum zweiten bot die Tradition des Königreiches Kroatien die wichtigste ideologische Begründung für die nationalen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts. Die Tradition der staatsrechtlichen Selbstständigkeit konnte mit der kulturpolitischen Figur des »Illyrismus« als Ausdruck der kulturellen Selbstständigkeit der Südslawen (und insbesondere der Kroaten) zusammenfließen und somit ihre Identifikationskraft erheblich verstärken. Seit der Vereinigung mit Ungarn (1102) war Kroatien kein selbstständiger politischer Faktor. In der Neuzeit konnten die Kroaten gegen das Herrschaftsstreben der ungarischen Führungsschichten die Beziehungen zu den habsburgischen Erblanden ausspielen, die vor allem durch die Verbindung der Militärgrenze mit den drei innerösterreichischen Herzogtümern ziemlich eng waren. Die Grenze selbst blieb bis zu ihrer Auflösung (1869–1884) stets dem Hofkriegsrat in Graz bzw. später dem Kriegsministerium in Wien unterstellt. Die kroatische Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts fand ihre wichtigste gesellschaftliche Trägergruppe im niederen Adel gerade zu dem Zeitpunkt, als jener Adel – verarmt und verschuldet – in zunehmendem Maße Beamtenstellen anzustreben begann, die er bei wachsender Betonung des magyarischen Charakters ganz Ungarns (auch Kroatiens) seitens der Magyaren nicht bekam. Die ungarischen Ansprüche beschleunigten die Nationsbildung der Kroaten im sprachnationalen Sinne : 1825 protestierten die Kroaten gegen die magyarischen Ansprüche. Und als der ungarische Reichstag die ungarische Sprache zur offiziellen Staatssprache erklärte, beschloss der kroatische Landtag am 20. Oktober 1847, dass die nationale Sprache in Kroatien zur öffentlichen proklamiert wurde. Kulturell verband sich die kroatische Bewegung mit dem »Illyrismus«. Zwar hatte das antike Illyrien auch schon früher in gelehrten Kombinationen als eine Art Vorbild für eine künftige Vereinigung der Südslawen gedient. Die napoleonischen »illyrischen Provinzen« Frankreichs mochten solche Phantasien neuerdings beflügeln. In scharfer Wendung gegen den neuen magyarischen Nationalismus hatte schon Graf Janko Drašković ein neues »Illyrien« verlangt, das aus Kroatien-Slawonien, Dalmatien, der Militärgrenze und Bosnien bestehen sollte. Ljudevit Gaj (1809–1872), dessen bleibendes Verdienst die Schaffung einer für die katholischen Südslawen praktikablen Variante der lateinischen Schrift (gajica) war, wurde zum begeisterten dichterischen Verkünder dieses Illyrien, das immer gigantischere Ausmaße annahm :
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»Die Lyra Europas heißt Illyrien mit ihren drei äußersten Punkten Skutari, Varna und Villach. Die gelockerten Saiten auf dieser Lyra bedeuten : Kärnten, Görz, Istrien, Krain, die Steiermark, Kroatien, Slavonien, Dalmatien, Ragusa, Bosnien, Montenegro, die Hercegovina, Serbien, Bulgarien und Südungarn (…)«.
Dieses Programm war extrem weit gespannt. Aber der Kaiser und Metternich ließen Gaj gewähren – mochten die Kroaten damit die Ungarn ein wenig ärgern ! Zwischen 1830 und 1843 stand die illyrische Bewegung sozusagen unter der Protektion Wiens, eine kroatische Dichtung (Ivan Mazuranić, Petar Preradović) erblühte, eine »matica ilirska« wurde nach tschechischem Vorbild gegründet, eine Ackerbaugesellschaft plädierte für agrarökonomischen Fortschritt. Als Gajs Aktivitäten schließlich auch ins türkische Bosnien hinüberzielten, wurden sie dem Wiener Hof zu bedenklich. 1843 wurde die illyrische Bewegung verboten. Die nationale Integration der Kroaten blieb bis ins späte 19. Jahrhundert unvollständig. Ein einheitliches politisches Territorium fehlte. Der gesellschaftliche Modernisierungsprozess war vielfach erst in den Anfängen. Die Bauern und die Arbeiterschaft standen der nationalen Bewegung lange fern. 7.6.6 Die Serben
Sieht man von den Serben der erst 1878 okkupierten bosnischen Gebiete sowie von jenen Dalmatiens ab, so bewohnten serbische Gruppen hauptsächlich gewisse Gegenden Südungarns (die Vojvodina), Slawoniens und der Militärgrenze. Hierher waren sie auf der Flucht vor den Türken gekommen, einzeln oder in kleinen Gruppen, oder aber in Form großer Übertritte, wie jenem von 1690, als etwa 30.000 serbische Flüchtlinge unter Führung des Patriarchen Arsen Černojević nach Südungarn kamen. Sie erhielten Privilegien, die ihnen ein gewisses Maß an religiöser und verwaltungsmäßiger Autonomie sicherten. Von Wien aus besann man sich der Serben übrigens immer dann, wenn es darum ging, die widerspenstigen Ungarn ein wenig in die Zange zu nehmen – so unter Leopold II. 1792 und wieder 1848–1850. Diese Serben der Vojvodina spielten eine hervorragende Rolle bei der Entwicklung der serbischen Kultur. Schon 1791 war in Karlowitz (Sremski Karlovci) ein serbisches Gymnasium gegründet worden, dem 1810 ein weiteres in Neusatz (Novi Sad) folgte. Hier, im »serbischen Athen«, erschien 1825 eine erste serbische Zeitschrift. Ein besonders wichtiges Zentrum der serbischen »Erneuerung« wurde jedoch Wien. Hierher flüchtete Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864) nach seiner Teilnahme am serbischen Aufstand. In Wien lebten schon andere Serben, vor allem aber der Slowene Jernej Kopitar, der als führender Slawist der Wiener Hofbibliothek die Schaltzentrale für
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zahlreiche Kontakte zwischen den an den Slawen und am Balkan interessierten Persönlichkeiten in Westeuropa und den jungen Dichtern und Sprachschöpfern im Osten und Südosten bildete. Karadžić schuf 1814 eine Grammatik des Serbischen und veröffentlichte einige Jahre später ein umfangreiches serbisch-lateinisches Wörterbuch. Gleichzeitig sammelte er serbische Volkslieder und wurde dadurch zum Schöpfer des nationalen Heldenmythos der Serben. Als der berühmte preußische Historiker Leopold von Ranke sein Buch über den serbischen Aufstand plante, besuchte er Karadžić in Wien, der ihm zur wichtigsten Informationsquelle für dieses Buch wurde. 1826 wurde die matica srpska in Pest gegründet. Immerhin lebten damals in der ungarischen Hauptstadt zahlreiche Serben – in Buda gab es eine »Raitzenvorstadt«, also eine Vorstadt der Serben. Erst 1864 wurde die matica nach Novi Sad verlegt. Die Mitgliederzahl der »Matica« wuchs von 200 im Jahr 1864 auf etwa 1400 im Jahre 1880 – Indiz sowohl für das Wachstum der serbisch-nationalen Bestrebungen wie für ihre relative Zurückgebliebenheit im Vergleich etwa mit den Tschechen. Trotz der vergleichsweise geringen Breite der serbischen Intelligenz hatten die Serben seit 1817 gegenüber allen anderen Südslawen einen unverhältnismäßigen Startvorteil für die nationale Konsolidierung – das autonome Fürstentum Serbien mit dem Zentrum Belgrad. Langsam verschob sich auch das kulturelle Zentrum der serbischen Nation von Novi Sad nach Belgrad, wenngleich jene Stadt das ganze 19. Jahrhundert hindurch als »serbisches Athen« und die Vojvodina als »Wiege der serbischen Nation« galt. 1848 entwickelte die serbische Nationalbewegung das Programm einer autonomen serbischen Vojvodina, das von den Ungarn abgelehnt wurde. Von 1850 bis 1860 existierte ein eigenes Verwaltungsgebiet »Serbische Wojwodschaft und Temeser Banat«, freilich bloß als Ausdruck des Versuches, Ungarn im Neoabsolutismus seiner staatlichen Identität zu entkleiden. Mit dem Ende dieser Versuche wurde diese Wojwodschaft wieder Ungarn angegliedert. Obgleich die serbische Gesellschaft Südungarns eine bäuerliche war, dominiert von der Geistlichkeit und lokalen händlerisch-bürgerlichen Gruppierungen, ließ sie offenkundig die Entwicklung eines deutlichen Nationalbewusstseins zu. Der Getreide- und Viehhandel ließ einen gewissen Wohlstand entstehen. 7.6.7 Die Slowenen
Wie immer stand am Beginn der slowenischen Renaissance eine Gruppe von sprachlichhistorisch interessierten Aufklärern, mehr oder weniger in Verbindung mit den Krainer Ständen – der erste slowenische Historiker, der Geschichte nicht mehr als Landes-, sondern als Nationalgeschichte verstand, Anton Thomas Linhart (1756–1795), sei hier
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beispielshalber genannt. Linhart schrieb auch Gedichte und Theaterstücke, so übertrug er Beaumarchais’ »Der tolle Tag« (Mozart-Fans besser bekannt als »Figaros Hochzeit«) in eine slowenische Version (Ta veseli dan ali Matiček se ženi). Er konnte sich seinerseits bereits auf sprachwissenschaftliche Vorarbeiten verlassen, die zunächst der Augustinermönch Markus Pohlin (1735–1801) mit seiner »Crainerischen Grammatik« (1768) geleistet hatte. Ebenfalls ein Geistlicher war Jurij Japelj (1744–1802), der erstmals eine katholische Übersetzung der Bibel in das Slowenische vorlegte. Neben Pohlin ist der Kärntner Jesuit Oswald Gutsmann (1727–1790) zu nennen. Beide sprachen noch vom »Krainischen« bzw. »Windischen«. Die Zusammengehörigkeit dieser Sprachen war noch nicht voll bewusst. Diese Einheit ebenso wie die Vorstellung eines gemeinsamen slowenischen Volkes reifte erst im Umkreis des großen Mäzens Sigismund Freiherr von Zois (1747–1819). Im Hause dieses reichen, weit gereisten und hoch gebildeten Mannes trafen sich Dichter wie Linhart oder Valentin Vodnik (1758–1819). Vodnik gab die ersten Kalender und Zeitungen in slowenischer Sprache heraus. Aus dem ZoisKreis ging schließlich einer der bedeutendsten Slawisten hervor, Bartholomäus ( Jernej) Kopitar (1780–1844). Kopitar veröffentlichte 1809 seine »Grammatik der slavischen Sprache in Krain, Kärnten und Steiermark«, mit der er erstmals die Gemeinsamkeit der verschiedenen slowenischen Dialekte wissenschaftlich begründete. Kopitar war schon 1808 nach Wien gegangen. Der von uns schon genannte Graf Ossoliński holte ihn in die Hofbibliothek. Seine wissenschaftlichen Leistungen fanden international Beachtung. So war Kopitar neben Metternich der einzige österreichische Träger des preußischen Ordens Pour le mérite. Kopitars Stammtisch beim »Weißen Wolf« in der Wiener Innenstadt war das Zentrum eines weitgespannten Beziehungsnetzes, zu dem auch der ebenfalls in Wien ansässige Vuk Stefanović Karadžić gehörte. Wer Interesse an der Welt der Slawen hatte, brauchte nur zu Kopitars Stammtisch zu kommen, hier konnte man Kontakte knüpfen, Manuskripte tauschen bzw. kaufen und kompetente Diskussionen miterleben. Kopitar entwickelte auch ein politisches Programm, das zwar panslawistisch angehaucht war, aber gegen die Orientierung am orthodoxen Russland die Orientierung der katholischen West- und Südslawen an Österreich vorsah – freilich ein Österreich, das der großen Bedeutung seiner slawischen Bewohner Rechnung tragen müsse. Zwischen 1809 und 1813/14 waren Krain, Oberkärnten, das Küstenland und Kroatien südlich der Save französisch und in den »illyrischen Provinzen« zusammengefasst. Sie umfassten ein Gebiet von etwa 55.000 km2 mit ungefähr 1,5 Millionen Einwohnern. Die Franzosen führten ein modernes Steuer- und Verwaltungssystem ein. Dagegen wirkte sich die staatliche Trennung vom österreichischen Hinterland für den Verkehr von und nach Triest sehr negativ aus. Außerdem legte die Kontinentalsperre den Hafen lahm. Die meisten Bewohner dieser Regionen blieben den Franzosen gegenüber skeptisch. Nur wenige Intellektuelle und einige reformfreudige Beamte be-
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grüßten das neue System. Die Amtssprache war Französisch, das Slowenische blieb in seiner bisherigen untergeordeten Funktion. Allerdings kam es in den Grundschulen und in den Untergymnasien zu besserer Geltung. Einige Vertreter der slowenischen Renaissance wie Valentin Vodnik begrüßten das neue Regime. In einem hymnischen Gedicht verherrlichte er Illyrien samt Napoleon. Denn der Begriff »Illyrien« erweckte slawophile Assoziationen, da auch schon bisher das »Illyrische« zusammenfassend als Sprache der Balkanslawen verstanden wurde (das erklärt auch einige der Missverständnisse, die Gajs »Illyrismus« auslösen musste). Napoleon hatte hingegen nur die antike Provinz Illyricum gekannt und daran den Namen seiner neuen Provinzen angeknüpft. Die Diskussionen um das »Illyrische« führten Kopitar und Vodnik schließlich dazu, die Sprecher der slowenischen Dialekte als »Slowenen« (Slovenci) zusammen zu fassen. 1812 wurde übrigens auch in Graz eine Lehrkanzel für slowenische Sprache errichtet, sodass es jetzt zwei (eine auch in Ljubljana) gab, was noch ganz mit aufklärerischen Argumenten begründet wurde. In den 1840er Jahren wurde die Sprachrenaissance mit der Übernahme der Schriftregelung von Ljudevit Gaj (gajica) abgeschlossen. Inzwischen hatte Matija Čop (1797–1835), Professor am Laibacher Lyzeum, die Forderung erhoben, das Slowenische dürfe nicht bloß der einfachen Kommunikation unter wenig gebildeten Leuten dienen. Vielmehr müsse sich auch eine differenzierte Sprache entwickeln, mit der auch komplexe Sachverhalte diskutiert werden könnten. Und schon trat ein großer Dichter auf, nach der Meinung mancher Kenner der genialste Lyriker und Epiker in slowenischer Sprache überhaupt, France Prešeren (1800–1848). Prešeren rief in seinem Trinklied (Zdravljica, 1844) zum Kampf um die nationale Freiheit auf, der anschließend die brüderliche Vereinigung der freien Völker folgen werde. Weniger poetisch, auch weniger politisch gefährlich war das Vorhaben des Tierarztes Janez Bleiweis (1808–1881), der für die Krainische Landwirtschaftsgesellschaft die erste Fachzeitung für die Landwirtschaft herausgab, die Kmetijske in rokodelske novice. Hier erschien 1844 in einer Ode an Kaiser Ferdinand erstmals der Begriff »Slowenien« als Heimat aller Slowenen. 1848 wurde er schon zu einem politischen Kampfbegriff. 7.6.8 Die Slowaken
Die Slowaken konnten weder auf eine historische Staatsidee zurückgreifen, noch besaßen sie ein geschlossenes Siedlungsgebiet. Sie besaßen im 18. Jahrhundert keine Schriftsprache. Es gab zwar einen slowakisch sprechenden (kleinen) Adel, aber der fühlte sich als Teil der »ungarischen Nation« (im alten ständischen Sinne) und wurde mehr und mehr magyarisiert. Immerhin regte sich auch hier ein neues Interesse an der Volkssprache. 1792 wurde eine Gelehrte Gesellschaft gegründet. Von ihren 446 Mitgliedern waren 355 katholische Geistliche. Denn die Volksmissionen des 18. Jahr-
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hunderts, die die mehrheitlich erfolgreiche Rekatholisierung erreichten, mussten die volkstümliche Sprachform verwenden und sie sukzessive literarisieren. Damit vollzog sich ein im Vergleich mit den Evangelischen gegenläufiger Prozess, da diese ab 1780 in der tschechischen Literatursprache die eigentliche Sprache der Slowaken sahen. Am stärksten ausgebildet erscheinen diese slowakisch-nationalen Tendenzen bei Anton Bernolák (1768–1813), katholischer Priester und Lehrer am josephinischen Zentralseminar in Pressburg. Sein Bischof, Alexander Rudnay (1760–1831), Fürstprimas von Ungarn und Bauherr des neuen Domes von Gran, ließ das große Werk Bernoláks, sein Wörterbuch und seine Grammatik (1826 in sechs Foliobänden erschienen) vollenden. Bernolák erklärte in seiner Dissertatio philologico-critica de litteris Slavorum cum adnexa linguae Slavonicae per Regnum Hungaricum (1787) die slowakische Sprache als ganz eigenständig und betonte in seiner Ethymologica vocum Slavicorum (1791), dass das Slowakische die älteste slawische Sprache sei und daher die Aufgabe habe, zwischen allen Angehörigen der slawischen Sprachfamilie zu vermitteln. Die Eigenständigkeit der Slowaken wird also nicht historisch, sondern sprachlich begründet. – Bernolák beeinflusste eine jüngere, 1830/1848 wirkende Generation von Schriftstellern und Sprachgelehrten von protestantisch-lutherischer Herkunft (L’udovít Štúr, Jozef Miloslav Hurban, Michal Miloslav Hodža). Der wachsende magyarische Druck drängt jene katholische Intelligenz in die Richtung einer immer stärkeren Betonung der gesamtslawischen Akzente. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts geht auch die Spracherneuerungsbewegung dieser Richtung in das großslowakische Gemeinschaftsbewusstsein ein. Dieses findet ihren Ausdruck schließlich in der Überwindung der konfessionellen Spaltung. Als gemeinsame Ideologie erweist sich der Panslawismus. Seine Wurzeln liegen in der Erfahrung sprachlicher Gemeinsamkeit mit drei benachbarten slawischen Völkern, aber auch in der Erfahrung einer kleinen Sprachgemeinschaft, die in der ungarischen Reformära (Vormärz) immer stärkerem Druck ausgesetzt erscheint : 1844 beschließt der ungarische Landtag, Lateinisch als Amtssprache durch das Magyarische zu ersetzen, und zwar überall. Die stärkste dichterische Persönlichkeit der jüngeren Generation der tschechoslowakischen Orientierung, Jan Kollár, stammte ebenso wie Pavel Jozef Šafárík aus dem protestantischen Slowakentum (Palacký aus dem Mährens). Sie wirkten später primär im tschechischen Bereich. 1843 konstituierte sich die jungslowakische Richtung, die sich (wie früher Bernolák) zur slowakischen Volkssprache bekannte und die tschechische Orientierung ablehnte. Ihre Führer waren L’udovít Štúr (1815–1850), Jozef Miloslav Hurban (1817–1888) und Michael Miloslaw Hodža (1814–1870). Das von diesen Herren auf der Basis des mittelslowakischen Dialektes kodifizierte Schriftslowakisch bildete die Grundlage der weiteren Sprachentwicklung. 1848 formulierte diese Gruppe erstmals ihr politisches Programm, in dem sie eine gewisse Autonomie für die
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slowakischen Gebiete forderten, auch weiteren Raum für den öffentlichen Gebrauch ihrer Sprache. Diese Forderungen wurden vom revolutionären Ungarn abgelehnt. Daraufhin orientierte sich die Gruppe um Štúr und Hurban stärker an Wien. 7.6.9 Die Rumänen
Sehr kursorisch kann hier die Beschäftigung mit den Rumänen und Ruthenen ausfallen. Die siebenbürgischen Rumänen waren fast ausschließlich ein Bauernvolk, dessen sprachliche Kontinuität hauptsächlich von den beiden Kirchen, der orthodoxen und der unierten, getragen wurde. Aus Geistlichen und einigen anderen Intelligenzberufen rekrutierte sich auch jene schmale Schicht von zwei- bis vierhundert Leuten, die sich die bekannten Ideen der deutschen Aufklärung und Romantik vom Wesen und von den Rechten einer Nation angeeignet hatten. Wie überall, so löste auch hier das Jahr 1848 die Phase des »Gelehrtenpatriotismus« ab, und man schritt zur politischen Agitation. Hatte man zunächst nur die Gleichstellung mit den drei »historischen« Nationen Siebenbürgens (den magyarischen Aristokraten, den Sachsen und den Széklern) verlangt, so forderte eine Versammlung im Februar 1849 schon die Vereinigung aller Rumänen der Monarchie. Wenngleich diese Bestrebungen scheiterten, brachten sie doch eine weitere Verfestigung des Nationalbewusstseins mit sich. Eine Anerkennung als »Nation« bedeuteten die Verfassungsversuche von 1860 und 1861 : Im neu konstituierten siebenbürgischen Landtag erreichten die Rumänen 57 Abgeordnete (neben 54 Magyaren und 43 Sachsen). Freilich ging diese Position mit dem Ausgleich wieder verloren. Der Landtag wurde geschlossen und die Rumänen galten offiziell wieder als Teil der ungarischen Nation. 7.6.10 Die Ruthenen
Noch schwieriger als bei den Rumänen gestaltete sich die Nationsbildung bei den Ruthenen. Erst 1816 erfolgte die Gründung einer Gesellschaft zur Verbreitung von Bildung und Kultur, noch ganz unter dem Einfluss des unierten Episkopats. Entscheidende soziale Gegensätze bestanden zur herrschenden polnischen Aristokratie, die sich in den Massakern an polnischen Grundherren 1846 in grausamer Form entluden. Die ruthenischen Bauern sahen im Kaiser den wichtigsten Garanten dafür, daß die szlachta – der polnische Adel – nicht wieder an die Macht kam. Die Organe des Kaisers, Militär und Bürokratie, galten dem kleinen Bauern als Wundermittel gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit.
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7.7 Ungarn: Konstitutionalismus, Reform und Nationalismus Ganz ähnlich wie bei den Polen ging auch in Ungarn die nationale Erneuerung von der Adelsnation aus. Sie war zwar nicht so groß wie die polnische, betrug aber immer noch regional bis zu 5 und 10 % der Bevölkerung. Die ungarische Adelsnation war ursprünglich sprachlich indifferent – ihr gehörte jeder ungarländische Adelige an, egal welche Sprache er sprach. Das Lateinische als Amtssprache einer solchen »Adelsrepublik« mag diesen Zustand veranschaulichen. Den Umschlag zum Sprachnationalismus bereitete Joseph II. mit vor : Er versuchte, das Deutsche als Amtssprache einzuführen. Wir wissen, dass dies scheiterte. In bewegten Klagen äußerte sich der Unmut über die Gesetzgebung Josephs II. Dabei dürfte es weniger um die Einführung der deutschen Sprache an sich, die ohnehin bei einem großen Teil des magyarischen Adels in Gebrauch war, als vielmehr um das Vordringen deutscher Beamter gegangen sein, welches vor allem dem Kleinadel zahlreiche Berufsmöglichkeiten zu versperren schien. Ein zeitgenössischer Beobachter meinte, die »nationale« Begeisterung von 1790/91 sei weniger von der »Liebe zur nationalen Sprache«›, sondern eher von der Angst um den Verlust der Adelsprivilegien getragen worden. Wie auch immer – im Zuge der Proteste der Komitate gegen die Maßnahmen Josephs II. und gegen den Gebrauch der deutschen Sprache taucht erstmals neben dem Lateinischen und Deutschen auch das Magyarische in offiziellen Schriftstücken auf. Aber die Verteidigung der Adelsrechte hatte auch einen guten materiellen Grund : Die Steuerfreiheit des Adels war vor allem für den keineswegs in glänzenden Verhältnissen lebenden Kleinadel von zentraler Bedeutung. Wie bei den anderen Völkern Ostmittleuropas setzte jetzt auch die Sprachforschung ein. 1799 wies Sámuel Gyarmathi erstmals die Sprachverwandtschaft mit den Finnen nach, 1806 erschien die erste historische Grammatik (Miklós Revai). Ferenc Kazinczy (1759–1831), ein 1801 begnadigter Jakobiner, erhob im Namen dieser Sprachforscher die Forderung nach der Einführung des Magyarischen als Staats- und Unterrichtssprache. Bereits auf dem Landtag von 1805 wurde festgestellt : »Die ungarische Sprache hängt eng mit der Eigenschaft bzw. dem Charakter der Nation zusammen, und dies hält wahrlich die Nation aufrecht …« Schon traten bedeutende Dichter auf, von denen wohl Mihály Vörösmarty (1800– 1855) der wichtigste war. Das berühmte Slawenkapitel Herders hatte bei den Ungarn einen ganz anderen Effekt als bei den benachbarten slawischen Völkern. Herder hatte allerdings konstatiert, dass die Magyaren eine Minderheit inmitten der slawischen Völker seien und dass ihre Sprache höchstwahrscheinlich zum Aussterben verurteilt sei. Gerade diese Prognose hatte die Bemühungen um die magyarische Schriftsprache sehr befördert. Den jungen Intellektuellen und Schriftstellern Ungarns war gemeinsam, dass ihnen Herders Verdikt über die Bedrohtheit der kleinen ungarischen Sprach-
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gruppe im großen slawischen Meer einen tiefen Pessimismus einflößte. Bei Vörösmarty verband sich dieser Pessismus mit einem kämpferischen Trotz, der dem ungarischen Nationalismus auch in der Folge häufig anhaftete. Auch die wichtigste Persönlichkeit im Rahmen dieser kulturellen »Renaissance«, Graf Istvan Széchenyi (1791–1860), war von diesem Pessimismus durchdrungen. Aber man konnte gegen das Verhängnis ankämpfen. Schon Széchenyis Vater, Graf Ferenc, hatte die kulturelle Nationsbildung der Magyaren vorangetrieben, als er seine Bücher- und Handschriftensammlung einer neuen Nationalbibliothek widmete. Sie wurde 1807 offiziell gegründet. Dafür wurde der Stifter vom Kaiser zum Ritter vom Goldenen Vlies ernannt – die höchste Auszeichnung, die das Haus Habsburg zu vergeben hatte. Sein Sohn begann zunächst eine militärische Laufbahn, nach 1814 unternahm er weite Reisen, unter anderem nach England, erstmals 1815. Er war davon überzeugt, dass die kulturelle Entwicklung der ungarischen Nation ohne wirtschaftliche Entwicklung auf die Dauer unmöglich sei. Daher unterstützte er zahlreiche Initiativen zur Verbesserung der Infrastruktur, wie die Regulierung der Donau oder die Regulierungsarbeiten im Donau-Theiß-Gebiet. Auch an den ersten Eisenbahnlinien Ungarns war er beteiligt (Pest – Vác 1846, Pest – Szolnok 1847). Zum nationalen Symbol wurde die Kettenbrücke (1842), die erstmals Buda und Pest dauerhaft verband. Die Benützer hatten eine Maut zu entrichten, wobei der Adel nicht ausgenommen war. Ein Grundproblem Ungarns war eine andauernde Kreditknappheit, die auch mit dem altertümlichen adeligen Erb- und Eigentumsrecht (»Avitizität«) zusammenhing, das infolge des Verbotes, adeliges Land zu verkaufen, keine hypothekarischen Sicherheiten ermöglichte – daher war der adelige Grundbesitz nicht kreditwürdig. Eines der Hauptwerke Széchenyis war daher der Kreditfrage (»Hitel«) gewidmet. Als nach langer Pause 1825 wieder der ungarische Landtag einberufen wurde, machte Széchenyi der Nation das Angebot, ein Jahreseinkommen (60.000 Gulden) der Gründung einer ungarischen Akademie der Wissenschaften zu widmen. Die Akademie sollte den nationalen Geist fördern, nur so erschien die Existenz des bedrohten Ungartums für die Zukunft gesichert. Der Landtag von 1825 galt bereits als »Reformlandtag«. Die Reformen sollten vor allem eine erweiterte Geltung des Ungarischen als Amtssprache bringen. Széchenyi selbst hielt in der Magnatentafel (dem Oberhaus) eine Rede auf Ungarisch – einer Sprache, die er selbst erst mühsam gelernt hatte. Der nächste Landtag tagte von 1832 bis 1836. Als Franz Grillparzer 1843 seine Orientreise unternahm, beobachtete er während einer längeren Pause in Pressburg das Treiben rund um den damals wiederum tagenden ungarischen Landtag. Da für das Unterhaus je zwei Vertreter des (niederen) Adels aus den Komitaten zu wählen waren, führte dies bei der enormen Zahl von Adeligen schon zu richtigen Wahlkämpfen und bei den so Gewählten zu einer Art parlamentarischen Selbstbewusstseins. Es war ja in der Tat seltsam : Während die böhmischen, österreichischen und italienischen Länder
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absolutistisch regiert wurden, herrschte in den 1840er Jahren in Ungarn der König (gleichzeitig der österreichische Kaiser) mehr oder weniger konstitutionell. Die ungarische Bewegung spaltete sich zunehmend auf. Die konservativen Magnaten waren zufrieden, wenn man die überkommene Verfassung beibehielt – das akzeptierte man in Wien. Der Reformerkreis um Széchenyi, dem unter anderen der spätere Vater des Ausgleichs von 1867, Ferenc Deák, und der ungarische Ministerpräsident von 1848, Lajos Batthyány, angehörten, blieb selbst nicht vom Spaltpilz verschont. Deák schloss sich der radikaleren Variante des ungarischen Nationalismus (und Liberalismus) unter Lajos Kossuth an. Seit 1842 folgte bereits die Mehrheit des ungarischen Unterhauses Lajos Kossuth (1802–1894). Kossuth hatte nach Mazzinis Vorbild die Bewegung des »Jungen Ungarn« gegründet. Als begabter Journalist übte er über seine Zeitung »Pesti Hirlap« enormen Einfluss auf das öffentliche Leben aus. Sein Ziel war ein völlig selbstständiges Ungarn, mit einer neuen Verfassung, der Gleichberechtigung aller Bürger vor dem Gesetz und einem Wahlrecht, das die Magyaren begünstigte. Dieses Programm bedeutete natürlich eine Kampfansage nicht nur an die konservativen Magnaten, sondern vor allem an Wien. Der Wiener Regierung warf er vor, Ungarn durch einseitige Zollgesetze zu unterdrücken : Ungarische Waren wurden an der Zollgrenze zu Österreich einem hohen Zoll unterworfen, österreichische Waren konnten hingegen günstig in Ungarn abgesetzt werden. In Wien argumentierte man mit der Steuerfreiheit des ungarischen Adels und mit der geringen Steuerbelastung in Ungarn – die Zolleinnahmen bei ungarischen Importgütern sollten eben der Beitrag Ungarns zu den gemeinsamen Ausgaben sein. Kossuth gründete gegen die österreichische »Unterdrückung« einen Verein, der sich den Boykott österreichischer Waren zur Aufgabe setzte. Der reformierte ungarische Staat sollte ein magyarischer Nationalstaat sein, nur die ungarische Sprache sollte als Amtssprache gelten – und das, obgleich die Magyaren kaum die absolute Mehrheit im Land ausmachten. 1840 errang die Kossuth’sche Gruppe die Mehrheit im Unterhaus und sofort wurde das Magyarische zur Amtssprache erklärt, 1843 zur Sprache des Landtages. 1844 wurden diese Beschlüsse vom König (Ferdinand V., in Wien Ferdinand I.), also von der Staatskonferenz sanktioniert. Damit begann die Identifikation von (politischer) Nation und Sprachnation, die niemand anderer als Lajos Kossuth 1847 ebenso klar wie radikal ausgedrückt hat : »Ich werde nie und nimmer unter der heiligen ungarischen Krone ein anderes Volk oder eine andere Nationalität anerkennen als die magyarische.«› Diese ersten Sprachgesetze in der Habsburgermonarchie lösten heftige Gegenbewegungen, vor allem bei Kroaten, Serben und Slowaken, aus. Széchenyi ging in Opposition zu Kossuth. Sogleich wurde er publizistisch als »Abtrünniger« gebrandmarkt. Der »größte Ungar« (so Kossuth selbst über Széchenyi) warnte vor der Übersteigerung der ungarischen Forderungen, die letztlich in eine Katastrophe führen müssten.
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Das bereits hoch gesteigerte ungarische Nationalbewusstsein konnte nicht ohne Auswirkung auf die anderen Völkerschaften des österreichischen Kaisertums bleiben : »[…] Dem unbändigen, Alles Andere geringschätzenden Nationalstolze des Ungarn gegenüber, mußten sich schon als Reaktion, und der bloßen Selbstvertheidigung willen, ähnliche Empfindungen in den Gemüthern ihrer Nachbarn regen, mit denen sie in tägliche Berührung kamen. Und diese Betrachtung dürfte die rasche Entwicklung jener Nationalitäten in der letzten Zeit vorzugsweise erklären. Täglich bilden sich dieselben, von den oberen Classen zu den niedrigeren herabsteigend, kräftiger aus – und allmälig zieht sich der größte Theil des Adels, dem Beispiele seiner ungarischen Standesgenossen folgend, aus Wien in seine Provinzen zurück, stellt sich dort an die Spitze, und in die Reihen der neuerwachten Nationalitäten – und die provinziellen Literaturen, die häusliche Erziehung, die allgemeine Geistesrichtung sämmtlicher Volksklassen befördern und beschleunigen diese Tendenz.« (Andrian-Werburg, 1843)
7.8 Der Weg zur Revolution 7.8.1 Die Anfänge des freien Vereinswesens
Neben den Freimaurerlogen existierte schon zur Zeit des Reformabsolutismus ein Netz von Vereinigungen, die sich zunächst nach dem Vorbild italienischer und französischer Akademien formierten. Ansätze zu gelehrten Gesellschaften bestanden in der »Academia operosorum« in Laibach (Ljubljana, 1693) und in der kurzlebigen »Societas incognitorum« in Olmütz (Olomouc) (gegründet von Joseph von Petrasch, wirkte von 1746 bis 1758). Wichtiger wurden die ab 1764 auf obrigkeitliche Anregung gegründeten »patriotisch-ökonomischen Gesellschaften«, die sich überwiegend der Verbesserung der Landwirtschaft widmen sollten. Die Sache funktionierte aber nicht so richtig. Der absolute Staat, der gerade Zünfte, Gemeinden und Stände erfolgreich zurückgedrängt hatte, hatte außerdem kaum ein Interesse an einer neuen, obrigkeitsunabhängigen Sozialform. Die meisten »Agrikultursozietäten« überlebten daher die josephinische beziehungsweise die Periode der napoleonischen Kriege nicht. Im Vormärz änderte sich dies. Schon 1807 wurde die niederösterreichische Landwirtschaftsgesellschaft neu gegründet. Kräftige Lebenszeichen zeigten auch – wieder – die erhalten gebliebenen mährischen und böhmischen Ackerbaugesellschaften. Besonders tätig wurde die von Erzherzog Johann in der Steiermark neu begründete Landwirtschaftsgesellschaft. Obgleich die Gesellschaften vorerst als Treffpunkte der landwirtschaftlich interessierten Grundherren konzipiert wurden, wandelten sie sich schon im Vormärz zu Vereinigungen eines fachlich interessierten Publikums von aufgeschlossenen
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Gutsbesitzern, bürgerlichen Herrschaftsbeamten und Landwirtschaftsfachleuten. Nur in der Steiermark konnten, auf Initiative des Erzherzogs Johann, auch schon Bauern aufgenommen werden. Bis 1848 war in allen Ländern mit einer entwickelten, markt orientierten Landwirtschaft nicht nur je eine blühende Landwirtschaftsgesellschaft entstanden, es hatten sich dort auch schon Ansätze für eine weitere fachliche Differenzierung des land- und forstwirtschaftlichen Vereinswesens ausgebildet. Die Landwirtschaft war organisatorisch im Vorteil, weil ihre Vereine an die Landstände des jeweiligen Landes (als Vereinigung der Grundherren !) anknüpfen konnten. Die gewerbliche Wirtschaft folgte. 1817 wählten die Baumwollfabrikanten Niederösterreichs Repräsentanten und Bevollmächtigte, die ihre Interessen vertreten sollten. Der erste »richtige« Gewerbeverein war der böhmische. 1829 genehmigt, aber erst 1833 konstituiert, trat er durch die Organisation von Gewerbeausstellungen 1833 und 1836 (in Prag) hervor. Ferner gab er technische Zeitschriften heraus, organisierte den Sonntagsunterricht für Gesellen und Lehrlinge und verlieh an Techniker Reisestipendien zum Besuch fremder Fabriksorte. Typisch für alle Vereine dieser Art war die Einrichtung einer Bibliothek mit Lesekabinett. Im heutigen Österreich entwickelten sich zwei Vereinigungen von großer Bedeutung, der Innerösterreichische (1837) und der Niederösterreichische Gewerbeverein (1839). Der wie die Grazer Landwirtschaftsgesellschaft vom Erzherzog Johann gegründete Innerösterreichische Verein erstreckte seine Tätigkeit zunächst auf Steiermark, Kärnten und Krain, durch die Verbindung mit dem steirischen Erzberg aber auch auf die eisenverarbeitenden Gebiete Ober- und Niederösterreichs. Bei jeder Zweigniederlassung wurden eine Bibliothek technologischer Werke, Zeichenschulen für Gewerbetreibende, oft auch mechanische Werkstätten und Musterkabinette eingerichtet. 1846 zählte der innerösterreichische Verein über 2.700 Mitglieder, davon 2.184 allein in Oberösterreich. Seit 1839 wurde eine Zeitschrift herausgegeben. Dem 1839 gegründeten Niederösterreichischen Gewerbeverein gehörten nicht nur Industrielle, Kaufleute und Gewerbetreibende an, sondern auch Mitglieder des Adels, der Armee, der Beamtenschaft und der gelehrten Berufe. »Die große Bedeutung der gewerblichen Vereine liegt darin, daß sich in ihnen die Interessen aller Industrie- und Gewerbekreise förmlich verkörperten, daß sie das Rückgrat für die Gesamtheit der verschiedenen Kreise und Bedürfnisse der Industrie bildeten und der gewerblichen Tätigkeit allmählich das gaben, was ihr früher gefehlt hatte, nämlich das Selbstbewußtsein ihrer Bedeutung und förmlich ein selbstständiges Leben. Die Industrie war mündig geworden, um sich in weitem Maße selbst zu leiten, sie bedurfte der staatlichen Vormundschaft nicht mehr […]« ( Johann Slokar).
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Damit zeigen die Gewerbevereine einen anderen Charakter als die patriotisch-ökonomischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Die obrigkeitliche Förderungsintention trat zurück. In ihnen fand ein selbsttragendes gesellschaftliches Interesse, nämlich das der industriellen Unternehmer, seine erste Vertretung. Die Industrie- und Gewerbevereine wurden der Ausdruck des Gruppenbewusstseins einer neuen Unternehmerschaft. Der vormärzliche Absolutismus verschloss sich der Einsicht nicht, daß die Vereinsform als Ausdruck neuer gesellschaftlicher Bedürfnisse Probleme lösen konnte, die der bürokratische Apparat nicht bewältigte. Die Assoziation auf freiwilliger Basis wurde als wichtiger Ausweg angesehen, um private und öffentliche Vorsorge gegen Armut und Verelendung zu organisieren. Das ist auch der Hintergrund für die Zulassung von Sparkassen, deren Regulativ (1844) als erstes eigentliches Vereinsgesetz gelten kann. Um 1840 verdichtet sich die Vereinslandschaft. Eduard von Bauernfeld sah 1842 einen engen Zusammenhang zwischen Industrialisierung, Vereinsgründungen und kulturellem Wandel – das phäakische Zeitalter ging zu Ende : »Die Industrie hat auch hier, wie allenthalben, ihren Thron aufgeschlagen ; ein Volk, das Gewerb-Vereine bildet und Eisenbahnen baut, hat nicht mehr Zeit, sich vorzugsweise mit gebackenen Hühnern, dem Leopoldstädter Theater und mit Strauß und Lanner zu beschäftigen.«
In immer mehr Vereinen drückte sich das neue Selbstbewusstsein des vormärzlichen Bürgertums aus. 1837 wurde die Gesellschaft der Ärzte gegründet, 1840 die Künstlervereinigung Concordia. Ihr gehörten unter anderem Maler wie Amerling, Danhauser und Kriehuber, Dichter und Schriftsteller wie Castelli, Bauernfeld und Grillparzer an. Nicht ohne Stolz ließen sich ihre Mitglieder von einem ihrer Vereinsgenossen por trätieren. – Wie weit das vormärzliche Regime bei Vereinszulassungen letztlich gehen konnte, zeigt die Gründung des Juridisch-politischen Lesevereins zu Wien (1841). Gemeinsam mit den Gewerbevereinen zeigt diese Gründung, dass bürgerliche Verhaltensweisen und Organisationsmuster im Jahrzehnt vor der Revolution bereits eine erhebliche Dichte erreicht hatten. Der Juridisch-politische Leseverein war ein Zentrum bürgerlich-altliberaler Gesinnung. Seine Opposition blieb zwar im Wesentlichen zahm, er bot aber doch den institutionellen Rahmen für Informationen und Diskussionen über Grundprobleme der staatlichen Organisation Österreichs. Obwohl er in den Märztagen 1848 weniger hervortrat als der Gewerbeverein, war dieser Leseverein, zu dessen Mitgliedern eine ganze Reihe wichtiger »Achtundvierziger«, wie Anton von Doblhoff-Dier, aber auch zukünftige Träger des Neoabsolutismus, wie Alexander Bach, gehörten, als Ausdruck der großbürgerlichen Unzufriedenheit für die Vorbereitung der Revolution unerlässlich.
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7.8.2 Der Hochadel zwischen feudaler Restauration und Fortschritt
Der Hochadel der Habsburgermonarchie war, wie erinnerlich, Begleiterscheinung – oder Produkt – der absolutistischen Staatsbildung. Auch bei diesem Hochadel sind Tendenzen einer gewissen Verselbstständigung zu beobachten. Sie äußerte sich zwar nicht mehr in offener Opposition, wohl aber in einem betonten Landesbewusstsein, das für die Entwicklung des neuen, sprachbezogenen Nationalbewusstseins nicht unwesentliche Voraussetzungen schuf. So haben Mitglieder des böhmischen Herrenstandes die historischen Arbeiten František Palackýs stark gefördert, weniger um einen neuen tschechischen Nationalismus zu kreieren, sondern vielmehr aus Opposition gegen den Wiener Zentralismus, von dem dieser Adel annahm, dass er seine Position in Frage stellte. Familiäre Verflechtungen unter den berühmten »hundert Familien«, die Einnahme von höfischen Vertrauenspositionen, aber auch infolge der weitgespannten Verbindungen alle Möglichkeiten, hohe Stellen in Bürokratie und Militär (soweit angestrebt) besetzen zu können, zeichneten diesen Hochadel bis zum Untergang der Monarchie aus. Wesentliche Teile des alten Adelsideals blieben durchaus intakt. Noch im Vormärz unterstrich der höfische Adel seine Rangansprüche durch demonstrativen Luxuskonsum. In sich war dieser Hofadel, der sich selbst als »erste Gesellschaft« ansah, primär nach regionalen bzw. nationalen Gesichtspunkten untergliedert. Die polnische Aristokratie Galiziens blieb ebenso weitgehend unter sich wie die ungarische. Auch der böhmische Hochadel, der allerdings stärker mit dem Adel der österreichischen Länder verbunden war, zeigte Neigungen zur Absonderung. In Wien bildete dieser höchste Adel mehrere Cliquen, von denen jene, die sich selbst als absolute Spitze der Gesellschaft ansahen, sich als »crème« (oder gar »crème de la crème«) abzuheben versuchten. Es ist dies das nicht ungewöhnliche Spiel von Gruppen, deren gesellschaftliche Funktion fragwürdig geworden ist und die ihre Bedeutung durch übertriebene Exklusivität zu unterstreichen versuchen. Besonders deutlich distanzierte man sich von der »zweiten Gesellschaft«. 7.8.3 Die »zweite Gesellschaft«
Obwohl im Hinblick auf Reichtum und gesellschaftliche Bedeutung dem hohen Adel mindestens gleichrangig, wurden die Chefs der großen Bankhäuser (Geymüller, Fries, Arnsteiner, Steiner, Rothschild) trotz aller Adelstitel von jenem nie als gleichwertig anerkannt. Es konnte zwar vorkommen, dass Herren aus dem Hochadel – nicht Damen – bei Diners, Bällen und Konzerten der »zweiten Gesellschaft« auftraten ; umgekehrt war dies ausgeschlossen. Die strengen Grenzen zwischen dem Hochadel und dieser »bürgerlichen Aristokratie« blieben aufrecht.
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Zentrum der »zweiten Gesellschaft« waren die Bankiers. Die hohe gesellschaftliche Bedeutung der großen Bankhäuser hängt mit der finanziellen Schwäche der Monarchie sowie mit der üblen Währungs- und Budgetsituation seit den Kriegen gegen Frankreich zusammen. Anleihen bei den großen Bankhäusern waren der normale Weg, um die Löcher im Staatshaushalt zu stopfen, die auch nach 1815 nicht kleiner werden wollten. Diese Abhängigkeit des Staates von den Banken dürfte eine Besteuerungsreform zuungunsten der großen Einkommen verhindert haben. Denn Einkommen aus Handel, Fabriken und Bankgeschäften waren lächerlich gering besteuert, während immer noch die Grundsteuern und – in wachsendem Maße – indirekte Steuern, die gerade die ärmeren Schichten belasteten, das Rückgrat der Staatseinkünfte bildeten. Neben den Bankiers gehörten zur »zweiten Gesellschaft« geadelte Bürgerliche mit einem gewissen Reichtum, Unternehmer und Beamte. Ferner gab es auch Verbindungen zu Kunst und Literatur, Musik und Theater. Auf diese Kreise ging auch die mäzenatische Funktion, die im 18. Jahrhundert noch Sache des Hofes und des hohen Adels gewesen war, über. Dabei änderte aber auch der Künstler seinen Status. Die verbreitete Musikpflege in den bürgerlichen Kreisen war eine wichtige Voraussetzung für den von spezialisierten Verlegern vermittelten Absatz von Noten. Größere Orchester und größere Konzerte verlangten aber darüber hinaus wenigstens eine Organisation, die derlei bereitstellen konnte : So wurde 1812 die Gesellschaft der Musikfreunde – wieder ein Verein ! – in Wien gegründet, die zum Zentrum des musikalischen Publikums werden sollte. Hier standen zunächst Dilettantenaufführungen im Vordergrund. Der Musikverein gründete aber, bei fortschreitender Professionalisierung des Musikbetriebes, in seinem Rahmen schließlich auch die erste entsprechende Schule. Zugleich trat schon im Vormärz das bürgerliche Element im Verein immer stärker hervor, die adeligen Mäzene traten dagegen zurück. Die »zweite Gesellschaft« Wiens trug alle wesentlichen Elemente jener Schicht bereits in sich, die später unter dem Schlagwort »Besitz und Bildung« gesellschaftlichen Vorrang und politische Mitbestimmung für sich reklamierte. Sie war trotz ihrer Adelstitel kein »niederer Adel«, sondern die Elite des Bürgertums. Gleichzeitig brachte die Neigung zum demonstrativen Luxuskonsum (berühmt sind die Geymüllerschen Erdbeeren, die dort einmal mitten im Winter serviert wurden !), zum Erwerb von Schlössern und zum adeligen Landleben doch eine »feudale Sehnsucht« dieser Kreise zum Ausdruck, die vielleicht weniger stark ausgeprägt gewesen wäre, wenn der Hochadel nicht der letzten Erfüllung dieser Sehnsüchte so beharrlich im Wege gestanden wäre. Eine Emanzipation gerade dieser Kreise vom Hof und von der Monarchie war umso weniger zu erwarten, als ja nicht nur ihre Adelstitel, sondern auch ein guter Teil ihres Reichtums gerade aus dem Geschäft mit den Mängeln dieses höfisch-absolutistischbürokratischen Staatswesens erwuchs.
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7.8.4 Die ständische Opposition
Das ständisch-adelige Engagement, das man in zahlreichen Landwirtschafts-, Gewerbe- und Musealvereinen, in ständischen Initiativen zur Förderung der nationalen Geschichtsschreibung und Literatur beobachten kann, hatte zweifellos einen günstigen Einfluss auf die Entwicklung der materiellen Verhältnisse. In Lese- und Gewerbevereinen gewann das wachsende bürgerliche Element zunehmend an Gewicht. Am weitesten fortgeschritten war dieses die väterliche kaiserlich-österreichische Milde ablehnende Nationalbewusstsein in Oberitalien. Die polnische und ungarische Adelsnation waren zwar auch oppositionell, wenngleich mit weniger bürgerlichem Anhang ausgestattet. Aber auch von Böhmen konnte Viktor von Andrian-Werburg, einer der scharfen Kritiker des Kaiserstaates, schon 1843 behaupten : »Böhmen betrachtet sich täglich mehr als bestimmt und berufen, seine eigene abgesonderte Nationalität zu behaupten, und mit dem Gefühle seiner Kraft und Einheit nimmt auch sein Widerwille gegen die fremde Herrschaft zu […]«
Andrian, einer der wichtigsten Exponenten der ständischen Opposition, forderte als Mittel gegen die Sprengkraft der nationalen Idee eine Belebung der ständischen Institutionen und Selbstverwaltung auf Gemeindeebene. Der Adel sollte als Institution gestärkt und mit einer Führungsrolle im self-government ausgestattet werden – das englische Vorbild ist hier unverkennbar. Als »oberstes repräsentatives Organ der österreichischen Nation« sollten Reichsstände, zusammengesetzt aus Delegierten der verschiedenen Landstände, fungieren. »Eines aber ist gewiß«, schrieb Andrian abschließend, »so wie es jetzt ist, kann es in Österreich nicht bleiben – kann es kein Menschenalter mehr bleiben – von dieser Überzeugung ist daselbst Alles, die Regierten sowohl als die Regierer, durchdrungen – und diese einzige Thatsache würde hinreichen, um die Umwälzung herbei zu führen, welche sicherlich, und zwar binnen kurzer Zeit erfolgen muß (…).«
7.9 Das Sturmjahr 1848 Die Furcht vor Veränderungen führte zu einem unübersehbaren Problemstau. In dieser Situation brachten selbst zaghafte Änderungsansätze nur noch ärgere Konfusionen. Als Beispiel dafür kann das Grundablösegesetz von 1846 dienen. Ein großer Bauernaufstand in Galizien hatte in diesem Jahr die Diskussion um die feudalen Verhältnisse neuerdings angefacht. Endlich entschloss sich die Regierung zu einer Tat. Im Dezem-
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ber 1846 wurde ein Ablösungsgesetz erlassen, mit dem man die freiwillige Ablösung der feudalen Lasten zwischen Grundherren und Bauern ermöglichte. Das gab es zwar schon seit Joseph II. Neu war die Möglichkeit, diese Ablösung auch durch Abtretung von Grund und Boden an den Grundherrn durchzuführen. Das war natürlich für die Grundherren sehr günstig. Die Folgen des Gesetzes waren aber ganz andere als erwartet. Gerade die wohlhabenderen Bauern (und es gab deren, als Folge der vorausgegangenen Preissteigerungen, nicht wenige !) wollten sich sofort ablösen. Viele verstanden unter »freiwillig« das entschädigungslose Ende der Feudallasten – was selbstverständlich nicht gemeint war. Das Jahr 1847 brachte daher als Folge des Gesetzes vom Dezember 1846 Robot- und Zehentverweigerungen – Unruhen, die schon direkt in jene des Jahres 1848 mündeten. Zu Jahresbeginn 1848 wurden in Mailand die österreichischen Tabakwaren bestreikt, Radetzky verhängte dort am 22. Februar den Ausnahmezustand. Inzwischen war die Februarrevolution in Paris ausgebrochen. Nach wenigen Tagen war das auch im Habsburgerreich bekannt. In Pressburg (Bratislava, Pozsony) tagte seit November 1847 wieder einmal der ungarische Landtag und debattierte konstitutionelle und nationale Forderungen. Hier hielt am 3. März Lajos Kossuth jene berühmte Rede, in der er eine verantwortliche ungarische Regierung (»Ministerium«) und eine Verfassung für Ungarn, aber auch eine für die nichtungarischen Gebiete der Monarchie forderte. Dieser »Taufschein der Revolution« wurde sogleich ins Deutsche übertragen und erlangte weite Verbreitung. Am 5. März erging die Einladung zur Bildung eines deutschen »Vorparlaments« in Frankfurt. In Prag trat am 11. März eine Versammlung im Wenzelsbad zusammen, die nicht, wie die Wiener oder die ungarische Revolution, an ständische Einrichtungen anknüpfte. Hier wurde übrigens, neben der Frage der Konstitution, der Frage der nationalen Gleichberechtigung und der bäuerlichen Unzufriedenheit, auch die »sociale Frage«, das Problem der Arbeiterschaft, aufs Tapet gebracht. 7.9.1 Die Märzrevolution
In Wien formulierte man zunächst bloß Petitionen, die von den verschiedenen Vereinen (juridisch-politischer Leseverein, Gewerbeverein) verfasst wurden und konstitutionelle Rechte forderten. Der Gutsbesitzer Karl von Kleyle, Eduard von Bauernfeld und der Advokat Dr. Alexander Bach legten eine Denkschrift vor, die im Landhaus überreicht wurde. Hier, in der Dienstwohnung des ständischen Verordneten und Freiherrn Anton von Doblhoff-Dier, war schon bisher das Zentrum des österreichischen Altliberalismus gewesen. Wesentlich schärfer und präziser in ihren Forderungen war eine Adresse der Studenten formuliert, die vor dem 12. März zu Papier gebracht wurde.
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Schon am Sonntag, dem 12. März, drängten hunderte Studetenten in die Aula der Universität, um sie zu unterschreiben. Zwei Professoren sollten die Petition in die Hofburg bringen, blieben aber erfolglos. Am 13. März wollten die Studenten diese Petition den niederösterreichischen Ständen vorlegen, die an diesem Tage zusammentraten. Der 13. März war ein Montag – ein günstiger Tag, hielten doch die meisten Handwerker und Gesellen diesen Tag »blau«, also arbeitsfrei. Außerdem war es der Geburtstag Kaiser Josephs II. Die Organisation des 13. März übernahmen die Studenten – über die Aula der Universität (im heutigen Gebäude der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) liefen die Verbindungslinien in die Vorstädte, wo es galt, die Handwerker und Arbeiter zu mobilisieren, um Druck hinter diese Petition zu setzen. Obgleich aus den Reihen der Stände selbst die Anregung zu »sichtbaren und hörbaren Äußerungen des Volkswillens« gekommen war, dürfte deren Stärke die Herren überrascht haben. Der Hof des Landhauses füllte sich. Der Arzt Dr. Adolf Fischhof hielt eine zündende Rede, ein Student verlas die Rede Kossuths (auf Deutsch). Als sich die Verhandlungen hinzogen, drangen schließlich aus dem Hof Demonstranten ins Innere des Landhauses vor. Daraufhin beschloss die ständische Versammlung, eine Deputation in die Hofburg zu entsenden. Nachdem die Stände bereits das Haus verlassen hatten, griff Militär ein, es gab fünf Tote und zahlreiche Verletzte (unter letzteren befand sich auch Hans Kudlich). Eigentlich war der 13. März vor dem Landhaus gescheitert – weiterer Zuzug von Arbeitern aus den Vorstädten wurde durch die Schließung der Stadttore unterbunden. Den Erfolg des Tages (Entlassung Metternichs, Ende der Zensur) sicherten die Arbeiter, die nun in den Vorstädten die verhassten Maschinen demolierten und die ebenso verhassten Verzehrungssteuerämter an der »Linie« (am heutigen Gürtel) zerstörten. Wieder, wie schon 1844 in Prag, ging es gegen die Perotine. Fabriken, die solche Druckmaschinen verwendeten, gingen in Flammen auf. Dieser Maschinensturm weitete sich am 14. und 15. März über die Wiener Vororte bis nach Perchtoldsdorf, Mödling und Schwechat aus. Daraufhin wurden bewaffnete Korps, die Nationalgarden, aufgestellt, die in erster Linie Ruhe und Ordnung garantieren sollten, bis zu einem gewissen Grad aber auch als bewaffneter Arm der Revolution dienen konnten. Sie knüpften an die im Vormärz übliche Organisation der bürgerlichen Bevölkerung im »Bürgermilitär« an, einer behäbigen Einrichtung, die hauptsächlich für feiertägliche Paraden diente, aber auch als Ersatz für den echten Militärdienst gedacht waren. Jedenfalls revolutionär war die nun ebenfalls genehmigte Akademische Legion, also die bewaffnete Studentenschaft. Die Garden schützten in der Folge das bürgerliche Eigentum gegen die Habenichtse. Die Opfer aus deren Reihen (etwa 60 bis 80 Tote) waren zumeist Opfer der Garden. Das Begräbnis einiger der »Märzgefallenen« am 17. März vereinte symbolisch die verschiedenen Klassen und Religionen. Ein Bürgerausschuss übernahm die Stadtverwaltung. In ihm waren Besitz und Bildung prominent vertreten, zwei Herren aus den Niederösterreichischen Ständen, drei Unter-
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nehmer, ein Vertreter der Universität, drei (!) Buchhändler und Verleger und Alexander Bach als Vertreter der Advokaten. Mit dem Ende der Zensur brach ein wahres publizistisches Fieber aus. Das erfolgreichste Blatt, die »Constitution«, erzielte Auflagen bis zu 50.000 Exemplaren pro Tag. Endlich kam am 15. März vom Hof die Zusage der Gewährung einer Konstitution. Die Wiener Ereignisse sind nur ein, wenngleich wichtiger Punkt in der raschen Folge von Unruhen, die jetzt aufflammten : am 15. März in (Buda-) Pest, am 17. in Venedig, am 18. in Mailand. In Venedig rief man die Republik aus, Radetzky räumte nach fünftägigen Kämpfen Mailand. Etwas weniger dramatisch ging es in den heutigen österreichischen Ländern zu. In Linz, beispielsweise, freute man sich über das Ende der Zensur, am 16. März ruhte die Arbeit, alles strömte zusammen, wobei es kaum Ausschreitungen gab ; auch hier entstanden eine Nationalgarde und ein Studentencorps. Gegenstand der Volkswut war, wie in Wien, die Verzehrungssteuer bzw. das Zollgebäude an der Linzer Donaubrücke, wo jene eingehoben wurde. Auch die Jesuiten auf dem Freinberg – 1814 war der Orden wiederhergestellt worden – wurden als Symbol des »alten« Systems angegriffen und mussten fluchtartig die Stadt verlassen. Nationalgarden bildeten sich jetzt in allen größeren Orten. Auf dem Lande hörten die Bauern auf, Abgaben zu leisten. Wie in den Tagen nach dem Tode Kaiser Maximilians I. und in den Jagdaufständen der Barockzeit griffen sie zur Selbsthilfe gegen das herrschaftliche Wild – mit der »Demokratisierung« des bislang nur den Herren vorbehaltenen Jagdrechtes demonstrierten sie den Umsturz der Verhältnisse am augenfälligsten. Mehrfach gingen die Bauern über diesen Zustand revolutionärer Erregung hinaus. Angst vor einem großen Bauernaufstand hatte man überall – in Galizien selbstverständlich am stärksten, genauso aber in Böhmen, Mähren und in den südslawischen Ländern. In Böhmen wurden einige Schlösser gestürmt und in Krain darüber hinaus herrschaftliche Archive – das Gedächtnis der Herrschenden ! – zerstört. Hier war übrigens das Schloß Thurn am Hart, Besitz des liberalen Poeten Anton Graf Auersperg, besser bekannt unter dem Pseudonym Anastasius Grün, Ziel eines bäuerlichen Angriffs. Beschleunigt wurde die bäuerliche Bewegung durch die Entwicklung in Ungarn und Galizien. Die am 11. April vom Kaiser und ungarischen König genehmigte neue ungarische Regierung stand einer breiten bäuerlichen Unruhe gegenüber, die dazu führte, dass hier schon im April die sofortige Aufhebung der Robotverpflichtung (unter Ankündigung einer Entschädigung der Grundherren durch den Staat) verkündet wurde. Analog handelte der Statthalter von Galizien, Franz Graf Stadion, der in der Angst vor dem völligen Verlust Galiziens am 22. April ebenfalls das Ende der Robot proklamierte. Auf die Nachricht von diesen Ereignissen wuchs die Gärung unter den Bauern der Alpenländer, Böhmens und Mährens, sodass man im Juni schließlich für Mähren und für Innerösterreich das sofortige Ende der Naturalrobot verkündete. Schon im
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April waren für Niederösterreich und Steiermark Patente erschienen, die das Ende aller Naturalleistungen mit Jahresende 1848 verhießen, anschließend sollten die Bauern Geldzahlungen leisten. Das Ende des Feudalismus war also im Frühjahr 1848 schon gewiss. Regional vorläufig recht unterschiedlich geregelt oder überhaupt noch offen war die Form, in der jener zu Grabe getragen werden sollte. Einzelne Landtage bearbeiteten diese Frage, unter anderem in der Steiermark, in Oberösterreich und in Mähren, aber nirgends zur Zufriedenheit der Bauern. Das ist der Hintergrund für die überragende Rolle der Bauernfrage im konstituierenden Reichstag. 7.9.2 Die Frage der Verfassung
Damit kehren wir zur Frage der Verfassung zurück, die ja am Anfang der Bewegung im März gestanden war. Die neue (österreichische) Regierung ging, zur raschen Beruhigung der Lage, daran, selbst eine Verfassung auszuarbeiten. Sie wurde am 25. April aus kaiserlicher Machtvollkommenheit verkündet (also »oktroyiert«), nicht von einer eigenen konstituierenden parlamentarischen Versammlung erarbeitet. Diese »Pillersdorfsche Verfassung« (nach dem liberalen Innenminister Franz Baron Pillersdorf ), stark angelehnt an die belgische Verfassung von 1830, entsprach in der Kodifizierung der Grund- und Freiheitsrechte durchaus den Ansprüchen des liberalen Bürgertums, erfuhr aber heftige Kritik, weil sie einem Oktroi entsprang, weil sie zentralistisch war und weil dem Kaiser ein absolutes Veto zukam. Außerdem stieß man sich am Zweikammersystem und am stark eingeschränkten Wahlrecht für die Abgeordnetenkammer. Die Wahlordnung vom 9. Mai setzte zwar keinen Zensus, also eine bestimmte Steuerleistung, als Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts fest, wohl aber eine bestimmte Dauer der Ansässigkeit. Darüber hinaus waren alle Arbeiter im Tag- und Wochenlohn sowie Dienstboten ausgeschlossen. Dies löste den heftigsten Protest aus (Sturmpetition, 15. Mai). Die Regierung nahm die Verfassung zurück – der demnächst zu wählende Reichstag wurde nun als verfassunggebender bezeichnet und sollte nur aus einer Kammer bestehen. Der Hof verließ, verschreckt, das unruhige Wien (17. Mai) und begab sich nach Innsbruck. Das führte zu ersten Spannungen zwischen dem mäßig liberalen, aber habsburgtreuen Bürgertum und den Studenten bzw. den Arbeitern und Handwerkern der Vorstädte. Ein Versuch der Ausschaltung der Akademischen Legion seitens der Regierung am 26. Mai wurde mit Barrikaden und der massiven Unterstützung der Studenten durch die Arbeiter aus den Vorstädten beantwortet. Ein Sicherheitsausschuss, gebildet aus Bürgern, Nationalgarden und Studenten, übernahm die faktische Herrschaft in Wien.
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Nun ging es um das Wahlrecht : Nach der neuen Wahlordnung vom 30. Mai waren Arbeiter weiterhin ausgeschlossen. Heftige Proteste führten dazu, dass am 10. Juni schließlich die »selbstständigen« Arbeiter (also nicht Dienstboten !) das Wahlrecht erhielten. 7.9.3 Die nationalen Forderungen: Unüberwindbare Gegensätze
Zwar war man sich im März über das Ende des vormärzlichen Absolutismus einig gewesen, aber die von allen Seiten erhobenen Forderungen schlossen sich häufig gegenseitig aus. Das schon im Vormärz deutlich anwachsende nationale Selbstbewusstsein, orientiert nicht mehr nur an der älteren Einheit des »Landes«, sondern an der Sprachgemeinschaft, erfuhr im Zuge der Ereignisse von 1848 eine ungeheure Verstärkung. Die staatliche Umsetzung der neu empfundenen nationalen Einheit wurde zum zentralen Ziel. Die Lombarden und Venezianer wollten los von Österreich. Die Slowenen formulierten erstmals die Forderung nach einem neuen slowenischen Kronland. Die Tschechen forderten eine starke Autonomie im traditionellen Rahmen des ehrwürdigen Königreichs Böhmen und seiner Nebenländer. Volle Selbstständigkeit, aber unter Anerkennung der habsburgischen Königsherrschaft, forderten die Ungarn. Die Regierung wich zunächst zurück. Es scheint, als ob man am Hof eine Umgestaltung der Monarchie in föderalistischer Weise ins Kalkül gezogen hätte. Ungarn erhielt – wie bereits erwähnt – am 11. April eine eigene Regierung, der bisherige Landtag wandelte sich in ein gesetzgebendes Organ. Sogleich begann das revolutionäre Ungarn mit der Umsetzung des nationalen Programms. Ministerpräsident der neuen ungarischen Regierung wurde Lajos Graf Batthyány, in seiner Regierung bekleideten auch Kossuth und Széchenyi Ministerämter. Der ungarische Reichstag beschloss noch im April die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, eine Bauernbefreiung (freilich nicht ohne Probleme für die Bauern), die Gleichheit aller Religionen. In den Reichstag durfte nur gewählt werden, wer der ungarischen Sprache mächtig war. Während die Deutschungarn sich im Allgemeinen auf die Seite der Magyaren schlugen, entflammte rasch die Unzufriedenheit der Slowaken, Rumänen, Serben und Kroaten, die keinesfalls in einem strikt magyarisierten Ungarn leben wollten. Nach der Zurückweisung ihrer zunächst sehr mäßigen Wünsche durch die ungarische Regierung beriefen die Serben am 13. Mai 1848 einen Nationalkongress nach Karlowitz (Sremski Karlovci) ein, wo eine selbstständige serbische Woiwodschaft direkt unter kaiserlich österreichischer Oberherrschaft ausgerufen wurde. Rasch begannen militärische Auseinandersetzung zwischen den Ungarn und den von Offizieren aus der Militärgrenze geführten Serben. Zahlreiche Vertreter der Rumänen versammelten sich am 15. Mai in Blasendorf (Blaj) und verlangten die Abschaffung der Leibeigenschaft, rumänische Schulen und die Be-
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rücksichtigung der Rumänen als vierte Nation (neben Sachsen, Szeklern und Ungarn) im Landtag von Siebenbürgen. Ihre Forderungen wurden von den Ungarn zurückgewiesen, worauf ein Guerillakrieg gegen die ungarischen Feudalherrn und die Szekler ausbrach. Er forderte tausende Todesopfer. Noch im März hatten auch die Kroaten ihr politisches Programm entwickelt : Wiederbegründung des dreieinigen kroatischen Königreiches (Slawonien, Kroatien, Dalmatien), eigene Nationalarmee, eigene Universität, Nationalbank, Nationalparlament und verantwortliche kroatische Regierung. In Budapest war man dagegen. Der neue Banus Josip Graf Jelačić ignorierte alle Weisungen aus Ungarn und begann zu rüsten. Batthyány erreichte zwar im Juni die offizielle Absetzung des Banus durch den Kaiser, aber Jelačić blieb als »getreuer Rebell«, der gute Kontakte zur kaiserlichen Armee unterhielt, ruhig in seinem Amt. Eine vom Erzherzog Johann vermittelte Aussprache zwischen dem Banus und dem ungarischen Ministerpräsidenten Ende Juli blieb ergebnislos. Der Krieg stand unmittelbar bevor. Auch die Slowaken gerieten in Gegensatz zu den neuen ungarischen Machthabern. Eine in Liptau-St.Nikolaus (Liptovský Mikoláš) am 10. Mai formulierte Petition verlangte nur kulturelle Autonomie. Im Gegenzug wollte die ungarische Regierung die slowakischen Führer Štúr, Hurban und Hodža verhaften lassen, doch die setzten sich nach Prag ab. Später organisierten sie eine slowakische Aufstandsbewegung. Am 8. April versprach der Kaiser auch »verantwortliche Zentralbehörden für das Königreich Böhmen« in Prag (»böhmische Charte«), erfüllte damit aber die Forderungen der Tschechen nach einem autonomen Königreich, das alle Länder der Wenzelskrone (also auch Mähren und Österreichisch-Schlesien) umfassen sollte, nur zum Teil. Die Tschechen argumentierten mit dem »böhmischen Staatsrecht«, sie wollten eigentlich eine Stellung für Böhmen (und seine Nebenländer !), die analog zu Ungarn als weitgehende Selbstständigkeit verstanden wurde. Dagegen waren sofort die böhmischen und mährischen Deutschen, die dafür wiederum den Anschluss aller deutschen Gebiete inklusive ganz Böhmens (oder wenigstens der deutschen Siedlungsgebiete) an das neue Deutsche Reich forderten. Dasselbe nationale Programm hatten auch die Studenten, Schriftsteller und Journalisten Wiens. Ausdruck dieser Wünsche war die schwarz-rotgoldene Fahne, die vom Hohen Turm von St. Stephan hing. Die klassische Formulierung der Ablehnung des Beitritts Österreichs zu einem neuen deutschen Staat hatte schon am 11. April 1848 František Palacký in seinem berühmten Absagebrief nach Frankfurt gefunden. Nach der Feststellung, dass die vielen kleinen Völker westlich von Russland dieser Übermacht vereinzelt erliegen müssten, folgt der emphatische Ausruf : »Wahrlich ! Existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europa’s, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.« Damit war allerdings ein Punkt gewonnen, der die widerstreitenden nationalen Inte-
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ressen – vielleicht – zusammenbinden konnte. Denn dass die Forderungen der Deutschen, der Italiener und der Ungarn nach nationaler Selbstständigkeit die Habsburgermonarchie auflösen würden, war für Einsichtige bald erkennbar. Der Patriot Franz Grillparzer wechselte daher schon im Sommer 1848 aus dem Lager der Revolution in das Radetzkys. Auch dem Wunsch nach deutscher Einigung kam die Regierung entgegen – mit den Wahlen zum Frankfurter Parlament. In den zum Deutschen Bund gehörigen Königeichen und Ländern der Habsburgermonarchie fanden am 3. Mai Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt statt. Die Neuinterpretation des Deutschen Bundes als deutscher Nationalstaat führte sogleich zu Spannungen. František Palacký rief die Tschechen zu einem Wahlboykott auf : Von 68 Wahlbezirken Böhmens wurden nur in den 22 Bezirken der vorwiegend oder ganz deutsch besiedelten Randgebiete Abgeordnete für Frankfurt gewählt, in Mähren-Schlesien in 25 von 28, teils mit recht geringer Wahlbeteiligung. Auch in den slowenischen Gebieten war die Wahlbeteiligung gering, die Trentiner Italiener wählten, aber nur, um in Frankfurt die Entlassung des Trentino aus dem Deutschen Bund zu fordern. Insgesamt wurden 114 Abgeordnete aus dem Habsburgerreich nach Frankfurt gewählt, meist Angehörige der Intelligenzberufe, nur ein Bauer : Die deutsche Einheit war die Sehnsucht der Gebildeten. Dort, wo die wirklichen Probleme entschieden wurden, also primär im Wiener Reichstag, sollten dagegen viel mehr bäuerliche Vertreter aufscheinen. Deutsche Einheit und die Verfassung für den neuen deutschen Nationalstaat wurden im Herbst zur entscheidenden »Frage an Österreich« : War Österreich bereit, seine im künftigen deutschen Staate gelegenen Gebiete von den nichtdeutschen zu trennen und seine Gesamtstaatlichkeit zugunsten einer reinen Personalunion aufzugeben (so die Artikel 2 und 3 des Entwurfs der Reichsverfassung) ? Die größte Sprachgruppe, jene der Slawen, hatte noch kein gemeinsames Programm entwickelt – sieht man vom böhmischen Staatsrecht ab, dem die Regierung auch schon im April 1848 Konzessionen (»böhmische Charte«) gemacht hatte. Bei den Slowenen wurde 1848 erstmals die Forderung nach einer eigenen politischen Einheit, nach dem »Vereinigten Slowenien«, erhoben. Der Kärntner Geistliche Matija Majar formulierte sie Ende März oder Anfang April in einer Petition an den Kaiser. Diese slowenische Forderung wurde auch vom Prager Slawenkongress unterstützt, nachdem für den Wiener politischen Verein »Slovenija« Fran Miklosich (einer der berühmtesten Slawisten des 19. Jahrhunderts) und Peter Kozler einen entsprechenden Wunsch nach Prag geschickt hatten. Natürlich löste dieser Gedanke sogleich die heftigste Ablehnung seitens der küstenländischen Italiener und der Deutschen aus Krain, Kärnten und der Steiermark aus.
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Dass die Polen die Wiedererrichtung des polnischen Staates forderten, ist selbstverständlich. 7.9.4 Der Prager Slawenkongress
Die Forderungen des Revolutionsjahres thematisierten nicht nur die Wünsche nach politischer Mitbestimmung und sozialer Reform, sondern waren in hohem Maße auch national bestimmt. Die Idee eines Kongresses aller Slawen Österreichs entstand in Wien. Der beliebteste Treffpunkt der Wiener Slawen war der »Sperl« in der Leopoldstadt (wir erinnern uns : das Lokal der Triumphe Johann Strauß’ des Älteren). Anfang April 1848 trafen sich hier zwei- bis dreitausend Personen, viele mit den Kokarden rotblau-weiß, die als gemeinslawisch verstanden wurden. Der Slowake L’udovít Štúr hielt eine heftig akklamierte Rede. Die Gefahr für die Slawen Österreichs bestand ebenso in der geplanten deutschen Staatlichkeit wie in der neuen, vollständigen Selbstständigkeit Ungarns. Štúr regte am 20. April in Prag einen allslawischen Kongress an, gleichzeitig erschien ein Beitrag in einer Zagreber Zeitung mit derselben Anregung, ein polnischer Patriot äußerte sich ähnlich. Unter dem Vorsitz Štúrs konstituierte sich am 30. April ein Einladungskomitée, das für den 31. Mai slawische Delegierte nach Prag einlud. Das Schreiben erschien in allen slawischen Sprachen außer Russisch, auch auf Deutsch. Palacký und Pavel Josef Šafárik wollten in erster Linie Delegierte der österreichischen Slawen versammeln. Außerösterreichische Slawen sollten als Gäste willkommen sein. Der prominenteste dieser Gäste war ausgerechnet der russische Anarchist Michail Bakunin, was die Besorgnisse in Regierungskreisen, aber auch in den deutsch- und ungarisch-nationalen Kreisen nicht gerade verringerte. Deutschnational-liberale Medien (etwa Kurandas »Grenzboten«) schossen mit dem Hinweis auf die panslawistische Gefahr publizistisches Sperrfeuer. Die Regierung Pillersdorf legte der Versammlung keine Hindernisse in den Weg. In den letzten Maitagen versammelten sich ungefähr 400 Vertreter der slawischen Völker, von denen die meisten aus der Habsburgermonarchie stammten, in Prag. Die stärkste Gruppe bildeten die böhmischen Tschechen, gefolgt von den Polen (wohl aus allen Teilen des ehemaligen Polen), Slowaken, Serben (davon mehrere aus dem Fürstentum Serbien), Mährern, einem Lausitzer Sorben und fünf Slowenen. Am 2. Juni begann die Arbeit des Kongresses. Ein Manifest an die Völker Europas forderte die Freiheit nicht nur für Individuen, sondern auch für ganze Völker. Österreich sollte sich in einen Bund gleichberechtiger Nationen umwandeln. Das Manifest war fertig, als am 12. Juni der sogenannte Pfingstaufstand in Prag ausbrach. Der Stadtkommandant Alfred Fürst Windisch-Graetz, dessen Frau ein Opfer des Aufstandes wurde, drohte der Stadt mit der Beschießung durch Artillerie. Am 17. Juni kapitulierte Prag, die ausländischen Kongressteilnehmer wurden sofort ausgewie-
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sen, die meisten inländischen fuhren wieder nach Hause. Immerhin war von den Kongressteilnehmern die neue slowenische Forderung nach einem Vereinigten Slowenien als Königreich oder Kronland unterstützt worden. 7.9.5 Die Wahlen. Der Reichstag und die Grundentlastung
Im Juni und (in Böhmen) im Juli fanden die Wahlen zum konstituierenden österreichischen Reichstag statt. Es waren nicht die ersten Wahlen in diesem Jahr. Abgesehen von den Wahlen für das Frankfurter Parlament wurden in mehreren Ländern bürgerliche und bäuerliche Mandatare zur Ergänzung der ständischen Landtage gewählt. Einige Landtage, wie insbesondere der steirische und der mährische, arbeiteten recht ordentlich und konnten in der Frage der Grundentlastung, der Landesverfassung und der Gemeindeordnung wichtige Vorschläge erarbeiten. In Böhmen und Niederösterreich wurde zwar gewählt, ein Landtag aber nicht einberufen. Im oberösterreichischen Landtag beschäftigte man sich ebenfalls mit der Landesverfassung, mit der zukünftigen Gestaltung des Gemeindelebens und mit der Grundentlastung. Die Bauern, hier in der Minderheit, waren mit der grundherrenfreundlichen Haltung der Landtagsmehrheit gar nicht einverstanden und erhofften eine für sie günstigere Lösung durch den Reichstag. Dessen Zusammentreten ließ dann auch allgemein die Aufmerksamkeit für die Landtage erlahmen. Nun also die Reichstagswahlen. Sie waren indirekt : Zuerst wurden von den Urwählern Wahlmänner gewählt, die dann die Abgeordneten bestimmten. Trotz aller Unzulänglichkeiten dieser Wahlen, trotz dem Misstrauen, das besonders die Landbevölkerung dieser neuen Einrichtung entgegenbrachte, trotz Manipulation und versuchtem Wahlschwindel brachten diese Wahlen jedenfalls das erste gewählte Parlament Mitteleuropas zustande – für die Deutschösterreicher, Slowenen, Tschechen, Polen und Ukrainer Galiziens, Serben und Kroaten in Dalmatien und Istrien ebenso wie für die Italiener in Trient und Triest. Ungarn hatte inzwischen seine eigene Verfassung bekommen, Lombardo-Venetien war Kriegsgebiet. Man kann in diesem Parlament doch den Ausdruck des Willens der Wähler annehmen, sich von Männern ihres Vertrauens vertreten zu lassen. Von den 383 Abgeordneten entfiel der größte Teil auf Vertreter des Besitz- und Bildungsbürgertums : 24 % waren (Staats-, Gemeinde- und Privat-) Beamte, 9 % Fabrikanten, Händler, Gewerbetreibende und »Privatiers«, 16 % »Doktoren« (Ärzte und Juristen), zu welchen, als Freiberufler, auch Schriftsteller und Redakteure gezählt werden können (mit knapp 2 %). 11 % waren (bürgerliche und adelige) Gutsbesitzer, 5 % Geistliche, 4 % Professoren und Lehrer, fast 2 % Studenten und Doktoranden. Rechnet man die fünf Militärs mit den Staats- und Kommunalbeamten (sowie Professoren und Lehrern) zusammen, so entfallen auf den »öffentlichen Sektor« fast 27 % – ein enorm hoher Anteil des »öffentlichen« Interesses, welcher sich bei der
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naheliegenden Affinität der meisten Geistlichen und diverser Gutsherren zum Staatsinteresse noch vermehren würde. Immerhin 92 (also 24 %) der Abgeordneten waren Bauern. Sie hatten das bäuerliche Interesse an einer sofortigen Aufhebung aller bäuerlichen Lasten ohne jede Entschädigung zu vertreten. Die meisten von ihnen (35) kamen aus Galizien, 13 aus Oberösterreich, zwölf aus Niederösterreich, 18 aus Böhmen und Mähren, sieben aus der Bukowina, sechs aus Kärnten und Krain, nur zwei aus der Steiermark (der Westen entsandte keinen bäuerlichen Abgeordneten.) Es war daher nur folgerichtig, dass sich der Reichstag sogleich nach seiner Eröffnung durch Erzherzog Johann (22. Juli) mit der Bauernfrage auseinandersetzte. Schon am 24. Juli brachte Hans Kudlich seinen berühmten Antrag »Von nun an ist das Unterthänigkeits-Verhältnis sammt allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten aufgehoben […]« ein, der dann am 26. Juli auf die Tagesordnung des Reichstages gesetzt wurde. Neben der Grundentlastung hatte sich der Reichstag mit der Frage einer Verfassung sowie mit einer Gemeindeordnung zu beschäftigen, deren Organisationsform ja mit dem Ende des Feudalismus zu einer dringenden Frage wurde. 7.9.6 Radetzky, die Radikalisierung und das Ende der Revolution
Militärische Lösungen erschienen zunächst nicht möglich. Die Hauptarmee stand in Italien. Erst ein Erfolg Radetzkys bei Santa Lucia (6. Mai) gegen die Piemontesen (denen sich die Lombardei und Venetien angeschlossen hatten), die Niederschlagung des Aufstandes in Krakau (25./26. April) und schließlich das Scheitern des Pfingstaufstandes in Prag (11.–17. Juni) ließ jene höfischen Kräfte Hoffnung schöpfen, die eine militärische Niederwerfung befürworteten. Endgültig scheinen sie sich mit Radetzkys Siegen in Italien (bei Custozza am 25. Juli 1848, Rückeroberung Mailands am 6. August) durchgesetzt zu haben. Auch bürgerliche Kreise, denen das alte absolutistische System keineswegs sympathisch gewesen sein konnte, begannen nun immer mehr, in der Armee den Garanten der Macht und Einheit Österreichs zu sehen ; so Franz Grillparzer, dessen bekanntes Gedicht an Radetzky mit dem berühmten Zweizeiler »Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich, nicht um des Ruhmes Schimmer. In Deinem Lager ist Österreich ! Wir andern sind einzelne Trümmer« Österreich mit der Armee Radetzkys identifiziert. Einheit und Macht des Staatswesens als Werte an sich, die auch eine durchaus gewaltsame, militärische Integration legitimieren, gewannen gegenüber den Ideen der Revolution an Boden. Gerade jene bürgerlichen Kreise, die sich eng mit dem Kaiserstaat identifizierten, setzten ihre Hoffnungen auf die Armee. Am 12. August kehrte der Hof aus Innsbruck nach Wien zurück, und am 31. August erklang zum ersten Mal der Radetzky-Marsch von Johann Strauß Vater.
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Nun, im Sommer 1848, drängte auch die »sociale Frage« zu einer Lösung. Von Maschinenstürmen, Stürmen auf Mauthäuser und Linienämter (an denen die Verzehrungssteuer, wie erinnerlich, eingehoben wurde), auch auf Fleischer- und Bäckerläden wird im Frühjahr 1848 wiederholt berichtet. Die Lage der Arbeiter verbesserte sich dadurch kaum – im Gegenteil, durch die Zerstörung von Maschinen und Fabriken waren Arbeitsmöglichkeiten reduziert worden, zudem führte die allgemeine Unsicherheit zu einem Rückgang der Nachfrage nach den Artikeln der Industrie. Um die unruhigen Massen der Arbeitslosen, die sich noch stärker als bisher in Wien konzentrierten, einigermaßen zufriedenzustellen, wurden sie bei Erdarbeiten im Prater und an der Gumpendorfer Linie beschäftigt. Auch der beschleunigte Baubeginn der Semmeringbahn ist im Zusammenhang mit der Beschäftigungsmöglichkeit für zahlreiche Menschen – erfreulicherweise weit außerhalb von Wien – zu sehen. Übrigens wurde damals erstmals (und zwar zunächst bei der Maschinenfabrik der Wien – Gloggnitzer Eisenbahn) die Arbeitszeit auf zehn Stunden pro Tag herabgesetzt. Da relativ gute Löhne bezahlt wurden, meldeten sich immer mehr Arbeiter zu den Erdarbeiten. In anderen Branchen wurden Arbeiterforderungen mit Vehemenz vertreten ; die als einzige schon in Vereinsform (Unterstützungsverein seit 1842) organisierten Drucker, Setzer und Schriftgießer forderten Lohnerhöhung, Beschränkung der Lehrlings- und Abschaffung der Frauenarbeit, zehnstündige Arbeitszeit und Sonntagsruhe. Im April erkämpften die Arbeiter der Nord- und Staatsbahn eine Verminderung der Arbeitszeit. Auch die kleingewerb lichen Arbeiter, die Schuster, Schneider usw., bemühten sich um eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, was angesichts der Verarmung der kleinen Meister freilich kaum möglich war. Mit der Mairevolution und der Behauptung der studentischen Bewaffnung (26. Mai) war nicht nur der Höhepunkt der Bewegung in Wien erreicht, es begann jetzt auch die intensivste Phase der Organisation der Arbeiterschaft und einer – wenn man so sagen kann – »Sozialpolitik«, geleitet vom neuen Sicherheitsausschuss. Ein Ministerium für öffentliche Arbeiten wurde gebildet, das aber zunächst neben dem aus dem Sicherheits- und dem Wiener Gemeindeausschuss gebildeten Arbeitercomité nur eine geringe Rolle spielte. Der »Erste allgemeine Arbeiterverein« konstituierte sich am 24. Juni, dessen Gründer und Präsident, Friedrich Sander, ein Schustergeselle, wieder hauptsächlich Gesellen aus dem Kleingewerbe um sich versammelte. Der Verein soll bald 2.000 Mitglieder gezählt haben. Programmatisch setzte er sich die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Arbeiterschaft zum Ziele : Trotz der immer wieder auseinander tretenden Interessen von Arbeiterschaft und Bürgertum blieben die Arbeiter politisch im Rahmen der Zielsetzungen der bürgerlichen Demokratie. Immerhin zeigt diese Vereinsgründung, ebenso wie die des bald darauf entstandenen »Radicalen liberalen Vereins«, doch Ansätze einer Ausbildung proletarischen Klassenbewusstseins, mochte es sich auch noch stark in den tradierten Bahnen zünftischer Gesellenorgani-
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sation bewegen. Das Fehlen eines von der bürgerlichen Demokratie (die insbesondere von Journalisten und Studenten getragen wurde) gesonderten politischen Bewusstseins hat Karl Marx, als er sich Ende August in Wien aufhielt, kritisch festgestellt. Die öffentlichen Arbeiten führten schließlich zum Bruch zwischen Regierung (bzw. der »bürgerlichen Revolution«) und Arbeiterschaft. Angesichts gähnender Leere in den Staatskassen verordnete der neue Arbeitsminister Ernst von Schwarzer am 18. August Lohnkürzungen für die Erdarbeiter. Die Arbeiter demonstrierten dagegen am 23. August im Prater ; schließlich zogen sie gegen die Stadt. In der Jägerzeile (heute Praterstraße) stießen sie auf die bürgerlichen Garden. Diese stellten die »Ordnung« gewaltsam her. Es gab Tote und Verwundete (»Praterschlacht«). Das schon seit den Märztagen gegenüber der Arbeiterschaft misstrauische Bürgertum hatte seine Macht gezeigt. Und dieser Bruch sollte sich im Herbst noch nachhaltig auswirken. Langsam neigte sich die Waage den Kräften der »Ordnung« zu. Zwar verabschiedete der Reichstag nach heißen Debatten Ende August das Gesetz über die Grund entlastung. Aber schon dabei stimmten die Verfechter der Grundherrenrechte und liberale »Eigentumsfreunde« so weit überein, dass die feudalen Rechte als Eigentumsrechte interpretiert wurden, die nur gegen Entschädigung abgelöst werden konnten. Kudlichs Gegenantrag auf entschädigungslose Grundentlastung bzw. Entschädigung der Grundherren durch den Staat blieb in der Minderheit. Auch formal setzte sich die Regierung durch : Als kaiserliches Patent, bloß »in Übereinstimmung mit dem constituierenden Reichstage«, wurde die Grundentlastung am 7. September kundgemacht. Fast gleichzeitig, am 31. August, klagte ein königliches Schreiben die ungarische Regierung an, sie habe durch finanzielle und militärische Maßnahmen die Pragmatische Sanktion verletzt. Die Regierung Batthyány trat zurück. Am 11. September marschierte der kroatische Banus Jelačić in Ungarn ein. Als sich eine Delegation des ungarischen Reichstages am 19. September in Wien an den österreichischen Reichstag wandte, damit dieser zwischen den Ungarn und der Krone allenfalls vermittle, lehnten dies die Regierung und die konservative und slawische Mehrheit des Reichstages ab. Die mit den Ungarn sympathisierende überwiegend deutsche »Linke« drang mit ihrem Wunsch nicht durch. Nach der Ermordung des vom Hof ernannten neuen Oberkommandierenden für Ungarn, Graf Lamberg, auf der Pester Brücke wurde Jelačić zum königlichen Kommissär für Ungarn ernannt und der Ausnahmezustand ausgerufen. Kossuth befahl den Angriff auf die in Ungarn eingedrungenen Kroaten. Die wichen Richtung Wien aus. Der Krieg zwischen Ungarn und Kroaten war offiziell zum Krieg zwischen der (ursprünglich vom Kaiser bestätigten) ungarischen Regierung und dem Kaiser bzw. seiner Regierung geworden. Als man dafür Truppen aus Wien abziehen wollte, kam es am 6. Oktober zu Unruhen : Ausrückende Truppen wurden am Abmarsch gehindert, verbündeten sich zum
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Teil mit der Nationalgarde, das Zeughaus wurde belagert, der Kriegsminister Latour gelyncht. Wieder floh der Hof, diesmal nach Olmütz (Olomouc) in Mähren. Nun war die militärische Auseinandersetzung um Wien unausweichlich geworden. Die Spaltung zwischen (groß-) bürgerlichen Innenstadt- und kleinbürgerlich-proletarischen Vorstadtgarden lähmte freilich die Verteidigungsbereitschaft. Die Mobilisierung des Landvolkes durch Kudlich misslang. Ein Entlastungsangriff der Ungarn scheiterte bei Schwechat. Am 31. Oktober eroberte die Armee des Fürsten Alfred Windisch-Graetz, gemeinsam mit den Kroaten Jelačić’, die Stadt. Die Revolution in Wien war zu Ende. Symbolträchtig trampelte das Pferd des Feldmarschalls auf der schwarz-rot-goldenen Fahne der Freiheit ebenso wie der deutschen Einheit herum, als eine Bürgerdeputation devot ihre Unterwerfung bekundete. Die höfische Partei zeigte nun Entschlossenheit : Windisch-Graetz’ Schwager Felix Fürst Schwarzenberg wurde neuer Premierminister, Erzherzog Franz Joseph neuer Kaiser (2. Dezember 1848). Schwarzenberg wies die Zumutung der Frankfurter Nationalversammlung, Österreich solle sich in einen »deutschen« Teil, der zum neuen Deutschen Reich gehörte, und in einen anderen, mit jenem nur durch Personalunion verbundenen, scheiden, noch im November radikal zurück. Wenn schon, dann sollte das ganze österreichische Kaisertum mit dem Deutschen Reich vereinigt werden ! Der Reichstag wurde nochmals, und zwar nach Kremsier (Kroměříž) unweit von Olmütz, einberufen, erarbeitete auch – unter dem Druck der Verhältnisse – rasch und gut den Entwurf einer Verfassung. Manche Autoren sehen im Kremsierer Entwurf die einzige freiwillige politische Abmachung, die zwischen den frei gewählten Vertretern der verschiedenen Völker getroffen wurde. Nachdem ein überraschender Entwurf Palackýs, der die Umwandlung der Monarchie in einen Bund von Nationalstaaten vorsah (sogar mit Überweisung der Deutschböhmen an »Deutsch-Österreich«, dafür eine gemeinsame tschechisch-slowakische Einheit), gescheitert war, einigte man sich auf einen Kompromiss, den der Deutschmährer Kajetan Mayer ausgearbeitet hatte : Die Kronländer sollten erhalten bleiben, die größeren aber in national möglichst einheitliche Kreise mit kultureller Autonomie zur Berücksichtigung der nationalen Eigen tümlichkeiten unterteilt werden. Dieser Entwurf enthielt den für die Regierung erwünschten Anlass für die Auflösung des Reichstages, da er als Prinzip der Verfassung die Volkssouveränität vorsah. Schon am 20. Jänner 1849 beschloss der Ministerrat seine Auflösung, die schließlich am 7. März erfolgte. Mit dem 4. März datierte man eine (oktroyierte) Verfassung, ein Durchführungsgesetz zur Grundentlastung und ein provisorisches Gemeindegesetz.
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Kaisertum Österreich
7.9.7 Das Ende in Italien und Ungarn. Die Märtyrer von Arad
Neue kriegerische Verwicklungen in Italien wurden im März von Radetzky rasch beendet, Unruhen im Prager Mai unterdrückt. Länger dauerte der Kampf in Ungarn. Der militärische Führer der ungarischen Truppen, Arthur Görgey, war dem Fürsten Windisch-Graetz weit überlegen. Die ungarischen Truppen eroberten fast das ganze Land zurück. Jetzt ließ Kossuth in Debreczén die Habsburger absetzen, faktisch war er Diktator. Seit dem Mai von russischen Truppen unterstützt, gelang es den Kaiserlichen erst im August, die ungarische Revolution niederzuwerfen. Am 13. August kapitulierte Görgey bei Világos vor den Russen. Im ungarischen Gedächtnis haben die »Märtyrer von Arad« ihren festen Platz : Das waren die von den Österreichern zum Tode verurteilten und hingerichteten 14 Generäle der ungarischen Armee. Görgey wurde begnadigt. Ein ebenso hässlicher wie dummer Racheakt an einem Unschuldigen war die Hinrichtung des früheren Ministerpräsidenten Batthyány. Als letzte Festung der ungarischen Unabhängigkeit kapitulierte Komorn (Komárom, Komárno) am 4. Oktober. Am 22.August 1849 kapitulierte auch Venedig.
Abb. 8: Kaiser Franz Joseph I. Lithografie von Jakob Melcher nach Gemälde von Eduard von Engerth (Ausschnitt), 1863. ©ÖNB
8 Das Zeitalter Franz Josephs
8.1 Der Herrscher Der alte Kaiser Franz Joseph (*1830, † 1916, regierte von 1848 bis 1916) war in den letzten Jahrzehnten seiner Herrschaft zum Mythos geworden. Sein zerfurchtes Gesicht mit den kleinen Augen und dem typischen Backenbart war in den weiten Gebieten der Habsburgermonarchie allüberall präsent. Der alte Herr, der in der Regel bei öffentlichen Anlässen nette, anerkennde Worte sprach und fast stets betonte, dass es ihn »sehr gefreut« habe, galt als vereinigendes Symbol des habsburgischen Staatswesens. Ja mehr noch – er erschien als Garant dieser Staatlichkeit, die zwar von allen Seiten immer wieder leidenschaftlich kritisiert wurde, zu der es aber fast bis zuletzt doch keine Alternativen zu geben schien. Man wusste, dass er unermüdlich arbeitete, sehr früh aufstand, persönlich äußerst bescheiden lebte und gerne jagte. In den letzten Jahrzehnten seines langen Herrscherlebens fügten die vielen persönlichen Schicksalsschläge, wie der Tod seines Bruders Maximilian in Mexico, der Selbstmord seines Sohnes und Thronfolgers oder die Ermordung seiner geliebten und verehrten Frau Elisabeth, dem Bild Franz Josephs tragische Züge bei, was bei vielen Menschen ein gewisses Mitgefühl erweckte. Ob Franz Joseph »sein« Reich, das er in der Tat immer quasi als Erbeigentum des Hauses Österreich empfunden hat, zusammengehalten oder dessen Zusammenhalt eher gefährdet hat, lässt sich aber wohl nicht so einfach beantworten. Vom Zeitpunkt seiner Geburt an war der kleine Erzherzog Franzi als Kaiser vorgesehen. Sein Onkel Ferdinand bekam keine Kinder, daher war der älteste Sohn des Kaiserbruders Franz Karl jedenfalls der Nachfolger des »gütigen« Ferdinand. Seine Mutter Sophie, eine Wittelsbacherin, und ihr Stab taten daher vom ersten Lebenstag des kleinen Prinzen alles, um ihn auf sein künftiges Herrscheramt vorzubereiten. Er erhielt eine ausgezeichnete Erziehung und eine umfassende, wenngleich etwas einseitige, aber jedenfalls sehr intensive Bildung. Die Zahl der Wochenstunden, die der kleine Erzherzog dem Lernen und Studieren widmen musste, stieg von 13 Stunden für den Sechsjährigen bis auf 50 Stunden für den Dreizehnjährigen. Neben dem Militärischen, das schon der junge Franz Joseph sehr liebte, spielten Sprachen eine große Rolle – Ita-
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lienisch hat ihm anfangs noch sein Großvater, Kaiser Franz, beigebracht, später stand Französisch im Mittelpunkt, das Franz Joseph perfekt beherrschte. Daneben hatte er aber auch Unterricht in Deutsch, Tschechisch, Ungarisch und Polnisch. Ungarisch beherrschte er recht gut, er hat später auch in Briefen an seine Frau immer wieder ungarische Wendungen eingefügt. Sprachlich war der zukünftige Kaiser recht talentiert, ebenso im Zeichnen. Dagegen blieb ihm die Musik immer fremd. Später kam die Philosophie dazu, sie wurde von Othmar Rauscher unterrichtet, der später Erzbischof von Wien wurde. Metternich selbst übernahm – spät – den Unterricht in der Staatsführung. Die ganze, sehr umfassende Erziehung sollte einen zukünftigen absoluten Monarchen formen, der eine solide Abneigung gegen alle liberalen Neigungen pflegen und seine Macht autoritär und selbstbestimmt ausüben würde. Gerade die tiefe Überzeugung, dass letztlich nur er allein diese große Monarchie regieren könne, möglichst ohne Parlamente und mit Ministern, die er – wie das ja auch bisher der Fall war – bloß als seine Diener und Werkzeuge ansah, ist ihm von dieser höchst intensiven, geistig allerdings kaum zu bewältigenden Ausbildung geblieben. Als junger Mann beherrschte er perfekt das adelige Exerzitium – Reiten, Tanzen und Fechten ; er behielt auch stets die damals erworbenen hervorragenden Umgangsformen und eine stolze, würdevolle Haltung bei, mit der er später auch die bittersten Stunden seines Lebens und seiner Herrschaft bewältigte. Freilich blieb fast keine Zeit für kindliches Spiel, für unbeschwerte Stunden der Freizeit. Auch die Literatur blieb ihm fremd – das sozusagen zweckfreie Lesen von Büchern war im Unterrichtsplan nicht vorgesehen. Man sagte ihm einen Mangel an höheren intellektuellen Interessen nach, dafür verfügte er über einen früh entwickelten Tatsachensinn und ein nüchternes Urteil. Diese Nüchternheit unterschied ihn von seinem Bruder Ferdinand Max, der als schwärmerischer Romantiker galt. Zweifellos hat man im Übereifer versucht, zu viel in den kindlichen und jugendlichen Kopf des Prinzen hineinzustopfen – denn als er die Herrschaft antrat, war er doch vor allem ein tapferer, furchtloser junger Offizier, dessen Kühnheit Radetzky bei Santa Lucia 1848 und später Schwarzenberg bei Raab (Győr) nervös machte, und den man daher raschest wieder aus der Feuerlinie zurücknahm. Er kam in einem Augenblick zur Herrschaft, als die Revolution in Wien und in Italien militärisch geschlagen war, und er trat die Herrschaft als Exponent der Gegenrevolution an. Franz Joseph war ab 2. Dezember 1848 wieder Kaiser »von Gottes Gnaden«, nicht mehr »konstitutioneller Kaiser«, wie der Titel Ferdinands seit April 1848 gelautet hatte. Seine Mutter und seine Umgebung erwarteten den schnellen Übergang zu alten Zeiten und alten Sitten. Sicherheitshalber beließ man die großen Städte wie Wien, Prag, Mailand, Budapest noch jahrelang im Belagerungszustand. Der hübsche, furchtlose junge Herrscher mit den tadellosen Manieren fand daher in der Bevölkerung lange kaum Sympathien. Seine beiden Vorgänger hatten nur selten Uniform getragen – Franz Joseph ständig. Die Bevorzugung und Überschätzung des Militärs und
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Karte 7: Die Habsburgermonarchie 1848–1918.
alles Militärischen waren nicht dazu angetan, seine Beliebtheit zu steigern. Im Wiener Bürgertum sprach man spöttisch vom »rothosigen Leutnant«. Das änderte sich ein wenig mit dem Attentat auf den jungen Kaiser durch den ungarischen Schneidergesellen Janos Libenyi (Februar 1853), und noch mehr durch die Hochzeit mit der bayerischen Prinzessin Elisabeth, seiner Cousine (1854). Am 1. September 1853 wurde der Belagerungszustand für Wien und Prag aufgehoben. Aber auch für die späteren Schwierigkeiten, für die Niederlagen von Solferino und Königgrätz, wurde vielfach der Kaiser persönlich verantwortlich gemacht. Das entbehrt angesichts seines Beharrens auf seiner ganz persönlichen absoluten Herrschaft nicht jeder Berechtigung. Während aber der Kaiser durch bittere Niederlagen langsam lernte, dass auch ein allein regierender Monarch kluge, vertrauenswürdige und tüchtige Minister brauchte, blieb er in der Familie der unumschränkte Herrscher. Diese durch das Familienstatut von 1839 noch einmal verstärkte vollständige Herrschaft des Oberhauptes des ganzen weitläufigen Hauses Habsburg-Lothringen nahm er äußerst ernst. Besonders die 1859/1860 entthronten Mitglieder der italienischen Linien des Hauses (Toscana und Modena) empfanden die vollständige Abhängigkeit vom Familienoberhaupt als bit-
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ter. Wer die Würde des Hauses verletzte, konnte von Franz Joseph keine Nachsicht erwarten. Erzherzöge, die andere Wege gehen wollten, schloss er unerbittlich aus dem Erzhaus aus. So schied Erzherzog Johann Salvator aus der Linie Toscana aus dem Kaiserhaus aus, heiratete in England eine Balletttänzerin und starb 1891 als Johann Orth höchstwahrscheinlich bei einem Schiffbruch vor der südamerikanischen Küste. Der jüngere Bruder des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand, Erzherzog Ferdinand, heiratete eine bürgerliche Professorentochter aus Prag, musste ebenfalls aus dem kaiserlichen Haus ausscheiden und lebte unter dem Namen Ferdinand Burg in der Folge unter ärmlichen Verhältnissen im Ausland – seine Apanagen wurden gestrichen. »Der Preis für die diktatorische Stellung innerhalb der Habsburger-Familie (die einzige Diktatur, die Franz Joseph nach der Einführung der Verfassung geblieben war) war tiefste menschliche Einsamkeit. Der Mensch Franz Joseph wurde zum Amt, und selbst die engste Familie brachte dieser Personifizierung eines Amtes Ehrfurcht, ja Angst, aber keine verwandtschaftliche Liebe entgegen.« (Brigitte Hamann)
Der junge Kaiser entwickelte sehr schnell eine erstaunliche Systematik in der Einrichtung seiner Tagesordnung, die er später eisern beibehielt. Extremes Pflichtgefühl und Fleiß werden schon dem jungen Kaiser bestätigt. Ein gutes Gedächtnis behielt Franz Joseph bis ins hohe Alter. Ein ganz persönliches Problem zeigte sich bald : Er war in komplizierten Situationen unsicher, neigte aber zu relativ schnellen Entschlüssen, die dann nicht selten abgeändert werden mussten. Gegen lange und tiefgründige Vorbereitungen hegte er stets eine gewisse Abneigung. Man sagte schon früh, dass er unangenehme Dinge nicht hören wollte. Dem alten Kaiser hat man gar nicht mehr alles gesagt. 8.2 Der Neoabsolutismus und die innere Modernisierung Der Ministerpräsident Felix Schwarzenberg war in den Jahren 1849 bis 1851 der wichtigste Lehrmeister des Kaisers. Schwarzenberg dachte keineswegs konstitutionell, aber er stellte sich auch nicht vor, dass der junge Kaiser selbst die Regierungsgeschäfte vollständig übernehmen würde. Zwar wurde der Reichstag von Kremsier geschlossen, aber Schwarzenberg ließ selbst eine Verfassung verkünden (Oktroyierte Verfassung, 4. März 1849). Sie sollte für das ganze Reich gelten, nicht nur für die Länder des späteren Zisleithanien. Sie sprach das Prinzip der Gleichberechtigung aller Völker (»Volksstämme«) des Reiches aus. Gleichzeitig wurde die bäuerliche Grundentlastung nochmals bekräftigt. Schwarzenberg hatte in seinem Ministerium bedeutende Männer, nicht wenige davon bürgerlicher Herkunft. Der bekehrte Revolutionär Alexander Bach leitete das Justizressort, Franz Graf Stadion war Innenminister, Josef Alexander
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Freiherr von Helfert Unterstaatssekretär für das Unterrichtswesen, der Triestiner Unternehmer Karl Freiherr von Bruck Handelsminister. Im Sommer 1849 trat Leo Graf Thun-Hohenstein als Unterrichtsminister in das Kabinett ein, zur selben Zeit auch Anton von Schmerling als Justizminister ; Bach wurde nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden des Grafen Stadion Innenminister. Von seinen Standesgenossen, der Hocharistokratie, hielt Schwarzenberg wenig. Von den Feinden Schwarzenbergs, von denen es vor allem in der Hocharistokratie, aber auch in der Bürokratie genug gab, wurde der junge Kaiser bestürmt, endlich selbst die Regierung zu ergreifen und sich nicht mehr mit einer »verantwortlichen Regierung« herumzuschlagen. Vor allem Friedrich von Kübeck, der äußerst tüchtige – bürgerliche – Hofkammerpräsident der Zeit vor 1848 und seit 1850 Präsident des Reichsrates, eines in der Verfassung von 1849 vorgesehenen Beratungsorganes, bestärkte den Kaiser in dieser Richtung. Der folgte diesen Ratschlüssen nur allzu gerne – entsprachen sie doch ganz den Prinzipien seiner Erziehung. Schon während des Jahres 1851 übernahm er selbst den Vorsitz im Ministerrat. Mit dem »Silvesterpatent« 1851 wurde auch offiziell die Verfassung von 1849 außer Kraft gesetzt, nur mehr der Kaiser regierte, sonst niemand. Der Tod Schwarzenbergs (5. April 1852) kam für das jetzt voll erblühte Herrschaftsgefühl Franz Josephs gerade recht : Es gab keinen Nachfolger, Franz Joseph war ab jetzt sein eigener Ministerpräsident. Damit war der junge Kaiser aber auch allein verantwortlich für all die schweren Irrtümer und Fehlgriffe, die ihm besonders in dieser ersten Regierungszeit bei der Auswahl von Ministern, Feldherrn oder Statthaltern unterlaufen sind. Es begann mit der verhängnisvollen Rolle, die sein Generaladjutant und Vorstand der militärischen Zentralkanzlei, Karl Ludwig Graf Grünne, bei Hof spielte. Er war ein Günstling der Kaiserinmutter, der seinerseits die meisten Personalentscheidungen des Kaisers bis 1860 beeinflusste, unter anderem die Ernennung Franz Graf Gyulais von Maros-Németh und Nádaska zum Oberkommandierenden im Krieg von 1859. Gyulai stellte sich als vollkommen unfähig heraus. Karl Ferdinand Graf Buol-Schauenstein, der neue Außenminister, durfte in Abwesenheit des Kaisers den Ministerrat präsidieren, aber nicht selbstständig agieren. In Wahrheit war der junge Kaiser sehr unsicher, seine unglückliche äußere Politik zwischen 1852 und 1866 war zwar Ausdruck fester antirevolutionärer Prinzipien, führte aber durch mangelnden Einblick in die Komplexität der Materien und durch fehlende Elastizität zu einer wachsenden Isolierung des Kaiserstaates. Das zeigte insbesondere die Haltung gegenüber Russland, aber auch gegenüber den Westmächten im Krimkrieg (dazu später mehr). Das absolute Regierungssystem Franz Josephs war dennoch auch ab 1852 etwas anderes als eine Fortsetzung des alten Absolutismus. Alexander Bach arbeitete weiter an der Vollendung eines möglichst perfekten einheitlichen Verwaltungssystems für die
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ganze Monarchie. Einzigartig in der Geschichte der Habsburgermonarchie war der jetzt auch Ungarn voll einbeziehende Einheitsstaat : Nur von 1850 bis 1860 wurde auch über Ungarn das Netz einer einheitlichen zentralstaatlichen Verwaltung gelegt. Doch fand diese in Ungarn niemals gesellschaftliche Akzeptanz. Man bezeichnete die vielfach aus dem Westen gekommenen Beamten mit ihren seltsamen Uniformen abwertend als »Bachhusaren«. 1851 fielen die Zollschranken zwischen Ungarn und den übrigen habsburgischen Ländern – für die Ausfuhr ungarischer Lebensmittel nach Wien ein großer Vorteil. Die kaiserliche Regierung führte in Ungarn das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch ein und setzte die 1848 vom ungarischen Reichstag beschlossene Grundentlastung mit eigenen Gesetzen um. Doch änderten alle diese sinnvollen und nützlichen Reformen nichts an der Ablehnung der Ungarn gegenüber der zentralistischen kaiserlichen Verwaltung. Sie forderten die von ihrem König Ferdinand abgesegnete Verfassung von 1848, erst dann würde man weitersehen. Die Gymnasial- und Hochschulreform des Grafen Leo Thun (ab 1849) führte durch die Verlagerung der philosophischen Propädeutik an die Mittelschule zur achtklassigen Form des Gymnasiums mit Fachlehrersystem. Die philosophischen und historisch-linguistischen bzw. kulturwissenschaftlichen ebenso wie die naturwissenschaftlichen Studien wurden durch die Umwandlung der früheren Artistenfakultät zu vollen philosophischen Fakultäten massiv aufgewertet. Die Zahl der Professoren dieser Fächer stieg jetzt stark an. Hatte die Wiener philosophische Fakultät 1848 16 Professuren, so waren es 1858 bereits 27, 1878 schon 45 und 1898 mehr als 58 Ordinariate ! Zu den seit jeher, freilich jetzt mit neuem Elan gepflegten Disziplinen wie Astronomie ( Joseph Johannes von Littrow), Mathematik ( Joseph Max Petzval), Altphilologie (Hermann Bonitz) etc. traten neue, etwa die Slawistik (Franz von Miklosich), die Kunstgeschichte (Rudolf Eitelberger), die Geographie (Friedrich Simony), die Germanistik (Theodor von Karajan). An naturwissenschaftlichen Disziplinen ist ferner die Chemie ( Josef Redtenbacher) und die Physik (Christian Doppler, später Josef Stefan, nach ihm Ludwig Boltzmann) zu nennen. Für die besondere Pflege der Geschichtswissenschaft wurde auf Anregung Helferts das Institut für Österreichische Geschichtsforschung gegründet (1854). Es sollte die zentrale Forschungsstätte für eine neue gesamtösterreichische Geschichte werden. Unter der Leitung des bedeutenden, aus Deutschland stammenden Urkundenforschers Theodor von Sickel wurde allerdings etwas ganz anderes daraus – eine der angesehensten Pflegestätten der Hilfswissenschaften, wo man sich insbesondere der Diplomatik (Urkundenlehre) mit großer Leidenschaft widmete. Freilich verlagerte sich dabei der inhaltliche Schwerpunkt auf die Edition mittelalterlicher Königs- und Kaiserurkunden, von Österreich war da kaum mehr die Rede. Den Dozenten und Professoren wurde die Lehrfreiheit garantiert. Zahlreiche – auch protestantische – Professoren, wie eben Sickel, wurden aus deutschen Staaten berufen.
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Dem Unternehmertum kam man nicht nur mit der Schaffung eines großen, einheitlichen Zoll- und Wirtschaftsgebietes entgegen, sondern auch durch den Fortbestand der 1848 als Interessenvertretung des Großunternehmertums entstandenen Handelskammern. Auch bestanden die Landwirtschaftsgesellschaften als Interessenvertretungen der Landwirtschaft weiter. Dieser Charakter als politische Interessenvertretung trat nach Statutenänderungen 1849/50 vereinzelt sogar noch stärker hervor. Der Neoabsolutismus führte die Grundentlastung durch – trotz wütender Proteste des alten Feldherrn Alfred Fürst Windisch-Graetz, der in einem Schreiben an den jungen Kaiser Franz Joseph betonte, »[…] der hervorragendste Kommunist hat noch nicht zu begehren gewagt, was E. M. Regierung praktisch durchführt […]«. Die bäuerlichen Lasten wurden berechnet, mit dem Faktor 20 kapitalisiert, von dieser Gesamtsumme ein Drittel abgezogen, ein Drittel musste vom Bauern bezahlt werden und ein Drittel vom jeweiligen Land bzw. vom Staat ; Leistungen an Kirchen und Schulen waren ohne Abzug abzulösen. Die Entschädigungen für die Besitzveränderungsgebühren – die besonders in Ober- und Niederösterreich hoch waren – übernahm der Staat, ebenso die Entschädigung des Adels in Galizien. Durch diese Modalitäten wurde die Bauernschaft zweifellos nicht übermäßig belastet und offensichtlich zufriedengestellt. Der Neoabsolutismus bedeutet also die Vollendung der (staats-) bürgerlichen Gesellschaft durch die endgültige rechtliche Gleichstellung der bäuerlichen Bevölkerung. Das Ende des Feudalismus machte aber auch die endgültige Ausgestaltung staatlicher Verwaltungsbehörden unumgänglich. Auf der untersten Ebene sollten – nach dem provisorischen Gemeindegesetz Stadions von 1849 – autonome Gemeinden jene Aufgaben bearbeiten, die sie am besten und einfachsten lösen konnten. Die unterste staatliche Verwaltungsinstanz wurde die Bezirkshauptmannschaft, die unterste Gerichtsinstanz das Bezirksgericht. Von 1850 bis 1867 hat man Justiz und Verwaltung nochmals in »gemischten Bezirksämtern« zusammengelegt, erst seit 1868 kam es endgültig zur Trennung von Justiz und Verwaltung. In dieser Zwischenzeit wurden auch (wieder) Kreisämter eingeführt, als Instanz zwischen Bezirksämtern und der (staatlichen !) Landesverwaltung, den Statthaltereien bzw. (in einigen kleineren Ländern) Landespräsidien. Gemeinden und staatliche Organe lösten die früheren grundherrschaftlichen Ämter und Gerichte ab. Als Beamte übernahm der Staat vielfach jene herrschaftlichen Justizbeamten, deren Anstellung schon Joseph II. als Voraussetzung für die Durchführung der patrimonialen Gerichtsbarkeit angeordnet hatte. Dazu kam nun auch ein ständiger bewaffneter Arm auf dem Lande – die Gendarmerie. Die Einrichtung von zahlreichen Ämtern und Gendarmerieposten war äußerst kostspielig – das Finanzproblem des Neoabsolutismus war nicht zum geringsten Teil auf die enormen Summen zurückzuführen, die für die Besoldung zehntausender neuer Beamter notwendig wurden.
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Auf Initiative des (seit 1853) amtierenden Erzbischofs von Wien, des früheren Lehrers des Kaisers, Othmar Rauscher, schloss Kaiser Franz Joseph 1855 ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl ab. Es erfüllte den Papst, den Kaiser und seine Mutter Sophie mit größter Genugtuung, nützte aber der Popularität des Kaisers keineswegs. Die streng religiöse Richtung seiner Mutter und die persönliche Bindung des jungen Kaisers an die katholische Kirche waren mit der Überzeugung verbunden, dass diese Kirche, um ihre positiven Kräfte im Sinne des Kaiserstaates voll entfalten zu können, von der josephinischen Bevormundung befreit werden müsse. Schon 1849 hatte eine gesamtösterreichische Bischofskonferenz unter Leitung des Kardinals Friedrich Fürst zu Schwarzenberg (1809–1885, 1836 Fürsterzbischof von Salzburg, 1842 Kardinal, 1850 Erzbischof von Prag), einem Bruder des Ministerpräsidenten, in voller Freiheit getagt. 1851 durften die Jesuiten wieder nach Österreich zurückkehren. Das Konkordat brachte nicht nur die Befreiung der katholischen Kirche von der staatlichen Kontrolle und Bevormundung. Darüber hinaus wurde der Kirche die Kontrolle über das gesamte Schulwesen übertragen ; die katholischen Ehen wurden der geistlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. Das Konkordat wurde zum beliebten Reibebaum des bürgerlichen Liberalismus – nach der Schlacht bei Königgrätz hieß es, der preußische Schulmeister habe über den (von der Kirche gegängelten) österreichischen gesiegt. Kurz, die Gegnerschaft gegen das Konkordat vereinigte altjosephinische Beamte mit den jüngeren bildungsbürgerlichen Liberalen. Und sobald die öffentliche Meinung nur wieder etwas mehr Freiheit erhielt, war das Konkordat jener beliebte Sack, den man anstelle des unangreifbaren Esels – des Kaisers – publizistisch prügelte. In den Neoabsolutismus fallen noch zwei weitere bedeutsame Schritte : Das Handschreiben des Kaisers von 1857 über die Schleifung der Wiener Stadtbefestigung und die Anlage der Ringstraße, wodurch die Baukonjunktur in Wien eine deutliche Belebung erfuhr, und (zweitens) das Gewerberecht von 1859, das eine weitgehende Gewerbefreiheit statuierte. Beide Maßnahmen gehören in den Kontext obrigkeitlicher Modernisierung. In gewisser Weise demonstrieren sie aber schon den heraufziehenden kurzzeitigen Triumph der bürgerlichen Kräfte. 8.3 Niederlagen und neue Chancen: Von Solferino zum Ausgleich mit Ungarn 8.3.1 In die Isolation
In Oberitalien und Ungarn war die österreichische Herrschaft nur durch Militär- und Polizeigewalt aufrechtzuerhalten. Das kostete (im Inland) Geld und (im Ausland) Sympathien. Man hat in Österreich die Wirksamkeit italienischer und ungarischer
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Emigranten (um Lajos Kossuth) und deren publizistisches Wirken viel zu wenig beachtet. Im gesamten liberalen Westen galt das neoabsolutistische Österreich als finsterer Hort der Reaktion. Als der russische Zar Nikolaus I. im Juli 1853 in Vorbereitung eines Angriffes auf Konstantinopel Truppen in die Donaufürstentümer Moldau und Walachei einrücken ließ, stellten sich England und Frankreich an die Seite der Türkei. Der Krimkrieg begann. Franz Joseph, dessen Kaisertum unter anderem auf dem Sieg der Truppen des Zaren über die Ungarn beruhte, blieb zwar neutral, forderte aber – im Interesse Österreichs – im Juni 1854 vom Zaren die Räumung der Donaufürstentümer, was diesen furchtbar empörte. Zar Nikolaus starb während des Krieges. Sein Sohn, Alexander II., erzählte, der Vater sei aus Enttäuschung über die Haltung Franz Josephs an gebrochenem Herzen gestorben. Nach dem tatsächlich erfolgten Abzug der Russen besetzten österreichische Truppen die Donaufürstentümer. Im Dezember 1854 schloss Österreich einen Bündnisvertrag mit England und Frankreich. Die Westmächte drängten auf einen Kriegseintritt Österreichs. Aber aktiv wollte Franz Joseph doch nicht gegen Russland vorgehen. Er ließ jedoch in Galizien eine weitere österreichische Armee stationieren, was die Russen zwang, neben der Krimfront eine gegen Österreich kampfbereite Armee zu unterhalten. Diese militärischen Aktionen waren für Österreich äußerst kostspielig. Noch durch Jahrzehnte litten Wirtschaftsleben und Staatsverwaltung an diesen enormen Ausgaben, von deren Ausmaßen und Finanzierung der junge Herrscher gar keine Vorstellung hatte. Schließlich waren alle enttäuscht – der Zar sowieso, aber auch Engländer und Franzosen, die mit der militärischen Unterstützung Österreichs gerechnet hatten. Dafür hatte das Königreich Sardinien ein Kontingent auf die Krim entsandt, und dieser wohl mehr symbolische Akt wurde zum Ausgangspunkt der französischen Unterstützung für die Piemontesen gegen Österreich. Das Kaisertum hatte schließlich viel Geld ausgegeben, zwei Armeen mobilisiert (mit großen Verlusten durch Krankheiten in den Besatzungsgebieten) und gar keinen Profit aus der ganzen Angelegenheit gezogen. Zu guter Letzt war Österreich vollständig isoliert. Die antirussische Neutralität hatte zudem das mit Russland befreundete Preußen verstimmt, was Bismarcks antiösterreichische Deutschlandpolitik begünstigte. Kurz – es war ein komplettes Desaster. Als Dank für die Hilfe auf der Krim sollte Napoleon III. Sardinien-Piemont gegen Österreich bei der Einigung Italiens unterstützen. Zum Jahreswechsel 1858/59 erklärte der Kaiser der Franzosen dem österreichischen Botschafter, Alexander Baron Hübner, sein Bedauern darüber, dass die Beziehungen zu Österreich nicht so gut seien, wie sie sein könnten. Daraufhin Aufregung und Hektik in Wien. Das Bündnis zwischen Frankreich und Piemont nahm inzwischen Gestalt an, als Defensivbündnis. Bei desolaten Staatsfinanzen konnte sich Österreich den längeren Unterhalt einer mobilisierten Armee in Italien nicht leisten. In einer nicht untypischen übereiligen Reaktion richtete Franz Joseph daher ein Ultimatum an Turin, das nicht beantwortet wurde. Daraufhin
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erfolgte sogleich die Kriegserklärung Österreichs an Sardinien. Die Italiener waren also die Opfer der österreichischen Aggression und damit war für die Franzosen der Bündnisfall gegeben. Diplomatische Schachzüge dieser Art durchschaute das schlichte »Soldatengemüt« Franz Josephs damals ebenso wenig wie später Bismarcks raffiniertes Spiel zur Ausschaltung Österreichs aus dem Deutschen Bund. Anstatt nach der Kriegserklärung sofort in Piemont einzumarschieren, warteten die Österreicher, bis die französische Armee in Oberitalien war. Da nach der ersten Niederlage (bei Magenta) unter dem unfähigen Oberkommandierenden Graf Gyulai der Kaiser selbst auf den Kriegsschauplatz eilte, war die nächste Niederlage bei Solferino (24. Juni 1859) auch die ganz persönliche Niederlage des Kaisers. Die Not der Verwundeten auf dem blutigen Schlachtfeld bewog den Schweizer Kaufmann Henri Dunant zur Gründung des Roten Kreuzes – immerhin ein positives Ergebnis jenes Krieges. Der Friedensschluss, der bei einer persönlichen Begegnung Franz Josephs mit Napoleon III. bei Villafranca ausgehandelt wurde und neben der Abtretung der Lombardei an das Königreich Sardinien auch die (illusorische) Wiedereinsetzung der durch Garibaldis Freischaren inzwischen vertriebenen bourbonischen und habsburgischen Fürsten Italiens vorsah, war wieder eine ganz persönliche Entscheidung des Kaisers. Denn tatsächlich saß seine Armee in einer praktisch unangreifbaren Stellung im Festungsviereck (Mantua – Legnago – Verona – Peschiera) – und der heiße Sommer in der Poebene wäre für die Franzosen mindestens genauso unangenehm geworden wie für die Österreicher. Aber wieder einmal war das Geld zu Ende. Die Finanzlage des Staates war schon vorher äußerst schwierig gewesen. Der Unterhalt einer längere Zeit mobilisierten Armee erschien kaum möglich. Aus finanziellen Gründen schnell erklärt, musste der Krieg aus Geldmangel schnell beendet werden. Wieder zeigte sich, dass Franz Joseph oft überhastet Entscheidungen traf. 8.3.2 Vom Oktoberdiplom zum Februarpatent
Bei Staatsschulden von 2,265 Milliarden Gulden war die Zustimmung der Finanzbourgeoisie zu neuen Staatsanleihen nur durch das Versprechen erreichbar, eine parlamentarische Kontrolle der Staatsfinanzen zu ermöglichen. Solange der Neoabsolutismus die bürgerlichen Interessen ausreichend berücksichtigt hatte, akzeptierte das Wirtschaftsbürgertum ein Regierungssystem, das ihm immerhin ein großes, einheitliches Zollgebiet gesichert hatte. Schon nach dem Konkordat von 1855 hatte sich aber die kritische Distanz des liberalen deutsch-österreichischen Bürgertums zum neoabsolutistischen System verschärft. Franz Joseph handelte jetzt schnell. Der verhasste Innenminister Alexander Bach wurde entlassen, wenig später auch der Polizeiminister Kempen, ebenso Buol. Neuer Innenminister wurde der polnische Graf Agenor
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Gołuchowski. Nun wurde wieder ein Ministerpräsident eingesetzt, Johann Georg Graf von Rechberg (bis 1861), er war gleichzeitig auch Außenminister (bis 1864). Im Laxenburger Manifest vom 15. Juli 1859 sagte der Kaiser »zeitgemäße Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung« zu. Immer dringender wies Finanzminister Karl Ludwig Frh. v. Bruck (und nach seinem tragischen Tod sein Nachfolger Ignaz von Plener) im Ministerrat darauf hin, dass man Hilfe aus der finanziellen Misere nur zu erwarten habe, wenn eine Verfassung – mit Anerkennung der Mitwirkung des Volkes bei der Gesetzgebung – gewährt würde. Mit 21. Dezember 1859 wurde eine Staatsschuldenkommission eingerichtet – ein Vorgriff auf eine künftige parlamentarische Budgetkontrolle. Etwas später wurde der »Reichsrat«, das persönliche Beratungsorgan des Kaisers nach der Verfassung von 1849, um eine Reihe von – ernannten – Persönlichkeiten erweitert. Dieser »verstärkte Reichsrat« wurde am 5. März 1860 einberufen. Von den 60 Mitgliedern kamen sechs aus Ungarn, die freilich einen Rechtsvorbehalt anmeldeten – aus dem verstärkten Reichsrat durfte sich ja kein Reichsparlament entwickeln, ein solches lehnten die auf ihre Selbstständigkeit bedachten Ungarn stets entschieden ab ! Dieser verstärkte Reichsrat war zwar nur als ein Instrument der Budgetkontrolle gedacht, keineswegs als Parlament. Da aber das Misstrauen des Finanzbürgertums gegenüber der staatlichen Budgetpolitik nicht zu beseitigen war, wurde am 17. Juni 1860 die Verabschiedung von Finanzgesetzen von der Zustimmung dieses Gremiums abhängig gemacht. Damit erhielt diese Versammlung von Notabeln zumindest eine zentrale parlamentarische Befugnis. Die Mitglieder dieses Gremiums, das vom 31. Mai bis zum 28. September 1860 tagte, zerfielen in zwei Gruppen, eine zentralistisch-deutsch-liberale (mehr bürgerliche) und in eine föderalistisch-konservative, zumeist aristokratische, hochadelige. In einer seiner nicht untypischen Anwandlungen von Ungeduld wandte sich der Kaiser den Altkonservativen zu, die ihm in Person des ungarischen Grafen Anton Szécsen zwei Dinge zu versprechen schienen : Zum einen, dass die neue Verfassung die Macht des Kaisers nicht wirklich einschränken werde, und zum zweiten, dass man die Ungarn damit gewinnen könne. Das von Szécsen in kürzester Frist entworfene »Oktoberdiplom« sah Landtage vor, die gegenüber den früheren ständischen Landtagen nur wenig erweitert waren, sowie ein relativ schwaches Zentralparlament. In diesem sollte aber auch Ungarn vertreten sein. Rasch wurde der ungarische Landtag einberufen, weigerte sich aber umgehend, Delegierte in das Wiener Zentralparlament zu entsenden. Ebenso unzufrieden waren die deutschen Liberalen, deren Stimmen durch die seit 1859 faktisch vorhandene Pressefreiheit unüberhörbar geworden waren, und zu deren Gefolge auch die haute finance gehörte. Von deren Reaktion war die Finanzierung des Budgetdefizits abhängig. Die Reaktion Franz Josephs war neuerlich ein ebenso plötzlicher wie vollständiger Kurswechsel. Schon im Dezember 1860 wurde der Innenminister Gołuchowski entlas-
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sen und Anton von Schmerling (1805–1893) zum »Staatsminister« ernannt. Schmerling war schon im ständischen niederösterreichischen Landtag vor 1848 Verordneter gewesen. 1848 wurde er für einige Monate Innenminister, später sogar Ministerpräsident der provisorischen deutschen Regierung in Frankfurt, aus der er allerdings im Dezember 1848 austrat. Unter Schwarzenberg von 1849 bis 1851 Justizminister, trat er demonstrativ zurück, als der junge Kaiser wieder den Absolutismus einführte. Für Schmerling sprachen seine große Bekanntheit und das hohe Prestige, das er wegen seiner stets konsequenten Haltung im liberalen Bürgertum hatte. Schmerling entwarf nun in kurzer Frist jene Gesetze, die als »Februarpatent« am 26. Februar 1861 die Genehmigung des Kaisers fanden. Er griff dabei auf Vorarbeiten der Innenminister Franz Graf Stadion und Alexander Bach zurück, die bereits an Landesordnungen gearbeitet hatten, samt Wahlordnungen für die zukünftigen Landtage. Diese Entwürfe traten zwar niemals in Kraft, dienten aber dem Staatsminister im Februar 1861 als Vorlagen für seine Landesordnungen und Landtagswahlordnungen. Das »Februarpatent« gab sich als Durchführungsverordnung des Oktoberdiploms aus. Es zielte freilich auf das Gegenteil, nämlich auf einen nach wie vor »deutsch« und zentralistisch regierten Staat mit einem etwas stärkeren, von den liberalen Deutschen dominierten Reichsparlament. Aus einer Formulierung des Oktober-Diploms, nach der die nichtungarischen Delegierten des Reichsrates für die Beratung bestimmter Materien auch allein zusammentreten konnten, wurde im Februarpatent die Trennung in einen »engeren« und »weiteren« Reichsrat, ohne bzw. mit Ungarn. Das Reichsbudget sollte übrigens nur der weitere Reichsrat beschließen dürfen. Der Name des Parlaments blieb weiterhin »Reichsrat« – Franz Joseph lehnte die Bezeichnung »Reichstag« dezidiert ab. Ferner erklärte der Kaiser, dass damit die »äußerste Grenze der […] zulässigen Beschränkung der souveränen Macht erreicht« sei. Übrigens blieb der Kaiser dem Parlament und dem Parlamentarismus gegenüber immer skeptisch : Österreich könne nicht parlamentarisch regiert werden. Der Reichsrat hatte jetzt deutlich mehr Kompetenzen als jener des Oktoberdiploms. Neben dem weiteren Reichsrat, der primär für Finanzfragen, Militärvorlagen und gesamtstaatlich wichtige Wirtschaftsmaterien (Zölle, Post, Bankwesen, Handelsverträge) zuständig war, sollte der »engere«, nur die nichtungarischen Länder vertretende Reichsrat zu allen jenen Sachbereichen beraten und Beschlüsse fassen, die nicht den Ländern vorbehalten waren. Dazu gehörten etwa Kultus und Unterricht. Nach den notwendigen Landtagswahlen, der Konstituierung der Landtage und den dort erfolgten Wahlen der Abgeordneten zum Abgeordnetenhaus wurde der Reichsrat mit Sitzungen von Herren- und Abgeordnetenhaus am 29. April 1861 eröffnet. Die Schmerling’sche Wahlgeometrie hatte – unter Berufung auf deren höhere Steuerleistung – für eine deutliche Mehrheit der Deutschen (Liberalen) im Reichsrat gesorgt. Damit war er sicher, dass er für seinen zentralistischen Kurs, der gleichzeitig die
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Budgetsanierung für vorrangig erklärte, Unterstützung fand. In einer mit 17. Juni 1863 datierten Denkschrift erklärten aber elf tschechische Abgeordnete aus Böhmen unter Führung František Ladislav Riegers (des Schwiegersohnes Palackýs), zur zweiten Session nicht mehr nach Wien zu kommen und nicht mehr am Reichsrat teilzunehmen. Im November 1864 zogen sich auch die tschechischen Abgeordneten aus Mähren zurück. Dieser Protest richtete sich gegen den Unwillen der Regierung und der deutschliberalen Mehrheit, den Ländern der böhmischen Krone eine Sonderstellung zuzuerkennen, ferner aber auch gegen die Ungerechtigkeiten des Schmerling’schen Wahlrechtes. Da auch die Ungarn die Beschickung des Reichsrates – nach wie vor – ablehnten, wurde er zunehmend zu einem Rumpfparlament. Nur für kurze Zeit konnte man Abgeordnete aus Siebenbürgen (1863) für den Reichsrat gewinnen. Der ungarische Landtag wurde wieder aufgelöst ; hier herrschte bis 1866 neuerlich der Absolutismus. Auch die Tiroler zogen aus, die damit gegen die Sicherung der Rechtsstellung der Protestanten protestierten : Tirol sollte jedenfalls einheitlich katholisch bleiben ! Als Folge dieser sich ausweitenden Absenzpolitik waren zeitweilig (fast) nur mehr deutsch-liberal-zentralistische Abgeordnete anwesend. Inhaltlich leistete der Reichsrat in den ersten Jahren seines Bestandes zum Teil gute Arbeit, vor allem im Budgetbereich. Jetzt wurde eisern gespart. Das Parlament versuchte auch eine Verankerung liberaler Grundrechte (Hausrecht, Briefgeheimnis). 1862 wurde ein Gemeindegesetz beschlossen, das 100 Jahre gelten sollte. Aber der Kaiser wehrte sich vehement gegen jede weitere Einschränkung seiner Macht. Die Abgeordneten waren damit unzufrieden. Es wuchs daher die Verstimmung zwischen der liberal-zentralistisch orientierten Regierung Schmerling und dem Abgeordnetenhaus. Ab etwa 1864 stand das Parlament meist in Opposition zur Regierung. 8.3.3 Königgrätz, der Ausgleich mit Ungarn und die Dezemberverfassung Kampf um Deutschland
Seit 1848 bzw. 1850 hatte es immer wieder Spannungen mit Preußen gegeben. Schwarzenberg hatte 1850 (in Olmütz) Preußen mit einer Kriegsdrohung gezwungen, der in der deutschen Nationalversammlung zuletzt siegreichen »kleindeutschen« Lösung zu entsagen. Die von ihm angepeilte »großdeutsche« Lösung – ein Deutsches Reich mit der gesamten Habsburgermonarchie als Mitglied – war freilich weder für die Deutschen noch für die nichtdeutschen Österreicher besonders erstrebenswert. Immerhin schloss Österreich in der Folge einen Handelsvertrag mit dem von Preußen beherrschten Zollverein. Im Übrigen wurde der Deutsche Bund in der Gestalt von 1815/20 reaktiviert, also mit Österreich als Präsidialmacht. Als 1860 Bismarck preußischer
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Ministerpräsident wurde, übernahm eine ausschließlich vom Gedanken an Preußens Größe und Macht beherrschte Persönlichkeit das Ruder der preußischen Politik. 1859 hatte Preußen die Unterstützung Österreichs in Oberitalien verweigert, was Franz Joseph sehr verstimmte. Nun gedachte man in Wien, nach der italienischen Niederlage, Deutschland für sich zu gewinnen. Die Situation dafür schien günstig : Bismarck lag im Kampf mit dem preußischen Parlament und galt als reaktionärer Hardliner, während Österreich seit dem Februarpatent 1861 als Hoffnung für Mitteleuropas Liberale gelten konnte. Der Außenminister Graf Rechberg plante daher eine Sympathieaktion Richtung Deutschland. Dazu sollte ein Fürstentag dienen, der 1863 nach Frankfurt eingeladen wurde. Denn Frankfurt war der Sitz des Bundestages. Im selben Jahr setzte man auch in Österreich das von der Bundesversammlung 1861 beschlossene Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch in Kraft. Franz Joseph führte in Frankfurt den Vorsitz. Österreich schlug eine Bundesreform vor, die die Souveränität der Fürsten kaum einschränkte, aber doch eine Art Bundesparlament vorsah. Alle kamen, die Könige von Bayern, Württemberg, Sachsen, aber der wichtigste König fehlte – Bismarck hatte den preußischen König Wilhelm erfolgreich von der Teilnahme abgehalten. Damit war Frankfurt, trotz einiger Prestigeerfolge Franz Josephs – auch und besonders im liberalen deutsch-österreichischen Bürgertum – gescheitert. Inzwischen war im Norden des Bundesgebietes das Problem Schleswig-Holstein wieder akut geworden. Nach dem Aussterben der herrschenden Familie fielen beide Länder an Dänemark, wobei Holstein zum Deutschen Bund gehörte, Schleswig nicht. Die dänische Herrschaft wurde teilweise abgelehnt, was zu einer militärischen Intervention des Deutschen Bundes führte. Die militärische Durchführung oblag Österreich und Preußen. Programmgemäß wurden die Dänen 1864 geschlagen. Dabei war auch ein kleiner österreichischer Flottenverband tätig, der sich vor Helgoland unter Wilhelm von Tegetthoff tapfer mit der stärkeren dänischen Flotte schlug. Die 1865 vereinbarte gemeinsame Herrschaft über Schleswig und Holstein bot Bismarck die erwünschte Gelegenheit, wann auch immer einen Konflikt auszulösen – ein Vorwand würde sich schon finden. Man brauchte nur vorher einen Verbündeten. Das war praktischerweise Italien, das zu seiner nationalen Einheit vor allem Venetien erwerben musste. Im Frühjahr 1866 war es so weit : Das Militärbündnis zwischen Preußen und Italien war fixiert, Österreich stand vor einem Zweifrontenkrieg. Eine mögliche Abtretung (oder gar ein Verkauf ) Venetiens war von Franz Joseph entrüstet abgelehnt worden. Dagegen sicherte sich Österreich die Neutralität Frankreichs durch die Zusicherung, jedenfalls (!) Venetien an Napoleon III. abzutreten, egal wie der Krieg in Italien enden würde – obwohl Napoleon doch kaum die Idee hatte, die Preußen militärisch zu unterstützen. Es wurde also ein Krieg geführt, bei dem es nicht mehr um das Halten Venetiens ging, sondern »nur« um die Ehre des Kaisers. Der Krieg begann in der Tat siegreich, die Österreicher
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siegten bei Custozza (23. Juni 1866) über die Italiener. Aber nur wenig später (3. Juli) verloren sie gegen die aus zwei Richtungen in Böhmen einmarschierenden Preußen die große Schlacht bei Königgrätz. Benedek konnte sich gerade noch der Umklammerung entziehen. Aber der Krieg gegen Preußen war verloren. Wie eine leicht absurde Fußnote zu dem Kriegsgeschehen mutet die Seeschlacht bei der Insel Lissa (Vis) an : Ein Landungsversuch der Italiener wurde von der österreichischen Flotte unter Tegetthoff am 20. Juli unter schweren italienischen Verlusten vereitelt. Lissa reiht sich würdig in die lange Reihe glorreicher, aber vergeblicher österreichischer Siege (Kolín, Aspern, Custozza, 12. Isonzoschlacht) ein. Nun wurde Venetien an Napoleon III. abgetreten, der es sofort an Italien weitergab. Im Frieden von Nikolsburg trat Österreich aus Deutschland aus. Preußen annektierte nicht nur Schleswig-Holstein, sondern auch noch mehrere bisher selbstständige deutsche Staaten, von denen das Königreich Hannover der wichtigste war. Auch das Kurfürstentum Hessen, Nassau und Frankfurt wurden Preußen einverleibt. Nur Sachsen blieb bestehen, der unglückliche Verbündete Österreichs, für dessen Selbstständigkeit sich Franz Joseph mit großer Beharrlichkeit eingesetzt hatte. Bismarck bildete mit den weiterhin existierenden, vollkommen unbedeutenden Staaten nördlich des Main den Norddeutschen Bund. Er schloss aber mit den süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern, die als Österreichs Verbündete gleichfalls zu den Geschlagenen von 1866 gehörten, Militärkonventionen ab. Dies führte 1870 zur Teilnahme dieser Staaten am preußisch-französischen Krieg, der eben deshalb ein deutsch-französischer Krieg wurde. Gebietsabtretungen Österreichs lehnte Bismarck jedoch ab : Für die Zukunft dachte er schon an einen möglichen Bündnispartner Österreich. Im Kampf gegen Bismarck tritt deutlich zutage, dass der junge Kaiser für die komplizierten Probleme der auswärtigen Politik nicht die richtigen Voraussetzungen mitbrachte. Und obgleich Rechberg ein routinierter Diplomat war, war weder er noch der Kaiser dem »rücksichtslosen Macchiavellismus des diplomatischen und politischen Handelns Otto von Bismarcks« ( Joseph Redlich, Kaiser Franz Joseph, S. 287) gewachsen. Am Ende dieser Periode war das Ansehen des Kaisers an einem Tiefpunkt angelangt. In Wien waren Spottverse zu lesen, wie »Freiwillige ohne Knöpf, Minister ohne Köpf, Ein Kaiser ohne Hirn, da müssen wir verlieren.«
An seine Mutter, die Erzherzogin Sophie, schrieb Franz Joseph einen Brief, der seine Geradlinigkeit ebenso verrät wie den völligen Mangel an diplomatischem Raffinement : »(…) Erst jetzt kommt man so recht auf alle die Infamie und den raffinierten Betrug,
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dem wir zum Opfer gefallen sind. Das war alles zwischen Paris, Berlin und Florenz lange vorbereitet und wir waren sehr ehrlich, aber sehr dumm.« (beide Zitate nach Jean-Paul Bled, Franz Joseph. S. 254) Der Ausgleich und die Dezemberverfassung
Wieder eine Niederlage, wieder ein großer Schritt in Richtung Konstitutionalismus und Rechtsstaat – hatte Solferino den »erweiterten Reichsrat«, Oktoberdiplom und Februarpatent erzwungen, so bescherte Königgrätz den Völkern der Monarchie den »Ausgleich« mit Ungarn und die »Dezemberverfassung« 1867. Franz Joseph hatte schon 1864 beschlossen, mit den Ungarn direkt zu verhandeln. Auch in Ungarn selbst betrachteten vor allem die großen Gutsbesitzer das gemeinsame Zollgebiet mit den österreichischen Ländern als Vorteil. Und natürlich bestärkte auch die überaus magyarophile Kaiserin ihren Gemahl in seinem Entschluss, mit den Ungarn zu einer Lösung zu kommen. Ende 1864 kam es zu Geheimverhandlungen mit Ferenc Deák. Der deutsch-zentralistische Schmerling musste jetzt gehen. Dagegen beschrieb der berühmte »Osterartikel« Deáks (1865), des »Weisen der Nation«, bereits die Grundzüge des künftigen Dualismus ziemlich genau. Ungarn wollte seine Verfassung von 1848 wieder, dafür würde Ungarn aber die durch die Pragmatische Sanktion grundgelegte Gemeinsamkeit der Verteidigung und der Außenpolitik anerkennen. Mit Richard Graf Belcredi wurde ein Exponent der föderalistischen Richtung neuer Ministerpräsident im sog. »Dreigrafenministerium« – Alexander Graf Mensdorff-Pouilly wurde zum Außenminister bestellt, Johann Graf Larisch zum Finanzminister. Das Grundgesetz über die Reichsvertretung (freilich nicht die gesamte Verfassung von 1861 !) wurde im Herbst 1865 außer Kraft gesetzt (»sistiert«). Das Ergebnis der Verhandlungen mit den Ungarn sollte sodann den Delegierten der österreichischen Länder vorgelegt werden. In diesem Sinne wollte Belcredi im Jänner 1867 einen außerordentlichen Reichsrat zur »Mitwirkung« der westlichen Landtage bzw. ihrer Delegierten am Ausgleichswerk mit Ungarn einberufen. Daraus wurde nichts. Denn Deák hatte dem Kaiser nach Königgrätz versichert, dass er jetzt nicht mehr fordern werde als vor dem Krieg. Diese Aussage bedeutete ein wahres Labsal für Franz Joseph. Er suchte nun eine Persönlichkeit, die den Ausgleich mit Ungarn rasch auf den Weg bringen konnte. Auf ungarischer Seite war das neben Deák Julius (Gyula) Graf Andrássy (1823–1890) – er war 1849 zum Tode verurteilt und in effigie gehängt wurden, konnte sich aber rechtzeitig retten. 1858 begnadigt, trat er jetzt neben Deák als bestimmende Persönlichkeit der ungarischen Politik in den Vordergrund. Aber wer sollte das Ausgleichswerk für die österreichische Seite verhandeln ? In einer wieder einmal überraschenden Wendung berief Franz Joseph am 4. November 1866 den früheren sächsischen Ministerpräsidenten Friedrich Freiherrn von Beust anstelle von Mensdorff zum Außenminister. Rasch setzte Beust sich mit Andrássy ins
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Einvernehmen und beide schufen vollendete Tatsachen. Der Ausgleich war ausschließlich als Vertrag zwischen der politischen Repräsentanz Ungarns und dem nunmehr als König anerkannten Kaiser Franz Joseph konzipiert. Am 17. Februar 1867 ernannte Franz Joseph »seine« erste ungarische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Andrássy. Das Ausgleichsgesetz wurde vom ungarischen Reichstag verabschiedet (GA XII 1867). Nach der feierlichen Krönung in Buda am 8. Juni 1867 war die ungarische Frage auch symbolisch gelöst : Franz Joseph war nun gekrönter König von Ungarn und stand damit in der Tradition des heiligen Königs Stephan. Die Geburt der jüngsten Kaisertochter Marie Valerie im Jahre 1868 mag als ein Beleg dafür dienen, dass das Herrscherpaar nach einer längeren Krise in der Katastrophenzeit von 1866 in der gemeinsamen Freude über die Lösung der ungarischen Frage wieder zusammengefunden hatte. Die Kaiserin und Königin Elisabeth hatte in ihrer fast extremen Sympathie für Ungarn, für Deák und – natürlich auch – für den feschen und charmanten Andrássy ihren Gemahl geradezu stürmisch bedrängt, den von Deák skizzierten Dualismus zu akzeptieren. Die »schöne Vorsehung«, als die sie von Andrássy apostrophiert wurde, wurde daher auch in Ungarn fast wie eine Heilige verehrt. Als jetzt wieder der engere Reichsrat einberufen wurde, konnte er den Ausgleich mit Ungarn nur akzeptieren, nicht mehr inhaltlich mitgestalten. Allerdings wurde das österreichische Ausgleichsgesetz vom 21. Dezember 1867 als Gesetz, »betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung« bezeichnet, die »österreichischen« Parlamentarier hielten also an einer gemeinsamen »österreichischen Monarchie« fest, von der die Ungarn, je länger desto intensiver, behaupteten, sie existiere nicht. Der Ausgleich schuf zwei konstitutionelle Monarchien sowie – nach außen – einen gemeinsamen staatlichen Mantel, der beide Teilstaaten (oder »Reichshälften«) umhüllte. Die drei gemeinsamen Minister (für das Äußere, die gemeinsame Armee und die gemeinsamen Finanzen) bildeten ein »gemeinsames Ministerium«. Zum gemeinsamen Ministerrat wurden schon ab 1868 regelmäßig die beiden Ministerpräsidenten hinzugezogen. Aber der Ausgleich hatte doch eine fast unglaubliche Eigentümlichkeit : In beiden Teilstaaten (und daher auch im Gesamtreich) waren Außenpolitik und Heerwesen ausschließliche Prärogativen der Krone ! Franz Joseph blieb also gerade in den wichtigsten Politikbereichen jener absolute Monarch, als den er sich immer gesehen hatte. Die parlamentarischen Debatten um Steuern, Militärgesetze und Rekrutenbewilligungen sah er wohl als notwendige Konzessionen an die neue Zeit. Aber die Richtung der Außenpolitik oder die innere Ordnung der Armee bestimmte er nach wie vor und bis zum Ende allein. Dem ungarischen Reichstag stand jetzt der (frühere »engere«) Reichsrat als Vertretungskörper der diesseits der Leitha gelegenen Länder gegenüber. Man gab dem »diesseitigen« Staat, dessen Staatsbürger eine »österreichische« Staatsbürgerschaft besaßen,
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keinen besonderen Namen, sondern nannte ihn offiziell nur die »im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder«. Das war eher langwierig, daher setzte sich dafür die inoffizielle Kurzbezeichnung »Zisleithanien« (= »diesseits der Leitha«) durch. Die traditionsreiche Abkürzung »k.k.« (=kaiserlich-königlich), mit der bisher die Armee und die staatlichen Einrichtungen gekennzeichnet wurden, galt nur mehr für den »diesseitigen Staat«. Einrichtungen der von jetzt an »österreichisch-ungarische Monarchie« genannten gemeinsamen Staatlichkeit wurden mit dem Kürzel »k.u.k.« (kaiserlich und königlich) versehen. Die gemeinsame Armee bestand also aus k.u.k. Regimentern, auch das Außenministerium war »k.u.k.«. Eine Bezirkshauptmannschaft in Böhmen oder Galizien hingegen war »k.k.«, ebenso die (österreichische) Gendarmerie. Rein ungarische Institutionen kürzte man im Deutschen mit »k.u.« (königlich ungarisch) ab. Da den Ungarn auch so etwas wie eine eigene Armee (freilich keine komplette) zugestanden wurde, hatte man also neben der k.u.k. Armee auch die k.u. Honvéd ; aus Symmetriegründen musste man auch eine k.k. (also nur österreichische) Landwehr aufstellen, die einem eigenen k.k. Landesverteidigungsministerium unterstand, dem wiederum in Budapest ein eigenes k.u.Honvédministerium entsprach. In Kriegszeiten unterstanden freilich alle Truppenkörper dem Kaiser und seinem (k.u.k.) Kriegsministerium in Wien. Die »österreichischen« Abgeordneten nutzten die Gunst der Stunde und erkämpften als Preis für die Akzeptanz des Ausgleichs die »Dezemberverfassung« 1867. Zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte war dies eine Verfassung, die nicht oktroyiert war, sondern in wesentlichen Teilen auf die gesetzgebende Tätigkeit des Reichsrates zurückging. Bei der Abscheu des Kaisers vor dem Begriff »Verfassung« (dieses Vokabel wurde sowohl 1860 wie 1861 und auch jetzt, 1867, vermieden) wurde aber wiederum keine solenne Verfassungsurkunde aufgesetzt. Man hat bloß fünf »Staatsgrundgesetze« verabschiedet, die freilich im Zusammenhang mit Pragmatischer Sanktion, Oktoberdiplom und Februarpatent doch eine veritable Verfassung ergaben. Die Staatsgrundgesetze über die Rechte der Staatsbürger (der bis heute im Kern in Kraft stehende österreichische Grundrechtskatalog !), über die Einsetzung eines Reichsgerichtes, über die richterliche Gewalt, über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt (mit der Verankerung der Ministerverantwortlichkeit) sowie das Gesetz über die Abänderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung vom Februar 1861 bildeten gemeinsam mit dem Ausgleichsgesetz von nun an jenes Regelwerk, nach dem die Maschine der österreichischen Staatlichkeit funktionieren sollte (21. Dezember 1867). Schon im November 1867 waren Gesetze über das Vereins- und Versammlungsrecht vorausgegangen. Österreich war jetzt zwar keine parlamentarische, wohl aber – fast – eine konstitutionelle Monarchie geworden. Da die Ungarn ein gemeinsames Reichsparlament stets vehement ablehnten, erfand man zur parlamentarischen Kontrolle der gemeinsamen Minister die »Delegationen« – gleich starke Abordnungen beider Parlamente (je 60 Mitglieder), die am gleichen Ort
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zusammenkamen, abwechselnd einmal in Budapest, einmal in Wien. Sie tagten aber getrennt und verkehrten miteinander nur schriftlich ; bloß ausnahmsweise gab es auch gemeinsame Sitzungen, mit Abstimmungen, aber ohne Diskussionen. Nur in den Delegationen konnten außenpolitische Probleme mit den zuständigen Ministern erörtert werden, nicht in den beiden teilstaatlichen Parlamenten. – Abgesehen von diesen jährlich zusammentretenden Delegationen wirkte der ungarische Ausgleich alle zehn Jahre in die Innenpolitik beider Teilstaaten herein, da neben den staatsrechtlich fixierten gemeinsamen Angelegenheiten 1867 auch einige Gemeinsamkeiten verabredet bzw. einfach fortgesetzt wurden, die sich auf das Wirtschaftsleben bezogen. Sie bestanden in einem »Zoll- und Handelsbündnis«, einer Währungsunion und einer gemeinsamen Staatsschuld. Zahlreiche damit im Zusammenhang stehende Materien mussten alle zehn Jahre neu beschlossen werden. Alle zehn Jahre war auch die »Quote« (die Beitragsquote Österreichs bzw. Ungarns zu den gemeinsamen Angelegenheiten, 1867 im Verhältnis 70 : 30 fixiert) neu festzulegen. Beide Teilstaaten hatten dafür jeweils übereinstimmende Gesetze zu verabschieden, was bei Konflikten immer das Ende dieser Gemeinsamkeiten heraufbeschwor, daher das Schlagwort von der »Monarchie auf Kündigung«. Die Ausgleichserneuerungen entwickelten sich immer wieder zu heftigen Kämpfen samt entsprechender publizistischer und parlamentarischer Begleitmusik. Zweifellos leistete der österreichische Reichsrat – ähnliches gilt übrigens auch für das ungarische Parlament von 1867 und danach – eine recht bedeutende, in der Schöpfung der oben genannten Staatsgrundgesetze auch gegenüber der Regierung und dem Kaiser eigenständige Arbeit. In den folgenden Jahren verabschiedete das Parlament, im Einklang mit der neuen (nur mehr »cisleithanischen«) Regierung unter Fürst Carlos Auersperg, dem so genannten »Bürgerministerium«, als legislatives Organ wichtige Materien. Zu nennen sind insbesondere die Kirchengesetzgebung von 1868, das Reichsvolksschulgesetz von 1869 oder das Wehrgesetz, das die allgemeine Wehrpflicht festlegte (ein gleiches Gesetz wurde auch in Ungarn beschlossen, die Armee blieb ja gemeinsam !). Die Zeit von 1867 bis 1870 war sicher die legislativ fruchtbarste Periode der österreichischen Parlamentsgeschichte vor 1918. Mit dem »Ausgleich« ging jene Phase der durch militärische Niederlagen erzwungenen Reformen in Richtung verstärkter parlamentarischer Rechte zu Ende. Es waren im Leben des Kaisers neun überaus ereignisreiche Jahre, in denen sich bei ihm, von der Not erzwungen, eine gewisse Lern- und Wandlungsfähigkeit herausgebildet hatte. Mit dem verfassungsmäßigen Gerüst von 1867 regierte der Kaiser und König die weiteren fast 50 Jahre bis zum Ende seines Lebens und seiner Herrschaft.
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8.4 Gründerzeit und Hochindustrialisierung 8.4.1 Die »Gründerjahre« und die große Krise
Die Niederlage von Königgrätz und der Ausgleich mit Ungarn schienen das Ende des alten Österreich zu bedeuten. Die neuerliche Kreditaufnahme zur Finanzierung des Krieges ließ eine neue Sparwelle der öffentlichen Hand erwarten. Die wirtschaftlichen Aussichten schienen ebenso düster wie die politischen. Schon von 1863 bis 1866 hatte eine schwere Wirtschaftskrise das Kaisertum erschüttert. Der Eisenbahnbau als wichtigster Leitindikator der Wirtschaftsentwicklung ging stark zurück. Aber auch vorher hatte es, trotz der wichtigen Reformen des Neoabsolutismus, nicht sehr rosig ausgesehen. Entgegen den optimistischen Bulletins aus der Werkstatt der staatlichen Propaganda wuchs die Wirtschaft des »neuen Österreich« in den 1850er Jahren bei Weitem nicht so rasch wie die Englands, Frankreichs oder Preußens. Viele Gründe werden dafür erwogen : Die starke Inanspruchnahme des Finanzmarktes durch den Staat (Militär, Beamte), die ungelösten nationalen und staatsorganisatorischen Probleme (Deutschland, Ungarn, Italien) und die damit verbundene Zurückhaltung des Auslandskapitals. Immerhin gelang es dem Haus Rothschild, mit der Gründung der Creditanstalt für Handel und Gewerbe 1855 ein großes Bankinstitut auf Aktienbasis ins Leben zu rufen, in dessen leitenden Gremien neben den Vertretern der Hochfinanz (Rothschild selbst, dazu Goldschmidt, Wertheimstein, Haber, Wiener) auch Persönlichkeiten des Hochadels (Schwarzenberg, Auersperg, Barkóczy, Zichy und Chotek) saßen. Aber das ins Auge gefasste Gründungsgeschäft lief nur langsam und zäh an. Das langsame Wachstum kippte mit der Sparsamkeit der liberalen Finanzminister ab 1861 und dem amerikanischen Bürgerkrieg (samt Ausfall der Importe von Baumwolle aus den Südstaaten) in die bereits genannte schwere Krise, samt scharfem Rückgang des Bruttonationalprodukts. Die Erwartungen für die Nachkriegszeit ab 1866 waren daher verhalten. Aber das Unerwartete geschah. Schon die Rüstungskredite für den Krieg von 1866 kamen der nach Aufträgen dürstenden Industrie höchst gelegen. Und dann das Wunder : Das Jahr 1867 brachte eine ausgezeichnete Getreideernte in ganz Mitteleuropa, während anderswo Mangel herrschte. Sofort sprang der Export vor allem von ungarischem Getreide an, bei guten Preisen. Die Eisenbahngesellschaften und die DonauDampfschifffahrtsgesellschaft machten hervorragende Geschäfte. Noch war die Landwirtschaft im Gesamtbereich der Monarchie die vorherrschende Wirtschaftssparte, daher bedeutete diese Situation eine unverhoffte Steigerung der Einkommen nicht nur der großen Gutsbesitzer, sondern auch vieler Bauern. Die Exportnachfrage schlug sich sogleich in neuen Eisenbahnlinien nieder. Die Folge war eine rasche Verdichtung des Eisenbahnnetzes, es wuchs während der sieben Gründerjahre in Zisleithanien um 136 %, in Ungarn fast um 190 %, insgesamt um eine Streckenlänge von 9.000 Kilome-
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tern. An wichtigen neuen Bahnlinien seien hier nur die Franz-Josephs-Bahn von Wien nach Prag erwähnt, die Nordwestbahn, die Wien mit Sachsen verbinden sollte, schließlich die Gisela-Bahn, die Tirol mit Salzburg verband. In Ungarn sollten die Bahnlinien alle Regionen des Königreiches mit Pest verbinden. Eine wichtige Linie führte von Budapest zum ungarischen Hafen Fiume. Der jetzt wieder erwachende Eisenbahnbau regte neuerdings das Wachstum von Kohle, Stahl und Maschinenbau sowie die Nachfrage nach Schwellenholz und Baustoffen für Brücken und Stationsgebäude an. Zahlreiche neue Aktiengesellschaften wurden gegründet. Die guten landwirtschaftlichen Einkommen regten auch die Nachfrage nach Konsumgütern an, insbesondere nach Textilien. In der Handelspolitik wandte sich auch Österreich-Ungarn nunmehr dem Freihandel zu. Gleichzeitig wurden große Infrastrukturprojekte in Angriff genommen, wie die Donauregulierung bei Wien (1870 bis 1875) oder die erste Wiener Hochquellwasserleitung (1869 bis 1873). Paradoxerweise war also der militärischen Katastrophe die wirtschaftliche Blüte gefolgt. Freilich kam es im Rausch der Gründungsaktivitäten zu heftigen spekulativen Übertreibungen. Schon zwischen 1867 und 1869 wurden 36 neue Banken gegründet, bis 1872 wurden mehr als 1.000 neue Aktiengesellschaften angemeldet ! Viele von ihnen existierten nur auf dem Papier und traten nie in Wirksamkeit. Die ständige Hausse der Aktienkurse verführte immer mehr Menschen, auch nicht besonders vermögende, dazu, sich an der Spekulation zu beteiligen – hatte man kein Geld, nahm man einfach einen Kredit dafür auf. Nicht wenige Spargroschen wurden der Spekulationswut geopfert. Eine kleine Krise schon 1869 hätte zur Warnung dienen können, aber nach deren Überwindung ging das Spiel munter weiter. 1871 ging das Gerücht um, von der hohen französischen Kriegsentschädigung an das neue Deutsche Reich werde ein großer Teil in die kapitalhungrige Habsburgermonarchie fließen. Tatsächlich kam ein Teil, aber weniger als erwartet. Neuerdings wurde die Phantasie der Anleger beflügelt, auch durch die Planung einer Weltausstellung für Wien im Jahre 1873. Weltausstellungen galten als die überdimensionalen Auslagen des Warenangebotes, aber auch der kulturellen Errungenschaften und Besonderheiten einer im Zeichen von Eisenbahn und Dampfschiff immer rascher zusammenwachsenden Welt. Die Planungen für Wien konnten durchaus mit London oder Paris konkurrieren. Im Mittelpunkt stand eine grandiose Glaskonstruktion, die Rotunde, verbunden mit einer riesigen Ausstellungshalle, in der sich die gesamte damalige Welt (inclusive Ägypten und Japan !) präsentieren sollte. 53.000 Exponate, von denen 15.000 aus Österreich kamen, wurden in 26 Sachgruppen und 174 Sektionen präsentiert. Trotz einiger Krisenanzeichen schon 1872 steigerte sich noch einmal die Spekulation – denn die Riesengewinne der Weltausstellung würden alle fragwürdigen Kredite und Aktien retten. Schon im April 1873 kündigte die wichtigste Bank der Monarchie, die Creditanstalt für Handel und Gewerbe, als Reaktion auf unerfreuliche Meldungen aus Paris vorsorg-
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lich einige als unsicher geltende Kredite. Die meisten Firmen erwiesen sich als zahlungsunfähig. Die Aktienkurse begannen zu fallen. Noch hoffte man auf die Eröffnung der Ausstellung, die am 1. Mai 1873 erfolgte. Aber die Kurseinbrüche gingen weiter. Die Ausstellung litt zunächst unter dem schlechten Wetter, die erhofften Besuchermassen kamen nur zäh. Am 9. Mai, dem »schwarzen Freitag«, brachen die Kurse vollkommen ein. Jetzt versuchte jeder zu verkaufen, was die Kurse ins Bodenlose drückte, abgesehen davon, dass zahlreiche Papiere tatsächlich völlig wertlos waren, weil ihnen gar kein realer Wert (Fabriksgebäude, Maschinen, Vorräte) entsprach. Zahlreiche neue Gesellschaften waren reine Spekulations- und Phantasiegebilde. Zu allem Überfluss kam im Sommer die Cholera. Sie forderte in der gesamten Monarchie 436.000 Todesopfer, die meisten davon in Ungarn, auf Wien entfielen etwas weniger als 3.000. Nicht einmal der von romantischen Orient-Phantasien umwobene Besuch des Schahs von Persien, Nasir-ad Din, konnte die Ausstellung retten, auch nicht die Besuche durch Kaiser Wilhelm I. von Deutschland, Zar Alexander II. von Russland und König Viktor Emanuel II. von Italien. Ein großer Teil der Kosten von etwa 19 Millionen Gulden blieb am Staat hängen. Wer sich katastrophal verspekuliert und überschuldet hatte, sah als Ausweg oft nur den Freitod. Die Zahl der Selbstmorde stieg stark an. Wer »nur« sein Erspartes verlor, musste aus der teuren Residenzstadt auf das Land übersiedeln, wie der Vater des Historikers und Universitätsprofessors August Fournier, der eine billige Wohnung in Waidhofen an der Ybbs fand. Die enormen finanziellen Verluste breitester Kreise führten zu einem starken Nachfragerückgang. Reihenweise fallierten die unsoliden Neugründungen : Von 70 zwischen 1868 und 1873 neu errichteten Banken in Wien bestanden 1883 nur mehr acht, von 65 in der Provinz gegründeten nur mehr 21. Die Wiener (und Wiener Neustädter) Lokomotivfabrik Siegl musste wegen der Auftragseinbrüche zahlreiche Arbeiter entlassen, ebenso viele andere Betriebe. Die Hälfte der Wiener Baugesellschaften wurde liquidiert. Arbeitslosigkeit breitete sich aus. Preise und Gewinne sanken ebenso wie die Kurse der Aktien. Die liberale Marktideologie, an die man wie an ein Evangelium geglaubt hatte, erschien plötzlich als eine höchst unsichere Sache. Der allgemeine Glaube an den Liberalismus wurde massiv erschüttert. Ein neuer Antisemitismus entstand, da man »die Juden« für Spekulation und Krach verantwortlich machte. 8.4.2 Depression und neuer Aufschwung
Der überhitzten Wachstumsphase folgte eine längere Depression. Ob sie – wie in Deutschland – bis 1896 andauerte, ist fraglich. Die Jahre von 1879 bis 1883 und 1886 bis 1890 gelten als Jahre einer guten Konjunktur, dazwischen lief es wieder nicht so gut. Ab etwa 1896 setzte ein neuer Aufschwung ein, der sich bis 1913 fortsetzte, unterbrochen nur durch eine Krise um die Jahrhundertwende. 1904 bis 1908 waren ausge-
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sprochen gute Jahre, weltweit wuchs die Wirtschaft, in Österreich-Ungarn besonders ausgeprägt. Man sprach von einer »zweiten Gründerzeit«. Aber auch während der Stagnationsperioden ging der wirtschaftliche Wandel weiter. Die großindustrielle Produktionsweise setzte sich vollends durch. In den 1880er Jahren kamen zu den traditionellen Stützen des Wachstums – Textil- und Schwerindustrie – neue Branchen : Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik. Als erste Stadt Österreichs erhielt Scheibbs 1884 eine elektrische Stadtbeleuchtung. Noch im selben Jahr folgte Steyr, wo der erfolgreiche Gewehrfabrikant Josef Werndl ebenfalls die neue Technologie als zukunftsweisend entdeckt hatte – in Zusammenarbeit unter anderem mit Johann Siegmund Schuckert baute er Dynamos nach dem von Werner von Siemens entdeckten elektrodynamischen Prinzip. Schon 1883/84 wurde hier die Wasserkraft als Energieträger für die Erzeugung elektrischer Energie eingesetzt. In den letzten zwei Friedensjahrzehnten wurde das Wachstum nicht nur von den traditionellen Branchen getragen, sondern auch schon von der Fahrrad- und Automobilerzeugung. Außerdem stiegen – wie überall – die Rüstungsausgaben, was dem Bau von Kriegsschiffen im Stabilimento Tecnico Triestino und dem von Kanonen in den Pilsener Škoda-Werken ebenso nützte wie der Stahlerzeugung und der Produktion von Sprengstoffen im Industrieviertel südlich von Wien. 8.4.3 Strukturprobleme und regionale Besonderheiten
Vergleicht man die Habsburgermonarchie mit anderen europäischen Staaten, so war insbesondere in der letzten Konjunkturperiode das Wachstum sogar überdurch schnittlich. Allerdings konnte in dieser kurzen Zeit jener Rückstand nicht aufgeholt werden, der seit dem späten 18. Jahrhundert, vor allem aber doch wohl zwischen etwa 1850 und 1866 entstanden war. Tab. 1: Bevölkerungsbewegung Bevölkerungsentwicklung 1857–1910 (in Millionen Menschen) 1857
1869
1880
1890
1900
1910 49,6
Österreichisch-ungarische Monarchie
37,8
35,9
39,0
42,8
45,4
»Zisleithanien«
18,6
20,4
22,1
23,9
26,2
28,6
Ungarn
13,8
15,5
15,7
17,5
16,8
18,3
Gebiet der (heutigen) Republik Österreich
4,1
4,5
5,0
5,4
6,0
6,6
Anm.: Die Summe von Zisleithanien und Ungarn ergibt nur 1869 die Gesamtmonarchie. 1857 entfiel die Differenz von 5,4 Millionen auf Oberitalien, ab 1880 auf Bosnien-Herzegowina. Das Gebiet der heutigen Republik Österreich gehörte fast gänzlich zu Zisleithanien, mit Ausnahme des heutigen Burgenlandes, das zu Ungarn gehörte.
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Tab. 2: : Anteil von Industrie und Gewerbe an den Erwerbsgrundlagen der Bevölkerung ÖsterreichUngarn
Ungarn
Zisleithanien
darin: österr. Alpenländer
darin: Böhmen, Mähren, Schlesien
1890
20 %
13 %
25 %
30,0 %
38,0 %
1900
21 %
15 %
26 %
31,5 %
39,5 %
1910
23 %
18 %
28 %
33,0 %
41,0 %
Während die Sudetenländer, Niederösterreich mit Wien und Vorarlberg eine mit westeuropäischen Mustern durchaus vergleichbare industrielle Entwicklung erlebten, blieben die Südländer (Krain, Istrien, Dalmatien, Kroatien) ebenso wie die Nordostländer (Galizien und Bukowina) stark dahinter zurück. In Ungarn wurde Budapest zum Zentrum der Industrie. Ausgangspunkt war hier – und das ist weltweit eher selten, nur Minneapolis am Mississippi hat eine ähnliche Industrialisierungsgeschichte – die industrielle Mehlproduktion. Schon im Vormärz begann man in Budapest auf Schiffsmühlen das ungarische Getreide zu vermahlen, das dann donauaufwärts mit Dampfschiffen nach Wien gebracht wurde – der Rohstoff für Wiener Kipferl und Kaisersemmeln. Die Nachfrage stieg, die Schiffsmühlen wurden durch industrielle Dampfmühlen ersetzt. Für die Mühlen wurden Reparaturbetriebe und Maschinenwerkstätten notwendig, aus denen sich eine leistungsfähige Maschinenindustrie entwickelte. Die Mühlenindustrie wurde zum Kern der Budapester Industrie. Budapest wurde zur »Werkstatt« Ungarns (Hanák). Daneben entwickelten sich im Anschluss an die Bergbauregionen der heutigen Slowakei einige kleinere industrielle Zentren der Textilindustrie, aber auch der Metallverarbeitung. Auch im Banat entstand mit Reschitza (Reşiţa) ein von der österreichischen Staatseisenbahngesellschaft aufgebautes Zentrum der Schwerindustrie. Der wirtschaftlichen Expansion standen in der Habsburgermonarchie aber auch gewisse Hindernisse entgegen. Das größte Flussgebiet, jenes der Donau, ist weder mit jenem der höchstentwickelten böhmischen Industriegebiete, dem der Elbe, verbunden, noch auch mit den wichtigsten Hafenstädten Triest und Fiume (Rijeka). Kanalverbindungen wurden zwar häufig besprochen, aber nur zwischen Donau und Theiß realisiert. Ein weiteres Problem war die schwache Nachfrage in den agrarischen Weiten des Ostens : Arme Bauern und Landarbeiter konnten die Produkte der wachsenden Industrie einfach nicht kaufen. Die Kaufkraft dieser Masse armer Menschen in Galizien, Ungarn, Kroatien, Istrien und Dalmatien stieg – wenn überhaupt – nur sehr langsam. Das führte schließlich zu einer erheblichen Auswanderung, vor allem in den letzten Jahrzehnten des Reiches. Ebenso ungünstig war die Verteilung der Rohstoffe. Die erzreichen Alpenländer waren arm an verwertbaren Kohlevorkommen – einer der Gründe für den in der zweiten
Gründerzeit und Hochindustrialisierung
389
Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich hervortretenden Vorsprung der eisenverarbeitenden Industrie im mährisch-schlesischen Grenzgebiet und im westlichen Zentralböhmen, während die traditionsreiche Eisenverarbeitung der ober- und niederösterreichischen Eisenwurzen, der Steiermark, Kärntens und Krains in eine langwierige Krise geriet. Allerdings stieg man hier in der Stahlerzeugung schon ab 1863 auf das moderne Bessemerverfahren um, der wichtigsten Innovation auf diesem Gebiet, das man unter anderem in Turrach, Neuberg, Ternitz und in Graz anwendete ; 1875 wurden schon 80 % des steirischen Stahls auf der Basis dieser modernen Technik gewonnen. Nun wurden – sehr verspätet – in der Steiermark und in Niederösterreich auch die ersten Hochöfen mit Koksbetrieb angeblasen (1872/73). Die im Vormärz noch blühende Kärntner Eisenindustrie verlor an Terrain. Wahrscheinlich kamen die wichtigen Eisenbahnverbindungen, die Rudolfsbahn (Amstetten – Selzthal – Judenburg – St. Veit an der Glan – Villach – Tarvis – Laibach, 1868–1873) und die durch das Drautal führende Verbindung Marburg – Franzensfeste (1863–1871) zu spät. Die endgültige Katastrophe kam mit der Übernahme praktisch aller alpinen Eisenwerke durch die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft, der Nachfolgerin der Innerberger Hauptgewerkschaft. Unter der Herrschaft Karl Wittgensteins (1847–1913), des erfolgreichsten Tycoons der österreichischen Schwerindustrie, wurden die meisten Kärntner Werke geschlossen. Ebenso wie Kärnten war auch Krain von einer schwachen Industrialisierungsdynamik geprägt. Zu einer Konzentration mehrerer Werke im Raum von Jesenice trug die Krainer Industriegesellschaft bei, die 1869 gegründet wurde. Die Trifailer Kohlenbergbaugesellschaft baute die Kohlevorkommen im Savegebiet, aber auch in Gottschee ab. Beide Gesellschaften wurden bald von Inhabern dominiert, die nicht aus den slowenischen Gebieten kamen. Die Papierfabriken von Fidelis Terpinc, des bis dahin erfolgreichsten slowenischen Unternehmers, wurden in den 1870er Jahren von der Grazer Leykam-Josefsthal-Gesellschaft gekauft. 8.4.4 Industrieregionen
Die meisten industriellen Zentren der zweiten Jahrhunderthälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich aus den Zentren der Industriellen Revolution, die schon im Vormärz begonnen hatte. Ganz im Westen wurde das kleine Vorarlberg zu einem der wichtigsten Zentren der Textilindustrie. Ab etwa 1850 setzte sich der Energiespender Dampfmaschine gegenüber der bisher vorherrschenden Wasserkraft durch. Besonders Dornbirn wurde ein überregionales Zentrum der Baumwollspinnerei, aber auch in Kennelbach, Feldkirch usw. entstanden nun in rascher Folge zahlreiche Maschinspinnereien. Die Textilindustrie regte aber auch vorgelagerte Industrien an, besonders im Maschinenbau. Aber auch andere gewerblich-industrielle Aktivitäten, etwa im Bereich der Nahrungs-
390
Das Zeitalter Franz Josephs
mittelindustrie (Schokolade) blühten auf. Die 1884 eröffnete Eisenbahnverbindung durch den Arlberg nach Tirol verbesserte die Verbindung mit den Absatzzentren in Wien und in den böhmischen Ländern. In Tirol entstand im unteren Inntal auf Grund der günstigen Verkehrsverbindung mit Bayern ebenso wie mit dem Süden eine relativ dichte Gewerbelandschaft mit einigen größeren Betrieben, etwa einer Zementfabrik bei Kufstein. Dagegen gab es in Salzburg nur sehr wenige Industrien, hier entwickelte sich dafür relativ früh der Fremdenverkehr. Mit der Eröffnung der Kaiserin-ElisabethWestbahn 1860 wurde Salzburg an das internationale Bahnnetz angeschlossen. Tab. 3: Die österreichischen Alpenländer: Langsame Industrialisierung bei teilweiser Stagnation des Agrarsektors und rascher Entwicklung des tertiären Sektors. Bevölkerung nach Sektoren I (Agrarsektor)
II (Industrie und Gewerbe)
III (Dienstleistungen)
1890
51 %
26 %
23 %
1910
39 %
27 %
34 %
In Oberösterreich gab es große Spinnereien im Nahbereich von Linz (Kleinmünchen), während die traditionsreiche Linzer Wollzeugfabrik 1850 wegen fehlender Rentabilität geschlossen wurde. Dennoch blieb Linz weiterhin Industriestadt, unter anderem wegen der Ansiedlung der Lokomotivfabrik Krauß & Co. im Jahre 1880. Das traditionsreiche Eisenverarbeitungsgebiet um Steyr erlebte zunächst den Niedergang der kleinen handwerklichen Produktion. Die Zahl der Messerer ging stark zurück. Im weiteren Umkreis konnte sich aber die traditionsreiche Sensenproduktion vor allem in jenen Unternehmen behaupten, die sich zum Großbetrieb entwickelten, wie die Sensenfabrik Redtenbacher in Scharnstein. In Steyr selbst kam es durch den tüchtigen Unternehmer Josef Werndl (1831–1889) ab den 1860er Jahre zum Aufbau eines Großunternehmens, das zunächst der Gewehrfabrikation diente, später aber auch die Produktion von Fahrrädern übernahm. Das Unternehmen wurde 1869 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die seit 1923 Steyr-Werke hieß und ab 1934 Steyr-Daimler-Puch-AG. Auch in den an Oberösterreich angrenzenden traditionellen Eisenverarbeitungsgebieten Niederösterreichs gerieten die kleinen Unternehmungen immer mehr in die Krise. Einige neue Großbetriebe im Ybbs-, Erlauf- und Traisental wie die Böhlerwerke bei Waidhofen an der Ybbs konnten aber auf das Humankapital der gut ausgebildeten Arbeiterschaft der alten Kleineisenindustrie zurückgreifen. Im Waldviertel bildete sich im Anschluss an die verlegte Textilindustrie auch eine Fabriksproduktion von Bändern, Tüchern usw. heraus, die an einigen Standorten (Waidhofen an der Thaya, Groß-Siegharts, Weitra, Gmünd) den Übergang zur modernen Fabrikation schaffte. Hier entstanden auch einige überregional bedeutende Orte der Glasproduktion, deren
Gründerzeit und Hochindustrialisierung
391
berühmtere Zentren sich allerdings in den Randgebieten Böhmens (Gablonz, Schluckenau) befanden. Hier wurden unter anderem die berühmten Glaserzeugnisse der Wiener Firma Lobmeyr hergestellt. Sieht man von der Metropole Wien ab, war jedoch schon im Vormärz die dichteste Industrielandschaft des heutigen Österreich im so genannten »Industrieviertel« südlich von Wien, bis fast zum Semmering, entstanden. Hier dominierten zunächst wieder Baumwollspinnereien. Aber auch die Produktion von Stahl (Ternitz), von Schrauben (Brevillier in Neunkirchen), von Lokomotiven und später von Automobilen in Wiener Neustadt führte zur Entstehung großer Betriebe. Auch die Rüstungsindustrie siedelte sich hier an mehreren Standorten an. Schließlich Wien : Hier war bis um die Jahrhundertmitte die traditionelle verlegte Textilproduktion zu Grunde gegangen. Nun übernahmen andere Sparten die Funktionen als Leitsektoren. Von der wachsenden Bedeutung der Maschinenindustrie war schon die Rede. Aber Wien war auch die Stadt der Buchdruckereien, der Feinmechanik und einer überaus breiten verlegten Produktion nicht mehr im Textil-, sondern im Bekleidungsbereich. Die rasch wachsende Bevölkerung verlangte nach Hemden, Hosen, Schuhen, Hüten, Röcken usw. Dafür sorgte ein Heer von Schneiderinnen, Schneidern, Pfeidlerinnen, Putzmacherinnen, Hutmachern, Schustern usw. – viele als Alleinmeister, andere als Bedienstete in kleinen Betrieben, oft auf engstem Raum zusammengepfercht, oder von Händlern oder größeren Meistern oder Meisterinnen verlegt. Die Metropole zog alle Luxusproduktionen an, wie feine Möbel, Schmuck, hochwertige Kleidung, Papier- und Stofftapeten, Kerzenfabriken, schließlich die Produktion von Gasbeleuchtungen bzw. elektrischer Beleuchtung. Ein Großbetrieb, eine Kanonen- bzw. Gewehrfabrik, befand sich im Arsenal, das einerseits zur Bekämpfung allfälliger revolutionärer Gelüste der Wiener, andererseits als staatlicher Rüstungsbetrieb, nach 1848 neu errichtet worden war. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert entstanden neue Großbetriebe im Bereich der Nahrungsmittelproduktion, wie Julius Meinl oder Josef Manner (1890). Auch große moderne Brauereien, die das haltbare untergärige Bier in riesigen Mengen erzeugten und in Verbindung mit der LindeKühlung auch weithin verfrachten konnten, wie die von Adolf Ignaz Mauthner oder von Anton Dreher (Schwechat), siedelten sich in Wien bzw. in der näheren Umgebung an. Zuletzt wurde Wien auch ein wichtiger Standort der Elektroindustrie. Hier wurden nicht nur Glühlampen fabriziert, sondern bei Siemens & Halske bzw. SiemensSchuckert, Tochterunternehmungen der deutschen Siemens AG, auch Elektromotoren. Als neues Massenverkehrsmittel entstand die Straßenbahn, die von Pferdebetrieb auf elektrischen Betrieb umstellte. Auch in den böhmischen Ländern entwickelten sich die industriellen Zentren, die schon im Vormärz zu beobachten waren, weiter. Von Wien gesehen das nächste industrielle Zentrum war Brünn, mit seiner berühmten Textilindustrie. Hier dominiere die Weberei, wie ja überhaupt in den böhmischen Ländern jene hervorragenden Stoffe
392
Das Zeitalter Franz Josephs
produziert wurden, für die die Spinnereien in Vorarlberg und in Niederösterreich das Vorprodukt geliefert hatten. Im Grenzgebiet von Nordmähren und Schlesien entwickelten sich die Witkowitzer Werke von Rothschild und Gutmann im Ostrau-Karwiner Kohlenrevier zu einem der mächtigsten Eisenkombinate Mitteleuropas. Eine Eigentümlichkeit dieses Industriegebietes war die weiterhin bestehende Verbindung der meisten aus den angrenzenden Gebieten Schlesiens und Nordmährens kommenden Arbeiter mit ihren Bauernhöfen, die während der wöchentlichen Abwesenheit der Männer von den Frauen bewirtschaftet wurden – das bedeutete jedenfalls eine gewisse Krisensicherung. In Böhmen entstand mit den Škoda-Werken in Pilsen seit 1886 einer der großen Rüstungsbetriebe der Habsburgermonarchie. Durch die Einführung des Thomas-Gilchrist-Verfahrens (1879) konnten nun endlich auch die phosphorhaltigen Eisenerze im Gebiet von Kladno und Teplitz erfolgreich verhüttet werden. Böhmen wurde nun neben Mähren-Schlesien zum Schwerpunktland der Eisen- und Stahlproduktion. Die zentrale Persönlichkeit der böhmischen Schwerindustrie wurde Karl Wittgenstein, seit 1877 Direktor des Teplitzer Walzwerkes. Aber auch in und um Prag wuchs eine breite eisenverarbeitende Industrie, während im nordböhmischen Reichenberg weiterhin die Tuchproduktion auf der Basis von Schafwolle oder Mischgeweben dominierte. In Aussig an der Elbe (Ustí nad Labem) entstand der größte Binnenhafen – und gleichzeitig der größte Hafen der Monarchie überhaupt. Hier entwickelte sich auf der Basis beinahe unerschöpflicher Braunkohlelager auch eine sehr leistungsfähige chemische Industrie, aus der später die Unternehmensgruppe Unilever hervorging. Die Exportmöglichkeiten über die Elbe nach Sachsen und bis Hamburg kamen dem Aufschwung der böhmischen Industrie sehr zugute. Daneben florierte weiterhin der traditionelle Bädertourismus in Karlsbad, Marienbad und Franzensbad. – In den böhmischen Ländern (Böhmen, Mähren, Österreichisch-Schlesien) lebten um 1880 etwa 35 % der Bevölkerung Zisleithaniens. Hier waren aber fast 64 % der Industrieproduktion, fast 83 % der Kohlenförderung und über 78 % der Produktion von Textilien konzentriert ! Böhmen und Mähren waren aber auch die Länder mit der fortschrittlichsten Agrarwirtschaft. Durch die Kombination von Zuckerrübenanbau, Zuckerfabrikation, Mastviehhaltung, Abmelkwirtschaften und Gerstenanbau (hauptsächlich Braugerste) hatten Ackerbau und Viehzucht den höchsten Stand in der Monarchie erreicht. 8.4.5 Auf der Suche nach Arbeit: Wanderungen
Warum verließen zwischen 1848 und 1914 Millionen Menschen ihre Heimat ? Sicher wirkten die Industrielle Revolution und die Hochindustrialisierung mobilisierend. Zahlreiche traditionelle oder auch nur vor zwei Generationen entstandene Arbeitsplätze auf dem Land gingen verloren – durch das Ende der verlegten Heimarbeit im
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Gründerzeit und Hochindustrialisierung
Textilbereich, durch den Rückgang der Nachfrage nach Transportleistungen als Folge des Eisenbahnbaues, durch den Rückgang der Nachfrage nach Holzkohle, an deren Stelle in der Metallurgie Koks getreten war. Noch benötigte man für den Transport des Brennholzes nach Wien zeitweilig tausende Arbeitskräfte für das Schwemmen und Flößen. Aber Eisenbahn und Dampfschiff übernahmen zunehmend den Transport der Energieträger Holz und Kohle. Auch der Wandel in der Landwirtschaft verringerte langfristig die Nachfrage nach Arbeitskräften. Zunächst hatte die regional schon im Vormärz einsetzende Agrarrevolution mehr Arbeitskräfte erfordert. Denn deren erste Phase erhöhte die Nachfrage nach Arbeit : Der Übergang von der Dreifelderzur Fruchtwechselwirtschaft und zur Sommerstallfütterung erforderte einfach mehr Arbeitskräfte. Ein Teil von ihnen konnte aus früheren Heimarbeitsregionen rekrutiert werden. Um die Jahrhundertmitte arbeiteten so viele Dienstboten auf den Bauernhöfen wie nie zuvor und nie danach. Aber ab den 1880er Jahren wurden vermehrt arbeitssparende Maschinen eingesetzt, zuerst bei den großen Gütern, die der Adel meist an tüchtige jüdische Pächter verpachtet hatte. Hier, vor allem in den böhmischen Ländern, wurden die ersten Dampfpflüge verwendet. Es folgten Sä- und Mähmaschinen. Als Zugkräfte wurden immer mehr Pferde verwendet, an Stelle der langsamen Ochsen. Eine wirkliche Revolution bedeuteten die gegen Ende des Jahrhunderts immer häufiger eingesetzten Dreschmaschinen. War das Dreschen mit dem Drischel (Dreschflegel, Plenkel) bisher eine Winterarbeit gewesen, die es rechtfertigte, männliche Dienstboten auch über den Winter zu beschäftigen, so wurde das Dreschen mit der nunmehr mit einer Dampfmaschine verbundenen Dreschmaschine eine Arbeit von wenigen Tagen, an denen aber zahlreiche fleißige Hände beschäftigt waren – die bäuerliche Familie, Dienstboten, die Maschinisten an der Dampfmaschine und oft zahlreiche Taglöhner : »Die Handarbeit tritt immer mehr zurück und in wenigen Wochen vollbringt die Locomobile gegenwärtig den Erntedrusch großer Wirtschaften, der früher hundert Menschen den ganzen Winter über in Thätigkeit erhielt.« ( Josef Rezek, S. 10) Über den Winter waren jetzt weniger ständige Arbeitskräfte notwendig. Deren Zahl ging daher auch schon in der zweiten Jahrhunderthälfte deutlich zurück. Tab. 4: Anteil der Land- und Forstwirtschaft an den Erwerbsgrundlagen der Bevölkerung Österreich-Ungarn
Ungarn
Zisleithanien
darin : österr. Alpenländer
darin : Böhmen, Mähren, Schlesien
1890
63 %
71 %
56 %
45 %
43 %
1900
60 %
66 %
52 %
39 %
38 %
1910
55 %
62 %
48 %
35 %
34 %
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Das Zeitalter Franz Josephs
So herrschte auf dem Arbeitsmarkt Sog und Druck – die Landwirtschaft baute, langsam, Arbeitskräfte ab. Mindestens genauso stark wirkte sich der Verlust der vielen ländlichen Nebenerwerbsmöglichkeiten im Transport, in der Holzverkohlung, im Kalkbrennen usw. aus. Das Land bot immer weniger Arbeit. Auf der anderen Seite steht der Sog der Großstädte und der Industrieregionen. Deren Nachfrage war groß, aber sehr unterschiedlich. Die immer noch sehr wichtige Textilindustrie beschäftigte in erster Linie Frauen, die wenig qualifiziert, aber auch schlecht bezahlt waren. Dasselbe gilt für die zahlreichen Bekleidungsgewerbe. Auf der anderen Seite der Lohnskala steht der männliche Industriearbeiter in der Metallurgie oder der Maschinenindustrie. Er war relativ gut bezahlt, dafür auch hoch qualifiziert und musste nach wie vor geschickt und kräftig sein. Dazwischen lagen hunderte von Arbeitspositionen, vom handwerklichen Gesellen bis zum Handlanger oder Taglöhner, der in der Landwirtschaft, in Hafenstädten, bei Bahnhöfen, am Bau oder bei Speditionen Arbeit suchte und fand. Am größten war die Nachfrage der Großstädte, von denen Wien natürlich die größte war – sie erreichte um 1910 die Zwei-Millionen-Grenze. Die Haupt- und Residenzstadt zählte um 1850 mehr als 430.000 Einwohner, 1869 632.000 1880 726.000 1890 1,36 Millionen 1900 1,67 Millionen 1910 2,03 Millionen. Zahlreiche Privathaushalte suchten Hausdienstboten, vor allem weibliche. Auch weniger betuchte Familien hatten wenigstens ein »Mädchen für alles« ; wenn möglich daneben auch eine eigene Köchin. Je größer der Wohlstand, desto differenzierter das Hausgesinde : Da gab es zusätzlich männliche Diener für die Herren, ein eigenes Mädchen für die Dame des Hauses, für die Kinder usw., und wenn ein oder mehrere eigene Fahrzeuge vorhanden waren, auch Kutscher und Stallpersonal. Für junge Mädchen vom Land war es verlockend, in einem städtischen Haushalt die Haushaltsführung zu lernen, das konnte für die eigene Eheschließung und Haushaltsführung nur nützlich sein. Freilich – passierte dabei, wie man damals sagte, ein »Unglück« in Form einer Schwangerschaft, dann konnte das das Ende dieser Karriere bedeuten ; im schlimmsten Fall landete die bedauernswerte junge Frau in der überaus weit verbreiteten Prostitution. Aber die Großstadt bot auch tausend andere Verdienstmöglichkeiten, als Commis oder Verkäuferin, als Amtsdiener bei einer Behörde und – wieder in hohem Maße für Frauen – als Gehilfen und Gehilfinnen in den unzähligen Werkstätten von Schneidern, Bäckern, Zuckerbäckern, Fleischhauern, Friseuren, Blumengeschäften usw. Im Handwerk wohnten die Lehrlinge und Gesellen noch sehr oft im Meisterhaushalt – nicht
Gründerzeit und Hochindustrialisierung
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selten in der Werkstatt, unter kaum menschenwürdigen Umständen. Einige dieser Berufe waren besonders anfällig für die Tuberkulose, die »Wiener Krankheit«, wie man sie auch nannte, etwa die Bürstenbinder, Friseure oder Konditoren. Die Wanderströme innerhalb der Monarchie zielten nach Wien, zum Teil auch auf seine halb urbanisierte und industrialisierte Umgebung. Um 1880 waren kaum 39 % der Wiener Bevölkerung in Wien geboren. Zum Unterschied vom Vormärz, als es noch eine nennenswerte Zuwanderung aus Deutschland gab, dominierte jetzt die Zuwanderung aus den böhmischen Ländern. Sie stellte um diese Zeit schon mehr als ein Viertel der Wiener Bevölkerung. Ein sehr großer Teil von ihnen kam aus tschechischen Gebieten, nur ein Fünftel aus deutschböhmischen oder deutschmährischen Regionen. Das Namensgut der Wiener Bevölkerung reflektiert noch heute jene Zuwanderungswellen. Diese integrierten sich rasch, es gab ja nur geringe kulturelle Schranken – etwas Deutsch hatte man meist von zu Hause mitgebracht, den Rest lernte man bei der Arbeit. Man gehörte fast immer derselben Konfession an wie die heimischen Wiener. In einigen Branchen, wie der Tischlerei, stellten die Wiener Tschechen bald einen sehr bedeutenden Anteil. Aber das Aufnahmevermögen von Wien reichte nicht. Arbeitssuchende aus Galizien versuchten es in Sachsen, Schlesien und Brandenburg als landwirtschaftliche Arbeiter. Am Ende stand die Auswanderung nach Übersee. Zur Überseewanderung aus Österreich-Ungarn waren um die Jahrhundertwende nicht nur Polen, Ukrainer und – vor allem – Juden aus Galizien bereit, sondern auch Ungarn, Serben, Kroaten und Slowenen aus landwirtschaftlichen Notlagegebieten in Krain, im Küstenland, in Dalmatien, Kroatien, Ungarn, eher weniger Deutschösterreicher. Etwa 3,5 Millionen Menschen wanderten zwischen den 1870er Jahren und 1910 aus, etwa 1,8 Millionen aus der österreichischen, etwa 1,7 Millionen aus der ungarischen Hälfte. Die allermeisten gingen in die USA. Verschärft wurden die wirtschaftlichen Probleme durch die mit etwa 1880 einbrechende Agrarkrise. Seit einigen Jahren wurden die westeuropäischen Märkte mit billigem amerikanischem oder russischem Getreide überschwemmt. Die ungarische Produktion suchte ihren Weg in den westlichen Teil der Habsburgermonarchie. Um 1900 ging praktisch der gesamte Agrarexport Ungarns nach Österreich, insbesondere nach Wien. Nach außen schützte man sich durch höhere Agrarzölle. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttonationalprodukt sank. 1870 betrug der Anteil der Landwirtschaft am BIP (heutiges Österreich) 46,5 %, 1910 nur mehr 26,6 % (Industrie : 34,8 % und 50,5 %). Der landwirtschaftliche Bevölkerungsanteil sank von etwa 55 % auf ungefähr 35 %. Ein breiter Preisverfall für Getreide setzte ein. Fast gleichzeitig wurde der für die Viehzüchter der Alpenländer so wichtige Export vor allem von Jungvieh nach Deutschland durch deutsche Importbeschränkungen behindert. Dazu kam die seit 1868 ermöglichte freie Verschuldbarkeit und Teilbarkeit der Bauerngüter, die bisher im Sinne des 18. Jahrhunderts durch Verschuldungsgrenzen und Tei-
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Das Zeitalter Franz Josephs
lungsverbote vor den Folgen eines freien Bodenmarktes einigermaßen geschützt waren. Rasch stieg die Verschuldung der Bauerngüter, vor allem wegen der hohen Zahlungen an weichende Erben. Schon stieg die Zahl der Zwangsexekutionen : In Niederösterreich waren es von 1868–1892 mehr als 28.700 bäuerliche Anwesen, in Oberösterreich etwa 8.000, in der Steiermark ca. 16.000, in Salzburg etwa 2000, in Tirol sogar 28.000. In Tirol erreichte die Hypothekarverschuldung 1892 108 % des (theoretischen) Reinertragswertes. In einigen alpinen Gegenden vor allem Niederösterreichs, der Steiermark oder Oberösterreichs begann der große Grundbesitz, Bauerngüter in immer größerer Zahl zu »legen«, also aufzukaufen. Das Ziel dieser Güterkonzentrationen waren große Jagdgüter für die Rothschild, Gutmann, Kupelwieser und andere Großunternehmer. Das Wild sollte seine Ruhe haben und weder durch Bauern noch durch deren Waldarbeit oder die Viehweide gestört werden. Brachte man die Bauern nicht durch gute Kaufangebote weg, so ermöglichten die Forstgesetze (zum Schutz des Waldes) oder die Servitutenregulierungen nach 1853 eine fortgesetzte Sekkatur jener Waldbauern, die die Waldweide, den Zugang zu den Hochalmen, die Waldstreu etc. benötigten. Der direkte Feind der Bauern war der herrschaftliche Förster. Die Zahl der »gelegten« Bauerngüter war groß. Allein im südlichen Niederösterreich wechselten zwischen 1868 und 1914 etwa 45.000 Hektar aus Bauern- in Herrenhand, das waren 6100 Bauernoder Kleinhäuslergüter. 8.5 Jahre der Konsolidierung 8.5.1 Franz Joseph als dualistischer Monarch
Die Ungarn verstanden den Dualismus als völlige Selbstständigkeit Ungarns. Dieses souveräne Königreich war durch die Person des Herrschers, einige gemeinsame Angelegenheiten (Armee, Außenpolitik und dafür nötige Finanzen) und ein widerrufliches gemeinsames Zollgebiet mit den anderen vom ungarischen König beherrschten Gebieten verbunden. Weder der Kaiser noch die Österreicher sahen das genauso : In Wien betrachtete man Ungarn und »Zisleithanien« als Teilstaaten eines übergeordneten Ganzen, eben der österreichisch-ungarischen Monarchie, die ja auch nach außen als eine staatliche Einheit auftrat. Von allem Anfang an gab es also zentrale Auffassungsunterschiede über das Wesen und Wirken der dualistischen Monarchie. Was machte Franz Joseph daraus ? Als Kaiser und König hatte er zwei wesentliche Vorrechte : Nur er entschied über Krieg und Frieden und nur ihm unterstand die gemeinsame Armee, ebenso wie auch das diplomatische Corps. Anders als in der Innenpolitik, wo er sich mit zwei Parlamenten und zwei Regierungen (und in »Zisleithanien« noch mit 17 autonomen Landtagen, in Ungarn außerdem mit dem kroatischen Sabor) herum-
Jahre der Konsolidierung
397
schlagen musste, blieb er in diesen zentralen Belangen derselbe absolute Herrscher wie früher. Freilich mit Einschränkungen : Steuern und Rekrutenstellungen mussten von beiden Parlamenten bewilligt werden, die Stärke der Staatsmacht unterlag also einer indirekten Kontrolle (wenn auch kaum einer direkten). Franz Joseph fand eine Reihe ganz pragmatischer Lösungen, durch die er in der Tat erhebliche Bestandteile traditioneller Herrschermacht bis ins 20. Jahrhundert retten konnte. Da war einmal die so genannte Vorsanktion : In beiden Staaten mussten die Regierungen dem Kaiser die Gesetzesvorschläge vorlegen, bevor sie in die Parlamente gingen. Passte ihm da etwas nicht, musste die jeweilige Regierung Änderungen vornehmen. Außerdem schuf er sich im gemeinsamen Ministerrat eine Reichsregierung. Vielfach wurden zu den drei gemeinsamen Ministern auch die beiden Ministerpräsidenten, zuweilen auch die zuständigen Fachminister beigezogen. Damit stand aber der Kaiser (und König) jederzeit im Zentrum der Reichspolitik, aber genauso auch im Zentrum der Politik in den beiden Teilstaaten. Durch sein langes Leben, sein ausgezeichnetes Gedächtnis, sein mit der Zeit erworbenes überlegenes Verwaltungswissen und seine enormen Detailkenntnisse sowie durch sein lebenslanges Bestehen auf den Vorrechten des Herrschers wurde er in Wahrheit doch wieder ein »wirklicher«, weitgehend selbst regierender Herrscher. Vor allem die ersten etwa 25 Jahre der dualistischen Phase können daher als Phase des »eigentlich schöpferischen Lebenswerks Franz Josephs« ( Joseph Redlich, Kaiser Franz Joseph) gelten. 8.5.2 Innere Konsolidierung
1873 hatte die Feier seines fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläums Franz Joseph von allen Seiten Beweise einer wieder gewonnenen Loyalität der Bevölkerung, besonders jener von Wien, gebracht. Die Aufschwungsjahre von 1867 bis 1873 waren vielen Menschen zugute gekommen, und sie prägten das Bewusstsein der Zeit. Die Neuordnung vor allem im Schulwesen verbesserte das Bildungsniveau. Die Kirchengesetze hatten die Überordnung der katholischen Kirche über den Staat korrigiert, doch insgesamt blieb die starke Position des Katholizismus erhalten. Das Bürgertum konnte sich frei entfalten, Unternehmensgründungen wurden jetzt praktisch ohne Hemmnisse möglich. Österreich hatte sich seit 1867 in vielen Bereichen, in der Verwaltung, im Bildungswesen, in der Wirtschaftsentwicklung, den Standards des 19. Jahrhunderts angepasst. Zahlreiche neue Eisenbahnen, vor allem auch in Ungarn, wurden gebaut. Das Pressewesen entwickelte sich rasch. Die Wiener Stadterweiterung, der Ausbau der Ringstraße und der Neubau der zahlreichen repräsentativen öffentlichen Gebäude ebenso wie der prunkvollen privaten Palais und Nobelzinshäuser ließen die Hauptstadt der Monarchie in einem neuen, prächtigen Gewand erstrahlen. Die öffentliche Mei-
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Das Zeitalter Franz Josephs
nung hatte bis 1867 dem Kaiser Schuld an vielem gegeben, was schlecht funktioniert hatte (häufig auch zu recht), jetzt kam die Ära des Aufschwunges dem Prestige des Herrschers ebenfalls zugute. Einen gewissen Höhepunkt in der öffentlichen Wertschätzung bedeutete der zur silbernen Hochzeit des Kaiserpaares vom prominentesten Maler der Zeit, Hans Makart, entworfene große Festzug über die Ringstraße (1879). In einem Handschreiben des Kaisers an den Ministerpräsidenten dankte der Monarch mit emotionalen Sätzen, die bei ihm selten waren : »(…) eine reinere, innigere Freude konnte mir wohl kaum geschaffen werden, als in den letztverflossenen Tagen. Sie ward mir durch die Liebe meiner Völker bereitet. Tief bewegt fühlen wir uns, ich und die Kaiserin, von diesen spontanen Kundgebungen aufrichtiger Liebe und treuer Anhänglichkeit.«
8.5.3 Die Okkupation Bosniens 1878 und der Zweibund 1879
Auch außenpolitisch ging die Zeit der Isolierung zu Ende. Seit 1871 war Andrássy gemeinsamer Außenminister. Das neue Deutsche Kaiserreich war am Fortbestand der Habsburgermonarchie ebenso interessiert wie England oder Frankreich – man hatte kein Interesse an einer völlig unübersichtlichen und womöglich zerstrittenen Mitte Europas. 1873 trafen der deutsche Kaiser, der russische Zar und Franz Joseph in Schönbrunn zusammen und einigten sich auf das Festhalten am Status quo auf dem Balkan (Drei-Kaiser-Bund). Solange die russische Balkanpolitik zurückhaltend blieb, würde auch die Monarchie dort nur sehr vorsichtig agieren. Die Pläne südslawischer Untertanen Franz Josephs zur Unterstützung allfälliger Aufstände in Bosnien wurden von Wien und Budapest eingebremst. Als aber 1875 ein Aufstand gegen die türkische Herrschaft in der Herzegowina ausbrach und sich zu einem Krieg der Serben, Bulgaren, Rumänen, Griechen und Montenegriner gegen die Türken ausweitete, änderten sich die außenpolitischen Parameter, vor allem, als Russland auf der Seite der Balkanchristen 1877 in den Krieg eintrat. Russisches Kriegsziel war ein Groß-Bulgarien unter russischem Protektorat und die Präsenz russischer Truppen allüberall auf dem Balkan. Das konnten aber weder Österreich-Ungarn noch auch die europäischen Mächte akzeptieren. Die siegreichen Russen wurden vom unter dem Vorsitz Bismarcks in Berlin zusammengetretenen europäischen Kongress 1878 zurückgepfiffen. Österreich-Ungarn erhielt vom Kongress – über Antrag Großbritanniens – den Auftrag, Bosnien und die Herzegowina zu besetzen. Bulgarien wurde nur sehr verkleinert realisiert, außerdem in einen selbstständigen und
Jahre der Konsolidierung
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einen weiterhin türkischen, aber autonomen Teil (»Ostrumelien«) geteilt. Serbien und Rumänien erhielten die völlige Unabhängigkeit von der Oberhoheit des Sultans. Andrássys vorsichtige, aber gleichzeitig vorausschauende Außenpolitik hatte Franz Joseph erstmals in dessen Amtszeit eine Mehrung seines Herrschaftsgebietes gebracht ! Der Kaiser war zufrieden. Aber die Besetzung Bosniens war kein militärischer Spaziergang, man musste erheblich mehr Truppen bereitstellen als geplant. Dafür mussten Kredite aufgenommen werden, und dafür brauchte man die beiden Parlamente. Die in Wien immer noch herrschenden Deutsch-Liberalen hatten aber gar kein Interesse an der Vermehrung des slawischen Bevölkerungsanteiles, ebenso wenig die Ungarn. Eine kräftige Opposition gegen die Okkupation machte sich bemerkbar. Ihr Führer war ausgerechnet Eduard Herbst, der als zentrale, wenngleich wenig populäre Persönlichkeit des deutschen Liberalismus galt. Freilich gelang es der Regierung, die liberale Opposition aufzuspalten, weshalb das österreichische Abgeordnetenhaus schließlich die Kredite bewilligte. Andrássy gelang aber knapp vor seinem Rücktritt 1879 eine weitere internationale Absicherung der Donaumonarchie. Da die Russen nicht nur – wie bisher – Österreich-Ungarn als Konkurrenten auf dem Balkan ansahen, sondern auch über Bismarcks Haltung auf dem Kongress sehr verstimmt waren, zerbrach die alte Koalition Preußen-Russland. Bismarck und Andrássy beschlossen nun ein Defensivbündnis, das aber ausschließlich gegen Russland gerichtet war und Österreich-Ungarn nicht verpflichtete, im Falle eines deutsch-französischen Krieges auf der Seite des Deutschen Reiches einzugreifen (Zweibund, 1879). Bismarck wäre freilich nicht der raffinierte Diplomat gewesen, als der er mit Recht galt, wenn er nicht den geheimen Rückversicherungsvertrag mit Russland abgeschlossen hätte – er versprach dem Zaren die Neutralität des Deutschen Reiches, falls Österreich-Ungarn Russland angreifen würde (1887). Damit verletzte er den Zweibundvertrag (rein defensiv !) rechtlich nicht, signalisierte aber den Russen, dass Deutschland eine Aggression Österreich-Ungarns nicht unterstützen würde. Franz Joseph war über das Bündnis mit Deutschland erfreut, das von nun an ein stabiler Eckpfeiler seiner äußeren Politik bleiben sollte. 1882 wurde der Zweibund durch den Beitritt Italiens zum Dreibund erweitert. Hintergrund war eine Gegnerschaft Italiens zu Frankreich, die durch die französische Okkupation von Tunis aktualisiert worden war. Er wurde auf fünf Jahre abgeschlossen und bis 1914 immer wieder erneuert. Ebenso wie die Besuche des italienischen Königs in Wien und Franz Josephs in Italien signalisierte der Dreibund die Normalisierung des Verhältnisses der Monarchie zu Italien.
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Das Zeitalter Franz Josephs
8.6 Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien« 8.6.1 Der Reichsrat
Der österreichische Reichsrat von 1861/67 litt stets daran, dass er, anders als der Reichstag von 1848, nicht das Ergebnis eines gemeinsamen Strebens der Völker war, sondern der finanziellen Not des Staates und des politischen Kalküls. Bei den Fragen der grundsätzlichen staatsrechtlichen Gestaltung der Monarchie durfte das Parlament nicht mitentscheiden. Es war immer nur mit den Ergebnissen der kaiserlichen Überlegungen und Entschlüsse konfrontiert, ohne daran etwas ändern zu können : Oktoberdiplom und Februarpatent wurden ebenso oktroyiert wie (dem österreichischen Reichsteil) der Ausgleich mit Ungarn. Immerhin konnte das damalige Parlament die Dezemberverfassung durchsetzen. Aber es gab keine grundsätzliche Übereinstimmung aller Länder und – was immer wichtiger wurde – aller Völker der Monarchie über die Reichsgestaltung. Der 1861 konzipierte deutsch-zentralistische Staat wurde von fast allen Slawen, von den Ungarn, aber auch von konservativen Deutsch-Österreichern abgelehnt, so von den Tirolern. Die Tschechen betrachteten den Reichsrat zwischen 1863 und 1879 als unzuständig für die Belange Böhmens – analog wie in Ungarn könne für Böhmen nur der böhmische Landtag verbindliche Gesetze beschließen. Dieses Parlament bestand aus zwei gleichberechtigten Häusern, dem Herren- und dem Abgeordnetenhaus. Gesetze kamen durch übereinstimmende Beschlüsse beider Häuser zustande und bedurften außerdem noch der kaiserlichen Sanktion, um in Kraft treten zu können. Mitglieder im Herrenhaus waren die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, die Chefs der hochadeligen Häuser mit erblicher Mitgliedschaft (im Wesentlichen die Häupter der »hundert Familien«), die Erzbischöfe und Bischöfe mit fürstlichem Rang (von Krakau, Prag, Olmütz, Salzburg, Wien, Seckau, Gurk, Trient, Brixen u. a.), ferner die vom Kaiser auf Lebenszeit (über Vorschlag der Regierung) ernannten Mitglieder – österreichische Staatsbürger, die sich um Staat und Kirche, Wissenschaft und Kunst verdient gemacht hatten. Dazu gehörten hohe Beamte und Wissenschaftler wie Theodor von Karajan, Theodor von Sickel oder Theodor Gomperz, Schriftsteller wie Franz Grillparzer oder Anastasius Grün, Bankiers und Industrielle wie Rudolf Sieghart, Emil Skoda oder Max Mauthner. Das Herrenhaus repräsentierte also die Spitzen der Gesellschaft, sowohl die höfisch-aristokratischen wie auch die bürgerlichen. Das Abgeordnetenhaus war hingegen das Ergebnis von Wahlvorgängen. Bis 1873 war es eine von den Landtagen beschickte Delegiertenversammlung. Seit der Direktwahl in den Reichsrat (1873) entwickelte sich das Reichsratswahlrecht getrennt von dem der Landtage. 1873 wurde das Abgeordnetenhaus auf 353 Abgeordnete erweitert. Es bestand aus vier Kurien. 85 Abgeordnete vertraten den Großgrundbesitz, 21
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Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
kamen aus der 1868 neu installierten (großbürgerlichen) Kurie der Handelskammern, 118 von den Städten und Industrialorten (ebenfalls mittel- bis großbürgerlich), 129 aus den Landgemeinden. Städtische und Handelskammerkurie waren zusammen mit dem bürgerlich-liberalen (»verfassungstreuen«) Teil des Großgrundbesitzes die Domänen des bis 1879 herrschenden deutsch-österreichischen Liberalismus. 1882 wurde der absolute Zensus in den Stadt- und Landgemeinden gesenkt (auf 5 Gulden jährliche Steuerleistung, daher »Fünf-Gulden-Männer«), 1896 eine fünfte, allgemeine Wählerklasse geschaffen, in der alle männlichen großjährigen, wirtschaftlich Selbstständigen (also hausrechtlich nicht abhängigen) Personen wahlberechtigt waren. 1906 folgte schließlich das allgemeine Männerwahlrecht. In nationaler Hinsicht dominierten in den ersten Parlamenten die Deutschen. 1861 waren etwa 60 % der Abgeordneten dieser Nationalität zuzurechnen. In der Ära Taaffe (1879–1893) verschoben sich die nationalen Relationen : 1885 waren 175 (knapp weniger als 50 %) Deutsche, 157 gehörten den verschiedenen slawischen Völkern an (56 Polen, 57 Tschechen, ferner Slowenen, Kroaten und Serben), 16 waren Italiener, 5 Rumänen. Ziemlich ähnlich war das Haus 1891 zusammengesetzt. Im frühen 20. Jahrhundert sah die Mandatsverteilung nach Nationalitäten aus wie folgt : Tabelle 5: Die Verteilung der Abgeordnetenmandate auf die Nationalitäten 1901 und 1907 Umgangs sprache n. d. Volkszählung 1900 in %
Reichsratswahlen 1901, Mandate
Reichsratswahlen 1901, %
Reichsratswahlen 1907, Mandate
Reichsratswahlen 1907, %
Deutsch
35,8
205
48,2
233
45,2
Tschechisch
23,2
87
20,5
107
20,7 15,9
Polnisch
16,6
72
16,9
82
Ukrainisch
13,2
10
2,4
33
6,4
Slowenisch
4,6
15
3,5
24
4,6
Kroat. u. Serb.
2,8
12
2,8
13
2,5
Italienisch
2,8
19
4,5
19
3,7
Rumänisch
0,9
5
1,2
5
1,0
425
100
516
100
Summe
100 = 26,2 Millionen
Die Vormachtstellung der Deutschen war nun zwar gebrochen, doch erhielten sie noch immer mehr Mandate als ihrem Bevölkerungsanteil entsprochen hätte. Auch die Italiener blieben besser vertreten. Die Tschechen waren immer noch etwas unterprivilegiert, dagegen verloren die Polen ihre leichte Bevorzugung zugunsten der dennoch deut-
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lich zu schlecht vertretenen Ukrainer. Slowenen, Kroaten und Serben sowie Rumänen konnten zufrieden sein. Die Wahlreform des Ministerpräsidenten Graf Kasimir Badeni 1896 hatte eine fünfte Kurie, die allgemeine Wählerklasse mit 72 Abgeordneten, geschaffen. Doch blieb dieses kuriose Wahlrecht nur eine vorübergehende Erscheinung. Es wurde massiv kritisiert. 1905 erhielten die Forderungen nach dem allgemeinen Wahlrecht neuen Schwung. Seit dem Frühherbst 1905 hatte der Kaiser – überzeugt von dem ungarischen Innenminister Kristoffy – die Absicht, die Obstruktion der ungarischen Unabhängigkeitspartei durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes in Ungarn zu bekämpfen. Die österreichischen Christlichsozialen griffen dies begeistert auf. Eine neue Dynamik erhielt die Wahlrechtsforderung durch einen Anstoß von außen. Auf dem am 30. Oktober 1905 begonnenen sozialdemokratischen Parteitag wurde ein Telegramm aus Russland verlesen, wonach der Zar soeben eine Duma (ein Parlament) mit einem breiten Wahlrecht bewilligt habe. Diese Nachricht löste eine massenhafte Mobilisierung der Arbeiterschaft aus : Immer wieder demonstrierten Anhänger der Sozialdemokratie, schließlich zogen am 28. November 1905 etwa 300.000 Arbeiter mit der Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht über den Ring. Jetzt änderte die Regierung (unter Ministerpräsident Paul Frh. v. Gautsch) ihre Meinung. Schließlich gelang es dem Ministerpräsidenten Max Wladimir Frh. v. Beck 1906, nach langen und zähen Verhandlungen, am 1. Dezember 1906 mit 194 gegen 63 Stimmen im Abgeordnetenhaus und am 21. Dezember im Herrenhaus das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht durchzubringen. Die nunmehr 516 Abgeordneten wurden von allen volljährigen Männern, die sich durch mindestens ein Jahr in ihrer Wohnsitzgemeinde aufhielten, direkt gewählt. Dabei herrschte das Mehrheitswahlrecht : Mit absoluter Stimmenmehrheit wurde ein (oder zwei) Abgeordnete pro Wahlkreis gewählt. Die Wahlbezirke wurden so abgegrenzt, dass man mit höchster Sicherheit nur innerhalb einer Nation wählen konnte – Wahlkämpfe sollten nicht (mehr) zwischen den einzelnen »Volksstämmen« stattfinden. Eine Trennung in städtische und ländliche Wahlbezirke existierte weiterhin. Das Abgeordnetenhaus von 1907 – mit 516 Abgeordneten – war völlig anders zusammengesetzt als das alte Privilegienparlament : Die größte Berufsgruppe waren jetzt die Landwirte (129), fast nur Bauern, nur mehr wenige Gutsbesitzer. Immer noch war die zweitstärkste Berufsgruppe jene der freien Berufe (Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Redakteure, Ingenieure) mit 127 Vertretern. 22 Hochschulprofessoren und Dozenten repräsentierten die bürgerliche »Bildung«. Zukunftsträchtig erscheint die große Bedeutung von öffentlichen Beamten (57) und von Angestellten (55). Die starke Präsenz von Geistlichen (38) verweist nicht nur auf die politische Mobilisierung des Katholizismus, sondern auch auf die Bedeutung von Geistlichen für die nationale Bewusstseinsbildung. Nur mehr 44 Abgeordnete repräsentierten Kapital bzw. Unternehmertum. Nach wie vor erheblich unterrepräsentiert waren kleine Gewerbetreibende, Handwerker und Ar-
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
403
beiter : Acht Kleingewerbler und drei Arbeiter wurden von den Christlichsozialen bzw. den Sozialdemokraten gestellt. 8.6.2 Die Parteien Honoratiorenparteien
Die älteren Honoratiorenparteien traten zunächst als »Clubs« im Reichsrat bzw. Landtag in Erscheinung, zu Wahlzeiten als Wahlkomitees. Einen stabilen, festgefügten Parteiapparat gab es nicht. Die verschiedenen Spielarten der Liberalen vertraten das finanziell und industriell engagierte Unternehmertum sowie das Bildungsbürgertum, also die freien Berufe, Bildung und Wissenschaft sowie den kapitalistisch orientierten Teil des Großgrundbesitzes. Die Konservativen vertraten den übrigen Großgrundbesitz und gewisse (größere) Bauern, daneben die Interessen der katholischen Kirche. Die Liberalen
Die diversen Gruppierungen des deutschen Liberalismus waren bis 1896 die relativ stärkste parlamentarische Macht. Bis 1879 stellten sie die Mehrheit. Der Sozialwissenschaftler und Staatstheoretiker Ludwig Gumplowicz hat sie boshaft, aber nicht unzutreffend, folgendermaßen charakterisiert : »… Es ist diejenige (Partei), die zur Zeit, als sie Schmerlings Rechte war, sich die Linke nannte (in den sechziger Jahren) und die dann, als sie der selbstgeschaffenen 1867er Verfassung untreu wurde, indem sie dieselbe durch die Aprilverfassung 1873 umgestaltete, sich die ›Verfassungstreue‹ nannte (in den siebziger Jahren), die sodann, als sie in eine Anzahl einander bekämpfender Fraktionen zerfiel, sich die ›Vereinigte Linke‹ nannte (in den achtziger Jahren), und als sie schließlich als eine rückschrittliche Kapitalisten-Garde entlarvt wurde, sich als die ›deutsch-fortschrittliche‹ bezeichnete (…).« (Gumplowicz, Staatsrecht, S. 72)
Ihre relativ lange Vorherrschaft (1861–1879) war nur dem Wahlrecht zuzuschreiben. Die bürgerlichen Liberalen hatten daher kaum ein Interesse an der Ausweitung des Wahlrechtes. Sie blieben auch immer streng zentralistisch und auf die Vorherrschaft der und des Deutschen fixiert. Für die Deutschen der Sudetenländer war der Wiener Zentralismus das wichtigste Gegengewicht gegen die Autonomieforderungen der Tschechen, deren Erfüllung die Deutschböhmen und Deutschmährer automatisch in eine Minderheitenposition gebracht hätte. Der politische Liberalismus war auch die politische Heimstätte des wirtschaftlich aufstrebenden, emanzipierten und assimila-
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Das Zeitalter Franz Josephs
tionsbereiten Judentums. Das führte, als Folge der immer engeren Verbindung von Antisemitismus und Nationalismus fast jeder Spielart, dazu, dass die deutschen Liberalen entweder als »Judenliberale« verhöhnt wurden oder als zunehmend selbst nationalistische Gruppierung sich sukzessive von ihren jüdischen Mitstreitern trennten. Als die beiden jüdischen Wiener Abgeordneten Stefan Hock und Ignaz Kuranda 1907 nicht mehr in den Deutschen Fortschrittsklub aufgenommen wurden, bedeutete dies die Preisgabe zentraler liberaler Standpunkte. Bald darauf ging dieser Liberalismus, der sich noch in der Konkurrenz der Massenparteien zu behaupten suchte, völlig im Deutschnationalismus auf. Die Konservativen
Die größte Gruppe der »Rechten« hieß zeitweilig, nach ihrer wichtigsten Integrationsfigur, dem Grafen Karl Hohenwart (1824–1899), auch »Hohenwart-Klub«. Sie war einem föderalistischen, der katholischen Kirche und den nichtdeutschen Nationen freundlicher gesinnten Programm verpflichtet. Von 1879 bis 1893 arbeiteten sie im »Eisernen Ring« mit tschechischen und polnischen Abgeordneten zusammen. Der Hohenwart-Club war die einzige übernationale Fraktion von etwas längerem Bestand – neben katholisch-konservativen Deutschösterreichern (Tirolern, Oberösterreichern, Steirern) gehörten ihm unter anderen Slowenen und mährische Tschechen an. Nach dem Zerfall des Hohenwart-Klubs (1891) konnte sich auch die Rechte nicht mehr zu größeren gemeinsamen Klubs durchringen. Die deutsch-österreichischen Konservativen rekrutierten sich überwiegend aus der Aristokratie, zum Teil aus dem Klerus und aus der Bauernschaft. Die ersten Perioden parlamentarischer Arbeit scheinen sie ziemlich verschlafen zu haben. Munter wurden sie erst durch das Reichsvolksschulgesetz von 1869, das der Kirche die Schulaufsicht entwand, und durch die Kirchengesetzgebung (Maigesetze 1868, Kündigung des Konkordates 1870). Ab 1869 wurden Volks- und Pressvereine gegründet, die auf der Ebene der Länder bzw. Diözesen unter weidlicher Ausnützung des katholischen Pfarrnetzes eine breite antiliberale Mobilisierung einleiteten. Zum Teil in Opposition gegen den aristokratischen Konservativismus entwickelte sich seit den 1880er Jahren der jüngere Konservativismus der Alpenländer, dessen Führer die Brüder Georg und Matthias Lienbacher in Salzburg, Alfred Ebenhoch in Oberösterreich und Ämilian Schöpfer in Tirol wurden. Mit diesen Vertretern der »schärferen Tonart« zeichnet sich der Übergang zur Massenorganisation ab. In Oberösterreich und Salzburg gelang dieser Übergang unter konservativen Vorzeichen, auch in der Steiermark wurde 1899 der katholisch-konservative Bauernbund Franz Hagenhofers noch unter diesen Vorzeichen gegründet. Dagegen wurden die Konservativen in Niederösterreich (und Vorarlberg) in aller Stille, in Tirol, wo sich Schöpfer in heftiger
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
405
Opposition zur bischöflich dominierten Gruppe der Altkonservativen befand, im Streit von den Christlichsozialen verdrängt. Erst danach haben sich Katholisch-Konservative und Christlichsoziale 1907 zu einem gemeinsamen Parlamentsklub vereinigt. Seit den siebziger Jahren regten sich überall neue Kräfte, »die Jungen« – Jung tschechen, Jungslowenen. Bei den Deutschliberalen wiesen die »Jüngeren« eine starke deutschnationale Orientierung auf. Die nationalen Klubs der nichtdeutschen Nationalitäten begannen nach weltanschaulichen Kriterien bzw. nach der mehr oder weniger radikalen Vertretung nationalistischer Haltungen zu zerfallen. In den 1880er Jahren wurde daher die Parteienlandschaft im Parlament ziemlich buntscheckig. Besonders nach 1885 gewann der Prozess ihrer Umbildung rasch an Geschwindigkeit. Massenparteien bei den Deutschösterreichern
Die Ausweitung des Wahlrechtes wurde von jenem neuen Partei-Typus gefordert, der davon auch am meisten profitierte – von den Massenparteien. Sie traten in allen Nationalgesellschaften Altösterreichs auf und waren immer die Träger einer Protesthaltung : als Deutschnationale gegen die vermeintliche Begünstigung der Slawen, als Antisemiten gegen die für den Kapitalismus verantwortlich gemachten Juden, als Sozialdemokraten gegen die kapitalistische Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung, als Jung tschechen gegen die Vorherrschaft der Deutschen usw. Der Kampf des Klerus gegen die Schulgesetze von 1869 mobilisierte die Bauern, denen die achtjährige Schulpflicht die Arbeitskraft ihrer größeren Kinder wegnahm. Aber auch Wucher, Verschuldung, Zwangsversteigerungen, Grundzerstückelungen schienen aus den ungläubigen Städten und vom dort herrschenden kapitalistischen Liberalismus zu kommen. Personifiziert wurde diese Bedrohung in der Figur des wucherischen Juden. Das entsprach zugleich dem stark spürbaren Wunsch nach klarer Identifizierung von »Schuldigen«. Ähnlich war die Situation der Kleingewerbetreibenden. Die rasche Auflösung einer Welt, in welcher der Handwerker seine »Nahrung« suchte und irgendwie auch fand, irritierte. Das liberale Modell, wonach die Gesellschaftsentwicklung ein Ausleseprozess, vermittelt durch Konkurrenzverhältnisse, sei, bedeutete für die kleinen Selbstständigen keinen Trost. Besonders seit der Krise von 1873 verbreitete sich das Gefühl einer allgemeinen Bedrohung des Kleingewerbes durch den Kapitalismus. Dagegen bildete sich eine handwerkliche Bewegung (Gewerbetagsbewegung), die schließlich überwiegend in der Christlichsozialen Partei mündete. Der Einbruch des Fremden in die gewohnte Welt, verbunden mit zahlreichen verwirrenden Neuerungen, verlieh der politischen Mobilisierung von Bauern und Kleingewerblern defensive Züge – defensiv gegen die expansiven Kräfte des Kapitalismus und des Sozialismus, dessen letztlicher Sieg die logische Folge des siegreichen Kapitalismus sein würde.
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Das Zeitalter Franz Josephs
Tab. 6: Fraktionen (Klubs) im Abgeordnetenhaus 1867–1901 1867
1873
1879
1885
1890
1891
1897
1901
112
204
145
132
110
109
78
69
5
2
3
Fortschrittsklub
57
54
33
39
Deutsche Linke (1891: Freie deutsche Vereinigung)
88
(Vereinigte) Deutsche Linke, davon Wiener Demokraten
Klub der Liberalen
15 91
Verfassungstreuer Großgrundbesitz
54
Liberales Zentrum Deutschradikale, Deutschnationale (1897 u. 1901: Deutsche VP)
2
Schönerianer
18
Mittelpartei 92
151
151
40
57
34
Zentrumsklub
34
41
51
5
21
14
26
25
(67)*)
6
29
43
16 11
Liechtenstein-Club Föderalisten (Slawen)
17
8 68
(Rechtes) Zentrum (Hohenwart)
Katholische (Deutsch-) konservative (1897: Kath. Volkspartei, 1902 Zentrumsklub)
30
4
Christlichsoziale
»Rechte«, davon:
30 12
19 57
Slaw.-christl. Vereinigung (Slowenen, Kroaten, Ruthenen)
35
Südslaw. Club (Slowenen, Kroaten, Serben)
27
Slowenen
3
16
Kroaten/Serben
8
Polenklub
49
57
55
58
Poln. Volkspartei Poln. Christlichsoziale 56
62
3
3
**)
**)
54
57
18 56
12
Jungtschechen
8
37
Italiener (Club italiano, 1890: Trentino)
7
Italiener – liberal
5 19
60
16 53
19
19
11
10
11
Italiener – klerikal Ruthenen
59
6
Böhm. Großgrundbesitz (Alt-)Tschechen
34
4 14***)
3
8
407
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
1867
1873
1879
1885
1890
Rumänen
1891 4
Internat. Sozialdemokraten »Wilde« und sonstige Abgeordnetenzahl insgesamt
23
10
40
203
353
353
27 353
353
353
1897
1901
5
5
15
10
17
15****)
425
425
*) Der Hohenwart-Klub bestand damals aus katholisch-deutschen Konservativen, Slowenen und feudalem Großgrundbesitz Böhmens **) Tschechen boykottieren den Reichsrat von 1863 bis 1879, 1873 verweigerten 33 tschechische »Deklaranten« die Annahme ihrer Mandate ***) stimmen häufig mit der deutschen Linken ****) Tschechische Nationalsozialisten, Tschechische Agrarier, Tschechische Klerikale, Polnische Soziale, Unabhängige
Die Massenparteien entstammen im deutschsprachigen Österreich eigentlich allesamt einer demokratisch-liberalen Opposition gegen den herrschenden elitären Liberalismus, ausgedrückt im sog. »Linzer Programm« (1882), an dessen Ausarbeitung der radikal deutschnationale Georg von Schönerer, der (spätere) Christlichsoziale Robert Pattai, die (späteren) Sozialdemokraten Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer und der dem jüngeren, deutschnational orientierten Liberalismus nahestehende Historiker Heinrich Friedjung beteiligt waren. Demokratische und soziale Züge (Forderung nach Wahlrechtserweiterung und Sozialgesetzgebung) sind neben nationalistischen (Forderung nach der deutschen Staatssprache) zu finden. Als Georg von Schönerer wenig später den Rassenantisemitismus einfügte, zerbrach die sehr heterogene Gruppe der Protagonisten. Sozialkatholizismus, Antisemitismus und Christlichsoziale Partei
Insbesondere in Wien und Niederösterreich setzte sich eine neue Generation von jüngeren Geistlichen intensiv mit sozialen Problemen auseinander. Konkrete Untersuchungen über die Lage von Handwerkern und Arbeitern, wie sie von dem konservativen Gesellschaftstheoretiker Carl von Vogelsang (1819–1890) erstmals in seiner »Monatsschrift für christliche Sozialreform« publiziert wurden, führten zur Formierung des vorerst aristokratisch dominierten Sozialkatholizismus. Dieser verband Emanzipation und Demokratie (durch Genossenschaftsorganisation und Wahlrechtserweiterung) mit dem Wunsch nach mehr Staat (durch Zoll- und Gewerbeschutz, Bauernschutz und Sozialversicherung), nach mehr Polizeimaßnahmen (gegen renitente Dienstboten und Arbeiter) und mehr Patriarchalismus (durch die Forderung nach schärferen Dienstbotenordnungen und nach verminderter Mobilität von Grund und Boden). Diese ideologische Mischung wurde zusammengehalten durch die ebenso simple wie erfolgsträch-
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Das Zeitalter Franz Josephs
tige Konstruktion von Feindbildern, von denen der »Jude« das bedeutsamste war. Alles dies scheint für die Mehrzahl der Bauern ebenso überzeugend gewesen zu sein wie für den Großteil des Wiener Kleinbürgertums. Damit ging eine gewisse »Rekatholisierung« des kirchenfernen Wiener Kleinbürgertums einher. Die Christlichsozialen entstanden als Massenbewegung aus der Wiener Handwerkerbewegung der 1880er Jahre (Christlichsozialer Verein 1887). Ihre hauptsächliche ideologische Kennzeichnung war ein durchwegs rüder Antisemitismus. Der Prozess der Vereinigung von Sozialkatholizismus und kleingewerblich-städtischem Antisemitismus erfolgt zunächst über persönliche Kontakte von Leuten aus dem VogelsangKreis (Ernest Schneider) mit führenden Persönlichkeiten der Kleingewerbebewegung (Robert Pattai), der sich Karl Lueger (1844–1910), selbst aus dem österreichischpatriotischen und demokratischen Flügel des Liberalismus kommend, mit feinem Gespür für Erfolg verheißende politische Kombinationen anschloss (seit 1887). Der adelig-klerikale Sozialkatholizismus erhielt damit eine Massenbasis, die antisemitische Handwerkerbewegung ein herzeigbares Programm. Und Lueger erhielt endlich jene Gefolgschaft, die ihm bisher versagt geblieben war und der zuliebe auch er den Antisemitismus als politisches Programm akzeptierte – obwohl er vorher jahrelang mit dem jüdischen Gemeinderat Ignaz Mandl zusammengearbeitet hatte. Mit dem Wahlsieg der »Vereinigten Christen« 1895 in Wien war der Durchbruch zur Massenpartei erzielt. Im selben Jahr formulierte Prälat Franz Schindler als Antwort auf konservative Vorwürfe ein Programm, in dem soziale Reformen scheinbar einen zentralen, der Antisemitismus einen eher marginalen Stellenwert erhielten. Dieses Programm ermöglichte den Christlichsozialen die päpstliche Unterstützung gegen die Anklagen der Bischöfe. Ungefähr gleichzeitig eroberten die Christlichsozialen auch das flache Land, zuerst in Niederösterreich. Nach vier Wahlen zum Wiener Bürgermeister bestätigte der Kaiser, der Lueger auf Vorschlag Badenis eine Audienz gewährt hatte, schließlich den »Koloss von Wien« im Bürgermeisteramt der Haupt- und Residenzstadt (1897). Die Wahlen von 1907 brachten den Christlichsozialen in Wien und Niederösterreich, Tirol, Vorarlberg und der Obersteiermark große Erfolge. Durch den Zusammenschluss mit den Katholisch-Konservativen entstand der mit 96 (von 514) Abgeordneten größte Abgeordnetenklub im Reichsrat. 1911 verloren die Christlichsozialen 20 Mandate. Vor allem die starke Wiener Position ging fast zur Gänze an die Sozialdemokratie und an deutschnationale Kandidaten verloren. Sie büßten damit ihren Einsatz für die protektionistische Agrarpolitik, die an den starken Lebensmittelteuerungen von 1910/1911 mitschuldig gewesen sein dürfte. Gleichzeitig waren die Christlichsozialen zu einer »bürgerlichen« (genauer : klein- und mittelbürgerlichen) Partei geworden, die zunehmend die Interessen von Hausbesitzern und Unternehmern vertrat. Die Wiener Katastrophe hatte zwei Folgen. Einerseits wurden die Christlichsozialen jetzt eine Partei mit hauptsächlich ländlicher Basis, ihre stärkste Organisation war seither der Niederösterreichische Bau-
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
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ernbund (1906). Und zweitens trennten sich in Wien die antiklerikalen, deutschnationalen Bestandteile der alten Lueger-Koalition von den Christlichsozialen, die dadurch erst jetzt zu einer konfessionellen Partei wurden. Sie erreichten in Wien nie mehr die alte Stärke, bleiben aber in den meisten Ländern der späteren Republik dominant. Die Deutschnationalen
In vielen Landstädten blieb das Leben gemächlicher und langsamer. Daher wurde auch der behäbige bürgerliche Liberalismus dieser Städte weniger irritiert als der kleinbürgerliche Liberalismus Wiens. Die Angst des deutschbewussten Provinzbürgertums vor dem Aufstieg der nichtdeutschen Nationen war größer als die Abneigung gegen den Kapitalismus – wobei man die Abneigung gegen Juden weithin mit der Wiener Protestbewegung teilte. Da die wachsende Emanzipation der slawischen Völker vielfach dem katholischen Klerus angelastet wurde, erhielt der traditionelle liberale Antiklerikalismus während der Formierung nationalistischer Strömungen kräftige neue Nahrung. Deutscher Nationalismus wurde häufig mit der Forderung »Los von Rom !« verbunden, am lautesten vorgetragen von Georg von Schönerer und seiner Gefolgschaft. Nicht wenige neue protestantische Kirchen gerade in den nationalen »Kampfzonen« zeugen von einem gewissen Erfolg. Die »Feinde« der Deutschnationalen waren neben Juden und »Pfaffen« in erster Linie die Tschechen und die Slowenen. »Ohne Juda und ohne Rom bauen wir Deutschlands Dom !« – lautete einer der häufig zu hörenden Slogans. Mit dem klassischen Liberalismus hatten die Deutschnationalen das soziale Umfeld, das mittlere Bürgertum, den Antiklerikalismus und die Abneigung gegen die als reaktionär verrufenen Slawen gemeinsam. Ebenso wie jene neigten sie zu stärkerer parteimäßiger Aufspaltung. Der in Studenten- und Akademikerkreisen äußerst populäre Georg von Schönerer (1842–1921), Gutsbesitzer im Waldviertel, Sohn des erfolgreichen Eisenbahn-Unternehmers Matthias von Schönerer, konnte auf Grund seiner doktrinären Preußenverehrung und Habsburg-Ablehnung zwar niemals die Mehrheit der dem Habsburgerstaat loyal gegenüberstehenden Deutschnationalen gewinnen. Aber sein radikaler Rassenantisemitismus und seine Gewaltneigung prägten den Deutschnationalismus zunehmend. 1911 verbanden sich mehrere deutschnationale Gruppierungen zu einem »Deutschen Nationalverband«, der die größte Fraktion im Abgeordnetenhaus bildete. Damals gab es sechs deutschnationale Parteien : die kleine, aber extreme Deutsche Arbeiterpartei (eine Vorläuferpartei der späteren NSDAP), Schönerers Alldeutsche (ebenfalls klein und extrem), die Deutsche Volkspartei als größte und überwiegend kleinbürgerliche Fraktion, die Deutsche Agrarpartei, die größere Bauern und Gutsbesitzer in den Sudetenländern, in Kärnten und in der Steiermark ansprach, und die Deutsche Fortschrittspartei, eher liberal und großbürgerlich orientiert, während die Deutschradikalen eine nicht ganz so radikale Gruppierung wie die Alldeutschen
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Schönerers darstellten. Erfolgreich waren alle diese Gruppen in den Sudetenländern, daneben in Steiermark und Kärnten, aber auch in Wien. Ihr Wahlerfolg von 1911 zeigt, dass knapp vor dem Ersten Weltkrieg das nationalistische Argument für das Wahlverhalten noch an Gewicht gewonnen hat. Gleichzeitig neigten sie wie eh und je zu einer gewissen Disziplinlosigkeit, die der Abgeordnete Raphael Pacher im folgenden satirischen Vierzeiler geißelte : »Der eine saß, der andere stand, der stimmte für, der wider, das ist der Nationalverband ! Stimmt an das Lied der Lieder!« (nach Höbelt, Kornblume, S. 127f ) Die Sozialdemokratie
Die politische Mobilisierung der Arbeiterschaft konnte mental auf den Liberalismus zurückgreifen. Wissenschaftsgläubigkeit und aufklärerisches Fortschrittspathos hatten die frühen Arbeiterbildungsvereine mit den bürgerlich-liberalen Optimisten gemein. Mit jenem Pathos konnte sich sehr leicht ein Zukunftsglaube verbinden, der aus der raschen Zunahme proletarischer Existenzen den gar nicht so fernen Sieg der Arbeiterschaft über den Kapitalismus deduzierte. Bestärkt wurde diese Weltsicht durch marxistische Positionen, in denen das Proletariat nicht bloß als logischer, sondern auch als moralisch qualifizierter Sieger aus dem Kampf der Klassen hervorgehen würde. Die Mobilisierung insbesondere der sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft erscheint daher als offensiv : Ihr würde die Zukunft gehören ! Auch der liberale Wiener Publizist Ferdinand Kürnberger äußerte sich in dieser Richtung, beeindruckt durch die gewaltigen Massenaufmärsche von Arbeitern um 1870 ; er vernahm hier »… jenen strammen, feinen, sicheren Schritt, welcher für jeden Geschichtskenner das Kennzeichen ist : Mit diesem Schritt tritt ein Herrscher auf die Weltbühne.« Der politische Organisationszweig der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung waren zunächst die Arbeiterbildungsvereine. Schon 1868 hatte sich der Wiener Arbeiterbildungsverein der Ersten Internationale angeschlossen. Man war sich aber nicht einig, ob sich die Arbeiterbewegung als Teil der liberalen Bewegung verstehen sollte – oder auf marxistischer Grundlage völlig selbstständig handeln sollte. Auf einem ersten Parteitag zu Neudörfl im Burgenland, damals in Ungarn und daher außer Reichweite der österreichischen Behörden, wurde dieser Zwist 1874 nur notdürftig überbrückt. Als Folge der Krise gingen Organisationsgrad und Organisationsdichte in der Arbeiterschaft erheblich zurück. In der Folge erlangten vorübergehend radikale und gewaltbereite Varianten eine gewisse Bedeutung. Nach Attentaten auf Unternehmer ging die Regierung hart gegen die Arbeiterbewegung vor.
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
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Erst ab etwa 1885 änderte sich langsam das Blatt – mit der Festigung der Konjunktur und der vollen Durchsetzung der industriellen Produktionsweise stieg auch die Organisationsbereitschaft unter den Arbeitern wieder. Mit der Zuwendung Viktor Adlers zur Sozialdemokratie gewann die Partei nicht nur einen organisatorisch begabten, sondern infolge seiner großen Bekanntheit integrativ wirkenden Mann. Nach längeren Vorarbeiten kamen Delegierte aus allen österreichischen Ländern zur Jahreswende 1888/89 im niederösterreichischen Industrieort Hainfeld zusammen, um die Sozialdemokratie neuerdings zu begründen. Dabei wurde ein Kompromiss zwischen Gemäßigten und Radikalen gefunden, der darauf hinauslief, dass sich die Sozialdemokratie in Hinkunft zwar einer ziemlich radikalen Sprache bedienen, aber daneben eine eher pragmatische, berechenbare, auf die Durchsetzung konkreter Forderungen (Wahlrecht, Arbeitszeitverkürzung) bezogene Politik machen würde. Unmittelbarer Ausdruck der neu gewonnenen Parteieinheit war die seither großartig begangene Feier des 1. Mai – ein Tag, der für die Bürger zunächst mit Umsturzängsten verbunden war, aber auf lange Sicht auch die wachsende Integration der Sozialdemokratie in die Gesellschaft anzeigen sollte. Schon kurz darauf begann die Sozialdemokratie mit einer großangelegten Agitation für das allgemeine Wahlrecht, allerdings noch erfolglos. Erstmals 1897 zog die Partei mit 15 Abgeordneten in den Reichsrat ein, 1901 waren es nur 10, 1907 aber, bei der ersten Wahl nach dem allgemeinen (Männer-) Wahlrecht, bereits 86, 1911 fiel sie auf 81 zurück. 41 ihrer Abgeordneten waren im Jahre 1907 Privatbeamte – größtenteils Angestellte von Krankenkassen oder von Partei- bzw. Gewerkschaftsorganisationen, 30 waren Redakteure, meist primär von Partei- oder Gewerkschaftszeitungen. Die Sozialdemokraten hatten lange versucht, an einer übernationalen Partei und einem übernationalen Parlamentsklub festzuhalten. 1899 gaben sie sich ein Nationalitätenprogramm. Es forderte die Umbildung Österreichs in einen Bundesstaat der Nationalitäten. Der Staat der Habsburger aber sollte erhalten bleiben. Vor allem die tschechischen Arbeitervertreter kritisierten die »deutschen«, weil sie zu wenig für die Arbeiter in den Ländern taten. Denn die in der Sozialdemokratie herrschenden »Wiener« waren Vertreter einer »Arbeiteraristokratie« – relativ gut entlohnt, relativ gebildet (vor allem Buchdrucker, Setzer u. a.). Sie profitierten von der Existenz der Monarchie, nicht anders als das Wiener Bürgertum. 1910, nach einer Serie tschechenfeindlicher Kundgebungen in Wien, gründete eine Mehrheit der tschechischen Sozialdemokraten die Tschechische Arbeiterpartei. Auf der Seite der Wiener Zentrale blieb nur eine kleine Gruppe. Bei den Reichsratswahlen 1911 bekamen die selbstständigen tschechischen Sozialisten 26 Mandate, die mit der Gesamtpartei verbundenen nur mehr eines. Der gemeinsame Klub vereinigte die Arbeitervertreter der verschiedenen Völker nur mehr scheinbar, in Wirklichkeit bildeten die Tschechen, die etwa 50 Deutschen und die wenigen Polen je eigene Klubs. Neben diesen sozialdemokratischen Gruppen gab es auch eine selbststän-
412
Das Zeitalter Franz Josephs
dige polnische sowie eine »jugoslawische«, die Slowenen und Kroaten verband, aber ohne Wahlerfolg blieb. Daneben bestanden aber auch noch explizit nationalistische sozialistische Parteien wie je eine tschechische und eine deutsche »nationalsozialistische« Partei. Tab. 7: Fraktionen im Abgeordnetenhaus nach dem Allgemeinen Wahlrecht 1907
1911
Christlichsoziale (mit Kath.-Kons.)
96
73
Sozialdemokraten
87
83
Deutscher Nationalverband*)
51
100
Deutschfortschrittliche
15
Deutschradikale
13
Alldeutsche (Schönerianer)
3
Tschechische Agrarier
30
36
Böhm. Klub (Jungtschechen)
25
16
Tschechische Klerikale
17
7
Tschech. Nationalisten
11
16
Polenklub
55
70
Unabhängige Fortschrittliche Tschechen (Mähren)
4
7
Poln. Volkspartei
16
Ruthenenklub (1911 : Ukrain. Verband)
25
28
Südslawen (Slowenen, Kroaten, Serben)
37
34
Italiener
14
16
Rumänen
5
5
Jüdischer Klub
4
»Wilde« 516
516
*) 1907 aus: Deutsche Volkspartei und Deutsche Agrarier 1911 aus: Deutsche Volkspartei, Deutsche Agrarier, Deutschradikale, Deutschfortschrittliche
8.6.3 Die kaiserlichen Regierungen und das Parlament
Die Regierung war auch nach 1867 eine Regierung des Kaisers. Nach wie vor betrachtete der Monarch die Minister als seine persönlichen Ratgeber. Eine Abhängigkeit der Regierung von der Mehrheit des Parlaments bestand de iure nicht. Sehr wohl aber konnte – theoretisch – die Mehrheit des Hauses seit 1867 Minister in den Anklagezustand versetzen.
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
413
Als es um die Dezemberverfassung ging, war Beust bestrebt, das ganze Gesetzeswerk nicht als ausschließlich »deutsche« Gesetze erscheinen zu lassen. Da die Tschechen den Reichsrat boykottierten, suchte man andere slawische Gruppen wie Polen und Slowenen zur Mitarbeit zu gewinnen. Der Preis war für die Polen eine weitgehende Verwaltungsautonomie für Galizien. Die Slowenen erhielten eine Bahnlinie durch Oberkrain. Da die meisten »österreichischen« Regierungen nur kurz im Amt waren, kann man ihre Tätigkeit knapp zusammenfassend beurteilen. Die liberale Ära 1867–1879
Mehrheiten im Abgeordneten- ebenso wie im Herrenhaus folgten derselben Orientierung wie die Regierung. Diese war deutsch-liberal-zentralistisch. Die erste, zugleich auch die erste nur-cisleithanische Regierung war das sogenannte »Bürgerministerium« unter Fürst Karl (›Carlos‹) Auersperg (1868/69), das infolge der Übernahme mehrerer Ministerien durch prominente deutschliberale Abgeordnete (Karl Giskra, Eduard Herbst, Leopold Hasner von Arta und Johann Nepomuk Berger) einen stark parlamentarischen Charakter trug. Wohl die bedeutendste Persönlichkeit darunter war der Unterrichtsminister Hasner, auf dessen Initiative das Reichsvolksschulgesetz von 1869 zurückging. Freilich war dieser Regierung durch den ausgeprägten Individualismus der meisten Minister und das Misstrauen des Kaisers nur eine kurze Lebenszeit beschieden. Nach dem baldigen Rücktritt Auerspergs setzten Plener und Hasner als Regierungschefs diese Konstellation bis 1870 fort, dann folgte Potocki. Nach der nur kurz im Amt befindlichen föderalistischen Regierung Hohenwart-Schäffle (1871), die vergeblich versuchte, durch die Annahme der sog. Böhmischen »Fundamentalartikel« die tschechische Frage zu lösen, wurde das liberale System unter Adolf Auersperg bzw. dem Innenminister Josef Lasser von Zollheim (»Ministerium Lasser genannt Auersperg«) bis 1878 weiter geführt. In dieser ganzen Zeit herrschte eine beständige Opposition der katholisch-konservativen Gruppierungen der Alpenländer (besonders der Tiroler) ebenso wie der meisten slawischen Gruppierungen (Slowenen, Kroaten, Ruthenen) ; die Tschechen boykottierten das Parlament. Die Polen hielten stets zur Regierung. Sie waren ja auch ziemlich privilegiert : Es gab zwei Universitäten mit polnischer Lehrsprache, Polnisch war die Verwaltungssprache und im Bereich der Schule konnten die Lehrbücher in Galizien selbst zugelassen werden – während überall sonst eine zentrale Kommission im Wiener Unterrichtsministerium über die Zulassung entschied. Regierung und deutsch-liberale Parlamentsmehrheit stimmten in den Grundprinzipien wie Anerkennung des Ausgleichs und der Dezemberverfassung, zentralistische Staatsverwaltung Zisleithaniens sowie liberale Haltung in Wirtschaftsfragen überein. In konfessioneller Hinsicht antiklerikal traten sie für strenge Budgetdisziplin und den Abbau der Staatsverschuldung ebenso ein wie für die Sicherung der Vorherrschaft des deutschen
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Das Zeitalter Franz Josephs
Elementes. Sehr rege tätig war das Parlament auch in der Vergabe von Eisenbahnkonzessionen, bei denen nicht selten Abgeordnete der Verfassungspartei profitierten. Die Ära Taaffe 1879–1893
Schon vor den Wahlen von 1879 hatte der präsumptive Ministerpräsident Graf Eduard Taaffe (1833–1895), ein enger Vertrauter des Kaisers, Kontakte mit den Tschechen angeknüpft. 1879 gelang es ihm, nicht nur die Tschechen zum Wiedereintritt in den Reichsrat zu bewegen, sondern auch eine Regierung zu bilden, die sich auf eine im Prinzip antiliberale Koalition von slawischen und alpenländisch-konservativen Abgeordneten stützte (der »Eiserne Ring«). Diese Konstellation war eher föderalistisch orientiert, sie verabschiedete gerne Reichsrahmengesetze mit dem Auftrag der Detailgesetzgebung durch die Landtage. In wirtschaftlicher Hinsicht vertrat sie eher agrarische Interessen, in konfessioneller Hinsicht neigte sie eher der katholischen Richtung zu. Den nichtdeutschen Nationalitäten wollte Taaffe durch Gewährung gewisser Zugeständnisse auf dem Verwaltungswege entgegenkommen. Innerhalb dieses Programmes erfolgte die Teilung der Prager Universität in eine tschechische und eine deutsche Universität 1882. Schon 1880 hatte der Justizminister Karl von Stremayr in seiner Sprachenverordnung für den äußeren Dienstgebrauch festgehalten, dass in Böhmen und Mähren Eingaben in jener Sprache erledigt werden mussten, in der sie erfolgten. Die Sprache des »inneren Dienstes« blieb allerdings das Deutsche. Damit erfüllte Taaffe eine der zentralen Forderungen des politischen Führers der Tschechen, Heinrich Jaroslav Graf Clam-Martinic, wenngleich nur zum Teil. Außerdem wurden mehr mittlere Schulen mit nichtdeutscher Unterrichtssprache versprochen. Auch im Hinblick auf die immer drängendere »sociale Frage« wurden (teils in Umsetzung von Planungen aus der liberalen Ära) einige sehr wichtige Gesetze erlassen, so die erste und zweite Gewerbeordnungsnovelle 1883 und 1885, oder die Gesetze über die gewerbliche Unfall- (1887) bzw. Krankenversicherung (1888). Diese Sozialgesetze blieben bis 1919 die wichtigsten überhaupt. Sie verraten den Einfluss der sozialkatholischen Richtung von Carl Freiherr von Vogelsang. In seiner »Monatsschrift für christliche Sozialreform« waren erstmals genaue Erhebungen und Milieustudien zur »socialen Frage« erschienen, die erschreckende Missstände aufzeigten. Zum Vogelsang-Kreis gehörten einige Aristokraten wie Graf Egbert Belcredi oder Prinz Aloys Liechtenstein, aber auch der Sektionschef und zeitweilige Finanzminister Emil Steinbach sympathisierte mit den Ideen einer Sozialreform. Die erste Gewerbeordnungsnovelle (1883) brachte die Einführung von Gewerbeinspektoren für größere Betriebe, die zweite (1885) das Verbot von Kinderarbeit bis zum 12. bzw. 14. Lebensjahr sowie das Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche. Wöchnerinnen erhielten eine Schutzfrist von vier Wochen. In Fabriksbetrieben galt seither eine maximale Arbeitszeit von elf Stunden. Um
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
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das verbreitete Truck-System abzuschaffen, waren alle Löhne in Geld auszubezahlen. Die beiden Sozialversicherungsgesetze brachten für alle Arbeiter und Arbeiterinnen in Maschinenbetrieben die Unfallversicherung, für alle gewerblichen Arbeiter die Krankenversicherungspflicht. Die Landarbeiter blieben von diesen Segnungen ausgeschlossen – der Gesetzgeber wollte mit den sozialen Abgaben »nur« die Industrie belasten. Ab 1885 zeigte zwar auch der »Eiserne Ring« Abnützungserscheinungen, andererseits begannen Teile der (durch Taaffe erfolgreich gespaltenen und geschwächten) Liberalen immer offener mit der Regierung zusammenzuarbeiten, sodass die späten 1880er Jahre parlamentarisch ziemlich ruhig verliefen. Freilich hatte der »Eiserne Ring« die überaus nachteilige Folge einer massiven Verstörung der deutschen Wählerschaft, wodurch sich der Deutschliberalismus immer mehr zum Deutschnationalismus wandelte. Taaffe musste zurücktreten, als sein kühner Wahlrechtsentwurf 1893 sowohl von den Konservativen wie von den Liberalen abgelehnt wurde. Wie ein Appendix an die Ära Taaffe mutet die sog. »Koalitionsregierung« unter Alfred III. Fürst zu Windisch-Grätz (1893–1895) an, eine »große Koalition« unter Einschluss der Deutsch-Liberalen. Sie war eine parlamentarische Regierung und schon aus diesem Grund dem Kaiser nicht wirklich genehm. Sie scheiterte bald an der »nationalen Frage« – die Deutsch-Liberalen verweigerten gemeinsam mit den Deutschnationalen, Christlichsozialen und Italienern der von der Regierung vorbereiteten und im Budgetausschuss genehmigten »Post Cilli« des Budgets für 1895 ihre Zustimmung. Diese Kosten für die geplanten slowenischen Parallelklassen am deutschen Untergymnasium der untersteirischen Kleinstadt Cilli (Celje) betrugen gerade einmal 1.500 Gulden. Die Regierung zerbrach. Die Parallelklassen wurden trotzdem eingerichtet, als Abteilungen des deutschen Gymnasiums. Ganz am Ende dieser Periode beschloss das Parlament noch die neue Zivilprozessordnung, eine der bedeutendsten Schöpfungen des modernen Rechtswesens. Auch die von Emil Steinbach vorbereitete Steuerreform, mit einer Reduktion der Grundsteuern und der Einführung einer (leicht) progressiven Einkommensteuer, wurde verabschiedet. Die Zeit der Beamtenkabinette, 1895–1918
Franz Joseph neigte mit zunehmendem Alter mehr denn je dazu, Probleme nicht mehr politisch, sondern bürokratisch zu lösen. Von 1895 an wurden auch alle seine Regierungen von Beamten geführt. Nun war ja auch Taaffe ein Beamter, seine Regierung hatte aber eine solide parlamentarische Basis. Franz Joseph wünschte sich – wieder einmal – einen »starken« Ministerpräsidenten, der autoritäre Lösungen fand und den Parteien völlig unabhängig gegenüberstand. Der geeignete Mann dazu schien ihm Graf Kasimir Badeni, Statthalter von Galizien. Badeni wurde vom Militär empfohlen. Badeni sollte die Wahlrechtsreform durchbringen und darüber hinaus die 1897 fällige Erneu-
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Das Zeitalter Franz Josephs
erung des (wirtschaftlichen) Ausgleichs mit Ungarn. Die Berufung Badenis gilt als der schwerste politische Fehler Franz Josephs seit der Ernennung Gyulais zum Heerführer 1859. Zwar konnte er die Wahlrechtsreform parlamentarisch erledigen. Nun versuchte er, das tschechische Problem auf dem Verordnungsweg, durch die Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren (1897), zu lösen. Sie legten die völlige Gleichberechtigung der beiden Landessprachen und den umgehenden Zwang fest, die von den Beamten noch nicht beherrschte Sprache raschest (bis 1901) zu erlernen. Klarerweise benachteiligten diese Verordnungen die deutschen Beamten, die selten Tschechisch konnten, während fast alle tschechischen Beamten des Deutschen mächtig waren. Nun würden diese tschechischen Beamten das ganze Land überschwemmen und auch in den deutschsprachigen Regionen die Herrschaft der Tschechen einführen ! Diese Befürchtung löste eine weit über die Sudetenländer hinausreichende Radikalisierung der Deutschen, gewaltige (und gewaltsame) Demonstrationen von Reichenberg bis Wien und Graz und bisher nie dagewesene Szenen im Parlament selbst aus. Badeni wurde vom deutschradikalen Abgeordneten Hermann Wolf zum Duell (Pistole) gefordert, das Duell fand auch statt, beide überlebten. Die deutschen Parteien betrieben härteste Obstruktion, Pultdeckel klapperten, Tintenfässer flogen, manche Abgeordnete wurden handgemein. Im allgemeinen Chaos konnte die Regierung mit einer Mehrheit von konservativen und slawischen Abgeordneten die berüchtigte »lex Falkenhayn« (1897) durchbringen, die es ermöglichte, tobende und randalierende Abgeordnete notfalls auch durch die Polizei (!) entfernen zu lassen. Eine enorme Zuspitzung der nationalen Gegensätze war die Folge. Schließlich trat Badeni zurück, andere hohe Beamte folgten (Thun, Clary, Gautsch). Unter diesen war Ernest von Koerber (Regierungschef von 1900 bis 1904), zweifellos eine der faszinierendsten Erscheinungen der österreichischen Hochbürokratie, hoch gebildet, kenntnis- und einfallsreich. Er versuchte das Parlament mit der Vorlage bedeutender Wirtschaftsgesetze zur Arbeit zu bewegen. Das gelang aber nur vorübergehend. Immerhin wurden auf Basis des Koerber-Programmes die Karawanken-, Pyhrn- und Tauernbahn gebaut, mitsamt der Fortsetzung der Wocheinerbahn in das Isonzotal und über den Karst nach Triest. Auch andere wichtige Gesetze wurden verabschiedet, etwa das Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Sogar der höchst umstrittene Ausgleich mit Ungarn (fällig schon seit 1897) wurde erledigt. 1904 fiel Koerber im wiederauflebenden Nationalitätenstreit. Ministerpräsident Max Wladimir Freiherr von Beck (Ministerpräsident von 1906 bis 1908), in dessen Amtszeit die Verabschiedung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechtes fällt, regierte nach den ersten allgemeinen Wahlen von 1907 zunächst mit einer parlamentarischen Basis, zu der auch die meisten tschechischen Parteien gehörten, aus der ihm freilich 1908 durch eine innerparteiliche Intrige die Christlichsozialen herausbrachen und damit auch seinen Rücktritt auslösten. Das Regieren
Regierungen, Parteien, Koalitionen in »Zisleithanien«
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Karte 8: Die Sprachenverteilung in der Habsburgermonarchie.
mit dem unberechenbaren Parlament wurde immer mühsamer, sodass die Regierungen ihrerseits auch relativ schnell mit dem berühmten § 14 bei der Hand waren. Das trifft insbesondere auf die Beamtenkabinette von Richard Graf Bienerth-Schmerling (1908–1911) und Karl Graf Stürgkh (1911–1916) zu. 1912 gelang trotz aller Probleme die parlamentarische Erledigung einiger für einen kommenden Krieg unerlässlicher Gesetze (Wehrgesetz und Kriegsleistungsgesetz). Als 1914 der Krieg ausbrach, war der Reichsrat übrigens gerade vertagt und die Regierung regierte wieder einmal mit Hilfe des § 14. Dieser Paragraph des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung erlaubte es dem Kaiser (also seiner Regierung), alleine als Gesetzgeber zu fungieren, wenn der Reichsrat gerade nicht zusammengetreten war. Bei heftigen parlamentarischen Konflikten hatten sich die Regierungen gerade in den letzten Friedensjahren angewöhnt, das Abgeordnetenhaus zu vertagen und jene subsidiäre Gesetzgebung auszuüben. Man hatte diese Gesetze zwar später dem Parlament vorzulegen, doch genehmigte dieses im Nachhinein stets die Regierungsvorhaben (so noch 1917 !). Unverkennbar gab es in dieser Zeit eine kräftige autoritäre Tendenz. Das Parlament hatte auf Grund der häufigen Obstruktion und des rüden Umgangstones wenig Ansehen.
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Das Zeitalter Franz Josephs
8.7 Der Aufstieg des Nationalismus 8.7.1 Die gesellschaftliche Entwicklung und die Nationalisierung. der verschiedenen Sprachgruppen
In Fortentwicklung der bereits von Friedrich Engels diskutierten Begrifflichkeit sah der bedeutende austromarxistische Theoretiker Otto Bauer im Anschluss an Marx und Engels den Unterschied zwischen »historischen« und »nichthistorischen« Nationen zunächst einmal in der Existenz oder Nichtexistenz eines nationalen Adels – ein solcher Adel existierte bei Polen, Ungarn, Kroaten, Italienern und natürlich bei den Deutschen der Monarchie. Die »historischen« Nationen würden ferner eine stärkere gesellschaftliche Differenzierung aufweisen als die »nichthistorischen«. Das würde die in der zweiten Jahrhunderthälfte schon mit starkem eigenen Bürgertum und eigener Arbeiterschaft ausgestatteten Tschechen zur »historischen« Nation stempeln. Außerdem konnte man den böhmisch-patriotischen, wenngleich dominant deutschsprachigen Adel wegen seiner bewussten Förderung des Tschechischen durchaus als nationalen Adel ansehen. Ein Sonderfall sind die Ungarn, die zwar alle wichtigen Positionen im historischen Ungarn einnahmen, bei denen aber gleichzeitig in der großen Masse der Bevölkerung ausgesprochen vormoderne Sozialtypen wie Taglöhner oder mithelfende Familienangehörige dominierten. Tab. 8: Sozialtypen nach Sprachgruppen 1910: Auf 1000 Erwerbstätige entfallen in der Sprachgruppe Sprachgruppe
Selbst.
Angest.
Arb.
Tagl.
Mith.Fam.ang.
Deutsch
342
60
422
47
130
Tschechisch
362
35
427
55
157
Polnisch
351
28
172
57
391
Ukrainisch
331
6
77
59
527
Slowenisch
348
15
218
53
366
Serbo-kroat.
310
12
79
14
585
Italienisch
380
48
243
58
270
Rumänisch
317
13
81
205
385
Ungarisch
303
8
48
112
528
Durchschnitt
338
39
311
53
259
Der Aufstieg des Nationalismus
419
Als relativ »modern« können Gesellschaften mit vielen Angestellten und Arbeitern gelten, als besonders »traditionell« solche mit hohen Anteilen von mithelfenden Familienangehörigen. Hierher gehören die Nationalgesellschaften der Serben und Kroaten, der Ungarn und der Ukrainer, gefolgt von Polen, Rumänen und Slowenen. Rumänen und Ungarn hatten auch stark überdurchschnittliche Anteile von Taglöhnern. Die höchsten Arbeiteranteile hatten die Tschechen, vor den Deutschen, Italienern und Slowenen. Die höchsten Anteile von Angestellten sind bei den Deutschen zu beobachten, gefolgt von Italienern (Dienstleistungen – Triest !) und Tschechen. Ziemlich ähnlich sind die Anteile an Selbstständigen, wobei diese Zahlen nichts darüber aussagen, ob es sich dominant um Bauern oder gewerblich Selbstständige handelt. Offensichtlich hat die Abwanderung aus der Landwirtschaft, die Bedeutungszunahme des sekundären und tertiären Sektors, aber auch die Verschiebung hin zu unselbstständiger Tätigkeit bei gleichzeitiger Trennung der Arbeiter von den Unternehmern, die Entstehung und Verfestigung sprachnationaler Identitäten begünstigt. Volksschule und Militärpflicht, wachsende überregionale Markt-Kommunikation taten ein Übriges, um in ständiger Konfrontation mit anderen, bevorzugten (oder minder privilegierten) Sprachen und ihren Trägern die je eigene Sprache und kulturelle Besonderheit bewusst zu machen. Darin sah Otto Bauer entscheidende Faktoren der Nationsbildung : »… Und doch ist es gewiss, dass auch die Ruthenen auf dem Wege sind, den die Tschechen zurückgelegt, die Slowenen längst angetreten haben. Die Volksschule, die allgemeine Wehrpflicht, das allgemeine Wahlrecht, Zeitungen und Volksversammlungen unterwerfen auch die Massen des ruthenischen Volkes gleichem Kultureinfluß …« (Bauer, Nationalitätenfrage)
Dazu kommt die hemmende oder fördernde Kraft der sozialen Konflikte : Die effektive Erweiterung der polnischen Nation von der adeligen Grundherrenklasse auf die Bauern scheiterte lange daran, dass die Bauern (auch die mit polnischer Muttersprache !) unter der »polnischen Nation« ausschließlich die »szlachta«, den Adel, verstanden, der ihnen ausbeuterisch und feindlich gegenübertrat. Sie hatten daher keine Lust, sich ebenfalls als Teil dieser Nation zu begreifen. Andererseits wurde die Nationsbildung der Tschechen dadurch begünstigt, dass hier ein Adel, der Deutsch sprach, Bauern beherrschte, die in den größten Teilen der Sudetenländer Tschechisch redeten. Ähnliches gilt für die Slowenen, wo ebenfalls die Grundherren als »Deutsche« galten und sich die neue slowenische Identität mit dem Gestus der »Unterworfenen« schmückte. Im Prinzip ist die Nationsbildung des 19. Jahrhunderts als ein Vorgang zu begreifen, in welchem die Menschen eines Gebietes (Landes, Königreichs) oder einer Sprache immer stärker von dem Gefühl durchdrungen werden, »ihrer« Nation anzugehören. Die Auflösung älterer Bindungen durch den Bedeutungsverlust der Erlösungsreligion, die Auflösung
420
Das Zeitalter Franz Josephs
des »ganzen Hauses« und des traditionellen lokalen Zusammenhaltes, schließlich die Wanderungen in die neuen Ballungszentren ließen die Betroffenen einen emotionalen Ersatz suchen. Diesen bot das neue Nationalgefühl, das eine neue Beheimatung, ja sogar Erlösungshoffnungen bereitstellte. Vom quasireligiösen Charakter des Nationalismus zeugen ja nicht nur zahlreiche Denkmäler, sondern auch die Verwendung von Wörtern aus der Sakralsphäre, wenn es um die Nation geht (jetzt sind die Nationen häufiger »heilig« wie Gott oder die alten Heiligen). 8.7.2 Konfliktfelder: Gleichberechtigung oder Majorisierung?
Die Frage der staatsrechtlichen Gestaltung der Monarchie (Einheitsstaat, Dualismus oder Föderalismus) war untrennbar mit der nationalen Frage verbunden : – Die Ungarn forderten die weitgehende Selbstständigkeit Ungarns in seiner historischen Gestalt und setzten sich damit 1867 auch durch. – Die Deutschen wollten den zentralistischen Einheitsstaat, in dem sie ihre Interessen als ein in fast allen Ländern – in vielen davon als Minderheit – vertretenes Bevölkerungselement am besten aufgehoben sahen. Zwar wurde dieser Einheitsstaat 1867 für die Gesamtmonarchie abgebaut, in der westlichen Reichshälfte (Zisleithanien) hofften sie ihn aber mit Einschränkungen fortzusetzen. – Die Tschechen verlangten das »böhmische Staatsrecht«, d. h. eine der ungarischen analoge Stellung der drei Länder der böhmischen Krone (Böhmen, Mähren und Schlesien, fast genau die heutige Tschechische Republik), unter Anerkennung des gemeinsamen Herrschers, aber mit weitgehender Autonomie. – Die Slowenen verlangten (erstmals 1848) ein eigenes Kronland, gebildet aus Krain und den mehrheitlich von Slowenen bewohnten Gebieten der angrenzenden Kronländer Steiermark, Kärnten, Görz, Triest und Istrien. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts trat an die Stelle des »Vereinigten Slowenien« programmatisch die Verbindung mit den Kroaten und Serben der Monarchie, der Jugoslawismus. – Die Italiener des Trentino verlangten die administrative Trennung von Innsbruck und ebenfalls ein eigenes Kronland. – Die Polen verlangten – und erhielten – als Preis für ihre parlamentarische Unterstützung des Ausgleichs von 1867 und in der Folge jeder österreichischen Regierung eine weitgehende innere Autonomie für Galizien, was wiederum von den Ruthenen (Ukrainern) als überaus nachteilig empfunden wurde. – Die Kroaten Istriens und Dalmatiens forderten den Zusammenschluss Dalmatiens mit dem (in der ungarischen Reichshälfte gelegenen) Königreich Kroatien.
Der Aufstieg des Nationalismus
421
Es ist klar, dass jede Erfüllung eines dieser Nationalprogramme von einer oder mehreren der davon betroffenen anderen »Volksstämme« als Katastrophe empfunden werden musste. Ungarn: Erfolgreiche Magyarisierung und Desintegration
Diese Katastrophe hatte 1867 die Slowaken, Rumänen und Serben Ungarns bereits ereilt, denen der bedeutende Dichter und Minister Jozsef von Eötvös 1868 zwar ein elegantes Minderheitenschutzgesetz gebastelt hatte, das aber je länger desto weniger umgesetzt wurde. Das Grundproblem des ungarischen Nationalitätengesetzes war, dass es zwar das Recht auf die eigene Muttersprache im Volksschulunterricht, das Recht auf kulturelle Institutionen und Vereine nichtpolitischen Charakters ebenso wie die Autonomie nationaler Kirchen zusicherte, aber niemals eine ganze Gruppe wie die Slowaken, Ruthenen, Rumänen oder Serben als mit den Magyaren gleichberechtigte Nationalitäten (oder »Volksstämme«, wie es diesseits der Leitha hieß) anerkannte. Ab etwa 1875 setzte eine Politik systematischer Magyarisierung ein. Die Magyaren waren die einzige Nation der Habsburgermonarchie, die durch den Ausgleich von 1867 das höchste in dieser Monarchie mögliche Maß an nationaler Selbstbestimmung erreicht hatte. Freilich war auch dies dem fast ins Unermessliche gewachsenen ungarischen Selbstbewusstsein noch viel zu wenig. Unermüdlich und bis zum Ende der Monarchie beklagten die Magyaren vor allem das Fehlen einer eigenen nationalen Armee. Es hatte ihnen der Ausgleich zwar eine eigene Landwehr (die Honvéd) zugestanden, samt ungarischer Kommandosprache, aber diese Armee sollte keine Artillerie haben, also niemals der gemeinsamen Armee bzw. den Habsburgern gefährlich werden können. Eine zweite ständige Forderung war die nach der Sichtbarkeit der unabhängigen ungarischen Staatlichkeit in internationalen Verträgen. Irgendwann gab der Kaiser nach und solche Verträge wurden nicht mehr nur vom gemeinsamen Außenminister, sondern zusätzlich von den zuständigen Fachministern beider Teilstaaten unterzeichnet. Eine dritte Forderung wurde schon bei der ersten Ausgleichserneuerung erfüllt, nämlich die Umwandlung der österreichischen Nationalbank in ein gemeinsames Bankinstitut, die österreichisch-ungarische Bank. Problematisch wurde das Verhältnis zwischen dem von den Ungarn als nicht existent angesehenen »Gesamtstaat« und dem Königreich, als die ungarischen Ausgleichspolitiker wie Deák oder Andrássy gestorben oder abgetreten waren. Die Deák-Partei verfiel rasch, 1875 vereinigte Koloman (Kálmán) Tisza (1830–1902) die Reste dieser Partei mit seiner eigenen Partei. Das Wahlrecht wurde weiter eingeschränkt. Passiv wahlberechtigt war nur, wer des Ungarischen mächtig war. Tisza war von 1875 bis1890 Ministerpräsident. Unter seiner Regierung setzte die bis 1918 anhaltende Magyarisierungspolitik ein. Neue Schulgesetze (ab 1879) machten den Unterricht der ungarischen Sprache verpflichtend. Die Zahl der Schulen mit nicht-
422
Das Zeitalter Franz Josephs
magyarischer Unterrichtssprache ging rasch zurück. Studenten und Universitätsabsolventen waren bald fast nur mehr Magyaren. 1888 gab es einen heftigen Streit um das neue Wehrgesetz, letztlich einigte man sich doch. Gleichzeitig setzte sich Tisza für die Modernisierung des Staatswesens in wirtschaftlicher und administrativer Hinsicht ein. Das Magyarisierungsprogramm war in der Tat ein großer Erfolg : Zwischen 1880 und 1910 »bekehrten« sich etwa 700.000 Juden, 600.000 Deutschsprachige, 400.000 Slowaken und jeweils 100.000 Rumänen und Südslawen zum Magyarentum. Wie war das möglich ? Der stolze ungarische Nationalismus hatte einen großen Vorteil : Er bot den Angehörigen aller Sprachgruppen und Religionen die Zugehörigkeit zur herrschenden Nation an um den einzigen Preis, die ungarische Sprache anzunehmen, wenigstens für die Öffentlichkeit. Man konnte sich vielleicht noch besser als Magyar darstellen, wenn man den Namen magyarisierte. Aber Namen wie Gundel und Kugler (berühmte Budapester Konditoren), Ödön Lechner (der »Erfinder« des ungarischen Nationalstils in der Architektur) oder Miklós Ybl waren ebenso die Namen begeisterter Ungarn wie die des Komponisten Ferenc Erkel (Franz Erkl) oder der Schriftsteller Ferenc Herczeg (Franz Herzog) und Sándor Marai (Alexander Goldschmid). Auch der berühmteste ungarische Maler, Mihály Munkácsy, hatte deutsche Vorfahren. Der mehrmalige Ministerpräsident Sándor (Alexander) Wekerle hat nicht einmal seinen Namen magyarisiert. Er war Beamter im Finanzministerium, Finanzminister und seit 1892 der erste ungarische Ministerpräsident bürgerlicher Herkunft. »Unter seiner Ägide wurde gegen starken Widerstand der Kirchen, der Aristokratie und des Hofs die Reform der Kirchenpolitik, die bürgerliche Eheschließung und die Gleichberechtigung der jüdischen Religion mit den anderen Konfessionen durchgesetzt.« (Lendvai) Neben den Deutschen waren die Juden die eifrigsten Neo-Magyaren. Für das enorme Wachstum der 1873 aus drei Städten (Ofen/Buda, Altofen/Óbuda und Pest) neu geschaffenen Hauptstadt Budapest war die jüdische Zuwanderung besonders wichtig. 1910 bekannten sich fast ein Viertel ihrer Einwohner (von insgesamt jetzt 1,1 Millionen) zur jüdischen Religion, die meisten von ihnen zur ungarischen Sprache (ein Viertel der ungarischen Juden gab das Deutsche an). Fast vier Fünftel der Hauptstädter gaben Ungarisch als ihre Sprache an – dabei waren es 1859 erst ein Drittel gewesen, die wichtigste Sprache in Buda und Pest war damals noch das Deutsche. Die Erklärung für diese Entwicklung suchen viele Analytiker in der Anziehungskraft der »Herrschaftsmittelklasse«, der sich selbst leicht überheblich so benennenden »Gentry«. Sie stammte in Wahrheit aus der Masse des kleinen und vielfach verarmten Adels und suchte (und fand) ihren Lebensunterhalt zunehmend im Staatsdienst. Dort blieben sie weiterhin wie gewohnt die »Herren«, stolzierten in farbenprächtigen »nationalen« Gewändern herum und modellierten das gesellschaftliche Leitbild für Aufsteiger aller Art. Der Ungar war der Herr. Aber für den enormen wirtschaftlichen Aufschwung waren primär andere verantwortlich : »Den Handel und die Geschäfte überließ ›der Ungar‹ dem Griechen, Serben, Deutschen und Juden, aber dann
423
Der Aufstieg des Nationalismus
sah er sie mit scheelen Augen an …« (Lendvai). Und der Wiener Autor Otto Friedländer meinte, ein echter Ungar wolle nur Landwirt, Politiker oder Soldat sein. »Da werden eben die Schwoben und die Juden Beamte, Fabrikanten und Händler. Der echte Ungar ist ein Herr oder ein Bauer, oder sonst gar nichts. Dass aber diese wenigen echten Ungarn die ihnen an Zahl und Kultur überlegenen Deutschen und Juden zu chauvinistischen Magyaren gemacht haben, ist schon eine Leistung.«
Ziemlich rasch konnten auch die assimilierten Nachkommen von Deutschen und Juden in diese Klasse aufsteigen. Man erreichte das durch eine hohe Position in der Verwaltung und durch Nobilitierung. Wenn Juden nicht nur zum Ungartum, sondern gar zum Christentum konvertierten, konnten sie noch weiterkommen. 346 konvertierte jüdische Familien erhielten einen Adelstitel, damit öffnete sich auch der Weg zum Konnubium mit einflussreichen Adelsfamilien. Tab. 9: Ungarn: Agrarland in rascher Industrialisierung, wenigstens im Zentrum. Bevölkerung nach Sektoren I (Agrarsektor)
II (Industrie und Gewerbe)
III (Dienstleistungen)
1869
75 %
13 %
12 %
1910
62 %
26 %
12 %
Diese Magyarisierung war nicht nur mit einem tatsächlich bemerkenswerten wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung verbunden, der sich im glänzenden Ausbau der Hauptstadt, mit Parlament, Dom, Elisabethbrücke und vielen anderen Prachtbauten äußerte, sondern auch mit einer nationalistischen Hybris, die sich zwischen etwa 1890 und 1905 fast zu einer kollektiven Manie steigerte. Den Höhepunkt dieser ganzen Periode bildete zweifellos die Millenniumsfeier der ungarischen Landnahme 1896, mit einem grandiosen Denkmal für Árpád und mehrere äußerst grimmig blickende Stammesführer, aber auch mit der ersten U-Bahn auf dem Kontinent (vom Vörösmarty tér zum Stadtwäldchen) und einer überaus eindrucksvollen Landesausstellung mit 14.000 Exponaten. Viel problematischer waren die Jubiläen des Jahres 1898 : Die unabhängigkeitstrunkenen Ungarn feierten ihre Revolution und ihre Verfassung, Franz Joseph das fünfzigjährige Thronjubiläum, das aber in Ungarn nicht galt. Freilich wurde gerade dieses Jubiläumsjahr von der Ermordung der von den Ungarn hoch verehrten Königin Elisabeth überschattet. Dadurch wurde das krisenhafte Doppeljubiläum entschärft. Da die »1848er« in der öffentlichen Meinung immer stärker gegenüber den »1867ern« dominierten, hielt sich die Ausgleichs-loyale Gruppierung lange Zeit nur durch Korruption und Wahlfälschungen. Als nach dem Tod des Revolutionshelden
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Das Zeitalter Franz Josephs
Lajos Kossuth sein Sohn Ferenc nach Ungarn zurückkehrte und 1897 die Führung der Unabhängigkeitspartei übernahm, verschärfte sich nochmals die Tonlage gegenüber dem Dualismus. Selbst der Ministerpräsident Desider Bánffy (1843–1911, Ministerpräsident von 1895–99), stellte fest, es gebe keinen gemeinsamen Staat, auch keine gemeinsamen Minister, nur eben Personen, die gleichzeitig ungarische und österreichische Minister seien. Gerade jetzt war es in der Tiefebene zu Streiks von tausenden landlosen Landarbeitern gekommen – eines der großen sozialen Probleme Ungarns, auf das die Politik zunächst nur mit verschärfter Repression antwortete. Gleichzeitig erhob Kossuth jun. die Forderung nach der eigenen Armee noch einmal lauter, zumindest sollten die ungarischen Regimenter in Ungarn stationiert bleiben und einen Eid auf die ungarische Verfassung ablegen (1902). Gegen diese Bestrebungen erließ der Kaiser und König 1903 den berühmten Armeebefehl von Chlopy in Galizien (»Gemeinsam und einheitlich wie es ist, soll mein Heer bleiben …«). Die Österreicher waren froh, die Magyaren empört. Der Kaiser kam ihnen in einigen symbolisch wichtigen Details entgegen. Der Führer der liberalen Partei, Graf István Tisza (1861–1918), wurde jetzt Ministerpräsident, konnte aber nach wilden Krawallen im ungarischen Parlament den Wahlsieg einer Koalition um die Unabhängigkeitspartei nicht verhindern. Franz Joseph drohte jetzt den Ungarn mit dem Allgemeinen Wahlrecht. 1906 ließ er das Abgeordnetenhaus auflösen und das Parlament räumen. Wenn die »1848er« geglaubt hatten, jetzt würde die Revolution ausbrechen, irrten sie sich : Den Massen war das von knapp mehr als 5 % der Bevölkerung gewählte Parlament gleichgültig. Nach einem neuerlichen Wahlsieg der 1848er Koalition bildete diese unter Wekerle eine Regierung, die militärischen Forderungen wurden aber vertagt. Einen neuen Gipfelpunkt des magyarischen Nationalismus bildete das neue Schulgesetz von 1907 (lex Apponyi). 1910 stürzte die Koalition und Tisza kam wieder an die Regierung. Tisza hielt am Ausgleich fest. Aber Slowaken, Rumänen, Serben und Kroaten wandten sich mental immer mehr von Ungarn ab. Kroatien: Eigener »Ausgleich« trotz ungarischer Herrschaft sowie Serben in Kroatien und Ungarn
Als logische Folge des ungarischen Ausgleichs musste ein besonderer Vertrag zwischen Ungarn und Kroatien her – der kroatische Ausgleich von 1868. Er wurde mit Hilfe der Unionisten-Partei durchgebracht, der Partei jener Adelsfraktion, die starke gemeinsame Interessen mit dem ungarischen Adel hatte. Der Ausgleich sah eine kroatische Autonomie in den Bereichen Justiz, Kultus und Unterricht vor, während die wirtschaftlichen Angelegenheiten, auch die Verkehrsverbindungen, als »gemeinsame« Bereiche galten, also in Wahrheit in Budapest entschieden wurden. Eine führende Persönlichkeit der kroatischen Politik war Bischof Josip Juraj Strossmayer von Djakovar (Đakovo),
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Der Aufstieg des Nationalismus
auf dessen Initiative 1867 die »Jugoslawische Akademie der Wissenschaften« in Zagreb gegründet worden war. 1874 folgte die erste südslawische Universität, ebenfalls in Zagreb. Nach einer geringfügigen Revision des Ausgleichs kam eine Regierung unter dem Banus Ivan Mažuranić (1814–1880) zustande, der – ein bedeutender Dichter – schon von 1861 bis 1865 kroatischer Hofkanzler gewesen war. Später aber bestellten die Budapester Regierungen mehrere Persönlichkeiten zum Banus, die sich als Träger der von jenen Regierungen intendierten Magyarisierung verstanden. Besonders berüchtigt war in dieser Beziehung die Regierung des Banus Khuen-Hedervary (1883 bis 1903), der ausschließlich die ungarischen Interessen vertrat. Die Kroaten hatten mit mehreren Problemen zu kämpfen. Erstens waren sie auf Ungarn (Königreich Kroatien-Slawonien) und Österreich (Königreich Dalmatien und Markgrafschaft Istrien) aufgeteilt. Zweitens waren sie im Ausgleichs-Ungarn einerseits politisch stärker als ihre Konnationalen in Zisleithanien, andererseits doch wieder von Budapest abhängig – da die Verkehrsagenden bei der ungarischen Regierung lagen, konnte man dort sogar entscheiden, dass die Ortsbezeichnungen auf den Bahnhöfen ungarisch zu sein hätten. Außerdem wurde durch die Gesetzgebung von 1868 der wichtigste Hafen, Rijeka, aus Kroatien ausgenommen und direkt zu Ungarn geschlagen. Im allen von Kroaten bewohnten Bereichen war aber das größte Problem die geringe wirtschaftliche Dynamik. Tab. 10: Kroatien: Südliche Peripherie . Bevölkerung nach Sektoren I (Agrarsektor)
II (Industrie und Gewerbe)
III (Dienstleistungen)
1890
84,6 %
8,0 %
7,4 %
1910
78,8 %
9,7 %
11,5 %
Der größte Teil der Bevölkerung blieb in der in vielen Landesteilen wenig ertragreichen Landwirtschaft tätig. Als Folge des Dualismus, aber auch als Folge der veränderten außenpolitischen und militärischen Gegebenheiten wurde ab 1871 die traditionsreiche Militärgrenze aufgelöst. Der endgültige Zusammenschluss mit Zivilkroatien und Slawonien erfolgte freilich erst 1881. Dem Ende der Grenze war schon eine längere Phase der Auflösung der dort traditionell üblichen »Hauskommunionen« mit Gemeinschaftsbesitz vorausgegangen. In den vielfach von der Natur nicht besonders gesegneten Gebieten der Militärgrenze bedeutete das die Entstehung weiterer kleiner, oft nicht lebensfähiger bäuerlicher Betriebe, was die gesellschaftlichen Probleme noch einmal verschärfte. Da die religiös meist orthodoxe Bevölkerung der Grenze als »Serben« galt, bauten sich da neue Konfliktfelder zwischen diesen und den traditionell katholischen Kroaten auf. Zwar
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Das Zeitalter Franz Josephs
versuchte Bischof Josip Juraj Strossmayer eine Wiedervereinigung von Katholiken und Orthodoxen herbeizuführen, doch führten seine Initiativen nicht zum Erfolg. Neben diesen Serben der früheren Grenze lebte eine große Gruppe von Serben außerhalb von Kroatien in Südungarn, der neben zahlreichen Bauern auch durchaus wohlhabende Kaufleute oder Viehhändler angehörten. Ihr politisches Programm, nämlich die Anerkennung der Serben als historisch-politische Nation (auf der Basis der alten habsburgischen Privilegien), wurde von den Ungarn glatt abgelehnt. Das ungarische Nationalitätengesetz gewährte den Sprachgruppen keinen kollektiven Status. Allerdings wurde den Serben 1868 ihre Kirchen- und Schulautonomie bestätigt. Später wurden aber auch die südungarischen Serben in die massive Magyarisierungspolitik der ungarischen Regierungen einbezogen. Die Tschechen: Vom »Böhmischen Staatsrecht« zum Mährischen Ausgleich
Da Böhmen das wirtschaftlich wichtigste Land der Monarchie war, erscheint der Weg der tschechischen Nationalbewegung von besonderer Bedeutung. Begrifflich trennt das Deutsche das Land Böhmen von seiner slawischen Bevölkerung, den Tschechen ; das Tschechische hingegen sieht eine weitgehende Identität von »Böhmen« als Land (Čechy) und seinen Bewohnern (Češi), die man freilich auch im Deutschen sehr lange einfach die »Böhmen« nannte. Diese Nationalbewegung fand aber in einem Land statt, in dem die Tschechen nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung ausmachten. In Mähren hingegen waren sie etwa 70 %. Im April 1848 wurde den Petenten aus Prag von der Wiener Regierung die so genannte »böhmische Charte« bewilligt, was inhaltlich auf die Anerkennung der besonderen Stellung Böhmens, aber nicht unbedingt auf die Anerkennung einer eigenen Regierung hinauslief. Die Verdichtung des politischen Lebens bedeutete 1848 zugleich den Beginn bzw. die Vertiefung einer klaren nationalen Trennung. Das böhmische Staatsrecht wurde von den Deutschen Böhmens vehement abgelehnt, diese gründeten nun eigene nationale Schutzvereine. Der Neoabsolutismus bedeutete das vorübergehende Ende der tschechischen Nationalbewegung. Im Hinblick auf den Gebrauch der Sprachen war der Neoabsolutismus uneinheitlich : Er begann unter dem Prätext der Gleichberechtigung, schwenkte dann zu einem deutschen Zentralismus um, eröffnete aber nach dem Konkordat im Bereich von Unterricht und Kirche der tschechischen Sprache neuerlich ein weiteres Betätigungsfeld. Viele Schulen, auch Gymnasien, waren zweisprachig. Das Oktoberdiplom schien dem Landtag Böhmens ein ziemlich weites Feld von Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. Durch das Februarpatent wurden diese Erwartungen enttäuscht, die böhmischen Tschechen zogen 1863 aus dem Parlament aus. Der Ausgleich mit Ungarn (1867) heizte die Staatsrechts-Agitation massiv an. Sie bediente sich des Instrumentariums
Der Aufstieg des Nationalismus
427
großer Volksversammlungen unter freiem Himmel (»tábory«, so der Historiker Jaroslav Goll), von denen 1868 bis 1871 etwa 100 in Böhmen und 40 in Mähren-Schlesien stattfanden. Deutlich mehr als 1,4 Millionen Menschen nahmen daran teil. Sie kamen aus fast allen Klassen der Gesellschaft – Gewerbetreibende, Handwerker, Bauern und Arbeiter. Das Programm der Tabore lautete : Niemals würden die Tschechen die Idee des »böhmischen Staatsrechtes«, also einer eigenen, schon vor dem Einheitsstaat von 1749 existierenden Staatlichkeit, aufgeben. Diese Staatlichkeit habe auch Mähren und Schlesien umfasst. Die Anerkennung der tschechischen Forderungen samt Krönung des Kaisers zum böhmischen König sollte den böhmischen Ländern eine Stellung analog der ungarischen geben. Die tschechischen Abgeordneten zum böhmischen Landtag formulierten diese Forderungen am 22. August 1868 in einer besonderen Deklaration. Nach dem Ausgleich mit Ungarn und in Reaktion auf die Tabor-Bewegung versuchte der Kaiser auch einen Ausgleich mit den Tschechen. Freilich hatte ihn Beust darauf aufmerksam gemacht, dass es in der österreichischen Monarchie nicht möglich sei, alle Völker zufrieden zu stellen. Und der Ausgleich beruhe nun einmal auf dem Konzept zweier herrschender Völker, der Deutschen und der Ungarn. Die Unzufriedenheit der Slawen müsse man in Kauf nehmen – die Opposition der Deutschen und der Ungarn wäre für die Stabilität der Monarchie noch viel problematischer. Dennoch versuchte der Kaiser, mit den Führern der Tschechen ins Gespräch zu kommen. In höchster Geheimhaltung wurde 1870/71 über den Wirtschafts- und Soziologieprofessor Albert Schäffle, einen vor Kurzem erst nach Wien berufenen Wissenschaftler schwäbischer Herkunft, mit den Tschechen unter Führung von Heinrich Jaroslav Graf Clam-Martinic verhandelt. Wieder zog der Kaiser, wie im Falle von Beust, einen ausländischen Experten heran. Schäffle wurde im Kabinett Hohenwart Handels- und Finanzminister. Schließlich wurde eine nicht ganz unkomplizierte Konstruktion geplant, die dem Königreich Böhmen ein Mehr an Autonomie ermöglicht hätte, freilich nicht im selben Ausmaß wie bei den Ungarn. Dafür versprachen die Tschechen den Deutschböhmen den vollen Schutz ihrer Nationalität durch ein spezielles Landesgesetz, bei gleichzeitiger völliger Gleichstellung beider Landessprachen. Aber bei den Deutschen ging die Angst um, sie würden von der tschechischen Mehrheit majorisiert werden. Sie vertrauten lieber darauf, dass sie im zentralistischen Zisleithanien trotz ihrer böhmischen Minderheitensituation über Wien und die dadurch gegebene relative Mehrheit der Deutschen im Staat abgesichert wären. Die Landtage von Schlesien, Niederösterreich, Steiermark, Salzburg und Kärnten protestierten. Schließlich verbündeten sich die deutschliberalen Zentralisten mit Beust und zuletzt auch Andrássy gegen die böhmischen »Fundamentalartikel« und brachten das ganze Projekt zu Fall. Nicht ganz zu Unrecht wurde dabei argumentiert, dass die Deutschen Böhmens hauptsächlich in den an das neue Deutsche Reich angrenzenden Regionen lebten. Eine als Reaktion auf die tschechisch beherrschte Autonomie zu befürchtende Irredenta sei für die Monarchie höchst ge-
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Das Zeitalter Franz Josephs
fährlich. Im Herbst 1871 kehrte die gewohnte Situation wieder : Nach dem Sturz der Regierung Hohenwart-Schäffle wurde die deutsch-liberal-zentralistische Regierungsform unter Adolf Fürst Auersperg fortgesetzt. Und wieder boykottierten die Tschechen den Reichsrat. In der Zeit der politischen Absenz ging jedoch die nationale Mobilisierung der Tschechen weiter. 1874 spalteten sich die »Jungtschechen« von den »Alttschechen«, der Partei Palackýs und Riegers, ab. Die national »lauten« Turn-, Schul- und Schutzvereine wurden durch die leiseren wirtschaftlichen Vereine ergänzt. Zahlreiche Genossenschaften, Bildungs- und Unterstützungsvereine entstanden auf dem Lande, denen zum Teil die Funktion zufiel, ein eigenes, national tschechisches Kapital zu entwickeln. Sehr rasch entstand nun auch eine »tschechische« Industrie (nämlich von der »Nationalität« der Unternehmer und des Kapitals her), ergänzend zur älteren deutschen der böhmischen Randgebiete. Die wichtigste Bank der jungen tschechischen Wirtschaftsgesellschaft wurde die 1869 gegründete »Živnostenská banká« (Gewerbebank). Autonome Betätigungsfelder auch in nationaler Hinsicht bot die Selbstverwaltung auf der Ebene der Gemeinden (seit 1862) und der Bezirke (seit 1864). Diese letztere Ebene der Selbstverwaltung war eine Besonderheit Böhmens und der Steiermark. Die tschechische Nationalgesellschaft bestätigte sich nun auch in kultureller Hinsicht. 1883 wurde das tschechische Nationaltheater eröffnet. Es war 1881 bald nach der Fertigstellung abgebrannt. An der oberen Schmalseite des Wenzelsplatzes wurde 1885 das tschechische Nationalmuseum eröffnet – ein eindrucksvoller Bau, dessen Architektur bewusst mit der Wiener Ringstraße konkurrierte. Schon vorher hatte man die Zweckmäßigkeit der Absenzpolitik kritisiert. Seit 1878 nahmen Alt- und Jungtschechen wieder an den Verhandlungen des böhmischen Landtages teil. Taaffe stellte einige Verbesserungen in Aussicht, sollten die Tschechen wieder im Reichsrat auftreten. Die Tschechen (wieder geführt von Heinrich Jaroslav Graf Clam-Martinic) forderten die Zweisprachigkeit der Landesverwaltung und die Doppelsprachigkeit der Prager Universität. 1879 kehrten die tschechischen Parlamentarier in den Reichsrat zurück, wo sie fortan nach Abgabe einer staatsrechtlichen Verwahrung mitarbeiteten. Die erste Forderung Clams wurde von Taaffe mit der TaaffeStremayr’schen Sprachenverordnung (1880) zum Teil erfüllt, mit der das Tschechische als äußere Dienstsprache anerkannt wurde. 1882 wurde die Prager Universität geteilt. 1886 regelte der Justizminister Alois Pražák die Verwendung der Sprachen vor Gericht neu, dabei ließ er das Tschechische auch als innere Amtssprache zu. Die ständig wiederkehrende zentrale Forderung der Tschechen lautete : Völlige Gleichberechtigung beider Landessprachen im äußeren und inneren Dienst, und zwar im ganzen Land. Dagegen forderten die Deutschen immer wieder für die rein deutschen Gebiete ausschließlich das Deutsche als Amtssprache, und als Konsequenz dieser Forderung die administrative Teilung Böhmens in einen deutschen und einen tschechischen Teil.
Der Aufstieg des Nationalismus
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Kein deutscher Beamter sollte Tschechisch lernen müssen ! Natürlich waren beide Forderungen unvereinbar. Dennoch suchte man Ende der 1880er Jahre wieder nach einem Kompromiss. Man einigte sich 1890 auf die Teilung des Landesschulrates und des für die Landwirtschaft zuständigen Landeskulturrates. In nationalen Fragen sollte auch der Landtag aus zwei Kurien bestehen, die sich nicht überstimmen konnten. Den Deutschen unter Ernst von Plener (dem Sohn des Finanzministers von 1860) erschien dies akzeptabel. Dagegen begannen die Jungtschechen unter Julius Grégr eine wilde Agitation gegen diese Kompromissformel – Böhmen sei ein tschechischer Staat, der Einfluss des Deutschen müsse zurückgedrängt werden usw. Mit ihrem Programm besiegten die Jungtschechen bei den Reichsratswahlen 1891 die Alttschechen, diese erhielten nur mehr 12 von 49 tschechischen Mandaten. Damals kandidierte erstmals der spätere Präsident Tomáš Garrigue Masaryk, legte sein Mandat aber schon 1893 nieder. Er gründete später eine eigene Partei (»Realisten«). Den Versuch einer Umsetzung der Kompromissformel im Gerichtswesen beantworteten die Jungtschechen mit der Mobilisierung der Straße. Diese artete in Schlägereien und Plünderungen aus. In Prag und Brünn wurde der Ausnahmezustand verhängt (1893). Von nun an würde der nationale Kampf immer wieder auf der Straße und nicht mehr nur in den Parlamenten ausgefochten werden. Inzwischen stieg die Bevölkerungszahl von Prag in raschem Tempo, von etwa 157.000 im Jahr 1850 auf 514.000 im Jahr 1900. Die Zuwanderung erfolgte fast ausschließlich aus den tschechisch-sprachigen Gebieten Böhmens. Schon 1861 wurde ein tschechischer Bürgermeister gewählt. Prag wurde von einer sprachlich eher deutschen zu einer um 1900 bereits fast ausschließlich tschechischen Stadt. Besiegelt wurde dieser Prozess ab dem Augenblick, als sich die zahlreichen Prager Juden nicht mehr mit dem und den Deutschen identifizierten, sondern zunehmend mit den Tschechen. Jener traditionellen Zuordnung zum Deutschen verdankt die deutsche und österreichische Literatur die Werke von Egon Erwin Kisch, Franz Werfel, Johannes Urzidil und Franz Kafka. Kafka selbst hat es stets bedauert, dass er nicht so gut Tschechisch konnte, um sich in dieser Sprache ebenso gewandt auszudrücken wie im Deutschen. Als Ministerpräsident Kasimir Graf Badeni im April 1897 seine berühmten Sprachenverordnungen erließ, bedeuteten diese zwar die Umsetzung alter tschechischer Forderungen, löste aber jene gewaltige Welle von parlamentarischer Obstruktion und riesigen öffentlichen Demonstrationen aus, die vor allem eines zeigte : Die Verabschiedung großer Gruppen der Deutschösterreicher von dem alles durchdringenden Gefühl einer Verantwortung für das Habsburgerreich. Von jetzt an waren die Deutschen zwar nach wie vor die quantitativ, wirtschaftlich und politisch wichtigste Gruppe Zisleithaniens, die sich aber infolge der Sprachenverordnungen übergangen und ins Abseits gedrängt fühlte. Als Badeni im November 1897 entlassen wurde, freuten sich die Deutschen, doch jetzt protestierten die Tschechen, wieder wurde in Prag der Aus-
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Das Zeitalter Franz Josephs
nahmezustand verhängt. 1899 wurden die Verordnungen aufgehoben. Inzwischen differenzierte sich das tschechische Parteiwesen weiter. In den 1890er Jahren entstanden erstmals auch katholische Parteien, wie die Katholische Nationalpartei in Mähren, der Jan Šrámek eine reformorientierte Christlich-Soziale Partei gegenüberstellte. Mehr Erfolg als die konfessionellen Parteigründungen hatte die Tschechische Agrarpartei (1899), die sich einige Jahre später mit einer analogen Partei für Mähren und Schlesien unter Antonin Švehla vereinigte. Die Agrarier stiegen zu einer einflussreichen Größe auf. Auch die Sozialdemokratie kämpfte mit Abspaltungen. Schon auf dem Budweiser Parteitag von 1896 wurde die gesamtstaatliche Parteiorganisation föderalisiert. Stärker nationalistisch und auf einen »slavischen Sozialismus« ausgerichtet war die 1897 von jungtschechischer Seite gegründete National-Soziale Partei, die ebenso stark antisemitisch wie antideutsch ausgerichtet war. 1911 brach auch die tschechische Sozialdemokratie mit der Mutterpartei – im Siegestaumel des Nationalismus war kein Platz mehr für eine wirklich übernationale politische Organisation. Dennoch gab es einen Lichtblick – in Mähren einigten sich die Vertreter der Tschechen und der mährischen Deutschen 1905 auf einen Kompromiss, den Mährischen Ausgleich. Der neue Landtag wurde in nationale Kurien getrennt (73 Tschechen, 46 Deutsche, 30 »neutrale« Großgrundbesitzer). Im Rahmen eines nationalen Katasters sollten Tschechen nur Tschechen, Deutsche nur Deutsche wählen können. Der Landeschulrat und das Schulwesen wurden ebenfalls geteilt – deutsche Kinder mussten in deutsche, tschechische in tschechische Schulen gehen. Damit war allerdings eine traditionsreiche gesellschaftliche Übung, der »Wechsel« (Kinderwechsel o. ä.) gefährdet. Denn weithin war es bisher in Mähren üblich gewesen, dass man aus tschechischen Gebieten die Kinder auf ein Jahr in ein deutsches Dorf zu einer bekannten Familie – genauso auch umgekehrt – geschickt hatte, damit die Kinder die zweite Landessprache ohne Probleme lernen konnten. Der mährische Ausgleich beseitigte zwar nationale Konfliktzonen, führte aber auch zur stärkeren gesellschaftlichen Trennung der beiden Sprachgruppen. Immer wieder wurde auch in Böhmen weiter verhandelt. Auf deutscher Seite unternahmen der hochgebildete und um die Sozialpolitik verdiente Abgeordnete Josef Maria Baernreither und der Historiker Adolf Bachmann 1911 einen neuen Anlauf. 1913 wurde der böhmische Landtag und Landesausschuss von Wien aus aufgelöst, weil die autonome Finanzverwaltung in Böhmen auf eine Katastrophe zusteuerte. Das führte zum Boykott des Reichsrates durch tschechische Agrarier und Nationale Sozialisten. Bis zur Jahreswende 1913/14 hatte man dennoch in den meisten Punkten eine Einigung erzielt, sodass der jungtschechische Politiker Karel Kramář den Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh davon zu überzeugen suchte, man müsse doch weiter verhandeln. Aber bis zum Kriegsausbruch geschah nichts mehr.
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Der Aufstieg des Nationalismus
Tab. 11: Böhmische Länder: Industrialisierung und landwirtschaftliche Modernisierung – Entfaltung des tertiären Sektors . Bevölkerung nach Sektoren I (Agrarsektor)
II (Industrie und Gewerbe)
III (Dienstleistungen)
1890
49 %
33 %
18 %
1910
39 %
35 %
26 %
1910 hatten die Tschechen den höchsten Anteil an gewerblich-industriellen Berufstätigen innerhalb der Monarchie (37,1 Prozent gegenüber 36,4 Prozent bei den Deutschen). In einem dichten Wirtschafts- und Organisationsnetz entwickelte sich eine komplette rein tschechische soziale Infrastruktur, die zudem über die lokale Verwaltung und die Bereiche der Landesautonomie reiche Erfahrungen in der politischen Selbstverwaltung erwerben konnte. Gegen Ende der Monarchie war vielfach auch die so lange geforderte und von den Deutschen vehement bekämpfte »innere Amtssprache« Tschechisch üblich geworden. In rein tschechischen Gebieten konnte der normale Staatsbürger praktisch sein ganzes Leben auch im Umgang mit Behörden auf Tschechisch organisieren – die Ausnahme war das Militär, wo das Deutsche alleinige Kommandosprache blieb ; allerdings galten die im Rekrutierungsbereich der Regimenter üblichen Sprachen als Regimentssprachen, die auch die Offiziere wenigstens einigermaßen kennen sollten. Vom »Vereinigten Slowenien« zum Jugoslawismus: Die Entwicklung der politischen Programme der Slowenen
Im Neoabsolutismus wurde die weitere Entwicklung des slowenischen Nationalbewusstseins natürlich nicht gefördert. Der katholische Klerus konnte jedoch eine gewisse Infrastruktur für die Verbreitung kulturellen Nationalbewusstseins schaffen (Hermagoras-Bruderschaft in Klagenfurt, 1851). Als wichtiges Datum gilt das Jahr 1859, als auf Antrag des Diözesanbischofs von Lavant, Anton Martin Slomšek (1800– 1862), der Bischofsitz aus dem Lavanttal nach Maribor verlegt und gleichzeitig der Kärntner Teil dieser Diözese an das Bistum Gurk abgetreten wurde. Damit wurde der ehemalige Marburger Kreis mit seiner starken slowenischen Mehrheit zum Diözesangebiet, das den Namen (»Diözese Lavant«) aber beibehielt. Slomšek war nicht nur ein kaisertreuer Prälat, sondern auch Schriftsteller und Förderer des Slowenischen. Schon 1858 war mit dem »Martin Krpan« von Fran Levstik ein Klassiker der slowenischen Literatur erschienen – das Hohelied der starken, unverdorbenen Provinz, aus der der Retter für die degenerierten Höflinge in Wien kommt, der dafür aber keinen Dank erntet. Die politischen Bezüge waren unübersehbar. In den Anfängen des neuen po-
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Das Zeitalter Franz Josephs
litischen Lebens ab 1861 dominierte nach wie vor Janez Bleiweis, dessen »Novice« noch länger das wichtigste publizistische Organ der Slowenen blieben. Für ihn stand die praktische, auch sprachliche, Erziehung der Nation im Vordergrund, das erschien ihm wichtiger als große Programme. Schon wurden Vereine mit nationalem Programm gegründet, die Turner (Južni Sokol) und die Slovenska matica, gleichzeitig wissenschaftliche Organisation, Verlag und Buchgemeinschaft (1863). Während 1861 erst wenige Slowenen gewählt wurden, änderte sich das schon 1867. Von 1868 bis 1871 gab es auch bei den Slowenen zahlreiche »Tabore«, öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel nach tschechischem Muster. Ihre Hauptforderung war das »Vereinigte Slowenien« – ein neues, eigenes Kronland für die Slowenen, gebildet aus Krain und den slowenischen Teilen von Görz, Istrien, Triest, Kärnten und Steiermark. Ein eigenes, nationales Bürgertum entwickelte sich nur langsam – sozialer Aufstieg war in den slowenischen Gebieten noch länger als in den tschechischen mit dem Übergang zur deutschen Sprachgruppe (und Nation) verbunden (im Küstenland und in Triest auch zur italienischen). Die nationale Einstellung war noch nicht stabil. Als der bekannte Politiker Dragotin Dežman (Deschmann) 1861 ins deutsche Lager überwechselte, wurde er als Abtrünniger beschimpft. Für die Stabilisierung des Nationalbewusstseins hatte die nationale Einbeziehung der Bauern große Bedeutung, die überwiegend über die Kirche und entsprechende Vereine und Genossenschaften erfolgte. In den letzten Jahrzehnten des Bestandes der Monarchie entfalteten sich aber auch ein nationalbewusstes slowenisches Bürgertum meist liberalen Zuschnittes und eine überwiegend sozialdemokratische Arbeiterschaft. Während der Ära Taaffe waren die slowenischen Abgeordneten Mitglieder im Hohenwart-Club und damit im »Eisernen Ring«, wofür sie mit einem slowenischen Landespräsidenten für Krain, Andrej Winkler, belohnt wurden. Das Slowenische gewann erstmals eine gewisse Anerkennung als Amtssprache, vorerst in Krain. In dieser Zeit wurden auch die publizistischen Erzeugnisse in slowenischer Sprache häufiger. 1888 wurden am Marburger Untergymnasium slowenisch-deutsche Parallelklassen eingeführt, ohne Probleme. Schon seit 1880 forderten die untersteirischen Slowenen dasselbe für das Gymnasium in Cilli. 1894 sollte ein schon länger schwebendes Versprechen eingelöst werden. Das löste eine Regierungskrise und einen ersten »furor teutonicus« aus, der sich nach den Badenischen Sprachenverordnungen noch vielfach verstärkt wiederholte. Die bisher einigermaßen einheitliche politische Ausrichtung der Slowenen zerbrach, 1891 wurde eine katholische Partei gegründet, die seit 1905 Slowenische Volkspartei (Slovenska ljudska stranka) hieß. 1894 folgten die Liberalen. Innerhalb der Volkspartei vertrat der Geistliche Janez Evangelist Krek (1865–1917) eine christlichsoziale Orientierung und gründete eigene Arbeitervereine. Daneben entstanden zahlreiche ländliche Genossenschaften zur Verbesserung der problematischen Lage der Bauern. Um die katholische Partei von der Macht fern zu halten, verbündeten sich die slowenischen Liberalen im Krainer Landtag mit den deutschen
Der Aufstieg des Nationalismus
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Vertretern des Großgrundbesitzes (1896 bis 1908). Damit boten sie ihren Gegnern gerade auf der »nationalen« Seite eine wunderbare Angriffsfläche. Als politische Zielsetzung löste ab etwa der Jahrhundertwende der Jugoslawismus in verschiedenen Spielarten die Forderung nach dem »Vereinigten Slowenien« ab. Das ging sogar bis zum Zusammenschluss der (inzwischen umbenannten) »Allslowenischen Volkspartei« mit der kroatischen Partei des Rechts zur »Kroatisch-slowenischen Rechtspartei« (1912). Man erhoffte sich von der Gemeinschaft mit den Kroaten eine Stärkung der eigenen Position gegen das übermächtige Deutschtum. Da diese Partei auf die beiden Teilstaaten aufgeteilt war, blieb der politische Effekt gering. Einen ungewöhnlich großen, aber vorübergehenden parlamentarischen Einfluss erlangten die Slowenen, als es ihrem Führer Ivan Šusteršič gelang, gemeinsam mit den Tschechen und anderen slawischen Parteien gegen die Wiener Regierung einen ziemlich stabilen Oppositionsblock zu bilden. Galizien: Autonomie für die Polen, Unterdrückung für die Ukrainer?
Für die Habsburgermonarchie war der 1772 einverleibte Teil Polens trotz seiner Größe wirtschaftlich nur von geringem Interesse. Strategisch hingegen war er wichtig, denn er bildete den Grenzraum gegen Russland. Das bedeutete im Konfliktfall strategisches Vorfeld oder Aufmarschgebiet, weshalb sich hier bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch die größte Festung der Habsburgermonarchie befand (Przemyśl). Ebenso wie in den beiden anderen Teilungsgebieten des historischen Polen dachten die adeligen Oberschichten der Polen natürlich stets an die Wiederherstellung des polnischen Königreiches. Da aber bei den großen Aufständen gegen die russische Besatzung (1830, 1863) die österreichische Regierung gegen die polnischen Aufständischen wesentlich weniger hart vorging als Preußen und Russland, und da auch keine Germanisierung der Bevölkerung geplant war (wie in Preußen), entwickelte sich bei den führenden Schichten der galizischen Polen eine vorübergehende Akzeptanz der Zugehörigkeit zur Habsburgermonarchie. Der hohe polnische Adel wurde in Wien von Kaiser und Hof auch wegen seines Reichtums und seines aristokratischen Lebensstils akzeptiert. Die 1868 gewährte, später noch erweiterte Autonomie für Galizien brachte die polnische (innere) Amtssprache, die Polonisierung der Universitäten von Krakau und Lemberg und die fast totale Dominanz der Polen und des Polnischen im Unterrichtswesen. In der Landesverwaltung konnte der verarmte kleine Adel sein Unterkommen finden. Mehrere polnische Aristokraten bekleideten hohe Positionen in Wien : Agenor Graf Gołuchowski der Ältere (1812–1875) war mehrfach Statthalter von Galizien, 1859/60 Innenminister, 1860 Staatsminister (mit seinem Namen ist das Oktoberdiplom verbunden) ; sein Sohn, Agenor Graf Gołuchowski der Jüngere (1849–1921), war Berufsdiplomat und von 1895 bis 1906 k. u. k. Minister des Äußeren ; Alfred Graf Potocki
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Das Zeitalter Franz Josephs
war im Bürgerministerium Ackerbauminister und 1870/71 Ministerpräsident, später Landmarschall und Statthalter in Galizien ; Julian von Dunajewski war unter Taaffe von 1880 bis 1891 Finanzminister, dasselbe Amt bekleidete zweimal Leon von Biliński, der dann auch noch gemeinsamer (k. u. k.) Finanzminister war. Drei Polen bekleideten das Amt des österreichischen Unterrichtsministers, Stanisław von Madeyski (1893– 1895), sein Sohn Georg (1918) und dessen Vorgänger, Professor Ludwik Ćwikliński (1917–1918). Diese starke Präsenz in Wien kontrastierte seltsam zur Absenz der österreichischen Wirtschafts- und Sozialpolitik im »Armenhaus Österreichs«, das von den hohen Positionen seines Adels in keiner Weise profitierte. Tab. 12: Galizien: Rasches Bevölkerungswachstum bei ungenügender Entfaltung einer regionalen Industrie – Peripherie und nationale Spaltung . Bevölkerung nach Sektoren I (Agrarsektor)
II (Industrie und Gewerbe)
III (Dienstleistungen)
1890
84 %
6 %
10 %
1910
79 %
7 %
14 %
Freilich kann man diese Absenz eben auch mit der Autonomie Galiziens erklären. Immerhin hat der Staat die Grundentlastungsschuld der galizischen Bauern übernommen, die von diesen wohl nie hätte beglichen werden können. Das wirtschaftliche Interesse an Galizien erwachte erst, als die dortigen Erdölquellen nicht mehr nur für Petroleum, sondern auch für die Fortbewegung mit Hilfe von Otto-Motoren, also für Automobile Bedeutung erlangten. 1911 gab es in Galizien 329 Abbaustationen und 82 Raffinerien mit insgesamt 15.000 Beschäftigten. Der bedeutendste Unternehmer dieser Branche, David Fanto, konnte sich 1916 ein Schloss bei St. Pölten kaufen. Die politische Repräsentanz des polnischen Adels in Wien, der »Polenklub« (ein Lokal im Wiener Parlament heißt heute noch so !), besaß eine große Absorptionsfähigkeit : Obwohl immer wieder neue oppositionelle Strömungen gegen diese Adelsherrschaft auftraten, wurden sie in der Regel relativ bald wieder in den Polenklub aufgenommen. Der polnischen Vorherrschaft entspricht die schwierige Lage des zweiten »Volksstammes«, der Ruthenen, die immerhin etwas mehr als 40 % der Gesamtbevölkerung ausmachten. Die Ruthenen, repräsentiert von ihrer meist griechisch-katholischen (unierten) Geistlichkeit, waren und blieben ein Volk von kleinen, armen Bauern und Taglöhnern, die an der durchaus gut entwickelten galizischen (polnischen) Bildungslandschaft kaum Anteil hatten. Der Analphabetismus blieb hoch. Der Hunger war ein ständiger Begleiter dieser Population, die Auswanderung, ebenso wie bei den Polen und Juden Galiziens, oft die einzige Möglichkeit, dem Elend zu entkommen.
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Schlimmer als in Galizien war höchstens noch die Lage der Ruthenen im nordöstlichen Ungarn (heute ein Teil der Ukraine), von wo ebenfalls eine starke Auswanderung nach Übersee ging. Politisch waren die Ruthenen in einen russophilen und einen mehr auf sprachlich-kulturelle Selbstständigkeit, also »ukrainisch« orientierten Teil gespalten, was ihre Durchschlagskraft nicht erhöhte. Eine etwas verbesserte Repräsentanz in Wien bescherte ihnen erst das allgemeine Männerwahlrecht von 1906. Langsam begannen Ausgleichsverhandlungen zwischen Polen und Ruthenen, die, nach dem Muster des mährischen Ausgleichs, bis 1914 weitgehend finalisiert werden konnten. Trient und Triest: Die Italiener
Nach 1866 waren die Italiener in Tirol und im Küstenland (in Dalmatien waren sie nur eine sehr kleine Gruppe) nur mehr eine kleine, territorial aufgesplitterte Minderheit. Sie lebten im Trentino hauptsächlich von der Landwirtschaft, von Obst- und Weinbau, auch die Zucht der Seidenraupe hatte Tradition. Ähnlich im Küstenland (Görz, Triest und Istrien), soweit es sich um die ländlichen Regionen Friauls handelt. Ganz anders war die Situation in Triest, wo die rasch wachsende Bevölkerung sowohl vom Hafen, vom Handel und von der Verarbeitung der importierten Güter (Kaffee) lebte, aber in zunehmendem Maße auch als Industriearbeiter. Wieder anders ist die Lage in Istrien zu beurteilen : Die Italiener der Küstenstädte lebten nicht nur vom Handel und vom Fischfang, ihre Oberschichten waren auch die Besitzer jener Gründe im Hinterland, die von slowenischen oder kroatischen Bauern als Pächter oder Kolonen bearbeitet wurden. Abgesehen von irredentistischen Strömungen ging es um recht verschiedene politische Ziele. Im Trentino forderten die Italiener die Abspaltung dieses Gebietes von Tirol und ein eigenes Kronland. Das verweigerten die Deutschtiroler nach Kräften, wenngleich es gute Gründe dafür gegeben hätte. Im Küstenland ging es um die Aufrechterhaltung des politischen Übergewichtes des italienischen Elementes, die als Grundbesitzer, Inhaber von Handelsgeschäften und der wichtigsten Positionen in den Bereichen der höheren Bildung gegen die wachsenden Zahlen von hauptsächlich slowenischen Zuwanderern nach Triest kämpften. Ein um 1900 immer noch virulenter erscheinender Streitpunkt war die Frage einer italienischen Universität. Sie sollte – natürlich – in Triest gelegen sein. Doch sahen die Slowenen Triest auch als ihre Stadt an – tatsächlich lebten dort um 1900 mehr Slowenen als in Ljubljana. Vermutlich sah der Alptraum eines österreichischen Unterrichtsministers so aus, dass sich in Triest die Studenten zweier Universitäten, einer italienischen und einer slowenischen, ununterbrochen befehdeten. Als Ausweg kam man auf die Idee, in Innsbruck (!) eine Rechtsfakultät mit italienischer Unterrichtssprache einzurichten. Die Folge waren laute und gewalttätige Demonstrationen, bei
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denen es auch ein Todesopfer gab. Trotz aller Schwierigkeiten, die die Italiener dem Staat bereiteten, gehörten sie doch auf Grund ihrer hohen Steuerleistung nach den guten alten Zensus-Prinzipien zu den politisch privilegierten Völkern und entsandten auch in die Parlamente von 1907 und 1911 mehr Abgeordnete, als ihnen nach ihrer Volkszahl zugestanden wären. Die geheime Staatsnation: Die Deutschösterreicher
Tschechen, Italiener, Slowenen und Kroaten hatten einen eindeutigen Adressaten ihrer Forderungen : die Monarchie der Habsburger und damit auch alle jene Gruppen, die aus der Existenz dieser Monarchie gewisse Vorteile zogen. Dazu gehörten insoferne alle Einwohner dieses Staatswesens mit deutscher Muttersprache, als Deutsch die Sprache von Armee und Bürokratie und die wichtigste Verbindungssprache im wirtschaftlichen Bereich war. Tatsächlich zeigt sich ein deutliches Übergewicht der Deutschen in den Zentralstellen : 1914 waren 76 Prozent der Ministerialbeamten in Wien Deutsche, und um 1900 war dies bei zwei Dritteln der Offiziere der Fall. Wien, Niederösterreich und die sudetendeutschen Industriegebiete gehörten zweifellos zu den großen Nutznießern der Monarchie – Wien und Umgebung als Regierungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum, die Sudetengebiete als Produktionszentren, denen ein großes Absatzgebiet gesichert war. Der Aufstieg der übrigen Nationen gefährdete diese Vorrangstellung. Die Ausbildung des deutschen Nationalbewusstseins im Habsburgerstaat war daher defensiv geprägt. Während Tschechen, Slowenen, Ungarn usw. irgendeine staatliche Neuordnung (mehr Autonomie für ihre Länder, oder überhaupt die Konstituierung neuer staatlicher Einheiten) forderten, wehrten die Deutschen nur ab, denn alle diese Forderungen schienen ja ausschließlich auf ihre Kosten zu gehen. Das zeigt sich schon beim ersten nationalen Schutzverein, bei dem 1848 gegründeten Verein der Deutschen in Böhmen. Damit wird eine Kontinuitätslinie begründet, die über den »Deutschen Volksverein« in Wien (1867), den Verein der Deutschnationalen in Graz (1869) usw. bis zu den Schulvereinen der 1880er und 1890er Jahre (1889 Schulverein »Südmark«), nationalen Bauern-, Bürger- und Studentenvereinen geht. Besonders studentische Organisationen zeigen den Wandel der vorherrschenden Identitätsobjekte : Seit Beginn der 1880er Jahre verloren die nichtnationalen, betont österreichischen »Corps« gegenüber den betont deutschnationalen Burschenschaften und Verbindungen rasch an Boden. Allerdings brachte es die insgesamt bevorzugte Stellung der (des) Deutschen in der Monarchie mit sich, dass nur eine kleine radikale Minderheit um Georg v. Schönerer die Zerschlagung der Monarchie und den Anschluss der deutschsprachigen Gebiete an das Deutsche Reich von 1871 forderte. Denn die Nationsbildung der Deutschen in der Monarchie bezog sich zumeist durchaus auf eben diesen Staat. Gleichzeitig vollendete
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sich die Nationsbildung der Deutschen im neuen Deutschen Reich mit einer wachsenden Identifikation mit diesem Reich. Faktisch entstanden so zwischen 1870 und etwa 1900 zwei deutsche Nationen. Die erste Erschütterung des deutschen Selbstbewusstseins brachte schon die Diskussion um die böhmischen Fundamentalartikel während der Regierung HohenwartSchäffle. Dies blieb Episode. Aber schon knapp davor wurden die ersten deutschnationalen Vereine gegründet. Die nächste, wesentlich stärker spürbare Infragestellung ihrer führenden Position erlebten die deutschen politischen Eliten während der Ära Taaffe. Ein Versuch, das Deutsche als Staatssprache vom Parlament bestätigen zu lassen, scheiterte. Der Streit um die »Post Cilli« 1894 und noch verstärkt die Badenischen Verordnungen führten erstmals zu jener massiven Distanzierung der Deutschen von »ihrem« Staat, die ein zentrales Problem der späten Monarchie wurde. Als Reaktion auf die slawenfreundliche Orientierung der Regierungen der 1890er Jahre schlossen sich alle deutschen Parteien (auch die Christlichsozialen, aber ohne die Alldeutschen) im Parlament zur »deutschen Gemeinbürgschaft« zusammen und stellten im sog. Pfingstprogramm von 1899 ihre Forderungen auf. Eine der ersten war, dass man den »diesseitigen Staat« endlich »Österreich« nennen sollte. Für die Erhaltung der deutschen Nationalität in Österreich wurden angesichts der regional sehr verschiedenen Problemlagen unterschiedliche Fragen angesprochen, wobei Böhmen, Tirol, Mähren, Krain, die Steiermark, Kärnten und Schlesien sehr detailliert behandelt wurden. Das Deutsche sollte nicht mehr als »Staatssprache«, sondern bloß als »allgemeine Vermittlungssprache« anerkannt werden. Das »Pfingstprogramm« wurde von den Tschechen heftig kritisiert, von den Slowenen mussten die Krain und die Steiermark betreffenden Passagen als Kampfansage interpretiert werden. Andererseits kritisierte Schönerer, dass das Pfingstprogramm den Slawen viel zu sehr entgegenkomme. Die wichtigste Folge der Badenikrise blieb die Tatsache, dass die Deutschen ihre bisherige Rolle als hundertprozentige »Staatsnation« Österreichs aufgaben und »nur« mehr als wichtigste nationale Streitpartei in der politischen Arena wirkten, fast ausschließlich auf das bedacht, was man die »Wahrung des nationalen Besitzstandes« nannte. Die Nationalitätenkonflikte und die Habsburgermonarchie
Die kritischen Tendenzen gegenüber den beiden Teilstaaten der Monarchie, vielfach getragen von den Eliten der Slawen, um 1900 partiell auch schon von den Deutschen, haben sich bis zum Ersten Weltkrieg kaum ernsthaft zu einer Bewegung in Richtung Zerstörung der Monarchie verdichtet. Das mag zum Teil mit Nützlichkeitserwägungen erklärt werden, denn gegenüber den bedrohlichen und mit ihren eigenen nationalen Minderheiten keineswegs zart verfahrenden Großmächten Deutschland und Russland war die Habsburgermonarchie vielleicht wirklich das kleinere Übel. Dabei darf man
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den großen Unterschied in der nationalen Entfaltungsmöglichkeit zwischen Cisleitha nien und Ungarn nicht übersehen. Zu einem schwer abschätzbaren Teil mögen auch altertümliche Loyalitäten gegenüber dem Kaiser verbindend gewirkt haben – sicher bei bäuerlichen Populationen stärker als bei gewerblich-industriell arbeitenden Menschen oder bei den Priestern des Nationalismus, den Lehrern, Professoren, Dichtern und Advokaten. Noch schwerer einzuschätzen ist die Rolle des immer noch ehrfurchtgebietenden Gewaltapparates der Monarchie, vom Hofe abwärts, Bürokratie und Armee umfassend. Zwar garantierte dieser Apparat den Zusammenhalt des Reiches bis in die letzten Oktobertage 1918. Man muss sich aber die Frage stellen, ob nicht das Auftreten dieses Apparates vielfach als Ausdruck von Fremdherrschaft empfunden wurde. Solche Gefühle gab es nicht nur in den slawischen Ländern. In Graz, wo ein bosnisches Regiment stationiert war, trat dieses als Organ der Regierung bei den großen Demonstrationen im Herbst 1897 gegen die Badenischen Sprachenverordnungen als Repressionsapparat in Erscheinung. Das führte 1897/98 zu schweren Verstimmungen, besonders als der Gemeinderat die Verlegung der Bosnier weg von Graz forderte, was das Militär als Beleidigung auffasste. In der Folge gab es starke Spannungen zwischen Grazer Studenten und deutschnationalen Bürgern einerseits, Offizieren andererseits. Sogar die Konzerte der Militärkapelle des bosnischen Regiments wurden massiv gestört. Offizieren und Soldaten wurde zeitweilig in Restaurants und Geschäften die Bedienung verweigert. Ereignisse wie diese haben den »nationalen« Geist, die Solidarität auf der Basis des Nationalbewusstseins, enorm gefördert. Und solche Ereignisse gab es viele im weiten Bereich der Monarchie. Massendemonstrationen, Militäreinsatz, Ausnahmezustand, Auflösung von autonomen Körperschaften gehörten immer wieder zum Standardrepertoire in Zeiten nationaler Hochspannung. Solche Konfliktzeiten müssen die Identifizierung der Betroffenen mit der Monarchie geschwächt, die mit der je eigenen nationalen Gruppierung verstärkt haben. Neben solchen außergewöhnlichen Ereignissen wirkte sich aber auch die Verdichtung und Veralltäglichung der Kommunikation im nationalen Rahmen durch Vereine und Genossenschaften aus. Durch die Förderung des wirtschaftlichen Austausches ausschließlich (oder vorzüglich) im Rahmen der je eigenen Sprachgemeinschaft wurde ebenfalls der Kommunikationsrahmen der eigenen Nation gestärkt. Denn einerseits waren in der Monarchie die Sprachgemeinschaften so durcheinandergemischt, dass ethnisches Distanzgefühl durch das häufige Erleben der Fremdheit gestärkt werden konnte, andererseits war die Wirtschaft nicht so entwickelt, dass sie über diese Unterschiede hinweg einen wirklich einheitlichen Markt erzwungen hätte. Die Entfaltung des Kapitalismus konnte, im Gegenteil, durchaus mit der Förderung sprachnationaler Kommunikation und Integration Hand in Hand gehen. Exemplarisch dafür kann die Entwicklung bei den Tschechen gelten, wo ökonomisches Wachstum im sprachna-
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tionalen Rahmen und nationales Bewusstsein einander gegenseitig verstärkten. Der wirtschaftliche Großraum der Monarchie war als Absatzgebiet für diese tschechische Industrie noch nicht so wichtig wie etwa für die sudetendeutsche. 8.8 Reichtum und Kultur 8.8.1 Die Gesellschaft der Wiener Ringstraße
In Wien konzentrierte sich der Reichtum der Habsburgermonarchie. Durch einen glücklichen Zufall blieb eine Liste der reichsten Personen Wiens und Niederösterreichs aus dem Jahre 1910 erhalten. Damals verdienten 929 Haushalte – meist Männer, aber auch einige Frauen – 100.000 Kronen oder mehr. In ganz Zisleithanien gab es nur etwa 1500 solcher Haushalte. Selbst im wohlhabenden Böhmen gab es bloß 283 Millionäre, davon lebten nur 57 in Prag. »Etwas mehr als 6 Prozent der Bevölkerung der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie lebten in Wien, aber fast zwei Drittel der Millionäre« (Roman Sandgruber). Das steuerfreie Existenzminimum betrug bis 1200 Kronen im Jahr. Etwa 90 % der Bevölkerung verdienten weniger, zahlten daher keine Einkommensteuer. Die Progression der 1898 in Kraft getretenen »progressiven Einkommensteuer« stieg gerade einmal bis zu 5 % des Einkommens. Die Einkommensverhältnisse waren extrem ungleich. Und der Reichtum versammelte sich in Wien. Die absolute Spitze bildete das Haus Rothschild. Albert Salomon Freiherr von Rothschild war mit 25,7 Millionen Kronen Jahreseinkommen der uneinholbare Spitzenverdiener – wohl der reichste Mann nicht nur der Habsburgermonarchie, sondern ganz Europas. Sein Einkommen war höher als das der hochadeligen Großgrundbesitzer zusammen. Bei seinem Tod hinterließ er ein Vermögen, das auf 700 Millionen bis eine Milliarde Kronen geschätzt wurde. Aber während sich die Rothschilds schlossartige Villen bauen ließen, war ihr Kunstgeschmack konservativ. Man sammelte Tizian, Tintoretto und Co., aber keine Zeitgenossen. Der Reichtum der Rothschild stammt zunächst aus der Finanzierung der kaiserlich österreichischen Defizite – wie immer ein Geschäft nur für die, welche die Finanzierung besorgten. Als die österreichischen Staatsfinanzen durch die liberalen Sparmeister ab 1861 bzw. 1867 in Ordnung kamen, wurde der ungarische Teilstaat selbstständig. Dessen riesige Vorhaben führten mehrmals bis an den Rand des Staatsbankrotts, den nur große Anleihen, die das Haus Rothschild vermittelte, verhinderten. Neben den Geschäften mit den sorglosen Staaten gab es über die Creditanstalt zahllose Beteiligungen, auf deren Rentabilität geachtet wurde. Natürlich überblickte ein Albert Rothschild auch die Bewegungen der Börse stets aufmerksam. Auf die Rothschild folgten in der Rangliste einige andere Bankiers, wie Gustav Frh. v. Springer – wohl die einzige Familie, die den Rothschilds als eben-
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bürtig galt. Dann folgten vier Mitglieder der Familie Gutmann – der Reichtum der Gutmanns stammt aus dem Kohlenhandel und aus dem Witkowitzer Stahlwerk, das sie gemeinsam mit den Rothschilds beherrschten. Überhaupt muss man dem Handel, nach den Geldgeschäften, den bedeutendsten Anteil an der Ansammlung von Gewinnen (und damit Kapital) zuschreiben. Der Handel mit Vieh, Häuten, Textilien, Getreide war schon seit Generationen eine Hauptbeschäftigung zahlreicher kleiner jüdischer Händler, vor allem in den böhmischen Ländern und in Ungarn, gewesen. Nicht wenige spätere Industrieunternehmer waren vor allem im Textilbereich zuerst Händler gewesen, die bei Geldproblemen »ihrer« Fabrikanten Anteile oder ganze Unternehmungen kauften. Der Aufstieg des Hauses Todesco ist so zu erklären. Ein völlig neues Phänomen waren große Detailhändler mit zahlreichen Filialen – der bekannteste war sicher Julius Meinl, der 1862 mit einem Geschäft begann, das täglich frisch gerösteten Kaffee versprach. Nach einer Krise in den 1870er Jahren begann er neu. 1914 hatte Julius Meinl bereits 115 Filialen, davon 44 in Wien, weitere in Budapest, Prag, Lemberg, Brünn, Graz und Triest. Ebenso neu waren die großen Warenhäuser. Die drei großen, Gerngroß, Herzmansky und Esders – der sich als »christliches Warenhaus« von der jüdischen Konkurrenz abheben wollte – erbauten ihre Konsumtempel an der Mariahilfer Straße, der neuen Einkaufsmeile Wiens, auf dem Weg zum Westbahnhof, aber auch nach Schönbrunn. Kastner & Öhler in Graz begannen 1887 mit dem Postversand per Katalog bestellter Waren. Das Linzer Pendant war das Warenhaus Kraus & Schober. Die Industriellen stellten die meisten, nämlich 351 Millionäre. In vielen Fällen lagen die Betriebe außerhalb von Wien, in Böhmen, Mähren, Niederösterreich, Steiermark, aber die Unternehmenszentrale und der Wohnsitz des Inhabers bzw. der Sitz der Aktiengesellschaft war in Wien. Immer noch spielte die Textilindustrie eine bedeutende Rolle. Einer der interessantesten Aufsteiger war Josef Broch aus Prossnitz (Proštejov) in Mähren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, wurde er ein gewiegter Wiener Textilhändler. 1906 kaufte er die Teesdorfer Spinnerei in Niederösterreich, als Hauptgläubiger eines in Konkurs gegangenen Unternehmens. Er und sein Sohn Hermann Broch (1886–1951), der später ein bedeutender Schriftsteller wurde, errichteten einen Neubau aus Stahlbeton ; mit der steigenden Nachfrage nach Uniformstoffen stiegen auch die Gewinne. – Immer wichtiger wurden technische Innovationen, die erhöhte Konkurrenzfähigkeit bedeuteten. Man muss nicht immer an Maschinen und Kanonen denken – auch die industrielle Umsetzung einer Idee aus dem Kaukasus, nämlich die Verwendung der Chrysanthemenblüte als Insektenpulver, konnte zu Reichtum führen ( Johann Zacherl). Aber auch die Befriedigung dringender Bedürfnisse durch öffentliche Bedürfnisanstalten (Wilhelm Beetz) brachte hohe Gewinne, oder die Erzeugung von Zündhölzern. Etablierte Familien wie die Miller-Aichholz oder die Schoeller verfügten über beherrschende Aktienpakete großer Mischkonzerne. Alexander Schoeller (1805–1886) war aus Düren bei Aachen nach Österreich gekommen. 1843 gründete er mit Hermann Krupp eine
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Metallwarenfabrik in Berndorf, später kamen ein Stahlwerk in Ternitz, eine Brauerei in Wien-Hütteldorf, Zuckerfabriken und die ehemalige Esterházysche Herrschaft Léva in der heutigen Slowakei dazu. Nach dem Tod Alexanders übernahm die Brünner Linie der Familie (Textil) dessen Unternehmungen, die dann von Paul Schoeller geführt wurden. Das Ternitzer Werk wurde nach dem 1. Weltkrieg mit den Bleckmann-Werken in Mürzzuschlag vereinigt (Schoeller-Bleckmann, heute aufgeteilt, das Hauptwerk in spanischem Besitz). Neu war der Aufstieg der Lebensmittelindustrie, der Brau- und Zuckerbarone. Die rasch wachsende Bevölkerung der Großstadt benötigte Brot, Bier und Zucker. Das Bier lieferten die modernen Brauereien von Anton Dreher jun. und von Adolf Ignaz Mautner von Markhof. Dreher braute bald nicht nur in Schwechat, sondern auch in Böhmen, bei Budapest und in Triest. Mautner von Markhof revolutionierte die Hefe-Erzeugung. Seinem Schwiegersohn, dem Chemiker Julius Reininghaus aus Westfalen, gelang die industrielle Erzeugung guter Backhefe. 1913 kam die Fusion mit Dreher und einer weiteren Brauerei. Neben dem Bier war auch der Zucker ein Massenprodukt geworden, der Verbrauch verzehnfachte sich in 50 Jahren. »Die Zuckerbarone galten als Crème de la Crème der Industrie : Die Benies, Bloch-Bauer, Hatvany-Deutsch, Redlich, Schoeller, Skene, Strakosch, Stummer. (…) David Blochs Sohn Ferdinand Bloch-Bauer war in der Zwischenkriegszeit einer der wichtigsten Industriellen Österreich …« (Roman Sandgruber).
Der Namen Bloch-Bauer ist heute nicht mehr wegen seiner industriellen Bedeutung bekannt, sondern wegen der Porträts, die Gustav Klimt von seiner Gattin, Adele BlochBauer, anfertigte. Die Rückgabe der von den Nazis geraubten Gemälde beschäftigte jahrzehntelang die amerikanische und österreichische Öffentlichkeit, Kommissionen, Gerichte und zuletzt ein Schiedsgericht, das auf die Herausgabe der »Goldenen Adele« an die Nichte Ferdinands, Maria Altmann (1916–2011), entschied. Das »süße« Wien personifizierten aber nicht die Zuckerbarone, sondern die Zuckerlund Schokoladefabrikanten Viktor Anton Schmidt, Josef Manner und die Brüder Heller (»Wiener Zuckerl«). Die Manner-Schnitten sind wohl das einzige Produkt, das von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart nicht nur gleich geblieben ist, sondern sich auch im gleichen Äußeren präsentiert. Und das Brot für die bald zwei Millionen Wienerinnen und Wiener kam nicht nur aus hunderten kleineren oder größeren Bäckereien, sondern seit 1891 auch aus einer Brotfabrik, deren Produkte durch das Zeichen des Ankers überall bekannt wurden. Während Bier, Brot und Zucker für den Massenkonsum bestimmt waren, arbeiteten die Möbelfabriken der Brüder Thonet oder von Jacob Kohn eher für den gehobenen Bedarf. Die Firma Kohn beschäftigte hochrangige Künstler für die Entwürfe ihrer Möbel – Otto Wagner, Adolf Loos, Josef Hoffmann, Koloman Moser oder Otto
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Prutscher. Diesen Namen begegnet man auch bei den hochwertigen Erzeugnissen der Glasfabrik Lobmeyr. Viel Geld verdienten auch Baumeister und Architekten. Unter den prominenten Bauunternehmern wurde Wilhelm Ritter von Doderer durch seinen Sohn Heimito zur Romanfigur (der alte Stangeler in der »Strudlhofstiege«). Sein Vermögen stammt aus dem Bau von Eisenbahnlinien. Er war bei der Wientalregulierung und beim Bau der Stadtbahn tätig, baute Teile der Karawanken- und der Tauernbahn sowie die Mittenwaldbahn von Innsbruck nach Seefeld. Außerdem verfügte er über ein nicht unerhebliches Aktienpaket der Creditanstalt. Bei so viel Reichtum stellt sich fast automatisch die Frage nach dem Mäzenatentum der Reichen. Ein Porträt bei Klimt in Auftrag zu geben, war allerdings nicht Mäzenatentum, sondern ein Zeichen des Dazugehörens, denn Klimt verlangte für seine großen Porträts 10.000 Kronen. Ein uneigennütziger Wohltäter war Karl Kupelwieser (1841– 1925), der der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1910 das Geld für die Errichtung des Radium-Instituts zur Erforschung der Radioaktivität spendete. Auch eine Forschungseinrichtung für hydrobiologische Forschungen stellte er am Lunzer See, in der Nähe seiner herrschaftlichen Sommerresidenz, zur Verfügung. Karl Kupelwieser, Sohn des bekannten Malers Leopold Kupelwieser, war Jurist, sein Geld stammte von seiner Frau Berta, geb. Wittgenstein, und von der Rechtsberatung, die er seinem Bruder, dem Montanunternehmer Paul Kupelwieser, und dessen Partner Karl Wittgenstein angedeihen ließ. Berta Kupelwieser ließ übrigens das Krankenhaus in Scheibbs im südlichen Niederösterreich errichten. Die Superreichen waren hingegen nicht besonders mäzenatisch gestimmt. Zwar spricht man immer von den Spenden der Rothschilds, aber im Vergleich mit ihrem ungeheuren Vermögen nehmen sie sich bescheiden aus. 8.8.2 Kunst und Kultur der Franz-Josephs-Zeit
Profitierte die Kunst, die berühmte Kunst der Wiener Jahrhundertwende, vom Mäzenatentum der Reichen ? Dass man – vor allem die Frauen – sich gerne von Klimt porträtieren ließ, wurde schon festgestellt. Der beliebteste Porträtmaler dieses Jahrzehnts war aber nicht Klimt, sondern John Quincy Adams (1873–1933), Sohn eines amerikanischen Sängers, der wiederum mit dem gleichnamigen amerikanischen Präsidenten verwandt war. Auch er brauchte kein Mäzenatentum, denn er war erfolgreich. Mäzenatisch handelte der Großindustrielle und Präsident der Wiener Werkstätte Moriz Gallia, der 1901 »Die bösen Mütter« des 1899 verstorbenen Giovanni Segantini um mehr als 100.000 Kronen kaufte und der 1903 neu eröffneten Österreichischen Galerie schenkte. Er wurde mit dem Titel »Regierungsrat« belohnt.
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Es waren oft die Frauen wohlhabender Männer, die »ein Haus führten«. Einen der berühmtesten Salons führte Sophie Baronin Todesco (1825–1895). Sie war die Tochter des Bankiers Philipp Gomperz (1782–1857) und von Henriette, geb. Auspitz (1792–1881). Ihren drei Brüdern, Theodor Gomperz, Max und Julius von Gomperz wurde die seltene Ehre zuteil, dass alle drei Mitglieder des Herrenhauses wurden. Max war Großindustrieller und führend in der (von Rothschild beherrschten) Creditanstalt tätig, Julius war Fabrikant und Gutsherr, Theodor Sozialphilosoph (er übersetzte das Hauptwerk von John Stuart Mill ins Deutsche) und Altphilologe, dessen Hauptwerk, die dreibändigen »Griechischen Denker«, knapp vor seinem Tod fertig wurde. Als das Palais Todesco, in der Wiener Kärntnerstraße gegenüber der Hofoper gelegen, fertig wurde, unterhielt sie dort einen Salon. Sie schuf eine angenehme, anregende Atmosphäre, die die Spitzen der Wiener Gesellschaft anzog, unter anderen »(…) Politiker wie Alexander Bach, Anton Frh. v. Doblhoff-Dier, Anton von Schmerling sowie Ferdinand Friedrich Graf von Beust, Industrielle wie Isidor Mautner und Schriftsteller wie Franz Freiherr von Dingelstedt, Heinrich Laube, Eduard von Bauernfeld, Ludwig Ganghofer und Hugo Hofmann v. Hofmannsthal (…)«. (ÖBL, Art. Sophie Todesco, Josef Mentschl)
Sie förderte auch mehrere Wohlfahrtseinrichtungen, so das israelitische Taubstummeninstitut in Wien-Landstraße, die israelitische Kinderbewahranstalt in Wien-Leopoldstadt und ein Kinderasyl im niederösterreichischen Zillingdorf. Sophie Todesco war eine überaus aufmerksame Gastgeberin und eine hochgebildete Frau, was man von den Männern des Hauses nicht behaupten konnte. Angeblich wandte sich Eduard (oder Hermann ?) Todesco während einer solchen literarischen Gesellschaft an eine Nachbarin mit der Frage, wer denn dieser Shakespeare sei, von dem man hier dauernd rede – ihm sei er noch nicht vorgestellt worden. Eine Schwester Sophies war Josephine von Wertheimstein (1820–1894), die ebenfalls einen berühmten Salon führte und sich fürsorglich um den alten Eduard von Bauernfeld und später um Ferdinand von Saar kümmerte. Ein großer Teil der reichen Familien war jüdisch oder hatte einen jüdischen Hintergrund, wenn sie sich auch taufen ließen oder aus dem Judentum ausgetreten waren. Von den schon genannten 929 Wiener Millionären waren fast 58 % jüdischer Herkunft. »Die Wiener Anteile sind extrem hoch. Nach ähnlichen Kriterien berechnete Anteile an der deutschen Wirtschaftselite vor 1914 ergeben etwa 16 Prozent, in den USA 3,4 Prozent, in Großbritannien 2 Prozent.« (Roman Sandgruber). Der Prozentsatz der »reichen Wiener Juden« wird halbiert, wenn man nur das religiöse Bekenntnis als Kriterium annimmt – ein Kriterium, das dem Rassenantisemitismus keineswegs genügte (»Ob Jud oder Christ ist einerlei, die Rasse ist die Schweinerei«, dichteten die Jünger Schönerers). Sucht man nach den Gründen für den »jüdischen Reichtum«, dann wird immer wie-
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der auf die lange Tradition der wirtschaftlichen Beschränkung des mitteleuropäischen Judentums auf bestimmte Bereiche des Handels und des Geldverleihs verwiesen. Das Aufkommen des modernen Kapitalismus erhöhte in kürzester Zeit die Bedeutung jener Bereiche, in denen Juden auch schon davor tätig waren : das Geldgeschäft und damit das Bankwesen, der Großhandel und damit die Börse. Die intensive geistige Bildung, die männliche Juden von klein auf genossen, bildete ab dem Augenblick der Emanzipation eine besonders gute Chance für eine wissenschaftliche Laufbahn. Die lange Erfahrung von Vertreibungen und Migrationen ist wohl der Hintergrund für jene überregionale Mobilität, die im erforderlichen Falle nicht nur problemlos eine Übersiedlung von Frankfurt, Berlin oder Prag nach Wien, sondern auch die Bildung überregionaler Netzwerke ermöglichte, die oft durch Heiratsverbindungen abgesichert wurden. Demgegenüber bestand offensichtlich in den christlichen Gesellschaften Mitteleuropas ein gewisses Manko nicht nur an Kapital, sondern auch an kapitalistischen Verhaltensweisen, die anderswo, in England, den Niederlanden, in Oberitalien, aber auch in Hamburg oder im Westen Deutschlands ein starkes heimisches Handelsbürgertum bereits gemeinsam mit den jüdischen Händlern und Bankiers entwickelt hatte. Wien war eben keine alte Handelsmetropole, es gab von den meist ausländischen »Niederlegern« des 17. und 18. Jahrhunderts kaum eine genealogische Konstante zur neuen Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts. Als im 19. Jahrhundert einerseits der Bedarf an Gewandtheit in Handel und Geldgeschäften, in Investitionen und Innovationen wuchs, andererseits die Wirtschaft von den älteren Beschränkungen mit der Gewerbeordnung von 1859 und weiteren Gesetzen von 1868 frei geworden, drittens aber die gerade in diesen Branchen geübten Juden der böhmischen Ländern und Ungarns (aus Galizien kamen meist arme Juden nach Wien) die Gleichberechtigung erhielten, da waren die jüdischen Großhändler und Bankiers die einzige größere Gruppe von Wirtschaftsleuten, die diesen neuen Notwendigkeiten voll entsprachen. Natürlich profitierten sie auch von diesen neuen Möglichkeiten und hielten mit ihrem neuen Reichtum nicht hinter dem Berg – die Ringstraßenpalais der Familien Epstein, Ephrussi oder Todesco zeigen an ihren prunkvollen Fassaden den Reichtum, der im Inneren der Häuser zu erwarten war. Damit stellt sich eine zweite Frage : War die Wiener Kultur der Jahrhundertwende eine jüdische Kultur ? Sir Ernest Gombrich, selbst aus dieser Kultur stammend, verneint diese Frage : Sie sei zwar ganz überwiegend von wohlhabenden Mitgliedern der jüdischen Gesellschaft (oder ihren nicht mehr jüdischen Nachkommen) getragen worden, als Produzenten und Konsumenten, aber es war in der Bau- und Wohnkultur, in der Bildenden Kunst und in der Literatur keine andere Kultur als die des nichtjüdischen Wiener Bürgertums. Ausnahmen wie Richard Beer-Hofmann, der sich zeitlebens mit dem Judentum auseinandersetzte und in dessen Œuvre Themen aus der jüdischen Geschichte zentral sind, bestätigen nur die Regel. Eine andere Ausnahme war Theodor Herzl (1860–1904), dessen zionistisches Programm den meisten seiner Zeitgenossen
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eher seltsam erschien. Der Architekt Wilhelm Stiassny baute nicht nur zahlreiche Synagogen (Prag, Gablonz usw.), sondern galt auch als Vertreter der jüdischen Interessen im Wiener Gemeinderat. Sein bewusst orientalisierender Synagogen-Stil wurde in Wien zwar nicht goutiert, dafür durfte er für die Rothschild und Königswarter zahlreiche Spitäler und Altersheime, Blindeninstitute und Waisenhäuser errichten. Stiassny war auch engagierter Zionist. Aber die Werke von Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal oder Franz Werfel (die alle ihre Herkunft aus dem Judentum nicht geleugnet haben) sind zweifellos ein nicht unbedeutender Bestandteil einer über Herkunft, religiöse oder nationale Zuordnungen hinaus durchaus österreichischen Kultur, aber auch der deutschsprachigen Literatur. Dass es so etwas wie eine spezifisch »österreichische Literatur« gäbe, wurde von der dominanten Literatur und Literaturwissenschaft in Deutschland gar nicht zur Kenntnis genommen. Das hat eine der bedeutendsten Vertreterinnen jener Literatur, Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach (1833–1916), schon als junge Frau in einer hübschen kleinen Satire (»Aus Franzensbad«) kritisiert. Sie war mit ihrer ländlichen, tschechischsprachigen Herkunftsregion (in der Nähe von Kremsier in Mähren) ebenso verbunden wie mit Wien – standesgemäß verbrachte man die Winter in Wien, die schöne Jahreszeit auf dem Land. Ihre Novellen und Romane spielen häufig in diesem Raum. Ihre schriftstellerische Begabung wurde von ihrer Stiefmutter – die Mutter war früh gestorben – gefördert. Den Durchbruch erzielte sie in den 1870er Jahren mit »Božena« und den »Dorf- und Schlossgeschichten« (1883). Ebner-Eschenbach setzte sich besonders mit der Lage der ländlichen Unterschichten auseinander und übte scharfe Kritik an der Oberflächlichkeit der Adelswelt. Auch kämpfte sie gegen den wachsenden Antisemitismus. Sie erhielt 1900 als erste Frau das Ehrendoktorat der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Einer älteren Generation gehörte Adalbert Stifter (1805–1868) an, dessen Erzählungen (»Die Mappe meines Urgroßvaters«, »Der Hochwald«, »Bergkristall« und viele andere) zumeist noch im Vormärz erschienen sind. In die Franz-Josephs-Zeit fallen seine beiden großen Romane, »Der Nachsommer« (1857) und »Witiko« (1867). Während der »Nachsommer« ein klassischer Bildungs- und Erziehungsroman ist, in Verbindung mit zwei berührenden Liebesgeschichten, behandelt »Witiko« die deutsch-tschechische Problematik am Bespiel des Ahnen der in Böhmen lange wirkenden Witigonen, eines mittelalterlichen Adelsgeschlechtes. Stifters Witiko ist vom Bemühen um strenge Neutralität und viel Sympathie für die Tschechen gekennzeichnet. Stifter stammte ja selbst aus dem Böhmerwald (Oberplan – Horní Planá). Sein »sanftes Gesetz«, wonach sich auf lange Sicht das Dauernde und still Wirkende gegen das schnell Wechselnde, also gegen die Revolution, durchsetze, ist das Ergebnis eines ganz persönlichen Ringens um
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jenes Maßhalten, das dem Dichter selbst (im Essen und Trinken) nicht immer möglich war. Stifter war übrigens, wie nicht wenige Dichter, auch ein ausgezeichneter Maler. Ein Zeitgenosse Stifters war Ludwig Frankl, nobilitiert als Ritter von Hochwart (1810–1894). Er ist heute noch als Dichter des Gedichtes »Die Universität« bekannt, die als erstes zensurfreies Flugblatt im März 1848 erschien. Später publizierte er biographische Notizen über Anastasius Grün, Grillparzer, Raimund, Nikolaus Lenau und Hebbel. Neben seiner literarischen hatte er auch eine musikalische Ader, die er als Direktor des Wiener Musikvereins wirken ließ, außerdem hatte er eine Professur für Ästhetik inne. Ebenfalls ein »48er« war Ferdinand Kürnberger (1821–1879), der nach 1848 mehrere Jahre in der deutschen Emigration lebte. In seinem Roman »Der Amerikamüde« thematisierte er eine Episode aus dem Leben Nikolaus Lenaus (1802–1850), eines der besten Lyriker seiner Zeit. Lenau war in Amerika, kehrte aber tief enttäuscht zurück ; in Kürnbergers Darstellung ist die ausschließlich aufs Geldverdienen orientierte Haltung der meisten Amerikaner die Ursache für diese Enttäuschung. Kürnberger war ein feiner Essayist und Feuilletonist, dessen kritische Texte Hermann Bahr und Karl Kraus beeinflusst haben. Ein besonders genauer, aber auch besonders skeptischer (wenn nicht pessimistischer) Beobachter war Ferdinand von Saar (1833–1906). Unterstützt vor allem von Josephine von Wertheimstein, der Schwester Sophie Todescos, konnte er sich ausschließlich dem Schreiben widmen. In seinen »Novellen aus Österreich« setzt er sich kritisch mit dem liberalen Bürgertum und dessen Schwächen auseinander. In den »Steinklopfern« wird die harte Arbeitswelt der Arbeiter und Arbeiterinnen an der Semmeringbahn thematisiert. In den »Wiener Elegien« (erschienen 1893) wird das alte und neue Wien beschrieben. Nur mehr wenige Jahre trennten Saars elegischen Abgesang auf das alte Wien von der apodiktischen Aussage Karl Kraus’, »Wien wird jetzt zur Großstadt demoliert« (Die demolierte Literatur 1896). Kraus’ Kritik betraf nicht nur den in der Tat enormen Verlust an älteren Bauten, den die Ringstraßenperiode eben auch bedeutete, sondern auch jene »Kaffeehausliteratur«, die im damals der Zerstörung überantworteten Café Griensteidl blühte. Dieses »junge Wien«, die literarischen Vorkämpfer der Moderne, hatten einen eigenen Herold : Hermann Bahr (1863–1934). Der aus Linz stammende Bahr soll als Student seinen liberalen Vater mit der Bemerkung erschreckt haben, die Zeit des Liberalismus sei vorbei, jetzt sei man deutschnational. Bahr wurde wegen seines Deutschnationalismus und seiner Bismarck-Verehrung von österreichischen Universitäten relegiert, ging 1888 nach Berlin und verkündete zuerst den gerade herrschenden Naturalismus, ehe er nach einem Aufenthalt in Paris das Ende des Naturalismus konstatierte und etwas Neues kommen sah, eine »nervöse Romantik« oder einen »neuen Idealismus der Nerven«. Mit diesen Aussagen wurde er der Verkünder jener Schriftstellergeneration, die wir bis heute mit »Wien um 1900« verbinden : Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann, Stefan Zweig (die
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anderen, wie Leopold von Andrian-Werburg, sind heute vergessen). Arthur Schnitzler (1862–1931), Sohn eines aus Ungarn nach Wien gewanderten jüdischen Arztes, ist durch seine Dramen (»Liebelei«, »Anatol«, »Das weite Land«, »Der Reigen«, »Professor Bernhardi«, »Der grüne Kakadu«) ebenso bekannt geworden wie durch seine Erzählungen. Im »Leutnant Gustl« verwendet Schnitzler die Kunstform des inneren Monologs, um die Gefühle und Gedanken dieses ganz oberflächlichen jungen Mannes auszudrücken, der durch einen alten Bäcker an einer Theatergarderobe »beleidigt« wurde und, da er diesen nicht zum Duell fordern kann, sich zum Selbstmord gezwungen sieht. Zum Glück für den Leutnant starb der alte Bäcker noch rechtzeitig. Schnitzler verlor durch diese literarische Fiktion, die in der Tat die gesellschaftlich so hoch gehaltene Offiziersehre in Frage stellte, seinen Rang als Reserveoffizier. Sein »Reigen« (1900), eine Abfolge kurzer sexueller Episoden, wobei jeweils ein Partner den nächsten sucht, löste noch bei der Uraufführung 1920 einen Skandal aus. Für Schnitzlers »Anatol« schrieb 1892 ein junger Gymnasiast ein lyrisches Vorwort : »Also spielen wir Theater/ spielen unsere eigenen Stücke/ Frühgereift und zart und traurig/ Die Komödie unserer Seele …« Dieser junge Mann mit dem Pseudonym »Loris« hieß Hugo Hofmann Edler von Hofmannsthal (1874–1929). Die perfekten Verse des kaum Achtzehnjährigen ließen Großes erwarten. Aber 1902 schrieb Hofmannsthal im »Brief des Lord Chandos« über die Schwierigkeit, etwa konkret zu Ende zu denken und sprachlich korrekt zu formulieren. Ob er damit seine eigene dichterische Krise beschrieb ? Nun, später hat er sie glücklich überwunden und mit einer Reihe von Dramen (»Tod des Tizian«, »Der Tor und der Tod«, »Der Schwierige«, »Der Unbestechliche« und viele andere mehr) und vor allem von Opernlibretti für Richard Strauss (»Elektra«, »Der Rosenkavalier«, »Ariadne auf Naxos«, »Die Frau ohne Schatten«), mit Erzählungen und einem großen Romanfragment (»Andreas«) zumindest die Literatur in deutscher Sprache entscheidend bereichert. Während des Ersten Weltkrieges wollte er eine große österreichische Bibliothek aus allen Sprachen der Monarchie schaffen. Und nach dem Zerfall der Monarchie regte er die Salzburger Festspiele an, bei denen noch heute alljährlich sein »Jedermann«, das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Stefan Zweig (1881–1942) war, wie Schnitzler, ein Gestalter der sexuellen Verwirrungen des Ringstraßenbürgertums, wohl beeinflusst von Sigmund Freud (»Brennendes Geheimnis«, 1913). Seine großen Romanbiographien entstanden allerdings erst in den 1920er und 1930er Jahren. Zwar in erster Linie eine Kämpferin für den Frieden, aber bekannt durch ein Buch war Bertha von Suttner (1843–1914). Ihr Hauptwerk »Die Waffen nieder !« erschien 1889. Es wurde in fast alle europäischen Sprachen übersetzt. Sie führte den Vorsitz in der Friedenskommission des 1902 gegründeten Bundes österreichischer Frauenvereine und vertrat Österreich auf verschiedenen Weltfriedenskongressen. 1905 erhielt sie den
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von ihr selbst angeregten Friedensnobelpreis (Alfred Nobel kannte sie seit den 1870er Jahren). Sie starb eine Woche vor dem Attentat von Sarajevo. Bis heute sind zahlreiche Städte im Bereich der ehemaligen Habsburgermonarchie von jenen Bauten geprägt, die zwischen 1848 und 1914 errichtet wurden. Die ersten Bauaufgaben, die der junge Kaiser der Elite der Architekten stellte, waren militärischer Natur : Nie mehr sollte es in Wien eine erfolgreiche Revolution geben ! Der Riesenbau des Arsenals, in Blickweite des Belvedere und nahe zu zwei wichtigen Bahnhöfen, sollte als Zwingburg über Wien, aber auch als Kaserne, Waffenfabrik und im so genannten »Waffenmuseum« (heute : Heeresgeschichtliches Museum) als symbolträchtige Herrschaftsarchitektur dienen. Die besten Architekten der Zeit nahmen an der Planung teil : Ludwig Förster, Theophil Hansen, Eduard van der Nüll, August Sicard von Sicardsburg. Der Däne Theophil Hansen (1813–1891), der zuerst in Athen studiert und gebaut hatte, prägte die Großbauten Wiens in besonderer Weise. Der Schwiegersohn Försters entwarf fünf der die Ringstraße prägenden großen Palais : das Hoch- und Deutschmeisterpalais für Erzherzog Wilhelm, heute Sitz der OPEC, den Heinrichshof für den Ziegelmillionär Heinrich von Drasche, gegenüber der Oper (im zweiten Weltkrieg zerstört) ; das Palais Epstein ; das Palais Ephrussi ; das »Palais Hansen«, ein großer Hotelbau, gehört heute zur Kempinski-Gruppe. Hansen plante auch das neue Musikvereinsgebäude gegenüber der Karlskirche. In Niederösterreich entwarf er das Schloss Hernstein. Für die evangelische Gemeinde erbaute er eine Kirche und die Schule neben dem Polytechnikum. Zweifellos den Gipfelpunkt seines Schaffens bildet das Parlamentsgebäude (1874–1883) : Hinter dem Äußeren eines griechischen Tempels verbargen sich zwei große Sitzungssäle, zahlreiche Nebenräume und eine eigene Energieversorgung – das Parlament sollte notfalls autark sein können. Hansen entwarf auch die Einrichtung, in allen Details, bis zu den Türschnallen. Mit seinen an den klassischen griechischen Bauten geschulten strengen, doch zugleich dekorativen Entwürfen war Hansen der prägende Architekt der Zeit. Dennoch kamen bei anderen Großbauten auch Konkurrenten zum Zug : Bei der Hofoper Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg. Als die Oper fertig war (1868), stand gegenüber bereits der riesenhafte Heinrichshof. Und im Zuge der Bauarbeiten war das Straßenniveau um einen Meter erhöht worden. So wirkte die elegante Hofoper wie eine »versunkene Kiste«. Auch dem Kaiser gefiel sie nicht. Van der Nüll nahm sich daraufhin das Leben. Sicardsburg starb bald darauf. Eines der größten Projekte war das Kaiserforum – über die Ringstraße hinwegreichend, an den Schmalseiten von der Hofburg und – schon in der Vorstadt Neubau – den Hofstallungen begrenzt, an den die Ringstraße überspannenden Längsseiten von der Neuen Hofburg (ursprünglich in zwei Flügeln geplant) und den beiden Hofmuseen, dem Kunst- und dem Naturhistorischen eingerahmt. Drei Denkmäler für Maria Theresia, den Prinzen Eugen und Erzherzog Karl prägen den riesigen Platz, der freilich durch die Ringstraße und das Äußere Burgtor in zwei Areale
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geteilt wird. Die Pläne für diese Anlage stammten von Gottfried Semper (1803–1879). Der aus Hamburg stammende Architekt war bereits eine europaweite Berühmtheit, als er zur Planung für das Kaiserforum eingeladen wurde. Teilweise umgesetzt wurden diese Pläne durch Carl Hasenauer (1833–1894) ; der zweite Flügel der Neuen Hofburg wurde nie gebaut. Auch das Burgtheater entstand aus dieser Kooperation. Hasenauer allein erbaute unter anderem die Hermesvilla für die Kaiserin Elisabeth (1882–1885). Anders als das »griechische« Parlament wurde das Neue Rathaus im gotischen Stil vom Dombaumeister Friedrich (Freiherr von) Schmidt (1825–1891) geplant. Schmidt plante unter anderem das Akademische Gymnasium und war auch an zahlreichen anderen Kirchenbauten beteiligt, so plante er die neue Pfarrkirche für Veldes (Bled, Slowenien) und die Renovierung (eigentlich weitgehend eine Rekostruktion) der romanischen Kathedrale von Fünfkirchen (Pécs, Ungarn). Ebenfalls ein Meister des »reinen« Historismus war Heinrich Freiherr von Ferstel, der die zum Dank für die Errettung des Kaisers beim Libeny-Attentat von Erzherzog Ferdinand Maximilian initiierte gotische Votivkirche (1855–1879) plante. Neben zahlreichen Palais, Museumsbauten (Museum für angewandte Kunst, 1871) und Villen war das neue Hauptgebäude der Wiener Universität im Stil der italienischen Renaissance (fertig 1884) sein Hauptwerk. Otto Wagner (1841–1918) hatte früh für Förster und Hansen gearbeitet, machte sich bald selbstständig und war wohl der erfolgreichste Architekt und Bauunternehmer des späten 19. Jahrhunderts. In seiner ersten Phase (bis etwa 1890) baute er ganz im Stile des dekorativen Historismus der Ringstraße. Ab etwa 1890 prägte er entscheidend die Abwendung vom Historismus und den Übergang zu einer von ihm sehr persönlich gestalteten »Moderne« mit. Seine Bauten waren von nun an funktionell, aber häufig mit einem reichen floralen Dekor versehen. Repräsentativität war ihnen nicht fremd (Wohnbauten an der linken Wienzeile). Wagner galt als einer der Schutzherren der Sezession, jener Vereinigung bildender Künstler, die sich vom Künstlerhaus getrennt hatten. Das größte städtebauliche Projekt Wagners war die Gestaltung der Wiener Stadtbahn (heute, soweit erhalten : U-Bahn, 1893–1901). Dabei nahm er in der Gestaltung der Stationen Rücksicht auf deren Lage : Die berühmte Station am Karlsplatz sieht anders aus als die Stationen entlang der Gürtel-Linie. Das Postsparkassenamt (1904–1906), an der Stelle einer geschleiften Kaserne, bot mit seiner technischen Infrastruktur, dem Kassensaal und der Verkleidung mit Steinplatten ein bewundertes Vorbild für moderne Bankgebäude. Die weithin leuchtende Kuppel der Kirche am Steinhof (für die dortige Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke, 1902–1907) gilt heute als eines der Wahrzeichen Wiens. Mit der malerischen Ausstattung durch Kolo Mosers Mosaiken ist sie wohl das Hauptwerk des Wiener Jugendstils. Wagner war nicht nur ein großartiger Planer (auch Stadtplaner), er war auch ein tüchtiger Geschäftsmann und ein gesuchter Lehrer. Er beeinflusste zahlreiche jüngere Architekten wie Josef Maria Olbrich, der das Sezessiongebäude und die Wientalverbauung im
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Bereich des Stadtparks plante, Josef Hoffmann (Palais Stoclet in Brüssel, Sanatorium Purkersdorf ), Jože Plečnik (nur in Wien : Zacherlhaus, Heiligengeistkirche, in Melk Villa Loos) oder Max Fabiani (nur in Wien : Geschäftshaus Portois & Fix, Verlagshaus Artaria, Urania). Auch unter den Planern der Wiener Gemeindebauten der 1920er Jahre befanden sich ausgezeichnete Wagner-Schüler (wie Leopold Bauer, der auch das Gebäude der heutigen Österreichischen Nationalbank plante). Mit der Sezession wurde schon der weite Bereich der Malerei angesprochen. Die großen Bauaufgaben waren vielfach mit repräsentativen Malereien verbunden. So im Waffenmuseum des Arsenals, wo Carl Rahl (1812–1865) die ruhmvollen Siege der Habsburger in einem großen Kuppelfresko darstellte. Rahl bekam ferner Aufträge für das Palais Todesco, für die Hofoper und den Heinrichshof. Seine Schüler Christian Griepenkerl (1839–1916), Eduard Bitterlich (1833–1872) und August Eisenmenger (1830–1907) setzten diese repräsentative Monumentalmalerei fort. Nicht selten waren sie in den Bauten Hansens beschäftigt, aber auch im neuen Rathaus, im Kunsthistorischen Museum usw. Der ungekrönte König des großformatigen Ölbildes war hingegen Hans Makart (1840–1884). Er war nicht nur ein Meister glühender Farben, großflächiger historisierender Szenen (»Venedig huldigt Catarina Cornaro«, »Einzug Karls V. in Antwerpen«) und ausgezeichneter Porträts, er stand auch im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, die er selbst mit der öffentlichen Inszenierung seines Ateliers beflügelte. Sein Einfluss ging weit über die Malerei hinaus, er erfasste auch Wohnungseinrichtungen, kurz, das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Den Höhepunkt seines öffentlichen Wirkens bildet zweifellos seine Inszenierung des großen Festzuges anlässlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares (1879). Daneben blühte weiterhin die Genremalerei. Unter den Männern wie August von Pettenkofen, Theodor von Hörmann oder Hans Canon (Pseudonym für H. Straschiripka) nimmt Anton Romako (1832–1889) eine ganz eigentümliche Stellung ein. Sein Porträt des Admirals Wilhelm von Tegetthoff in der Schlacht bei Lisa im Augenblick des Rammstoßes seines Schiffes gegen das italienische Flaggschiff wirkt im ersten Augenblick wie eine Karikatur, drückt aber gleichzeitig die äußerste Konzentration in der Person des Admirals, der gleichwohl mit den Händen in den Hosentaschen Leichtigkeit und Anspannung zugleich demonstriert, aus. Zwei Frauen waren als Künstlerinnen bedeutsam : Tina Blau-Lang (1845–1916) und Olga Wisinger-Florian (1844–1926). Tina Blau studierte in München und Wien (nicht an der Akademie, die keine Frauen aufnahm) und besuchte ab 1873 jene von Pettenkofen im ungarischen Szolnok gegründete Malerkolonie, in der das Malen in der Natur und das Erfassen des Lichtes eine große Rolle spielte. Ihr Lieblingsmotiv war der Wiener Prater (Hauptwerk »Frühling im Prater«, 1882), ursprüngliche eine für die kaiserliche Jagd reservierte Aulandschaft, deren Freizeitwert in dem Maße stieg, in dem die Stadt in die Breite und
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in die Höhe wuchs. Olga Wisinger-Florian war ursprünglich Pianistin, konnte diesen Beruf aber nicht ausüben. Als Schülerin Emil Jakob Schindlers (1842–1892) war sie zunächst von dessen »Stimmungsimpressionismus« beeinflusst, später emanzipierte sie sich von ihm. Wisinger-Florian kämpfte für die Anerkennung ihres Werkes, für die Anerkennung der künstlerischen Leistung von Frauen und für die Friedensbewegung Bertha von Suttners. 1893 war sie österreichische Delegierte auf dem Friedenskongress in Chicago – auf der gleichzeitigen Weltausstellung war sie mit einigen ihrer Werke vertreten. Schindlers Schüler Carl Moll (1861–1945) heiratete dessen Witwe und wurde so zum Stiefvater der jungen Alma Schindler, die später Gustav Mahler heiratete. Moll spielte in der Gründungsphase der Sezession eine bedeutende Rolle. 1897 löste sich eine Gruppe von 19 Künstlern von der Genossenschaft bildender Künstler (»Künstlerhaus«) und gründete die »Secession«, die schon im Titel das Neue, sich vom Alten Trennende ankündigte. Als »Pate« fungierte der ehrwürdige Rudolf von Alt, der noch aus dem Biedermeier in das frühe 20. Jahrhundert herüberragt – in Opposition zum schwelgerischen Historismus entdeckten die Sezessionisten und ihre Nachfolger wieder die klaren Linien des Biedermeier, vor allem im Design von Möbeln, Gläsern und Geschirr. Die wichtigste Organisationsarbeit dürfte Carl Moll geleistet haben, der für die Nachwelt wichtigste Künstler war zweifellos Gustav Klimt (1862–1918). In jungen Jahren bildete er mit seinem Bruder Ernst (1864–1892) und Franz Matsch (1861– 1942) eine Gemeinschaft, die sich in erster Linie auf die Ausstattung von Theatergebäuden spezialisierte (Reichenberg, Fiume, Karlsbad, aber auch des rumänischen Königsschlosses in Sinaia). Danach bekamen sie Aufträge für das Burgtheater und wurden für die Ausstattung des Kunsthistorischen Museums herangezogen. Freilich befand sich die historistische Monumentalmalerei um 1890 bereits in einer Krise, obgleich ihr Formengut noch lange geschätzt und nachgefragt wurde. 1893 erhielten Klimt und Matsch den Auftrag für den großen Festsaal der Neuen Universität. Drei der Fakultätsbilder zeigte Klimt in einer Sezessionsausstellung 1900. Ihre Formensprache, noch mehr aber ihre pessimistische Grundstimmung widersprach völlig dem gewünschten Optimismus, der ja der Wissenschaft (noch) eignete. Außerdem wünschten die Gelehrten eine Darstellung ihrer Wissenschaften in traditionellen Personifikationen, nicht in schwer entschlüsselbarer Symbolik. Es kam zu einem Skandal, Klimt kaufte seine Bilder zurück. Sie sind 1945 verbrannt. Die Sezession erhielt 1898 einen eigenen Ausstellungsbau von Josef Maria Olbrich (1867–1908), dessen florale Kuppel über dem kubischen Bau von den Wienern respektlos »Krauthappel« genannt wurde. Das Hauptthema der Sezession war neben der Ablehnung des Historismus die Durchflutung des Alltags mit Kunst : Jeder auch noch so triviale Haushaltsbestandteil sollte künstlerisch gestaltet werden. Dieses Programm sollte in der »Wiener Werkstätte« ( Josef Hoffmann und Kolo Moser) umgesetzt werden – freilich nur für Menschen, die sich das
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auch leisten konnten. Finanziert wurde dieses Unternehmen von einigen Industriellen. Auch die »Secession« erlebte ihre Sezession, als nämlich Gustav Klimt gemeinsam mit Kolo Moser, Otto Wagner und Carl Moll die Sezession verließen und als »Kunstschau Wien« eigene Ausstellungen veranstalteten. Weit über die Sezession und ihre künstlerischen Anschauungen hinaus gingen drei jüngere Maler : Richard Gerstl (1883–1908), Oskar Kokoschka (1886–1980) und Egon Schiele (1890–1918). Wohl der »modernste« war Richard Gerstl, dessen wenige Werke in den letzten Lebensjahren entstanden. Er hat die Familie Arnold Schönbergs gemalt, mit dessen Frau ihn mehr als nur Freundschaft verband. Als Mathilde Schönberg zu ihrem Mann zurückkehrte, setzte er seinem Leben ein Ende. Kokoschka stilisierte sich gerne als »Oberwildling« und Bürgerschreck. Sein Drama »Mörder Hoffnung der Frauen« besteht aus hinausgeschrieenen Satzfetzen, in denen es um Sexualität und Gewalt geht. Auf einem Plakatentwurf stellt Kokoschka sich als kahl geschorener Verbrecher dar. 1912 begann die Liebe zu Alma Mahler, der er in einem bekannten Gemälde (»Die Windsbraut«) ein Denkmal setzte. 1914 rückte er als fescher Dragonerleutnant zum Militär ein, wurde aber nach wenigen Wochen an der russischen Front lebensgefährlich verwundet. Später ging er nach Dresden. Seinen schärfsten Konkurrenten sah der junge Kokoschka in Egon Schiele. Schiele hat in seinem kurzen Leben enorm viel gearbeitet, sein Gesamtwerk ist bis heute auf über 2.500 Nummern angewachsen. Schiele wurde bekannt und verschrien als Darsteller nicht (mehr nur) der erotischen Seite des menschlichen Lebens, sondern der sexuellen. Immer wieder steht die Sexualität im Mittelpunkt seiner Figuren, von denen die meisten weiblich (und jung) sind, Schiele hat sich aber auch selbst häufig dargestellt, oft in eigentümlichen Verrenkungen. Es hat den Anschein, als wollte er die Entdeckung des Sexualtriebes durch Siegmund Freud in der Malerei zur Darstellung bringen. Schiele starb bei Kriegsende an der Spanischen Grippe. Österreichische Kultur der Franz-Josephs-Zeit ist nicht ohne Musik denkbar. Wie in so vielen Bereichen haben auch darin Zuwanderer höchste Leistungen vollbracht. In erster Linie ist hier an Johannes Brahms (1833–1897) zu denken. Der Hamburger, Freund von Clara und Robert Schumann, übersiedelte 1862, endgültig 1878 nach Wien. Sein symphonisches Werk sah er selbst als Fortsetzung der Symphonik Beethovens. Die strenge Kritik Eduard Hanslicks (1825–1904), des wichtigsten Wiener Musikkritikers und Begründers der Musikwissenschaft, beurteilte sein Werk mit Wohlwollen. In Wien fand er nicht nur ein treues Publikum, sondern auch eine musikalische Atmosphäre, die sich für ihn vor allem in Johann Strauß Sohn personifizierte, mit dem er sich gerne traf. Wegen dieser Atmosphäre lehnte der große Chirurg Theodor Billroth, selbst aus Norddeutschland gekommen, Berufungen in andere Städte ab – nur hier konnte er selbst in Streichquartetten mitwirken, die Brahms soeben komponiert hatte. Als An-
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tipode Brahms’ galt der Oberösterreicher Anton Bruckner (1824–1896). Sein Versuch, die Wagner’sche Tonsprache für die große Symphonie fruchtbar zu machen, erschien der am Klassizismus geschulten Kritik Hanslicks als schlechterdings verwerflich. Seine neun Symphonien konnten sich daher in Wien nur schwer durchsetzen. Als Orgelvirtuose war Bruckner hingegen international anerkannt. Die spätromantische Harmonik und Melodik Bruckners erscheint bei Gustav Mahler (1860–1911) gegenüber Bruckner sozusagen ins Urbane übersetzt, mit starken Bezügen zur Dichtung. Seine Frau Alma, geborene Schindler (1879–1964), hatte bei Alexander Zemlinsky Kompositionsunterricht genommen und galt als talentierte Musikerin. Mahler verbot ihr glatterdings das Komponieren. Beruflich war Mahler Dirigent an zahlreichen Opernhäusern, 1898 bis 1907 leitete er die Wiener Hofoper – für das Haus eine wunderbare Blütezeit. 1908 wurde er nach New York berufen (Metropolitan Opera), kehrte aber schon 1911, bereits todkrank, nach Wien zurück. Ebenfalls in der Tonsprache einer äußerst verfeinerten Spätromantik sind die ersten Werke von Arnold Schönberg (1874–1951) gehalten (»Verklärte Nacht«, 1988 ; Gurrelieder, 1902/03). Ab 1905 wandte er sich neuen, stärker expressionistischen Ausdrucksformen zu. Die neuen Kompositionen führten zu heftigen Publikumsreaktionen. Am lebhaftesten ging es wohl am 31. März 1913 im Großen Musikvereinssaal zu, als bei einem Konzert mit Werken von Schönberg und seinen Kampfgefährten Alben Berg und Anton von Webern das Zischen, das Gelächter und die Pfeifkonzerte schließlich in Handgreiflichkeiten ausarteten. Man hörte, so ein Zeitgenosse, von allen Seiten »das Aufklatschen von Ohrfeigen«. Schönberg, musikalisch revolutionär, politisch aber konservativ, wollte die Störer von der Polizei abführen lassen. Später beklagte er sich, dass es kein adeliges Mäzenatentum mehr gebe, das Genies wie ihm ein sorgenloses Leben für die Kunst ermögliche. Etwas weniger dramatisch ging es im Bereich der heiteren Muse zu. Ihr unbestrittener Herrscher war Johann Strauß Sohn (1825–1899). Ihm flossen die Melodien nur so zu. Aber gleichzeitig war er ein begehrter Dirigent, der durch viele Jahre den Sommer über in der Nähe von St. Petersburg (in Pawlowsk) mit seinem Orchester auftrat, wo die feine russische Gesellschaft etwas abseits der Residenz die schöne Jahreszeit verbrachte. In den 1860er Jahren entwickelte er die Walzer zu großen, mehrsätzigen Kompositionen – mehr für den Konzert- als für den Tanzsaal gedacht. Um Johann die Konzentration auf das Komponieren zu ermöglichen, übernahmen die Brüder, der hoch begabte Josef (1827–1870) und nach ihm Eduard, die Kapelle. Johann wandte sich der Operette zu, einem neuen Genre, in dem er mit der »Fledermaus« und dem »Zigeunerbaron« große Erfolge feierte. Johann Strauß war freilich nicht der einzige gute Komponist seiner Zeit – zu nennen sind neben ihm Franz von Suppé (1819– 1895), der zahlreiche Operetten, aber auch Messen usw. geschrieben hat, und natürlich Karl Millöcker (1842–1899), ein solider Theaterkapellmeister und Komponist zahlrei-
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cher eingängiger Melodien, die erhalten blieben, obgleich seine Operetten (etwa »Der Bettelstudent«, 1882) nur mehr selten aufgeführt werden. Nach dem Tod von Strauß und Millöcker war die »goldene« Ära der Wiener Operette zu Ende. Aber sogleich folgte die »silberne« mit dem Trio Franz Lehár (1870– 1948), Oskar Straus (1870–1954, »Ein Walzertraum«) und Leo Fall (1893–1925). Lehárs größter Erfolg war (und ist bis heute) »Die Lustige Witwe«, deren Uraufführung (1905) freilich lebhafte Proteste in Montenegro auslöste, denn der Staat in finanziellen Schwierigkeiten, die nur durch die Heirat eines feschen Diplomaten mit einer reichen Witwe zu lösen waren, konnte eben nur – Montenegro sein. Leo Fall hatte mit mehreren Operetten wie der »Dollarprinzesin« oder der »Rose von Stambul« große Erfolge. 8.9 Die Tragik des Kaisers Als Ferdinand Max, der jüngere, romantische Bruder des Kaisers, 1864 nach Mexico aufbrach, um dort als Kaiser von Frankreichs Gnaden zu fungieren, musste er auf alle Ansprüche aus seiner Mitgliedschaft im Haus Habsburg-Lothringen verzichten. Das klingt hart, ist aber als Sicherung Franz Josephs gegen eine allfällige Verstrickung in das mexikanische Abenteuer zu verstehen. Tatsächlich erfüllten sich alle Warnungen : Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1865) unterstützten die USA den legitimen Präsidenten Benito Juarez kräftig, die Franzosen zogen ab ; Maximilians Frau Charlotte suchte Hilfe in Europa, aber niemand konnte sie ihr zusagen. Maximilian wurde gefangen genommen und im Juni 1867 erschossen. Tegetthoff holte den Leichnam mit der Fregatte »Novara« nach Österreich zurück. War schon der Tod des Bruders eine schlimme Tragödie, so folgte im Jänner 1889 eine wahre Katastrophe. Der Sohn und Thronfolger, der den Namen des Begründers der Dynastie trug, ermordete eine junge Frau und gab sich dann selbst den Tod. Rudolf war von liberalen Lehrern wie Carl Menger oder Josef Zhisman erzogen worden und vertrat eine eher bürgerliche Lebensauffassung. Seine wissenschaftlichen Vorlieben (Ornithologie) erreichten ihren Höhepunkt in der Planung der vielbändigen »Österreichisch-ungarischen Monarchie in Wort und Bild«. Von der Politik ferngehalten, publizierte er anonym immer wieder heftige Kritiken an Gesellschaft und Politik seiner Zeit. Trotz der Hochzeit mit der belgischen Prinzessin Stephanie behielt er seine freizügigen sexuellen Gewohnheiten bei, holte sich eine Geschlechtskrankheit und steckte auch noch seine Frau damit an. Seine der Politik des Vaters diametral zuwiderlaufenden politischen Vorstellungen (Bündnis mit Frankreich o. ä.) wurden vom Kaiser gar nicht zur Kenntnis genommen, allenfalls meint er, der Rudolf »plauscht« schon wieder. Rudolf erschien im Jänner 1889 frühzeitig gealtert, krank, von Drogen und Alkohol gezeichnet. Die junge Mary Vetsera begleitete den Thronfolger in den Tod. Im Mor-
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gengrauen des 30. Jänner erschoss Rudolf im Jagdschloss Mayerling zuerst die Geliebte, dann sich. Für den Kaiser eine mehrfache Katastrophe – der Thronfolger, für den er das Reich erhalten wollte, war tot. Dass das Ende noch dazu eine Kombination von Mord und Selbstmord war, erschütterte den Kaiser vollends. Die Kaiserin, gerade in Wien, überbrachte die Nachricht ihrem Mann. Da man bei der Autopsie einen Zustand der Geistesverwirrung konstatierte, konnte ein kirchliches Begräbnis stattfinden. Mary Vetsera wurde unter abenteuerlichen Umständen in Heiligenkreuz bestattet. Noch stärker als der Kaiser wurde die Kaiserin vom Tod des Sohnes getroffen. Sie gab den Genen der Wittelsbacher die Schuld am Schicksal Rudolfs. Fortan trug sie nur mehr schwarz. Nach der Hochzeit ihrer jüngsten Tochter Marie Valerie mit Erzherzog Franz Salvator begann sie wieder zu reisen. Eine Zeitlang liebte sie Korfu, ließ dort auch eine Villa (»Achilleion«) errichten, aber bald wurde sie auch dieser wieder überdrüssig. Der Kaiser, der seine Frau liebte und achtete, bezahlte alle ihre kostspieligen Hobbies. Er besuchte sie auch an der Côte d’Azur oder am Genfer See. Der körperliche Zustand Elisabeths, die unablässig ihre Hungerkuren machte, wurde langsam bedrohlich. Im September 1898 – es war das Jahr des fünfzigjährigen Regierungsjubiläums ihres Mannes – war sie in Genf. Dort erfuhr ein italienischer Anarchist von ihrer Anwesenheit und ermordete sie. Per Telegramm wurde der Wiener Hof verständigt. Franz Joseph : »Mir bleibt doch gar nichts erspart auf dieser Welt.« Wie stets suchte er Ablenkung in der Arbeit. Einen gewissen Trost brachten ihm die Stunden mit Katharina Schratt, mit der er seit 1883 befreundet war (was die Kaiserin selbst beförderte) und deren Gesellschaft ihm zunehmend unentbehrlich wurde. Der Tod Rudolfs beförderte einen anderen jungen Erzherzog in die Position des Thronfolgers, Franz Ferdinand (1863–1914), Sohn des Kaiserbruders Karl Ludwig. Der junge Erzherzog, zeitweilig mit seinem Cousin Rudolf freundschaftlich verbunden, hatte gesundheitliche Probleme. Eine Reise nach Ägypten führte zu einer Besserung. Der 1875 verstorbene letzte Herzog von Modena setzte ihn zum Universalerben ein. Das brachte ihm große Güter und Immobilien und einen neuen Namen : Franz Ferdinand von Österreich-Este. Nach dem Tod Rudolfs musste an seiner Ausbildung, die offensichtlich etwas mangelhaft war, gefeilt werden. In Ödenburg (Sopron) stationiert, weigerten sich die ungarischen Offiziere, anders als Ungarisch mit ihm zu reden. Seine Versuche, das Ungarische zu lernen, waren nicht sehr erfolgreich. Die Spannungen zwischen dem Erzherzog und den Offizieren kamen an die Öffentlichkeit. Aus dieser Zeit resultiert seine massive Abneigung gegen die Magyaren. Im Alter von 29 Jahren brach die Tuberkulose neuerlich aus. Eine Weltreise sollte Heilung bringen. Sie wurde als Studienreise mit wissenschaftlichen Zielsetzungen dargestellt (1892/93). Franz Ferdinand ging auch auf dieser Reise häufig auf die Jagd. Die ethnographischen Objekte befinden sich zumeist im so genannten »Weltmuseum« in Wien, von den Jagdtrophäen
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etliche in Artstetten. Aber die Krankheit war nicht besiegt. Erst nach längeren Aufenthalten in Ägypten, in den Alpen und am Mittelmeer konnte 1898 Entwarnung gegeben werden. In der Zeit seiner Krankheit hatte man öffentlich darüber diskutiert, ob nicht sein freundlicher und beliebter Bruder Otto den Kranken als Thronfolger ersetzen sollte (jener starb lange vor seinem Bruder an den Folgen der Syphilis). Das verstärkte noch das Misstrauen und eine gewisse Menschenscheu des zu cholerischen Anfällen neigenden Thronfolgers. 1894 verliebte er sich in die Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin. Sie entstammte altem böhmischem Adel, jedoch nicht einer den Habsburgern ebenbürtigen Familie. Erst sechs Jahre später fand man die Lösung : Es wurde eine morganatische Ehe, die Kinder aus dieser Ehe hatten keine Thronfolgerechte. Die Ehe wurde, soweit man das sagen kann, glücklich. Drei Kinder kamen zur Welt und die zur Fürstin von Hohenberg erhobene Gemahlin war, nach der Meinung mancher Zeitgenossen, die Einzige, die ihren gerne wütenden und aufbrausenden Ehemann zu zähmen vermochte. Der Thronfolger erhielt mit der Zeit ein vergrößertes Aufgabenfeld, bezog eine Wohnung im Belvedere und richtete dort die so genannte Militärkanzlei ein, für die militärischen Aufgaben, die ihm der Kaiser übertrug. Das »Belvedere« galt den einen als Ort der Hoffnung, den Anderen (der »Hofburg«) als Ort einer ungehörigen Schattenregierung. Dass Franz Ferdinand hinter dem Sturz seines Lehrers und langjährigen Vertrauten Max Wladimir Freiherr von Beck als Ministerpräsident stand, spricht nicht für den Thronfolger (er hatte Beck als Regierungschef nach seiner eigenen Thronbesteigung vorgesehen). Der Thronfolger hasste die moderne Kunst, lehnte auch die Berufung Plečniks als Nachfolger in der Professur Otto Wagners ab. In der Position des Protektors der Zentralkommission für Denkmalpflege (1910) war sein Konservativismus jedoch durchaus angebracht. Er fungierte als unnachsichtiger Bewahrer des kulturellen Erbes. Inzwischen zeigte es sich, dass die zentrale Problemzone nicht so sehr Böhmen, sondern der Süden werden würde. Als Reaktion auf die jungtürkische Revolution wurden 1908 Bosnien und die Herzegowina staatsrechtlich annektiert. Die Sache war zwar mit dem russischen Außenminister Izvolskij abgesprochen, wurde aber vom kaiserlichen Außenminister Aloys Lexa von Aehrenthal ohne neuerliche vorherige Kommunikation verkündet. Die Serben tobten. Die Russen waren wütend. Nur die massive deutsche Unterstützung rettete das Unternehmen ohne großen Konflikt. Die Siege der Serben in den Balkankriegen 1912/13 lösten bei den (Süd-) Slawen der Monarchie eine Welle der Begeisterung und Sympathie aus. Serbische Truppen drangen bis an die Adria vor. Dort wollte sie Österreich-Ungarn aber auf keinen Fall haben. Dafür entstand hier auf Drängen Wiens ein neuer Staat – Albanien. Die Serben wichen nach einem Ultimatum zurück. Serbien wurde trotzdem massiv vergrößert, auch Griechenland holte sich einen Anteil am türkischen Gebiet, nur die Bulgaren waren verbittert, weil ihnen von den vorherigen Bundesgenossen (und den Türken) im zweiten Balkankrieg ein erheblicher Teil ihrer
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Beute wieder abgejagt wurde. Inzwischen hatte der so genannte »Hochverratsprozess« einen neuerlichen Prestigeverlust für die Monarchie bedeutet : 1909 waren 53 Serben und Kroaten in Zagreb wegen Hochverrats angeklagt. Sie wurden für schuldig erklärt, aber ein Revisionsverfahren endete mit Freisprüchen : Die in Belgrad gefälschten Konfidentenberichte waren für echt gehalten worden. Der bekannte Historiker Heinrich Friedjung trat als Gutachter auf, musste aber auf Vorhaltungen Masaryks bekennen, dass er die kyrillisch geschriebenen Quellen gar nicht lesen konnte. Es war eine Riesenblamage. Ob im Belvedere tatsächlich der »Trialismus« vorbereitet wurde, was von slawischer Seite erhofft und von ungarischer wie deutscher Seite befürchtet und abgelehnt wurde, muss letztlich offen bleiben. Ein von Alexander Brosch von Aarenau, dem Leiter der Militärkanzlei, 1911 verfasstes Programm zum Thronwechsel konzentrierte sich auf den Dualismus. Noch vor der ungarischen Krönung (samt Eid auf die Verfassung !) sollten die ungarischen Eliten durch ein allgemeines Wahlrecht entmachtet werden. Das Ziel war die Wiederherstellung des einheitlichen Kaisertums Österreich, mit starker monarchischer Spitze. Die Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo am 28. Juni 1914 ließ alle Pläne zu Makulatur werden. Es hatte schon vor der Reise zu den Manövern nach Bosnien Attentatsgerüchte gegeben. Die waren allerdings in dieser Problemregion häufig, aber auch echte Attentate nicht selten. Die Sicherungsmaßnahmen des militärisch Verantwortlichen, Oskar Potiorek, waren unzureichend. Eine kurzfristige Umplanung der Fahrtroute ermöglichte es schließlich Gavrilo Princip während jener kurzen Pause, die Automobile damals zum Reversieren benötigten, die tödlichen Schüsse abzugeben. Es war die letzte persönliche Katastrophe, die Franz Joseph erlebte. Freilich war die emotionale Bindung zwischen dem Kaiser und dem Thronfolger gering. Aber Franz Ferdinand verkörperte die Dynastie, und damit war das Attentat ein Anschlag auf das Haus Österreich und die Monarchie. 8.10 Habsburgs letzter Krieg 8.10.1 Der Mord von Sarajevo und der Weg in den Krieg
Die Attentäter wurden festgenommen, polizeiliche Ermittlungen begannen. Die Toten wurden nach einem Requiem in Wien in Artstetten, in der Gruft der Pfarrkirche, die mit dem erzherzoglichen Schloss baulich verbunden ist, beigesetzt. Jede ausländische Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten hat man sich in Wien verbeten – man wollte keinen gesamteuropäischen Kongress, der womöglich friedliche Lösungen vorgeschlagen hätte. Aus Berlin kam die Zusage Wilhelms II., er werde jedenfalls auf der Seite
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Österreich-Ungarns stehen. Noch war Tisza gegen den Krieg, ließ sich aber umstimmen. Erst am 23. Juli wurde das Ultimatum an Serbien übergeben – knapp nachdem Poincaré nach einem Staatsbesuch beim Zaren St. Petersburg verlassen hatte. Aber der Inhalt war sowieso überall bekannt. Die Antwort des serbischen Ministerpräsidenten Pašić war ein diplomatisches Meisterstück. Nur die Forderung nach der Mitwirkung österreichischer Organe in Uniform auf serbischem Boden wurde abgelehnt (dafür stand sie ja auch im Ultimatum). Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. 8.10.2 Die Fronten der Monarchie
Die Ostfront gegen Russland war die wichtigste und gleichzeitig die am meisten gefährdete. Die Grenze gegen Russland war lang. Die Absprachen mit dem Deutschen Reich sahen vor, dass Österreich-Ungarn die Russen abwehren und dass nach dem deutschen Sieg über Frankreich die überlegenen deutschen Kräfte nach Osten dirigiert würden. Nach dem Ende des raschen deutschen Vordringens an der Marne (September 1914) musste der schöne Plan aufgegeben werden. Die Truppen der Monarchie führten verlustreiche Abwehrschlachten, die bis zum Winter zur Zurücknahme der Front in die Karpaten führten. Auch der Krieg gegen Serbien blieb nach mehreren offensiven Anläufen zunächst erfolglos. Die Verluste waren gewaltig. Bis zum Jahresende 1914 hatte man schon beinahe eine Million Mann verloren, davon fast 190.000 Tote, 490.000 Verwundete und 278.000 Kriegsgefangene. Enorm waren auch die Verluste unter den Offizieren, vor allem unter den jüngeren Leutnants. Der Krieg war auf der unteren Führungsebene bald überwiegend von Reserveoffizieren weiter zu führen. Es gelang trotz mehrerer Offensiven mit ungeheuren Opfern in der klirrenden Kälte des Karpatenwinters nicht, die von den Russen belagerte Festung Przemyśl zu halten, sie kapitulierte am 22. März. Wieder gingen 120.000 Soldaten in russische Gefangenschaft. Im Mai 1915 gelang deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen bei Gorlice-Tarnów der Durchbruch durch die russische Front. Der größte Teil Galiziens wurde von den Mittelmächten besetzt. Aber fast gleichzeitig erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Ende Mai begannen die Angriffe der Italiener. Während die Hochgebirgsfront in Tirol mit ihren umkämpften Gipfeln (Ortler, Marmolata, Monte Cevedale, Tofana …) und den Sperrforts nahe der Reichsgrenze nie in Gefahr stand, überrannt zu werden, schien der Weg für die Italiener von Friaul nach Görz und weiter nach Ljubljana (usw.) und Triest offen zu stehen. Nach zwei Isonzoschlachten hatten beide Seiten hohe Verluste, aber der Durchbruch glückte den Italienern nicht.
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1915 konnte durch den Kriegseintritt Bulgariens auf der Seite der Mittelmächte Serbien erobert und besetzt werden. Das Gallipoli-Unternehmen der Entente scheiterte. Ende 1915 standen die Mittelmächte so gut da wie nie zuvor. Aber 1916 wendete sich das Blatt wieder. Die »Strafexpedition« gegen Italien misslang trotz guter Anfangserfolge auf der Hochebene von Asiago und Arsiero. An der Ostfront gelang den Russen in der Brusilow-Offensive wieder ein massiver Einbruch in die österreichischungarische Front. Wieder gab es gigantische Verluste. Nun trat auch Rumänien in den Krieg ein und im Sommer ging Görz an die Italiener verloren. Freilich wurde Rumänien noch im Herbst besiegt – eine Gefahr weniger. Im September wurde die gemeinsame Oberste Kriegsleitung unter der nominellen Leitung des deutschen Kaisers installiert. Franz Joseph gab einen ganz wesentlichen Teil seiner bis jetzt verteidigten Prärogativen auf. »Österreich-Ungarn schien reif für eine ›feindliche Übernahme‹.« (Rauchensteiner). Am 21. Oktober erschoss Friedrich Adler, der Sohn Viktor Adlers, den Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh, aus Protest gegen den Kriegsabsolutismus. Er wurde zum Tod verurteilt, zu einer Kerkerstrafe begnadigt und 1918 amnestiert. Franz Joseph verließ Schönbrunn nur mehr selten. Er ließ sich über alles informieren, traf aber immer seltener Entscheidungen. Am 21. November 1916 starb der am längsten herrschende Habsburger. Während der letzten zwei Kriegsjahre regierte Kaiser und König Karl. Militärisch wechselte die Lage mehrmals : Die russische Februar-Revolution 1917 schien an der Ostfront eine Erleichterung zu bringen, doch die sommerliche Kerenskij-Offensive brachte den Österreichern eine neuerliche Niederlage. Aber mehr brachten die Russen auch nicht mehr zustande. Im Gegenangriff wurde das ganze österreichische Staatsgebiet in Galizien und in der Bukowina zurückgewonnen. Nach einem größeren Geländegewinn der Italiener in der 11. Isonzoschlacht, die einen Teil der Hochfläche von Bainsizza (Banjšice, Slowenien) östlich des Isonzo eroberten, bestand die Gefahr eines Zusammenbruchs der Isonzofront. Man bereitete daher mit deutscher Unterstützung eine große Gegenoffensive vor. Sie führte die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen bis an den Piave. Aber es war ein »Pyrrhussieg« (Rauchensteiner) : In der Vorbereitung wurden die Eisenbahnkapazitäten der Monarchie ausschließlich auf die Zufuhren für die Offensive konzentriert, dafür gab es kaum rollendes Material für Kohle und Kartoffeln für Wien. Der Preis für diesen Sieg war die Verschärfung des Hungers. Auch die Versorgung von fast 300.000 italienischen Gefangenen erschwerte das Ernährungsproblem. 1918 brachte den Frieden mit Russland (Brest-Litowsk, März 1918), die große, aber vergebliche deutsche Westoffensive und die letzte, katastrophale österreichisch-ungarische Offensive im Juni gegen Italien. Damit war die militärische Kraft der Mittelmächte erschöpft.
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8.10.3 Gesellschaft im Krieg Die Militarisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse
1868 war eine neue Regelung des Wehrwesens erfolgt. Das Wehrgesetz bestimmte nun die allgemeine Wehrpflicht. Die dadurch ermöglichte Einberufung großer Mengen von Reservisten erforderte die Institution des Reserveoffiziers. Maturanten oder Absolventen anderer mittlerer Schulen konnten nach einem Freiwilligenjahr (als »Einjährig-Freiwillige«) durch die Reserveoffiziersprüfung Reserveoffiziere werden. Das entsprach sicher so manchen Wünschen nach Teilnahme am gehobenen Sozialprestige der Armee. Damit war aber auch die Übernahme des Ehrenkodex der Offiziere mit ihren Duell-Zwang verbunden. In nicht wenigen Dramen und Erzählungen Arthur Schnitzlers wird dies deutlich. Schnitzler wurde für seine Ablehnung des Duells – die der Agnostiker Schnitzler mit streng katholischen Kreisen teilte – von einem Offiziers ehrenrat die Reserveoffizierswürde aberkannt. Neben dem für die ganze Monarchie gemeinsamen Heer, neben der ungarischen Honvéd und der österreichischen Landwehr wurde 1886 noch der Landsturm geschaffen, als drittes Aufgebot. Im Krieg bot sich damit die Möglichkeit, Arbeiter durch Eingliederung in den Landsturm voller militärischer Disziplinargewalt zu unterwerfen. Mit dem Wehrgesetz von 1912 und dem Kriegsleistungsgesetz desselben Jahres erweiterte der Staat das gesetzliche Instrumentarium für die gesellschaftliche Mobilisierung im drohenden Krieg, der nach der Annexionskrise von 1908 und den Balkankriegen (1912/13) immer mehr als unausweichlich betrachtet wurde. Das Kriegsleistungsgesetz ermöglichte die Inanspruchnahme persönlicher Dienstleistungen männlicher Zivilpersonen für militärische Zwecke, die Verpflichtung zur Weiterführung von Betrieben im Kriege und schließlich die Verpflichtung des Personals solcher Fabriken zum Verbleiben im Dienst- oder Arbeitsverhältnis. Unter dieses Gesetz gestellte Arbeitskräfte unterlagen der militärischen Disziplin, freilich nur für die Arbeitszeit. Noch stärker dieser Disziplin unterworfen wurden jene Arbeiter, die als wehr- bzw. landsturmpflichtig erklärt wurden und daher als Soldaten galten. Arbeitsverhältnisse in der Kriegsindustrie
Die dringendste Aufgabe für die zentralen Führungsinstitutionen des kriegführenden Staates war die Sicherstellung der Versorgung der Armeen mit Kriegsmaterial. Insgesamt arbeiteten 1917 mehr als 980.000 Menschen in dieser Industrie. Da man zu Kriegsausbruch nur mit einem kurzen Feldzug gerechnet hatte, war zunächst auf die Sicherstellung von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie wenig Rücksicht genommen worden. Man hat daher mit der Beschleunigung der Rüstungsproduktion
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seit 1915 solche Soldaten wieder in die Industrie zurückgeschickt. Ein ständiger Austauschprozess setzte ein : Immer wieder wurden volltaugliche Arbeiter ausgemustert, Untaugliche, Verletzte, Invalide und Kranke der Industrie zugewiesen. Im Sommer 1918 musste man feststellen, dass nunmehr gerade acht bis zehn Arbeiter jene Tätigkeiten vollbrachten, die früher von zwei gesunden Männern geleistet werden konnten. Die Rüstungsindustrie konzentrierte große Menschenmassen. Besonders in und um Wiener Neustadt wurden etwa 100.000 Menschen zusammengezogen. In Wiener Neustadt selbst lebten 1913 etwa 37.000 Zivilisten, 1918 64.000 Zivilisten und achtbis neuntausend Militärpersonen. Der größte Betrieb war die (staatliche) Munitionsfabrik Wöllersdorf, westlich von Wiener Neustadt, wo Ende Juni 1914 knapp 3500 Menschen beschäftigt waren, 1917 jedoch mehr als 30.000. Noch vor Kriegsausbruch wurden die Artikulationsmöglichkeiten der Arbeiterschaft stark eingeschränkt : Am 25. Juli 1914 wurde eine Kategorie »staatlich geschützter« Unternehmungen geschaffen, für welche das Koalitionsrecht praktisch aufgehoben war. Die militärische Leitung von Betrieben nach dem Kriegsleistungsgesetz tat ein Übriges, um, wie dies mehrfach kritisch vermerkt wurde, die Fabriken in Kasernen umzuwandeln. Offensichtlich ließen die Offiziere in den Fabriken die Arbeiter ihre Missachtung spüren. Die Arbeitszeiten wurden verlängert. In Wöllersdorf arbeitete man bis zum Sommer 1914 neun Stunden pro Tag (54-Stunden-Woche). Bei Kriegsausbruch wurde diese Arbeitszeit auf zehn Stunden an allen Tagen der Woche ausgedehnt. Bei der Produktion der Artilleriemunition wurde ein Zwei-Schicht-Betrieb von je zwölf Stunden eingeführt. Die Schutzbestimmungen für Frauen und Jugendliche wurden im September 1915 aufgehoben. Noch 1915 wurde die Sonntagsarbeit aber wieder aufgegeben – sie war in mehrfacher Hinsicht zu teuer und zu unproduktiv. Durch die rasche Verschlechterung der Ernährungssituation waren die langen Arbeitszeiten bald nur noch mit äußerstem Druck durchzuhalten. Schließlich verfügte das Kriegsministerium im Mai 1917 die probeweise Einführung des Acht-StundenTages bei militärischen Betrieben, was aber infolge heftiger Proteste der Privatindustrie rückgängig gemacht wurde. Im Juli 1917 war man in Wöllersdorf wieder ungefähr bei der Friedensarbeitszeit angelangt, seit August 1918 bei der 52-Stunden-Woche. Die Altersschichtung innerhalb der Arbeiterschaft verschob sich. Zum Ausgleich für die ins Feld einberufenen Jahrgänge zwischen 20 und 32 Jahren traten nunmehr ältere und jüngere stärker hervor. Sinkende Arbeitskraft und der Verlust an qualifizierten Fachleuten erhöhte auch das Unfallrisiko. Die schlimmste Katastrophe passierte in Wöllersdorf am 18. September 1918, als bei einem großen Brand mit zahlreichen Explosionen 281 Menschen, unter ihnen viele Frauen, uns Leben kamen.
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Frauenarbeit
Frauenarbeit war bisher zu einem großen Teil Arbeit in der Landwirtschaft gewesen. Das änderte sich mit dem Krieg. Der Frauenanteil in der Industrie stieg von 30 % (1914) auf 34 % (1916), in der Kriegsindustrie allein lag er 1917 bei 25 %, ebenso hoch wie in der metallverarbeitenden Industrie (dem Kern der Kriegsindustrie), wo 1914 erst knappe 15 % der Beschäftigten Frauen waren. Noch viel höher stieg der Frauenanteil in einzelnen Munitionsfabriken, wo er sich zumeist um 50 % bewegte und erst 1918 absank. Am auffälligsten erschien den Zeitgenossen der Ersatz der männlichen durch weibliche Arbeitskräfte in Bereichen mit großer Öffentlichkeitswirkung, so bei der Straßenbahn. Bei den Wiener Straßenbahnen waren 1914 nur 287 Frauen tätig, 1918 etwa 7500 (oder 54 % der Gesamtbelegschaft). Zuerst war Frauenarbeit wie in der Vergangenheit oft Heimarbeit, vor allem als Arbeit für den Uniformbedarf des Heeres. Mit dem Schwinden der Rohstoffreserven sank die Zahl der Frauen in Heimarbeit. Sie wanderten nun in die Verkehrsbetriebe und Metall- und Maschinenindustrie ab. Frauen, die bisher im Geschäft oder auf dem Bauernhof mitgearbeitet hatten, übernahmen jetzt die Betriebsleitung. Viele Frauen gingen aus der Landwirtschaft in die Industrie. Arbeiterinnen in der Rüstungsindustrie in und um Wiener Neustadt stammten oft aus den Agrargebieten Westungarns. Diese »Ungarinnen« (die zu einem großen Teil aus dem heutigen Burgenland kamen) galten als fleißige und genügsame Arbeiterinnen. Wesentlich schlechtere Erfahrungen machte man hingegen mit Frauen aus Böhmen. Infolge der erzwungenen Arbeitslosigkeit in den traditionellen Textilgebieten Nordböhmens wurde hier heftig für die Arbeit im niederösterreichischen Industrieviertel geworben. 1916 waren 6000 Arbeiterinnen aus Nordböhmen in Wöllersdorf, zu Jahresende mindestens 8400. Allerdings waren diese aus industrialisierten Gebieten kommenden Arbeiterinnen nicht so genügsam wie ihre ungarischen Kolleginnen. Besonders die Arbeiterinnen aus den industrialisierten deutschböhmischen Gebieten verfügten schon über ein entwickeltes »proletarisches« Klassenbewusstsein. Protestaktionen mit tschechisch-nationaler Färbung gingen in Wöllersdorf hingegen von den Pragerinnen aus. Von den Vorgesetzten wenig geschätzt war vor allem die große Flexibilität der Frauen, die häufig zur Erntezeit, zu den Weihnachts- und Osterfeiertagen oder aus familiären Anlässen kündigten. Das konnten sie leichter als die Männer, da für sie nicht die einschränkenden Vorschriften des Kriegsleistungsgesetzes oder gar des Landsturmgesetzes galten. Erst im Frühjahr 1917 wurden auch Frauen stärker an ihre Arbeitsplätze gebunden. Ein zweiter Grund für die wachsende Ablehnung von Frauenarbeit war ihr Engagement bei den immer zahlreicheren Demonstrationen und Streiks gegen die unhaltbaren Verpflegungsverhältnisse. Im Sommer 1917 traten Frauen und Jugendli-
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che am radikalsten auf – einerseits waren sie dem militärischen Befehlssystem weniger unterworfen, andererseits litten sie, gezwungen zu stundenlangem Anstellen um kaum erhältliche, teure und schlechte Lebensmittel, am meisten unter den Mängeln des Systems. So drang man im Kriegsministerium darauf, Frauen nur noch im Falle absoluter Unentbehrlichkeit einzusetzen. Doch hielten die anhaltenden Musterungen allenfalls tauglicher Arbeiter den Bedarf an Frauenarbeit wach. Hunger und soziale Konflikte
Trotz der strengen Bestimmungen des Kriegsrechtes hörten Streiks auch während des Krieges nicht ganz auf. Aber ihre Zahl und Intensität verringerten sich, ebenso wie der gewerkschaftliche Organisationsgrad. Die Haltung der militärischen Kreise gegenüber der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung war ambivalent : Einerseits versuchte man, jede Organisationsarbeit möglichst zu unterbinden. Andererseits war eine gewisse Zusammenarbeit mit der Organisation der Arbeiterschaft nicht zu vermeiden, sowohl aus Gründen der Taktik und möglicher Integration der Arbeiterschaft in den Staat als auch wegen der immer nötiger werdenden Mitarbeit der Arbeitervertreter bei der Ernährungssicherung. Das zentrale und für die Habsburgermonarchie letztlich unlösbare Problem wurde jenes der Ernährung. Bereits zu Anfang 1915 kam es zu Engpässen in der Mehlversorgung. Im März dieses Jahres wurden Mehl und Getreide rationiert. Ab Mai 1915 wurden zwei fleischlose Tage pro Woche vorgesehen. Das war nur der Anfang – sieht man von den der Ernte jeweils folgenden Wochen ab, verschlechterte sich die Situation bis Kriegsende kontinuierlich (ohne sich danach zu verbessern). Im Jahre 1918 bestand die Menage in der Munitionsfabrik Wöllersdorf aus einem kleinen Stück Brot, aus Kraut und einer Art von schwarzem Kaffee – und dies war die Ernährung in der kriegswichtigsten Industrie. Kaum vorstellbar war die Not bei den minder wichtig eingestuften Bevölkerungsklassen, besonders in den Städten. Die Ernährungsfrage war auch das zentrale Thema der ab 1916 einsetzenden Streiks und Demonstrationen. Im Oktober 1916 protestierten 200 Halleiner Arbeiterfrauen gegen die unzureichende Versorgung mit Zucker. Ende März 1917 traten die Arbeiter in Donawitz in den Ausstand, im April als Folge der Mehlknappheit die Salzburger Staatsbahn-Arbeiter. Im Mai 1917 streikten 42.000 Industriearbeiter in Wien. Im Juni und Juli 1917 gab es Ausstände in St. Pölten, Fohnsdorf, Knittelfeld und im Salzburgischen. Im August 1917 traten Arbeiter in Wöllersdorf in den Streik, als sie kein Brot oder Mehl bekommen hatten. Im Zuge der Streiks änderte sich das Bewusstsein der Arbeiter. Ihre Forderungen nach Verbesserung der Versorgungslage und nach Lohnerhöhungen wurden zur For-
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derung nach Friedensverhandlungen erweitert. Schließlich stand die Veränderung des gesamten gesellschaftlichen Systems auf dem Programm. Auf die Klagen über die schlechte Ernährungslage, immer gepaart mit Hinweisen auf Unterschlagungen und Betrügereien seitens der verantwortlichen Personen, antwortete man in Wöllersdorf im Juni 1916 mit der Erlaubnis, zur Kontrolle der Landsturmarbeitermenage Vertrauensmänner zu wählen. Seit dem Oktober 1916 gab es auch Frauenvertrauensleute für die Mitwirkung und Kontrolle bei der Verteilung der Lebensmittel. Erheblich erweitert wurde das Vertrauensmännersystem seit dem Frühjahr 1917. Angeregt wurde die allgemeine Wahl von Vertrauensleuten in einem an die zu Schwarzau auf dem Steinfeld lebende – und allgemein beliebte – Kaiserinmutter gerichteten anonymen Brief. Kurz darauf inspizierte der Chef der kaiserlichen Militärkanzlei das Wöllersdorfer Werk und ordnete mit 8. April 1917 die Wahl von Vertrauensleuten an, welche Beschwerden sammeln und weiterleiten sollten. Schon Ende April stellten sich die neugewählten Vertrauensleute der Fabrik, von denen 15 % Frauen waren, dem Direktor vor. Die allgemeine Not, die Nachrichten von der erfolgreichen russischen Februarrevolution, aber auch der Stilwechsel, der mit der Person des jungen Kaisers Karl verbunden war, bewirkten ein geändertes Verhalten der militärischen Obrigkeit – deren Macht übrigens etwas zugunsten ziviler Instanzen reduziert wurde – gegenüber der Arbeiterschaft. Neben einem gewissen Entgegenkommen vollendete sich freilich zugleich auch die Militarisierung der Arbeitsprozesse : Mit einem Erlass vom 18. März 1917 wurden auch die weiblichen Arbeitskräfte in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Betriebe wurden militarisiert, also alle männlichen Arbeiter nun völlig unter militärische Disziplinargewalt gestellt, gewählte Vertrauensleute von den militärischen Leitern diszipliniert und »einrückend gemacht«. 8.10.4 Der letzte Kaiser Friedensbemühungen und Einberufung des Reichsrates
Der junge Kaiser Karl bemühte sich in der Tat um den Frieden. Im Frühjahr 1917 setzte er sich über seinen Schwager Sixtus von Bourbon-Parma mit der französischen Regierung in Verbindung. Engländer und Franzosen nahmen das Angebot ernst, das aber die Italiener quasi als Verlierer dastehen ließ. Die Verhandlungen versandeten. Wenig später versuchte der Kaiser, durch eine breite Amnestie Sympathie zu gewinnen, die unter anderem dem bekannten tschechischen Politiker Karel Kramář, der wegen Hochverrats zum Tod verurteilt war, die Freiheit brachte. Mit der Wiedereinberufung des Parlamentes wollte der Kaiser ebenfalls eine Geste des guten Willens setzen. Am 30. Mai 1917 trat der Reichsrat zu seiner XXII. Session zu-
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sammen. Es kam diese Wiedereinberufung aber schon zu einer Zeit, als die lange Dauer des Krieges, die wachsenden Ernährungsprobleme und das Militärregime des Kriegsabsolutismus die Zustimmung zur Existenz der Habsburgermonarchie bereits bedenklich reduziert hatte. Schon gab es Truppenkörper aus ehemaligen Soldaten der Monarchie auf der Seite der Alliierten (die Tschechische Legion, südslawische Legionäre auf serbischer Seite an der Saloniki-Front). Dagegen wurde auf deutscher und deutschösterreichischer Seite der Krieg immer mehr zu einem Krieg der »Germanen« und Ungarn gegen die »Slawen« stilisiert, sodass sich die polnischen, ruthenischen, tschechischen, slowakischen, serbischen, kroatischen und slowenischen Soldaten der k. u. k. Armee immer häufiger fragten, wozu und wofür sie denn da den Kopf hinhalten sollten. Diese veränderte Situation machte sich auch im Parlament bemerkbar. War vor 1914 der Staat kaum wirklich in Frage gestellt worden, so wartete man jetzt nur mehr auf sein Zerbrechen. Die südslawischen Abgeordneten forderten in der Mai-Deklaration (1917) die staatliche Zusammenfassung aller Südslawen (Slowenen, Kroaten und Serben) in einem eigenen Staat, analog die Tschechen (und Slowaken). Die galizischen Polen wollten den Zusammenschluss mit dem neuen polnischen Staat, den die Mittelmächte in den von ihnen besetzten Teilen Russisch-Polens schon 1916 ausgerufen hatten. In dieser Lage verabschiedete der Reichsrat noch einige wichtige Gesetzesmaterien – unter anderem auch das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz, das der Regierung für die Dauer des Krieges wichtige Vollmachten einräumte. Schon im Jänner 1917 wurde durch die Mieterschutzverordnung versucht, die steigenden Lebenshaltungskosten aufzufangen und insbesondere die Frauen von Soldaten vor Delogierungen infolge von Mietrückständen zu schützen. Bestimmungen über Lohnfortzahlungen bei Betriebseinschränkungen traten in Kraft. Mit 1. Juni 1917 wurde ein Ministerium für soziale Fürsorge geschaffen. Das Kriegsministeriums anerkannte im November 1917 Fabriksausschüsse der Arbeiterschaft in militärischen oder in Betrieben, die dem Kriegsleistungsgesetz unterworfen waren. 1918: Jännerstreik und Meutereien
Der große Jänner-Streik 1918 zeigt eine neue Dimension des Klassenbewusstseins der Arbeiterschaft. Er brach infolge der neuerlichen Kürzung der Mehlquote am 14. Jänner in Wiener Neustadt aus. In kürzester Zeit befanden sich fast eine Million Arbeiter und Arbeiterinnen sowie Angestellte im Ausstand. Allein in Wien streikten am 19. Jänner 1918 mehr als 112.000 Arbeitnehmer. Der Streik erfasste auch jene Betriebe, die eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage irgendwie hatten verhindern können, so auch Wöllersdorf. Die Arbeiter begnügten sich nun nicht mehr damit, Forderungen nach Verbesserung der Situation zu erheben. Die Forderung nach dem sofortigen Friedensschluss mit Rußland und allgemeine Friedensforderungen zeigen die zentrale
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Stoßrichtung der Streiks. In der Sympathie mit dem Russland der Oktoberrevolution zeigt sich aber eine neue Tendenz – eine Tendenz zur völligen, radikalen und raschen Veränderung der Gesellschaft. Überläufe, Desertionen und Meutereien kennzeichnen das Jahr 1918. Damals kämpften bereits 100.000 Mitglieder der Tschechoslowakischen Legionen auf der Seite der Alliierten. Im Rahmen der serbischen Armee existierte ein aus kriegsgefangenen Slowenen, Kroaten und Serben aus Österreich-Ungarn rekrutierter Truppenkörper von 22.000 Mann. Freilich war der militärische Apparat der Monarchie immer noch imposant : Anfang Jänner 1918 waren 4,4 Millionen Mann in der k. u. k. Armee, davon 2,85 Millionen im Feld. Vom 1. bis 3. Februar 1918 revoltierten die Matrosen in Cattaro (Kotor), zwischen 9. und 20. Februar gab es Gehorsamsverweigerungen in verschiedenen Garnisonen auf dem Balkan, zwischen April und Juli kam es zu Heimkehrermeutereien – von aus der russischen Gefangenschaft entlassenen und nun wieder aktivierten Soldaten – in verschiedenen Städten. Größere Ausmaße nahmen Meutereien slowenischer Heimkehrer in Judenburg und Murau an. Von Juni bis September lässt sich eine relativ kontinuierliche Kette von Meutereien, Streiks und Plünderungen feststellen, die der Gewaltapparat zwar noch drakonisch unterdrücken konnte – aber nicht mehr auf die Dauer. Desertionen nahmen immer mehr zu : Ende des Sommers 1918 waren 230.000 Mann desertiert (»grüne Kader«). Im Jänner-Streik bildeten sich daher neue Organe heraus, die Arbeiterräte. Seit dem Herbst 1917 ging auch die Sozialdemokratie stärker auf Linkskurs. Das konnte die Entstehung der Räte nicht verhindern, erlaubte aber ihre relativ rasche Einbindung in die sozialdemokratische Bewegung. Nach dem Jänner-Streik wurden die neuen, radikalen, von außerhalb der Sozialdemokratie kommenden Kräfte stärker isoliert, einrückend gemacht, diszipliniert. Ende April wurde eine Abnahme des Einflusses dieser linksradikalen Gruppen konstatiert, deren Rekrutierung wohl am besten durch die Feststellung eines häufig überdurchschnittlichen Bildungsniveaus zu bezeichnen ist. Die Wiener Neustädter Polizei warnte in diesem Zusammenhang vor Maßnahmen in den Betrieben, »welche die Position der sogenannten Regierungssozialisten schwächen […]« könnten. Regierungssozialisten : So systemerhaltend sah selbst die Polizei die Sozialdemokratie. Deren Stärke wuchs nun rasch. 1917 und 1918 stiegen die Mitgliederzahlen bei den Freien Gewerkschaften. Gab es 1916 nur 112.000 Freigewerkschaftler (im heutigen Österreich), so waren es 1917 schon 213.000, 1918 fast 300.000. Besonders die Frauenanteile stiegen überdurchschnittlich. Das Jahr 1917 erweist sich als entscheidendes Jahr der Politisierung der Arbeiterschaft im Kriege. Schon am 1. Mai 1917 war, erstmals seit 1914, arbeitsfrei.
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Neuerdings brachen im Juni 1918 Streiks und Hungerdemonstrationen aus. Neben der Ernährungskrise war der Achtstundentag Gegenstand der Streikforderungen. Immer mehr Befugnisse erlangten die Arbeitervertreter in den Fabriken, da ohne sie die Produktion überhaupt nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Von Mitte September an tagte der Fabriksausschuss der Munitionsfabrik Wöllersdorf bis zum Kriegsende in Permanenz. Mit dem Zerbrechen der alten Macht Ende Oktober fiel häufig den Vertretern der Arbeiterschaft die Verantwortung für die Betriebe zu : Für kurze Zeit schien in der Tat die ganze alte Ordnung, Monarchie und Kapitalismus, beseitigt. Habsburgs Ende
Der Minister des kaiserlichen Hauses und Außenminister, Ottokar Graf Czernin, läutete die letzte Phase der Habsburgerherrschaft mit einer Rede vor dem Wiener Gemeinderat ein, in der er die Kontakte mit Frankreich als Wunsch der Franzosen darstellte. Aus Paris wurde sofort repliziert : Nicht Frankreich, der österreichische Kaiser habe wegen eines Sonderfriedens sondiert. Nach einigem Hin und Her wurde in Paris ein Brief Karls veröffentlicht, der das Anrecht Frankreichs auf Elsaß-Lothringen anerkannte. Karl war entrüstet, Clémenceau ließ daraufhin alle »Sixtus-Briefe« veröffentlichen. Die Deutschen tobten. Czernin sollte die Verantwortung übernehmen, weigerte sich, drohte mit Selbstmord und stellte den Herrscher bloß. Auch in England und Frankreich wirbelte die Affäre viel Staub auf, doch spielte man sie im Nachhinein herunter. Kaiser Karl gelang dies nicht. Die Deutschen verlangten Erklärung und Entschuldigung. Karl musste nach Spa, seinem Canossa, um im Mai bei Wilhelm um gut Wetter zu betteln. Seitdem war auch mit der eingeschränkten außenpolitischen Selbstständigkeit der Monarchie Schluss. Österreich-Ungarn war nur mehr ein Satellit Deutschlands. Das wirkte sich auch auf die Haltung der Westmächte entscheidend aus. Sie beschlossen ab nun, das Selbstbestimmungsrecht der Völker der Habsburgermonarchie im vollen Umfang anzuerkennen. »Das Todesurteil über die Monarchie war gefällt.« (Rauchensteiner) Inzwischen waren die USA in den Krieg eingetreten, im Jänner erklärten die Amerikaner auch Österreich-Ungarn den Krieg. Noch schnell, bevor die Amerikaner mit voller Macht in Europa auftreten konnten, wollten die Deutschen im Westen den Sieg erzwingen. Doch scheiterten die Offensiven, trotz einiger Erfolge. Der letzte Angriff der österreichisch-ungarischen Armee an der italienischen Front ( Juni-Offensive) scheiterte meist schon am ersten Tag. Im Sommer mussten noch Truppen an die Westfront abgegeben werden. Sie wurden von den Deutschen missmutig als »Kriegsverlängerer« begrüßt – also gärte es auch schon beim tüchtigen und bewunderten »Bundesgenossen«. Seit dem August waren die Deutschen im Westen auf dem Rückzug. Im September brach die Balkanfront zusammen.
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Die Kriegswirtschaft konnte längst nicht mehr die erforderlichen Waffen und Geschosse liefern, ganz zu schweigen von Nahrung, Uniformen, Ausrüstungen. Verhungert und zerlumpt wirkte die einst so stolze Armee der Habsburger. Als Kaiser Karl sein berühmtes Völkermanifest vom 16. Oktober 1918 erließ, ging es in Wahrheit nur mehr um die Verwaltung des Überganges. Ende Oktober löste sich die Habsburgermonarchie auf. Schon war die Exilregierung der Tschechoslowaken von den Alliierten anerkannt, die tschechoslowakische Staatsgründung am 28. Oktober vollzog im Inland nach, was im Ausland schon Tatsache war. Der Kaiser verzichtete auf die Anwendung von Gewalt. Einen Tag später gründeten auch die Südslawen der Monarchie in Zagreb ihren eigenen Staat. Zeitgleich kündigte Ungarn den Ausgleich und erreichte endlich die völlige Selbstständigkeit. Am 31. Oktober wurde Tisza in Budapest ermordet. Und am 30. Oktober 1918 beschloss im Niederösterreichischen Landhaus die am 21. Oktober konstituierte provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs eine provisorische Verfassung. Am 31. Oktober übergab Kaiser Karl die Adria-Flotte dem neuen südslawischen Staat. Noch am 1. November versenkten die Italiener das Flaggschiff »Viribus Unitis« im Hafen von Pula. Der letzte gemeinsame Außenminister, Gyula Graf Andrássy der Jüngere, demissionierte am 2. November. Der Kaiser wollte aber weder den nun notwendigen Waffenstillstandsvertrag (in Wahrheit eine Kapitulation) unterzeichnen noch auch auf sein Amt verzichten. Wenn es nicht noch viele Soldaten das Leben gekostet hätte, wäre die Unfähigkeit der Armeeführung, aber auch des Kaisers, rechtzeitig diesen Waffenstillstand zu schließen, als Satyrspiel nach der Tragödie zu bezeichnen. Schließlich unterzeichnete ein noch nicht im Amt befindlicher Armeekommandant am 3. November 1918 – angeblich – das Papier. Die Soldaten legten die Waffen nieder. Für die Italiener war der Krieg erst am 4. November um 15 Uhr zu Ende. Sie errangen noch einen großen Sieg, 380.000 kaiserliche und königliche Soldaten gingen in Gefangenschaft. Dass der Kaiser im neuen Kleinstaat keine wirkliche Funktion mehr haben würde, war ihm nur schwer beizubringen. Erst am 11. November verzichtete er, nach der Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II., in einer im Wesentlichen von Ignaz Seipel, Josef Redlich und Karl Renner formulierten Erklärung auf »seinen Anteil an den Staatsgeschäften« – was faktisch einer Abdankung gleich kam. Die letzte kaiserliche Regierung Lammasch wurde ihres Amtes enthoben. Ihre letzte Sitzung (die 95. Sitzung der XXII. Session) hielten beide Häuser des Reichsrates am 12. November 1918, nach der Verzichtserklärung des Kaisers. Neue Staaten hatten sich bereits gebildet. Es gab nichts mehr zu beraten. Ein knapper Nachruf auf den tags davor verstorbenen Viktor Adler ; der Vorsitzende (Dr. Gustav Groß) richtete einige Worte des Abschiedes an die Anwesenden. Ein neuer Sitzungstermin wurde nicht anberaumt. Nach zehnminütiger Sitzungsdauer endeten die Geschichte des Reichsrates und die Geschichte der Habsburgermonarchie.
Abb. 9: Porträt Ignaz Seipel. © ÖNB
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9.1 Deutsch-Österreich und St. Germain 1918–1922 9.1.1 Österreichische Revolution?
Mit dem Zusammenbruch der Versorgungs-, Kommunikations- und Herrschaftsverhältnisse im Herbst 1918 entstand ein gesellschaftliches Vakuum. Man benötigte bestimmte Institutionen, die sich um die Ernährung einer Fabrik, einer Gemeinde, einer Kaserne kümmerten. Arbeiterräte wirkten jetzt bei der Lebensmittelaufbringung, bei der Wohnungsbewirtschaftung, bei der Arbeitslosenunterstützung mit. In den plötzlich überflüssig gewordenen Betrieben der Kriegswirtschaft übernahmen sie vollständig die Kontrolle, so in der Munitionsfabrik Wöllersdorf. Entsprechend den kleinräumigen Bedürfnissen, zu deren Befriedigung sie eingerichtet wurden, trugen die Räte deutliche Züge von Lokalborniertheit. So haben die Arbeiterräte in Oberösterreich darauf gedrungen, mit den im Lande produzierten Lebensmitteln zunächst einmal die Ernährung des eigenen Landes sicherzustellen, bevor man etwas nach Wien liefern durfte. Die Arbeiterräte blieben bis zum März 1919 ausschließlich unter sozialdemokratischer Kontrolle. Wählbar waren nur Parteimitglieder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei : Aber auch nach der Öffnung für andere Gruppen erreichten die mit dem Leninschen Slogan »Alle Macht den Räten !« operierenden Kommunisten niemals mehr als 5 bis 8 % der Stimmen bei Wahlen für den Reichsarbeiterrat (die Zentrale der Arbeiterräte). Damit stand der Sozialdemokratie, die in der am 21. Oktober zusammengetretenen provisorischen Nationalversammlung für Deutsch-Österreich die kleinste Fraktion war, eine starke außerparlamentarische Macht zur Verfügung. Freilich nicht uneingeschränkt : Die Räte entwickelten eine besondere Dynamik, die wiederum auf die eigene Partei zurückwirkte. Mit der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919, aus der die Sozialdemokratie als relativ stärkste Partei hervorging, wuchs ihr Übergewicht noch. Den Schritt zur sozialen Revolution, den die Kommunisten (Anfang November 1918 gegründet) und der Chef der ungarischen
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Räteregierung, Béla Kun, forderten, verweigerten aber die Sozialdemokraten ebenso wie die von ihnen beherrschten Räte. Otto Bauer fasste die Gründe, die gegen die sofortige sozialistische Revolution sprachen, gültig zusammen : Infolge der Abhängigkeit der industrialisierten östlichen Gebiete Österreichs (Wien, Industrieviertel, Mur- und Mürztal) von Lebensmittellieferungen aus den kapitalistischen Entente-Mächten und der Tschechoslowakei, aber auch aus den agrarischen Gebieten Österreichs würde die Ausrufung der Räterepublik die Gefahr der Spaltung Österreichs und der völligen Isolierung und Aushungerung der Arbeiterschaft heraufbeschwören. Die Sozialisierung der Wirtschaft ohne eine vorherige Schulung der Arbeiterschaft auf dem Gebiet der Selbstverwaltung müsste in einem bürokratischen Staatssozialismus enden. Die Unfähigkeit einer bürokratischen Organisation zur Leitung der Wirtschaft schien aber nach den Erfahrungen der bürokratisch gelenkten und dennoch chaotischen Kriegswirtschaft evident. So beschränkte man sich bei den Sozialisierungsmaßnahmen auf einige wenige gemeinwirtschaftliche Betriebe, die aus der Erbmasse der engeren staatlichen (»ärarischen«) Kriegsindustrie übriggeblieben waren, etwa die Munitionsfabrik Wöllersdorf. Die Sozialisierungsdrohungen von 1918/19 sind wohl auch als Druckmittel zu verstehen, mit dem man die Unternehmerschaft zu Investitionen drängte und gleichzeitig die eindrucksvolle Reihe wichtiger Sozialgesetze durchbringen konnte. Als mit der Inflationskonjunktur ab Sommer 1919 die unternehmerische Investitionsbereitschaft wieder anstieg, verflachte auch sehr deutlich das Sozialisierungsinteresse. Dies war freilich auch eine Folge des Scheiterns der ungarischen Räterepublik im Sommer 1919 und der kommunistischen Putschversuche in Wien im Frühjahr und im Juni 1919. Seither ging auch die Bedeutung der Räte zurück. Versorgungs- und Unternehmerfunktion gingen langsam wieder auf andere Instanzen (und auf den Markt) über. Die Interessenvertretung der Arbeiter in den Betrieben übernahmen die Betriebsräte (Betriebsrätegesetz Mai 1919). Wie viel an Revolution ist wirklich passiert ? Sicher gab es weitreichende Veränderungen im Bereich des politischen Systems. Sie waren aber nicht das Ergebnis des gezielten Vorgehens revolutionärer Kräfte, sondern die Folge der im Herbst 1918 erfolgten raschen und vollständigen Erosion der Habsburgermonarchie. Selbst im deutschösterreichischen Kerngebiet der Monarchie hatten der alte Staat und die Staatsform so viel an Zustimmung eingebüßt, dass am 12. November auch die traditionell monarchietreuen Deutschnationalen und Christlichsozialen die Republik bejahten. Der Übergang der Staatsmacht – soweit von einer solchen noch die Rede sein konnte – von den Institutionen der Monarchie auf jene der Republik ging reibungslos vor sich. Die für Österreich und Ungarn, also beide Reichsteile gemeinsamen k. u. k. Ministerien führten ihre Geschäfte zu Liquidationszwecken noch unterschiedlich lange fort (so
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das Außenministerium bis November 1920). Die k. k. Ministerien für die westliche Reichshälfte (seit 1915 offiziell »Österreich«) übergaben in den ersten Novembertagen ihre Agenden den vom neuen »Staatsrat« bestellten Staatssekretären. An die Stelle der k. u. k. Armee trat eine neugebildete »Volkswehr«. Sie galt eher als Parteiarmee der Sozialdemokraten denn als neutraler Arm des Staates. Jedenfalls gab es eine politische Revolution, da die entscheidenden Faktoren nicht mehr der Hof oder die Hochbürokratie waren, sondern die Parteien. Da die drei großen Parteigruppierungen der Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Deutschnationalen auf allen Ebenen der staatlichen Tätigkeit präsent waren, bildeten diese jetzt das tragende und integrative Element des Staates. Es ist aber zu bezweifeln, dass das den Parteieliten auch voll bewusst war. Neben den politischen geschahen auch gesellschaftliche Veränderungen von nicht unbeträchtlicher Tragweite. Die Erschütterung der wirtschaftlichen Basis breiter bürgerlicher Kreise, die schon der Krieg begonnen hatte, setzte sich bis zur Währungsstabilisierung 1922 fort : »Die Zinsen, welche der Staat den Rentiers zahlte (für die Kriegsanleihen, E. B.), stellten 1920 nur noch ein Hundertstel, 1922 nur noch ein Zehntausendstel des versprochenen Wertes dar. Der Millionär, der sein Vermögen in Kriegsanleihe angelegt hatte, war zum Bettler geworden. Mit den Rentiers wurden auch die Hausbesitzer expropriiert. Die während des Kriegs erlassene Mieterschutzverordnung wurde aufrechterhalten […] Der Wohnungsaufwand verschlang bald nur noch einen sehr geringen Teil des Lohneinkommens […] Aus den Wohnungen der Arbeiter verschwanden die Bettgeher und Untermieter […] Aber diese Hebung der Wohnkultur, eines der erfreulichsten Ergebnisse der sozialen Umwälzung, erfolgte auf Kosten der Hauseigentümer […] Damit wurde eine der zahlreichsten Schichten des Bürgertums wirtschaftlich expropriiert. Auch die höhere Beamtenschaft wurde von der Geldentwertung niedergedrückt […] Ihre Bezüge stiegen viel langsamer, als der Geldwert sank […] Ein Hofrat hatte im Jahre 1915 noch 8,6-mal, im Jahre 1920 nur noch 3,3-mal höhere Bezüge als ein Beamter der untersten Rangklasse. Es war das Altwiener Patriziat, es waren die führenden Schichten der österreichischen Intelligenz, es waren große Teile des mittleren und kleineren Bürgertums, die durch die Geldentwertung verelendet wurden […] Sie waren die Träger des österreichischen Patriotismus, der altösterreichischen Tradition gewesen […] Sie waren die eigentlich Besiegten des Krieges. Es war ihr Reich, das im Oktober 1918 zusammengebrochen war. Und mit ihrem Reich hatten sie auch ihren Reichtum verloren.« (Otto Bauer, Die österreichische Revolution).
Nutznießer dieser Veränderungen waren Kriegslieferanten und, nach Kriegsende, Devisenschieber, die sich die strengen Bewirtschaftungsvorschriften dieses raren Gutes zunutze machten. Die Arbeiterschaft gewann, obgleich nicht materiell reicher gewor-
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den, an gesellschaftlichem Gewicht. 1919/20 wirkte die Inflation wie eine Exportprämie. Die industrielle Wirtschaft belebte sich jetzt relativ rasch (soweit die nötigen Rohstoffe vorhanden waren), sie konnte auch relativ höhere Löhne zahlen. Dadurch erschien vorübergehend die Arbeiterschaft materiell relativ besser gestellt als bürgerliche, besonders als die beamteten und angestellten bildungsbürgerlichen Gruppierungen (Professoren, Lehrer, Beamte, Spitalsärzte usw.) Auch die Sozialgesetzgebung unterstrich diese Verschiebung im gesellschaftlichen Gefüge. Es war also eine Revolution – und zugleich auch nicht. Es gab große Veränderungen im politischen System – aber die Grundlagen des Rechtssystems, von Justiz und Verwaltung blieben bestehen und damit auch der allergrößte Teil der Bürokratie. Es gab wenige oder eigentlich fast keine rechtlichen Veränderungen der Eigentumsverhältnisse – aber die geschilderte Verarmung breiter bürgerlicher Kreise führte zu einer tatsächlichen Neukonstellation der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Es gab, als Ergebnis, eine demokratische Republik als Parteienstaat – aber keine breite Übereinstimmung über die Gestaltung des Staates und der Gesellschaft. Denn für die zunächst dominanten Sozialdemokraten war die demokratische Republik nur ein wichtiges Übergangsstadium zur sozialistischen Gesellschaft – ein oft gehörter Slogan lautete : »Demokratie, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel«. Für die zunächst verschreckten und zurückgedrängten bürgerlichen und bäuerlichen Schichten erschien dagegen schon die demokratische Republik von 1918/19 als unsichere Option. Viele sehnten sich wieder nach einem starken Staat – wünschten also ungefähr ein Regierungssystem wie in der späten Monarchie, mit oder ohne Monarchen. Ein starker Bundespräsident, mit ähnlichen Rechten ausgestattet wie der Reichspräsident der Weimarer Republik, war daher eine immer wieder geäußerte Forderung von bürgerlicher Seite. Für die Sozialdemokraten war der Staat aber keine über den Klassen stehende »objektive« Macht, sondern in seiner jeweiligen Gestaltung Ausdruck der Klassenkräfte. Solange Staatsform und Staatsrealität (also die Gesetzgebung und Verwaltung) der Arbeiterklasse nützte, wurde er unterstützt. Allerdings sollte die Staatsgewalt möglichst wenig eingesetzt werden. Die Sozialdemokraten bevorzugten gegenüber unruhigen und vielleicht sogar gewaltbereiten »linken« Kräften die Taktik des Zuredens und der Einbindung in die eigenen Organisationen, zwecks Kontrolle. Das war jedoch in den Augen des Bürgertums nicht genug. Die »österreichische Revolution« wurde von ihren hauptsächlichen Trägern, den Sozialdemokraten, als »bürgerliche« bezeichnet, sie sei die Fortsetzung von 1848, die nun endlich die Monarchie beseitigte. Diese Interpretation erleichterte es den Sozialdemokraten, sich 1920 aus der Regierung zurückzuziehen und den »bürgerlichen« Staat den bürgerlichen Kräften zu überlassen. Nun war aber die junge »bürgerliche« Republik eben nicht das Ergebnis einer »bürgerlichen« Revolution. Für die expropriierten und verarmten Offiziere, Beamten, Pensionisten, Rentiers und Hausbesitzer war die Repub-
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lik das Symbol ihres gesellschaftlichen Abstieges. Für die Unternehmer bedeutete »Republik« eine vorher nie gekannte Stärke der Arbeitermacht inner- und außerhalb des Betriebes, bedeutete zahlreiche »soziale Lasten« (wie immer berechtigt diese, schon allein zur Wiederherstellung der Arbeitskraft, auch waren !) und Einschränkungen ihrer unternehmerischen Verfügungsfreiheit. Für die Bauern war die Republik jenes System, das die Landarbeiter aus dem Dienstbotenstatus und damit aus dem bäuerlichen Haus entband und damit Gewerkschaften und Klassenkampfparolen auch auf dem Land ermöglichte. Andererseits konnten sich die Bauern als faktische Nutznießer der Not und der politischen Gewichts-Verstärkung der Länder ganz gut mit den neuen Gegebenheiten abfinden. Dies alles macht es verständlich, warum gerade die bürgerlichen Schichten sich nicht mit der »bürgerlichen« Republik, die sie ja nicht geschaffen hatten, identifizierten. Einmal an die Macht gelangt, würden sie sofort versuchen, die »linken« Zutaten zu dieser Republik, den »revolutionären Schutt« zu entfernen. Daran konnten sie bis auf weiteres durch die organisatorische Macht der Arbeiterschaft, durch eine hohe Streik- und Demonstrationsbereitschaft gehindert werden. Außerdem konnte die starke sozialdemokratische Opposition im Parlament alle Verfassungsänderungen abwehren, aber auch einfache Gesetze wurden nur ermöglicht, wenn sie nicht ausdrücklich gegen die Arbeiterschaft gerichtet waren. Aber dass die Sozialdemokraten die neue Republik spätestens ab 1920 als »bürgerliche« denunzierten, während sie doch gleichzeitig diese Staatsform gegen autoritäre Strömungen im Bürgertum verteidigen wollten, ist paradox. Die »Roten« überließen der »Bourgeoisie« 1920 durchaus freiwillig die Regierung – sollten sich doch die nichtsozialistischen Politiker bis zum erwarteten Zusammenbruch des Kapitalismus mit den kaum lösbaren Alltagsproblemen herumschlagen ! 9.1.2 Hunger, Kälte, Krankheiten
Diese Alltagsprobleme waren gravierend. Durch Hunger, Unterernährung und Krankheiten war die Zivilsterblichkeit stark angestiegen. 1913 verstarben im Raum der späteren Republik etwa 118.000 Menschen, 1918 waren es 155.000. In Wien war die Zivilsterblichkeit 1918 um 57 % größer als 1913. Die Tuberkulose forderte um 78 % mehr Opfer als 1913. Nicht einmal 8 % der Kinder konnten im Sommer 1918 als gesund bezeichnet werden. Eine schwere Grippewelle (»Spanische Grippe«) forderte im Spätherbst 1918 und im folgenden Winter zahlreiche Opfer, darunter auch Egon Schiele und seine Frau. Nach dem Waffenstillstand wurde es nicht besser. Aus Böhmen, Mähren, Galizien wurden keine Lebensmittel mehr geliefert. Denn die neue Tschechoslowakei im Norden des neuen Staates war ein anerkannter Feindstaat, auch das im Süden am 1. Dezember
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1918 entstandene neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen unter serbischer Führung. Deutsch-Österreich bekam kaum die notwendigsten Nahrungsmittel. Bestenfalls konnte man Kompensationsgeschäfte abschließen – etwas Mehl gegen Papier, Kartoffeln gegen Petroleum. Auch die Kohle fehlte, die war aus Mährisch-Ostrau gekommen. Die frierenden Wiener gingen in den Wienerwald, fällten Bäume und trugen in Rucksäcken und Körben etwas Holz nach Hause. Aber nicht nur aus den neuen Nachbarstaaten, auch aus den Bundesländern wurde kaum mehr etwas nach Wien geliefert. Noch im November 1918 musste die Regierung bei der Entente um Lebensmittel betteln. Der Kohlenmangel betraf nicht nur die Beheizung von Wohnraum, sondern auch das Verkehrswesen : Zwischen Wien und Salzburg verkehrte im Sommer 1919 nur mehr ein Zug täglich, und der hielt in allen Stationen. Die Wiener Stadtbahn wurde stillgelegt. Einigermaßen über die Runden kam nur, wer mit dem Rucksack auf das Land zog und ein wenig Schmuck oder ein besseres Kleidungsstück gegen ein Stück Speck, Fleisch oder ein paar Kartoffeln eintauschen konnte. Da infolge dieses »Rucksackverkehrs« – der inoffizielle Begriff hieß »Hamstern«, es gab sogar einen »Hamsterermarsch« – die Märkte noch mehr ausgetrocknet wurden, hat man ihn im August 1919 in Niederösterreich verboten. Später wurde diese Regelung wieder gelockert, sonst wären noch mehr Menschen verhungert. Die offizielle Aufbringung an Getreide oder Schlachtvieh sank fast bis Null. Endlich, im Jänner, sagten die »Feindstaaten« Lieferungen zu, erste Lebensmittel kamen noch im selben Monat. Im April 1919 wurde die Quote von Kochmehl von 250 auf 500 Gramm (pro Person und Woche !) erhöht, ebenfalls im April konnte erstmals amerikanisches Schweinefleisch im Gewicht von 125 Gramm bis 250 Gramm (pro Person und Woche) ausgegeben werden. 9.1.3 Der neue Staat
Der neue Staat Deutsch-Österreich war der einzige Nachfolgestaat der Habsburgermonarchie, dessen Gründung nicht von freudiger Begeisterung, sondern von einer Atmosphäre tiefer Depression begleitet war. Den Beschluss zur Staatsgründung fasste die am 21. Oktober 1918 gebildete provisorische Nationalversammlung, bestehend aus den »deutschen« Abgeordneten des 1911 gewählten Abgeordnetenhauses am 30. Oktober 1918. Die offizielle Ausrufung der Republik erfolgte ebenso wie die Erklärung, dass der neue Staat ein Teil der Deutschen Republik sei, am 12. November. Die »Regierungs- und Vollzugsgewalt« übertrug diese Versammlung im Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt einem Vollzugsausschuss, der den Namen Staatsrat erhielt. Dieser richtete eine Kanzlei ein, als deren Chef Karl Renner fungierte. Der Staatsrat führte die Geschäfte über Beauftragte, Staatssekretäre genannt, die die Staatsregierung bildeten.
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Inzwischen hatte sich auch in den Kronländern einiges geändert. Die kaiserlichen Statthalter traten ab. Provisorische Landesversammlungen, meist aus den gewählten Landtagsmandataren, ergänzt durch Reichsratsabgeordnete (so in Tirol, 26. Oktober) und Vertreter der Arbeiterschaft, übernahmen neben der bisherigen autonomen auch die staatlichen Landesverwaltungen. Analoge Vorgänge geschahen in Kärnten am 26. Oktober, für »Deutschböhmen« (ein neues Land !) am 29. Oktober, für »Sudetenland« (das deutschsprachige Schlesien und Nordmähren) am 30. Oktober, für Vorarlberg am 3. November, für Südtirol am 4. November, Niederösterreich am 5. November, Steiermark am 6. November, Salzburg am 7. November, Kärnten (nochmals) am 11. November, Oberösterreich am 18. November. In diesen Erklärungen bezeichneten sich die Länder durchwegs als »eigenberechtigte Provinzen des Staates Deutschösterreich« und erklärten unter Berufung auf das (von Wilson proklamierte) Selbstbestimmungsrecht der Völker den Beitritt zu diesem Staat. Nur von Niederösterreich und Tirol liegt keine solche Deklaration vor. Diese Erklärungen gehen weitgehend auf Karl Renner zurück. Es wollte damit jene deutschsprachigen Siedlungsgebiete kennzeichnen, die nach dem Wilson’schen Selbstbestimmungsrecht diesem Staat der Deutschen Österreichs beitraten. Die Renner-Regierungen
Der neue Staat erhielt durch die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung am 16. Februar 1919 erstmals einen gewählten Vertretungskörper. Die Sozialdemokraten erhielten eine relative Mehrheit von 72 Mandaten, gefolgt von den Christlichsozialen mit 69. Die 1911 noch so dominanten Deutschnationalen fielen mit 26 Abgeordneten auf den dritten Platz zurück. Das Regierungssystem bekam nun ein traditionelleres Aussehen : Aus dem Parlament wurde eine Regierung gewählt, die jenem verantwortlich war. Bundeskanzler wurde der Sozialdemokrat Karl Renner, Vizekanzler der christlichsoziale Vorarlberger Bauer Jodok Fink. Es handelte sich also um eine Koalitionsregierung von Sozialdemokraten und Christlichsozialen. Die Regierung hatte höchst undankbare Aufgaben – Abschluss des Friedensvertrages, Ausarbeitung einer neuen Verfassung, Abwehr der drohenden sozialen Revolution. Und da war noch der Kaiser. Er hatte zwar auf seinen »Anteil an den Staatsgeschäften« verzichtet, aber nicht abgedankt. Er lebte über den Winter im kaiserlichen Jagdschloss Eckartsau, östlich der Hauptstadt. Da seine Anwesenheit eine Verlegenheit bedeutete, reiste er am 24. März mit einer britischen Offiziersbedeckung in die Schweiz aus. Von der letzten österreichischen Station, Feldkirch, aus widerrief er die Verzichtserklärung vom 11. November. Daraufhin verabschiedete das österreichische Parlament die Ge-
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setze über die Landesverweisung der Habsburger und die Abschaffung des Adels. Karl versuchte 1921 zweimal, wenigstens in Ungarn nochmals an die Herrschaft zu kommen. Nach dem zweiten Versuch wurde er von den Alliierten nach Madeira verbannt, wo er am 1. April 1922 starb. Inzwischen ging die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten weiter. Heimkehrer von der Front und aus der Kriegsgefangenschaft vermehrten die Zahl der Arbeitslosen. Viele Fabriken konnten wegen Kohlenmangels nicht arbeiten. Das Beispiel der russischen Revolution wirkte anfeuernd auf die aufgebrachten Massen. Im März und April 1919 wurden in Ungarn und in Bayern Räterepubliken ausgerufen. Diesem Beispiel wollten kommunistische Revolutionäre folgen. Am Gründonnerstag (17. April 1919) scheiterte ein Putschversuch, hinter dem man nicht nur österreichische Kommunisten, sondern auch ungarische Emissäre vermutete, am Widerstand der Polizei. Ein zweiter Versuch erfolgte am 15. Juni 1919. Wieder wurde er von der Polizei niedergeschlagen. 20 Tote und zahlreiche verletzte Demonstranten waren die Folge. Danach ebbte die revolutionäre Welle ab. Die bayerische Räterepublik war bereits gescheitert, die ungarische endete am 4. August. Zu den wichtigsten langfristigen Ergebnissen der Politik des jungen Staates zählte eine breite Sozialgesetzgebung. Sozialgesetzgebung 1918–1920
Schon in den letzten Kriegsjahren war es notwendig geworden, zur Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft den Arbeitern Zugeständnisse zu machen. Dazu gehören der Mieterschutz ( Jänner 1917) und die Beschwerdekommissionen (März 1917). Gleich nach der faktischen Machtübernahme durch die provisorische Regierung begann Ferdinand Hanusch seine Arbeit als Staatssekretär für soziale Verwaltung. Den Unternehmern wurden zahlreiche materielle und institutionelle Besserstellungen der Arbeiterschaft abgerungen – immer mit dem nicht misszuverstehenden Hinweis auf die Räterepublik in Russland, später auch in Ungarn und Bayern, und auf allfällige revolutionäre Ausbrüche, würde man die äußerst bewegte Arbeiterschaft reizen. Erstmals wurde eine Arbeitslosenunterstützung im Dezember 1918 als Übergangslösung für die Demobilisierungsphase eingeführt. Sie wurde 1920 zu einer richtigen Arbeitslosenversicherung ausgestaltet. Im Dezember 1918 wurde neben einer Neuregelung der Heim- und Kinderarbeit auch der Achtstundentag als Normalarbeitstag eingeführt, vorerst nur provisorisch, ein Jahr später als Definitivum. Nach der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung verstärkte sich die gesellschaftsverändernde Komponente der Gesetzgebung. Zur Beseitigung der Heimkehrerarbeitslosigkeit wurde für Betriebe ab einer gewissen Größe der Einstellungszwang festgesetzt. Ein Sozialisierungsgesetz wurde verabschiedet, auch einige Gesetze gegen den Großgrundbe-
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Karte 9: Die Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie.
sitz (Schlössergesetz, Luftkeuschengesetz, Wiederbesiedlungsgesetz – sie blieben alle recht wirkungslos). Diese Welle ebbte aber seit dem Sommer 1919 wieder ab. Für die Zukunft wichtiger wurde der Urlaubsanspruch auch für Arbeiter (zunächst eine Woche). Mit der Einrichtung der Einigungsämter, die aus den Beschwerdekommissionen hervorgingen (Dezember 1918), und der gleichzeitigen Verknüpfung dieser Ämter mit den Kollektivvertragsbestimmungen konnte eine breitere Geltung der Kollektivverträge erreicht werden. In das Jahr 1920 fällt eine Reihe von Berufsgesetzen, die die arbeitsrechtliche Situation bestimmter Gruppen, etwa der Hausgehilfen, verbessern sollten – damit wurden endlich die total veralteten Dienstbotenordnungen (aus dem Jahre 1810) ersetzt. Durch die Errichtung von Arbeiterkammern erhielten alle Arbeitnehmer in Gewerbe und Industrie eine öffentlich-rechtliche Interessenvertretung mit Befugnissen, die weitgehend analog zu jenen der Handelskammern gestaltet wurden (zum Beispiel ein Begutachtungsrecht). Innerhalb des Bereiches der Sozialversicherung kam es neben einer langsamen Ausdehnung des Bereiches der Versicherten vor allem zu einer Neuregelung der Kran-
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kenversicherung der Staatsbediensteten. Zusätzlich in die Krankenversicherung ebenso wie in die Unfallversicherung einbezogen wurden die Landarbeiter (1921). Damit war aber der sozialreformerische Schwung erlahmt. War die Sozialgesetzgebung von 1918/20 nur vor dem Hintergrund einer weitgehenden Veränderung der gesellschaftlichen Gewichte möglich – Machtverlust der Bürokratie und der Unternehmer, Machtgewinn der Arbeiterschaft als Partei und als Rätebewegung – so konnten diese Karten nach dem Wahlsieg der Christlichsozialen 1920 und der Etablierung bürgerlicher Regierungen nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg ausgespielt werden. 9.1.4 Grenzfragen
Am Beginn der Republik waren zahlreiche Grenzfragen offen. Nur die Grenze zu Deutschland blieb unverändert, hätte aber nach dem Wunsch der österreichischen Politik eine Grenze innerhalb eines gemeinsamen Staates werden sollen. – Im äußersten Westen betrieb Vorarlberg den Anschluss an die Schweiz, was in einer Volksabstimmung am 11. Mai 1919 von einer Mehrheit von 80 % der abgegebenen Stimmen bestätigt wurde. Da sich das Deutsche Reich, die Schweiz und die österreichische Regierung ebenso wie die Alliierten gegen diesen Sonderweg aussprachen, wurde er nicht realisiert. Die Vorbehalte der zumeist konservativen Vorarlberger gegen die »rote« Wiener Regierung blieben aber bestehen. Erst die »bürgerlichen« Regierungen ab 1920 akzeptierte man im »Ländle« einigermaßen. – Tirol hatte ein besonderes Problem. Italien hatte sich ja im Vertrag von London (1915) die Brennergrenze zusichern lassen. Nach dem Waffenstillstand vom 3. bzw. 4. November wurden daher das Trentino und das deutschsprachige Südtirol von italienischen Truppen besetzt. In Innsbruck reagierte man mit einem originellen Vorschlag : Es könnte ja ganz (Deutsch-) Tirol von Österreich unabhängig und ein neutraler Staat werden. So könnte man den italienischen Sicherheitsbedenken entsprechen. Sollte das nicht möglich sein, würde sich Nordtirol an Bayern anschließen. In Wien war man über diese Initiativen sehr unfroh. Allerdings wichen die Italiener nicht mehr von der Brennergrenze. Sie war dann auch eine der Bedingungen des Friedensvertrages. Ab dem Spätsommer 1919 wurden in Innsbruck die Tendenzen eines Anschlusses Nordtirols an Deutschland sehr kräftig. Nach dem Scheitern der politischen Anschluss-Tendenzen wurden noch 1920 Verhandlungen zwischen der Landesregierung und deutschen Wirtschaftsvertretern über eine stärkere ökonomische Verbindung geführt. Ergebnis war eine Tiroler Bank unter starkem deutschem Einfluss. – Ebenfalls offen war die Kärntner Frage. Neben Deutschösterreich beanspruchte auch der neue Staat der Südslawen einen erheblichen Teil Kärntens. Am 11. No-
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vember fasste der Kärntner Landtag den Beschluss, dass das geschlossene deutschsprachige Gebiet und jene Teil des gemischtsprachigen Gebietes, die sich auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes ihrer Bewohner diesem Land anschließen wollten, das Land Kärnten des Staates Deutsch-Österreich bilden sollten. Damit sollte die Zukunft des südlichen Landesteiles offen gehalten werden. Die Laibacher Regierung ernannte Ende Oktober einen Generalkommissär für das »slowenische Kärnten«, den Domvikar Franz Smodej. Anfang November besetzten slowenische Truppen Regionen südlich der Drau (mit Ferlach, Bleiburg, Rosenbach), im Dezember auch Lavamünd, St. Paul, Tainach und Arnoldstein. Nun fasste man in Klagenfurt den Beschluss, militärischen Widerstand zu leisten. Im Gegenangriff wurden mehrere Städte zurückerobert. Am 14. Jänner 1919 trat ein Waffenstillstand in Kraft. Im Anschluss daran bereiste eine amerikanische Kommission unter Oberstleutnant Sherman Miles, in Begleitung je eines slowenischen und eines deutschkärntner Vertreters, die umstrittenen Gebiete. Dabei kam die Kommission mehrheitlich zum Schluss, die Bevölkerung würde eher die Landeseinheit und den Verbleib bei Österreich wünschen. Inoffizielle Abstimmungen unterstrichen diese Vermutung. Wenn der Friedensvertrag gerade hier schließlich eine Volksabstimmung zuließ (nicht aber in Südtirol oder in den deutschsprachigen Gebieten Böhmens und Mährens), dann ist das wohl weniger den militärischen Ereignissen, auch nicht den gründlichen Untersuchungen der Miles-Kommission zuzuschreiben, sondern vor allem der Haltung des amerikanischen Präsidenten Wilson, der die Volksabstimmung im strittigen Gebiet durchsetzte. Die Italiener drängten darauf, dass das Königreich SHS nicht die Bahnverbindung von Tarvis nach Villach und weiter nach Wien in die Hand bekam. Die Kämpfe hatten, nach einigem Hin und Her (südslawische Offensive, Gegenoffensive der Kärntner, schließlich Offensive der Jugoslawen mit der Einnahme von Klagenfurt) im Juni 1919 mit einer Niederlage der Kärntner geendet. In der zweiten Version des Friedensvertrages war endgültig eine Volksabstimmung vorgesehen. Das fragliche Gebiet wurde in zwei Zonen geteilt. Sollte in der von südslawischen Truppen besetzten Zone A die Mehrheit für das Königreich SHS stimmen, würde anschließend auch in der Zone B (mit Klagenfurt) abgestimmt werden. Die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 ergab in der Zone A das Ergebnis von etwa 22.000 Stimmen für Österreich und etwas mehr als 15.000 für das Königreich SHS. Damit stand die Südgrenze Kärntens fest. Die Gemeinde Seeland war von Kärnten schon 1918 an Slowenien abgetreten worden. Das Mießtal wurde ohne Abstimmung an das südslawische Königreich abgetreten. Tarvis holten sich die Italiener. – Strittig war auch die Südgrenze der Steiermark. Österreich hatte Anspruch auf Marburg, Pettau und das Abstaller Becken südlich der Mur erhoben. Die Slowenen hingegen wollten die Grenze an der Sprachgrenze, die mehrheitlich deutschsprachigen
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Städte Marburg und Pettau sollten daher in Slowenien bzw. im SHS-Staat liegen. In Marburg kommandierte ein tüchtiger Offizier, der Major (und spätere General) Rudolf Maister, die dortigen Ersatzeinheiten der alten Armee. Ende Oktober und Anfang November 1918 schickte er die deutschsprachigen Mannschaften einfach nach Hause und verfügte daher als erster über eine rein slowenische Militäreinheit. Damit sicherte er Marburg für die Slowenen, und die Linie Spielfeld-Radkersburg, also die Murgrenze. Als während der Anwesenheit der schon genannten Miles-Kommission in Marburg am 27. Jänner 1919 eine Demonstration deutscher Marburger durch slowenische Kräfte gewaltsam aufgelöst wurde, gab es eine Reihe von Todesopfern. Eine militärische Auseinandersetzung entspann sich um Radkersburg. Diese Stadt wurde schließlich Österreich zugesprochen. – Ein besonderes Problem war das Verhältnis zur Tschechoslowakei. Deutschösterreich beanspruchte ja die beiden im Herbst 1918 neu konstituierten Länder Deutschböhmen und Sudetenland, dazu einen Teil des Böhmerwaldes und das Gebiet von Znaim in Südmähren. Diese Forderungen wurden von den Tschechen niemals anerkannt. Tschechisches Militär besetzte die überwiegend von Deutschen besiedelten Gebiete, die ja auch räumlich mit den österreichischen Ländern meist in keinem Zusammenhang standen. In Paris brachten die Vertreter der Tschechoslowakei historische und strategische Argumente der möglichen militärischen Verteidigung vor, die eben nur an den Randgebirgen der »böhmischen Schüssel« möglich sei. England, Frankreich und Italien anerkannten schon im Dezember 1918 bzw. Jänner 1919 den Standpunkt der tschechoslowakischen Regierung. Am 4. März 1919 kam es in den »sudetendeutschen« Gebieten zu einem Generalstreik und Protestversammlungen. Das tschechische Militär schoss in die demonstrierende Menge, es gab mehr als 50 Tote. Die Grenze zwischen der neuen Tschechoslowakei und Österreich war und blieb die historische Grenze zwischen Österreich und Ungarn (gegen die Slowakei) und gegen Böhmen und Mähren, freilich mit einigen Änderungen zuungunsten Niederösterreichs im Bereich von Gmünd (Bahnhof ) und von Feldsberg (heute : Valtice). – Aber eine gewichtige Veränderung der historischen Grenzen zugunsten Österreichs gab es doch : Das damals so genannte Deutsch-Westungarn. Die Friedensverträge von St. Germain und Trianon sprachen dieses Gebiet Österreich zu. Dieser Landgewinn war nicht nur eine Folge der nationalen Argumentation, da in diesem Gebiet die deutschsprachige Bevölkerung klar überwog. Man argumentierte auch, dass dieses weitgehend agrarische Gebiet die Ernährungsprobleme Österreichs erleichtern würde. Als aber 1921 österreichische Gendarmerie einrückte, stieß sie auf heftigen militärischen Widerstand ungarischer Freischärler. Unter italienischer Vermittlung wurde der ungarischen Forderung nach einer Volksabstimmung in Ödenburg (Sopron) entsprochen (Protokoll von Venedig, 13. Oktober 1921). Sie ging programm-
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gemäß zugunsten Ungarns aus. Das übrige Gebiet bildet als »Burgenland« seit 1922 das jüngste Bundesland Österreichs. 9.1.5 Der Vertrag von St. Germain
Damit haben wir schon mehrere wichtige Einzelheiten des Friedensvertrages besprochen. Anfang Mai 1919 wurde die österreichische Regierung eingeladen, eine Vertretung nach St. Germain-en-Laye zu entsenden, um dort den Entwurf eines Friedensvertrages entgegenzunehmen. Die österreichische Delegation stand unter der Führung des Staatskanzlers Dr. Karl Renner, den neben Politikern der beiden anderen Parteien bedeutende Fachleute wie der frühere Justizminister Dr. Franz Klein, der Pazifist und frühere Ministerpräsident Heinrich Lammasch und der frühere Gouverneur des Sudans (in englischen Diensten) General Slatin-Pascha begleiteten. Die österreichische Delegation wurde in strenger Abgeschlossenheit interniert. Erst am 2. Juni wurde der erste Teil der Friedensbedingungen überreicht, im Juli folgte der zweite. Österreich vertrat die Rechtsauffassung, dass es sich um einen »Staatsvertrag« handle, da sowohl die österreichisch-ungarische Monarchie wie auch Zisleithanien durch Dismembration als Völkerrechtssubjekte untergegangen seien. Die Republik Deutschösterreich sei daher eine Neubildung, die sich am 12. November mit keiner Macht im Kriegszustand befunden hätte. Dagegen betonten die alliierten Mächte, Österreich (mit diesem Namen !) sei der Rechtsnachfolger Zisleithaniens, das ja seit 1915 den Namen »Österreich« trug. Es sei daher für den Kriegsausbruch mitverantwortlich und habe Reparationen zu zahlen und auf die an Italien, Jugoslawien und die Tschechoslowakei abgetretenen Gebiete zu verzichten. Dennoch wurde der Vertrag in Österreich immer nur als »Staatsvertrag« bezeichnet. Er wurde am 10. September unter Protest angenommen. Die territorialen Bestimmungen wurden bereits vorgestellt. Die für den Außenminister Otto Bauer so wichtige Frage des Anschlusses an Deutschland wurde negativ entschieden. Das war bei klarer Sicht der Dinge vorauszusehen, denn bei einem Anschluss auch des verkleinerten Rest-Österreich wäre Deutschland dennoch als Sieger ausgestiegen, denn die Verluste von Elsaß-Lothringen und von Posen-Westpreußen wären durch Österreich jedenfalls mehr als kompensiert worden. Das konnte Frankreich, dem es vor allem um eine nachhaltige Schwächung des gefährlichen Nachbarn ging, niemals akzeptieren. Otto Bauers forcierte Anschlusspolitik hatte die Lage für Österreich daher keineswegs verbessert. Bauer demissionierte im Sommer 1919. Österreich musste seine eigene staatliche Selbstständigkeit anerkennen. Der Artikel 88 des Vertrages von St. Germain entspricht übrigens wörtlich dem Artikel 73 des Friedensvertrages von Trianon mit Ungarn. In Verbindung mit mehreren Artikeln des Vertrages von Versailles sollten diese Bestimmungen der Sicherung der Ordnung der Pariser
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Verträge dienen. Allerdings konnte der Völkerbund, diese in allen Friedensverträgen verankerte Neugründung, einstimmig den »Anschluss« an Deutschland genehmigen. Übrigens wurden nicht nur Österreich, sondern auch die Tschechoslowakei und andere Nachfolgestaaten zur Einhaltung einer Minderheitenschutzgesetzgebung verpflichtet, Italien nicht. Im überaus umfangreichen Friedensvertrag (381 Artikel, 250 Seiten im österreichischen Bundesgesetzblatt) waren aber nicht nur das Völkerbundstatut enthalten und die Grenzziehungen beschrieben, sondern auch in mehreren umfangreichen Teilen die Frage der Wiedergutmachung (Reparationen) sowie der Regelung der finanziellen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges. Interessanterweise ist auch das Statut der neu geschaffenen Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein Teil der Friedensverträge. Von den wirtschaftlichen Bestimmungen können hier nur einige Erwähnung finden. So mussten sich die Tschechoslowakei und Polen auf 15 Jahre zur ungehinderten Lieferung von Kohle an Österreich verpflichten. Dagegen wurden alle Vermögenswerte, die außerhalb des neuen österreichischen Staatsgebietes lagen und der »ehemaligen oder gegenwärtigen« österreichischen Regierung gehörten, alle Krongüter und das Privatvermögen der früheren kaiserlichen Familie den Staaten zugesprochen, in denen sie lagen. Da Österreich zu Reparationen verpflichtet war, haftete »der gesamte Besitz und alle Einnahmequellen Österreichs an erster Stelle für die Bezahlung der Kosten der Wiedergutmachung«, wobei allerdings der Versorgung Österreichs mit Lebensmitteln und Rohstoffen ein Vorrang eingeräumt wurde (tatsächlich hat Österreich keine Reparationen gezahlt). Dafür mussten die Nachfolgestaaten ebenfalls Teile der altösterreichischen Staatsschuld übernehmen. Dass die stark reduzierten Hilfsmittel des neuen Staates nicht ausreichen würden, um die »volle Wiedergutmachung … sicherzustellen«, war den Konstrukteuren des Vertrages bewusst. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Problemlagen wurde daher in den Pariser Vororteverträgen der Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich das Recht eingeräumt, bis 1925 sich gegenseitige Vergünstigungen einzuräumen, die nicht unter die Meistbegünstigungsklausel fielen. Diese Möglichkeiten wurden bedauerlicherweise nicht genützt. Die Unterzeichnung des Friedensvertrages änderte nichts an der wirtschaftlichen Not im Land. Im Dezember 1919 appellierte Kanzler Renner in Paris an die Ententemächte, er brauche dringend »Brot und Kredit«, denn in drei Wochen würde Wien ohne Brot und Mehl sein. Österreich habe sich in das System von St. Germain gefügt. Aber die schwere Krise könne die Regierung zwingen, zurückzutreten und die Macht im Land der Entente zu übertragen. Frankreich und Großbritannien waren aber selbst in einer schwierigen Lage. Dagegen gewährten die USA im März 1920 einen Kredit, dem noch weitere folgten (Relief Credits). Als Pfand waren die Valutaeingänge aus Österreichs Holzexporten und andere Werte bestimmt.
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485 9.1.6 Der Weg zur Bundesverfassung
Die Koalitionsregierung Renner hatte nicht nur den Friedensvertrag, die revolutionären Strömungen im Land und die separatistischen Strömungen einzelner Länder (Tirol, Vorarlberg) zu bewältigen. Eine ihrer zentralen Aufgaben war die Erarbeitung einer neuen Verfassung. Schon während des Sommers 1919 erarbeitete der bedeutende Rechtsgelehrte Hans Kelsen im Auftrag Renners mehrere Entwürfe. Im Oktober 1919 wurde die Regierung Renner neu gebildet. Dabei übernahm der Tiroler Christlichsoziale Dr. Michael Mayr das Amt eines Staatssekretärs mit der besonderen Aufgabe der Mitarbeit an der Verfassungsreform. Mayr führte dann Gespräche mit den Ländern (Wiener, Salzburger und Linzer Länderkonferenzen, Jänner, Februar und April 1920). Es galt, die starken Selbstständigkeitswünsche der Länder mit einer doch nicht ganz machtlosen Stellung von Zentralparlament und Bundesregierung zu vereinen. Das Kunststück, diese gegensätzlichen Forderungen, die auch durch die Positionen der Parteien verstärkt wurden (Christlichsoziale föderalistisch, Sozialdemokraten zentralistisch), in ein letztlich stringent wirkendes Ganzes zu verpacken, gelang Hans Kelsen. Die Regierung zerbrach am 11. Juni 1920 an der strittigen Frage der Zuständigkeit für einen Erlass über den Wirkungskreis der Soldatenräte – der Staatssekretär für das Heerwesen oder die ganze Staatsregierung ? Welche Partei am Zerbrechen der Koalition die hauptsächliche Verantwortung trägt, ist bis heute strittig. Tatsächlich begegneten sich die beiden Parteien stets mit Misstrauen, die Sozialdemokraten argwöhnten, dass die Christlichsozialen zurück zur Monarchie wollten, die Christlichsozialen befürchteten angesichts der von Otto Bauer immer wieder betonten Befähigung des Proletariats für neue Klassenkämpfe hinter der parlamentarischen Maske der Sozialdemokraten die Vorbereitung einer bolschewistischen Revolution. Man vertraute einander immer weniger, und als die beiden Abgeordneten Karl Leuthner (Sozialdemokrat) und Leopold Kunschak (christlichsozial), beide nicht durch besondere Zurückhaltung bekannt, in einem heftigen Wortwechsel das Ende der Koalition beschworen, zeigte ein ebenso spontaner wie kräftiger Applaus auf der Rechten wie der Linken des Hauses, dass beide Redner die Abneigungen ihrer Klubkollegen perfekt ausgedrückt hatten. Schließlich einigte man sich auf eine Proporzregierung unter dem Vorsitz Mayrs, Renner wurde Außenminister. Neuwahlen wurden ausgeschrieben. Doch sollte auch die Verfassung noch beschlossen werden. Tatsächlich einigte man sich in einem Unterausschuss des Verfassungsausschusses (Vorsitz : Otto Bauer, sein Stellvertreter : Ignaz Seipel) über viele Inhalte, die Frage der Grundrechte, Schul- und Erziehungswesen blieben aber offen. Man übernahm einfach den Grundrechtekatalog von 1867. In der so lange strittigen Frage der Abgrenzung von Bundes- und Länderkompetenzen einigte man sich auf einen Mittelweg. Ein durch Entsendung aus den Landtagen bestellter Bundesrat sollte die Interessen der Länder vertreten. Die Gesetzgebung oblag dem demokratisch
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gewählten Nationalrat. Der Bundesrat hatte dagegen nur ein aufschiebendes Veto. Der Bundespräsident sollte von der Bundesversammlung (Nationalrat plus Bundesrat) gewählt werden. Er wurde auf rein repräsentative Aufgaben beschränkt. Demokratisch waren auch die Landtage ebenso wie die Gemeindevertretung zu bestellen. Die Ebene der Bezirksverwaltung – ein wichtiges Erbe der Monarchie – verblieb allerdings in der Hand bestellter Bezirkshauptleute. Im Plenum referierte der kommende Mann der Christlichsozialen, Ignaz Seipel. Die Bundesverfassung bereitete die Trennung von Wien und Niederösterreich vor : Das Land Niederösterreich wurde in Wien und Niederösterreich-Land geteilt, mit zwei getrennten Kurien des Landtages. Die neue Landesverfassung für Niederösterreich sah vor, dass übereinstimmende Beschlüsse des Wiener Gemeinderates und des Landtages von Niederösterreich-Land zur vollständigen Trennung in zwei selbstständige Länder führen konnten. Diese Trennungsgesetze wurden nach langwierigen Verhandlungen über die Aufteilung des Landesvermögens am 29. Dezember 1921 beschlossen. Seit dem 1. Jänner 1922 ist Wien daher ein eigenes Bundesland, getrennt von Niederösterreich. Dessen Regierung amtierte aber nach wie vor in Wien (bis 1996). 9.2 »Bürgerliche« Regierungen Der Oktober 1920 war ereignisreich : Mit dem 1. Oktober wurde die Verfassung verkündet und trat am 10. November in Kraft. Am 10. Oktober erfolgte die Volksabstimmung in Kärnten und am 17. Oktober fanden die Wahlen zum ersten Nationalrat der Republik statt. Die Mehrheitsverhältnisse kehrten sich um. Die Christlichsozialen erhielten mit 42 % der Stimmen 79 Mandate. Die Sozialdemokraten mit 36 % 62, die Großdeutschen 18, als einziger »bürgerlicher Demokrat« zog der frühere Außenminister Ottokar Czernin ins Parlament ein. Zum Bundespräsidenten wurde Michael Hainisch gewählt, ein überparteilicher Gutsbesitzer, der sein steirisches Gut zu einer Musterwirtschaft ausgestaltet hatte. Er blieb bis 1928 im Amt. Michael Mayr wurde zum Bundeskanzler gewählt, sein Kabinett blieb aber nur bis Juni 1921 im Amt. Mayr wurde von Johann Schober abgelöst, dem Wiener Polizeipräsidenten, der den Großdeutschen nahestand ( Juni 1921 bis Mai 1922). Beide regierten mit Kabinetten, die von Christlichsozialen und Großdeutschen unterstützt wurden. Beide konnten das zentrale Problem der Republik, die Verelendung und den Währungsverfall, nicht lösen. Johann Schober wurde von seiner eigenen Partei gestürzt, nachdem er bei einem Treffen mit dem tschechoslowakischen Präsidenten Masaryk im Dezember 1921 die korrekte Durchführung der Friedensverträge vereinbart und dafür eine Kreditzusage in der Höhe von 599 Millionen tschechischer Kronen erhalten hatte. Die Großdeutschen sahen darin nationalen Verrat.
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487 9.2.1 Ignaz Seipel und die Genfer Sanierung
Der Verfall der Kronenwährung hatte schon im Krieg eingesetzt. Die Monarchie war wirtschaftlich und finanziell auf den Krieg nicht vorbereitet gewesen. Die enormen Mittel für die Kriegführung waren nicht vorhanden. Man bediente sich zunächst – nach Suspendierung der Banksatzungen – der österreichisch-ungarischen Bank, die gegen staatliche Schuldverschreibungen Papiergeld druckte. Damit wurden etwa zwei Fünftel der Kriegskosten gedeckt. Drei Fünftel wurden über Anleihen finanziert. Etwa 25 Milliarden Kronen erbrachten die österreichischen, etwa 18 Milliarden Kronen die ungarischen Kriegsanleihen. Das waren verzinste Schatzscheine, die später zurückgezahlt werden sollten – nach dem erhofften Sieg, mit Hilfe der Kriegsentschädigungen der Verlierer. Die Kriegswirtschaft konzentrierte sich auf militärische Ausrüstungen, Waffen und Munition. Die meisten dieser Werte dienten der Vernichtung von Menschenleben und materiellen Werten und fielen zuletzt selbst der Vernichtung anheim. Die Produktion für das Zivilleben ging stark zurück. Ganze Industriezweige mussten schließen. Die Landwirtschaft produzierte aus Mangel an Betriebsmitteln, Personal und Energie immer weniger. Am Ende des Krieges stand daher mit zwingender Logik ein gewaltiger Überhang an Geld einem ebenso gravierenden Mangel an Gütern gegenüber – der klassische Fall einer Inflation. Schon 1918 war der Lebenshaltungskostenindex mehr als zehnmal so hoch wie 1914. Die stark entwertete österreichische Währung wurde bereits im Jänner 1919 in Jugoslawien, im März 1919 in der Tschechoslowakei mittels Abstempelung durch je eine neue Währung ersetzt. Die Tschechoslowakei ließ die Hälfte der umgetauschten Banknoten auf Sperrkonten legen, was eine rasche Stabilisierung der tschechischen Krone ermöglichte. In Österreich aber ging die Inflation weiter. Man brauchte Unmengen Geld für Lebensmittelzuschüsse. Sie waren notwendig, da die mit Hilfe ausländischer Kredite angekauften Lebensmittel viel teurer waren als die heimischen (die es aber nicht gab !). Für die Endverbraucher wurden daher diese Preise künstlich niedrig gehalten. Dazu kamen Arbeitslosenunterstützung, Beamtenentlohnung und die Defizite der Bahnen. Lange getraute man sich nicht, die Defizitwirtschaft zu beenden, da man eine soziale Revolution fürchtete. Inzwischen verfiel die Währung weiter. Zwischen Juli 1920 und Juni 1921 machten die Lebensmittelsubventionen bereits mehr als die Hälfte aller Staatsausgaben aus. Eine ausgeprägte Spekulation gegen die Krone beschleunigte ihren Wertverfall. In der zweiten Jahreshälfte 1921 waren nur mehr 36 % der Staatsausgaben durch Einnahmen gedeckt. Hatten sich die Preise von 1914 bis 1921 jedes Jahr verdoppelt, stiegen sie seit dem Herbst 1921 monatlich um mehr als 50 Prozent. Kredite wurden in entwerteten Kronen zurückgezahlt, Schuldner wurden schuldenfrei, Gläubiger verarmten. Die Inhaber von Kriegsanleihen wurden völlig enteignet. Durch die Inflation konnten österreichische Waren, aber auch Kunstgüter oder Aktien österreichischer Unternehmungen durch
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ausländische Käufer zu Schleuderpreisen erworben werden. Die Inflation kurbelte wenigstens die Produktion an, die Zahl der Arbeitslosen ging 1921 und 1922 stark zurück. Inzwischen hatte die Regierung im Spätherbst 1921 die Lebensmittelzuschüsse eingestellt. Eine große Demonstration mit erheblichen Sachbeschädigungen (1. Dezember 1921) war die Folge. Dann erfolgte eine langsame Normalisierung des Preisniveaus. Die Inflation wirkte sozial ausgleichend : Während die sowieso niedrigen Arbeiterlöhne durch Indexierung wenigstens mit der Inflation mitstiegen, verloren Angestellte und Beamte stark. Höhere Beamte erhielten 1924 real um ein Drittel weniger als 1913. Am stärksten litten jene Menschen, die von »stabilen« Renten lebten, aus Kapitalerträgen oder aus Stiftungen. Die meisten Stiftungskapitalien waren in Kriegsanleihe angelegt worden und daher wertlos. Der schon im Krieg beschlossene und danach weiter verstärkte Mieterschutz enteignete praktisch die Hauseigentümer – erleichterte allerdings auch verarmten Bürgerlichen den Verbleib in relativ großen, nunmehr fast kostenlosen Wohnungen. Nicht wenige verarmte Mitglieder des Bürgertums kamen durch die Vermietung von Teilen ihrer Wohnung einigermaßen über die Runden. Verschiedene Maßnahmen wie eine geplante Vermögensabgabe waren von den schwachen Regierungen nicht oder nur so durchzusetzen, dass sie kaum einen Effekt hatten. Spätestens im Frühjahr 1922 stand die Existenz der Republik selbst zur Diskussion. Anschlusskundgebungen und -abstimmungen in Tirol und Salzburg waren Ausdruck breiter Hoffnungslosigkeit. Am 31. Mai trat Ignaz Seipel (1876–1932) an die Spitze einer Koalitionsregierung aus Christlichsozialen und Großdeutschen. Schon davor galt er als die bedeutendste Persönlichkeit seiner Partei. Diese hatte sich längst aus einer kleinbürgerliche Protestpartei zu einer »Staatspartei« gewandelt, die das mittlere und größere Bauerntum und breitere bürgerliche Schichten vertrat. Aus einer Partei der Kapläne war sie zu einer Partei der Bischöfe geworden, besonders seit 1918, als die katholische Kirche den tradtionellen Schutz durch das Haus Habsburg verlor. Aus Mangel an Alternativen unterstützte auch die Industrie die Christlichsozialen, den wichtigsten Damm gegen den »Marxismus«. – Der Priester und Professor für Moraltheologie an der Wiener Universität Ignaz Seipel war schon im letzten kaiserlichen Kabinett Lammasch Sozialminister gewesen. Er hatte in einer Artikelserie in der »Reichspost« im November 1918 den Katholiken (und seiner Partei) die Mitarbeit an und in der demokratischen Republik nahegelegt und damit versucht, die Skrupel monarchietreuer Katholiken zu beruhigen. In der Folge war er Abgeordneter und trat als Exponent der Wiener Christlichsozialen unter anderem bei der Verabschiedung der Verfassung hervor. Den Sozialdemokraten – als einer kämpferisch antikirchlichen Partei – trat er mit Misstrauen entgegen, verhandelte aber immer, wenn es nötig war, problemlos mit ihnen. Er hatte kein Verständnis für die von der Sozialdemokratie gepflogene Politik des »Zuredens«, vor allem, wenn es zu unangemeldeten Demonstrationen oder Gewalttaten (wie die Verprügelung des steirischen Landeshauptmannes
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Anton Rintelen am 8. Mai 1921 durch Arbeiter in St. Lorenzen im Mürztal) oder zu ähnlichen, die Nichtsozialisten immer wieder sehr verstörenden Vorkommnissen kam. Seipel wollte die Autorität des Staates wiederherstellen, denn nur diese Autorität konnte die öffentliche Ordnung garantieren. In der Auffassung des Regierungshandelns erscheint jene Tendenz zu autoritären Regierungsformen grundgelegt, die ab 1927 bei Seipel immer deutlicher hervortrat. Seipel versuchte zunächst, durch Stilllegung der Notenpresse, Gründung einer Notenbank und ein ausgeglichenes Budget die Inflation zum Stillstand zu bringen. Die Großbanken unter Führung des Hauses Rothschild sollten dem Staat dafür einen großen Kredit gewähren. Zwei große Wiener Banken, die Anglo- und die Länderbank, in englischem bzw. französischem Besitz, verweigerten ihre Zustimmung. Seipels Plan scheiterte. Die Inflation erreichte einen neuen Höhepunkt. Im Sommer 1922 entsprach eine Goldkrone 14.400 Papierkronen. Nun europäisierte Seipel das österreichische Problem : Er besuchte der Reihe nach Prag, Berlin und Verona. Überall machte er klar, dass Österreich in nächster Zukunft vielleicht nicht mehr existieren würde und daher in einer anderen Kombination unterkommen müsse. In Prag deutete er an, das könne die Kleine Erntente sein. Nach Berlin fuhr er nur, um den Anschlussfreunden in Österreich mitteilen zu können, dass die Deutschen für den »Anschluss« zur Zeit gar keine Möglichkeit sahen. In Verona skizzierte er die Möglichkeit einer engen Verbindung mit Italien. Alle Gesprächspartner wollten diese Erschütterung der Friedensordnung von 1918 nicht und verwiesen auf den Völkerbund. In einer eindrucksvollen Rede vor dem Völkerbund in Genf (am 6. September 1922) führte er der internationalen Gemeinschaft die Gefahren vor Augen, die aus einem Scheitern Österreichs erwachsen würden. Er schloss : »Ehe das Volk Österreichs in seiner Absperrung zugrunde geht, wird es alles tun, um die Schranken und Ketten, die es beengen und drücken, zu sprengen. Daß dies ohne Erschütterung des Friedens und ohne die Beziehung der Nachbarn Österreichs untereinander zu trüben geschehe, dafür möge der Völkerbund sorgen.« (Ladner, Seipel. S. 117 f )
Tatsächlich wurden am 4. Oktober 1922 die drei Genfer Protokolle zwischen Österreich einerseits und Vertretern der britischen, französischen, italienischen und tschechoslowakischen Regierung unterzeichnet. Österreich versprach, durch die nächsten 20 Jahre seine Unabhängigkeit nicht aufzugeben. Es erhielt einen von den vier Mächten garantierten Kredit in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen. Dafür wurden das Tabakmonopol und die Zölle verpfändet. Österreich verpflichtete sich ferner, den Staatshaushalt auszugleichen. Die Regierung sollte vom Parlament die Vollmacht erhalten, diese Maßnahmen ohne Befassung des Parlaments durchzuziehen. Sogleich begann ein scharfer Kampf der sozialdemokratischen Opposition gegen die Protokolle.
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Bei der Übertragung parlamentarischer Rechte an die Regierung hatte die Opposition die Möglichkeit einer Blockade. Man einigte sich jedoch auf die Konstruktion eines Parlamentsausschusses mit dem Titel eines »außerordentlichen Kabinettsrates«, dem man die geforderten Vollmachten übertrug. Damit blieb die Opposition eingebunden. Sie stimmte in der Folge für jene Gesetze, für die man eine Zweidrittelmehrheit benötigte, und gegen jene, für die eine einfache Mehrheit genügte. So blockierte sie die Durchführung der Genfer Protokolle nicht, zeigte aber auch, dass sie mit vielen Details nicht einverstanden war. Die Durchführung der Genfer Sanierung brachte zahlreiche Härten mit sich. Österreich stand unter der strengen Kontrolle eines Völkerbund-Kommissärs, des Niederländers Dr. Alfred R. Zimmermann, dessen Amt bis 30. Juni 1926 dauerte. Die Notenpresse wurde stillgelegt, die österreichisch-ungarische Bank stellte ihre Tätigkeit ein, mit 1. Jänner 1923 begann die Wirksamkeit der neuen Österreichischen Nationalbank. Schon seit der Genf-Reise Seipels war die Inflation zum Stillstand gekommen. 1925 wurde die neue Schilling-Währung eingeführt, dabei galten 10.000 Papierkronen = 1 Schilling. Zur Budgetsanierung wurde ein rigoroser Abbau an Beamten beschlossen. Rund 100.000 Beamte, das waren ein Drittel aller Staatsbeamten, sollten durch Frühpensionierungen oder mit geringen Abfertigungen aus dem Staatsdienst entfernt werden, bis 1926 waren es 96.000. Das verschärfte die Stabilisierungskrise, die 1923 noch schwach einsetzte und erst 1926 stärker spürbar wurde. Die wichtigste neue Steuer war eine Warenumsatzsteuer, die bald große Erlöse brachte. Die Zahl der Arbeitslosen begann wieder zu steigen. Währung und Staatsfinanzen waren saniert, die Wirtschaft jedoch nicht. Im Gegenteil : Als Folge der Währungssanierung wurden die Kreditzinsen überaus hoch gehalten. Ende der 1920er Jahre musste man in Österreich mit Kreditkosten von fast 15 % rechnen, während man in Deutschland mit 9,5 %, in der Schweiz gar mit 6,5 % auskam. Investitionen zur Modernisierung der Industrie kamen daher sehr teuer und wurden viel zu selten unternommen. Bei den Neuwahlen zum Nationalrat im Oktober 1923 erzielten Seipels Christlichsoziale zwar ihr bestes Ergebnis in der Ersten Republik (82 Mandate), während die Sozialdemokraten auf 68, die Großdeutschen auf 10 und der deutschnationale Landbund auf 5 Sitze kamen. Die absolute Mehrheit blieb Seipel allerdings verwehrt. Er bildete neuerdings eine Regierung mit den Großdeutschen. Am 1. Juni 1924 verübte der Sozialdemokrat Karl Jawurek, ein armer Teufel in einer schwierigen Notlage, ein Revolverattentat auf den Bundeskanzler. Seipel wurde schwer verletzt. Für den Diabetiker Seipel bedeutete das Attentat zweifellos eine Verkürzung der Lebenserwartung. Sofort distanzierte sich Otto Bauer von der Tat, die nicht »aus dem Geist der Arbeiterbewegung« hervorgegangen sei.
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491 9.2.2 Die »Länderregierung« Ramek
Im November 1924 trat Seipel zurück, nicht nur geschwächt durch das Attentat, sondern auch wegen zunehmender Kritik aus den eigenen Reihen, die von einigen Landesregierungen ausging. Die Regierung übernahm nun der Salzburger Abgeordnete Dr. Rudolf Ramek. In dieser Regierung fungierte ein Steirer, Dr. Jakob Ahrer, als Finanzminister. Er galt als Vertrauensmann des steirischen Landeshauptmannes Dr. Anton Rintelen, einer Persönlichkeit, die für diverse negative Entwicklungen im politischen Leben Österreichs verantwortlich war. Rintelen förderte die steirischen Heimwehren nach Kräften. Überhaupt »regierte« er »sein« Land ziemlich unbekümmert um Regierung und Parlament in Wien. Ahrer stand bald im Mittelpunkt zweifelhafter Finanzgeschäfte. Die gesamte Regierung geriet in ein schiefes Licht, als sie mehr als 60 Millionen Schilling zur Rettung der Zentralbank der deutschen Sparkassen aufwendete, ohne das Parlament zu befragen. Nur wenig später musste die staatliche Postsparkasse um 125 Millionen Schilling gerettet werden – man hatte sich dort an der europaweiten Anti-Franc-Spekulation beteiligt und verloren. Die Postsparkasse hatte überdies mit dem damals sehr bekannten Geschäftsmann Sigmund Bosel schlechte Geschäfte gemacht, für die man wiederum Finanzminister Ahrer verantwortlich machte. Die »normale« Regierungsätigkeit war auch so schwierig. Die Parteien und die Länder hatten oft genug ihre eigenen Vorstellungen, die sich nicht leicht in eine gemeinsame Politik gießen ließen. Dazu kam die starke Sozialdemokratie, die die Gesetzgebung nach wie vor stark beeinflusste : Gesetze, die gegen ihre grundlegenden Anschauungen verstießen, also etwa eine Novellierung des Mieterschutzes, kamen nie durch. Dabei scheute die so betont demokratische Partei auch vor der Obstruktion nicht zurück : Der Abgeordnete Witternigg hielt eine Rede, die 42 Stunden dauerte ; die Regierung verzichtete daraufhin auf jede Aktivität. Der langjährige Vorarlberger Landeshauptmann und kurzzeitige Bundeskanzler Otto Ender, der als untadeliger Demokrat galt, brachte die Verbitterung über diese Haltung der Sozialdemokratie 1930 auf den Punkt : »(…) Es hat der Demokratie in Oesterreich niemand mehr geschadet als die Sozialdemokratie, die die Freiheit des Entschlusses im Parlament durch den Terror der Straße zu hemmen suchte und durch Obstruktion getötet hat.« (Melichar, Otto Ender, S. 210). Nun regierte Ender in Vorarlberg durchaus mit jener Autorität, die er im Bund vermisste. Aber bis 1929 konnte die Sozialdemokratie aus der Opposition heraus in der Tat jede betont »bürgerliche« Politik verhindern oder zumindest stark verwässern. Otto Bauer wies selbst darauf hin, dass es die bürgerlichen Mehrheiten bis 1927 nicht gewagt hätten, die sozialdemokratische Obstruktion durch Fristsetzung im Nationalrat unmöglich zu machen. Erst 1930 hätte die Mehrheit der Opposition erstmals mit einer Fristsetzung gedroht.
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Immerhin geschahen 1925 einige wichtige Schritte in der Entwicklung der Verfassung. Die staatliche Verwaltung in den Ländern wurde endgültig den Ländern unterstellt, die Bezirkshauptmannschaften wurden in den Verwaltungsorganismus der Länder eingegliedert. Im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung wurde allerdings ein Weisungsrecht der Bundesregierung gegenüber den Ländern statuiert. Die Sozialversicherung wurde zur Gänze Bundeskompetenz. Gleichzeitig wurde ein neues Verwaltungsverfahrensgesetz verabschiedet, das die gesamte Verwaltung rechtsstaatlichen Prinzipien unterwarf. Die föderalistische Kritik (Ender !) hielt fest, dass gerade unter der »Länderregierung« der Zentralismus erheblich zugenommen habe. Ramek bildete sein Kabinett im Jänner 1926 um, Ahrer war nicht mehr Finanzminister. Aber die Autorität der »Länderregierung« war bereits angeschlagen. Im Oktober kehrte Ignaz Seipel als Bundeskanzler zurück. 9.2.3 Die zweite Regierungsperiode Seipels Zeit der Programme
1926 war das Jahr neuer Parteiprogramme. Im November 1926 gab sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ein neues Programm. Bis heute ist davon eigentlich nur das Problem der möglichen »Diktatur« lebendig geblieben. Zwar sprach Otto Bauer diese »Diktatur« nur als äußerstes Mittel an, falls die »Bourgeoisie« die demokratisch errungene Macht der Arbeiterklasse durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung und Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten behindern würde. Denn nach der demokratischen Eroberung der Staatsmacht würde die sozialdemokratische Mehrheit darangehen, dem »Großkapital und dem Großgrundbesitz die in ihrem Eigentum konzentrierten Produktions- und Tauschmittel zu entreißen«. Ob sich die Angesprochenen freilich ihr Eigentum so ohne weiteres würden »entreißen« lassen ? Ganz abgesehen davon, dass man auch mit einer Mehrheit von 51 % (1927 errangen die Sozialdemokraten allerdings erst 42 %) nicht so ohne Weiteres das Grundrecht auf Eigentum aushebeln konnte – dafür hätte es, rechtsstaatlich und demokratisch korrekt, schon einer Zweidrittelmehrheit bedurft ! Man war da programmatisch etwas großzügig. Wie stets in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie ging es vor allem um die Einbindung des linken Parteiflügels, dem man eine Vision anbieten musste. Jedenfalls war das sozialdemokratische Parteiprogramm, über das auch intensiv und sehr kontrovers diskutiert wurde, ein Programm, das in seinem rhetorischen Schwung die sozialdemokratischen »Massen« begeistern konnte. Es schürte aber auch eine revolutionäre Naherwartung, für die es eigentlich keine objektive Voraussetzung gab. Und es bot den
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politischen Gegnern ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit, vor der »Diktatur des Proletariats« zu warnen. Das christlichsoziale Parteiprogramm, wenig später verabschiedet, wendet sich gegen jeden »Klassenkampf« und gegen jede »Klassendiktatur«. Gegen die kirchenfeindlichen Tendenzen der Sozialdemokraten wird die Bedeutung des Christentums als Basis für das gute Zusammenleben betont. Sozialgesetzgebung und Demokratie werden bejaht, ebenso das »rechtmäßig erworbene Eigentum«. Ein eher verhaltenes Bekenntnis zum Deutschtum und eine im Vergleich zur Gründungszeit der Partei eher moderate antijüdische Formulierung, sowie eine bloß angedeutete Möglichkeit des Anschlusses an Deutschland ergänzten das kurze Programm. Es war weder ein mitreißender noch ein utopischer Text. Eigenartigerweise setzte Ignaz Seipel für die Neuwahlen im April 1927 auf eine Listenkombination, in der er alle antimarxistischen Kräfte, Christlichsoziale, Großdeutsche, den Landbund, die Reste des liberalen Bürgertums und die kleine nationalsozialistische Gruppe vereinigen wollte. Die Rechnung ging nicht auf : Die Einheitsliste erreichte zwar mit 85 Mandaten knapp die absolute Mehrheit, aber von diesen waren 12 Großdeutsche und nur mehr 74 Christlichsoziale, die so als eigentliche Wahlverlierer dastanden. Die Sozialdemokraten gewannen drei Mandate dazu. Offensichtlich hatte ihr wichtigster Wahlschlager, die Beibehaltung des Mieterschutzes, ihnen auch Stimmen aus dem nichtsozialistischen Bereich gebracht. Seipel hatte zwar die Wahlen verloren, gewann aber durch die Einbeziehung des ebenfalls gestärkten Landbundes in die Koalition die Regierungsverhandlungen. Damit verfügte er wieder über eine solide Mehrheit. Von Schattendorf zum Justizpalast
Im Jänner 1927 kam es im burgenländischen Schattendorf zu einem an sich belanglosen Zwischenfall, der aber zwei Todesopfer forderte. Zur Erklärung ist etwas weiter auszuholen. Die Erste Republik konnte niemals das staatliche Gewaltmonopol durchsetzen. Schon während des Zerfalls der Monarchie bewaffneten sich verschiedenste Gruppen, Arbeiterräte, Bauern und andere, zum Schutz von Menschen und Eigentum. Waffen gab es genug. Anstatt sie den Alliierten abzuliefern, wurden sie sogar offiziell solchen Gruppierungen, Heimatwehren oder Arbeiterwehren, übergeben. Der steirische Landeshauptmann Rintelen »organisierte« für die steirische Heimwehr sogar ein Flugzeug. Da die »Volkswehr«, die Armee der Republik, anfangs als der Sozialdemokratie ergebene Truppe galt, versuchten rechte Kreise, aus diesen bewaffneten Gruppen verlässliche antisozialistische Einheiten zu bilden. Im Mai 1920 wurde die Tiroler Heimwehr gegründet, die sich der Landesregierung als »technische Nothilfe« anbot, wenn das
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öffentliche Leben durch Verkehrsstreiks oder ähnliche Behinderungen gestört werden sollte. Analoge Organisationen entstanden in Kärnten und in der Steiermark. Sie standen mit bewaffneten Einheiten der Rechten in Bayern (Organisation EscherichOrgesch und Organisation Kanzler-Orka) in Verbindung. Die bayerischen Verbindungen brachten Geld und Waffen. Ahrer und Rintelen organisierten Geld von der Industrie. 1922 sollten alle diese Heimwehren vereinigt werden und nach dem Muster Tirols der Regierung Seipel zur Verfügung stehen. Dieses Vorhaben scheiterte an den ganz verschiedenen ideologischen Ausrichtungen der Heimwehren. Nach der Genfer Sanierung schienen die zerstrittenen Heimwehren für Seipel entbehrlich. Auch gelang es dem christlichsozialen Heeresminister Karl Vaugoin sukzessive, das Bundesheer politisch umzupolen. Nicht länger sollte es, wie die »Volkswehr« von 1918/19, als sozialdemokratische Parteiarmee gelten. Die Heimwehren verloren an Bedeutung. Als Nachfolgeorganisation der Arbeiterwehren wurde 1923 der »Republikanische Schutzbund« gegründet, der einerseits als Ordnertruppe bei den zahlreichen Demonstrationen und Streiks diente, andererseits auch als abschreckender bewaffneter Arm der Sozialdemokratie. Er wurde zunehmend militarisiert. Eine der mehreren militanten »rechten« Organisationen war die Frontkämpfervereinigung. Sie sollte im neu erworbenen Burgenland zunächst nicht aktiv werden. Aber man hielt sich nicht daran. Mehrere Ortsgruppen wurden gegründet. Als am 30. Jänner 1927 die wenigen Frontkämpfer von Schattendorf für eine Versammlung Zuzug aus Wien erwarteten, besetzten Schutzbündler den Bahnhof. Die auswärtigen Frontkämpfer zogen nach einem Geplänkel entlang der Bahnlinie ab. Nachmittags marschierten die »siegreichen« Schutzbündler in den Ort zurück. Dabei kamen sie beim Gasthaus der Frontkämpfer vorbei, beschimpften die »christlichen Hunde« und »monarchistischen Mordbuben«, dabei drangen einige Aktivisten in den Hof und in die Küche des Gasthauses ein. Aus der gegenüber dem Hof liegenden Privatwohnung der Wirtsleute fielen Schüsse auf die im Hof befindlichen Schutzbündler, doch ohne jemanden zu treffen. Drei Frontkämpfer gaben dann auch Schüsse Richtung Straße ab. Durch diese wurden ein Kriegsinvalider und ein Kind getötet. Der Prozess gegen die drei Angeklagten fand im Juli 1927 in Wien statt. Die Anklage lautete nicht auf Mord oder Totschlag, sondern auf öffentliche Gewalttätigkeit, mit Eventualfragen nach schwerer Körperverletzung bzw. fahrlässiger Körperverletzung. Nur die letzte Frage wurde von den Geschworenen mehrheitlich bejaht, aber nicht mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit. Am Abend des 14. Juli erfolgten daher drei Freisprüche. Sogleich breitete sich Unruhe in Wien aus. Der Parteivorstand der SDAP steckte in einem Dilemma. Stets hatte die Partei den Wert der Geschworenengerichte betont. Man gab daher keine Streikparole aus. Eine Delegation von Arbeitern des Städtischen Elektrizitätswerkes erhielt keine Order und verließ am späten Abend das Parteihaus, mit der festen Absicht zu streiken. Otto
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Bauer vermied ein Treffen mit der Delegation. Wohl aber heizte der Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, Friedrich Austerlitz, die Stimmung mit einem leidenschaftlichen Artikel an, in dem die Geschworenen als »eidbrüchige Gesellen« und »ehrlose Gesetzesbecher« bezeichnet wurden. Schon in den ersten Morgenstunden fassten Arbeiter in den städtischen Elektrizitätswerken den Beschluss, von 8 bis 9 Uhr den Strom abzuschalten. Das war das auslösende Signal. Von den sogleich bestreikten Betrieben strömten immer mehr Menschen gegen das Stadtzentrum. Die Polizei war nicht auf die unangemeldete Demonstration vorbereitet. Der Schutzbund war nicht als Ordnertruppe der Demonstranten mobilisiert. Man zog an der Universität vorbei zum Rathaus, dann zum Parlament. Hier kam es zum ersten Zusammenstoß mit der Polizei. Berittene Polizei wurde – erfolglos – eingesetzt, was die Erregung der Demonstranten nur steigerte. Schließlich versammelten sich die Massen am benachbarten SchmerlingPlatz, vor dem Justizpalast. Bald nach 12 Uhr kam es zur Brandlegung im Justizpalast. Etwa gleichzeitig wurde die Redaktion der christlichsozialen »Reichspost« verwüstet. Demonstranten hinderten die Feuerwehr an der Löscharbeit. Wenn es die Feuerwehr schaffte, ihre Arbeit zu beginnen, wurden die Schläuche zerschnitten. Auch die persönlichen Appelle des Bürgermeisters Seitz änderten nichts daran. Unterdessen hatten Schutzbündler Wachleute, Richter und Beamte unversehrt aus dem brennenden Justizpalast gebracht. Inzwischen hatte die Regierung, die um 10 Uhr zusammengetreten war, den Einsatz der Schusswaffe befohlen. Ab dem frühen Nachmittag wurde der Schmerlingplatz durch systematischen Gebrauch der Schusswaffe geräumt. Nun verlangten immer mehr Demonstranten von der Sozialdemokratischen Partei die Ausgabe von Waffen – sie wollten zum bewaffneten allgemeinen Aufstand übergehen. Die Partei verweigerte dieses Ansinnen. Sie verhinderte so den Bürgerkrieg. Um dennoch Entschlossenheit zu demonstrieren, rief sie einen eintägigen Generalstreik und einen unbefristeten Verkehrsstreik aus. Noch in der Nacht und am folgenden Tag kam es in einzelnen Teilen Wiens zu Ausschreitungen und Plünderungen. Dann war wieder Ruhe. Otto Bauer forderte den Rücktritt der Regierung, Seipel lehnte kühl ab. Nach dem Einsatz der Heimwehren in der Steiermark, in Tirol und Vorarlberg zur Brechung des Verkehrsstreiks musste dieser abgeblasen werden. Der blutige Tag forderte 89 Tote, davon 4 Polizisten. Etwa 120 Polizisten wurden schwer, zahlreiche leicht verletzt. Die Zahl der verletzten Demonstranten lässt sich nicht verlässlich eruieren. Sie lag irgendwo zwischen etwa 500 und mehr als 1000. In einer Sondersitzung des Nationalrates am 26. Juli 1927 gab Seipel die berühmte Erklärung ab, wonach man nichts fordern dürfe, »… was den Opfern und den Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde erscheint, aber grausam wäre gegenüber der verwundeten Republik.« Darauf eröffnete die Sozialdemokratie heftige Attacken gegen den »Prälaten ohne Milde«, die in einer großen Kirchenaustrittskampagne kulminierten. Man traf damit den Priester Seipel massiv. Aber tatsächlich war der 15. Juli
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eine schwere Niederlage für die Sozialdemokratie. Sie hatte den spontanen Ausbruch zerstörerischer Gewalt weder vorausgesehen noch beherrscht. Das Gespenst der roten Revolution war wieder lebendig geworden. Verängstigte Bürgerliche sahen die bisher als indiskutable Raufbolde geltenden Heimwehren plötzlich als wichtige Verbündete gegen die Gefahr von links. Diese erlebten jetzt einen erheblichen Auftrieb. Erstmals kam es auch zu einer einheitlichen Bundesführung unter dem Tiroler Richard Steidle. Die seit dem Herbst 1918 spürbare Einschüchterung der bürgerlichen Kreise wich ab nun einem neuen Selbstbewusstsein. Das »Recht auf die Straße« war kein Monopol der Linken mehr. Dennoch wäre es verfehlt, den 15. Juli schon als jenen Zeitpunkt zu fixieren, ab dem die Geschichte der Ersten Republik unaufhaltsam Richtung Diktatur unterwegs war. Immerhin wurden Ende Juli, zwei Wochen nach dem Justizpalastbrand, die seit 1918 ungelösten Schul-Probleme durch die einvernehmliche Verabschiedung der Schulgesetze gelöst. Die damals parallel zum Untergymnasium eingerichtete Hauptschule mit begrenzten Übertrittsmöglichkeiten ins Untergymnasium wurde von allen Seiten akzeptiert. 9.2.4 Der Aufstieg der Heimwehren und die Verfassungsreform 1929
Der 15. Juli 1927 kann als »eigentlicher Geburtstag« der Heimwehren gelten. Sie blieben aber von sehr verschiedenen, ja gegensätzlichen Ideologien beherrscht, einerseits deutschnational, andererseits eher monarchistisch-katholisch. Einig waren sie sich jedoch in der Ablehnung des Marxismus, des Parteienstaates und der Demokratie. Immer stärker orientierten sie sich an Mussolinis Italien, woher auch finanzielle Subventionen kamen. Auch Teile des Großgrundbesitzes und der Industrie leisteten finanzielle Hilfe. Die Heimwehren wurden jetzt offen von Seipel unterstützt, der offenbar meinte, sich dieser rauflustigen Milizen zur endgültigen Ausschaltung der Sozialdemokratie bedienen zu können. Aber die Linke hatte aus dem 15. Juli gelernt : Auf einem Parteitag im Herbst 1927 wurde die Partei auf strengste Disziplin eingeschworen. Man wollte sich keinesfalls zu einer offenen militärischen Konfrontation provozieren und »vor die Gewehre und Karabiner der Polizei« (Otto Bauer) locken lassen. Die Debatte zwischen Bauer und Renner über die einzuschlagende Taktik »im Kampf gegen den Faschismus« ging um die mögliche Teilnahme der Sozialdemokratie an einer Koalitionsregierung. Renner polemisierte gegen die Idee, dass man »mit 43, 47 oder 49 Prozent ohnmächtig ist und gerade mit 52 auf einmal allmächtig wird.« Das sei, so Renner, ganz falsch : Auch mit 51 % müsse die siegreiche Sozialdemokratie koalieren. Er forderte die Beteiligung an der Regierung. Seipel nahm den Sozialdemokraten die Entscheidung ab : Von seiner Seite gab es kein entsprechendes Angebot.
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Die Heimwehren organisierten immer häufiger Aufmärsche auch in Industriegebieten, den traditionellen Hochburgen der Linken. Für den 7. Oktober 1928 kündigten sie einen großen Aufmarsch in Wiener Neustadt an. Das war eine massive Herausforderung ! Der Republikanische Schutzbund kündigte für den gleichen Tag eine Gegenveranstaltung, ebenfalls in Wiener Neustadt, an. Wieder drohte der Bürgerkrieg. Seipel setzte Bundesheer, Polizei und Gendarmerie ein. Stacheldrahtrollen trennten die beiden Parteiaufmärsche. Letztlich geschah nichts. Man hatte die Muskeln spielen lassen. Verhandlungen über die innere Abrüstung, von der SDAP vorgeschlagen, verliefen ergebnislos. Die Heimwehren forderten das Ende der demokratischen Republik und des Parteienstaates. Sie bezeichneten sich als breite, elementare Volksbewegung nach dem Vorbild der italienischen Faschisten. Das Parlament wurde als »Schwatzbude« lächerlich gemacht. Immer öfter wurde vom »Marsch auf Wien« geredet. Gewalttätige Übergriffe wurden häufiger. Die verbalen Angriffe der Heimwehr galten jedoch nicht nur den »Roten«, sondern auch bürgerlichen Parlamentariern und den christlichen Gewerkschaften, deren angesehener Führer Leopold Kunschak die Gründung eigener Heimwehrgewerkschaften kritisiert hatte. Diese galten als von den Unternehmern finanziert und daher als »gelbe« Gewerkschaften. Der Aufstieg der Heimwehren schwächte Seipels »Bürgerblock«. Im April 1929 demissionierte Seipel überraschend. Schon früher hatte er über eine Verfassungsreform gesprochen, die einen starken Bundespräsidenten nach dem Vorbild der Weimarer Republik bringen sollte. Die Verfassungsreform war das zentrale Schlagwort aller »rechten« Parteien. Die nächste Regierung sollte diesen Versuch wagen. Doch war die Regierung des Industriellen Ernst Streeruwitz viel zu schwach. Am 15. Juli 1929 hielt Seipel seine berühmtberüchtigte Tübinger Rede über »Demokratie und Kritik der Demokratie« : Darin kritisierte er den damaligen Parlamentarismus als Herrschaft der Parteien. »Bei uns in Österreich«, führte Seipel weiter aus, »gibt es eine starke Volksbewegung, welche die Demokratie von der Parteienherrschaft befreien will. Die Träger dieser Volksbewegung sind die Heimwehren.« Diese Einschätzung wiederholte er mehrmals. Das bestärkte die Heimwehrführer in ihren Aktivitäten. Ihre gewalttätigen Auftritte verschärften das Klima unablässig. Streeruwitz machte im September Johann Schober Platz. Der langjährige Wiener Polizeipräsident, schon einmal Bundeskanzler, galt seit dem 15. Juli 1927 als starker Mann. Die Heimwehren begrüßten seine Kanzlerschaft. Gleich in den ersten Tagen der Regierung brach die Bodencreditanstalt zusammen. Man fusionierte sie mit der noch größeren Creditanstalt für Handel und Gewerbe in der Hoffnung, diese würde die Verbindlichkeiten der »Boden« übernehmen können. Schober erklärte sich für die Verfassungsreform, wollte sie aber nur auf legalem Weg zustande bringen. Ziel der Reform war eine Stärkung der Staatsautorität. Der wichtigste Verhandlungspartner Schobers war auf der Seite der Sozialdemokraten Robert
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Danneberg. In langen Verhandlungen einigten sich beide auf einen Mittelweg : Volkswahl des Bundespräsidenten, erweiterte Rechte wie Ernennung der Regierung und sogar ein Notverordnungsrecht, freilich unter parlamentarischer Kontrolle. Diese Dezemberverfassung 1929 wurde korrekt verabschiedet. Sie gilt im Wesentlichen bis heute. Schober erzielte auch wichtige außen-, genauer finanzpolitische Erfolge. Er erreichte die Aufhebung der im Friedensvertrag verankerten Generalpfandrechte, die Aufhebung aller Kriegsschulden und die Streichung aller Forderungen der Nachfolgestaaten. Innenpolitisch gelang ihm die Verabschiedung des »Antiterrorgesetzes« zum Schutz der Arbeits- und Versammlungsfreiheit, das sich in erster Linie gegen das zuweilen auch gewaltsam durchgesetzte Organisationsmonopol der Freien (= sozialdemokratischen) Gewerkschaften richtete. Als Schober aber das Problem der Entwaffnung der Wehrverbände anging, protestierten die Heimwehren. Auf einer Versammlung aller wichtigen Häuptlinge in Korneuburg (Mai 1930) beschworen sie erstmals gemeinsam ihre Zielsetzungen. Darin war unter anderem davon die Rede, dass die Heimwehren den »westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat« verwarfen, sie forderten eine »Selbstverwaltung der Stände« und eine »starke Staatsführung«, natürlich aus den Reihen der Heimwehren. Einige Heimwehrfüherer erklärten offen den italienischen Faschismus als ihr Vorbild, Starhemberg sprach vom »Austrofaschismus«. Den seltsamen Eid leisteten auch viele Mandatare der Christlichsozialen. Am deutlichsten gegen die Heimwehren stellte sich der Landbund, dessen Chef, der Innenminister Vinzenz Schumy, nach seinem Ausschluss aus der Heimwehr eine eigene »Bauernwehr« gründete. Der Eid änderte aber nichts an der Zerstrittenheit der diversen »Führer«. Der Tiroler Steidle wurde bald vom Oberösterreicher Ernst Rüdiger (Fürst) Starhemberg abgelöst, hinter dem wenigstens zeitweilig auch der Steirer Dr. Walter Pfrimer stand. Schließlich wurde Schober gestürzt. Eine christlichsoziale Minderheitsregierung (mit Heimwehrbeteiligung) unter dem Heeresminister Vaugoin bereitete Neuwahlen vor. Der Versuch, eine Einheitsliste von Christlichsozialen und Heimwehren zu bilden, gelang nur in Niederösterreich. Die eher deutschnational orientierte Mehrheit der Heimwehren beschloss, mit einer eigenen Liste zu kandidieren. Die Wahlen am 10. November 1930 endeten für die »unwiderstehliche Volksbewegung« der Heimatschützer blamabel, sie erhielten nur acht Mandate. Die Christlichsozialen verloren deutlich und kamen nur mehr auf 66 Mandate, während das um den gestürzten Schober versammelte Parteienbündnis (Großdeutsche und Landbund) auf 19 Mandate kam. Wahlsieger waren die Sozialdemokraten, die erstmals seit 1919 wieder stimmen- und mandatsstärkste Partei wurden (72 Mandate).
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499 9.2.5 Die letzte Phase der demokratischen Republik
Nun bildete der Vorarlberger Otto Ender eine Regierung aus Christlichsozialen, Landbündlern und Großdeutschen. Schober wurde Vizekanzler und Außenminister. Ender brachte relativ rasch eine Einigung mit den Ländern und der Opposition über eine Neufassung des finanziellen Lastenausgleichs zustande. Aber schon beherrschte die immer bedrohlicher anwachsende Wirtschaftskrise die öffentliche Aufmerksamkeit. Schober und der deutsche Außenminister Curtius vereinbarten daher im März 1931 die Vorbereitung einer Zollunion, um den wirtschaftlichen Austausch anzuregen. Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei protestierten sofort – dies verstoße gegen die Genfer Protokolle. Im Mai 1931 brach die Creditanstalt zusammen. Das Zollunionsprojekt musste begraben werden. Andernfalls hätte es keine internationalen Kredite für die Creditanstalt gegeben. Auch ein Gutachten des Haager Gerichtshofes lehnte das Projekt – mit knapper Mehrheit – ab. Als die Regierung für die insolvent gewordene Creditanstalt hohe Mittel bereitstellte und Haftungen übernahm, demissionierten einige Minister aus Protest, Ender trat im Juni 1931 ebenfalls zurück. Nur bei Gewährung erheblicher Vollmachten durch das Parlament hätte er neuerdings eine Regierungsbildung versucht. Die Sozialdemokraten lehnten dies ab. Nun trat nochmals Ignaz Seipel auf den Plan. Zur allgemeinen Überraschung schlug er eine Konzentrationsregierung vor, in der Otto Bauer Vizekanzler werden sollte. Freilich sollte die Regierung nur auf eine eng begrenzte Zeit bestellt werden. Die Sozialdemokraten befürchteten eine Falle – vielleicht wollte Seipel sie für unangenehme Maßnahmen mitverantwortlich machen und damit vor ihren eigenen Anhängern diskreditieren ? Der Parteivorstand der SDAP lehnte ab, auch der meist koalitionsfreundliche Karl Renner. Man wollte eben nicht »die Geschäfte des zusammenbrechenden Kapitalismus mit administrieren« (Otto Bauer). Eine bürgerliche Koalition zu bilden gelang Seipel ebenfalls nicht (mehr). So wurde schließlich eine Regierung unter dem niederösterreichischen Landeshauptmann Karl Buresch gebildet, aus Christlichsozialen, Landbündlern und Großdeutschen. Sie galt als »Regierung der schwachen Hand«. Die Creditanstalt-Krise und die in der Krise rasch wachsende Arbeitslosigkeit waren die drängendsten Probleme. Die Sozialdemokraten trugen die Haftungsübernahmen für die Creditanstalt mit. Angesichts der von den Beamten geforderten Gehaltskürzungen verloren hingegen die Großdeutschen immer deutlicher die Freude am Mit-Regieren. In dieser Situation erfolgte endlich der schon lange erwartete Putschversuch der Heimwehren. Der steirische Heimwehrführer Walter Pfrimer, Rechtsanwalt aus Judenburg, setzte am 13. September 1931 seine Einheiten in Bewegung und behauptete, der Heimatschutz ergreife »im Sinne seiner Grundsätze« die Macht im Staat. Sofort wurde der Schutzbund mobilisiert, die Regierung setzte das Bundesheer ein, allerdings so zögerlich, dass sich die Verantwortlichen für den Operettenputsch absetzen konnten.
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Das Unternehmen scheiterte schon nach wenigen Stunden. Der steirische Heimatschutz ging in der Folge unter neuer Führung zu den Nationalsozialisten über. Diese machten sich nun auch in Österreich immer stärker bemerkbar – durch Demonstrationen und gewalttätige Aktionen, Überfälle auf politische (meist »linke«) Gegner, Attentate auf jüdische Geschäftsleute und Institutionen. Das »nationale« Argument gewann zunehmend an Schärfe. Die Ablehnung des Schober-Curtius-Planes verstanden die Großdeutschen als nationale Beleidigung. Die in der Krise notwendigen Kredite konnten aber nur von den Westmächten kommen. Mehr oder weniger offen wurde die Entfernung Schobers aus der Regierung gefordert. Bei einer Regierungsumbildung Anfang 1932 schied Schober aus. Daraufhin zogen sich auch die Großdeutschen aus der Regierung zurück. Sie hatten sowieso schon länger Probleme, ihrer wichtigsten Klientel, der Beamtenschaft, die ständigen Gehaltskürzungen zuzumuten. Dieser Rückzug bedeutete das Ende der »bürgerlichen« Regierungskonstellationen seit 1922 ! Und damit das Ende stabiler Mehrheiten. Er bildet den eigentlichen Hintergrund für die folgende Dauerkrise mit Kabinetten ohne oder mit geringsten Mehrheiten. Dadurch wurde die autoritäre Versuchung, die schon bei Seipel so spürbar war, schließlich unter Dollfuß zur realisierten Option. Vorläufig wurde aber Bureschs Minderheitskabinett von der Opposition toleriert. Buresch versuchte im Februar 1932 – wie Seipel 1922 – eine Europäisierung des österreichischen Wirtschaftsproblems – in einem Appell an die vier Großmächte (Deutschland, Italien, Frankreich, England) erklärte er, Österreich müsse schnellstens eine Erweiterung seines Wirtschaftsraumes finden. Der französische Ministerpräsident André Tardieu reagierte mit einem Vorschlag : Die Donaustaaten, Österreich, Ungarn, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien sollten einander Vorzugszölle gewähren und so die Wirtschaft anregen. Dieser Plan stand aber quer zu Mussolinis Versuch, über seine Verbindungen mit Ungarn, in die zunehmend Österreich eingefügt wurde, eine beherrschende Rolle in Mitteleuropa einzunehmen. Auch Deutschland war dagegen, und in der »Kleinen Entente« wurde befürchtet, dass mit Wien und Budapest die zwei alten Hauptstädte der Donaumonarchie wieder zu viel an Einfluss bekämen. Der Tardieu-Plan wurde rasch zu Makulatur. In dieser bedrängten Lage brachten die Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich, Steiermark, Salzburg und Kärnten (April 1932) erstmals stärkere Gewinne der Nationalsozialisten. Die »klassischen« deutschnationalen Parteien, die Großdeutschen und der Landbund, aber auch die Heimwehren, verschwanden weitgehend aus den Landtagen, ihre Anhänger wechselten fast komplett zur Hitler-Partei. Die Christlichsozialen erlitten Verluste, die in Wien schwer ausfielen. Hier konnte sich die Sozialdemokratie gut halten, während sie in den ländlichen Bezirken ebenfalls Verluste hinnehmen musste. Neuwahlforderungen der Nazis und der Sozialdemokraten führten im Mai 1932 zum Sturz der Minderheitsregierung Buresch. Sein Nachfolger hieß Engelbert Dollfuß.
Das österreichische Wirtschaftsproblem
501 9.3 Das österreichische Wirtschaftsproblem
Österreich am Beginn der 1. Republik – ein mehrfach geteiltes Land. Den Industriezonen standen die agrarisch dominierten Landschaften gegenüber. Die großen Wirtschaftssektoren – Land- und Forstwirtschaft, Industrie und produzierendes Gewerbe, Dienstleistungen – ernährten jeweils ungefähr ein Drittel der Bevölkerung. Stadt und Industriebezirke blickten traditionell auf das »Land« herab, hatten aber im Hunger des Krieges bitter erfahren, wie notwendig die bescheidenen Erträge der österreichischen Landwirtschaft für das Überleben waren. Prekär war die Lage der Dienstleistungsregionen : Der Fremdenverkehr war seit 1914 praktisch zusammengebrochen. Die Nachfrage nach den Dienstleistungen der früheren Haupt- und Residenzstadt schien versiegt. 9.3.1 »Lebensfähig« oder nicht?
Viele hielten den neuen Staat nicht für »lebensfähig«. Aber das neue Österreich hätte eigentlich einer der begünstigten Erben der alten Monarchie sein können. Denn Österreich erbte vom alten »Zisleithanien« nur 22 % der Bevölkerung, aber 30 % des Volkseinkommens und etwa 32 % der Fabriken. Das Gebiet der Republik Österreich hatte das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Monarchie. Dieser relativ günstigen Ausgangslage standen jedoch zahlreiche Schwierigkeiten gegenüber. So war, beispielsweise, nach 1918 die traditionelle überregionale Arbeitsteilung zwischen Böhmen, Vorarlberg und Wien/Niederösterreich im Textilsektor zerstört, was die Exportchancen der Textilindustrie nachhaltig behinderte. Der Warenaustausch hatte in der Habsburgermonarchie weitestgehend den Charakter des Binnenhandels, nun war der Austausch derselben Waren – etwa die Ausfuhr von Industrieprodukten nach Ungarn, oder die Einfuhr von Mehl oder Weizen von dort – zum Außenhandel geworden, mit einem deutlichen strukturellen Einfuhrüberschuss. Die Inflation ab 1919 verschärfte die Probleme. Zwar wurde durch den Verfall der Krone der Export angeheizt, aber diese Begünstigung traf alle Industrien, besonders die strukturschwachen, sodass die Inflationskonjunktur notwendige Anpassungsprozesse unterband. Denn durch die Kriegswirtschaft hatte eine enorme Kapazitätsausweitung besonders in den Bereichen Eisen und Stahl stattgefunden, die sich als schwere Hypothek für einige Industrieregionen Niederösterreichs und der Steiermark erwiesen. Hingegen fehlte es in Österreich an gewissen Bodenschätzen, vor allem an der bis zur Dominanz des Erdöls als Energiespender unerlässlichen Steinkohle. Jedoch – worauf schon der kurzzeitige Finanzminister und später berühmt gewordene Nationalökonom Josef Schumpeter hingewiesen hatte – man musste die Kohle in Mährisch-Ostrau kaufen, egal ob sich Mährisch-Ostrau im In- oder im Aus-
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land befand. Es kam also nur darauf an, ob Österreich durch Exporte genug Devisen erwirtschaften konnte, um sich solche Käufe im Ausland leisten zu können. Im Wesentlichen war die Lebensfähigkeitsdebatte aus der Erfahrung der Jahre 1918/20 gespeist, als die wirtschaftlichen Verbindungen mit den tschechischen Gebieten faktisch unterbrochen waren. Bei Wiederherstellung »normaler« Zustände kam auch die Kohle wieder aus Mährisch-Ostrau. Als einer der Vorkämpfer der »Lebensunfähigkeit« stellte der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Stolper fest, die Deutschösterreicher hätten innerhalb der Habsburgermonarchie die Funktion der »Bourgeoisie« gespielt, sie hätten die Dienste des Bürgertums für diesen ganzen Raum geleistet, insbesondere im Dienstleistungssektor (Verwaltung, Bankenwesen, Versicherungen, Handel usw.). Diese Dienste würden nicht mehr nachgefragt, daher müsse sich die österreichische Volkswirtschaft umorientieren. Die Richtung dieser Neuorientierung könne aus nationalen Gründen nur in Deutschland liegen. Dagegen argumentierte Friedrich Hertz, ebenfalls Nationalökonom, Österreich sei ein hochindustrialisiertes Land, das keineswegs nur Dienstleistungen, sondern auch zahlreiche industriell gefertigte Waren auf dem internationalen Markt anzubieten habe. Bei einigermaßen freien Austauschverhältnissen hätte auch ein Kleinstaat durchaus Platz auf diesem Markt. Diese Argumentation setzte freilich das Funktionieren der internationalen Arbeitsteilung und offene Grenzen voraus. Nach dem Friedensvertrag begannen sich die wirtschaftlichen Beziehungen tatsächlich wieder zu normalisieren, allerdings nie mehr ganz. Das hatte einen sehr einfachen Grund : Die neuen Staaten, neben Österreich und Ungarn die Tschechoslowakei, Polen, (Groß-) Rumänien und Jugoslawien, wollten ihre jungen und – mit Ausnahme der Tschechoslowakei – oft noch wenig entwickelten Industrien fördern und errichteten Zollschranken zu deren Schutz. Dieser Zollschutz wandte sich vor allem gegen Österreich, aber auch gegen die Tschechoslowakei. Außerdem gingen alle diese Staaten daran, ihre Wirtschaft zu »nationalisieren«. Das bedeutete keine Verstaatlichung, sondern den Versuch, den Einfluss Wiens und des (deutsch-) österreichischen Unternehmertums und Großgrundbesitzes zu reduzieren. So mussten in der Tschechoslowakei die Mehrheiten der Aktieninhaber und der Organe von Aktiengesellschaften von Bürgern der Tschechoslowakei gestellt werden. Das brachte eine neuerliche Erschütterung alter Positionen. Das Bürgertum konnte sich damit besser arrangieren als der Adel, der tatsächlich erhebliche Besitzeinbußen, vor allem in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien, erlitt. Gänzlich enteignet wurde man damals noch nicht. In bürgerlichen Kreisen passte man sich der neuen Situation unter anderem dadurch an, dass ein Familienmitglied die Staatsbürgerschaft der Tschechoslowakei oder Jugoslawiens annahm. Der Außenhandel pendelte sich in den 1920er Jahren wieder einigermaßen in den alten Bahnen ein, mit den oben genannten Hindernissen.
Das österreichische Wirtschaftsproblem
503 9.3.2 Inflation und Stabilisierung
Die Inflation regte die Produktion, auch unproduktive Branchen an. Die Zahl der Kleinhändler stieg auf mehr als das Doppelte. Spekulationsgeschäfte erlaubten während der Inflation die weitere Aufblähung des Bankenapparates, der für die Republik sowieso schon zu groß war : in Wien verdoppelte sich die Zahl der Aktienbanken von 1913 bis 1924 auf 61, die Zahl der Privatbanken war sogar von 15 auf 260 emporgeschnellt. Und dies, obgleich die wichtigen Wiener Großbanken zwischen 1913 und 1925 mehr als drei Viertel ihres Eigenkapitals verloren hatten. Umso schlimmer wirkten sich die unausbleiblichen Zusammenbrüche aus. Da sie tendenziell »bürgerliche« Bankangestellte, Aktionäre usw. betrafen, vergrößerten sie neuerdings das Unzufriedenheitspotential bürgerlicher Herkunft. Durch die mit dem Genfer Abkommen von 1922 abgesicherte Währungsstabilisierung wurden die Valuta-Verhältnisse geklärt, doch die Wirtschaftssituation wurde schwieriger. Voll brach die Stabilisierungskrise aber erst 1925 aus : Die Arbeitslosenzahlen stiegen an, notwendige Investitionen waren auf Grund der sehr restriktiven Geldpolitik von Völkerbundrat, Regierung und Notenbank fast unmöglich geworden. Auch die Konjunkturperiode 1927 bis 1929 führte nicht zu einer entscheidenden Belebung der Wirtschaft. Immerhin erreichte die österreichische Wirtschaft in diesen Jahren in etwa den Stand von 1913. Innerhalb des Bruttonationalproduktes verschob sich das Gewicht von der Industrie und der Bauwirtschaft hin zur Land- und Forstwirtschaft. Besonders die Bauwirtschaft lahmte, sie erreichte auch in der besten Zeit kaum 50 % der Leistung von 1913. 9.3.3 Österreich – Bauernland
Die Landwirtschaft wurde wegen des Hungers in Krieg und Nachkriegszeit massiv gefördert. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttonationalprodukt stieg von 11,2 % 1913 auf 15 % 1934 (auch wegen des Rückgangs der Industrieproduktion). War man 1918 beim Zucker praktisch vollkommen von Einfuhren abhängig, so erhöhte sich in den 1930er Jahren die Deckung des Eigenbedarfs auf fast 100 %. Auch bei Milch und Getreide stieg die eigene Produktion stark. Gegen Ende der 1920er Jahre waren – bei etwa gleich bleibender Ackerfläche – die Erntemengen gegenüber dem Jahr 1920 um 100 % bei Weizen, um 80 % bei Roggen, um 160 % bei Gerste, bei Kartoffeln sogar um 276 % angestiegen. Diese Wachstumsraten waren zum Teil auf das Ende der Brache, überwiegend aber auf eine Steigerung der Hektarerträge zurückzuführen. Diese stiegen bei Weizen um 50 %, bei Roggen um 40 %, bei Kartoffeln um 142 % und bei Zuckerrüben um 40 %.
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Man konnte Österreich aber auch davon nicht wirklich ernähren – es blieb ein großer Importbedarf bei Brotgetreide, insbesondere bei Weizen, ebenso wie bei Schlachtvieh. Mit der Normalisierung der Ernährungssituation orientierte sich die Belieferung des Wiener Marktes wieder an den alten Mustern : 1923 wurden in Wien mehr als 190.000 Stück Schlachtvieh aufgetrieben, davon stammten nur 70.000 aus Österreich, der große Rest aus Rumänien, Jugoslawien und Ungarn. Ein Jahr später kamen aus Österreich nur 40.000 Stück, aus dem Ausland 126.000, aus Ungarn allein fast 50.000. Von über 320.000 Schweinen kamen mehr als 270.000 aus Polen. Die »polnischen Schweine« boten dem oppositionellen Landbund hervorragendes Agitationsmaterial und bescherten ihm einen schönen Wahlerfolg bei den Nationalratswahlen 1927. Man musste also etwas für die heimische Landwirtschaft tun, daher setzte mit dem Jahre 1925 ein vorerst noch bescheidener Zollschutz für die heimischen Produkte ein. Ein besonders bitter erfahrener Mangel der Nachkriegsnot lag in der Milchversorgung. Ab 1925 bemühte sich Österreich, Reste der Völkerbundanleihe von 1922 für die Errichtung von Molkereien benützen zu dürfen. In den folgenden Jahren wurden mit diesen Krediten zahlreiche genossenschaftliche Molkereien errichtet. Die Zahl der Genossenschaftsmolkereien stieg in ganz Österreich von 240 auf 510. Österreich wurde in diesen Jahren von einem Milch-Importeur zu einem Exportland für Milch und Milchprodukte. Tab. 13: Selbstversorgung Österreichs mit wichtigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Prozent 1921 bis 1933 Weizen
Roggen
Rinder
Schweine
1921
27,1
85,4
unbekannt
unbekannt
1924
32,5
73,1
unbekannt
unbekannt
1927
43,9
81,6
21,8
6,7
1930
42,0
81,6
36,9
13,3
1933
54,6
97,7
79,3
46,8
Schon in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre begannen die Preise für landwirtschaftliche Produkte nachzugeben, um ab 1930 vollends zu verfallen. 1926 und 1927 wurden drei Zolltarifnovellen verabschiedet, durch welche die Zölle auf Agrarprodukte erhöht wurden. Heftig umstritten war das sogenannte »Notopfer« für die Landwirtschaft, das im Sommer 1930 im Parlament beschlossen wurde. Für »außerordentliche Hilfsmaßnahmen zur Linderung der Not in der Landwirtschaft« sollten Bundesmittel bis zur Höhe von 96 Millionen Schilling zur Verfügung stehen. Auch das angesichts der sehr beschränkten budgetären Möglichkeiten der frühen 1930er Jahre enorme »Notopfer« konnte die Agrarkrise nicht entscheidend lindern. Unter dem Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß wurde nach deutschem Muster ein System von Abschöpfungen und
Das österreichische Wirtschaftsproblem
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Prämien entwickelt, die über Fonds eingehoben und vergeben wurden. Schon 1931 wurde auf diese Weise der Milchmarkt geregelt, dann auch der Viehverkehr. Das Angebot von ausländischem Schlachtvieh auf dem Wiener Markt ging drastisch zurück, während das inländische rasch anstieg. Der Vollständigkeit halber soll auch auf die überaus kritische Lage der Forstwirtschaft hingewiesen werden. Österreich war ein traditionelles Holz-Exportland. Doch diese Exporte brachen schon in den letzten Jahren des dritten Jahrzehnts katastrophal ein und wurden bis 1931 halbiert. Das hing auch mit dem von Stalin forcierten Holzexporten der Sowjetunion zusammen, die die so erwirtschafteten Devisen für ihre forcierte Industrialisierung benötigte. Die zunehmende Reservierung des Binnenmarktes für die eigene Landwirtschaft sicherte Absatzmöglichkeiten und Arbeitsplätze. Den Preis zahlten die Konsumenten, also primär die Städter, für die sich die Lebenshaltungskosten verteuerten – wobei die Arbeitslosen am stärksten unter diesen relativ hohen Preisen litten. Aber auch die Gebirgsbauern waren nicht gut dran, weil die Politik zugunsten der Getreidebauern die Absatzmöglichkeiten für (Schlacht-) Vieh weiter reduzierte – wird das Brot teurer, kauft man weniger Fleisch. Der von Dollfuß beschrittene Kurs wurde von seinem Nachfolger nicht weiter getragen. Schuschnigg verstand von Landwirtschaft wenig. Josef Reither, für kurze Zeit Landwirtschaftsminister, stolperte über Differenzen mit dem Bundeskanzler. Die »niederösterreichische« Agrarpolitik stieß ausgerechnet in der Regierungsdiktatur des »autoritären Ständestaates« an ihre Grenzen. 9.3.4 Die Banken und die Wirtschaft
Die seit der Währungsstabilisierung unvermeidbare Bankenkrise wurde durch die Banken selbst noch massiv verschärft. Die Manager der großen Wiener Aktienbanken konnten sich nämlich in ihrer großen Mehrzahl nicht mit dem Gedanken anfreunden, ihre Geschäfte auf das Gebiet der jungen Republik zu beschränken. Sie hatten im neuen Ausland erhebliche Vermögenswerte (gehabt), die man irgendwie retten wollte. Außerdem herrschte in diesen Kreisen die Meinung, in den Nachfolgestaaten werde man über kurz oder lang den traditionsreichen Bank- und Kapitalplatz Wien für die Finanzierung wieder verstärkt heranziehen müssen. Diese beiden Motive verknüpften sich miteinander. Man versuchte, die großen Kapitalverluste durch die Hereinnahme ausländischen (westlichen) Kapitals auszugleichen und auf dieser Basis weiterhin den alten Markt zu bedienen. Um die alten Positionen einigermaßen zu retten, wurden mit den neuen Staats- und Geldmächten vielfach Kompromisse geschlossen – Filialen wurden verkauft, Mehrheits- in Minderheitsbeteiligungen umgewandelt. Dabei hat man sehr viel von dem im Westen aufgenommenen Geld in langfristige Beteiligungen
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umgewandelt, also immobilisiert. Dagegen blieben die Investitionsbedürfnisse der österreichischen Industrie und das Interesse der Bundesländer am Ausbau der eigenen Wasserkraft unberücksichtigt. Das betraf vor allem das schon länger diskutierte Projekt großer Tauernkraftwerke, das dem Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl am Herzen lag. Seine Umsetzung begann erst unter dem Vorzeichen des Nationalsozialismus. Große Teile der österreichischen Industrie waren gleichwohl ebenfalls mit diesen Banken (Länderbank, Österreichische Creditanstalt für Handel und Gewerbe, Bodencreditanstalt, Union-Bank usw.) geschäftlich verbunden bzw. von ihnen abhängig. 9.3.5 Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise
Diese Tendenz der österreichischen Bankmanager sollte ab 1929 die Krise ungemein verschärfen. Auf Grund der enormen Überkapazitäten, nicht selten verbunden mit seltsamen Geschäften und Spekulationen, war schon vor 1929 eine Bank nach der anderen zusammen gekracht. 1929 war mit der Bodencreditanstalt eine der ganz großen Banken dran. Der Zusammenschluss dieser Bank mit der Creditanstalt für Handel und Gewerbe wurde von der Regierung mit stärkstem Druck auf Louis Rothschild, der als Großaktionär der Creditanstalt zur entscheidenden Schlüsselfigur wurde, erreicht – allerdings nicht ohne erhebliche finanzielle Zubußen des Staates an Rothschild. Aber auch die Creditanstalt stand schon längst nicht mehr so solide dar, wie es den Anschein hatte. Auch ihre Bilanzen waren schon seit Jahren geschönt. Als die Creditanstalt 1931 ihre Zahlungsunfähigkeit eingestand, musste erst recht der Staat eingreifen – ein Staat, dessen Einnahmen durch die Krise massiv gesunken waren, dessen Ausgaben durch die steigende Arbeitslosigkeit aber wuchsen. Letztlich wurde die Creditanstalt mit Hilfe eines ausländischen Kredites (»Lausanner Anleihe«, 1932) praktisch verstaatlicht, das Haus Rothschild zog sich mit deutlichen Verlusten aus der Bank zurück. Die Weltwirtschaftskrise traf Österreich besonders schwer. Infolge der starken Exportabhängigkeit wirkten sich die restriktiven Maßnahmen der diversen Handelspartner sehr negativ auf bestimmte Wirtschaftszweige in Österreich aus. So brach etwa der Export von Qualitätsmöbeln vollkommen ein, was diese Branche empfindlich traf. Bis 1932 sank die Industrieproduktion um etwa zwei Fünftel des Wertes von 1929, die Arbeitslosenrate stieg auf weit mehr als 20 %, unter Einbeziehung der versteckten Arbeitslosen sogar auf weit über 30 % ! Die Krise bedeutete einen negativen Anpassungsprozeß : Es wurden keine neuen, zukunftsträchtigen Produktionen aufgebaut, sondern veraltete und leistungsschwache starben ab. Zugleich wandelten sich die Außenhandelsbeziehungen. Da die benachbarten Agrarstaaten Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und Polen in Österreich immer weniger Agrarprodukte absetzen konnten, drosselten sie auch die Importe österrei-
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chischer Industrieprodukte. Traditionell waren das Fertigwaren (etwa Möbel, Schuhe, Luxusgüter). Ersatz fand man im gesteigerten Export von Holz, etwa nach Italien, aber auch nach Frankreich. Deutschland benötigte Stahl und Halbzeug für die Rüstungsproduktion. Mit der Westverlagerung der Exporte ging also eine gewisse Verlagerung in Richtung Grundstoffe und Halbfertigwaren einher. Die Reduktion der Löhne und Sozialleistungen seit 1931/1932 schwächte die innere Kaufkraft. Bis 1937 wurde in der Industrieproduktion – als Folge der anlaufenden internationalen Rüstungskonjunktur – das Niveau von 1929 zwar wieder erreicht, nicht aber bei Massenbeschäftigung und Massenkonsum. Das klingt alles recht unerfreulich. Freilich gelangen daneben manchen Unternehmen große Erfolge. Der Vorarlberger Textilindustrielle F. M. Hämmerle expandierte sogar. Auch Julius Meinl überstand das Kriegsende recht gut. Die Filialen im neuen Ausland wurden in selbstständige »Töchter« umgewandelt. Trotz aller Stockungen der Wirtschaft änderte sich das Alltagsleben. Das Fahrrad wurde zum Massenverkehrsmittel. Es diente nicht länger dem Zeitvertreib der Oberschichten. Das Netz an Autobuslinien wurde dichter und erleichterte die überlokale Mobilität. Das Kino, schon in der späten Monarchie als Instrument der Massenunterhaltung wirksam, veränderte das Freizeitverhalten. Wir erinnern dabei an den Achtstundentag, der erst eine tägliche Freizeit ermöglichte. Das Radio breitete sich aus. Nicht nur die roten Naturfreunde, auch die bürgerlichen Mitglieder des deutschen und österreichischen Alpenvereins oder des Österreichischen Touristenclubs wanderten an den Wochenenden in den Alpen. Schon entstanden ab etwa 1927 erste Seilbahnen, von der Raxbahn in Niederösterreich bis zum Pfänder in Vorarlberg. Der Skilauf eroberte die Jugend – nicht nur in Kitzbühel, auch im Wienerwald zogen in den damals oft sehr schneereichen Wintern die Wintersportler ihre Spuren über die Hänge. Bei der Jugend hatte sogar die Arbeitslosigkeit ihre guten Seiten : »Wir haben die Arbeitslosigkeit schon genossen auch«, sagte eine Interviewpartnerin Jahrzehnte später (natürlich im Wiener Dialekt). Man zog im Sommer in die Lobau, eine weitläufige Au-Landschaft östlich von Wien, und lebte dort, naturnah und billig, wohl auch von den Kartoffeln mancher Bauern-Äcker. Anders in reinen Industriegemeinden, vor allem solchen, wo es nur eine Sorte von Industrie gab : Dort waren alle Menschen vom Gedeihen dieser einen Fabrik abhängig. Als die Textilfabriken in Marienthal, südöstlich von Wien, in der Krise schlossen, waren hunderte Menschen erwerbslos. Anders als in der Großstadt gab es auch keine kleinen Nebenverdienste, auch nicht als Straßenmusikant. Nach wenigen Monaten war die Zahlung des Arbeitslosengeldes zu Ende, dann folgte noch eine gewisse Zeit die Notstandshilfe. Zuletzt war man »ausgesteuert« – man lebte vielleicht vom Gemüse im eigenen Garten, von kleinen Diebstählen, von der bescheidenen Hilfe politischer, kirchlicher oder privater Einrichtungen. Die Frauen hielten die Familien zusammen. Die arbeitslosen Männer saßen, standen oder gingen herum. Zuletzt
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ging’s ans Betteln, in Österreich »Fechten« genannt. »Ein Fechter hat dem nächsten die Türschnalle in die Hand gedrückt«, berichtete der Großvater des Autors über die Lage in den Dreißiger Jahren. 9.4 Kanzlerdiktatur, »autoritärer Ständestaat« oder »Austrofaschismus«? 9.4.1 Der Weg in die Diktatur
Engelbert Dollfuß (1892–1934) galt als Mann des Niederösterreichischen Bauernbundes, der stärksten Einzelorganisation der Christlichsozialen, und damit auch von dessen Führer, Josef Reither. Beide galten eher als Demokraten. Dollfuß war einer der Konstrukteure des Gesetzes über die Sozialversicherung der Landarbeiter (1928). Damit handelte sich der Sekretär der Niederösterreichischen Bauernkammer, an der er seit ihrer Gründung 1922 beschäftigt war, die ziemlich heftige Kritik jener Bauern ein, die als Arbeitgeber die Beiträge für die Sozialversicherung ihrer Knechte und Mägde zu bezahlen hatten. Als Landwirtschaftsminister schon in der Regierung Ender versuchte er die Agrarkrise durch Staatsinterventionen in Form von Marktordnungen zu bewältigen. Dieses komplizierte System von Abschöpfungen (bei Agrarimporten) und Subventionen übernahm er aus Deutschland, wo er zeitweilig auch studiert hatte. Otto Bauer achtete seine agrarpolitische Kompetenz. Dennoch »begrüßte« er die Regierung Dollfuß schon am ersten Tag im Parlament mit einem Misstrauensantrag. Damit begann die Feindschaft Dollfuß’ gegen Bauer. Sie steigerte sich, als die Sozialdemokraten die Bedingungen für die Anleihe von Lausanne in der Höhe von 300 Millionen Schilling ablehnten, mit analogen Argumenten wie 1922 und in erster Linie wegen des erneuerten Anschlussverbotes. Als in einer hitzigen Debatte der Wiener Bürgermeister sagte : »Jeder Proletarier weiß : Die Demokratie ist kein Endziel, sie ist ein Mittel, zum Ziel zu gelangen, zum Sozialismus«, antwortete Dollfuß : »Ein sehr wertvolles Bekenntnis, Herr Bürgermeister !« Am 21. Oktober 1932 kam es zum schwersten persönlichen Konflikt zwischen Dollfuß und Bauer. Bauer beschuldigte Dollfuß des wöchentlichen Gesinnungswechsels, Dollfuß schlug mit der Bezeichnung »Bolschewik« zurück, denn Bauer habe sich nie deutlich zur Demokratie bekannt. Das war historisch falsch. Aber die persönliche Abneigung, der persönliche Hass erwies sich in der Folge als unüberwindbar. Ein kluger Sektionschef, Robert Hecht, wies einen Ausweg aus der verfahrenen parlamentarischen Situation. Er riet zur Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917, das der damaligen Regierung für die Dauer des Krieges und für die Versorgung der Bevölkerung eine Gesetzgebungsvollmacht gab. Das Gesetz war nach dem Krieg nie aufgehoben worden, es wurde auch noch häufig angewendet, besonders zwischen 1918 und 1920, aber selbst zwischen 1920 und 1931
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noch etwa zweihundert Mal. Die Regierung Dollfuß setzte es nun ein, um die persönliche Haftung von Direktoren der Creditanstalt für Verluste der Bank festzulegen. Das hatte auch einen antisemitischen Anstrich und war sicher populär. Hecht kam im Mai 1938 im Konzentrationslager Dachau ums Leben. Parlamentarisch brachte Dollfuß schließlich doch die Lausanner Anleihe (300 Millionen Schilling) durch, die wieder, wie 1922, mit schweren Belastungen und einer neuerlichen Völkerbundkontrolle verbunden war. Die Anleihe bedeutete eigentlich nur den Austausch bereits bezogener kurzfristiger Kredite (vor allem aus England) gegen langfristige Schulden. Für Investitionen war sie nicht gedacht. Die Regierung verfügte eigentlich über keine parlamentarische Mehrheit, da Christlichsoziale, Landbündler und regierungstreue Heimwehrabgeordnete nur über maximal 81 (von 165) Mandaten geboten, davon waren noch zwei Heimwehrleute unsichere Kantonisten. Aber Dollfuß hatte Glück : Ein wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten beschuldiger SDAP-Abgeordneter wurde beurlaubt und verlor zuletzt sein Mandat, ein kritischer HeimwehrMann trat zurück und erhielt einen regierungsloyalen Nachfolger, ein weiterer Kritiker stimmte dann doch für die Regierung. Schließlich fand sich ein großdeutscher Wirtschaftsvertreter, der auch noch für Dollfuß stimmte. So brachte Dollfuß die Anleihe durch den Nationalrat. Aber diese Zufallsmehrheit war natürlich nicht dauerhaft. Mussolini belieferte seinen »Partner« Ungarn über Österreich mit Waffen. Österreich hätte diese Transporte nicht gestatten dürfen. Sozialdemokratische Arbeiter entdeckten solche Waffentransporte (»Hirtenberger Affäre«), die Arbeiter-Zeitung veröffentlichte sie. Die Kleine Entente, Frankreich und England reagierten empört. Die mit Mussolini eng verbundene Heimwehr steckte hinter den Lieferungen. Damit geriet auch die Regierung immer stärker unter Mussolinis Einfluss. Der Auslöser für das Ende des Parlaments wurde ein Eisenbahnerstreik. In der Parlamentsdebatte über diesen Streik am 4. März 1933 kam es zu einem Streit über die Gültigkeit eines Stimmzettels. Um der Opposition die Stimme des Präsidenten zu sichern, forderte der Parteivorstand der SDAP den Präsidenten Karl Renner auf, zurückzutreten. Der zweite Präsident, der Christlichsoziale Ramek, trat, provoziert vom Wiener Bürgermeister Seitz, ebenfalls zurück. Nun war der Großdeutsche Straffner an der Reihe, auch er demissionierte. In allgemeiner Verwirrung löste sich die Versammlung auf. Im am 7. März tagenden Klubvorstand der Christlichsozialen rief der Wiener Abgeordnete und mehrfache Minister Richard Schmitz aus : »Gott hat uns noch einmal eine Gelegenheit gegeben, das Land und die Partei zu retten.« Das bezog sich auf die deutschen Wahlen vom 5. März, die Hitler zwar noch nicht die absolute, aber doch eine große Mehrheit sicherten. »Es geht um Österreich überhaupt. Wenn uns die Naziwelle überschwemmt …« (wieder Schmitz). Bis auf weiteres wollte Dollfuß »autoritär« regieren, ohne Parlament. Man sollte das Parlament »dunsten lassen« (der frühere Bundeskanzler Buresch). Natürlich wäre die Parlamentskrise sanierbar gewesen, aber
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die Regierung meinte, sie könne der jetzt riesenhaft aufschießenden Gefahr des Nationalsozialismus nur mit einer konsequenten Handhabung der Staatsgewalt Herr werden. Als der letzte der zurückgetretenen Präsidenten des Nationalrates, Straffner, das Haus für den 15. März zu einer Sitzung einberief, erklärte dies die Regierung für unzulässig. Kriminalbeamte hinderten Abgeordnete (der Opposition, die von der Regierungsseite kamen sowieso nicht) am Betreten des Hauses. Das bedeutete die aktive Ausschaltung des Parlaments. Und wie reagierte die Sozialdemokratie ? Wollte man die parlamentarische Demokratie verteidigen, so war jetzt der richtige, notwendige und legitime Zeitpunkt. Aber der Parteivorstand rief keinen Generalstreik aus, auch der Schutzbund wurde nicht mobilisiert. Später entschuldigte Otto Bauer die Untätigkeit seiner Partei damit, er habe die »Klerikofaschisten« (wohl Christlichsoziale und Heimwehren) und die »Nationalfaschisten« (wohl die Nationalsozialisten) nicht zusammentreiben wollen. Auch am 1. Mai folgten die Sozialdemokraten dem für diesen Tag verhängten Kundgebungsverbot. Man ging würdevoll und demonstrativ – spazieren. Der Weg der Regierung Dollfuß in die Diktatur wurde durch die Zurückhaltung der SDAP nur beschleunigt. Dollfuß ging weiter schrittweise vor. Die Bedrohung von rechts war für die Regierung jedenfalls im Augenblick größer als die von links. Dollfuß verhandelte mit dem für Österreich zuständigen »Landesinspekteur« der NSDAP, Habicht, über eine Regierungsbeteiligung. In Wahrheit wollten die Nazis die Machtübernahme. Dollfuß wollte aber die Heimwehren, die für ihn eine wichtige Stütze waren, nicht fallen lassen, außerdem hatte er sich zu Ostern 1933 bei Mussolini die Zusicherung geholt, dass Italien am Donauraum nach wie vor höchst interessiert sei. Als nun aus Berlin der Naziminister Frank, der vorher mit gewaltsamer Einmischung in Österreich gedroht hatte, per Flugzeug in Wien eintraf, wurde ihm offiziell mitgeteilt, er sei hier »nicht willkommen«. Nach einer Kampagne gegen die Regierung im »Völkischen Beobachter« wurde das Naziblatt verboten, am 19. Juni – nach einem Handgranatenüberfall auf Hilfspolizisten mit einem Todesopfer und mehreren Verletzten – auch die NSDAP und ihre Gliederungen, vor allem also die stets gewaltbereite SA. Das hinderte die nunmehr illegalen Nationalsozialisten nicht an weiteren Gewalttaten. Schon am 1. Juni hatte die Reichsregierung mit der berüchtigten »Tausend-Mark-Sperre« – jeder Deutsche, der aus dem Deutschen Reich nach Österreich ausreiste, hatte 1000 Reichsmark zu bezahlen – einen sehr ernsthaften Versuch gestartet, den Fremdenverkehr vor allem in den westlichen Bundesländern Österreichs massiv zu schädigen. Schon zuvor hatte die Regierung den Republikanischen Schutzbund und die Kommunistische Partei verboten. Der Weg zur vollen Diktatur wurde durch die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes weitergegangen. Die Wiener Landesregierung focht zahlreiche Verordnungen der Bundesregierung auf der Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes an. Vier Mitglieder des Gerichtshofes, die eher der Re-
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gierung nahestanden, traten zurück oder wurden zum Rücktritt veranlasst. »Die Republik Östereich hatte von diesem Tag an (23. Mai 1933, Erg. d. Verf.) eine autoritäre Verfassung.« (Eric Vögelin) Der Bundespräsident Wilhelm Miklas missbilligte zwar das Vorgehen der Bundesregierung, entzog ihr aber doch nicht das Vertrauen. Auf die Frage eines bekannten Bankmanagers, warum er die Regierung nicht entlasse, antwortete Miklas mit der Gegenfrage, ob denn der König von Italien Mussolini entlassen könne. Die »Diktaturanfälligkeit« (Manfried Welan) grassierte in Europa, Österreich machte da keine Ausnahme. 9.4.2 Vom Trabrennplatz zum Bürgerkrieg
Für den September 1933 war ein »gesamtdeutscher« Katholikentag in Wien geplant. Er bot den Rahmen für die große programmatische Rede des Bundeskanzlers am Trabrennplatz im Wiener Prater. Das Publikum bestand aus der so genannten »Vaterländischen Front«, die Dollfuß schon im April ausgerufen hatte. Damit wollte er eine von den bisherigen Parteien, aber auch von den Heimwehren unabhängige Volksbewegung aller patriotischen Kräfte schaffen. Tatsächlich wurde daraus aber nur eine nominell große, einflusslose Massenorganisation, mit faktischer Pflichtmitgliedschaft für öffentlich Bedienstete. Mit seiner Rede setzte Dollfuß einige Versprechen um, die er im August 1933 Mussolini gegeben hatte. Für die Zusage des italienischen Schutzes versprach Dollfuß einen stärkeren Einfluss der Heimwehren, deren Ziel ein faschistischer Staat war. In der Trabrennplatzrede skizziert er seine Zielsetzungen : »Wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage unter starker, autoritärer Führung dieses Staates.« Wie das genau aussehen sollte, blieb nebulos. Als der Streit zwischen den einen »Austrofaschismus« fordernden Heimwehren und dem deutschnationalen, aber keineswegs faschistischen Landbund eskalierte, bildete Dollfuß die Regierung um. Der Einfluss der Heimwehren wurde stärker, der Landbund wurde ausgebootet, auch der Chef der Christlichsozialen, Vaugoin. Dollfuß hatte sich damit auch von »seiner« Partei getrennt. 1934 wurde auch sie offiziell aufgelöst. Der Wiener Heimwehrführer Fey wurde Vizekanzler. Im Herbst 1933 gab es geheime Verhandlungen zwischen Dollfuß und dem für Österreich zuständigen Nazichef Habicht, gleichzeitig aber ebenso geheime zwischen den (miteinander rivalisierenden) Heimwehrführern Fey bzw. Starhemberg und den Nazis. Beide glaubten, der Faschismus ließe sich mit der Hilfe »diktaturbegeisterter Nationalsozialisten« (Goldinger) leichter aufbauen als mit den früheren Christlichsozialen. Ein Weg nach links war Dollfuß durch das Versprechen an Mussolini, die »Roten« endgültig auszuschalten, wohl auch durch seinen persönlichen Widerwillen, versperrt. Gleichzeitig intensivierten die Nazis den
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Terror, allein Anfang Jänner 1934 wurden 140 Bombemexplosionen gezählt. Bis in den Februar hinein nahm die Zahl der Anschläge von nationalsozialistischer Seite noch zu. Die »Roten« wiederum beschlossen nunmehr eindeutige Grenzen, deren Überschreitung ihren gewaltsamen Widerstand auslösen würde : Die Oktroyierung einer Verfassung, die Einsetzung eines Regierungskommissärs für Wien, die Auflösung der SDAP und die Gleichschaltung der Freien Gewerkschaften. Aber gleichzeitig versuchte man doch immer wieder, mit Dollfuß ins Gespräch zu kommen. Karl Renner entwarf ein Staatsnotstandsgesetz, das der Regierung weitreichende Möglichkeiten gegeben hätte – es sollte nur verfassungsmäßig beschlossen werden. Als ihm bedeutet wurde, dass dies mit dem von Dollfuß ins Auge gefassten »ständischen« Neuaufbau des Staates unvereinbar wäre, haben Renner und sogar Otto Bauer Überlegungen in die Richtung des Einbaues berufsständischer Faktoren in eine neue Verfassung angestellt. Nach einer Bemerkung Miklas’ sollten sie sogar bereit gewesen sein, die Monarchie zu akzeptieren. Aber die Verständigung nach links war ausgeschlossen. Dollfuß soll zu dem früheren Minister Emmerich Czermak, der ihm die Konzessionen der Sozialdemokraten überbrachte, gesagt haben : Das wäre sehr schön, aber wenn ich das tue, so wirft mich Mussolini dem Hitler ins Maul. (Dies berichtete der Historiker Hugo Hantsch aus einer Unterredung mit Czermak.) Inzwischen wurden die Forderungen der Heimwehren nach der endgültigen Installierung einer rechten Diktatur immer lauter. Die noch immer demokratisch legitimierten Landesregierungen sollten ausgeschaltet werden. Mit Jahreswechsel wurden die demokratisch gewählten Leitungen der Arbeiterkammern abgesetzt ; sie erhielten per Verordnung neue Verwaltungskommissionen mit nichtsozialdemokratischer Mehrheit. Am 9. Februar 1934 mahnte Leopold Kunschak im Wiener Gemeinderat zu Frieden und Versöhnung, aber am 11. Februar rief der Vizekanzler (und Verantwortliche für die Polizei) Emil Fey auf einer Heimwehrversammlung : »Wir werden morgen an die Arbeit gehen und ganze Arbeit leisten.« Die »Arbeit« bestand schon seit Längerem in häufigen Waffensuchen nach den geheimen Vorräten des verbotenen, aber immer noch schlagkräftigen Republikanischen Schutzbundes. Man wollte auf diese Weise die »Roten« zum bewaffneten Widerstand provozieren, um so endlich den Vorwand für die gewaltsame und vollständige Niederwerfung des »Marxismus« zu bekommen. Gegen die Anordnung des Parteivorstandes erfüllte der Linzer Schutzbundführer Richard Bernaschek in den Morgenstunden des 12. Februar den »Rechten« genau diesen Wunsch : Er ließ auf Polizisten, die im Parteiheim nach Waffen suchen sollten, schießen. Der Aktivismus Bernascheks war auch von der Befürchtung genährt, die Arbeiter, besonders die Jugend, könnten zu den Nazis – als den vielleicht konsequenteren Feinden Dollfuß’ – übergehen. Das war das Signal für den lang erwarteten Bürgerkrieg. Der Generalstreik wurde ausgerufen. Nach einer lange vorbereiteten Strategie sollte der Schutzbund in Wien die
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um die inneren Bezirke der Stadt verlaufende Straße des »Gürtels« besetzen und von dort ins Zentrum vordringen. Aber viele Kommandanten waren schon verhaftet, der Schutzbundführer Alexander Eifler seit dem 3. Februar. Ein aussichtsloser Kampf begann um die großen Wiener Gemeindebauten in den Arbeiterbezirken der Stadt und in den Hochburgen der Sozialdemokratie in Steyr, in der Obersteiermark um Bruck an der Mur und Kapfenberg, im oberösterreichischen Braunkohlenrevier. Der Aufruf zum Generalstreik wurde nur vereinzelt befolgt, die Eisenbahnen fuhren, Post, Telefon und Telegraphenverbindungen funktionierten. Da die in den großen Gemeindebauten geschickt positionierten Schutzbündler der Polizei und dem Bundesheer erhebliche Verluste zufügten, wurde zur Abkürzung der Kämpfe Artillerie eingesetzt. Nach wenigen Tagen waren auch die letzten Widerstandsnester gefallen. Otto Bauer war schon am 13. Februar, Julius Deutsch am 14. Februar in die Tschechoslowakei geflüchtet. Hilfe hatte der tschechoslowakische Gesandte, der Sozialdemokrat Zdenek Fierlinger, geleistet. Die Zahl der Todesopfer wird derzeit in der Forschung mit 356 angegeben. 88 davon waren Kombattanten auf der Seite der Aufständischen, 111 auf Regierungsseite, meist Mitglieder von Bundesheer, Polizei und Gendarmerie, 112 waren Nichtkombattanten, also Unbeteiligte, 45 Fälle waren nicht zuordenbar. Elf Tote waren Opfer des Artilleriebeschusses, 86 starben im Freien, sie waren »zufällige« Opfer. Neun der Todesopfer des Schutzbundes wurden hingerichtet, sechs davon wurden in Holzleithen (Oberösterreich) nach ihrer Kapitulation ohne standrechtliches Verfahren erschossen. Dass man den schwer verwundeten Schutzbündler Karl Münichreiter hingerichtet hat, erscheint ebenso kleinlich und rachsüchtig wie die Ausdehnung des am 12. Februar verkündeten Standrechtes bis zum 18. Februar : Erst an diesem Tag erwischte man den bei den »Heimatschützern« besonders verhassten steirischen Schutzbundführer Koloman Wallisch ; er wurde sogleich justifiziert. Emotional wogen diese Toten schwerer als die Opfer der Kämpfe. Sofort wurde die sozialdemokratische Partei aufgelöst und verboten, die Mandate sozialdemokratischer Funktionäre in Ländern und Bundesparlament für ungültig erklärt. 9.4.3 Die Verfassung 1934
Die neue Verfassung wurde Ende April 1934 zunächst auf Grund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes verkündet und dann noch durch das alte Parlament – ohne die sozialdemokratischen Abgeordneten – bestätigt. Österreich »erhält« eine neue Verfassung, noch dazu im Namen Gottes. Wer sie erarbeitet hat (der langjährige, als Demokrat geltende Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender) und erlässt, bleibt offen. Sie galt für den »Bundesstaat Österreich«. In dessen Staatswappen
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erschien wieder der Doppeladler, aber nicht bekrönt, sondern »nimbiert«, also mit einer Art Heiligenschein um die beiden Häupter. Der neue Staat nannte sich zwar »Bundesstaat«, aber viele Kompetenzen wurden von den Ländern auf die Ebene des Staates verschoben. Die Landesgesetze bedurften der Zustimmung des Bundeskanzlers. Die Mitwirkung der »Stände« an der Gesetzgebung erfolgte durch vorberatende Körperschaften – Bundeswirtschaftsrat, Bundeskulturrat, Staatsrat, Länderrat. Auf Grund der Gutachten der vorberatenden Gremien hatte der Bundestag zu entscheiden, ohne Debatte. Der Bundestag bestand aus 59 Mitgliedern aus den vier vorberatenden Körperschaften. Diese vier Gremien gemeinsam bildeten die Bundesversammlung, der u.a. das Recht der Kriegserlärung vorbehalten war. Sie hatten kein Initiativrecht. Dieses war ausschließlich der Regierung vorbehalten, die sich gleich auch selbst eine weitgehende Gesetzgebungsermächtigung zuerkannte. Im Bundeswirtschaftsrat waren sieben Hauptgruppen vertreten : Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Bergbau, Gewerbe, Handel und Verkehr, Geld-, Kredit und Versicherungswesen, Freie Berufe und Öffentlicher Dienst. Von den 80 Mitgliedern sollten je 40 Arbeiternehmer bzw. Arbeitgeber sein. Die Mitglieder wurden nicht durch Wahlen delegiert (das sollte einmal später kommen), sondern ernannt. Dabei kamen in erster Linie Vertreter der Heimwehr und der früheren Christlichsozialen Partei zum Zug. Immerhin wurden von 140 Gesetzen des Jahres 1937 doch 75 von jenen Organen der Gesetzgebung verabschiedet, der Rest direkt von der Regierung. Eine neuere Studie hält fest, dass die legistisch gut gemachte Maiverfassung 1934 erstmals das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit durch einen Bundesgerichtshof sichert, der bei Säumnis eines Verwaltungsorgans angerufen werden konnte. Gegenüber der Verfassung 1920 sind aber inhaltlich erhebliche Rückschritte festzuhalten : Die katholische Kirche erscheint gegenüber anderen Kirchen privilegiert, die Gleichberechtigung der Geschlechter steht zur Disposition der Gesetzgebung, die Grundrechte erscheinen für Angehörige von Militär und Polizei beschränkt. Eine Vorzensur ist möglich, für Vereine und die Presse gilt ein Konzessionssystem ; die persönliche Freiheit und die Grundrechte können im Notfall suspendiert werden. Im September 1933 erließ die Regierung auch eine Verordnung, die die vorübergehende Anhaltung bestimmter Personen ohne gerichtliches Urteil ermöglichte. Als Ort dafür war zunächst Wöllersdorf vorgesehen, wo einige Gebäude der ehemaligen Munitionsfabrik für diese Zwecke adaptiert wurden. Die ersten elf Häftlinge waren steirische Nationalsozialisten, bis Februar 1934 hat man dort weitere Nationalsozialisten inhaftiert. Nach dem Februaraufstand des Schutzbundes kamen die ehemaligen Mandatare der SDAP dorthin. Nach dem 25. Juli 1934 füllten NS-Putschisten das Lager : Am 6. August befanden sich 1.235 Nationalsozialisten in Haft sowie 702 kommunistische und sozialistische Häftlinge. Am Höchststand (20. September 1934) waren 567 »Linke« und 823 Nationalsozialisten interniert, dazu kamen noch fast 3700 Männer, bei denen irgendein
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Verdacht auf Zusammenarbeit mit den Nazi-Putschisten bestand. Allerdings wurde bis Jahresende ein Großteil von ihnen freigelassen. Eine zweite Welle an Entlassungen folgte dem Juliabkommen 1936. Meist profitierten auch die »Linken« von Entlassungen. 1938 wurde das Lager aufgelassen. So unangenehm die Internierung dort war : Es gab in Wöllersdorf keine Todesopfer. Gleichzeitig mit der Verfassung trat ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl in Kraft, die für Katholiken nach wie vor ausschließlich die kirchliche Trauung, samt folgender Unauflöslichkeit der Ehe, festlegte. 9.4.4 Juliputsch 1934 und Juli-Abkommen 1936
Mit dem Mai 1934 setzte eine neuerliche Terrorwelle der Nationalsozialisten ein. Sie war aus München gesteuert, wo die NS-Zentrale für Österreich ihren Sitz hatte. In Bayern war auch die »Österreichische Legion« stationiert, meist junge österreichische Nationalsozialisten, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP oder aber wegen terroristischer Aktivitäten aus Österreich geflüchtet waren. Sie wurden hier militärisch organisiert und geschult und warteten, etwa 10.000 Mann stark, auf ihren Einsatz gegen Österreich. Aber der Juliputsch ging nicht von der Legion aus. Er wurde von den Spitzen der NSDAP geplant, von Hitler selbst und seinen für Österreich zuständigen Helfern. Hitler wollte die Regierung Dollfuß stürzen und Österreich zunächst wohl »gleichschalten«. Dafür spricht, dass in der Person des früheren steirischen Landeshauptmannes und Ministers Anton Rintelen der zukünftige Bundeskanzler in einem Wiener Hotel auf den Erfolg des Putschversuches wartete. Dass bei der Besetzung des Bundeskanzleramtes durch eine als Bundesheereinheit getarnte Gruppe der SS Dollfuß sogleich durch zwei Schüsse tödlich getroffen wurde, dürfte nicht geplant gewesen sein. Dass man dem tödlich Verletzten ärztliche Hilfe und geistlichen Beistand versagte, vermag den bedauerlichen Zustand sittlicher Verrohung zu illustrieren, der bei den jederzeit gewaltbereiten und brutalen Nationalsozialisten herrschte. Da die Mehrheit der Minister aber nicht mehr im Bundeskanzleramt weilte, war der Putsch bereits gescheitert. Auch die Besetzung der Rundfunkanstalt dauerte nur kurz, nach wenigen Stunden wurden die eingedrungenen Putschisten von der Polizei abgeführt. Der Bundespräsident betraute den Justizminister Kurt Schuschnigg mit dem Amt des Bundeskanzlers. Rintelen wurde verhaftet. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt (und kam natürlich später wieder frei). Als die ersten Nachrichten vom Putsch in der Steiermark eintrafen, begannen hier sofort Vorbereitungen zum Aufstand, der hauptsächlich von dem mit der SS kooperierenden »Steirischen Heimatschutz« durchgeführt werden sollte. Dagegen brach in den anderen Bundesländern, hauptsächlich in Kärnten, Salzburg und Oberösterreich, der
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Aufstand der SA erst mit einer deutlichen Verspätung los. Da wusste man schon vom Scheitern des Putsches in Wien. Neuere Forschungen interpretieren das späte Losschlagen der SA nicht als »Verspätung«, sondern als Versuch, Hitler zu beweisen, dass die von ihm am 30. Juni 1934 im Deutschen Reich gemaßregelte SA (sog. »Röhm-Putsch« mit Ermordung aller wichtigen SA-Führer) in Österreich sehr wohl einen gelungenen Aufstand organisieren könne. Doch siegte auch jetzt, wie im Februar, die vereinte Kraft von Bundesheer, Polizei und regierungstreuen Wehrverbänden. Die Kämpfe dauerten noch bis 28. Juli. Nicht wenige Nazi-Putschisten entkamen nach Jugoslawien, wo sie von Sympathisanten empfangen und später nach Deutschland transportiert wurden. Wieder gab es zahlreiche Todesopfer, mindestens 111 Aufständische, 101 Angehörige von Bundesheer, Heimatschutz, Polizei usw. sowie 11 Unbeteiligte. Die meisten Toten gab es in der Steiermark und in Kärnten, dort hatten auch die heftigsten Kämpfe stattgefunden. Mussolini hatte sofort reagiert und einige Truppen an den Brenner geschickt. Noch fühlte sich Hitler nicht stark genug, den italienischen Diktator herauszufordern, sodass die Strategie gegenüber Österreich nunmehr geändert wurde. Die Terroranschläge wurden seltener. An die Stelle des bisherigen Gesandten schickte Hitler den deutschen Katholiken Franz von Papen nach Wien. Er sollte einerseits beruhigen, andererseits nach Kräften zur Unterwanderung des Regierungslagers beitragen. Das gelang ihm auch bemerkenswert gut. Nur ein Jahr später änderte Mussolinis Abessinienkrieg die europäischen Konstellationen von Grund auf. Damit begann die Isolierung Mussolinis gegenüber den Westmächten, die Hitler sofort mit einem Hilfsangebot an Italien ausnützte. Für Österreich war die Situation fatal, denn die unbedingte Unterstützung Mussolinis für Schuschnigg war damit vorüber. Mussolini empfahl Schuschnigg, mit Hitler direkt zu verhandeln und sich mit ihm auszugleichen. Das ist der Hintergrund des Juli-Abkommens 1936. Darin verpflichtete sich das Deutsche Reich zwar, Österreichs Unabhängigkeit anzuerkennen. Andererseits verpflichtete sich Bundeskanzler Schuschnigg, die »nationale Opposition« (also die Nazis) zur politischen Willensbildung mit-heranzuziehen. Gleichzeitig erhielten zahlreiche verurteilte Nationalsozialisten Amnestie. Die etwa um dieselbe Zeit gelungene Ausbootung des Heimwehrführers Starhemberg als Vizekanzler hatte die Heimwehren als politischen Faktor ausgeschaltet. Schon davor war man die Christlichsoziale Partei losgeworden. Auch das ging nicht ohne Frustrationen ab. Ein gutes Beispiel bot Oberösterreich. In diesem Land war der »Volksverein« die seit etwa 1870 bestehende Organisation des katholischen Volkes und gleichzeitig die christlichsoziale Parteiorganisation. Im Dezember 1933 forderte der Linzer Bischof die Umwandlung des Vereins in einen rein kirchlichen Verein, sein langjähriger Vorsitzender, der Abgeordnete Josef Aigner, wurde zum Rücktritt gezwungen. Damit stand die christlichsoziale Partei des Landes ohne ihre traditionelle Organisation da. Der Schritt des Bischofs stand durchaus im Einklang mit der parteifeindlichen Tendenz
Kanzlerdiktatur, »autoritärer Ständestaat« oder »Austrofaschismus«?
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der Regierung. Medial wurde er als »Abkehr der katholischen Oberösterreicher von der christlichsozialen Partei« kommentiert. Aigner war tief erbittert. Schon Dollfuß hatte eine Aktion zur Gewinnung der Arbeiterschaft zu starten versucht. Ernst Karl Winter, ein unbedingter Verfechter der österreichischen Eigenständigkeit und im April 1934 zum Vizebürgermeister von Wien ernannt, sollte eine Befriedung mit der Anhängerschaft der sozialdemokratischen Partei zustande bringen. Die »Aktion Winter« sollte in erster Linie eine Plattform für Gespräche bilden. Sie scheiterte am allseitigen Widerstand. Schon vorher wurde ein einheitlicher Gewerkschaftsbund gegründet, der die alten Richtungsgewerkschaften ablösen sollte. Vorsitzender war der Christgewerkschafter Johann Staud. Wie viele frühere Sozialdemokraten Mitglieder wurden, ist schwer abzuschätzen. Wahrscheinlich wuchs der Anteil im Lauf der Zeit. Dagegen wurde die »Soziale Arbeitsgemeinschaft« 1935 als Suborganisation der Vaterländischen Front geschaffen. Sie sollte die politische Interessenvertretung der Arbeiterschaft übernehmen. Die relativ freieste Betätigungsmöglichkeit der Arbeiterschaft war die Mitwirkung bei der Wahl von Vertrauensmännern in den Betrieben, die im Herbst 1936 stattfanden. Trotz der Gegnerschaft der regierungsnahen Unternehmerschaft blieben die bisher sozialdemokratisch beherrschten Konsumgenossenschaften bestehen. Dollfuß unterstellte sie Rudolf Strobl, dem Nachfolger Dollfuß’ als Sekretär der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. 1936 übernahm Schuschnigg selbst die bisher Starhemberg überlassene Position des Führers der Vaterländischen Front. Aber Schuschnigg war kein faschistischer Führer ! Ihm fehlte vollkommen jedes Charisma, die Fähigkeit, mit den Massen in Kontakt zu treten und mitreißende Reden zu halten. In Wirklichkeit bedeutete jede Ausschaltung einer politischen Konkurrenz auch eine Schmälerung seiner eigenen Gefolgschaft. Die nationalsozialistische Propaganda konnte jetzt immer ungehinderter wirken, vor allem mit dem Hinweis auf die wachsende Macht des unter Hitler wieder erstarkten Reiches – und auf das rasante Wirtschaftswachstum dort. 9.4.5 »Autoritärer Ständestaat«, »Austrofaschismus« oder Kanzlerdiktatur?
Alle Versuche, das österreichische Regierungssystem auf einen knappen Begriff zu bringen, erscheinen unzulänglich. Der »autoritäre Ständestaat« war zwar autoritär, die beschworene Selbstverwaltung der Stände blieb aber illusionär. »Austrofaschismus« war ein Begriff, den nicht nur Starhemberg – als Zielsetzung der Heimwehrpolitik – gebrauchte, sondern auch die Linke, die als Variante auch noch »Klerikofaschismus« verwendete. Nun hatte die Heimwehr eindeutig das italienische Modell des Faschismus im Sinn, aber sie blieb doch immer nur der vom Herbst 1933 bis zum Juli 1934 starke Juniorpartner Dollfuß’, übernahm aber nie selbst die Macht. Dass Dollfuß in der Erkenntnis seiner
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schwachen Legitimation mit der »Vaterländischen Front« eine breite Volksbewegung faschistischen Charakters ins Leben rufen wollte, war ein Versuch, in dieselbe Richtung zu gehen. Aber die »Front« war eine im Wesentlichen bürokratische Organisation, der man aus Karrieregründen beitrat. Daran änderte auch der Beitritt einer Massenorganisation wie des »Reichsbauernbundes« nichts. Niemals entwickelte sie jene eigentümliche gesellschaftliche Dynamik, die »echte« faschistische Bewegungen auszeichnet. Ferner fehlt dem österreichischen Modell jener gesellschaftlich modernisierende Anspruch, wie er sowohl in Italien wie im Deutschen Reich erhoben und partiell durchaus auch umgesetzt wurde. Sowohl kulturpolitisch wie wirtschaftlich war der österreichische Autoritarismus extrem konservativ. Auch die Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme gelang daher niemals. Technikfeindlichkeit und verbaler Antikapitalismus dominierten. Die Arbeitsbeschaffung konzentrierte sich auf Bauprojekte – Großglockner-Hochalpenstraße, Packstraße, Plöckenstraße, Gerlosstraße, Wiener Höhenstraße, Reichsbrücke. Die ausführenden Firmen mussten sich verpflichten, so viel als möglich in Handarbeit durchzuführen. Der Industrie stand die Regierung sehr skeptisch gegenüber. Und schließlich ist nicht zu übersehen, dass »echte« Faschismen extrem nationalistische bis chauvinistische Programme mit ihrer Massenmobilisierung verbanden. Das war aber in Österreich unmöglich. Denn »national« waren die Österreicher seit 1918 nichts als Deutsche. Und den Deutschnationalismus sowie das damit zusammenhängende Anschluss-Programm konnten die Nationalsozialisten monopolisieren, weil ab 1933 die Regierung, aber auch die Sozialdemokraten den Anschluss an das Deutsche Reich Hitlers ablehnten. »Nationale« Mobilisierung hieß Mobilisierung für den Anschluss ! Der Anschlusswunsch gewann umso mehr Anhänger, je mehr Erfolge Hitler außenpolitisch einfuhr (Wiederbewaffnung, Rheinlandbesetzung, Saarland-Abstimmung) und je stärker die deutsche Wirtschaft als Folge der Aufrüstung wuchs. In der »nationalen« Mobilisierung konnte der »Austrofaschismus« daher nur an ein »vaterländisches«, semantisch gegenüber dem »nationalen« doch deutlich schwächeres Gefühl appellieren, denn national blieb man auch unter Dollfuß – und erst recht unter Schuschnigg – »deutsch«. Damit erweist sich das Problem der nationalen Identität als ein zentrales Problemfeld der ganzen Periode zwischen 1918 und 1938. 9.5 Das Problem der nationalen Identität 9.5.1 Deutsch oder österreichisch?
Das neue Österreich von 1918/19 bildete sich in einer Umwelt von Nationalstaaten oder von Staaten, die sich als Nationalstaaten definierten. Österreich hingegen definierte sich als Teilstaat eines noch nicht existierenden Nationalstaates – des gemein-
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samen Staates aller »Deutschen«. Die Angst der Franzosen und Tschechen, vielleicht auch der Polen, vor einem zu mächtigen Deutschland verhinderte die Realisierung dieses Vorhabens. Aber was geschah nun im neuen Österreich ? Anstatt zu akzeptieren, dass die Etablierung des neuen Kleinstaates in einer Umwelt von Nationalstaaten wohl auch die Schaffung eines diesem Staat entsprechenden Staatspatriotismus und in weiterer Folge eines österreichischen Nationalbewusstseins erforderte, beharrten die Eliten der jungen Republik darauf, dass dieses Österreich neben dem nach wie vor mächtigen Deutschen Reich der zweite deutsche Staat sei. Es müsse daher mit dem Reich auch in einem besonderen Verhältnis stehen. Beamte, die 1918/19 von der Republik übernommen werden wollten, mussten ein klares Bekenntnis zur deutschen Nation abgeben. Dieses Bekenntnis war durch die Eintragung bei der Volkszählung 1910 zu belegen ! Dieser Vorgang einer »Entösterreicherung« des deutsch-österreichischen Bewusstseins ist vor allem aus dem Schock des Zerfalls der Monarchie erklärbar, durch den der »österreichische« Bestandteil der deutsch-österreichischen Identität schwerstens erschüttert wurde. Die Anschlussbewegung kann als mentale Flucht aus dem »Österreichischen« interpretiert werden, hinein in das Deutschtum und in das – trotz Versailles – immer noch mächtige Deutsche Reich. Die tatsächliche soziale Breite des Anschlusswillens ist unsicher. Otto Bauer verwies selbst auf die Skepsis, die in der Arbeiterschaft gegenüber dem »Anschluss« herrschte. Er kritisierte auch die anschlussfeindliche Haltung jener Kreise des Wirtschaftsbürgertums, die sich nicht der verstärkten Konkurrenz in einem gesamtdeutschen Wirtschaftsraum aussetzen wollten. Bauer verwies ferner auf die Skepsis des Wiener Bürgertums gegenüber den »Deutschen«, vor allem aber auf die Ablehnung vieler ehemaliger Offiziere, der Beamten und des Klerus. Literarisch gab Hugo von Hofmannsthal dieser Skepsis Ausdruck. Während des Krieges publizierte er seine kritische Skizze über »Preußen und Österreicher«. Nach dem Krieg stellte er in der Komödie »Der Schwierige« seiner Hauptfigur, einem typischen österreichischen Aristokraten, den (nord-) deutschen Aufsteiger gegenüber, der die abstoßenden Züge des kulturlosen Preußen mit denen des wirtschaftlich tüchtigen Parvenu vereinigt. Hans von Loewenfeld-Russ, Staatssekretär für Volksernährung, äußerte 1920 seine Bedenken gegen einen Anschluss, obwohl seine Identität die eines »guten Deutschen« sei. Aber : »Ich bin ein deutscher Österreicher«, er bekenne sich »in erster Linie als Österreicher.« Dies begründete er unter anderem mit Erfahrungen aus der Zeit des Krieges, mit der Überheblichkeit, dem übersteigerten Selbstbewusstsein, dem Korporalston der »Brüder aus dem Norden«. Nach der ersten, von Otto Bauer und der Sozialdemokratie getragenen Welle der Anschlussbegeisterung 1918/19 folgte eine zweite, von »rechts« getragene 1921. Damals haben sich Tirol und Salzburg in Volksabstimmungen massiv für den Anschluss aus-
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gesprochen. Zweifellos waren damals Mehrheiten dafür. Aber es gab nur eine sehr einseitige Propaganda, Anschlussgegner hatten keine echte Chance, ihre Meinung auszudrücken. In den 1920er Jahren wurden die Österreicher zum Deutschtum erzogen. Zuerst waren die Kinder zu gewinnen, die Schüler. Ein zum Zehnjahresjubiläum der Ersten Republik 1928 in Wien erschienener Band »Um Freiheit und Menschenwürde. Ein Lebensbuch deutscher Dichtung« enthält, soviel ich sehe, den Begriff »Österreich« nicht – das äußerste Zugeständnis ist schon die »österreichische Republik«. Die Texte sprechen eine deutliche Sprache : Der »deutschen Republik« ist das erste Gedicht (von Karl Bröger) gewidmet, das dritte (von J. G. A. Petzold) dem Schwarz-Rot-Gold der Weimarer Republik. National wurde in diesem Büchlein also »Deutschland« als Zielvorstellung gefeiert, nirgends »Österreich«. Da der »Anschluss« vorderhand nicht realisierbar war, versuchte man wenigstens, ihn mental vorzubereiten, etwa durch die Angleichung von Rechtsmaterien. Als 1927 der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches dem Parlament vorgelegt wurde, pries man im Ministerrat die Absprache des Gesetzes mit dem Deutschen Reich. Es handle sich um zwei weithin gleichlautende Gesetze, mit Ausnahme der Todesstrafe (die es in Deutschland noch gab, in Österreich nicht mehr). In den identitätsbildenden Bereichen von Literatur und Geschichte traten die deutsche Literatur und die deutsche Geschichte im Unterricht und an den Universitäten in den Mittelpunkt. Geschichte an Österreichs Schulen wurde eine »gesamtdeutsche«. Ein inhaltlich recht gutes Lehrbuch hatte ausgerechnet Bismarck auf der Umschlagseite ! Dabei enthielt dieses Buch auch viel gutes Material zur österreichischen Geschichte – aber die war eingebettet in die deutsche Geschichte, alle nichtdeutschen Facetten verschwanden. Nicht zuletzt darf an die beständige Arbeit des kulturellen Anschlusses erinnert werden, die sich literarisch oder etwa in großen »gesamtdeutschen« Sängerfesten, wie 1928 zum hundertsten Todestag Franz Schuberts in Wien, äußerte. Daneben besorgten überparteiliche Organisationen die Absicherung der Anschlussfreudigkeit der Österreicher : In erster Linie der »Österreichisch-deutsche Volksbund«, 1925 gegründet, der als Massenbewegung zahlreiche Gruppierungen der verschiedensten Schattierungen zusammenfasste. Vorsitzender war der der Sozialdemokratie nahestehende Generaldirektor der GESIBA und spätere nationalsozialistische Bürgermeister von Wien, Dr. Hermann Neubacher. Unter Gustav Stresemann hat auch die deutsche Reichsregierung die Anschlussbewegung unterstützt. Ein Instrument dafür war die »Ossa«, eine Organisation zur wirtschaftlichen Durchdringung außenpolitischer Hoffnungsgebiete, besonders im Wege der Stützung des Auslandsdeutschtums. Diese wirtschaftliche Durchdringung wurde durch den teilweisen Zerfall des eigenständigen österreichischen Kapitals seit 1918 begünstigt, der es dem deutschen Kapital erlaubte, wichtige
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Eigentumsrechte schon in den 1920er Jahren an sich zu bringen. Beispielhaft war der Übergang der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft in die Hände des StinnesKonzernes. Die Aktienmehrheit der »Alpine«, bis 1919 mehrheitlich im Besitz der Familie Wittgenstein, wurden mit Zustimmung des Finanzministers Joseph Schumpeter zunächst an einen italienischen Konzern verkauft – dafür gab es wertvolle Devisen. Später erwarb der deutsche Großindustrielle Hugo Stinnes die Aktienmehrheit. Die Direktion der »Alpine« unterstützte später massiv die steirische Heimwehr, danach die illegalen Nationalsozialisten. Hier wurde auch eine »gelbe« Heimwehrgewerkschaft gegründet (und gefördert). Neben den wichtigsten Unternehmungen der Stahlindustrie war die österreichische Elektroindustrie zu einem guten Teil in der Hand von SiemensSchuckert, Siemens & Halske sowie der AEG-Union (zu 47 %). Aber insgesamt blieb der Einfluss des deutschen Kapitals verhältnismäßig gering, er ging bis 1938 nicht über die schon 1914 erreichten Anteilssätze hinaus. Ob die Anschlusspolitik wirklich emotional in die Tiefe drang, ist empirisch nicht eindeutig nachweisbar. Eine 1938 in die Emigration gezwungene, dann meist in England lebende Wienerin betonte dem Autor gegenüber vor Jahren, dass sie sich in der Emigration (zuerst in Prag) immer als Österreicherin empfunden habe, niemals als Deutsche. Und sie war durchaus vom (»roten«) Wien ihrer Jugend geprägt. Ob hier ein besonders in Wien beheimatetes anonymes Österreich-Bewusstsein zum Ausdruck kam ? Die selbstständige Existenz der Alpenrepublik scheint schließlich doch so etwas wie einen bescheidenen neuen österreichischen Patriotismus entwickelt zu haben. Die Fundierung des neuen Österreichbewusstseins erfolgte primär über die Betonung von Landschaft, Geschichte und Kultur Österreichs – das sind aber dieselben identitätsbildenden Faktoren wie in der Zweiten Republik ! In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre konnte man Anzeichen für eine mentale Konsolidierung beobachten. Dafür steht ein Buch mit dem bezeichnenden Titel »Ewiges Österreich«, das 1928 erschien und sich zum Ziele setzte, die österreichische Identität der Republik zu stärken. Der Band wollte zum zehnten Jahrestag der Staatsgründung zeigen, was Österreichs Geistesleben zu bieten hat, »wodurch es im Mosaik Europas und der Welt einmalig ist – nämlich österreichisch«. Solche Worte drücken tendenziell nationale Selbstständigkeit aus, die ja immer ihre jeweilige Einmaligkeit in der Welt statuiert. Die »deutsche« Orientierung herrschte in der Ersten Republik also nicht völlig unwidersprochen. Es gab daneben auch »österreichische« Tendenzen. Ernst Fischer, kommunistischer Staatssekretär in der provisorischen Regierung Renner, konnte daher 1945 nicht ganz unberechtigt schreiben : »Die österreichische Tragödie, die am 12. Februar 1934 ihren ersten Höhepunkt erreichte, bestand darin, daß die Demokraten zu wenig österreichische Patrioten und die österreichischen Patrioten zu wenig Demokraten waren …«
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9.5.2 Das Österreichbewusstsein des »Ständestaates«
Das Österreichbewusstsein der – je nach Geschmack – »autoritären«, »austrofaschistischen« oder »ständestaatlichen« Kanzlerdiktatur von 1933–1938 wurde nunmehr deutlicher akzentuiert als in der demokratischen Phase der Republik. Es hatte ja in viel stärkerem Ausmaß die Aufgabe, Distanzempfinden zum (jetzt nationalsozialistischen) Deutschland zu erwecken und zu pflegen. Man hat Österreich zwar auch jetzt als ein »deutsches« Land gesehen, aber nun wurden – im Unterschied zur Zeit zwischen 1919 und 1932 – seine eigenen Leistungen und seine eigene Geschichte wieder stärker hervorgehoben. Offizielle Publikationen wie »Österreich – Grundlegung der vaterländischen Erziehung«, herausgegeben 1936, versuchen diese Einstellung auch in den Unterricht zu verpflanzen. Man sprach von der »alpenländisch-donauländischen Heimat mit ihrer tausendjährigen Religion und der darin verwurzelten tausendjährigen deutschen Kultur«, von der »gesamtdeutschen christlichen Sendung im Donauraum«, vom »Herzstück friedlicher Völkergemeinschaft in Europa«, vom christlichen Staat, »volkstreu und sozial, bei ständischer Selbstverwaltung unter autoritärer Führung.« Die »vaterländische« Neuinterpretation wurde allerdings nur beschränkt wirksam. Die massive Einpflanzung deutscher Identität zwischen 1918 und 1933 gerade in der Jugend führte im Zusammenspiel mit dem machtvollen Aufstieg Nazideutschlands letztlich zum Sieg des »deutschen« Nationalgefühls. Der »vaterländische« Appell an die Jugend verfing kaum. »Vaterländisch« klang alt, verstaubt, unmodern. Große Teile der österreichischen Jugend, weit über das alte deutschnationale »Lager« hinaus, waren in den 1930er Jahren von den Erfolgen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches fasziniert. Viele erhofften sich auch die Rückgewinnung Südtirols. Sie sollten bitter enttäuscht werden. Die Produktion von »kulturellem« Bewusstsein braucht immer die Hilfe von kollektiven »Erfolgserlebnissen« (militärische Siege, erfolgreiche Revolutionen, kulturelle Emanzipation). Die fortdauernde Massenarbeitslosigkeit drückte dem Schuschnigg-Regime aber den Stempel der Erfolglosigkeit auf. Das neue Österreich schuf sich immerhin doch einige neue Symbole : Die Großglocknerhochalpenstraße etwa, die Reichsbrücke (1936) oder die Wiener Höhenstraße. Aber da die hervorragenden Automobile der Steyr-Daimler-Puch-Werke nur einer kleinen Minderheit zur Verfügung standen, hatten die Massen für die schönen neuen Straßen nur wenig Verwendung.
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9.6 Das »Rote Wien« und die Provinz: Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938 In der ersten Republik lebte die klassenbewusste »marxistische« Arbeiterschaft in einem dichten klassenspezifischen Milieu. Es war gekennzeichnet durch gemeinsames Wohnen in Arbeitervierteln und im (Wiener) Gemeindebau, durch gemeinsame Freizeitkultur und hohen gewerkschaftlichen und politischen Organisationsgrad. 9.6.1 Arbeiterkultur
Bei sehr vielen Arbeitern herrschte daher ein politisches Bewusstsein, das von Klassenkampfstimmung und Solidarität mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei geprägt war. Zumindest in Wien hing das wohl auch mit den mehr als 64.000 Gemeindewohnungen zusammen, die zwischen 1923 und 1933 errichtet wurden. Aber nicht nur der Wohnbau erhöhte den Lebensstandard, sondern auch andere soziale Einrichtungen. Die Sozialfürsorge wurde durch Julius Tandler (1869–1936), Professor für Anatomie und Stadtrat für das Wohlfahrtswesen, vollkommen neu aufgebaut. Im Zentrum standen die Kinder- und Jugendfürsorge und die Bekämpfung der Tuberkulose. Zahlreiche Volksbäder verbesserten die hygienische Situation. Darüber hinaus ist das überaus dichte Vereinsnetz nicht zu übersehen, das es dem klassenbewussten Arbeiter ermöglichte, von der Wiege bis zur Bahre in Organisationen mit Gleichgesinnten tätig zu sein – beim Fußball, beim Schachspielen, beim Fischen, beim Bergsteigen (»Naturfreunde«). Nicht nur dies : Klassenbewusste Organisationen hatte auch alle Kontakte zum »Klassenfeind« zu meiden. So wurden die Arbeiterfußballer erst in die 1924 gegründete Dachorganisation »Arbeiterbund für Sport und Körperkultur« (ASKÖ) aufgenommen, nachdem sie sich vom – als »bürgerlich« angesehenen – »Österreichischen Fußballbund« getrennt hatten. Nun waren im ASKÖ Kraftsportler (eine für das »klassische« Arbeitermilieu typische Sportart !), Schachspieler, Schwimmer, Naturfreunde, Fußballer, Radfahrer, Schützen, Turner und der Republikanische Schutzbund zusammengefasst. Später kamen noch Tennis, Eissport, Flugsport und Fischerei dazu. Den höchsten Mitgliederstand hatten 1931 die Naturfreunde mit etwa 90.000, vor den Turnern und dem Radfahrerbund (ARBÖ). Theoretisch lehnte die Arbeitersportbewegung den »bürgerlichen« Wettkampf (kapitalistisches Konkurrenzprinzip !) ab, wenngleich ein agonales Moment doch nie ganz zu vermeiden war. Die Sportler prägten die typische sozialdemokratische öffentliche Festkultur. Massenaufmärsche waren von inszenierten Massenbetätigungen, kollektiven Freiübungen etc. geprägt. Der Gipfelpunkt dieser
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Entwicklung war zweifellos die Arbeiterolympiade 1931, der die Wiener den Neubau des Stadions zu verdanken hatten : »Vom 19. bis 26. 7.verwandelten dann 77.166 Festteilnehmer aus ganz Europa die Ringstraße und das Wiener Stadion in ein Meer aus roten Fahnen. Höhepunkt des Festes : die Massenübungen von 6000 Turnern und 5000 Turnerinnen am Wiener Trabrennplatz …« (R. Krammer, Turn- und Sportbewegung, S. 738 f ).
Die Arbeitersportler waren gleichzeitig ein wichtiges Rekrutierungsfeld für den Schutzbund. 6000 Turner waren Mitglieder der »Wehrsportzüge« des Republikanischen Schutzbundes. Die »roten« Schützenvereine dienten der Schießausbildung des Schutzbundes. Dieses ganze eindrucksvolle Organisationsnetz sollte ein ausschließlich am Klassenstandpunkt der Sozialdemokratie orientiertes gesellschaftliches und kulturelles Bewusstsein schaffen und prägen, das in starker Solidarität die Revolution erwartete, die klassenlose Gesellschaft und den »neuen Menschen«. 9.6.2 Siedlung oder »Volkswohnpalast«?
Die Gemeinde Wien ließ zwischen 1923 und 1933 etwa 64.000 neue Wohnungen bauen, die in erster Linie den Wohnbedürfnissen der Arbeiterklasse dienen sollten. Der private Wohnungsbau war als Folge des Mieterschutzes völlig zum Erliegen gekommen. Zunächst war die extreme Wohnungsnot nach dem Kriegsende durch eine »wilde« Siedlerbewegung gelindert worden. Auch der 1919 gegründete Bundeswohnund Siedlungsfonds sollte den Bau von Einfamilienhäusern und Siedlungsprojekten fördern. Heftig wurde diskutiert, wie die durch die extreme Wohnungsnot in großer Zahl erforderlichen neuen Wohneinheiten zu gestalten wären : in Siedlungen mit kleinen Häusern oder aber in »Superblocks«, großen Komplexen, die den Vorteil hätten, dass sie mit zentralen Einrichtungen (Küchen, Waschküchen, Kindergärten, Bädern, Parteiheimen der SDAP und ihrer Gliederungen usw.) versehen werden konnten. In dieser Debatte stand der Architekt Adolf Loos, beeinflusst von der englischen Tradition und von der Gartenstadtbewegung, gemeinsam mit Josef Frank auf der Seite der Siedlerbewegung. Er entwickelte sogar eine extrem billige Variante eines solchen Hauses, das »Haus mit einer Mauer« – nur so, war er überzeugt, konnte jedermann zu seinen eigenen vier Wänden kommen. Es wurden auch nicht wenige Siedlungen von Einfamilienhäusern bzw. Reihenhäusern errichtet. Allerdings fiel 1923 die Entscheidung für den Massenwohnbau, weil es einerseits im innerstädtischen Bereich zahlreiche Baulandreserven gab, andererseits hier die Infrastruktur (Kanalisation, Wasser, Gas, Strom, Straßenbahn) schon vorhanden war, die an der Peripherie erst hätte geschaffen
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werden müssen. Die Finanzierung erfolgte über die Wohnbausteuer, eine ausschließlich von den vermögenderen Schichten zu bezahlende Luxus-Steuer. Wegen ihres Klassenkampf-Charakters wurde sie heftig kritisiert. Auch der Finanzausgleich war für Wien bis 1930 günstig. Die Architekten dieser Großwohnbauten entstammten durchwegs der Otto-Wager-Schule, wie Karl Ehn, der Planer des riesigen Karl-Marx-Hofes in Wien-Heiligenstadt. Diese Architekten beherrschten die große architektonische Geste, Ehrenhöfe, Türme mit Uhren, die Anlage großer begrünter Binnenhöfe und Toranlagen. Der Bauschmuck war im Stil der Zeit gehalten – dezente Art-deco-Keramik. Loos empfand an den neuen »Volkswohnpalästen« die traditionellen architektonischen Symbole von Macht unangemessen, die neuen Bauten sollten den Menschen dienen und nicht neue Machtverhältnisse ausdrücken. Er wirkte auch nur an der Planung eines einzigen Gemeindebaues mit, überließ die Details dann der bekannten Erfinderin der Frankfurter Küche, Grete Schütte-Lihotzky. Aber : »Das sublimierte Pathos einer imperialen Großstadtarchitektur kam dem Elan und den propagandistischen Bedürfnissen der neuen Bewegung entgegen, erleichterte im Rahmen der eindrucksvollen Bausubstanz der Stadt die Identifikation mit den sozialistischen Programmen.« (Friedrich Achleitner)
Die Wohnungen waren zunächst klein, 38 bzw. 48 Quadratmeter, erst später gab es auch Wohnungen mit 57 Quadratmetern. Aber jede Wohnung war mit eigenem Wasseranschluss und WC versehen. Hier, und nicht mehr im Wirtshaus, sollten sich Arbeitermann und Arbeiterfrau von der anstrengenden Arbeit erholen können, hier endlich auch in Ruhe lesen können. Die Privatsphäre der bürgerlichen Familie sollte damit auch der Arbeiterklasse ermöglicht werden. Zahlreiche öffentliche Bibliotheken in allen Teilen Wiens sollten den weniger vermögenden Schichten billig und problemlos den Weg zum Buch öffnen. Der große Wohnblock ermöglichte nicht nur ein besseres Wohnen – freilich nur für kleine Familien, man konnte auch ganz gut überwacht werden, was sich spätestens im Nationalsozialismus zeigte. 9.6.3 »Hochkultur« für Arbeiter
Der »neue Mensch« sollte nicht nur mit seinen Klassengenossen solidarisch, revolutionär und kämpferisch sein, er sollte auch eine neue, höhere Kultur entwickeln. Das erste Ziel der sozialdemokratischen Kulturpolitik war aber die Ermöglichung der Teilhabe der »Arbeiterklasse« an der »bürgerlichen« Kultur. Man veranstaltete schon seit 1905 Arbeiter-Sinfoniekonzerte, die von 1905 bis 1925 von Ferdinand Loewe, dann bis 1934 von Anton von Webern geleitet wurden. 1919 gründete David Josef Bach, der schon diese
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Konzerte initiiert hatte, die »Kunststelle«. In beiden Bereichen wurde nicht nur Klassik und Romantik gepflegt, sondern auch zeitgenössische Kunst (auch Schönberg !), wobei daneben auch leichtere Kost (Operetten, Lustspiele, Kabarett) vermittelt wurde. Webern war auch der Chormeister des »Wiener Volkschores« der »Kunststelle« der SDAP. In die Kulturarbeit der SDAP klinkte sich der seit Kriegsende mit seinem Monsterwerk »Die letzten Tage der Menschheit« europaweit bekannte Satiriker Karl Kraus (1874–1936) ein, der Lesungen vor Arbeitern hielt. Kraus wirkte mit seinen apodiktischen Verurteilungen zunächst durch die von ihm allein geschriebene Zeitschrift, die »Fackel«. Dabei ging er gegen einzelne von ihm abgelehnte Personen mit äußerster Schärfe vor. So beschuldigte er den Herausgeber eines so genannten »Revolverblattes«, der »Stunde«, Imre Bekessy, der Erpressung und bezeichnete ihn öffentlich als »Schuft«. Bekessy musste zuletzt Österreich verlassen. Weniger wirkungsvoll war der Kampf Karl Kraus’ gegen den Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober nach dem 15. Juli 1927. Er ließ in der ganzen Stadt Plakate mit der Aufforderung an Schober affichieren, zurückzutreten. Bald kam es auch zur Entfremdung von der Sozialdemokratie : Der »Kunststelle« warf Kraus vor, dass sie der Arbeiterklasse billige Karten für die von ihm verabscheuten Operetten verkaufte, der Arbeiter-Zeitung verübelte er Inserate des großen Warenhauses Krupnik (Verrat des Antikapitalismus !), der ganzen Partei ihren bis zuletzt kräftigen Deutschnationalismus. 1932 griff er diesen deutschen Nationalismus in einem großen Essay, »Hüben und Drüben«, massiv an. 1933/34 stellte er sich in seinem literarischen Kampf gegen den Nationalsozialismus sogar auf die Seite Dollfuß’, was seine zahlreichen linken Freunde – unter anderem Bert Brecht – schwer irritierte. Elias Canetti, einer seiner früher begeisterten Anhänger, ging nicht einmal zu seinem Begräbnis. Der britische Staatsbürger Canetti, einer spaniolisch-jüdischen Familie aus Ruse (Bulgarien) entstammend, lebte damals durch längere Zeit in Wien. Sowohl der Einfluss der Kraus’schen Sprachkritik wie das Erlebnis des 15. Juli 1927, das ihn zu seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem Phänomen der »Masse« motivierte, besonders aber die in Wien erlebte Sprachwelt prägten seine Laufbahn als Schriftsteller und Denker. 9.6.4 Literatur der Großstadt – Literatur der Provinz
Bleiben wir bei der Literatur der Zwischenkriegszeit. In den zwanziger Jahren lebten und arbeiteten noch Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, der durch seine Bemühungen um die Salzburger Festspiele die stärkste Nachwirkung erzielte. Hofmannsthal war durch die große Zäsur von 1918 aufs stärkste erschüttert, wovon sein Briefwechsel mit dem jungen Schweizer Diplomaten Carl J. Burckhardt ein beredtes Zeugnis ablegt. Von den damals aktiven Schriftstellern wurden mehrere von der Literaturwissenschaft »kanonisiert« – in erster Linie Hermann Broch (1886–1951) und Ro-
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bert Musil (1880–1942). Musil war über Brochs Romantrilogie »Die Schlafwandler« erbost, weil dieser ihm angeblich die Thematik (das Hinübergleiten einer Gesellschaft in Inhumanität, Imperialismus und Krieg) seines großen, unvollendeten Romans »Der Mann ohne Eigenschaften«, dessen ersten beiden Bände 1931 und 1933 erschienen, vorweg genommen hätte. Eingerahmt von der etwas skurrilen Rahmenhandlung der »Parallelaktion«, den großen Planungen zur Feier des 70. Regierungsjubiläums Franz Josephs parallel zum 40. Regierungsjubiläum Wilhelms II. 1918 (!), besteht der »Mann ohne Eigenschaften« aus zahlreichen Essays, von denen das so genannte »Kakanien«Kapitel mit seiner oft zitierten Charakterisierung der Habsburgermonarchie wohl das bekannteste ist. Das Vorbild für den Dichter Feuermaul im »Mann ohne Eigenschaften« bietet ein anderer sehr erfolgreicher Schriftsteller : Franz Werfel (1890–1945). In seinen zahlreichen Romanen setzte sich der Gemahl von Alma Mahler mit verschiedenen Facetten seiner Zeit auseinander. Bis heute wird er in Armenien wegen der »40 Tage des Musa Dagh«, die den Armenier-Genozid während des Ersten Weltkrieges und den tapferen Widerstand einer Armeniergemeinde thematisieren, hoch verehrt. Immer wieder geht es bei Werfel um religiöse Entscheidungen, was mit seiner wachsenden Hinwendung zum Katholizismus zusammenhing. Dennoch trat er niemals aus dem Judentum aus. Nimmt man noch Joseph Roth (1894–1939) und Stefan Zweig (1881–1942) dazu, so hat man die auch nach ihrem Tod gelesenen österreichischen Schriftsteller im Wesentlichen schon genannt. Der zunächst als Journalist in Deutschland erfolgreiche Joseph Roth begründete mit dem »Radetzkymarsch« (1932) eine von Trauer umwobene Sicht auf die Spätphase der Habsburgermonarchie, die 1938 in der »Kapuzinergruft« noch eine Fortsetzung fand. In diesem Roman behandelt Roth die verlorene Gesellschaft der ehemaligen Offiziere im Wien der Nachkriegszeit. Im »Hiob« (1930) beschreibt er das Leben eines orthodoxen russischen Juden, dem nach zahlreichen Schicksalsschlägen zuletzt sein bereits totgeglaubter behinderter Sohn als großer Künstler wieder begegnet. Stefan Zweig hinterließ neben den »Sternstunden der Menschheit« und zahlreichen Biographien die erst im Exil und knapp vor seinem Tod entstandene »Welt von gestern, Erinnerungen eines Europäers« (1942) – ein Buch, das bis heute als eine der besten literarischen Darstellungen der europäischen und insbesondere der altösterreichischen Welt vor 1914 gilt. Wenn wir hier auch Ödön von Horvath (1901–1938) nennen, der ungarischer Staatsbürger war und dessen literarischer Durchbruch in Deutschland erfolgte, so deshalb, weil seine Dramen ganz stark von der Tradition des Wiener Volksstückes geprägt waren – freilich ohne dessen Neigung zu scheinbar »guten« Lösungen (»Geschichten aus dem Wienerwald« 1931). Von den damals oft sehr erfolgreichen Konkurrenten und Opponenten dieser Literaten kennt man vielfach nur mehr die Namen. Ihre deutschnationale Grundstimmung vereinigte zahlreiche dieser Damen und Herren im »Bekenntnisbuch österreichischer Dichter«, das 1938 als Jubelbuch zum Anschluss erschien. Hier publizierten unter an-
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derem Bruno Brehm (»Die Throne stürzen«, eine Trilogie auf den Untergang der alten Reiche), Egon Cäsar Conte Corti (der Biograph der Kaiserin Elisabeth), Paula Grogger (»Das Grimmingtor«, ein Roman aus dem steirischen Ennstal), Max Mell, Franz Tumler, auch der nach 1945 als Weihnachts-Romantiker beliebte Karl Heinrich Waggerl und Josef Weinheber (1892–1945). Der Autodidakt Weinheber war ein hoch begabter Sprachkünstler. Dem Wiener Dialekt vermochte er in »Wien wörtlich« unvergängliche Formulierungen abzugewinnen ; vielfach sind seine Gedichte aber auch von der Trauer um die untergegangene Monarchie geprägt. Auch er ließ sich für den Hitler-Jubelband gewinnen, hoch geehrt von der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Immer wieder geht es um den Gegensatz von Stadt und Land. War die Großstadtkultur vor 1914 kaum in Frage gestellt worden, so hat man jetzt in den Bundesländern das »rote«, »verjudete« Wien, den viel zu großen »Wasserkopf«, der keine Funktion mehr hatte, als etwas feindliches, nicht zu dem kleinen Land passendes abgelehnt. Bisher war, sieht man von dem überaus erfolgreichen Peter Rosegger (†1918) in Graz ab, das deutschsprachige literarische Leben der späten Habsburgermonarchie stark auf Wien (und Prag !) konzentriert. Nun aber drängten Dichter und Schriftsteller aus den Bundesländern stärker in die Öffentlichkeit. Der Heimatroman erlebte eine Blütezeit. Paula Groggers »Grimmingtor« wurde schon genannt. Einer ähnlichen Tendenz wie der Heimatroman diente eine neue Dorflyrik, die Landleben und Bauerntum als unveränderliche gesellschaftliche Konstante pries. Auf dem Kongress des internationalen PEN-Clubs 1933 in Dubrovnik kam es zum offenen Bruch zwischen den liberalen, antifaschistischen oder »linken« Schriftstellern und den »völkischen«, »heimattreuen«. Dass sich die »völkischen« Dichter Bruno Brehm, Mirko Jelusich oder Robert Hohlbaum der Verurteilung Hitler-Deutschlands wegen der dortigen Bücherverbrennung nicht anschlossen, ist klar. Aber auch Stefan Zweig und Felix Salten (1869–1945) unterschrieben nicht – wahrscheinlich wegen des Absatzes ihrer Bücher in Deutschland. Gegen die dörfliche Literatur stand eine ebenso bewusste Großstadtliteratur. Der 1925 ermordete Hugo Bettauer (1872–1925) skizzierte in seiner »Stadt ohne Juden« das Schicksal Wiens nach einem Wahlsieg der Christlichsozialen und der folgenden Vertreibung der Juden – man musste sie wieder zurückholen, weil ohne Juden Wirtschaft und Kultur zusammenbrachen. Als 1938 die Probe aufs Exempel folgte, gab es für die meisten Juden allerdings keine Rückkehr. – Rudolf Brunngraber (1901–1960) verband in seinem Roman »Karl und das 20. Jahrhundert« das individuelle Schicksal eines Mannes, der aus einer Arbeiterfamilie stammt, im Krieg als Fliegeroffizier aufsteigt und zuletzt arbeits- und ausweglos endet, mit den ökonomischen Daten, die jenes Schicksal bestimmten. Darin schlug sich die Ausbildung Brunngrabers an Wiener Volkshochschulen und durch Otto Neurath (1901–1960), ein Mitglied des »Wiener Kreises«, nieder.
Das »Rote Wien« und die Provinz: Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938
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Der »Wiener Kreis« stand zwar eher den Sozialdemokraten nahe, war aber keineswegs an Marx orientiert, sondern an der empiristischen Tradition von Ernst Mach (1838– 1916) und Ludwig Boltzmann (1844–1906). Im Mittelpunkt dieser lockeren Vereinigung stand Moritz Schlick (1882–1936). Schlick galt als »wahrhaft weiser, wahrhaft guter Mensch« (Hilde Spiel). Er wurde 1936 durch einen geistig verwirrten Schüler ermordet. Otto Neurath wurde schon genannt, ferner sind Rudolf Carnap (1891–1970), Viktor Kraft (1880–1975) und Hans Hahn (1879–1934) zu erwähnen. Ziel des »Wiener Kreises« war die Umsetzung aller wissenschaftlichen Aussagen in eine abstrakte formale Sprache. Die Philosophie Ludwig Wittgensteins (1889–1951) beeinflusste die Arbeit des Wiener Kreises. Eher am Rande gehörte ihm Karl Popper (1902–1994) an, dessen später so einflussreiches Hauptwerk »Logik der Forschung« 1934 erschien. Der Trägerverein des Wiener Kreises wurde 1934 aufgelöst. Gegen Schlick wandte sich Othmar Spann (1878–1950), dessen Staatskonzeption von der Romantik beeinflusst war. Spanns antirepublikanische und antidemokratische Lehre vom »wahren Ständestaat« beeindruckte zahlreiche Studenten. Besonders in Heimwehrkreisen fand seine Ganzheitsphilosophie lebhaften Anklang. Die Realisierung des »Ständestaates« in der Verfassung 1934 lehnte er jedoch ab. Spann war eigentlich Nationalökonom, aber in der zentralen Auseinandersetzung zwischen den Austromarxisten und den Nachfolgern der »Wiener Schule« von Carl Menger (1840– 1921), Eugen von Böhm-Bawerk (1851–1914) und Friedrich von Wieser (1851–1926) spielte er keine Rolle. Von den Austromarxisten Rudolf Hilferding (1877–1941), Otto Bauer und Karl Renner (1870–1950) verfasste das für die Wirtschaftswissenschaften wichtigste Werk »Das Finanzkapital« Rudolf Hilferding. Er ging allerdings schon 1906 nach Deutschland. Renner und Bauer konzentrierten sich eher auf Nationalitätenprobleme und Staatstheorie. Im Sommersemester 1905 besuchten Bauer, Hilferding, Joseph Schumpeter (1883–1950) und Ludwig von Mises (1881–1973) gemeinsam das nationalökonomische Seminar bei Böhm-Bawerk. Mises erinnerte sich später, dass Bauer die Marx-Kritik des Professors (Böhm-Bawerk) zu widerlegen versuchte. Das war eine Sternstunde der wissenschaftlichen Diskussion ! Mises hat später, 1922, in seinem Buch über »Gemeinwirtschaft« die sozialistische Vision der Austromarxisten zerpflückt. Er wies nach, dass es ohne Markt keine rationale Preisgestaltung gebe, daher könne man nicht ökonomisch kalkulieren. Der Markt sei eben nicht durch eine zentrale Planungsbehörde zu ersetzen. Denn der Markt bestehe aus hunderttausenden von Gleichungen mit hunderttausenden Unbekannten. Die Folge davon seien notwendige Fehlinvestitionen, da man die anonyme Nachfrage von Millionen Menschen nicht im Voraus wirklich kenne. Spätestens 1938 waren alle in der Fremde – die Austromarxis-
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ten seit 1934, die liberalen Theoretiker wie Mises, Gottfried Haberler (1900–1995), Oskar Morgenstern (1902–1977), Fritz Machlup (1902–1983) seit 1938. Nicht nur die österreichische Nationalökonomie verlor spätestens 1938 ihre besten Köpfe. Ebenfalls großstädtisch und in enger Verbindung mit der Gemeinde Wien entwickelten Karl (1869–1963) und Charlotte Bühler (1893–1974) eine neue Experimentalpsychologie. Besonders ihre Forschungen zur Psychologie der Kinder (Karl Bühler) und Jugendlichen (Charlotte Bühler) regten viele weitere Arbeiten an. Sie wurden auch für die pädagogische und psychologische Beratungstätigkeit im Rahmen der Gemeinde Wien bedeutsam. Charlotte Bühler gilt als wichtige Anregerin der empirischen Sozialforschung. Von ihr beeinflusst entwickelte Paul Lazarsfeld (1901–1976) schichtspezifische Methoden der Jugendforschung. Das bedeutendste Produkt dieser Richtung sind die berühmt gewordenen »Arbeitslosen von Marienthal« (1933), eine Studie, die Lazarsfeld gemeinsam mit Marie Jahoda (1907–2001) und Hans Zeisel (1905–1992) erarbeitete. Dabei wurden quantifizierende Methoden ebenso angewandt wie die qualitative Analyse. Lazarsfeld und seine Mitarbeiter verließen schon früh Österreich, das Ehepaar Bühler 1938. 1930 erschien das Alterswerk Sigmund Freuds, »Das Unbehagen in der Kultur«. Der moderne Mensch ist trotz aller Segnungen durch die immer grandiosere Technik nicht glücklich. Die Glücksversprechen der Religion werden unwirksam. Lebenssinn kann man nur durch die Kultur gewinnen. Aber Kultur entsteht nur durch permanenten Triebverzicht. Ob es aber auf die Dauer gelingen würde, den »menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb« (Freud) zu bändigen, müsse offen bleiben. 9.6.6 Bildende Kunst
Ähnlich wie in der Literatur gewann auch in der Bildenden Kunst die »Provinz« gegenüber der überragenden Stellung Wiens eine eigene Bedeutung. Ausgerechnet 1918 waren viele der Großen der Wiener Kunstszene gestorben : Otto Wagner, Gustav Klimt, Kolo Moser, Egon Schiele. Oskar Kokoschka war nur mehr zeitweilig im Land. Gegenüber der Stadt dominierte jetzt vielfach das Land. Alfred Kubin (1877–1959) zeichnete seine gespenstischen Alpträume in der ländlichen Idylle von Wernstein am Inn. Die Flucht in ein ländliches Umfeld war typisch für die Maler der 1920er Jahre. Aus Berlin kam der Maler Werner Scholz ins tirolische Alpbach, aus Württemberg Anton Mahringer nach Kärnten, wo er sich dem Nötscher Kreis um Anton Kolig (1886–1950) und Franz Wiegele (1887–1944) anschloss ; der Elberfelder Werner Berg (1904–1981) siedelte sich in Unterkärnten an. Der neben Kokoschka wohl bedeutendste österreichische Maler der Zwischenkriegszeit war der Kärntner Herbert Boeckl (1894–1966), dessen »Anatomie« (1931) den toten, bereits geöffneten Körper in den Mittelpunkt rückt,
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die Anatomen selbst wirken wie bei einem »feierlich zelebrierten Ritual« (Wieland Schmied). Galt Boeckl als bäuerliches Talent, so auch Anton Faistauer (1887–1930), der aus einer alten Salzburger Bauernfamilie stammte. Von Zeitgenossen unter anderem für seine Fresken im Foyer der Salzburger Felsenreitschule hochgeschätzt, starb er schon früh, vielleicht an Überarbeitung. Ebenfalls einen bäuerlichen Hintergrund, diesmal aus Osttirol, hatte Albin Egger-Lienz (1868–1926). Dort, im Schloss Bruck in Lienz, ist auch ein wichtiger Teil seines Œuvres aufbewahrt, durchwegs von einem »bäuerlich-derben Expressionismus« (Wieland Schmied) geprägt. Vielleicht sein bekanntestes Bild sind »Die Namenlosen« (1914), eine Fülle gebückter, gesichtsloser bewaffneter Gestalten, die dem Feind (und dem Tod) entgegeneilen. Seine bäuerlichen »Kriegsfrauen« (1917 oder 1918) haben harte, kantige, magere, verschlossene Gesichter, geprägt von schwerer Arbeit, Trauer und Sorge. Auch aus der »Provinz« kam der Steirer Wilhelm Thöny (1888–1949), der nur von 1923–1931 in Graz lebte und arbeitete, ansonsten war er unstet unterwegs, in München, Paris, New York. Auch in der Architektur erhob das Land, die »Provinz« einen neuen Geltungsanspruch. »Man könnte die ›Machtergreifung‹ Clemens Holzmeisters in Wien, er war unter Dollfuß immerhin Staatsrat für Kunst, auch als Symbol des Sieges der ›schwarzen Provinz‹ über das ›Rote Wien‹ sehen.« (Friedrich Achleitner) Mit dieser »Machtergreifung« ist die Gründung eines »Neuen Werkbundes« unter Holzmeisters Führung (Vizepräsidenten waren Josef Hoffmann und Peter Behrens) gemeint, der an die Stelle des bisherigen Werkbundes treten sollte, der 1932 mit der Wiener Werkbundsiedlung noch exemplarisch zeigte, wie individuelles, billiges und gleichzeitig künstlerisch hochwertiges Bauen und Wohnen aussehen könnte. In diesem alten Werkbund verblieben nach 1934 eher die der Sozialdemokratie nahe stehenden Architekten wie Josef Frank, Ernst A. Plischke oder Oskar Strnad. Der Tiroler Clemens Holzmeister hatte sich durch seine Bauten in der neuen türkischen Hauptstadt Ankara bereits einen Namen gemacht. In den 1930er Jahren baute er Kirchen und das neue Festspielhaus in Salzburg. Die Jahre der Emigration nach 1938 verbrachte er wieder in der Türkei.
Abb. 10: Razzia im israelitischen Gemeindehaus in Wien, 1938. © Bundesarchiv Koblenz.
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10.1 Der Anschluss Das Juliabkommen 1936 hatte die Handlungsfähigkeit der österreichischen Regierung stark eingeschränkt. Zur »deutschen« Außenpolitik, zu der sich der »zweite deutsche Staat« verpflichtet hatte, bestanden kaum mehr Alternativen. Die »kleine Entente« war auf Grund der engen Kontakte Jugoslawiens zu Hitlers Deutschland bereits Geschichte geworden. Zwar versuchte Schuschnigg, durch gute Kontakte zum tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Milan Hodža, einem Slowaken, der vor dem Krieg zeitweilig dem Kreis um den Thronfolger nahe gestanden war, mit der ČSR ein besseres Verhältnis aufzubauen. Aber weder die weiterhin bestehenden Kontakte nach Italien noch die nach Frankreich eröffneten einen größeren außenpolitischen Spielraum. Großbritannien hielt sich überhaupt heraus – dort hoffte man nur, dass die unausweichlichen Veränderungen in Mitteleuropa ohne Blutvergießen vor sich gehen würden. Österreich blieb im Völkerbund, enthielt sich aber bei der Verurteilung Italiens wegen des Überfalls auf Äthiopien der Stimme. Den besten Ansatzpunkt für Interventionen aus Berlin bildete die Zusage Schuschniggs, Vertreter der »nationalen Opposition« in die Regierung aufzunehmen. Als Gegengewicht wertete Schuschnigg die Erinnerung an die Habsburger auf. Zahlreiche Gemeinden verliehen dem Sohn des letzten Kaisers, Erzherzog Otto, die Ehrenbürgerschaft. Eine Wiedereinsetzung der Habsburger hätte jedoch den sofortigen Einmarsch der Deutschen bedeutet – die Wehrmachtsplanungen für einen Einmarsch in Österreich liefen unter dem Codewort »Fall Otto«. Außerdem stieß der Gedanke der Restauration auch sonst nirgends auf Zustimmung. Keinen Kontakt hatte Schuschnigg zur Linken. Abgesehen vom Widerstand Hitlers und Mussolinis gegen solche Versuche war auch Schuschnigg selbst innerlich nicht dazu bereit. Die Auflösung der Christlichsozialen Partei 1934 und die Entmachtung Starhembergs und der Heimwehren 1936 beseitigten mögliche Konkurrenten. Sie lösten aber bei den Betroffenen nur Verbitterung aus und bedeuteten letztlich eine Verengung der gesellschaftlichen
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Basis seiner Regierung. Schuschniggs einzige – zeitweilige – Chance waren die Konflikte innerhalb der österreichischen Nationalsozialisten, zwischen den Vertretern eines evolutionären Weges und der (illegalen) Landesleitung, die zur nationalsozialistischen Revolution drängte. Letztlich waren diese Unterschiede belanglos, denn die Entscheidung fiel in Berlin. Am 12. Februar 1938 kam es zum folgenschweren Treffen zwischen Hitler und Schuschnigg in Berchtesgaden. Mehrere Generäle standen herum, als Drohkulisse. Schuschnigg wurde massiv eingeschüchtert, dem Kettenraucher wurde das Rauchen verboten. Hitler verfuhr mit Schuschnigg wie mit einem ungehorsamen Untergebenen. Völlig verstört kam Schuschnigg am Abend nach Salzburg zurück. Das Ultimatum Hitlers, befristet bis 18. Februar, lautete : Der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart wird Sicherheitsminister, es gibt eine volle Amnestie für alle verurteilten Nazis. In der letzten Februarwoche begann die Mobilisierung der österreichischen Nationalsozialisten, sie traten immer offener auf. Am 24. Februar hielt Schuschnigg vor dem Bundestag eine große Rede, die mit den Worten endete : »Bis in den Tod Rot-WeißRot ! Österreich !« In Graz, wo die Nazis bereits die Straßen beherrschten, zerrissen Demonstranten die österreichische Fahne. Diese Tendenz der »quasirevolutionären Machtergreifung« steigerte sich noch bis zum 11. März 1938. Sie wäre allerdings ohne den massiven Druck des Deutschen Reiches kaum erfolgreich gewesen. Diese zweite Ebene des kommenden »Umsturzes« ist immer mitzudenken. Sie wurde entscheidend, als sich Schuschnigg zu einem dramatischen Schritt entschloss : Am 9. März kündigte er für den 13. März eine Volksbefragung an. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, für ein »freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich … « zu stimmen. Abgesehen von der Problematik einer solchen überstürzten Abstimmung wurde doch eine deutliche Mehrheit für den Aufruf des Kanzlers erwartet. Auch die Revolutionären Sozialisten und die Kommunisten riefen zu Ja-Stimmen auf. Hitler antwortete auf die Ankündigung Schuschniggs am 10. März mit einem Ultimatum. Schuschnigg gab am 11. März nach – die Volksbefragung wurde zuerst verschoben, dann ganz abgesagt. Schuschnigg trat am Nachmittag zurück. Während am 10. März noch die Vaterländische Front mobil machte, beherrschten am 11. März zunehmend die Demonstrationen der Nationalsozialisten die Stadtbilder. Als um 19 Uhr die Nachricht vom Rücktritt Schuschniggs im Rundfunk bekannt gegeben wurde, übernahmen die Nationalsozialisten in den Bundesländern die Macht. Gleichzeitig marschierten deutsche Truppen an der Grenze auf. Um 20 Uhr hielt Schuschnigg im Rundfunk seine Abschiedsrede, in der er mitteilte, dass »(…) wir der Gewalt weichen.« Da er nicht gesonnen sei, »auch in dieser ernsten Stunde nicht, deutsches Blut zu vergießen«, habe er den österreichischen Truppen den Befehl gegeben, sich ohne Widerstand zurückzuziehen. Schuschnigg schloss : »Gott schütze Österreich !« Nun forderte Hermann Göring, der jetzt die Aktion in Berlin leitete, ul-
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timativ eine Regierung Seyß-Inquart und die Legalisierung der österreichischen NSDAP. Gleichzeitig sollten die österreichischen Nazis in Berlin um militärische Hilfe ersuchen, um den bereits für die Morgenstunden des 12. März geplanten Einmarsch zu legitimieren. Aber Hitler hatte den Einmarschbefehl schon um 20 Uhr 45 erteilt – er hatte inzwischen erfahren, dass Mussolini nicht eingreifen würde, wofür der »Führer« sich unendlich dankbar zeigte. Um 22 Uhr gab Bundespräsident Miklas dem Drängen des Deutschen Reiches und der österreichischen Nazis nach und ernannte SeyßInquart zum Bundeskanzler. Es wurde eine Regierung für kaum zwei Tage. Das war die sozusagen »legale« Machtergreifung (dritte Ebene). Inzwischen erfolgte auf den Straßen die »Machtergreifung von unten«. Überall tauchten Hakenkreuzfahnen auf, schon lange vorbereitet oder improvisiert, es wurde geschrien, gelärmt, gebrüllt. »Die lang aufgestauten Frustrationen durch die Weltwirtschaftskrise und den ›Ständestaat‹ schlugen um in einen irrealen Hoffnungsausbruch.« (Ernst Hanisch) Schon kam es zu den ersten Übergriffen gegen Juden – endlich konnte sich der alte antisemitische Hass ungehemmt ausleben ! Auch die Vertreter des ständestaatlichen Regimes wurden sofort attackiert – in Oberösterreich wurden vier Kriminalund Polizeibeamte ermordet. SA-Leute ernannten sich selbst zu Polizisten, schon wurden Menschen verhaftet, in den nächsten Monaten wurden es insgesamt etwa 20.000. Am Morgen des 12. März erfolgte der Einmarsch der deutschen Truppen. Bevor sie Wien erreichten, landete im Morgengrauen Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, in Wien. Auch etwa 12.000 deutsche Polizisten kamen nach Österreich. Diese durch keine – nicht einmal die nationalsozialistische – Regierung erbetene Besetzung konnte später als Beweis für die völkerrechtliche Okkupationstheorie (dazu später !) dienen. Der Weg der deutschen Truppen Richtung Wien war gesäumt von jubelnden Menschenmassen. Man sprach vom »Blumenkrieg«. Für den März herrschte außerdem ein ungewöhnlich warmes und schönes Wetter – es unterstützte die Feststimmung. Man kann den Stimmungsumschwung dieser Tage wohl nur als pseudoreligiöses Erlösungserlebnis (oder zumindest als Erlösungshoffnung) nach einer Phase ständig steigender Spannung deuten. Das »Tausendjährige Reich« des Friedens und Überflusses schien anzubrechen. Alles würde jetzt besser werden. »Da Hitler is kemma wia da Herrgott fia die kloan Leut«, formulierte es ein ländlicher Zeitgenosse. Als Hitler auf der Fahrt nach Linz diesen Jubel erlebte, beschloss er den »vollen« Anschluss – nicht mehr ein nationalsozialistisches, gleichgeschaltetes Österreich war das Ziel, sondern die volle Integration in das Deutsche Reich. Am 13. März ergingen zwei gleichlautende Gesetze, ein deutsches und ein österreichisches, von der Regierung Seyß-Inquart beschlossen, über den Vollzug des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich. Bundespräsident Miklas war davor zurückgetreten – er unterschrieb das Gesetz nicht.
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Was sich in Österreich zwischen dem 13. März und dem 10. April 1938 abspielte, war ein »Volksfest in Permanenz« (Ernst Hanisch). Eine gewaltige Propagandamaschine lief an. Kein mögliches Medium wurde ausgelassen, Kino, Radio, Flugzeuge, die Flugblätter abwarfen oder Parolen in den Himmel schrieben, Versammlungen, Aufmärsche, Reden prominenter Nationalsozialisten, zuletzt : Der Auftritt des »Führers«. Ebenso wie die Reden seiner Paladine waren auch die Reden Hitlers sorgfältig aufgebaut, mit einer großen Steigerung zum Schluss. Genauso verhielt es sich mit der gesamten Kampagne. Manche Historiker wollen in diesem gigantischen »Gesamtkunstwerk« der Propaganda das Muster Wagner’scher Opern oder Bruckner’scher Symphonien erkannt haben. Die Propaganda beließ es nicht bei verbalen Beschwörungen und Versprechen. Man schickte Kinder zur Erholung in das »Altreich«. Sofort wurde an die »Ausgesteuerten«, jene Arbeitslosen, die keine Unterstützung mehr erhielten, wieder Arbeitslosengeld bezahlt. Demonstrativ nahm man ehemalige Schutzbündler und andere Sozialdemokraten, die nach dem Februaraufstand 1934 aus dem Dienst der Gemeinde Wien entlassen worden waren, wieder auf. Die »verführten« marxistischen Sozialisten sollten eben zum richtigen, nationalen Sozialismus bekehrt werden ! Auch wurde sogleich ein Verbot der Versteigerung verschuldeter Bauernhöfe erlassen. Das wichtigste aber war : Jeder Mensch in Österreich sollte bis zum 10. April ohne Unterbrechung mit der Abstimmung konfrontiert sein. Sie sollte die tiefe Dankbarkeit für den »Führer« ausdrücken, der »seine Heimat« in das Deutsche Reich »heimgeführt« hatte. Für die Vorbereitung der Volksabstimmung ernannte Hitler einen persönlichen Beauftragten, den Pfälzer Josef Bürckel. Er hatte schon die für Hitler erfolgreiche Volksabstimmung im Saarland (1935) vorbereitet, galt daher als bestens qualifiziert. Überflüssig zu erwähnen, dass es keine Möglichkeit für die Artikulation auch nur einer oppositionellen Stimme gab. Denn die dafür in Frage kommenden Männer befanden sich inzwischen schon in Dachau. Der berüchtigte erste »Prominenten«-Transport in dieses Konzentrationslager erfolgte am 1./2. April 1938. Ihm gehörten zahlreiche Mitglieder der ständestaatlichen Eliten an. Unter ihnen befanden sich der Wiener Bürgermeister von 1934 bis 1938, Richard Schmitz (KZ Dachau bis 1945), der Gewerkschaftspräsident Johann Staud (1939 im KZ umgekommen), oder der frühere Bauernbunddirektor und spätere Bundeskanzler Leopold Figl (Dachau 1938 bis 1943 und Mauthausen 1944/45). Ebenso »erwischte« es Offiziere von Bundesheer und Polizei, die 1934 gegen die Nazi- Putschisten vorgegangen waren. Aber auch Funktionäre der illegalen Revolutionären Sozialisten wie der spätere Minister Franz Olah wurden schon im ersten Transport eingeliefert. Dazu kamen prominente Juden, Journalisten und Künstler, wie der Komiker Fritz Grünbaum, der sich über die Nazis lustig gemacht hatte. Bis sie in Dachau ankamen, waren sie kaum mehr zu erkennen, wegen der ständigen Ohrfeigen und Prügel. Der Terror stand schon von Beginn an neben der Propaganda !
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Am wertvollsten waren den Nazis natürlich zustimmende Stellungnahmen von Seiten, die dem Nationalsozialismus nicht nahestanden. Zwei sind hier besonders zu nennen : Die Stellungnahme der katholischen Bischöfe und jene von Karl Renner. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Theodor Innitzer, bemühte sich schon beim ersten Besuch Hitlers in Wien (15. März) um einen Termin beim »Führer«. Hitler gab dem verunsicherten Innitzer einige beruhigende Auskünfte. Am 18. März unterzeichneten die Bischöfe gemeinsam eine von Bürckel vorgelegte und vorformulierte Erklärung, in der sie dazu aufriefen, mit »Ja« zu stimmen, und »freudig« die sozialen Leistungen des Nationalsozialismus anerkannten. Gemeinsam mit dem Begleitbrief Innitzers an Bürckel, den der Kardinal handschriftlich mit »und Heil Hitler !« versehen hatte, wurde diese Erklärung sogleich faksimiliert und auf zahlreichen Plakaten affichiert. In Rom war man empört. Der Kardinal-Staatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., fand die Erklärung vollkommen unmöglich. Innitzer wurde nach Rom zitiert und dazu verhalten, der Bischofserklärung einige Vorbehalte hinzuzufügen und diese zu veröffentlichen. Als Innitzer am Vorabend der Abstimmung, am 9. April, wieder bei Hitler vorsprach, war Schluss mit der Freundlichkeit – wegen der von Rom verlangten Einschränkungen gebe es leider keine Zugeständnisse des Reiches. Vor allem sah Hitler Österreich als konkordatsloses Territorium – das deutsche Reichskonkordat gelte hier nicht und das Dollfuß-Konkordat sei sowieso ungültig. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Viel feuriger als die Erklärung der katholischen Bischöfe fiel die Erklärung des Oberkirchenrates des Evangelischen Kirchen (A. B. und H. B.) aus, die Hitler als »Retter aus fünfjähriger schwerster Not« begrüßten. Aber das war wenig relevant, die Protestanten waren schon vorher auf Anschlusskurs. Mindestens ebenso nützlich wie die Bischofserklärung fanden die Nationalsozialisten die Erklärung Karl Renners, die am 3. April 1938 in Form eine Interviews im »Neuen Wiener Tagblatt« veröffentlicht wurde. Renner verwies darin auf seine Rolle bei der Gründung der Republik und bejahte dann den Anschluss an Hitlers Reich, obgleich er »nicht mit jenen Methoden errungen (wurde), zu denen ich mich bekenne (…)«. Das Interview schloss mit der Bekräftigung Renners, er werde, »als Sozialdemokrat«, aber auch als »erster Kanzler der Republik Deutsch-Österrech«, mit Ja stimmen. Dass er mit diesem Interview einen befreundeten Sozialdemokraten freibekommen wollte, hat er selbst nie bestätigt. Nun, mit oder ohne Renner und die Bischöfe wäre jedenfalls das Ergebnis für Hitler gewesen. Ob die genannten 99,6 % tatsächlich »stimmen«, ist verhältnismäßig irrelevant. Alle Juden und die inhaftierten politischen Gegner durften sowie nicht abstimmen, das waren allein in Wien mindestens 230.000 Personen. Der Anschluss war vollzogen, die Abstimmung war nur die plebiszitäre Bestätigung des Faktischen.
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10.2 Das Herrschaftssystem Das nationalsozialistische Herrschaftssystem war keineswegs jener monolithische Führerstaat, als der er sich darstellte. In der modernen Forschung wird das nationalsozialistische Herrschaftssystem als »Polykratie« verstanden. Es gab eine Vielzahl miteinander konkurrierender Gewalten : die Partei und ihren Apparat, der immer selbstständiger agierende SS-Komplex, der auch die Polizei, die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und die Konzentrationslager umfasste, die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die Wehrmacht, die Wirtschaft. Hitler war mit »Führerbefehlen« sparsam, er ließ seine Paladine gewähren, gemäß seiner sozialdarwinistischen Anschauung, dass sich der Stärkere durchsetzen werde. Die Konkurrenz verschiedener Herrschaftsträger führte dazu, dass sich jeder einzelne von ihnen noch »tüchtiger«, noch fanatischer und gewalttätiger gab, um Hitler zu gefallen. Man kann das am Beispiel Wiens recht gut beobachten. Gleich nach der Machtergreifung wurde Hermann Neubacher, ein enger Freund Seyß-Inquarts, zum Bürgermeister bestellt. Seit 1924 Generaldirektor der GESIBA, hatte er beste Kontakte zur Sozialdemokratie, aber auch zu Schober, Dollfuß und Starhemberg. Später wurde er, der immer schon den Anschluss vertreten hatte, Nationalsozialist. 1935 festgenommen und zu längerer Haft verurteilt, ging er nach der Juli-Amnestie nach Berlin zu I. G.-Farben. Als Bürgermeister von Wien geriet er bald in eine Konkurrenzsituation zu Bürckel, der seinerseits mit dem »Reichsbeauftragten für Österreich«, Wilhelm Keppler, rivalisierte, der aber bald unterlag. Am 23. April wurde Bürckel zum »Reichskommissar für die Wiedervereinigung« bestellt, mit weitgehenden Vollmachten gegenüber der Partei und den staatlichen Instanzen. Noch im Frühjahr wurde die neue Parteigliederung in »Gaue« vorgenommen. Dabei wurde das Burgenland aufgeteilt auf Niederösterreich, jetzt »Niederdonau«, und Steiermark, Vorarlberg an Tirol angegliedert, Osttirol wurde Kärnten zugesprochen. Während als oberster faktischer Vertreter Hitlers in Österreich Bürckel fungierte, wurden als Gauleiter durchwegs Österreicher ernannt : Odilo Globočnik für Wien, Hugo Jury für »Niederdonau«, Franz Hofer für Tirol, Friedrich Rainer für Salzburg, August Eigruber für »Oberdonau«, Hubert Klausner für Kärnten und Sigfried Uiberreither für Steiermark. Wien wurde stark vergrößert, neben Städten wie Klosterneuburg, Großenzersdorf, Schwechat und Mödling wurden zahlreiche Agrargemeinden zu Wien geschlagen. Die Fläche der Stadt wurde von 27.800 ha auf 121.800 ha erweitert. Die dicht verbaute Stadt sollte durch große Siedlungen mit Ein- und Zweifamilienhäusern in den neuen Randgebieten aufgelockert werden. Ein zusätzliches Motiv waren die verbesserten Möglichkeiten der Lebensmittelversorgung für Wien. Die eingemeindeten Gebiete profitierten von der Eingemeindung, da sie dadurch an großstädtischen Diensten wie Müllabfuhr, öffentlichem Verkehr, Strom- und Telefonversorgung usw. teilhaben konnten.
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Die österreichische »Landesregierung« unter Seyß-Inquart verlor ständig an Kompetenzen. Immerhin wurden die Beschlagnahmungen von so genanntem »jüdischem« oder anderem als staatsfeindlich geltenden Vermögen 1938/39 noch »zugunsten des Landes Österreich« durchgeführt. Nach längeren Vorbereitungen wurde mit dem »Ostmarkgesetz« vom April 1939 das »Land Österreich« aufgelöst. Die früheren Bundesländer wurden zu »Reichsgauen«, die direkt Berlin unterstellt wurden. In diesen Reichsgauen vereinigte der Gauleiter die Funktionen des Leiters der NSDAP mit denen des »Reichsstatthalters«, des früheren Landeshauptmannes. Nach Kriegsbeginn erhielt der Gauleiter noch zusätzliche Kompetenzen als »Reichsverteidigungskommissar«. Die Gauleiter im ehemaligen Österreich verfügten daher über eine beträchtliche Machtfülle. Außerdem waren die meisten von ihnen, mit Ausnahme von Uiberreither in der Steiermark, im SS-Komplex verankert, was ihnen auch die Loyalität dieses gewichtigen Machtzentrums sicherte. Bürckel übernahm jetzt auch noch die Position des Gauleiters für den Reichsgau Wien. Globočnik war über finanzielle Eigenmächtigkeiten gestolpert und Anfang Februar 1939 enthoben worden. Unter anderem hatte er sich – angebliche für Parteizwecke – erhebliche Summen aus dem Vermögen der Vaterländischen Front gesichert, konnte darüber aber keine Rechnung legen. Er durfte später seine nationalsozialistische Gesinnung in der Judenverfolgung in Polen ausleben. Bei der »Aktion Reinhard«, der Beraubung und Vernichtung des polnischen Judentums, spielte er eine führende Rolle. Die letzte Station seiner mörderischen Laufbahn wurde Triest. Ende Mai 1945 endete sein Leben in Kärnten durch Selbstmord. Aber auch der scheinbar allmächtige Bürckel, bei den Wiener nicht besonders beliebt (»Bierleiter Gauckel«) wurden den Berliner und Münchener Zentralstellen bald zu eigenmächtig. 1940 ersetzte man ihn durch den Reichsjugendführer Baldur von Schirach, aber nur als Gauleiter von Wien. Schirach betonte den Charakter Wiens als Kulturstadt, was dem Selbstbewusstsein der Wiener schmeicheln sollte. Es gab keine für das ganze ehemalige Österreich zuständige Zentralstelle mehr. Auch der »österreichische« Nationalsozialist Hermann Neubacher wurde 1940 abgesetzt und späterhin für wirtschaftliche Kontakte nach Südosteuropa verwendet. Die letzte Veränderung auf der Ebene der Gauleiter geschah im Herbst 1941. Friedrich Rainer wurde zum Gauleiter von Kärnten bestellt. Zu seinem Wirkungskreis gehörte auch das im April 1941 okkupierte slowenische Oberkrain. Er richtete sich in Bled eine Zweitresidenz ein. Die slowenische Untersteiermark wurde zum Herrschaftsbereich Uiberreithers dazugeschlagen. In Salzburg wurde der Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel Gauleiter. Auch Scheel gehörte zum SS-Komplex, sogar zum Sicherheitsdienst, dem »Geheimdienst« der SS. Die NSDAP selbst hatte zahlreiche Posten zu vergeben. Aber auch alle wichtigen Positionen in der Staats- und Gauverwaltung sowie in Wirtschaft, Kultur, Kunst, in den Schulen und Universitäten waren nur durch Parteibeziehungen zu erlangen. Ent-
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schieden drängten seit dem 12. März 1938 »verdiente« Nazis, vor allem die Mitglieder der zurückgekehrten Österreichischen Legion und natürlich alle »Illegalen« (Parteimitglieder seit 1933, in der Phase der Illegalität) und »alte Kämpfer« (Parteimitglieder schon vor 1933), zur Futterkrippe. Das Problem der »Legionäre«, aber auch vieler anderer verdienter Parteigenossen war ihre oft sehr bescheidene Qualifikation. Das war auch einer der Gründe, warum der SS-Komplex, in dem vielfach Leute mit höherer Bildung das Sagen hatten, ziemlich leicht die wichtigsten Positionen besetzen konnte. Diesen SS-Typus charakterisiert Ernst Hanisch als »eine Kombination von Jugend, Aggressivität, Intelligenz und Effizienz, vermischt mit einem religiösen Rassenglauben.« Die SS beherrschte auch die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Das Wiener Hotel Metropol wurde als Sitz der Wiener Gestapo ein gefürchteter Schreckensort. Von dort ging’s dann nicht selten weiter in eines der Konzentrationslager. Der Terror, der das NS-Regime von allem Anfang an begleitete, blieb aber neben der Propaganda zunächst noch ein zweitrangiges Herrschaftsinstrument. Noch stand die ständige Mobilisierung, standen ständige Aufmärsche, Aufrufe und öffentliche Feiern im Vordergrund. Dazu kamen immer wieder Sammlungen, vor allem für das Winterhilfswerk, denen sich niemand entziehen durfte. Seit Kriegsbeginn berichtete der Rundfunk in »Sondermeldungen« von den großen deutschen Siegen. Sie wurden seit 1942 immer seltener. Die unteren Ränge, bis hinunter zu den Spitzelpositionen der »Blockwarte«, standen natürlich allen gesinnungstüchtigen Nazis offen. Die Zahl dieser haupt- und ehrenamtlichen Aktivisten betrug allein in Wien etwa 100.000. Von diesen Leuten kamen die meisten der zahllosen Denunziationen, vor allem wegen des Hörens von »Feindsendern«. Am Land etablierte sich das »Ortsdreieck« aus Bürgermeister, Ortsgruppenleiter und Ortsbauernführer, wobei die Parteipositionen bald wichtiger waren als der Verwaltungsposten des Bürgermeisters. Hier fielen die wichtigen Entscheidungen über die Befreiung vom Militärdienst. Die Zahl der Parteimitglieder und -anwärter war hoch. Bis 1943 stieg sie auf mehr als 500.000 – und das trotz der Befehle der Partei, dass diese eine »Elite« bleiben und der Zugang zur Mitgliedschaft erschwert werden müsse. 10.3 Der große Raubzug Die massenhafte Aneignung fremden Eigentums hatte sofort mit dem Umsturz begonnen. Nicht nur »echte« Nazis steckten sich ein Hakenkreuzabzeichen an, betraten die Wohnungen von Juden und »beschlagnahmten« Bilder, Teppiche, Geld, Schmuck, das gute Geschirr. Nicht selten haben sich einfach die Nachbarn »bedient«. Einen Schritt weiter gingen zahlreiche Nazis, die ohne weiteres ganze Geschäfte beschlagnahmten
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und sich als »kommissarische Leiter« bezeichneten, ohne Auftrag oder Ermächtigung. Man beschlagnahmte auch ganze Wohnungen, die man für die aus Deutschland gekommenen NS-, Polizei- und Wehrmachtsmitglieder brauchte. Die bisherigen Mieter wurden einfach hinausgeworfen. Diese Exzesse wurden rasch so arg, dass sogar die Partei einschreiten musste. Im Mai 1938 verbot Bürckel der SA, diesem Verein der »revolutionären« Raufbolde und Gewalttäter in der NSDAP, strengstens alle »Ausschreitungen, Unruhestiftungen, Anpöbelungen von Volksgenossen oder Nichtariern«, unter Androhung des Ausschlusses aus der SA und der Partei. Da war die Partei schon fest im Sattel, der »volkstümliche« Antisemitismus hatte sich ausgetobt, was immerhin den Nebeneffekt hatte, dass die jüdische Bevölkerung bereits vor der großen Verfolgungswelle massiv eingeschüchtert war. Der Wert der in diesem ersten großen, noch planlosen Raubzug erbeuteten Dinge dürfte in die Millionen gegangen sein. Wesentlich größere Dimensionen nahm die systematische Übernahme von großen Vermögenswerten jüdischer Einzelpersonen oder Familien an, die ebenfalls sehr schnell, aber systematisch und bürokratisch erfolgte. Schon am 26. April 1938 wurde die Anmeldung aller »jüdischen« Vermögen verfügt, die 5000 Reichsmark überstiegen. Anmeldepflichtig waren fast 44.000 Personen, etwa 146.000 fielen nicht unter die Anmeldepflicht. Für die Abwicklung der vorgesehenen »Arisierungen« wurde beim (österreichischen) Handelsministerium eine eigene Stelle, die Vermögensverkehrsstelle unter dem SS-Funktionär Walter Rafelsberger, eingerichtet. Zunächst musste man die etwa 25.000 mehr oder weniger selbst ernannten »kommissarischen Leiter« jüdischer Geschäfte unter Kontrolle bekommen. Sie bedurften ab nun für wichtigere Geschäfte der Zustimmung Rafelsbergers. Die meisten der kleineren jüdischen Geschäfte und Unternehmen wurden geschlossen. Denn die Wirtschaftspolitik des Reiches zielte auf Strukturbereinigungen ab. Damit löste sich für die meisten »kommissarischen Leiter« die Hoffnung auf eine schnelle Karriere in Luft auf. Bis 1940 wurden 18.800 »jüdische« Betriebe in Österreich – von insgesamt etwa 25.400 – liquidiert, also 75 %. 4.164 Betriebe wurden »arisiert«, etwa 2000 waren noch »in Abwicklung« begriffen. Von den »arisierten« Betrieben entfielen 1.614 auf das Handwerk, 1.870 auf den Handel, 563 auf die Industrie, 75 auf den Sektor Verkehr. Über den Wert der 43.629 angemeldeten »jüdischen« Vermögen liegen die Schätzungen zwischen etwa mehr als 2 Milliarden und etwa 2,8 Milliarden Reichsmark. Die quasi legale Arisierung war systematisierter Vermögensentzug, radikal durchgeführt nach dem Novemberprogrom 1938. Von den angemeldeten jüdischen Vermögen wurden ab November 1938 20 % bis 25 % als Judenvermögensabgabe eingehoben. Wer Hitler entfliehen konnte, musste zynischerweise noch eine »Reichsfluchtsteuer« zahlen (wieder 25 % des einbekannten Vermögens). Zuerst wurde der auf Grund der von den Juden geforderten Vermögensanmeldungen erstellte Verkehrswert geschätzt. Der jüdische Verkäufer musste weit unter diesem Wert verkaufen. Der Kaufwerber kaufte
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das Unternehmen immer noch erheblich billiger, als der eigentliche Verkehrswert gewesen wäre. Er musste noch eine »Entjudungsauflage« begleichen. Der Erlös für den jüdischen Verkäufer wurde auf ein Sperrkonto gelegt, von dem bestenfalls die Mittel für ein bescheidenes Weiterleben bzw. für die Auswanderung freigegeben wurden. Vom größeren Teil dieser Mittel sahen die »Verkäufer« nichts mehr. Bei den Banken und der Großindustrie ging es jedoch um andere Zielsetzungen. Hier standen meist die Interessen des Deutschen Reiches bzw. großer deutscher Unternehmungen im Vordergrund. Diese Geschäfte liefen vielfach nicht über die Vermögensverkehrsstelle, sondern über ein Bankinstitut, die Österreichische Kontrollbank, in der eine eigene Arisierungsabteilung unter dem tüchtigen Walther Kastner (1902–1994) eingerichtet wurde. Er war übrigens später auch bei der Rückabwicklung von Arisierungen tätig und wurde 1964 Professor für Handelsrecht an der Universität Wien. Kastners Abteilung hat bis Ende 1942 102 industrielle Großunternehmungen und Großhandelsfirmen weiter verkauft. Die Kontrollbank wurde 1943 aufgelöst – Kastner dachte an ein mögliches schlimmes Ende des »Dritten Reiches« und wollte allfällige Haftungen der Aktionäre der Bank vermeiden. Die Arisierungen der großen Unternehmen bedeuteten häufig ihren Übergang in die Hände »reichsdeutscher« Gesellschaften. So wurde die Hirtenberger Patronenund Waffenfabrik dem Konzern der Wilhelm-Gustloff-Stiftung einverleibt, die Lenzinger Zellstoff- und Papierfabrik des Bunzel & Biach-Konzerns wanderte zur Thüringischen Zellwolle AG. Die Berndorfer Krupp-Werke wurden von der deutschen Krupp-Gruppe vereinnahmt. Auch österreichische Unternehmer konnten sich gute Betriebe sichern. So erwarben F. M. Hämmerle und Franz M. Rhomberg günstig das Großkaufhaus Herzmansky, die Harmersche Gutsinhabung die Brauerei der Familie Kuffner (Ottakringer Brauerei). Von den 100 Privatbanken mit jüdischen Eigentümern erwiesen sich die meisten als längst nicht mehr rentabel, sie hatten nur mehr der Vermögensverwaltung der Eigentümerfamilien gedient. Nur sieben wurden arisiert, alle anderen liquidiert. 22 jüdische Eigentümer wurden bis 1945 ermordet, die meisten anderen konnten entfliehen. Ein besonderer Fall war der Kommerzialrat Berthold Storfer. Er organisierte für die Israelitische Kultusgemeinde und für das Eichmann-Amt Überseetransporte und illegale Flüchtlingstransporte. Er soll auch in der Schweiz Finanztransaktionen für die SS und die Gestapo durchgeführt haben. 1943 wurde er in Wien verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Der prominenteste Häftling war zweifellos Louis Rothschild. Er wurde vom März 1938 bis Mai 1939 festgehalten, um ihm seine Anteile an Witkowitz abzupressen. Die waren inzwischen schon an den englischen Familienzweig übergegangen ; dieser verkaufte zuletzt, um Louis Rothschild frei zu bekommen, doch bevor die (meisten) Papiere in Berlin ankamen, löste Hitler den Krieg aus. Rothschilds Privatbank wurde ebenso arisiert wie das Bankhaus Ephrussi & Co. Das letztgenannte
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Bankhaus übernahm ein Prokurist und langjähriger Mitgesellschafter nach seinen Aussagen nur deshalb, um seinen jüdischen Mitgesellschaftern das Geld für die Ausreise zu beschaffen. Dadurch konnte einer der beiden Gesellschafter die Summe von 380.000 Reichsmark bezahlen und im Juli 1938 das Land verlassen, der zweite war schon »draußen«. Insgesamt gingen erhebliche Teile des Aktienkapitals österreichischer Unternehmungen zwischen 1938 und 1945 an neue deutsche Eigentümer über. Der deutsche Anteil am österreichischen Aktienkapital hatte 1938 9 % betragen, 1945 lag er bei 57 %. Bei den Banken betrug das Verhältnis 8 : 83, in der Elektroindustrie 19 : 72, im Berg- und Hüttenwesen 25 : 72, im Transportwesen sogar 0 : 48. Nur bei Zucker, Nahrungsmitteln und Brauereien blieb der deutsche Anteil gering. Ein Teil des Zuwachses war auf Investitionen des Reiches oder von privaten Unternehmern zurückzuführen. Solche Neugründungen waren vor allem die Hermann-Göring-Werke und die Stickstoffwerke in Linz, die Aluminiumfabrik in Ranshofen, Raffinerien, Flugzeug- und Motorenwerke. Auch in die arisierten Zellstoffwerke in Lenzing wurde kräftig investiert. Im Bankwesen war die größte österreichische Bank, die Creditanstalt, der größte Fisch. Seit ihrer Sanierung war sie mehrheitlich im Staatsbesitz. Letztlich landete sie bei der Deutschen Bank. Aus dem Konzern der Creditanstalt wurden 21 Großunternehmen an deutsche Konzerne abgetreten, so die Steyr-Daimler-Puch-AG und fast alle Eisen- und Stahlwerke sowie der Waggon- und Maschinenbau an die HermannGöring-Werke. Die I. G.-Farben übernahmen die chemischen Betriebe und machten daraus die Donau-Chemie usw. Vom Vermögensentzug war auch die katholische Kirche stark betroffen, ebenso wie die politischen Gegner des Nationalsozialismus. Zunächst verlor die Kirche die staatlichen Zuwendungen durch die Verstaatlichung des Religionsfonds. Diese Einkünfte mussten jetzt die Gläubigen über den Kirchenbeitrag ersetzen. Aber auch die Gebäude und der Grundbesitz der Kirche erregten das Interesse der neuen Machthaber. Besonders der große Grundbesitz des Stiftes Klosterneuburg, von dem ein erheblicher Teil an etwa 13.000 Bauern und 2400 Kleinsiedler verpachtet war, schien begehrenswert. Nach einem längeren Konflikt wurden 1300 ha Pachtland abgetreten. Doch das Stift kam nicht zur Ruhe. Es hat ja auch ein Klosterneuburger Chorherr, Karl Roman Scholz, eine der ersten katholischen und österreichbewussten Widerstandsgruppen geleitet. 1941 wurde das Stift aufgehoben, die Chorherren übersiedelten auf die inkorporierten Pfarren, das Vermögen wurde für den Staat eingezogen. Es folgten noch weitere 25 große Stifte und Klöster wie Kremsmünster, St. Florian, St. Peter in Salzburg, Admont, St. Paul in Kärnten, Mehrerau und Wilten, ferner noch 188 kleinere Klöster. Über 1000 kirchliche Räume wurden beschlagnahmt, viele Stiftungen eingezogen, kircheneigene Wirtschaftsbetriebe (etwa Klosterbrauereien) privatisiert.
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10.4 Verfolgung, Vertreibung, Deportation Mit den spontanen antijüdischen Exzessen seit dem 12. März 1938 begann die Geschichte der Entrechtung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die zunächst in materieller Beraubung bestand, zu erzwungener Emigration (oder besser : Flucht) führte und zuletzt im Massenmord endete. Die nationalsozialistische Verfolgung betraf zunächst die (1934) etwa 190.000 Personen jüdischen Glaubens. Die meisten davon lebten in Wien (176.000), größere Gruppen bestanden in Niederösterreich (7700), dem Burgenland (3600) und in der Steiermark (2200). Bis 1938 war ihre Zahl auf etwa 182.000 zurückgegangen. Als »Juden« galten nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen darüber hinaus etwa 25.000 Menschen einer anderen Konfession oder ohne Konfession mit vier jüdischen Großeltern. Insgesamt waren also etwa 200.000 bis 210.000 – eine Studie bringt die Zahl 206.000 – Menschen von der beginnenden Verfolgung betroffen. Wer allerdings noch am Abend des 11. März spontan zu fliehen versuchte, musste an den bereits geschlossenen Grenzen wieder zurück. »Korrekt« auswandern durften Juden erst, nachdem sie ihr Vermögen »abgegeben« hatten. Zu den zahlreichen unorganisierten Verhaftungen durch die SA kam sehr rasch die zielgerichtete Tätigkeit der Gestapo. In den beiden großen Prominententransporten nach Dachau waren die Hälfte der Häftlinge Juden. Ihnen folgten noch im Frühjahr weitere Verhaftungen und KZ-Einweisungen. Viele verzweifelte Jüdinnen und Juden begingen Selbstmord. Die Suizid-Zahlen stiegen stark an. Im März 1938 nahmen sich 213 Menschen in Wien das Leben, im März 1937 waren es 67 gewesen. Nicht nur Juden waren davon betroffen : Am 16. März starben durch Suizid der ehemalige Vizekanzler Emil Fey samt Gattin und Sohn, der bekannte Kulturhistoriker Egon Friedell sowie 13 weitere Personen verschiedener Konfessionen, wobei der jüdische Anteil erheblich höher lag als der an der Gesamtbevölkerung. Auch manche politische Morde wurden als Selbstmord getarnt, so jener am General Wilhelm Zehner (11. April 1938), der das Bundesheer mit aufgebaut hatte und als strikter Gegner der Nazis galt. Seit dem Mai 1938 förderten die Nationalsozialisten die Emigration von Juden durch Druck und Repressalien. Juden verloren ihre Arbeitsplätze. Jüdische Schüler wurden aus den Schulen und jüdische Studenten aus den Hochschulen entfernt. Seit 1939 war jeder öffentliche Unterricht für Juden verboten. Im früheren RothschildPalais wurde die »Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien« untergebracht. Sie wurde vom SS-Obersturmführer Adolf Eichmann geleitet. Die erzwungene Auswanderung beschleunigte sich : Bis November 1939 hatten 126.445 Personen jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft Österreich verlassen. Das Problem der Fluchtwilligen war die Aufnahme durch andere Länder. Wissenschaftler, Unternehmer, Erfinder, Regisseure oder Schauspielerinnen erhielten ziemlich leicht Visa, obwohl auch sie, nach der Beraubung durch die Nazis, über kein Vermö-
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Karte 10: Konzentrationslager und Judenverfolgung im Nationalsozialismus.
gen verfügten (wenn sie nicht schon in früheren Jahren Gelder in der Schweiz oder anderswo deponiert hatten). Die meisten Länder sahen Quoten für Juden vor. Man brauchte – etwa in den USA – Bürgschaftserklärungen (Affidavits). Der Kampf um die Ausreise- und Einreisepapiere wurde – was man 1938 noch nicht wusste – zu einem Kampf auf Leben und Tod. Die meisten österreichischen Juden wurden von Großbritannien aufgenommen (31.000), gefolgt von den USA (knapp 30.000). Etwas mehr als 15.000 Flüchtlinge schafften es, trotz der Verbote der britischen Mandatsmacht, nach Palästina. Mehr als 6000 landeten in China, zumeist in Shanghai. Die Schweiz nahm 5800 Menschen auf, Frankreich 4850 ; Ungarn 4400, die Tschechoslowakei 4100, Italien 3870. Für Österreich bedeutete die Massenflucht einen ungeheuren Aderlass an intellektuellem, wissenschaftlichem und künstlerischem Potential : Fast alle Nobelpreisträger verließen das Land, nur der schon alte Professor der Psychiatrie, Julius Wagner-Jauregg (1857–1940), blieb im Land. Karl Landsteiner (1868–1943), der Entdecker der Blutgruppen, war schon seit 1922 in New York. Otto Loewi (1873–1961), Professor an der Universität Graz, hatte 1936 den Nobelpreis für seine Untersuchungen über das
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vegetative Nervensystem erhalten. Er wurde von den Nazis verhaftet und kam erst frei, als er das auf einer schwedischen Bank deponierte Preisgeld für den Nobelpreis auf eine deutsche Bank überwies. Er sah davon nichts mehr. Ähnlich erging es Viktor Franz Hess (1883–1964). Er erhielt 1936 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der kosmischen Strahlung. Als engagierter Katholik wurde er nach dem Anschluss sofort von der Universität Innsbruck entfernt. Sein Nobelpreisgeld musste er in wertlose Schatzscheine des Deutschen Reiches umtauschen. Dann emigrierte er in die USA. Erwin Schrödinger (1887–1961) hatte den Nobelpreis für Physik 1933 erhalten, als Auszeichnung für die »Schrödinger-Gleichung«, eine grundlegende Erkenntnis im Bereich der Atomphysik. Der Wiener Schrödinger war erst 1936 aus Oxford nach Graz berufen worden, 1938 emigrierte er nach Irland. – Auch alle wichtigen Schriftsteller gingen außer Landes – Stefan Zweig und Josef Roth waren schon weg, Musil, Broch, Werfel folgten 1938, ebenso wie der Dichter des bewegenden Dramas auf das Ende der Habsburgermonarchie, des »3. November 1918«, Franz Theodor Csokor (1885–1969). Von den Jüngeren flohen Erich Fried (1921–1988), Hilde Spiel (1911–1990) und Friedrich Torberg (1908–1979) nach England bzw. Amerika. In der Pariser Emigration starben Joseph Roth und Ödön von Horvath. Ganze Wissenschaftszweige wurden in den USA von jüdischen Emigranten wie Oskar Morgenstern (1902–1977, Begründer der ökonomischen Spieltheorie) oder Paul Lazarsfeld (1901–1976, empirische Sozialforschung) entscheidend bereichert. Anna Freud (1895–1982) begleitete ihren schon todkranken Vater Sigmund Freud ins Londoner Exil ; sie trug wesentlich zur Entwicklung der Kinderpsychologie bei. Die Liste ließe sich noch erheblich verlängern. Die angeblich spontanen, in Wahrheit zentral angeordneten Racheakte wegen der Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris durch einen jüdischen Attentäter in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 mündeten in Zerstörungen, Plünderungen, Verhaftungen und Tötungen von Juden. In Salzburg wurden alle männlichen Juden (etwa 60 bis 70) in »Schutzhaft« genommen. In Wien wurden tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört, 42 Synagogen und Bethäuser durch Sprengungen und Brandlegungen vernichtet, 27 Juden getötet und 88 schwer verletzt. Allein in Wien wurden 6547 Juden verhaftet, viele in Konzentrationslager gesteckt, 3700 kamen nach Dachau. Die Zahl der Selbstmorde von Juden und Jüdinnen stieg neuerdings an. Damit war eine weitere Stufe der Radikalisierung im Umgang mit der jüdischen Bevölkerung erreicht. Unmittelbar nach dieser »Reichskristallnacht« (nach den zerbrochenen Fensterscheiben jüdischer Bethäuser, Wohnungen und Geschäfte) wurden die außerhalb Wiens wohnenden Juden zunächst nach Wien abgeschoben. Immer mehr Gemeinden meldeten freudig, sie seien »judenfrei«. Wer konnte, flüchtete aus Hitlers Reich. Vor allem wollte man die Zukunft der Jugend sichern. Kindertransporte führten Kinder und Jugendliche nach Holland oder England. Zurück blieben die Alten. Auch
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der spätere Chemie-Nobelpereisträger Walter Kohn (1923 – 2016) gelangte mit einem Kindertransport nach England. Seine Eltern und viele Verwandte kamen im Holocaust um. Die Übriggebliebenen wurden auf immer engerem Raum konzentriert, immer mehr Wohnungen wurden für »Arier« konfisziert – die NS-Politik zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Die in Wien verbliebenen Juden lebten bald nur mehr von jenen sozialen Leistungen, die aus ihrer eigenen Mitte aufgebracht wurden, und den wenigen Geschäften, die sie miteinander machten. Sie verarmten und sahen bald so aus, wie sie die antisemitische Propaganda immer schon gezeichnet hatte – verwahrlost, schmutzig, unkultiviert, halb verhungert. So erschienen sie reif zur Deportation. Seit Hitlers Deutschland mit 1. September 1939 den zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatte, wurde es für Juden immer schwieriger, zu entkommen. Viele, die sich in den Niederlanden, in Belgien oder Frankreich schon in Sicherheit wähnten, wurden 1940 wieder von den Nazis eingeholt. Die meisten der etwa 16.000 Betroffenen überlebten nicht. Der bis 1941 offene, aber keineswegs sichere Fluchtweg über die Donau ans Schwarze Meer wurde von einigen tausend Juden benutzt, der letzte Transport blieb jedoch im serbischen Kladovo und zuletzt in Šabac stecken. Hier wurden die Flüchtlinge im Frühjahr 1941 von den Deutschen eingeholt. Nur einige Gruppen von Jugendlichen hatten rechtzeitig über Griechenland fliehen können, fast alle übrigen kamen zu Tode. Nach ersten Versuchen schon 1939 begannen 1941 die massenhaften Deportationen der noch immer in Wien weilenden jüdischen Menschen nach Polen (Lublin und Łodz, später nach Sobibor), nach Lettland (Riga), Litauen (Kaunas/Kowno), Weißrussland (Minsk bzw. Maly Trostinec) und Theresienstadt. Nach Eichmann leitete Alois Brunner von Februar 1941 bis Oktober 1942 die »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« und stellte die Transporte zusammen. Er lebte später unbehelligt in Syrien. Der Kommandant des Lagers Sobibor war der Oberösterreicher Franz Stangl. Direkt nach Auschwitz ging nur ein Transport aus Wien, viele hingegen nach Theresienstadt in Böhmen (damals : »Protektorat Böhmen und Mähren«). Die Festung Theresienstadt (Terezín) war nicht nur selbst ein KZ, freilich mit einer auf Grund der längeren Aufenthaltsdauer vieler Insassen stärker differenzierten Binnenstruktur, mit Unterricht für die Kinder usw. Theresienstadt war auch ein Durchgangslager in die Vernichtungslager Izbica, Lublin, Treblinka, Maly Trostinec. Die Alten und Kranken wurden dort meist sofort erschossen oder vergast, die noch Arbeitsfähigen mussten Zwangsarbeit leisten. Hunger, Krankheit und gewalttätige Behandlung führten früher oder später zum Tod. In Theresienstadt herrschten drei aus Österreich stammende »EichmannMänner« : Siegfried Seidl, Anton Burger und Karl Rahm. Eine der wenigen Überlebenden ist Ruth Klüger (* 1931), die Theresienstadt und Auschwitz überstand. Sie hat nicht nur eine berühmte und berührende Autobiographie geschrieben (»Weiter leben«, 1992), sondern auch als Literaturwissenschaftlerin (Germanistik !) eine beachtliche Forschungsleistung vollbracht.
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Von der jüdischen Bevölkerung Österreichs wurden etwa 65.000 ermordet. In Wien überlebten rund 5500 Menschen jüdischer Herkunft oder Religion, die meisten in so genannten »privilegierten Mischehen« (ein Ehepartner war nicht jüdisch). Etwa 1000 haben als so genannte U-Boote überlebt, in Verstecken bei nichtjüdischen Mitmenschen. Ebenfalls in das rassistische Vernichtungsprgramm gerieten die »Zigeuner«, Roma und Sinti, von denen etwa 5500 ermordet wurden, etwa die Hälfte der Gesamtzahl. Das »lebensunwerte Leben« von etwa 20.000 bis 30.000 Menschen mit Behinderung oder psychisch Kranker wurde vorzeitig abgebrochen. Diese Morde geschahen im Schloss Hartheim bei Linz, der größten Anstalt für »Euthanasie« im Dritten Reich. Ein eigenes Kapitel der Verfolgung betrifft die Kärntner Slowenen. Ihre Vertreter, der Gymnasialprofessor Dr. Joško Tischler und der Arzt und Landtagsabgeordnete von 1923 bis 1934, Dr. Franc Petek, hatten wie die Wiener Tschechen und die burgenländischen Kroaten ihren Leuten empfohlen, bei der Volksabstimmung 1938 mit »Ja« zu stimmen. Da Jugoslawien dem Deutschen Reich und dem Anschluss ausgesprochen freundlich gegenüberstand, auch beste wirtschaftliche Kontakte mit dem Reich pflegte, konnte man anfangs hoffen, dass die Slowenenpolitik der Nazis nicht allzu radikal sein würde. Aber schon im März wurden einige Pfarrer von ihren Pfarren entfernt. Im Übrigen ging die traditionelle Entnationalisierungspolitik in Kärnten weiter wie früher. Im August 1938 wurde eine »Volkstumsstelle« unter Alois Maier-Kaibitsch, dem führenden Funktionär des antislowenischen Kärntner Heimatbundes, eingerichtet. Immer wieder wurden Geistliche auf Drängen der Sicherheitsdirektion Klagenfurt versetzt. Auch die wenigen slowenisch-bewussten Laien wurden verfolgt, drei von ihnen, Valentin Hartmann, Rado Wutej und Franc Aichholzer, kamen ins KZ. Bei der Volkszählung 1939 wurde nicht nur die Muttersprache, sondern auch die »Volkszugehörigkeit« erhoben. Dabei wurden etwa 43.000 Sprachslowenen und etwa 7700 Slowenen nach der Volkszugehörigkeit erhoben. Bei den letzteren ist ein klares slowenisches (National-) Bewusstsein anzunehmen. Es gab also kein einheitliches kollektives Bewusstsein der sprachlich slowenischen Bevölkerung, was die Germanisierung erleichterte. Nach dem Überfall auf Jugoslawien wurde die Slowenenpolitik deutlich verschärft. Der Kulturverband und die örtlichen Kulturvereine wurden aufgelöst, die slowenischen Genossenschaften und Sparkassen wurden mit deutschen zusammengeschlossen. Auch aus den Kirchen sollte das Slowenische verschwinden. 1939 vereinbarte Hitler mit Mussolini die Umsiedlung der Südtiroler und Kanaltaler auf das Reichsgebiet. Die Kanaltaler sollten zur Stärkung des Deutschtums im Kärntner Grenzgebiet angesiedelt werden. Dafür wurden 221 bäuerliche Betriebe ausersehen, deren bisherige Inhaber samt Familien am 14. und 15. April 1942 »evakuiert« wurden. Sie sollten irgendwo im eroberten Osten angesiedelt werden. Dazu kam es nie. So blieben die zuletzt 917 deportierten Personen aller Altersklassen bis Kriegsende in mehreren Lagern der »Volks-
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deutschen Mittelstelle«. 1944 wurden etwa 10 % der Betroffenen als Landarbeiter in Niederösterreich eingesetzt. Die Vertreibungsaktion löste in den betroffenen Gebieten »Bestürzung, Furcht und Niedergeschlagenheit« (Valentin Sima) aus. Die Stimmung in den betroffenen Gemeinden des Kreises Völkermarkt verschlechterte sich. Zweifellos gab die Vertreibung den Anstoß für eine breitere Unterstützung des bewaffneten Widerstandes. 10.5 Der große Krieg Die Krise um die überwiegend deutsch besiedelten Randgebiete der Tschechoslowakei (September 1938) sollte nach Hitlers Wunsch militärisch gelöst werden. Doch die Westmächte im Verein mit Italien zwangen die Tschechoslowakei im Münchener Abkommen (30. September 1938) zur Abtretung dieser Gebiete. Die an Ober- und Niederdonau angrenzenden Gebiete im Böhmerwald und in Südmähren (Znaim) wurden diesen beiden Reichsgauen angegliedert. Durch den 1. Wiener Schiedsspruch – ein Diktat Hitlers, unterstützt von Mussolini – vom 2. November 1938 wurde die Tschechoslowakei durch Gebietsabtretungen an Ungarn (Südslowakei, Karpato-Ukraine) und Polen weiter geschwächt. Die Verhandlungen fanden im Oberen Belvedere in Wien statt. Als die endgültige Zerstörung der Tschechoslowakei umgesetzt wurde, kam auch Seyß-Iquart ins Spiel, der enge Kontakte zu slowakischen Politikern wie Josef Tiso knüpfte. Am 15. März marschierten deutsche Truppen in Prag ein. Für die Westmächte war damit endlich klar, dass Hitler keines seiner Versprechen hielt. Man musste sich auf Krieg einstellen. Das bemerkten bald auch jene Österreicher, die bereits im Bundesheer gedient hatten. Schon im September 1938 wurden sie wegen der Sudetenkrise mobilisiert. Im Frühjahr 1939 hat man viele von ihnen neuerdings zur Wehrmacht eingezogen, zur militärischen Nacherziehung. Da lernten sie den preußisch-deutschen »Schliff« kennen. Nun löste Hitler die nächste Krise aus – Polen. Mit dem völlig überraschenden Nichtangriffspakt, den Molotow und Ribbentrop im August 1939 in Moskau abschlossen, erhielt Hitler den Rücken frei für den Angriff auf Polen. Sogar den Häftlingen in Dachau wurde der Abschluss des Paktes über Lautsprecher triumphierend mitgeteilt ; Leopold Figl berichtete davon. Tage vor dem 1. September wurden die Reservisten wieder einberufen, auch die Lebensmittelkarten und -marken lagen spätestens seit dem 27. August bereit. Die sofortige kriegswirtschaftliche Rationierung sollte die Wiederholung der Hungerszenen des ersten Weltkrieges verhindern. Tatsächlich blieb die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auf einem von Beginn an reduzierten Niveau doch lange Zeit gesichert – unter anderem auch durch die rücksichtlose Ausbeutung der besetzten Gebiete.
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In der deutschen Wehrmacht gab es keine rein »österreichischen« Einheiten. Aber einige Einheiten waren doch ganz überwiegend aus den Wehrkreisen XVII und XVIII rekrutiert, also aus dem Westen bzw. dem Osten der »Ostmark«. Überdurchschnittlich viele Österreicher waren in der Partisanenbekämpfung in Serbien und Griechenland eingesetzt und dabei an Kriegsverbrechen (Geiselerschießungen, sonstige Morde, Vernichtung ganzer Dörfer etc.) beteiligt. Das eindeutig völkerrechtswidrige Bombardement Belgrads am 6./7. April 1941 durch die deutsche Luftwaffe wurde von einer Luftflotte durchgeführt, die unter dem Kommando des früheren Kommandanten der österreichischen Luftstreitkräfte, Alexander Löhr, stand. Viele Österreicher gehörten auch zur 6. deutschen Armee, die bei Stalingrad vernichtet wurde. Insgesamt dienten etwa 1,2 Millionen meist junger Leute aus den »Donau- und Alpenreichsgauen« (so wurde das Gebiet Österreichs ab 1941 genannt, nicht mehr »Ostmark«) in der deutschen Wehrmacht. In der Heimat sah man bei Kriegsbeginn wenig Begeisterung, ältere Leute sollen geweint haben – kein Jubel wie 1914. Erst die raschen Siege im »Blitzkrieg« 1939/40 verbesserten die Stimmung. Die »Sondermeldungen« jagten einander geradezu. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 und der Kriegserklärung an die USA im Dezember musste es jedoch jedem normal denkenden Menschen klar sein, dass der Krieg für das Deutsche Reich nicht zu gewinnen war. Von 1942 bis 1945 dienten die militärischen Leistungen der Wehrmacht objektiv nur mehr dem Ziel, die Vernichtung möglichst vieler europäischer Juden zu ermöglichen. Solange die Fronten hielten, fuhren die Züge nach Auschwitz. Da die britischen Bomber die österreichischen Gebiete lange nicht erreichten, galt das Land als »Reichsluftschutzkeller«. Zahlreiche Produktionen für die Kriegswirtschaft wurden hierher verlagert. Doch seit die Alliierten Stützpunkte in Nordafrika, dann in Süditalien hatten (1943), wurden auch österreichische Städte bombardiert, vor allem die Zentren der Rüstungsindustrie. Am stärksten wurde Wiener Neustadt zerstört. Dort wurde schon 1938 eine riesige Flugzeugproduktion aufgezogen, die nun zum bevorzugten Ziel der alliierten Bomber wurde. Nun wurden die Bombardements immer häufiger und stärker, Linz, Wien, Salzburg, Graz, Innsbruck, Villach, St. Pölten – Industriestädte und Verkehrszentren, Bahnknotenpunkte – wurden gezielt angegriffen. Bei einem großen Angriff auf Wien (12. März 1945) fielen die Bomben versehentlich nicht auf die Fabriken in Floridsdorf, sondern auf die Innenstadt. Die Oper wurde getroffen, aber auch große Wohnhäuser. Es gab hunderte Ziviltote. Insgesamt wurden mehr als 12 % des Wiener Wohnraumes zerstört. Während die Luftangriffe häufiger wurden, rückten auch die Fronten näher. Im Herbst 1944 mobilisierten die Nazis das letzte Aufgebot – den »Volkssturm«. Das waren die ganz Jungen, fast noch Kinder, und die Alten, bis 65. Ganz ungenügend ausgerüstet und ausgebildet dienten sie nur mehr als Kanonenfutter. Verständigere Wehrmachts-
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offiziere vermieden es, diese Einheiten einzusetzen. Aber die Bewaffnung fanatisierter HJ-Mitglieder ermöglichte diesen noch zahlreiche Verbrechen in der Endphase des Krieges. Nach der Eroberung von Budapest durch die Rote Armee im Winter 1944/45 war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie den Osten Österreichs erreichte. Der Krieg kostete etwa 274.000 Österreichern als Soldaten der Wehrmacht das Leben. 170.000 trugen eine dauernde Invalidität davon. 10.6 Friedens- und Kriegswirtschaft. Zwangsarbeit Die österreichische Wirtschaft hatte sich bis 1938 langsam erholt, aber immer noch gab es freie Kapazitäten in der Produktion. Die Arbeitslosigkeit blieb trotz steigender Produktionszahlen bis in den März 1938 hinein hoch. Die Aufträge der deutschen Kriegswirtschaft an österreichische Unternehmen, die Einberufungen zur Wehrmacht und die Einführung des verpflichtenden Reichsarbeitsdienstes fegten den Arbeitsmarkt in kurzer Zeit leer. Die Arbeitslosigkeit ging bis zum Sommer 1938 dramatisch zurück. Etwa 100.000 Arbeitskräfte, darunter 10.000 Ingenieure, gingen nach Deutschland, ins »Altreich«. An Österreich interessierte die deutsche Wirtschaftsplanung nicht nur das Potential an Arbeitskräften oder die freien Kapazitäten der Industrie. Auch die Bodenschätze, vor allem Eisenerz, Magnesit und Erdöl, dazu der Reichtum an Holz und die noch weithin ungenutzte Wasserkraft erschienen den deutschen Planern wichtig. Nicht zu übersehen ist auch der Gold- und Devisenschatz der Österreichischen Nationalbank, der jenen der Deutschen Reichsbank um ein Mehrfaches überstieg. Die Währung wurde im Verhältnis von 2 :3 gewechselt, für drei Schilling erhielt man zwei Reichsmark. Faktisch wurde der Schilling dadurch aufgewertet, was das Preisniveau negativ beeinflusste. Löhne und Gehälter entsprachen ungefähr denen des »Altreiches«, doch waren Preisniveau und damit Lebenshaltungskosten deutlich zu hoch. Da die österreichische Wirtschaft im Verhältnis zur deutschen kaum konkurrenzfähig war, blieb die Zollgrenze bis 1. Oktober 1938 erhalten, in verschleierter Form (»Gebietsschutz«) noch viel länger. Österreichische Kaufleute erfreuten sich im Frühjahr 1938 an den Käufen deutscher Offiziere, NS-Funktionäre und ihrer Frauen. Österreichische (oder tschechische) Textilien und Modeartikel waren überaus begehrt. Wenn man aber diese Waren nachbestellen wollte, waren sie nicht mehr zu erhalten. Die deutsche Wirtschaft wurde eben schon auf Kriegswirtschaft umgestellt. Gäste aus dem »Altreich« begeisterten sich bei ihren ersten Reisen in die Ostmark an Butter, Kaffee, Honig, Wiener Schnitzel und Backhendl. Aber bald verdrängte auch hier der Eintopf das Schnitzel. Logischerweise spielten Konsumgüter in der Vorbereitung auf den Krieg eine geringere Rolle als Investitionsgüter. Aber noch legte man Wert auf eine einigermaßen
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gute Versorgung der Zivilbevölkerung. Erst ab 1942 stieg der Anteil der Rüstung an der deutschen Industrieproduktion stark an – von 16 % 1941 auf 31 % 1943 und 40 % 1944. Das war fast dreimal so viel wie 1941 ! Die mit großem Pomp angekündigten zivilen Großvorhaben wie Autobahnbau, Kraftwerk Kaprun und Donaukraftwerk YbbsPersenbeug wurden bald – unvollendet – zurückgestellt, dafür wurden die HermannGöring-Werke in Linz errichtet, das große Flugzeugwerk in Wiener Neustadt, die Panzerproduktion in St. Valentin usw. Rasch wurden zusätzliche kalorische Kraftwerke errichtet. Die Stromerzeugung im Gebiet des früheren Österreich verdoppelte sich zwischen 1937 und 1944. Die Beschäftigung in der Industrie nahm rasch zu. Waren 1939 490.000 Menschen in der Industrie beschäftigt, so waren es 1944 690.000. Dabei stieg auch der Anteil der in der Industrie beschäftigten Frauen deutlich an, er betrug im letzten Kriegsjahr etwa 33 %. Der Anteil der Zwangsarbeitskräfte betrug 1944 28 %. Das heimische Arbeitskräftepotential war bald ausgeschöpft. Und je mehr Männer als Soldaten gebraucht wurden, desto mehr brauchte man Ersatz. Der Krieg brachte bald polnische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auch in die österreichischen Gebiete. Schon im Februar 1940 waren fast 11.000 Kriegsgefangene primär in der Bau- und Landwirtschaft beschäftigt. Ab dem Sommer 1940 kamen zahlreiche Franzosen und Belgier dazu. Bis Jahresende 1940 stieg die Zahl der in der »Ostmark« beschäftigten Kriegsgefangenen auf etwa 88.000. Ab 1940 wurden auch tschechische, slowakische und jugoslawische Arbeitskräfte geworben. In den kriegsgefangenen Sowjetrussen sah man hingegen anfangs keine möglichen Arbeitskräfte. Von insgesamt 5,7 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener sind 3,3 Millionen zu Tode gekommen, meist verhungert. Erst ab 1942 wurden sie auch als Arbeitskräfte eingesetzt. Daneben begann nun die »Anwerbung« bzw. gewaltsame Aushebung von »Ostarbeitern«. Sie wurden – weil an sich ja »Untermenschen« – unter ein diskriminierendes Sonderrecht gestellt. Auf österreichischem Gebiet arbeiteten 1944 etwa 170.000 Kriegsgefangene. Das größte Kontingent stellten die Franzosen, gefolgt von Italienern und Sowjetrussen. Doch der Kriegsverlauf ermöglichte immer weniger Gefangene. Nun wurden die KZ-Häftlinge als letzte Arbeitskraftreserve »entdeckt«. Als die Kriegsindustrie des Hitlerreiches unter die Erde ging, um vor den Luftangriffen geschützt zu sein, waren in erster Linie KZ-Häftlinge aus Mauthausen damit beschäftigt, unter fürchterlichen Bedingungen Stollen in die Berge zu graben. Ende 1944 befanden sich in Mauthausen selbst etwa 10.000 Häftlinge, mehr als 60.000 arbeiteten in zahlreichen Außenlagern für die Rüstungsindustrie. Das war etwa ein Viertel der Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitskräfte. Schon ab Juni 1943 arbeiteten KZ-Häftlinge am LoiblTunnel. Ab Februar 1944 wurde im Römersteinbruch bei Leibnitz eine unterirdische Fertigungshalle für Flugmotorenteile errichtet. Die größten Stollenbauten entstanden in Ebensee (28.000 Häftlinge) und in Melk (15.000 Häftlinge), wo das Außenlager
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in der ehemaligen Kaserne situiert wurde. Kleinere Lager für die Herstellung unterirdischer Industriebauten bestanden in Redl-Zipf, Peggau und Mödling-Hinterbrühl. Überall wütete der Tod unter den unterernährten und krankheitsanfälligen Häftlingen. In großer Zahl waren ausländische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt. Propagandistisch kam ja der Landwirtschaft und insbesondere der bäuerlichen Bevölkerung für die nationalsozialistische Ideologie eine große Bedeutung zu, nicht nur für die Ernährung, sondern auch für Erhaltung der exzellenten Eigenschaften der deutschen bzw. nordischen Rasse (des »Blutes«). Das Bauerntum sollte den ständigen Nachschub an rassisch einwandfreien deutschen Menschen liefern. Man hat daher auch eine Reihe von Maßnahmen angekündigt bzw. umgesetzt, die dem Bauerntum dienen sollten. Vom sofort verfügten Versteigerungsverbot war schon die Rede. Im Mai 1938 wurde der »Reichsnährstand« eingerichtet, mit »Landesbauernschaften« als Untergliederungen, die ab 1942 den Reichsgauen entsprachen. Der Reichsnährstand war keine bäuerliche Interessenvertretung, sondern eine komplexe (Zwangs-) Organisation, über die Produktion und Vermarktung zentral organisiert wurden. Ab 1939 regelte eine Abteilung die Überwachung und Ablieferung der Produkte, eine zweite die Verteilung. Ab 27. August 1939 galt alles, was über den Eigenbedarf eines Hofes oder Gutes hinaus produziert wurde, als beschlagnahmt und war zu Fixpreisen abzuliefern. Kontrolliert wurde jeder Bauernhof durch die Hofkarte, die alle wichtigen Informationen über den Hof (Fläche, Früchte, Viehstand, Arbeitskräfte) enthielt. Mit der Hofkarte wurde jeder Betrieb für die Agrarbürokratie vollkommen transparent. Sehr bald nach dem Anschluss machte sich ein gravierender Mangel an Arbeitskräften bemerkbar. In der noch wenig oder kaum mechanisierten Landwirtschaft der Alpenländer war die menschliche Arbeits- neben der tierischen Zugkraft das wichtigste Betriebsmittel. Der Boom am Bau und in der Industrie lockte die Landarbeiter weg vom Land. Das ungeheure Ausmaß der Landflucht überraschte. Zuerst wanderten familienfremde Knechte und Mägde ab (20 bis 30 % aller Landarbeitskräfte), dann auch die erwachsenen Bauernkinder (10 %). Daher stiegen die landwirtschaftlichen Löhne rasant. Diese Steigerungen bedeuteten zwar eine deutliche Besserstellung der sozialen Situation von Knecht und Magd, aber sie belasteten die Höfe schwer. Die Begünstigungen, die ihnen das Regime zukommen ließ – Verbilligungen bei Futter- und Düngemitteln, Preissteigerungen bei einigen Agrarprodukten – wurden dadurch zunichte gemacht. Das Problem wurde schließlich durch den Krieg »gelöst«. Nun kamen Kriegsgefangene und später auch Zivilarbeitskräfte, besonders aus Polen und der Sowjetunion (meist der heutigen Ukraine), in großer Zahl zum Einsatz : 1942 arbeiteten in der Landwirtschaft des früheren Österreich 75.000 Kriegsgefangene, 1943 allein in »Niederdonau« fast 70.000 ausländische Zivilarbeitskräfte. Freilich war die Fluktuation hoch.
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Das Prestige des Bauern sollte durch die Erhöhung seines Hofes zum »Erbhof« gesteigert werden. Erbhöfe durften nur in männlicher Linie vererbt werden. Sie waren vor Verschuldung gesichert, was aber auch eine Reduktion der Kreditmöglichkeiten bedeutete. Da in vielen Gegenden Österreichs das Miteigentum der Bäuerin ebenso wie das Erbrecht der Töchter üblich war, musste das Erbhofgesetz diesen Traditionen angepasst werden. Ein bis heute fortlebender Mythos ist die große Entschuldung. Neuere Studien zeigen, dass die so genannte Entschuldung nur größeren, leistungsfähigen Höfen zuteil wurde. Nicht mehr als 5 % der Bauern profitierten davon. Außerdem handelte es sich nicht um Entschuldung, sondern um eine Umschuldung – alle Schulden des Bauern wurden auf das Deutsche Reich konzentriert und waren langfristig rückzahlbar (das war sicher eine Erleichterung). Groß verkündet wurden die so genannten Aufbauaktionen. Sie sollten der Modernisierung der Landwirtschaft besonders in Gebirgsregionen dienen (Bergland-Aufbaugemeinschaften). Einerseits mit Hilfe staatlicher Kredite, andererseits durch die Zusammenarbeit der Bauern einer bestimmten Gemeinde sollten Wege gebaut, Wiesen entwässert, Bäche reguliert, kurz : die Infrastruktur entscheidend verbessert werden. Im Wesentlichen blieb es bei Ankündigungen, die wenigen Fälle, in denen konkret begonnen wurde, erwiesen sich als teuer und wurden nicht fertiggestellt. Fragt man nach den Produktionsergebnissen, so waren die Ergebnisse, wenn man nur die Kriegswirtschaftsjahre ab 1940 zählt, zwar niedriger als 1938, blieben aber lange einigermaßen stabil. Nur bei Gerste und Kartoffeln gab es bis 1944 schon deutliche Rückgänge. Auch die Bestände von Pferden und Rindern blieben bis 1944 praktisch unverändert, nur die Schweinehaltung ging deutlich zurück. Was blieb wirtschaftlich von diesen sieben Jahren ? Häufig wird auf die stärkere Industrialisierung Westösterreichs, insbesondere Oberösterreichs (Linz – Stahlwerke und Stickstoffwerke, Ranshofen – Aluminium, Lenzing – Kunstfaser) verwiesen. Während des Krieges wurde jedoch im Osten Österreichs (Wiener Neustadt, Kapfenberg usw.) mindestens genauso viel investiert wie im Westen. Allerdings wurden die Industrien im Osten vielfach zerstört und nach dem Krieg demontiert, im Westen konnten sie mit Marshallplan-Mitteln wiederaufgebaut und modernisiert werden. Ohne Zweifel erfolgte ein starker Bedeutungszuwachs der Investitionsgüterindustrie (Eisen, Stahl etc.) zu Ungunsten der traditionell in Österreich überwiegenden Konsumgüterindustrie. Die Struktur der Industrie wurde dadurch eigentlich primitiver. Aber der Bestand an Werkzeugmaschinen stieg an, in manchen Branchen wie dem Maschinenbau um 100 % (Stand April 1945). Als Folge der späteren Demontagen durch Besatzungsmächte sank dieser Bestand bald wieder auf weniger als 1937. Mit der Zunahme der Schwerindustrie beschleunigte sich auch der Trend zum Großbetrieb. Allerdings dürften sich die Investitionen und die Kriegsschäden etwa die Waage gehalten haben.
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Infolge des massiven Eindringens des deutschen Kapitals in die österreichische Wirtschaft entstand nach 1945 die Frage des »deutschen Eigentums«, das nach dem Potsdamer Abkommen von 1945 von den Siegermächten als vorläufiger Ersatz für deutsche Reparationen beschlagnahmt werden konnte. Die Kriegswirtschaft zerstörte endgültig das Erbe der Monarchie – die alten Handels- und Finanzverbindungen ebenso wie die überkommene Struktur der Industrie und des Bankwesens. Auch gesellschaftlich waren die alten Eliten, Großunternehmer, Bankiers, Rentiers, weitgehend verschwunden (als Juden) oder entmachtet (als nichtjüdische Österreicher), weil große Teile des Kapitals in deutsche Hände geraten waren. Die alten Kontrahenten der Zeit bis 1938 waren weitgehend verschwunden – die »linke«, revolutionäre Sozialdemokratie ebenso wie das starke und teilweise kämpferische heimische Unternehmertum. Dieter Stiefel spricht von »egalitärer Armut« als Basis des Wiederaufbaues. War der Hunger einmal überwunden, mochte das vielleicht sogar für die Zukunft positive Auswirkungen zeitigen. 10.7 Zustimmung, Skepsis, Widerstand Die Freude über die endlich errungene deutsche Einheit, die Begeisterung über den Führer, der Deutschland in wenigen Jahren wieder zur gefürchteten Großmacht aufsteigen ließ, die Herrschaftsphantasien rassistischer Überheblichkeit und ein massenhaftes, pseudo-religiöses Erlösungserlebnis führten zu einer weit über die traditionell deutschnationalen Kreise hinaus reichenden Zustimmung zu Anschluss und Nationalsozialismus. Nicht alle durften an dieser Begeisterung teilnehmen : Alle Juden wurden sogleich aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossen. Auch die Träger der vorherigen Regierung, die Eliten des »Ständestaates«, galten als Gegner und wurden vielfach sofort verhaftet, ihre wichtigsten Exponenten in das KZ Dachau eingeliefert. Die Revolutionären Sozialisten verhielten sich ruhig. Sie hatten mit der Ideologie der Nazis wenig bis nichts zu tun. Aber gerade die »marxistische« Arbeiterschaft wurde anfangs massiv umworben. Die ehemaligen Sozialdemokraten waren als Folge ihrer großdeutschen Orientierung auch nicht an der Wiederherstellung Österreichs interessiert. Bei verhafteten sozialistischen Widerständlern fehlt in den Akten der Vorwurf der »Losreißung der Donau- und Alpenreichsgaue vom Reich«, der regelmäßig gegen kommunistische und katholischösterreichisch-monarchistische Gruppen erhoben wurde. Anders die Kommunisten, die entsprechend den Stalin’schen Volksfrontparolen für die Zusammenarbeit mit allen Gegnern der Nazis eintraten. Sie traten auch als erste mit kritischen Flugzetteln (»Hitler bedeutet Krieg !«) hervor. Als erste Oppositionsgruppe traf sie auch die erfolgreiche Arbeit der Gestapo. Dennoch blieben sie am stärksten im Widerstand engagiert. Immer wieder bildeten sie nicht nur Betriebszellen, sondern auch zentrale Leitungen, die aus
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dem Ausland kamen. Diese wurden meist rasch von der Gestapo enttarnt und verhaftet. Von 1938 bis 1943 wurden nach einem Bericht der Gestapo Wien 6272 kommunistische Widerstandskämpfer festgenommen. Viele dieser meist männlichen und meist jungen Leute aus dem Arbeitermilieu waren bis 1934 sozialdemokratisch organisiert und gingen nach den Februarkämpfen zu den Kommunisten. Der äußerst wagemutige kommunistische Widerstand hatte daher auch die meisten Todesopfer zu beklagen, jedenfalls mehrere tausend. Eine besonders widerständige Berufsgruppe bildeten die Eisenbahner. Sie waren auf Grund ihrer beruflichen Situation in der Lage, einerseits lokale Zellen (etwa im salzburgischen Bischofshofen) zu bilden, andererseits leichter als andere überregionale Kontakte zu pflegen. Bis 1934 waren sie durchwegs sozialdemokratisch organisiert, nun sollen viele kommunistisch orientiert gewesen sein. Von der Gehaltssituation her gehörten sie zu den Benachteiligten des Anschlusses, ihre Löhne waren wegen diverser Lohnsenkungen und Abzüge häufig niedriger als vor 1938. Auch die Untergrund-Organisation der Eisenbahner wurde durch die Gestapo aufgedeckt. Als einzelne Berufsgruppe gehörten die Eisenbahner zu den am stärksten Verfolgten. Ein größeres Problem für die Nationalsozialisten waren auch die gläubigen Katholiken. Zuerst durch die Bischofserklärung stark verunsichert, bemerkten sie sehr bald, dass die Nazis das kirchliche Schul- und Vereinswesen zerstörten. Als sich am 7. Oktober 1938 viele jugendliche Katholiken – man schätzte 6000 bis 8000 – im Dom zu St. Stephan zu einer Jugendfeierstunde anlässlich des Rosenkranzfestes einfanden, entwickelte sich daraus eine Demonstration der Treue zur Kirche. Nach der Feier sang die begeisterte Menge auf dem Stephansplatz »Auf zum Schwure Volk und Land …«, ein Tiroler Herz-Jesu-Lied. Das war aber ein ziemlich offener Angriff auf den Eid auf Adolf Hitler ! Es war die größte öffentliche, spontane und gewaltlose Demonstration in der Geschichte des Hitler-Reiches. Die Rache kam am nächsten Tag, als Mitglieder der Hitler-Jugend das erzbischöfliche Palais stürmten, die Fensterscheiben einschlugen und die Einrichtung verwüsteten. Die Polizei schaute zu. Aus dem ersten Stock des Churhauses warfen sie den Domkuraten Johannes Krawarik, der mit gebrochenem Oberschenkel liegen blieb. Der junge Hermann Lein, Mitglied einer Pfarrjugend in Wien, war am 7. Oktober 1938 bei der Demonstration der katholischen Jugend im Dom und auf dem Stephansplatz dabei. Zwei Tage später fuhr er mit dem Rad auf den Stefansplatz, um zu sehen, was los sei. Als er die zerbrochenen Fensterscheiben am erzbischöflichen Palais erblickte, rief er in spontaner Empörung »Heil unserem Bischof !« Er wurde sofort verhaftet, von der Gestapo verhört und im Dezember 1938 als »Innitzergardist« zwecks »Schutzhaft« ins KZ Dachau verbracht. Dort erlebte er die üblichen Demütigungen und Brutalitäten, vor allem den nagenden Hunger und die ständige Nähe des Todes. Bei der Zwangsarbeit in der Kiesgrube traf er auf einen Mithäftling namens Leopold Figl, den späteren Bundeskanzler. Die Überlebenschancen waren trotz
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der allgegenwärtigen Todesdrohung für so genannte »Arier« immer noch größer als für »Zigeuner« oder gar für Juden. Im Herbst 1939 kam Lein nach Mauthausen. Hier war es noch schlimmer als in Dachau. Die Häftlinge mussten schwere Granitblöcke über die später so genannte »Todesstiege« hinaufschleppen. Lein erkrankte schwer, wurde aber vom damaligen »Capo« des Seuchenreviers, für die meisten Kranken die letzte Lebensstation, gerettet. Es war der frühere »ständestaatliche« Landeshauptmann der Steiermark und nunmehrige KZ-Häftling, Karl Maria Stepan, der dem jungen Lein eine etwas bessere Nahrung und einige Medikamente zukommen ließ. Im April 1940 wurde Lein entlassen – als junger, »gebesserter« Arier konnte er dem Deutschen Reich noch als Soldat nützlich sein. Das KZ Mauthausen wurde übrigens im Bereich von zwei Steinbrüchen errichtet, die der Gemeinde Wien gehörten. Die Stadtverwaltung verpachtete diese Liegenschaften, 1939 wurden sie an das Deutsche Reich verkauft. Die Partei verstärkte die antikirchliche Tendenz. Am 13. Oktober 1938 fand eine große Kundgebung der Partei gegen Innitzer und die katholische Kirche statt. Dabei sah man Transparente mit Aufschriften wie »Innitzer und Jud, eine Brut«. Aber in ihren Predigten hatten die Pfarrer nach wie vor die Möglichkeit, sich an das Kirchenvolk zu wenden – und das waren zumindest auf dem Lande noch ganz große Mehrheiten der Bevölkerung. »Die Gestapo verzweifelte schier über den zweideutigen Predigten, die metaphorisch angelegt waren …« (Ernst Hanisch). Die Staatsgewalt schlug zurück : Mehr als 800 Priester wurden verhaftet, kamen in Gefängnisse und Konzentrationslager, 27 haben es nicht überlebt. 15 Priester wurden hingerichtet. Mehr als 1500 erhielten Predigt- und Schulverbot. Überflüssig zu sagen, dass der Religionsunterricht aus den Schulen verschwand. Man behalf sich in Pfarrhöfen und Sakristeien. Die Austrittsbewegung der Nazis war wirkungsvoll, besonders in den Städten, in denen eine weithin säkulare, antikirchliche Gesinnung – links wie rechts – verbreitet war. Insgesamt traten etwa 300.000 Menschen aus der Kirche aus. Aber ab Oktober 1939 (Kriegsausbruch !) sank die Austrittsquote stark ab. Aber das Beharren auf der Treue zur Kirche, besonders ausgeprägt in vielen ländlichen Regionen, war noch kein offener »Widerstand«. Konservative oder bürgerliche Menschen taten sich überhaupt schwer mit einer konspirativen Organisation – sie hatten einfach keine Übung darin. Dagegen waren die »Linken« seit 1934 an solche Techniken gewöhnt. Dennoch zählte die Gruppe um den Klosterneuburger Chorherrn Roman Karl Scholz (1912–1944) bald etwa 200 Mitglieder. Sie entstand schon 1938. Ein eingeschleuster Gestapo-Spitzel verriet 1940 die Gruppe. Eine andere Gruppe bildete sich um Jakob Kastelic (1897–1944), eine »Großösterreichische Freiheitsbewegung«, die ebenfalls verraten wurde. In Kontakt mit Kastelic stand auch eine Gruppe um Karl Lederer (1909–1944). Programmatisch war auch sie auf die Wiederherstellung Österreichs ausgerichtet. Sie flog ebenfalls 1940 auf. Scholz, Kastelic und Lederer wurden hingerichtet.
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Gewaltsamen Widerstand gegen die Nazis übten in vielen Teilen Europas Untergrundkämpfer, Partisanen. Ab 1942 – wir haben auf die Deportationen von Slowenen aus Kärnten verwiesen – bildeten sich slowenische Partisanengruppen, in Verbindung mit der Befreiungsfront (osvobodilna fronta) in Slowenien, die ersten in der Gegend von Eisenkappel und Zell/Pfarre. Sie wurden im Spätherbst 1942 von der Gestapo aufgedeckt, 13 Personen wurden hingerichtet, andere zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Freilich verfocht die OF das Ziel einer politischen Einigung aller Slowenen, auch der Kärntner. Es ist zu bezweifeln, dass das auch der Wunsch der Mehrheit in Südkärnten war. Immerhin erzwangen die Aktivitäten der Partisanen die Stationierung größerer Polizei- und Militäreinheiten in diesen Gebieten. Im Gebiet der Koralm war eine mit Fallschirmen abgesetzte österreichische Einheit tätig (»Koralmpartisanen«), die aber bei der Zivilbevölkerung kaum ein positives Echo fand. Aktiver war eine Gruppe um Leoben-Donawitz. Auch im Ötztal gab es eine bewaffnete Gruppe, die aber kaum Aktionen durchführte. Im Herbst 1944 wurden im Rahmen der Jugoslawischen Volksarmee »Österreichische Bataillone« aufgestellt, die in Slowenien operierten. Da die Westalliierten die immer wieder geforderte Aufstellung eigener österreichischer Einheiten nicht genehmigten, waren jene Bataillone die einzigen offiziellen österreichischen Einheiten, die gegen Hitlers Reich kämpften. Für die Reorganisation der alten politischen Lager, der Sozialisten und Christlichsozialen, die sich im Geheimen trafen, immer bedacht darauf, nicht aufzufallen, bedeutete der 20. Juli 1944 einen schweren Rückschlag. Zwar gelang der Coup in Wien, musste aber nach Scheitern des Anschlags in Hitlers Hauptquartier abgebrochen werden. Sofort setzten breite Verhaftungswellen durch die Gestapo ein, denen unter anderen der frühere Bürgermeister von Wien, Karl Seitz, und der spätere Bundeskanzler Leopold Figl ihre neuerliche Bekanntschaft mit dem KZ verdankten. Erst in der letzten Phase der NS-Herrschaft bildeten sich neuerdings Widerstandsgruppen, deren bekannteste sich O5 (= OE, Österreich) nannte. Ihr gehörte unter anderen der spätere Verleger Fritz Molden an, der über die Schweiz Kontakt mit den Amerikanern aufnehmen konnte. Eine militärische Widerstandsgruppe um Major Carl Szokoll und Feldwebel Käs, die Anfang April 1945 mit den Sowjets Kontakt aufnahm, um diesen die rasche Einnahme Wiens zu ermöglichen, flog im letzten Moment auf. Drei Offiziere, Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke, wurden noch am 8. April in Wien-Floridsdorf öffentlich gehenkt. Als zentrales Problem des österreichischen Widerstands erwies sich wieder die Frage der nationalen Zugehörigkeit. Litten schon alle Widerstandsgruppen darunter, dass sie die gleiche Sprache sprachen wie ihre Verfolger, so wurde die Frage »deutsch oder österreichisch ?« durchwegs zur entscheidenden Alternative. National österreichische Orientierungen blieben in der österreichischen Bevölkerung noch lange in der
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Minderheit. Dagegen waren aktive Widerständler sehr oft von einem starken Österreichbewusstsein motiviert. 10.8 Das Ende: Zusammenbruch, Niederlage, Befreiung? 10.8.1 Die »Endphasenverbrechen«
Im Angesicht der Niederlage steigerte sich der Blutrausch der Nationalsozialisten noch einmal zu einer wahren Orgie. Ein einziges Wort des Zweifels am längst unwahrscheinlichen »Endsieg« – schon musste jeder Mann und jede Frau damit rechnen, von fanatischen SS-lern oder HJ-Burschen umgebracht zu werden. In Reichenau an der Rax brachten die HJ-Buben mehrere Frauen um, die einfach genug von Krieg und Nazismus hatten. An vielen Bäumen hingen die Leichen von Wehrmachts-Soldaten, die nicht länger kämpfen wollten, »stiften« gingen und erwischt wurden. Ein spezielles Kapitel sind die so genannten »Todesmärsche« ungarischer Juden von der Ostgrenze nach Mauthausen oder in andere Konzentrationslager. Es handelte sich um die Überlebenden der etwa 75.000 jüdischen Zwangsarbeiter, die an der Grenze des Deutschen Reiches Abwehrstellungen gegen die Rote Armee bauen sollten. Militärisch war das vollkommen nutzlos. Als sich die Rote Armee näherte, wurde ein Teil der Zwangsarbeiter gleich umgebracht, wer noch irgendwie arbeitsfähig schien, musste den Marsch nach Mauthausen antreten. Völlig unterernährt, blieben viele einfach am Straßenrand liegen und starben an Erschöpfung oder wurden von Begleitmannschaften erschossen. Diese Verbrechen geschahen nicht (mehr) in Polen oder Russland, fernab von der eigenen Bevölkerung, sondern direkt vor den Augen der Burgenländer, Steirer, Nieder- und Oberösterreicher. Nun konnte niemand mehr sagen, man habe von den Verbrechen der Nazis nichts gewusst. Diesen Endphasenverbrechen waren daher auch die ersten Gerichtsverfahren vor österreichischen Volksgerichten (ab August 1945) gewidmet. Dabei hatte Himmler angeblich befohlen, dass diese Juden »bei bester Verpflegung« auf Schiffen oder anderen Verkehrsmitteln nach Linz oder Mauthausen gebracht würden. Sie seien, so der allmächtige SS-Chef, sein »bestes Kapital«. Offensichtlich dachte Himmler an irgendein Geschäft bei Kriegsende – sein Leben gegen das tausender Juden. Aber gleichzeitig blieb der Befehl in Kraft, wonach keine Häftlinge lebend in die Hände des Feindes gelangen dürften. Ende März begann der Abzug von der Grenze, als die Sowjets rasch näher kamen. Eine Route ging von Engerau (Petržalka) nach Bad Deutsch-Altenburg. Dort wurden sie auf Lastkähne eingeschifft und donauaufwärts nach Mauthausen gebracht. Höchstens ein Drittel der Schiffsbesatzungen kam lebend an, von denen starben jetzt die meisten oder wurden umgebracht. Nur wenige
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Menschen aus dem Engerauer Lager überlebten. Besonders lange Wege hatten die Zwangsarbeiter im Süden der Reichsgrenze vor sich. Sie mussten zunächst nach Graz gehen, von dort entweder über Bruck an der Mur und den Präbichl ins Ennstal oder über Köflach – Judenburg – Pyhrnpass – Steyr nach Mauthausen. Daneben gab es noch mehrere Todesrouten, z. B. durch das niederösterreichische Viertel ob dem Wienerwald. Von den ungarischen Juden dürften etwa 23.000 nicht überlebt haben. Aber nicht nur die Arbeitssklaven vom »Ostwall« machten sich auf den Weg, auch die meisten Nebenlager von Mauthausen wurden aufgelöst. Ziel dieser Evakuierungen war entweder Mauthausen selbst, Steyr oder das »Hungerlager« Ebensee. Die Belegschaft dieser Lager war international – Polen, Russen, Franzosen, Spanier, Jugoslawen. Wieder brachen tausende auf, immer nur ein Teil von ihnen kam lebend in Mauthausen an. Die ausgemergelten Gestalten lösten bei den Einheimischen verschiedenste Gefühle aus – Angst, Grauen, Mitleid. Versuche, den »KZlern« etwas zu essen oder zu trinken zu geben, wurde von den Wachmannschaften oft verhindert. Anfang April versuchten Mitarbeiter der Justiz, Häftlinge freizulassen, um deren Überleben zu sichern. Das gelang im Wiener Straflandesgericht recht gut, wo am 6. April 1945 die Häftlinge, unter ihnen Leopold Figl, freigelassen wurden. Auch der Direktor des Zuchthauses Stein/Krems ließ die Häftlinge frei, wurde aber selbst auf Befehl des Gauleiters erschossen, die etwa 300 Häftlinge wurden in den nächsten Tagen ebenfalls liquidiert. Noch am 15. April wurden in Stein 44 Häftlinge aus Wien getötet. Nur zwei Tage davor waren in St. Pölten zwölf Mitglieder einer Widerstandsgruppe unter der Leitung des stellvertretenden Polizeichefs Otto Kirchl und Josef Graf Trautmannsdorff–Weinsbergs von einem Standgericht zum Tod verurteilt und sofort erschossen worden. Mit Kirchl und Trautmannsdorff wurden auch ihre Frauen getötet. Allein in Niederösterreich sollen in diesen Tagen von den Nazis 1700 Zivilpersonen getötet worden sein. Zwei Tage später war die Rote Armee in St. Pölten. 10.8.2 Das militärische Ende
Ende März überschritt die Rote Armee die damalige Reichsgrenze. Die unter großen Menschenopfern errichteten »Befestigungen« waren zwecklos. Rasch stießen die Truppen der 3. Ukrainischen Front auf Wiener Neustadt vor. Vom 6. bis zum 13. April dauerte der Kampf um Wien. Am 15. April erreichten die Sowjets St. Pölten. Dort endete vorläufig ihr Vormarsch. Im Weinviertel konnten sich deutsche Truppen ebenso halten wie in der Oststeiermark. Aber für die Sowjets hatte jetzt Berlin Vorrang ! Am 28. April überschritten die Amerikaner die Grenze Tirols. Am 3. Mai erreichten sie Innsbruck, das ihnen vom Tiroler Widerstand bereits als befreite, rot-weiß-rot beflaggte Stadt übergeben wurde. Am gleichen Tag besetzten amerikanische Verbände Salzburg. Ab
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30. April hatten französische Truppen Vorarlberg besetzt. Noch hatte man etwas Respekt vor der »Alpenfestung«. Aber die stellte sich rasch als Hirngespinst heraus. Die Eroberung Oberösterreichs dauerte bis 6. Mai. Am 5. Mai wurde das KZ Mauthausen befreit. Erst am 8. Mai erreichten die Briten Kärnten, gleichzeitig mit jugoslawischen Truppen, die drauaufwärts einmarschierten. Noch am 8. Mai wurden Deserteure der Wehrmacht von Standgerichten justifiziert. Am selben Tag trafen sich Amerikaner und Sowjets in dem kleinen Ort Erlauf in Niederösterreich. Der Krieg war zu Ende. Die deutschen Truppen, etwa 1,5 Millionen Soldaten, gingen in Gefangenschaft. 10.8.3 Befreiungen
Die Überlebenden der Konzentrationslager waren frei. Ebenfalls frei waren die politischen Gefangenen, soweit sie sich in Österreich befanden. Frei waren alle, die sich unter dem Druck der Nazis unfrei gefühlt hatten, sich nicht artikulieren durften, keine »Feindsender« hören und keinen freundlichen Umgang mit »Fremdarbeitern« haben durften. Frei war die katholische Kirche, frei waren Alle, die jetzt ihr Österreich-Bewusstsein nicht mehr verbergen mussten. Aber nicht alle Menschen fühlten sich befreit. Fanatische Nationalsozialisten verübten Selbstmord (wie der niederösterreichische Gauleiter Jury) oder versuchten unterzutauchen. Und es gab ja mehr als 500.000 Parteimitglieder oder -anwärter, die sich weniger als befreit, sondern als enttäuscht, getäuscht, betrogen oder ihrer Lebensplanung beraubt fühlten. Die Ideen der rassischen Überlegenheit und deutscher Größe hatte sich als Phantom erwiesen. Es sollte lange dauern, wenn es denn überhaupt gelang, dass aus enttäuschten, zuweilen verbitterten Nazis einigermaßen normale Bürger einer demokratischen Republik wurden. Die Soldaten der Roten Armee als Befreier hatten ja nicht durchwegs feine Umgangsformen. Freilich – sie kamen aus einem Land, das von den Deutschen fürchterlich zerstört worden war und das Millionen von Menschen in diesem Krieg verloren hatte. Jetzt kamen sie in das Deutsche Reich – allerdings in einen Teil, der wieder selbstständig werden sollte. Und sie fanden, trotz aller Zerstörungen, vielfach einen Lebensstandard vor, der weit höher war als der bei ihnen gewohnte. Die ersten Tage durften sie auch legal plündern. Doch gingen sie darüber hinaus : Nicht nur materielle Güter, vor allem die Frauen erschienen ihnen als legitime Beute. Wenn sich da jemand in den Weg stellte, wurde er nicht selten erschossen. »Plünderung und Brandstiftung, Vergewaltigung und Mord« hätten sie verübt, schreibt der spätere Vizekanzler und Bundespräsident Adolf Schärf. Zahlreiche Selbstmorde verraten etwas von der Verzweiflung der Betroffenen. Österreich war zwar befreit – dennoch glich fast das ganze Land einem einzigen übervollen Lager. Da waren einmal die Truppen der Alliierten, mehrere hunderttausend
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Die Herrschaft des Nationalsozialismus 1938–1945
Mann. Dann waren die Reste der deutschen Wehrmacht im Land, zusammengedrängt aus Bayern, Italien, Jugoslawien, Ungarn. Hier lagerten auch die Reste der früheren verbündeten Armeen, Ungarn, Slowaken, Kroaten, slowenische »Domobranzen«, die gegen die Partisanen gekämpft hatten. Dazu kamen hunderttausende Fremdarbeiter, freigekommene KZ-Häftlinge und, vor allem, Flüchtlinge. Schon seit dem Herbst 1944 waren sie gekommen, sogenannte »Volksdeutsche« aus Rumänien und Jugoslawien, oftmals in Trecks mit Planwagen, von Pferden gezogen, auch aus dem Osten Österreichs flüchtete, wer konnte, nach Westen. Nun kamen Flüchtlinge und bald auch vertriebene Deutsche aus der wieder errichteten Tschechoslowakei dazu. Schon vor dem offiziellen »Abschub« (odsun) der »Sudetendeutschen« aus der Tschechoslowakei kam es zu wilden Vertreibungen. Opfer der bekanntesten Aktion waren die Brünner Deutschen. Ende Mai wurde etwa die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung Brünns, mehr als 25.000 Menschen, zu Fuß Richtung österreichische Grenze getrieben, durchwegs Frauen, Kinder, alte Menschen. Etwa 5000 starben auf diesem »Brünner Todesmarsch«, an Erschöpfung, Krankheiten oder Misshandlungen. Im Juni folgte die Vertreibung aus der deutschen Sprachinsel Iglau ( Jihlava), wieder starben viele, vor allem Kinder ; die Flüchtlinge kamen im nördlichen Waldviertel an. Bis August 1945 waren schon etwa 250.000 »Sudetendeutsche« nach Österreich gekommen. Und wieder kamen Juden, die vor neuen Pogromen in Osteuropa nach Palästina oder Amerika auswandern wollten. 1945 lebten vorübergehend etwas mehr als 1,6 Millionen »displaced persons« in Österreich, die alle irgendwohin gelangen wollten oder mussten – zurück oder in eine neue, oft noch unbekannte Heimat. In den Tagen der Kämpfe und danach wurden die Vorräte geplündert, jetzt drohte eine Hungersnot. 10.8.4 Besetzung und Besatzungsmacht: Die provisorische Regierung Renner
Dabei waren die Planungen der Siegermächte, die ab dem 9. Mai auch Besatzungsmächte waren, noch gar nicht so voll ausgegoren. Man hatte in der Moskauer Deklaration vom November 1943 den Österreichern versprochen, dass Österreich wieder unabhängig werden sollte. Aber dafür würde man den Beitrag der österreichischen Bevölkerung zu ihrer Befreiung in Rechnung stellen, außerdem müsse Österreich für seinen Beitrag am Hitler-Krieg Mitverantwortung tragen. Wie das Ganze aussehen sollte, war noch keineswegs klar. Im Westen dachte man an eine längere Phase direkter Herrschaft der Besatzungsmächte, in der die Bevölkerung schön langsam wieder zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erzogen werden sollte. Eine neue österreichische Verwaltung sollte von unten her aufgebaut werden. Da wurden aber schon im Osten neue Fakten geschaffen. Karl Renner, der Staatsgründer der Ersten Republik, lebte in Gloggnitz, im südlichen Niederösterreich. Nach
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Karte 11: Besatzungszonen 1945–1955.
der Besetzung von Gloggnitz durch die sowjetischen Truppen begab er sich zur örtlichen Kommandantur, um Schutz für die Bevölkerung zu erbitten. Er wurde umgehend in das sowjetische Kommando gebracht. Am 15. April 1945 schrieb Renner einen Brief an Stalin, in dem er als letzter Parlamentspräsident vor 1934, aber auch als erster Staatskanzler 1918/19, sich bereit erklärte, das Geschäft der Staatsgründung noch einmal zu übernehmen. Es hatte aber auch Stalin selbst nach Renner suchen lassen und die Armeeführung beauftragt, Renner bei der Wiedererrichtung der Demokratie zu unterstützen ! Inzwischen agierte in Wien die in den Tagen der Schlacht um Wien aktiv gewordene Befreiungsfront O5 etwas planlos und unprofessionell. Das erleichterte es den traditionellen Parteien, sie ziemlich schnell zu verdrängen. Am 14. April wurde die SPÖ (Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten) gegründet, ihr Obmann wurde Adolf Schärf (1890–1965), Jurist und bis 1933 für den sozialdemokratischen Klub tätig. Er galt als Vertreter des Renner-Flügels. Am 17. April folgte die ÖVP (Österreichische Volkspartei), als Nachfolgepartei der früheren Christlichsozialen. Bei der Konstituierung wurde Leopold Kunschak zum Obmann gewählt, zog sich aber bald aus der Parteiführung zurück. Generalsekretär wurde Felix Hurdes, der eben aus dem Gefängnis gekommen war. Bald trat aber Leopold Figl (1902–1965) in den Vor-
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dergrund, der als früherer Bauernbunddirektor schon am 12. April von den Sowjets mit der Lebensmittel-Versorgung Wiens beauftragt wurde. Figl gründete unmittelbar darauf den Österreichischen Bauernbund wieder, als wichtigsten Bund der neuen ÖVP. Am 20. April fand in Wien eine erste Besprechung zwischen Renner, Adolf Schärf, Theodor Körner, dem alten General und Schutzbundberater und neuen Bürgermeister von Wien, den aus Moskau zurückgekehrten Kommunisten Ernst Fischer und Johann Koplenig sowie zwei ÖVP-Vertretern statt. Die Kommunisten forderten in der geplanten provisorischen Regierung eine stärkere Position für sich, insbesondere die Staatsämter für Inneres und Unterricht. Das war riskant, aber da sich die Sowjets hinter diesen Wunsch stellten, musste dies zugestanden werden. Am 27. April stellte sich die neue provisorische Regierung Österreichs bei Marschall Tolbuchin, dem sowjetischen Oberkommandierenden, vor. Sie bestand aus dem Staatskanzler Renner, drei Staatssekretären ohne Portefeuille (Figl, quasi als Vizekanzler, Schärf und Koplenig) und den Staatssekretären, die Ministerien verwalteten. Allen Staatssekretären wurden Unterstaatssekretäre der beiden anderen Parteien als Kontrollore beigegeben. Am gleichen Tag wurde die von Renner formulierte Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht. Sie erklärte den Anschluss von 1938 für null und nichtig. Österreich sollte wieder eine demokratisch Republik im Sinne der Verfassung von 1920 werden. Alle dem Deutschen Reich geleisteten militärischen oder dienstlichen Gelöbnisse wurden für nichtig erklärt. Die Unabhängigkeitserklärung etablierte die Opferthese : Österreich war das erste Opfer Hitlers und daher an allem, was seit dem 13. März 1938 geschehen war, unschuldig. Das mochte für den Staat zutreffen, aber keineswegs für die überaus zahlreichen nationalsozialistischen und anderen Täter, die ihre jüdischen Mitbürger beraubten, und schon gar nicht für die nicht wenigen aktiven und gewalttätigen österreichischen Nazis, die mit Begeisterung an Hitlers Kriegen und Unterdrückungen mitgewirkt haben. Mit dieser Deklaration wurde aber auch die Okkupationstheorie formuliert : Österreich sei wehrlos gewesen, okkupiert worden und trage daher für nichts Verantwortung, was seither auf seinem Gebiete geschah. Aber die Unabhängigkeitserklärung, ein ziemlich langer und pathetischer Text, ging sowieso nicht in das kollektive österreichische Gedächtnis ein. Anderes war viel dringlicher. Am dringlichsten war die Versorgung der Bevölkerung. Dafür zuständig waren die Besatzungsmächte. In Wien verteilte die Rote Armee eine »Maispende«, die überwiegend aus Erbsen (und deren Mitbewohnern) bestand. Aber das reichte nicht. Viele Neugeborene starben, ebenso alte Leute. Die Aktionen Figls in Niederösterreich erbrachten gerade so viel Milch, dass man einige Spitäler versorgen konnte, mehr nicht. Dennoch ging man an den Wiederaufbau, zunächst wurde der Schutt weggeräumt, vielfach von den Beamten, die wieder an ihre alten Dienststellen zurückkehrten. Schon bildete sich wieder ein Beamtenstab im Wiener Bundeskanzleramt, im Wiener Rathaus, im Niederösterreichischen Landhaus in Wien. Hier übernahm Figl gemeinsam
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mit je einem Vertreter der SPÖ und der KPÖ provisorisch das Amt des Landeshauptmannes. Aber wie sah es im Rest Österreichs aus ? Als die provisorische Regierung zusammentrat, lief noch die Front quer durch Niederösterreich, weiter westlich herrschten noch die Nazis. Auch nach Kriegsende wusste man in Wien nicht, wie es in den westlichen und südlichen Bundesländern aussah. In Tirol wurde Karl Gruber (1909–1995) als zentrale Figur des Widerstandes von den Amerikanern nach einigem Zögern als Landeshauptmann anerkannt, gründete eine eigene »Österreichische Staatspartei« und richtete eine provisorische Landesregierung ein. Gruber wurde in der Folge der Wortführer der westlichen Bundesländer. In Vorarlberg geschah Ähnliches, hier bildete sich ebenfalls im Mai ein Landesausschuss, als dessen Präsident Ulrich Ilg fungierte, der dann bis 1964 als Landeshauptmann amtierte. In der Steiermark übergab der nationalsozialistische »Gauhauptmann« am 8. Mai einem Komitee unter Vorsitz des Sozialisten Reinhard Machold die Geschäfte. Dieses sorgte für die kampflose Übergabe von Graz an die Rote Armee. Die Sowjets verlangten aber eine drittelparitätische Umbildung der provisorischen Landesregierung, die sie am 15. Mai – immer noch unter Machold – anerkannten. Renner selbst übertrug Machold seitens der Staatsregierung das volle Pouvoir für die Steiermark. Seltsam war auch die Situation in Kärnten. Obwohl sich bereits eine provisorische Landesregierung unter dem Sozialisten Hans Piesch gebildet hatte, verweigerte Gauleiter Rainer noch bis zum 8. Mai den Rücktritt. Schließlich übertrug er doch die Geschäfte an den Gauhauptmann, der sie sofort auf die provisorische Landesregierung übertrug. Die Briten lösten diese am 4. Juni auf und ernannten einen »konsultativen Landesausschuss« – aus den Mitgliedern der aufgelösten Landesregierung. Da Kärnten als britische Besatzungszone vorgesehen war, mussten die jugoslawischen Verbände das Land wieder verlassen. Bis 23. Mai zogen sie aus Kärnten ab. Rainer wurde von den Briten gefangen gesetzt und an Jugoslawien ausgeliefert. Er wurde 1947 wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt und hingerichtet. In Oberösterreich wurde von den Amerikanern sofort der sozialistische Bürgermeister von Linz, Ernst Koref, anerkannt, dagegen akzeptierten sie die provisorische Landesregierung unter dem Sozialisten Alois Oberhumer nicht. Sie setzten dafür den nationalsozialistischen Regierungsdirektror Adolf Eigl ein, der bis zu seiner Verhaftung (!) im August im Amt blieb. Erst im August rückten die Truppen endgültig in ihre Zonen ein, die Sowjets räumten die Steiermark, die Briten kamen. In Wien übernahmen endlich Amerikaner, Briten und Franzosen die ihnen zugewiesenen Bezirke. Diese lagen aber nur im Wien der Grenzen von 1937, das ganze darum liegende Gebiet von Groß-Wien blieb sowjetisch. Die Besatzungszonen wurden jetzt hermetisch voneinander abgeriegelt. Als die ÖVP-Bundesleitung mit den analogen Parteien im Westen Kontakt aufnehmen wollte, schickte sie einen Studenten – Herbert Braunsteiner – los, der die Enns durch-
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schwamm, um so in den Westen zu gelangen. Das wichtigste Ergebnis war wohl, dass sich auch Karl Gruber mit »seiner« nun in Tiroler Volkspartei umbenannten Partei der gesamtösterreichischen Volkspartei anschloss. Gegenüber der Renner-Regierung (nicht gegenüber der Person Renners !) blieb man skeptisch. Die Westalliierten waren über die rasche Konstituierung der Renner-Regierung verblüfft und verärgert und verweigerten deren Anerkennung. Erst als Renner die Einberufung einer Länderkonferenz anregte, die auch die westlichen Bundesländer einbezog, lockerte sich das Klima langsam auf. Bei der ersten Sitzung des Alliierten Rates für Österreich (11. September) wurden zwar die drei Parteien österreichweit anerkannt, aber noch immer nicht die Renner-Regierung. Auf der 1. Länderkonferenz im Niederösterreichischen Landhaus in Wien (24.–26. September) wurde Gruber zum Staatssekretär für das Äußere bestellt und dem kommunistischen Innenstaatssekretär ein eigener Unterstaatssekretär für die Durchführung der Wahlen beigesellt. Damit war endlich der Weg für die Anerkennung der provisorischen Regierung Renner frei. Sie erfolgte am 20. Oktober. Damit begann aber auch eine Phase strenger Kontrolle durch den Alliierten Rat : Jedes Gesetz und jede Verordnung mussten extra genehmigt werden. Diese Phase der strikten Kontrolle dauerte bis zum zweiten Kontrollabkommen, im Frühsommer 1946. Nun ging es an die Vorbereitung der ersten demokratischen Nationalratswahlen seit 1930. Die drei anerkannten Parteien durften kandidieren. Frühere NSDAP-Mitglieder (mehr als 500.000) waren von der Wahl ausgeschlossen. Auch hunderttausende in den alliierten Staaten kriegsgefangene männliche Österreicher konnten nicht wählen. Es gab daher bei den Wahlen am 25. November (»Kathrein-Wahlen«) einen starken Frauenüberhang.
Abb. 11: Ingeborg Bachmann. Sgraffito. Mit freundlicher Genehmigung des Robert Musil Literatur Museum Klagenfurt.
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11.1 Das Ringen um den Staatsvertrag und die große Koalition 11.1.1 Regierung Leopold Figl (1945–1953)
Der Ausgang der Wahlen vom 25. November 1945 war für viele Beobachter überraschend. Dass die KPÖ dermaßen schlecht abschnitt, hatte niemand vorausgesehen. Vermutlich bezahlte sie die Zeche für gewisse Verhaltensweisen der sowjetischen Besatzer. Die Sozialisten schnitten gut ab, die ÖVP erreichte sogar die absolute Mandatsmehrheit : 85 Abgeordnete für die ÖVP, 76 für die SPÖ, 4 für die KPÖ. Dass der Parteichef der stärksten Partei den Bundeskanzler stellen würde, lag nahe. Man war sich auch sehr rasch darüber einig, dass nur eine Konzentrationsregierung die ungeheure Fülle an Problemen bewältigen könne, die von allen Seiten herandräuten – Ernährung, Entnazifizierung, Wiederaufbau der zerstörten Brücken, Eisenbahnen, Straßen, Wohnungen, die Wiederankurbelung der Wirtschaft, die offenen Vermögensfragen, die Wiedereingliederung Österreichs in die internationalen Wirtschaftskreisläufe, die »displaced persons«, die Vertriebenen, die Kriegsgefangenen, und nicht zuletzt : der Staatsvertrag. Die ÖVP stellte den Bundeskanzler (Figl) und den Außenminister (Karl Gruber), ferner die Minister für Unterricht, Finanzen, Land- und Forstwirtschaft, für Handel und Wiederaufbau sowie für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung ; die SPÖ den Vizekanzler (Adolf Schärf ) sowie die Minister für Inneres (Oskar Helmer), soziale Verwaltung, Volksernährung und Verkehr ; die KPÖ stellte mit Karl Altmann den Minister für Elektrifizierung und Energiewirtschaft. Acht Minister waren schon in der provisorischen Renner-Regierung gesessen. Als langjähriger KZ-Häftling (1938–1943, 1944/45) verkörperte Figl das von den Nazis verfolgte Österreich überaus glaubwürdig. Das zentrale Problem der ersten Nachkriegszeit war die Ernährung. Es wurde durch die große Zahl von Flüchtlingen und »displaced persons« noch verschärft. Für die Aufnahme der »Volksdeutschen« war Deutschland verantwortlich, aus Österreich erfolgten daher Abschiebungen dieser Gruppen, aber auch der »Reichsdeutschen«, in die alliier-
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ten Besatzungszonen Deutschlands. Im früheren KZ Melk war ein Repatriierungslager unter sowjetischer Führung eingerichtet, von dem 1946 72.000 Menschen nach Deutschland abtransportiert wurden. Insgesamt wurden fast 225.000 »Volksdeutsche« Richtung Deutschland abgeschoben. Dennoch waren 1947 noch fast 120.000 so genannte »Sudetendeutsche« in Österreich. Die aus den unmittelbaren Nachbargebieten Österreichs – Südmähren, Südböhmen, Westungarn, Untersteiermark – stammenden Menschen erhielten die österreichische Staatsbürgerschaft leichter. Ihr Heiratsverhalten zeigt eine rasche Integration in die österreichische Bevölkerung : 75 % der Ehen dieser Zuwanderer wurden mit Einheimischen geschlossen (bei den in Österreich verbliebenen Donauschwaben waren es nur 34 %). Die Kontrolle der Alliierten war zunächst sehr beengend. Jedes Gesetz und jede Regierungsverordnung musste vom Alliierten Rat genehmigt werden. Aber inzwischen zog der Kalte Krieg herauf, der die notwendige Einstimmigkeit des Rates immer öfter erschwerte. Glücklicherweise einigten sich die Besatzungsmächte auf ein neues Kontrollabkommen (28. Juni 1946), das dann bis 1955 galt. Ab jetzt mussten nur mehr Verfassungsgesetze einstimmig vom Alliierten Rat genehmigt werden. Hingegen galten einfache Gesetze, wenn der Rat nicht binnen 30 Tagen einstimmig Einspruch erhob. Das zweite Kontrollabkommen gestattete es der österreichischen Regierung auch, diplomatische Beziehungen zu den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen aufzunehmen. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung der vollen Unabhängigkeit, die aber noch in weiter Ferne lag. Im Frühjahr 1946 setzte die UNRRA-Hilfe ein, was die Ernährungssituation etwas entspannte. Aber der nächste Winter war wieder schlimm, mit großer Kälte. Schulen und Fabriken mussten wegen Kohlenmangels länger geschlossen werden. Die Jahre 1946 und 1947 waren auch sehr trocken, was die landwirtschaftlichen Erträge verminderte. Noch immer schien das Überleben nicht gesichert. Erst 1948 besserte sich die Situation. Für die 1949 fälligen Parlamentswahlen kandidierte eine vierte Partei – der Verband der Unabhängigen (VdU) bzw. als Wahlpartei der Wahlverband der Unabhängigen (WdU). Damit erhielten die wieder wahlberechtigten »minderbelasteten« Nationalsozialisten, aber auch die »Heimkehrer«, die aus der Gefangenschaft heimgekehrten ehemaligen Wehrmachts-Soldaten, deren Mentalität stark durch Militärdienst und Gefangenschaft geprägt war, eine eigene politische Plattform. Die Zahl der Wahlberechtigten vermehrte sich dadurch stark, der Überhang an weiblichen Wählern wurde reduziert. Die Gründung dieser neuen Partei erfolgte mit ausdrücklicher Unterstützung des sozialistischen Innenministers, der sich davon eine entscheidende Schwächung der ÖVP versprach. Tatsächlich erreichte die neue Partei fast 12 % der Stimmen und 16 Mandate, die ÖVP kam nur mehr auf 44 % und 77 Mandate. Aber die SPÖ büßte ebenso viele Stimmen und Mandate wie die ÖVP ein. Sie fiel auf knapp 39 %
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und 67 Mandate. Die KPÖ stagnierte bei 5 Mandaten. Die Regierung veränderte sich nur wenig, Figl blieb Kanzler, Schärf Vizekanzler. Zu Silvester 1950 starb Bundespräsident Karl Renner. Der zweimalige »Staatsgründer« hatte sich weit über seine Partei hinaus Respekt und Ansehen erworben, auch wegen seiner offenen Äußerungen des Unmuts über die lange Dauer der Besetzung. Von ihm stammt das Bild von Österreich als kleinem Boot, auf dem sich vier Elefanten drängen. Seine Wendigkeit und Wandlungsfähigkeit erregten natürlich auch Kritik. Mit derselben Beredsamkeit, mit der er 1938 den Anschluss verteidigt hatte, argumentierte er 1946 für die vollständige kulturelle und historische Eigenständigkeit Österreichs, letztlich für eine besondere eigene Nationalität der Österreicher. Das besondere Verdienst Renners lag darin, dass er mit seiner zunächst vollkommen machtlosen Regierung schon von April bis September 1945 ganz selbstverständlich für ganz Österreich zu reden und zu entscheiden vorgab. Damit legte er nach der Anerkennung im Oktober 1945 die Basis für den reibungslosen Übergang zum ersten gewählten Parlament der Zweiten Republik und zur Regierung Figl. Renner hat dem eine ganze Generation jüngeren Figl übrigens am 4. Juli 1946 eine berührende Widmung ins Gästebuch geschrieben, als er beim Bundeskanzler eingeladen war : Renner dankte seinem »treuen standhaften Mitarbeiter in der Prov. Regierung, dem Miterbauer des Neuen Österreich, dem ersten Kanzler des demokratisch erneuerten Österreich« für den »gemütlich-freundschaftlichen Familienabend« und fügte hinzu : »Die besten Grüße des Bauernsohnes dem Bauernsohn, die aufrichtigen Wünsche für erfolgreiche Arbeit am Wohl unseres Volkes.« Renner starb nach den Feiern zu seinem 80. Geburtstag. 1951 wurde der Bundespräsident erstmals vom Volk gewählt. Überraschend gewann der Wiener Bürgermeister Theodor Körner (1873–1957). In der ÖVP regte sich Unmut über ihren Parteiobmann und Bundeskanzler Figl, der es als »KZler« offenbar nicht verstanden hatte, auf die Ex-Nazis, »Heimkehrer« und die neue rechte Partei zuzugehen. 1951 löste der ältere Freund Figls, Julius Raab (1891–1964), den Jüngeren als Parteiobmann ab. Nach einer neuerlichen Wahlniederlage 1953 – die SPÖ erhielt mehr Stimmen als die ÖVP, blieb aber auf Grund der Wahlarithmetik um ein Mandat hinter der ÖVP – wurde Figl auch als Kanzler ausgebootet. Nun übernahm Raab auch das Amt des Bundeskanzlers. Gemeinsam mit dem Finanzminister Reinhard Kamitz prägte er den so genannten »Raab-Kamitz-Kurs« (dazu später). Im Herbst 1953 kehrte Figl als Außenminister in die Regierung zurück, nachdem Außenminister Karl Gruber als Folge einer für Raab unangenehmen Indiskretion in einem neuen Buch zurückgetreten war.
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Tab. 14: Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1945–1953 ÖVP
SPÖ
KPÖ
VdU
Jahre
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in%
Mandate
1945
49,8
85
44,6
76
5,4
4
-
-
1949
44,0
77
38,7
67
5,1
5
11,7 %
16
1953
41,3
74
42,1
73
5,3
4
11,0 %
14
165 Mandate waren zu vergeben.
11.1.2 Entnazifizierung
Zu Beginn erließ jede Besatzungsmacht eigene Vorschriften. Dazu kamen die Gesetze der provisorischen Regierung, die zunächst aber nur in der sowjetischen Zone galten. Die Besatzungsmächte drängten auf eine rasche und radikale Entnazifizierung – Parteimitglieder der NSDAP sollten zumindest vorübergehend aus dem Erwerbsleben entfernt werden, aus dem öffentlichen Dienst aber zur Gänze. Schon die provisorische Regierung Renner hatte mit dem Verbotsgesetz vom Mai und dem Kriegsverbrechergesetz vom Juli 1945 verbrecherische Handlungen im Rahmen der Nazi-Bewegung und des Nazi-Regimes unter Strafandrohung gestellt. Auch die Inhaber von höheren Rängen in der NSDAP und ihren Gliederungen waren mit Strafen bedroht. Die »Illegalen« (Mitglieder der illegalen NSDAP zwischen 1933 und 1938) galten sogar des Verbrechens des Hochverrates schuldig. Später wurden alle Mitglieder der SS sowie alle höheren Funktionäre der Partei als »Belastete« angesehen, die einfachen Mitglieder, soferne sie nicht wegen der Teilnahme an Verbrechen strafrechtlich belangt wurden, hingegen als »Minderbelastete«. Abgesehen von gerichtlichen Strafen, die durch eigene Volksgerichte (aus zwei Berufs- und drei Laienrichtern) verhängt werden konnten, wurden auf dem Verwaltungsweg »Sühnefolgen« verhängt. Die Sühnefolgen bestanden in Entlassungen, (meist vorübergehenden) Berufsverboten, Eigentumsentzug, Heranziehung zu unentgeltlicher Arbeit und in materiellen Leistungen. Doch erst im Jänner 1946 genehmigte der Alliierte Rat das Verbotsgesetz. Im Februar übergaben die Alliierten die Durchführung der Entnazifizierung, die bisher nach Besatzungszonen recht verschieden gehandhabt wurde, der österreichischen Regierung. Ein nicht unerheblicher Teil der Staatstätigkeit konzentrierte sich in den Jahren 1945 bis 1948 auf die Registrierung der Nationalsozialisten und auf die Strafverfolgung bestimmter Tätergruppen. Insgesamt wurden etwa 536.000 ehemalige Nationalsozialisten registriert, aber 85–90 % dieser großen Gruppe machten von der Möglichkeit eines Aus-
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nahmeansuchens Gebrauch. Das musste die Verwaltung vollkommen lahmlegen. Die Parteien einigten sich daher auf ein neues Gesetz, das aber der Alliierte Rat – erst – im Dezember 1946 ablehnte. Daher wurde das neue Nationalsozialistengesetz unter Berücksichtigung der alliierten Forderungen (Ausweitung des Personenkreises, längere Dauer der Sühnefolgen, insbesondere der Berufsverbote) erst im Februar 1947 verabschiedet. Dieses Gesetz wurde aber nicht mehr als »eigenes«, sondern als ein von außen auferlegtes Gesetz angesehen – dementsprechend ging man auch damit um. Die »Illegalen« wurden nicht mehr als »belastet« eingestuft, daher zählte man 1948 nur mehr etwa 42.000 »Belastete« und fast 496.000 »Minderbelastete«. Schon wurden auch in Deutschland Amnestien erlassen. Man wollte in Österreich nicht schlechter dastehen als die Deutschen. Nun regte der Alliierte Rat selbst – über Anstoß der Sowjets ! – eine Amnestie für alle Minderbelasteten an. Damit war die administrative Entnazifizierung 1948 faktisch beendet. Auch die »Belasteten« wurden einige Jahre später rehabilitiert. Noch nicht zu Ende war die Arbeit der Volksgerichte. Sie hatte schon im Sommer 1945 mit den ersten Engerauer Prozessen begonnen, benannt nach dem Lager Engerau (Petržalka) in der Slowakei (in der NS-Zeit im Gau Niederdonau). Hier hatte man ungarische Juden zur Zwangsarbeit an den Befestigungen der Reichsgrenze konzentriert und von hier ab Ende März in den »Todesmärschen« nach Mauthausen getrieben. In insgesamt sieben Prozessen wurden bis 1954 20 mutmaßliche Täter angeklagt und neun von ihnen zum Tod verurteilt und hingerichtet (das war nach dem Verbots- und dem Kriegsverbrechergesetz möglich). Insgesamt fällten die österreichischen Volksgerichte zwischen 1945 und 1955 mehr als 23.000 rechtskräftige Urteile. Davon waren fast 10.000 Freisprüche, mehr als 13.000 Schuldsprüche, darunter 43 Todesurteile und 29 Verurteilungen zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. 30 Todesurteile wurden vollstreckt, zwei Verurteilte begingen vor der Vollstreckung Selbstmord. (Claudia Kuretsidis-Haider). Ein großer Teil der Volksgerichtsprozesse behandelte Verbrechen »vor der Haustür«, wogegen der im Osten Europas vollzogene Massenmord auch an österreichischen Juden kaum in den Blick kam. Viele Verurteilungen erfolgten wegen der Denunziation von Mitbürgern bei der Gestapo, aber auch wegen illegaler Parteimitgliedschaft. Die hochrangigen Nationalsozialisten wurden allerdings von den Alliierten abgeurteilt, wie der hohe SS-Funktionär Ernst Kaltenbrunner, der kurzzeitige Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart oder der Gauleiter Friedrich Rainer, der 1947 in Ljubljana zum Tod verurteilt wurde. Man kann also weder der österreichischen Verwaltung noch der österreichischen Justiz den Vorwurf machen, sie hätten sich des Problems der Nationalsozialisten und ihrer Verbrechen nicht angenommen. Allerdings bezweifelten viele Menschen einerseits die Berechtigung der Entnazifizierungsbemühungen, andererseits die Art ihrer Durchführung. An das Großdeutsche Reich und an den Nationalsozialismus glaubte nach dem vollkommenen Zusammenbruch des Dritten Reiches sowieso niemand mehr – auch
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wenn viele noch lange bereit waren, dem Nationalsozialismus einige gute Seiten zuzuschreiben. Man war, so glaubten viele Nazis, durch den Kriegsausgang, durch Todesfälle in der engeren Verwandtschaft oder durch eigene materielle Verluste genug gestraft. Wozu also noch »Sühnefolgen« ? Die rasche Wende von 1948, mit der weitgehenden Amnestie und dem anschließenden Werben der Parteien um die Stimmen der amnestierten ehemaligen Nazis für die Wahlen 1949, stellten die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen von 1945 bis 1948 erst recht in Frage. Ab 1949 wurden zunehmend auch Menschen, die durch die Volksgerichte verurteilt waren, vom Bundespräsidenten amnestiert (das konnte er, auf Antrag der Bundesregierung). Als erfolgreiche Wege zur Entfaltung einer neuen, demokratischen und rechtsstaatsbewussten Mentalität konnten daher beide Arten der Entnazifizierung kaum gelten. Aber auch die Methode der Amerikaner und der Briten, Nazis in Lager zu sperren, die Amerikaner in Glasenbach bei Salzburg und die Briten bei Wolfsberg in Kärnten, hat bei den Insassen kaum einen Läuterungsprozess herbeigeführt. Vielmehr spannen die bis zu 12.000 Insassen von Glasenbach (von Kriegsverbrechern wie Franz Stangl oder Generälen wie Kesselring und Rendulic über NS-Bonzen aller Grade bis zu einigermaßen harmlosen Ortsgruppenleitern) und die bis zu 7000 »Wolfsberger« ihre Netzwerke für die Zeit nach der Entlassung, die spätestens 1948 erfolgte. Der 1949 gegründete VdU bestand zu einem guten Teil aus »Glasenbachern«. Natürlich empfanden sich alle als »Opfer«. Nach amerikanischen Untersuchungen in den späteren 1940er Jahren waren zahlreiche mentale Haltungen aus der Zeit vor 1945, insbesondere der Antisemitismus, noch sehr lebendig. Positive Beurteilungen des Nationalsozialismus (Autobahn, Beschäftigung, »Entschuldung« der Bauern) lebten lang und zäh fort. 11.1.3 Südtirol
Das beherrschende Thema des Jahres 1946 hieß : Forderung nach Rückgabe Südtirols. Verschärft wurde die Problematik durch das Hitler-Mussolini-Abkommen von 1939, das die Umsiedlung aller deutschsprachigen Südtiroler, die dafür optierten, in das Deutsche Reich vorsah. Beeinflusst von der massiven nationalsozialistischen Propaganda entschied sich ein Großteil der Südtiroler Bevölkerung (86 % der Deutschsprachigen und Ladiner, 213.000 Menschen) für die Abwanderung. Die Italiener waren entsetzt – wer würde die leeren Gebirgsbauernhöfe wieder besiedeln ? Bis 1943 wanderten etwa 70.000 »Optanten« wirklich aus, der Rest blieb, neben den »Dableibern«, noch im Land. Den Optanten hatte man neue Bauernhöfe »im Osten« versprochen, einige wurden in Slowenien angesiedelt, die meisten blieben in Lagern. Nach der Absetzung Mussolinis im Sommer 1943 wurde Südtirol der deutschen Verwaltung unterstellt. 1945 schien die Südtirol-Frage wieder offen : Italien war ein besiegtes Land. Die
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Frage musste also auf der Pariser Friedenskonferenz gelöst werden. Mehr als 150.000 Unterschriften von Südtirolern unterstützten die österreichische Forderung nach Rückkehr Südtirols zu Österreich. Auch in Österreich demonstrierten tausende auf großen Kundgebungen für Südtirol. Allerdings war im Sommer 1946 die österreichische Position äußerst schwach, das wirtschaftliche Überleben schien vollkommen unsicher, denn gerade hatten die Sowjets die Verwaltung über das »deutsche Eigentum« in ihrer Besatzungszone übernommen. Der österreichische Außenminister Karl Gruber gehörte selbst zu den Zukunfts-Pessimisten. Daher auch sein zögerliches Auftreten in Paris, wohin Österreich im August 1946 eingeladen wurde. Die West-Alliierten waren sich zwar des Unrechts von 1919 bewusst, aber für sie war es von großer Bedeutung, Italien im Westen zu halten, auch um den Preis, dass Südtirol italienisch blieb. Denn die Briten und Amerikaner hatten große Angst vor dem Abgleiten Italiens in den Kommunismus. Die geschickte italienische Diplomatie unter Alcide Degasperi konnte daher die Konferenz dazu bestimmen, Südtirol den Italienern zu belassen – dafür akzeptierten sie den Verlust Istriens, Zadars, adriatischer Inseln und der meisten slowenischen Gebiete des Küstenlandes. Dafür versprach das Gruber-Degasperi-Abkommen vom 5. September 1946 – ein Annex zum Friedensvertrag zwischen den Alliierten und Italien – den deutschsprachigen Südtirolern die Erhaltung ihrer eigenen Sprache und Kultur sowie Mitbestimmung auf ihrem Territorium. Man hat aber in der Durchführung dieser Bestimmungen eine gemeinsame autonome Region Trentino – Südtirol (Trentino – Alto Adige) gebildet, in der die Italiener eine große Mehrheit hatten. Diese Mehrheit entschied über die Durchführung der Autonomiebestimmungen. Das war der Hintergrund für die ab etwa 1956 immer lauter geäußerte Unzufriedenheit in Südtirol. Immerhin erhielten die »Optanten« wieder die italienische Staatsbürgerschaft. 11.1.4 Das »deutsche Eigentum«
Am 10. Juli 1946 überbrachte ein amerikanischer Offizier dem Bundeskanzler die Mitteilung von Präsident Truman, dass die amerikanische Regierung das »deutsche Eigentum« an die Republik Österreich übertragen wolle. Das war eine erfreuliche Entwicklung, im Gegensatz zum »Befehl Nr. 17« der sowjetischen Besatzungsmacht vom 27. Juni 1946, durch den das »deutsche Eigentum« in der sowjetischen Besatzungszone beschlagnahmt wurde. Das waren mehr als 300 Industriebetriebe und etwa 140 Großgüter mit 150.000 ha Kulturfläche ! In Potsdam hatte man sich 1945 geeinigt, dass die Alliierten jedes Eigentum des Deutschen Reiches oder deutscher Staatsbürger bis zur Regelung der Reparationsfrage vorläufig an sich nehmen und nutzen konnten. In Österreich war jedoch – wir haben oben darauf hingewiesen – seit dem März 1938 der Anteil des »deutschen Eigentums« gewaltig angewachsen, durch »Arisierungen«, Fir-
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menübernahmen, Investitionen des Reiches oder reichsdeutscher Firmen in der »Ostmark«. So ging mit der Beschlagnahme des »deutschen Eigentums« ein großer Teil der Industrie Niederösterreichs und Wiens für die österreichische Wirtschaft faktisch verloren. Die niederösterreichischen Erdölquellen, die DDSG, die Voithwerke in St. Pölten (wichtigste Produktionsstätte für Kraftwerksturbinen), Böhler-Edelstahl in Ternitz usw., aber auch große Gutsbetriebe sollten im nächsten Jahrzehnt ausschließlich für die Sowjetunion arbeiten (sog. USIA-Betriebe, USIA= Uprawlenje Sowjetskim Imuschestwom w Awstriji). 1955 arbeiteten in USIA-Betrieben und in der ebenfalls sowjetisch beherrschten Erdölwirtschaft fast 58.000 Menschen, davon 42.000 in Industriebetrieben. Faktisch zahlte Österreich damit erhebliche Reparationen an die UdSSR. 11.1.5 Entschädigung, Rückgabe, Wiedergutmachung?
Der große Raubzug der Nationalsozialisten musste rückgängig gemacht werden. Aber wie ? Die Republik Österreich stellte sich erfolgreich auf den Standpunkt der Okkupationstheorie : Österreich sei im März 1938 besetzt, also okkupiert worden und daher als Staat handlungsunfähig gewesen. Es habe daher als Staat keine Verbrechen begangen – die Verbrechen waren dem Deutschen Reich zuzurechnen. Entschädigung sollten daher die Deutschen leisten. Österreich hatte allenfalls dafür zu sorgen, dass die Geschädigten wieder zu ihrem Eigentum kamen. Der Weg dorthin war zunächst unklar. Die Regierung dachte an einen Fonds, in den man diverse zwischen 1938 und 1945 enteignete Vermögen (Fabriken, Häuser, Grundstücke …) einbringen würde. Aus den Veräußerungen sollten hilfsbedürftige Opfer entschädigt werden. Individuelle Rückgaben waren zunächst nicht vorgesehen. Nun dachten viele der beraubten Juden sowieso nicht daran, in dieses Land, aus dem sie unter oft schändlichen Begleitumständen vertrieben worden waren, zurückzukehren. Aber ihr entwendetes Eigentum wollten sie doch zurückerhalten. Insbesondere die Amerikaner forderten daher die individuelle Rückgabe. Schon im Jänner 1946 kündigte Bundeskanzler Figl Naturalrestitutionen an. Ein österreichisches Gesetz über die Nichtigkeit von Vermögensentziehungen während der NS-Zeit (Mai 1946) sollte alle irgendwie fragwürdigen Eigentumsübergänge von österreichischen an deutsche Eigentümer betreffen. Dann wurden mehrere Rückstellungsgesetze beschlossen, von denen das dritte (Februar 1947) das private Eigentum betraf. Davon waren die meisten jüdischen Geschädigten betroffen. Schadenersatz für nicht mehr vorhandene Vermögen (zerstörte Häuser oder Fabriken, liquidierte Betriebe etc.) leistete die Republik nicht. Geraubte Kunstgegenstände wurden den Eigentümern großer Sammlungen, wie Louis Rothschild, zwar zurückgestellt, sie konnten aber nach der österreichischen Gesetzeslage nicht ausgeführt werden. Schließlich einigte man sich : Rothschild »durfte« dem Kunsthistorischen Museum eine Reihe seiner Bilder
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schenken, dafür erhielt er für den Rest die Ausfuhrgenehmigung. Noch 1955 wurde ein großer Bestand an Kunstwerken von den Amerikanern den österreichischen Behörden übergeben, deren weitere Behandlung durch Österreich als sehr problematisch gelten muss. Sie wurden in der früheren Kartause Mauerbach gelagert. Ein – legistisch schlechtes – Rückgabegesetz wurde erst 1969 erlassen, tatsächlich erfolgten nur ganz wenige Rückgaben. Eine Betroffene, die Tochter des ständestaatlichen Polizeichefs von Wiener Neustadt, Dr. Richard Herzog (1942 von denNazis ermordet) verpackte ihre Wut über den Unwillen der österreichischen Behörden zu einer angemessenen Lösung in einen Roman, in dem sie die Vermutung formulierte, man wolle in Österreich mit den Erlösen der den Juden geraubten Kunstgegenstände die geflüchteten Nazis in Südamerika unterstützen (Madeleine Duke, The Borman receipt, 1978). Tatsächlich waren nach dem Ende der Fristen die fraglichen Kunstwerke »nur« in das Eigentum der Republik Österreich übergegangen. 1984 folgte ein scharfer Artikel des amerikanischen Journalisten Andrew Decker unter dem Titel »A legacy of shame« (1984), der erhebliches Aufsehen erregte und in Israel und den USA kritische Fragen wegen Österreichs Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus auslöste. Man sollte diese Ereignisse durchaus mitbedenken, wenn es um die Erklärung der (weiter unten zu behandelnden) »Waldheim-Affäre« geht. Ein niemals gelöstes Problem waren die entzogenen Miet- und Bestandrechte. Auf Grund des österreichischen Mieterschutzes war ja eine Mietwohnung praktisch unkündbar, die Innehabung einer Mietwohnung daher beinahe mit Eigentum gleichzuhalten. Die Rückgabe dieser etwa 60.000 Wohnungen bzw. eine Entschädigung dafür lehnte Österreich stets ab, was zu dauernder Verbitterung der geschädigten Juden und einem entsprechenden Imageschaden für Österreich führte. Das Parlament ignorierte sogar eine Regierungsvorlage zu diesem Problem aus dem Jahre 1953. Auf die Frage nach dem Effekt der Rückstellungsgesetze ergibt die Untersuchung von etwa 1400 (erhaltenen !) Rückstellungsanträgen in Wien, dass etwa die Hälfte der Verfahren negativ, die Hälfte positiv für die Antragsteller ausging. Die Sammelstellen – das waren Einrichtungen, die anstelle der oft nicht mehr lebenden jüdischen Eigentümer deren Ansprüche oder die der Erben vertraten – waren erfolgreicher. Aber auch sie schlossen häufig Vergleiche, durch die die Käufer des arisierten Eigentums nicht selten in dessen Besitz blieben. Eine richtige »Wiedergutmachung« lehnte Österreich ab (siehe oben). Überlebende Opfer des Nationalsozialismus erhielten Unterstützungen im Wege der Opferfürsorge. Diese war im Prinzip ebenso gestaltet wie die Fürsorge für Kriegsopfer. Die primären Opfer ( Juden, »Zigeuner«, politisch Verfolgte) des Nazi-Regimes wurden also nicht besser behandelt als die sekundären (Kriegs- und Bombenopfer, Vertriebene). Diese waren ja auch der erheblich größere Teil der wahlberechtigten Bevölkerung.
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11.1.6 Der Staatsvertrag
Die volle Souveränität sollte Österreich erst durch einen Staatsvertrag erhalten. Zunächst dachte man an einen Abschluss im Zuge der Friedensverhandlungen von Paris 1946. Dabei überlegten die Alliierten alles Mögliche, das Anschlussverbot, die Sicherung ihrer materiellen Ansprüche, Souveränitätsbeschränkungen in der Rüstung usw. Die Österreicher hatten aber nur das eine Ziel, die Besatzungsmächte loszuwerden. Im Jänner 1947 begannen die Verhandlungen zwischen den Sonderbeauftragten der vier Mächte. Sie sollten bis 1955 dauern. Einiges Aufsehen erregten 1947 die Forderungen der jugoslawischen Regierung nach der Abtretung großer Teile Kärntens und kleinerer Gebiete der Steiermark. Nicht zufällig wurde der etwa zur gleichen Zeit in Ljubljana durchgeführte Prozess gegen den früheren Gauleiter Friedrich Rainer, zu dessen Herrschaftsbereich nicht nur Kärnten, sondern auch Teile Sloweniens gehört hatten, und mehrere Mitangeklagte so angelegt, dass er eine massive Mitschuld Österreichs an den antislowenischen und antijugoslawischen Maßnahmen der Nazis aufzeigen sollte. Doch Moskau unterstützte die jugoslawischen Forderungen nicht besonders nachdrücklich. Ein für die Sowjets zentraler Punkt war das »deutsche Eigentum«. Auf die Beschlagnahmung des »deutschen Eigentums« durch die Sowjets im Juni 1946 wurde schon hingewiesen. Nur wenig später verabschiedete das österreichische Parlament das erste Verstaatlichungsgesetz, das insbesondere den Bergbau, die Verhüttung, kurz die Grundstoffindustrie, lauter Großbetriebe, die durchwegs als »deutsches Eigentum« galten, umfasste. Auch die großen Banken wurden verstaatlicht. Die Sowjets lehnten das Gesetz ab, aber die Westmächte ließen es gelten – ein Einspruch war ja nur einstimmig möglich. Ab Juli übergaben die Amerikaner das »deutsche Eigentum« in ihrer Zone treuhändisch an die österreichische Regierung. Am wichtigsten waren die früheren Hermann-Göring-Werke, nunmehr die VÖEST (Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke). Aber die USIA-Betriebe musste Österreich 1955 den Sowjets wieder abkaufen. Mit der Verschärfung des Kalten Krieges (Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei, Februar 1948, Berlin-Krise, Juni 1948) schienen die Staatsvertragsverhandlungen auf längere Zeit vertagt. Doch zur selben Zeit ( Juni 1948) kam es zum Bruch zwischen Tito und Stalin. Die jugoslawischen Forderungen wurden reduziert, zuletzt auf einen besonderen Minderheitenschutz und den Anspruch auf österreichische Vermögen in Jugoslawien. Dabei blieb es auch. Plötzlich, Mai/Juni 1949, schien der Staatsvertrag zum Greifen nahe. Inhaltlich war der Vertrag weitgehend fertig. Doch zögerten zuerst die Amerikaner, weil Österreich noch kein Heer hatte, später wieder die Sowjets. Schließlich verschärfte sich die Weltlage wieder (Koreakrieg, 1950), und die Chance war vorüber.
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Erst nach dem Tod Stalins im März 1953 änderte sich die weltpolitische Lage. Die Nachfolger Stalins, insbesondere Chruschtschow, wollten sich außenpolitisch beweglicher und konzilianter zeigen, wohl auch Signale Richtung Deutschland senden, dass man mit den Sowjets sinnvoll verhandeln könne. In Österreich wiederum schlug der neue Kanzler, Julius Raab, ebenfalls einen neuen Kurs ein, indem er gegenüber den Sowjets auf scharfe verbale Attacken verzichtete.1953 kam es zu deutlichen Erleichterungen im Besatzungsregime. Im Juni endete die Personenkontrolle an den Zonengrenzen, die sowieso nur mehr von den Sowjets durchgeführt wurde. Kriegsgefangene wurden entlassen. Im Sommer 1953 fiel auch die Postzensur der sowjetischen Besatzung. Im Juli 1953 übergab die Sowjetunion die Baustelle des Donaukraftwerkes YbbsPersenbeug an die österreichische Regierung. Nun verzichteten auch die Sowjets auf die von Österreich zu tragenden Besatzungskosten (die Amerikaner hatten das schon 1947 getan). Engländer und Franzosen folgten mit Jahresbeginn 1954, reduzierten aber sogleich ihre Truppenkontingente radikal. Raab bedankte sich artig für jede Verbesserung und Erleichterung, was ihm heftige Vorwürfe von sozialistischer Seite eintrug. Immer wieder ventilierten die Sowjets die Neutralität Österreichs. Langsam näherte sich auch die österreichische Politik diesem im Westen keineswegs freundlich aufgenommenen, weil häufig von kommunistischer Seite verwendeten Begriff. Raab hatte damit geringere Schwierigkeiten, denn sein in der Schweiz lebender Bruder Heinrich hatte ihn schon mit der Schweizer Neutralität vertraut gemacht. Bei der Berliner Konferenz im Februar 1954 nahm Österreich erstmals als gleichberechtigter Partner teil. Wieder kam es zu keinem Abschluss. Aber am Rand der Verhandlungen trafen sich die Außenminister der UdSSR und der USA, Molotow und Dulles, zu einem geheimen Gespräch. Dabei wurde auch die österreichische Neutralität thematisiert. Dulles meinte, die USA würden einer Neutralität wie im Falle der Schweiz nicht im Wege stehen. Die Verankerung der Neutralität im Staatsvertrag lehnte er ab – eine auferlegte Neutralität sei für einen Staat nicht ehrenvoll, eine freiwillig gewählte hingegen schon. Mit dieser Formulierung Dulles’ konfrontierte Molotow am 13. April 1955 die Mitglieder der österreichischen Delegation (Raab, Figl, Schärf und Bruno Kreisky) bei den entscheidenden Gesprächen in Moskau. Die daraufhin von Raab trotz der Bedenken des Vizekanzlers Schärf abgegebene Erklärung über eine zukünftige österreichische Neutralität nach Schweizer Muster öffnete die Tür für den Abschluss des Staatsvertrages. Diese Neutralität sollte nicht im Vertrag stehen, sondern »freiwillig« von österreichischer Seite erklärt werden. Auch in den wirtschaftlichen Fragen zeigten die Sowjets plötzlich Entgegenkommen. Die Hintergründe liegen in der Entwicklung in Westeuropa. Durch das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft am französischen Parlament (1954) musste zur Absicherung der westlichen Verteidigungsbereitschaft die Bundesrepublik
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Deutschland remilitarisiert und in die NATO aufgenommen werden. Das bedeutet auch, dass die westlichen Besatzungsmächte der Bundesrepublik die volle Souveränität (und damit die Bündnisfähigkeit) zugestehen mussten. Im Februar 1955 ratifizierte Bonn die Pariser Verträge, mitsamt dem Beitritt zur NATO. Die Sowjets stellten Österreich den Bundesdeutschen als Vorbild für ein neutrales, vereinigtes Deutschland vor Augen. So freundlich würden sie auch mit einem künftighin neutralen Deutschland umgehen. Die sowjetischen Schritte lösten einige Debatten in Deutschland aus, aber Adenauer beharrte unbeirrbar auf seinem Kurs der Westintegration der Bundesrepublik. Doch auch wenn die Deutschen das österreichische Beispiel nicht nachahmen wollten, blieb den Sowjets aus der österreichischen Neutralität ein erheblicher Vorteil : Der neutrale Keil Schweiz – Österreich trennte die NATO-Staaten Deutschland und Italien voneinander, das bedeutete jedenfalls eine Schwächung der NATO. Der Staatsvertrag »betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich« wurde am 15. Mai 1955 im Wiener Belvedere von den fünf Außenministern Wjatscheslaw Molotow für die UdSSR, John Foster Dulles für die USA, Harold Macmillan für das Vereinigte Königreich und Antoine Pinay für Frankreich sowie von den Botschaftern dieser Staaten einerseits, von Außenminister Leopold Figl für Österreich andererseits unterzeichnet. Der umfangreiche Vertrag enthält keine Bestimmung zur Neutralität. Zu finden sind hingegen das Verbot des Anschlusses an Deutschland, zahlreiche Bestimmungen finanzieller Natur (auch eine Entschädigung für westliche Ölfirmen !), ferner Rüstungsbeschränkungen und im Artikel 7 besondere Sicherungen für den Gebrauch der slowenischen und kroatischen Sprache in Schulen, Ämtern und Gerichten in Teilen Kärntens, der Steiermark und des Burgenlandes. Österreichischer Besitz in Jugoslawien blieb dort beschlagnahmt, die österreichischen Eigentümer mussten von der Republik Österreich entschädigt werden. Viele dieser Regelungen bedurften zu ihrer Umsetzung spezieller Gesetze, die oft lange auf sich warten ließen. Die USIA-Betriebe gingen gegen 150 Millionen Dollar in das Eigentum der Republik Österreich über. Man hatte jahrelang kaum etwas investiert, die Betriebe waren meist in keinem guten Zustand. Das war also teuer. Die Ölförderung löste man den Sowjets um 10 Millionen Tonnen Rohöl, die später auf 6 Millionen reduziert wurden, ab. Das sollte sich jedoch als gutes Geschäft für Österreich erweisen. Die DDSG kostete weitere (weniger beträchtliche) Beträge. Die Ablösezahlungen erfolgten in Erdöl und in Warenlieferungen. Der Autor dieser Zeilen hat als elf- oder zwölfjähriger Schüler im Stiftsgymnasium Melk an der Finanzierung des Staatsvertrages mitgewirkt : Der Professor für Geschichte erklärte uns, wie viel der Staatsvertrag koste und wie viel auf jeden von uns entfiele (die Summe, die wir eingesammelt und abgegeben haben, ist mir nicht mehr präsent). Aber das Wichtigste, besonders für die Menschen im Osten Österreichs : Die Besatzungsmächte zogen ab. Der Vertrag trat mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden
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in Moskau am 27. Juli 1955 in Kraft. Nun begann die 90-tägige Frist für den Abzug der Besatzungstruppen. Die »Russen« verließen Niederösterreich, das Burgenland, die in Wien besetzten Bezirke. Kriegs- und politische Gefangene wie die 1948 an der Zonengrenze verhaftete hohe Beamtin Margarethe Ottillinger (1919–1992) kehrten aus der UdSSR zurück. Die für die Wirtschaftspläne für den Marshallplan beauftragte Volkswirtin war als Spionin für die USA verdächtigt worden und verschwand für sechs Jahre in sowjetischen Arbeitslagern ; 1957 bis 1982 war sie erfolgreiche Managerin im Erdölbereich. Als Dank für ihre Rettung ließ sie später von dem bekannten Bildhauer Fritz Wotruba (1907–1975) eine Kirche in Wien-Mauer errichten. Die großen roten Sterne auf den Voith-Werken, dem Kreisgericht und den Kasernen in St. Pölten, wohin man aus der Heimat des Autors für bessere Einkäufe fuhr, verschwanden. Weniger Freude löste der Abzug der Amerikaner aus Salzburg und Linz aus. Deren Anwesenheit war für Salzburg und Oberösterreich zuletzt ein gutes Geschäft gewesen. Briten und Franzosen hatten sowieso nur mehr symbolische Kontingente im Land. Am 26. Oktober, dem ersten Tag nach dem Ende jener 90-Tage-Frist, beschloss der Nationalrat gegen die Stimmen des VdU das Neutralitätsgesetz. Das Vorbild der Schweiz war nicht lange gültig : Österreich trat schon im Dezember 1955 der UNO bei, die Schweiz erst 2002. Am 8. März 1956 trat Österreich auch dem Europarat bei. Die Übernahme des »deutschen Eigentums« zusammen mit dem Verbot, es den deutschen Vorbesitzern zurückzugeben, erregte den heftigen Unwillen des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Am Abend vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages erschien der bundesdeutsche Geschäftsträger in der Wohnung Figls, um bei Raab dagegen zu protestieren. Da sich große deutsche Firmen, die schon vor 1938 in Österreich Unternehmen besaßen, wie AEG oder Siemens, unter den »Opfern« der Staatsvertragsverpflichtungen befanden, suchte man nach gangbaren Auswegen. 1957 gab Österreich das »kleine deutsche Eigentum« an deutsche Vorbesitzer aus der Zeit vor 1938 zurück. Später erleichterte man deutschen Großunternehmungen den Wiedereinstieg in »ihre« früheren Betriebe. So erfolgte 1971 die Fusion der deutschen Siemens AG mit der verstaatlichten österreichischen Siemens, die Deutschen erhielten so wieder die Mehrheit im Unternehmen, 2001 wurde die Privatisierung abgeschlossen. Ob das österreichische Beispiel das Aufbrechen der Krise im Block der sowjetischen Satellitenstaaten beschleunigte, wird sich kaum eruieren lassen. Aber 1956 brachen, nach dem Aufstand in Ostberlin 1953, neuerlich Unruhen aus, zuerst in Polen, dann in Ungarn. Die Ungarnkrise betraf Österreich unmittelbar. Hier war der stalinistische Diktator Rákosi im Juli durch eine Entscheidung Moskaus abgesetzt worden. Im Oktober kam es zu Sympathiekundgebungen mit den gegen den russischen Kommunismus aufbegehrenden Polen. Schließlich wurde der populäre (von Rákosi gemaßregelte) Imre Nagy Ministerpräsident, János Kádár Parteichef der KP. Ungarn schien sich in
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einen freien, demokratischen Staat zu verwandeln. Aber am 4. November begann der Angriff der sowjetischen Armee. Nagy flüchtete in die jugoslawische Botschaft, von wo er später ausgeliefert und danach hingerichtet wurde. Von den Unterlegenen in diesem ebenso verzweifelten wie ungleichen Kampf flohen viele über Österreich in den Westen. Die österreichische Bundesregierung schickte sofort das noch im Aufbau befindliche Bundesheer an die Grenze, mit dem Auftrag, die Integrität des Bundesgebietes zu sichern. Die Soldaten und zahlreiche zivile Helfer leisteten den Flüchtlingen aus Ungarn erste Hilfe. Eine Welle der Solidarität schlug ihnen entgegen. Auch im Internat des Stiftes Melk, wo der Autor damals die zweite Klasse Gymnasium besuchte, wurden vorübergehend ungarische Burschen untergebracht. Sie wurden bewundert, außerdem rauchten viele von ihnen schon wie die Schlote. So manche Heldentat gegen russische Panzer wurde erzählt (ob sie stimmte, war und ist natürlich nicht nachprüfbar). Von den etwa 180.000 Ungarn-Flüchtlingen blieb nur etwa ein Zehntel in Österreich, die meisten gingen nach Amerika. 11.2 Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Wohlfahrtsstaat, Sozialpartnerschaft Neben dem beherrschenden Thema Staatsvertrag war dies die wichtigste Frage der Zweiten Republik : Würde sie, zum Unterschied von der Ersten Republik, eine kräftige, blühende Wirtschaft entwickeln können, mit Arbeits- und Lebensmöglichkeiten für alle Menschen im Land ? Zunächst sah es ja nicht so aus. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Industrie komplett vorhanden, mit enormen Überkapazitäten im Bereich der Rüstung. Aber es gab zu wenig Nachfrage, oft auch keine Kohle. Nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen waren viele Fabriken zerstört oder beschädigt. Dafür war gerade wegen der Zerstörungen die Nachfrage nach Investitionsgütern, nach Eisen und Stahl, nach Baustoffen, Dachziegeln, Bauholz und Glas usw. sehr hoch. Die Bewirtschaftungsmaßnahmen (Lebensmittelmarken) aus der Kriegszeit wurden fortgesetzt, aber man bekam gegen Marken und Geld anfangs fast nichts. Der Hunger regierte. Die Ernten 1945 und 1946 erbrachten nur etwa die Hälfte der Erträge von 1937. Schon der Anbau war schwierig, denn die Frauen trauten sich allein nicht auf die Felder, und die Männer waren meist (noch) nicht da. Internationale Hilfe war zunächst privat, es halfen auch die Besatzungsmächte aus den Beständen ihrer Armeen aus. Ab dem Frühjahr 1946 kam die UNRRA-Hilfe, aus ihr stammten etwa 60 % der noch kleinen Rationen. Der strenge Winter 1946/47 zwang zur vorübergehenden Stilllegung vieler Betriebe wegen Kohlenmangels. Auch Schulen waren längere Zeit geschlossen. Noch 1947 war Österreich eines der am schlechtesten versorgten Länder Europas. Aber schon in diesem Jahr
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wuchs die Wirtschaft kräftig. Im nächsten Winter kam es nur mehr zu einem kleinen Einbruch der Produktion. Schon 1949 war das industrielle Produktionsniveau von 1937 erreicht. Ab 1948 sicherte der Marshall-Plan diese Entwicklung. Diese ERP-Hilfe machte 689 Millionen Dollar aus. Insgesamt erhielt Österreich internationale Hilfe von 1,5 Milliarden Dollar, 87 % davon kamen von den USA. Das war etwa sechsmal soviel wie die Genfer Anleihe 1922 ! Und sie war größtenteils geschenkt, während die Genfer Anleihe hoch verzinst war und zurückgezahlt werden musste. Der Marshall-Plan sah ein für Investitionen sehr wirksames Verfahren vor : Österreich erhielt die Hilfsgüter, zuerst noch Lebensmittel, dann Maschinen für die Landwirtschaft und die Industrie, als Geschenk, aber die Unternehmen, in denen sie verwendet wurden, mussten dafür zahlen. Aus den Rückzahlungen, den so genannten Counterpart-Mitteln, entstand ein eigener Fonds, der ERP-Fonds, aus dem dann wieder günstige Kredite vergeben wurden – lange nur mit Zustimmung der Amerikaner. So konnten weitere Investitionen finanziert werden. Der Fonds existiert noch immer. Regional wurden die ERP-Mittel ungleich verteilt : USIA-Betriebe bekamen nichts, die östlichen Bundesländer wenig, Kärnten und Oberösterreich am meisten. Österreich erhielt also nach 1945 erhebliche Hilfe aus dem westlichen Ausland, primär aus Amerika. Vergleicht man jedoch diese Hilfeleistungen mit den Kosten für Österreich, die sich aus der Besetzung des Landes und der Konfiskation des »deutschen Eigentums« durch die Sowjetunion ergaben, dann kommt man zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die Hilfe nicht viel höher war als die Gesamtbelastungen, die Österreich zu tragen hatte. Rechnet man die Demontagen aus dem Jahr 1945 (351 Millionen Dollar), die faktischen Reparationszahlungen durch die Ausbeutung der USIA-Betriebe und der österreichischen Erdölquellen (zusammen etwa 440 Millionen Dollar) und die Besatzungskosten (742 Millionen Dollar) zusammen, so kommt man auf 1,5 Milliarden Dollar, von denen noch dazu ein großer Teil in den ersten Nachkriegsjahren fällig war. Mit den durch den Staatsvertrag vereinbarten weiteren knapp 300 Millionen Dollar machten die Belastungen insgesamt mehr als 1,8 Milliarden Dollar aus, während die Auslandshilfe insgesamt 1,9 Milliarden betrug. Die Handelsbeziehungen änderten sich grundlegend – die Amerikaner verpflichteten die ERP-Hilfsempfänger zu wirtschaftlicher Kooperation. Dafür gründeten sie die 1948 die OEEC (Organization for Economic European Cooperation, seit 1961 OECD = Organization for Economic Cooperation and Development), die die Wirtschafts- und Außenhandelpolitik der Mitgliedsstaaten koordinieren sollte. Am Ende dieser Entwicklung sollte ein weitgehend freier, gemeinsamer europäischer Markt stehen. Durch die wirtschaftliche Westbindung ebenso wie durch die kommunistische Machtübernahme in Ungarn (1947) und der Tschechoslowakei (Februar 1948) ging der Handelsverkehr mit den östlichen Nachbarstaaten zurück. Der wichtigste
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Handelspartner wurde die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland, dann folgten Italien, die Schweiz usw. Der Rückgang des Außenhandels mit den östlichen und nördlichen Nachbarstaaten bedeutete eine weitere Benachteiligung des Ostens Österreichs. Der hatte sowieso den größten Anteil an den Kriegsschäden – 71 % der Schäden an Bauwerken (Wohnbauten, Fabriken, Bauernhöfen) entfielen auf Niederösterreich. Auch waren noch vor Kriegsende ganze Fabriken nach Westen verlagert worden. Dazu kamen die Demontagen von Maschinen und Anlagen, die wieder besonders die sowjetische Zone betrafen – bis zum Sommer 1945 auch die Industriegebiete der Steiermark. Daher wurde Oberösterreich das neue Kernland der österreichischen Industrie – hierher flüchteten auch nicht wenige sudetendeutsche Unternehmer und bauten neue Fertigungen auf. Im Ergebnis war Westösterreich um 1955 höher industrialisiert als die alten Industriegebiete im Osten : Von den Großbetrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten befanden sich 1930 13 in Niederösterreich, nur drei in Oberösterreich. 1959 standen in Niederösterreich 15 solcher Betriebe mit insgesamt 28.000 Beschäftigten, in Oberösterreich ebenfalls 15, aber mit 43.000 Beschäftigten ! Schon die Kriegswirtschaft hatte Industrien für Investitionsgüter bevorzugt. Nun stand man vor der Frage : Sollten diese Kapazitäten übernommen und vielleicht noch ausgebaut werden ? Letztlich sprach sich die Regierung dafür aus. Die beiden großen Linzer Werke (VÖEST und Stickstoff ), die Werke in Ranshofen (Aluminium) und Lenzing (Zellwolle) – alle in Oberösterreich – wurden nicht nur repariert, sondern noch ausgebaut. 1947 konnte man in Linz schon wieder den ersten Hochofen anblasen. Die Nachfrage nach Grundstoffen wie Eisen, Stahl usw. stieg aber auch nach dem Ende des unmittelbaren Wiederaufbaus noch weiter – denn 1950 kam der Koreakrieg und kurbelte die Rüstungskonjunktur an. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von 1946 bis 1951 jährlich um fast 15 %, von 1951 bis 1955 immer noch im Schnitt um fast 6 % pro Jahr (der Knick des Krisenjahres 1953 wurde rasch wieder ausgebügelt). Das Wachstum wurde in erster Linie von der Industrie getragen. Die Landwirtschaft hinkte nach. Zunächst fehlten ihr etwa 80.000 Arbeitskräfte. Die niedrigen amtlichen Agrarpreise boten den Bauern keinen Anreiz zur Produktion der preisgeregelten Produkte. Sie wichen auf Produkte aus, die nicht der Bewirtschaftung unterlagen. Erst ab etwa 1952/53 erreichte die Landwirtschaft das Niveau von 1913, die Erträge stiegen seither kontinuierlich weiter. Wie nach dem Ersten erhob sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg das Gespenst der Inflation. Aber diesmal war man gewarnt. Zunächst wurde ein großer Teil der auf Banken liegenden Guthaben eingefroren. Im Herbst 1945 erfolgte der Umtausch in den Schilling, der damit wieder zur österreichischen Währung wurde (1 Reichsmark = 1 Schilling). Nur 150 Schilling pro Person wurden ausbezahlt, der Rest auf Sperrkonten hinterlegt. Aber die Inflation belebte sich bald wieder, weil sich die Regierung gezwungen sah, die zu Beginn sehr hohen Besatzungskosten durch den Druck neuer
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Banknoten abzudecken ; damit stieg der Geldumlauf sofort wieder, aber das Warenangebot blieb noch knapp. Man erhielt Lebensmittel zum offiziellen Preis nur gegen Lebensmittelmarken, auch alle anderen Waren, Kleider oder Schuhe waren nach wie vor »bewirtschaftet« und wurden nur gegen Marken abgegeben. Da man nicht immer die Dinge bekam, die man brauchte, florierte der »schwarze Markt«. Ein Hauptumschlagsplatz war der Resselpark am Karlsplatz in Wien ; der Vater des Autors erwarb hier einen ordentlichen Wintermantel gegen ein Stück Speck. Im November 1947 wurde die Währung neuerdings reformiert, jeder Besitzer einer Lebensmittelkarte erhielt gegen 450 alte Schillingnoten 150 Neu-Schilling, die Sperrkonten wurden ersatzlos gestrichen. Alle Ersparnisse waren wieder einmal verloren. Dennoch entstand in der Folge neuerdings eine inflationäre Entwicklung, die man durch mehrere Lohn-Preis-Abkommen auffangen wollte. Das gelang nur sehr bedingt. Aber diese Abkommen markieren den Beginn der Sozialpartnerschaft. Die Interessenvertretungen von Arbeitnehmern (Gewerkschaften und Arbeiterkammern) und Arbeitgebern (Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und Industriellenvereinigung) waren die Partner dieser Abkommen. Sie waren das Symbol für die Einbindung der Arbeitnehmerschaft in die Gestaltung der Wirtschaftspolitik – ein großer Unterschied zu allen früheren Epochen ! Allerdings wirkten die letzten Lohn-Preis-Abkommen nicht mehr, die Inflation ging munter weiter. Aus Protest gegen das Vierte Lohn- und Preisabkommen brachen Ende September 1950 Streiks aus – zuerst bei der VÖEST, wo bei Betriebsratswahlen die neue vierte Partei, der VdU, erfolgreich angetreten war. Die Streiks weiteten sich in der Folge aus. Am 26. September demonstrierten streikende Arbeiter auf dem Ballhausplatz, vor dem Bundeskanzleramt. Die Lage war dramatisch. Bundeskanzler Figl weigerte sich, das Haus durch eine Hintertür zu verlassen. In Wien wurden die Streiks schon von den Kommunisten beherrscht. Sie versuchten, aus den Streiks politisches Kapital zu schlagen. Die Regierungsparteien sprachen schnell von einem Putschversuch der Kommunisten. So konnte man die Streikenden auseinander dividieren. Immerhin war die Prager Machtübernahme (Februar 1948) noch in wacher Erinnerung ! Aber es stand mehr auf dem Spiel : Der gesamte Konsens der Eliten, wie er sich seit 1945 entwickelt hatte. Und der beruhte auf der Zustimmung der Arbeitermassen zur Politik der SPÖ. Daher waren es auch sozialistische Gewerkschafter, die sich am heftigsten gegen den Streik aussprachen. Eine von den Kommunisten einberufene gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz wurde vom sozialistisch dominierten Österreichischen Gewerkschaftsbund boykottiert. Gegen gewalttätige kommunistische Demonstranten mobilisierte die Bau- und Holzarbeitergewerkschaft unter dem strikten Antikommunisten und ehemaligen KZ-Häftling Franz Olah (1910–2009) ihre eigenen Trupps. Die Sowjets behinderten zwar die österreichische Gendarmerie, wenn diese gegen Kommunisten vorgehen wollte, hielten sich aber zurück – die Herbststreiks 1950 waren nicht
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von Moskau aus gesteuert. Man beobachtete – vielleicht hätten sich bei einem Erfolg der Streiks ja noch weitere Möglichkeiten ergeben. Aber die Streiks brachen zusammen, die Mehrheit der Arbeiterschaft blieb den sozialistischen Gewerkschaftern treu. Säuberungen setzten ein. Der Innenminister nutzte die Gelegenheit und entließ 267 Polizeibedienstete, die den Kommunisten nahestanden. »Dafür kehrten 40 ehemalige Gestapobeamte in den österreichischen Polizeidienst zurück.« (Ernst Hanisch) Mit dem wachsenden Warenangebot verlor der schwarze Markt an Bedeutung. 1949 näherten sich die (steigenden) offiziellen Preise und die fallenden Preise des Schwarzmarktes einander an, der Schwarzmarkt verschwand. Dafür war das Preisniveau 1951 nominell achtmal so hoch wie 1945. Nun machte der Koreakrieg in den USA eine Umlenkung der Mittel notwendig. Die hohen Hilfszahlungen für Europa sollten beendet werden. Da Österreich schon mehr produzierte als 1937, sollte es künftig auf eigenen Füßen stehen. Raab hatte 1952 Reinhard Kamitz (1907– 1993), einen ausgewiesenen Ökonomen, der schon unter den Nazis Karriere gemacht hatte, als Finanzminister (1952–1960) installiert. Er sollte die notwendige neue Wirtschaftspolitik umsetzen. Die Amerikaner und die Europäische Zahlungsunion forderten Budgetausgleich und Verteuerung der Kredite. Kamitz ergänzte diese Vorgaben durch Stabilisierung der Kosten : Die Industrie erklärte sich zu Preissenkungen bereit. Das war auf Grund der abklingenden Nachfrage nach Rohstoffen leicht möglich, international sanken die Preise sowieso. Dadurch konnten auch die Gewerkschaften auf Lohnforderungen verzichten. Das Staatsbudget wurde durch Steuererhöhungen und Investitionskürzungen ausgeglichen. Während die Großhandelspreise noch 1951 um mehr als 50 % gestiegen waren, sanken sie 1952 um fast 7 %, auch 1953 noch ein wenig. Auch die Verbraucherpreise sanken. Die Stabilisierung wurde dennoch mit einer Stabilisierungskrise erkauft. Die Arbeitslosigkeit stieg 1953 auf 8,5 %. Nun wurde auch der Wechselkurs des Schillings auf niedrigem Niveau stabilisiert : Ein US-Dollar galt ab jetzt gleich 26 ATS. Da dieser Kurs erheblich unter der Kaufkraftparität von etwa 1 :15 lag, bedeutete er eine kräftige Unterstützung für den österreichischen Export. Gleichzeitig stieg endlich auch die landwirtschaftliche Produktion über das Vorkriegniveau. 1953 verschwanden die Lebensmittelkarten. Und der Fremdenverkehr kam in Schwung – als Folge des deutschen Wirtschaftwunders kamen wieder Touristen aus Deutschland, in rasch wachsenden Scharen. Die Importe unterlagen freilich noch zahlreichen Beschränkungen. Die Wirtschaft freute sich über die von Kamitz ermöglichten vorzeitigen Abschreibungen und über Steuersenkungen. Der Wiederaufbau ging in das Wirtschaftswunder über. Schon 1953 wuchs das BIP um fast 4 %, 1954 um fast 9 %, 1955 um mehr als 11 %. Der spätere Handelsminister Josef Staribacher soll einmal gesagt haben, dass das deutsche Wirtschaftswunder kein Wunder gewesen sei, denn die Deutschen arbeiteten ja hart. Ein Wunder hingegen sei, meinte er nicht ohne Selbstironie, das österreichische Wirtschaftswunder (ein Hinweis auf das alte Phäaken-Stereotyp).
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Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Wohlfahrtsstaat, Sozialpartnerschaft
In Wahrheit wurde auch hier hart und lange gearbeitet, Arbeitszeitverkürzungen waren lange kein Thema. Erst 1959 wurde die normale Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden verkürzt. Man konnte sich endlich etwas leisten – und war dafür bereit, fleißig zu arbeiten. Zuerst wollte man sich ordentlich satt essen. Die »Fresswelle« brachte eine gute Konjunktur für Backhendlstationen und Heurige. Dann kam die Bekleidungswelle, schließlich die Einrichtungswelle. Ziemlich genau 1953, mit dem Beginn des bis in die 1960er Jahre reichenden Konjunkturzyklus, wurde der Aufschwung auch auf dem Land verspürt : Im Heimatort des Autors wurden erstmals Geschäftslokale modernisiert (auch das väterliche), ein Motorroller wurde angeschafft, 1957 kam das erste Auto. Noch lag der Westen voran : In Oberösterreich, wo die Großmutter wohnte, gab es schon Kühlschränke, in Niederösterreich noch nicht. Als die Motorisierungswelle begann, hat man ihr späteres Ausmaß völlig unterschätzt : Um 1960 glaubte man mit einigen Unterführungen an der Gürtelstraße das Problem des Individualverkehrs in Wien gelöst zu haben. Schlimmstenfalls würden eine Million Automobile verkehren. 1994 waren es 3,3 Millionen. Die Ausstattung privater Haushalte mit dauerhaften Konsumgütern entwickelte sich rasch : Tab. 15: Dauerhafte Konsumgüter in privaten Haushalten. Auf je 1000 Haushalte entfielen 1955
1973
2000
Elektroherde
1951 39
90
473
850
Heißwasserspeicher
25
50
371
-*)
1
17
403
930
10
34
721
980
598
781
991
-*)
0
1
683
970
27
64
597
1.264
Waschmaschinen Kühlschränke Radio Fernsehgeräte PKW Telefon
870
PC
400
*) nicht mehr gezählt
In den 1960er Jahren begann der private Fernsehapparat das Kino zu ersetzen. Schon in der Zwischenkriegszeit, noch mehr aber nach 1945 war der Kinobesuch das beliebteste Freizeitvergnügen. Unmittelbar nach dem Krieg waren auch Theater und Konzerte sehr gefragt – denn diese Karten bekam man ohne Marken. Und wer überlebt hatte, wollte sich unterhalten ! Zwischen 1960 und 1977 wurden in Österreich mehr als 700 Kinos
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Die Zweite Republik
geschlossen, das waren fast so viele, wie es 1937 gegeben hatte. Das Fernsehen begann im Sommer 1955, regelmäßige Sendungen wurden ab 1957 ausgestrahlt. Noch gab es wenige private Apparate, zunächst ging man zum Fernsehen ins Kaffeehaus. Die Ausstattung der Wohnungen verbesserte sich. 1951 verfügte nur jede zehnte Wohnung über Bad oder Dusche, 1961 schon jede fünfte, 1971 jede zweite, 1993 fast alle. Auch privates Geldvermögen entstand seit der Stabilisierung des Schillings wieder. Es wurden wieder Sparbücher angelegt und Lebensversicherungen abgeschlossen. Aktien spielen hingegen im Sparverhalten der österreichischen Bevölkerung bis heute nur eine geringe Rolle. Um 1960 lag das wirtschaftliche Niveau bereits weit über dem von 1913, dem letzten Friedensjahr. Die Sicherung von Wirtschaftsaufschwung und Vollbeschäftigung wurde zum zentralen Ziel der Wirtschaftspolitik. Kleinere wirtschaftliche Abschwünge wurden lange kaum wahrgenommen. Aber Mitte der 1960er Jahre kam es doch zu einem deutlichen Konjunktureinbruch mit dem Höhepunkt 1967/68. Wieder wurde ein namhafter Ökonom, Stephan Koren (1919–1988), als Krisenmanager herangezogen. Der »Koren-Plan« (1968) enthielt einerseits Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, andererseits förderte er Strukturverbesserungen und Investitionen. Noch im selben Jahr begann ein neuer Konjunkturaufschwung, der bis 1973 anhielt. Auch die Systeme der sozialen Sicherheit wurden entscheidend verbessert. Das wichtigste Gesetz war das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) aus dem Jahre 1955, das die bisher geltenden deutschen Regelungen von 1939 ersetzte. Damals war schon die Altersversicherung für Arbeiter eingeführt worden, freilich auf bescheidenem Niveau. Das ASVG regelte Kranken-, Unfall- und Altersversicherung für Arbeiter und Angestellte. Für die Unterstützung von Familien mit Kindern wurde die Familienbeihilfe eingeführt (erstmals 1950, später mehrmals verbessert). Für die Bauern wurde 1957 die Zuschussrente geschaffen. Für die gewerblichen Selbstständigen wurde 1958 ein eigenes System der Alterspension eingerichtet, ihr System der Krankheitsvorsorge in den traditionellen »Meisterkrankenkassen« wurde 1966 neu geregelt. 1965 wurde die Krankenversicherung für die Bauern eingeführt. Mit der Bauernpension (1969) erhielt das System der sozialen Sicherheit seinen vorläufigen Abschluss. Die mit den Preis-Lohn-Abkommen eingeleitete Integration der Vertretung der Arbeiterschaft in die wirtschaftspolitischen Entscheidungen wurde durch den Ausbau der sozialpartnerschaftlichen Institutionen abgesichert. Voraussetzung dafür war die hochkonzentrierte Interessenvertretung in Kammern (Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Arbeiterkammern, Bauernkammern) und freien Verbänden (Österreichischer Gewerkschaftsbund, Industriellenvereinigung). Dadurch war die Einigung über Kollektivverträge oder über Preisregelungen einem sehr kleinen Personenkreis vorbehalten. Zunächst dachte man an eine gesetzliche Regelung. Das Gesetz über ein Wirtschaftsdirektorium wurde jedoch 1952 durch den Verfassungsgerichtshof aufgeho-
Die Krise der Koalition – Die Alleinregierungen Klaus und Kreisky
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ben. Dafür hat man auf informeller Ebene 1957 die Paritätische Kommission für Preisund Lohnfragen eingerichtet. In ihr waren wieder die Kammern als Pflichtorganisationen sowie der Österreichische Gewerkschaftsbund als freie Vereinigung vertreten. 1962 folgte das ›Raab-Olah-Abkommen‹ zwischen dem Präsidenten der Bundeskammer, Julius Raab und dem ÖGB-Präsidenten Franz Olah. Es wurden drei Unterausschüsse der »Paritätischen« eingesetzt, einer für Lohn-, einer für Preisprobleme und ein dritter als Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen. Der letztere entwickelte sich zu einem wichtigen Beratungsorgan der Regierungen, bis weit in das folgende Jahrzehnt hinein. Hier versammelten sich die ›jungen‹, ökonomisch gut ausgebildeten Experten aus den Kammern und versuchten, mit ihren Vorschlägen die Wirtschaftspolitik in Richtung einer ausgewogenen Politik der Wachstumsförderung sowie einer Ausweitung der Masseneinkommen zu beeinflussen. Erst viel später, 2007 wurden die Kammern in den Rang von in der Verfassung verankerten Institutionen erhoben. Seit dem EU-Beitritt hatte aber die Sozialpartnerschaft an Bedeutung verloren, da vielfach der Markt an die Stelle von – freiwilligen oder staatlichen – Regelungen trat. 11.3 Die Krise der Koalition – Die Alleinregierungen Klaus und Kreisky 11.3.1 Krisenjahre der Großen Koalition
Nach dem Abschluss des Staatsvertrages gewann die ÖVP mit dem »Staatsvertragskanzler« Raab die vorgezogenen Nationalratswahlen 1956. Eine Neuauflage der »großen Koalition« folgte. Aber in der bald darauf durch den Tod Theodor Körners (1957) fälligen Wahl des Bundespräsidenten wurde der bisherige sozialistische Vizepräsident Adolf Schärf gewählt – wieder hatten die Wähler des deutschnationalen Lagers lieber »rot« als »schwarz« gewählt. Raab konnte noch eine Erleichterung bei den Erdöllieferungen von den Sowjets erreichen. Er war aber nach einem Schlaganfall gesundheitlich angeschlagen. Nach der Niederlage der ÖVP bei den Nationalratswahlen 1959, die eine Wiederholung von 1953 brachte – ein Mandat Vorsprung für die ÖVP bei Stimmenmehrheit für die SPÖ – wurde die innerparteiliche Kritik an Raab unüberhörbar. Der Steirer Alfons Gorbach (1898–1972) löste 1960 Raab als Parteiobmann, 1961 als Bundeskanzler ab. Der konziliante und humorvolle ehemalige KZ-Häftling Gorbach, der in der Steiermark die Aussöhnung mit den ehemaligen Nationalsozialisten betrieben hatte, war allerdings nach Meinung seiner Parteifreunde dem klugen und fintenreichen neuen SPÖ-Chef und Vizekanzler Bruno Pittermann (1905–1983) nicht gewachsen. 1959 übernahm Bruno Kreisky (1911–1990) das Amt des Außenministers ; der bisherige Staatssekretär löste Leopold Figl ab. Die »Reformer« in der ÖVP, der
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Die Zweite Republik
Generalsekretär Hermann Withalm und der Finanzminister und spätere Bundeskanzler Josef Klaus (1910–2001), forderten eine »Versachlichung« der Politik und ein Aufbrechen des alle Bereiche des öffentlichen Lebens überwuchernden Proporzsystems der beiden großen Parteien. Eine heftige Polemik brach um die Verzichtserklärung Ottos von Habsburg-Lothringen aus. 1961 gab der bisher als Thronfolger geltende Otto von Habsburg-Lothringen eine den Forderungen des Habsburgergesetzes 1919 entsprechende Erklärung ab, dass er auf den Thron verzichte. Die Regierung einigte sich wegen des Widerstandes der SPÖ nicht auf die Akzeptanz dieser Erklärung. Otto Habsburg rekurrierte beim Verfassungsgerichtshof. Dieser erklärte sich für unzuständig, worauf sich Habsburg an den Verwaltungsgerichtshof wandte. Der aber entschied auf die Korrektheit der Verzichtserklärung, worauf der Ministerrat neuerlich mit der Frage einer Einreiseerlaubnis befasst wurde. Wieder kam keine Einigung zustande. In der Parlamentsdebatte am 4. Juli 1963 kam es zu einer äußerst lebhaften Auseinandersetzung zwischen den Sozialisten und der ÖVP. Zahlreiche Zwischenrufe zeigten den Grad der Nervosität der Kontrahenten. Schließlich beschloss der Nationalrat erstmals mit den Stimmen der SPÖ und der FPÖ (der stärker deutschnational orientierten Nachfolgepartei des VdU) mehrheitlich eine Empfehlung an die Bundesregierung, sie möge Otto Habsburg die Einreise nicht ermöglichen. Etwa zur selben Zeit unterstrich ein Wahlrechtsentwurf des sozialistischen Innenministers Franz Olah mit der Begünstigung kleiner Parteien eine mögliche weitere Annäherung zwischen SPÖ und FPÖ. Immerhin gelang der Koalitionsregierung Gorbach 1962 noch die Verabschiedung der wichtigen Schulgesetze. Damit wurden die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern geregelt, ebenso die Schulpflicht (bis zum 15. Lebensjahr), die Schulorganisation und das Verhältnis zu den Privatschulen mit der teilweisen staatlichen Bezahlung der Lehrer an den konfessionellen Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht. Schon 1957 hatte die Bundesregierung prinzipiell die Geltung des Konkordates mit dem Vatikan von 1934 anerkannt, was auch zur Lösung der noch offenen Vermögensfragen (Zahlungen des Bundes als Ersatz für die Erträge des unter Hitler verstaatlichten Religionsfonds) zwischen der Republik und der katholischen Kirche beitrug. 1963 trat auch die staatliche Studienbeihilfe in Kraft. In diesem Jahr begann der Autor sein Studium in Wien. Zusammen mit vielen Gleichaltrigen erhielt auch er diese neue Studienbeihilfe – ein wichtiger Schritt zur Ermöglichung höherer Bildung auch für weniger Begüterte. Die letzte Phase der großen Koalition (bis 1966) entwickelte sich zu Ungunsten der SPÖ. Ihr Innenminister Franz Olah, früher Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, wurde der missbräuchlichen Verwendung von Gewerkschaftsgeldern zur Unterstützung eines Printmediums und der FPÖ beschuldigt und 1964 aus der Partei ausgeschlossen, später wurde er auch gerichtlich verurteilt. Er gründete eine eigene Partei (Demokratisch-forschrittliche Partei), die die SPÖ 1966 wichtige Stimmen kostete. Weiteres Ungemach kam aus Vorarlberg. Dort sollte 1964 ein neues
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Die Krise der Koalition – Die Alleinregierungen Klaus und Kreisky
Bodenseeschiff auf den Namen »Karl Renner« getauft werden. Eine Großdemonstration richtete sich gegen den sozialistischen Verkehrsminister sowie gegen den »Wiener Zentralismus« und forderte den Namen »Vorarlberg«. Schließlich wurde das Schiff »Vorarlberg« benannt. Und zu guter Letzt wurde im selben Jahr (Oktober 1964) das erste große Volksbegehren der Zweiten Republik gestartet, in dem mehr als 832.000 Wahlberechtigte die Entpolitisierung von Rundfunk und Fernsehen forderten. Die ÖVP stellte sich hinter diese Forderungen, die SPÖ lehnte sie ab. Mitte der 1960er Jahre hatte aus allen diesen Gründen die SPÖ eher das Image einer konservativen Partei der simplen Machterhaltung, mit wenig Änderungswillen, während die ÖVP eher als Partei der notwendigen Reformen galt. Als »Reformer« war ja Josef Klaus 1963 zum Parteichef gewählt worden. Seit 1964 war er Bundeskanzler, konnte allerdings zunächst nur wenig umsetzen. Tab. 16: Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1956–1966 ÖVP
SPÖ
KPÖ
FPÖ (ex VdU)
Jahre
Stimmen In %
Mandate
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in%
Mandate
1956
46,0
82
43,0
74
5,4
3
6,5
6
1959
44,2
79
44,8
78
3,3
–
7,7
8
1962
45,4
81
44,0
76
3,0
–
7,0
8
1966
48,3
85
42,6
74
0,4
–
5,3
6
165 Mandate waren zu vergeben.
11.3.2 ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus 1966–1970
Bei den Nationalratswahlen 1966 erhielt die ÖVP die absolute Mehrheit. Klaus wurde zum Kanzler der ersten Alleinregierung in der Zweiten Republik. Tatsächlich war aber die ÖVP darauf gar nicht vorbereitet. Für die bisher von Sozialisten verwalteten Ministerien mussten erst kompetente Minister gesucht werden – so kam damals die erste Frau als Ministerin ins Kabinett, die christliche Gewerkschafterin Grete Rehor als Sozialministerin. Klaus stürzte sich voll Eifer in das Reformgeschäft. Die wohl wichtigste Neuerung war das Gesetz über die Neuordnung von Rundfunk und Fernsehen, das die Forderungen des Volksbegehrens umsetzte. Der neue, nunmehr mit der Kürzel »ORF« bezeichnete Rundfunk (samt Fernsehen) verbesserte vor allem das Informationsangebot entscheidend. Davon profitierte freilich weniger die Regierung, als vielmehr die Opposition, an deren Spitze seit 1967 mit Bruno Kreisky ein wirklicher Medien-Profi
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stand, der die neuen Verhältnisse optimal zu nutzen verstand. Josef Klaus hingegen tat sich mit dem Fernsehen schwer. Weitere wichtige Vorhaben der Regierung Klaus waren eine neue Art der Wohnbauförderung (Wohnbauförderung 68), die automatische Angleichung der Pensionen an die Inflation und die Errichtung von mindestens je einer höheren Schule (Gymnasium o. ä.) in jedem Bezirk Österreichs. Klaus fragte seine Minister stets prüfend nach dem Stand ihrer Vorhaben. Ein bisschen wirkte er wie der Oberlehrer des Kabinetts und der Nation. Nach ersten Wahlniederlagen (Oberösterreich 1967) überlegte Klaus laut eine »Hofübergabe« an den Generalsekretär der ÖVP, Hermann Withalm (1912– 2003). Das warf ein ungünstiges Licht auf den Kanzler. Auch der finanzielle Paukenschlag des Koren-Planes mit seinen nicht unerheblichen Belastungen der Steuerzahler war zwar volkswirtschaftlich nützlich, schadete aber der ÖVP und dem Bundeskanzler. Außerdem bot die ÖVP mit ihren drei Bünden (Bauernbund, Wirtschaftsbund, Arbeiter- und Angestelltenbund) und den ausgeprägten Interessen der einzelnen Bundesländer in vielen Materien ein keineswegs einheitliches Bild. Die »Aktion 20« als Forum der Verbindung von Wissenschaft und Politik wurde von Kreiskys »1400 Experten« bald in den Schatten gestellt. Der Einmarsch von Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei am 21. August 1968 dürfte die Regierung überrascht haben. Das Bundesheer zog seine Grenzgarnisonen sogar in das Innere des Landes zurück, wohl um keinen Vorwand für eine Intervention zu geben. Zahlreiche Luftraumverletzungen wurden dokumentiert. Klaus und seine Mannschaft reagierten damit zweifellos viel weniger couragiert als das Kabinett Raab im Ungarnaufstand 1956. Österreichischer Gesandter in Prag war damals Rudolf Kirchschläger. Er stellte entgegen einer Weisung aus Wien zahlreiche Visa aus, die gefährdeten Personen die Ausreise ermöglichten. Der österreichische Rundfunk sendete monatelang seine Nachrichtensendungen nicht nur auf deutsch, englisch und französisch, sondern auch auf tschechisch. Damit versorgte man zahlreiche tschechische und slowakische Bürger, die entweder vor »den Russen« geflüchtet waren oder – im Urlaub von der Invasion überrascht – in Österreich die weitere Entwicklung abwarten wollten, mit Nachrichten ; aber zweifellos konnte man diese ungefilterten Nachrichten auch im Nachbarland empfangen. Von den Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei gingen später viele wieder zurück, andere emigrierten in die USA. Erst später wurde der bekannte Dramatiker Pavel Kohout aus der ČSSR ausgewiesen und lebte längere Zeit in Österreich. 1969 wurde nach langen Verhandlungen eine einvernehmliche Lösung für die Probleme Südtirols gefunden. Begonnen hatten diese Verhandlungen, nachdem Außenminister Bruno Kreisky 1960 die Südtirol-Frage vor der UNO thematisiert hatte und die UNO Italien und Österreich aufgefordert hatte, in Verhandlungen einzutreten, was 1961 bestätigt wurde. In Italien wurde daraufhin eine Kommission mit 19 Mitgliedern eingerichtet,
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die Details der möglichen Autonomielösung aushandeln sollte. Bis 1964 war man sehr weit gekommen. Daraufhin einigten sich die Außenminister Saragat und Kreisky darauf, diesen Status zu akzeptieren. Doch die Tiroler aus Nord und Süd legten sich quer. Nach einer vorübergehenden Verschärfung wegen neuerlicher Attentate und des darauf folgenden italienischen Vetos gegen die österreichischen EWG-Ambitionen einigten sich 1969 die Außenminister Pietro Nenni und Kurt Waldheim auf einen »Operationskalender« über die Umsetzung der von Italien zugestandenen Autonomieregelungen. Nach heftigen Debatten akzeptierten die Südtiroler im Oktober 1969 die jetzt als »Paket« bezeichneten Regelungen. Die Parlamente in Rom und Wien (Dezember 1969) ebenso, in Wien gegen die Stimmen der SPÖ. Kreisky kritisierte, dass das »Paket« ausschließlich als inneritalienische Angelegenheit galt und international nicht abgesichert war. Es war der letzte Erfolg der ÖVP-Regierung. Die Umsetzung des »Pakets« dauerte lange. Erst 1992 gab der österreichische Außenminister Alois Mock (1934–2017) vor der UNO die Erklärung ab, dass der Streit zwischen Italien und Österreich nunmehr beigelegt sei. Bei den Nationalratswahlen 1970 siegten die SPÖ und Bruno Kreisky, allerdings nur mit einer relativen Mehrheit. Während sich Klaus jeder Koalition mit den Freiheitlichen verschloss, nahm der kluge Taktiker Bruno Kreisky noch in der Wahlnacht Kontakt mit dem FPÖ-Obmann Friedrich Peter auf. Das Versprechen einer Wahlreform zugunsten dieser kleinen Partei honorierte Peter mit der Unterstützung einer Minderheitsregierung der SPÖ. 11.3.3 Die Ära Kreisky
Damit begann die längste Periode einer Alleinregierung, die Ära Kreisky (1970–1983). Dass der sprachgewandte Diplomat aus großbürgerlichem Haus mit jüdischem Hintergrund dreimal hintereinander (1971, 1975 und 1979) absolute Mehrheiten gewann, verweist auf sein außerordentliches politisches Talent. Kreisky traf den Ton einer neuen Zeit, die insgesamt von Wünschen nach mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung auf vielen gesellschaftlichen Ebenen, aber auch vom Wunsch nach mehr persönlicher Entfaltungsmöglichkeit und Selbstbestimmung geprägt war. Von den Zielvorstellungen der Sozialdemokratie von 1926 hatte sich die SPÖ schon in den 1950er Jahren mit einem neuen Parteiprogramm weit entfernt. Zwar wurde noch immer die klassenlose »sozialistische Gesellschaft« als Endziel beschworen, aber das war mehr ein Zugeständnis an die Vertreter der Linken in der Partei. Primär sollte es nunmehr darum gehen, ein möglichst hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit zu erreichen – das war natürlich auch eine Reaktion auf das Erleben der Wohlstandsgesellschaft im Kapitalismus bei gleichzeitigem Blick auf den wenig ermutigenden »realen Sozialismus« in der unmittelbaren Nachbarschaft Österreichs.
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Kreisky war schon in jungen Jahren aus der israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten. Früh wurde er Mitglied bei der Jugendorganisation der Sozialdemokratie. Ab 1934 war er bei den »Revolutionären Sozialisten« aktiv. Das brachte ihm 1935 die Verhaftung und 1936 eine Gefängnisstrafe im »autoritären Ständestaat« ein. 1936 wurde er entlassen. Im März 1938 schloss er sein Jus-Studium ab und konnte im Sommer 1938 nach Schweden emigrieren. Nach einer ersten kurzen Phase in Wien half er nach 1945, in Schweden die diplomatische Vertretung Österreichs aufzubauen. Damit trat er in den diplomatischen Dienst der Zweiten Republik ein. 1951 nach Österreich zurückgekehrt, wurde er 1952 in das Kabinett von Bundespräsident Körner berufen. 1953 Staatssekretär im Außenministerium, löste er 1959 Figl als Außenminister ab. Als Außenminister vertrat er – wie schon erwähnt – 1960 die Anliegen der Südtiroler vor der UNO. Nach der Ernennung Kreiskys zum Bundeskanzler wurde sogleich das Wahlrecht zugunsten der FPÖ reformiert, was dieser Kleinpartei das Überleben und eine gewisse Bedeutung sicherte. Darüber hinaus hatte Kreisky in sein erstes Kabinett gleich vier ehemalige Nationalsozialisten aufgenommen. Das konnte ebenfalls als Signal an das deutschnationale und das damit weithin identische »Lager« der ehemaligen Nationalsozialisten verstanden – und kritisiert – werden. Doch ist damit die Politik Kreiskys keineswegs zureichend zu beschreiben. Es ging ihm um die Gewinnung und Absicherung solider Mehrheiten für ein weitgespanntes Reformprojekt. Diese Reformen waren einerseits nachholende Liberalisierungsmaßnahmen, wie die Straffreiheit für Homosexualität, Ehebruch und Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft (»Fristenlösung«) sowie andererseits Erleichterung der Ehescheidungen und die Gleichstellung der Ehefrau in der ehelichen Partnerschaft. In der Erinnerung blieb den Menschen vor allem eine Fülle materieller Verbesserungen : die Freifahrt für Schüler, kostenlose Schulbücher für alle, das Ende der (nicht sehr hohen) Kolleggelder an den Universitäten (samt Gewährung von Abgeltungen an die Universitätslehrer), schließlich auch Heiratsbeihilfen (die später wieder gestrichen wurden). Im Steuerrecht erfolgte die Umstellung von der Haushalts- auf Individualbesteuerung, was Alleinverdiener belastete ; dafür gab es eine Erhöhung des Kindergeldes. Die Sozialversicherung, bereits 1955 für alle Unselbstständigen neu kodifiziert und 1958, 1965 und 1969 auch auf gewerbliche Selbstständige und Bauern ausgeweitet, wurde weiter entwickelt. Das waren, ebenso wie die Bundesheerreform – die versprochene Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate wurde freilich nicht wirklich umgesetzt – durchwegs Reformen, die das Leben der Menschen angenehmer und freundlicher gestalteten. Das Publikum hat dieses Programm der Erleichterungen für alle auch durch eine dreimalige absolute Mehrheit honoriert. Seit Kreisky werden auch die Parteien gefördert (Parteiengesetz) und außerdem die Presse – alles unter dem Prätext der Förderung demokratischer Vielfalt. Dagegen sollte die Rundfunkreform von 1974 eine neuerliche stärkere Staats- (also Regierung-) Nähe
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des gar zu unabhängig gewordenen Medienkolosses bewirken. Das kann man langfristig als gelungen bezeichnen. Mehr Demokratie sollte auch die Universitätsreform 1975 bringen, die von der Wissenschaftsministerin Herta Firnberg (1909–1994), einer promovierten Historikerin, vorbereitet und durchgesetzt wurde. Die universitären Gremien (Senat, Fakultäten) wurden semiparitätisch (50 % Professoren, je 25 % Assistenten und Studenten), die Studienkommissionen drittelparitätisch besetzt. Das bedeutete zahlreiche Wahlgänge, Sitzungen, mühsame Entscheidungsfindungen bei Besetzungsvorschlägen. Zweifellos wurden dadurch zahlreiche Studierende und Mitglieder der akademischen Lehrkörper mit demokratischen Prozessen vertraut gemacht. Letztlich entschied doch die Ministerin. Das Verhältnis zur katholischen Kirche, mit der der Agnostiker Kreisky schon seit den 1950er Jahren ein gutes Einvernehmen herzustellen bemüht war, wurde zwar durch die von Kreisky so nicht gewünschte, aber von den SPÖ-Frauen durchgesetzte Abtreibungsbestimmung belastet, dafür übernahm der Staat unter Kreisky die vollständige Finanzierung aller Personalkosten der konfessionellen (meist katholischen) Privatschulen (1971). Mit der eindrucksvollen Persönlichkeit des Wiener Erzbischofs Franz Kardinal König (1905–2004), der 1956 Theodor Innitzer gefolgt war und tiefen Glauben mit einer hohen Intellektualität vereinigte, verstand sich Kreisky persönlich recht gut. Die ÖVP, immer noch die Partei, die von der Mehrheit der praktizierenden Katholiken gewählt wurde, konnte wenig dagegen unternehmen. Kreisky verfolgte aber nicht nur das Ziel, das Verhältnis zur katholischen Kirche zu entkrampfen, er wollte auch die ÖVP dauerhaft zu einer Minderheitsposition verurteilen, nach schwedischem Vorbild – am liebsten wären ihm mehrere bürgerliche Parteien gewesen. Dazu dienten ihm unter anderem gut überlegte Personalentscheidungen, wie die Nominierung des parteilosen katholischen Diplomaten Rudolf Kirchschläger (1915–2000) zum Außenminister (bis 1974) und nach dem Tod des Bundespräsidenten Franz Jonas (1899– 1974) zum Präsidentschaftskandidaten, der auch die Wahlen souverän gewann. Die Wiederwahl Kirchschlägers 1980 war eine Formsache, da die ÖVP auf eine Gegenkandidatur verzichtete. Bruno Kreisky scheiterte hingegen beim Versuch, den Artikel 7 des Staatsvertrages umzusetzen. 1945 war das Kärntner Schulwesen neu geordnet worden. Alle Schüler des zweisprachigen Gebietes sollten auf Vorschlag des slowenischen Landesrates Joško Tischler beide Sprachen erlernen (Oktober 1945). Die Stellung Tischlers wurde jedoch geschwächt, weil die britische Besatzungsmacht der Befreiungsfront (Osvobodilna fronta) wegen ihrer Weigerung, die bestehenden Grenzregelungen anzuerkennen, die politische Betätigung verbot. Tischler trat aus der OF aus. 1949 gründete Tischler den katholisch orientierten »Rat der Kärntner Slowenen«, dessen Vorsitz er 1949–60 und 1972–76 innehatte. Tischler wurde übrigens der erste Direktor des 1957 gegründeten Bundesgymnasiums für Slowenen in Klagenfurt. Als Konkurrenz gründete die
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OF die »Demokratische Front des werktätigen Volkes«, aus der 1955 der »Zentralverband slowenischer Organisationen« hervorging. Diese Spaltung erwies sich für die sowieso schon recht klein gewordene slowenische Minderheit als nicht unproblematisch. Ab 1955 kam es in Kärnten zu einer raschen Rekonstruktion des deutschnationalen Lagers. Sie fand ihren organisatorischen Ausdruck im wiedererstandenen Kärntner Schulverein Südmark und im Kärntner Abwehrkämpferbund ; 1956 wurde der Kärntner Heimatdienst (wieder) gegründet. Der zweisprachige Unterricht sollte abgeschafft werden. Auf den von diesen Gruppen organisierten »Schulstreik« von 1958 reagierte der Landeshauptmann Ferdinand Wedenig (1896– 1975) mit der Ermöglichung der Abmeldung bzw. der Verpflichtung der jährlich neuen Anmeldung zum zweisprachigen Unterricht. Die neue Lage, die praktisch jenes Bekenntnisprinzip erzwang, das die Schulregelung von 1945 ebenso wie der Staatsvertrag vermeiden wollten, wurde auch durch ein Bundesgesetz unterstrichen. Nun beabsichtigte Kreisky 1972 wenigstens die im Staatsvertrag vorgesehenen zweisprachigen Ortstafeln umzusetzen. Nach einem im Juli 1972 beschlossenen Bundesgesetz über die zweisprachigen topographischen Aufschriften in gemischtsprachigen Gebieten Kärntens sollten 205 Ortschaften diese zweisprachigen Ortstafeln erhalten. Das Gesetz war nur mit den Stimmen der SPÖ verabschiedet worden. Im September 1972 wurden die ersten zweisprachig beschrifteten Ortstafeln aufgestellt. Dagegen erhob sich der so genannte Ortstafelsturm, in dem fast alle zweisprachigen Ortstafeln in Südkärnten abmontiert wurden, teilweise unter – untätiger – Präsenz der Gendarmerie. Dabei herrschte häufig große Heiterkeit. Diese Reaktionen führten zum Rücktritt des Landeshauptmannes Hans Sima (1918–2006), mit dem Kreisky die Ortstafellösung vorbesprochen hatte. Kreisky änderte jetzt seine Taktik : Nur mehr gemeinsame Gesetzesbeschlüsse aller drei damaligen Parlamentsparteien sollten zur Minderheitenproblematik erlassen werden. Die dabei entstandene Minimallösung war das so genannte Volksgruppengesetz 1976, das der österreichische Verfassungsgerichtshof seither in mehreren Entscheidungen als gegenüber den Intentionen des Staatsvertrages zu restriktiv bezeichnete. Eine mit diesem Gesetz verbundene geheime Volkszählung zur Erhebung der slowenischen Minderheit scheiterte an einer breiten Boykottbewegung, die zu unbrauchbaren Ergebnissen führte. Erst im 21. Jahrhundert – 2011 – kam es zu einer Lösung, die zwar auch nicht voll befriedigt, aber doch besser ist als die von 1976. Inzwischen haben sich vielleicht auch einige der kollektiven Kärntner »Ur-Ängste«, die mit positiven Bestimmungen für die Minderheit verbunden waren, etwas zurückgebildet. Eine Abstimmungsniederlage konnte Kreisky in einen vollen Sieg ummünzen. 1978 sollte das Atomkraftwerk Zwentendorf in Betrieb gehen. Da die Kritik an der Atomkraft immer heftiger wurde, setzte die Regierung eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des bereits betriebsfertigen Kraftwerkes an. Eigentlich waren die Wirt-
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schaft und der Gewerkschaftsbund dafür, die Umweltbewegung noch schwach und unorganisiert. Nun verband Kreisky sein politisches Schicksal mit dem Kraftwerk – er würde zurücktreten, falls das teure Projekt nicht in Betrieb gehen könne. Daraufhin trat die ÖVP – gegen ihren Wirtschaftsflügel – mehr oder weniger geschlossen gegen das AKW auf. Am Tag der Volksabstimmung votierten zahlreiche Menschen gegen das AKW, die gar nichts gegen dieses hatten, aber Kreisky meinten. Tatsächlich ging die Abstimmung knapp gegen das Atomkraftwerk aus. Kreisky blieb, seine Gegner hatten sich gegen Zwentendorf verausgabt, und bei der Nationalratswahl 1979 war der Anteil der SPÖ so hoch wie nie zuvor (und nie mehr danach). Seither ist im Tullnerfeld das 1 :1-Modell eines fertigen AKW zu besichtigen. 1975 publizierte Simon Wiesenthal (1908–2005), der ein Dokumentationszentrum über NS-Verbrechen und -Verbrecher leitete, Material über den Obmann der FPÖ, Friedrich Peter. Danach war Peter während des Zweiten Weltkrieges Offizier einer SS-Einheit, die in der Sowjetunion an schweren Kriegsverbrechen beteiligt war. Peter selbst behauptete, er sei während der im Kriegstagebuch der Einheit genannten Erschießungen jeweils auf Urlaub gewesen. Wie auch immer : Kreisky reagierte wütend und beschuldigte Wiesenthal selbst der Kollaboration mit den NS-Verbrechern. Wiesenthal hatte, indem er Peter, der schon als möglicher Vizekanzler einer SPÖ-FPÖRegierung gehandelt wurde, so schwer beschuldigte, ein persönliches Tabu Kreiskys berührt : »Bruno Kreisky wollte nicht als Jude gegen den in den 1970er Jahren stabilen gesellschaftlichen Block ausgespielt werden, der die Reintegration der ehemaligen NSDAP-Mitglieder und Wehrmachtssoldaten befürwortete. So reagierte er aus dem Bauch heraus und höchst emotional und zutiefst verletzend.« (Oliver Rathkolb)
Freilich steht dieser Konflikt in einer gewissen Traditionslinie. Denn schon in seine Minderheitsregierung hatte Kreisky 1970 vier ehemalige Nationalsozialisten aufgenommen. Und schon im selben Jahr 1970 hatte der Unterrichtsminister und Zentralsekretär der SPÖ, Leopold Gratz, auf dem Parteitag der SPÖ Simon Wiesenthal scharf angegriffen. Die Reaktion Kreiskys in der Peter-Wiesenthal-Affäre hat aber auch einen internationalen Hintergrund. Kreisky verstand sich auch als Bundeskanzler als Gestalter der Außenpolitik. Die Außenminister hatten unter Kreisky wenig zu entscheiden. Auf Grund seiner langen diplomatischen Tätigkeit, seines Einfallsreichtums und seiner breiten personellen und inhaltlichen Kenntnisse war er ein international geschätzter Gesprächspartner. Es war ein Teil seines Sicherheitskonzeptes für das neutrale Österreich, in der UNO eine aktive Rolle zu spielen und Wien zum dritten Zentrum der UNO (neben New York und Genf ) auszubauen. Neben der 1973–1979 errichteten
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UNO-City, die schon unter der Regierung Klaus beschlossen worden war, wurde ergänzend ein unter Kreisky geplantes, aber erst 1983–1987 realisiertes internationales Konferenzzentrum (Austria Center Vienna) errichtet. Kontakte zu zahlreichen Politikern waren für diese Politik wichtig. Besonders verbunden zeigte er sich mit seinen sozialdemokratischen Parteifreunden Willi Brandt und Olof Palme im Rahmen der sozialistischen Internationale. Kreisky wirkte auch an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, Helsinki 1975) aktiv mit. Seinen ganz besonderen Ehrgeiz legte er jedoch in die Vermittlung im Nahostkonflikt. Er wurde aber von den Israelis immer weniger als Vermittler wahrgenommen, da er sich zu sehr den Positionen der Palästinenser annäherte. Durch die von ihm betriebene internationale Aufwertung des Palästinenserchefs Arafat erhoffte er sich zweifellos eine Deradikalisierung der Palästinensischen Befreiungsfront. Auch den libyschen Staatschef Muammar Gaddafi, der im Westen als Begünstiger des Terrors galt, lud er nach Wien ein. Das schützte ihn und Österreich aber nicht vor dem arabischen Terror, der durch den Überfall auf einen Transport von aus der Sowjetunion kommenden Juden die Schließung eines Transitlagers für diese Juden in Österreich erzwingen wollte. Kreisky schloss das Lager zwar, aber Österreich blieb weiterhin ein wichtiges Transitland für Juden aus der Sowjetunion. Dass er bei den Kontroversen mit Israel manchmal sehr unbedachte Äußerungen von sich gab, minderte allerdings sein internationales Ansehen. Der sozialdemokratische Philosoph Norbert Leser äußerte sogar folgende Vermutung : »Im übrigen rührt ein Teil des Unmutes, den die jüdische Welt gegen Waldheim und Österreich hegt, von der als einseitig empfundenen Nahostpolitik Kreiskys her. An Kreisky konnte man sich aus den verschiedensten Gründen nicht heranwagen, umso mehr sind Waldheim und Österreich zum Handkuss gekommen (…)«.
Die Spätphase der Regierung Kreisky war von einigen Problemkreisen überschattet. Der erste waren die sich häufenden Korruptionsvorwürfe gegen SP-Politiker. Während vor 1970 eher die ÖVP mit Vorwürfen dieser Art konfrontiert war, betrafen sie jetzt zunehmend die SPÖ. Vor allem der Neubau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien (»Europas teuerster Krankenhausbau«) galt seit den frühen 1970er Jahren offenbar als lukrativer Ort für Zahlungen von Schmiergeldern. Im Mittelpunkt stand ein SPÖMitglied, Alfred Winter, der später auch verurteilt wurde. Geldflüsse an die SPÖ wurden nicht nachgewiesen. Zahlreiche wichtige gesellschaftliche Kontakte vermittelte der der SPÖ nahe stehende »Club 45«, der sein Domizil in der traditionsreichen Hof zuckerbäckerei Demel hatte. Der »Demel« gehörte damals Udo Proksch, einer überaus farbigen Figur, die neben vielen anderen Facetten letztlich durch die (vermittels einer ferngesteuerten Explosion ausgelöste) Versenkung eines Frachtschiffes mit einer wertlosen Ladung bekannt wurde, die sechs Todesopfer forderte (1977). Zum Versiche-
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rungsbetrug kam mehrfacher Mord. Das versenkte Schiff wurde im Indischen Ozean gefunden, ein durch eine Explosion ausgelöstes Leck entdeckt, Proksch verurteilt. Zwei Minister, die versucht hatten, Proksch zu entlasten, beendeten vorzeitig – doch erst 1989 – ihre Karriere. Viel Staub wirbelte auch die Behauptung auf, eine Beratungsfirma, an der der Finanzminister Androsch beteiligt gewesen sein soll ( nicht »mit endgültiger Sicherheit« nachzuweisen, so das Gericht 1987), habe auffallend lukrative Aufträge beim Neubau des AKH erhalten. Hannes Androsch (*1938) war beeideter Buchprüfer und Steuerberater und von 1970 bis 1981 Finanzminister, von 1976 bis 1981 auch Vizekanzler. Nun ist ein Steuerberater als Finanzminister zweifellos beruflich kompetent. Da seine Kanzlei weiterlief, vermehrte sich ihr Geschäftsumfang – angeblich – beträchtlich. 1972 führte Androsch an der Stelle der alten Umsatzsteuer die Mehrwertsteuer ein, ließ die Einkommensteuer umgestalten und war an den erfolgreichen Verhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft beteiligt. Da er neben dem »Sonnenkönig« Kreisky als »Kronprinz« immer selbstständiger hervortrat, verärgerte er den Bundeskanzler, der vor allem die sichtbare Demonstration des wirtschaftlichen Erfolges durch den Vizekanzler nicht goutierte. Kreisky wandte sich auch gegen die von Androsch im Einvernehmen mit der Nationalbank verfochtene Hartwährungspolitik, die 1971 mit einer ersten Aufwertung des Schillings gegenüber dem Dollar begann und mit der Orientierung des Schillings an der D-Mark 1976 ihre auf längere Zeit gültige Form erhielt. Der Konflikt spitzte sich zu, 1981 verließ Androsch die Politik, wurde aber mit dem lukrativen Posten des Generaldirektors der verstaatlichten Großbank Creditanstalt-Bankverein abgefunden. Er wurde später ein überaus erfolgreicher Großunternehmer. Wirtschaftliche Probleme überschatteten die letzten Kanzlerjahre Kreiskys. Zunächst ging ja alles gut : 1970 lief die Konjunktur wie am Schnürchen, das Koren-Paket ließ die Einkünfte sprudeln. Die hohen Mehrausgaben der ersten Kreisky-Jahre konnten aus Überschüssen finanziert werden. 1973 erfolgte aber, nach dem Jom-KippurKrieg, als Folge der Drosselung der Ölförderung mehrerer arabischer Länder der erste Ölpreisschock. Die längste Aufschwungphase der Nachkriegszeit ging abrupt zu Ende. Die Bundesregierung steuerte mit einem kräftigen deficit-spending dagegen. Androsch hielt aber gemeinsam mit der Nationalbank gegen die Forderungen der Industrie, der ÖVP und des Bundeskanzlers, die eine Abwertung befürworteten, an der Hartwährungspolitik fest. Da jedoch für 1975 die hohe Lohnsteigerung von 17,7 % (für Industriearbeiter) schon paktiert war, stieg das Defizit in der Leistungsbilanz bis 1977 auf 3,7 % des BIP. Steuererhöhungen verringerten das Defizit und schränkten die Inlandsnachfrage ein. Das Budgetdefizit stieg bald wieder an, aber die Arbeitslosigkeit blieb niedrig. Wie hatte doch Kreisky gesagt ? Ein paar Milliarden Schulden bereiteten ihm weniger schlaflose Nächte als ein paar hunderttausend zusätzliche Arbeitslose. Allerdings wurde dieses Ziel unter anderem nur dadurch erreicht, dass die Verstaatlichte
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Industrie um jeden Preis Arbeitskräfte behalten musste und dass der öffentliche Sektor stark aufgebläht wurde. Die Arbeitslosigkeit wurde auch durch erleichterte Frühpensionen und den Abbau von ausländischen Arbeitskräften (von 226.000 1973 auf 171.000 1979) scheinbar verringert. Nach dem zweiten Ölpreisschock funktionierte das österreichische Modell kaum mehr. 1981 endete die Zeit der Vollbeschäftigung. Die Möglichkeit, über Budgetdefizite die Arbeitsplätze zu sichern, hatte sich stark vermindert, da die Staatsverschuldung (nicht nur in Österreich) kräftig angestiegen war. Sie hatte 1973 etwa 12 % des BIP betragen, 1981 bereits 27 % erreicht und stieg bis 1986 auf 42,3 %. Damit stiegen auch die Belastungen durch die Zinsen für die aufgenommenen Kredite, ab einem bestimmten Zeitpunkt auch für die Rückzahlungen. Eine der letzten geplanten Maßnahmen des bereits schwer kranken Kreisky war das so genannte »Mallorca-Paket«. Kreisky und sein neuer Finanzminister Herbert Salcher (*1929) versuchten 1982 »in einem Überraschungscoup, den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl reinen Wein einzuschenken« (Oliver Rathkolb). Der Name kommt vom Ferienhaus Kreiskys auf Mallorca. Es war ein Steuerpaket zur Budgetsanierung. Die bisher stets verwöhnten Wähler akzeptierten es nicht, auch die Partei selbst war voll Skepsis. So endete die Kanzlerschaft Kreiskys mit einem Misserfolg. Bei den Nationalratswahlen 1983 behielt die SPÖ zwar die relative Mehrheit, musste aber einen Koalitionspartner suchen. Tab.17: Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1970–1986 SPÖ
ÖVP
FPÖ
Grün-Alternative
Jahre
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in %
Mandate
1970
48,4
81
44,7
78
5,5
6
1971
50,0
93
43,1
80
5,5
10
1975
50,4
93
43,0
80
5,5
10
1979
51,0
95
41,9
77
6,0
11
1983
47,7
90
43,2
81
5,0
12
3,3
1986
43,1
80
41,3
77
9,7
18
4,9
Stimmen in%
Mandate
8
1970 waren 165 Mandate zu vergeben, seit der Wahlreform 1970 183.
Kreisky setzte noch selbst seinen Nachfolger ein und entschied sich auch für eine Koalition mit den Freiheitlichen. Der Burgenländer Fred Sinowatz (1929–2008) übernahm kein leichtes Erbe. Die Konsolidierung des Budgets gelang ebenso wenig wie die Sanierung der bereits schwer mit Krisen kämpfenden Verstaatlichten Industrie. Die
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FPÖ leitete zwar nach Friedrich Peter mit Norbert Steger (*1944) ein Mann der jüngeren Generation, dem man den Wandel von einer Partei der »Ehemaligen« zu einer liberalen Partei zutraute. Doch schon braute sich in Kärnten Unheil zusammen. Dort wurde 1983 der noch jüngere Oberösterreicher Jörg Haider (1950–2008) Obmann der Landespartei, und die war nach wie vor deutschnational orientiert. Schon begann Haider, gegen die Wiener Parteispitze Stimmung zu machen. Neuerlich erregte Österreich international negative Schlagzeilen, als der freiheitliche Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager (*1943) den 1985 aus italienischer Haft vorzeitig entlassenen SS-Kriegsverbrecher Walter Reder per Handschlag begrüßte. Ähnlich wie Kreisky mit Zwentendorf bekam auch Sinowatz »sein« Kraftwerksproblem. In der Nähe von Hainburg, knapp oberhalb der Grenze zur Tschechoslowakei, sollte ein Donaukraftwerk gebaut werden. Die schon kräftig erstarkte Umweltbewegung lief dagegen Sturm. Die Hainburger Au wurde zum Sinnbild der möglichen Zerstörung einer unbelasteten Naturlandschaft. Im Dezember 1984 besetzten Schüler, Studenten, Journalisten und Wissenschaftler das Augebiet, als hier die für den Bau des Kraftwerkes notwendigen Schlägerungen beginnen sollten. Öffentlichkeitswirksam traten der bekannte Journalist Günther Nenning (1921–2006) und der Wiener Stadtrat Jörg Mauthe (1924–1986), als »Auhirschen« und andere Tiere verkleidet, für die Erhaltung der Aulandschaft auf. Nach einer kurzfristigen Eskalation verhängte die Regierung noch vor Weihnachten einen Baustopp. Das Gebiet gehört seit 1996 zum Nationalpark Donau-Auen. Die Hainburger-Au-Besetzung und ihr Erfolg war ebenso eine Niederlage für die Regierung wie für die Sozialpartnerschaft – nach der Ablehnung von Zwentendorf schon die zweite auf dem Energiesektor. Schließlich standen 1986 nach dem Ende der zwölfjährigen Amtszeit Kirchschlägers Präsidentenwahlen bevor. Für die ÖVP kandidierte Kurt Waldheim (1918–2007), unter Klaus Außenminister und von 1972 bis 1981 Generalsekretär der UNO. Waldheim hatte schon 1971 kandidiert, war aber dem amtierenden Bundespräsidenten Franz Jonas (1899–1974, Bundespräsident von 1965 bis 1974) unterlegen. Kreisky hatte seine UNO-Kandidatur kräftig unterstützt. Die beiden kannten sich gut : Als Außenminister hatte Kreisky Waldheim zum obersten Beamten des Ministeriums ernannt, später auch zum Botschafter bei den Vereinten Nationen. Der Generalsekretär Waldheim förderte, soweit ihm das möglich war, Anliegen der Dritten Welt. Dabei geriet er zuweilen in Gegensatz zu den USA, aber auch zu Israel, etwa als er 1976 den Einsatz israelischer Einheiten zur Befreiung eines von PLO-Terroristen gekaperten Flugzeuges in Entebbe (Uganda) als Verletzung der ugandischen Souveränität kritisierte. Plötzlich stand im Wahlkampf die »braune Vergangenheit« Waldheims im Mittelpunkt. Der aus katholischer Familie stammende und als Mitglied einer katholischen Mittelschulverbindung zweifellos nichtnazistisch sozialisierte Waldheim wurde zum Kriegsverbrecher und Obernazi stilisiert. Für das letztere diente seine Mitgliedschaft
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beim NS-Studentenbund (nach 1938, nicht vorher) und bei der »Reiter-SA« (einem völlig einflusslosen Klub). Dagegen wog schwerer, dass er in seiner Autobiographie die Jahre als Offizier der Deutschen Wehrmacht auf dem Balkan einfach weggelassen hatte. Als Stabsoffizier, der Nachrichten sammelte und weitergab, muss er über Kriegsverbrechen informiert gewesen sein, involviert war er nicht. Aber seine Rechtfertigung, er habe doch nur »seine Pflicht getan«, drückt zwar das Gefühl hunderttausender ehemaliger österreichischer Wehrmachtssoldaten aus, zeigt aber einen für einen hochrangigen Diplomaten und Politiker bemerkenswerten Mangel an Auseinandersetzung mit der jüngeren – auch eigenen – Vergangenheit. »Nach allen vorliegenden Berichten war er kein Nationalsozialist, erst recht kein Kriegsverbrecher. (…) Doch das, was Waldheim – und mit ihm Österreich – kritisch vorgehalten wird, ist nicht die aus einem Überlebenswunsch her erklärbare und daher sehr verständliche Anpassungshaltung. Der Vorwurf bezieht sich auf die Verdrängung ab 1945 ; auf den Mangel an Sensibilität gegenüber der Besonderheit der nationalsozialistischen Verbrechen ; auf die Neigung, spezifisch österreichische Verstrickungen, die sich aus der Doppelrolle Österreichs als Opfer und Täter ergeben, möglichst nicht zur Kenntnis zu nehmen.« (Anton Pelinka).
Waldheim wurde im zweiten Wahlgang gewählt. Er blieb international weitgehend isoliert. Fred Sinowatz, den man beschuldigte, die Kampagne gegen Waldheim ausgelöst zu haben, trat unmittelbar danach zurück. 11.4 Von Vranitzky zu Schüssel. Österreich und Europa Die Nachfolge des glücklosen Sinowatz übernahm Franz Vranitzky (*1937). Der bisherige Finanzminister (seit 1984) hatte Wirtschaft studiert und war Mitarbeiter bei Androsch, ehe er selbst eine Laufbahn im Bankwesen antrat. Als Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Länderbank leitete er von 1981 bis 1984 eine der beiden großen verstaatlichten Banken. Die Bank wurde 1991 mit der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien zur Bank Austria vereinigt. Vranitzky hatte mehrere Aufgaben zu bewältigen : Er musste der unter Alois Mock (1934–2017) wieder aufstrebenden ÖVP Paroli bieten, er sollte die Probleme der Verstaatlichten Industrie lösen und – nicht zuletzt – auch die durch die Isolierung Waldheims notwendig gewordene Vertretung Österreichs nach außen mittragen. Diese Aufgabe löste er insofern sehr gut, als er in einer Rede vor dem österreichischen Parlament – und später ähnlich in Israel – erstmals von der undifferenzierten Opfertheorie (Österreich ausschließlich als erstes Opfer des Nationalsozialismus) abrückte und die Mitschuld zahlreicher Österreicher an den Verbrechen des Nationalsozialismus bedauernd thematisierte. Auch optisch vermittelte
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Vranitzky nach dem immer etwas überfordert wirkenden Sinowatz mit seinem Auftreten als kühler, rationaler Banker mit einer Neigung zu wohlgedrechselten, aber zuweilen etwas schwierigen Sätzen ein neues Politikverständnis. Emotionen ließ er erst gar nicht aufkommen. Wer Visionen habe, so meinte er pointiert, gehöre zum Arzt. Mit derselben distanzierten Rationalität, mit der er die Privatisierung der verstaatlichten Industrie einleitete, trennte er sich als Parteichef der SPÖ von der traditionsreichen, aber verlustbringenden Arbeiter-Zeitung. 1995 war auch ein anderes sozialistisches Paradeunternehmen zahlungsunfähig, der »Konsum Österreich«, die Dachorganisation der Konsumgenossenschaften, die lange Zeit als dritte Säule der Arbeiterbewegung gegolten hatte (das notwendige Ausgleichsverfahren wurde korrekt und vollständig abgewickelt). Auch die Bank für Arbeit und Wirtschaft, 1922 als »Arbeiterbank« für die Finanzierung der Konsumgenossenschaften und der freien Gewerkschaften gegründet, geriet 2005 in Probleme. Verantwortlich waren Spekulationsgeschäfte in den USA, wobei es zu enormen Verlusten kam. Ausgerechnet die schwarz-blaue Regierung von Wolfgang Schüssel musste der Bank helfen. Der Österreichische Gewerkschaftsbund verkaufte 2006 seine Anteile (ursprünglich 70%), schließlich erwarb der US-Fonds Cerberus die Bank. Nach dem fast putschartigen Führungswechsel in der FPÖ von Steger zu Haider löste Vranitzky im Herbst 1986 die Koalition auf. Neuwahlen erbrachten weiterhin eine knappe Führungsposition für die SPÖ. Alois Mock, der nach dem guten Abschneiden seiner Partei 1983 und dem Sieg bei der Präsidentenwahl die Position des Bundeskanzlers greifbar nahe wähnte, war sichtbar enttäuscht. In der nun folgenden Neuauflage der großen Koalition von ÖVP und SPÖ (1987–1999) blieb Vranitzky Kanzler, Mock wurde Außenminister und Vizekanzler. Beide hatten eine schwere Aufgabe zu bewältigen. Denn es galt, Österreich an die Europäischen Gemeinschaften heranzuführen. 11.4.1 Der Weg in die EU
Österreich war über die OEEC bzw. OECD mit den westlichen Industriestaaten verbunden. Aber diese Vereinigung bedeutete keine wirtschaftliche Union, obwohl ihr Fernziel die umfassende Liberalisierung des innereuropäischen Handels- und Zahlungsverkehrs war. Die entstand aus einer anderen Konstellation, der 1951 geschaffenen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion). Sie war die erste europäische Institution mit einer supranationalen Behörde und wurde so zum Ausgangspunkt der wirtschaftlichen Einigung – zunächst – Westeuropas. Die Montanunion wurde zum wichtigsten Handelspartner Österreichs. Von dort, vor allem aus Westdeutschland, kam der größte Teil von Kohle und Koks. Umgekehrt wurde
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der größte Teil der Stahl- und Eisenexporte Österreichs von der Montanunion abgenommen, meist von Westdeutschland und Italien. Vor dem Abschluss des Staatsvertrages kamen keine weiter reichenden Übereinkünfte zwischen der Montanunion und Österreich zustande. Dass Österreich 1956 dem Europarat beitrat, hatte eher symbolische Bedeutung. Man wollte damit ein prinzipielles Bekenntnis zu einem zukünftigen geeinten Europa ablegen. Als auf der Basis der Römischen Verträge von 1957 mit 1. Jänner 1958 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Wirklichkeit wurde, war Österreich ebenso wenig dabei wie alle anderen OEEC-Länder außerhalb der sechs Gründungsstaaten. Auf Grund der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit Westeuropa musste Österreich aber danach trachten, seine Exportwege einigermaßen offen zu halten, was gleichzeitig bedeutete, dass man auch für Importe offen bleiben musste. Aus Rücksicht auf den Staatsvertrag konnte Österreich – so die Interpretation der Sowjets, aber auch der Franzosen – an der EWG nicht teilnehmen. Österreich wurde dafür Mitglied der 1960 auf Betreiben Großbritanniens gegründeten Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Sie umfasste neben Österreich und Großbritannien die Schweiz, Dänemark, Norwegen, Portugal und Schweden. Sieht man von der Schweiz ab, waren das durchwegs Länder, mit denen relativ wenig wirtschaftlicher Austausch stattfand. Man musste daher weiterhin versuchen, mit der EWG zu irgendeiner Einigung zu kommen. In diesem Sinne wurden auch Kontakte mit den anderen Neutralen, Schweden und der Schweiz, aufgenommen und ein gemeinsamer Assoziierungsvertrag beantragt. Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow warnte 1962 eindringlich vor einem Vertrag mit der EWG – dadurch würde Österreich den Staatsvertrag und den Neutralitätsstatus verletzen. Als Frankreich 1963 Großbritanniens Beitrittsgesuch faktisch ablehnte, waren auch die österreichischen Chancen auf einen Vertrag gesunken. Inzwischen hatte aber die Wirtschaft Alarm geschlagen : Österreichs Exporte erlitten in der BRD und in Italien deutliche Verluste, die durch Gewinne in den EFTA-Staaten nicht aufgewogen wurden. Also musste man erneut versuchen, sich mit der EWG zu arrangieren. Man probierte einen Alleingang. Ab 1967 blockierte aber Italien wegen eines neuerlichen Attentats in Südtirol, nahe der österreichischen Grenze, die Verhandlungen. Ein französisches Veto folgte. Nach der Annahme des Pakets (1969) wurde die italienische Blockade aufgehoben. Ab Ende 1969 gab es daher neue Gespräche zwischen Österreich und der Europäischen Gemeinschaft. Als 1972 Großbritannien der EG beitrat, wurde auch vier Abkommen zwischen Österreich und der EGKS bzw. der EWG abgeschlossen, durch die faktisch eine Freihandelszone für Industrieprodukte zwischen den Vertragspartnern errichtet wurde. Analoge Abkommen wurden zwischen den Europäischen Gemeinschaften und Schweden bzw. der Schweiz vereinbart. Ab 1977 war der Handel mit Industriewaren zwischen der EG und den EFTA-Staaten zollfrei. Die Landwirtschaft war in diese Regelungen nicht eingebunden.
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In den 1980er Jahren beschleunigten die EG-Staaten nach einer längeren Phase nur weniger Integrationsschritte das Tempo der weiteren Entwicklung. 1987 erklärten sie, dass sie bis 1993 das Ziel einer Vollendung des Binnenmarktes, aber auch die politische Union verwirklichen wollten. Das bedeutete für die Nichtmitglieder der EG, die wie Österreich in einer Freihandelszone mit ihr verbunden waren, dass sie, um im politischen Entscheidungsprozess mitreden zu können, die Mitgliedschaft anstreben mussten. Für die innenpolitische Diskussion in Österreich hatte schon der Rückzug Kreiskys aus der Politik eine neuerliche stärkere Betonung des Europathemas innerhalb der SPÖ gebracht, Kreisky war ja eher global orientiert gewesen. Aber schon die Regierungsbeteiligung der damals noch betont europäischen FPÖ verstärkte die »europäische« Tendenz. Noch größere Bedeutung kam dem Regierungswechsel 1987 von der SPÖ-FPÖ-Koalition zur großen Koalition SPÖ-ÖVP zu. In der Regierungserklärung vom Jänner 1987 wurde als Ziel der Europapolitik festgehalten, Österreich wolle »Teil des im Entstehen begriffenen europäischen Binnenmarktes« werden. Interessanterweise forderte der Chef der jetzt wieder oppositionellen FPÖ, Haider, von Mock »eine ernsthafte Europagesinnung und den Mut, den wirtschaftlichen und politischen Beitritt zur EG anzustreben«. Auch die Vertretung der Industrie, die Industriellenvereinigung, forderte jetzt den Beitritt. Dagegen sprach Bundeskanzler Vranitzky noch nicht vom Beitritt zur EG, aber doch von der Teilnahme am Binnenmarkt. Im Frühjahr 1988 preschte die ÖVP mit Vizekanzler Mock vor und forderte den möglichst frühzeitigen Beitritt zur EG. In dieser Phase konnte sich die ÖVP klar als die eindeutige Europa-Partei profilieren. Das scheint auch der vox populi entsprochen zu haben : In einer Umfrage vom Juli 1988 sprachen sich 74 % für einen Beitritt aus. Aus einem der Bundesregierung vorgelegten Bericht einer Expertengruppe ging hervor, dass das Ziel einer vollen Teilnahme am Binnenmarkt eben nur über die Mitgliedschaft zu erreichen sei. Denn es stellte sich die Frage, ob die Mitwirkung in der EG nicht einen geringeren Souveränitätsverlust bedeutete als das Draußenbleiben mit gleichzeitiger (autonomer, aber unerlässlicher) Übernahme ihrer Regelungen, ohne mitreden zu können. Nun erklärte sich auch Bundeskanzler Vranitzky mehr oder weniger eindeutig (er war ein Meister verklausulierter Formulierungen !) für den Beitritt. 1988 sah das Völkerrechtsbüro des Außenministeriums die EG-Mitgliedschaft für möglich an, wenn man sie mit einem Neutralitätsvorbehalt verknüpfe. Im März 1989 sprachen sich auch die Sozialpartner (Unternehmer, Gewerkschaften, Landwirtschaft) für die Teilnahme an der »Integration der Europäischen Gemeinschaft« aus. Durch die breiten und teilweise sehr heftigen Diskussionen hatte sich aber die öffentliche Meinung weiter entwickelt. Zahlreichen Österreichern schien nun die Neutralität wichtiger als die Mitgliedschaft in der EG. Die eindeutigsten Gegner des Beitritts sammelten sich um die neue GrünBewegung. Die Grün-Alternativen waren im Parlament die einzigen klaren Gegner der
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EG. Ihnen sekundierten die Kommunisten, die aber politisch vollkommen einflusslos waren. Auch die Bauern waren skeptisch : Sie sahen, dass in der EG die große Agroindustrie den Ton angab, während in Österreich immer noch eine kleinteilige bäuerliche Landwirtschaft vorherrschte. Die Landwirtschaft sollte daher auch ein schwieriges Thema bei den Beitrittsverhandlungen werden. Im Frühjahr 1989 scheiterte die von Kommissionspräsident Jacques Delors vorgeschlagene Zollunion EG-EFTA an den Vorbehalten der Schweiz und Finnlands. Das bestätigte den Alleingang Österreichs nach Brüssel. Gleichzeitig wuchs gerade in dieser Phase die Zahl der Beitrittsgegner, nun auch in der SPÖ. Aber wie stets folgte die Partei ihrem Vorsitzenden (Vranitzky war das seit 1988). Im Bericht der Bundesregierung an das Parlament vom 17. April 1989 wurde das Ziel der vollen Teilnahme am Binnenmarkt formuliert, kombiniert mit bestimmten Voraussetzungen, wie der Wahrung der immerwährenden Neutralität, der Aufrechterhaltung der Bundesstaatlichkeit (Föderalismus !), des Sozialsystems, einer offensiven Umweltpolitik, einer flächendeckenden bäuerlichen Land- und Forstwirtschaft, der Lösung des Transitproblems und der Beibehaltung einer loyalen Stellung als Mitglied der EFTA bis zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen. Am 29. Juni 1989 beauftragte der Nationalrat mit großer Mehrheit (SPÖ, ÖVP, FPÖ, ohne Stimmen der Grün-Alternativen) die Bundesregierung, Verhandlungen »mit der EG über eine Mitgliedschaft Österreichs aufzunehmen und die zu diesem Zweck erforderlichen Anträge bis zum Herbst 1989 zu stellen«. Am 17. Juli 1989 übergab Vizekanzler und Außenminister Alois Mock dem Präsidenten des Rates der EG, Roland Dumas, das Beitrittsansuchen, den berühmten »Brief an Brüssel«. Die Sowjetunion äußerte wieder ihre Besorgnis hinsichtlich der Wahrung der österreichischen Neutralität, aber ihr politisches Gewicht ging unter Gorbatschow bereits dramatisch zurück. Die Regierungen der 12 EG-Staaten stimmten der Weiterleitung des Ansuchens an die Kommission zu. Nach einer etwa gleichzeitigen Gallup-Umfrage befürworteten 61 % der österreichischen Bevölkerung die Übergabe des Beitrittsgesuches. Bis zum Beginn der Beitrittsverhandlungen hatte es aber noch eine gute Weile. Denn inzwischen war durch den Zusammenbruch des Kommunismus in den Nachbarstaaten Österreichs ein grundlegender Wandel vollzogen (darauf wird noch gesondert einzugehen sein). Da auch andere Staaten den EG-Beitritt anstrebten, die Gemeinschaft aber gleichzeitig die weitere Vertiefung zur Europäischen Union vorantrieb, begannen die Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Finnland, Norwegen und Schweden erst 1993. Schwierigkeiten bereiteten die Themen Neutralität, Landwirtschaft und Transitverkehr. Der Neutralitätsvorbehalt Österreichs wurde von der seit 1993 Europäische Union genannten Gemeinschaft akzeptiert, allerdings hat sich Österreich in der Folge doch partiell an transnationalen Vorhaben wie seit 1995 der NATO-Partnerschaft für den Frieden beteiligt. Österreichische Einheiten waren daher 1995–2001 im Rahmen von multinationalen Friedensoperationen in Bosnien-Herzegowina, seit
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1999 im Kosovo im Einsatz. Ein schwieriges Kapitel war die Landwirtschaft, weil das österreichische Preisniveau erheblich höher war als das in der EG. Durch vier Jahre erhielten Österreichs Landwirte degressive Ausgleichszahlungen, diese motivierten zu zahlreichen Käufen von Traktoren und anderen Geräten. Seit 2000 ist die österreichische Landwirtschaft voll in die Gemeinsame Agrarpolitik der EU integriert. Während im alten österreichischen System die Preise gestützt wurden, bilden sich in der EU, die ihre Agrarmärkte nach außen weitgehend abschottet, Marktpreise. Die Landwirte selbst werden direkt unterstützt, je nach Größe der bewirtschafteten Fläche. Je größer die Fläche, desto höher die Förderung. Ein schwieriges Problem war (und ist) die Transitfrage. Da die Route über den Brenner eine der wichtigsten europäischen Transitstrecken ist, war durch den EU-Beitritt mit einer weiteren Steigerung des Verkehrsaufkommens zu rechnen. Ein bereits 1992 abgeschlossener Transitvertrag wurde in den EU-Vertrag übernommen. Er sollte die Schadstoffbelastung vor allem auf der Brennerautobahn um 60 % reduzieren. Der Vertrag lief 2004 aus, seine Auswirkungen sind umstritten. Jedenfalls ist die Brennerautobahn fast immer voll von Lastkraftwagen. Die Zustimmung zum EU-Vertrag war daher in Tirol auch relativ gering. 1994 waren die Verhandlungen abgeschlossen, eine Volksabstimmung im selben Jahr brachte eine Zustimmung von ziemlich genau zwei Drittel aller Wahlberechtigten. Neben den Grünen hatte auch die FPÖ unter Haider heftig gegen den EU-Beitritt argumentiert, in völliger Umkehrung ihrer früheren Haltung. Mit. 1. Jänner 1995 trat Österreich der Europäischen Union bei. 11.4.2 Der Zusammenbruch des Kommunismus, Ostöffnung und neue Konfliktzonen
Natürlich haben die Krise in der Sowjetunion und die Reformversuche Gorbatschows den Zusammenbruch des Kommunismus eingeleitet. Im engeren Umfeld Österreichs ging – wieder – Ungarn voran. Auch hier litt die Bevölkerung unter einer Wirtschaftskrise. In der relativen Diskussionsfreiheit der späteren Kádár-Ära formierten sich bereits verschiedene Gruppen, aus denen Parteien wurden. 1988 wurde Kádár – noch von seinen Parteifreunden – abgesetzt. Schon im Herbst dieses Jahres wurde eine neue Regierung gebildet. Der neue Außenminister Gyula Horn durchschnitt gemeinsam mit Alois Mock demonstrativ den Stacheldraht als Symbol des »Eisernen Vorhanges« (27. Juni 1989). Der Abbau der Grenzsperren hatte jedoch schon früher begonnen. Im August war bei einem österreichisch-ungarischen »Picknick« der Paneuropa-Union die Grenze für einige Stunden offen, was mehrere 100 Menschen aus der DDR zur Flucht nach Österreich (und weiter in die BRD) nutzten. Im September beschloss Ungarn, allen DDR-Bürgern im Land die Ausreise nach Österreich zu gestatten. Eine neue Verfassung folgte, 1990 die ersten freien Wahlen. Neuer Ministerpräsident wurde
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József Antall. Im Herbst 1989 brach das DDR-Regime zusammen, die Berliner Mauer fiel. Nun fehlte nur noch die ČSSR. Auch hier erfolgte noch im Spätherbst der Regimewechsel, der bekannte Schriftsteller Vaclav Havel wurde Ende Dezember zum Präsidenten gewählt. Wieder wurde ein Stacheldrahtzaun durchschnitten, diesmal vom neuen tschechoslowakischen Außenminister Jiří Dienstbier und von Alois Mock (17. Dezember 1989). Im Jugoslawien hatte spätestens seit Titos Tod eine andauernde Wirtschaftskrise die Krise des politischen Systems, in dem nun die zentrale Autorität fehlte, verstärkt. Vor allem in Slowenien engagierten sich junge Intellektuelle zunehmend für Menschenrechte, aber nicht nur in und für Slowenien, sondern besonders auch für den Kosovo, wo die serbische Regierung die albanische Bevölkerungsmehrheit zu beherrschen bzw. zu unterdrücken versuchte. Die jugoslawische Krise trat offen zu Tage, als im Jänner 1990 ein gesamtjugoslawischer Parteitag des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens nicht nur zu keinen gemeinsamen Beschlüssen mehr fand, sondern durch die Sezession der slowenischen (und in der Folge der kroatischen) Parteiführung auch die Partei gespalten hinterließ. Damit war ein wesentlicher Faktor der staatlichen Einheit Jugoslawiens ausgefallen ! Da die Wünsche der nördlichen Republiken auf eine föderative Umgestaltung des Staates nicht erfüllt wurden, beschloss Slowenien im Dezember 1990 die staatliche Unabhängigkeit. Sie wurde im Juni 1991 ausgerufen. Während aber die Umgestaltungen in Ungarn, der Tschechoslowakei, in Polen und der DDR unblutig verliefen, versuchte die Zentralregierung in Belgrad die Selbstständigkeitserklärungen Sloweniens (und Kroatiens) am 25. Juni 1991 militärisch zu verhindern. Die weitere Existenz Jugoslawiens wurde von den meisten europäischen Staaten und den USA unterstützt. In Österreich war die Regierung gespalten : Während Außenminister Mock die Unabhängigkeitsbestrebungen Sloweniens und Kroatiens unterstützte, wünschte Bundeskanzler Vranitzky keinesfalls ein besonderes Vorpreschen Österreichs. Es gab ja auch genug Warnungen aus mehreren europäischen Hauptstädten, besonders aus Paris. Obgleich die militärischen Maßnahmen der jugoslawischen Armee ab dem 27. Juni 1991 auch die österreichisch-slowenische Grenze berührten und den österreichischen Luftraum verletzten, zögerte die Regierung zunächst. In der Steiermark und in Kärnten regte sich Unmut. Schließlich setzte der Verteidigungsminister doch Bundesheereinheiten in Marsch, zur Absicherung der Grenze. »Entschlossenes Zuwarten« lautete jetzt die Parole. Nach insgesamt zehn Tagen kam es aber in Slowenien zu einem Waffenstillstand, später zog die jugoslawische Armee aus Slowenien ab. In Kroatien, wo eine beträchtliche serbische Bevölkerung lebte, gingen die militärischen Auseinandersetzungen jedoch weiter, mit schweren Beeinträchtigungen für die betroffene Zivilbevölkerung. Die Unabhängigkeit Sloweniens wurde zwar ausgesetzt, da aber keine politische Lösung zustande kam, wurde sie von den Slowenen am 8. Oktober wieder aktiviert und am 15. Jänner 1992 von zahlreichen Staaten, unter ihnen auch Österreich, anerkannt.
Von Vranitzky zu Schüssel. Österreich und Europa
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Nun hatte sich auch Bosnien-Herzegowina für unabhängig erklärt. Das Land wurde, nach Kroatien, zum zweiten Kriegsschauplatz im ehemaligen Jugoslawien. Bald setzte eine Flüchtlingswelle ein. Obwohl in Österreich Flüchtlinge nicht so gern gesehen wurden, hat man Menschen aus Bosnien nicht zurückgeschickt, sondern sie erhielten das vorübergehende Bleiberecht – eine Ausnahmeregelung, relativ prekär, aber besser als nichts. Die Balkan-Konflikte weckten in der österreichischen Bevölkerung aber auch eine breite Hilfsbereitschaft. Im Frühjahr 1992 nahmen Caritas, ORF und Rotes Kreuz im Rahmen des Programms »Nachbar in Not« die Hilfe für Flüchtlinge und Notleidende sowohl in den Krisengebieten selbst als auch in Österreich auf. Dabei wurden ungefähr 80 Millionen Schilling gespendet. Natürlich war es günstig, dass dem Vorhaben mit dem ORF die größte mediale »Orgel« des Landes zur Verfügung stand, der spiritus rector der ganzen Aktion, Kurt Bergmann, war Generalsekretär des ORF. 11.4.3 Das Ende der Verstaatlichten Industrie
Die Verstaatlichungsgesetze der Jahre 1946 und 1947 betrafen zunächst das »deutsche Eigentum«, sachlich Bergbau (Eisenerz, Kohle, Kupfer, Blei), Verhüttung, Eisen- und Stahlerzeugung, Aluminiumproduktion sowie Chemie und Erdöl, Anlagen- und Schiffbau. Dazu kamen die Großbanken, die Creditanstalt(-Bankverein), die Länderbank und das (kleinere) Österreichische Credit-Institut. 1947 wurde mit dem zweiten Verstaatlichungsgesetz die Energieerzeugung verstaatlicht, aber mit Ausnahme des VerbundKonzerns, der für den überregionalen Ausgleich zuständig war, wurde die Energieerzeugung Landesgesellschaften im Eigentum der Bundesländer übertragen. Insgesamt stand so ein großer Teil der österreichischen Wirtschaft unter öffentlicher Kontrolle. Diese machte sich insbesondere auf dem personellen Sektor bemerkbar. In den Zeiten der Großen Koalition erfolgten die Besetzungen der leitenden Positionen unter peinlicher Beachtung der politischen Farbenlehre, also »schwarz-rot«. Die Vorstände waren streng paritätisch zusammengesetzt. Dabei hatten die Sozialisten das Problem, dass es zu wenige »echte« Sozialisten in den Bereichen Technik und Kommerz gab. Man musste daher für diese Positionen besonders häufig auf ehemalige Nationalsozialisten zurückgreifen, die in den technischen Berufen stark vertreten waren. Das rasche Wachstum des »Bundes Sozialistischer Akademiker« (BSA) erklärt sich durch den kräftigen Zuzug aus diesem Segment. In Erinnerung blieb ein Generaldirektor der »Verstaatlichten« von 1971–78, Franz Geist (1911–1994), dessen Schmisse ihn klar als früheren »schlagenden« Studenten auswiesen, die stets den Kern der deutschnationalen bzw. nationalsozialistischen Akademikerschaft gebildet hatten. Die verstaatlichte Industrie stand einerseits unter einer gewissen politischen Kontrolle, hatte sich andererseits aber auch auf den internationalen Märkten durchzuset-
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zen. Insbesondere der VÖEST gelang das ganz hervorragend. Mit dem so genannten LD- (Linz-Donawitz-) Verfahren wandten die Linzer Stahlerzeuger eine innovative und energiesparende Technik an, die ihre Konkurrenzfähigkeit enorm stärkte. Die verstaatlichte Industrie erreichte 1952 eine Exportquote von fast 25 % gegenüber 20 % bei der gesamten Industrie. Träger der raschen Expansion waren die Eisen- und Stahlerzeugung sowie die Aluminium- und Stickstofferzeugung. Diese günstige Situation änderte sich in den sechziger Jahren. Nun wurden verstärkt Fertigwaren nachgefragt, der Boom für Grundstoffe war vorüber. Jetzt machte sich der starke politische Einfluss negativ bemerkbar. Dominant war der Einfluss der SPÖ, mit Ausnahme der Zeit von 1956 bis 1959 unterstand die »Verstaatlichte« einem sozialistischen Minister. Die wichtigste Zielvorgabe lautete : Beschäftigung und angemessenes Einkommen für die Arbeitnehmer. Rationalisierungen oder Betriebsschließungen bei mangelnder Rentabilität wurden kaum erwogen. Unterstützt wurde dieser Immobilismus durch die meist von der ÖVP gestellten Landespolitiker, die jeden schwachen Betrieb in »ihrem« Bundesland unbedingt erhalten wollten. Zuerst hatten die verstaatlichten Unternehmungen hohe ERP-Mittel erhalten, dann finanzierten sie sich durch ihre guten Erträge. Als diese schmäler wurden, war guter Rat teuer : Kapitalaufstockungen aus den Mitteln des Staates lehnte die ÖVP ab, Kapitalzufuhr aus dem freien Kapitalmarkt die SPÖ. Man begab daher Anleihen, die aber verzinst und zurückgezahlt werden mussten. Drohte Zahlungsunfähigkeit, musste doch wieder der Staat als Eigentümer einspringen. Schon Mitte der sechziger Jahre konnte die verstaatlichte Industrie die gesetzlich vorgeschriebenen Steuern nicht mehr erwirtschaften. Unter der Regierung Klaus wurde die verstaatlichte Industrie aus der direkten staatlichen Verwaltung herausgenommen und ein neues Dach für sie geschaffen, das auch die direkte politische Einflussnahme reduzieren sollte – die ÖIG, seit 1970 ÖIAG (Österreichische Industrie-Aktiengesellschaft). Auf die wachsenden Schwierigkeiten reagierte man unter Kreisky mit Fusionen. So wurde die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft (Leoben-Donawitz) mit der VÖEST zur VOEST-Alpine zusammengelegt. Aber betriebswirtschaftliche Konsequenzen (Rationalisierungen, Entlassungen, Betriebsstillegungen) blieben aus. Dafür sollten neue Produkte die Probleme lösen : »Auspuffe statt Drahtseile, Plastikflaschen statt Stahlrohre, Maschinen statt Stahl« (Wilhelmine Goldmann). Aber diese Diversifizierungen wurden meist sehr unprofessionell begonnen und endeten durchwegs in neuen Defiziten. In der 1. Ölkrise 1975 erhielt die Verstaatlichte den Auftrag, um jeden Preis Arbeitskräfte zu halten. Gleichzeitig versuchte man in den Handel einzusteigen (VOEST-Intertrade) und durch ein neues Stahlwerk in den USA neue Märkte zu erschließen. Nun waren die VOEST-Manager zwar gute »Stahlkocher«, aber keine gut ausgebildeten Kaufleute. Auch diese Versuche endeten desaströs. Die VOEST-Alpine verzeichnete Riesenverluste, die ohne kräftige Staatshilfen in der Insolvenz geendet hätten. Zuletzt erhielten die verstaatlichten Betriebe 1987 eine massive Subvention,
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nunmehr aber schon mit der Auflage, dass künftig die Finanzierung über den Verkauf von Aktien, also durch Privatisierung, vor sich gehen solle. 1993 wurde die mehrheitliche Privatisierung aller ÖIAG-Beteiligungen beschlossen. Wie sah das bei der VOEST aus ? 1993 wurden aus ihr drei Konzerne geformt : VA (VOEST-Alpine) Stahl, VA Technologie und Böhler-Uddeholm. Das Kernstück, VA Stahl, umfasste Werke in Linz, Donawitz, Krems an der Donau usw. Sie wurde 1995 über die Börse privatisiert. Der Staat hielt 2003 noch 15 % der Aktien. 2002/2003 erzielte das Unternehmen mit fast 23.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 4,4 Milliarden Euro, die Exportquote lag bei 80 %. Auch die anderen privatisierten Teile des Stahlbereiches sind durchwegs erfolgreich. Böhler-Uddeholm etwa, ein Erbe der traditionsreichen Edelstahlproduzenten Böhler aus Kapfenberg und Ternitz, wurde zum weltweit größten Erzeuger von Werkzeugstahl. Das Edelstahlwerk in Kapfenberg, inzwischen von der VOEST geführt, wird ab 2018 vollkommen neu errichtet. 11.4.4 Das Ende des traditionellen Parteiensystems
Schon die Wahlen von 1986 hatten erste Anzeichen eines radikalen Wandels des Parteiensystems gezeigt : Erstmals war eine grüne Liste ins Parlament eingezogen, und erstmals hatten die Freiheitlichen unter Jörg Haider ihre »normalen« 5 % hinter sich gelassen und sich auf knapp zehn Prozent beinahe verdoppelt. Bei den nächsten Nationalratswahlen verschärfte sich der Trend. Tab. 18: Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1990–2017 SPÖ Jahr
Stimmen in %
1990 1994
ÖVP
FPÖ
Mandate
Stimmen in %
Mandate
Stimmen in %
42,8
80
32,0
60
34,9
65
27,7
52
Grün-Alternative Mandate
Stimmen in %
Mandate
16,6
33
4,8
10
22,5
42
6
11
1995
38,1
71
28,3
53
21,9
40
4,8
9
1999
33,2
65
26,9
52
26,9
52
7,4
14
2002
36,5
69
42,5
79
10
18
9,5
17
2006
35,3
68
34,3
66
11 + 4
21 + 7
11
21
2008
29,3
57
26,0
51
17,5+10,7
34 + 21
10,4
21
2013
26,8
52
24
47
20,5
40
12,4
24
2017
26,9
52
31,5
62
26
51
3,8
–
Es waren 183 Mandate zu vergeben.
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2006 und 2008 kandidierten zwei freiheitliche Listen unter »FPÖ« und »BZÖ«. 1994 und 1995 gelang auch dem Liberalen Forum mit 6 bzw. 5,5 % und 11 bzw. 10 Mandaten der Einzug in den Nationalrat. 2013 schied die FPÖ-Abspaltung BZÖ aus dem Parlament aus, dafür zogen zwei andere neue Parteien ein: Die »Liste Frank« des austrokanadischen Unternehmers Frank Stronach (5,2 %, 11 Mandate) sowie die Neos, eine ÖVP-Abspaltung, die sich mit dem Liberalen Forum zusammenschlossen (5 % und 9 Manate). 2017 kandidierte die »Liste Frank« nicht mehr. Die Grünen schieden mit 3,8 % der Stimmen überraschend aus dem Nationalrat aus, dafür schaffte die »Liste Pilz« (4,4 % und 8 Mandate) eines ehemaligen Grün-Abgeordeten ebenso den Einzug in den Nationalrat wie die Neos (5,3 %, 10 Mandate).
Hatten die Verluste für die ÖVP schon 1986 begonnen und sich 1990 dramatisch fortgesetzt, so wurde 1994 auch die regierungsgewohnte SPÖ vom Abwärtstrend erfasst. Bei den vom damaligen ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel (*1945) ausgelösten Neuwahlen 1995 konnte Vranitzky allerdings den deutlichen Vorsprung der SPÖ noch einmal sichern. Im Jänner 1997 übergab er den Parteivorsitz und das Amt des Bundeskanzlers an Viktor Klima (*1947, Bundeskanzler 1997–2000). Unter seiner Regierung erfolgte der Verkauf der bisher als Domäne der bürgerlichen »Reichshälfte« geltenden verstaatlichten Creditanstalt an die SPÖ-nahe Bank Austria. Der damalige ÖVP-Vorsitzende und Vizekanzler Wolfgang Schüssel soll in diesem Akt den entscheidenden Bruch zwischen SPÖ und ÖVP gesehen haben. Die neue Bank wurde schon 2000 von der Bayerischen HypoVereinsbank übernommen und ging gemeinsam mit dieser 2005 an die expansive italienische UniCredit. 2016 wurde das noch zu Zeiten der Creditanstalt ausgebaute Geschäft in Ost- und Ostmitteleuropa an die Muttergesellschaft abgegeben. Bei der nächsten Wahl, 1999, kamen FPÖ und ÖVP auf je gleich viele Mandate, die FPÖ hatte um einige hundert Stimmen mehr erhalten. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP waren äußerst mühsam, sie scheiterten zuletzt an der fehlenden Unterschrift eines SPÖ-Gewerkschafters. Nun präsentierte Schüssel dem Bundespräsidenten Thomas Klestil (1932–2004, als ÖVP-Kandidat Bundespräsident 1992–2004) eine Koalition aus ÖVP und FPÖ. Da beide Parteien gemeinsam über eine solide Mehrheit im Parlament verfügten, musste sie der unwillige Bundespräsident akzeptieren, er lehnte aber einige Minister ab und setzte eine Präambel für die Regierungserklärung durch, die ein Bekenntnis zu Europa, zu den europäischen Werten und zur Mitverantwortung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus enthielt. Die Präambel wurde von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider unterzeichnet. Der neuen Regierung begegnete massives Misstrauen im In- und Ausland. Noch jahrelang fanden wöchentlich Demonstrationen in Wien gegen sie statt. Das europäische Ausland reagierte konsterniert – wie konnte man mit einer Person wie Haider, dem eine gefährliche Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut nachgesagt wurde, koalieren ? Haider trat nicht in die Regierung ein, er blieb Landeshauptmann von Kärn-
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ten. Die Regierungen aller EU-Staaten beschlossen die Reduktion der Kontakte mit der Regierung Schüssel auf ein Minimum. Das nützte der Regierung nur, der es gelang, aus ihrer internationalen Isolierung Kapital zu schlagen. Nach einigen Monaten wurden die Sanktionen wieder aufgehoben. Versucht man, die Leistungen der Regierung Schüssel leidenschaftslos zu werten, so dürften die Entschädigungszahlungen für frühere Zwangsarbeiter in Österreich während der NS-Zeit besonders wichtig gewesen sein. Verhandlungen zwischen dem Regierungsbeauftragten der USA, Stuart Eizenstat, und der österreichischen Beauftragten, der früheren Präsidentin der Österreichischen Nationalbank, Maria Schaumayer (1931–2013), führten zu einem positiven Ergebnis. Bis 2005 wurden fast 132.000 Anträge bearbeitet und rund 352 Millionen € aus dem im Juli 2000 vom Nationalrat einstimmig beschlossenen und von der Republik ebenso wie von der Wirtschaft dotierten Versöhnungsfonds ausbezahlt. Ferner nahm die Regierung Schüssel mehrere Probleme wenigstens in Angriff, die bisher immer nur weitergeschleppt worden waren (Pensionsreform, Universitätsreform usw.). Insbesondere im Bereich der FPÖ-Minister machte sich allerdings nicht nur eine sehr einseitige Personalpolitik bemerkbar. Bei mehreren Privatisierungs- und Beschaffungsvorgängen (Verkauf einer dem Bund gehörenden Wohnungsgenossenschaft, Ankauf von Flugzeugen für das Bundesheer) wurden auch immer wieder Korruptionsvorwürfe laut. Einige Gerichtsverfahren waren 2019 immer noch anhängig. Die sachliche Dominanz der ÖVP innerhalb der Regierung (»ÖVP-Alleinregierung mit FPÖ-Behinderung«) führte zu einer Art Aufstand in der FPÖ, was 2002 zu vorgezogenen Neuwahlen führte. Schüssel gewann diese Wahlen überzeugend. Danach hätte auch die Chance einer anderen Koalition bestanden (z. B. schwarz – grün) ; das Scheitern dieser Möglichkeiten infolge der Ablehnung durch die grüne Basis führte zur Fortsetzung der ÖVP-FPÖKoalition bis zum Ende der Legislaturperiode 2006. 2004 wurde der Sozialdemokrat Heinz Fischer nach dem Tod Klestils – er starb knapp vor Ende seiner zweiten Amtsperiode – zum Bundespräsidenten gewählt, seine Wiederwahl 2010 war problemlos. 2016 wurde allerdings der frühere Parteivorsitzende der Grünen, Alexander van der Bellen, in einer Stichwahl gegen den freiheitlichen Norbert Hofer zum Bundespräsidenten gewählt ; die Kandidaten der traditionellen Regierungsparteien schieden schon im ersten Durchgang aus – ein Beleg für den Vertrauensschwund, dem die beiden traditionellen Regierungsparteien zu dieser Zeit ausgesetzt waren. Bei den nächsten Nationalratswahlen (2006) war wieder die SPÖ voran, Kanzler in der erneuerten SPÖ-ÖVP-Koalition wurde Alfred Gusenbauer (*1960). Schon im Dezember 2008 wurde er von Werner Faymann (*1960) abgelöst, der vorher auch schon das Amt des Parteiobmanns übernommen hatte. Faymann blieb Regierungschef bis Mai 2016. In die Zeit seiner Regierung fielen zwei Finanzkrisen und die Flüchtlingskrise. Die internationale Finanzkrise 2008 löste auch in Österreich eine Bankenkrise aus, die nur mit kräftigen Finanzspritzen des Bundes bewältigt werden konnte. Be-
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sonders betroffen war das Spitzeninstitut des Volksbankensektors. Nach einer ersten Hilfe des Bundes in der Höhe von mehreren Milliarden Euro waren späterhin noch weitere Stützungen nötig. 2009 folgte die Zahlungsunfähigkeit der Hypo-Alpe-Adria, jener Kärntner Regionalbank, die auf der Basis ziemlich unrealistischer Garantien des Landes Kärnten durch den damaligen Landeshauptmann Jörg Haider extrem rasch gewachsen war. 2007 kaufte sich hier die Bayerische Landesbank ein, die bald erkennen musste, dass sie dabei kein besonders gutes Geschäft gemacht hatte. Im Dezember 2009 verkauften die Bayern ihre Anteile an der Bank um einen Euro an die Republik Österreich. Sie hatten mehr als drei Milliarden Euro eingebüßt. Die Republik Österreich ließ sich ziemlich lange Zeit, erst 2015 wurde die »Heta Asset Resolution AG« gegründet und mit der Erstellung eines Abwicklungsplans betraut. Im Frühjahr 2019 wurde erwartet, dass die Heta bis 2023 rund 10,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf ihrer Vermögenswerte einnehmen werde. Aber auch bei Eintreten dieses günstigsten Falles werden an den österreichischen Steuerzahlern mehr als fünf Milliarden Euro hängen bleiben, die man ab 2009 in die Bank gesteckt hatte. Es ist klar, dass diese teuren Engagements der Regierung Faymann keine großen Sprünge erlaubten. Dennoch beschloss man – auf dem Weg zur von der ÖVP stets abgelehnten Einheitschule der Zehn- bis Vierzehnjährigen – die teure Umgestaltung der Hauptschule zur »Neuen Mittelschule«. Ferner wurde an der Stelle der bisherigen Sozialhilfe die bedarfsorientierte Mindestsicherung beschlossen, die Verlängerung der Gesetzgebungsperiode von vier auf fünf Jahre und die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Die Flüchtlingskrise 2015/16 löste zunächst eine breite Welle von Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft aus. Aber im unkontrollierten Durchschleusen von etwa einer Million Menschen nach Deutschland sahen andere Zeitgenossen ein massives Staatsversagen. Schließlich war im Zuge einer immer kritischeren Beurteilung dieser Ereignisse eine deutliche Wendung in der Haltung der Bevölkerung zu verspüren, aus der vor allem der Außenminister und spätere ÖVP-Obmann Sebastian Kurz die Konsequenz zog, die ÖVP etwas weiter rechts zu positionieren. Nach Faymann wurde Christian Kern Bundeskanzler einer weiteren Koalitionsregierung aus SPÖ und ÖVP. Neuwahlen im Oktober 2017 erbrachten einen klaren Erfolg für den neuen ÖVP-Obmann Sebastian Kurz. Von Dezember 2017 bis Mai 2019 war er Bundeskanzler einer Koalitionsregierung mit der FPÖ. Die Veröffentlichung eines Videos über ein eigenartiges Treffen in Ibiza zwischen zwei FPÖ-Politikern und einer angeblichen Nichte eines russischen Millionärs führte zum Ende dieser Koalition und zu Neuwahlen im September 2019. 2013 bis 2017 saßen im Parlament drei mittlere Parteien und zwei kleine neue Gruppierungen, die Grünen hielten mit mehr als 12 % eine Position dazwischen. Was war da geschehen ?
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– Erstens : Die österreichischen Wähler sind mobiler geworden. Jenes Wahlverhalten, dass man nach der Familientradition entweder »rot«, »schwarz« oder »national« (= deutschnational, also FPÖ) wählte, wich einer neuen Beweglichkeit. Man wählt die Kandidaten, die gerade aus verschiedenen Gründen, unter denen die TV-Tauglichkeit eine gewisse Rolle spielt, glaubwürdig oder sympathisch erscheinen. Viele wählen auch nicht (mehr). Auch die hohe Wahlbeteiligung ist Geschichte. – Zweitens : Die ständigen rot-schwarzen Koalitionsregierungen (1987–2000, 2007– 2017) verloren beim Wählervolk immer mehr an Attraktivität. Da SPÖ und ÖVP zwar eine ähnliche Politik machten, sich aber gleichzeitig verbal scharf voneinander abzugrenzen versuchten und in der Praxis erfolgreich danach trachteten, dem Koalitionspartner möglichst keinen großen politischen Erfolg zu erlauben, hatten ihre Wähler häufig das Gefühl, es sei nichts von dem, wofür man sich bei der Wahl entschieden hatte, durchsetzbar. Das führte zu Frustrationen und zu Wahlentscheidungen für Oppositionsparteien. – Drittens : Der Rechtspopulismus der FPÖ (später : BZÖ) unter Jörg Haider (1950– 2008) zog nicht nur die »Ehemaligen« (Nazis) und ihre Sympathisanten an, sondern weit darüber hinaus die Stimmen der so genannten »Modernisierungsverlierer«, verunsicherter Arbeiter (von der SPÖ) und konservativer Katholiken (von der ÖVP), denen der postkonziliare Katholizismus nicht gefällt. Das Wählerpotential hat sich bei 20 bis 25 % eingependelt. Haiders vollkommen ungenierte Wortwahl, von der »ordentlichen Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches« bis zur »ideologischen Missgeburt« der österreichischen Nation, fand Zuspruch bei allen jenen, die aus Familientradition oder unzureichendem Wissen über das Nazi-Reich nur dessen angeblich positive Seiten kannten (Autobahnbau, Beseitigung der Arbeitslosigkeit, »Entschuldung« der Bauern). Andererseits war Haider in seinen medialen Auftritten völlig modern. Er bewegte sich gerne in der gesellschaftlichen »Szene«. Außerdem drängte er seine alt-deutschnationalen Förderer aus der FPÖ hinaus. Besonders erfolgreich war er in Kärnten, wo er wiederum mit dem offenen oder unterschwelligen Appell an deutschnationale Ressentiments Erfolg hatte. Mit seinen großen Unternehmungen (Stadion, Seebühne) und einer Landesbank, die ihm die Mittel dafür lieferte und gleichzeitig ihre spätestens 2009 zu Tage tretende Zahlungsunfähigkeit vorbereitete, überzog er freilich die materiellen Möglichkeiten Kärntens bei Weitem. Sein früher Unfalltod (2008) beendete diese ungewöhnliche Karriere, nicht aber die Stärke der rechtspopulistischen FPÖ. – Viertens : Die Umweltbewegung etablierte sich nach Anlaufschwierigkeiten nach der Jahrtausendwende als Partei mit einem Potential von etwa 10–15 %, das sich sehr stark aus Menschen nichtsozialdemokratischer Herkunft mit Sympathien für Umweltschutz, biologisch gesunde Nahrungsmittel, Radfahren sowie mit starkem sozialem Verantwortungsgefühl rekrutiert. Die Grünen gelten daher auch als ty-
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pisch urbane »Bobo«-Partei (Bobo = Bourgeois-Bohemien) und Vertreterin »moderner« Minderheiten. Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind die Grünen in mehren Landesregierungen vertreten, in ganz verschiedenen Koalitionen. Bei der Wahl des Bundespräsidenten 2016 war ihr früherer Obmann Alexander van der Bellen überraschend erfolgreich. Denoch schieden sie aus dem Bundesparlament 1917 – ebenso überraschend – aus. Das ist in erster Linie die Folge einer Spaltung ihrer Wählerschaft, die mehrheitlich der Partei-Abspaltung »Liste Pilz« folgte, die den Einzug ins Parlament schaftte. Vielleicht haben die Grünen auch die Frustrationen zahlreicher Menschen in Österreich wegen der von ihnen akklamierten Ein- und Durchwanderung hunderttausender Menschen 2015/16 unterschätzt. – Fünftens : Daneben existieren offenbar immer noch Freiräume für kurzzeitig erfolgreiche, aber ephemere politische Erscheinungen wie die »Liste Frank«, die mit kaum definierten Werten, aber mit Argumenten gegen die Dauerkoalitionen aus SPÖ und ÖVP vorübergehend punkten konnten. Übrigens hat Frank Stronach (*1932), ein 1954 nach Kanada ausgewanderter Steirer, dort in kurzer Zeit einen überaus erfolgreichen Konzern aus Unternehmungen der Zulieferung zu Automobilfabrikationen geschaffen. Seit 1986 investierte er auch in Österreich. 2001 wurde das Unternehmen Magna-Steyr gegründet, dessen Hauptwerk in Graz liegt (das frühere PuchWerk). 2016 beschäftigte Magna-Steyr etwa 10.000 Mitarbeiter. Das politische Engagement war hingegen wenig dauerhaft. 11.5 Kritische Begleitung: Die Kultur der Zweiten Republik Als der Autor 1963 nach Wien kam, empfand er die Stadt als grau – vor allem die wegen des Mieterschutzes unrenovierten Häuser. Auch sonst war Vieles wenig attraktiv, etwa die Universitäts-Germanistik oder das Kulturangebot an Wochenenden. Burg und Oper boten Traditionelles, aber in guter Qualität. Immerhin gab es einige kleine Theater, an denen auch Ungewohntes geboten wurde, etwa Bert Brechts »Baal« durch Veit Relin im Atelier-Theater am Naschmarkt. Und im Theater an der Wien waren im Rahmen der Wiener Festwochen 1964 »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus zu sehen. Das wohl bedeutendste »kulturelle« Ereignis dieser Jahre war zweifellos das »Symposion 600. Gestaltung der Wirklichkeit«, das die Österreichische Hochschülerschaft an der Universität Wien zur 600-Jahr-Feier der Universität im Mai 1965 veranstaltete. Die Studenten waren gleichzeitig auch das höchst interessierte Publikum, das dabei (unter anderen) Vorträge und Dikussion von und mit Rudolf Augstein, Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch, Golo Mann oder Manès Sperber erleben konnte. Für die immer wiederkehrende Versorgung mit geistiger Nahrung sorgte die 1961 gegründete Österreichische Gesellschaft für Literatur unter der umsichtigen Leitung von Wolf-
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gang Kraus. Hier konnte man an Lesungen von Schriftstellern wie Elias Canetti oder Thomas Bernhard teilnehmen. Die Literatur wie überhaupt die Kultur der Nachkriegszeit sei, so der Tenor der Geschichtsschreibung, restaurativ gewesen. Nun hat dieses Urteil durchaus seine Berechtigung, obgleich man auch auf die sogleich zu nennenden Ausnahmen hinweisen muss. Aber ist restauratives Denken nach dem Unheil, das die großen Entwürfe des Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus über Europa gebracht hatten, nicht eine eher normale Reaktionsweise ? Man musste doch wohl erst wieder in die Traditionen zurückkehren, die zwischen 1933/1938 und 1945 verschüttet worden waren, ehe neue Aufbrüche möglich wurden. Das größte Romanwerk eines österreichischen Autors entstand freilich im amerikanischen Exil – Hermann Brochs »Tod des Vergil« (1945 in New York sowohl in englischer wie in deutscher Sprache erschienen), ein überaus komplexes Sprachkunstwerk, das die letzten Tage Vergils, seine Zweifel über die Gültigkeit der »Aeneis« und eine von Fieberschüben überschattete Rückschau auf sein Leben zum Thema hat. Broch starb 1951 in New Haven. Man hatte ihn nicht zurückgeholt. Im selben Jahr erschien »Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre« von Heimito von Doderer (1896–1966). Dieser große Roman ist ein Roman der Großstadt Wien. Seine Figuren entstammen durchwegs der guten Wiener Gesellschaft, aus der Doderer selbst kam. Sein Vater, ein höchst erfolgreicher Bauunternehmer, hatte zu den wohlhabendsten Männern Wiens gezählt. Der Roman spielt zeitlich sowohl vor wie nach dem Ersten Weltkrieg, räumlich in verschiedenen Zonen der Stadt, wobei die Strudlhofstiege, ein eleganter Stiegenbau aus dem Jahr 1910 – er verbindet einen tiefer gelegenen Stadtteil mit einem höheren – die Plattform für theatralische Auftritte bot. Doderer, vor dem Krieg Nationalsozialist, aber schon vor 1945 wieder davon distanziert, zeigte sich mit diesem Roman als wichtiger Mitarbeiter an der erfolgreichen Rekonstruktion eines versunkenen – und damit auch eines neuen ! – Österreich. Die zweibändigen »Dämonen«, 1956 erschienen, stellten den Brand des Justizpalastes in den Mittelpunkt mehrerer oft nur indirekt miteinander kunstvoll verflochtener Handlungsstränge. Seine überaus reiche Sprache ist an der klassischen Latinität geschult, die der Schriftsteller angeblich auch verwendete, um unerwünschte Kontakte abzukürzen. Während Doderer hier stellvertretend für jenen oben genannten restaurativen künstlerischen Habitus steht, ist für die Literatur der Zweiten Republik doch von Beginn an auch eine andere, Politik und gesellschaftliche Entwicklung kritisch begleitende Literatur typisch gewesen. Dabei spielten Frauen eine bedeutsame Rolle. Der erste Roman dieser Richtung nach 1945 war »Die größere Hoffnung« von Ilse Aichinger (1921–2016). Er beschreibt das Leben einer jugendlichen Halbjüdin, fast noch ein Kind, im nationalsozialistischen Wien. Schon 1945 hatte Ilse Aichinger eine Kurzgeschichte über Konzentrationslager geschrieben. Ihre geliebte Großmutter war deportiert worden. Der Kritiker, Übersetzer und Förderer junger Schriftstellerinnen (aber
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auch Schriftsteller), Hans Weigel (1908–1991), schrieb einmal pointiert, die österreichische Literatur nach 1945 habe mit Ilse Aichinger überhaupt erst begonnen. Weitere Verbreitung und größere Bekanntheit erlangte die Lyrikerin und Novellistin Ingeborg Bachmann (1926–1973). Sie stammte aus Klagenfurt, studierte unter anderem in Graz, Innsbruck und Wien. 1953 erhielt sie den Literaturpreis der die deutsche Gegenwartsliteratur repräsentierenden »Gruppe 47« für den Gedichtband »Die gestundete Zeit«. Sie war mit Hans Weigel, kurz auch mit der großen, tragischen Persönlichkeit von Paul Celan (1920–1970) verbunden. Im Band »Das dreißigste Jahr« thematisierte sie ihre Herkunft in der kurzen Erzählung »Jugend in einer österreichischen Stadt«. Sie kam nur mehr hierher, »um hinaus zu den Gräbern zu kommen, ein Durchreisender, dem niemand seine Herkunft ansieht«. 1958 traf sie den Schweizer Autor Max Frisch, mit dem sie bis 1963 in konfliktreicher Zuneigung verbunden blieb. 1971 erschien ihr Roman »Malina«. Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosa-Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Erst relativ spät wurde Friederike Mayröcker (*1924) bekannt, die zahlreiche Gedichte, Hörspiele, Prosa in einer oft rätselhaften, frei assoziierenden Sprache verfasste. Den Hang zum spielerischen Umgang mit der Sprache teilte sie mit ihrem langjährigen Lebensgefährten, dem Lyriker Ernst Jandl (1925–2000). Sein vielleicht bekanntestes Gedicht über den Wiener Heldenplatz während Hitlers Rede (15. März 1938) thematisiert die quasireligiöse Heilserwartung der auf dem Heldenplatz versammelten Massen in einer verfremdenden Sprache, die man aber denoch sofort versteht. Er war von Beruf Gymnasialprofessor und stand in den 1950er Jahren in Kontakt mit der »Wiener Gruppe« um H. C. Artmann (1921–2000), Conrad Bayer (1932–1964), Gerhard Rühm (*1930), Oswald Wiener (*1935) und Friedrich Achleitner (*1930), die ebenfalls über sprachliche Experimente den Geltungsbereich der Sprache assoziativ erweiterten. Artmanns erste Berühmtheit verdankte er in den 1950er Jahren seinen Gedichten im Wiener Dialekt ; später arbeitete er weiterhin als Lyriker, aber auch als Übersetzer und Hörspielautor. Conrad Bayer verwendete in seinem Roman »Der Kopf des Vitus Bering« die Technik der Textmontage und Collage. Die Ablehnung dieses Werkes durch die »Gruppe 47« war wohl mitverantwortlich für seinen Freitod. Gerhard Rühm schuf ein äußerst umfangreiches Werk, das die Grenzen zwischen Musik, Sprache und anderen Darstellungsformen bewusst überschritt. Als Professor lehrte er in Hamburg. Oswald Wiener (*1935) war Jazzmusiker und später Computerfachmann (bei Olivetti), publizierte 1969 seinen umfangreichen Text »Die Verbesserung von Mitteleuropa«, die eine lange Doderer-Paraphrase mit heftigen Wutausbrüchen enthält, und versucht, die Auswirkungen neuer Technologien auf menschliche Existenzweisen zu überprüfen. Er war Professor in Düsseldorf. Schließlich Friedrich Achleitner (1930 – 2019) : Der studierte und diplomierte Architekt experimentierte einige Jahre ebenfalls in lyrischen Formen mit der Sprache, wendete sich später aber der Architekturkritik und der Dokumenta-
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tion der modernen Architektur in Österreich zu. Dazu erschienen von 1980 bis 2010 drei (eigentlich fünf, Wien beansprucht drei Teilbände) voluminöse Bände, den vierten wollte (und konnte) er nicht mehr selbst verfassen. Während die Wiener Gruppe in den frühen 1960er Jahren – auch wegen der akademischen Etablierung ihrer Mitglieder – zerfiel, entstand ein neues literarisches Zentrum in Graz. Mit dem Ziel der Erhaltung des – damals leerstehenden – Café Stadtpark 1959 bildete sich das »Forum Stadtpark« als neue Heimat der literarischen Avantgarde, die sich zunächst um die bis heute erscheinende Literaturzeitschrift »manuskripte« gruppierte. Sie wurde von Alfred Kolleritsch (*1931) gegründet und durch viele Jahre geleitet. Hier publizierten u. a. Artmann, Bayer, der Dramatiker Wolfgang Bauer (1941–2005, »Magic Afternoon« 1968, »Change« 1969 u. a.), die spätere Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (*1946 in Mürzzuschlag, Nobelpreis für Literatur 2004) und Peter Handke (*1942 in Griffen). Handke gilt heute als einer der Großmeister der deutschsprachigen Literatur. Er schrieb mehr als 30 Prosawerke und zahlreiche Dramen. Seine Werkausgabe umfasst inzwischen 14 Bände. Seine Mutter, der er einen ergreifenden Nachruf widmete (»Wunschloses Unglück«, 1972), war eine Kärntner Slowenin, der Vater stammte aus Deutschland ; einen Teil seiner Kindheit verbrachte Handke daher in Berlin. Nach der Matura in Klagenfurt studierte er in Graz, wo auch seine ersten größeren Texte entstanden. 1966 erregte er mit dem Theaterstück »Publikumsbeschimpfung« Aufsehen, im gleichen Jahr erschien der erste Roman, »Hornissen«. Noch im selben Jahr gelang ihm bei einem Treffen der Gruppe 47 in Princeton ein kleiner Skandal, als er den versammelten Autoren »Beschreibungsimpotenz« vorwarf. Es mag wohl mit der Enge seiner Kärntner Herkunft zusammenhängen, dass er das benachbarte Jugoslawien Titos als eine Art Hoffnungsraum betrachtete, in dem er seine »Weltreise« begann (von Jesenice aus und dorthin zuletzt wieder zurückkehrend), und den er wohl auch noch in seinem vielfach und heftig kritisierten Eintreten für Serbien (»Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien«, 1996) zumindest erinnernd erhalten wollte. Handke ist auch als Dramatiker (»Kaspar« 1968, »Der Ritt über den Bodensee«, 1971 u. v. a. m.) und als Übersetzer aus dem Englischen, Französischen, Slowenischen und Altgriechischen tätig. »Der Zögling Tjaž« von Florjan Lipuš (*1937) wurde von ihm und Helga Mračnikar ins Deutsche übertragen. Handke liebt lange Titel wie »Die Unschudigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße« (2016). Während Handke, abgesehen von seinem Eintreten für Serbien, eher einer irenischen Haltung zuneigt, gibt sich die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kämpferisch. Für die sehr musikalische Jelinek wurde als Kind die Karriere eines musikalischen Wunderkindes vorgesehen. Mit der von ihr schließlich nicht ergriffenen musikalischen Karriere setzt sich auch eines ihrer erfolgreichen Bücher, »Die Klavierpielerin« (1983), auseinander. Sie schrieb auch zahlreiche Dramen, von denen wir hier nur jenes nennen, das
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sich mit dem Schicksal von Clara Schumann (»Clara S., musikalische Tragödie«, 1982) auseinandersetzt. Während sie als Mitglied der KPÖ zunächst »nur« den Kapitalismus bekämpfte, konzentrierte sie sich später einerseits auf Probleme der sexuellen Emanzipation der Frau und – fast noch intensiver – auf die von ihr immer wieder kritisierte Verdrängung des Nazi-Erbes in Österreich. Stellvertretend dafür mag »Rechnitz (Der Würgengel)« (2008) stehen, der den Mord an zahlreichen jüdischen Zwangsarbeitern im burgenländischen Ort Rechnitz knapp vor Kriegsende thematisiert. Das Nobelpreis-Komitee würdigte den »musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen« und die »einzigartige sprachliche Leidenschaft«, mit der sie die »Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees« enthüllt. Das Land, die »Provinz«, die schon in der Ersten Republik literarisch auf sich aufmerksam machte, fand ihre literarische Beschreibung nicht nur in Kärnten, wo neben Handke und Florjan Lipuš vor allem Josef Winkler (*1953) die Enge, Gewaltsamkeit, Stummheit und Bildungsferne seines bäuerlichen Herkunftsmilieus thematisiert. Winkler besuchte durch acht Jahre die Volksschule, dann eine Handelsschule und später eine Handelsakadamie und arbeitete von 1973 bis 1983 in der Verwaltung der damals jungen Universität in Klagenfurt. Hier arbeitete er mit dem Altgermanisten und Schriftsteller Alois Brandstetter (*1938) zusammen. Winklers bisheriges Hauptwerk ist neben zahlreichen anderen Prosatexten die Romantrilogie »Das wilde Kärnten«, die er 1995 abschloss. Sie besteht aus drei Romanen : »Menschenkind« (1979), »Der Ackermann aus Kärnten« und »Muttersprache«. Auch Alois Brandstetter kam vom Land, aus Oberösterreich, wurde jedoch Wissenschaftler (Altgermanist) und Universitätsprofessor. Seine breite Bildung äußert sich in den stets monologischen Texten in zahllosen gelehrten Abschweifungen, die freilich immer von einem hintergründigen Humor geprägt bleiben. Seiner ländlichen Herkunft widmete er mit dem Roman »Die Mühle« (1981) eine ausführliche Würdigung. Und während in der »Abtei« (1977) ein berühmtes oberösterreichisches Kloster (aus dem man angeblich ein berühmten Kelch gestohlen hatte, es handelte sich also um Kremsmünster) zum Thema wurde, beleuchtet er in der »Burg« (1986) das Scheitern eines Wissenschaftlers an seiner Habilitationsarbeit, weil jener sich lieber dem Bau eines enormen Modells einer mittelalterlichen Burg widmete. Brandstetter publiziert weiterhin eifrig. Eines seiner frühesten Werke hieß »Zu Lasten der Briefträger« (1974), die angeblich immer wichtige Poststücke verschwinden ließen. 2011 veröffentlichte er dagegen eine Erzählung »Zur Entlastung der Briefträger.« Eine monologisierende Darstellungsweise verwendete in seinen Prosatexten auch der Salzburger Thomas Bernhard (1931–1989). Sein erster großer Roman, »Frost« (1963), schneidet sein Leitthema an : den Tod, das Sterben. Den schon mit 18 Jahren todkrank gewesenen Bernhard sollte dieses Thema nie verlassen. In mehreren Titeln nimmt er direkt darauf Bezug : »Der Untergeher« (1983), »Auslöschung. Ein Zerfall« (1986). In
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anderen Büchern setzt er sich mit seiner schwierigen Kindheit und Jugend auseinander (»Der Keller«, 1976, »Ein Kind«, 1982). Bernhard war auch als Dramatiker erfolgreich. Die Verbindung mit dem Theater begann 1970 mit »Ein Fest für Boris«, dann folgten »Der Ignorant und die Wahnsinnige« (1972), »Jagdgesellschaft« (1974), »Der Theatermacher« (1984). Am Burgtheater hatte unter Claus Peymanns Regie 1988 das Drama »Heldenplatz« seine skandalumwitterte Premiere. Die massive Österreich-Kritik – die Bernhard, wie schon angedeutet, mit nicht wenigen seiner Schriftstellerkollegen teilte – löste heftige Gegenstimmen, ja sogar Protestaktionen wie das Abladen von Mist vor dem Burgtheater aus. Im Zentrum des Stückes stehen ein kürzlich verstorbener Professor, dessen Begräbnis bevorsteht, der Bruder des Professors und eine Haushaltshilfe, die in einem langen Monolog (beim Bügeln) an dem Verstorbenen kein gutes Haar lässt. Die Pointe besteht darin, dass der Schauplatz der Handlung eine Wohnung mit Blick zum Heldenplatz in Wien ist und dass die beiden Brüder aus dem Exil zurückgekehrte Juden sind. Zuletzt ertönt – in der Einbildung der Trauergesellschaft – vom Heldenplatz her das frenetische Gebrüll aus dem Jahr 1938. Wie alle Texte Bernhards lebt auch der »Heldenplatz« von der häufigen, übertreibenden Wiederholung abfälliger Urteile über alles und jedes. Mit seinen Pauschalbeschimpfungen beraubt sich Bernhard freilich auch wieder der Wirkung seiner Polemik – denn wenn alles fürchterlich und alles entsetzlich ist, wenn alle Instanzen von den Parteien bis zur katholischen Kirche schuld sind an all dem Entsetzlichen, das Bernhard freilich eher diffus und wenig konkret anprangert, fällt die satirische Wirkung in sich zusammen. Bernhards öffentliche Wirkung lebte von den Skandalen, die er bewusst provozierte, wobei ihm nicht wenige Persönlichkeiten und die Boulevard-Presse bereitwillig auf den Leim gingen. Es begann mit dem Skandal bei der Verleihung des österreichischen Staatspreises für Literatur 1968, als auf Bernhards Dankrede für den Preis (»Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt …«, später folgte dann massive Kritik am Staat, an der Politik usw.) der Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević empört den Saal verließ. Diese Art von Skandalen gehört beinahe zum Ritual der Zweiten Republik. Schon die Wiener Gruppe war mit ihren Wortspielen in den späten 1950er Jahren als skandalös empfunden worden. Erhebliche Aufregung erzeugte eine 1961 auch im Fernsehen ausgestrahlte Kabarettnummer von Carl Merz (1906–1979) und Helmut Qualtinger (1928–1986), »Der Herr Karl«. In einem längeren Monolog erzählt der Herr Karl sein Leben seit den 1930er Jahren. Als Bewohner einer Gemeindewohnung des »Roten Wien« gehörte er zur typischen Klientel jener Bauten (»Bis Vieradreißig war i Sozialist«). Doch als es schlecht ging, demonstrierte er für ein paar Schilling auch für die Heimwehren oder später für die Nazis. 1938 begeisterte er sich für den »Führer«. Er selbst »führte« den Juden Tennenbaum zum Trottoir, wo Juden antinazistische Parolen wegwischen mussten. Nach dem Krieg erwiderte der zurückgekehrte Tennenbaum den Gruß des Herrn Karl nicht. Aber : »Irgendwer hätt’s ja wegwischen müssen«. Die Na-
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zis machten ihn im Gemeindebau zum Blockwart, womit er erhebliche Macht erhielt. 1945 zertrat er das Hitlerbild demonstrativ vor den sowjetischen Soldaten, statt es geheim wegzuwerfen – und schon war er bei den neuen Herren beliebt. Immer schwamm der Herr Karl irgendwie mit, der klassische Opportunist aus kleinen Verhältnissen. In seinen Beziehungen mit Frauen nutzte er deren Geld und Arbeitskraft aus. Er sah sich selbst natürlich als typisches österreichisches Opfer der Zeit und der Verhältnisse. Das Echo auf den »Herrn Karl«, der in der satirischen Tradition der »Letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus steht, war helle Empörung. Inzwischen gilt diese Kabarettnummer als Klassiker dieses Genres. Noch stärker als in der Ersten Republik fällt die Herkunft der meisten jüngeren Autorinnen und Autoren aus den Bundesländern auf. Nur Eva und Robert Menasse stammen aus Wien. Neben den von uns bereits ausführlicher gewürdigten Autorinnen und Autoren wären – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – jedenfalls noch Franzobel (*1967, zahlreiche Werke, zuletzt »Das Floß der Medusa«, Roman, 2017), Daniel Kehlmann (*1975, deutsch-österreichischer Doppelstaatsbürger, »Die Vermessung der Welt«, Roman über Alexander von Humboldt und Friedrich Gauß, 2005, »Die Reise der Verlorenen«, Drama, 2018) oder Erich Hackl (*1945, Übersetzer aus dem Spanischen, beschäftigt sich mit Opfern von Nationalsozialismus und Faschismus, berührend : »Dieses Buch gehört meiner Mutter«, 2013) zu nennen. Breitere Bekanntheit erlangten Thomas Glavinic (*1972, Romane »Die Kameramörder« 2001, »Wie man leben soll« 2004, »Das bin doch ich« 2007, »Der Jonas-Komplex« 2016), oder Michael Köhlmeier (*1949), der ein breites Publikum durch seine freien Nacherzählungen antiker Mythen, des Nibelungenliedes, aber auch des Lebens Jesu faszinierte. Daneben schrieb er zahlreiche Romane : Hier sei nur genannt »Zwei Herren am Strand«, 2014 ; darin thematisiert Köhlmeier die Beziehung zwischen Winston Churchill und Charlie Chaplin. Eva Menasse (*1970) erzielte einen großen Erfolg mit »Vienna« (2005) ; 2011 folgte »Wien, Küss die Hand, Moderne«. Ihr älterer Halbbruder Robert Menasse (*1954) schrieb zahlreiche Essays und Romane wie »Schubumkehr« (1995) oder die »Vertreibung aus der Hölle« (2001). 2017 erschien »Die Hauptstadt«, der als erster Roman Brüssel als EU-Hauptstadt thematisiert. Andreas Okopenko (1930–2010) war in erster Linie Lyriker, sein Gedichtband »Warum sind die Latrinen so traurig« (1969) faszinierte den Autor dieser Zeilen zur Zeit seiner Erscheinung. Martin Pollack (*1944), Slawist, beschäftigt sich häufig mit Polen bzw. Galizien ; 2004 erschien sein Roman »Der Tote im Bunker«, der das Leben seines Vaters thematisiert, eines SS-Offiziers, der seinerseits aus Laško in Slowenien stammte. Doron Rabinovici (*1961), geboren in Tel Aviv, seit 1964 in Wien, studierter Historiker, beschrieb in seiner historischen Dissertation »Instanzen der Ohnmacht« (2000) über den Ältestenrat der Wiener Juden während der Zeit der Deportationen die fürchterliche Zwangslage, in der sich diese letzte Vertretung des Wiener Judentums befand ; 2004 erschien der Roman »Ohnehin«,
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2010 »Andernorts«. Christoph Ransmayr (*1954) kombiniert in seinen Romanen reale Ereignisse mit fiktiven, so in »Die Schrecken des Eises und der Finsternis«, 1984, die österreichisch-ungarische Arktis-Expedition der Jahre 1872/74. 1995 setzte er sich in »Morbus Kitahara« mit den Folgen des Konzentrationslagers Ebensee für die Bewohner der Region auseinander. Kathrin Röggla (*1971) widmet sich sprachlichen Experimenten, 2004 erschien der Roman »Wir schlafen nicht«. Als Lyriker begann Robert Schindl (*1944), sein Roman »Kassandra« aus dem Jahr 1979 wurde 2004 neu aufgelegt. 1995 erschien »Gott schütz uns vor den guten Menschen. Jüdisches Gedächtnis – Auskunftsbüro der Angst«. Der sprachgewandte Raoul Schrott (*1964), beschäftigt sich mit Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen, etwa des Gilgamesch-Epos, 1995 erschien der Roman »Finis Terrae – ein Nachlass«. Der jüngste der hier zu nennenden Autoren ist Clemens Setz (*1982). 2012 erschien der Roman »Indigo«, 2014 ein erster Gedichtband »Die Vogelstraußtrompete«. Marlene Streeruwitz (*1950) versteht sich als feministische Schriftstellerin, bekannte Romane sind »Nachwelt« (1999), »Partygirl« (2002), »Jessica.30« (2004), »Nachkommmen« (2014). Eine besondere Position nimmt Maja Haderlap (*1961) ein. Die langjährige Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt publizierte früh Gedichte in ihrer slowenischen Muttersprache (Žalik pesmi 1983). 2011 erschien ihr Roman »Engel des Vergessens«. Darin thematisiert sie den Widerstand Kärntner Slowenen gegen Hitler und das Nachleben der damaligen Frontstellungen. Haderlap übersetzte auch die Werke mehrerer slowenischer Autoren ins Deutsche. Auch die Bildende Kunst hatte ihre Skandale. Das Jahr 1968 wird in Österreich mit der so genannten »Uni-Ferkelei« verbunden, einer Aktion mehrerer Künstler in einem Hörsaal der Wiener Universität, in der jene auf offener Bühne Urin und sonstige körperliche Produkte absonderten – das führte allerdings zu gerichtlichen Verurteilungen. Inzwischen ist der Wiener Aktionismus zur anerkannten Kunstrichtung geworden. Die »Orgien-Mysterien-Spiele« von Hermann Nitsch (*1938), bei denen das Blut frisch geschlachteter Tiere eine Hauptrolle spielt, finden inzwischen auf einem Schloss des Künstlers statt. Die Bildende Kunst hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls ihre »restaurative« Periode. Sie war nicht nur von Künstlern geprägt, die schon vor 1938 gearbeitet hatten, wie Albert Paris Gütersloh (1887–1973). Eine ganz eigenartige Kunstrichtung vertraten die von Gütersloh beeinflussten Maler der Wiener Schule des phantastischen Realismus. Sie malten technisch perfekt, mit erkennbaren Sujets, die freilich in einem phantastischen Raum situiert wurden. Ihre Bilder wirken wie Traumbilder, oft surreal, zuweilen in einem ganz einfachen Sinn »schön«. Die wichtigsten Vertreter dieser auch materiell überaus erfolgreichen Richtung sind Arik (Erich) Brauer (*1929), Ernst Fuchs (1930–2015), Wolfgang Hutter (1928–2014, ein Sohn Güterslohs), Rudolf Hausner (1914–1995) und Anton Lehmden (1929–2018). Während Hutter meisterli-
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che Blumen- und Pflanzenbilder malte, stellte Hausner sein Selbstporträt als »Adam« immer wieder ins Zentrum seiner Bilder. Lehmden thematisierte mit »Panzerschlacht« traumatische Kriegserfahrungen. Ein Riesenmosaik von Lehmden ziert eine U-BahnStation in Wien. Fuchs schuf sich in der von Otto Wagner geschaffenen Villa in WienHütteldorf sein eigenes Museum. Als Gegenpole zu den phantastischen Realisten sind die Vertreter von expressionistischen und letztlich bis zur vollständigen Abstraktion vorstoßenden Richtungen zu nennen, wie Markus Prachensky (1932–2011), Wolfgang Hollegha (*1929), Josef Mikl (1929–2008) und Arnulf Rainer (*1929). Hollegha gilt als einer der bedeutendsten abstrakten Maler Österreichs, dessen kräftige Farbkompositionen starke Eindrücke hinterlassen. Mikl wurde 1992 nach dem Brand des großen Redoutensaals in der Wiener Hofburg die künstlerische Neugestaltung dieses Raumes aufgetragen. Arnulf Rainer wurde durch seine Übermalungen bekannt und gilt heute wohl als der international renommierteste Maler Österreichs. Er lebte durch mehrere Jahre mit der etwas älteren Maria Lassnigg (1919–2014) zusammen, einer Kärntnerin, deren Kunstwerke versuchten, die Empfindungen insbesondere des weiblichen Körpers sichtbar zu machen. Damit dürfte sie wahrscheinlich die innovativste Malerin der zweiten Jahrhunderthälte des 20. Jahrhunderts in Österreich gewesen sein. 11.6 Die österreichische Gesellschaft um die Jahrtausendwende Die Gliederung der österreichischen Gesellschaft nach den großen Wirtschaftssektoren änderte sich zwischen 1918 und 1938 nur wenig. Die ökonomischen und politischen Krisen bremsten den sozialen Wandel. Neben der großen offenen Arbeitslosigkeit muss man in den 1930er Jahren auch mit einer verbreiteten versteckten Arbeitslosigkeit in den Agrarregionen rechnen. Hier warteten zahlreiche Knechte, Mägde oder Bauernkinder auf die Abwanderung aus der Landwirtschaft, die aber wegen der Stockungen in der Industrie nicht möglich war. Erst die nationalsozialistische Herrschaft brachte Bewegung in die gesellschaftliche Entwicklung. Der Anteil der industriellen Bevölkerung stieg deutlich an, der Agrarsektor ebenso wie der Dienstleistungsbereich gaben Arbeitskräfte ab. 1934 gehörten 27 % der österreichischen Bevölkerung zur Land- und Forstwirtschaft, 1971 waren es nur mehr 10 %, 1991 4 %. Der industriell-gewerbliche Bevölkerungsanteil, 1934 schon mit 31 % der relativ größte, wuchs bis 1951 nochmals an (auf 35 %), um dann bis 1971 auf diesem Stand zu verharren. Bis 1981 sank dieser Anteil auf 31 %, bis 1993 auf knappe 27 %. Dagegen sank der Anteil des tertiären Sektors (oder besser : der verschiedenen und verschiedenartigen Bereiche des tertiären Sektors) von 27 % (1934) bis 1951 auf weniger als 25 %, um seither auf etwa 36 % (1981)
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bzw. fast 43 % (1993) der Bevölkerung anzusteigen. Heute gehört die große Mehrheit dem tertiären Bereich an. 11.6.1 Erwerbsquote und Beschäftigtenstruktur
Trotz des seit den 1970er Jahren zu beobachtenden Rückganges an Industriebeschäftigten erhöhte sich die Erwerbsquote (also der Anteil der Erwerbstätigen an der jeweiligen Grundgesamtheit) langsam, aber stetig. 1995 waren mehr als 3,6 Millionen Menschen erwerbstätig, also fast eine halbe Million Menschen mehr als 1981. 2014 waren es bereits etwas mehr als vier Millionen, im Jahresdurchschnitt 2018 gab es nach dem Mikrozensus 4,3 Millionen Erwerbstätige. Tab. 19 Berufspositionen 1981 Sektor Land- und Forstwirtschaft Verteilung im Sektor Anteil an der Berufsposition Bergbau, Gewerbe und Industrie Verteilung im Sektor Anteil an der Berufsposition Dienstleistungen Verteilung im Sektor
Selbstständige
Mithelfende
Angestellte/ Beamte
Arbeiter
Summe
173.000
104.600
9.200
31.700
318.500
54 %
33 %
3 %
10 %
100 %
46 %
75 %
1 %
2 %
10 %
64.400
9.300
346.400
854.200
1.274.300
5 %
1 %
27 %
67 %
100 %
17 %
7 %
24 %
70 %
40 %
141.900
25.900
1.066.000
340.500
1.574.300
9 %
2 %
68 %
21 %
100 %
Anteil an der Berufsposition
37 %
18 %
75 %
28 %
50 %
Berufsposition
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
379.300
139.800
1.421.600
1.226.400
3.167.100
12 %
4 %
45 %
39 %
100 %
Summe Anteil an den Berufsträgern
Bis 1995 sank die Zahl der Selbstständigen und Mithelfenden von etwa 520.000 (1981) auf etwa 490.000 Personen, von diesen waren etwa 240.000 in der Land- und Forstwirtschaft tätig, 250.000 in Handel, Gewerbe, Dienstleistungen, Industrie. Durch das Schrumpfen der Land- und Forstwirtschaft kam es zu einem weiteren Rückgang an bäuerlichen Selbstständigen. Die Zahl der gewerblichen Selbstständigen hat sich hingegen stabilisiert, insgesamt gibt es heute mehr Selbstständige als 1981. Das hängt zweifellos mit dem Phänomen der »neuen Selbstständigkeit« zusammen, die bei reduzierter Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes für den Öffentlichen Dienst und ebenso reduzierter Bereitschaft von Unternehmen zur Aufnahme neuer Arbeitskräfte einen
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Die Zweite Republik
Teil des »neuen« Arbeitskräftepotentials beschäftigt. Die Zahl der Unselbstständigen stieg hingegen stark und überschritt bereits 1992 die Drei-Millionen-Grenze (1981 : etwa 2,6 Millionen). 1960 waren fast zwei Drittel (64 %) aller Unselbstständigen Arbeiterinnen und Arbeiter, 1995 aber nur mehr 43 %. Die sinkenden Zahlen der Industrie-Beschäftigten zeigen aber keineswegs einen Verlust an ökonomischem Gewicht. Wirtschaftlich sind die Industrie und das produzierende Gewerbe nach wie vor äußerst wichtig. Innerhalb der Güterproduktion verlagern sich aber die Beschäftigungsverhältnisse von der manuellen Arbeit hin zu Planungs-, Regelungs- und Kontrollfunktionen : Die fortschreitende Automatisierung der Produktion erfordert immer mehr Spezialisten, die selbsttätig arbeitende Maschinen konstruieren, steuern und kontrollieren können, und immer weniger handwerkliche Könner oder gar unqualifizierte Fließbandarbeiter. 1997 standen etwa 600.000 Berufstätige im öffentlichen Dienst, also fast jeder fünfte Berufstätige. Der gesamte »Sektor Staat« beschäftigte nach Schätzungen der Statistik Austria wie der OECD 2013 rund 574.000 »Vollbeschäftigungspositionen«. 11.6.2 Wandel in der Arbeitswelt
Einen viel genaueren Einblick in den Wandel in der Arbeitswelt von etwa 1990 bis 2010 bietet eine Studie von Michael Mesch über den Wandel in der Berufs- und Branchenstruktur der Beschäftigung in Österreich 1991–2012 (Wien 2015). Knapp zusammengefasst zeigt die Studie folgende Ergebnisse : – Die Berufsstruktur der Beschäftigung in Österreich verschob sich zwischen 1991 und 2012 sehr deutlich zugunsten der hoch qualifizierten Angestelltenberufe. Schon fast 39 % der Berufstätigen waren 2011/12 den Angestelltenberufen mit mindestens Maturaniveau zuzuordnen. Der Anteil der akademischen Berufe an allen Beschäftigten stieg von 4 % 1991 auf 11 % 2009/10. Es ist dies ein klarer Beleg für den wirtschaftlichen Strukturwandel in Richtung wissens- und humankapitalintensiver Aktivitäten. Auch die technischen und nichttechnischen Fachkräfte nahmen anteilsmäßig von 17 auf 21 % zu. – Der berufliche Strukturwandel zwischen 1990 und 2010 ging vor allem zu Lasten der mittel qualifizierten Fertigungsberufe, der Handwerker und der Bediener von Anlagen und Maschinen. Ihr Anteil sank von 27 % auf 19 %. Auch Hilfsarbeitskräfte werden immer weniger gebraucht – ihre Quote an den Berufstätigen sank von 12 auf 10 %. – Vergleicht man den Dienstleistungssektor (70 % der Erwerbstätigen) mit der Sachgüterproduktion, so wachsen in beiden Sektoren jene Branchen am stärksten, die wissensintensiv sind.
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Die österreichische Gesellschaft war nach 1945 durch die häufig lange Dauer von Arbeits- und Anstellungsverhältnissen gekennzeichnet. Man arbeitete nicht selten von der Lehrzeit bis zur Pension im selben Betrieb, zumindest aber in derselben Branche. Diese Stabilität vermittelte ein starkes Gefühl sozialer Sicherheit. Eine – stille – Verabredung ging dahin, dass man nach langer Zeit im Betrieb mit Recht eine Frühpension anstreben könne : 1970 gingen Frauen im Durchschnitt mit 60,4 Jahren in Pension, Männer mit 61,9 Jahren. 2010 gingen Frauen mit 57,1 Jahren in Pension, Männer mit 59,1. 1970 betrug die Pensionserwartung bei Frauen 18,8 Jahre, bei Männern weniger als 15. Im Jahre 2010 betrugen diese Zeiten bei Frauen 25,3 Jahre, bei Männern 21,40 Jahre ! Es ist dies eine Folge der erfreulicherweise stetig wachsenden Lebenserwartung. 11.6.3 Die alternde Gesellschaft
Um 1970 geborene Männer konnten erwarten, im Durchschnitt etwa 67 Jahre alt zu werden, 2010/12 betrug die Lebenserwartung für Männer bereits fast 78 Jahre. Frauen werden noch älter : Um 1970 konnten sie auf fast 74 Jahre hoffen, 2010/12 auf mehr als 83 Jahre. Da die Kinderzahlen seit den späten 1960er Jahren stark zurückgehen, reproduziert sich die österreichische Gesellschaft nicht mehr : Die Gesamtfertilitätsrate von 1,4 Kindern pro Frau liegt deutlich unter dem »Bestandserhaltungsniveau« von 2,1 Kindern. Die Altersgruppe der Unter-Zwanzigjährigen schrumpfte von 1970 bis 2000 von 31 auf 23 Prozent. Die Bevölkerung wächst zwar durch Zuwanderung, das Altern der Gesellschaft wird dadurch aber nicht verhindert. Während bis ins 20. Jahrhundert die meisten Menschen im Arbeitsleben starben und nur wenige Mitglieder der oberen Gesellschaftsklassen ein bequemes Alter erwarten konnten, ist es in unserer Gegenwart völlig anders geworden. Die meisten Menschen haben nach dem Berufsleben noch zwei, zuweilen sogar drei Jahrzehnte ihres Lebens vor sich. Man spricht, nach Jugend und Berufsleben, vom »dritten Alter«, in dem Menschen in der Regel selbstständig leben können, in einem als positiv empfundenen Lebensabschnitt. Erst im 9. Lebensjahrzehnt (je nach individueller Befindlichkeit) kommt der vierte Lebensabschnitt, das »hohe Alter«, in dem endgültig das mühselige Greisendasein einsetzt. Eine ganze große Wirtschaftssparte lebt von an ferneren oder näheren Ländern oder Städten interessierten reiselustigen Senioren. Während also die Nachfrage in alternden Gesellschaften bei gewissen Produkten lahmt (etwa bei Kinderspielzeug), blühen andere Zweige auf. Ein ausgesprochener Wachstumsposten sind Pflegeausgaben. Die »Senioren« sind daher, volkswirtschaftlich gesehen, nicht nur ein Passivposten, weil die Pensions- und Pflegelasten von den Versicherten nur zum Teil getragen werden, sondern sie geben das ihnen überwiesene Geld wieder aus, unter anderem auch zur Unterstützung der nächsten bzw.
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übernächsten Generation. Aber auch Pflegeausgaben werden ja sogleich wieder in den wirtschaftlichen Kreislauf eingespeist. 11.6.4 Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland
Die jüngere Geschichte Österreichs wurde stark von Migrationsbewegungen geprägt. In der Ersten Republik stand die Auswanderung im Vordergrund – etwa 60.000 Menschen wanderten aus dem klein gewordenen Österreich mit seinen verminderten sozialen Chancen aus. 1938/39 flohen etwa 125.000 Juden, aber auch tausende aus anderen Gründen Verfolgte aus der »angeschlossenen« Heimat. 1945 war ein besonders heftiges Migrationsjahr : Auf der Flucht zogen hunderttausende »Volksdeutsche« (aus dem Südosten) durch, zu denen 1945 und danach noch einmal hunderttausende sog. »Sudetendeutsche« aus der Tschechoslowakei kamen. Zwar war Deutschland ihr Zielland, aber einige hunderttausend »Volksdeutsche« blieben doch in Österreich. Die nächste Welle kam im Spätherbst 1956 – Flüchtlinge aus Ungarn. Insgesamt kamen damals etwa 180.000 Menschen nach Österreich, nur 18.000 blieben. Deren Integration war kein Problem. Als Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 die Tschechoslowakei besetzten, befanden sich etwa 60.000 Tschechen und Slowaken als Touristen im Westen, 96.000 weitere flohen kurzfristig. Ungefähr 130.000 gingen wieder zurück, andere reisten weiter, nur wenige blieben in Österreich. Als 1981 in Polen das Kriegsrecht erklärt wurde, kamen in kurzer Zeit 120.000 bis 140.000 Polen, wieder blieben nur wenige dauerhaft in Österreich. Die Flüchtlingsbewegungen von 1956, 1968 und 1981/82 bedeuteten also jeweils nur kurzzeitige Belastungen, außerdem stammten Ungarn, Polen und Tschechen aus der engeren Nachbarschaft und waren – trotz der kommunistischen Herrschaft – keineswegs kulturell »fremd«. Genauere Zahlen für die Wanderungsbewegung stehen für die Zeit ab 1961 zur Verfügung. In den frühen 1960er Jahren zeigte die Wanderungsstatistik wenig Bewegung. 1966 wanderten – netto – mehr als 22.000 ausländische Staatsbürger ein. Es handelte sich um die ersten Gastarbeiterkontingente, die die blühende österreichische Wirtschaft dringend erwartete. Von den 1960er bis in die 1980er Jahre bildet die Wanderungsbewegung ziemlich genau die Konjunkturentwicklung in Österreich ab. Schon beim ersten Konjunktureinbruch 1968 verließen mehr als 4000 ausländische Staatsangehörige Österreich. Ab 1969 kamen wieder mehr Menschen ins Land, 1971 und 1972 jeweils mehr als 40.000, 1973 nur knapp weniger. Der Konjunktureinbruch nach dem ersten Ölschock machte sich aber sofort wieder bemerkbar : 1974 und 1975 verließen etwa 52.000 ausländische Staatsangehörige Österreich, 1978 (2. Ölschock) nochmals 8500. Die Krise in Polen ist für die Zahl von 33.000 Immigranten 1981 verantwortlich. Die wirtschaftliche Flaute der frühen 1980er Jahre schlägt sich 1982 mit einem neu-
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erlichen Minus von fast 20.000 nieder, da ist auch mancher polnische Flüchtling weiter- oder rückgewandert. Damals war das Wanderungssaldo – letztmals – passiv, also negativ. Es blieben aber aus jeder Zuwanderungsphase immer etwas mehr ausländische Arbeitskräfte im Land als wieder abwanderten. Seit 1983 ist das Wanderungssaldo immer positiv – seither wandern stets mehr Menschen ein als aus. Ab 1988 wuchsen die Zahlen ausländischer Zuwanderer rasch : 25.000 1988, 59.000 im Jahre 1989, fast 72.000 1990. Ein erster Höhepunkt wurde 1991 erreicht, als mehr als 85.000 Menschen zuwanderten (und nur 8000 das Land wieder verließen). Der kriegerische Zerfall Jugoslawiens trieb viele Menschen, vor allem aus Bosnien, aber auch aus Kroatien, in die Flucht. Der kurze Krieg in Slowenien hinterließ hingegen keine Spuren in der Immigrationsstatistik. 1993 waren es wieder fast 42.000 Menschen, dann ging die Zahl stark zurück. Ab 1996 gab es wieder wachsende Zahlen von Immigranten, denen aber auch sehr hohe Zahlen von Wegzügen ins Ausland gegenüberstehen. Aber stets blieb ein positives Einwanderungssaldo von ausländischen Staatsangehörigen bestehen. Es ist seit 1999 nie mehr unter 20.000 gefallen. Tabelle 20: Netto-Zuwanderung nach Österreich 2000 – 2015 2000
21.587 2008
34.000
2001
37.355
2009
24.000
2002
41.666
2010
29.000
2003
44.401 2011
37.000
2004
54.228
2012
51.000
2005
48.195
2013
61.000
2006
28.000
2014
77.700
2007
35.000
2015
88.000 *)
*) nur Asylanträge
Durch alle diese Veränderungen hat sich die österreichische Bevölkerung nicht unerheblich verändert : Von (2014) etwa 8,4 Millionen Einwohnern waren 1,7 Millionen von auswärts zugewandert oder Kinder von Immigranten (mit oder ohne österreichische Staatsbürgerschaft). Mehr als eine Million Menschen kamen in den letzten – etwa – 40 Jahren aus Nicht-EU-Staaten, der Rest aus der Europäischen Union. Das sind Netto-Zahlen – es gibt ja immer auch Abwanderungen. Zahlreiche Zuwanderer haben inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft erworben. Während bis in die 1980er Jahre der Zustrom aus dem Ausland ungefähr mit der Wirtschaftsentwicklung korrespondierte, hat er sich in den letzten zwei Jahrzehnten davon völlig abgekoppelt : Österreich litt zwischen 2008 und 2016 unter sehr niedri-
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gen Wachstumsraten, aber der Zustrom aus dem Ausland wuchs weiter. Allein seit der Jahrtausendwende sind bis inklusive 2014 etwa eine halbe Million Menschen nach Österreich – netto – eingewandert, als Asylsuchende, aber auch auf der Suche nach Arbeit. Das Angebot an Arbeitsplätzen ist zwar derzeit (2019) so hoch wie nie, aber dennoch zu gering, um das stark gewachsene Arbeitskräfteangebot vollständig aufzusaugen. 11.6.5 Immigration und Arbeitslosigkeit Tab. 21: Arbeitslose und Arbeitslosenquoten nach Staatsangehörigkeit und Geburtsland Gesamt in 1000
in %
3. Quartal 2013
234,1
3. Quartal 2014
245,0
3. Quartal 2015
249,5
Staatsbürgerschaft Österreich
Geburtsland
Nicht-Österreich
in 1000
in %
in 1000
5,3
186,7
4,9
47,4
5,6
178,2
4,7
66,8
5,6
186,2
4,9
63,3
9,9
Österreich
Nicht-Österreich
in 1000
in %
in 1000
in %
8,7
164,9
4,6
69,2
8,9
11,1
164,8
4,6
80,2
9,7
165,4
4,6
84,1
9,6
in %
Der Befund ist eindeutig : Die österreichische Staatsbürgerschaft oder Österreich als Geburtsland vermindern die Gefahr der Arbeitslosigkeit erheblich, während Ausländer bzw. nicht in Österreich Geborene dieser Gefahr verstärkt ausgesetzt sind. Die frühen Gastarbeiter kamen aus der Türkei und aus Jugoslawien. Seit 2011 (Ende des Beschäftigungsverbotes für Angehörige der EU-Beitrittsstaaten von 2004) kommen auf der Suche nach Arbeit immer mehr Menschen aus Mitgliedsländern der EU, und zwar vor allem aus den Nachbarländern, auch aus Deutschland. Während 2013 Ungarn vor Deutschen, Rumänen und Kroaten lagen, wanderten 2014 per Saldo am meisten Rumänen zu (12.000), vor Ungarn (fast 8000), Deutschen (5500) und Kroaten (4000). Einige dieser Zuwanderer, vor allem ziemlich gut ausgebildete aus der unmittelbaren Nachbarschaft Österreichs, bilden auf dem Arbeitsmarkt eine oft übermächtige Konkurrenz für bereits hier lebende Immigranten oder deren Nachkommen aus Nicht-EU-Staaten. Die räumliche Nähe ermöglicht oft eine Pendelwanderung, sogar tageweise (Slowakei, Westungarn, Südmähren). Angeblich war 2015 das Jahr der Syrienflüchtlinge. Die vorliegenden Statistiken des Innenministeriums zeigen hingegen, dass von den 88.000 Asylanträgen des historischen Flüchtlingsjahres 2015 die relativ größte Gruppe nicht aus Syrien kam (24.538), sondern aus Afghanistan (25.475). Dann folgten Asylsuchende aus dem Irak (13.600), dem Iran und Pakistan (jeweils mehr als 3000), dem Kosovo (2500), Somalia (2000) usw.
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Der Rest verteilte sich auf zahlreiche weitere Staaten. Wie viele Menschen beim unkontrollierten Durchschleusen von fast einer Million Menschen Richtung Deutschland in Österreich blieben, ist freilich nicht zu erheben. 11.6.6 Abwanderung: Der brain drain
Die starke Netto-Zuwanderung verdeckt aber eine andere Wanderungsbewegung, die für die Zukunft Österreichs durchaus problematisch ist. Pro Jahr verlassen etwa 25.000 hoch qualifizierte Österreicher das Land, nur halb so viele kehren wieder zurück. Die jährliche Netto-Abwanderung betrifft gerade die für die Zukunft wichtigsten Gruppierung, die Jungen, gut Ausgebildeten, jene Menschen, von denen man annimmt, dass sie aktiv sind, gute Einfälle haben (können) und in ihrem Beruf etwas weiterbringen wollen. Sie sind im Durchschnitt 25–35 Jahre alt. Ihre Zielländer sind Deutschland, die Schweiz, Nordamerika und Großbritannien. »In den vergangenen zehn Jahren sind im Schnitt zwischen 20.000 und 25.000 Österreicher pro Jahr weggezogen. Zurückgekehrt sind aber lediglich 15.000 pro Jahr.« (Die Presse) Die Wegzugsrate ist bei Universitäts- und Fachhochschulabsolventen mit Abstand am höchsten. Männer zieht es öfter in die Ferne als Frauen. Diesem Minus von mindestens 10.000 Menschen (netto) pro Jahr im Bereich der österreichischen Staatsbürger steht zwar die starke Zuwanderung von Ausländern gegenüber, aber diese wird vor allem bei Zuwanderern aus Asien überwiegend von Ungelernten bzw. mangelhaft Ausgebildeten bestritten : Das Ergebnis bezeichnet man als mismatch – steigende Arbeitslosigkeit bei einer wachsenden Zahl an Erwerbstätigen. 11.6.7 Der Wandel in der religiösen Zugehörigkeit
Die vielleicht wichtigste Veränderung der österreichischen Gesellschaft geht weder aus der Zuwanderungs- noch aus der Sozialstatistik hervor. Es ist dies die Veränderung der Verteilung der religiösen Zugehörigkeit. Die durch Jahrhunderte nicht in Frage gestellte Mehrheitsposition der Katholiken in Österreich geht in unserer Gegenwart zu Ende. Zweitstärkste Religionsgemeinschaft sind heute schon die Muslime, die noch 1981 nur 1 % der Bevölkerung ausmachten. In 20 Jahren sank die Zahl der Katholiken um mehr als 10 Prozentpunkte, Menschen ohne Bekenntnis nahmen um 6 Prozentpunkte zu. Auch die protestantischen Kirchen verlieren langsam an Gefolgschaft. Dagegen stieg der Anteil der Muslime in denselben 20 Jahren auf mehr als das Vierfache. Durch die Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten steigt er weiter rasant an. Seit 2001 liegen nur mehr Schätzungen vor –
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die Religionszugehörigkeit wird bei den Zählungen nicht mehr erhoben. Bis 2009 stieg der (geschätzte) muslimische Anteil auf etwa 6,2 % der Gesamtbevölkerung (ungefähr 480.000–500.000), 2010 dürften es 516.00 gewesen sein, 2014 zwischen 550.000 und 600.000. 2015 brachte noch einmal einen Anstieg um 90.000 bis 100.000. Zwei Faktoren dürften zunächst wesentlich gewesen sein : Einmal die Familienzusammenführung, vor allem im Hinblick auf Gastarbeiter aus der Türkei ; und zum Zweiten die große Fluchtbewegung aus dem Balkan, wo ja zuerst die bosnischen Muslime zu den Verlierern des Krieges gehörten. Auch in späteren Jahren änderte sich dieser Trend nicht, sondern verstärkte sich durch weitere Flüchtlingsbewegungen (Tschetschenien-Kriege 1994–1996 und ab 1999 !) und durch weitere Familienzusammenführungen. Die Immigrationsbewegung des Jahres 2015, die fast ausschließlich Muslime nach Österreich gebracht hat, hat diesen Trend noch einmal kräftig verstärkt. Er hielt auch 2016 noch an. Für 2051 wird nach einer Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erwartet, dass der Anteil der Katholiken auf weniger als 50 % sinkt, der Anteile der muslimischen Bevölkerung hingegen auf 14–18 % der Bevölkerung ansteigt. Noch dramatischere Ergebnisse publizierte der »Kurier« im Jänner 2016 : Um die Jahrhundertmitte würden etwa 21 % der österreichischen Bevölkerung dem Islam angehören, nur mehr 33 % der katholischen Kirche, in Wien würde dieser Trend noch erheblich stärker auftreten. Dabei vermutete damals eine klare Mehrheit der österreichischen Bevölkerung (56 %), dass der Islam keine positive Rolle für die Entwicklung der österreichischen Gesellschaft spielen werde, nur 30 % sahen im Islam auch Positives. Dagegen glauben zwei Drittel der Muslime in Österreich, der »Westen« wolle den Islam vernichten. Sowohl in der Mehrheitsbevölkerung wie bei den muslimischen Zuwanderern vermutet man in den jeweils »Anderen« diffuse Gefahren. Es wird erheblicher Anstrengungen bedürfen, dass diese Angst voreinander nicht zu einer massiven Belastung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes wird. 11.6.8 Die Frage des nationalen Bewusstseins
1918 konstituierte sich Deutsch-Österreich als (zweiter) deutscher Nationalstaat. Die Jugend wurde national zu Deutschen erzogen. Die Generationen der in der Ersten Republik und im Nationalsozialismus groß gewordenen Kinder und Jugendlichen waren daher massiv von dieser deutsch-nationalen Ausrichtung geprägt. Daran änderten auch die Bemühungen des so genannten »Ständestaates« um einen neuen österreichischen Patriotismus nicht sehr viel. Dieses deutsche Bewusstsein der Österreicher war entscheidend für die Zustimmung zum »Anschluss« 1938. Nun nahmen die österreichischen Deutschen endlich teil am großen Deutschland Hitlers. Auf den frenetischen
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Jubel folgten erste Enttäuschungen. Viele Deutsche aus dem »Reich« sahen in den »Ostmärkern« nur »Beutedeutsche«, »ostmärkische Schlappschwänze«, den nicht ganz vollwertigen »Kamerad Schnürsenkel« (die österreichischen Soldaten trugen Schuhe, nicht Stiefel). Die Österreicher schimpften auf den Eintopf, auf das Erdäpfelgulasch ohne Fleisch in den deutschen Gulaschkanonen (»Uns is ja schlecht ’gangen… aber so was hab’n mir nie ’gessen«, sagt der schon zitierte Herr Karl), auf die herablassend auftretenden neuen Herren und das rasche Verschwinden der Butter aus den Geschäften. Die nationalsozialistischen österreichischen Legionäre waren frustriert, weil sie die guten Posten nicht bekamen, die sie anstrebten. Das war aber noch lange keine »nationale« Distanzierung. Man darf jedoch nicht übersehen, dass sich die (»reichs«-) deutsche Nation ja schon 1848, 1866, 1870/71 ohne die Deutsch-Österreicher als Einheit konstituiert hatte. Da jene nationalen Einigungsprozesse ohne und gegen Österreich abliefen, darf es nicht Wunder nehmen, dass die »Reichsdeutschen« die Österreicher oft gar nicht als vollwertige »Deutsche« empfanden. Mit Ausnahme der wirklich Widerständigen mit ihrem häufig sehr ausgeprägten österreichischen Bewusstsein erfolgte die Distanzierung vom Deutschtum erst ab 1945. Im April und Mai 1945 haben viele Österreicher die Erfahrung des Wiederfindens und Wiedererlangens von »… Vertrautem, das verloren gegangen war, das vielleicht auch erst durch den Verlust schätzenswert oder neu und höher eingeschätzt wurde« erlebt (Gerald Stourzh). Dieses Wiederauffinden einer verloren geglaubten Welt fand in sehr verschiedenen Ausprägungen und emotionalen Kombinationen statt – sie reichten von heller Freude über die alltägliche Selbstverständlichkeit der Wahrnehmung einer neualten Staatlichkeit bis zum tiefen Schmerz über das verlorene »Reich«. (Otto Schulmeister). Nun musste die Republik freilich auch daran gehen, jenen vorpolitischen gemeinsamen »Glauben«, jenen Mythos zu schaffen, der staatlicher Existenz vorausgeht und diese erst begründet. Staatssymbolik und Verfassungsrahmen knüpften weitestgehend (mit Ausnahme der Bundeshymne) an die Erste Republik an. Mit dem schon am 8. Mai 1945 erlassenen Gesetz über das Staatswappen und die Fahne der Republik sowie mit der Übernahme der Verfassung von 1920/29 erleichterte die Zweite Republik ihren Bürgern das schon angesprochene Gefühl der Wiederbeheimatung in Österreich. Aber die »nationale Frage« war damit noch nicht entschieden. Tatsächlich sollte sich in der Folge ein lange anhaltender Schwebezustand entwickeln zwischen einer relativ bald vorhandenen allgemeinen Staatsbejahung und der verhältnismäßig langen Offenheit der Frage der nationalen Identität der Österreicher. Das könnte angesichts der eindeutig österreichisch-nationalen Ausrichtung von zwei der drei Staatsgründungs-Parteien verwundern. ÖVP und KPÖ verfochten mit teils unterschiedlichen, teils parallelen Argumenten die nationale Selbstständigkeit der Ös-
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terreicher, während die Sozialisten diesbezüglich noch lange skeptisch blieben – wenn auch der ehemalige Anschlussbefürworter und zweimalige Staatsgründer, Kanzler und Bundespräsident Karl Renner 1946 den »Anspruch« der Österreicher festhielt, »sich zur selbstständigen Nation zu erklären«. Sowohl der kommunistische Staatssekretär für das Unterrichtswesen, Ernst Fischer, wie sein Nachfolger aus der ÖVP, Felix Hurdes, vertraten die nationale Eigenständigkeit Österreichs. Hurdes ersetzte den Begriff »Deutsch« in den Schulzeugnissen durch den aus der Zeit der Monarchie stammenden Begriff »Unterrichtssprache« (später »Deutsche Unterrichtssprache«) ; man hat das spöttisch »Hurdestanisch« genannt.1946 bot das 950-Jahr-Jubiläum der Erstnennung des Namens Ostarrîchi in einer Urkunde aus dem Jahr 996 den erwünschten Anlass, das neue Österreichbewusstsein mit dem immer gern verwendeten Argument des hohen Alters von Land und Volk zu stärken. Das österreichisch-nationale Programm wurde aber zumindest bei der ÖVP 1949 entsorgt, als es um die Gewinnung der »Heimkehrer« und der minderbelasteten Nationalsozialisten ging. Man darf eben nicht übersehen, dass sowohl deutschnationales wie auch rassistisches, antisemitisches und antislawisches (partiell auch antiromanisches) Gedankengut über Schulen, Vereine, Verbindungen, Turnerschaft usw. schon lange vor der Herrschaft des Nationalsozialismus Generationen von jungen Österreichern eingeimpft worden war und nach wie vor existierte. Besonders massiv war – bis 1945 – diese Verankerung »deutscher« Bewusstseinsinhalte bei Maturanten und Akademikern. Bei diesen Schichten war dieses »Deutschtum« oft ein zentraler Bestandteil ihres Bildungskanons und intellektuellen Selbstbildes. Es ist daher nicht verwunderlich, dass solche »deutschen« Bewusstseinsbestandteile wie die Zugehörigkeit zu einem deutschen Volk oder zur deutschen Nation, Zusammengehörigkeit aller Deutschsprachigen als deutsche »Kulturnation«, ethnisch-abstammungsmäßige oder auch rassistisch aufgeladene Vorstellungen vom »gemeinsamen Blut« sowie die oft beschworene »gemeinsame Geschichte« von Urzeiten an bis 1804/1806 oder – je nach Bedarf – 1866 gerade in den höheren Bildungsschichten besonders lebendig blieben. Den jüngeren Leuten, der Schuljugend und den im Dritten Reich Militärdienstpflichtigen, hatte sich die Realität der deutschen »Volksgemeinschaft« oder aber auch die gemeinsame Wehrmachts- bzw. Fronterfahrung eingeprägt. Für viele »Heimkehrer« waren diese Erfahrungen noch lange lebendig. Und alle waren sie auch sprachlich so geformt, dass noch jahrzehntelang Begriffe aus dem NSDAP- oder Militärjargon Teile der österreichischen Sprachwirklichkeit blieben (etwa »Arbeiten bis zur Vergasung« !). Der Umgang der einer älteren Generation angehörenden oder dem Nationalsozialismus gegenüber oppositionellen politischen Eliten der frühen Zweiten Republik mit dieser (in den Quellen oft so genannten) »Kriegsgeneration«, mit den »Heimkehrern«, aber auch mit den ehemaligen Nationalsozialisten wurde zu einem zentralen politischen Problem.
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Aus allen diesen Gründen verschwand daher schon 1949 der emphatische ÖsterreichNationalismus der Jahre 1945/46 aus dem Österreichbekenntnis der ÖVP. Es wurde von einem »nationalen« zu einem »patriotischen« herab gestimmt. Seit 1948/49 wurde der Begriff »national« (wieder) ausschließlich auf deutschnationale Haltungen reduzierte, »österreichisch« wurde nicht mehr mit »national« verbunden, »österreichisch« zu sein hieß »patriotisch« zu sein. »National« heißt hingegen umgangssprachlich oft bis heute »deutschnational«. In der SPÖ dominierten hingegen anfangs jene Kräfte, die gegenüber dem Begriff einer österreichischen Nation skeptisch waren. Erst ab etwa 1956 hat auch die SPÖ ein positiveres Verhältnis zur Frage einer eigenständigen österreichischen Nation gefunden. Dieses österreichische Bewusstsein sollte allerdings keine älteren Bestandteile in sich tragen : Die Mythologie der österreichischen Nation sollte nach dem Wunsch der SPÖ ausschließlich republikanisch fundiert werden. Währenddessen begründete der Kampf um den Staatsvertrag die politische und staatliche Einheit Österreichs, die Erringung des Staatsvertrages die nationale : Seit 1955 wuchs der Konsens der Österreicher darüber, dass sie eine in jeder Richtung eigenständige Nation seien. Das Staatsvertragsjahr, der annus mirabilis 1955, hat endlich auch das als gemeinsamen Erfolg zu interpretierende und somit nationsstiftende Ereignis geliefert. Später wurde die ebenfalls 1955 (am 26. Oktober) im Nationalrat angenommene immerwährende Neutralität ein stärkeres »nationales« Symbol österreichischer Eigenständigkeit als der Staatsvertrag. Der Termin hängt auch mit dem »Tag der Fahne« zusammen, der 1955 (am 25. Oktober) und in den Folgejahren am 26. Oktober hauptsächlich in den Schulen gefeiert wurde und zunächst zweifelsfrei viel eher die volle Selbstständigkeit und Souveränität Österreichs zum Inhalt hatte als die Neutralität. Vor allem seit den 1970er Jahren trat freilich die Neutralität im kollektiven Bewusstsein stärker identitätsstiftend hervor. Daneben belebten sich aber auch deutschnationale Tendenzen wieder. Die Schillerfeiern 1959 brachten Kundgebungen von deutschnationalen (»schlagenden«) Studentenverbindungen und anderen Vereinen. Nun setzten auch die unrühmlichen Freisprüche für schwerst belastete NS-Täter durch österreichische Geschworenengerichte ein. Die Haltung der österreichischen Behörden gegenüber den Forderungen jüdischer Opfer des Nationalsozialismus wurde immer ungünstiger. Um 1960 schien es so, als befände sich Österreich wieder auf dem Weg in einen kollektiven Deutschnationalismus, mit zum Teil eindeutig nationalsozialistischen Zügen. Publizistische Gegenbewegungen (etwa in der Wochenzeitschrift »Furche«) oder offiziöse Institutionen zur wissenschaftlichen Abstützung von Österreich-Bewusstsein (wie der Arbeitskreis für österreichische Geschichte, später »Institut für Österreichkunde«) kämpften vehement dagegen an.
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Aber erst die Affären Göbhart und Borodajkewicz intensivierten die Bemühungen um eine Zurückdrängung des häufig kaum mehr verhohlen neonazistischen Deutschnationalismus. Franz Göbhart, Direktor der Grazer Lehrerbildungsanstalt, wurde nach seiner Ablehnung einer deutschnationalen Veranstaltung an seiner Schule beim Unterrichtsminister Heinrich Drimmel angezeigt, er sollte wegen des Verbotes gemaßregelt werden. Dagegen setzte nun doch ein breiter öffentlicher Protest ein – eine für den 9. April 1964 angesetzte deutschnationale Vortragsveranstaltung in Graz wurde untersagt, eine parteiübergreifende Gegendemonstration fand statt. Dies war der Ausgangspunkt für zahlreiche nun auch öffentliche Auseinandersetzungen zum Begriff der »österreichischen Nation«. Noch aufwühlender gestaltete sich die Affäre Borodajkewicz. Taras Borodajkewicz (1902–1984), ein Wirtschaftshistoriker mit bescheidenem wissenschaftlichem Œuvre, war schon vor 1938 ein brückenbauender deutsch-nationalistischer Katholik gewesen. Durch kirchliche Verbindungen wurde er in den 1950er Jahren Professor an der Hochschule für Welthandel. Dort wurde er als milder Prüfer mit einer deutlichen Neigung für antisemitische und deutschnationale Ausfälle bekannt. Erst 1965 erhob sich dagegen offener Protest – das Material gegen Borodajkewicz lieferte eine Mitschrift des späteren Finanzministers Ferdinand Lacina (*1942). Nicht wenige Studenten waren für den Professor, doch gelang es schließlich, die meisten Studentenorganisationen im Protest gegen »Boro« zu vereinigen. Der Tod des Pensionisten Kirchweger beim Zusammenstoß von Anti- und Pro-Borodajkewicz-Demonstranten am 31. März 1965 bildete den traurigen Höhepunkt einer Entwicklung, die nun auch starke Gegenbewegungen auf den Plan rief. Die symbolische Aufwertung des »Tages der Fahne« zum österreichischen Nationalfeiertag war die langfristig wichtigste Gegenaktion der Regierung. Am 25. Oktober 1965 wurde im Nationalrat einstimmig beschlossen, den 26. Oktober zum Nationalfeiertag zu erklären. Seit 1967 ist dieser Feiertag ein arbeitsfreier Voll-Feiertag. Trotz einiger verbaler Vorbehalte vor allem von freiheitlicher Seite (das reicht bis zur oft zitierten Aussage Jörg Haiders über die österreichische Nation als »ideologische Missgeburt« am 18. August 1988) war in der Politik seit den späten 1960er Jahren die Existenz einer eigenständigen und von der deutschen deutlich abgegrenzten österreichischen Nation kein wirkliches Thema mehr. Bis auf weiteres besteht auch das geeinte Europa der Europäischen Union aus seinen Nationen und Nationalstaaten. Österreich ist selbstverständlicher Teil dieses Europas. Aber ob und wie die Integration der Zuwanderer der letzten zwei Jahrzehnte in die österreichische Nation erfolgreich zu bewältigen ist, wird erst die Zukunft zeigen. Vermutlich wird die Ostarrîchi-Urkunde von 996 in diesem Prozess keine erhebliche Rolle mehr spielen.
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Verzeichnis der Tabellen Tab. 1 : Bevölkerungsbewegung S. 387 Tab. 2 : Anteil von Industrie und Gewerbe an den Erwerbsgrundlagen der Bevölkerung S. 388 Tab. 3 : Die österreichischen Alpenländer : Langsame Industrialisierung bei teilweiser Stagnation des Agrarsektors und rascher Entwicklung des tertiären Sektors S. 390 Tab. 4 : Anteil der Land- und Forstwirtschaft an den Erwerbsgrundlagen der Bevölkerung S. 393 Tab. 5 : Die Verteilung der Abgeordnetenmandate auf die Nationalitäten 1901 und 1907 S. 401 Tab. 6 : Fraktionen (Klubs) im Abgeordnetenhaus 1867 – 1901 S. 406 f Tab. 7 : Fraktionen im Abgeordnetenhaus nach dem Allgemeinen Wahlrecht S. 412 Tab. 8 : Sozialtypen nach Sprachgruppen 1910 S. 418 Tab. 9 : Ungarn : Agrarland in rascher Industrialisierung im Zentrum S. 423 Tab. 10 : Kroatien : Südliche Peripherie S. 425 Tab. 11 : Böhmische Länder : Industrialisierung und landwirtschaftliche Modernisierung S. 431 Tab. 12 : Galizien : Rasches Bevölkerungswachstum bei ungenügender Entfaltung einer regionalen Industrie S. 434 Tab. 13 : Selbstversorgung Österreichs mit wichtigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen S. 504 Tab. 14 : Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1945 – 1953 S. 574 Tab. 15 : Dauerhafte Konsumgüter in privaten Haushalten S. 589 Tab. 16 : Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1956 – 1966 S. 593 Tab. 17 : Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1970 – 1986 S. 602 Tab. 18 : Wahlergebnisse und Mandatsverteilung im Nationalrat 1990 – 2017 S. 613 Tab. 19 : Berufspositionen 1981 S. 627 Tab. 20 : Netto-Zuwanderung nach Österreich 2000 – 2015 S. 631 Tab. 21 : Arbeitslose und Arbeitslosenquoten nach Staatsangehörigkeit und Geburtsland S. 632
Verzeichnis der Karten (gezeichnet von Mateja Riharšič) Karte 1 : Österreich und seine Nachbargebiete im 4. Jahrhundert n. Chr. (nach M. Kandler, P. Scherrer, H. Zabehlicky) S. 25 Karte 1 : Das Gebiet des heutigen Österreich im Frühmittelalter (7./8. Jahrhundert nach Chr.; nach F. Daim u. P. Štih) S. 41 Karte3 : Alte Herzogtümer – neue Länder. Österreich um 1200 (nach M.Mitterauer) S. 83 Karte 4 : Das Gebiet des heutigen Österreich um 1350 (nach H. Knittler) S. 101 Karte 5 : Habsburgische Gebiete in Europa im 16. Jahrhundert (um 1550) S. 151 Karte 6 : Die Habsburgermonarchie 1780 S. 241 Karte 7 : Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918 (nach E.Lendl, W. Wagner) S. 367 Karte 8 : Die Sprachenverteilung in der Habsburgermonarchie (nach P. Urbanitsch) S. 417 Karte 9 : Die Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie S. 479 Karte 10 : Konzentrationslager und Judenverfolgung im Nationalsozialismus (nach G. Botz) S. 547 Karte 11 : Besatzungszonen 1945 – 1955 S. 565
Register
Personen Abkürzungen Abg. Abgeordneter B Bischof BK Bundeskanzler Bö Böhmen BRD Bundesrepublik Deutschland cs. christlichsozial dn. deutschnational Eb Erzbischof Ehg. Erzherzog FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs gd. großdeutsch Gem. Gemahl, Gemahlin Gf., Gfn. Graf, Grafen Hg. Herzog Hgin. Herzogin HH Herrenhaus Hl. Heilige, Heiliger K. Kaiser Karantan. Karantanien, karantanisch Kg. König Kgin. Königin Ktn. Kärnten
komm., KPÖ kommunistisch ; Kommunistische Partei Österreichs lib. liberal Mgf. Markgraf Min. Minister MP Ministerpräsident Ndlde. Niederlande NÖ Niederösterreich NS Nationalsozialismus ns. nationalsozialistisch Ö Österreich ÖVP Österreichische Volkspartei Pol. Politiker Sbg. Salzburg sd. sozialdemokratisch SPÖ Sozialistische (jetzt : Sozialdemokrat.) Partei Österreichs Stmk. Steiermark U Ungarn VK Vizekanzler Vlbg. Vorarlberg Wwe. Witwe
Abraham, B. v. Freising 49 Abraham a Sancta Clara (Ulrich Megerle), Prediger 275 Achleitner, Friedrich, Architekturhistoriker u. Sprachkünstler 525, 531, 620 Adalbero, Mgf. d. Karantan. Mark 73, 77 Adalbero, Hl., B. v. Würzburg 73, 78 Adalbert, Mgf. v. Ö 79 f. Adalbert, Sohn Leopolds III. 81 f.
Adalbert II., Eb. v. Sbg. 84, 92 Adalbert (Albert), Vizedom v. Freising 89 Adalram v. Waldeck, Gründer v. Seckau 78 Adams, John Quincy, Künstler 443 Adenauer, Konrad, BK d. BRD 582 f. Adler, Friedrich, sd. Pol. 459 Adler, Viktor, sd. Pol. 407, 411, 459, 468 Adolf v. Nassau, Kg. 100 f. Aehrenthal, Aloys Lexa v., Außenmin. 456
664 Aglio, Domenico dell’, Baumeister 163 Agnes, Gem. Mgf. Leopolds III. 81 f. Ahrer, Jakob, Min. 491 f. Aichinger, Ilse, Autorin 619 f. Aigner, Josef, cs. oö. Pol. 516 f. Albert, Gf. v. Tirol 69,90 Albert, Gf. v. Görz 116 f. Albert v. Sachen-Teschen, Schwiegersohn Maria Theresias 248 Albrecht I., Hg. v. Ö., Kg. 99-101, 103, 111 Albrecht II., Hg. v. Ö. 103 f., 121, 131 Albrecht III., Hg. v. Ö. 107 – 109 Albrecht IV., Hg. v. Ö. 109, 195 Albrecht V., Hg. v. Ö. (= Albrecht II., Kg., Kg. v. U und Bö) 109 – 111, 118, 128. 131 f. Albrecht VI., Hg. v. Ö. 110, 112 Albrecht (VII.), Ehg., Statthalter i. d. Ndlden. 161, 177 Albuin, B. v. Brixen 89 Alexander I., russ. Zar 296 f., 299 Alexander II., russ. Zar 386 Alexander III., Papst 92 Alkuin, Berater Karls d. Gr. 36 Allio, Donato Felice d’, Baukünstler 225 Alt Jakob, Franz, Rudolf, Künstler 312, 451 Altdorfer, Albrecht, Künstler 122, 142 Altmann, Karl, Min. 571 Altmann, Maria, Nichte v. F. Bloch-Bauer 441 Alxinger, Johann Baptist, Autor 277 Amerling, Friedrich v., Künstler 312, 321, 345 Ammerer, Gerhard, Historiker 228 Andrä, Christoph, Unternehmer 280 Andrássy, Julius (Gyula) Gf., Außenmin. 380 f., 298 f., 421, 428 Andrássy, Julius (Gyula) d. J., Gf., Außenmin. 468 Andreas III., Kg. v. U 100 Andrian-Werburg, Viktor Frh. v., Publizist 343, 348 Androsch, Hannes, Min., VK, Unternehmer 601, 604 Anna v. U, Kgin., Gem. Ferdinands I. 143 Anne d’Autriche, Mutter Ludwigs XIV. 211 Arafat, Jassir, Palästinenserführer 600 Arbeo, B. v. Freising 48 Ar(i)bo, Gf. 46 Arn(o), Eb. v. Sbg. 36 Arnstein, Fanny v., Saloniere 318,. 320
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Arnstein, Henriette Freiin v., Tochter der Fanny v. A 320. Arnulf v. Kärnten, Kg. u. K. 45 f., 50, 70, 73, 91 Arnulf, Hg. v. Baiern u. Ktn. 70, 72 Arsen Černojević, serb. Patriarch 334 Arthaber Rudolf v., Unternehmer 321 Artmann, Hans Carl, Autor 620 f. Artula, Thomas (Thomas v. Villach), Künstler 122 Auersperg, Adolf Fürst, MP 413, 428 Auersperg, Anton Gf. (Ps. Anastasius Grün), Dichter 311, 351 Auersperg, Carlos Fürst, MP 383 Auersperg, Volkhard v., nö. Adeliger, Elisabeth, Gem. Volkhards 165 Auersperg v. Schönberg, Andreas, Heerführer 182 Auersperg, Johann Weikhard Fürst, Staatsmann 210 Augstein, Rudolf, Publizist 618 Austerlitz, Friedrich, sd. Redakteur 495 Ava, Klausnerin 67 Azzo, Ahnherr der Kuenringer 94 Bach, Alexander, Minister 340, 345, 351, 368 f., 374, 376, 443 Bach, David Josef, sd. Kulturpol. 525 Bachmann, Ingeborg, Autorin 618, 620 Badeni, Kasimir, Gf., MP 402, 408,415 f., 429 f. Badenthal, Johann Julier v., Unternehmer 314 Baernreither, Josef Maria, Pol. 431 Bätzing, Werner, Geograph 194, 196 Bäuerle Adolf, Theaterdichter 308 Bahr, Hermann, Autor 446 Balbin, Bohuslav, Jesuit 327 Bánffy, Desider, ungar. MP 424 Barbara v. Cilli, Gem. K. Sigismunds 112, 118 Bartenstein, Johann Christoph Frh. v., Staatsmann 234 Basta, Giorgio, General 183 Batthyány, Karl Joseph Gf., Prinzenerzieher 249 Batthyány, Lajos Gf., ungar. MP 342, 353 f., 360, 362 Bauer, Leopold, Architekt 450 Bauer, Otto, sd. Pol., Außenmin. 418 f., 472 f., 483, 485, 490, 491 f., 495 f., 499, 508, 510, 512 f., 519, 529 Bauer, Wolfgang, Dramatiker 621
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Bauernfeld, Eduard v., Autor 311, 318, 321, 345, 349, 443 Baumkircher, Andreas, Söldnerführer 113 f., 125 Bayer, Konrad, Autor 620 Beatrix v. Burgund, Hgin. 71 Beauharnais, Josephine de, 1. Gem. Napoleons 294 Beccaria, Cesare, Reformer des Rechts 257 Becher, Johann Joachim, Merkantilist 231 Beck, Max Wladimir Frh. v., MP 402, 416, 456 Becker Nikolaus, Dichter 301 Beduzzi Antonio, Künstler 220, 226 Beer, Michael, Franz, Franz Anton, Baumeister 291 Beer-Hofmann, Richard, Autor 445 Beethoven, Ludwig van 307, 318, 452 Beetz Wilhelm, Unternehmer 451 Behrens, Peter, Architekt 531 Bekessy, Imre, Hg., 526 Bela IV., Kg. v. U 85 f. Belcredi, Egbert, Pol. 414 Belcredi, Richard Gf., MP 380 Bellarmin, Robert, Kardinal 203 Bellen, Alexander van der, Pol., BP 615 Bellini, Vincenzo, Komponist 332 Benedek, Ludwig v., Heerführer 379 Bernaschek, Richard, sd. Schutzbundführer 512 Berg, Alban, Komponist 453 Berg, Werner, Künstler 530 Berger, Johann Nepomuk, lib. Pol. 413 Berger, Thaddäus, Großhändler 314 Bergl, Johann Baptist Wenzel, Künstler 278 Bergmann, Kurt, ORF-Generalsekr. 611 Bernhard, Thomas, Autor 619, 622 Bernhard II., Hg. v. Ktn. 74 Bernhard v. Clairvaux 63, 65 Bernolák Anton, slowak. Patriot 338 Berry, Charles Ferdinand Duc de, frz. Thronfolger 299 Berthold, B. v. Chur 69 Berthold, Hg. v. Baiern 70 Berthold v. Andechs, Mgf. v. Istrien 74 Berthold v. Andechs, Patriarch v. Aquileja 74 Berthold I. v. Andechs, Gf. v. Stein 88 Bessel, Gottfried, Abt 223, 271 Bethlen, Gabriel (Gabor), Fürst v. Siebenbürgen 173, 183 Bettauer, Hugo, Autor 528
665 Beust, Friedrich Frh. v., Außenminister 380 f., 413, 427 f., 443 Biedermann, Karl, Offizier 560 Biener, Wilhelm, Kanzler (Tirol) 156 Biliński, Leon v., Min. 434 Billroth, Theodor, Chirurg 453 Birkenstock, Johann Melchior v., Hofrat 263, 276 Bismarck, Otto, Gf. (Fürst), preuß. MP, Reichskanzler 373 f., 377 – 379, 398, 399, 447, 520 Bitterlich, Eduard, Künstler 450 Blanche v. Valois, Gemahlin Hg. Rudolfs III. 101 Blau-Lang, Tina, Künstlerin 450 Bleckmann, Johann Heinrich, Unternehmer 320, 441 Bled, Jean Paul, Historiker 380 Bleiweis, Janez, slowen. Volkserzieher 337, 432 Bloch, David, Zuckerindustrieller 441 Bloch, Ernst, Philosoph 618 Bloch-Bauer, Adele u. Ferdinand, Industrielle 441 Blümegen, Heinrich Kajetan v., Jurist 256 Blumauer, Aloys, Dichter 275, 277 Bocskai, Stefan, ungar. Adeliger 171, 183 Bodi, Leslie, Historiker 277 Bodin, Jean, Staatstheoretiker 203 Boeckl, Herbert, Künstler 530 Böhler, Kitty v., Gem. d. Ignatius Pereira-Arnstein 321 Böhm-Bawerk, Eugen v., Nationalökonom, Min. 529 Bohorič, Adam, Gelehrter 166 Boltzmann, Ludwig, Physiker 370, 529 Bonaparte, Napoleon 10, 286, 290 – 295, 298, 306 f., 310, 320, 337 Bonitz, Hermann, Altphilologe 370 Bonomo, Pietro, B. v. Triest 166 Boor, Helmut de, Germanist 67 Born, Ignaz von, Aufklärer 277 Borodajkewicz, Taras, Historiker 638 Boroević de Bojna, Svetozar, Heerführer 160 Boruth, Karantanerfürst 38 Bosel, Sigmund, Spekulant 491 Bourbon-Parma, Sixtus, Prinz 464, 467 Brahms, Johannes, Komponist 452 f. Brambilla, Johann Alexander R. v., k. Leibarzt 279 Brandstetter, Alois, Germanist, Autor 622 Brauer, Arik (Erich), Künstler u. Musiker 626 Braunsteiner, Herbert, Prof. 567
666 Brecht, Bert, Autor 618, 526 Brehm, Bruno, Autor 528 Breu, Jörg, Künstler 122 Broch, Hermann, Autor 440, 526, 619 Broch, Josef, Unternehmer 440 Bröger, Karl, Dichter 520 Brosch v. Aarenau, Alexander, Offizier 457 Bruck, Karl Ludwig Frh. v., Unternehmer, Min. 369, 375 Bruckner, Anton, Komponist 453, 538 Brunner, Alois, SS-Funktionär 549 Brunner, Otto, Historiker 165, 176 Brunngraber, Rudolf, Autor 528 Bucquoy, Charles Bonaventure de Longueval, Comte de, Feldherr 177 Bühler, Karl u. Charlotte, Psychologen 530 Bürckel, Josef, ns. Pol. 538 – 541, 543 Burckhardt, Carl J., Schweizer Diplomat 526 Buresch, Karl, nö. LH., BK 499 f., 509 Burgkmair, Hans d. Ä., Künstler 142 Buol-Schauenstein, Karl Ferdinand Gf., Außenmin. 369, 374 Caldara, Antontio, Komponist 272 Canevale, Isidore,Architekt 279 Canisius, Petrus, Jesuit 167 Canetti, Elias, Autor 526, 619 Canon Hans (Ps. F. H.Straschiripka), Künstler 450 Carl, Ehg. v. Ö., Heerführer 285, 289, 292, 305 Carnap, Rudolf, Philosoph 529 Caroline Augusta v. Bayern, 4. Gem. K. Franz’ (I./ II.) 286 Castelli, Ignaz Franz, Dichter 345 Castlereagh, Robert Stewart, Viscount of, brit. Außenminister 295, 297, 299 Celan, Paul, Lyriker 620 Celtis, Conrad, Humanist 142 Cesti, Marco Antonio, Komponist 272 Charlotte, Gem. d. Ehg. Ferdinand Max 454 Cheitmar, Karantanerfürst 39 Chmel, Joseph, Historiker 272 Chnab, Michael, Dombaumeister 121 Chotek v. Chotkowa u. Wognin, Sophie Gfin., Gem. Franz-Ferdinands v. Ö.-Este, Fürstin v. Hohenberg 456 Chozil, Mährerfürst 37
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Christalnick, Michael Gothard, prot. Prediger 163 Chruschtschow, Nikita, sowjet. Pol. 581, 606 Churchill, John, Duke of Marlborough, Heerführer 216 Chytraeus, David, ref. Theologe 162 Cilli, Friedrich, Hermann u. Ulrich v., Gfn. 108, 113, 117, 118 Clam-Martinitz, Heinrich Jaroslav, Gf., tschech. Pol. 414, 427 f. Claudius, K. 20 Clemenceau, Georges, frz. MP 467 Collin, Heinrich, Dichter 292 Čop, Matija, Slawist 337 Conte Corti, Egon Cäsar, Autor 528 Cranach, Lukas, Künstler 122 Csokor, Franz Theodor, Autor 548 Curtius, Julius, deutscher Außenmin. 499 Cuspinian, Johannes, Humanist 122 Ćwikliński, Ludwik, Prof., Min. 434 Cymburgis v. Masowien, Gem. Ernsts d. »Eisernen« 110 Czermak, Emmerich, cs. Pol. 512 Czernin, Ottokar Gf., Außenmin. 467, 486 Czerny, Karl, Komponist 307 Dalmatin, Jurij (Georg), Bibelübersetzer 166 Danhauser, Joseph Ulrich, Fabrikant 312 Danhauser, Joseph, Künstler 312, 321, 345 Danneberg, Robert, sd. Pol. 498 Daun, Leopold Joseph Gf., Heerführer 237 f., 240. 267 Daun, Wirich Gf., Heerführer 217 Deák Ferenc, ungar. Pol. 342, 380 f., 421 Decker, Andrew, Journalist 579 Degasperi, Alcide, ital. Pol. 577 Degen, Vinzenz, Buchhändler 288 Delors, Jacques, Kommissionspräsident der EG 608 Denis, Michael, Dichter 275 Desiderius, Langobardenkg. 36 Deutsch, Julius, sd. Pol. 513 Dežman (Deschmann), Dragotin, Pol. 432 Diabelli, Anton, Komponist 307 Dienstbier, Jiří, tschech. Außenminister 610 Dietmar von Aist, Minnesänger 67 Dietmayr, Berthold, Abt 223, 226, 271 Dietrichstein, Siegmund, steir. LH 188
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Dingelstedt, Franz Frh. v., Dichter u. Dir. d. Hofburgtheaters 443 Diocletian, röm K. 20, 24 Doblhoff-Dier, Anton Frh.v., Verordneter u. Minister 345, 349, 443 Dobrovský, Josef, Slawist 327 – 329 Doderer, Heimito v,. Autor 442, 619 Doderer, Wilhelm R. v., Bauunternehmer 442 Dollfuß, Engelbert, cs. Pol., BK 500, 504 f., 508 – 512, 515, 517 f., 526, 531, 539, 540 Domitius Zmaragdus, C. 21 Donizetti, Gaetano, Komponist 332 Doppler, Christian, Physiker 370 Dopsch Heinz, Historiker 37 Drašković, Janko Gf., Illyrist 333 Dreher, Anton, Unternehmer 391, 441 Drimmel, Heinrich, ÖVP-Pol., Min. 638 Drusus, Feldherr 20 Dürer, Albrecht, Künstler 142, 164 Duke, Madeleine (Ps. f. Madeleine Macfarlane), Autorin 579 Dulles, John Foster, amerikan. Außenmin. 581 f. Dumas, Roland, frz. Pol., Ratspräsident der EG 608 Dunajewski, Julian, Min. 434 Dunant, Henri, Gründer des Roten Kreuzes 374 Ebenhoch, Alfred, kons. Pol., Min. 404 Eberhard I., Eb. v. Sbg. 92 Eberhard II., Eb. v. Sbg. 92 f. Eberhard, Mgf. in Krain 88 Ebner-Eschenbach, Marie Freifrau v., Autorin 445 Edelmayr, Friedrich, Historiker 170 Eggenberg, Ruprecht v., Heerführer 182 Egger-Lienz, Albin, Künstler 531 Ehn, Karl, Architekt 525 Eichendorff Joseph v., Dichter 292 Eichmann, Adolf, SS-Funktionär 544, 546, 549 Eifler, Alexander, sd. Schutzbundführer 513 Eigruber, August, ns. Gauleiter 540 Eisenmenger, August, Künstler 450 Eitelberger, Rudolf, Kunsthistoriker 370 Eizenstat, Stuart, Regierungsbeauftragter der USA 615 Ekbert v. Andechs, B. v. Bamberg 74 Ekbert III. v. Formbach, Gf. 77 f.
667 Eleonore v. Portugal, Gem. K. Friedrichs III. 113 Elias, Norbert, Soziologe 63 Elisabeth v. Görz-Tirol, Kgin., Gem. Albrecht I. 99, 103 Elisabeth v. Thüringen, Hl. 71 Elisabeth v. Württemberg, Gem. K. Franz II. 286 Elisabeth, Kgin., Gem. Kg. Albrechts II. 110, 112, 118 Elisabeth, Kaiserin, Gem. K. Franz Josephs 365, 367, 381, 423, 449, 455, 528 Ender, Otto, LH v. Vlbg., BK 491, 499, 513 Endlicher, Stefan, Botaniker u. Historiker 311 Enenkel, Job Hartmann v., Gelehrter 165 Engelschalk I. u. II., Gfn. 46 Eötvös, Jozsef, ungar. Pol. 421 Erasmus v. Rotterdam, Humanist 153, 166 Erdödy, Thomas, Banus v. Kroatien 182 Erkel (Erkl) Ferenc (Franz), ungar. Autor 422 Ernst »der Eiserne«, Hg. v. Ö. u. Ktn. 104, 110, 118, 128 Ernst »der Tapfere«, Mgf. v. Ö. 80 Ernst, Ehg., Statthalter 161, 164, 168 Ertl, Emil, Autor 318 Esterházy, Paul, ungar. Palatin 184 Eugen Franz v. Savoyen-Carignan, Prinz, Heerführer 186, 203, 215 – 221, 223 f., 230, 449 Eugippius, Biograph Severins 27 Eytzing, Michael v., ö. Adeliger 148 Eytzing, Ulrich v., ö. Adeliger 113 Fabiani, Max, Architekt 450 Fabricius, Philipp, Sekretär 17 Fadinger, Stephan, oö. Bauernführer 189, 191 Faistauer, Anton, Künstler 531 Falkenhayn, Julius v., Minister, Abg. 416 Fall, Leo, Komponist 454 Fanto, David, Unternehmer 434 Faymann, Werner, SPÖ-Pol., BK 615, 616 Fekete von Galantha, Johann Graf, ungar. Adeliger 276 Felbiger, Johann Ignaz v., Abt, Schulreformer 261 Ferdinand, Ehg. (Ferdinand Burg) 368 Ferdinand I., Kg. u. K. 10, 140 f., 143, 147 – 151, 154 – 156, 158, 161 – 164 Ferdinand I., K. v. Ö., als ungar. Kg. F. V. 286 f., 305, 337, 342, 365 f., 366, 370
668 Ferdinand II., röm K. (als Ehg. Ferd. III.) 156, 160, 169, 170, 172 – 175, 179, 189, 203, 206 f., 209 f., 210, 221, 224 Ferdinand III., K. 210, 216, 221, 272 Ferdinand III., Ghg. v. Toscana 296 Ferdinand II. von Tirol, Ehg., 156, 169 Ferdinand, Kg. v. Neapel 299 f., 300 Ferdinand Karl v. Tirol,. Ehg. 156 Ferdinand Maximilian (Maximilian von Mexico), Ehg., Flottenkommandant 454 Feirgil (Virgil), Hl., B. v. Sbg. 36 Ferstel, Heinrich Frh. v., Architekt 449 Festetics, Georg Gf., Schulgründer 277 Fey, Emil, Heimwehrführer, VK 511, 512, 546 Figl, Leopold, ÖVP-Pol., nö. LH. BK, Außenmin. 538, 551, 558, 560, 562, 565 f., 571, 573, 578, 581 – 583, 587, 591, 596 Fink, Jodok, cs. Pol., VK 477 Fierlinger, Zdenek, tschech. Dipl 513 Firmian, Leopold Anton Frh. v., Eb. v. Sbg. 227 Firnberg, Herta, sd. Pol.in 597 Fischer, Ernst, sd. u. komm. Pol. 521, 566, 636 Fischer, Heinz, SPÖ-Pol., BP 615 Fischer v. Erlach, Johann Bernhard, Baukünstler 224 f. Fischer v. Erlach, Joseph Emanuel, Baukünstler 224 f. Fischhof, Adolf, Arzt u. Revolutionär 350 Förster, Ludwig, Architekt 448 f. Fouché, Joseph, frz. Polizeiminister 310 Fournier, August, Historiker 386 Frank, Hans, deutscher ns. Min. 510 Frank, Josef, Architekt u. Designer 524, 531 Frankl v. Hochwart, Ludwig, Dichter 446 Frankopan (Frangepan), Franz, kroat. Adeliger 184 Franz I., K. (Franz Stephan v. Lothringen) 219, 233, 235, 238, 244, 263, 274 Franz II., röm-dt. K., als K. v. Ö. Franz I. 258, 270, 285, 287, 288, 292, 297, 310 Franz IV. v. Este, Hg. v. Modena 296 Franz Ferdinand v. Österreich-Este, Ehg.-Thronfolger 368, 455 – 457 Franz Joseph, K. v. Ö., Kg. v. U 305, 361, 365 f. 368 f., 369, 371 – 376, 378 – 381, 396 – 399, 415 f., 423 f., 454 f., 457, 459, 527
Register
Franz Karl, Ehg., Sohn K. Franz’ (II.)I. 286, 305, 365 Franzobel, Autor 624 Freud, Anna, Psychologin 548 Freud, Sigmund, Psychologe 547 f., 530 Fried, Erich, Lyriker 548 Friedell, Egon, Historiker 546 Friedjung, Heinrich, Historiker 407, 457 Friedländer, Otto, Publizist 423 Friedrich, Eb. v Sbg. 69 Friedrich »der Schöne«, Hg. u. Kg. 101 – 104, 116, 131, Friedrich I. (Barbarossa), K. 57, 74, 78, 82, 92, 96, 105, 129 Friedrich I., Hg. v. Ö. 84 Friedrich II., K. 62, 71, 85, 86, 96, 99, 105, 129 Friedrich II. »der Streitbare«, Hg. v. Ö. u. St. 62, 85, 86, 88 Friedrich II. von Walchen, Eb. v. Sbg. 93, 99 Friedrich II., preuß. Kg. 218, 222, 233 – 235, 237, 238, 240, 242 – 244, 256 Friedrich III., K. (als Hg. v. Ö : Friedr. V.) 10, 110, 112 – 117, 119, 121, 127, 132, 134 f,140, 150, 186, 205 Friedrich IV. »mit der leeren Tasche«, Hg. v. Ö. 109, 110 f. Friedrich von der Pfalz, Kurfürst 173 Friedrich Wilhelm I., preuß. Kg. 228, 233 Friedrich Wilhelm III., preuß. Kg. 297, 299 Fries, Moritz Gf., Victoire Gfin. 321 Frisch, Max, Schweizer Autor 620 Frischenschlager, Friedhelm, Min. 603 Fröhlich, Rudolph, Publizist 325 Fromiller, Josef Ferdinand, Künstler 163 Frueauf, Rueland d. Ältere u. d. Jüngere, Künstler 122 Fuchs, Ernst, Künstler 625 Führer, Michael, Propst 227 Fux, Johann Josef, Komponist 272 Gaddafi, Muammar al, Präs. Libyens 600 Gaismair, Michael, Bauernführer 188, 191, 192 Gaj, Ljudevit, kroat. Dichter 333, 334, 337 Galli-Bibiena, Giuseppe, Theaterarchitekt 226 Gallia, Moriz, Unternehmer 443 Garibald I. u. II., Hge. d. Baiern 35
Register
Garibaldi, Giuseppe, ital. Freischarenführer 374 Gautsch, Paul Frh.v., MP 402, 416 Geist, Franz, Generaldirektor 611 Gentz, Friedrich, Publizist 292 Georg v. Podiebrad, Gubernator u. Kg. v. Bö 112 Gerold I. u. II., karol. Präfekten 37, 45, 48 Gerstl, Richard, Künstler 452 Gertrud, Nichte Hg. Friedrichs »des Streitbaren« 86 Geza, Fürst d. U (als Kg. Stefan I.) 51 Gisela, ungar. Königin 51 Giskra, Karl, lib. Pol. 413 Glavinic, Thomas, Autor 624 Globočnik, Odilo, ns. Gauleiter 540 f. Gluck, Christoph Willibald, Komponist 274 Göbhart, Franz, Schuldirektor 638 Görgey, Arthur, ungar. Heerführer 362 Goethe, Johann Wolfgang v., Dichter 309, 328 Göring, Hermann, ns. Pol. 536 Goldinger, Walter, Historiker 511 Goldmann, Wilhelmine, Managerin u. Musikerin 612 Goll, Jaroslav, Historiker 427 Gołuchowski, Agenor d. Ä., Gf., Minister 374 f., 434 Gołuchowski, Agenor d. J., Gf., Minister 434 Gombrich, Sir Ernest, Kunsthistoriker 444 Gomperz, Julius, Gutsbesitzer, Mitgl. d. HH 443 Gomperz, Max, Großindustrieller, Mitgl. d. HH 443 Gomperz, Philipp Bankier 443 Gomperz, Theodor, Altphilologe, Mitgl. d. HH. 400 Gorbach, Alfons, steir. Pol., BK 591, 592 Gottsched, Johann Christoph, Sprachkritiker 273, 275 Grafenecker, Ulrich, Söldnerführer 126 Gran, Daniel, Künstler 225 Gratz, Leopold, sd. Pol. 599 Gregor IX., Papst 85 Gregr, Julius, tschech. Pol. 429 Greiffenberg, Catharina Regina, Dichterin, Gem. Hans Rudolf v. G. 176 Griepenkerl, Christian, Künstler 450 Grillparzer, Franz, Dramatiker 182, 307, 308 f., 311, 341, 345, 355, 358, 400, 446
669 Grogger, Paula, Autorin 528 Groß, Gustav, dn. Pol. 468 Gruber, Karl, ÖVP-Pol. 567 f., 571, 573, 577 Grün Anastasius (Anton Alexander Gf. Auersperg), Dichter 311, 351, 400, 446 Grünbaum, Fritz, Komiker 538 Grünne, Karl Ludwig Gf., Generaladjutant 369 Grünbühel, Hans Hoffmann Frh.v., steir. Erblandmarschall 164 Gubec, Ambrož (Matthias, Matija), kroat. Bauernführer 187 Günther, Wenzel, Unternehmer 316 Gumplowicz, Ludwig, Sozialwissenschaftler 403 Gusenbauer, Alfred, SPÖ-Pol., BK, Unternehmer 615 Gustav II. Adolf, Kg. v. Schweden 179 Gütersloh, Albert Paris, Künstler u 625 Gutkas, Karl, Historiker 185 Gutmann, Wilhelm und David, Unternehmer 392, 396, 400 Gutsmann, Oswald, slowen. Sprachforscher 336 Gyarmathi, Sámuel, ungar. Sprachforscher 340 Gyulai v. Maros-Németh und Nádaska, Franz Gf., Heerführer 369, 374, 416 Haas, Philipp, Unternehmer 323 Haberler, Gottfried, Nationalökonom 530 Habermas, Jürgen, Philosoph 276 Habicht, Theodor, ns. Pol. 510 f. Hackl, Erich, Autor 624 Haderlap, Maja, Autorin 625 Hadrian, K. 20, 22 Hämmerle, F.M. Textilunternehmer 507, 544 Hafner, Philipp, Komödiendichter 273 Hagenhofer, Franz, steir. Bauernführer 404 Hahn, Hans, Philosoph 529 Haider, Jörg, FPÖ-Pol., LH v. Ktn. 603, 613 f., 616 f., 638 Hainisch, Michael, BP 486 Hajnóczi, Josef, ungar. Jakobiner 288 Hamann, Brigitte, Historikerin 368 Hammer-Purgstall, Josef v., Orientalist 311 Hanák, Péter, Historiker 388 Handke, Peter, Autor 621 f. Hanisch, Ernst, Historiker 537 f., 542, 559, 588 Hans v. Prachatitz, Dombaumeister 121
670 Hanka, Václav, Bibliothekar 329 Hansen, Theophil, Architekt 448 f., 450 Hanslick, Eduard, Musikkritiker 452 f. Hantsch, Hugo, Historiker 512 Hanusch, Ferdinand, sd. Pol. 478 Hardenberg, Karl August Fürst v., preuß. Minister 295 Hardegg, Ferdinand v., Heerführer 183 Harrach, Leonhard IV., Adeliger 204 Hartwig, B. v. Brixen 69, 89 Hartwig, Eb. v. Sbg. 60 Hartwig, Pfalzgraf, Gewaltbote in Ktn. 72 f. Haschka, Lorenz Leopold, Dichter 290 Hasenauer, Carl, Architekt 449 Hasner v. Arta, Leopold, Unterrichtsmin. 413 Hassan Pascha, Beglerbeg v. Bosnien 182 Hasse, Johann Adolph, Komponist 274 Haswell, John, Ingenieur u. Unternehmer 316, 318 Haugwitz, Friedrich Wilhelm Gf., Staatsmann 235, 236, 237, 256 Hausner, Rudolf, Künstler 626 Havel, Václav, tschech. Autor u. Staatspräsident 610 Havlíček-Borovský, Karel, Autor 329 Haydn, Joseph, Komponist 274, 277, 290, 293, 307 Hebbel, Friedrich, Dramatiker 446 Hebenstreit, Franz v., Jakobiner 288 Hecht, Robert, Beamter, NS-Opfer 508 Hedwig (v. Andechs), Hgin. v. Schlesien 71 Heine, Heinrich, Dichter 309 Heinrich, Mgf. v. Ö. 79 Heinrich II., K. 64, 70, 88 f. Heinrich II. »Jasomirgott«, Mgf. u. Hg. v. Ö. 82, 83 Heinrich III., K. 79 Heinrich IV., K. 63, 64, 70, 73, 81, 89, 94, 105 Heinrich IV. v. Andechs, Mgf. v. Istrien 71, 74, 88 Heinrich V., K. 81, 82 Heinrich VI., K. 84 Heinrich (VII.), Kg. 86, 105 Heinrich VII., von Luxemburg, K. 102 Heinrich, Hg. v. Bayern u. Ktn. 72 Heinrich, Hg. v. Ktn. (Sohn Bertholds v. K.) 72 Heinrich, B. v. Freising 69 Heinrich »der Löwe«, Hg. 71, 75, 78 Heinrich »der Stolze«, Hg. 71, 82 Heinrich »der Zänker«, Hg. 51, 72 Heinrich von Melk, Dichter 67
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Heinrich v Görz, Hzg. von Kärnten, Gf. v. Tirol 102 f., 106, 116, 117 Heister, Siegbert Gf., General 217 Helfert, Josef Alexander Frh., Unterstaatssekretär 369, 370 Helmer, Oskar, Innenminister 571 Hemma, Hl., Gemahlin d. Mgf. Wilhelm v. Saunien 73, 76, 87, 194 Herberstorff, Adam v., Statthalter 189 Herberstein, Georg v., Heerführer 187 Herberstein, Siegmund v., Diplomat 148 Herbst, Eduard, lib. Pol. 399, 413 Hertz, Friedrich, Nationalökonom 502 Herder, Johann Gottfried, Philosoph 327, 340 Hermann v. Baden, Mgf., Hofkriegsratspräsident 86 Herrgott, Marquard, Mönch u. Historiker 271 Herzl, Theodor, Publizist, Zionist 445 Herzog, Richard, Polizeipräs. v. Wiener Neustadt 579 Hess, Viktor Franz, Nobelpreisträger 548 Hetzendorf von Hohenberg, Johann Ferdinand, Architekt 280 Hildebrandt, Johann Lucas v., Baukünstler 224, 225 Hilferding, Rudolf, Nationalökonom 529 Himmler, Heinrich, Reichsführer SS 537, 561 Hitler, Adolf, 500, 509, 512, 515 – 518, 528, 535 – 540, 543 f., 548 – 551, 557 f., 560, 566, 592, 620, 625, 634 Hocher, Johann Paul, Hofkanzler 207 Hock, Stefan, lib. Pol. 404 Hodža, Michal Miloslav, slowak. Autor 338, 354 Hodža, Milan, slowak. Pol., tschech. MP 535 Hörmann, Theodor v., Künstler 450 Höbelt, Lothar, Historiker 410 Hörnigk, Philipp Wilhelm v., Merkantilist 231 f., 240 Hofer, Andreas, Tiroler Freiheitskämpfer 293 Hofer, Franz, ns. Gauleiter 540 Hofer, Norbert, FPÖ-Pol. 615 Hoffmann, Josef, Architekt 442, 450, 452, 531 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian, Dichter 275 Hofmann von Hofmannsthal, Hugo, Autor 321, 443, 445, 447, 519, 526 Hohberg, Wolf Helmhard v., Autor 176
Register
Hohenwart, Karl Gf., Politker 404, 406 f., 413, 427 f., 432, 437 Hohlbaum, Robert, Autor 528 Hollegha, Wolfgang, Künstler 626 Holzer, Wolfgang, Wiener Volkstribun 113 Holzmeister, Clemens, Architekt 531 Hormayr zu Hortenburg, Joseph Frh. v., Historiker 306 Horn, Gyula, ungar. Außenmin. 609 Hornbostel, Christian Georg, Unternehmer 323 Horvath, Ödön v., Dramatiker 527, 548 Hrodbert (Rupert) ; Hl. 35, 60 Huber, Wolf, Künstler 122 Hueber, Philibert, Historiker 271 Hübner, Alexander Baron, Diplomat 373 Hugo v. Montfort (auch v. Tübingen), Gf. 75 Hunyadi, Janos, Kriegsheld 112 f., 119 Hunyadi Matthias, Kg. v. U 115 Hurban, Jozef Miloslaw, slowak. Patriot 338 f., 354 Hurdes Felix, ÖVP-Pol., Min. 565, 636 Hus, Jan, Reformator 111 Huth, Alfred, Offizier, NS-Opfer 560 Hutter, Wolfgang, Künstler 625 Ilg, Ulrich, LH v. Vlbg. 567 Illyricus, Matthias Flacius, Reformator 168 Ilsung, Georg, Patrizier u. Ritter 165 Innitzer, Theodor, Eb. v. Wien, Kardinal 539, 558, 559, 597 Innozenz III., Papst 65, 119 Innozenz VI., Papst 107 Isabel, Tochter Jaymes v. Aragon 102 Isabella von Parma, 1. Gem. Josephs II. 240 Izvolskij, Alexandr Petrovič, Gf., russ. Außenminister 456 Jadot, Nicolas, Architekt 279 Jahoda, Marie, Soziologin 530 Jandl, Ernst, Autor 620 Jawurek, Karl, Attentäter 490 Jayme v. Aragon, Kg. 102 Jelačić v. Bužim, Josip ( Joseph), Banus v. Kroatien 354, 360 f. Jelinek, Elfriede, Nobelpreistägerin 621 Johann v. Luxemburg, Kg. v. Bö 102 Johann der Gute, Kg. v. Frankreich 122
671 Johann Parricida 102 Johann Salvator, Ehg., zuletzt Johann Orth 368 Johann Sobieski, Kg. v. Polen 185 Johann Baptist, Ehg. v. Ö. 285, 315, 343 f., 354, 358 Johannes, B. v. Celeia 29 Johannes XXIII., Papst 110 Johann Heinrich v. Luxemburg, Gf. v. Tirol 103, 106, 116 Jonas, Franz, Bgm. v. Wien, BP 597 Jordanes, Autor 33 Joseph, Edler 47 Joseph, Ehg., ungar. Palatin 285 Joseph I., K. 216 f., 272 Joseph II., K. 196, 203, 218, 232, 234, 239, 240 255, 257 f., 260 – 262, 266 – 270, 272, 274, 275 – 278, 280 f., 285, 304, 319, 340, 349, 371 Juana, Gem. Philipps I., Kgin v. Spanien 141, 147 Juarez, Benito, Präs. v. Mexico 454 Jungmann, Josef, Slawist 328 Jury, Hugo, ns. Gauleiter 540, 563 Jurišić, Nikolaus, Ritter 101 Justinian, K. 29 Kádár, János, KP-Chef U.s 583, 609 Käs, Ferdinand, Uffz., Widerstd. 560 Kafka, Franz, Dichter 429 Kaltenbrunner, Ernst, SS-Führer 575 Kamitz, Reinhard, Finanzmin. 588, 573 Kapp, Dr. Martin, gen. »Siebenbürger«, siehe auch Siebenbürger 148 Kara Mustafa, Großwesir 184 Karadžić, Vuk Stefanović, serbischer Patriot 334 f., 336 Karajan, Theodor v., Germanist 370, 400 Karl I., K. v. Ö., als Kg. v. U Karl IV. 459, 464, 467, 468, 478 Karl III. »der Dicke«, fränk. Kg. 45 f. Karl IV., böhm. Kg., K. 105 – 108, 117 f., 130 Karl V., Kg. v. Spanien, K. 140, 141, 143, 147 – 150, 152 f., 155 f., 158, 205 Karl VI., K. (als Kg. v. Spanien III. 10, 209, 216 – 222, 225, 231 – 234, 244, 271 f. Karl VII., K., als Kf. v. Bayern Karl Albrecht 234 f., 244 Karl d. Gr., Kg. d. Franken, K. 36, 37, 40, 42 – 44, 75 Karl II., Kg. v. Spanien 211, 216
672 Karl (II.) v. Innerösterreich, Ehg., 156, 158, 162, 166, 167, 169, 209 Karl X. frz. Kg. 299 Karl, Ehg., Deutschmeister 177 Karl (s. auch »Carl«), Ehg., Heerführer 215, 285, 289, 292, 305 Karl Albrecht, Kurfürst v. Bayern, s. auch Karl VII. 233 Karl v. Lothringen, Heerführer 185 Karl August v. Weimar, Ghg. 250 Karl Ludwig, Ehg., Bruder K. Franz Josephs 455 Karl von Pfalz-Zweibrücken, Hg., 242 Karl Theodor von der Pfalz, Kurfürst 242, 245 Karlmann, ostfrk. Kg. 45 f. Kastelic, Jakob, Widerstd., NS-Opfer 559 Kastner, Walther, Jurist 544 Katharina, Tochter K. Karls IV., Gem. Hg. Rudolfs IV. 105 Katharina, russ. Zarin 250 Kaunitz Dominik Andreas, Reichsvizekanzler 216 Kaunitz, Eleonore Gfin., Gem. Metternichs 294, 298, 300 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Gf. (Fürst), Staatskanzler 236, 237, 272, 280 Kautschitsch, Anton, B. v. Ljubljana 268 Kazinczy, Ferenc, ungar. Patriot 340 Kehlmann, Daniel, Autor 624 Kelsen, Hans, Jurist 485 Kempen v. Fichtenstamm, Johann Franz, Polizeimin. 374 Kern, Christian, SPÖ-Pol., BK 616 Khevenhüller, Ludwig Andreas Reichsgraf, Heerführer 235 Khuen-Héderváry, Karoly, Banus von Kroatien, ungar. MP 425 Kirchmair, Georg, Brixener Amtmann 153 Kirchl, Otto, Polizist, NS-Opfer 562 Kirchschläger, Rudolf, Diplomat, BP 594, 597, 603 Kirchweger, Ernst, antifasch. Aktivist 638 Kisch, Egon, Erwin, Publizist 429 Klaus, Josef, ÖVP-Pol., LH v. Sbg., BK 592 – 594 Klausner, Hubert, ns. Gauleiter 540 Klein Franz, Jurist, Min. 483 Klein v. Wisenberg, Albert,Unternehmer 320 Kleinschroth, Balthasar, Zisterziensermönch 184 Kleyle, Karl v., Gutsbesitzer 349
Register
Klesl, Melchior, B. u. Kardinal 169, 172 Klima, Viktor, Manager, BK 614 Klimt, Gustav u. Ernst, Künstler 441 – 443, 451 f., 530 Klüger, Ruth, Autorin 549 Köhlmeier, Michael, Autor 624 Kölderer, Jörg, Künstler 142 König, Franz, Eb. v. Wien, Kardinal 597 Koerber, Ernest v., MP 416 Kohn, Jacob, Möbelfabrikant 442 Kohn, Walter, Nobelpreisträger 549 Kokoschka, Oskar, Künstler 452, 530 Kolig, Anton, Künstler 530 Kollár Ján, Dichter 328 Kolleritsch, Alfred, Publizist 621 Kollonitsch, Sigismund, Kardinal 225 Kollowrat, Leopold Gf., Hofkammerpräsident 239 Koloman, Hl., Landespatron 79, 107, 223 Kolowrat, Leopold Gf., 277 Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Gf., Staats- u. Konferenzmin. 303 Konrad I., Eb. v. Sbg. 62, 91 f. Konrad II., Eb. v. Sbg. 92 Konrad III., Eb. v. Sbg. 92 Konrad II., K. 64, 73, 80 Konrad III., K. 64, 71, 81 f. Konrad IV., Eb. v. Sbg. 100 Konrad, Meister von Friesach, Künstler 122 Konstantin d. Gr., K. 24, 26 Konstantin (Kyrill), Mönch 37, 49 f. Körner, Theodor, Dichter 292 Körner, Theodor, General, Bgm. v. Wien, BP 566, 573, 591 Kopitar, Bartholomäus ( Jernej), Slawist 310, 330, 334, 336 f. Koplenig, Johann, komm. Pol. 566 Kossuth, Ferenc, ungar. Pol. 424 Kossuth, Lajos, ungar. Pol. 342, 349 f., 353, 360, 362, 373, 424 Kottanner, Helene, Hofdame 112 Koref, Ernst, sd. Bgm. v. Linz 567 Koren, Stefan, Nationalökonom 590, 594, 601 Kotzebue, August, Dichter 299, 302 Kozler, Peter, slowen. Politiker, Kartograph 355 Krafft, Johann Peter, Künstler 312 Kraft, Viktor, Philosoph 529
Register
Kramář, Karel, tschech. Pol. 431, 464 Kramerius, Wenzel Matthias, Verleger 327 Krammer, Reinhard, Historiker 524 Kraus, Karl, Satiriker 446, 526, 618, 624 Kraus, Wolfgang, Ges. f. Literatur 619 Krawarik, Johannes, Domkurat 558 Kreisky, Bruno, SPÖ-Pol., Außenmin., BK 581, 591, 593 – 603, 607, 611 f. Krek, Janez Evangelist, slowen. Pol. 433 Kreutzer Konradin, Komponist 307 Kriehuber, Josef, Lithograph 612, 345 Krüdener, Juliane v., pietist. Autorin 297 Krupp, Hermann und Alfred, Unternehmer 320, 441 Kubin, Alfred, Zeichner 530 Kudlich, Hans, Abg. 1848 350, 358, 360 f. Kübeck, Friedrich v., Pol. 369 Kürnberger, der, Minnesänger 67 Kürnberger, Ferdinand, Autor 446 Kuefstein, Johann Georg v., Adeliger 165 Kun Bela, ungar. Revolutionär 472 Kunigunde, Hgin. v. Bayern, Schwester Maximilians I. 141 Kunschak, Leopold, cs. Pol. 485, 497, 512, 565 Kunter, Heinrich, Kaufmann 201 Kupelwieser Berta, geb. Wittgenstein, Gem. v. Karl K. 442 Kupelwieser, Leopold, Künstler 312, 321, 442 Kupelwieser, Karl, Jurist und Mäzen 321, 442 Kupelwieser Paul, Unternehmer 321, 442 Kuranda, Ignaz, Publizist 256, 404 Kuretsidis-Haider, Claudia, Historikerin 575 Kurz, Felix, Schauspieler 273 Kurz, Sebastian, ÖVP-Pol.,Außenmin., BK 616 Lacina, Ferdinand, SPÖ-Pol., Min. 638 Lacy, Franz Moritz Gf., Heeresorganisator 240, 242, 267 Ladislaus, Kg. v. U 99 Ladislaus Posthumus, Hg.v. Ö., Kg. v. Bö u. U 109, 112 f., 118 f., 131 f. Ladner, Gottlieb, Historiker 489 Laib, Conrad, Künstler 122 Lamberg, Franz Philipp Gf., Offizier 360 Lammasch, Heinrich, Jurist, MP 468, 483, 488 Landsteiner, Karl, Nobelpreisträger 547
673 Lang, Matthäus, Kanzler, Eb. v. Sbg. 136, 188 Lanner Josef, Komponist 307, 345 Larisch, Johann Gf,. Min. 380 Laroche Johann, Schauspieler 273 Lasser v. Zollheim, Josef, Beamter u. Pol. 413 Lassnigg, Maria, Künstlerin 626 Latour, Theodor Gf.Baillet de, Kriegsmin. 361 Laube, Heinrich, Theaterdirektor 307, 443 Laudon, Gideon Ernst Frh., General 242, 251 Lazarsfeld, Paul, Soziologe 530, 548 Lazius, Wolfgang, Gelehrter 165 Lechner, Ödön, ungar. Architekt 422 Lederer, Karl, Widerstd., NS-Opfer 559 Lehár, Franz, Komponist 454 Lehmden, Anton, Künstler 626 Lein Hermann, Beamter, NS-Opfer 558 Lendvai, Paul, Publizist 422 Leonhard, Gf. v. Görz 117 Leopardi, Giacomo, ital. Dichter 332 Leopold I., K. 210, 211, 215 – 217, 220, 233, 251, 272 Leopold I., Mgf. v. Ö. 79 Leopold II., K. (als Großherzog v. Toscana Pietro Leopoldo) 242 f., 249, 251, 276, 281, 288 f., 327, 334 Leopold II., Mgf v. Ö. 80 f. Leopold III., Hl., Mgf. v. Ö., 77, 81 f., 107, 114 Leopold III., Hg. v. Ö. 107 – 109 Leopold IV., Mgf. v. Ö. 71, 82 Leopold IV., Hg. v. Ö. 109 f., 128 Leopold V., Hg. v. Ö. u. Stmk. 79, 83, 84 Leopold V., Ehg, B. v. Passau, Lf. v. Tirol 156 Leopold VI., Hg. v. Ö. u. Stmk. 84 f. Leopold »der Starke«, Mgf. d. Karantan. Mark 77 Leopold I. (v. Habsburg), Hg. v. Ö. 101 – 103 Leopoldine, Ehgin., Kaiserin v. Brasilien 286 Leser, Norbert, Sozialphilosoph 600 Leszczyiński, Stanislaus, Kg. v. Polen 219 Leuthner, Karl, sd. Pol. 485 Levstik, Fran, slowen. Autor 432 Libenyi, Janos, Attentäter 367 Lienbacher, Georg u. Matthias, Pol. 404 Liechtenstein, Prinz Aloys, cs. Pol. 414 Liechtenstein, Ulrich v., Dichter 62 Linde, Samuel Gottlob, poln. Sprachforscher 330 Linhart, Anton Thomas, slowen. Aufklärer 335 f.
674 Lippay, Georg, Eb. v. Gran 184 Lipuš, Florjan, Autor 621 List Friedrich, Nationalökonom 303 Littrow, Joseph Johannes, Astronom 370 Liupramm. Eb. v. Sbg. 37 Livius, Historiker 19 Ljudewit, Slawenfürst 39, 44 Lobkowitz, Wenzel Eusebius Fürst, Kanzler 210 Lobmeyr, Ludwig, Glaswarenfabrikant 391 Löhr, Alexander, General 552 Loewe, Ferdinand, Komponist 525 Loewenfeld-Russ, Hans v., Beamter, Staatssekr. 519 Loewi, Otto, Nobelpreisträger 547 Lohenstein, Daniel Caspar v., Dichter 275 Loos Adolf, Architekt 442, 524 f. Losenstein, Hans Wilhelm von, nö. Adeliger 164 Lotzer, Sebastian, Verf. d. »12 Artikel« 191 Louis-Philippe v. Orléans, frz. Kg. 300 Lucchese, Filiberto, Baukünstler 224 Ludwig, Ehg., Leiter der Staatskonferenz 305 Ludwig der Bayer, K. 102 f., 116, 118 Ludwig d. Deutsche, Kg. 37, 45 f., 49 Ludwig d. Fromme, K. 45 Ludwig I., Kg. v. U 121 Ludwig I., Kg. v. Bayern 300 Ludwig II., Kg. v. U 143, 149 Ludwig XIV., französ. Kg. 186, 203, 210 f., 216, 218, 263 Ludwig XVI., französ. Kg. 241 Ludwig Wilhelm von Baden, Heerführer 186, 215, 244 Ludwig v. Brandenburg, Gf. v. Tirol 106, 116, 125 Ludwig d. Jüngere, fränk. Kg 45 Ludwig v. Görz-Tiro, Gf. 116 Lueger, Erasmus, Ritter 114 Lueger, Karl, cs. Pol., Bgm. v. Wien 408 Mach, Ernst, Physiker, Philosoph 529 Machold, Reinhard, SPÖ-Pol. 567 Machlup, Fritz, Nationalökonom 530 Mack, Karl, General 291 Macmillan, Harold, brit. Außenminister 582 Madeyski, Stanislaw u. Georg v., Min. 434 Mahler, Alma, geb. Schindler 451 f., 527 Mahler, Gustav, Komponist 451, 453 Mahringer, Anton, Künstler 530
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Maier-Kaibitsch, Alois, dn. Funktionär 550 Maister, Rudolf, slowen. Offizier 482 Majar, Matija, slowen. Geistlicher 355 Makart Hans, Künstler 398, 450 Mallenthein, Ferdinand Gf., Unternehmer 233 Mancini, Olympia, Mutter des Prinzen Eugen 215 Mandl, Ignaz, Pol. 408 Mann, Golo, Publizist, Historiker 618 Manner Josef, Unternehmer 391, 441 Mansfeld, Ernst v., Heerführer 178 Marai, Sandor (Alexander Goldschmid), ungar. Autor 422 Margareta Teresia, erste Frau K. Leopolds I., Tochter Kg. Philipps IV. 216, 272 Margarete, Kgin., Gemahlin Kg. Heinrichs (VII.) 86 Margarete »Maultasch«, Gfin. v. Tirol 103, 106, 116 Margarete, Schwester Hg. Rudolfs IV. 106 Margarete, Tochter Maximilians I. 140, 143 Maria v. Bourbon, Großmutter des Prinzen Eugen 215 Maria v. Burgund, 1. Frau K. Maximilians 112, 140 Maria, Kgin. v. U, Gem. Ludwigs II. 143 Maria Anna, Mutter Leopolds I., 211 Maria Louise, Gem. Napoleons I. 286 Maria Theresia, Kgin. 218, 219, 225, 227, 232 – 240, 242 – 244, 246, 248 – 252, 255 – 257, 259, 263 – 265, 268, 270, 274 – 276, 278, 326, 449 Marie Antoinette, Kgin. v. Frankreich 241 Marie-Christine v. Sachsen-Teschen 248 Marie Valerie, Tochter Elisabeths u. Franz Josephs 383, 455 Marinelli, Karl, Theaterdichter 273 Markus Sittikus v. Hohenems, Eb. v. Sbg. 224 Martinelli Domenico, Baukünstler 224 Martinitz, Jaroslav v., kgl. Rat in Prag 172 Martinovits, Ignaz v., ungar. Jakobiner 288, 289 Masaryk, Tomáš Garrigue, tschech. Pol. ; Präs. 429, 457, 486 Matthias, Ehg., K. 160 f., 163, 170 – 173 Matthias Corvinus, Kg. v. U 114 f. Mattielli, Lorenzo, Bildhauer 226 Matsch, Franz, Künstler 451 Maulbertsch, Franz Anton, Künstler 225, 278 Mauthe, Jörg, Publizist 603
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Mautner v. Markhof, Adolf Ignaz, Unternehmer 441 Mautner, Isidor, Unternehmer 443 Mauthner, Max, Unternehmer 400 Max Emanuel, bayer. Kurfürst 215 f. Maximilian I., Kg., »erwählter« K. 112 f., 116 f., 129 – 131, 135 f., 138, 140 – 143, 147, 150, 153 Maximilian II., K. 156, 160 – 162, 164, 182, 187, 195 Maximilian III., bayer. Kurfürst 242 Maximilian v. Cilli, B. 113 Maximilian »der Deutschmeister«, Ehg., 156, 161 Maximilian, Hg. v. Bayern 174, 178, 189 Maximilian v. Mexico, Bruder Franz Josephs 454 Maximilian Franz, Sohn Maria Theresias, Eb. u. Kf. v. Köln 245 Mayer, Kajetan, lib. Abg. 1848 361 Mayr, Michael, Staatssekr., BK 485, 486 Mayröcker, Friederike, Autorin 620 Mazarin, Jules, Kardinal, Staatsmann 210, 215 Mazzini Giuseppe, ital. Nationalist 332, 342 Mažuranić, Ivan, kroat. Dichter, Banus 425, 334 Medici, Claudia v., Gem. Leopolds V., Gfin. v. Tirol 156 Megerle, Ulrich (Abraham a Sancta Clara), Prediger 275 Megingaud, B. v. Eichstätt 79 Megiser, Hieronymus, Schulrektor 163, 167 Mehmed II., osman. Sultan 114, 119 Meinhard II. (IV.) v. Görz-Tirol 89, 90 f., 93, 95, 99, 116 Meinhard III., Gf. v. Görz 86 Meinhard III., Gf. v. Tirol 106 Meinhard VI., Gf. v. Görz 117 Meinl Julius, Unternehmer 391, 440, 507 Melanchthon, Philipp, Reformator 160, 168 Melichar, Peter, Historiker 491 Mell, Max, Autor 528 Menasse, Eva u. Robert, Autorin, Autor 624 Menczla, Meister, Dombaumeister 121 Menger, Carl, Nationalökonom 454 Mensdorff-Pouilly, Alexander Gf., Außenminister 380 Mentschl, Josef, Historiker 443 Merci, Claudius Florimond Gf., Kolonisator 218 Merz, Carl. Kabarettist 623
675 Mesch, Michael, Sozialforscher 628 Metastasio, Pietro, Operndichter 272, 274 Methodios, Mönch und B. 37, 49, 50 Metternich, Franz Georg Reichsgf. 294, 297 Metternich, Clemens Wenzel Lothar, Fürst, Staatskanzler 293, 294 f., 297, 299 – 306, 310 f., 317, 330, 334, 336, 350, 366 Michael I. Apafi, Fürst v. Siebenbürgen 185 Mikl, Josef, Künstler 626 Miklas, Wilhelm, BP 511 f., 537 Miklosich, Franz (Fran) v., Slawist 355, 370 Miles, Sherman, amerik. Offizier 481 f. John Stuart Mill, Sozialphilosoph 443 Miller-Aichholz, Giuseppe, Unternehmer 441 Millöcker, Karl, Komponist 454 Mises, Ludwig v., Nationalökonom 530 Mittermayr, Hans Ludwig, Unternehmer 208 Mock, Alois, Außenmin. VK 595, 604 f., 607 – 610 Modestus, B. in Karantanien 37 Molden, Fritz, Publizist u. Verleger 560 Moll, Carl, Künstler 451 f. Molotow, Wjatscheslaw. M., sowjet. Pol. 551, 581 f. Montani, Gabriele, Baukünstler 225 Montecuccoli. Raimund, Heerführer 183 Montgelas, Maximilian Carl Joseph Frh. v., bayer. Minister 293 Morakshy v. Noskau, Wenzel, Söldnerführer 189 Morgenstern, Oskar, Nationalökonom 530, 548 Moro, Johann und Christoph, Fabrikanten 280 Moser, Koloman, Künstler 442 Mozart, Wolfgang Amadeus, Komponist 274, 277, 306, 318 Much, Placidus, Abt 223 Müller, Adam, Romantiker 292 Müller, Adolf, Komponist 307 Müller, Johannes v., Historiker 292 Münichreiter, Karl, Schutzbündler, Justizopfer 513 Müntzer, Thomas, radikaler Reformator 192 Munggenast, Josef, Barockarchitekt 226 f. Munkácsy, Mihály, ungar. Künstler 422 Murad, osman. Sultan 111 Muratori. Ludovico, kath. Aufklärer 263 Musil, Robert, Autor 526, 548 Mussolini, Benito, ital. Diktator 496, 500, 509 – 512, 516, 535, 537, 550 f., 576
676 Nádasdy, Franz, ungar. Adeliger 184 Nagy, Imre, ungar. MP 583 f. Napoleon I., K. d. Franzosen s. Bonaparte Napoleon III., K. d. Franzosen 373, 374, 378, 379 Nasir-ad Din, Schah von Persien 386 Nenni, Pietro, ital. Pol. 595 Nenning, Günther, Publizist 603 Nestroy, Johann, Theaterdichter 308 Neubacher, Hermann, ns. Bgm. v. Wien 520, 540 f. Neurath, Otto, Nationalökonom, Volksbildner 528 f. Niederstätter, Alois, Historiker 100 Nikolaus I., russ. Zar 373 Nikolaus von Leyden, Bildhauer 121 Nobel, Alfred, Großindustrieller 448 Nonnosus, Diakon 29 Noot, Hendrik Karel Nicolaas van der, Advokat 248 Nüll, Eduard van der, Architekt 448 Oci (Otger, Otakar), Gewaltbote in Ktn. 73 Odoaker, Kg. v. Italien 26, 27, 33 Okopenko, Andreas, Lyriker 624 Olah, Franz, Gewerkschafter 538, 587, 591 f. Olbrich, Josef Maria, Architekt 450 f. Oñate, Don Iñigo Gf. v., span. Diplomat 177 Opitz, Martin, Dichter 275 Oranien, Wilhelm v., brit. Kg. 211 Ossoliński, Graf v. Tenczyn, Józef Maksymiljan, Bibliothekar 330, 336 Otakar I.,II., III., Mgfn. d. Karantan. Mark. 71, 77 f., 96 Otakar IV., Mgf., Hg. v. Steiermark 78, 83 Otakar II. Přemysl, Kg. v. Bö, Hg. v. Ö. u. Stmk. 74 f., 86 f., 89, 99 Otfried von Weissenburg 45 Ottillinger, Margarete, Managerin 583 Otto I,. Kg. d. Ostfranken, K. 51, 70 Otto II., K., 64, 72, 79, 87, 91 Otto II., Hg. v. Bayern 86 Otto III., K. 60, 64, 73 Otto (VII.) v. Andechs, Hg. 71 Otto »der Fröhliche«, Hg. v. Ö. u. Stmk. 103 f. Otto v. Eberstein, Statthalter 86 Otto v. Freising, B. u. Historiker 70 Otto v. Wittelsbach, Pfalzgraf 71 Otto v. Görz-Tirol, Gf. 34 Otto, Ehg., Sohn K. Karls I. 535, 592
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Pacassi, Nicoló, Baukünstler 225 Pacelli, Eugenio (Papst Pius XII.) 539 Pacher, Michael, Künstler 122 Pacher, Raphael, dn. Pol. 410 Palacký, František, Historiker 329, 338, 346, 354 – 356, 361, 377, 428 Pálffy, Johann Graf, General 217 Palme, Olof, schwed. MP 600 Pantz Ignaz R. v., Ingenieur 315 Papen, Franz v., deutscher Gesandter in Ö. 516 Pappenheim, Gottfried Frh. v., Heerführer 189 Paradeiser, Marian, Kirchenmusiker 272 Parler, Peter, Baumeister 128 Pašić, Nikola, serb. MP 458 Pattai, Robert, cs. Pol. 407 f. Pasanec, Ivan, kroat. Bauernführer 187 Peikhardt, Franz, Domprediger 230 Pelinka, Anton, Politologe 604 Pellico, Silvio, ital. Dichter 332 Pelzel (Pelcl), Franz Martin, Slawist 327 Pergen, Johann Baptist Anton Gf., Min. 258, 288 Pereira, Heinrich v., Bankier 320 Pereira-Arnstein, Adolf, August, Ignatius v., 321 Pernerstorfer, Engelbert, sd. Pol. 407 Petek, Franc, Slowenenvertreter 550 Peter Friedrich, Obmann d. FPÖ 595, 599, 602 Petrack, Ulrich, Melker Benediktiner 272 Petrarca, Francesco 105 Pettenkofen, August v., Künstler 450, 451 Petzold, Alfons, Arbeiterdichter 520 Petzval, Joseph Max, Mathematiker 370 Peymann, Claus, Regisseur, Dir. d. Burgtheaters 623 Pez, Bernhard, Historiker 271 Pez, Hieronymus, Historiker 271 Pfrimer, Walter, Heimwehrführer 498 Philipp IV., Kg. v. Frankreich 101 Philipp IV., Kg. v. Spanien 211, 216 Philipp, Hg. v. Anjou 216 Philipp v. Schwaben, Kg. 62, 71 Philipp v. Spanheim, Erwählter Eb. v. Sbg. 74 f., 93 Philipp I. »der Schöne«, span. Kg., Sohn Maximilians I. 140 f. Piccolomini, Äneas Silvius (Papst Pius II.) 113, 133 Pichler, Karoline, Autorin 318 Pietro Leopoldo, Ghg. v. Toscana, s. K. Leopold II. Piesch, Hans, SPÖ-Pol. 567
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Piffl-Perčević, Theodor, ÖVP-Pol., Min. 623 Pilgram, Anton, Dombaumeister 121 Pilgrim, B. v. Passau 68 f. Pilgrim II., Eb.v. Sbg. 133 Pillersdorf, Franz Baron, Innenminister 352 Pilz, Peter, Pol. 614 Pinay, Antoine, frz. Außenminister 582 Pippin, fränk. Kg. 36, 43 Pittermann, Bruno, SPÖ-Pol., VK 591 Pius II., Papst (Ae. S. Piccolomini) 113 Pius XI., Papst 73 Pius XII., Papst (Eugenio Pacelli) 539 Plečnik, Jože ( Josef ), Baukünstler 321, 450, 456 Plener, Ernst v., lib. Pol. 413, 429 Plener, Ignaz v., Finanzmin. 375 Plischke, Ernst A., Architekt 531 Pohlin, Markus, Sprachgelehrter 336 Poincaré, Raymond, frz. Präsident 458 Pollack, Martin, Autor 624 Ponte, Lorenzo da, Operndichter 274 Popowitsch, Johann Siegmund Valentin, Germanist 275 Popper, Sir Karl, Logiker 529 Poppo, Gf.v. Weimar-Orlamünde 88 Potiorek, Oskar, General 457 Potocki, Alfred Gf., Min., MP 413, 434 Pozzo, Andrea, Künstler 223 Prachensky, Markus, Künstler 626 Prandtauer, Jakob, Baumeister 185, 226 – 229 Pražák, Alois, Min. 427 Prehauser, Gottfried, Schauspieler u. Autor 273 Preradović, Petar, kroat. Dichter 334 Prešeren, France, slowen. Dichter 337 Princip, Gavrilo, serb. Attentäter 457 Privina, mähr. Fürst 37, 49 Proksch, Udo, Designer 600 Prutscher, Otto, Künstler 442 Puchheim, Hans v., ö. Adeliger 148 Puchsbaum, Hans, Dombaumeister 121 Pusika, Peter, Künstler 121 Pyrker, Ladislaus, Dichter, Abt, Eb.v. Venedig 332 Qualtinger, Helmut, Kabarettist 623 Quarti, Quartinus, Breone 34 Raab, Franz v., Hofrat 253
677 Raab, Heinrich, Bruder v. Julius R. 581 Raab, Julius, BK 573, 581, 591 Rabinovici, Doron, Autor 624 Radetzky von Radetz, Johann Josef Wenzel, Heerführer 349, 351, 355, 358, 362, 366 Rafelsberger, Walter, ns. Funktionär 543 Rahl, Carl, Künstler 450 Raimund, Ferdinand, Theaterdichter 308 Rainer, Ehg., Vizekg. v. Lombardo-Venetien 285 Rainer, Arnulf, Künstler, 626 Rainer, Friedrich, ns. Gauleiter 540 f., 575, 580 Rákóczi, Franz I. u. II., ungar. Adelige 184, 217 Rákosi, Mátyás, komm. ungar. Diktator 583 Ramek, Rudolf, cs. Pol., BK 491 f., 509 Ranke, Leopold v., Historiker 335 Ransmayr, Christoph, Autor 625 Raschke, Rudolf, Offizier, NS-Opfer 560 Rastislav, Fürst d. Mährer 49 Rathkolb, Oliver, Historiker 599, 602 Ratschky, Josef Franz, Aufklärer u. Zensor 275 Rauchensteiner, Manfried, Historiker 459, 467 Rauscher Othmar, Eb. v. Wien 366, 372 Rechberg, Johann, Georg, Gf., MP, Außenmin. 375, 378 f. Redlich, Joseph, Historiker u. Politologe 379, 397, 468 Redtenbacher, Josef, Chemiker 370 Rehrl, Franz, LH v. Sbg. 506 Rehor, Grete, Ministerin 593 Reininghaus, Julius, Chemiker 441 Reinmar von Hagenau, Minnesänger 67 Reinprecht v. Wallsee, Hauptmann ob der Enns 134 Reither, Josef, nö. Bauernführer 505, 508 Relin, Veit, Regisseur 618 Rendulic, Lothar, ns. General 576 Renner, Karl, sd. Pol., Kanzler, BP. 468, 476 f., 483 – 485, 496, 499, 509, 512, 521, 529, 539, 564 – 568, 571, 573, 636 Reutter, Christoph, Prediger 155 Reutter, Georg, Komponist 274 Reyberger, Anton, Moraltheologe 272 Rezek Josef, Techniker 393 Rhomberg, Franz M., Textilunternehmer 544 Richard Löwenherz, Kg. v. England 84 Riedel, Andreas, »Jakobiner« 288 Rieger, František Ladislav, tschech. Pol. 377, 428
678 Rintelen, Anton, LH. d. Stmk. 489, 491, 493, 494, 515 Rödern (Redern), Melchior Frh. v., Heerführer 182 Röggla, Kathrin, Autorin, 625 Romako, Anton, Künstler 450 Roman I., B. v. Gurk 92 Rosegger, Peter, Autor 528 Rosenstingl, Franz Thomas, Künstler und Architekt 227 Rossi, Domenico Egidio, Baukünstler 224 Rosthorn, Brüder August und Franz, Unternehmer 315, 318 Roth, Joseph, Autor 527, 548 Rothschild, Samuel Meyer v., Bankier 315, 320 Rothschild, Albert Salomon, Bankier 439, 440 Rothschild, Louis, Bankier 506, 544, 578 Rottmayr, Johann Michael, Künstler 225, 226, 229 Rudnay, Alexander, Eb.v. Gran 338 Rudolf, Ehg., Eb. v. Olmütz 307, 314 Rudolf, Ehg., Thronfolger 454, 455 Rudolf von Habsburg (Rudolf I.), Gf. u. Kg. 87, 89, 93, 95, 99, 131 Rudolf (II.), Sohn Rudolfs v. Habsburg 99 Rudolf II., K. 156, 158, 161, 164 f., 170 -172, 180, 182 f., 189, 191, 195, 253, 309 Rudolf III., Hg. v. Ö, Kg. v. Bö 101, 104, 116 Rudolf IV. »der Stifter«, Hg. v. Ö. 83, 105 – 108, 117, 121 f131, 223 Rudolf Brun, Zürcher Bürger 104 Rühm, Gerhard, Künstler 620 Saar, Ferdinand v., Dichter 321, 443, 446 Šafárik, Pavel Jozef, slaw. Sprachforsche 328, 338, 356 Salcher, Herbert, Finanzmin. 602 Salm, Niklas Gf., Heerführer 149 Salten, Felix, Autor 528 Sand, Carl, Student 299, 302 Sander, Friedrich, Schustergeselle 359 Sandgruber, Roman, Historiker 439, 441, 444 Saphoy, Hans, Dombaumeister 163 Saragat, Giuseppe, ital. Pol. 595 Sarkotić von Lovčen, Stefan, Heerführer 160 Saurau, Franz Joseph Gf., Staatsmann 277, 290 Sbarra, Francesco, Textdichter 272 Sciassia, Domenico, Baukünstler 224
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Schäffle, Albert, Sozialwiss., Pol. 413, 427 f., 437 Schärf, Adolf, SP-Pol., VK 563, 465, 566, 571, 591 Schaumayer, Maria, Managerin 615 Scheel, Gustav Adolf, ns. Gauleiter 541 Schiele, Egon, Künstler 452, 475, 530 Schikaneder, Emanuel, Theaterdichter 273, 274 Schill, Ferdinand, preuß. Offizier 293 Schiller, Friedrich, Dichter 309 Schindl, Robert, Autor 625 Schindler, Alma, Gem. Gustav Mahlers 451 Schindler, Emil Jakob, Künstler 451 Schindler, Franz, Prälat, cs. Pol. 408 Schirach, Baldur von, ns. Gauleiter 541 Schlegel, August Wilhelm, Dichter u. Übersetzer 292 Schlegel, Friedrich, Autor 292 Schlick, Moritz, Philosoph 529 Schmeltzl, Wolfgang, Dichter u. Komponist 202 Schmerling, Anton v., Min. 369, 376 f., 380, 403, 443 Schmidt, Friedrich Frh. v., Dombaumeister 449 Schmidt, Martin Johann, »Kremser Schmidt«, Künstler 278 Schmidt, Viktor Anton, Fabrikant 441 Schmied, Wieland, Kunsthistoriker 530, 531 Schmitz, Richard, cs. Pol., Min. 509, 538 Schneider, Ernest, antisemit. Pol. 408 Schnitzler, Arthur, Autor 445, 447, 460, 526 Schober, Johann, Polizeipräs., BK 486, 497, 526 Schoeller, Alexander, Unternehmer 320, 441 Schoeller, Paul, Unternehmer 441 Schönberg, Arnold, Komponist, Gem. Mathilde S. 452, 453 Schönborn, Friedrich Karl, Gf., Reichsvizekanzler 223, 225, 244 Schönerer, Georg v., dn. Pol. 407, 409 f., 437, 444 Schönerer, Matthias, Unternehmer 409 Scholz, Karl Roman, Augustiner-Chorherr, Widerstd., NS-Opfer 545 Scholz Werner, Künstler 530 Schramb, Anselm, Mönch 271 Schratt, Katharina, Schauspielerin 455 Schreyvogel, Josef, Dramaturg 309 Schröder, Wilhelm v., Merkantilist 231 Schrödinger, Erwin, Nobelpreisträger 548 Schrott, Raoul, Autor 625
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Schubert, Franz, Komponist 307, 520 Schuckert, Johann Siegmund, Techniker 387 Schüssel, Wolfgang, ÖVP-Pol., BK 604, 605, 614, 615 Schütte-Lihotzky, Grete, Architektin 525 Schulmeister, Otto, Publizist 635 Schumann, Clara u. Robert, Komponisten 452, 622 Schumpeter, Josef, Nationalökonom 501, 521, 529 Schumy, Vinzenz, Landbund-Pol. 498 Schuschnigg, Kurt, cs. Pol., BK 505, 515 – 518, 535 f. Schwarzenberg, Adolf v., Heerführer 183 Schwarzenberg, Felix Fürst, MP 361, 366, 368 f., 376 f. Schwarzenberg, Friedrich Fürst, Eb. v. Sbg., Kardinal 372 Schwarzer, Ernst v., Publizist, Minister 360 Schwendi, Lazarus, Heerführer 182 Sconzani, Ippolito, Künstler 226 Sedlnitzky, Josef Gf,. Polizeipräsident 310 Segantini, Giovanni, Künstler 443 Seipel Ignaz, Prälat, BK 468, 485 – 497, 499, 500 Seitz, Karl, sd. Bgm. v. Wien 495, 509, 560 Semper, Gottfried, Architekt 449 Setz, Clemens, Autor 625 Severinus, Severin, Hl. 26, 27, 28 Seyß-Inquart, Arthur, ns. Pol. 536 f., 540 f., 575 Sicard v. Sicardsburg, August, Architekt 448 Sickel, Theodor v., Historiker 370, 400 Siebenbürger, Dr. Martin (Kapp), Bgm. v. Wien 148 Sieghart, Rudolf, Jurist, Beamter, Bankier 400 Sieman, Wolfram, Historiker 301 Siemens, Werner v. 387 Sigihard, Patriarch v. Aquileja 69 Sigmund v. Tirol (der »Münzreiche«), Hg. v. Ö. 110, 112, 134 Sigismund, Luxmburger, röm Kg. u. K. 110 – 112, 118, 133 Sigismund, Kg. v. Polen 142 Sigl Georg, Unternehmer 316 Silesius Angelus, Dichter 275 Silva-Tarouca, Emanuel Gf. v., Berater 234 Sima, Hans, LH v. Ktn. 598 Sima, Valentin, Historiker 551 Simony, Friedrich, Geograph 370
679 Sind, Christian, Großhändler 233 Sinowatz, Fred, BK 602 – 605 Sinzendorff, Albrecht Gf. 208 Sinzendorff, Ludwig Gf., Hofkammerpräsident 208 Skoda, Emil, Unternehmer 400 Slatin Pascha, Rudolf Carl Frh. v., Offizier 483 Slavata von Chlum Wilhelm, kgl. Rat 172 Slokar, Johann, Historiker 323, 344 Slomšek, Anton Martin, B. v. Lavant 431, 432 Smodej, Franz, slowen. Geistlicher 481 Smolka, Franciszek, poln. Pol. 331 Solari, Santino, Baukünstler 224 Sonnenfels, Josef v., Aufklärer 256, 257 f., 273, 275 – 277 Sophie v. Wittelsbach, Mutter K. Franz Josephs 365, 372, 379 Spann, Othmar, Staatstheoretiker 529 Sperber, Manès, Autor 618 Spiel, Hilde, Autorin 529, 548 Springer, Gustav Frh. v., Bankier 440 Srbik, Heinrich v., Historiker 306 Šrámek, Jan, tschech. Pol. 430 Stadler, Maximilian, Kirchenmusiker 272 Stadion, Franz Gf., Statthalter, Min. 351, 368 f., 371, 376 Stadion, Philipp Gf., ö. Außenmin, 292, 293, 294 Stalin, Josef Wissarionowitsch 505, 557, 565, 580 f. Stangl, Franz, KZ-Kommandant 549, 576 Starhemberg, Ernst Rüdiger, Heimwehrführer, VK 498, 511, 516 f., 535, 540 Starhemberg, Gundakar Graf, Hofkammerpräsident 216 Starhemberg, Ludwig v., prot. oö. Adeliger 174 Staribacher, Josef, sd. Pol., Min. 588 Staud, Johann, christl. Gewerkschafter 517, 538 Stefan I., Hl., ungar. Kg. 51 Stefan, Josef, Physiker 370 Steger, Norbert, Chef d. FPÖ 602 Steidle, Richard, Heimwehrführer 496, 498 Steinbach, Emil, Beamter, Min. 414 f. Steinl, Matthias, Künstler 225 Stepan, Karl Maria, LH d. Stmk. 559 Stephanie, Gem. d. Thronfolgers Ehg. Rudolf 454 Stiassny, Wilhelm, Architekt 445 Stiefel, Dieter, Historiker 557 Stifft, Andreas, Leibarzt 304, 310
680 Stifter, Adalbert, Autor 445, 446 Stinnes, Hugo, Großindustrieller 521 Stolper, Gustav. Publizist 502 Storfer, Berthold, Kommerzialrat 544 Stourzh, Gerald, Historiker 635 Strada, Jakopo, Baukünstler 164 Straffner, Sepp, gd. Pol. 509 f. Stranitzky, Joseph Anton, Theaterdichter 272 f. Strattmann, Theodor, Hofkanzler 208 Straus, Oskar, Komponist 454 Strauß Johann, Vater, 307, 356, 358 Strauß Johann, Sohn, Eduard u. Josef, Brüder 453 Strauss, Richard, Komponist 447 Streeruwitz, Ernst, BK 497 Streeruwitz, Marlene, Autorin 625 Stremayr, Karl v., Min. 414, 428 Stresemann, Gustav, deutscher Außenminister 520 Streun von Schwarzenau, Reichard, Diplomat 165 Strigel, Bernhard, Künstler 142 Strnad, Oskar, Architekt 531 Strobl, Rudolf, Genossenschaftsfunktionär 517 Stronach, Frank, Unternehmer 614, 618 Strossmayer, Josip Juraj, B. v. Djakovar 425, 426 Stubenberg, Katharina v., Stifterin 120 Stülz, Jodok, Historiker 272 Stürgkh, Karl Gf., MP 417, 431, 459 Štúr, L’udovit, slowak. Sprachgelehrter 338 f., 354, 356 Sturmberger, Hans, Historiker 174 Süleyman I., osman. Sultan 149, 160 Suppé, Franz v., Komponist 454 Šusteršič, Ivan, slowen . Pol. 433 Suttner, Bertha v,. Pazifistin 448, 451 Švehla, Antonín, tschech. Pol. 430 Swieten, Gerhard van, Arzt u. Reformer 258 f., 263, 279 Swieten, Gottfried van, Aufklärer 258, 272, 275 Szapolyai, Johann, ungar. Kg. 149 Széchenyi, Ferenc Gf., Mäzen 341 Széchenyi Istvan, ungar. Patriot 341 f., 353 Szécsen, Anton Gf., ungar. Pol. 375 Szokoll, Carl, Offizier, im Widerstand 560 Taaffe, Eduard Gf,. MP 401, 414 f., 428, 432, 434, 437 Tänzel, Veit, Jakob u. Simon, Unternehmer 165
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Tahy, Franz (Ferencz), Grundherr 187 Talleyrand, Charles-Maurice de, frz. Außenminister 295 Tandler, Julius, Prof., Stadtrat 523 Tardieu, André, frz. MP 500 Tassilo III., Hg. d. Baiern 36, 39 Tattenbach, Hans Erasmus Gf., steir. Adeliger 184 Tauber, Caspar, Lutheraner 154 Tauferer, Siegfried Baron, »Jakobiner« 289 Tegetthoff, Wilhelm v., Admiral 378 f., 450, 454 Tencalla, Giovanni Pietro, Baukünstler 224 Terpinc, Fidelis, Unternehmer 389 Theoderich, Kg. d. Ostgoten 26, 29, 43 Theoderich, B. 37 Theodo, Hg. d. Baiern 35, 60 Thököly, Imre, Führer ungar. Aufständischer 184 Thöny, Wilhelm, Künstler 531 Thonet, Gebrüder (Michael, Josef, August, Franz, Jakob) Möbelfabrikanten 442 Thonradl, Andreas v., nö. prot. Adeliger 173 Thun-Hohenstein, Leo Gf., Minister 369 f. Thun, Ernst Gf,. Eb. v. Sbg. 225 Thurn, Heinrich Matthias Gf., böhm. Adeliger 172 f. Tiberius, K. 20, 23 Tilly, Johann T’Serclaes v,. Feldherr 174, 179 Tischler, Joško, Prof., Slowenenvertreter 550, 597 Tiso, Josef, slowak. Pol. 551 Tisza, Koloman (Kálmán) d. Ä., ungar. MP 421 f. Tisza, István d. J., ungar. MP 424, 458, 468 Tito, Josip Broz, Präs. v. Jugoslawien 580, 610, 521 Todesco, Eduard u. Hermann v., Unternehmer 443 Todesco, Sophie Baronin, geb. Gomperz, Gem. Eduards v. T., Saloniere 443, 446 Tolbuchin, Fjodor Iwanowitsch, Marschall d. SU 566 Torberg, Friedrich, Autor 548 Torstenson, Lennart, schwed. Heerführer 180 Traian, röm K. 20 Trattner, Thomas Edler von, Drucker u. Verleger 280, 316, 321 Trautmannsdorff-Weinsberg, Josef Gf., NS-Opfer 562 Trautson, Johann Frh. v., nö. Adeliger 165 Trautson, Johann Josef Gf., Eb. v. Wien 275 Trautson, Hanns III. 204
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Truber, Primus, slowen. Reformator 165 – 167 Truman, Harry S., Präsident d. USA 577 Tschernembl Georg Erasmus v., oö. Adeliger 171, 173, 174 Turgot, Anne-Robert-Jacques, frz. Min. 242 Übelbacher, Hieronymus, Propst 223 Uiberreither, Siegfried, ns. Gauleiter 540 f. Ulrich I. v. Weimar-Orlamünde, Mgf. v. Krain u. Istrien 79, 88 Ulrich III. v. Spanheim, Hg. v. Ktn. 74 Ulrich v. Wallsee, steir. LH 102 Ulrich X., Gf. v. Bregenz 75 Ulrich, Gf. v. Cilli 113, 117 Ungnad v. Sonneck, Hans, steir. LH 151 Unrest, Jakob, Chronist 186 Urban VI., Papst 109 Ursus, vir spectabilis ; Ursa, se. Gem. 29 Valentinian I., K. 25 Valvasor, Johann Weichard, Polyhistor 185 Vaugoin, Karl, cs. Pol. 494, 498, 511 Verdi Giuseppe, Komponist 332 Vergerio, Pietro Paolo, B. v. Capo d’Istria 166, 167 Vetsera, Mary 455 Viktor Emanuel II., Kg. v. Italien 386 Villars, Claude Louis Hector Hg. v., Heerführer 218 Virgil (Feirgil), Hl., B. v. Sbg. 36 Viridis Visconti, Gem. Hg. Leoplds III. 109 Vogelsang, Carl v., Publizist, Sozialref. 407 f., 414 Vodnik, Valentin, slowen. Dichter 336 f. Vögelin, Eric, Politologe 511 Vörösmarty, Mihály, ung. Dichter 340 f. Voltaire (François-Marie Arouet) 242, 256 Vorlauf, Konrad, Bgm. v. Wien 110 Vranitzky, Franz, SPÖ-Pol., Banker, BK 604 f., 607 f., 610, 614 Wagenseil, Georg Christoph, Komponist 274 Waggerl, Heinrich, Autor 528 Wagner, Otto, Architekt 442, 449, 452, 456, 530, 626 Wagner-Jauregg, Julius, Psychiater 547 Waldheim, Kurt, Diplomat, Gen.-Sekr. d. UNO, BP 579, 595, 600, 603, 604
681 Waldmüller, Ferdinand Georg, Künstler 311 f. Waldstein, Johann Josef Gf., Unternehmer 233 Wallenstein, Albrecht v., Feldherr 175, 178 – 180, 203, 210 Wallisch, Koloman, sd. Pol. 513 Wallucus, Karantanerfürst 38 Walther von der Vogelweide 67, 68 Waltilo, Gf. in Krain 88 Waltuni, karantan. Edler 73 Wangermann, Ernst, Historiker 258 Webern, Anton v., Komponist 453, 525, 526 Wedenig, Ferdinand, LH v. Ktn. 598 Weigel, Hans, Publizist, Übersetzer 620 Weinheber, Josef, Lyriker 528 Wekerle, Sándor, ungar. MP 422, 424 Wellington, Arthur Wellesley 1. Duke of, Heerführer 299 Wenzel, II. u. III., Kge. v. Bö 101 Wenzel, böhm. u. r.-dt. Kg. 109, 111 Werfel, Franz, Romancier 429, 445, 527, 548 Werndl,. Josef, Unternehmer 387, 390 Werner, Zacharias, Autor 292 Wertheimstein, Josephine u. Franziska v., Salonieren 321, 443 Wesselényi, Franz, ungar. Adeliger 184 Widerin, Peter, Bildhauer 226 Wiegele, Franz, Künstler 530 Wiener, Oswald, Kybernetiker, Künstler 620 Wiesenthal, Simon, Leiter d. Dokumentations zentrums über NS-Verbrechen 599 Wieser, Friedrich v., Nationalökonom 529 Wilhelm I., Kg. v. Preußen, dt. K. 378, 386 Wilhelm II., dt. K. 458, 467 f. Wilhelm, I., II., III., karol. Gfn. 46, 48 Wilhelm, Mgf. v. Saunien 73, 87 Wilhelm, Hg. v. Bayern 169 Wilhelm, Ehg., Hoch- und Deutschmeister 448 Wilhelm, Hg. v. Ö. 109 f. Wilibirg v. Eppenstein, Gemahlin Otakars I. 77 Willlibirg, Gemahlin d. Mgf. Werigand 79 Wilson, Thomas Woodrow, amerik. Präs. 477, 481 Windisch-Graetz, Alfred Fürst, Feldmarschall 356, 361 f., 371 Windisch-Graetz, Alfred III. Fürst, MP 415 Winkler, Andrej, Landespräs. 432 Winkler, Josef, Autor 622
682 Winter, Alfred, SPÖ-Mitglied 600 Winter, Ernst Karl, Historiker 517 Wisinger-Florian, Olga, Künstlerin 450 f. Withalm, Hermann, ÖVP-Pol., VK 592, 594 Witte, Hans de, Financier Wallensteins 178 Witternigg, Josef, sd. Pol. 491 Wittgenstein, Ludwig, Philosoph 529 Wittgenstein, Karl, Unternehmer 389, 392, 442 Wolf, Anton Aloisius, B. v. Ljubljana 262 Wolf, Hermann, dn. Pol. 416 Wolf Dietrich von Raitenau, Eb. v. Sbg. 224 Wolfgang von Regensburg, B. u. Hl. 56, 66 Wolfram Herwig, Historiker 38 Wladislaw I., Kg. v. U 112, 116 Wladislaw II., Kg. v. Bö u. U 142 f. Wotruba, Fritz, Bildhauer 583 Wratislaw, Hg. v. Bö 81 Wratislaw von Mitrowitz, Johann Wenzel Gf., Diplomat 216 Wutej, Rado, Kärntner Slowene, NS-Opfer 550 Ybl, Miklós, ungar. Architekt 422
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Zacherl Johann, Gregor u. Maria, Unternehmerfam. 321, 441 Zechner, Johann Georg, Komponist 274 Zeiller, Franz v., Jurist 277 Zeisel Hans, Soziologe 530 Zemlinsky, Alexander, Komponist 453 Zhisman, Josef, Jurist 454 Ziemałkowski, Florian, Abg. u. Minister 331 Zimmermann, Alfred R., Völkerbundkommissar 490 Zehner, Wilhelm, General, NS-Opfer 546 Zeller, Christoph, oö. Bauernführer 189 Zois, Sigismund Frh. v., Mäzen 316, 336 Zrinska, Helena, Witwe nach Franz I. Rákóczy 184 Zrinyi/Zrinski, Miklos (Nikolaus), kroat.-ungar. Heerführer 160 Zrinyi, Miklos, ungar. Verschwörer 184 Zrinyi, Peter, ungar. Verschwörer 184 Zweig, Stefan, Autor 445, 447, 527 f., 548 Zwentibald (Svatopluk), Fürst d. Mährer 49 f. Zwentibold, karantan. Edler 73 Zwingli, Ulrich, Reformator 154 Ztoimar, Karantanerfürst 39 Zucalli, Enrico, Baukünstler 224 Orte
Abkürzungen Staaten B Belgien BG Bulgarien BiH Bosnien und Herzegowina CH Schweiz CZ Tschechische Republik F Frankreich FL Fürstentum Liechtenstein H Ungarn HR Kroatien I Italien ISR Israel LT Litauen NL Niederlande PL Polen RO Rumänien SF Finnland SK Slowakei
SLO Slowenien SRB Serbien TR Türkei UA Ukraine Länder BAY BAY BGL Burgenland B-W Baden-Württemberg K Kärnten NÖ Niederösterreich OÖ Oberösterreich S Salzburg STM Steiermark T Tirol V Vorarlberg Wien wurde nicht ausgewiesen, nur einige vormals selbstständige Orte, die heute Teile von Wien sind.
Register
Aachen, NRW 101, 104, 153, 235, 299, 317, 441 Abstaller Becken, SLO 481 Admont, STM 65, 73, 195, 227, 545 Adrianopel, Edirne, TR 26 Aelium Cetium (St. Pölten), NÖ 21 Aggstein, NÖ 85 Agram (Zagreb), HR 182, 187, 356, 425, 457, 468 Aguntum (bei Lienz), T 20 Akkon, ISR 84 Ala, I 141 Alpbach, T 530 Altenburg, NÖ 65, 76, 223, 226 Altofen (Óbuda), H 422 Ambras, T 156, 164 Amstetten, NÖ 165, 231, 389 Andechs, BAY 70, 71 Ankara, TR 531 Antwerpen, B 140, 248, 450 Aquileja, I 19, 22, 23, 48, 62, 64, 69, 88, 106, 141. 196, 265 Aquincum (Buda), H 20 Arad, RO 362 Arlberg, T und V 89, 108, 109, 157, 390 Arrabona (Raab/Győr), H 21 Arnoldstein, K 65, 115, 481 Arnsdorf, NÖ 37 Arsiero, I 459 Artstetten, NÖ 456, 457 Aschbach, NÖ 61 Asiago, I 459 Aspern /Wien 293, 379 Aspersdorf, NÖ 126 Asturis (Zwentendorf ?), NÖ 21 Au im Bregenzerwald, V 291 Augsburg, BAY 21, 23, 64, 135, 136, 140, 141, 154, 156, 165, 169, 171, 173, 247, 265, 290, 319 Augusta Vindelicorum (Augsburg), BAY 21, 23 Augustianis (Traismauer), NÖ 21 Auschwitz, PL 544, 549, 552 Aussee, Bad Aussee STM 138, 187, 195, 196 Aussig an der Elbe (Ustí nad Labem), CZ 392, Austerlitz (Slavkov u Brna), CZ 280, 291 Avignon, F 109, 132 Baden bei Wien, NÖ 48, 200, 286, Bainsizza (Banjšica), SLO 459
683 Bamberg, BAY 64, 70, 71, 74, 77, 80, 150 Basel, CH 132, 15 Belgrad, Beograd, SRB 113, 119, 186, 216, 218, 219, 229, 251, 335, 457, 552, 610 Belluno, I 108 Benediktbeuern, BAY 71 Beraun (Beroun) CZ 315 Berchtesgaden, BAY 536 Berndorf, NÖ 320, 441, 544 Bihać, BiH 182 Bischoflack(Škofja Loka), SLO 58, 59, 88 Bischofshofen, S 35, 39, 558 Blansko, CZ 315 Blasendorf (Blaj), RO 353 Bleiburg, K 108, 481 Blindheim, BAY 217 Bludenz, V 109, 157 Blumenegg, V 157 Böheimkirchen, NÖ 40 Bohinjska Bistrica (Wocheiner Feistritz) SLO 316 Bonn, D 301, 307, 582 Bordeaux, F 199 Bozen, Südtirol, I 64, 89, 90, 120, 122, 201 Bratislava (Pressburg, Pozsony), SK 21, 142, 231, 234, 349 Braunau am Inn, OÖ 121 Bregenz, V 21, 75, 157, 180 Breisach, B-W 181, 211 Breitenfeld, Stadtteil von Leipzig, Sachsen 179 Bremen 290, 296 Brenner, Pass I – A 9, 90, 200, 201, 480, 516, 609 Breslau (Wroclaw), PL 231, 232, 330 Brest-Litowsk, Bela Rus 459 Brigantium (Bregenz), V 21 Brigetio (Alt-Szöny), H 21 Brixen, Südtirol (I) 37, 60, 64, 69, 70, 71, 88, 89, 90, 106, 153, 188, 190, 192, 223, 265, 291, 329, 400 Bruck an der Leitha, NÖ 231 Bruck an der Mur, STM 120, 137, 200, 231, 513, 562 Bruckneudorf, BGL 28 Brügge, B 140 Brünn (Brno), Brünner Spielberg, CZ 141, 180, 231, 288, 317, 332, 391, 429, 440, 441, 564 Brüssel, B 140, 143, 148, 215, 248, 249, 294, 450, 608, 624
684 Burghausen, BAY 80 Buda (Ofen), (Buda-)Pest, Budapest, H 20, 149, 185, 191, 231, 250, 316, 335, 341, 351, 354, 366, 381, 382, 383, 385, 388, 398, 422, 425, 440, 441, 468, 500, 553, Budweis (České Budejovice), CZ 265, 430 Byzanz 49 Campodunum (Kempten), BAY 21 Campo Formido, I 290 Cannstatt/Stadtteil von Stuttgart, B-W 43 Carnuntum, NÖ 20, 21, 22, 23, 24, 25 Castra Regina (Regensburg), BAY 21 Cattaro (Kotor), Montenegro 466 Celje (Celeia, Cilli), SLO 21, 23, 26, 29, 118, 119, 275, 415 Cetium (St. Pölten), NÖ 20, 21 Chartreuse bei Grenoble, F 63 Chaumont, F 295, 298 Chiavenna, I 75 Chiemsee, BAY 39, 133 Chlopy, PL 424 Chur (Curia), CH 4, 26, 29, 42, 43, 64, 69, 75, 89, 90, 106 Cividale, I 10, 33 Citeaux, F 63 Cluny, F 63, 64, 65, 120 Cucullis/Kuchl, S 27 Custozza I 258, 379 Dachau, BAY 509, 538, 546, 548, 551, 557, 558, 559 Damiette, Ägypten 85 Damüls, V 157 Debreczén, H 362 Den Haag, NL 217 Deutsch-Altenburg, NÖ 67, 561 Deutschlandsberg, STM 92 Deutsch-Wagram, NÖ 293, 316 Dijon, F 140 Djakovar (Đakovo), HR 425 Dolní Věstonice (Unterwisternitz), CZ 15 Donawitz, STM 463, 560, 612, 613 Dornau (Dornava), SLO 223 Dornbirn, V 109, 389 Dresden, Sachsen 294, 295, 296, 452
Register
Düren bei Aachen, NRW 299, 317, 441 Dürrnberg bei Hallein, S 17, 18, 35, 93, 228 Dürnstein, NÖ 84, 85, 94, 223, 226 Düsseldorf, NRW 620 Duel, K 28 Duino (Tybein, Devin), I 108 Ebensee, OÖ 138, 554, 562, 625 Eberndorf (Dobrla vas), K 66, 167 Eckartsau, NÖ 477 Eferding, NÖ 60, 79, 121 Eggenberg bei Graz, STM 223, 224 Eggenburg, NÖ 110 Ehrenhausen, STM 165 Eichstätt, BAY 79 Einsiedeln, CH 102 Eisenburg/Vasvár, H 85 Eisenerz, STM 187, 196, 315, 553 Eisenkappel (Železna Kapla) K 560 Eisenstadt, BGL 274 Emona (Ljubljana), SLO 23 Engerau (Petržalka), SK 561, 562, 575, Enns, OÖ 21, 47, 56, 60, 61, 71, 78, 84, 120, 136, Ennsburg, OÖ 47, 50, 60 Ensisheim, F 181 Entebbe (Uganda) 603 »Eparesburg« (vielleicht Ybbs), NÖ 43 Eppenstein, STM 73 Erdberg /Wien 84, 129 Erlauf, NÖ 563 Erzberg, STM 115, 135, 137, 196, 197, 314, 315, 344 Essling/Wien 293 Fallbach b. Staatz, NÖ 51 Favianis (Mautern), NÖ 21 Feistritz in der Wochein (Bohinjska Bistrica), SLO 316 Feldkirch, V 75, 109, 157, 389, 477 Feldsberg (Valtice), CZ 482 Feltre, I 89, 108 Ferlach (Borovlje), K 481 Finstermünz-Pass, CH –T 89 Fiume (Reka, Rijeka), HR 231, 232, 249, 385, 388, 451 Flavia Solva (bei Leibnitz), STM 21, 22, 28, 47, 60
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Flitsch (Bovec), SLO 141 Florenz, I 380 Floridsdorf (Wien XXI.) 316, 552, 560 Fohnsdorf, STM 463 Formbach, Kloster in Vornbach, BAY 76, 78, 79 Frain (Vranov), CZ 223 Frantschach, K 315 Frankfurt, Hessen 36, 45, 101, 235, 290, 296, 319, 349, 354, 355, 357, 361, 376, 378, 379, 444, 525 Franzensbad (Františkovy Lázně), CZ 392, 445 Franzensfeste (Südtirol), I 389 Freiburg im Breisgau, B-W 108, 113, 157, 211, 260, 296 Freising, BAY 37, 47, 48, 49, 51, 58, 64, 69, 70, 79, 82, 86, 89, 100, 223, 280 Freistadt im Mühlviertel, OÖ 60, 84, 121, 201 Freydegg bei Amstetten, NÖ 165 Friedland (Frýdlant v Čechách), CZ 178 Friesach, K 61, 62, 73, 74, 92, 100, 120, 122, 151, 231 Fünfkirchen (Pécs), H 37, 449 Fürstenfeld, STM 114 Gablonz ( Jablonec nad Nisou), CZ 391, 445 Gaming, NÖ 103, 104, 184 Gars, Gars-Thunau, NÖ 47, 80 Garsten, OÖ 77, 224, 280 Gastein, S 58, 91, 93, 124, 188, 191 Gent, B Georgenberg bei Enns, OÖ 78, 83, 100 Genf, CH Geras, NÖ 66, 253, 266, Gerolding, NÖ 48 Glasenbach, S 576 Gleinstätten, STM 18 Gloggnitz, NÖ 76, 359, 564, 565 Gmünd, K 91, 92, 120 Gmünd, NÖ 390, 482 Gmunden, OÖ 138 Göllersdorf, NÖ 223 Göllheim, Rheinland-Pfalz 101 Görz (Gorizia, Gorica), I 116, 117, 136, 150, 158, 167, 209, 219, 265, 334, 420, 458, 459 Göss, Stadtteil von Leoben, STM 65, 72 Göttweig, NÖ 57, 65, 67, 81, 223, 226, 271, 280 Goggau (Coccau, Kokova), Tarvis, I 115
685 Gonobitz (Slovenske Konjice), SLO 187 Gorlice-Tarnów, PL 458 Gornji Grad (Obernburg), SLO 87, 118, 278 Gosau, OÖ 247 Gottschee (Kočevje), SLO 115, 185, 389 Gradisca, I 141, 204, 221 Grafenegg, NÖ 126 Gran (Esztergom), H 184, 185, 338 Graz, STM 78, 84, 85, 114, 120, 121, 127, 128, 159, 160, 162 – 164, 167, 169, 184, 200, 203, 207, 208, 209, 219, 223, 224, 230, 235, 236, 259, 260, 287, 333, 337, 344, 389, 416, 436, 438, 440, 528, 531, 536, 547, 548, 552, 562, 567, 618, 620, 621, 638 Greifenburg, K 93 Greillenstein, NÖ 165 Gresten, NÖ 197, 198 Griffen, K 66, 621 Groißenbrunn, NÖ 87 Großenzersdorf, NÖ 540 Groß-Siegharts, NÖ 223, 390 Güns (Köszeg), H 149 Guinegate (Enguinegatte), F 141 Gurk, K 65, 66, 73, 76, 87, 88, 92, 122, 163, 265, 400 431, Gurkfeld (Krško), SLO 115 Gußwerk bei Mariazell, STM 315 Gutenstein, NÖ 103, 222 Hagenau im Elsass, F 141 Hainburg, NÖ 84, 86, 233, 603 Hainfeld, NÖ 233, 411 Hall, T 124, 150, 167, 195 Hallein, S 17, 34, 93, 124, 134, 138, 195, 228, 463 Hallstatt, OÖ 17, 108, 124, 137, 138, 195 Hamburg 232, 290, 296, 311, 319, 392, 444, 449, 452, 620 Hardegg, NÖ 80, 126, 183 Harsány, H 185, 216 Hartberg, STM 77 Hartheim, OÖ 550 Hauslabjoch, A – I 16 Heiligenblut, K 188 Heiligenkreuz, NÖ 66, 82, 120, 184, 280, 455 Helgoland, D 378 Hellbrunn bei Salzburg, S 224 Helsinki, SF 600
686 Hemmaberg (Globasnitz), K 28 Hernstein, NÖ 80, 448 Herrieden, BAY 79 Herzogenburg, NÖ 47, 66, 226 Hochosterwitz, K 74, 165 Höchstädt an der Donau, BAY 217 Hof (Dvor), SLO 315 Hohenberg im oberen Neckartal, B-W 109 Hohenems, (Hohen-)Ems, V 157, 165, 224 Hohenwerfen, S 92 Holics (Holíč), SK 238 Hollabrunn, NÖ 80, 231 Holzkirchen, BAY 66 Holzleithen, OÖ 513 Horn, NÖ 171, 173, 174 Hubertusburg, Sachsen 238 Hüttenberg, K 315 Idria (Idrija), SLO 140, 141, 150, 198, 232 Iglau ( Jihlava), CZ 564 Imbach, NÖ 120 In der Wies, BAY 290 Innerberg (Eisenerz), STM 196, 197, 199, 208,315 Innichen (Südtirol, I) 34, 35, 36, 39, 48, 59 Innsbruck, T 61, 71, 90, 113, 121, 127, 136, 141, 142, 153, 156, 157, 163, 164, 167, 188, 207, 209, 219, 224, 230, 236, 238, 259, 260, 293, 352, 358, 420, 435, 442, 480, 548, 552, 562, 620 Iuenna (Globasnitz), K 28 Iuvavum (Salzburg), S 20, 21, 27, 60 Izbica, PL 549 Ivanich, HR 159 Jasov, SK 223 Jauerburg ( Javornik), SLO 316 Jena, Thüringen 301, 328 Jesenice (Assling), SLO 389, 621 Judendorf, STM 128 Judenburg, STM 18, 47, 60, 73, 121, 140, 167, 169, 200, 231, 389, 466, 499, 562, Kaiser-Ebersdorf /Wien 230 Kamnik (Stein), SLO) 71, 88, 266 Kapfenberg, STM 321, 513, 556, 613 Kaprun, S 554 Kärntner Erzberg, K 124, 137, 315
Register
Karlsbad (Karlovy Vary), CZ 392, 451, 301, 302, Karlowitz (Sremski Karlovci), SRB 216, 334, 353 Karlstadt (Karlovac), HR 159, 181 Karnburg, K 39, 49, 66, 103 Kaschau (Košice, Kassa), SK 223 Katschberg, S – K 92 Kaunas (Kowno), LT 549 Kefermarkt, OÖ 121, 122 Kennelbach, V 389 Kirchberg, Schloss, BAY 141 Kirchdorf an der Krems, OÖ 197 Kitzbühel, T 17, 124, 141, 507 Kladno, CZ 320, 392 Kladovo, SRB 549 Klagenfurt, K 74, 163, 166, 167, 169, 219, 220, 230, 261, 289, 431, 481, 550, 597, 620, 621, 622, 625, Kleinklein, STM 18, Klein-Mariazell, NÖ 82, 278 Kleinmünchen (bei Linz), OÖ 390 Klosterbruck (Louka), Znojmo, CZ 278, 280 Klosterneuburg, NÖ 26, 60, 66, 67, 82, 122, 225, 226, 540, 545, 559 Knittelfeld, STM 463 Köflach, STM 562 Königsfelden, CH 103, 111 Königswart (Kynžvart), CZ 294 Kollmann (Südtirol, I) 201 Komorn (Komárom, Komárno), SK 181, 362 Konradsheim, Ortsteil von Waidhofen/Ybbs, NÖ 69 Konstantinopel, TR 38, 40, 50, 114, 167, 182, 301, 373 Konstanz, B – W 43, 75, 110, 111, 132, 152, 158 Kopreinitz (Koprivnica), HR 159 Korneuburg, NÖ 60, 180, 498 Köln, NRW 63, 153, 199, 245, Königgrätz (Hradec Králové), CZ 10, 367, 372, 377, 379, 380, 384 Kötschach, K 121 Kolin, CZ 238, 240, 379 Korfu 455 Kottes, NÖ 57 Krainburg (Kranj) SLO 59, 88 Krakau (Kraków) PL 49, 200, 316, 330, 331, 358, 400, 433 Krems an der Donau, Krems-Stein, NÖ 28, 48, 56,
Register
57, 62, 75, 108, 116, 120, 121, 138, 167, 200, 231, 562, 613 Kremsier (Kroměříž), CZ 361, 368, 445 Kremsmünster, OÖ 34, 35, 36, 39, 40, 46, 48, 224, 545, 622, Krenstetten, Ortsteil von Aschbach-Markt, NÖ 121 Kreuz (Križevci), HR 159 Krumau (Český Krumlov), CZ 223 Kuffern, NÖ 18 Kufstein, T 89, 141, 288, 390 Laas (Lož), SLO 115 Laibach (Ljubljana), SLO 23, 74, 88, 114, 138, 166, 167, 169, 185, 200, 201, 219, 230, 262, 265, 268, 278, 289, 299, 300, 332, 337, 343, 389, 435, 458, 481, 575, 580 Lambach, OÖ 65, 67, 73, 76, 77, 78, 80, 81, 84 Landeck, T 90 Landstrass (Kostanjevica), SLO 74 Langenlois, NÖ 200 Laufen, S 60, 91, 134 Lauriacum (Lorch bei Enns), OÖ 21, 26, 27, 28 Lavamünd, K 481 Lavanter Kirchbichl, T 28 Laxenburg, NÖ 286, 375 Legnago, I 374 Leibnitz, STM 21, 28, 47, 77, 92, 554 Leipzig, Sachsen 295, 296, 301, 310, 311 Lemberg (Lwów, L’viv), UA 260, 288, 331, 433, 440 Lenzing, OÖ 544, 545, 556, 586 Leoben, Leoben-Donawitz, STM 77, 137, 167, 200, 265, 287, 560 612, Léva (Levice, Lewenz), SK 441 Liburnia, K 39, 60 Lieben (Libeň), CZ 171 Lienz, Schloss Bruck T 21, 117, 531 Liesing (Wien XXIII.) 316 Lilienfeld, NÖ 66, 84, 85, 184, 224, 332 Lille, F 217 Lindau, BAY 75 Linz, OÖ 29, 46, 49, 62, 66, 77, 84, 103, 116, 127, 134 – 136, 138, 163, 167, 171, 172, 189, 219, 231, 233, 235, 265, 316, 321, 351, 390, 407, 440, 446, 485, 512, 516, 537, 545, 550, 552, 554, 556, 561, 567, 583, 586, 612, 613
687 Lipan (Lipany), CZ 111 Lippitzbach, K 315 Liptau-St.Nikolaus (Liptovský Mikoláš), SK 354 Lissa (Vis), HR 379 Lobau /Wien 293, 507 Lobositz (Lovosice), CZ 238 Lölling, K 315 Löwen (Louvain), B 248 Loiblpass, SLO – K 201, 554 Loig bei Salzburg, S 28 London 274, 287, 299, 300, 301, 309, 385, 480, 548 Loosdorf (bei Melk), NÖ 165 Lorch, OÖ 21, 26, 27, 28, 40 Luberegg, NÖ 286 Lublin, PL 549 Lübeck, D 62, 290, 296 Lueg (Predjamski grad), SLO 114 Lützen, Sachsen-Anhalt 179 Lunéville, F 290 Lustenau, V 45, 157 Luxemburg 103, 106 Luzern, CH 104 Lyon, F 86, 322 Madeira 478 Mährisch-Ostrau (Ostrava), CZ 314, 476, 501, 502 Magdalensberg, K 19, 20 Magenta, I 374 Mailand, I 24, 42, 77, 108, 177, 216, 217, 218, 225, 241, 257, 264, 287, 304, 332, 349, 351, 358 Mailberg, NÖ 81 Mainz, Rheinland-Pfalz 92, 105, 223, 297, 302, 305, Maly Trostinec, Bela Rus 549 Malplaquet, F 217 Mannersdorf, NÖ 239 Mantua, I 217 293, 274 Marburg (Maribor), SLO 77, 78, 200, 389, 431, 432, 481, 482 Marchegg, NÖ 111 Maria Dreieichen, NÖ 222 Mariahilfberg, NÖ 222 Maria Laach, NÖ 165 Maria Neustift (Ptujska gora), SLO 120 Maria Saal, K 47, 48, 104, 121 Maria Taferl, NÖ 222 Maria Wörth, K 59
688 Maria Zell, Mariazell, STM 121, 222, 224, 315 Maria Zell in Österreich, NÖ, s. Kleinmariazell Maribor (Marburg), SLO, s. Marburg Marienbad (Mariánské Lázně), CZ 392 Marienthal, NÖ 507, 530 Mattsee, S 35 Mauer bei Melk, NÖ 122 Mauer (Wien XXIII.) 16, 583 Mauerbach im Wienerwald, NÖ 103, 579 Mautern, NÖ 21, 26, 28, 46, 47, 60 Mauterndorf, S 91 Mauthausen, OÖ 538, 554, 559, 561 – 563, 57 Mayerling, NÖ 455 Mehrerau bei Bregenz, V 75, 545 Melk, NÖ 65, 67, 79 – 82, 107, 122, 132, 164, 165, 223, 225 – 227, 229, 260, 265, 271, 272, 278, 280, 450, 554, 572, 582, 584, Meran, Südtirol, I 188, 192 Micheldorf, OÖ 316 Millstatt, K 67, 73 Minneapolis, USA 388 Mistelbach, NÖ 231 Mittelberg, Kleines Walsertal, V 157 Mitterburg (Pazin, Pisino), HR 108, 117 Mittersill, S 93 Modena, I 286, 296, 367, 455 Mödling, NÖ 200, 350, 555 Möttling (Metlika), SLO 89, 108, 117 Mogentiana (Nähe Plattensee), H 21 Mogersdorf – St. Gotthard (Szentgotthárd), BGL – H 183 Mohács, H 143, 149, 185, 216 Molzbichl, K 29 Mondsee, OÖ 35, 141 Moosburg, K 39 Moravany nad Váhom, SK 15 Morgarten, CH 102 Morimond, F 82 Mosapurc (Zalavár), H 37 Moskau, RUS 167, 294, 551, 564, 566, 580, 581, 583, 588 Mühlbach am Hochkönig, S 17 Mühlberg, Brandenburg 146, 152, 155 München, BAY 179, 235, 306, 450, 515, 531, 541, 551 Münster, NRW 181
Register
Mürzzuschlag, STM 141, 441, 621 Munkács, H 288, 306 Mursella, sw. von Győr, H 21 Murau, STM 466 Näfels, CH 109 Nagykanizsa, H 181 Nagyszentmiklos (Sânnicolau Mare), RO 41 Navarino (Pylos), GR 300 Neapel, I 147, 177, 217, 220, 286, 299 Neuberg an der Mürz, STM 104, 108, 120, 389 Neuburg am Rhein, V 106 Neudörfl, B 410 Neunkirchen, NÖ 108, 391 Neuhaus an der Mühl, OÖ 141 Neuhäusl (Nové Zámky), SK 183, 185, 217 Neusatz (Novi Sad), SRB 334, 335 Neusohl (Bánska Bystrica), SK 232 Neutra (Nitra), SK 37, 49, 50 New Haven, USA 619 New York, USA 599, 619 Niederaltaich, BAY 79 Niederweiden, NÖ 223 Nikaia (Nicäa), TR 50 Nikolsburg (Mikulov), CZ 231, 379 Niš, SRB Nitra (Neutra), SK. s. Neutra Noricum, Noricum ripense, Noricum mediterraneum 16, 19 – 24, 26 – 29, 33 Novi Sad (Neusatz), SRB 334, 335 Nürnberg, BAY 166, 176, 197, 201, 290, 319, 546 Obdacher Sattel, STM 39 Oberalm, S 34 Oberleiserberg, NÖ 17, 24 Oberleutensdorf (Horní Litvínov), CZ 233 (Ober-)Montani, Südtirol, I 69 Obernburg (Gornji Grad), SLO 87, 118 Oberplan (Horní Planá), CZ 445 Oberzeiring, STM 194 Ödenburg (Sopron), H 21, 26, 85, 231, 455, 482 Ofen (Buda), H, s. Buda, Budapest. Olmütz (Olomouc), CZ 230, 231, 235, 269, 307, 314, 343, 361, 377, 400 Orsova (Orşova), RO 219, 316 Ortenau, B-W 141
689
Register
Ossegg (Osek), CZ 233 Ossiach, K 65, 73, 76 – 78 Osnabrück, Niedersachsen 181 Ostende (Oostende), B 222 Ostrau-Karwin (Ostrava – Karviná), CZ 392 Ottenschlag, NÖ 57 Ottenstein, NÖ 67 Oudenaarde, B 217 Ovilava (Wels), OÖ 20, 21, 26 Oxford, GB 548 Padua, I 122 Pannonia, Pannonien 20 – 22, 24, 26, 28, 33, 37, 38, 40, 44, 45, 48, 50 Passarowitz (Požarevac), SRB 218, 233 Paris, F 82, 120, 132, 202, 215, 237, 242, 279, 286, 288, 294, 295, 297, 298, 300, 309 – 311, 349, 380, 385, 446, 467, 482 – 484, 531, 548, 577, 580, 582, 610 Parma, I 218, 235, 240, 296 Passau, BAY 21, 27 – 29, 37, 47, 48, 50, 56, 60, 62, 64, 68, 69, 71, 79, 81, 85, 107, 122, 156, 169, 215, 223, 245, 265 Pavia, I 155 Pawlowsk, RUS 453 Peggau, STM 15, 555 Peilstein, NÖ 69, 80 Perchtoldsdorf, NÖ 184, 200, 350 Pernegg, NÖ 66 Peschiera, I 374 Pest, H, s. Buda, Budapest Peterwardein (Petrovaradin), SRB 218 Petronell, NÖ 24, 215, Pettau (Ptuj, Poetovio), SLO 21, 37, 47, 72, 92, 120, 122, 138, 201, 481, 482 Peuerbach, OÖ 189 Piacenza, I 235 Pfaffenschlag, bei Slavonice, CZ 56 Pfäfers, CH 42 Pfullendorf, B-W 75 Pilsen (Plzeň), CZ 315, 387, 392 Pitten, NÖ 48, 57, 77, 79 Plain, S 80, 93 Podersdorf, BGL 201 Pöchlarn, NÖ 51, 56, 60 Pöggstall, NÖ 164
Pöllau, STM 224 Pöllauberg, STM 120 Poetovio (Pettau,Ptuj), SLO 21, 23, 26, 47, 60 Pordenone, I 111 Posen (Poznan), PL 296, 483 Pottendorf, NÖ 313, 314 Prävali (Prevalje), SLO 315 Prag (Praha), CZ 107, 111, 113, 143, 151, 161, 164, 168, 170, 172 – 174, 178 – 180, 210, 225, 327, 329, 344, 349, 350, 354 – 356, 358, 362, 366 – 368, 372, 385, 392, 400, 414, 426, 428, 429, 439, 440, 444, 445, 489, 521, 528, 551, 587, 594, Pressburg (Bratislava, Pozsony), SK 50, 70, 114, 142, 185, 231, 234, 286, 291, 292, 338, 341, 349 Priština, Kosovo 186 Prossnitz (Proštejov), CZ 440 Przemyśl, PL 433, 458 Ptuj (s. Pettau), SLO Pürgg, STM 67 Pula (Pola), HR Pulkau, NÖ 67, 122 Purgstall, NÖ 165, 175, 197, 198 Purkersdorf, NÖ 450 Pyhrnpass, STM – OÖ 562 Quintana (Künzing), BAY 21 Raab (Győr), H 21, 158, 181, 183, 191, 366 Raabs, NÖ 84 Radelberg, NÖ 79 Radkersburg, STM 77, 203, 482 Radstadt, S 134, 188 Radstädter Tauern, S 92 Raetien, Raetia prima, Raetia secunda, Raetia I, Raetia II 20, 21, 26, 29, 33, 42 Raffelstetten, OÖ 46, 47, 60 Ragusa (Dubrovnik), HR 334, 528 Ramsberg, B-W 75 Rann (Brežice), SLO 187 Rannariedl, OÖ 151 Rannersdorf, NÖ 232 Rankweil, V 42 Ranshofen, OÖ 66, 545, 556, 586 Rastatt, B-W 218, 290 Rattenberg, T 141 Rauris, Rauriser Tal, S 91, 124, 188,
690 Ravelsbach, NÖ 226 Rechnitz, BGL 622 Redl-Zipf, OÖ 555 Regensburg, BAY 21, 29, 37, 46, 47, 56, 58, 62, 66, 70, 79, 80, 89, 176, 211, 222, 223, 227, 231, 293, 316 Reichenau an der Rax, NÖ 561 Reichenbach (Dzierżoniów), PL 249, 281, 295 Reichenberg (Liberec), CZ 233, 317, 392, 416, 451 Reichenburg (Brestanica), SLO 92 Reichenhall, BAY 35, 46, 70, 78, 93, 138, 195 Reichersberg, OÖ 66 Rein, STM 66, 78 Reschenpass, A – I 23, 90, 200 Reschitza (Rešiţa), RO 388 Retz, NÖ 111, 120, 181, 200 Rijeka (s. Fiume), HR 231, 249, 388, 425 Rijswijk, NL 211 Ritten, Südtirol, I 201 Riva, I 141 Rohrau, NÖ 223 Rom, I 20, 21, 24, 26, 49, 50, 73, 113, 114, 132, 133, 135, 153, 155, 161, 168, 292, 409, 539, 595 Rosenbach, K 481 Rosenburg, NÖ 155, 165 Rotenhaus, bei Wieselburg, NÖ 286 Rottenmann, STM 115, 164 Rovereto, I 141 Runkelstein bei Bozen, Südtirol, I 122 Ruse, BG 526 Šabac, SRB 549 Sabiona (Säben), Südtirol, I 26, 37, 48, 89 Sachsenburg, K 92 Salzburg, S 27 – 29, 34 – 37, 39, 47 – 50, 56, 58, 60, 62, 64, 66, 67, 69, 70, 72, 74, 79, 80, 85, 87, 92, 93, 121, 122, 127, 133, 134, 136, 141, 188, 209, 224, 225, 259, 260, 372, 390, 400, 447, 476, 485, 531, 536, 545, 548, 552, 562, 576, 583 St. Blasien im Schwarzwald, B-W 260, 271 St. Florian, OÖ 66, 122, 224, 226, 272, 545 St. Gallen, CH 43, 75 St. Georgen (Herzogenburg), NÖ 66 St. Georgen am Längsee, K 65, 72 St. Georgenberg, T 71 St-Germain-en-Laye, F 482 – 484
Register
St. Gerold, V 157 St. Lambrecht, STM 65, 73, 76 – 78, 120, 195, 224 St. Leonhard im Lavanttal, K 120, 151 St. Lorenzen im Mürztal, STM 489 St. Paul im Lavanttal, K 65, 66, 74, 78, 122, 260, 261, 278, 481, 545 St. Peter in Holz (Teurnia), K 21, 27, 47 St. Petersburg, RUS 453, 458 St. Pölten, NÖ 20, 21, 40, 48, 56, 60, 62, 66, 79, 154, 185, 190, 226, 227, 231, 260, 265, 280, 434, 463, 552, 562, 578, 583, St. Valentin, NÖ 121, 554 St. Veit, St.Veit an der Glan, K 74, 137, 138, 200, 231, 389 St. Wolfgang, OÖ 121, 122, 153 Sannegg, Sanneck (Žounek), SLO 118 Sânnicolau Mare, RO 41 Santa Lucia, I 358 Santiago, E 153 Sarajevo, BiH 448, 457 Sargans, CH 109 Sassin (Šaštin), SK 238 Savaria (Steinamanger/Szombathély), H 21, 23, 46, 47 Scarabantia (Ödenburg/Sopron), H 21, 23, 26 Schärding, OÖ 108 Schala, Schallaburg, NÖ 69, 80, 164 Scharfeneck (Ruine, Mannersdorf am Leithagebirge), NÖ 239 Scharnitz, T 35, 48 Scharnstein, OÖ 390 Schattendorf, BGL 493, 494 Scheibbs, NÖ 121, 184, 197, 198, 387, 442 Schellenberg, FL 205 Schladming, STM 124, 187, 188 Schlägl, OÖ 66 Schlehdorf, BAY 35, 48 Schoberpass, STM 39 Schlierbach, OÖ 224 Schlosshof, NÖ 223 Schluckenau (Šluknov), CZ 391 Schönbrunn (Wien) 164, 225, 278, 280, 293, 398, 440, 459 Schöngrabern, NÖ 67 Schwarzach im Pongau, S 227 Schwarzau auf dem Steinfeld, NÖ 464
Register
Schwaz, T 90, 124, 127, 139, 188, 195 Schwechat, NÖ 233, 350, 361, 391, 441, 540 Seckau, STM 76, 78, 265, 400 Seefeld, T 442 Seeland ( Jezersko), SLO 481 Seitenstetten, NÖ 65, 76, 226, 278, 280 Seitz (Žiče), SLO 78 Selzthal, STM 389 Semendria (Smederevo), SRB 111 Semmering, NÖ – STM 77, 78, 100, 231, 316, 359, 391, 446 Sempach, CH 109 Shanghai, VR China 547 Siscia (Sisak, Sissegg), HR 44, 182 Sittich (Stična) SLO 66 Sinaia, RO 451 Skutari (Shkodra, Shkodër), AL 334 Slankamen, SRB 186 Slavkov u Brna (Austerlitz), CZ 280, 291 Sobibor, PL 549 Solferino, I 10, 367, 374, 380 Somogy, H 249 Sonnenberg, V 157 Sonntagsberg, NÖ 222, 226 Spa, NL 467 Spielfeld, STM 482 Spital am Semmering, STM 78 Spittal an der Drau, K 39, 165 Stainz, STM 66 Stalingrad, RUS 552 Stammersdorf (Wien) 58 Stanz, T 185 Stein (Kamnik) SLO 88 Stein/Krems, NÖ 138, 562 Steinakirchen, NÖ 66 Steinamanger (Szombathély, Savaria), H 21, 46, 47, 280 Steyr, OÖ 77, 79, 108, 121, 123, 124, 127, 137, 196, 198, 208, 315, 387, 390, 513, 562, 618 Stillfried an der March, NÖ 17, 24 Stockerau, NÖ 107, 231 Straßburg, F 211, 305 Straßengel bei Graz, STM 120 Stratzing, NÖ 15 Strechau bei Rottenmann, STM 164 Stubiške Toplice, HR 186
691 Stuhlweißenburg (Székesfehérvár), H 111, 112, 119, 149 Suben, OÖ 66 Sulzberg, V 262 Szatmár (Sathmar, Satumare), RO 217, 247 Szigetvár, H 160, 182 Szolnok, H 341 Tainach (Tinje), K 481 Tannberg, V 157 Tarvis, I 200, 231, 389, 481 Tegernsee, BAY 41, 71 Temesvár, RO 218, 229 Tengling, BAY 80 Teplitz (Teplice), CZ 392 Ternitz, NÖ 320, 389, 393, 441, 578, 613 Teschen (Cieszyn und Český Těšín), PL und CZ 242, 243, 248 Teurnia (St.Peter in Holz), K 20, 21, 26 – 29, 39, 47, 60 Theresienstadt (Terezín), CZ 549 Thörl, K 122 Thurn am Hart (Šrajbarski turn), SLO 351 Tittmoning, OÖ 91, 134 Tolmein (Tolmin), SLO 141 Toulon, F 217 Traisen, NÖ 80 Traismauer, NÖ 21, 28, 37, 47, 49, 56 Tratzberg, T 165 Traunkirchen, OÖ 76 – 78, 137 Treblinka, PL 549 Trianon, F 9, 482, 483 Trient (Trento), I 64, 89, 90, 92, 106, 155, 167, 168, 192, 400 Triest (Trieste, Trst), I 108, 114, 136, 148, 166, 167, 201, 209, 230 – 232, 293, 332, 336, 357, 387, 388, 416, 419, 420, 432, 435, 440, 441, 458, 541 Trixen (Trušnje), K 73 Troppau (Opava), CZ 230, 299, 332 Tüffer (Laško), SLO 77, 166, 624 Tulln, NÖ 28, 45, 57, 67, 80, 81 Tunis 399 Turin, I 217, 373 Turnhout, B 248 Turrach, Pass, K – STM 389 Tyrnau (Trnava), SK 260
692 Udine, I 265 Ulm, B-W 62, 291, 297 Ungardorf (Ortsteil von Gleisdorf ), STM 51 Ungarisch Altenburg (Moson-Magyaróvár), H 85, 239 Utrecht, NL 218 Vác (Waitzen), H 280, 341 Vače, SLO 18 Vaduz, FL 205 Varna, BG 112, 334 Vasvár, H 85, 183 Veldes (Bled), SLO 88, 449, 541 Venedig, I 49, 92, 106, 108, 114, 116, 117, 138, 141, 177, 188, 200, 201, 218, 230, 231, 290, 296, 301, 304, 332, 351, 362, 482 Verona, I 72 – 74, 86, 299, 374, 489 Viktring, K 66, 77, 78, 280 Vindobona (Wien) 21, 23 Világos (Şiria) RO 362 Villach, K 60, 64, 120, 122, 138, 150, 187, 200, 231, 334, 389, 481, 552 Villafranca, I 374 Virunum, K 20, 21, 26, 28, 47, 60 Visegrád, H 112 Völkermarkt, K 74, 128, 187, 551 Vorau, STM 66, 67, 78, 224 Vordernberg, STM 197, 287, 315 Vornbach am Inn, BAY 76, 79 Waidhofen an der Thaya, NÖ 111, 390 Waidhofen an der Ybbs, NÖ 69, 137, 386, 390 Waitzen/Vác, H 280 Waldhausen, OÖ 224 Waldsee (Bad Waldsee), B-W 100 Walpersdorf, NÖ 165 Warschau, PL 293 Wartburg, Thüringen 302 Wechsel, Pass, Stmk - NÖ. 77 Weichselburg (Višnja gora), SLO 71, 88, 115 Weimar, Thüringen 309, 68, 79, 88 Weinzierl (bei Wieselburg), NÖ 286 Weißenhorn, BAY 141 Weistrach, NÖ 121 Weitra, NÖ 85, 94, 165, 390 Wels, OÖ 20, 21, 26, 29, 84, 147, 201
Register
Wernstein am Inn, OÖ 530 Widdin (Vidin), BG 186 Wiener Neustadt, NÖ 60, 84, 85, 108, 113, 114, 120, 121, 124, 127, 128, 136, 141, 147, 148, 164, 169, 184, 200, 265, 268, 280, 313, 316, 386, 391, 461, 462, 465, 466, 497, 552, 554, 556, 562, 579 Wieselburg, NÖ 66 Wildeneck, OÖ 141, Wilhelmsburg, NÖ 48 Wilhering, OÖ 66 Willendorf, NÖ 15 Wilten, T 66, 71, 90, 545 Windisch-Matrei, T 91, 133 Witkowitz (Vitkovice), CZ 314, 392, 440, 544 Wittenberg, Sachsen-Anhalt 166 Wöllersdorf, NÖ 461 – 465, 467, 471, 472, 514, 515 Wördl (Otočec), SLO 88 Wolkersdorf, NÖ 231 Wolfratshausen, BAY 71 Wolfsberg, K 71, 151, 576 Worms, Rheinland-Pfalz 35, 96, 153 Würzburg, BAY 73, 77, 78, 84 Wullersdorf, NÖ 226 Ybbs, NÖ 47, 60, 189, 554, 581 Zadar (Zara), HR 577 Zagreb (Agram), HR 182, 187, 356, 425, 457, 468 Zalabér, H 37 Zell am See, S 35, 91 Zell-Pfarre (Sele-Fara), K 560 Zenta (Senta), SRB 186, 216 Zillingdorf, NÖ 443 Zirknitz (Cerknica), SLO 88 Zistersdorf, NÖ 94 Znaim (Znojmo), CZ 278, 280, 482, 551 Zöbern, NÖ 48 Zürich, CH 104, 154 Zweibrücken, Rheinland-Pfalz 242, 245 Zwentendorf, NÖ 21, 598, 599, 603 Zwettl, NÖ 66, 94, 111, 120, 153