Stadtverwaltung im Staatssozialismus: Kommunalpolitik und Wohnungswesen in der DDR am Beispiel Leipzigs (1957–1989) 3515115307, 9783515115308

Mangelverwaltung, Ohnmacht, Unwirtlichkeit Begriffe wie diese prägen unser Bild von der Kommunalpolitik in der SED-Dikta

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German Pages 425 [430] Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
I. POLITIK UND RAUM: LEIPZIG IN DER DDR
1. Stadtplanung und Bevölkerungsentwicklung
2. Leipzig als Messestadt der DDR – Messe als Faktor
der Stadtentwicklung
3. Leipzig als wirtschaftliches Ballungszentrum
4. Leipzig als Bezirksstadt: Politische Rahmenbedingungen
5. Akteure an der Basis: Die Räte der Stadtbezirke
II. VERWALTUNG IM SED-STAAT: KOMMUNALPOLITISCHE
KONTROVERSEN UND STRUKTUREN IM RAT DER STADT LEIPZIG
1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957)
2. Isolierte Diskurse und lokale Aushandlungsprozesse (1957–1958)
3. Debatten um eine Beteiligung der Kommunen (1961–1970)
4. Mit „Eigenverantwortung“ aus der Krise?
Stabilitätsdiskurse und Monolithismus (1967–1989)
III. BAUEN NACH PLAN? STEUERUNGSINSTRUMENTE UND
HANDLUNGSKONFLIKTE IM WOHNUNGSBAU DER STADT LEIPZIG
1. Zentralismus und Informalität: Strukturen und Akteure im
Leipziger Bauwesen
2. Plan und Politik: Wohnungsbau in Leipzig 1957–1990
3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien
IV. AUSHANDELN AN DER BASIS: DIE WOHNUNGSÄMTER
ALS LOKALE AKTEURE
1. „Sozialistische Wohnungspolitik“: Diskurse, Strukturen, Akteure
2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht
3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker
4. Bindungskräfte: Der Staat und „seine“ Bürger im lokalen
Wohnungskampf
Zusammenfassung
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang
Planungskonzepte der Stadt Leipzig 1945–1983
Institutionelle Entwicklung des Rates der Stadt Leipzig
Personenregister
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Stadtverwaltung im Staatssozialismus: Kommunalpolitik und Wohnungswesen in der DDR am Beispiel Leipzigs (1957–1989)
 3515115307, 9783515115308

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Christian Rau

Stadtverwaltung im Staatssozialismus Kommunalpolitik und Wohnungswesen in der DDR am Beispiel Leipzigs (1957–1989) Stadtgeschichte Franz Steiner Verlag

Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung – 18

Christian Rau Stadtverwaltung im Staatssozialismus

beiträge zur stadtgeschichte und urbanisierungsforschung Herausgegeben von Christoph Bernhardt (geschäftsführend) Harald Bodenschatz | Christine Hannemann | Tilman Harlander | Martina Heßler | Wolfgang Kaschuba | Friedrich Lenger | Dieter Schott | Clemens Zimmermann Band 18

Christian Rau

Stadtverwaltung im Staatssozialismus Kommunalpolitik und Wohnungswesen in der DDR am Beispiel Leipzigs (1957–1989)

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT

Umschlagabbildung: Walter Ulbricht besucht die Leipziger Herbstmesse 1964, von links nach rechts: Walter Kresse (Oberbürgermeister der Stadt Leipzig), Erich Honecker (Mitglied des Politbüros des ZK der SED), Lotte Ulbricht (Gattin des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR), Paul Verner (1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin), Walter Ulbricht (Vorsitzender des Staatsrates der DDR), Paul Fröhlich (1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig). Archivsignatur: BArch, Bild 183-C0906-0010-021/Heinz Junge Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Satz: Claudia Rupp, Stuttgart Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-11530-8 (Print) ISBN 978-3-515-11532-2 (E-Book)

INHALT Vorwort ...............................................................................................................

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Einleitung ........................................................................................................... 11 I.

POLITIK UND RAUM: LEIPZIG IN DER DDR

1. Stadtplanung und Bevölkerungsentwicklung ........................................ 2. Leipzig als Messestadt der DDR – Messe als Faktor der Stadtentwicklung ............................................................................. 3. Leipzig als wirtschaftliches Ballungszentrum ....................................... 4. Leipzig als Bezirksstadt: Politische Rahmenbedingungen .................... 5. Akteure an der Basis: Die Räte der Stadtbezirke ...................................

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II. VERWALTUNG IM SED-STAAT: KOMMUNALPOLITISCHE KONTROVERSEN UND STRUKTUREN IM RAT DER STADT LEIPZIG

1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957) ................ 61 1.1 Von kommunaler Leistungsverwaltung zur Massenmobilisierung: Die „Demokratisierung“ des Rates der Stadt Leipzig (1945/46–1952) ............................................................................. 61 1.2 Konsolidierung? Das sowjetische Vorbild und die Bildung des „lokalen Staatsorgans“ (1952–1957) ........................................ 75 2. Isolierte Diskurse und lokale Aushandlungsprozesse (1957–1958) ...... 87 2.1 Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 17. Januar 1957 ....................................................................... 87 2.2 Das „Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 11. Februar 1958 ........................ 110 3. Debatten um eine Beteiligung der Kommunen (1961–1970) ................ 126 3.1 Die „Ordnung über die Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe“ vom 28. Juni 1961 .......................................................................... 127 3.2 Die „Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ vom 2. Juli 1965 ........................................... 161

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Inhalt

4. Mit „Eigenverantwortung“ aus der Krise? Stabilitätsdiskurse und Monolithismus (1967–1989) ............................ 4.1 Vertane Chancen: Das „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 12. Juli 1973 ............................... 4.2 Verhinderte Dialoge: Das „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 4. Juli 1985 ............................................................ 4.3 „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“: Der Rat der Stadt Leipzig 1971–1989 ............................................

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III. BAUEN NACH PLAN? STEUERUNGSINSTRUMENTE UND HANDLUNGSKONFLIKTE IM WOHNUNGSBAU DER STADT LEIPZIG

1. Zentralismus und Informalität: Strukturen und Akteure im Leipziger Bauwesen ............................................................................... 2. Plan und Politik: Wohnungsbau in Leipzig 1957–1990 ........................ 3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien ................... 3.1 Jenseits des Stadtzentrums: Wohnungsbau in Leipzig in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren ............................. 3.2 Auf dem Weg zum Generalbebauungsplan: Die städtebauliche Integration des Wohnungsbaus in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ........................................... 3.3 Das Primat des Wohnungsbauprogramms: Zur Rolle des Rates der Stadt in der Wohnungspolitik der Ära Honecker ............

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IV. AUSHANDELN AN DER BASIS: DIE WOHNUNGSÄMTER ALS LOKALE AKTEURE

1. „Sozialistische Wohnungspolitik“: Diskurse, Strukturen, Akteure ....... 2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht ......... 2.1 Prekäre Ordnung: Wohnraumlenkung in den 1960er Jahren .......... 2.2 Konkurrenten um Wohnraum: Großbetriebe und Genossenschaften ........................................................................... 2.3 Ressourcenkämpfe: Wohnungsreparaturen als örtliches Konfliktfeld ..................................................................................... 3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker ... 3.1 Zugewinn an Steuerung? Wohnungspolitik nach dem VIII. Parteitag ................................................................................. 3.2 Gratwanderungen und Pragmatismus: Wohnraumlenkung nach 1971 ........................................................................................ 3.3 Relative Autonomie: Die politische und wirtschaftliche Rolle der AWG .........................................................................................

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Inhalt

3.4 Zwischen Legitimation und Effizienz: Das kommunale Reparaturwesen .............................................................................. 4. Bindungskräfte: Der Staat und „seine“ Bürger im lokalen Wohnungskampf .................................................................................... 4.1 Im gegenseitigen Interesse: Die Wohnungskommissionen ............ 4.2 Anreiz und Anerkennung: Korruption und Wohnungsschiebereien ................................................................... 4.3 Selbsthilfe und Entlastung: „Schwarzwohnen“ ..............................

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Zusammenfassung .............................................................................................. 371 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 385 Tabellenverzeichnis ............................................................................................ 388 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 389 Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................................................... 390 Anhang ............................................................................................................... 407 Planungskonzepte der Stadt Leipzig 1945–1983 ........................................ 409 Institutionelle Entwicklung des Rates der Stadt Leipzig ............................ 416 Personenregister ................................................................................................. 423

VORWORT Die vorliegende Studie stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die am 8. Dezember 2014 von der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig angenommen wurde. Auch wenn das Prädikat der Monographie auf eine Einzelleistung des Autors verweist, so ist das Buch doch nicht minder das Werk zahlreicher Weggefährten, Kollegen und Freunde, die mich seit Beginn meiner Forschungen bis zur Drucklegung in vielerlei Hinsicht unterstützt haben. Ihnen an dieser Stelle zu danken, ist mir eine Herzensangelegenheit. An erster Stelle steht mein Doktorvater Prof. Ulrich von Hehl, der mir stets mit wissenschaftlichem wie persönlichem Rat zur Seite stand. Ihm verdanke ich auch den entscheidenden Impuls, der mich zu diesem Thema führte. Er ließ mir alle erdenklichen Freiheiten, die für die eigenständige Forschung notwendig sind, unterstützte mich aber zugleich in ebendiesem Maße. Ein großer Dank gebührt gleichfalls Prof. Markus A. Denzel, der das Zweitgutachten verfasste und das Projekt ebenfalls wohlwollend förderte. Entscheidenden Anteil am erfolgreichen Abschluss dieser Studie haben überdies zahlreiche Kolleginnen und Kollegen. Besonders bedanken möchte ich mich bei der Arbeitsgruppe Kultur- und Sozialgeschichte der DDR in transnationaler Perspektive an der Research Academy der Universität Leipzig, zu deren ersten Mitgliedern ich gehören durfte. Von unserem regelmäßigen fachlichen Austausch, vom Diskutieren von Texten und Ideen habe ich ungemein profitiert. Besonders bedanken möchte ich mich bei Prof. Thomas Höpel, der den Fortgang der Arbeit mit großem Interesse begleitet hat. Danken möchte ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der historischen Forschungsabteilung des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner (IRS), insbesondere PD Dr. Christoph Bernhardt, Dr. Oliver Werner und Lena Kuhl. Der fachliche und persönliche Austausch hat mir zahlreiche Impulse gegeben, die in diese Studie eingeflossen sind. Gedankt sei aber auch jenen Kolleginnen und Kollegen, die mir bei konkreten Problemen weitergeholfen haben, oder einfach nur bei unvergesslichen Kaffeepausen für kreativen Ausgleich gesorgt haben. Die Studie führte mich in vier Archive, ohne deren freundliche Mithilfe die Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde, des Stadtarchivs Leipzig, des Staatsarchivs Leipzig und der Außenstelle des BStU Leipzig sei auf diesem Wege für die ausnahmslos gute Zusammenarbeit gedankt. Es ist mir eine besondere Freude, die Studie in der Reihe „Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung“ veröffentlichen zu können. Dass dies möglich war, verdanke ich in erster Linie der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung sowie den Herausgeberinnen und Herausgebern der Reihe, die das Manuskript kritisch gelesen und hilfreiche Hinweise zur Überarbeitung gegeben haben. Für ihr Durchhaltevermögen und ihre Geduld beim Korrekturle-

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Vorwort

sen sowie die zahllosen Hinweise zur Textgestaltung danke ich Sophie Stettner, Marco Demkiw und Marcus Ulbrich. Einen Dank aussprechen möchte ich weiterhin an Katharina Stüdemann, die sich vonseiten des Franz-Steiner-Verlags um die Drucklegung gekümmert hat und immer eine hervorragende und gut gelaunte Ansprechpartnerin war. Last but not least spreche ich meinen herzlichen Dank der VG WORT aus, ohne deren großzügige finanzielle Förderung das Buch nicht hätte gedruckt werden können. Abschließend danke ich all jenen Verwandten und Freunden, die mich während des Prozesses mit menschlicher Wärme begleitet, aufgefangen und ausgehalten haben. Ihnen sei das Buch gewidmet. Berlin, den 21. Juli 2016

EINLEITUNG Die SED verdankte ihre Macht im ostdeutschen Teilstaat in ganz erheblichem Maße dem demokratischen Zentralismus, der administrativ-kulturellen Klammer der Diktatur, mit deren Hilfe die Partei alle gesellschaftlichen Bereiche durch straffe Leitung von oben und strikte Disziplin auf allen Ebenen durchdringen wollte.1 Auch die darin eingebetteten Kommunen wurden am „zentralistischen Gängelband“ geführt und waren den „Restriktionen der realsozialistischen Mangelverwaltung“ willkürlich ausgesetzt.2 In der öffentlichen Wahrnehmung und der fachwissenschaftlichen Debatte besteht kaum ein Zweifel, dass gerade diese lokale Ohnmacht maßgeblich zum Untergang der DDR beitrug und die Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung im Jahr 1952 als eine der Hauptursachen für die Unterurbanisierung ostdeutscher Städte anzusehen ist. Dieses Bild prägt unsere Wahrnehmung von Kommunalpolitik in der DDR grundlegend. Verfestigt hat es sich vollumfänglich aber erst in den Monaten des politischen Umbruchs 1989/903, vermittelt durch in der zeitgenössischen Medienöffentlichkeit kursierende Bilder vom desolaten Zustand ostdeutscher Städte. Dies führte gleichermaßen zu einem Desinteresse an der Herrschaftspraxis in der DDR, das der Stadtplaner Erich Konter bereits im zeitlichen Umfeld des Mauerfalls am 9. November 1989 beobachtete. „Was fällt uns im Westen zur Situation der DDR-Städte anderes ein als ‚Verfall‘, ‚Unwirtlichkeit‘ und ‚ökologischer breakdown‘? Was anderes zur bisherigen DDR-Stadtpolitik als Wohnungsbaukombinate, extensiver Großsiedlungsbau, Priorität der Hauptstadt zuungunsten der Provinz usw.? An einer Erkenntnis der wirklichen Ursachen und Bedingungen der dort abgelaufenen Stadt- und Raumentwicklung sowie der internen und externen Wirkungsfaktoren

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Vgl. Hermann Weber, Die Geschichte der DDR, München 2004, S. 167 f. Helmut Wollmann, Transformation der ostdeutschen Kommunalstrukturen. Rezeption, Eigenentwicklung, Innovation, in: Helmut Wollmann / Hans-Ulrich Derlien / Klaus König u. a. (Hrsg.), Transformation der politisch-administrativen Strukturen in Ostdeutschland, Opladen 1997, S. 264. Das vom DDR-Dissidenten Rudolf Bahro popularisierte Bild von der „organisierten Verantwortungslosigkeit“ prägte den westdeutschen Mediendiskurs über den demokratischen Zentralismus zwar bereits in den 1970er Jahren, in der fachwissenschaftlichen Debatte setzte in den 1980er Jahren aber ein gelassenerer Umgang mit dem Kommunalsystem der DDR ein. Der Osteuropa-Experte Herwig Roggemann etwa warnte davor, die Kommunalverwaltung der DDR einseitig als „Kommandosystem“ abzuwerten. Hintergrund waren die parallel in der Bundesrepublik ablaufenden Debatten um den zunehmenden Verlust kommunaler Autonomie durch die wachsende Beteiligung des Bundes. Vgl. Herwig Roggemann, Kommunalrecht und Regionalverwaltung in der DDR. Einführung in das Recht der Gemeinden, Städte, Kreise und Bezirke, Berlin 1987, S. 102.

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Einleitung auf die Möglichkeiten zur Regulation dieser Entwicklung ist zumindest derzeit hier wie dort offensichtlich kaum jemand interessiert.“4

Die prägende Rolle der Medien für die Wahrnehmung des SED-Staates geriet jedoch schnell in Vergessenheit und Konters pessimistische Diagnose sollte lange Zeit Gültigkeit besitzen. In der Geschichtswissenschaft verstärkte sich der Effekt noch durch die Renaissance der Totalitarismustheorie in den 1990er Jahren.5 Selbst in einem wegweisenden Aufsatz von M. Rainer Lepsius zur Rolle der politischen Institutionen für die Sozialgeschichte der DDR bezog sich dieser ausschließlich auf die zentralen Behörden und spricht, ausgehend von der „Kompetenzkompetenz“ der SED, von einer „Entdifferenzierung“ der Institutionen.6 Erst in den letzten Jahren haben sich Sozialwissenschaftler und Historiker dem Herrschaftsalltag regionaler und lokaler SED-Sekretäre angenommen und gezeigt, dass zwischen zentralen Planungsentscheidungen und deren lokalen Auswirkungen zunehmende Differenzen bestanden, die von örtlichen Herrschaftsträgern wahrgenommen wurden und auf die jene kreativ oder wie es im offiziellen Sprachgebrauch der DDR hieß: „schöpferisch“, reagieren mussten; nicht zuletzt, weil sie für Fehlentwicklungen vor Ort jederzeit persönlich verantwortlich gemacht werden konnten.7 Eng verbunden damit ist die Frage nach Handlungsspielräumen innerhalb des Staats- und Parteiapparats, die in ihren Ausmaßen erst ansatzweise untersucht sind. Hinter „regionalen Eigeninteressen“, die lokale Funktionäre bisweilen geltend machten, verbargen sich allerdings weniger konkurrierende lokale Planvorstellungen, sondern vielmehr Strategien der Krisenbewältigung.8 Die lokal-räumliche Dimension der SED-Herrschaft gewinnt vor allem in einer nach den „Grenzen der

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Erich Konter, Vorwort, in: Bernd Hunger / Erich Konter (Hrsg.), Städtebauprognose DDR. Städtebäuliche Grundlagen für die langfristige Intensive Entwicklung und Reproduktion der Städte, Berlin 1990, S. I. Bezeichnend für die ungenügende Auseinandersetzung mit der Verwaltung der DDR ist aus historischer Sicht der Forschungsbericht von Michael Ruck, Beharrung im Wandel. Neuere Forschungen zur deutschen Verwaltung im 20. Jahrhundert (II), in: Neue politische Literatur, 1998, S. 67–112. Vgl. M. Rainer Lepsius, Die Institutionenordnung als Rahmenbedingung der Sozialgeschichte der DDR, in: Hartmut Kaelble / Jürgen Kocka / Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 17–30. Vgl. Mario Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen 1952–1989, Paderborn etc. 2007; Heinz Mestrup, Die SED. Ideologischer Anspruch, Herrschaftspraxis und Konflikte im Bezirk Erfurt (1971–1989), Rudolstadt etc. 2000; Heinz Mestrup, Die Ersten und Zweiten Sekretäre der SED. Ein Beitrag zu Handlungsspielräumen von Funktionären in der DDR, in: Deutschland Archiv 36, 2003, S. 950–964; Heinrich Best / Heinz Mestrup (Hrsg.), Die Ersten und Zweiten Sekretäre der SED. Machtstrukturen und Herrschaftspraxis in den thüringischen Bezirken der DDR, Weimar etc. 2003; Andrea Bahr, Parteiherrschaft vor Ort. Die SED-Kreisleitung Brandenburg 1961–1989, Berlin 2016. Vgl. Heinz Mestrup, Zwischen zentralistischem Einheitsstaat und regionalen Eigeninteressen. Ein Plädoyer für die Erforschung des „sozialistischen Herrschaftsalltags“, in: Monika Gibas (Hrsg.), Couragierte Wissenschaft. Eine Festschrift für Jürgen John zum 65. Geburtstag, Jena 2007, S. 77–93.

Einleitung

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Diktatur“9 fragenden DDR-Forschung an Bedeutung. Dabei kann es freilich nicht darum gehen, machtferne Räume oder „Nischen“ zu identifizieren; dies schließt sich im Hinblick auf die Thematik aus. Vielmehr sollen Formen von „Eigen-Sinn“, d. h. Aneignungsprozesse und Handlungslogiken innerhalb des Systems sowie die dahinter stehenden Motive erforscht werden.10 Die vorliegende Studie knüpft an die Überlegungen zur räumlichen Dimension der Sozialgeschichte der SED-Herrschaft an und konzentriert sich auf einen bislang kaum beachteten Bereich – die Kommunalverwaltung – als einem eigenen Spielregeln folgenden, gleichwohl nicht unabhängigen Machtraum.11 Die Reichweite des Planungsmonopols der SED-Führung und die Handlungschancen lokaler Funktionäre lassen sich, so die Ausgangsthese, gerade auf städtischer Ebene am besten untersuchen, weil dort Herrschaftsansprüche, Entwicklungsdefizite und der zunehmende Unmut der Bevölkerung unmittelbar aufeinandertrafen, sei es bei Sprechstunden, auf Wahlveranstaltungen, Hausversammlungen oder bei der täglichen Eingabenbearbeitung. Die Stadtverwaltungen stellten, so Carsten Benke, geradezu Schnittstellen zwischen einer auf den lokalen Raum bezogenen Gesellschaft und dem Zentralstaat dar.12 Ein solcher, den Faktor Raum in die Analyse einbeziehender Ansatz erlaubt somit eine Konkretisierung und Verdichtung der Analyse der SEDHerrschaft. Situative Dynamiken und Wechselbeziehungen zwischen Zentrale und Kommune geraten damit in den Fokus der Untersuchung. Jene Dynamiken hingen in der DDR ganz entscheidend von der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Territorien ab. So waren etwa Bezirksstädte wesentlich näher am Machtzentrum als Kreisstädte oder Gemeinden, zugleich standen sie aber unter stärkerer Beobachtung der Parteiführung. Daraus ergaben sich spezifische Zwänge, jedoch auch Einflusschancen. Das erklärte Ziel der Parteiführung, die räumlichen Unterschiede insbesondere zwischen den nördlichen und südlichen Bezirken einzuebnen, wurde zuweilen durch den asymmetrischen Zugang zu Machtressourcen konterkariert.13 9 10

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Vgl. Richard Bessel (Hrsg.), Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996. Zum Begriff „Eigen-Sinn“ vgl. Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993; Thomas Lindenberger, SEDHerrschaft als soziale Praxis. Herrschaft und „Eigen-Sinn“: Problemstellung und Begriffe, in: Jens Gieseke (Hrsg.), Staatssicherheit und Gesellschaft. Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Göttingen 2007, S. 23–47. Erste Ansätze bei Christoph Bernhardt / Heinz Reif (Hrsg.), Sozialistische Städte zwischen Herrschaft und Selbstbehauptung. Kommunalpolitik, Stadtplanung und Alltag in der DDR, Stuttgart 2009, S. 115–144. Vgl. Carsten Benke, Ludwigsfelde – Stadt der Automobilbauer. Stadtentwicklung, Kommunalpolitik und städtisches Leben in einer kleinen Industriestadt der DDR, Berlin 2010, S. 23. Auf die Bedeutung der lokalen Ebene für die „Partizipation“ der Bürger in der DDR verwies bereits Thomas Lindenberger, ohne dies jedoch weiter konzeptionell auszubauen. Vgl. Thomas Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen. Zur Einleitung, in: Thomas Lindenberger (Hrsg.), Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln etc. 1999, S. 31. Vgl. Christoph Bernhardt / Heinz Reif, Zwischen Herrschaft und Selbstbehauptung. Ambivalenzen sozialistischer Stadtpolitik und Urbanität, in: Bernhardt/Reif (Hrsg.), Sozialistische

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Einleitung

Die Studie konzentriert sich auf die Stadt Leipzig, die zweitgrößte Stadt der DDR, die vielen ihrer Bürger nicht erst im Herbst/Winter 1989 als „heimliche Hauptstadt“ der DDR galt. Dahinter stand gleichfalls nicht nur schlicht ein traditionell exponiertes Selbstbewusstsein. Ebenso spiegelt sich hierin die administrative Position der Stadt innerhalb des demokratischen Zentralismus und der Städtehierarchie der DDR wider. Hinter Ost-Berlin nahm Leipzig, seit 1952 auch Bezirksstadt, zusammen mit Dresden den zweiten Platz auf der geopolitischen Skala der DDR ein.14 Als Messestandort galt Leipzig als internationales Aushängeschild der DDR, und Walter Ulbricht widmete seiner Geburtsstadt nicht zuletzt deshalb besonders viel Aufmerksamkeit, zumindest wenn es um die Umgestaltung des Stadtzentrums ging. In der Zeit des Neuen Ökonomischen Systems wurde Leipzig zu einer wichtigen wirtschaftlichen Säule der DDR15, und bis zuletzt blieb die Stadt Hauptwohnsitz für die im zweitgrößten Industriegebiet der DDR beschäftigten Arbeitskräfte. Aus der Sicht kleinerer Städte bedeutete eine mit Leipzig vergleichbare Stellung immer einen beneidenswerten Zugewinn an Gestaltungsmacht.16 Auch lokale und regionale Funktionäre waren unermüdlich bestrebt, das historische Erbe der Stadt, zu dem neben der Industriestruktur auch die Arbeiterbewegung zählt, als politisches Kapital zu nutzen. So forderten etwa die Stadt- und Bezirksleitung der SED im Jahre 1956, der siegreichen Arbeiterklasse auf dem Karl-Marx-Platz (vormals und nach 1990 wieder Augustusplatz) ein Denkmal in Form eines gemeinsamen Parteikabinetts zu setzen, was vom ZK der SED jedoch entschieden abgelehnt wurde.17 Ebenso scheiterte ein zweiter Vorstoß im Jahre 1960 zur Errichtung eines Hauses der Partei- und Staatsmacht an Walter Ulbricht. Der SED-Chef sah seine Geburtsstadt eher in Anknüpfung an ältere Traditionen als Stadt der Industrie, des Handels und der Kultur, dagegen sei Ost-Berlin die politische Hauptstadt.18 Eine mit utopischen Zukunftsentwürfen verbundene „sozialistische Stadt“ sollte Leipzig damit nicht mehr werden. Das kulturelle Erbe der

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Städte, S. 300; Carsten Benke / Thomas Wolfes, Stadtkarrieren. Typologie und Entwicklungsverläufe von Industriestädten in der DDR, in: Christoph Bernhardt / Thomas Wolfes (Hrsg.), Schönheit und Typenprojektierung. DDR-Städtebau im internationalen Vergleich, Erkner 2005, S. 127–164. Vgl. Heinz Lüdemann / Frank-Dieter Grimm / Rudolf Krönert, (Hrsg.), Stadt und Umland in der Deutschen Demokratischen Republik, Gotha 1979, S. 71. Vgl. Oliver Werner, Zwischen Konsolidierung, Bedeutungsverlust und Stagnation, Die Stadt Leipzig in der Planwirtschaft der DDR, in: Susanne Schötz (Hrsg.), Leipzigs Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Akteure, Handlungsspielräume, Wirkungen (1400–2011), Leipzig 2012, S. 360–362, der überdies auf die ambivalenten Folgen für die Handlungsfreiheit Leipziger Großbetriebe verweist. Vgl. Bernhardt/Reif, Zwischen Herrschaft und Selbstbehauptung, S. 300. So kursierten etwa in den 1960er Jahren im Kreis Saalfeld Gerüchte, dass Baukapazitäten bevorzugt nach Leipzig geschafft würden. Vgl. Andrew I. Port, Conflict and Stability in the German Democratic Republic, Cambridge 2008, S. 253. Vgl. Sitzung des Sekretariats des ZK der SED, 11.4.1956, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/507, Bl. 12, 132. Vgl. Niederschrift über die Aussprache mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht, am 9. Oktober 1960, StadtAL, StVuR (1), 4873, Bl. 12.

Einleitung

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Stadt (Buchstadt, Theaterstadt usw.) machte fortan auch den Kern der städtischen Imagepolitik aus.19 Die sich mit diesen, an den Sozialismus anknüpfungsfähigen Kontinuitäten verbindenden Machtchancen gerieten, unter dem Eindruck des Untergangs der DDR, jedoch schnell in Vergessenheit. Vielmehr galt Leipzig schon bald nach dem Mauerfall in der westdeutschen Medienöffentlichkeit nicht mehr nur als „Heldenstadt“, sondern, aufgrund des desolaten Zustands der einst auch von außen immer unter besonderer Beobachtung stehenden Stadt, als Synonym für „das republikweite Resultat von 40 Jahren Mißwirtschaft“.20 GOVERNANCE IM DEMOKRATISCHEN ZENTRALISMUS: ANSATZ UND AUFBAU DER STUDIE Die skizzierte Problemstellung der Studie verlangt nach einem differenzierten Konzept, mit dessen Hilfe sich die Komplexität der Herrschaftspraxis der Kommunalverwaltung der DDR nach räumlich-administrativen Gesichtspunkten beschreiben und auf einen analytisch angemessenen Rahmen reduzieren lässt. Ein solches bietet der politikwissenschaftliche Ansatz der Multilevel-Governance.21 Dieser soll freilich nicht eins zu eins auf die Verhältnisse in der DDR übertragen werden, zumal er für die Analyse demokratischer Systeme entwickelt wurde. Der Begriff zeichnet sich vielmehr durch eine bestimmte Sichtweise auf Verwaltung aus, die jenseits formaler Strukturen auf Aushandlungsprozesse, Kompetenzverflechtungen, Interes­ senkonflikte sowie das Zusammenspiel von Institution und Umwelt fokussiert. Dies ermöglicht es, differenzierte Einsichten in die Herrschaftswirklichkeit des demokratischen Zentralismus zu erhalten. Der Staatsapparat der DDR lässt sich so als Mehrebenensystem beschreiben, innerhalb dem lokal-räumliche Entscheidungen gemeinsam, d. h. zwischen allen Ebenen, koordiniert werden mussten. Damit grenzt sich die vorliegende Studie von dem in der Forschung noch weit verbreiteten Ansatz ab, dass sich das Herrschaftssystem des SED-Staates einzig auf Politbüro und zentrale staatliche Organe reduzieren ließe.22 Der Vorteil des Governance-Ansatzes 19 20

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Vgl. Thomas Höpel, „Die Kunst dem Volke“. Städtische Kulturpolitik in Leipzig und Lyon 1945–1989, Leipzig 2001, S. 362–375. Bilder, die weh tun, in: Der Spiegel 46/1989, S. 56. Vgl. ferner auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 206 vom 8. November 1989, S. 3; Carola Scholz / Werner Heinz, Stadtentwicklung in den neuen Bundesländern. Der Sonderfall Leipzig, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 45, 1995, Heft 12, S. 17. Vgl. Arthur Benz, Multilevel Governance – Governance in Mehrebenensystemen, in: Arthur Benz / Nicolai Dose (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. aktualisierte und veränderte Aufl., Wiesbaden 2010, S. 111–135. Obwohl das Konzept der Governance ursprünglich für die Analyse demokratischer Systeme entwickelt wurde, zeigt eine aktuelle Studie über Handlungsspielräume von Betriebsdirektoren in der DDR, dass sich dieses auch auf diktatorische Herrschaftsbeziehungen anwenden lässt. Vgl. Marcel Boldorf, Governance in der Planwirtschaft. Industrielle Führungskräfte in der Stahl- und der Textilbranche der SBZ/DDR (1945–1958), Berlin etc. 2015. Zur Kritik vgl. Corey Ross, The East German Dictatorship. Problems and Perspectives in the Interpretation of the GDR, London 2002, S. 64 f.

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liegt demgegenüber darin, dass er eine übermäßige Betonung des Zentralismus zu vermeiden hilft. Stattdessen betont er vielmehr dessen Grenzen, ohne ihn jedoch zu marginalisieren. Dabei wird eine Blickverengung auf nur eine Institution vermieden. Stattdessen wird deren Einbindung in das Gesamtsystem deutlich. Ohne die formalen Strukturen zu vernachlässigen, eröffnet das Konzept den Blick auf weitergehende Fragestellungen, mit deren Hilfe sich ein wesentlicher Teil der „Institutionenkultur“ besser greifen lässt.23 So geraten die konkreten Probleme der Mehrebenenpolitik (Ziele und Aufgaben) in das Blickfeld, zudem die Rollen und Interessen der Akteure und die Art und Weise, wie sie in das Mehrebenensystem eingebunden waren. Weiterhin fragt der Ansatz nach den spezifischen Strukturmerkmalen, sowohl innerhalb einer Organisationsebene als auch zwischen den Ebenen. Schließlich werden die Koordinations- und Steuerungsmechanismen in den Blick genommen, die das System zusammenhalten und damit Stabilität schaffen. Auf die DDR umgemünzt, lassen sich anhand dieser Fragestellungen das Ausmaß der „Durchherrschung“ und der Eigen-Sinn innerhalb des Apparates näher bestimmen. Um die Verwaltungspraxis in der DDR als Multilevel-Governance zu beschreiben, ist es notwendig, sich von der spezifisch westlich geprägten Sicht auf den Staatsapparat der DDR zu lösen, die das Staatsverständnis der SED einzig auf den Zentralismus und die Allmacht von Parteibeschlüssen reduziert. Freilich darf der Zentralismus als bedeutendes Strukturelement nicht ignoriert werden, das Staatsverständnis der SED erschöpfte sich hierin aber nicht. Auszugehen ist vielmehr vom Begriff der „sozialistischen Kommunalpolitik“, die nach dem Verständnis der SED einen „wesentlichen Teil der Gesamtpolitik der marxistisch-leninistischen Partei und des sozialistischen Staates“ darstellte. Das Primat war die staatliche Planung und Leitung, der konkrete Gegenstandsbereich wurde recht allgemein auf die „Entwicklung der Städte und Gemeinden sowie des gesamten Siedlungsnetzes im Sozialismus“ ausgedehnt.24 Kommunalpolitik ordnete sich in der DDR somit in ein spezifisches Staatsverständnis ein, wonach sich das Gesamtsystem durch hierarchische Beziehungen von Teilsystemen beschreiben lässt. Dieses technokratische Verständnis wurde insbesondere im Zuge der Kybernetik-Debatte der 1960er Jahre geprägt, verschwand aber dann nicht mehr aus dem Ideenhaushalt der ostdeutschen Staatstheorie.25 Sichergestellt wurde der Führungsanspruch der Partei erstmals formal durch die Verwaltungsreform von 1952, in deren Verlauf die Länder zugunsten kleinerer regionaler Verwaltungseinheiten (Bezirke) abgeschafft wurden, um die Kommunikationskosten zwischen den Ebenen zu verringern.26 Der parallel festgeschriebene demokratische Zentralismus, ursprünglich das Organisationsprinzip der marxistisch23

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Vgl. Bernhard Löffler, Moderne Institutionengeschichte in kulturhistorischer Erweiterung. Thesen und Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007, S. 155–180. Art. ‚Kommunalpolitik (sozialistische)‘, in: Waltraut Böhme (Hrsg.), Kleines politisches Wörterbuch, Berlin (Ost) 1978, S. 446. Vgl. Peter C. Caldwell, Dictatorship, State Planning and Social Theory in the German Democratic Republic, Cambridge 2003. Vgl. Frank Richter, Ökonomische Hintergründe der Verwaltungsreform von 1952 in der DDR, Dresden 1999.

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leninistischen Partei27, sollte den Einfluss der Zentrale ebenso garantieren wie das Prinzip der doppelten Unterstellung. Das wichtigste Machtinstrument zur „Durchherrschung“ des Staatsapparates war der Plan.28 Nach offizieller Lesart war der Rat der Stadt als Beschlussorgan bzw. „politisches Lenkungsinstrument“29 einerseits der im Grunde genommen machtlosen Stadtverordnetenversammlung und andererseits dem übergeordneten Rat des Bezirkes unterstellt. Es gab aber noch eine zweite und wichtigere Dimension, die im Staatsrecht der DDR jedoch immer nachgeordnet behandelt wurde. So waren auch die Fachorgane des Rates der Stadt sowohl dem Rat selbst als auch den Fachorganen des Rates des Bezirks unterstellt. Gerade diese Konstruktion verursachte immer wieder Kompetenzkonflikte. So konnten etwa die übergeordneten Fachorgane Weisungen erteilen, ohne den für die Durchführung der Pläne verantwortlichen Rat zuvor in Kenntnis setzen zu müssen.30 Dies ist eine Seite der Medaille. Aus lokaler Sicht schließt sich jedoch die Frage an, auf welche Machtressourcen Kommunen innerhalb des Planungs- und Leitungssystems zurückgreifen und wie sie diese in der vertikalen Kommunikation mit der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung ihrer Territorien verknüpfen konnten.31 Die wichtigste Machtressource der Kommunen war das Lokalwissen, das die kommunalen Funktionäre aus ihrer Planungstätigkeit und ihrem ständigen Kontakt mit der Bevölkerung bezogen. Nicht zuletzt gab diese Machtressource den Ausschlag dafür, dass auch Staatswissenschaftler zu Beginn der 1970er Jahre die Koordinierung innerhalb des Mehrebenensystems als eigentliche Aufgabe der Kommunen ansahen. Der „fortschreitende Abbau vorhandener Disproportionen und die Überwindung bzw. das Vermeiden neuer“32 konnte nach ihrer Auffassung nur durch eine aktive Mitwirkung der Kommunen geleistet werden. Dieses lokalspezifische Wissen konnte zuweilen als Legitimationsressource eingesetzt werden, musste das „chronische Legitimationsdefizit“ der SED doch stets durch andere, auf Akzeptanz stoßende Strategien kompensiert werden.33 27

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So beschrieb etwa Lenin erstmals 1901 die Elemente des innerparteilichen Organisationsprinzips, namentlich: „strengste Konspiration, strengste Auslese der Mitglieder, Heranbildung von Berufsfunktionären“. Davon erhoffte er sich die Herausbildung eines „wirklichen Demokratismus“, eines auf Vertrauen basierenden Verhältnisses der „Berufsrevolutionäre“. Vgl. Vladimir Iljitsch Lenin, Was tun?, in: Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. 1, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (Ost) 1970–1971, S. 484. Vgl. Caldwell, Dictatorship, S. 2. Vgl. Veit Scheller, Die regionale Staatsmacht. Der Rat des Bezirkes Chemnitz/Karl-Marx-Stadt 1952–1990. Eine Verwaltungsstudie, Halle/Saale 2009, S. 85. Vgl. Günter Püttner / Albrecht Rösler, Gemeinden und Gemeindereform in der ehemaligen DDR. Zur staatsrechtlichen Stellung und Aufgabenstruktur der DDR-Gemeinden seit Beginn der siebziger Jahre. Zugleich ein Beitrag zu den territorialen Veränderungen der Gemeindeund Kreisgrenzen in der DDR, Baden-Baden 1997, S. 106. Zur Funktion des Territoriums als politische Ressource in der DDR vgl. Jay Rowell, Le totalitarisme au concret. Les politiques de logement en RDA, Paris 2006, S. 251–257. Vgl. Werner Lenz, Der Stadtkreis, der Stadtbezirk und einige grundlegende Aufgaben der Volksvertretungen und ihrer Organe, Potsdam-Babelsberg 1979, S. 118. Darauf verweisen etwa verschiedene prominente Ansätze wie Fürsorgediktatur (Konrad H. Jarausch) oder Konsensdiktatur (Martin Sabrow). Zu diesen und anderen Konzepten vgl. Peter Grieder, The German Democratic Republic, Basingstoke 2012, S. 1–18.

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Die zweite lokale Machtressource stellten die örtlich geleiteten Betriebe dar, zumeist kleinere Versorgungs-, Bau- und Dienstleistungsbetriebe, in die zwar bekanntermaßen kaum investiert wurde, über deren tatsächliche Kapazitäten man aber in Ost-Berlin allenfalls nur vage im Bilde war. Als am Ende der 1960er Jahre etwa die Vernachlässigung des Wohnungsbaus zu einem wichtigen Thema im Politbüro wurde (woran Erich Honecker unmittelbar anknüpfte), machte der Minister für Bauwesen Wolfgang Junker deutlich darauf aufmerksam, dass seine Behörde keinerlei Überblick über die Verteilung der lokalen Baukapazitäten besaß.34 Seine Forderung, dem Bauwesen eine „strukturbestimmende“ Stellung zuzuweisen, d. h. sie zentral anzuleiten, wurde nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Jahre 1971 jedoch nur halbherzig umgesetzt. So versuchte der neue Generalsekretär das Wissensdefizit durch die Bildung großer Bezirkskombinate unter Einbeziehung örtlicher Ressourcen zu kompensieren. Dennoch verblieben auch dann noch Baukapazitäten, insbesondere Reparaturbetriebe, in den Kommunen. Nicht zuletzt aus diesem Grund blieb die „Ausschöpfung örtlicher Reserven“ zu jeder Zeit Grundbestandteil zentraler Pläne und kommunalen Handelns.35 Neben der Frage der Machtressourcen ist abschließend das Verhältnis von formellen und informellen Herrschaftsbeziehungen zu klären. Innerhalb des vom demokratischen Zentralismus geprägten Staats- und Parteiapparates der DDR lassen sich diese beiden Ebenen kaum voneinander trennen. Zum einen stellte das Prinzip der doppelten Unterstellung die Kompetenzverteilung zwischen den Ebenen immer wieder infrage. Bezeichnenderweise setzte man sich in der DDR erst in den späten 1980er Jahren mit dieser Frage auseinander, ohne zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen.36 In der rechts- und geschichtswissenschaftlichen Forschung spricht man deshalb eher von Mitwirkungsmöglichkeiten.37 Kompetenzen waren in der Praxis vielmehr Aushandlungssache. Zum anderen wurde eine klare Kompetenzabgrenzung auch durch die als legitim anerkannte und in der Verfassung von 1968 sogar formal festgeschriebene Führungsrolle der SED immer wieder unterlaufen. Zwar blieb die Aufgabenverteilung zwischen Partei- und Staatsorganen als Ausdruck des antibürokratischen Selbstver-

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Zentrale Arbeitsgemeinschaft beim Präsidium des Ministerrates für die Leitung der prognostischen Arbeit, Information über die Beratung der Prognose der Hauptentwicklungsrichtung des Bauwesens für den Zeitraum 1970 bis 1980, 4.3.1968, SAPMO-BArch, NY 4182/928, Bl. 395–401. Eine erste Annäherung an dieses Thema bietet Oliver Werner, Die „Demokratisierung des Verwaltungsapparates“ der DDR als Beispiel administrativer Mobilisierung (1949 bis 1961), in: Oliver Werner (Hrsg.), Mobilisierung im Nationalsozialismus. Institutionen und Regionen in der Kriegswirtschaft und der Verwaltung des „Dritten Reiches“ 1936 bis 1945, Paderborn 2013, S. 303–323. Ferner auch Hinweise bei Jeffrey Kopstein, The Politics of Economic Decline in East Germany, 1945–1989, Chapel Hill etc. 1997, S. 176. Jochen Bley, Die Kompetenz der örtlichen Räte – inhaltliche und rechtliche Anforderungen an deren Ausgestaltung und Verwirklichung, Potsdam 1989. Vgl. Roggemann, Kommunalrecht, S. 48; Püttner/Rösler, Gemeinden und Gemeindereform, S. 263; Klaus Sieveking, Kommunalpolitik und Kommunalrecht in der DDR, in: Deutschland Archiv 16, 1983, Heft 7, S. 1169; Benke, Ludwigsfelde, S. 230.

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ständnisses38 immer ungenau39, gleichwohl waren die Beziehungen auf vielfältige Weise institutionalisiert. Eine wichtige Verbindungsstelle zur SED-Bezirksleitung bildete etwa der Sekretär des Rates, der seit der Verwaltungsreform von 1952 als rein politischer Funktionär ohne konkreten Geschäftsbereich, aber vollwertiges Ratsmitglied agierte.40 Ihm war mit der Organisations-Instrukteur-Abteilung (Org.Instr.) ein Fachorgan unterstellt, das nur damit befasst war, die Arbeitsweise des Rates und der Fachabteilungen zu koordinieren und kontrollieren sowie entsprechende Schritte einzuleiten, wenn Mängel festgestellt wurden.41 Zudem entschieden höhere SED-Organe über die Besetzung von Schlüsselpositionen im Rat. Der Oberbürgermeister wurde vom ZK der SED bestätigt, der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters sowie der Vorsitzende der Stadtplankommission wurden dagegen von der SED-Bezirksleitung ernannt.42 Strategisch wichtige Kader waren auch nach ihrer Ernennung als Mitglieder des Sekretariats der SED-Stadtleitung unmittelbar in den Parteiapparat eingebunden, um dort konkrete Anweisungen zur Beschlussdurchführung entgegenzunehmen und Rechenschaft abzulegen. In der Regel betraf das den Oberbürgermeister und den Vorsitzenden der Stadtplankommission.43 Im Sekretariat der SED-Stadtleitung Leipzig waren zu Beginn der 1970er Jahre außerdem der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, der Stadtrat für Kultur und die Stadtbezirksbürgermeisterin Mitte vertreten.44 Auch hier werden lokalspezifische Feinheiten deutlich. Diese mehr oder weniger formellen Beziehungen wirkten sich schließlich unmittelbar auf das Selbstbild jener Funktionäre aus. So äußerte etwa der Leipziger Oberbürgermeister Karl-Heinz Müller während einer Stadtparteiaktivtagung eher nebenbei, „daß ich in 1. Linie Mitglied des Sekretariats der Stadtleitung bin und dann Oberbürgermeister“.45 Schließlich agierte die SED-GrundorVgl. Bernhardt/Reif, Zwischen Herrschaft und Selbstbehauptung, in: Bernhardt/Reif (Hrsg.), Sozialistische Städte, S. 301 f. 39 Vgl. Klaus Schroeder, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949–1990, München 1998, S. 421; Ralph Jessen, Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis. Überlegungen zum Zusammenhang von „Bürokratie“ und Sprachnormierung in der DDR-Geschichte, in: Peter Becker / Alf Lüdtke (Hrsg.), Akten, Eingaben, Schaufenster. Die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 71. 40 Vgl. Otto N. Bretzinger, Kommunalverfassung der DDR. Ihre Einordnung in die Tradition und ihr Beitrag zur Fortentwicklung des deutschen Kommunalrechts, Baden-Baden 1994, S. 35; Püttner/Rösler, Gemeinden und Gemeindereform, S. 35; SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/418. 41 Vgl. Monika Kaiser, Herrschaftsinstrumente und Funktionsmechanismen der SED in Bezirk, Kreis und Kommune, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Bd. II, hrsg. v. Deutschen Bundestag, BadenBaden 1995, S. 1809; Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 109. 42 Vgl. Kaiser, Herrschaftsinstrumente, S. 1826–1833. 43 Vgl. Georg Brunner, Staatsapparat und Parteiherrschaft in der DDR, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Bd. II, hrsg. v. Deutscher Bundestag, Baden-Baden 1995, S. 1809; Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 102. 44 Vgl. Angaben über die gewählten Mitglieder und Kandidaten der Kreisleitung Leipzig-Stadt, [1970], SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/15384, unp. 45 Protokoll der Stadtparteiaktivtagung der SED-Grundorganisation des Rates des Stadt am 25.9.1972, SächsStAL, 21479, IV/C/7/139/03, unp. 38

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ganisation im Rat der Stadt als verlängerter Arm der SED-Stadtleitung.46 Bereits vor Gründung der DDR bediente sich die SED ihrer Grundorganisationen aber auch, um „insbesondere bei Personalfragen die eigentliche Verwaltungshierarchie unterlaufen“47 zu können. Die Grundorganisationen boten dabei die Möglichkeit, Parteikontrollkommissionen zur Durchführung von Parteiverfahren gegen einzelne oder mehrere Mitglieder in den Staatsapparat zu entsenden. Verhängte Parteistrafen, die von der Verwarnung bis zum Ausschluss reichten, konnten dabei unmittelbare Auswirkungen auf die berufliche Biographie des Betreffenden haben.48 Daneben war der Staatsapparat in die Berichts- und Kontrollpraxis der SED eingebunden. So mussten sämtliche Ratsbeschlüsse und Rechenschaftsberichte, bevor sie den Stadtverordneten zur Beschlussfassung vorgelegt wurden, durch die örtlichen Parteiorgane auf ihren politischen Gehalt hin geprüft und nach Begutachtung gegebenenfalls korrigiert werden.49 Parallel zum Sekretär des Rates unterhielt der Rat der Stadt auch eine Informationsstelle, die „Sonderberichte“ über Vorkommnisse innerhalb der Verwaltung an die SED-Stadtleitung und Grundorganisation ablieferte. Intern ließen sich die örtlichen Parteiorgane auch bei Bedarf durch den Oberbürgermeister und die Stadträte über Probleme beim Fortgang zentraler Projekte berichten.50 Wenn sie auf örtliche Missstände aufmerksam wurden, war es den Parteiorganen jederzeit möglich, direkte ressortspezifische Anweisungen unter Umgehung des Dienstweges zu erteilen.51 Schlussendlich verhinderte der demokratische Zentralismus, zum Teil gewollt, die Etablierung von Routinen, die eine moderne Bürokratie auszeichnen. Nicht zuletzt aus diesem Grund waren Herrschaftsbeziehungen und Gewichtsverhältnisse innerhalb des Staats- und Parteiapparates immerzu Gegenstand interner Debatten; insbesondere dann, wenn Reformen in anderen Bereichen Auswirkungen auf kommunale Mitwirkungsmöglichkeiten hatten. So wurden etwa im Rahmen des Neuen Ökonomischen Systems Strukturen geschaffen, welche auch die „territoriale[n] Voraussetzungen zur Erfüllung der gesamtstaatlichen Aufgaben“52 in das Blickfeld rücken ließen. Inwiefern dadurch, wie Oliver Werner bemerkt, „Mitarbeiter der örtlichen Verwaltung informelle Wege der Interessenabstimmung erfolgreicher als in den 1950er Jahren beschreiten konnten“, ist bislang noch nicht erforscht.53

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Vgl. Rudolf Schwarzenbach, Die Kaderpolitik der SED in der Staatsverwaltung. Ein Beitrag zur Entwicklung der Verhältnisse von Partei und Staat in der DDR 1945–1975, Köln 1976, S. 57. Vgl. Thomas Großbölting, SED-Diktatur und Gesellschaft. Bürgertum, Bürgerlichkeit und Entbürgerlichung in Magdeburg und Halle, Halle/Saale 2001, S. 63. Vgl. Mestrup, Die SED, S. 188 f. Vgl. Kaiser, Herrschaftsinstrumente, S. 1807. So ließen sich die Bezirks- und Stadtleitungen der SED etwa minutiös über den Aufbau des Stadtzentrums berichten. Vgl. SächsStAL, 21145, IV/5/01/359–361. Vgl. Kaiser, Herrschaftsinstrumente, S. 1797–1820. Vgl. Rolf Bönisch / Gerhard Mohs / Werner Ostwald (Hrsg.), Territorialplanung, Berlin (Ost) 1980, S. 97. Vgl. Werner, Die „Demokratisierung des Verwaltungsapparates“ der DDR, in: Ders. (Hrsg.), Mobilisierung im Nationalsozialismus, S. 322.

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In Anknüpfung an den Multilevel-Governance Ansatz werden die Mitwirkungsmöglichkeiten und politischen Aushandlungsprozesse des Rates der Stadt Leipzig innerhalb des demokratischen Zentralismus untersucht, mit dem Ziel, dadurch zu näheren Einsichten in das Ausmaß der „Durchherrschung“ des SEDStaates zu gelangen. Welche konkreten Konzepte lagen der Ausgestaltung des Mehrebenensystems zugrunde? Welche Akteure hatten Anteil an deren Durchsetzung und welche Interessenkonflikte traten dabei auf? In welchem Verhältnis standen der auf Einheitlichkeit zielende demokratische Zentralismus und der EigenSinn ermöglichende Faktor Raum bei der Praxis der kommunalen Mitgestaltung? Wann und warum griffen übergeordnete Staats- und Parteiorgane korrigierend ein? Wie gelang es der Kommune andererseits, Herrschaftsansprüche bzw. Vorgaben so zu modifizieren, dass sie sowohl „nach oben“ als auch „nach unten“ hin auf Akzeptanz stießen? Die Studie geht in drei Schritten vor. Zunächst werden die lokal-räumlichen Handlungsbedingungen städtischer Akteure in Leipzig näher beleuchtet. In einem zweiten Schritt werden die institutionellen Veränderungen im Rat der Stadt Leipzig vor dem Hintergrund interner Debatten um die Ausgestaltung des Staatsapparates auf kommunaler Ebene analysiert. Die Diskussionen werden dabei anhand von Gesetzesdebatten nachgezeichnet, die nicht auf ihren Text beschränkt, sondern als Produkte sozialer Aushandlungsprozesse im historischen Kontext verstanden werden. Es wird vor allem nach den dahinter stehenden Konzepten, deren Rezeption im Rat der Stadt Leipzig und den dabei auftretenden Interessenkonflikten gefragt. In einem dritten Schritt werden die Mitgestaltungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen der Kommune im Wohnungsbau und Wohnungswesen untersucht. Da es sich hierbei um zwei in der DDR voneinander getrennte Politikbereiche handelte54, werden sie auch in getrennten Kapiteln behandelt, Verflechtungen werden jedoch ebenso aufgezeigt. Die Konzentration auf Wohnungspolitik hat zwei Gründe. Einerseits waren die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommune von Politikfeld zu Politikfeld verschieden. So zählte der Wohnungsbau zu den stark zentralisierten Politikbereichen, während das Wohnungswesen nicht durch zentrale Behörden verwaltet wurde, wodurch gewissermaßen ein Machtvakuum unterhalb der Zentrale entstand. So lässt sich anhand zweier in der Praxis miteinander eng verflochtener Politikbereiche zugleich die gesamte Spannbreite der Institutionen- und Steuerungskultur in der Kommunalpolitik der DDR analysieren. Andererseits stellte die Wohnungspolitik den wohl bedeutendsten Politikbereich sowohl im Hinblick auf die Legitimation der SED als auch für die Lebensumstände der Bevölkerung dar. So machten städtebauliche Fragen einen Großteil dessen aus, was in der DDR unter Stadtentwicklung verstanden wurde. Schon im Jahr 1950 wurden die politischen Grundlagen des Wohnungsbaus in der DDR verbindlich festgelegt. Die 16 Grundsätze des Städtebaus vom 15. September 1950 gaben vor, dass Städte „von der Industrie für die Industrie gebaut“55 werden sollten. Erst mit der Formulierung neuer acht „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der Deutschen Demokratischen 54 55

Vgl. Rowell, Le totalitarisme au concret. Grundsätze des Städtebaus vom 15. September 1950, in: Ministerialblatt der DDR 1950, Nr. 25, S. 153.

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Republik“ im Mai 198256 wurden diese Richtlinien revidiert und Städtebau nun auf das 1973 beschlossene Wohnungsbauprogramm hin konzentriert. Gleichwohl hatten die negativen Auswirkungen dieser Vorgaben, insbesondere der Verfall innerstädtischer Wohngebiete, zur Folge, dass Wohnungsfragen kontinuierlich den größten Anteil an Eingaben an Staats- und Parteistellen ausmachten. Aus städtebaugeschichtlicher Sicht stellt der lokal-räumliche Zugriff somit auch eine Ergänzung zu den aus zentraler Perspektive viel häufiger untersuchten städtebaulichen Großprojekten dar. Mit deren Verwirklichung verbanden sich aufgrund der latenten Ressourcenknappheit immer auch Einbußen für die Lebensqualität der örtlichen Bevölkerung. Aus der Sicht von Kommunalpolitikern waren somit nicht die Großbauten und Prestigeobjekte der SED-Führung die Hauptschauplätze ihres Agierens, sondern die Wohngebiete, insbesondere die Altbaugebiete. FORSCHUNGSSTAND UND QUELLEN Eine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Herrschaftspraxis im SEDStaat unterhalb der zentralen Ebene fand in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung nicht statt. Erst am Ende der 1990er Jahre wiesen insbesondere Helga Welsh und Alf Lüdtke auf die Bedeutung regionaler und lokaler Funktionäre für die Funktionsweise der SED-Diktatur hin.57 Dem folgten jedoch in zeitlich größeren Abständen bislang nur wenige quellengestützte Studien, so dass noch immer große Lücken bestehen. Auf der Basis archivalischer Überlieferungen und Interviews geben diese Untersuchungen einen detaillierten Einblick in das Innenleben regionaler und lokaler Parteiapparate und verdeutlichen die Prägekraft des demokratischen Zentralismus für das Selbstverständnis und das Agieren der Funktionäre vor Ort. Dabei thematisierten sie auch innere Konflikte und informelle Aushandlungsprozesse. Im Vergleich wird außerdem deutlich, dass vor allem die lokale Ebene einen von der Zentrale und auch von der Bezirksebene abweichenden Eigen-Sinn aufwies. So rückten vor Ort in den 1970er und 1980er Jahren etwa jüngere Funktionäre an die Spitze der Parteiapparate, die die verkrusteten Auffassungen der SED-Führung nicht mehr uneingeschränkt teilten.58 Dies wirft die Frage nach Parallelen im Staatsapparat auf. Mit Blick auf den Verwaltungsapparat steckt die Forschung allerdings noch deutlicher in den Anfängen. Studien zu einzelnen Stadtverwaltungen existieren zwar, sie konzentrieren sich aber ausschließlich auf die Phase der sozialistischen 56 57

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Die acht Grundsätze von 1982 wurden nicht wie die 16 Grundsätze als Gesetz über das Gesetzblatt, sondern lediglich als Politbürobeschluss über das ZK-Organ Neues Deutschland bekanntgegeben. Vgl. Neues Deutschland vom 29./30. Mai 1982, S. 9 f. Vgl. Alf Lüdtke, Die DDR als Geschichte. Zur Geschichtsschreibung über die DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 48, 1998, Heft 36, S. 3; Helga Welsh, Die kommunistischen Eliten als Gegenstand der Forschung. Ein Rück- und Ausblick, in: Arnd Bauerkämper / Jürgen Danyel / Peter Hübner u. a. (Hrsg.), Gesellschaft ohne Eliten? Führungsgruppen in der DDR, Berlin 1997, S. 147. Vgl. Mestrup, Die SED; Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen; Bahr, Parteiherrschaft vor Ort.

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Transformation bis 1952 bzw. 1957. Zum Teil setzen die Arbeiten mit Blick auf den Elitenaustausch die Zäsur sogar schon 1948.59 Für die restlichen Jahrzehnte der DDR orientiert sich die historische Forschung dagegen an den zahlreichen rechtswissenschaftlichen Studien zum Kommunalsystem der DDR, die nach 1990 erschienen, um den Transformationsprozess zu unterstützen, dabei aber freilich nur die formalen Strukturen betrachten.60 Auch aus Sicht der Leipziger Stadtgeschichte stellt die Kommunalverwaltung in der DDR ein noch kaum bearbeitetes Feld dar. Bereits die im Duktus der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft verfassten Arbeiten zum „antifaschistisch-demokratischen Neubeginn“ in der Leipziger Stadtverwaltung betonten den Zäsurcharakter des Jahres 1952, gleichwohl sie die Phase der Transformation als Erfolgsgeschichte (und nicht als Verlustgeschichte bürgerlicher Institutionen) darstellen. In der Frage der Zäsursetzung aber gleichen sich die älteren und neueren Darstellungen erstaunlich.61 So beschränken sich die nach 1990 erschienen stadtgeschichtlichen Arbeiten zumeist auf die Person Erich Zeigners als letzten Oberbürgermeister (1945–1949) im traditionell bürgerlichen Sinne.62 Daneben liegen nur wenige aktengestützte Arbeiten vor, welche die Leip59

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Vgl. Daniel Bohse, Demokratischer Neuanfang versus Kontinuität. Politische Säuberung und Personalpolitik der Stadtverwaltung Halle 1945–1948, in: Sachsen und Anhalt 24, 2002/03, S. 351–390; Großbölting, SED-Diktatur und Gesellschaft; Thomas Widera, Dresden 1945– 1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft, Göttingen 2004. Auch eine Studie von Francesca Weil zum Kreis Annaberg, die bis 1961 reicht, konzentriert sich einzig auf den Elitenaustausch. Vgl. Francesca Weil, Entmachtung im Amt. Bürgermeister und Landräte im Kreis Annaberg 1930–1961, Köln etc. 2004. Neben Christoph Hauschild, Die örtliche Verwaltung im Staats- und Verwaltungssystem der DDR auf dem Wege in den gesamtdeutschen Bundesstaat. Eine vergleichende Untersuchung, Baden-Baden 1991; Püttner/Rösler, Gemeinden und Gemeindereform; Bretzinger, Die Kommunalverfassung der DDR, die für diese Studie herangezogen wurden, sind hervorzuheben: Bernd Einenkel / Thomas Thierbach, Das schwere Erbe des Zentralismus. DDR-Städte im Rückblick, Köln 1990; Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, Baden-Baden 1991; Franz-Ludwig Knemeyer (Hrsg.), Aufbau kommunaler Selbstverwaltung in der DDR, Baden-Baden 1991; Wolfgang Bernet / Helmut Lecheler, Die DDR-Verwaltung im Umbau, Regensburg 1991. Vgl. Eva Georgi, Die Entwicklung der demokratischen Selbstverwaltung in Leipzig in den Jahren 1945 bis 1948, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 9, 1959/60, S. 497–508; Günther Krüger, Zweierlei Besatzungspolitik in Leipzig (April bis September 1945), in: Beiträge zur Zeitgeschichte 3, 1960, S. 104–112; Günther Krüger / Karl Urban, Die Herausbildung antifaschistisch-demokratischer Verwaltungsorgane in Leipzig (April bis Oktober 1945), in: Staat und Recht 12, 1964, S. 2068–2087; Manfred Unger, Leipzig 1945, in: Sächsische Heimatblätter 15, 1969, S. 211–218; Günter Koppelmann, Das Ringen um die Festigung der antifaschistisch-demokratischen Staatsorgane in Leipzig von Mitte 1948 bis Anfang 1949, Diss. A, Leipzig 1968; Günther Krüger, Die Rolle und Vervollkommnung der sozialistischen Machtorgane in der Etappe zwischen der 3. Parteikonferenz und der 30. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in der Stadt Leipzig (März 1956 bis Februar 1957), Diss. A, Leipzig 1971; Günther Krüger, Vom Verwaltungsdistrikt zum Stadtbezirk. Über die administrativ-territoriale Gliederung der Machtorgane der Stadt Leipzig nach 1945, in: Arbeitsberichte zur Geschichte der Stadt Leipzig 11,1973, S. 7–42. Vgl. Mike Schmeitzner, Erich Zeigner (1886–1949). Linkssozialist im Zwiespalt, in: Michael Rudloff (Hrsg.), „Solche Schädlinge gibt es auch in Leipzig“. Sozialdemokraten und die SED, Frankfurt/Main etc. 1997, S. 106–139; Mike Schmeitzner (Hrsg.), Erich Zeigner. Bildungsbür-

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ziger Stadtverwaltung im Kontext der kurzen amerikanischen und dann der sowjetischen Besatzungspolitik mitbetrachten.63 Empirisch unterfütterte Untersuchungen zur Herrschaftsgeschichte in Leipzig nach 1952 liegen von Heidi Roth, Oliver Werner und Christian Kurzweg vor, die insbesondere die Rolle des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Paul Fröhlich herausstellen.64 Es verwundert daher kaum, dass die 2009 von Veit Scheller veröffentlichte Untersuchung zum Rat des Bezirkes Chemnitz/Karl-Marx-Stadt in der Fachöffentlichkeit als Pionierleistung gewürdigt wurde, obwohl sie sich ausschließlich auf die Veränderungen in den Abteilungsstrukturen – jedoch für die gesamte DDR-Zeit – konzentriert.65 Eine weitere Pionierleistung stellen die Arbeiten von Carsten Benke und Philipp Springer dar, die aus einem Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner und der Technischen Universität Berlin zu brandenburgischen Klein- und Mittelstädten in der DDR hervorgegangen sind.66 Dabei bildet der Herrschaftsalltag in den Städten Ludwigsfelde und Schwedt

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ger und Sozialdemokrat, Leipzig 1999; Werner Bramke, Erich Zeigners Demokratieverständnis, in: Helmut Bräuer (Hrsg.), Die Stadt als Kommunikationsraum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Festschrift für Karl Czok zum 75. Geburtstag, Leipzig 2001, S. 101–119. Vgl. Horst W. Schmollinger, Das Bezirkskomitee Freies Deutschland in Leipzig, in: Lutz Niethammer / Ulrich Borsdorf / Peter Drandt (Hrsg.), Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976, S. 219–251; Rainer Gries, Die Rationen-Gesellschaft. Versorgungskampf und Vergleichsmentalität: Leipzig, München und Köln nach dem Kriege, Münster 1991, S. 41–132; Heidi Roth, Neuanfang nach Kriegsende in Leipzig unter amerikanischer Besatzung, in: Leipziger Kalender 1997, S. 221–244. Vgl. Heidi Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, Köln 1999; Oliver Werner, Ein Jongleur der Macht. Paul Fröhlich und „sein“ Bezirk Leipzig in der DDR Wirtschaftspolitik 1956 bis 1961, in: Deutschland Archiv 39, 2006, S. 68–77; Christian Kurzweg / Oliver Werner, SED und Staatsapparat im Bezirk. Der Konflikt um den Rat des Bezirkes Leipzig 1958/59, in: Michael Richter / Thomas Schaarschmidt (Hrsg.), Länder, Gaue und Bezirke. Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert, Halle/Saale 2007; Christian Kurzweg, Parteiherrschaft und Staatsapparat. Der Bezirk Leipzig 1945/52–1990, in: Ingrid Grohmann (Hrsg.), Bewegte sächsische Region. Vom Leipziger Kreis zum Regierungsbezirk Leipzig 1547–2000. Eine Ausstellung des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig und des Regierungspräsidiums Leipzig 2001, Halle/Saale 2001. Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht. Zur Rezeption der Studie vgl. Heinz Mestrup, Rezension von: Veit Scheller, Die regionale Staatsmacht. Der Rat des Bezirkes Chemnitz/Karl-MarxStadt 1952–1990. Eine Verwaltungsstudie, Halle/Saale 2009, in: Sehepunkte 10, 2010, (URL: http://www.sehepunkte.de/2010/09/17056.html, aufgerufen: 10.2.2014); Oliver Werner, Rezension von: Veit Scheller, Die regionale Staatsmacht. Der Rat des Bezirkes Chemnitz/KarlMarx-Stadt 1952–1990. Halle/Saale 2009, in: H-Soz-u-Kult, 14.12.2012 (URL: http://hsozkult. geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-4-222, aufgerufen: 10.2.2014); weniger bekannt ist dagegen die Studie der Archivarin Eva Rickmers, Aufgaben und Struktur der Bezirkstage und Räte der Bezirke in der DDR 1952–1990/91 am Beispiel des Bezirkes Cottbus. Eine verwaltungsgeschichtliche Studie, Frankfurt/Main etc. 2007, die ihren Gegenstand im Gegensatz zu Scheller allerdings nicht weiter in den historischen Kontext einbettet. Vgl. Thomas Wolfes, Industriestädte in der SBZ/DDR 1945–1989/90. Stadtentwicklung, Kommunalpolitik und urbanes Leben in einer „durchherrschten Gesellschaft“. Ein Forschungsprojekt, in: Zeitgeschichte regional 2001, S. 109–111. Zu den Einzelstudien vgl. Benke, Ludwigsfelde; Philipp Springer, Verbaute Träume. Herrschaft, Stadtentwicklung und Lebensrealität in

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einen Schwerpunkt neben Stadtentwicklung und Lebensalltag. Die Autoren bevorzugten einen pragmatischen Analysebegriff von Kommunalpolitik, unter dem sie die „Summe aller formellen und informellen Möglichkeiten, mit denen die lokale Ebene auf die Entwicklung von Stadtqualität Einfluss nehmen konnte“, verstehen.67 Ihr Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der horizontalen Ebene, insbesondere auf den Aushandlungsprozessen zwischen Stadtverwaltung und nicht-unterstellten Betrieben, die generell über mehr materielle Ressourcen verfügten. Der Blick bleibt dabei stets auf Stadtentwicklungsfragen konzentriert, rein herrschaftsgeschichtliche Fragen spielen nur als Rahmenbedingung des Handelns eine Rolle. Veränderungen in der Herrschaftspraxis werden damit nicht thematisiert. Darin unterscheidet sich dieser von dem hier gewählten Ansatz. Mit Blick auf die lokale Wohnungspolitik, die in dieser Studie einen Schwerpunkt bildet, verdienen zwei hierzulande bedauerlicherweise kaum rezipierte Untersuchungen hervorgehoben zu werden. Schon 1998 legte Frank Betker eine beachtenswerte Untersuchung zu den lokalen Stadtplanungszentren, den Büros der Chefarchitekten, vor. Diese waren seit den späten 1960er Jahren für die städtebauliche Gesamtplanung zuständig, die nicht nur einzelne Prestigeobjekte umfasste, sondern auch Verkehrs- und Siedlungsplanung einschloss. Dabei konnte Betker zeigen, dass die Büros hochqualifizierte Fachbehörden darstellten, die dem Einfluss der SED weniger stark ausgesetzt waren als die Stadtbauämter, die jedoch letztlich über den Einsatz der Baukapazitäten entschieden. Dennoch stellten die Planungsarbeiten der Büros die Grundlage für das Baugeschehen in den Städten dar.68 Eine aus herrschaftsgeschichtlicher Perspektive kenntnisreiche Untersuchung zur Wohnungspolitik hat der französische Politikwissenschaftler und Historiker Jay Rowell vorgelegt. Rowell untersucht die bürokratische Praxis der Wohnungspolitik aus sozialgeschichtlicher Perspektive sowie Aushandlungsprozesse zwischen Akteuren von der Zentrale bis hin zur Basis. Dabei hat Rowell erstmals die Unterschiede zwischen Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft pointiert herausgearbeitet, woran diese Studie unmittelbar anknüpfen kann.69 Vor dem Hintergrund des noch starke Lücken aufweisenden Forschungsstandes basiert die vorliegende Studie überwiegend auf ungedruckten Quellen. Dass die „formelhafte Funktionärssprache“70 bzw. „phrasenhafte Unbestimmtheit“71 des Behördenschriftgutes Aushandlungsprozesse eher verschleiert als transparent macht, braucht an dieser Stelle nicht näher erläutert zu werden. Diese grundsätzlichen quellenkritischen Probleme sollen dennoch nicht zu dem voreiligen Schluss führen,

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der sozialistischen Industriestadt Schwedt, Berlin 2006. Zu wesentlichen Forschungsergebnissen vgl. den Sammelband von Bernhardt/Reif (Hrsg.) Sozialistische Städte. Carsten Benke, Am Ende der Hierarchie. Grenzen und Spielräume der Kommunalpolitik in der DDR – Mit Beispielen aus der Industriestadt Ludwigsfelde, in: Bernhardt/Reif (Hrsg.), Sozialistische Städte, S. 21 f. Vgl. Frank Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“. Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945–1994), Stuttgart 2005, insbes. Kapitel 7–9, S. 112–216. Vgl. Rowell, Le totalitarisme au concret. Vgl. Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen, S. 29. Vgl. Jessen, Diktatorische Herrschaft, in: Becker/Lüdtke (Hrsg.), Akten, Eingaben, Schaufenster, S. 61.

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dass Behördenquellen für historische Analysen nur bedingt aussagekräftig sind. Zudem lassen sich viele Probleme durch Parallelüberlieferungen kompensieren. Ebenso lässt sich die zunehmende Formalisierung des Schriftgutes des Verwaltungsapparates, insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren, durch die Erweiterung des Blickfeldes ein Stück weit aufwiegen. Wurden in den 1950er und 1960er Jahren interne Querelen noch über den Dienstweg kommuniziert, so nahm das Interesse hierzu während der zweiten Hälfte der 1960er Jahre merklich ab. Parallel aber übernahmen andere Instanzen entsprechende Funktionen der Informationsgewinnung; so etwa die 1963 geschaffenen Parteikontrollkommissionen auf lokaler Ebene und die im selben Jahr gebildete Arbeiter-und-Bauern-Inspektion. In den 1960er Jahren traten diese Kontrollinstanzen kaum im Rat der Stadt Leipzig auf, in den 1970er und 1980er Jahren dagegen umso häufiger. Sie dokumentierten innerbehördliche Interessenkonflikte und oftmals wurden persönliche Differenzen vor den Parteikontrolleuren ausgetragen.72 Auch das MfS registrierte in der Ära Honecker zunehmend Alltagsprobleme der Stadtverwaltung, während sich dessen Tätigkeit in den 1950er und 1960er Jahren noch lediglich auf einzelne Funktionäre beschränkt hatte. Problemberichte existierten zuhauf, gelangten innerhalb des Machtapparates aber oftmals nicht über die sie anfertigenden Stellen hinaus. Im Hinblick auf das MfS verweist Jens Gieseke darauf, dass Erich Honecker seit November 1972 bewusst darauf verzichtete, Berichte der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS entgegenzunehmen.73 Die Recherche konzentrierte sich auf vier Archive. Das Leipziger Stadtarchiv bewahrt die gesamte Behördenüberlieferung des Rates der Stadt sowie der Räte der Stadtbezirke auf, ferner eine kleine Zahl an Nachlässen, etwa den des Stadtarchitekten und Stadtbaudirektors Walter Lucas. In der Leipziger Außenstelle des Sächsischen Staatsarchivs sind das Schriftgut des Rates des Bezirkes, des unmittelbar übergeordneten Verwaltungsapparates, sowie das gesamte Parteiarchiv der Leipziger SED von der Bezirksleitung bis hinunter zu den Grundorganisationen aufbewahrt. Die Bestände des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde und der in sie eingegliederten Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR waren hauptsächlich aus zwei Gründen heranzuziehen. Für die zu untersuchenden Gesetzesdebatten erwiesen sich erstens die Akten der ZK-Abteilung Staat und Recht, die insbesondere für die 1970er und 1980er Jahre noch nicht ausgewertet sind, als aufschlussreich. Hier liefen gewissermaßen alle Stränge zusammen. Zweitens stand Leipzig, wie bereits erwähnt, stärker als manch andere Stadt (Ost-Berlin einmal ausgenommen) im Fokus der SED-Führung. Entscheidungen über städtebauliche Planungen in den 1960er Jahren behielt sich Walter Ulbricht bisweilen selbst vor, der zeitweise sogar aktiv in gestalterische Details eingriff. Die Arbeitsprotokolle der Politbüro- und Sekretariatssitzungen des ZK, an denen zum Teil auch Vertreter des Rates der Stadt teilnahmen und denen oftmals handschriftliche Notizen beigefügt sind, geben unmittelbar Aufschluss über direkt erteilte Anordnungen, die sich 72 73

Vgl. Mestrup, Die SED, S. 187–203; Hartmut Mummert, Die Arbeiter-und-Bauern-Inspektion in der DDR zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zur Geschichte eines Volkskontrollorgans, Berlin 1999. Vgl. Jens Gieseke, Die Stasi 1945–1990, München 2011, S. 159.

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in den Endfassungen der entsprechenden Beschlüsse nicht finden lassen. Ergänzend wurden schließlich ausgewählte Bestände der Bezirks- und Kreisleitung der Staatssicherheit Leipzig ausgewertet. Es zählt zu den noch offenen Forschungslücken, wie präsent das MfS auch im Verwaltungsapparat war.74 Dieser Frage nachzugehen, würde allerdings über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Suchanfragen zu Ratsmitgliedern wären in diesem Zusammenhang wenig zielführend gewesen, denn diese waren zur offiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet und wurden nur in wenigen Fällen zusätzlich als IM angeworben. Die Recherche hätte sich auf den Mitarbeiterkreis vom Abteilungsleiter abwärts konzentrieren müssen. Die Namen der betreffenden Personen liegen aber weitestgehend im Dunkeln. Sofern IMAkten von Ratsmitgliedern aufgefunden wurden und deren Zubringertätigkeit für die Staatssicherheit im Zusammenhang mit der Verwaltungspraxis stand, sollen die Ergebnisse der Auswertung in die Studie einfließen. Als besonders aufschlussreich erwiesen sich dagegen die Materialien, die das MfS zur Wohnungspolitik gesammelt hat. Allein die Fülle der Aufzeichnungen macht deutlich, wie brisant dieser Politikbereich war.

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Vgl. Ebd., S. 146.

I. POLITIK UND RAUM: LEIPZIG IN DER DDR

1. STADTPLANUNG UND BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG Die Diskussionen um Stadtplanung in der DDR kreisen zumeist um den nebulösen Begriff der „sozialistischen Stadt“.1 Dabei werden zuweilen unterschiedliche Aspekte thematisiert. Sozialwissenschaftler betonen die strukturellen Unterschiede zur „kapitalistischen Stadt“, d. h. die Verstaatlichung des städtischen Bodens, die Konzentration der Investitionen auf bestimmte Wirtschaftsstandorte und die ganzheitliche Planung eines Städtenetzwerkes.2 Architektur- und Kunsthistoriker konzentrieren sich dagegen auf städtebauliche Großprojekte, deren Ideenhaushalt, aber auch auf strukturelle Verschiebungen sowie die Transformation urbaner Zentren zu Handels- und Kommunikationsmittelpunkten der Bevölkerung und die Auslagerung von Wohnen und Dienstleistung an die suburbane Peripherie.3 Kulturhistoriker wiederum stellen in neueren Studien das Narrativ der „sozialistischen Stadt“ in Frage und untersuchen die damit verbundenen lokalen Aneignungsprozesse und Repräsentationen.4 Im Folgenden soll es vor allem um die von der SED-Führung vorgegebenen oder zumindest präferierten bzw. vor Ort erarbeiteten Planungskonzepte der Stadt Leipzig gehen. Dabei wird der Begriff „sozialistische Stadt“, der von den Zeitgenossen letztlich immer bemüht werden musste, zugunsten einer Konzentration auf Veränderungen der Planungshorizonte vermieden. Die ostdeutschen Stadtplaner standen zunächst vor Herausforderungen, die eine vorbehaltlose Übernahme des sowjetischen bzw. stalinistischen Modells verhinderten. Die ostdeutsche Städtelandschaft war durch Kriegsschäden und Versorgungsprobleme gekennzeichnet, die städtischen Organismen mussten erst wieder in Gang gebracht werden. Entsprechend orientierten sich die ersten Leipziger Entwurfsplanungen am Wiederaufbau der zerstörten Stadtstrukturen. Wie viele deutsche Großstädte war auch Leipzig durch alliierte Luftangriffe schwer getroffen worden. Industriegebäude lagen knapp zur Hälfte in Schutt und Asche, wobei die Messe und 1

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Zur Problematik der Begriffsdefinition vgl. Ulrike Ernst, Die „sozialistische Stadt“ als Ausdruck politischer Repräsentation. Idee und Realität der Nutzung öffentlichen Raums im Sozialismus, in: Gabriele Clemens / Jean El Gammal / Hans-Jürgen Lüsebrink (Hrsg.), Städtischer Raum im Wandel. Modernität, Mobilität, Repräsentationen, Berlin 2011, S. 77–85. Vgl. Hartmut Häußermann, Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus, in: Hartmut Häußermann / Rainer Neef (Hrsg.), Stadtentwicklung in Ostdeutschland. Soziale und räumliche Tendenzen, Wiesbaden 1996, S. 5–48. Vgl. Frank Betker, Die „sozialistische“ Stadt in der DDR. Zentral geplant, örtlich entworfen, plattengerecht gebaut, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Das war die DDR. DDR-Forschung im Fadenkreuz von Herrschaft, Kultur, politischem System, Geschichtsforschung, Wirtschaft und Außenpolitik, Münster 2004, S. 97–114. Vgl. Monica Rüthers, Moskau bauen von Lenin bis Chruščev. Öffentliche Räume zwischen Utopie, Terror und Alltag, Köln etc. 2007; Thomas Bohn, Minsk – Musterstadt des Sozialismus: Stadtplanung und Urbanisierung in der Sowjetunion nach 1945, Köln etc. 2008; Thomas Bohn (Hrsg.), Von der „europäischen Stadt“ zur „sozialistischen Stadt“ und zurück? Urbane Transformationen im östlichen Europa des 20. Jahrhundert, München 2009; Paul Stronski, Tashkent. Forging a Soviet City, 1930–1966, Pittsburgh 2010.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

die polygraphische Industrie am stärksten betroffen waren. Von den 1942 gezählten 225.000 Stadtwohnungen blieben nur etwa 94.000 gänzlich unbeschädigt, während 44.000 verloren gegangen waren.5 Schwere Schäden wies vor allem die Innenstadt auf. Die Universitätsgebäude waren zu 64 Prozent beschädigt bzw. zerstört. Fast alle Kauf- und Messehäuser wiesen Totalschäden auf, der Augustusplatz war, ausgenommen die Westseite und die Universitätskirche, nahezu völlig zerstört, das Alte und Neue Rathaus hatten leichte bis schwere Schäden zu verzeichnen.6 Der Bebauungsplan von 19497, der bewusst nicht als Generalbebauungsplan konzipiert war, trägt die besondere Handschrift des Stadtbaudirektors Walther Beyer (SED, vormals SPD), der schon in der Weimarer Republik als Architekt in Leipzig tätig gewesen war. Ihm ging es vornehmlich darum, die zerstörten Gebäude wiederaufzubauen und keine Utopien zu verwirklichen; eine Position, für die er 1949 aus seinem Amt gedrängt wurde.8 Schon hier machte sich bemerkbar, dass die SED-Führung auf die Übernahme des stalinistischen „Zuckerbäcker“-Stils, die Umgestaltung städtischer Zentren zu Monumenten der Arbeiterklasse, drängte. Hierfür bedurfte es jedoch der Intervention aus Moskau, denn die ostdeutschen Stadtplaner vertraten durchaus kontroverse Architektur- und Planungsauffassungen. Zum Schlüsselerlebnis sollte die Moskauer Reise vom April 1950 werden, bei der prominente Stadtplaner der DDR die 16 Grundsätze des Städtebaus mit sowjetischen Kollegen „berieten“. Hierbei wurden die ostdeutschen Stadtplaner endgültig auf die Linie Moskaus eingeschworen.9 Der Funktionalismus, den viele von ihnen in der Zeit der Weimarer Republik vertreten hatten und nun zu verwirklichen glaubten, wurde durch das Prinzip der „Schönheit“ ersetzt, das sich durch neoklassizistische Formen und einen monumentalen Stil, den sogenannten „nationalen Baustil“, auszeichnete.10 Zudem wurden die konträren Ansichten zum Stellenwert der Industrie zurecht gerückt. Hatten die Stadtplaner der DDR unter Industrie noch die Grundindustrie verstanden (also die Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung vor Augen), korrigierten die sowjetischen Kollegen sie dahingehend, dass künftig die volkswirtschaftlich bestimmende Industrie den Ausschlag für städtebauliche Investitionen zu geben habe.11 In Berlin sollten die Vorgaben aus Moskau mustergültig für die gesamte DDR umgesetzt werden. Dort wurde 1950 das Stadtschloss gesprengt und die freigewordene Fläche zum zentralen Aufmarschplatz („Marx-Engels-Platz“) umgestaltet. 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Gries, Rationen-Gesellschaft, S. 41; Unger, Leipzig 1945, S. 211. Vgl. Birgit Horn, Leipzig im Bombenhagel – Angriffsziel „Haddock“. Zu den Auswirkungen der alliierten Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg auf die Stadt Leipzig, Leipzig 1998, S. 83 f. Vgl. hierzu auch Abb. 4 und 5 im Anhang, S. 409 f. Vgl. Abb. 6 im Anhang, S. 411. Vgl. Ralf Koch, Leipzig und Dresden, Städte des Wiederaufbaus in Sachsen. Stadtplanung, Architektur, Architekten 1945–1955, Leipzig 1999, S. 21, 133. Vgl. Reise nach Moskau. Quellenedition zur neueren Planungsgeschichte, hrsg. v. Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Berlin 1995, S. 121–123. Vgl. Thomas Hoscislawski, Bauen zwischen Macht und Ohnmacht. Architektur und Städtebau in der DDR, Berlin 1991, S. 55–57. Vgl. Reise nach Moskau, hrsg. v. Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Berlin 1995, S. 90 f.

1. Stadtplanung und Bevölkerungsentwicklung

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Als eine der prominentesten Magistralen wurde die Stalin-Allee ausgebaut, die von prunkvollen Wohnhäusern gesäumt wurde.12 Auch in Leipzig wurde die historisch gewachsene Struktur im Wesentlichen beibehalten. Die Altstadt mit der im 19. Jahrhundert angelegten Ringbebauung entlang der ehemaligen Stadtmauer wurde lediglich als sozialistisches Zentrum umgedeutet. Auch mit der festgelegten Einwohnerzahl von 700.000 (bis 1975) bzw. 750.000 (perspektivisch) setzte man auf ein extensives Wachstum und orientierte sich dabei an den örtlichen Berechnungen der 1930er Jahre.13 Als Aufmarschplatz wurde der bereits im 19. Jahrhundert zu Repräsentationszwecken angelegte Augustplatz bestimmt, der schon 1945 in „Karl-Marx-Platz“ umbenannt worden war. Auf diesem entstand zwischen 1956 und 1960 das Opernhaus im neoklassizistischen Stil der 1950er Jahre. Zudem sollten der Stadtring als Magistrale ausgeweitet werden und weitere sieben Magistralen aus den Stadtbezirken in das Zentrum führen.14 Charakteristisch war bei diesen Planungen, dass sie an einen Demonstrationsplan gekoppelt waren.15 Der Aufbauplan stellte zusätzlich die architektonische Verbindung von Karl-Marx-Platz und Messemagistrale heraus, womit die beiden zentralen Orte der städtebaulichen Geschehnisse der nachfolgenden Jahre vorgegeben waren.16 Auch nachdem der „Zuckerbäcker“-Stil Stalins nach dessen Tod und im Zuge der Entstalinisierungskampagne seines Nachfolgers Nikita Chruschtschow für nichtig erklärt wurde und die industrielle Bauweise zum neuen Leitbild der sozialistischen Moderne avancierte, blieben die städtebaulichen Konzepte der Stadt Leipzig bis zum Ende der 1960er Jahre auf den innerstädtischen Ring begrenzt. Gleichwohl wurden die überhöhten Planvorgaben zur Bevölkerungsentwicklung revidiert. Der Plan zur Umgestaltung des Stadtzentrums vom Juni 1959 sah nun vor, dass Leipzig die 600.000 Einwohner-Marke nicht übersteigen sollte. Zudem wurden weitere Bauvorhaben beschlossen, die das Ensemble des Karl-Marx-Platzes als kulturelles Zentrum Leipzigs bestimmen sollten; so etwa das Haus der Kunst und Wissenschaft, das Bildermuseum, die Hauptpost sowie ein sieben- bis achtstöckiges Wohngebäude am Georgi-Ring. Schließlich sollten sechs Dominanten das Stadtzentrum umgrenzen.17 Zu Beginn der 1960er Jahre wurde das städtebauliche Geschehen um den Markt, das Gebiet am Brühl sowie den Bahnhofsvorplatz erweitert, wobei die historische Struktur mit ihren Nebenstraßen erhalten bleiben sollte.18 In den 1960er 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. Ernst, Die ‚sozialistische Stadt‘, in: Clemens/Gammal/Lüsebrink (Hrsg.), Städtischer Raum im Wandel, S. 82. Vgl. Rudolf Haake, Leipzig, die Stadt ohne Raum. Denkschrift der Reichsmessestadt Leipzig zur Frage der Eingemeindungen, Leipzig 1939, S. 10. Vgl. Staatliche Plankommission, Beschlussvorlage für das Ministerium für Aufbau zur städtebaulichen Planung Leipzig, 14.8.1952, BArch, DE 1/5123, Bl. 51–53. Vgl. Abb. 7 und das Ergebnis der Städtebaupolitik im Jahr 1959 in Abb. 8 im Anhang, S. 412 f. Vgl. Thomas Topfstedt, Aufbauplan und Demonstrationsplan. Das Leipziger Stadtzentrum in den fünfziger Jahren, in: Katrin Keller (Hrsg.), Feste und Feiern. Zum Wandel städtischer Festkultur in Leipzig, Leipzig 1994, S. 325. Vgl. Beschluss zum Aufbau des Leipziger Stadtzentrums, 30.6.1959, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/656, Bl. 7–34. Vgl. hierzu auch Abb. 9 im Anhang, S. 414. Vgl. Aufbau des Stadtzentrums Leipzig, 27.6.1961, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/770, Bl. 46 f.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

Jahren entstanden so, neben der neuen Hauptpost (1961–64), das Messehaus am Markt (1961–65), das Interhotel „Stadt Leipzig“ und das Hotel „Deutschland“ (1963–65).19 Im Zuge des forcierten Aufbaus der Wirtschaft und der damit verbundenen Ansiedlungspolitik für Arbeitskräfte, mit dem Ziel, die DDR im Innern zu stabilisieren und die Bundesrepublik zu überholen, wurden zudem erste Wohnsiedlungen in die Planungen einbezogen. Als „sozialistische Wohnkomplexe“ geplant, sollten sie freilich ausschließlich in den industriell wichtigen Gebieten Sellerhausen, Schönefeld, Möckern, Marienbrunn und Großzschocher entstehen und der städtischen Bevölkerung damit nur bedingt zugutekommen.20 Die innerhalb des Stadtrings noch vorhandenen Lücken wurden dagegen für weitere repräsentative Wohn- und Verwaltungsgebäude in industrieller Bauweise reserviert.21 Erst am Ende der Ära Ulbricht ging man in der DDR zu ganzheitlichen Planungskonzepten auf kommunaler Ebene über. Waren städtische Akteure bisher nur punktuell zu Beratungen im Politbüro hinzugezogen worden, sollten nun lokale Planungsbüros langfristig angelegte Generalbebauungspläne erarbeiten. Den Grundstein hierfür legte der VII. Parteitag der SED im Jahr 1967. Ziel der Generalbebauungspläne war es, die strukturbestimmenden Industriezweige stärker in die territoriale Entwicklung zu integrieren. Als Bestandteil der ganzheitlichen Perspektivplanung von Städten sollte die Bautätigkeit künftig nicht mehr nur auf das Stadtzentrum bzw. ausgesuchte Industriestandorte beschränkt sein, sondern sich ausgehend vom (historischen) Stadtkern auf die Außenbezirke ausdehnen. Die Generalbebauungspläne machten räumliche Auswirkungen der bisherigen Stadtentwicklungspolitik erstmals auf legitime Weise fassbar und boten akzeptierte Lösungen an.22 In der Stadt Leipzig wurde noch im selben Jahr mit dem Büro des Chefarchitekten jene städtische Planungsbehörde geschaffen, welcher diese Aufgabe zukam. Damit verbanden sich aber zugleich Akzentverschiebungen und die Möglichkeit, von örtlicher Seite her auf bislang vernachlässigte Aspekte des Städtebaus hinzuweisen. So machte der Leipziger Chefarchitekt Horst Siegel schon 1969 bei einer Fachtagung auf die gravierenden Versäumnisse im Wohnungsbau der Stadt aufmerksam.23 Ihm zufolge musste „fast ein Halle-Neustadt innerhalb von Leipzig“, d. h. 50.000 bis 60.000 Wohnungen samt gesellschaftlichen Einrichtungen gebaut werden, was als vordringliches Ziel für das Jahrzehnt zwischen 1970

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Vgl. Thomas Topfstedt, Städtebau in der DDR 1955–1971, Leipzig 1988, S. 84 f.; Ambros Gross, Gestaltung des Stadtzentrums – Geplantes und Gebautes, in: Joachim Tesch / Kurt Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig 1945–1990. Akteure und Zeitzeugen auf persönlichen Spuren der Leipziger Baugeschichte, Leipzig 2003, S. 197. Vgl. Aufbau des Stadtzentrums Leipzig, 27.6.1961, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/770, Bl. 49; Gerhard Mohs, Probleme der Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur in den Ballungsgebieten der DDR – dargestellt am Beispiel des Ballungsgebiets Halle – Leipzig, Leipzig 1964, S. 82. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Vorlage für das Polit-Büro des ZK der SED über den weiteren Aufbau des Stadtzentrums Leipzigs in Verbindung mit der Perspektive der Leipziger Messe, 11.9.1963, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/985, Bl. 23 f. Vgl. Protokoll der Verhandlungen des VII. Parteitages, Bd. 1, S. 182. Zum Wohnungsbau im Leipziger Generalbebauungsplan vgl. Abb. 10 im Anhang, S. 415.

1. Stadtplanung und Bevölkerungsentwicklung

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und 1980 ausgegeben wurde.24 Vergleicht man dieses Defizit mit einer Schätzung der Staatlichen Plankommission aus dem Jahr 1951, welche für Leipzig einen Bedarf von 7.000 Wohnungen ermittelte25, wird deutlich, wie beträchtlich die Versäumnisse auf diesem Gebiet waren, aber auch, wie sehr sich die Präferenzen zu verschieben begannen. Zudem integrierte der Generalbebauungsplan erstmals „umfangreiche Baumaßnahmen für Bereiche, die bisher immer noch unterschätzt wurden.“ Das meinte „Baumaßnahmen für das Verkehrswesen und insbesondere für den unterirdischen Bauraum, also die stadttechnische Erschließung, sowie für die Werterhaltung.“26 Gleichwohl konkurrierten die umfassenden lokalen Planungsentwürfe noch eine ganze Zeit lang mit von zentraler Seite präferierten Prestigeobjekten. So blieb etwa der Karl-Marx-Platz bis in die 1980er Jahre hinein Objekt für Prestigebauten, so für den Universitätsneubau (1968–75) und das 1981 fertiggestellte Neue Gewandhaus.27 Das Wohnungsbauprogramm, das mit dem neuen Generalsekretär Erich Honecker seit 1971 zum städtebaulichen Dogma avancierte, aber bereits in den späten 1960er Jahren geplant worden war28, konnte unmittelbar an die lokalen Planungsarbeiten anknüpfen, was dessen zügige Umsetzung wohl nicht unwesentlich beförderte. Gleichwohl schuf das Wohnungsbauprogramm mit seiner Konzentration auf Wohnungsneubau erneute Barrieren zur Umsetzung des Generalbebauungsplans als Gesamtkonzept. So erhielt Leipzig mit Grünau in den Jahren von 1976 bis 1982 zwar das zweitgrößte Wohngebiet der DDR in Großplattenbauweise. Hinzu kam in den 1980er Jahren ein weiteres im Nordosten Leipzigs (Paunsdorf) errichtetes Wohngebiet. Zusammen boten Grünau und Paunsdorf Platz für rund 40.000 Mietparteien.29 Dies stellte aber nur die Hälfte des bis 1990 für Leipzig geplanten Wohnungsneubaus dar. Die andere Hälfte sollte im innerstädtischen Bereich realisiert werden, wofür jedoch kaum Kapazitäten zur Verfügung standen. 24

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Horst Siegel, Zu städtebaulichen Strukturmodellen als Kernstück der Einheit von Generalbebauungsplan, Generalverkehrsplan und Plan zur Entwicklung des Bauwesens am Beispiel der Stadt Leipzig, in: Hubert Scholz (Hrsg.), Generalbebauungsplanung der Städte der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Beitrag zur prognostisch begründeten hocheffektiven Strukturpolitik. Fachtagung der Zentralen Fachgruppe Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung des BDA, 20. und 21. Februar 1969 in Magdeburg, Berlin (Ost) 1970, S. 54. Vgl. Staatliche Plankommission, Beschlussvorlage für das Ministerium für Aufbau zur städtebaulichen Planung Leipzig, 14.8.1952, BArch, DE 1/5123, Bl. 57. Vgl. Siegel, Zu städtebaulichen Strukturmodellen, in: Scholz (Hrsg.) Generalbebauungsplanung, S. 54. Vgl. Peter Leonhardt, DDR­Architektur als Gegenstand der Denkmalpflege. Beispiel Leipzig, in: Benfried Lichtnau, (Hrsg.), Architektur und Städtebau im südlichen Ostseeraum von 1970 bis zur Gegenwart. Entwicklungslinien, Brüche, Kontinuitäten. Publikation der Beiträge zur kunsthistorischen Tagung, veranstaltet vom Caspar-David-Friedrich-Institut, Bereich Kunstgeschichte, der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 15.–7. April 2004, Berlin 2007, S. 399–405; Topfstedt, Städtebau in der DDR, S. 86–88. Vgl. Joachim Palutzki, Zur Baupolitik in der Ära Honecker. Das Wohnungsbauprogramm, in: Holger Barth (Hrsg.), Planen für das Kollektiv. Handlungs- und Gestaltungsspielräume von Architekten und Stadtplanern in der DDR, Erkner 1997, S. 69. Vgl. Peter Zetzsche, Entwicklung des Wohnungsbaus und seiner materiell-technischen Basis, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 261.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

Ungeachtet dessen verband sich damit eine letzte Kehrtwende im Planungsdenken. Wurde Lückenbebauung in den 1950er Jahren von der SED-Führung noch strikt untersagt, ermöglichte der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker dies gerade wieder, wobei das „sozialistische Stadtzentrum“ im Rahmen der Konsumpolitik Erich Honeckers nun zum Shopping Center ausgebaut werden sollte. Einem Bericht des Ministeriums für Handel und Versorgung von 1985 zufolge sollten 90 Prozent des „sozialistischen Einzelhandels“, nicht zuletzt auch zu Repräsentationszwecken, in der Innenstadt konzentriert werden.30 Parallel dazu wurden von Architekten und Denkmalpflegern der DDR zunehmend historische Bezüge des Städtebaus eingefordert, was nicht nur eine Reaktion auf den fortschreitenden Verfall historischer Bausubstanz, sondern auch auf den von Bürgern kritisierten Mangel an Urbanität darstellte.31 Wie in vielen Städten der DDR wurden auch in Leipzig in den späten 1980er Jahren Wettbewerbe zur städtebaulich-architektonischen Gestaltung des Stadtzentrums ausgelobt. Die lokal publizierten Entwürfe fokussierten allesamt auf eine Verbindung von historischer Bausubstanz mit den Neubauensembles der 1950er bis 1970er Jahre, wobei die zu errichtenden Neubauten sich architektonisch in die historischen Strukturen einpassen sollten.32 Die Ära Honecker war damit von einem allmählichen Abgang von den Utopien der frühen Jahre gekennzeichnet. Zudem folgte die DDR damit zeitverzögert Entwicklungen, wie sie bereits seit den 1970er Jahren in der Bundesrepublik eingesetzt hatten.33 Der innerstädtische Wohnungsbau und die Rekonstruktion historischer Bausubstanz in Leipzig scheiterten am Ende jedoch am Primat des Wohnungsneubaus an den Peripherien der Städte, der sämtliche Ressourcen band. Ein seit 1968 zunehmender Rückgang der Einwohnerzahl war die Folge. Bis 1989 sank sie um etwa 14 Prozent (Abb. 1). Insgesamt spiegeln sich in der Bevölkerungsentwicklung Leipzigs allgemeine Trends der Urbanisierungspolitik der DDR wider. Einerseits konnten in keiner Großstadt der DDR, abgesehen von Halle, die Bevölkerungsverluste des Krieges ausgeglichen werden.34 Andererseits bewirkte die sich an industriellen Standorten ausrichtende und auf Verringerung räumlicher Disparitäten abzielende Urbanisierungspolitik der DDR, dass sämtliche altindustriellen Städte aller Größenordnungen, bis auf wenige Ausnahmen, an Bevölkerung verloren, während die nach 1945 industrialisierten Städte der norddeutschen Bezirke Bevölkerungsgewinne verbuchen konnten.35 Bereits in der ersten Hälfte der 1960er Jahre hatte Leipzig 30 31 32 33 34 35

Vgl. Dienstberatung vom 5.2.1985, BArch, DL 1/25499, unp. Vgl. hierzu die Beiträge in: Christoph Bernhardt / Thomas Flierl / Max Welch Guerra (Hrsg.), Städtebau-Debatten in der DDR. Verborgene Reformdiskurse, Berlin 2012. Zu den Entwürfen für das Leipziger Stadtzentrum vgl. Dietmar Fischer, Zum DDR-offenen Architekturwettbewerb 1988. Ideen für das Stadtzentrum, in: Leipziger Blätter 15, 1989, S. 33–41. Zur Renaissance historischer Stadtzentren in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren vgl. Axel Schildt, Urban Reconstruction and Urban Development in Germany after 1945, in: Friedrich Lenger (Hrsg.), Towards an Urban Nation. Germany since 1780, Oxford etc. 2002, S. 152–155. Vgl. Klaus Tenfelde, Urbanization and the Spread of an Urban Culture in Germany in the Nineteenth and Twentieth Century, in: Lenger (Hrsg.), Towards an Urban Nation, S. 18. Vgl. Benke/Wolfes, Stadtkarrieren, in: Bernhardt/Wolfes (Hrsg.), Schönheit und Typenprojektierung, S. 143.

37

1. Stadtplanung und Bevölkerungsentwicklung

700000

600000 500000 400000 300000

200000 100000 0

1950

1959

1964

1969

1974

1979

1984

1989

Einwohnerzahl

Abb. 1: Einwohner der Stadt Leipzig 1930–1989 Quelle: Frauke Gränitz (Bearb.), Daten und Fakten zur Leipziger Stadtgeschichte, Leipzig 2013, S. 26 f.

Migrationsverluste von etwa acht Prozent zu verzeichnen, wobei sich die Abwanderungen auf die Bezirke Dresden, Cottbus, Frankfurt/Oder, Berlin, Potsdam und Rostock konzentrierten. Diese konnten jedoch durch Zuzüge aus der Region Halle-Leipzig ausgeglichen werden.36 In den 1970er Jahren konnte die ansteigende Abwanderung in die genannten Bezirke nur noch zum Teil durch innerbezirkliche Wanderungsgewinne verlangsamt werden.37 Da die Leipziger Betriebe aber weiterhin einen hohen Arbeitskräftebedarf hatten, nahm parallel der Pendlerstrom in die Stadt zu. Zählte man 1964 noch 7.872 Einpendler38, steigerte sich die Zahl bis 1988 auf 51.300. Die Zahl der Auspendler wuchs im selben Zeitraum dagegen lediglich von 10.632 auf 23.600 an.39 Der Grund für diese Entwicklung ist in dem allmählichen Bedeutungsverlust der Leipziger Industrie seit den späten 1960er Jahren zu suchen.

36 37 38 39

Vgl. Gerhard Mohs, Migration and Settlement. Bd. 4: German Democratic Republic, Laxenburg 1980, S. 5. Vgl. Roland Wötzel / Heinz Berger, Die Reproduktionsbedingungen im Bezirk Leipzig unter Besonderer Berücksichtigung der vorrangigen Entwicklung der Kohle- und Energieproduktion, Diss. A und Diss. B, Leipzig 1979, S. 106. Vgl. Dieter Scholz, Die Industrie im Ballungsgebiet Halle-Leipzig, Leipzig 1965, Tab. 13. (o. S.). Vgl. Konrad Scherf, DDR. Ökonomische und soziale Geographie, Gotha 1990, S. 348 f.

38

I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

2. LEIPZIG ALS MESSESTADT DER DDR – MESSE ALS FAKTOR DER STADTENTWICKLUNG Die besondere Funktion der Leipziger Messe für die städtebauliche Planung ist bereits angedeutet worden und diese gilt es nun näher zu bestimmen. Die Geschichte der Messe ist eng mit der Wirtschaftsgeschichte der Stadt verbunden. Ihre heutige Gestalt als Mustermesse etablierte sich im Zuge der Globalisierung der Leipziger Handelsbeziehungen im späten 19. Jahrhundert. Der damit verbundene Repräsentationsanspruch des Leipziger Bürgertums spiegelte sich auch im Stadtbild wider, wo die Messe fortan mit prunkvollen Häusern in zentraler Lage vertreten war. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Technische Messe mit 17 Ausstellungshallen errichtet. Nicht nur für das Selbstverständnis der Stadt, sondern auch für den Leipziger Generalbebauungsplan von 1929 erhielt sie damit eine herausragende Bedeutung. Mit dem Namenszusatz „Reichsmessestadt“ knüpfte die Stadt während des Nationalsozialismus an ihr Image als Weltstadt an. 1942 wurde die Messe unter den Einwirkungen des Zweiten Weltkrieges vorübergehend stillgelegt.40 Nach dem Zweiten Weltkrieg eignete sich die SMAD die Leipziger Tradition als Messestandort mit internationaler Geltung an und sah im Wiederaufbau der Messe eine willkommene Chance zur Förderung des Inter- und Innerzonen- sowie des Außenhandels, aber auch zur Repräsentation der Sowjetunion an den Außengrenzen ihres Machtbereichs zu Westeuropa. Bereits während der Weimarer Republik hatte die Leipziger Messe eine zentrale Mittlerfunktion zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion gespielt.41 Ein im Mai 1946 von der SMAD beschlossenes Sonderbauprogramm machte zunächst die Messehäuser im Stadtzentrum wieder betriebsfähig.42 Vorausgegangen waren dem aber auch Initiativen des Messeamtes und der Leipziger Stadtverwaltung43, welche die „Wiederentdeckung“ der Messe mit einer Rückkehr Leipzigs in die Spitzenränge der Großstädte verbanden.44 Sowjetische und städtische Interessen gingen somit zunächst Hand in Hand. Die erste Nachkriegsmesse wurde 1946 noch in einem propagandistischen Akt als gesamtdeutsche „Friedensmesse“ ausgerichtet. Aber schon vor der Gründung der DDR wurden die Kompetenzen des Leipziger Messeamts zunehmend ausgehöhlt. Die Messe wurde immer deutlicher zur „Staatsveranstaltung“ der DDR umfunktioniert. Sie wurde zum Ort ost-westlicher Systemkonkurrenz und Handelsbeziehungen zugleich. Zu diesem Zweck unterhielt die Messeleitung 21 Vertretungen 40 41 42 43 44

Vgl. Hartmut Zwahr, Die Messe in ihrem Gestaltwandel, in: Hartmut Zwahr / Thomas Topfstedt / Günter Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel, Umbrüche, Neubeginn, Bd. 2: 1914–1997, Köln etc. 1999, S. 25 f. Vgl. Thomas Topfstedt, Architektur der Verheißung. Der Ausstellungspavillon der UdSSR auf der Leipziger Technischen Messe, in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen, S. 643. Vgl. Thomas Topfstedt, Leipzig. Messestadt im Ring, in: Klaus von Beyme / Werner Durth / Niels Gutschow u. a. (Hrsg.), Neue Städte aus Ruinen: Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, München 1992, S. 186. Vgl. Karsten Rudolph / Jana Wüstenhagen, Große Politik – kleine Begegnungen. Die Leipziger Messe im Ost­West­Konflikt, Berlin 2006, S. 17 f. Vgl. Hartmut Zwahr, Die erste deutsche Nachkriegsmesse 1946. Wiedererweckung oder Neubelebung?, in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen, S. 585 f.

2. Leipzig als Messestadt der DDR – Messe als Faktor der Stadtentwicklung

39

in nichtsozialistischen Ländern.45 Auch wenn die Leipziger Messe aus Sicht der Bundesrepublik handelspolitisch zunehmend unbedeutender wurde und sich das Messegeschehen für westeuropäische Firmen auf Standorte in der Bundesrepublik verlagerte46, so können die Frühjahrs- und Herbstmessen dennoch als Beispiel der „asymmetrischen Verflechtung“ (Christoph Kleßmann) beider deutscher Staaten angesehen werden. So zeigen vor allem die Besucher- und Ausstellerstatistiken47 die jeweils aktuellen politischen Beziehungen seismographisch an, und auch für westliche Unternehmer spielte der persönliche Austausch mit der ostdeutschen Industrie zumindest bis zum Bau der Mauer eine nicht zu unterschätzende Rolle.48 Gleichwohl bildete die Messe auch die jeweiligen Kräfteverhältnisse und Stimmungslagen innerhalb des „Ostblocks“ ab. In alltagsgeschichtlicher Perspektive diente die Messe, insbesondere die Buchmesse, nicht zuletzt auch der Bevölkerung als Informations- und Versorgungsort und wurde daher intensiv durch die Staatssicherheit überwacht.49 Entsprechend ihrer Bedeutung wurde die Messe50 seit Ende der 1950er Jahre zum zentralen Bestandteil städtebaulicher Planungen. So hatte der V. Parteitag der SED im Juli 1958 beschlossen, sämtliche innerstädtische Bauvorhaben in Leipzig auf die Bedürfnisse der Messe auszurichten.51 Die Zunahme des Wohlstandes der DDR sollte sich nicht nur auf den Messen, sondern auch für westliche Messebesucher erfahrbar im Stadtbild widerspiegeln. Vor allem unter dem Eindruck des dramatischen Anstiegs der „Republikflucht“­Zahlen kam es Ulbricht gelegen, dass Chruschtschow beim Besuch der Frühjahrsmesse 1959 „allen Völkern der Welt die Bedeutung der Leipziger Messe als Welthandelszentrum, als Knotenpunkt der Verbindungen im Ost- und Westhandel gezeigt“ und deren Symbolwert für die „Friedenspolitik“ der Sowjetunion und ihres Lagers unterstrichen hatte. Dies nahm er zum Anlass, die Verantwortlichen der Leipziger SED aufzufordern, die Bautätigkeit in der Stadt im „Weltmaßstab“ zu betrachten, anstatt „die paar Luftlöcher, die noch da sind“, zu bebauen.52 Nach den Vorstellungen Ulbrichts sollte sich Leipzig als „Messestadt“ in die Reihe der europäischen und Weltstädte einordnen und der DDR weitere internationale Geltung verschaffen. Am Georgiring sollten fünf Hochhaus45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Jana Wüstenhagen, Staatsveranstaltung und Familienfest. Die DDR und die Leipziger Messe, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48, 2000, Heft 8, S. 423–426. Vgl. Holger Möller, Das deutsche Messe- und Ausstellungswesen. Standortstruktur und räumliche Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert, Trier 1989, S. 181–190. Vgl. Rudolph/Wüstenhagen, Große Politik, S. 189–197. Vgl. Karsten Rudolph / Jana Wüstenhagen, 13. August 1961. Die beiden deutschen Staaten auf der Leipziger Messe, in: Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte 10, 2001, S. 97–105. Vgl. Jörn-Michael Goll, Kontrollierte Kontrolleure. Die Bedeutung der Zollverwaltung für die „politisch-operative Arbeit“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Göttingen 2011. S. 263–283. Vgl. hierzu detaillierter Tobias Liebert, Messe und mehr? Kommunale Imagepolitik für Leipzig, in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen, S. 687–702. Vgl. Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, S. 83. Vgl. Protokoll der Bezirksdelegiertenkonferenz in Leipzig, 14./15.3.1959, SächsStAL, 21123, IV/1/11, Bl. 59–89. Zit., Bl. 59, 88.

40

I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

dominanten die Weiträumigkeit des Leipziger Stadtzentrums markieren. Die Hauptelemente des Stadtzentrums bildeten der Karl-Marx-Platz, die Messemagistrale, der Georgiring und der Markt. Hier sollten sämtliche noch zu errichtenden Gebäude durch Verwendung von Glas, Aluminium und Silikaten nach Westen leuchten. Die Universitätskirche, die sich in den Augen Ulbrichts „unmöglich“ machte, sollte um jeden Preis vom Platz verschwinden – wie, wurde den Verantwortlichen der Stadt und des Bezirks überlassen. Darüber hinaus erteilte Ulbricht der „Unkultur“, Jahrmärkte auf dem Augustusplatz abzuhalten, eine deutliche Absage. Überhaupt ließ Ulbricht keinen Zweifel daran, dass im Zentrum einer Messestadt weder Gaststätten, „Buden“, Verkaufsstellen für Lebensmittel noch Wohnungen etwas zu suchen hätten.53 Erst mit der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR und der stärkeren Anbindung Honeckers an Leonid Breschnew wurde die Leipziger Messe nicht nur auf ihre Funktion als wirtschaftliches „Schaufenster“ der DDR zurückgefahren, sie verlor auch ihren Charakter als dominanter städtebaulicher Faktor. Für den Rat der Stadt Leipzig konnte die Messe vor allem in den 1960er Jahren ein ausgesprochenes Ärgernis darstellen, das Verhältnis zwischen Messe- und Stadtverwaltung gestaltete sich kompliziert. Messeamt und Stadtverwaltung besetzten verschiedene Positionen in der administrativen Hierarchie, sodass zwischen beiden Institutionen stets eine Machtasymmetrie bestand. War die Messe dem Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel direkt unterstellt, bildete der Rat der Stadt Leipzig die dritte Ebene in der Hierarchie. Administrative Beziehungen waren nicht beabsichtigt, das Messeamt wurde durch kurze Kommunikationswege näher an die Administration in Berlin als an den Standort in Leipzig gebunden.54 Absprachen zwischen dem Messeamt und dem Rat der Stadt mussten deshalb auf informeller Ebene stattfinden, wobei die Messeverwaltung immer einen institutionellen Vorteil besaß. Eine Schnittstelle zwischen beiden bildete der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, der zugleich in Personalunion als Leiter des „Operativstabes Messe“ agierte. Diese Institution brachte zentrale, städtische sowie Messeamtsvertreter an einen Tisch und erleichterte die Koordination zwischen den Ebenen, beabsichtigte aber keineswegs eine gleichrangige Kommunikation zwischen diesen.55 In den Verantwortungsbereich der Stadt fielen dabei Aufgaben wie die Bereitstellung privater Zimmer für Messegäste, die Organisation von kulturellen Begleitprogrammen und die Sorgfaltspflicht für eine saubere Innenstadt sowie ein reichhaltiges Warenangebot.56 Für die städtischen Bau- und Versorgungsbetriebe bedeutete dies, dass vor Messebeginn „Schandflecke“ im Stadtzentrum auch kurzfristig beseitigt werden mussten, was stets zu Lasten der ohnehin knappen Kapazitäten ging. So 53 54 55 56

Vgl. Protokoll der Besprechung des 1. Sekretärs der SED Walter Ulbricht mit der SED-Bezirks- und Stadtleitung und Vertretern des Stadtbauamtes am 26. November 1959 über den Aufbau des Stadtzentrums, StadtAL, StVuR (1), 3589, Bl. 1–23. Vgl. Elfie Rembold, Eine Bühne der DDR-Außenpolitik und ein Ereignis für die Stadtbevölkerung. Die Leipziger Jubiläumsmesse von 1965, in: Adelheid von Saldern / Alice von Plato (Hrsg.), Inszenierte Einigkeit. Herrschaftsrepräsentationen in DDR-Städten, Stuttgart 2003, S. 282 f. Einen Eindruck über die Arbeit des „Messeoperativstabes“ vermittelt: StadtAL, StVuR (1), 4468. Vgl. Carsten Schreiber, Die Inszenierung des Erfolgs. Zur Funktion der Leipziger Messe in den 1970er Jahren, in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hrsg.), Leipzigs Messen, S. 667–670.

3. Leipzig als wirtschaftliches Ballungszentrum

41

mussten vor Messebeginn zusätzliche Enttrümmerungs-, Fassaden- und Giebelputzarbeiten durchgeführt werden. Verkaufs- und Gaststätteneinrichtungen mussten ferner von einem Tag auf den anderen aufgefüllt, zusätzliche Verkaufsstände aufgebaut und bestückt werden. Zudem fiel die Regelung des Messeverkehrs in die Verantwortung der Stadt.57 Für die Stadtentwicklung konnte diese Praxis schwerwiegende Folgen haben. So begriffen auch die Bauverantwortlichen der Stadt die Messe wegen des aus ihrer Sicht „ungeplanten Ablaufs“ als „Ärgernis“, denn am Vorabend von Frühjahrs- und Herbstmessen mussten immer wieder Baukapazitäten (v. a. Gerüste) und Arbeitskräfte von Wohnungsbaustellen abgezogen werden.58 3. LEIPZIG ALS WIRTSCHAFTLICHES BALLUNGSZENTRUM Als Zentrum eines wirtschaftlichen Ballungsgebietes kam der Stadt Leipzig nicht nur eine wichtige Funktion für die zentrale Wirtschaftsplanung zu, sondern ebenfalls für die Region. Dies spiegelt sich auch in den lokalen Versorgungsplänen unmittelbar wider: „Leipzig ist die zweitgrößte Stadt der DDR und über ihre Funktionen als Bezirkshauptstadt hinaus ein bedeutendes wirtschaftliches, kulturelles und wissenschaftliches Zentrum unserer Republik. Unsere Stadt ist die Metropole der Messen und Kongresse. Zugleich ist Leipzig auch ein Zentrum des Einkaufs der Bevölkerung aus den umliegenden Kreisen.“59

Als Standort „strukturbestimmender“ Industrie des Maschinenbaus und der Chemie sowie als wichtiges Abbaugebiet für Braunkohle in der Region Zwenkau60 war Leipzig Teil eines überbezirklichen Ballungsgebietes mit Halle/Saale.61 Daneben übte Leipzig wichtige Umlandfunktionen für die Versorgung der Bevölkerung in den umliegenden Orten, insbesondere Schkeuditz, Wiederitzsch, Taucha, Engelsdorf, Markkleeberg, Zwenkau, Markranstädt und Böhlitz-Ehrenberg aus. In der Stadt Leipzig wurde fast die Hälfte der im Einzelhandel des Bezirks erhältlichen Waren umgesetzt. In diesem Zusammenhang lag die Stadt im Pro-Kopf-Umsatz etwa ein Viertel über dem DDR-Durchschnitt.62 Ungeachtet dessen konzentrierten sich die zentral gesteuerten Investitionen auf die „strukturbestimmende“ Industrie. Investitionen, welche der Lebensqualität der Bevölkerung unmittelbar zugute-

57 58 59 60 61 62

Vgl. exemplarisch Rat der Stadt, Sekretär des Oberbürgermeisters, Bericht über die Vorbereitung der in der Zeit vom 26.2. bis 8.3.1956 stattfindenden Leipziger Frühjahrsmesse 1956, StadtAL, StVuR (1), 19837, Bl. 22–35. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbauamt, Material über die Wohnraumlage in der Stadt Leipzig, 3.3.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 191. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Planung und Bilanzierung, Entwurf des Versorgungsplanes 1962, StadtAL, StVuR (1), 20097, Nr. 80. Vgl. Staatliche Plankommission, Regionale Planung, Böttcher an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig Karl Adolphs, 19.10.1955, BArch, DE 1/5164, Bl. 118. Vgl. Scholz, Die Industrie im Ballungsgebiet Halle-Leipzig, Karte 2 (o. S.). Vgl. Das Verkaufsstellennetz der Stadt Leipzig in seiner Entwicklung. Eine Dokumentation, hrsg. v. Rat der Stadt Leipzig, Leipzig 1974, Übersichten 1.1.2–1.1.4 (o. S.).

42

I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

kamen, waren dem nachgeordnet.63 Die von den Ministerien direkt angeleiteten „strukturbestimmenden“ Betriebe unterhielten zugleich Rohstoff- und Absatzverbindungen zu örtlichen Handwerks- und Industriebetrieben, welche noch oftmals aus der Zeit vor der Verstaatlichung der Industrie stammten.64 Unter den Bedingungen der Planwirtschaft wurden diese lokalen Ressourcen damit aber der örtlichen Versorgungswirtschaft entzogen. Für die Auswahl der Großstadt Leipzig als wirtschaftliches, administratives und kulturelles Zentrum des Bezirks war neben der verkehrsgünstigen Lage, die sich bereits im 19. Jahrhundert als positiver Faktor im Handel zwischen den Nordund Südstaaten erwiesen hatte, vor allem der hohe Industrialisierungsgrad entscheidend. Die Leipziger Metall- und Maschinenindustrie sowie das polygraphische Gewerbe erlebten insbesondere nach der Reichsgründung einen mustergültigen Aufstieg und trugen damit maßgeblich zum Image der Industrie- und Buch- bzw. Verlagsstadt bei.65 Parallel dazu vergrößerte sich das Gebiet der Stadt durch zahlreiche Eingemeindungen zwischen 1888 und 1936 von 1.800 Hektar auf knapp über 14.000 Hektar.66 1907 befand sich nahezu ein Drittel der polygraphischen Industrie Sachsens und jeweils acht Prozent der Metall- und Maschinenindustrie des Königreiches auf dem Gebiet der Stadt Leipzig.67 Bei der Betriebszählung des Jahres 1925 wurden hier bereits knapp 18 Prozent aller sächsischen Maschinenbaubetriebe gezählt, auf dem Territorium der Leipziger Kreishauptmannschaft waren es sogar 30 Prozent.68 In den 1950er Jahren, die aus wirtschaftlicher Sicht ganz der Entwicklung der Schwermaschinen­ und Leichtindustrie gewidmet waren, profitierte die Stadt Leipzig vom hohen Konzentrationsgrad entsprechender Betriebe freilich nur bedingt.69 Bereits zwischen 1946 und 1948 wurde bevorzugt in die Bereiche Metallurgie, Stahl-, Dampfkessel- und Apparatebau, Maschinenbau so63 64 65 66 67 68 69

Vgl. André Steiner, Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004, S. 65. Vgl. Staatliche Plankommission, Regionale Kurzanalyse über den Bezirk Leipzig, 12.12.1957, BArch, DE 1/4641, Bl. 128; Rat des Bezirkes Leipzig, Plankommission, Regionale Kurzanalyse (Ergänzungsmaterial), 23.12.1957, Ebd., Bl. 135. Vgl. Friedrich Tägtmeyer, Leipzig als Handels- und Industriestadt, in: Leipzig. Ein Blick in das Wesen und Werden einer deutschen Stadt. Festgabe der Stadt Leipzig, Leipzig 1913, S. 50. Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Leipzig 1969, S. 9–11; Olaf Hillert, Die Leipziger Eingemeindungspolitik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Leipziger Kalender, Leipzig 1996, S. 171. Vgl. Statistische Beiträge zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeographie Bd. 2: Landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebsstatistik, bearb. v. Königlichen Statistischen Landesamte, Dresden 1910, S. 38–60. Vgl. Erich Ficker, Die Maschinenindustrie Sachsens auf Grund der gewerblichen Betriebszählung vom 16. Juni 1925, Leipzig 1930, S. 94–96. Vgl. Rainer Karlsch, Rekonstruktion und Strukturwandel in der sächsischen Industrie von 1945 bis Anfang der sechziger Jahre, in: Werner Bramke / Ulrich Heß (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Sachsen im 20. Jahrhundert, Leipzig 1998, S. 89–132; Schwerpunktbetriebe des Landes Sachsen für den Volkswirtschaftsplan 1951, 21.3.1951, BArch, DE 1/5344, Bl. 103; Leichtindustrie des Landes Sachsen, Ebd., Bl. 58–60. Zu den „strukturbestimmenden Betrieben zählten insbesondere ASU Förderanlagen, GUS Eisen- und Stahlwerk Leipzig, Bodenbearbeitungsgeräte sowie ABUS Stahlbau.

3. Leipzig als wirtschaftliches Ballungszentrum

43

wie ferner auch Leder- und Rauchwaren investiert.70 Andere traditionelle Leipziger Betriebe, der Einzelhandel und das Handwerk verloren unter den Bedingungen der Planwirtschaft dagegen Innovationsanreize und ihre Marktfähigkeit, wanderten ab oder verkamen. Der Verschleiß an Arbeits- und Werkzeugmaschinen wurde im Bezirk bereits 1957 auf 49 Prozent geschätzt.71 Zu besonderen industriellen Neuansiedlungen kam es im sächsischen Raum nach 1945 aufgrund der bereits vorhandenen hohen Industriedichte nicht. Schwerpunkte für Neuansiedlungen wurden dagegen die nach dem Zweiten Weltkrieg industrialisierten Planstädte, wie Eisenhüttenstadt, Schwedt oder Halle-Neustadt.72 Die Konzentration der Investitionen auf „strukturbestimmende“ Branchen bewirkte, dass etwa im Jahre 1957 nur zwölf Prozent der Betriebe des Bezirkes Leipzig73 allein 76 Prozent der Bruttoproduktion des Bezirkes erwirtschafteten.74 Zur „strukturbestimmenden“ Industrie zählten sämtliche Großbetriebe des Schwermaschinenbaus, des polygraphischen Maschinenbaus, ferner der Textilindustrie und zu einem geringen Teil der Bauwirtschaft. In diesen Großbetrieben arbeiteten etwa 62 Prozent der Erwerbstätigen des Bezirkes. Unter der örtlichen Industrie, die zu diesem Zeitpunkt noch insgesamt der Stadtverwaltung unterstand, wurden alle klassischen Versorgungsbetriebe vereinigt. Unter ihnen nahm die Bauindustrie eine herausragende Position ein. Hinzu kamen kleinere volkseigene Betriebe der Textil-, Lebensmittel- und ferner auch Maschinenbauindustrie. Hier arbeiteten lediglich 14,5 Prozent der Beschäftigten, was vor allem für die Betriebe des Bauwesens ein Problem darstellte. Eine Reihe kleinerer und mittlerer Unternehmen des Konfektions- und Tauschgeschäftes, des Handwerks und zum Teil auch der Maschinenbauund Bauindustrie waren noch in privater Hand. Dort arbeitete ein knappes Viertel der Industriearbeiterschaft.75 Während des NÖS (1963–1967) wurde Leipzig zum „Zentrum des Stahlbaus der DDR“.76 Damit verband sich ein zum Teil deutlicher Rückgang der Beschäftigtenzahlen in anderen Industriebranchen; eine Entwicklung, die bereits vor 1945 eingesetzt hatte. Verglichen mit dem Beschäftigungsstand von 1939 verloren Eisen-, Stahl- und Metallwarenindustrie bis 1960 75 Prozent, die Bekleidungsin70 71

72 73 74 75 76

Vgl. Anteile der Gesamtproduktion der im Stadtkreis Leipzig ansässigen Industrie 1946–1949, StadtAL, StVuR (1), 1458, Bl. 9. Vgl. Zahl der gewerblichen Betriebe im Stadtkreis Leipzig auf Grund der Ergebnisse der Betriebsaufnahme vom 10.10.1948, StadtAL, StVuR (1), 1458, Bl. 7; Stand der im Stadtkreis Leipzig am 31.10.49 ansässigen Betriebe und Vertretungen, 2.12.1949, Ebd., Bl. 12; Rat des Bezirkes Leipzig, Plankommission, Regionale Kurzanalyse, 23.12.1957, BArch, DE 1/4641, Bl. 134. Vgl. Rainer Karlsch / Michael Schäfer, Wirtschaftsgeschichte Sachsens im Industriezeitalter, Leipzig 2006, S. 247. Vgl. Statistisches Taschenbuch 1960, Bezirk Leipzig, S. 153. Vgl. Staatliche Plankommission, Regionale Kurzanalyse über den Bezirk Leipzig, 12.12.1957, BArch, DE 1/4641, Bl. 128. Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Anlage zu unserem Beschluss vom 22.3.57 betr. Reorganisation, 25.3.1957, SächsStAL, 21123, IV/2/3/218, Bl. 108–119. Stellungnahme der Abteilung Schwermaschinenbau und Abteilung HA MvI, 7.1.1964, BArch, DE 1/49301, Bl. 145.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

dustrie 41 Prozent, das polygraphische und papierverarbeitende Gewerbe 36 Prozent und die Nahrungs- und Genussmittelindustrie 30 Prozent ihrer Belegschaften.77 Demgegenüber erbrachte der Bezirk Leipzig im polygraphischen Maschinenbau 40,3 Prozent der Bruttoproduktion der DDR des Jahres 1963. Allein 96,2 Prozent dieser Betriebe befanden sich auf dem Gebiet der Stadt.78 Dazu zählten der VEB Druckmaschinenwerk und der VEB Buchbindermaschinenwerk, der aus den traditionsreichen Maschinenwerken Karl Krause (nach der Enteignung: VEB Polygraph Karl Krause) und Gebr. Brehmer (nach der Enteignung: VEB Falz- und Heftmaschinenwerk) hervorgegangen waren.79 Im Schwermaschinenbau wurden von den insgesamt 292 Millionen DM Bruttoproduktion 73 Prozent in der Stadt Leipzig erwirtschaftet.80 Mit dem VEB VTA (Verlade- und Transport-Anlagen) und dem VEB Schwermaschinenbau S. M. Kirow besaß Leipzig in diesem Bereich zwei herausragende Betriebe auf seinem Territorium. Auch diese beiden gingen aus den Leipziger Traditionsbetrieben Bleichert (gegründet 1874) und Liebig (gegründet 1880, seit 1897 Unruh & Liebig) hervor. Zwischen 1946 und 1954 befanden sich beide im Zuge ihrer Enteignung als Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) in der Verfügungsgewalt der Sowjetunion, bevor sie nach der Rückgabe 1954 zu wichtigen Exportbetrieben der DDR avancierten.81 Als drittwichtigster auf dem Stadtgebiet ansässiger Betrieb galt der VEB Stahlbau und Verzinkerei, der aus dem ehemaligen Plagwitzer Betrieb Grohmann & Frosch hervorgegangen war und 1967 zum VEB Leipziger Förderanlagenbau umgeformt wurde.82 Die in den 1960er Jahren forcierte Spezialisierung der Leipziger Wirtschaft auf Maschinen- und Stahlbau bildete den Hintergrund für den sich seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre abzeichnenden ökonomischen Bedeutungsverlust der Stadt. Bereits mit dem Siebenjahrplan (1959–1965) hatte die SED das Schwergewicht auf die Entwicklung der Chemieindustrie sowie der Energiewirtschaft verlagert. 1966 kamen die Branchen Elektrotechnik/Elektronik und Leichtmetall hinzu.83 Zudem trat Leipzig in unmittelbare Konkurrenz zu der in räumlicher Nähe errichteten Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt.84 Der Leipziger Bezirk nahm im mitteldeutschen Raum allenfalls noch eine mittlere Position ein (Abb. 2). Der Maschinenbau, der im Leipziger Bezirk einen vergleichsweise hohen Exportanteil für die DDR77 78 79 80 81 82 83 84

Vgl. Scholz, Die Industrie im Ballungsgebiet Halle-Leipzig, Tab. 6 (o. S.). Vgl. Zwischenbericht über die Arbeit an der generellen Stadtplanung Leipzigs, 23.7.1963, StadtAL, StVuR (1), 2114, Bl. 122 f. Vgl. Armin Müller, Institutionelle Brüche und personelle Brücken. Werkleiter in Volkseigenen Betrieben der DDR in der Ära Ulbricht, Köln etc. 2006, S. 70–73. Vgl. Zwischenbericht über die Arbeit an der generellen Stadtplanung Leipzigs, 23.7.1963, StadtAL, StVuR (1), 2114, Bl. 123. Zu den Firmenbiographien vgl. Oliver Werner, Ein Betrieb in zwei Diktaturen. Von der Bleichert-Transportanlagen GmbH zum VEB VTA Leipzig 1932 bis 1963, Stuttgart 2004, S. 37–68; Müller, Institutionelle Brüche, S. 79–83. Vgl. Ebd., S. 77. Vgl. Jörg Roesler, Wirtschaft der DDR, Erfurt 2002, S. 31–40. Vgl. Albrecht Wiesener, Als die Zukunft noch nicht vergangen war. Der Aufbau der Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt 1958–1980, in: Werner Freitag (Hrsg.), Geschichte der Stadt Halle, Halle/Saale 2006, S. 442 f.

45

3. Leipzig als wirtschaftliches Ballungszentrum

100% 90%

4,6 3,5

12,9

12,4

80%

14,8

13,3

6

12,2

15,4

70% 10,5

60% 50%

11

16,1 17,7

41,4

40% 22,2

10,7

8,1

8,7 6,3

20%

0%

52,1

13

30%

10%

15,5

10,1 3,2

Leipzig

13,3

2,6

4,1

Halle

8

Karl-Marx-Stadt

8,9

9,9

Dresden

Abb. 2: Die Anteile der mitteldeutschen Bezirke an der Bruttoproduktion der DDR (1980er) Quelle: Scherf, DDR, S. 148, 342 f.

Wirtschaft aufwies85, hatte zu Beginn der 1970er Jahre im Export nur noch einen geringen Marktanteil, sodass die SED-Führung im Rahmen der exportorientierten Wirtschaftspolitik Honeckers 1977 auf die Entwicklung der Mikroelektronik umschwenkte.86 Damit wurde Leipzigs wirtschaftliche Funktion, neben dem nach wie vor aus lokaler Sicht wichtigen Maschinenbau, zusehends auf den Braunkohleabbau reduziert.87 Dadurch nahm aber auch die Umweltbelastung in Leipzig schlagartig zu, mit negativen Folgen für die Lebensqualität. 1976 wurden in der Stadt Leipzig Emissionswerte für Staub und Schwefeldioxid gemessen, welche die damals zulässigen Grenzwerte um 100 Prozent überstiegen.88 Eine interne Umfrage aus dem Jahr 1975 zu Motiven junger Arbeiter, die den Wunsch hegten, Leipzig zu verlassen, zeigt diese Entwicklung unverhohlen (Tab. 1).

85 86 87 88

Vgl. Staatliche Plankommission, Kurzanalyse über den Bezirk Leipzig, 12.12.1957, BArch, DE 1/4641, Bl. 129. Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 181. Vgl. Wötzel/Berger, Reproduktionsbedingungen, S. 33. Vgl. Ebd., S. 118–121.

46

I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR Tab. 1: Motive für einen möglichen Verzug aus Leipzig 1975 als Motiv bejaht

als Motiv verneint

bejaht ohne motivierende Bedeutung

Zu unsaubere Luft

76 %

4%

20 %

Zu wenig Naherholungsmöglichkeiten

50 %

28 %

22 %

Zu starke Belastung durch Verkehrslärm

40 %

27 %

33 %

Zu wenig Ordnung und Sauberkeit in der Stadt

39 %

32 %

29 %

Ungenügender eigener Wohnraum

29 %

53 %

18 %

Zu wenig Möglichkeiten der Freizeitgestaltung

25 %

52 %

23 %

Keine interessante Arbeitstätigkeit

5%

87 %

8%

Unzureichende Kinderbetreuung

4%

93 %

8%

Quelle: Wötzel/Berger, Reproduktionsbedingungen, S. 113.

Insgesamt ging der Anteil der Leipziger Betriebe an der Bruttoproduktion des Bezirkes zurück. Hatte er in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre noch etwa 76 Prozent betragen, reduzierte sich dieser Anteil bis 1979 auf 41 Prozent.89 Parallel sank die Zahl der in „strukturbestimmenden“ Betrieben der Stadt Leipzig Beschäftigten von 125.780 (1964) auf zuletzt rund 110.000 (1990). Im Ranking der Investitionen für den Wohnungsbau lag der Bezirk Leipzig bereits 1966 an zwölfter Stelle.90 Zwar konnte bis 1971 eine Erhöhung in der Verteilung der Bauproduktion auf den Wohnungsbau von 15,2 auf 26,2 Prozent erreicht werden, dennoch lag Leipzig bei der Anzahl der gebauten Wohnungen und den Investitionen in die soziale Infrastruktur zu diesem Zeitpunkt immer noch deutlich unter dem DDR-Durchschnitt.91 Demgegenüber galt die Stadt trotz des wirtschaftlichen Bedeutungsverlustes noch bis 1990 als zweitgrößter Industriestandort der DDR.92 Allerdings waren im letzten Jahr der DDR nur noch 40 Prozent der Erwerbstätigen in der ansässigen Industrie beschäftigt. 28 Prozent arbeiteten dagegen bereits im Dienstleistungs-, Transportund Finanzgewerbe. Weitere 21 Prozent der Beschäftigten waren im Verwaltungsapparat, nur sieben Prozent im Baugewerbe beschäftigt.93 Gerade aber dieser lokale Strukturwandel, der als Nebeneffekt des wirtschaftlichen Bedeutungsverlustes gewertet werden kann, stellte auch die Vorbedingung für die Bewältigung der marktwirtschaftlichen Transformation nach 1990 dar. 89 90 91 92 93

Vgl. Ebd., S. 25. Vgl. Material für die Sitzung des Politbüros für den Genossen Paul Fröhlich, 1. Sekretär der Bezirksleitung Leipzig zum Bericht Plan der Stadt Leipzig, o. D., SächsStAL, 21123, IV/B/ 2/6/408, unp. Vgl. SED-Bezirksleitung, Abt. Bauwesen an den Sekretär der SED-Bezirksleitung Günter Berger, Ergänzungsmaterial für die Beratung mit Genossen Schürer, 10.1.1974, SächsStAL, 21123, IV/C/6/04/552, unp. Vgl. Scherf, DDR, S. 349. Vgl. Heike Förster / Regina Metze, Leipzig’s economy between past and future, in: Eva Kolinsky (Hrsg.), Between hope and fear: Everday life in post­unification East Germany. A case study of Leipzig, Keele 1995, S. 47.

4. Leipzig als Bezirksstadt: Politische Rahmenbedingungen

47

4. LEIPZIG ALS BEZIRKSSTADT: POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN Der Stellenwert von Bezirken und ihren urbanen Zentren bemaß sich nicht allein an wirtschaftlichen Standortvorteilen, sondern hatte auch eine politische Dimension, die mit der wirtschaftlichen korrespondieren konnte, aber nicht zwangsläufig musste. Vor allem an der personellen Besetzung der Position des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung lassen sich regionale und territoriale Präferenzen der SEDFührung ablesen. Von ihren „Ersten“ im Bezirk erwartete die SED-Führung eine „schöpferische“ und tatkräftige Umsetzung der Beschlüsse, was ihnen entsprechende Handlungsspielräume gewährte. Besonders enge Verhältnisse wurden zudem durch die Einbindung in zentrale Entscheidungsprozesse belohnt, was diesen wiederum entscheidende Informationsvorsprünge über die Stimmungslage im Politbüro verschaffte.94 Die Geschichte Leipzigs in der DDR wird oft mit Paul Fröhlich in Verbindung gebracht, der die Funktion des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung von 1952 bis 1970 bekleidete und für seinen rigiden Herrschaftsstil bekannt war. Über seinen Nachfolger Horst Schumann, welcher den Bezirk Leipzig in der Ära Honecker repräsentierte, ist dagegen bislang wenig bekannt. Während Fröhlich eine „relativ erstaunlich[e]“95 Karriere hingelegt hatte und insbesondere von seinen persönlichen Beziehungen zu Walter Ulbricht profitierte, galt Horst Schumann als tragische Figur, der unter Honecker „schlecht gelitten“ war und „in Berlin nie etwas erreicht“ habe.96 Von reformorientierten Funktionären wurde er zudem als „Betonkopf“ wahrgenommen.97 Wie sich beide Schlüsselfunktionäre zur Stadt Leipzig verhielten, wird nachfolgend untersucht. Paul Fröhlich (1913–1970)98 wurde als Sohn eines Bergarbeiters und einer Landarbeiterin in Niederplanitz (Lausitz) geboren und wuchs damit im ländlichen und evangelisch geprägten Arbeitermilieu auf. Seine Eltern waren politisch nicht aktiv. Kontakte zum politisch organisierten städtischen Arbeitermilieu knüpfte Fröhlich erst am Ende seiner Ausbildung zum Koch im Bottrop der späten 1920er Jahre, wo die Kommunisten stark verankert waren. Mit dieser und der parallelen Erfahrung der Arbeitslosigkeit knüpfte Fröhlich Kontakte zur lokalen KPD-Organisation 94

95 96

97 98

Vgl. Helga Welsh, Zwischen Macht und Ohnmacht. Zur Rolle der ersten Bezirkssekretäre der SED, in: Stefan Hornbostel (Hrsg.), Sozialistische Eliten. Horizontale und vertikale Differenzierungsmuster in der DDR, Opladen 1999, S. 118 f.; Mestrup, Die Ersten und Zweiten Sekretäre der SED, S. 955. Vgl. Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949–1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster etc. 2004, S. 535 f. Dies erfuhr die Ehefrau des ersten Leipziger Oberbürgermeisters nach der Wiedervereinigung, Ursula Lehmann-Grube, bei einem Gespräch in der ehemaligen Bezirksbibliothek. Vgl. Ursula Lehmann-Grube, Als ich von Deutschland nach Deutschland kam. Leipziger Tagebuch 1990/91, Leipzig 2009, S. 192. Vgl. Matthias Pohle, Was macht eigentlich Roland Wötzel, in: Monika Zimmermann (Hrsg.), Was macht eigentlich …? 100 DDR-Prominente heute, Berlin 1994, S. 298. Soweit nicht gesondert verzeichnet, beruhen die nachfolgenden biographischen Angaben auf der Kaderakte Fröhlichs: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5299 sowie Dokumenten aus seinem Nachlass: SächStAL, 21622 (Nachlass Paul Fröhlich), Nr. 1 (Biographisches).

48

I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

in Hohendorf (Kreis Glauchau), wohin die Familie 1931 übergesiedelt war. Während des Nationalsozialismus übernahm er kleinere Parteiaufträge, etwa als Kurier lokaler Widerstandsgruppen, wofür er kurzzeitig in Untersuchungshaft geriet. Nach seiner Hochzeit im Jahr 1935 schlug er sich als Gelegenheitsarbeiter durch, bis er zu Beginn des Zweiten Weltkrieges als Feldkoch und Artilleriefunker eingezogen wurde. 1944 desertierte und flüchtete er in die Schweiz, von wo aus er den amerikanischen Besatzern übergeben wurde und kurzzeitig in Kriegsgefangenschaft geriet. Fröhlichs Karriere im SED-Apparat spiegelt die chaotische Phase der Stalinisierung der SED zur einer „Partei neues Typus“ beispielhaft wider. Unmittelbar nach Kriegsende betätigte sich Fröhlich zunächst in der Ortsgruppe der KPD Remse und erwarb sich erste Verdienste bei der Durchführung der Bodenreform. Der Landesparteivorstand der sächsischen SED berief ihn daher noch 1945 in die SEDKreisleitung Dresden, wo er das Sekretariat für Parteischulung, Werbung, Kultur und Erziehung übernahm. Seine agitatorischen Fähigkeiten richteten sich mit zunehmender Radikalisierung der SED auch gegen ehemalige SPD-Funktionäre. Sein besonders rigides Verhalten stieß aber nicht bei allen kommunistischen Funktionären auf Gegenliebe. Der 1948 an die Spitze der SED-Kreisleitung Dresden gerückte Adalbert Hengst99 ließ Fröhlich wegen der schwerwiegenden organisatorischen Folgen seines Vorgehens nach Bautzen versetzen. Dort begrüßte man hingegen seine kompromisslose Haltung, sodass Fröhlich 1949 zum 1. Sekretär der dortigen SED-Kreisleitung aufrückte. Als „guter Proletentyp, ehrlich, offen, parteitreu, energisch, unbedingt entwicklungsfähig“ gelobt, trieb er die Parteisäuberungen in der sächsischen Kleinstadt maßgeblich voran und wurde im August 1950 an die Spitze der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt versetzt, wo er vergleichbare Erfolge beim Vorgehen gegen den sogenannten „Volkshauskreis“100 erzielen konnte. So sehr Fröhlich im agitatorischen Bereich punkten konnte, so sehr fehlte es ihm an organisatorischem Scharfsinn. Wegen seiner oftmals ungehaltenen Art wurde er nicht nur von Adalbert Hengst in seine Schranken gewiesen, auch der seit 1953 amtierende Leiter der Kaderabteilung des ZK der SED, Karl Schirdewan, der Fröhlich später als „intelligenzfeindlichen Radikalinski“101 bezeichnete, warnte die SED-Führung mehrfach vor dessen Aufnahme in das höchste Gremium der Partei. Fröhlich, der Schirdewan Ende 1952 auf den Posten des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Leipzig nachgefolgt war, gewann jedoch nach und nach an Rückhalt im zentralen Parteiapparat. Vor allem sein unnachgiebiges Verhalten während des 17. Juni 1953 durch die Erteilung des Schießbefehls und die nachträgliche Maßregelung des Leipziger Oberbürgermeisters Erich Uhlich hinterließen offenbar

99

Adalbert Hengst wurde im Nachgang des 17. Juni 1953 aus der Partei wegen „Kapitulantentums“ ausgeschlossen. Vgl. Andreas Herbst, Art. ‚Adalbert Hengst‘, in: Helmut Müller-Enbergs / Jan Wielgohs / Dieter Hoffmann (Hrsg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, Bd. 1, Berlin 2000, S. 396. 100 Vgl. Andreas Malycha, Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung, 1946–1953, Paderborn etc. 2000, S. 383–389. 101 Vgl. Karl Schirdewan, Ein Jahrhundert Leben. Erinnerungen und Visionen. Autobiographie, Berlin 1998, S. 240 f.

4. Leipzig als Bezirksstadt: Politische Rahmenbedingungen

49

einen positiven Eindruck bei Ulbricht.102 Zumindest trug dieses Verhalten zur Festigung seiner Machtposition im Bezirk und in der Stadt bei. So konnte er seinen Favoriten für die Position des 1. Sekretärs der SED-Stadtleitung Fritz Beier, der Fröhlich bereits als Sekretär für Agit./Prop. bzw. 2. Sekretär der SED-Stadtleitung (1950–1953) unterstanden hatte, trotz einer ersten Ablehnung durch das ZK in der Funktion unterbringen.103 Als Lohn für seine Loyalität wurde Fröhlich 1958 zum Kandidaten und 1963 zum Mitglied des Politbüros der SED ernannt104, was für einen 1. Sekretär nicht unbedingt üblich war und sicherlich auch mit der besonderen Affinität Ulbrichts für seinen Heimat­Bezirk Leipzig zusammenhing. Gegen Eigenmächtigkeiten lokaler Akteure, seien es etwa die Auseinandersetzungen mit dem Vorsitzenden des Rates des Bezirks, Karl Adolphs, über die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Delitzsch105 oder die Proteste gegen die Sprengung der Ruine des Johanniskirchturms und der nahezu intakten Universitätskirche106, setzte sich der trotz seines protestantisch geprägten Elternhauses durchweg kirchenfeindlich eingestellte Fröhlich107 kompromisslos durch. Sein Konfliktmanagement zeichnete sich dabei durch persönliche Eingriffe und Unterwanderung formaler Strukturen aus. So benutzte er auch die SED-Grundorganisationen zur Beseitigung unliebsamer Personen, verstärkte den Druck durch persönliche Präsenz, ließ Parteiverfahren als Vergeltungsaktionen durchführen und trug Konflikte bisweilen über einen längeren Zeitraum in der Bezirkspresse aus.108 Dabei genoss Fröhlich stets die Rückendeckung Ulbrichts und verfügte zu jeder Zeit über genaue Kenntnisse der Stimmungslage im Politbüro. In den Erinnerungen ehemals hochrangiger Parteifunktionäre taucht Fröhlich oft als „amusischer und

102 Vgl. Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 101 f., 180. 103 Vgl. Paul Fröhlich an das ZK der SED, 1.10.1953 und 20.10.1953, SächsStAL, 21699, Nr. 696 (Kaderakte Ernst Fritz Beier), unp.; Sitzung des Sekretariats des ZK der SED, 4.11.1953, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/405, Bl. 12. 104 Vgl. Andreas Malycha / Peter Jochen Winters, Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Linkspartei, Bonn 2009, S. 97. 105 Vgl. Kurzweg/Werner, SED und Staatsapparat, in: Richter/Schaarschmidt/Schmeitzner (Hrsg.), Länder, Gaue und Bezirke, S. 269. Der Kreis Delitzsch sollte zum Musterbeispiel der landwirtschaftlichen Kollektivierung ausgebaut werden. In der offiziellen Lesart rühmte man die Verdienste der SED-Bezirksleitung um die Entwicklung des Kreises später dafür, dass dieser bereits 1958 – neben dem Kreis Schmölln – zu 58 Prozent durch LPGs bewirtschaftet wurde, während der Bezirksdurchschnitt bei 38,8 Prozent gelegen habe. Vgl. dazu Reinhard Projahn, Über den Kampf der SED-Bezirksorganisation Leipzig für den weiteren Aufbau der Grundlagen des Sozialismus und insbesondere gegen revisionistische Auffassungen und Einflüsse 1956 bis 1958, Diss. A, Leipzig 1982, S. 113. 106 Vgl. Katrin Löffler, Die Zerstörung. Dokumente und Erinnerungen zum Fall der Universitätskirche Leipzig, Leipzig 1993, S. 77. 107 Zum antikirchlichen Propagandafeldzug Paul Fröhlichs in den 1950er Jahren vgl. Georg Wilhelm, Die Diktaturen und die evangelische Kirche. Totaler Machtanspruch und kirchliche Antwort am Beispiel Leipzigs 1933–1958, Göttingen 2004, S. 395–413. 108 Vgl. Kurzweg/Werner, SED und Staatsapparat, in: Richter/Schaarschmidt/Schmeitzner (Hrsg.), Länder, Gaue und Bezirke, S. 255–276.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

humorloser Mensch“109 auf, der sich Ulbricht regelrecht angebiedert habe.110 Das Vertrauensverhältnis zwischen Ulbricht und Fröhlich war offenbar derart fest, dass auch Fröhlichs ablehnende Haltung zum NÖS111 der Beziehung keinen Abbruch tat. Dabei war es Fröhlich sogar möglich, die Autorität der Ministerien zu unterlaufen; so etwa 1969, als er von Ulbricht eine direkte Zusage über die Änderung eines Regierungsbeschlusses erwirken konnte, um die administrativen Eingriffe zentraler Behörden bei der Umsetzung des Energieprogramms im Leipziger Bezirk einzudämmen.112 Auch der Rat der Stadt Leipzig profitierte von den engen Beziehungen beider Funktionäre. Die Nachricht vom Tod Fröhlichs durch Herz-KreislaufVersagen am 19. September 1970 kam überraschend und wurde mit gemischten Gefühlen aufgefasst. An der Basis registrierte die Staatssicherheit allerhand Spekulationen um das Ableben Fröhlichs. Die einen bezichtigten die SED-Führung, ihn „bewußt fertiggemacht“ zu haben, andere mutmaßten über Alkoholprobleme des Verstorbenen. Über die Fähigkeiten seines Nachfolgers Schumann bestand jedoch flächendeckend Skepsis. Diese Einschätzungen zeigen sehr deutlich, wie wichtig die Funktion des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung aus der Sicht lokaler Akteure war.113 Eine posthume Wertschätzung durch die Staats- und Parteiführung erfuhr Fröhlich durch die Inszenierung eines Staatsbegräbnisses und die Umbenennung des wohl wichtigsten Leipziger Maschinenbau- und DDR-Exportbetriebes in VEB VTA „Paul Fröhlich“. Sein Nachfolger Horst Schumann (1924–1993)114 wuchs, anders als Paul Fröhlich, in einem bereits kommunistisch und großstädtisch geprägten Umfeld im Berlin der 1920er und 1930er Jahre auf. Als Sohn des seit 1928 für die KPD im Reichstag sitzenden Werkzeugmachers Georg und der Schneiderin Johanna Schumann trat Horst bereits mit sechs Jahren den Roten Pionieren bei. Während des Besuchs der Volksschule (1930–1938) befand sich der Vater größtenteils in Schutzhaft (1933–1939). Noch vor seiner Entlassung trat Horst im Frühjahr 1939 in die HJ und später in die DAF ein. Nach Auslegung der DDR-Geschichtswissenschaft sei dies auf Geheiß des mit dem Vater befreundeten Kurt Kresse, Bruder des späteren Leipziger Oberbürgermeisters Walter Kresse, und gegen den Willen Horst Schumanns ausschließlich zur Tarnung der Familie geschehen.115 Zwischen 1939 und 1941 sei Horst an der kommunistischen Widerstandsgruppe seines Vaters (Schumann-Engert-Kresse-Gruppe) mit kleineren Kurieraufträgen beteiligt gewe109 Vgl. Kurt Hager, Erinnerungen, Leipzig 1996, S. 286. 110 Vgl. Ernst Wollweber, Aus Erinnerungen. Ein Porträt Walter Ulbrichts, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 32, 1990, S. 377. 111 Vgl. Gerhard Schürer, Statement. Erfahrungen als Leiter der Staatlichen Plankommission. Wirtschaftliche und politische Verflechtungen von Akteuren, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Die DDR. Analyse eines aufgegebenen Staates, Berlin 2001, S. 33. 112 Vgl. Beratung der Perspektivplankommission beim ZK der SED und Ministerrat der DDR zum Planentwurf 1969/70, 11.11.1969, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.119/6, Bl. 86–91. 113 Vgl. Berichte über Spekulationen und Reaktionen der Bevölkerung auf das Ableben des Genossen Paul Fröhlich, 21.–22.9.1970, BStU, MfS, BV Lpz. AKG 00316, Bl. 111–117. Zit. Bl. 117. 114 Sämtliche biographische Angaben beruhen auf Schumann Kaderakte: SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/11/v. 5475. 115 Vgl. Kurt Kühn, Georg Schumann. Eine Biographie, Berlin (Ost) 1965, S. 264 f.

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sen. Mehr als gelegentliche Botendienste scheint der Jugendliche jedoch nicht ausgeführt zu haben.116 Aber nicht nur bei der Ausprägung mentaler Dispositionen, sondern auch bei der Berufswahl des Sohnes dürfte Georg Schumann eine große Vorbildwirkung auf seinen Sohn ausgeübt haben. Zwischen 1938 und 1941 absolvierte Horst Schumann, dessen Vater ein Liebhaber Beethovens gewesen sei117, eine Klaviermacherlehre bei Julius Blüthner in Leipzig und arbeitete daraufhin in einer Klavierhandlung im schlesischen Glatz, bis er 1943 in die Wehrmacht als Infanterie- und Panzerjäger sowie Grenadier einberufen wurde. Georg Schumann wurde aufgrund seiner Aktivitäten im Nationalkomitee Freies Deutschland im letzten Kriegsjahr hingerichtet. Nach kurzer amerikanischer und sowjetischer Kriegsgefangenschaft legte Horst Schumann seine berufliche Zukunft in die Hände der KPD­Unterbezirksleitung Leipzig, die ihn zunächst im Rat der Stadt Leipzig einsetzte. Mit dem kulturellen Kapital des Vaters ausgestattet, machte der 22-jährige aber rasch Karriere in der FDJ. 1947 war er bereits Kreisleiter der FDJ in Leipzig und stieg bald darauf in den sächsischen Landesvorstand auf, dessen 1. Sekretär er 1951 nach dem Besuch der Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED wurde. Die Kadereinschätzungen heben immer wieder die Parteiverbundenheit und die besonderen agitatorischen Fähigkeiten Schumanns in der Jugendarbeit hervor. Zugleich wurde ihm aber auch mangelhafte Durchsetzungskraft attestiert. Der 2. Sekretär des Zentralrates der FDJ, Helmut Hartwig, wagte sich in seinem schriftlichen Urteil am weitesten vor, indem er Schumann Oberflächlichkeit, fehlende Ausdauer, Ängstlichkeit und unzureichende Menschenkenntnis vorwarf – Eigenschaften, die seines Erachtens nach aus der „Verwöhnung durch die Gen. in Leipzig“118 resultiert hätten. In den Jahren zwischen 1953 und 1959 wurde die hauptamtliche Funktionärstätigkeit im Jugendapparat durch die Berufung zum Sektorenleiter im ZK der SED (1953–1956) und den Besuch der Parteihochschule beim ZK der KPdSU in Moskau (1956–1959) unterbrochen. 1958 wurde Schumann zunächst Kandidat und im darauffolgenden Jahr Mitglied im ZK der SED. Einer Beurteilung aus dieser Zeit zufolge hegte er den Wunsch, auf politischorganisatorischem Gebiet im Parteiapparat tätig zu werden. Auf „Empfehlung“ des ZK wurde Schumann 1959 jedoch zum Vorsitzenden des Zentralrates der FDJ ernannt. In dieser Funktion verfolgte er den jugendpolitischen Kurs Walter Ulbrichts auf ganzer Linie, während Erich Honecker, der zu diesem Zeitpunkt als zweitwichtigster Mann im ZK agierte, nach dem sogenannten „Kahlschlagplenum“ 1965 zunehmend auf Distanz zum SED-Chef ging und sich als ehemaliger FDJ-Funktionär für eine liberalere Jugendpolitik aussprach.119 So geht es wohl auch auf die Initiative 116 Vgl. Ebd., S. 269. Eine erste kritische Darstellung der Aktivitäten der Schumann-EngertKresse-Gruppe bietet Carsten Voigt, Kommunistischer Widerstand in Leipzig 1943/44, in: Leipziger Kalender, 2003, S. 373–418. 117 Vgl. Kühn, Georg Schumann, S. 260. 118 Aktennotiz, 1.4.1950, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5475, Bl. 228. 119 Vgl. Ulrich Mählert / Gerd-Rüdiger Stephan, Blaue Hemden, rote Fahnen. Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Opladen 1996, S. 169; Alan McDougall, Youth politics in East Germany. The Free German Youth Movement 1946–1968, Oxford etc. 2004, S. 200 f.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

Honeckers zurück, dass Schumann 1967 durch den von ihm favorisierten Günther Jahn ersetzt wurde.120 Horst Schumann wurde daraufhin zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Staatsrat der DDR eingesetzt und 1969, entsprechend seines früheren Wunsches, zum 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig ernannt. Elf Tage nach dem Tod Paul Fröhlichs wurde Schumann zu dessen Nachfolger bestimmt.121 Schumann war sowohl im zentralen Jugendapparat als auch an der Basis als ausgesprochener „Ulbricht-Mann“ bekannt.122 Seine Karriere sei Gerüchten zufolge auf die Verbundenheit zwischen Georg Schumann und Walter Ulbricht, die sich beide als Mitglieder der Leipziger Sozialdemokratie im Prozess der Spaltung der Partei 1917 auf die ideologische Linie Karl Liebknechts eingeschworen hatten, zurückzuführen gewesen. Ob das persönliche Verhältnis zwischen Ulbricht und Schumann allerdings über die parteipolitischen Aktivitäten hinausging, wie von der DDR-Geschichtswissenschaft und von Ulbricht selbst lanciert, lässt sich aus der Zusammenschau der Quellen nicht ersehen.123 Ungeachtet dessen erhielt Schumanns Karriere nach dem Machtwechsel in OstBerlin 1971 einen empfindlichen Dämpfer. Das Verhältnis zwischen SED­Führung und dem Bezirk Leipzig kühlte sich in der Ära Honecker merklich ab.124 Im Gegensatz zu Fröhlich wurde Schumann kaum noch zu Sekretariatssitzungen ins ZK zitiert und auch bei den Messerundgängen der Staats- und Parteiführung lief der Bezirkschef nicht mehr in der unmittelbaren Nähe des Generalsekretärs. Hierin spiegelte sich der wirtschaftliche Bedeutungsverlust des Leipziger Bezirkes, aber auch die Distanz Honeckers zu Ulbricht wider. Unter den mitteldeutschen Bezirken war Leipzig der einzige, der nach dem Machtwechsel nicht mehr durch Kandidatur oder Mitgliedschaft des 1. Bezirkssekretärs im Politbüro vertreten war.125 Hinweise auf anderweitige persönliche Zusammenkünfte zwischen Honecker und Schumann sucht man in den Quellen vergeblich. In den Unterlagen des ZK der SED findet sich lediglich ein Redebeitrag Schumanns im Rahmen einer Konferenz des Generalsekretärs mit den Bezirkssekretären am 15. November 1972. Dort appellierte Schumann an das „Republikinteresse“ der SED-Führung an der zweitgrößten Stadt der DDR, um auf die Defizite in der Lebensmittelversorgung, im Wohnungsbau und die Umweltbelastung aufmerksam zu machen. Honecker begegnete dem bezeichnenderweise mit Stillschweigen und Ausflüchten.126 Eine solchermaßen ignorante Reaktion des Parteichefs auf die Probleme in der Messestadt wäre wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen. 120 Vgl. Ebd., S. 201. 121 Vgl. Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 5.10.1970, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/1470, Bl. 6. 122 Vgl. Lehmann-Grube, Als ich von Deutschland nach Deutschland kam, S. 192. 123 Vgl. Heinz Voßke, Walter Ulbricht. Biographischer Abriß, Berlin (Ost) 1983, S. 33; Norbert Podewin, Walter Ulbricht. Eine neue Biographie, Berlin 1995, S. 37. 124 Vgl. hierzu auch Karl-Heinz Blaurock, Geplant – verplant? Ein Arbeitsleben in der DDR, Schkeuditz 2001, S. 123 f. 125 Vgl. Malycha/Winters, Geschichte der SED, S. 97. 126 Vgl. Stenographische Niederschrift der Beratung des Sekretariats des Zentralkomitees mit den 1. Sekretären der Bezirksleitungen der SED am 15.11.1972, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/463, Bl. 117–127.

4. Leipzig als Bezirksstadt: Politische Rahmenbedingungen

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Zum Herrschaftsstil Schumanns im Bezirk und in der Kommune fehlen Untersuchungen bislang. Auch das Quellenmaterial ist im Hinblick auf diese Fragestellung weit weniger aufschlussreich als für die „Ära Fröhlich“. Es lassen sich jedoch allgemeine Tendenzen ausmachen. Im Gegensatz zu Fröhlich vermied Schumann in der Regel persönliche Eingriffe in die Stadtverwaltung und griff allenfalls zum Mittel der schriftlichen Abmahnungen. Drohte ein Konflikt bezirksübergreifenden Charakter zu bekommen, war Schumann darum bemüht, Schwierigkeiten ohne großes Aufsehen aus der Welt zu schaffen. Er rechnete dabei nicht wie Fröhlich mit verantwortlichen Kritikern ab, sondern verteilte symbolische und zuweilen voreilige Parteistrafen, deren disziplinarische Wirkung infrage stehen dürfte. Beim Kampf gegen „administrative Eigensinnigkeiten“ schien Schumann im Regelfall den Dienstweg zu wahren und eher sanften Druck auszuüben.127 Die Ablösung Horst Schumanns vollzog sich im Rahmen der Friedlichen Revolution und den damit verbundenen personellen Veränderungen im zentralen und untergeordneten Parteiapparat. Bereits einen Tag nach dem Rücktritt Erich Honeckers und die Vorgänge in Leipzig vor Augen forderte der Kulturminister HansJoachim Hoffmann, der als 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig (1970– 1971) Schumann kurzzeitig als Bezirkschef erlebt hatte, auf der 9. Tagung des ZK am 18. Oktober 1989 die Absetzung des 1. Sekretärs der Leipziger Bezirks-SED.128 Am 27. Oktober fand ein informelles Gespräch zwischen Honecker-Nachfolger Egon Krenz, Horst Schumann und dem als reformorientiert geltenden Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig für Wissenschaft und Erziehung, Roland Wötzel, statt, bei dem Krenz den beiden Sekretären der SED-Bezirksleitung die Absetzung Schumanns bekanntgab. Schumann schied schließlich aus „gesundheitlichen Gründen“ aus, seine offizielle Verabschiedung inszenierte man mit der Verleihung des Ordens „Held der Arbeit“ durch Krenz auf einer Tagung der SED-Bezirksleitung Leipzig. Als Nachfolger wurde nicht, wie üblich, der 2. Sekretär, Helmut Hackenberg, eingesetzt, sondern Roland Wötzel, der sich am Aufruf der „Leipziger Sechs“ zum Gewaltverzicht bei der Montagsdemonstration am 9. Oktober beteiligt hattet.129 Am 6. November gab das Neue Deutschland die personelle Veränderung an der Spitze der SED­Bezirksleitung offiziell bekannt. Die Verabschiedung vor der SED­ Bezirksleitung nutzte Schumann noch einmal, um der „‚traurigen Erfahrung‘, daß Probleme, auf die die Bezirksleitung in den zurückliegenden Jahren mit Nachdruck hinwies, von der Parteiführung nicht entsprechend beachtet wurden“, Ausdruck zu verleihen.130 Am 5. Mai 1990 wurde Schumann schließlich noch von der Bezirksstaatsanwaltschaft wegen Anstiftung zur Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen

127 Vgl. dazu besonders Kapitel III. 3.3. 128 9. Tagung des ZK der SED im Plenarsaal des ZK-Gebäudes in Berlin, Mittwoch, 18.10.1989, in: Hans-Hermann Hertle / Gerd-Rüdiger Stephan (Hrsg.), Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees, Berlin 1997, S. 126; Zu Hans-Joachim Hoffmann vgl. Günter Buch, Namen und Daten wichtiger Personen der DDR, Berlin (Ost) 1987, S. 129. 129 Vgl. Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 20.10.1989, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/3250, Bl. 21, 121 f. 130 Vgl. Neues Deutschland vom 6.11.1989, S. 2.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

1989 angeklagt. Das Verfahren wurde allerdings nach seinem Tod am 28. Dezember 1993 eingestellt.131 5. AKTEURE AN DER BASIS: DIE RÄTE DER STADTBEZIRKE Der Rat der Stadt Leipzig war zwar das Verwaltungszentrum der Stadt, bildete aber nicht deren einzigen Verwaltungsapparat. Ihm unterstanden seit 1952 14, seit 1957 sieben Stadtbezirksverwaltungen. Entsprechend war das Stadtgebiet in Verwaltungsbezirke aufgeteilt, die den administrativen Status von Kreisstädten besaßen. Diese Verwaltungseinheiten verfügten, genauso wie der Rat der Stadt, über materielle Ressourcen, insbesondere im Reparatursektor. Mit dieser Gebietseinteilung, die auch andere Bezirksstädte betraf, vollzog man im Kleinen eine ähnliche Entwicklung nach, die 1952 zum Aufbau der Bezirksverwaltungen geführt hatte. Es ging auch auf städtischer Ebene um die Verringerung der Kommunikationskosten. Anders als die Bildung der Bezirke aber war die Bildung der Stadtbezirke im Jahre 1957 von kontroversen Auffassungen bestimmt, die die Grenzen der Diktaturdurchsetzung widerspiegeln. Um die Leipziger Perspektive nachvollziehen zu können, muss ein kurzer Blick in die unmittelbare Nachkriegszeit geworfen werden. Die Notsituation der Stadt nutzten städtische Akteure durchaus auch zur Wiederbelebung einer in den 1930er Jahren vergeblich geführten Debatte um die Notwendigkeit zur räumlichen Expansion.132 So trafen der Leipziger Oberbürgermeister Erich Zeigner und der sowjetische Stadtkommandant Trufanow schon im Juli 1945 eine von städtischer Seite aus forcierte Vereinbarung über eine Ausweitung des Stadtgebietes. Die vereinbarte Angliederung der Gemeinden Taucha, Zwenkau-Markkleeberg und Markranstädt hatte für beide Seiten Vorteile. Die Stadt hatte einen massiven Wohnungsmangel zu beklagen, der Stadtkommandant war dagegen in Personalunion auch für den Landkreis Leipzig zuständig, obwohl beide Gebiete administrativ getrennt waren.133 Das Vorhaben scheiterte allerdings an der sächsischen Landesverwaltung bzw. an der SMAS.134 Dagegen wurde Leipzig kurze Zeit später nach dem Dresdner Vorbild135 in acht Bezirke und 30 Distrikte aufgeteilt. Dahinter stand das Ziel, die Verwaltungsarbeit insoweit zu dezentralisieren, als sie der Mobilisierung der Bevölkerung diente.136 Aus diesem Grunde bildeten die Bezirke und Distrikte keine 131 Vgl. Art. ‚Schumann, Horst (1924–1993)‘, in: Mario Niemann / Andreas Herbst (Hrsg.), SEDKader – Die mittlere Ebene. Biographisches Lexikon der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen, der Ministerpräsidenten und der Vorsitzenden der Räte der Bezirke 1946 bis 1989, Paderborn etc. 2010, S. 451. 132 Vgl. Haake, Leipzig. 133 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Vermietungsamt an Stadtbaurat Walther Beyer, 31.8.1945, StadtAL, StVuR (1), 20965, Bl. 6. 134 Vgl. Landesverwaltung Sachsen an die Landräte und Oberbürgermeister, 1.8.1945, StadtAL, StVuR (1), 1111, Bl. 118. 135 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 3.8.1945, Ebd., Bl. 12. 136 Vgl. Zeigner an die Landesverwaltung Sachsen, Entwurf der Hauptsatzung, 27.8.1945, StadtAL, StVuR (1), 1113, Bl. 47.

5. Akteure an der Basis: Die Räte der Stadtbezirke

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eigenständigen Verwaltungsapparate. Fortgesetzt wurde diese Entwicklung ein Jahr nach Gründung der DDR. Die Bezirke wurden aufgelöst und die Distrikte in Bezirke umbenannt sowie um drei erweitert. Diesen neuen Bezirken stand jeweils ein hauptamtlicher Sachbearbeiter vor, der lediglich eine Mittlerposition zwischen Bevölkerung und Verwaltung einnahm. Er sollte vor allem das Vertrauen der Bevölkerung zum Staat stärken.137 Waren die lokalen Gebietsreformen bis dahin jeweils vom Gedanken der Dezentralisierung der Verwaltung getragen, traten mit dem ersten Fünfjahrplan (1951– 1955) zunehmend ökonomische Kriterien hinzu. Analog zur Bildung der Bezirke sollten auch die Bezirksstädte, die heterogene Wirtschaftsstrukturen aufwiesen, in kleinere administrative Einheiten mit homogeneren ökonomischen Strukturen eingeteilt werden, um eine effektivere Umsetzung der Parteibeschlüsse zu gewährleisten. Auf der Grundlage der 8. Parteikonferenz der SED im Februar 1952, auf der Walter Ulbricht die „weitergehende Dezentralisierung“ mit dem Ziel des Aufbaus „wählbarer“ Verwaltungsorgane in den Stadtbezirken und der Verkleinerung des Verwaltungsapparates angekündigt hatte138, begannen damit auch in Leipzig Überlegungen zur Neustrukturierung des Stadtgebietes, in deren Konsequenz die Stadt in 14 Stadtbezirke aufgeteilt wurde.139 1957 wurden die 14 Leipziger Stadtbezirke unter ähnlichen Gesichtspunkten zu sieben Stadtbezirken zusammengelegt. Die Umsetzung der Gebietsreform wurde nun jedoch zur unmittelbaren Chefsache erklärt und direkt vom Politbüro der SED angeordnet. Die Gründe für dieses Vorgehen, das den lokalen Akteuren kaum Gestaltungsspielräume ließ, sind jedoch nicht allein in den Herrschaftsinteressen der SED-Führung zu suchen. Zugleich musste das Politbüro lokale Eigenmächtigkeiten verhindern, denn seit 1955 liefen erneute Bestrebungen, umliegende Kreise an die Bezirksstadt Leipzig anzugliedern. Selbst innerhalb der SED-Bezirksleitung wurden intensive Diskussionen über eine Neugliederung des Stadt- und Landkreises Leipzig geführt. Diesen Überlegungen lagen zwei zentrale Gedanken zugrunde. Zum einen verteilte sich der planwirtschaftlich wichtige Maschinenbau auf den Stadt- und Landkreis, was eine einheitliche Kontrolle erschwerte. Darüber hinaus war die politische sowie wirtschaftliche Machtbasis der SED insbesondere in den vormals thüringischen und sachsen-anhaltischen Kreisen noch keineswegs gesichert. In den 1952 angegliederten Gemeinden hatte es nach Auffassung der SEDBezirksleitung immer noch ausgeprägte Erscheinungen von „Sozialdemokratismus“, „Opportunismus“ und „Großbauerntum“ gegeben. Walter Setzepfand, Leiter der Abteilung Staatliche Organe der SED-Bezirksleitung, schlug dem ZK der SED daher vor, den Landkreis Leipzig an das Stadtgebiet anzugliedern, das gesamte Gebiet in acht Stadtbezirke aufzuteilen und dieses seiner Bedeutung entsprechend dem Ministerrat direkt zu unterstellen. Das ZK lehnte diesen Vorschlag jedoch unter Be137 Vgl. Neue Formen unserer Verwaltungsarbeit, in: Der Mitarbeiter 25/1950, S. 1–3. 138 Entschließung der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED, 22.2.1952, in: Walter Ulbricht, Die ideologisch-politisch-organisatorische Arbeit der Partei und die Vorbereitung der II. Parteikonferenz. Diskussionsreden und Beschlüsse der 8. Tagung des Zentralkomitees, Berlin (Ost) 1952, S. 12. 139 Zum Vorgang vgl. StadtAL, StVuR (1), 1433.

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I. Politik und Raum: Leipzig in der DDR

rufung auf die unzureichende Begründung ab und verwies auf die nicht absehbaren finanziellen Konsequenzen. Setzepfand reagierte mit Unverständnis.140 Erneute Impulse erhielt die vorübergehend abgekühlte Debatte bereits im Jahr darauf, als der zweite Fünfjahrplan (1956–1960) in Kraft trat und weitere Intensivierungsmaßnahmen bei der Entwicklung der „strukturbestimmenden“ Industriezweige sowie der Kollektivierung der Landwirtschaft forderte.141 Im Mai 1956 richtete die SED-Bezirksleitung Leipzig eine Kommission aus Vertretern der Stadt und den Stadtbezirken, Staatsrechtlern und Agrarökonomen der Karl-Marx-Universität ein, die sich mit Fragen der Gebietsgliederung und Verwaltungsorganisation der Stadt Leipzig beschäftigen sollte.142 Die Kommission griff dabei die in der SED-Bezirksleitung im Vorjahr geführten Debatten wieder auf und favorisierte bald die Aufgliederung des Stadtgebietes in acht Stadtbezirke, womit zugleich eine Revision der Stadtgrenze verbunden war. Aus dem Landkreis Leipzig sollten zunächst 13, später 21 Ortschaften in die Stadt Leipzig eingemeindet werden. Nach Auffassung der Kommissionsmitglieder konnten dadurch „historisch gewachsene Industrie-, Verkehrs-, Handels- und Kulturgrenzen bzw. geschlossene Siedlungsgebiete“ wiedervereinigt werden, um diese effektiver und einheitlicher anleiten zu können.143 Die Protagonisten dieses Vorstoßes waren freilich die Vertreter der Stadt Leipzig, denen es noch immer um die Gewinnung von Bauland für Wohnungen und Industrie ging. Der Landkreis verhielt sich in dieser Angelegenheit eher passiv. Zudem standen die Kommissionsmitglieder unter erheblichem Zeitdruck. „Unter Zurückstellung aller anderen Arbeiten“144 mussten Grob- und Feinstrukturpläne für die neuen Stadtbezirksverwaltungen ausgearbeitet und die Kosten kalkuliert werden, die man auf etwa 30 Millionen DM schätzte. Die Dringlichkeit der Planungen war auch dem Umstand geschuldet, dass die Einteilung des Stadtgebietes in sieben Stadtbezirke unter Beibehaltung der bisherigen Grenzen von übergeordneten Organen bereits favorisiert wurde. Die Vertreter der Stadt versuchten deshalb, die Vorteile des Eingemeindungsvorhabens herauszustellen. So wurde etwa argumentiert, dass 30 Millionen DM auch ohne Eingemeindungen benötigt würden, was allerdings lediglich auf Schätzungen beruhte.145 Am 2. April 1957 entschied das Politbüro jedoch endgültig, die Stadt Leipzig in ihren Grenzen bestehen zu lassen und in sieben Stadtbezirke einzuteilen.146 140 141 142 143

Zum Vorgang vgl. SächsStAL, 21123, IV/2/13/615. Zit.: Bürovorlage, 16.5.1955, Ebd., Bl. 233. Vgl. Schroeder, Der SED-Staat, S. 131–148. Vgl. Krüger, Vom Verwaltungsdistrikt zum Stadtbezirk, S. 23. Vgl. Warum sollen die 14 Stadtbezirke auf 8 reduziert werden?, o. D., SächsStAL, 21123, IV/2/13/615, Bl. 282. 144 Sekretär des Rates der Stadt an die Kommissionsmitglieder, 27.6.1956, StadtAL, StVuR (1), 17139, Bl. 1. 145 Vgl. Protokoll über die Kommissionssitzung zur Strukturveränderung der Stadt Leipzig am 15.11.1956, Ebd., Bl. 4. 146 In der Sitzung vom 2. April 1957 bestätigte das Politbüro die einen zuvor eingereichte Vorlage der Hauptabteilung für Angelegenheiten für örtliche Räte, nach der Leipzig in sieben Stadtbezirke einzuteilen war. Zuvor hatte bereits die SED-Stadtleitung am 22. März in die Maßnahmen zur Bildung der sieben Stadtbezirke eingewilligt. Vgl. Sitzung des Politbüros am 2.4.1957, SAPMO-BArch, DY 30/J IV/2A/558 Bl. 69 f.

5. Akteure an der Basis: Die Räte der Stadtbezirke

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Ausschlaggebend waren die ungeahnten Folgekosten, welche die lokalen Bestrebungen nach sich zu ziehen drohten. Die „historisch-perspektivische“ Entwicklung der Großstädte als eigenständige administrative Einheiten sollte nach Ansicht der SED-Führung zudem generell fortgeführt werden.147 Mit der Leipziger Gebietsreform von 1957 – parallel wurden die Großstädte Dresden, Karl-Marx-Stadt, Halle, Magdeburg und Erfurt neu gegliedert – wurde das Stadtgebiet zugleich in urbanisierungspolitisch stärker und weniger stärker bevorzugte Gebiete eingeteilt, was in den folgenden Jahrzehnten eher für Konfliktpotential sorgte, als dass es die Kommunikationswege nach unten effizienter gestaltete. Das Vorhandensein „strukturbestimmender“ Industrie bestimmte letztlich über die Entwicklungschancen der Stadtbezirke und schuf damit ein innerstädtisches Hierarchiegefälle, das wiederum der Umsetzung eines einheitlichen städtischen Planungskonzepts im Wege stand. Ein vergleichsweise hoher Arbeiteranteil befand sich in Stadtbezirken mit einem hohen Konzentrationsgrad „strukturbestimmender Industrie“. In den Stadtbezirken Mitte, Nord, Nordost, West und Südwest zählte jeweils mindestens die Hälfte der zentralgeleiteten Betriebe zur Maschinenbauindustrie. Dagegen waren die verhältnismäßig geringeren Arbeiterzahlen in den Stadtbezirken Süd und Südost durch den prozentual kleineren Anteil zentralgeleiteter Maschinenbaubetriebe bedingt. Im Stadtbezirk Südost waren es nur 45 Prozent, in Süd sogar nur 20 Prozent. In diesen Bezirken dominierte die graphische und Lebensmittelindustrie. Langfristig gesehen waren es neben den innerstädtischen Wohngebieten vor allem die südlichen Stadtbezirke, die von lokalen Akteuren aufgrund des Verfalls der Altbausubstanz zunehmend als „Problembezirke“ eingestuft wurden148, während die anderen intensiver bebaut wurden.

147 Zum Stadtkreis Leipzig vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.01/66, Bl. 247. 148 Vgl. exempl. Vgl. SED-Stadtleitung, Abt. Parteiorgane, Analyse über Nichtwähler, 12.7.1967, SächsStAL, 21145, IV/A/5/01/253, Bd. 1, unp.

II. VERWALTUNG IM SED-STAAT: KOMMUNALPOLITISCHE KONTROVERSEN UND STRUKTUREN IM RAT DER STADT LEIPZIG

1. VORGESCHICHTE: MACHTDURCHSETZUNG IN LEIPZIG (1945–1957) 1.1 Von kommunaler Leistungsverwaltung zur Massenmobilisierung: Die „Demokratisierung“ des Rates der Stadt Leipzig (1945/46–1952) Ähnlich wie die SED im Rahmen ihrer Urbanisierungspolitik auf historisch gewachsene Strukturen zurückgriff, knüpfte zunächst auch die SMAD an die Tradition kommunaler Selbstverwaltung an. In Deutschland hatten sich die Stadtverwaltungen während der Hoch-Urbanisierung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften entwickelt, um die Daseinsvorsorge vor Ort zu organisieren. Die professionelle Leistungsverwaltung stellte bald das „Spektrum ihrer eigentlichen Selbstverwaltungsaufgaben“ dar, das in der Gemeindeordnung von 1935 auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt wurde.1 Vor dem Hintergrund der katastrophalen Versorgungslage, aber auch mit der Absicht, sich politische Zugewinne zu sichern, war die SMAD zunächst darauf bedacht, die kommunalen Selbstverwaltungen – freilich unter ihrer Befehlsgewalt – zu restaurieren.2 Mit zunehmender Zentralisierung städtischer Funktionen verstärkten sich jedoch die Interessengegensätze zwischen lokalen und übergeordneten Instanzen. Dennoch konnten kommunale Traditionsbestände noch über einen längeren Zeitraum hinweg behauptet werden. Um diese lokalen Dimensionen der Machtdurchsetzung der SED soll es im Folgenden schwerpunktmäßig gehen. Dabei können freilich nicht alle Aspekte des Transformationsprozesses gleichermaßen berücksichtigt werden. Vielmehr sollen wesentliche lokale Entwicklungslinien aufgezeigt werden, welche der Festschreibung des demokratischen Zentralismus vorausgingen. Für die Stadt Leipzig endete der Zweite Weltkrieg am 19. April 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen 190th Field Artillery Group unter Colonel Jim Dan Hill.3 Im Bewusstsein, die Stadt in kurzer Zeit an die Sowjets übergeben zu müssen, ging es Hill vor allem darum, „Ruhe und Ordnung in Leipzig zu bewahren“.4 Die kommunalen Verwaltungsstrukturen blieben dabei unangetastet. Die Beamten der Stadtverwaltung wurden entsprechend angewiesen, „an ihren Posten zu verbleiben und ihrer Pflicht bis auf weitere Anweisung seitens der Militärverwaltung zu 1 2 3 4

Vgl. Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Einführung, Göttingen 1989, S. 112. Vgl. Jan Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945–1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999, S. 334. Im sowjetischen Herrschaftsbereich bildete die Restauration der kommunalen Selbstverwaltung in der Sowjetischen Besatzungszone ein Unikum. Vgl. Nora Blumberg, Leipzig unter amerikanischer Besatzung. Einblicke in die Arbeit der Stadtverwaltung unter Provisional Military Government Detachment A., unveröffentlichte Magisterarbeit, Leipzig 2011, S. 29. Vgl. Walter L. Dorn, Erinnerungen, in: Walter L. Dorn, Inspektionsreisen in der US-Zone. Notizen, Denkschriften und Erinnerungen, aus dem Nachlass übers. u. hrsg. v. Lutz Niethammer, Stuttgart 1973, S. 39; Schmollinger, Das Bezirkskomitee Freies Deutschland in Leipzig, in: Borsdorf/Niethammer (Hrsg.), Arbeiterinitiative 1945, S. 237 f.

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II. Verwaltung im SED-Staat

genügen“.5 Die Stadtverwaltung sollte zunächst ausschließlich die Versorgung der Stadt sichern, Parteipolitik war strengstens untersagt. Zum Bürgermeister wurde der konservative Rechtsanwalt und Notar, Dr. Wilhelm Johannes Vierling, ernannt, der nicht im Verdacht politischer Betätigungen stand, als loyal galt und aufgrund seiner juristischen Laufbahn als fachlich geeignet erschien.6 Darüber hinaus wurden erste Maßnahmen zur Entnazifizierung der Beamtenschaft ergriffen.7 Aber schon unter dem Eindruck der Wiederzulassung politischer Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone am 10. Juni 1945 konstituierte sich noch unter amerikanischer Besatzung am 26. Juni 1945 der Gemeinderat aus 13 KPD-Mitgliedern, zwölf Sozialdemokraten, acht Bürgerlichen und einem parteilosen Mitglied.8 Wenige Tage später übergaben die Amerikaner die Stadt Leipzig den Sowjets. Der sowjetische Stadtkommandant, Generaloberst Nikolai Iwanowitsch Trufanow, und seine Nachfolger9 knüpften unmittelbar an die unter Hill und dessen Nachfolger, Major Eaton, wiederhergestellten Strukturen mit nur wenigen Modifikationen an. Während etwa in der Dresdner Stadtverwaltung unter dem direkten Einfluss der „Gruppe Ackermann“10 die Dominanz der KPD radikal durchgesetzt wurde, beschränkte sich Trufanow auf die Auswechselung bürgerlicher Demokraten und „rechter“ Sozialdemokraten. So ersetzte er auch Vierling durch Erich Zeigner (1886–1949). Bei dieser Personalie handelte es sich um einen Kompromiss. Als ehemaliger sächsischer Ministerpräsident der SPD/KPD-Regierung des Jahres 1923 und Repräsentant des linken SPD-Flügels brachte Zeigner beste Voraussetzungen mit, um zwischen den lokal verfeindeten Lagern von SPD und KPD zu vermitteln, ohne letztere am Erhalt wichtiger Positionen zu hindern.11 So stellten die Kommunisten bald den 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters (Kurt Rossberg), die Leiter des Wohlfahrtsamtes (Paul Kloß), des Gesundheitsamtes (Dr. Gelpke) sowie des Schul-, Bildungs- und Kulturamtes (Helmut Holtzhauer). Die restlichen 5 6 7 8 9

10

11

Zit. nach Heidi Roth, Neuanfang nach Kriegsende in Leipzig unter amerikanischer Besatzung, in: Leipziger Kalender, 1997, S. 226. Vgl. Blumberg, Leipzig, S. I–XIV. Vgl. Roth, Neuanfang, S. 227. Vgl. Blumberg, Leipzig, S. 90. Vgl. Mitte November wurde Trufanow in die Landesverwaltung der SMA abberufen und durch Oberst Borissow ersetzt. Über die Dauer seiner Amtszeit existieren in der Literatur widersprüchliche Angaben, ohne dass auf belastbare Quellen verwiesen wird. So nennt Jan Foitzik etwa einen Generalmajor M. F. Suprunow, der im Herbst 1946 als Stadt- und Bezirkskommandant Leipzigs zugleich ernannt worden sei. Folgt man hingegen den Angaben bei Lieselotte Borusiak et al., so habe Borissow noch im Dezember 1946 als Stadtkommandant die Bildung von Entnazifizierungskommissionen angeordnet. Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 153; Lieselotte Borusiak / Ursula Naumann (Bearb.), Chronik der Stadt Leipzig. 1945– 1949, Teil 1, Leipzig 1965, S. 96, 209. Vgl. Mike Schmeitzner / Stefan Donth, Die Partei der Diktaturdurchsetzung. KPD – SED in Sachsen 1945–1952, Köln etc. 2002, S. 75. Neben der „Gruppe Ackermann“ waren die „Gruppe Ulbricht“ (Zuständigkeitsbereich Berlin) und die „Gruppe Sobottka“ (Zuständigkeitsbereich Mecklenburg-Pommern) mit dem Neuaufbau von Verwaltungsstrukturen beauftragt. Vgl. Jürgen Tubbesing, Nationalkomitee „Freies Deutschland“ – antifaschistischer Block – Einheitspartei. Aspekte der Geschichte der antifaschistischen Bewegung in Leipzig, Beucha 1996, S. 16 f.

63

1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957)

Dezernate führten sieben Sozialdemokraten und drei bürgerliche Demokraten.12 Kurze Zeit später wurde noch der bereits unter Hill eingesetzte Polizeipräsident, Heinrich Fleißner (SPD), gegen Kurt Wagner (KPD) ausgewechselt.13 Im Gegensatz zu Dresden blieb der Einfluss der Kommunisten und linken Sozialdemokraten in der Kommunalverwaltung aber zunächst auf leitende Posten begrenzt. Hatte es in der Landeshauptstadt unter dem Einfluss der „Gruppe Ackermann“ eine parteipolitische Mobilisierungswelle14 zugunsten der sowjetfreundlichen Kräfte15 gegeben, blieb eine entsprechende Dynamik in Leipzig aus (Tab. 2). Tab. 2: Gesamtpersonal der Stadtverwaltungen Leipzig und Dresden, Ende 1945 Gesamt

KPD

SPD

CDU

LPD

parteilos

Leipzig

17.981

1.065

1.522

45

133

15.206

Dresden

16.064

1.928

3.651

159

248

8.905

Quelle: Gesamtzahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter bei der Stadtverwaltung [Leipzig] nach dem Stande vom 1.11.1945 verteilt nach Parteien, SächsStAL, 21120, 12, unp.; Gesamtpersonal der Stadtverwaltung [Dresden] 25.12.1945, in: Widera, Dresden, S. 174.

Auch die unter amerikanischer Besatzung geschaffene Ratsstruktur blieb in ihrem Wesen bestehen. Sie wurde lediglich auf zwölf Dezernate begrenzt16 und mit der am 10. August 1945 erlassenen Hauptsatzung des Rates der Stadt Leipzig bestätigt. Nur in wenigen Punkten brach diese mit den Traditionen der (bereinigten) Gemeindeordnung von 1935. So musste der Oberbürgermeister nun nicht mehr zwingend juristische Kenntnisse besitzen und auch die Leiter des Gesundheits- und Bauwesens brauchten keine Fachausbildungen mehr vorzuweisen. Ferner wurde das Tragen der Amtskette und von Ehrentiteln strengstens untersagt.17 Parallel begann die SMAD – noch vor Abschluss der Potsdamer Konferenz (17. Juli–2. August 1945) – im Geheimen mit dem Aufbau ressortgebundener Zentralverwaltungen als „Hilfsorgane“, die von Beginn an von KPD-Mitgliedern dominiert waren.18 Vor 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. Stadtverwaltung, Personalamt, Ergänzung des Berichtes vom 19.7.1945, 27.7.1945, SächsStAL, 21120, 12, Bl. 157. Vgl. Michael Rudloff, SED-Gründung in sozialdemokratischer Hochburg. Das Beispiel Leipzig, in: Werner Bramke / Ulrich Heß (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Sachsen im 20. Jahrhundert, Leipzig 1998, S. 371–413, hier S. 380. Vgl. Widera, Dresden 1945–1948, S. 173. Hierzu zählten nicht nur Kommunisten, sondern auch der ostsächsische SPD-Verband. Vgl. Beatrix W Bouvier, Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–1953, Bonn 1996, S. 47. Vgl. Sitzung des Rates am 3.8.1945, StadtAL, StVuR (1), 1113, Bl. 12. Vgl. Hauptsatzung der Stadt Leipzig vom 1.8.1945 [Entwurf mit Streichungen Zeigners], Ebd., Bl. 17–20; Aktennotiz des Stadtrates Weise (Personalamt), 17.8.1945, Ebd., Bl. 38. Vgl. Befehl Nr. 17 des Obersten Chefs der SMAD über die Bildung von Zentralverwaltungen in der SBZ, [27.7.1945], in: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945–1949, hrsg. v. Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR / Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Berlin (Ost) 1968, S. 101. Die KPD stellte sechs Präsidenten und elf Vizepräsidenten, die SPD vier Präsidenten und elf Vizepräsidenten, die CDU einen Präsidenten und drei Vizepräsidenten, die LDP jeweils einen Präsiden-

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II. Verwaltung im SED-Staat

Ort hingegen bestimmten noch vielfach pragmatische Entscheidungen den Verwaltungsalltag. Trufanows Rechnung, auf Zeigner als Kompromisskandidaten zu setzen19, ging mit der Zeit jedoch immer weniger auf. Häufig geriet der Sozialdemokrat zwischen die Fronten der politischen Lager. Zu seinen energischsten Kritikern in der KPD gehörte der Vorsitzende der KPD-Kreisleitung Leipzig, Ernst Lohagen20, der Zeigner vorwarf, in den späten 1930er Jahren auf Tuchfühlung mit den Nationalsozialisten gegangen zu sein.21 Auf der anderen Seite setzte sich Zeigner zuweilen über die Beschlüsse seiner eigenen Partei hinweg, sodass ihm der Kreisvorsitzende der SPD, Stanislaw Trabalski, im September 1945 sogar mit dem Parteiausschluss drohte.22 Die SPD blieb jedoch die stärkste Kraft vor Ort. Mit 41.353 Mitgliedern besaß sie gegenüber der KPD (25.072 Mitglieder) noch am Vorabend der Zwangsvereinigung die stärkste Mitgliederbasis.23 So wurde die am 31. März 1946 in Leipzig vollzogene Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED aus sozialdemokratischer Sicht mit einem erheblichen Mitgliederverlust (nur etwa 18.000 SPD-Mitglieder traten in die SED ein) erkauft.24 Parallel geriet Zeigner immer mehr in Konflikt zu dem sich allmählich heraus­ kristallisierenden Herrschaftsverständnis der KPD/SED. Die unterschiedlichen Auffassungen, die sich hinter dem immer häufiger lancierten und nebulösen Begriff „Demokratisierung“ der Verwaltung verbargen, kamen bereits im Vorfeld des „Vereinigungsparteitages“ der SED am 21./22. April 1946 bei internen Diskussionen zum Tragen. Seit Frühjahr 1946 arbeitete eine Kommunalpolitische Kommission der KPD und SPD unter Leitung des Dresdner Oberbürgermeisters, Walter Weidauer, an einem Perspektivkonzept für die Kommunalverwaltungen.25 Auch Zeigner war an den Beratungen beteiligt. Die kontrovers geführten Debatten zwischen ihm und Weidauer kulminierten dabei in der Frage nach dem Stellenwert der SMAD. Bestand Zeigner auf der Einarbeitung einer Generalklausel zugunsten der

19 20 21 22 23

24 25

ten und Vizepräsidenten. Vgl. Helga Welsh, Zentralverwaltungen. Einleitung, in: Martin Broszat / Hermann Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, München 1990, S. 201–206, hier S. 201. Zeigner war der einzige, mit dem Trufanow bereit war, direkt zu verhandeln. Vgl. Erich Zeigner an Stanislaw Trabalski, 9.9.1945, SächsStAL, 21120, 12, Bl. 182. Vgl. Tubbesing, Nationalkomitee, S. 105. Im Bemühen um den beruflichen Wiedereinstieg hatte sich Zeigner bei der Leipziger NSDAP um die Tilgung seiner Vorstrafen im Polizeiregister bemüht und eine positive Beurteilung des Ortsgruppenleiters erwirken können. Vgl. Schmeitzner, Erich Zeigner (1886–1949), S. 125 f. Vgl. Ebd., S. 132. Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 225. In einem späteren Interview äußerte Stanislaw Trabalski, dass die SPD stets nur die Hälfte des tatsächlichen Mitgliederstandes gemeldet habe. Vgl. Interview mit T. S. am 22. November 1973, in: Beatrix W. Bouvier / Horst-Peter Schulz (Hrsg.), „… die SPD aber aufgehört hat zu existieren“. Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, Bonn 1991, S. 214. Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 226 f. Vgl. Helmut Müller-Enbergs, Art. ‚Walter Weidauer‘, in: Enbergs/Wielgohs/Hoffmann (Hrsg.), Wer war wer, Bd. 2, Berlin 2006, S. 1066; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 85.

1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957)

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SMAD, lehnte Weidauer dies mit der Begründung ab, dass die SMAD nicht als ursächlicher Verantwortungsträger genannt werden sollte.26 Die erste Kommunalpolitische Konferenz der SED vom 1. und 2. Juli 1946 bestätigte schließlich die Position Weidauers, worüber sich Zeigner noch anschließend verärgert zeigte.27 Es verwundert daher kaum, dass die auf dem „Vereinigungsparteitag“ verabschiedeten „Grundsätze und Ziele der SED“ bereits stark von den kommunistischen Funktionären der Dresdner Stadtverwaltung bestimmt waren, gleichwohl das Dokument auch Forderungen enthielt, die an sozialdemokratische Traditionen anschlussfähig waren, etwa der „Ausbau der Selbstverwaltung auf der Grundlage demokratisch durchgeführter Wahlen“.28 Die Absicht hinter dieser doppeldeutigen Konzeption war deutlich: Verstand der Leipziger Oberbürgermeister die Kommunalpolitik mit Blick auf den Verwaltungsalltag als eine von der SMAD abhängige Größe, so strebte Weidauer im Interesse der SED danach, das in der Bevölkerung weit verbreitete Image als „Russenpartei“29 aufzubessern und nach außen hin Unabhängigkeit zu demonstrieren. Dies geschah nicht zuletzt vor dem Hintergrund der anstehenden Landtags- und Gemeindewahlen, welche für die SED von entscheidender legitimatorischer Bedeutung waren. Im Kampf um Wählerstimmen kam den Kommunalverwaltungen dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie sollten so volksnah wie möglich erscheinen, was man durch regelmäßige Abhaltung von Sprechstunden, Organisation von Einwohner-Ausschüssen, Einsparung von hauptamtlichem Personal sowie Ausbau einer öffentlichen Kontrolle erreichen wollte.30 Bekanntermaßen ging diese Rechnung nicht auf. Vor allem in den Großstädten kam die SED trotz organisierter „Schleppdienste“ und Manipulationen durch die SMAD nicht einmal auf 50 Prozent.31 Daneben enthielten die „Kommunalpolitischen Richtlinien“ der SED personalpolitische Forderungen, welche den bereits laufenden Prozess der Aushöhlung des Beamtenrechts forcieren32 und zugleich ein neues Selbstbild propagieren sollten. 26 27 28 29 30 31

32

Vgl. Sitzung der Kommunalpolitischen Kommission am 13.3.1946, StadtAL, StVuR (1), 3557, Bl. 10. Frenzel an Zeigner, 10.7.1946, StadtAL, StVuR (1), 3567, Bl. 54. Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, angenommen auf dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD, 21./22. April 1946, in: Dokumente zur Geschichte der SED, Bd. 2, S. 34. Zum Image der SED vgl. Malycha/Winters, Geschichte der SED, S. 48; Port, Conflict and Stability, S. 59 f. Vgl. Kommunalpolitische Richtlinie der SED (Entwurf nach den Beschlüssen der Kommunalen Konferenz vom 1.7.1946), SächsStAL, 21122, 9, unp. Zu den Wahlergebnissen vgl. Günter Braun, Wahlen und Abstimmungen, in: Broszat/Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch, S. 381–431, hier S. 395 und 404. Zu den Manipulationspraktiken vgl. Stefan Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ, Köln etc. 1996, S. 106 f. Vgl. Curt Garner, Schlußfolgerungen aus der Vergangenheit? Die Auseinandersetzungen um die Zukunft des deutschen Berufsbeamtentums nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau, München etc. 1995, S. 637. Wie in vielen Städten wurden auch in Leipzig trotz der stillschweigenden Abschaffung des Berufsbeamtentums noch längere Zeit entsprechende Privilegien beibehalten, die immer wieder zu Ressentiments der Kommunisten

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II. Verwaltung im SED-Staat

In ihrem Selbstverständnis sollten sich die kommunalen Angestellten fortan als „Funktionäre der Bevölkerung“ fühlen, sie sollten nicht mehr auf Lebenszeit berufen werden, ihre Ausbildung sollte in speziellen Verwaltungsschulen stattfinden und Frauen sowie Jugendliche sollten stärker bei der Vergabe von Stellen berücksichtigt werden. Ferner sollten nominelle NSDAP-Mitglieder nicht mehr prinzipiell von der Verwaltungsarbeit ausgeschlossen werden.33 Wie eine interne Personalstatistik des Rates der Stadt Leipzig von 1947 zeigt, sah die Praxis allerdings noch lange Zeit anders aus. Demnach wurden Angestellte vorrangig auf der Grundlage ihrer fachlichen Qualifikationen eingestellt.34 Dies hing nicht minder damit zusammen, dass das Personalamt der Leipziger Stadtverwaltung noch bis April 1950 von Walter Pientka geleitet wurde. Der ehemalige Sozialdemokrat war bereits vor 1933 in der Leipziger Stadtverwaltung als Beamter tätig gewesen und übernahm nach 1945 unter Stadtrat Hans Weise (SPD) das Personalamt.35 Er trat ehemaligen Beamten nicht mit grundsätzlicher Ablehnung gegenüber, sondern war durchaus bereit, ihnen gute Beurteilungen auszustellen, wenn ihr Sachverstand benötigt wurde. Auch orientierte er sich bei der Ausbildung von Lehrlingen stark an der traditionellen Beamtenausbildung.36 Angesichts der Misserfolge bei der Umsetzung der „Demokratisierung“ setzte die im September 1946 beschlossene neuen Gemeindeverfassung auf erste administrative Maßnahmen. So sollten die Kommunalverwaltungen in ihrer rechtlichen Stellung nun zu reinen Gebietskörperschaften mit Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten herabgestuft werden.37 Rechtskräftig wurde dieser Grundsatz, mit dem zugleich erste Elemente des sowjetischen Rätesystems eingeführt wurden, durch die im Februar 1947 offiziell vom sächsischen Landtag verabschiedete Gemeindeordnung, welche den Landtag als den Kommunen „übergeordnetes Organ“ definierte.38 Als Folge dieser Entwicklung wurde der Handlungsspielraum der kommunalen Akteure zusehends auf die Durchführung von auf höherer Ebene gefällte Beschlüsse begrenzt. Zudem wurden mit den Dezernaten Handel und Versorgung sowie Wirtschaft zwei im Laufe der Zeit immer wichtiger werdende Planungsinstrumente in das Ratskollegium aufgenommen.39 Anfang August 1946 waren zudem die Zuständigkeiten der Kommunen für die Polizei stark beschränkt worden40, seit 1948 unterstand der Polizeipräsident nicht mehr den Kommunen. Mit

33 34 35 36 37 38 39 40

im Personalamt gegen betreffende Personen führten. Vgl. Kurzweg, Parteiherrschaft und Staatsapparat, in: Grohmann (Hrsg.), Bewegte sächsische Region, S. 122. Vgl. Kommunalpolitische Richtlinie der SED (Entwurf nach den Beschlüssen der Kommunalen Konferenz vom 1.7.1946), SächsStAL, 21122, 9, unp. Vgl. Personalbestand 1.1.1947–31.12.1947, StadtAL, StVuR (1), 1377, Bl. 51 f. Vgl. Bericht über die Arbeit des Amtes für Personal und Schulung seit dem 1.12.1949, StadtAL, StVuR (1), 1433, Bl. 187. Vgl. Blaurock, Geplant, S. 30. Dieter Marc Schneider, Kommunalverwaltung und -verfassung, in: Broszat/Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch, S. 297–319, hier S. 305. Vgl. Demokratische Gemeindeverordnung für das Land Sachsen vom 6. Februar 1947, in: Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Sachsen 3, 1947, S. 54–56. Vgl. Hauptsatzung der Stadt Leipzig, S. 2 f. Vgl. Herbert Reinke, „Ordnung, Sicherheit und Hilfe“. Die Anfänge der Volkspolizei in den sächsischen Großstädten Leipzig und Dresden in den Jahren 1945–1947, in: Gerhard Fürmetz /

1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957)

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der Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) am 14. Juni 1947, auf Befehl der SMAD41, wurden die Handlungsmöglichkeiten der Stadtverwaltungen weiter eingeschränkt. Die DWK kontrollierte fortan die Stellen- und Haushaltspläne der Kommunen42, was auch von der SMA immer wieder für spontane Eingriffe genutzt wurde. An einem Leipziger Beispiel vom November 1947 seien die Dimensionen dieser Eingriffe verdeutlicht: „In dem Bestreben, den festgesetzten Überschuß von rd. 30 Mill. RM sicherzustellen, nahm der Vertreter der SMAS bei Durchsprache der einzelnen Kapitel Abstriche bei den Ausgaben und teilweise Erhöhungen der Einnahmen vor, wobei er in der Regel so vorging, daß auch für die weiteren Vierteljahre keine größeren Ausgaben entstehen könnten. Auch die Einnahmen erhöhte er entsprechend dem Istergebnis, andererseits beseitigte er auch in den Einnahmen gewisse Luftposten. Das Ergebnis der Durchsprache, die z. T. sehr bewegt war, weil die Einwendungen der Vertreter der Stadt nicht in genügendem Maße beachtet wurden, war folgendes …“43

Mit Beginn des Kalten Krieges im Jahre 1947 und der damit verbundenen Konzentration der Sowjetunion auf die Konsolidierung ihrer Interessensphäre wurde auch die SED zu einer stalinistischen „Partei neuen Typus“ umgeformt.44 Damit schritt die Aushöhlung der formal noch bestehenden kommunalen Selbstverwaltung weiter voran. Die betraf zunächst das Personal der Verwaltungen. Hatte man bisher versucht, das neue Selbstbild durch Richtlinien vergleichsweise sanft zu popularisieren, sollten nun repressive Maßnahmen diese Funktion übernehmen. Die Innenministerkonferenz (21.–22. April 1948) und die erste Staatspolitische Konferenz der SED (23.–24. Juli 1948), die beide in Werder/Havel tagten, legten den Grundstein hierfür. Dabei konzentrierte man sich vorrangig auf die „Entlarvung feindlicher Elemente“ sowie die Einführung des Prinzips der „Kritik und Selbstkritik“, wodurch auch die letzten bürgerlichen und sozialdemokratischen Reste in den Apparaten beseitigt werden sollten.45 Zugleich wurde damit ein fundamentales Prinzip der marxistischleninistischen Partei auf den Verwaltungsapparat übertragen, das Lenin Anfang des 20. Jahrhunderts bereits als „wirklichen Demokratismus“ bezeichnet hatte.46 Mit der Zentralen Kontrollkommission (ZKK) wurde im Mai 1948 ein neues Organ geschaffen, welches die personelle „Säuberung“ der Verwaltungsapparate unterstützen sollte.47 Zudem war Walter Ulbricht, der im Zuge der institutionellen Reorganisation

41 42 43 44 45 46 47

Herbert Reinke / Klaus Weinhauer (Hrsg.), Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ostund Westdeutschland 1945–1969, Hamburg 2001, S. 54–56. Vgl. Wolfgang Zank, Wirtschaftliche Zentralverwaltungen und Deutsche Wirtschaftskommission (DWK), in: Broszat/Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch, S. 253–291, hier S. 264 f. Vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, S. 384–386. Abschrift über eine Besprechung des Beauftragten der Finanzabteilung der SMAS, G. Trojanow, im Ministerium für Finanzen in Dresden, Betreff: Haushaltsplan der Stadt Leipzig 1947/48, 28.11.1947, StadtAL, StVuR (1), 14607, Bl. 37. Vgl. Malycha, Die SED, S. 291. Vgl. Detlev Brunner, Der Schein der Souveränität. Landesregierung und Besatzungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern 1945–1949, Köln etc. 2006, S. 65–67. Vgl. Lenin, Was tun?, in: Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 484. Vgl. Henning Mielke, Die Auflösung der Länder in der SBZ, DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistisch-zentralistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945– 1952, Stuttgart 1995, S. 47 f.

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II. Verwaltung im SED-Staat

der SED das neben dem neuen Politbüro bestehende kleine Sekretariat übernommen hatte, künftig persönlich für Fragen der Organisation, staatlichen und kommunalen Verwaltung sowie Wirtschaft verantwortlich, worunter auch die unmittelbare Anleitung der Ministerpräsidenten und Innenminister fiel.48 Obgleich sich diese Maßnahmen zunächst auf die Landesverwaltungen bezogen, hatten sie zugleich Auswirkungen auf die Kommunen. Dort setzte man ebenso auf eine repressive Personalpolitik, den Aufbau neuer machtsichernder Institutionen und die Aushöhlung kommunaler Kompetenzen, vornehmlich im wirtschaftlichen Bereich. Zur Durchführung personalpolitischer Maßnahmen hatte der Leipziger SEDKreisvorstand Ende Juni 1948 mit dem Ausbau von Parteistrukturen im Rat der Stadt begonnen. Demnach mussten für alle Ressorts SED-Betriebsgruppen gebildet werden, deren 1. Sekretäre als Bindeglieder zwischen Ressort- und Parteiarbeit sowie der Personalabteilung agierten. Zudem sollten sie die Fraktionssitzungen der Stadträte und der Stadtverordnetenversammlung überwachen.49 Weiterhin beschloss das Sekretariat des SED-Kreisvorstandes kurz nach der Staatspolitischen Konferenz, dass Ratsversammlungen künftig nur noch stattfinden durften, nachdem deren Inhalt zuvor mit der SED-Betriebsgruppe besprochenen worden war. Erich Zeigner erreichten diese Beschlüsse nur noch auf dem Postweg, was deutlich macht, wie sehr dessen Status bereits an Legitimation verloren hatte.50 Im Zuge der Säuberungsaktionen verstärkten sich die personellen Probleme in der Stadtverwaltung jedoch mehr, als sie sich zugunsten des SED­Einflusses auflösten. Bereits am 9. November 1948 wies Zeigner seinen ehemals sozialdemokratischen Parteigenossen, den Leiter der Abteilung Kommunalpolitik im SED-Landesvorstand Sachsen, Oskar Edel51, auf die „schwierige Lage“ in der Leipziger Stadtverordnetenfraktion hin, welche durch den Verlust von „erfahrenen und leistungsfähigen Mitgliedern“ eingetreten sei. Den neuen Stadtverordneten mangele es dagegen an Systematik sowie an „Sitz, Bosheit und Schlagfertigkeit“.52 Daneben wurden besonders politisch „makellose“ und sachkundige Ratsmitglieder, wie Oswald Bauer (Leiter des Ernährungsamtes), Helmut Holtzhauer (Bürgermeister für Wirtschaft), Karl Gelbke (Stadtrat für Gesundheitswesen) oder Kurt Wagner (Polizeipräsident), nach und nach in die sächsische Landesregierung abberufen. Parallel wurden bürgerliche und vormals sozialdemokratische Ratsmitglieder zur Flucht gedrängt; so zum Beispiel Ernst Eichelbaum (Bürgermeister für Sozialfürsorge), Johannes Sachse (Bürgermeister für Handel und Versorgung) und Walter Hlawaczek (Leiter des Dezernates Wohnungs­ und Grundstückswesen). Zeigner wurde immer häufiger genötigt, vor48 49 50 51

52

Vgl. Malycha, Die SED, S. 308–311. Beschluß zum organisatorischen Aufbau der SED-Betriebsgruppen bei der Stadtverwaltung, 28.6.1948, StadtAL, NL Zeigner, 2038, Bl. 15. Vgl. Beschluß des SED-Kreisvorstandes vom 3.8.1948, Ebd., Bl. 57. Oskar Edel (1892–1958), Buchdrucker, 1908 SPD, 1922 Mitglied des sächsischen Landtages (SPD), 1933–45 Emigration nach Schweden und illegale Tätigkeit, 1945 SPD/SED, 1947–51 Leiter der Abteilung Kommunalpolitik beim SED-Landesvorstand Sachsen, 1951–52 Abteilungsleiter im sächsischen Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, 1952–55 Abgeordneter im Bezirkstag Dresden. Vgl. Art. ‚Oskar Edel‘, in: Broszat/Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch, S. 892. Vgl. Erich Zeigner an Oskar Edel, 9.11.1948, StadtAL, NL Zeigner, 2037, Bl. 2.

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handenes Personal adäquat umzusetzen, wobei er mitunter zusätzlich Dezernate selbst kommissarisch übernahm.53 Mit der Kampagne gegen den „Volkshauskreis“ innerhalb der Leipziger SED 195054 erreichte die personelle Säuberung ihren Höhepunkt. In diesem Zusammenhang kam es im Frühjahr 1951 zu einer „Sonderprüfung“ von Angestellten in Wirtschaft und Verwaltung durch Grundkommissionen der SED-Stadtleitung, bei der nicht nur „Schumacher-Leute“, „kleinbürgerliche Elemente“ und „politische Zurückweichler“ gemaßregelt bzw. für unbrauchbar befunden wurden, sondern es erneut zu massiven Konflikten zwischen der Stadtverwaltung und den zur Überprüfung abgestellten Grundkommissionen kam.55 Letztere entschieden ausschließlich nach Kriterien der „politischen Standhaftigkeit“, die Instrukteure neigten eher dazu, die Funktionsfähigkeit der Stadtverwaltung im Blick zu behalten. So beurteilte die Grundkommission etwa den Dezernenten für Finanzen, Helmut Daute56, als „nicht überzeugend“, während er im Rat der Stadt, obgleich er aus bürgerlichen Verhältnissen stammte, wegen seiner Sachkenntnis ein hohes Ansehen genoss und sowohl 1949 als auch 1950 als „Neuerer der Verwaltung“ ausgezeichnet worden war.57 Im Falle einer leitenden Mitarbeiterin entschied die Grundkommission, sie wegen „Interesselosigkeit“ vom Mitglieder- in den Kandidatenstand der SED zurück zu versetzen, womit ihr Ausscheiden aus der Funktion im Staatsapparat verbunden gewesen wäre. Auch dies veranlasste einen Instrukteur der Verwaltung, die Urteilskraft der Grundkommission in Zweifel zu ziehen und die Betriebsgruppe der SED für die „Mängel“ der Genossin verantwortlich zu machen. Im November 1951 wurden schließlich auch die Personalsachbearbeiter der Dezernate sämtlich der Personalabteilung unterstellt, die nach der Ablösung Walter Pientkas an Kurt Hutschenreuter (vormals KPD)58 übergegangen 53 54 55 56

57

58

Vgl. Erich Zeigner an Oskar Edel, 29.1.1949, Ebd., Bl. 8. Vgl. Malycha, Die SED, S. 383–389. Vgl. SED-Kreisleitung, Kreiskommission, Sonderprüfung leitender Genossen der Wirtschaft u. Verwaltung, 14.4.1951, SAPMO-BArch, DY 30/IV/2/11/165, Bl. 381–383. Helmut Daute (geb. 1912), erlernter Beruf: Textilkaufmann, 1946 Mitglied der SED, bereits vor 1952 Dezernatsleiter Finanzen des Rates der Stadt Leipzig, 1957 Fachschul-Fernstudium zum Finanzwirtschaftler, 1961–1962 Fernstudium zum Diplom-Ökonomen, bis 1965 Mitglied des Rates der Stadt Leipzig für Finanzen, seit 1965 Hauptbuchhalter HO Kreisbetrieb Kondi. Vgl. BPO Rat der Stadt Leipzig, Sekretariats-Vorlage, 25.2.1953, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp.; Kaderberichte 1959–1965, StadtAL, StVuR, 17312. Zur Beurteilung Helmut Dautes durch den Rat der Stadt vgl. SED-Betriebsgruppe Rat der Stadt Leipzig, Sekretariatsvorlage, 25.2.1953, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp.; Aufstellung der beim Rat der Stadt Leipzig beschäftigten Neuerer der Verwaltung, o. D., StadtAL, StVuR (1), 3583, Bl. 121. Kurt Erich Hutschenreuter (1904–1962), geb in Plauen, 8. Klasse Bürgerschule, 3 Klassen Fachschule Plauen, 1919–1922 Lehre zum Kontoristen, 1922 Mitglied der SAJ, Mitglied der Jungsozialisten, 1925 Mitglied der SPD und des Zentralverbandes der Angestellten, weitere Mitgliedschaften: RGO, Fichte-Wandersparte, 1925–1927 Tätigkeit beim Stadtbauamt und Arbeitsamt Plauen, 1926 Kirchenaustritt, 1927 vier Monate Heimvolksschule, 1928 Mitglied der KPD und Teilnahme an der Auseinandersetzung zwischen KPD und KPO, 1928–1933 Kanzleileitung der Schwerbeschädigtenfürsorge der Kreishauptmannschaft Leipzig, 1934 Mitglied der Bezirksleitung der KPD Westsachsen, 1934–1945 Zuchthaus Waldheim und KZ Sachsenhausen, Ende

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II. Verwaltung im SED-Staat

war.59 Die SED­Betriebsgruppe, welche ihren Einfluss auf die Personalabteilung zusehends erhöhte, organisierte auch die politisch-ideologische Schulung der neuen, zumeist ohne Vorbildung rekrutierten Mitarbeiter der Stadtverwaltung. In vorwiegend einwöchigen Lehrgängen der Verwaltungsschulheime Wasewitz und Buchheim wurde den Angestellten „in 2–3 Referaten […] allgemein politisches Wissen mit dem Ziele vermittelt, dem Verwaltungsangestellten die gesellschaftlichen Zusammenhänge bewußt zu machen.“60 Eine Fachausbildung war dagegen weniger wichtig geworden. Zur Qualitätskontrolle entsandte die SED-Betriebsgruppe immer wieder „Obleute“ und Instrukteure in die Kurse. Zudem achtete man darauf, nur „unsere stärksten Genossen“ oder „bürgerliche Referenten“ für die Schulung einzusetzen, die das nötige Feingefühl besaßen.61 Gegen Ende der 1940er Jahre verlagerte sich die politische Ausbildung zunehmend auf neu eingerichtete Verwaltungsgrund- und Landesverwaltungsschulen (für Leipzig vor allem Großsteinberg), die längerfristige Kurse (Viertel- und Halbjahreslehrgänge) anboten. Einzelne leitende Kader wurden ferner an die Deutsche Verwaltungsakademie „Walter Ulbricht“ delegiert. Erste, aber entscheidende institutionelle Veränderungen wurden nach den Tagungen in Werder im Dezernat des Oberbürgermeisters vorgenommen, in das unter anderem das Hauptverwaltungsamt (frühere Stadtkanzlei), das Nachrichten- und Verkehrsamt sowie das Personalamt eingegliedert waren.62 Im Verlauf des Jahres 1949 wurden sämtliche Geschäftsbereiche, die mit der inneren Verwaltung der Ratsangelegenheiten betraut waren, in einem neuen Dezernat Innere Verwaltung zusammengefasst, für das ein viertes Bürgermeisteramt geschaffen wurde, welches Fritz Austel (vormals KPD) übernahm. Daneben wurde ein Teil der Aufgaben des Hauptverwaltungsamtes, insbesondere die Posthauptstelle, die Ratsbücherei, das Stadtarchiv und die Sachbearbeitung für den Gesamtrat, in einem im Mai 1949 geschaffenen Zentralamt zusammengefasst, für das wiederum der Oberbürgermeister zuständig war.63 Das neugeschaffene Dezernat Innere Verwaltung umfasste dagegen, neben dem reduzierten Hauptverwaltungsamt, das Amt für Personal und Schu-

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April 1945 „Freiwilligenmeldung“ bei der SS, 1945 Mitglied der KPD/SED, 1945–1949 stellvertretender Leiter des Personalamtes im Rat der Stadt Leipzig, 1949–1953 Hauptabteilungsleiter Kader im Kommunalwirtschaftsunternehmen Leipzig, 1953–1954 Vorsitzender der Konsumgenossenschaft Leipzig, 1954 Parteistrafe wegen Verschweigens der angeblichen Zugehörigkeit zur „Sondereinheit Dirlewanger“ (SS), 1955–1956 Stadtbezirksbürgermeister im Stadtbezirk 2 Leipzig, 1957–1961 Stadtbezirksbürgermeister Leipzig-Mitte, 1961–1962 Stadtrat für Inneres des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. SächsStAL, 21699, 201 (Kaderakte Kurt Ernst Hutschenreuter). Vgl. Protokoll über eine Besprechung mit den Dezernenten und Dezernatsleitern unter Leitung des Bürgermeisters Leopold in Anwesenheit der Org.-Instrukteure über die von der Überprüfungskommission aufgestellten Struktur- und Stellenpläne und deren Mängel am 15.11.1951, StadtAL, StVuR (1), 1463, Bl. 24. Bericht über die Arbeit des Amtes für Personal und Schulung seit dem 1.12.1949, StadtAL, StVuR (1), 1433, Bl. 187. Vgl. Ebd., Bl. 187–190. Vgl. Organisationsplan der Stadtverwaltung Leipzig, 15.10.1948, StadtAL, NL Zeigner, 1870, Bl. 1. Vgl. Organisationsamt, Beschluß zur Überleitung von Aufgaben an das neu geschaffene Zentralamt, 16.5.1949, StadtAL, StVuR (1), 1643, Bl. 2.

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lung, das Ermittlungs- und Vollzugsamt, das Standesamt, das Beschaffungsamt sowie eine Abwicklungsstelle (zur Überführung enteigneter Betriebe in das „Volkseigentum“) und das Organisationsamt als zwei völlig neue, eigenständige Abteilungen.64 Vor allem letzteres hatte neben dem Personalamt für die Durchsetzung des SED­Einflusses eine herausragende Bedeutung. Zwar gab es bereits vor 1949 ein Organisationsamt, welches Koordinierungsaufgaben gegenüber den acht Verwaltungsbezirken der Stadt wahrnahm, durch die Herauslösung aus dem Hauptverwaltungsamt erfuhr die Behörde aber eine generelle Neubestimmung. Orientiert an den im Sommer 1949 in den SED-Apparaten geschaffenen Organisations-InstrukteurAbteilungen, sollte sie nun die Kontrolle des gesamten Apparates übernehmen.65 In der Leipziger Stadtverwaltung bildete das Organisationsamt im Dezernat Innere Verwaltung bereits Mitte Mai 1949 die mit Abstand personalstärkste Abteilung, in der überwiegend Arbeiter beschäftigt waren.66 Mit einem internen Beschluss über die „kommunalpolitischen Aufgaben für das Jahr 1950“ wies die SED-Führung den Organisationsämtern noch einmal explizit die Aufgabe der „direkten Anleitung der Gemeindeverwaltungen bei der Durchführung der Gesetze und Verordnungen“ zu.67 Neben der SED-Betriebsgruppe und dem Personalamt war das Organisationsamt nun verantwortlich für sämtliche Strukturmaßnahmen, die Einführung „fortschrittlicher Arbeitsmethoden“, die Überprüfung der Verwaltungsangestellten und die Bearbeitung der Struktur- und Stellenpläne.68 Auch die seit 1948 forcierte Etablierung der zentralen Planwirtschaft69 hatte unmittelbare Auswirkungen auf den Handlungsspielraum der Kommunalverwaltung. Um künftig auch die kommunalen Betriebe einheitlich durch die DWK anleiten zu können, wurden diese per Beschluss vom 15. Dezember 1948 in Kommunalwirtschaftsunternehmen (KWU) zusammengefasst.70 Diese stellten zugleich eine Schnittstelle zwischen der DWK und der Stadtverwaltung dar. So saßen auch der Oberbürgermeister und drei weitere Ratsmitglieder im Verwaltungsrat der KWU. Die Auswirkung der KWU vor Ort bilanzierend, konnten diese im Falle der Stadt Leipzig aber bald nur noch feststellen, dass die Betriebe allmählich den Blick für die „öffentlichen Belange“ verloren.71 Im Vorfeld des ersten Fünfjahrplanes (1951–55) 64 65 66

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Vgl. Zusammenstellung des Dez. Innere Verwaltung (Stand 15.5.1949), StadtAL, StVuR (1), 1695, Bl. 34. Vgl. Friederike Sattler, Wirtschaftsordnung im Übergang. Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945–52, Bd. 2, Münster etc. 2002, S. 781–783. Das Hauptverwaltungsamt beschäftigte 170 Angestellte und 6 Arbeiter, das Organisationsamt hingegen 22 Angestellte und 140 Arbeiter. In allen anderen Fachbereichen spielten Arbeiter keine größere Rolle. Vgl. Zusammenstellung des Dez. Innere Verwaltung (Stand 15.5.1949), StadtAL, StVuR (1), 1695, Bl. 34. Vgl. Entschließung des Parteivorstandes der SED über die kommunalpolitischen Aufgaben für das Jahr 1950, o. D., SAPMO-BArch, NY 4239, vorl. 4, unp. Vgl. Struktur- und Stellenplan für das Organisationsamt (Org.-Instrukteur-Abteilung), [Juni/ Juli 1950], StadtAL, StVuR (1), 1695, Bl. 105–106. Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 53. Vgl. Verordnung über die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden und Kreise (Kommunalwirtschaftsverordnung) vom 15.12.1948, in: Zentralverordnungsblatt 1948, S. 558–560. Max Opitz an Willi Barth, 22.12.1950, StadtAL, StVuR (1), 12361, Bl. 1–3.

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II. Verwaltung im SED-Staat

wurden die KWU wieder aufgelöst. Durch Übertragung der Rechtsträgerschaft und Bildung einer Abteilung Örtliche Industrie beim Dezernat Industrie und Verkehr erhielt die Stadtverwaltung wieder stärkeren Einfluss auf die Bilanzierung und Haushaltspläne der kommunalen Betriebe.72 Die neue Abteilung zeichnete nun für 13 ehemalige KWU-Betriebe mit 3.819 Beschäftigten, außerdem 10 ehemals landesgeleitete Produktionsbetriebe sowie weitere 18 Betriebe des Dienstleistungsbereichs mit 1.727 Beschäftigten verantwortlich. Die Versorgungs- und Verkehrsbetriebe wurden dagegen dem Dezernat für Industrie und Verkehr direkt unterstellt. Dennoch blieb der faktische Einfluss der Stadtverwaltung auf diese wegen der seit 1950 zentral geregelten Finanz- und Materialzuweisung erheblich begrenzt.73 Der bereits weitgehend entmachtete, von Krankheit gezeichnete und durch die Folgen der Personalsäuberungen überlastete Erich Zeigner verstarb am 5. April 1949. Mit der Berufung seiner Nachfolger Max Opitz (1949–1951) und Erich Uhlich (1951–1959) endete freilich nicht die Ära der kommunalen Selbstverwaltung in Leipzig, sondern diese Personalien stellten vielmehr nur einen Teil in diesem „Demokratisierungsprozess“ dar. Beide repräsentierten den seit 1948 verstärkt propagierten neuen Funktionärstypus, der kaum über berufliche Fachkenntnisse verfügte, sondern sich vorwiegend auf dem Parteiweg qualifiziert hatte. Opitz (1890–1982) entstammte dem erzgebirgischen Arbeitermilieu, hatte eine Lehre als Tischler absolviert und während der Weimarer Republik verschiedene Leitungsfunktionen in KPD-Ortsgruppen übernommen sowie ein Reichstagsmandat erlangt (aufgrund der Machtübernahme Hitlers aber nicht angetreten). Die Zeit des Nationalsozialismus hatte Opitz deshalb großenteils in politischer Haft und im Konzentrationslager verbracht. 1945 wurde er zum Dresdner Polizeichef ernannt.74 Für Opitz’ Ernennung zum Leipziger Oberbürgermeister sprachen vor allem seine als Polizeichef errungenen Erfolge bei der Entnazifizierung der Dresdner Stadtverwaltung, aber auch seine in der Landeshauptstadt gesammelten Erfahrungen bei der bereits 1945 erfolgten Gebietsreform. Beide Qualifikationen brachte er unmittelbar in den Prozess der Umformung der Leipziger Kommunalverwaltung ein.75 Ähnlich wie 1946 initiierte die SED auch in Vorbereitung der Volkswahlen im Herbst 1950, die erstmals mittels Einheitsliste durchgeführt werden sollten, eine erneute „Demokratisierungskampagne“, bei der die Kommunalverwaltungen wiederum eine Schlüsselstellung erhielten. Durch „Dezentralisierung“ der Gemeindeverwaltungen sollten letztere stärker als bisher mit der Basis verbunden werden.76 Das Gebiet der Stadt Leipzig sollte demgemäß in 33 Bezirksverwaltungen eingeteilt 72 73 74 75 76

Vgl. Verordnung über die Organisation der volkseigenen örtlichen Industrie und der kommunalen Einrichtungen vom 28.2.1951, in: Gesetzblatt der DDR 1951, S. 143 f. Vgl. Bericht über die Reorganisation der örtlichen Industrie, 9.5.1951, StadtAL, StVuR (1), 12363, Bl. 9–17. Vgl. Karin Kühling / Doris Mundus, Leipzigs regierende Bürgermeister vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Eine Übersichtsdarstellung mit biographischen Skizzen, Beucha 2000, S. 75. Vgl. Max Opitz an den Rat und die Stadtverordneten der Stadt Leipzig, Einige Bemerkungen zur Ratsvorlage über die Reorganisation der Stadtverwaltung Leipzigs, 23.1.1950, StadtAL, StVuR (1), 1457, Bl. 2. Vgl. Entschließung des Parteivorstandes der SED über die kommunalpolitischen Aufgaben für das Jahr 1950, o. D., SAPMO-BArch, NY 4239, vorl. 4, unp.

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werden.77 Allerdings verfolgte Opitz damit nicht primär das von der SED-Führung verfolgte Ziel der Massenmobilisierung, sondern erhoffte sich in erster Linie einen Rationalisierungseffekt in der Verwaltung. Seine Pläne sahen vor, den Verwaltungsbezirken tatsächliche administrative Entscheidungskompetenzen zuzuweisen und die ehrenamtliche Arbeit auf Hilfsdienste zu beschränken. Diese Absichten erhielten jedoch einen empfindlichen Dämpfer. Anton Plenikowski, Sekretär für Staat und Recht beim ZK der SED, musste Opitz sogar persönlich in seine Schranken weisen, da er befürchtete, dass die Pläne des Leipziger Oberbürgermeisters zur Bildung von eigenständigen Gemeinden in der Großstadt führen und die Durchsetzungskraft des Rates der Stadt begrenzen würden.78 Das am Ende nach den Vorstellungen der SED-Führung „dezentralisierte“ Verwaltungssystem, nach dem jedem Verwaltungsbezirk je Ressort nur ein Sachbearbeiter vorstand, entwickelte sich aber bald zu einer schwerfälligen und wenig flexiblen bürokratischen Organisation. Einerseits fehlte es an jeglicher Zusammenarbeit der Sachbearbeiter, andererseits erwiesen sich die Bezirksbehörden in personeller Hinsicht als instabil, da die Arbeit schon bei Abwesenheit eines Sachbearbeiters zum Stillstand kam.79 Die zunehmende Instrumentalisierung der Kommunalverwaltungen für die Massenmobilisierung – ein Begriff, der das bisher lancierte Konzept der „Demokratisierung“ zunehmend mit wirtschaftspolitischen Zielen (Ausschöpfung der örtlichen Ressourcen) verknüpfte – sollte ferner durch die Einführung neuer Kommunikationsmethoden verstärkt werden. Parallel zur „Dezentralisierungskampagne“ der SED-Führung veranlasste die sächsische Landesregierung im Frühjahr 1950 eine „Berichterstattungskampagne“. Die damit beabsichtigte regelmäßige öffentliche Berichterstattung sollte einerseits der Kontrolle der Arbeitsergebnisse der Verwaltung durch die Bevölkerung und andererseits der Aktivierung der „Massen“ zur Mitarbeit am „Aufbau des Sozialismus“ dienen.80 Hierzu sollte der Rat der Stadt „Berichterstattungsversammlungen“ organisieren und durchführen. Inhaltlich sollten diese immer von der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung, in der wir leben und für die wir arbeiten“, ausgehen und den Nachweis erbringen, wie erfolgreich die lokalen Organe die Gesetze und Verordnungen der DDR-Regierung als „Hauptstützen“ im Kampf um die Festigung der Ordnung umgesetzt hatten. „Reaktionäre und korrupte Elemente“ im Verwaltungsapparat waren, wenn immer möglich, öffentlich zu entlarven.81 Die „Berichterstattungsversammlungen“ stellten damit eine Vorstufe der 1952 verbindlich eingeführten Rechenschaftspflicht der Ratsmitglieder gegenüber den Stadtverordneten dar. 77 78 79 80 81

Vgl. Kapitel I. 5. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Bürgermeister Ehrlich (Dezernat Inneres) an Max Opitz, Reorganisation der Verwaltungsbezirke, 27.2.1950, StadtAL, StVuR (1), 1457, Bl. 5. Vgl. Bericht über die Überprüfung der Abt. Wohn- und Gewerberäume beim Rat des Stadtkreises Leipzig, September 1951, StadtAL, StVuR (1), 2064, Bl. 83–85. Vgl. Landesregierung Sachsen, Ministerium des Innern, I. Hauptabteilung an die Stadt- und Landkreise, Berichterstattungen, 2.3.1950, StadtAL, StVuR (1), 1458, Bl. 221. Vgl. Landesregierung Sachsen, Ministerium des Innern, I. Hauptabteilung an die Stadt- und Landkreise, Anleitung für die Durchführung der Berichterstattungskampagne, 7.3.1950, Ebd., Bl. 222.

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II. Verwaltung im SED-Staat

Bereits im Oktober 1951 wurde Max Opitz zum Chef der Präsidialkanzlei und Staatssekretär ernannt.82 Als Oberbürgermeister blieb Opitz, der von den Stadtverordneten noch nach dem Verhältniswahlrecht mit nur einer knappen Mehrheit gewählt worden war83, allerdings ein eher farbloser Bürokrat. Ob dies für die Personalentscheidung eine Rolle gespielt hat, lässt sich aus den Quellen nicht ermitteln. Sein Nachfolger Uhlich (1915–2007) allerdings bestach durch agitatorische Fähigkeiten. Gleichwohl standen dem seine wiederholt aktenkundig gewordene Unbeherrschtheit gegenüber den Verwaltungsangestellten sowie eine offensichtliche Überforderung in der Verwaltungsarbeit gegenüber.84 Anders als Opitz hatte der gelernte Buchdrucker Uhlich bei seiner Ernennung zum Oberbürgermeister jedoch bereits praktische Erfahrungen in der Verwaltungsarbeit als stellvertretender Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Rabenstein bei Chemnitz (1945–1947) sammeln können.85 Der Transformationsprozess der Kommunalverwaltungen von lokalen Verwaltungsorganen hin zu Instrumenten der Massenmobilisierung wurde schließlich durch das am 15. Dezember 1950 verabschiedete Haushaltsgesetz der DDR abgerundet, welches den Kommunen die Finanzhoheit endgültig entzog.86 Die Stellenpläne wurden fortan ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten von den Landesregierungen diktiert.87 Im Hinblick auf die Volkswahlen am 15. Oktober 1950, deren 82

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Vgl. Manfred Bensing, Führende Kraft des demokratischen Neuaufbaus. Über die Formierung und beschleunigte Entwicklung der SED als marxistisch-leninistische Partei im Ringen um die antifaschistisch–demokratische Umwälzung und die Macht der Arbeiterklasse im Bezirk Leipzig 1946 bis 1949. Mit Fotos und Dokumenten, Leipzig 1985, S. 227. Vgl. Höpel, „Die Kunst dem Volke“, S. 28. Vgl. Beurteilung des Genossen Erich Uhlich, 3.6.1953, StadtAL, StVuR (1), 1596, Nr. 2 f. Vgl. Erich Uhlich (1915–2007), geb. in Rabenstein, Besuch der Volksschule, 1922–1933 Mitglied im Arbeiterturnverein, 1925–1930 Mitglied der Kinderfreunde in Rabenstein, 1930 Mitglied der SAJ (1930–1933 Schriftführer), 1930–1933 Mitglied im Buchdruckerverband Chemnitz, 1930–1934 Lehre zum Buchdrucker bei „Paul Schreyer“ Chemnitz, 1934–1941 Arbeit als Buchdrucker ebd., 1933–1945 Mitglied der DAF, 1937–1945 Mitglied der NSV, 1941–1945 Wehrmacht, 1945 Mitglied der SPD/SED, 1945–1947 Verwaltungsangestellter und stellvertretender Bürgermeister im Gemeinderat Rabenstein, 1946–1947 Organisationsleiter der SED Rebenstein, 1947–1948 kommunalpolitischer Sachbearbeiter der SED-Kreisleitung Chemnitz und Besuch der Parteihochschule der SED, 1948–1951 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Chemnitz, 1950–1951 Stadtverordneter in Chemnitz, parallel Ernennung zum Direktor des Instituts für Kommunalwirtschaft Dresden, 1951–1959 Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, 1952–1954 Abgeordneter des Bezirkstags Leipzig, 1954–1968 Abgeordneter der Volkskammer der DDR (Mitglied des Rechtsausschusses), nach 1959 Direktor des Instituts für Kommunalwirtschaft Dresden. Vgl. Beurteilung Erich Uhlich, 3.6.1953, StadtAL, StVuR (1), 1596, Bl. 2 f.; Kühling/Mundus, Leipzigs regierende Bürgermeister, S. 76. Den untergeordneten Ebenen verblieben lediglich etwa 26 Prozent der ohnehin geringeren Steuereinnahmen sowie Zuweisungen aus dem Finanzausgleich. Vgl. Frank Zschaler, Die Entwicklung einer zentralen Finanzverwaltung in der SBZ/DDR 1945–1949/50, in: Hartmut Mehringer (Hrsg.), Von der SBZ zur DDR. Studien zum Herrschaftssystem in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik, München 1995, S. 97–138, hier S. 125 f. Vgl. Protokoll über die Abschlußbesprechung der Org.-Instrukteure des MdI des Landes Sachsen mit der Stadtverwaltung Leipzig am 15.2.1952, StadtAL, StVuR (1), 1463, Bl. 37–48.

1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957)

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Durchführung wiederum von verstärkter Repression begleitet war88, verlegte man ein entsprechendes Gesetz aber auf die Zeit danach. Dabei fürchtete man weniger die Reaktionen der Bevölkerung, sondern vielmehr die der lokalen Funktionäre. So hatte die SED-Führung bereits im Juni 1950 ein Signal zum Abbau des „Bürokratismus“ setzen wollen und die Gehälter der Bürgermeister sowie Landräte teils um die Hälfte gekürzt. Ein darauf reagierendes Protestschreiben des Chemnitzer Oberbürgermeisters, Max Müller, an Wilhelm Pieck macht indes deutlich, welch schwerwiegende Folgen dies für die Herrschaftssicherung der SED hatte. Nicht nur, dass sich die betroffenen Funktionäre gegenüber Neulehrern, Volkspolizisten und Betriebsleitern als „sozialistische Aschenbrödel“ empfanden, sie riefen die Bevölkerung sogar offen zum Boykott der Volkswahlen auf. Müller forderte Pieck daher eindringlich auf, zumindest bis zu den Wahlen die alten Gehälter zu zahlen, da ohne die lokalen Staatsfunktionäre kein „Wahlkampf“ zu führen war.89 Von einer stabilen kommunalen Basis war die SED trotz der zahlreichen Maßnahmen zur Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. 1.2 Konsolidierung? Das sowjetische Vorbild und die Bildung des „lokalen Staatsorgans“ (1952–1957) Die Jahre zwischen 1948 und 1952 waren für die SED-Führung eine höchst unsichere Zeit. Im zentralen Parteiapparat nahm man die fehlende Legitimation an der Basis deutlich wahr. Wenige Tage vor der Gründung der DDR wurden Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht im Parteivorstand der SED immer häufiger dazu gedrängt, die Souveränität des Staates durch eine eigenständige Verwaltungsstruktur zu untermauern.90 In dieser Hinsicht waren der SED-Führung aus außenpolitischen Gründen aber die Hände gebunden. Jeder Schritt musste minutiös mit Stalin abgestimmt werden, da er die DDR als essentiellen Bestandteil des sowjetischen Sicherheitsgürtels an der Westgrenze betrachtete und deshalb zunächst auf eine bedachte Integration der bürgerlichen Kräfte in der DDR setzte.91 So warnte Stalin die SED-Führung im April 1952 noch nach der Ablehnung der ersten sogenannten Stalin-Note durch den Westen92 eindringlich, „lauthals vom Sozialismus 88 89 90

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Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 173 f. Vgl. Max Müller an Wilhelm Pieck, 7.6.1950, BArch, DC 20/3032, Bl. 25 f. Vgl. Protokoll der Beratung des SED-Parteivorstandes am 4. Oktober 1949, in: Siegfried Suckut, Die Entscheidung zur Gründung der DDR. Die Protokolle der Beratungen des SEDParteivorstandes am 4. und 9. Oktober 1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 39, 1991, Heft 1, S. 166. Eine ähnliche Haltung nahm Stalin wenige Jahre zuvor gegenüber China an der Ostgrenze der sowjetischen Hemisphäre ein. Vgl. Odd Arne Westad, The Global Cold War: Third world interventions and the making of our times, Cambridge 2007, S. 65. Die Erwartungen, die Stalin an seine Noten knüpfte, sind in der Forschung noch immer stark umstritten. Ältere Forschungen interpretieren sie als „ernst gemeintes Angebot“ für einen gesamtdeutschen Staat, andere erkennen darin lediglich ein „Propagandaunternehmen“ Moskaus. Russische Studien wiederum kommen zu dem Urteil, dass der eigentliche Adressat der StalinNoten die SED-Führung gewesen sei, die es in ihrem Drang den Sozialismus durchzusetzen zu

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II. Verwaltung im SED-Staat

zu reden“. Stattdessen sollte sie die militärische Abschirmung der DDR vor „feindlichen Kräften“ sicherstellen. Selbst ein Seitenhieb Walter Ulbrichts, dass „wir […] die in der DDR entstandenen gesellschaftlichen Beziehungen ein wenig maskiert“ haben, machte kaum Eindruck auf Stalin.93 Die bürgerlichen Kräfte blieben der SED gegenüber aber zutiefst misstrauisch. Vor allem die CDU und LDPD sahen die Dominanz der SED noch lange Zeit als kurzzeitige Episode an. Die von der SED eher widerwillig propagierte gesamtdeutsche Lösung der Sowjetunion und das in der DDR-Verfassung von 1949 verankerte Verhältniswahlrecht schienen sie in dieser Position zu bestärken.94 Gleichwohl blieb Wilhelm Pieck im Hinblick auf Stalin kaum etwas anderes übrig, als die Genossen immer wieder aufs Neue von der deutschlandpolitischen Linie des Sowjetführers als vordringliches Ziel der SED zu überzeugen und allenfalls vage Überlegungen über eine zukünftige Verwaltungsstruktur zu formulieren. Die Gespräche zwischen der Parteiführung und Stalin nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 konzentrierten sich deshalb zunächst auf die Ausgestaltung der zentralen Wirtschafts- und Sicherheits- bzw. Militärorgane, an die Landes- und Kommunalverwaltungen war noch nicht zu denken. Bezeichnenderweise bat Ulbricht Stalin noch Anfang April 1952 um die Erkundung der Arbeitsmethoden des sowjetischen Partei- und Staatsapparates, um die „Hauptprobleme“ der aus der Weimarer Republik „übernommenen“ Verwaltung zu beseitigen.95 Dass der Übernahme des sowjetischen Modells keine umfänglichen Wissenstransfer aus der Sowjetunion vorangegangen war, sondern es eher um die Erlangung sowjetischer Unterstützung zur Beseitigung eigener spezifischer Probleme ging, zeigt sich darin, dass die SED-Führung bereits wenige Tage nach den Gesprächen mit Stalin im April intern beschlossen hatte, das Gebiet der DDR unter formaler Beibehaltung der Länder in 14 Bezirke aufzugliedern. Den Interessen der Sowjetunion lief dies nicht zuwider, da man der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) zusicherte, dass es sich hierbei um ein vorrangig militärstrategisches Vorhaben handelte.96 Die SED aber konzentrierte sich bei der anstehenden Verwaltungsreform vor allem auf die planwirtschaftlich wichtigen Bereiche mit dem Ziel, die Kommunikationskosten nach unten zu verringern. Insbesondere die Bodenreform und der Aufbau der Schwerindustrie hatten nicht zu den erhofften Erfolgen ge-

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94

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zügeln galt. Vgl. dazu Bernd Bonwetsch, Die Stalin-Note – kein Ende der Debatte, in: Jahrbuch für Kommunismusforschung 14, 2008, S. 106–113; Gerhard Wettig, Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen, Berlin 2015. Vgl. Gespräch zwischen Stalin und führenden Vertretern der SED am 7. April 1952, in: Elke Scherstjanoi / Rolf Semmelmann, Gespräche Stalins (Teil 2), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52, 2004, S. 241, 265; Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 186. Vgl. Siegfried Suckut, Innenpolitische Aspekte der DDR-Gründung. Konzeptionelle Differenzen, Legitimations- und Akzeptanzprobleme, in: Elke Scherstjanoi (Hrsg.), „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll des Kolloquiums „Die Gründung der DDR“, September 1991, Berlin 1993, S. 84–101. Vgl. Gespräch zwischen Stalin und führenden Vertretern der SED am 1. April 1952, in: Scherstjanoi/Semmelmann, Gespräche Stalins (Teil 2), S. 253–260. Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 54.

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führt97, sodass bereits vor dem II. Parteitag im Juli 1952 die Ausdifferenzierung der Industrieministerien betrieben und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft beschlossen worden war.98 Durch den Aufbau regionaler Mittelinstanzen sollten die damit verbundenen Intensivierungsmaßnahmen effektiver durchgesetzt werden.99 Die Planung der Verwaltungsreform lief freilich im Geheimen ab, selbst die Länderregierungen hatten von diesen Vorgängen, wenn überhaupt, offenkundig nur vage Kenntnis.100 Auf der II. Parteikonferenz der SED Anfang Juli 1952 wurde die „Verbesserung der Arbeit des Staatsapparates“ offiziell bekannt gegeben.101 Dabei vermied es die SED-Führung tunlichst, konkret zu werden, denn nur wenige Tage zuvor waren Pieck, Ulbricht und Grotewohl erneut mit einem Versuch gescheitert, Stalin von der Notwendigkeit einer Verwaltungsreform nach sowjetischem Muster zu überzeugen. In ihrem Brief nach Moskau vom 2. Juli 1952 formulierte die Parteiführung der SED: „Das Hauptwerkzeug bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus ist die Staatsmacht, die sich von der antifaschistisch-demokratischen Ordnung zur demokratischen Volksmacht, zur Volksdemokratie entwickelt hat.“102 Die Antwort Stalins fiel jedoch ernüchternd aus: „Man könnte sich darauf beschränken, vorerst zu erklären, daß in der Deutschen Demokratischen Republik die volksdemokratischen Grundlagen des Staatsaufbaus konsequent gefestigt werden, und zur weiteren Stärkung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien aufrufen.“103 Welche konkreten Absichten Stalin auch verfolgt haben mag – eine ostdeutsche „Volksdemokratie“ in direkter Nachbarschaft zu einem westlichen Staat gleicher Nation einschließlich des Berlin-Problems erschien ihm nach wie vor als wenig erstrebenswerte Lösung.104 In dieser immer noch unsicheren Situation sprach Otto Grotewohl bei seiner Schlussansprache auf der II. Parteikonferenz daher sowohl von der „Freundschaft zur Sowjetunion“ als „Lebensnotwendigkeit“ als auch von der Bedeutung der „weiteren Demokratisierung“ des Staatsapparates für den Kampf

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Vgl. Gespräch zwischen Stalin und führenden Vertretern der SED am 1. April 1952, in: Scherstjanoi/Semmelmann, Gespräche Stalins (Teil 2), S. 253. Vgl. Dierk Hoffmann, Die DDR unter Ulbricht. Gewaltsame Neuordnung und gescheiterte Modernisierung, Zürich 2003, S. 43–46. Vgl. Richter, Ökonomische Hintergründe, S. 27. Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 52; Andreas Thüsing, Landesverwaltung und Landesregierung in Sachsen 1945–1952. Dargestellt am Beispiel ausgewählter Ressorts, Frankfurt/Main etc. 2000, S. 36. Vgl. Wilhelm Pieck, Notizen zur Vorbereitung der 2. Parteikonferenz der SED vom 9.–12. Juli 1952, o. D., in: Wilhelm Pieck, Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, hrsg. v. Rolf Badstübner / Wilfried Loth, Berlin 1994, S. 390. Brief des Politbüros vom 2. Juli 1952, in: Dietrich Staritz, Die SED, Stalin und der „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR. Aus den Akten des Zentralen Parteiarchivs, in: Deutschland Archiv 24, 1991, Heft 7, S. 686–700, S. 699. Telegramm an die SKK-Führung vom 8. Juli 1952, in: Scherstjanoi/Semmelmann, Gespräche Stalins (Teil 2), S. 269. Vgl. Jost Dülffer, Europa im Ost­West­Konflikt. 1945–1991, München 2004, S. 53.

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II. Verwaltung im SED-Staat

gegen die „Restauration des Kapitalismus“ und für die „Umwandlung unserer Wirtschaft in eine sozialistische Wirtschaft“.105 Entsprechend schnell und möglichst ohne großes Aufsehen musste die Verwaltungsreform durchgeführt werden. Als das „Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik“ am 23. Juli 1952 offiziell verabschiedet worden war, waren die Länderregierungen bereits instruiert, die Überleitung der Geschäfte an die neuen Bezirksverwaltungen zu organisieren. Unter welchem Zeitdruck sie dabei standen, zeigt das Beispiel Sachsens. Wie in allen Ländern hatte man auch hier erst am 15. Juli von den konkreten Plänen Kenntnis erhalten. Noch am selben Tag wurde ein Beschluss gefasst, nach dem bereits am 31. Juli alles erledigt sein sollte.106 Obwohl sich die Bezirkstage bereits bis zum 11. August 1952 allesamt konstituiert hatten107, verlieh erst die „Verordnung zur Änderung von Bezirks- und Kreisgrenzen“ vom 4. Dezember 1952 der Territorialstruktur von 14 Bezirken und 217 Kreisen endgültige Gesetzeskraft. Auch die Bildung der neuen Verwaltungsapparate verlief alles andere als koordiniert. Erhebliche Schwierigkeiten bestanden vor allem in der Rekrutierung qualifizierten Personals. Benachteiligt waren dabei vor allem diejenigen Verwaltungssitze, die, wie Leipzig, diese Funktion zuvor nicht erfüllt hatten. Dort mangelte es vornehmlich an Gebäuden und Wohnraum für die neuen Mitarbeiter und deren Familien.108 Die Kommunalverwaltungen blieben in diesem Prozess zunächst außen vor. Erst als die Bezirksräte Ende des Jahres 1952 einigermaßen arbeitsfähig waren, wandte man sich mit Nachdruck den Verwaltungen von Großstädten zu.109 Offenkundig bestanden dabei jedoch Differenzen zwischen der SED und der SKK, welcher die Vorgänge sicherlich nicht verborgen geblieben waren, sodass sich weitere Reformmaßnahmen zunächst verzögerten.110 Eine erneute Verwaltungsreform auf dem Gesetzesweg lehnten die Sowjets kategorisch ab, wie aus der entsprechenden ZK-Vorlage vom 16. Dezember 1952 hervorgeht: „Obwohl dem Genossen Barth mitgeteilt wurde, daß die Ordnungen für den Aufbau und die Arbeitsweise der Stadtkreise nicht mehr im Sekretariat beschlossen werden müssen, da die Grundsätze bereits für die Landkreise beschlossen wurden, wurde von anderer Stelle der Wunsch ausgesprochen, sie doch im Sekretariat zusätzlich des Grobstellenplanes zu beschließen.“111

105 Aus der Schlußansprache des Vorsitzenden der SED, O. Grotewohl, auf der 2. Parteikonferenz der SED, 12.7.1952, in: Michail Charlamov (Hrsg.), Beziehungen DDR–UdSSR 1949 bis 1955. Dokumentensammlung, Bd. 1., Berlin (Ost) 1975, S. 375. 106 Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 372. 107 Vgl. Karl-Heinz Hajna, Länder – Bezirke – Länder. Zur Territorialstruktur im Osten Deutschlands 1945–1990, Frankfurt/Main etc. 1995, S. 102. 108 Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 374 f. 109 Vgl. Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, 16.12.1952, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/50, Bl. 404 f. 110 Vgl. Mielke, Die Auflösung der Länder, S. 182. 111 Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, 16.12.1952, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/50, Bl. 405.

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Freilich standen exponierte Vertreter der mit der Verwaltungsreform beauftragten Zentralen Regierungskommission, insbesondere Anton Plenikowski und Werner Eggerath, in ständigem Kontakt mit der SKK. Auch wenn hierzu keine Aufzeichnungen existieren, so wurde bei den Sitzungen der Kommission immer wieder auf die sowjetische Position verwiesen, die Reform so sparsam wie möglich und ohne großes Aufsehen durchzuführen. Beispielsweise forderten die SKK-Vertreter von den ostdeutschen Funktionären, den Grundetat unter keinen Umständen zu überschreiten, nicht zu viele Fachabteilungen zu schaffen, Wohnungen zur Unterbringung der Verwaltungen nur auf Basis der Freiwilligkeit freizulenken und Angestellte des Staatsapparates jederzeit für die politische Massenarbeit freizustellen.112 Unter diesen Umständen war klar, dass man von sowjetischer Seite keinem weiteren Gesetz in dieser Richtung zustimmen würde. Bei den in der ZK-Vorlage vom 16. Dezember 1952 erwähnten „anderen Stellen“ handelte es sich dagegen aller Wahrscheinlichkeit nach um die SED-Bezirksleitungen, die schon als Beauftragte der SED-Führung bei der Durchsetzung der Strukturmaßnahmen in den Bezirksverwaltungen an ihre Grenzen gestoßen waren. In Leipzig, wo bisher anders als etwa in Dresden keine Regionalverwaltung existiert hatte, waren im September 1952 gerade einmal 73,4 Prozent der Planstellen des Rates des Bezirkes besetzt113, darüber hinaus musste die SED-Bezirksleitung dem ZK gegenüber noch am 18. Dezember eingestehen, dass es ihr nicht gelungen sei, ein stabiles und politisch wie fachlich geeignetes Ratskollektiv einzusetzen.114 Vor allem aber verhielten sich die Funktionäre der Leipziger Stadtverwaltung, die parallel (eher informell) mit der Durchführung entsprechender Strukturmaßnahmen beauftragt worden waren, einer erneuten kostspieligen Verwaltungsreform gegenüber skeptisch.115 Insbesondere Oberbürgermeister Uhlich geriet dadurch ins Visier der SED-Funktionäre, die ihm vorwarfen, den tatsächlichen Sinn der „Demokratisierung“ nicht verstanden zu haben. So reagierte Uhlich während einer Kreisdelegiertenkonferenz Ende August 1952 etwa auf die Forderung des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung, Karl Schirdewan, die Gründe für die mangelhafte Umsetzung der „Demokratisierung“ zu erläutern116, mit dem Verweis, dass die Existenz des Staates zwangsläufig „Bürokratismus“ nach sich ziehe. Dies konnte sogar der 1. Kreissekretär der SED Leipzig, Fritz Beier, nicht grundsätzlich abstreiten, er sagte dem Oberbürgermeister jedoch, dass es falsch sei, „diesen Satz aus dem Zu-

112 Vgl. hierzu die Sitzungsprotokolle der Zentralen Regierungskommission, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/13/54. 113 In Dresden waren bereits im Monat zuvor 94 Prozent der Planstellen des Bezirkes besetzt. Vgl. Hajna, Länder, S. 162. 114 Vgl. SED-Bezirksleitung an das ZK der SED, Abt. Staatliche Organe, Beurteilung des Vorsitzenden, des Sekretärs und der 5 Stellvertreter des Rates des Bezirkes Leipzig, 18.12.1952, SächsStAL, 21123, IV/2/13/599, Bl. 51. 115 Vgl. Sitzung des Organisations-Komitees der Bezirksleitung der SED mit den 1. und 2. Kreissekretären aller Kreise des Bezirkes Leipzig am 12. August 1952, SächsStAL, 21123, IV/2/1/23, unp. 116 Stand der Vorbereitung der Kreisdelegiertenkonferenzen, Referat Fritz Beier, Ebd., Bl. 48.

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sammenhang im gewissen Sinne in den Vordergrund zu stellen.“117 Von einer Reform der Kommunalverwaltung auf dem Gesetzesweg erhofften sich die regionalen und lokalen SED­Sekretäre daher, diesen Konfliktherd in den Griff zu bekommen. Aus Sicht der Stadtverwaltung stellte sich die Situation jedoch völlig anders dar. Diese war in der Zeit von Juli bis Dezember 1952 mit anderen Problemen konfrontiert. Seit Anfang April mussten 14 Stadtbezirksverwaltungen aufgebaut werden; eine Maßnahme, die mit der wenige Monate später hastig vorangetriebenen Verwaltungsreform nicht abgestimmt wurde. Die Kosten mussten aus eigener Kraft getragen werden, da das Ministerium für Finanzen die Bezuschussung des Vorhabens abgelehnt hatte.118 Die Rekrutierung geeigneten Personals gestaltete sich unter diesen Bedingungen kompliziert, sodass Stellen immer wieder unrechtmäßig wiederbesetzt wurden.119 Eine Reihe von Dezernaten, insbesondere Bauaufsicht, Finanzen und Wirtschaft, wehrte sich zudem, überhastet Kompetenzen an noch instabile Stadtbezirksverwaltungen abzugeben120, sodass selbst der noch amtierende sächsische Ministerpräsident Max Seydewitz forderte, die „Dezentralisierung“ rückgängig zu machen.121 Einmütigkeit bestand lediglich darüber, dass die Räte der Stadtbezirke keine Kompetenzen in der Bilanzierung der örtlichen Kapazitäten besitzen sollten. Ferner drängten die Vertreter der Blockparteien, nachdem sie aufgrund einer Unachtsamkeit vom internen Verteilungsschlüssel der Abgeordnetensitze erfahren hatten, auf die Verstärkung ihres Einflusses in den Stadtbezirksversammlungen.122 Schließlich ging die Rekrutierung von Haus- und Straßenvertrauensleuten nur schleppend voran. Oftmals fanden sich höchstens noch Rentner und Hausfrauen zur Übernahme einer solchen ehrenamtlichen Funktion bereit.123 Die Bevölkerung drängte die Stadtverwaltung dagegen zunehmend auf die Lösung 117 Vgl. Organisations-Komitee der SED Bezirksleitung Leipzig, Analyse der Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig-Stadt am 30./31. August 1952, o. D., Ebd., Bl. 229. 118 Helmut Daute, Dezernent für Finanzen, an die Abt. Org.-Instr., 22.4.1952, StadtAL, StVuR (1), 1493, Bl. 139. 119 Vgl. Dezernat Innere Verwaltung, Abteilung Personal, Bericht zum Stand der weiteren Demokratisierung, 24.6.1952, StadtAL, StVuR (1), 1433, Bl. 40. 120 So bezeichnete es das Dezernat Finanzen etwa als finanz­ und planungspolitisch unverantwortlich, den Haushalt mitten im Rechnungszeitraum auf die Stadtbezirksräte aufzuteilen, von denen man nicht wisse, wann sie arbeitsfähig seien würden und ob sie in der Lage waren, die Pläne wie vorgegeben zu erfüllen. Darüber hinaus ließen es die Akten nicht zu, die bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1952 getätigten Ausgaben rückwirkend nach Stadtbezirken aufgeteilt zurückzuverfolgen. Vgl. AGL-Dezernat Finanzen, Betreff: Demokratisierung des Dezernates Finanzen, 16.6.1952, StadtAL, StVuR (1), 17205, Bl. 7 f. 121 Vgl. Bericht an die Kreisleitung der SED Leipzig-Stadt über die Durchführung der Demokratisierung des Rates des Stadtkreises Leipzig, [Juli 1952], StadtAL, StVuR (1), 3583, Bl. 182. 122 Vgl. Ebd., Bl. 186. So waren im August 1952 nur 33 von 79 besetzten Abgeordnetenmandaten mit Vertretern der Blockparteien besetzt, die SED besetzte dagegen lediglich 18, obgleich ihre Dominanz durch die 28 von den Massenorganisationen besetzten Mandate gesichert war. In den Bezirkskommissionen, die als Scharnier zwischen Haus- bzw. Straßenvertrauensleuten und Verwaltungsapparat agieren sollten, stellten die Blockparteien 731, die SED 833 von 1.766 Mitgliedern und 220 Vorsitzenden. Vgl. Analyse über die ehrenamtliche Mitarbeit der Bevölkerung an den Maßnahmen des Staatsapparates, [August 1952], StadtAL, StVuR (1), 1493, Bl. 231–235. 123 Vgl. Ebd., Bl. 219–223.

1. Vorgeschichte: Machtdurchsetzung in Leipzig (1945–1957)

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lebensweltlicher Probleme; insbesondere den Bau von Wohnungen, Schulen, Kinderspielplätzen und Kindergärten, wofür jedoch die Investitionsmittel fehlten.124 Für Verwaltungsreformen hatten die Stadtbewohner jedoch kaum etwas übrig. Als man im Januar 1953 die Popularisierung der Verwaltungsreform verstärkte, vermerkte ein städtischer Vertreter unter dem Punkt „feindliche Argumentation“ sogar: „In dem gestellten Fragekomplex ist bemerkenswert, dass die darin enthaltenen Wünsche der Bevölkerung sich jeweils auf lokale Interessen beziehen.“125 Schließlich fehlte es an Räumlichkeiten für die 14 Räte der Stadtbezirke. Nur in neun Stadtbezirken konnte auf vorhandene Verwaltungsgebäude zurückgegriffen werden, zusätzlich wurden 95 Wohnungen zweckentfremdet, während nur 46 Wohnungen aus den ehemaligen 33 Bezirksverwaltungsstellen zurückgeführt werden konnten.126 Den Betroffenen, die ihre Wohnungen räumen mussten, erklärte man dies jeweils mit der „vordringlichen Berücksichtigung der öffentlichen Interessen“, wofür jene allerdings wenig Verständnis aufbrachten. Es sei zwar in keinem Fall „Verwaltungszwang“ ausgeübt worden, allerdings musste die Stadt zahlreiche Beschwerdebriefe entgegennehmen, denn angesichts der Wohnungsnot konnte das zuständige Wohnungsamt kaum adäquaten Ersatz bereitstellen. Der Rat des Stadtbezirkes 7 musste schließlich im Finanzamt, der Rat des Stadtbezirks 9 sogar in einer Baracke untergebracht werden.127 Der aufgebrachten SED-Bezirksleitung aber sicherten Vertreter der Zentralen Regierungskommission schon am 30. September 1952 zu, dass „der neue strukturelle Aufbau der Staatl. Organe […] im nächsten Vierteljahr auch in den Städten und Gemeinden durchgeführt“ werden sollte.128 Nach eher allgemein gehaltenen internen Plänen sollten alle Räte in den kreisfreien Städten ähnlich wie die Bezirksverwaltungen aus einem Vorsitzenden (SED), einem Sekretär (SED), zwei Stellvertretern (SED) und drei weiteren Stellvertretern (Blockparteien) bestehen. In den Stadtbezirken sollte die SED neben dem Vorsitzenden und dem Sekretär einen Stellvertreter und die Blockparteien einen bis zwei Stellvertreter stellen. Zusätzlich sollten drei bis fünf weitere (ehrenamtliche) Ratsmitglieder in die Ratskollektive aufgenommen werden.129 Die Amtsbezeichnungen Oberbürgermeister 124 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Dezernat Innere Verwaltung, Auswertung der in der Zeit vom 22.– 25.4.1952 durchgeführten Einwohnerversammlungen zum Thema „Demokratisierung der Verwaltung“, 28.4.1952, Ebd., Bl. 85–87; Bericht an die Kreisleitung der SED Leipzig-Stadt über die Durchführung der Demokratisierung des Rates des Stadtkreises Leipzig, [Juli 1952], StadtAL, StVuR (1), 3583, Bl. 181. 125 Rat der Stadt Leipzig, Unterkommission Agitation, Auswertung der Veranstaltungen zur Popularisierung der weiteren Demokratisierung des Staatsapparates, 13.1.1953, StadtAL, StVuR (1), 2864, Bl. 8. 126 Vgl. Bericht an die Kreisleitung der SED Leipzig-Stadt über die Durchführung der Demokratisierung des Rates des Stadtkreises Leipzig, [Juli 1952], StadtAL, StVuR (1), 3583, Bl. 183 f. 127 Vgl. die minutiös dokumentierten Vorgänge in StadtAL, StVuR (1), 1675, Nr. 30–38. 128 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Abt. Staatliche Organe, Bericht über die Besprechung der Abteilungsleiter staatl. Organe der Bezirke in der Abteilung staatl. Organe beim ZK, 3.9.1952, SächsStAL, 21123, IV/2/13/599, Bl. 45. 129 Vgl. Schlußfolgerungen aus der bisherigen Arbeit der weiteren Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Bezirken und Kreisen und weitere Aufgaben, [10.10.1952], SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/50, Bl. 319–325.

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und Bürgermeister waren jeweils gegen „Vorsitzender des Rates“ auszutauschen, was ihre Stellung als politische Funktionäre unterstreichen sollte.130 Um die „Wahl“ der Ratsmitglieder in den Großstädten zu beschleunigen, wurde diesen durch eine zusätzliche Verordnung gewährt, die formalen Grundsätze zu umgehen. So war es möglich, dass neue Ratsmitglieder nachträglich selbst freie Mandate übernehmen konnten oder einfache Mitglieder des Stadtparlamentes durch Kooptierung zu Stadtverordneten werden konnten, ohne dass sie durch die Stadtverordnetenversammlung bestätigt werden mussten.131 Praktisch erprobt hatte man die Verwaltungsreform im November im Kreis Fürstenberg/Oder, der später mit Eisenhüttenstadt zusammengeschlossen wurde. Der dort aufgebaute „provisorische[n] Rat[es] der 1. sozialistischen Stadt“ umfasste die Abteilungen Wohnraumlenkung, Sozialfürsorge, Handel und Versorgung, Organisations-Instrukteur-Abteilung (Beschwerde- und Vorschlagswesen), Standesamt, Meldewesen, Finanzen und Volksbildung.132 Trotz der Bedenken der Sowjets wurde die Beschlussvorlage für das ZK der SED vom 16. Dezember 1952 zwei Tage später durch das Politbüro bestätigt, da die „weitere Demokratisierung“ vor allem in den Stadtkreisen bisher „keine Anwendung“ gefunden habe.133 Schon acht Tage zuvor hatte der Rat der Stadt Leipzig die Richtlinien und Grundsätze „zur weiteren Demokratisierung der kreisfreien Städte“ durch die zentrale Koordinierungs- und Kontrollstelle übermittelt bekommen. In Kenntnis der sowjetischen Bedenken mahnte Staatssekretär Eggerath die Verantwortlichen darin eindringlich, dass Betrieben und Bürgern durch die Maßnahmen kein Schaden entstehen, die Stadtverwaltung bis zur Funktionsfähigkeit der neuen Organe wie bisher weiterarbeiten sollte und der genehmigte Stellenplan, das Prinzip der „strengen Sparsamkeit“ sowie die Geheimhaltungspflicht unbedingt zu beachten seien.134 Notgedrungen präsentierte der Rat der Stadt der SED-Stadtleitung bereits am 17. Dezember einen ausgearbeiteten Maßnahmenplan, um mit der Umsetzung am Tag nach der offiziellen Beschlussfassung unmittelbar beginnen zu können. Für die konkreten Arbeiten wurden eine zentrale Organisations- und eine Kaderkommission, einschließlich jeweils 14 Unterkommissionen für die Stadtbezirke aus Vertretern des Rates der Stadt und der SED-Stadtleitung eingesetzt. Eine gesonderte Anweisung sollte zudem den Einfluss des Rates und der Partei auf die Zusammensetzung der Abgeordneten sicherstellen. Unter anderem sollten die 1. Sekretäre der SED-Stadtbezirksleitungen jeweils den Fraktionsvorsitz der SED übernehmen. Für alle Maßnahmen wurden zwei Wochen veranschlagt, die 130 Vgl. Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, o. D., Ebd., Bl. 361. 131 Vgl. Schlußfolgerungen aus der bisherigen Arbeit der weiteren Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Bezirken und Kreisen und weitere Aufgaben, [10.10.1952], Ebd., Bl. 324. 132 SED-BPO des Rates des Kreises Fürstenberg/Oder, Protokoll der Parteileitungssitzung am 20. November 1952, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/12, Bl. 25. 133 Vorlage für das Sekretariat, 16.12.1952, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/50, Bl. 404. 134 Vgl. Direktive der Koordinations- und Kontrollstelle für die Arbeit der Verwaltungsorgane zur weiteren Demokratisierung der kreisfreien Städte samt Richtlinien, 10.12.1952, StadtAL, StVuR (1), 1433, Bl. 15–27.

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Vorstellung der Kandidaten sollte vom 2. bis 15. Januar 1953 erfolgen, die offizielle Konstituierung der Stadtverordnetenversammlung wurde bereits für den 7. Januar angesetzt.135 Auf keinen Fall sollte nach außen hin der Eindruck entstehen, dass bei der Kommunalreform unliebsame Probleme auftraten. Die vorgegebenen Richtlinien zur institutionellen Ausgestaltung des Verwaltungsapparates ließen lediglich organisatorische Freiräume in den Bereichen Landund Forstwirtschaft sowie Erfassung.136 Der Vorsitzende (Oberbürgermeister) sowie der Sekretär des Rates bildeten fortan die wichtigsten politischen Funktionäre im neuen „lokalen Staatsorgan“. Daher vollzogen sich die entscheidenden strukturellen Veränderungen auch in ihren Bereichen. Beide waren für sämtliche innenpolitisch wichtigen Abteilungen verantwortlich, die zum Zeitpunkt der Gebietsreform 1952 noch unter Kontrolle des Oberbürgermeisters und des Dezernats Innere Verwaltung gestanden hatten.137 Nach der Strukturreform unterstanden dem Oberbürgermeister die Abteilungen Kader, Jugendfragen sowie die Plankommission der Stadt. Der Sekretär war dagegen für eine Vielzahl von herrschaftsrelevanten Abteilungen zuständig (Org.-Instr.-Abteilung, Staatliches Eigentum, Personenstandswesen, Allgemeine Verwaltung, Rechtsstelle, Information, Bevölkerungspolitik, Archiv, Vermessung und die Verschlusssachenstelle; in den Stadtbezirken existierten nur die ersten vier Abteilungen). Neu war zudem, dass die Stellvertreter des Vorsitzenden nicht mehr zugleich als Ressortleiter agierten, sondern ebenfalls rein politische Funktionäre sein sollten. Sie trugen für mehrere fachlich ähnliche Abteilungen die politische Verantwortung, die eigentliche fachliche Kontrolle übernahmen jedoch die Abteilungsleiter. Diese Trennung von politischer und fachlicher Verantwortung diente ebenso wie die Verwaltungsreform auf regionaler Ebene der Verringerung der Kommunikationskosten.138 Wie bereits beim Aufbau der Bezirks- und Stadtbezirksverwaltungen erwies sich die personelle Besetzung der Ratsmitglieder als ausgesprochenes Problem. Den offiziellen Berichten des Oberbürgermeisters an die Zentralregierung zufolge ist es kaum zu einer Zusammenarbeit zwischen der Organisations- und Kaderkommission gekommen. Auch die Unterkommissionen in den Stadtbezirken hätten lediglich die bereits vorhandenen Kandidaten vorgeschlagen und erst mit Nachdruck an der Verstärkung des Arbeitereinflusses in den Abgeordnetenversammlungen und Ständigen Kommissionen gearbeitet. Dementsprechend unterlagen die Kandidatenvorschläge in den Stadtbezirken stetigen Veränderungen, und auch die Zusammensetzung des Rates der Stadt konnte, entgegen den Vorgaben, bis auf den Kandidaten der NDPD, erst am 20. Januar bestätigt werden. Dadurch musste auch die konstituierende Sitzung der Stadtverordnetenversammlung auf den 21. Januar 1953

135 Vgl. Vorlage für das Sekretariat der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt, Abt. Staatliche Organe, 17.12.1952, StadtAL, StVuR (1), 1502, Bl. 28–30. 136 Die Richtlinien regelten detailliert, welche Abteilungen im Rat der Stadt zu bilden waren. Sie sind abgedruckt in: Gesetzblatt der DDR 1953, S. 53–66. 137 Vgl. Abb. 11 im Anhang, S. 416. 138 Vgl. Strukturdiagramme der Stadtverordneten- und Stadtbezirksversammlung und ihrer Organe, StadtAL, StVuR (1), 1502, Bl. 47 f.

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verlegt werden.139 Der Rat der Stadt, wie er der Stadtverordnetenversammlung am 21. Januar präsentiert wurde, setzte sich letztlich aus den ehemaligen Führungskadern (Dezernenten, Abteilungsleitern, Bürgermeistern) zusammen. Ausnahmen bildeten der von der NDPD zu stellende Stellvertreter und der Sekretär, Johannes Bayer, welcher zuvor der Kreisorganisation der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) vorgestanden hatte. Unter den übrigen Ratsmitgliedern befanden sich indes nur drei kampferprobte Parteikader; der Sekretär des Rates Bayer sowie die Stellvertreter Kurt Mäding (beide KPD) und Josef Hodes (SPD), die bereits vor 1933 politisch organisiert waren.140 Neben den sieben hauptamtlichen saßen acht ehrenamtliche Ratsmitglieder ohne Geschäftsbereich im Ratskollegium. Dies waren Personen, denen hohes öffentliches Ansehen zugesprochen wurde (Nationalpreisträger, „verdiente Aktivisten“, Universitätsprofessoren usw.) und die beratend mitwirken durften, aber faktisch keine Entscheidungsgewalt besaßen.141 Gleichwohl nutzte die SED die Übertragung des demokratischen Zentralismus auf den lokalen Verwaltungsapparat auch zur drastischen Verringerung der Personalkosten – in Leipzig und Dresden arbeiteten im Jahr 1945 jeweils etwa 18.000 bzw. 16.000 Angestellte. Die erhoffte Senkung der Kommunikationskosten sollte den Stellenabbau ermöglichen und zugleich dringend benötigte Kräfte für die Wirtschaft freimachen. Schon im Herbst 1951 hatte man aus letztgenanntem Grund bewusst nur noch „minderqualifizierte Kräfte“ im lokalen Staatsapparat untergebracht.142 Freilich ließ sich der Stellenabbau auch mit dem nach außen hin propagierten Antibürokratismus verbinden. Allerdings implizierte die hastig durchgeführte Reform kein dezidiertes Konzept, wie die Kommunikationskosten innerhalb des Mehrebe139 Vgl. Erich Uhlich an die Koordinierungs- und Kontrollstelle für die Arbeit der Verwaltungsorgane, 2. Bericht über die Durchführung der weiteren Demokratisierung der staatlichen Organe der Stadt Leipzig, 24.1.1953, StadtAL, StVuR (1), 1502, Bl. 117–121. 140 Die hauptamtlichen Ratsmitglieder waren: Erich Uhlich (Oberbürgermeister, SED, zuständig für die Plankommission, Kader und Jugendfragen), Kurt Mäding (SED, zuständig für Verkehr, Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen, Aufbau, örtliche Industrie und Handwerk), Ernst Wende (SED, zuständig für Land- und Forstwirtschaft, Handel und Versorgung, Erfassung und Aufkauf), Erich Schwarz (NDPD, zuständig für Volksbildung, Körperkultur und Sport, Kunst und kulturelle Massenarbeit), Josef Hodes (wechselte nach Auflösung der SPD in die CDU, zuständig für Arbeit, Sozialwesen und Berufsausbildung, Gesundheitswesen) sowie Manfred Gerlach (LDP, zuständig für Finanzen, Abgaben). Vgl. Zusammensetzung des Rates der Stadt Leipzig und Geschäftsverteilung beim Rat der Stadt Leipzig, o. D., StadtAL, StVuR (1), 1502, Bl. 50, 116; Ratskollegium (Zentrale), o. D., StadtAL, StVuR (1), 1503, Bl. 1. 141 Im Rat der Stadt Leipzig saßen als ehrenamtliche Mitglieder: Max Burkhardt (FDGB, Nationalpreisträger, Generalintendant der Städtischen Bühnen), Gerda Schenke (DFD, „verdiente Aktivistin“, „Bestarbeiterin“ der Mitteldeutschen Kammgarnspinnerei), Wolfgang Rupp (FDJ, Arbeiter bei Kirow), Fritz Weber (SED, Zweifacher „Aktivist“ und Abteilungsleiter bei BauUnion), Max Simon (NDPD, Hauptbuchhalter bei der DHZ Haushalt-Chemie), Karl Werner (CDU, Professor für Physik an der KMU), Karl Gelbke (Kulturbund, Leiter des Instituts für Sozialhygiene) und Waltraud Wallwiener (DBD). Bis auf Burkhardt (KPD) war keiner dieser Personen vor 1933 in einer Arbeiterpartei organisiert gewesen. Vgl. Ebd. 142 Vgl. Protokoll über eine Besprechung mit den Dezernenten und Dezernatsleitern unter Leitung des Bürgermeisters Leopold in Anwesenheit der Org.-Instrukteure über die von der Überprüfungskommission aufgestellten Struktur- und Stellenpläne und deren Mängel am 15.11.1951, StadtAL, StVuR (1), 1463, Bl. 30.

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nensystems gesenkt werden sollten. So hatten die Personaleinsparungen in erster Linie schwerwiegende organisatorische Folgen. Nach Ansicht der SED-Führung sollten allein durch die Reform der Stadtkreisverwaltungen zehn Millionen DM eingespart werden, was von den Verwaltungsfunktionären vor Ort freilich massiv blockiert wurde.143 So musste diese Forderung am Ende mit administrativer Härte durchgesetzt werden. Noch etwa zehn Jahre später erinnerte sich ein Stadtbezirksrat des Stadtbezirkes Nordost mit einer gewissen Bestürzung daran, dass 1953, „ohne daß Voraussetzungen geschaffen wurden, der Personalbestand des Sozialwesens auf etwa 1/5 verringert wurde und niemand in der Lage war, die Aufgaben auch nur annähernd durchzuführen.“144 Auch die Abteilung Finanzen, die bereits bei der Bildung der Stadtbezirke wegen ihrer sachlich begründeten Skepsis in die Kritik geraten war, wurde durch die Kündigung eingearbeiteter und qualifizierter Mitarbeiter in ihrer Funktionsfähigkeit stark eingeschränkt. Sie sollte mit Beginn des Haushaltsjahres 1953 urplötzlich acht von 19 Planstellen einsparen. Für den Abteilungsleiter bot sich in dieser Situation nur die Möglichkeit, sachliche Forderungen mit dem Argument der Herrschaftssicherung zu begründen. So machte er die Verantwortlichen darauf aufmerksam, dass es „ausgesprochene Fachabteilungen“, zu denen er freilich auch seine Abteilung zählte, und „allgemeine Verwaltungsstellen“ gäbe.145 Erfolg war diesem Interventionsversuch allerdings nicht beschieden, abgesehen davon, dass solche Eigenmächtigkeiten kaum zu einem kollegialen Arbeitsklima beitrugen. Probleme bereitete andererseits die Unterbringung des zu entlassenen Personals; in Leipzig betraf dies nicht weniger als 791 Angestellte. Noch im März 1953 waren gerade einmal 30 Prozent von ihnen in den örtlichen Betrieben untergebracht worden.146 Eine Vielzahl der Angestellten, die bisher nicht in der Produktion gearbeitet hatten, lehnte eine Umsetzung in die örtliche Industrie ab.147 Umgekehrt zeigten sich auch die Betriebe wenig bereit, offene Stellen für fachfremde Mitarbeitern an die Stadtbezirke zu melden.148 Am Ende waren die personellen Veränderungen im Rat eher gering. Eine Reihe von Angestellten musste wieder eingestellt werden. Eine Ausnahme bildete jedoch die Organisations-Instrukteur-Abteilung, die bis auf einen Angestellten komplett ausgewechselt wurde.149 Am Ende hielt 143 ZK der SED, Abt. Staatliche Verwaltung, Aktenvermerk über die gegenwärtige Situation auf dem Gebiet der Stellenpläne in den Stadtkreisen, 10.11.1952, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/12, Bl. 19. 144 Rat des Stadtbezirkes Nordost, Stadtbezirksrat Naumann an Bezirksbürgermeister Grunewald, Entwicklung der ehrenamtlichen Arbeit im Wohnungswesen, 7.11.1962, StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 22. 145 Vgl. Situationsbericht der Abteilung Finanzen zum Stellenplan ab 1.2.1953, 22.1.1953, StadtAL, StVuR (1), 17025, Bl. 18 f. 146 Vgl. Information an Erich Uhlich zur Unterbringung der entlassen Mitarbeiter, 21.3.1953, Ebd., Bl. 18. 147 Vgl. Bericht der Kaderkommission zur Veränderung im Staatsapparat, o. D., StadtAL, StVuR (1), 1433, Bl. 38 f. 148 Vgl. Erich Uhlich an die Koordinierungs- und Kontrollstelle für die Arbeit der Verwaltungsorgane, 2. Bericht über die Durchführung der weiteren Demokratisierung der staatlichen Organe der Stadt Leipzig, 24.1.1953, StadtAL, StVuR (1), 1502, Bl. 119 f. 149 Personalpolitischer Bericht über Veränderungen durch die weitere Demokratisierung des Rates der Stadt, o. D., StadtAL, StVuR (1), 1503, Bl. 2.

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Oberbürgermeister Uhlich in etwas beschönigendem Ton fest, dass man zumindest „eine Trennung von den politisch schlechtesten Kollegen durchgeführt“ habe.150 Für die Stadtbevölkerung, die mit dem propagandistisch lancierten Begriff „Demokratisierung“ adressiert worden war, brachte die Verwaltungsreform keine Veränderungen mit sich. Die Bewohner beteiligten sich immer noch rege an den Einwohner- und Hausversammlungen, erwarteten dafür aber, dass sich die Funktionäre ihren Alltagsproblemen annahmen. Gerade in den Aufbaujahren bestand eine hohe Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung. So erklärten sich etwa die Bewohner des Seeburgviertels, eines ausgesprochen maroden Quartiers, bereit, die Arbeit der Verwaltung beim Wiederaufbau der Stadt mit 4.000 Arbeitsstunden zu unterstützen. Auch die Funktionäre sahen die örtlichen Probleme und versprachen Besserung im Wissen darüber, dass die materielle Basis hierfür fehlte.151 Als schließlich noch der Aufstand vom 17. Juni 1953 gewaltsam niedergeworfen wurde, war ein neuer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Staat und Bevölkerung erreicht. Die SED musste einen neuen Höchststand an „Republikfluchten“ registrieren, der Lebensstandard hob sich nur langsam.152 Ins Kreuzfeuer der SED geriet vor allem Oberbürgermeister Erich Uhlich, der sich im Unwissen über die Lage der Dinge und im Auftrag der SED-Stadtleitung zu einer Gruppe aufständischer Bauarbeiter in die Windmühlenstraße begeben hatte, um diese zur Wiederaufnahme ihrer Arbeiten zu bewegen.153 Insgesamt erbrachte die Verwaltungsreform von 1952/53 für die Kommunen allenfalls eine oberflächliche Konsolidierung. Vielmehr hinterließ sie etliche ungelöste Probleme. Vor allem zerriss sie in kurzer Zeit und ohne konkrete Konzeption eingespielte Arbeitsroutinen, was sich auf die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung noch lange Zeit nachhaltig auswirken sollte.154 Bis 1957 wurden nicht zuletzt deshalb immer wieder Strukturveränderungen vorgenommen. So erhielt der Oberbürgermeister mit einer Kontrollstelle, dem Büro des Nationalen Aufbauwerks (NAW) sowie der Unterstellung des Chefarchitekten weitere Aufgaben zugeordnet. Die Plankommission wurde aus seiner Verantwortung herausgenommen und zu einem eigenständigen Ratsbereich aufgewertet. Dem Ratsmitglied für Finanzen wurde zusätzlich eine neue Abteilung Kommunale Wirtschaft unterstellt. Ferner wurde eine Abteilung Inneres gebildet, welche die Ressorts Bevölkerungspolitik, Grundbuch und Kataster, Kulturfragen, Druckgenehmigungen und Aufenthaltsgenehmigungen vom Sekretär des Rates übernahm.155

150 Vgl. Personalpolitischer Bericht über Veränderungen durch die weitere Demokratisierung des Rates der Stadt, o. D., StadtAL, StVuR (1), 1503, Bl. 1. 151 Vgl. ZK der SED, Abt. Staatliche Verwaltung, Bericht über den Instrukteur-Einsatz in Leipzig am 15. und 16.1.1953 zur Überprüfung der Massnahmen in der weiteren Demokratisierung der örtlichen Staatsorgane, o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/53, Bl. 85. 152 Vgl. Damian van Melis, „Republikflucht“. Flucht und Abwanderung aus der SBZ/DDR 1945 bis 1961, München 2006, S. 255. 153 Vgl. Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 101. 154 Zur Marginalisierung des lokalen Staatsapparates in den 1950er Jahren vgl. Kopstein, The Politics of Economic Decline, S. 176. 155 Vgl. Abb. 12 im Anhang, S. 417.

2. Isolierte Diskurse und lokale Aushandlungsprozesse (1957–1958)

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2. ISOLIERTE DISKURSE UND LOKALE AUSHANDLUNGSPROZESSE (1957–1958) 2.1 Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 17. Januar 1957 Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 17. Januar 1957 bildete rein formal betrachtet den Abschluss der Verwaltungsreform von 1952. Es „konstituierte die Gemeinden als staatliche Organe mit örtlich begrenzter Zuständigkeit und ordnete sie den Weisungsbefugnissen der übergeordneten Räte und des Ministerrats unter“.156 Aus Sicht der SED-Führung verbanden sich damit zugleich ökonomische Erwartungen. „Massenarbeit“ vor Ort sollte immer auch zur Mobilisierung unerschlossener Ressourcen („Reserven“) für den „Aufbau des Sozialismus“ beitragen.157 Hervorgegangen war das Gesetz aus Debatten um den Staatsaufbau der DDR, die nach dem Tod Stalins wieder aufgegriffen wurden, und in deren Verlauf unterschiedliche Auffassungen aufeinander prallten. Die seit 1952 vor Ort hervorgerufenen Organisationsprobleme reflektierten die Gesetzesdebatten indes nicht, wohl aber die Umsetzungsdebatten in Leipzig. Die Massen mobilisieren: Verfassungs- und Verwaltungsdebatten in Berlin Mit dem Tod Stalins am 5. März 1953 verbanden sich nicht nur mehr oder weniger kurzzeitige wirtschaftliche und kulturpolitische Lockerungen in der gesamten sowjetischen Hemisphäre. Die Machtübernahme Nikita Chruschtschows belebte auch die von seinem Vorgänger gezügelten Diskussionen innerhalb der SED-Führung um die Festigung der staatlichen Macht. Spätestens mit dem kompromisslosen Vorgehen gegen die Aufstände vom 17. Juni 1953 war klar, dass Moskau an einer stabilen DDR gelegen war. Im März 1954 sprach die Sowjetunion dem ostdeutschen Staat die Souveränität zu und bestätigte sie ihm eineinhalb Jahre später offiziell. Zwischenzeitlich hatte Chruschtschow am 26. Januar 1955 den Kriegszustand über Deutschland für beendet erklärt, um fünf Tage später im Moskauer Politbüro im Rahmen der „Zwei-Staaten-Theorie“ den „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR zu verkünden.158 Für die DDR verband sich damit die vollständige Integration in den sowjetischen Herrschaftsbereich.159 Die Funktionäre der Abteilung Staatliche Organe im ZK der SED sahen den ostdeutschen Staat damit in eine neue historische Etappe eintreten und legten schon 156 Wilhelm Ribhegge, Europa–Nation–Region. Perspektiven der Stadt- und Regionalgeschichte, Darmstadt 1991, S. 386. 157 Vgl. Werner, Die ‚Demokratisierung des Verwaltungsapparates‘, in: Ders. (Hrsg.), Mobilisierung im Nationalsozialismus, S. 318 f. 158 Vgl. Sitzung des Zentralkomitees der KPdSU am 31.1.1955, Kremlin Decision Making Project des Miller Centers der University of Virginia (URL: http://web1.millercenter.org/kremlin/55_ 01_31.pdf). 159 Vgl. Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989, München 2007, S. 86.

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im Sommer 1955 erste Entwürfe für eine Verwaltungsreform nach stalinistischem Vorbild vor.160 Schon bald erachteten sie die noch gültige Verfassung von 1949 für überholt, da sie ihrer Zeit entsprechend „die Errungenschaften der bürgerlichdemokratischen Revolution und Keime der sozialistischen Umwälzung in der Deutschen Demokratischen Republik“ miteinander verbunden habe. Zwar sei das Prinzip der Volkssouveränität schon 1949 verfassungsrechtlicher Bestandteil gewesen, die Verbindung von Staats- und Volkssouveränität als Ausdruck der Interessenidentität von Staat und Volk sei dagegen bislang nur durch interne Verordnungen gewährleistet gewesen und hätte aufgrund des provisorischen Charakters der DDR keinen Eingang in den Verfassungstext finden dürfen.161 Das Verfassungsmodell der Sowjetunion sollte nun vollständig auf die DDR übertragen werden. Im Geheimen betrieb die ZK-Abteilung Staatliche Organe unter Führung des Juristen Karl Polak daher die Ausarbeitung eines Entwurfs, der offiziell auf der III. Parteikonferenz der SED präsentiert und das Verfassungsgefüge der DDR auf die Höhe der Zeit bringen sollte. Die Fundamente dieser Verfassung bildeten der „Klassencharakter“ der DDR und das Bekenntnis zur „Durchsetzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus“, was zugleich die noch formal gewährten Grundrechte in ihrer verfassungsrechtlichen Funktion ablöste. Damit verband sich eine Höhergewichtung der sozialen vor den politischen Bürgerrechten, was wiederum eine Verlagerung der Staatsfunktionen implizierte. Der Staat sollte nun nicht mehr primär als Garant der Grundrechte fungieren, sondern die „Energien der Volksmassen“ auf den „Aufbau des Sozialismus“ lenken. Die formalen Reste der Gewaltenteilung seien durch die Identität von Staats- und Volkssouveränität dagegen obsolet geworden. Die Staatsorgane, d. h. die Institutionen der „Staatsgewalt“ (Volkskammer, Bezirkstag, Stadtverordnetenversammlung usw.) und der „Staatsverwaltung“ (Ministerrat und untergeordnete Räte), sollten definitionsgemäß einen Organismus bilden. Hierfür wurde eine Reihe organisatorischer und normativer Grundsätze formuliert. Der Volkskammer sollte ein Präsidium vorstehen und aus ihren Reihen einen Staatsrat bilden, an dessen Spitze der Präsident der DDR mit Repräsentationsaufgaben und einer großen Machtfülle stehen sollte. Der Staatsrat hatte die Aufgabe, die zentrale Rolle der Volkskammer als „ständig arbeitendes“ Gremium zu gewährleisten, sollte aber faktisch das Machtzentrum darstellen. Dazu wurde er ermächtigt, zwischen den Tagungen der Volkskammer Erlasse mit Gesetzeskraft herauszugeben, die nachträglich von den Abgeordneten bestätigt werden sollten. Zudem sollte er die lokalen Volksvertretungen anleiten. Der Ministerrat als Zentrale der „Staatsverwaltung“ wurde ihm untergeordnet und sollte die Anleitung der örtlichen Räte übernehmen. Ferner wurde der noch formale Bestand der Länder für überflüssig erklärt.162 Als Bezeichnungen für die örtlichen Staatsorgane schlug Polak die Begriffe „Volksräte“ 160 Vgl. Detlef Kotsch, Das Land Brandenburg zwischen Auflösung und Wiederbegründung. Politik, Wirtschaft und soziale Verhältnisse in den Bezirken Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952 bis 1990), Berlin 2001, S. 92. 161 Vgl. Plan zur Vorbereitung der Arbeiten für die III. Parteikonferenz, o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/631, Bl. 4–310, Zit. Bl. 306. 162 Detailliert zu den Diskussionen vgl. Marcus Howe, Karl Polak. Parteijurist unter Ulbricht, Frankfurt/Main 2002, S. 167–177.

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(für die Volksvertretungen) und „Ausschüsse“ (für die Verwaltungsapparate) vor, welche die Traditionen der Kommunistischen Partei der Weimarer Republik und die des sowjetischen Verfassungsmodells verbinden sollten.163 Die Arbeitsweise der lokalen Organe sollte auf drei Prinzipien ruhen: das Prinzip des demokratischen Zentralismus, die Einheit von Beschlussfassung und -durchführung sowie die Heranziehung der Werktätigen für die Arbeit des Staates. Die Positionsbestimmung des lokalen Staatsapparats im Verfassungsgefüge der DDR implizierte aber nicht nur eine juristische Neubestimmung seines Verantwortungsbereichs, sondern zog auch eine interne Regelung seiner Beziehungen zum Parteiapparat nach sich. So wurden im Januar 1956 Abteilungen für Staatliche Organe in den SED-Kreis- und Stadtleitungen gebildet, die künftig für die Kontrolle der lokalen Verwaltungsapparate und deren Grundorganisationen verantwortlich sein sollten.164 Dadurch wurde die Parteikontrolle in den Stadt- und Kreisverwaltungen institutionell gestärkt, was zugleich die 1. Sekretäre der Stadt- und Kreisleitungen entlastete. Dass der DDR die Souveränität von „Moskaus Gnaden“165 zugestanden worden war, was gewisse Freiräume in inneren Angelegenheiten, aber keine nennenswerten außenpolitischen Handlungsspielräume implizierte166, wurde der SED-Führung einmal mehr bewusst, als sie am Morgen des 26. Februar 1956 von der nachts zuvor in Moskau gehaltenen Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU erfuhr. Die Abrechnung Chruschtschows mit seinem Vorgänger Stalin und dessen Geheimdienstchef, Lawrenti Berija, veranlasste Ulbricht zunächst dazu, Stalin stillschweigend aus der Reihe der Klassiker des Marxismus-Leninismus zu streichen, sonst aber jedwede Fehlerdiskussion zu vermeiden.167 Die Vorbereitungen zur III. Parteikonferenz und Verfassungsreform gingen somit wie geplant weiter. Dabei hoffte Ulbricht, dass die Geheimrede Chruschtschows nicht publik werden würde und das Verfassungsprojekt ungehindert umgesetzt werden konnte, schließlich lagen dem nicht nur die theoretische Fortschrittsgläubigkeit, sondern auch die realen Krisenerfahrungen der SED-Spitze während des 17. Juni 1953 zugrunde. Die einzige Möglichkeit zur Verringerung der stark anwachsenden „Republikflucht“­Zahlen und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage sah die SED-Führung in einer strafferen Planung und Leitung. Die Arbeiten am Grundsatzreferat, das die neue Verfassung auf der III. Parteikonferenz der SED (24.–30. März 1956) begründen sollte, wurden daher und trotz der eingeleiteten Entstalinisierungskampagne in der Sowjetunion nicht eingestellt. Erst als Teile der Geheimrede Chruschtschows wenige Tage vor Beginn der Parteikonferenz in britischen Medien veröffentlicht worden waren, sah sich Ulbricht 163 Vgl. Thesen zur einheitlichen Bezeichnung der örtlichen Organe des Staates und der staatlichen Verwaltung in der Deutschen Demokratischen Republik, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/633, Bl. 169. 164 Vgl. Richtlinie des ZK zur Struktur der Kreisparteiorganisationen, 11.1.1956, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/499, Bl. 32 f. 165 Vgl. Joachim Scholtyseck, Die Außenpolitik der DDR, München 2003, S. 14. 166 Vgl. Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, S. 86 f. 167 Vgl. Karl Schirdewan, Aufstand gegen Ulbricht. Im Kampf um politische Kurskorrektur, gegenstalinistische, dogmatische Politik, Berlin 1994, S. 79–81.

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zu einem Telegramm an Chruschtschow gezwungen, in dem er seine Absicht bekundete, „zu Fragen, die in der Partei eine große Rolle spielen und die vor allen Dingen J. W. Stalin betreffen“168, öffentlich Position zu beziehen. Erst damit wurden auch die Unterlagen für das Verfassungsprojekt unter Verschluss genommen. Die III. Parteikonferenz der SED behandelte den Personenkult sowie die Gewaltverbrechen Stalins allerdings nur am Rande169 und stellte, wie zuvor geplant, vor allen Dingen wirtschaftliche Fragen des zweiten Fünfjahrplans sowie die Notwendigkeit einer gesteigerten Arbeitsproduktivität in den Vordergrund.170 Als dritten Höhepunkt der Parteikonferenz hielt schließlich Otto Grotewohl das unter Zeitdruck abgeänderte Referat zur „Rolle der Arbeiter-und-Bauernmacht“.171 Dabei thematisierte er zentrale Kernpunkte aus den Vorarbeiten zur Verfassungsreform, die nun durch die Hintertür von Einzelgesetzen umgesetzt werden sollten. In einem vergleichsweise kurzen Vortrag bekräftigte Karl Polak die Ausführungen Grotewohls aus staatsrechtlicher Sicht. Dabei erklärte er das Gesetz zur „weiteren Demokratisierung“ von 1952/53 sowie die Gemeindeordnung von 1946 für überholt. Ersteres habe den Verwaltungsapparat als Hauptinstrument des Aufbaus und der Lenkung der Wirtschaft bestimmt, drohe aber nun zur „Fessel[n] der Entwicklung“ zu werden. Letztere verhindere die Einheit von Beschlussfassung und -durchführung. Als Hauptaufgabe der lokalen Staatsorgane formulierte Polak die „Entwicklung der Initiative der Werktätigen“ und verwies damit auf die wirtschaftlichen Zielstellungen. In anderen Worten: Das Hauptziel bestand darin, die Bevölkerung stärker zur Allokation örtlicher Ressourcen heranzuziehen. Dies sollte ein umgehend zu schaffendes „Gesetz über die örtlichen Staatsorgane“ sicherstellen, das „neben unserer Verfassung das wichtigste staatsorganisatorische Gesetz unseres Arbeiter-und-Bauernstaates“ sei.172 Noch während der III. Parteikonferenz wurde die mit dem Verfassungsentwurf betraute ZK-Abteilung Staatliche Organe mit der Ausarbeitung von Grundsätzen für Entwürfe zu Gesetzen über die Anleitung der lokalen Staatsorgane durch die Volkskammer sowie über den Aufbau und die Verbesserung der Arbeitsweise der lokalen Staatsorgane beauftragt. Ferner sollte die Abteilung für die personelle Besetzung eines zu bildenden Ministeriums für Staatskontrolle173, eines Staatssekre168 Telegramm Walter Ulbrichts an das Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU vom 19. März 1956, in: Josef Gabert / Lutz Prieß (Hrsg.), SED und Stalinismus. Dokumente aus dem Jahre 1956, Berlin 1990, S. 91. 169 Vgl. Schirdewan, Aufstand gegen Ulbricht, S. 85. Im Vorfeld der Konferenz hatte Ulbricht seinen Kaderchef Karl Schirdewan genötigt, den Text der Geheimrede „relativ schnell“ und unter Umgehung einiger Passagen vorzulesen, damit so wenig wie möglich vom Text an die Öffentlichkeit geraten konnte. 170 Vgl. Schroeder, Der SED-Staat, S. 134. 171 Otto Grotewohl, Die Rolle der Arbeiter- und Bauernmacht in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz, Bd. 3, Berlin (Ost) 1956, S. 641–711. 172 Diskussionsbeitrag Karl Polak auf der 3. Parteikonferenz am 30. März 1956, in: Ebd., S. 977– 983. 173 Das Ministerium für Staatskontrolle war als Nachfolger der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle gedacht, die als Exekutivorgan der SED fungierte und sich vorrangig mit Wirtschaftskriminalität befasste. Das Vorhaben, die Zentrale Kontrollkommission in den Rang eines Ministeriums zu erheben – quasi neben dem Ministerium für Staatssicherheit – wurde

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tariats für örtliche Räte, eines Sekretariats der Volkskammer sowie des Büros für einen Ständigen Ausschuss für die Anleitung der örtlichen Volksvertretungen sorgen – letztlich alles Kompromisslösungen auf Basis des gescheiterten Verfassungsprojekts.174 Kurze Zeit später kam zusätzlich die Erarbeitung einer Wahlordnung für die Gemeindevertretungen auf die Agenda.175 Während die SED-Führung die kaschierte Übertragung des stalinistischen Verfassungsmodells auf die DDR vorantrieb, kam es in Reaktion auf die Entstalinisierungskampagne im zentralen Verwaltungsapparat zu mitunter heftigen Debatten über Strukturschwächen des Apparates, die von der III. Parteikonferenz weitere Impulse erhielten.176 Die Probleme, die sich aus der Schwerfälligkeit der zentralistischen Wirtschaftsverwaltung ergaben, waren bereits länger bekannt, wurden aber bislang den zentralen Ministerien zur Last gelegt, die stets unrechtmäßig in die Belange örtlicher Organe eingegriffen hätten.177 Die III. Parteikonferenz fasste man deshalb besonders in den für die Wirtschaftsverwaltung bedeutsamen Ministerien als Signal zur Reformbereitschaft der SED-Führung auf. Am weitesten ging dabei die Staatliche Plankommission, deren Vorsitzender Bruno Leuschner umgehend nach der Parteikonferenz forderte, „die seit dem Jahre 1949 herausgegebenen gesetzlichen Bestimmungen zu überprüfen mit dem Ziel, solche, die nicht mehr dem Stand der Entwicklung entsprechen, aufzuheben“.178 Konkret ging es dabei um die Frage, welche Kompetenzen sich auf untere Verwaltungsebenen und Betriebe verlagern ließen.179 Zudem sah Leuschner die Gelegenheit gekommen, das zeitraubende Berichtswesen einzuschränken. Ähnliche Diskussionen fanden auch im Ministerium für Kohle und Energie statt.180 In den örtlichen Räten und Volksvertretungen wurden die Beiträge der III. Parteikonferenz ebenfalls breit rezipiert. Dabei erhoffte sich die Mehrheit der Funktionäre und Staatsvertreter an der Basis eine tatsächliche Stärkung ihres Einflusses sowie eine Entlastung der Ratskollektive. Nur wenige forderten dagegen mehr Befugnisse beim Vorgehen gegen „Abweichler“ oder eine strengere fachliche Anleitung durch zentrale Organe.181 Vor Ort beugten sich sogar zahlreiche lokale Parteifunktionäre den Forde-

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jedoch nicht umgesetzt. Vgl. Thomas Horstmann, Logik der Willkür. Die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle in der SBZ/DDR von 1948 bis 1958, Köln etc. 2002, S. 92. Vgl. Arbeitsprogramm der Abteilung zur Auswertung der Beschlüsse der III. Parteikonferenz, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/15, Bl. 6–10. Vgl. Schlußfolgerungen aus der III. Parteikonferenz, 25.4.1956, Ebd., Bl. 3. Vgl. zu den Signalwirkungen der Entstalinisierungskampagne im „Ostblock“ Dülffer, Europa, S. 61 f. Vgl. Rundschreiben des Chefs der Regierungskanzlei, Fritz Geyer, über die Zusammenarbeit der staatlichen Organe, 29.3.1954, in: Dierk Hoffmann (Hrsg.), Die DDR vor dem Mauerbau. Dokumente zur Geschichte des anderen deutschen Staates 1949–1961, München 1993, S. 207 f. Durchführung der Aufgaben der 3. Parteikonferenz durch die Staatsorgane, 28.5.1956, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/15, Bl. 20 f. Zit. Bl. 20. Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 97. Vgl. Durchführung der Aufgaben der 3. Parteikonferenz durch die Staatsorgane, 28.5.1956, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/15, Bl. 20. Vgl. Vorschläge aus der bisherigen Diskussion über die Gesetzesentwürfe zur breiteren Entfaltung der Demokratie, o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/70, Bl. 106–111.

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rungen der Basis.182 In Leipzig etwa reagierte der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Paul Fröhlich, hierauf präventiv, indem er die Genossen in der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt persönlich im Mai 1956 dazu aufforderte, sich künftig nicht mehr zum „verlängerten Arm der Stadtleitung“ degradieren zu lassen.183 Die mehr oder weniger missmutig geduldeten Diskurse im zentralen Staatsapparat sowie an der Basis wurden allerdings abrupt beendet, als am 23. Oktober 1956 Studenten der Technischen Universität Budapest auf die Straße gingen und gegen die sowjetische Fremdherrschaft demonstrierten. Am 24. Oktober 1956 hatte Nikita Chruschtschow zur Beratung über die Vorgehensweise gegen die Aufständischen, an der auch Ulbricht teilnahm, ins Politbüro nach Moskau geladen. Dies nutzte der SED-Chef für ein Plädoyer zur Verstärkung der Repression im Innern. Dabei stellte er nicht zufällig gerade den Verwaltungsapparat unter Generalverdacht, eine potentielle Angriffsfläche für bürgerliche „reformistische“ Ideologien zu bieten.184 Ende 1956 begann auch in der DDR eine erneute Verhaftungswelle gegen hochrangige Staatsfunktionäre und Wissenschaftler.185 Bereits vor dem Aufstand in Ungarn hatte die SED-Führung anvisierte organisatorische Maßnahmen umgesetzt. So hatte sie am 4. Oktober beschlossen, die Hauptabteilung Örtliche Räte aus dem Innenministerium herauszulösen und sie zu einem eigenständigen Staatssekretariat aufzuwerten.186 Dem Staatsekretär unterstanden neben der Hauptabteilung Örtliche Räte eine Hauptabteilung Kader und Schulung sowie die Akademie für Staatsund Rechtswissenschaften „Walter Ulbricht“, die insbesondere für die Ausbildung von Staatsfunktionären verantwortlich zeichnete.187 Das Staatssekretariat bereitete Strukturvorschläge vor und sorgte für die staatsrechtliche Kontrolle der örtlichen Verwaltungsapparate. Erster Staatssekretär wurde der Vorsitzende des Rates des Kreises Frankfurt/Oder, Franz Peplinski, der aber bereits im Februar 1958 durch den stellvertretenden Innenminister, Hans Jendretzky, wieder abgelöst wurde.188 Im Januar 1957 wurden die ersten Gesetze, die auf dem III. Parteitag angekündigt worden waren, veröffentlicht. Ihrem Inhalt entsprechend wurden das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ und das „Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen“189 parallel 182 Vgl. Auswirkungen des XX. Parteitages der KPdSU bei der SED-Basis. Bericht der ZK-Abteilung LOPM, 13.7.1956, in: Hoffmann (Hrsg.), Die DDR vor dem Mauerbau, S. 255. 183 Vgl. Protokoll der Leitungssitzung der SED-Grundorganisation Rat der Stadt, 23.5.1956, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 184 Vgl. Protokol zasedanie 24 oktjabraja 1956 g., in: Aleksandr A. Fursenko (Hrsg.), Prezidium CK KPSS 1954–1964, Tom 1: Černovye protokol’nye zapisi zasedanij Stenogrammy, Moskau 2003, S. 178. 185 Vgl. Malycha/Winters, Geschichte der SED, S. 141–146. 186 Vgl. Bericht über die Tätigkeit des Ministerrates bez. des Präsidiums des Ministerrates zu den Fragen der Verbesserung der Leitungstätigkeit gegenüber den örtlichen Organen der Staatsgewalt und ihrer Räte, o. D., BArch, DC 20/470, Bl. 38 f. 187 Vgl. das Strukturdiagramm in BArch, DC 20/19495, Bl. 103. 188 Vgl. Art. ‚Jendretzky, Hans (1897–1992)‘, in: Niemann/Herbst (Hrsg.), SED-Kader, S. 259 f.; Art. ‚Peplinski, Franz (1910–1991)‘, in: Ebd., S. 383 f. 189 Das „Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer“ stand im Zusammenhang mit dem zu gründenden Ständigen Ausschuss für Örtliche Volksvertretungen. Dieser genoss eine Sonderstellung innerhalb der Ausschüsse der Volkskammer und fungierte praktisch als „kleiner

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am 17. Januar 1957 publiziert. Damit wurde zugleich der quasi-verfassungsrechtliche Stellenwert, wonach beide Gesetze als Einheit zu betrachten waren, untermauert.190 Die Bedeutung des „Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ lag speziell in der Verankerung des demokratischen Zentralismus.191 Die Ratsvorsitzenden der kreisfreien bzw. kreisangehörigen Städte sollten zudem wieder offiziell als Oberbürgermeister bzw. Bürgermeister bezeichnet werden. Konkrete Strukturfragen ließ das Gesetz dagegen offen bzw. legte sie in die Verantwortung des neu gebildeten Staatssekretariats. Erst am 2. Mai gab die Regierung der DDR nachträgliche Richtlinien für die Zusammensetzung der örtlichen Organe bekannt192, die allerdings eine bloße Bestätigung von einer bereits Anfang 1955 für die Bezirks- und Kreisräte erlassenen Verordnung darstellten und auch in den offiziellen Diskussionen eher eine randständige Position einnahmen.193 Nach dieser Richtlinie wurde die Zahl der Stellvertreter des Ratsvorsitzenden für die kreisfreien Städte auf sechs, für die Stadtbezirke auf drei begrenzt. Des Weiteren sollten nun nicht mehr jeweils fünf bis acht, sondern sieben bis zehn weitere Mitglieder, die verstärkt nach fachlichen und ideologischen Kriterien auszuwählen waren, das Ratskollektiv bilden. Der Zweck dieser Richtlinien lag vor allem in der Begrenzung der Personalkosten und Mobilisierung der Massen; beides jeweils mit Blick auf die Wirtschaftsentwicklung. Konkrete Strukturfragen klammerten die zentralen Stellen dagegen völlig aus. Die strukturbestimmenden (Export-)Betriebe blieben zudem ebenso in der Hand der zentralen Wirtschaftsverwaltung, wie die Staats- und Parteiführung sich vorbehielt, über die Planvorschläge der Basis hinwegzugehen. Funktionäre in die Betriebe: Die Rezeption des Gesetzes in Leipzig Während die SED-Führung und die ZK-Abteilung Staat und Recht in dem Gesetz von 1957 einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer effizienteren Leitung der Wirtschaft sahen, konkrete Strukturfragen aber offen ließen, regte es in Leipzig eine grundlegende Debatte über Aufgaben und Organisation der kommunalen Verwaltung an. Den Diskussionen lagen jedoch verschiedene Wahrnehmungshorizonte zugrunde. So verknüpfte etwa der 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Fritz Beier,

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Staatsrat“, dessen Bildung vorerst aufgeschoben wurde. Das Gesetz vom 17. Januar verlieh ihm weitreichende Rechte zur Anleitung der örtlichen Volksvertretungen und Vorbereitung von Gesetzen. Mit der Gründung des Staatsrates 1960 wurde der Ausschuss folgerichtig aufgelöst. Das Gesetz ist abgedruckt in: Gesetzblatt der DDR 1957, Teil 1, S. 72 f. Zur Bildung und Einordnung des Ausschusses vgl. Howe, Karl Polak, S. 183–186. Zur parteiinternen Diskussion über die juristische Ausgestaltung beider Gesetze, über die an dieser Stelle nicht detailliert eingegangen wird, vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/70–72. Vgl. Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 18. Januar 1957, in: Gesetzblatt der DDR 1957, Teil 1, S. 65–72. Vgl. hierzu auch Howe, Karl Polak, S. 181. Vgl. Beschluß über die Zusammensetzung der örtlichen Räte vom 2. Mai 1957, in: Gesetzblatt der DDR 1957, Teil 1, S. 281 f. Vgl. Verordnung über die Änderung der Ordnung für den Aufbau und die Arbeitsweise der staatlichen Organe der Bezirke vom 6. Januar 1955 (desgleichen für die Kreise), in: Gesetzblatt der DDR 1955, Teil 1, S. 18.

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der sich als „Führer der Stadt“194 begriff und damit die Deutungshoheit im Territorium für sich allein beanspruchte, die Gesetzesdebatte mit dem Aufbau der sieben Stadtbezirksverwaltungen und der damit verbundenen Stärkung des Parteieinflusses an der Basis. Sein Plan sah vor, Verwaltungs- und Produktionsarbeit stärker als bisher miteinander zu verbinden. So wollte er die „Demokratisierung“ des lokalen Staatsapparates nicht allein als primär erzieherische Aufgabe, sondern auch als Personalfrage verstanden wissen. Entsprechend drängte er auf die Versetzung geeigneter Kräfte vom Rat der Stadt näher an die Basis, d. h. in die Schwerpunktbereiche der Stadtbezirke (Kultur, Volksbildung, örtliche Industrie), die stärker als bisher oder wenn möglich sogar ausschließlich in den Betrieben und nachgeordneten Einrichtungen präsent sein sollten.195 Vor Augen hatte Beier dabei keineswegs verwaltungsorganisatorische Probleme, sondern „parteischädigende Erscheinungen“, die es durch Dezentralisierung zu unterbinden galt. So sei etwa eine Wallenstein-Aufführung im Leipziger Schauspielhaus nicht dazu geeignet gewesen, „den Kampf gegen Militarismus und Monopolkapital“ zu unterstützen. Auch das Kabarett Pfeffermühle habe ein „unverschämtes Hetzprogramm“ aufgeführt. In den Schulen würde man zudem über „ideologische Entgleisungen“ von Geschichtslehrern ebenso hinwegsehen wie über die Wachsamkeit ideologisch gefestigter Lehrer gegenüber „hetzerischen“ Kollegen. In der örtlichen Industrie mache sich zudem der Arbeitskräftemangel schmerzlich bemerkbar, was unter den Betriebsleitern abweisende Reaktionen gegenüber dem Rat der Stadt hervorgerufen habe. So glaubte Beier, die von ihm angesprochenen Probleme durch eine dauerhafte Präsenz geeigneter Kräfte in den Betrieben und Einrichtungen lösen zu können. „Wir meinen weniger Statistiken, weniger Briefe, weniger Telefongespräche, weniger Papier und mehr inwendige Verbindungen zu den Menschen, ist der einzige Weg, um Bürokratismus konsequent bekämpfen zu können. Wenn man mit dem Telefon arbeitet oder mit Rundschreiben, dann geht das immer ins Auge.“196

Bezeichnenderweise hielt Beier den Genossen im Rat der Stadt immer wieder vor, dass „viele Mitarbeiter und Räte der Stadtbezirke […] die neue Arbeit mit den Menschen besser begriffen [haben, d. V.], als einige Ratsmitglieder beim Rat der Stadt.“197 Bei diesen und ähnlichen Aufforderungen beließ es Beier jedoch. Weder hatte er einen Einblick in den Arbeitsalltag des Rates der Stadt, noch verstand er es als seine Aufgabe, in Verwaltungsfragen Entscheidungen zu treffen. Bei ihm handelte es sich eher um einen Parteifunktionär, der dem Staatsapparat distanziert ge-

194 Vgl. Protokoll über die Vollmitgliederversammlung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 29.3.1960, SächsStAL, 21479, IV/7/139/03, unp. 195 Vgl. Protokoll der Beratung am 27.6.1957, SächsStAL, 21123, IV/2/3/221, Bl. 128 f. 196 Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitglieder der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, Ebd., unp. 197 Vgl. Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitglieder der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/ 139/013, unp.

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genüberstand.198 Das Verhältnis von SED und Stadtverwaltung war dadurch immer zwiegespalten. Auf der einen Seite sah man die SED als diejenige Autorität an, die über grundsätzliche Fragen zu entscheiden habe, wenn übergeordnete Staatsorgane dies nicht taten. So beklagten sich Funktionäre des Rates über die mangelnde Aufmerksamkeit der örtlichen Parteifunktionäre. Mit diesen habe man allenfalls über Delegationen, Kampfgruppen, politische Stimmungslagen usw. diskutieren können, nicht aber über brennende Strukturveränderungen.199 Auf der anderen Seite warfen die Sekretäre der SED-Bezirks- und Stadtleitung dem Rat der Stadt bzw. dessen Grundorganisation immer wieder vor, dass sie keine eigenen Beschlüsse fassten. Der Mangel an Koordination, den weder übergeordnete Organe noch lokale SED-Funktionäre zu beheben wussten, trug letztlich zur Zunahme an Bürokratie bei. Oftmals wussten sich einzelne Ratsmitglieder, die als politische Funktionäre selbst vom Innenleben der ihnen unterstehenden Abteilungen abgekoppelt waren, nicht anders zu behelfen, als jene mit Beschlüssen zu überhäufen, mit der Folge, „daß ein Abteilungsleiter, der neben seinen Aufgaben noch Aufträge bekommt von der Partei, Rat des Bezirkes, daß er sehr schnell aufgrund dieser [sic!] Wulst von Beschlüssen die Übersicht verlieren kann.“200 Zur Durchführung von Einsätzen in den Betrieben, wie es Fritz Beier vor allem gefordert hatte, fehlte es den Mitarbeitern des Verwaltungsapparates schlicht an Zeit und Fachwissen. Im April 1959 beklagte sich die Kaderabteilung des Rates, dass von 21 Abteilungsleitern lediglich acht und insbesondere in den wichtigen Abteilungen Organisation-Instruktion, Gesundheitswesen, Plankommission, Stadtbauamt sowie Handel und Versorgung von insgesamt 124 Mitarbeitern nur 16 über Produktionserfahrungen verfügten.201 Es waren vor allem die wenigen jüngeren Kollegen, die zum Teil längerfristigen körperlichen Einsatz leisteten, etwa bei der Ernteeinbringung, beim Aufbau eines Betonwerkes202

198 Fritz Beier, (1908–1971), geb. in Leipzig, Besuch der Volksschule Leipzig (8. Klasse), Meisterschule für Schnitt- und Stanzwerkzeug (3 Jahre, Leipzig), 1922 Mitglied der SPJ, 1925 Mitglied der KPD (zuvor USPD), 1926/28 Verhaftung wegen „Landfriedensbruch“ (Entlassung aus Mangel an Beweisen), 1928–1931 Transportarbeiter bei der Reichsbahn, 1932–1934 Straßenhändler, 1934 Verhaftung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ (10 Monate), 1936 Transportarbeiter einer Eisenfabrik, 1936–1946 Kontrolleur der Köllmann-Werke Leipzig, als „wehrunwürdig“ ausgemustert, 1945/46 Mitglied der KPD/SED, 1946–1950 Lehrer an der Landesparteischule Dresden, 1950–1952 Sekretär für Agit./Prop. in der SED-Kreisleitung LeipzigStadt, 1952–1953 2. Sekretär der SED-Stadtleitung Leipzig, 1953–1960 1. Sekretär der SEDStadtleitung Leipzig, 1953–1963 Mitglied des Büros der SED-Bezirksleitung, seit 1957 Stadtverordneter Leipzig, 1960–1963 Vorsitzender des FDGB-Bezirksausschusses Leipzig, seit 1963 Leiter der Sonderschule der SED-Bezirksleitung Leipzig. Vgl. SächsStAL, 21699, 696 (Kaderakte Fritz Beier). 199 Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 200 Vgl. Niederschrift über die erweiterte Leitungssitzung der SED-Grundorganisation beim Rat der Stadt mit den Sekretären der 13 Parteiorganisationen am 14.8.1957, Ebd., unp. 201 Vgl. Bericht der Abteilung Kader vom 10.4.1959, StadtAL, StVuR (1), 17312, Bl. 244. 202 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Mitte, Situationsbericht gemäß Wahldirektive Nr. 1, 10.9.1958, StadtAL, StVuR, 3440, Bl. 9.

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oder beim Ausbau eines LPG-Klubraumes.203 Agitation hatten die freiwilligen Helfer dabei aber kaum im Sinn, vielmehr dienten die Einsätze der partiellen Lösung ökonomischer Probleme (Kompensation des Arbeitskräftemangels, Begrenzung von Planungsdefiziten).204 Andererseits betrachteten etliche Betriebe die Brigadearbeiter aus der Verwaltung als Fremdkörper in den Kollektiven. Im VEB Druckwalzwerk äußerte man abschätzig, dass der Staatsapparat wohl zu viel Zeit hätte, wenn er drei Mitarbeiter in die Produktion schicken könne.205 Die unbefriedigende Lage veranlasste Fritz Beier, zunehmend selbst durch personalpolitische Maßnahmen einzugreifen. So wurde etwa der Abteilungsleiter für Arbeit im März 1958 vor der gesamten SED-Grundorganisation scharf abgemahnt, weil er Richtlinien zur Quartalsberichterstattung direkt an die ihm untergeordneten Fachabteilungen in den Stadtbezirken gegeben hatte, ohne diese parallel den Räten zuzuleiten. Anstößig empfand Beier vor allem die den Richtlinien beigefügte Bemerkung, dass den Analysen ein „lebhafter Inhalt“ zu verleihen sei.206 Abteilungsleiter gerieten aber nur in Ausnahmefällen ins Visier der SED-Stadtleitung. Dauerhafter Druck lastete dagegen auf den Ratsmitgliedern, welche Beier für die Misserfolge verantwortlich machte. Oberbürgermeister Uhlich und sein Stellvertreter Reinhold Fleschhut, die als Mitglieder des Sekretariats der SED-Stadtleitung der Einflussnahme Beiers unmittelbar ausgesetzt waren, reagierten notgedrungen mit der Abwälzung der Verantwortung für die politische Massenarbeit auf die Abteilungsleiter. Andere Ratsmitglieder versuchten dagegen, die SED-Stadtleitung hierfür in die Pflicht zu nehmen.207 So versuchte etwa der Stadtrat für Kultur, Ernst Wende, noch während einer außerordentlichen Ratssitzung mit Fritz Beier am 18. Oktober 1957 mit etwas missverständlichen Worten auf „das mangelnde Fehlen [sic!] von Eigenverantwortlichkeit“ bei der politischen Arbeit hinzuweisen. Beier, der kaum Gespür für die spezifischen Problemlagen des Staatsapparates erkennen ließ, reagierte auch hierauf mit allgemeinen Binsenweisheiten: „Wir haben noch so eine falsche Vorstellung, wir trennen die politische Massenarbeit der Staatsfunktionäre von seiner [sic!] fachlichen Arbeit“.208 Ebenso blieben kompensatorische Versuche, etwa den Sekretär des Rates als Bindeglied zwischen Rat und Parteigruppe in Stellung zu bringen, ohne erkennbare Folgen.209 Auch die Organisations-Instrukteur-Abteilung, die sich schwerpunktmäßig mit Struktur- und methodischen Fragen zu beschäftigen hatte, gestand nachträglich ein, dass sie „monatelang unwirksam“

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Rat des Stadtbezirkes Südost, Situationsbericht, 10.10.1958, Ebd., Bl. 19. Rat des Stadtbezirkes Süd, Sekretär, 10.9.1958, Ebd., Bl. 27. Rat des Stadtbezirkes Südost, Situationsbericht, 10.10.1958, Ebd., Bl. 19. Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitgliedern der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 207 Vgl. Ebd., unp. 208 Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 18. Oktober 1957, 28.10.1957, StadtAL, StVuR (1), 19903, Bl. 19–23. 209 Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp.

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gewesen sei und sämtliche Mitarbeiter während der Kommunalwahlen im Wahlbüro sowie für „Sonderaufgaben“ habe einsetzen müssen.210 Kurz vor Abschluss der Verwaltungsreform von 1957 (Stichtag war der 1. August 1957) resümierte der Abteilungsleiter für Inneres, Rudolf Lehmann, dass sich die Diskussionen im Rat der Stadt letztlich auf die „Frage der Einsparung [konzentrierten, d. V.], ohne in Verbindung die Arbeitsmethoden zu stellen [sic!].“211 Der auf den Ratsmitgliedern lastende Druck der SED-Stadtleitung brachte diese bald an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. So kam ein Bericht der SED-Stadtleitung im Dezember 1957 die Verwaltungsreform bilanzierend zu dem Urteil, dass es in der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt zwar „öfterer [sic!] als bisher offene kritische Auseinandersetzungen über die Arbeitsmethoden und Arbeitsergebnisse der einzelnen Stadträte und Abteilungsleiter“ gegeben habe, dass viele der verantwortlichen Ratsmitglieder in dieser Zeit aber durch Krankheit und Urlaub ausgefallen seien. Besonders betroffen waren Oberbürgermeister Uhlich und dessen Stellvertreter Fleschhut sowie der Stadtrat für Örtliche Wirtschaft und Verkehr. Uhlich sei letztlich durch Kuraufenthalte, Krankheit und Repräsentationspflichten drei von sechs Monaten nicht vor Ort gewesen, habe ansonsten angespannt, nervös und unkonzentriert gewirkt. Fleschhut hatte in den letzten Monaten des Jahres 1957 sogar gekündigt. Seine Funktion war zum Zeitpunkt des Berichts bereits vom Stadtrat für Kultur, Ernst Wende,212 übernommen worden, über den man ebenfalls mutmaßte, dass er nicht mehr „lange standhalten“ würde.213 Beim Stadtrat für Örtliche Wirtschaft und Verkehr sah man sogar die „Gefahr der Überforderung und des völligen Ausfalls seiner Arbeitskraft“.214 Immer wieder hatte Beier ihm abschätzig vorgehalten, dass seine Abteilung von den Betrieben als „die da oben“ angesehen wurde. Auch der Parteisekretär der Grundorganisation musste im Auftrag Beiers wiederholt mahnende Worte an den Stadtrat richten: „Unter politischer Massenarbeit verstehen wir, daß die Genossen der örtlichen Wirtschaft die meiste Arbeitszeit 210 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abteilung, Maßnahmeplan zur Veränderung der Arbeitsweise der Org.-Instrukteur-Abteilung des Rates der Stadt Leipzig in Auswertung des 32. Plenums des ZK der SED, 11.9.1957, StadtAL, StVuR (1), 1540, Bl. 33. 211 Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitgliedern der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 212 Ernst Wende (geb. 1921), geb. in Breslau (polnisch: Wrocław), 1945 Mitglied der SPD/SED, 1946 Sachbearbeiter der Abteilung Handel und Versorgung des Rates der Stadt Leipzig, 1949 Sachgebietsleiter ebd., anschließend Abteilungsleiter Planung und Materialversorgung ebd., seit 1952 Dezernatsleiter Planung des Rates der Stadt Leipzig, 1955 Besuch der Bezirksparteischule der SED Leipzig, bis 1958 Stadtrat für Volksbildung, Kultur, Körperkultur und Sport des Rates der Stadt Leipzig, 1958–1959 Stadtrat für Kultur des Rates der Stadt Leipzig, 1965 Qualifikation zum Diplom­Juristen, 1967–1968 Stadtbezirksbürgermeister Leipzig­Nordost, 1968 ausgeschieden durch Arbeitsunfähigkeit (Unfall). Vgl. 14. Tagung der Stadtverordnetenversammlung am 14.7.1959, StadtAL, StVuR (1), 196, Bl. 12 f.; Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung am 19.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/069, unp. 213 SED-Stadtleitung, Abteilung Staatliche Organe, Einschätzung über die derzeitige Tätigkeit des Rates, 20.12.1957, SächsStAL, 21145, IV/5/01/491, Bl. 54–57. 214 Ebd., Bl. 56.

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in ihren Betrieben verleben und die Beschlüsse der Partei so darlegen, daß etwas verändert wird.“215 Der Stadtrat hatte jedoch kaum Einfluss auf die Verwaltungspraxis in seiner Abteilung. Besprechungen in den Betrieben fanden, wenn überhaupt, ausschließlich zwischen Betriebs- und Abteilungsleitern statt, wobei man sich vorrangig über Planzahlen unterhielt.216 Es war keine Seltenheit, dass bei Ratssitzungen nur acht der 15 Ratsmitglieder anwesend waren.217 Damit war der Rat zwar formal beschlussfähig, aber kaum imstande, seiner Funktion zu entsprechen. Die eigentliche Arbeit erledigten schließlich die Fachabteilungen, der Rat nickte die Vorlagen oftmals nur noch ab.218 Während Fritz Beier und ein Teil der politischen Funktionäre im Rat der Stadt mit ihren begrenzten Einflussmöglichkeiten und letztlich erfolglosen Versuchen, eine Kultur der Massenmobilisierung im Rat der Stadt zu etablieren, an gravierenden Organisationsdefiziten und einer eher traditionellen Verwaltungskultur scheiterten, fehlte es auch der Stadtverordnetenversammlung und ihren Ständigen Kommissionen als zentralen Instrumenten der Massenmobilisierung an jeglicher Bindung zur Stadtverwaltung. Beschluss- und Diskussionsgrundlagen erhielten die Stadtverordneten oftmals erst kurz vor ihren Sitzungen. Eine Reihe von Abgeordneten betrachtete sich deshalb als „Anhängsel des Staatsapparates“, von den Funktionären „im Stich gelassen“ sowie durch wenig anerkennenswerte Repräsentationspflichten und Schreibarbeit überlastet.219 Zudem handelte es sich bei den Leipziger Stadtverordneten keineswegs um leidenschaftliche Agitatoren. Stadtverordnete sahen sich überwiegend mit den Kritiken der Bürger belastet, mieden Haus- und Betriebsversammlungen, wann immer sie konnten, oder traten teils aus Unwissenheit, teils aus Erklärungsnot „formal“ auf. Immer wieder beschwerten sich Bürger über das unprofessionelle Auftreten der Volksvertreter.220 Viele aber begegneten den Stadtverordneten mit Gleichgültigkeit; so etwa, als sie unter dem Eindruck der 215 Niederschrift über die erweiterte Leitungssitzung der SED-Grundorganisation beim Rat der Stadt mit den Sekretären der 13 Parteiorganisationen am 14.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 216 Vgl. Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 18. Oktober 1957, 28.10.1957, StadtAL, StVuR (1), 19903, Bl. 21. 217 Vgl. Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/77139/ 013, unp. 218 Vgl. Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 18. Oktober 1957, 28.10.1957, StadtAL, StVuR (1), 19903, Bl. 20–22; Protokoll über die Sonderratssitzung am 28.6.1958, StadtAL, StVuR (1), 19929, Bl. 6 f. 219 Vgl. Aktennotiz über die Besprechung der Abgeordnetengruppe der Volkskammer mit Walter Ulbricht beim Rat des Bezirkes Leipzig am 27.4.1956, StadtAL, StVuR (1), 4824, Bl. 52–57. 220 So wandte sich etwa ein entrüsteter Bürger im Mai 1957 mit einer Eingabe an die Nationale Front: „Wenn man dann aber die Vorstellung der Kandidaten W. [anonymisiert] und S. [anonymisiert] betrachtet, dann braucht man sich nicht über die mangelnde Aussprache zu wundern. Sie waren der Meinung, in der Wählervertreterkonferenz sich schon genügend vorgestellt zu haben und gaben nur so ein paar zusammenhanglose Erklärungen ab, daß der Nichtunterrichtete sich fragen musste, was haben sie denn sich nun eigentlich vorgenommen.“ Vgl. Eingabe aus dem Wohnbezirk 17 an die Nationale Front „Eine Kandidaten-Vorstellung, wie sie nicht sein soll!“, 22.5.1957, StadtAL, StVuR (1), 3416, Bl. 109.

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„Entstalinisierung“ erlassene Grundsätze der „breiten Beteiligung der Massen“ in einer größeren lokalen Öffentlichkeit (Betriebs-, Haus- und Wahlversammlungen) popularisieren sollten. Einem Bericht über die Tätigkeit der Staatsorgane im Bezirk Leipzig vom 25. August 1956 zufolge seien die Grundsätze großenteils entweder „überhaupt nicht oder aber nicht lebensnah und deshalb über die Köpfe der anwesenden Bürger hinweg“ vorgetragen worden. Die Beteiligung habe je nach Veranstaltung höchstens 30 Prozent betragen, Betriebsgewerkschaften hätten zudem überhaupt kein Interesse an Popularisierungsveranstaltungen gezeigt.221 Statistiken vom zweiten Halbjahr 1955 zeigen, dass in der Leipziger Stadtverordnetenversammlung Angestellte dominierten, die weder über herausragende politische Qualifikationen, noch über hinreichende fachliche Kenntnisse verfügten, die ihnen als Agitatoren von Nutzen gewesen wären. Mit 58 Prozent lag der Anteil der SED-Mitglieder zwar hoch, dennoch waren auch Mitglieder der Blockparteien mit 35,2 Prozent vergleichsweise stark vertreten. In den Stadtbezirken lag das nominelle Gewicht der SED mit 70 Prozent dagegen wesentlich höher. Etwa 70 Prozent der Stadtverordneten arbeiteten in Angestelltenberufen, 11 Prozent waren der „Intelligenz“ zuzurechnen, und nur knapp neun Prozent waren Industriearbeiter. Auch in den Parlamenten der Stadtbezirke dominierten Angestellte und Angehörige der „Intelligenz“ mit einem Anteil von zusammen 57 Prozent, Industriearbeiter waren auch hier nur zu einem knappen Drittel vertreten. Aus Sicht der SED alarmierender aber war das Niveau der politischen Qualifikation. Nur vier bis fünf Prozent der Abgeordneten hatten staatliche Verwaltungsschulen besucht, ein knappes Fünftel Parteischulen, und lediglich rund 18 Prozent hatten Auszeichnungen für herausragende Leistungen erhalten.222 Ideologisch geschulte und fachlich ausgebildete Kader, die man für Abgeordnetenmandate gewinnen wollte, strebten vorrangig attraktive und ausfüllende berufliche Karrieren an, neben denen ein wenig reizvolles Ehrenamt keinen Platz fand.223 Bei der Kandidatenauswahl musste so vielfach auf Personal zweiter Wahl zurückgegriffen werden. Daher wirkten gerade die Vorsitzenden der Ständigen Kommissionen, welche für die gesamte Tätigkeit ihrer schwerfällig arbeitenden und kaum beachteten Gremien verantwortlich waren, auf die Parteiführung wie „Multifunktionäre“224. Am Ende fehlte es vor allem der SED-Stadtleitung an einer veritablen Konzeption zur Umsetzung des mit Beiers Rezeption des Gesetzes verbundenen Gedankens der Machtdurchsetzung durch Stärkung der Stadtbezirke. Stattdessen löste Beier 221 Vgl. Bericht einer Brigade im Bezirk Leipzig 11.6.–17.8.1956 zur Tätigkeit der Staatsorgane, 25.8.1956, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/184, Bl. 1 f. 222 Vgl. Zusammensetzung der Volksvertretungen 2. Halbjahr 1955: Leipzig, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/67, Bl. 119–122. 223 So erreichten den Rat der Stadt immer wieder Bittbriefe von Abgeordneten, die aufgrund von Zeitmangel und angestrebter beruflicher Qualifizierung nicht mehr „wiedergewählt“ werden wollten. Vgl. Wahlbüro des Rates der Stadt Leipzig an das Wahlbüro des Rates des Bezirkes Leipzig über Probleme bei der Kandidatenaufstellung, 11.5.1957, StadtAL, StVuR (1), 3415, Bl. 213. 224 Vgl. Zusammensetzung der Volksvertretungen 2. Halbjahr 1955: Leipzig, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/67, Bl. 50.

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ungewollt eine ratsinterne Debatte um die Verteilung des Einflusses in der Stadt Leipzig aus. In den sich anschließenden Organisationsdebatten wurden so kaum noch politische Konzepte, sondern bald schon Machtverhältnisse zwischen dem Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke verhandelt. Die dezentrale Stadtverwaltung? Organisationsdebatten in Leipzig Strukturen und Kompetenzen Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ regte nicht zuletzt auch deshalb zu erneuten Debatten um die unvollendete Reform von 1952/53 an, weil es in Leipzig noch nach der kurzzeitigen Tauwetter-Periode infolge des XX. Parteitags der KPdSU mit der Entstalinisierung verbunden wurde. Dem vorangegangen waren interne Diskussionen über Strukturprobleme der Kommunalverwaltung. In einer Sondersitzung des Rates am 2. August 1956 machte etwa der Abteilungsleiter für Örtliche Wirtschaft konkrete Vorschläge zur Verteilung der Verwaltungsaufgaben zwischen der Stadt und den Stadtbezirken. Nach dieser Sitzung fühlte sich ein weiterer Mitarbeiter der Abteilung zum tieferen Nachdenken angeregt und übersandte seinen Vorschlag – unter Umgehung des formalen Dienstweges und in schriftlicher Form – an das für den Stellenplan verantwortliche Referat der Fachabteilung für Finanzen. Darin schlug er vor, sämtliche operative Aufgaben in den Verantwortungsbereich der Stadtbezirke zu legen. Die übergeordnete Abteilung im Rat der Stadt sollte obsolet werden, indem man die Fachabteilungen in den Stadtbezirken dem Rat des Bezirkes direkt unterstellte. Die Verbindung von Bezirk, Stadtbezirken und Betrieben sollte ausschließlich durch kontinuierliche Brigadeeinsätze gewährleistet werden.225 Schon allein diese Episode zeigt, welche Aufbruchsstimmung der XX. Parteitag innerhalb der Leipziger Stadtverwaltung entfacht hatte. Das wenige Monate später folgende Gesetz hielt diese internen Debatten am Leben, ungeachtet der Tatsache, dass die SED-Führung bereits wieder in stalinistische Herrschaftsmuster verfallen war. Umfassende Strukturvorschläge kamen aber zunächst nicht vom Rat der Stadt, sondern vom Rat des Bezirkes. Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Gesetzes übergab er der Stadt detailliert ausgearbeitete Vorschläge zur Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bezirk, Stadt und Stadtbezirken, was darauf hindeutet, dass diese bereits längere Zeit in den Schubladen lagen.226 In Anknüpfung an den Demokratisierungsdiskurs der Entstalinisierungs-Phase sollten der Volkswirtschaftsplan, insbesondere in den ökonomisch wichtigen Bereichen (Örtliche Industrie, Örtliche Wirtschaft, Handel und Versorgung und Volksbildung), sowie die Sozial- und

225 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abteilung Örtliche Wirtschaft, Verbesserungs-Vorschlag zur Verstärkung der Demokratisierung des Verwaltungs-Apparates, 2.8.1956, StadtAL, StVuR (1), 17139, Bl. 48. 226 Vgl. Vorschläge des Rates des Bezirkes, Aufgaben, die auf den Rat der Stadt bzw. auf die Räte der Stadtbezirke verlagert werden können, 22.1.1957, StadtAL, StVuR (1), 1532, Bl. 303–308.

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Kulturfonds der Betriebe (vormals Direktorfonds227) künftig auf die Stadtbezirke aufgeschlüsselt werden, um diesen dadurch einen größeren Spielraum bei der Mittelvergabe zu gewähren. Daneben wurden den lokalen Räten einige Verantwortlichkeiten für die weitere „sozialistische Umgestaltung“ zugewiesen, so vor allem in den Bereichen Örtliche Industrie, Landwirtschaft und Arbeitskräftelenkung. Die Abteilung Örtliche Wirtschaft etwa sollte nun sämtliche Kreisbetriebe anleiten, sich um Gewerbeerlaubnisse sowie Prämierungen kümmern und Grundfonds (Maschinen, Gebäude usw.) eigenverantwortlich verteilen dürfen, ferner jene Betriebe unter ihre Verwaltung nehmen, die zuvor der Deutschen Investbank unterstanden hatten. Zudem sollte die gesamte Konsumgütererfassung in die Stadtbezirke verlagert werden, die ferner die Genehmigung des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte kontrollieren sollten. Die Abteilung Arbeit und Berufsbildung sollte künftig die gesamte Beschwerdebearbeitung übernehmen und die Gehaltsvereinbarungen für private Betriebe regeln. Gleichwohl nutzte der Rat des Bezirkes seinen Vorschlag dazu, sich selbst einiger zeitraubender Genehmigungs- und Bearbeitungsverfahren zu entledigen. Die Konzentration von Aufgaben auf Bezirksebene hatte in der Vergangenheit neben der Überlastung des eigenen Apparates228 zu einem erheblichen Abstimmungsaufwand zwischen diesem und der Stadt geführt. Mitunter arteten Dienstbesprechungen zu achtstündigen „Mammutveranstaltungen“ aus.229 Der Rat des Bezirkes nutzte die Gelegenheit nun, um Aufgaben, welche rein städtische Angelegenheiten betrafen, wie u. a. die Beschwerdebearbeitung, Eintragungen ins Grundbuch, die Prämierung von Betriebsangehörigen oder auch die Erteilung der Gewerbeerlaubnis der Stadt zuzusprechen.230 Dennoch behielt sich der Rat des Bezirkes in vielen Fällen das Bestätigungs- bzw. Kontrollrecht vor und konnte Entscheidungen der Stadt rückgängig machen. Einen anderen Ansatz legte die SED-Stadtleitung vor. Ihr ging es weniger um eine Umverteilung von Aufgaben bei nahezu gleichbleibender Struktur, sondern – ganz auf der Linie Fritz Beiers – mehr um eine faktische Aufwertung der Stadtbezirke. Nach ihren Vorstellungen sollte der Rat der Stadt nur noch für die Bereiche 227 Aus den Kultur- und Sozialfonds wurden Prämien sowie Sozial- und Kulturleistungen für Industriearbeiter bezahlt, so etwa Lohnprämien und Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsund Lebensbedingungen. Die Höhe dieses Fonds sollte anhand der (Über-)Erfüllung der Pläne bemessen werden. Er sollte damit einen Anreiz zur „kollektiven“ Normübererfüllung sowie rationellen Wirtschaftsweise darstellen und zugleich die Akzeptanz von Normerhöhungen steigern. Da die Zuteilung von Kultur- und Sozialfonds allerdings vom wirtschaftspolitischen Rang der Betriebe abhing und nicht jeder Betrieb seinen Kapazitäten nach in der Lage war, Kultur- und Sozialfonds zu bilden, erschien die Verlagerung der Verteilung des Prämienfonds auf die Stadtbezirke vom Gesichtspunkt der Stadtentwicklung aus sinnvoll. Vgl. Peter Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiss. Soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/ DDR 1945–1970, Berlin 1994, S. 63–65. 228 Die Diskussionen im Rat des Bezirkes Karl­Marx­Stadt reflektieren die gleichen Probleme wie im Rat der Stadt Leipzig und dürften damit wohl repräsentativ für nahezu alle Räte sein. Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 332–346. 229 Vgl. Stadtrat Große an den amtierenden Ratsvorsitzenden Fleschhut, 21.4.1956, StadtAL, StVuR (1), 1538, Bl. 215. 230 Vorschläge des Rates des Bezirkes, Aufgaben, die auf den Rat der Stadt bzw. auf die Räte der Stadtbezirke verlagert werden können, 22.1.1957, StadtAL, StVuR (1), 1532, Bl. 303–308.

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Kontrollstelle, Stadtfunk, Perspektivplanung, Rechtsstelle, Innere Angelegenheiten (Archivwesen, VS-Stelle, Druckgenehmigung), Energie sowie Stellenpläne zuständig sein und für alle anderen Aufgabenbereiche lediglich koordinierende, anleitende und kontrollierende Funktionen übernehmen, womit eine offensive Verlagerung ganzer Arbeitsbereiche in die Stadtbezirke verbunden war.231 Der Rat der Stadt selbst argumentierte vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit der Verwaltungsreform von 1952/53 eher in die umgekehrte Richtung. Zur Stabilisierung seines eigenen Apparates bestanden hier vor allem Vorstellungen darüber, welche Aufgaben aus den Stadtbezirken herausgenommen und im Rat der Stadt zentralisiert werden sollten. Entgegen den Auffassungen der SEDStadtleitung sollte etwa die Lohnkontrolle getrennt nach Industriezweigen in der Abteilung Arbeit zentralisiert werden, ferner sollte die Beurkundung von Geburten und Sterbefällen künftig in der Abteilung Inneres stattfinden, die Bauaufsicht in der Abteilung Aufbau konzentriert und die Preisprüfer allesamt in die Abteilung Finanzen umgesetzt werden. Ein geschlossenes Konzept legte der Rat selbst aber nicht vor.232 Vergleicht man die einzelnen Ansätze des Rates des Bezirks, der Stadtverwaltung und der SED-Stadtleitung, so zeigt sich, dass trotz augenscheinlicher Überschneidungen ein einheitlicher Konsens weder bestand, noch angestrengt wurde. Vielmehr spiegeln die Entwürfe einerseits einen grundsätzlichen Diskussionsbedarf über organisatorische Fragen wider, zugleich aber auch unterschiedliche Verwaltungsverständnisse und Erwartungen. Es überrascht kaum, dass die geforderte Dezentralisierung von Kompetenzen vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen vor allem im Rat der Stadt auf resistente Abteilungsleiter stieß, wie der amtierende Oberbürgermeister Reinhold Fleschhut noch im August 1957 verärgert feststellte.233 Dies betraf insbesondere wirtschaftlich bedeutsame Abteilungen, wie Finanzen, Örtliche Wirtschaft sowie Handel und Versorgung, die Aufgaben nur widerwillig und mit Nachdruck abzugeben bereit waren.234 Dass vor allem die Erfahrung der Konzeptlosigkeit im Rat der Stadt für eine vielfach skeptische Haltung sorgte, zeigen zahlreich geäußerte Bedenken gegenüber belanglos anmutenden Veränderungen. So stand etwa die Forderung, in jedem Stadtbezirk einen Pädagogen zur politischen Anleitung der Lehrer einzusetzen, im Verdacht, eine vom Rat der Stadt nicht mehr zu beherrschende Struktur zu etablie-

231 Zum Strukturvorschlag der SED-Stadtleitung von 1957 vgl. SächsStAL, 21145, IV/5/01/493, unp. 232 Vgl. Ebd., Bl. 49 f. 233 Vgl. Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 234 Vgl. Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitgliedern der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke, und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, Ebd., unp.; Rat der Stadt, Abt. Kader, Bericht über die Kaderarbeit für das Jahr 1957, 3.1.1958, SächsStAL, 21479, IV/7/ 139/017, unp.

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ren.235 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Forderungen nach Aufgabenverlagerungen nach unten lediglich aus den Abteilungen kamen, die sich im Vorfeld mit zentralen Akteuren über Probleme des schwerfälligen Planungssystems intensiv auseinandergesetzt hatten; allen voran die städtische Plankommission.236 So seien sämtliche Planungskader alle zwei Jahre zu vierwöchigen Kursen der Staatlichen Plankommission delegiert worden, wo sie Anregungen von führenden Wirtschaftsexperten, die „kein Blatt vor den Mund nahmen“, bekommen hätten.237 Abteilungen, die keine Impulse von oben erhalten hatten, verhielten sich bei Diskussionen weitestgehend passiv bzw. reaktiv. Auch eifrige Abteilungsleiter wie Heinz Schwidtmann (Volksbildung), die unter Zeitdruck und aufgrund fehlender zentraler Vorgaben vergeblich nach Vergleichsmodellen in anderen sächsischen Großstädten gesucht hatten, stießen an ihre Grenzen und kamen schlussendlich über vorläufige Strukturvorschläge nicht hinaus.238 Bezeichnend ist daher auch, dass es erst der Intervention des 1. Sekretärs der SED-Stadtleitung, Beier, bedurfte, um die Verantwortlichen des Bezirkes, der Stadt sowie der Stadtbezirke im Juni 1957 an einen Tisch zu bringen. Allerdings blieben solche Vorstöße Ausnahmen und konnten keine nachhaltige Wirkung erzielen.239 Die lokalen Diskussionen um strukturelle Reformen bzw. Entflechtung von Kompetenzen zugunsten einer effektiven lokalen Planungstätigkeit liefen ins Leere und scheiterten letztendlich an unvereinbaren Konzepten sowie skeptischen Verwaltungskräften. Planstellen und Gehälter Viel intensiver aber diskutierte man im Rat der Stadt die Probleme der Personaleinsparungen seit 1952/53. Gerade in diesem Bereich ginge es, einem internen Papier zufolge, um die „Bereinigung von Fehlern der Vergangenheit“.240 Seit 1953 hatten sich die stetig ansteigenden materiellen Kosten für die „sozialistische Umgestaltung“ der Industrie, der Landwirtschaft und seit 1956 für die Landesverteidigung immer nachteiliger auf den unteren Verwaltungs- und Parteiapparat ausgewirkt.241 Die örtlichen Räte hatten sich am „Prinzip der strengen Sparsamkeit“ zu orientieren, das im Haushaltsgesetz von 1954 zum Rationalitätsprinzip aller staatlichen 235 Vgl. Protokoll über die Leitungssitzung der Grundorganisation der SED beim Rat der Stadt Leipzig am 23.5.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/39/013, unp. 236 Vgl. Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 18. Oktober 1957, 28.10.1957, StadtAL, StVuR (1), 19903, Bl. 22. 237 Vgl. Blaurock, Geplant, S. 73. 238 Vgl. Protokoll über die Leitungssitzung der Grundorganisation der SED beim Rat der Stadt Leipzig am 23.5.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/39/013, unp. 239 Vgl. Beschluss des Büros der Stadtleitung vom 7.6.57, Strukturveränderung Rat der Stadt/Räte der Stadtbezirke, o. D., StadtAL, StVuR (1), 13851, Bl. 55. 240 Vgl. Vorlage über die künftige Struktur des Rates der Stadt und die Räte der Stadtbezirke der Stadt Leipzig, 5.6.1957, StadtAL, StVuR (1), 13851, Bl. 48. 241 Da die Haushalte der Partei-, Staats- und Sicherheitsapparate der Geheimhaltung unterlagen, lassen sich die Dimensionen zahlenmäßig kaum erfassen. Dem Haushaltsplan des Bezirkes Leipzig von 1958 zufolge seien durch den Rat der Stadt Leipzig im Vergleich zu 1957 750.000 DM eingespart worden. Vgl. Ministerium für Finanzen, Haushaltspläne Bezirk Leipzig 1958, BArch, DN 1/569, Bl. 8.

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Arbeit bestimmt worden war, in seiner praktischen Umsetzung aber freilich der Interpretation der SED-Führung oblag.242 Im Rat der Stadt Leipzig war man jedoch davon überzeugt, dass sich die Erweiterung der Aufgabendichte bei der Planung örtlicher Prozesse nur mithilfe eines aufgestockten Stellenplanes bewältigen ließ. Die dabei auftretenden Konflikte lassen sich aufgrund der guten Quellenlage am Beispiel der Preisprüfung nachvollziehen, die per Ministerratsbeschluss vom Juni 1956 vom Bezirk auf die Stadt und ihre Stadtbezirke übergehen sollte.243 Dem vorausgegangen waren während der Entstalinisierungsphase diskutierte Erkenntnisse über Strukturschwächen im Finanzministerium, die sich aus dem rasanten Anstieg der Preisvorschriften (1957: 845) ergeben hatten.244 In vielen Fällen hielten sich etliche Betriebe jedoch nicht an die vorgegebenen Festpreise, weil sie ihre Kosten nicht deckten, aber auch bei den Preiskontrolleuren des Ministeriums bestand kein Überblick über die mit Festpreisen belegten Waren.245 Angesichts der schlechten Versorgungslage und der Vielzahl privater Einzelhändler in der Stadt Leipzig, über welche die zentralen Behörden ohnehin kaum informiert waren, handelte es sich dabei vor Ort um ein politisch bedeutsames Aufgabenfeld. Offenbar ging der Rat des Bezirks Leipzig davon aus, dass sich die für die Eingliederung der Preisprüfung in den Rat der Stadt notwendigen Planstellen durch Einsparmaßnahmen in anderen Bereichen problemlos bereitstellen ließen, ohne dies freilich zu überprüfen. Dies erwies sich allerdings als Trugschluss, zumal sich für die Stadt durch die Halbierung der Stadtbezirke Folgeprobleme ergaben. Als der Rat des Bezirkes die Finanzabteilung des Rates der Stadt am 3. Juni 1957 dazu aufforderte, bis zum 12. Juni ein fertiges Konzept vorzulegen, wurden im Stadtbezirk 11 immer noch Verhandlungen über die „notwendigen Erweiterungen“ der Preisprüfung geführt. Der Bezirk verwies indes pauschal auf geplante Mehreinnahmen246, die man zur Finanzierung heranziehen könne. In dieser kurzen Frist, die durch verspätetes Eintreffen des entsprechenden Schreibens und zwei Feiertage zusätzlich um fünf Tage verkürzt wurde, war es kaum möglich, den Vorschlag im Stellenplanaktiv der Stadt – ein zur Koordinierung und Beratung zwischen dem Rat und den Fachabteilungen eingesetztes Gremium – zu diskutieren. Auch forderte der Abteilungsleiter für Finanzen beim Rat der Stadt, Helmut Daute, für die rund 22.000 preisrechtlich zu kontrollierenden Betriebe247 mindestens 20 Planstellen und 120.000 DM Lohnfonds und machte zu242 Vgl. Gesetz über die Staatshaushaltsordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. Februar 1954, in: Gesetzblatt der DDR 1954, S. 207. 243 Vgl. Vorlage über die künftige Struktur des Rates der Stadt und die Räte der Stadtbezirke der Stadt Leipzig, 5.6.1957, StadtAL, StVuR (1), 13851, Bl. 50. 244 Vgl. Heinz Hoffmann, Die Betriebe mit staatlicher Beteiligung im planwirtschaftlichen System der DDR, Stuttgart 1999, S. 21–47. 245 Vgl. Jennifer Schevardo, Vom Wert des Notwendigen. Preispolitik und Lebensstandard in der DDR der fünfziger Jahre, Stuttgart 2006, S. 144 f. 246 Im Zuge des Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17. Januar 1957 durften die Kommunen über die (geplanten!) Mehreinnahmen verfügen. Vgl. Johannes Gurt / Gotthold Kaltofen, Der Staatshaushalt der DDR. Grundriß, Berlin (Ost) 1977, S. 174. 247 Vgl. Rat der Stadt, Abteilungsleiter Finanzen, Helmut Daute, an den Rat des Bezirkes, Abt. Finanzen, Stellenplanwesen, 21.6.1957, StadtAL, StVuR (1), 16662, Bl. 119.

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dem darauf aufmerksam, dass die Höhe der geplanten Mehreinnahmen kaum den örtlichen Realitäten entsprach.248 Anstatt letztere in die Diskussionen einzubeziehen, zogen sich die Debatten schließlich noch einige Zeit hin, in der sich der Rat des Bezirkes seiner Position beim Finanzministerium rückversicherte. Anfang August 1957 lag der Beschluss von höchster Stelle vor. Danach gestattete man dem Rat der Stadt, maximal 18 Planstellen mit 115.500 DM Vergütungsmitteln in den Stellenplan zu integrieren249, jedoch mussten die Mehrausgaben durch den vorhandenen Lohnfonds abgedeckt werden, d. h. es musste an anderer Stelle gespart werden. Wie sich bereits bei den konzeptionellen Vorstellungen zur Strukturreform und nun auch am konkreten Beispiel der Preisprüfung abzeichnete, kamen vom Rat des Bezirkes keine Stellenplanvorschläge. Dagegen trug die SED-Stadtleitung ihren Plänen nach Verlagerung eines erheblichen Teils der Aufgaben in die Stadtbezirke durch eigene entsprechende Überlegungen Rechnung (Tab. 3). Tab. 3: Stellenpläne und Lohnfonds im Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke Leipzig 1957 5.6.1957

Vorschlag Rat der Stadt 5.6.1957

Vorschlag SED-Stadtleitung 1957

31.7.1957

23.8.1957

27.11.1957

534 5/6

582

554,5

533,5

2.233

1.603,75

1.377

1.378

Stellenpläne Rat der Stadt

569,5

603

Räte der SB

1.629,75

1.424

Lohnfonds in DM Rat der Stadt

3.453.149

3.815.147

3.031.198

3.522.591

3.485.841

3.339.540

Räte der SB

8.608.135

7.947.133

8.948.466

8.460.908

7.675.128

7.662.423

Quelle: StadtAL, StVuR (1), 17313; SächsStAL, 21145, IV/5/01/493, unp.

Im Rat der Stadt hatte man am 5. Juni 1957 indes beschlossen, den eigenen Stellenplan um knapp 35 Stellen aufzustocken und den der Stadtbezirke um etwa 200 zu verringern, was von den Vorstellungen der Stadtleitung massiv abwich. Um den Einsparungsmaßnahmen gerecht zu werden, beabsichtigte der Rat, etwa 661.000 DM in den Stadtbezirken einzusparen, von denen jedoch knapp 55 Prozent für Mehrausgaben im Rat der Stadt beansprucht wurden. Als von den Einsparungen massiv betroffene Einrichtung konnte der Rat der Stadt die Abwanderung qualifizierten Personals, im Gegensatz zu den Industriebetrieben, nicht durch lohnpolitische Gestaltungsfreiheiten verhindern. Wie sehr die lokalen Staatsorgane vom Spardiktat der SED betroffen waren, belegt eine Bemerkung des Ministeriums für Finanzen. Dieser zufolge sollten Veränderungen, die im Zusammenhang mit zentral

248 Vgl. Rat der Stadt, Abteilungsleiter Finanzen, Helmut Daute, an den Rat des Bezirkes, Abt. Finanzen, Stellenplanwesen, 7.6.1957, Ebd., Bl. 125. 249 Vgl. Rat des Bezirkes, Vorsitzender Erich Grützner, an Oberbürgermeister Erich Uhlich, 5.8.1957, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 327.

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vorgegebenen Strukturmaßnahmen standen, wie etwa in den Bereichen Körperkultur und Sport250 oder Berufsbildung251, nicht als „effektive Einsparungen“ gewertet werden.252 Ende Juli 1957 war die Zielvorgabe der Stadtverwaltung von 603 Planstellen zu 62,5 Prozent, der angestrebte Gehaltszuwachs sogar zu 81 Prozent erfüllt. Dies konnte der Rat der Stadt aber nur durchsetzen, weil er eine Reihe von Leitungspositionen der Stadtbezirke in der Gehaltsgruppe heruntergesetzt hatte.253 Etwa zwei Wochen später hatte der Rat der Stadt mit 600 Stellen sogar fast den Soll-Wert erreicht.254 Dagegen hatten die Stadtbezirke zu diesem Zeitpunkt erst 12,7 Prozent der eingeforderten Planstellen und 18 Prozent der veranschlagten Gehaltsmittel abgegeben. Erst als sich der Rat der Stadt am 12. August mit diesem Vorgehen unzufrieden zeigte, kürzte er den Stellenplan der Stadtbezirke innerhalb eines Monats radikal. Dabei nutzte der Rat der Stadt die Situation der Stadtbezirke, die sich noch im Aufbauprozess befanden und daher noch keine verbindlichen Stellenpläne vorlegen konnten, für seine Zwecke aus. Verglichen mit der Ausgangslage am 5. Juni 1957 musste der Rat der Stadt am Ende rund drei Prozent seiner Planstellen abgeben, die Stadtbezirke dagegen etwa 15 Prozent. Allerdings hatte sich das Gehaltsvolumen im Rat der Stadt um ein Prozent erhöht, während die Stadtbezirke etwa 11 Prozent ihrer Gehaltsmittel einbüßten. Die Praxis des Rates der Stadt blieb übergeordneten Behörden jedoch nicht lange verborgen. So äußerte das Ministerium für Finanzen im Oktober 1957 Unbehagen darüber, „daß sich der Rat der Stadt Leipzig auf Kosten der Einsparungen bei den Räten der Stadtbezirke zusätzliche Planstellen und vor allem höher bewertete Planstellen verschafft hat.“255 Aber nicht nur, dass der Rat für diese Vorgehensweise nun gerügt wurde, das Ministerium für Finanzen verlangte zudem, weitere Einsparungen in Höhe von insgesamt 10 Prozent bzw. 1,2 Millionen DM vorzunehmen.256 Resigniert versuchte Oberbürgermeister 250 Im April 1957 wurde der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) gegründet, der einen Großteil der Sportangelegenheiten übernahm. Die städtischen Verpflichtungen sollten deshalb auf einen Sportreferenten reduziert werden. Vgl. Hans Joachim Teichler, Die Kehrseite der Medaillen. Sport und Sportpolitik in der SBZ/DDR, in: Rainer Eppelmann / Bernd Faulenbach (Hrsg.), Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, Paderborn etc. 2003, S. 287 f. 251 Im Rahmen der Debatte zwischen dem Ministerium für Arbeit und Berufsbildung sowie der Staatlichen Plankommission wurde auch über die Zuständigkeit der Berufsbildung diskutiert. Dies führte auch im unteren Staatsapparat zu der Überlegung, die Berufsbildung in den Stellenplan der örtlichen Plankommissionen zu integrieren. Vgl. Dierk Hoffmann, Aufbau und Krise der Planwirtschaft. Die Arbeitskräftelenkung in der SBZ/DDR 1945 bis 1963, München 2002, S. 514. 252 Ministerium für Finanzen an den Rat des Bezirkes Leipzig, Oktober 1957, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 312. 253 Vgl. Stellenplan Rat der Stadt Leipzig, angehängte Aktennotiz, o. D., StadtAL, StVuR (1), 1542, Bl. 59. 254 Vgl. Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/39/013, unp. 255 Protokoll über die Besprechung mit der Stellenplanverwaltung am 2. und 3.10.1957, Ebd., Bl. 313. 256 Vgl. Ebd.

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Uhlich zwei Wochen später noch einmal, den 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Fritz Beier, für die Interessen seines Hauses zu sensibilisieren, um so die Interessen der Stadt gegenüber übergeordneten Behörden gemeinschaftlich zu vertreten: „Leipzig soll nach Meinung von Berlin DM 1.200.000.- einsparen.“257 Im Wissen, dass Beier den Genossen in der Vergangenheit mehrfach vorgeworfen hatte, um Planstellen „gefeilscht“258 zu haben, blieb dieser letzte Versuch der Einflussnahme allerdings erfolglos. Im Wirrwarr der unterschiedlichen und nicht aufeinander abgestimmten Interessen musste der Stellenplan immer wieder korrigiert werden. Schließlich sah ein revidierter Stellenplan vom 27. November 1957 weitere Einsparungen von 981.535 DM vor259, die Uhlich in der Presse gezwungenermaßen als erfolgreiches Ergebnis der Reform des Jahres 1957 präsentierte.260 Entgegen dieser offiziellen Lesart wurde in Berlin registriert, dass man zwischen dem 1. Januar 1956 und dem 30. September 1957 in allen Lokalverwaltungen der DDR zwar insgesamt 1.336 Planstellen und 3.5 Millionen DM Lohnkosten eingespart hatte, dass aber der überwiegende Teil dieser Einsparungen zur Erhöhung der Durchschnittsgehälter der Funktionäre und Angestellten verwendet worden war. In Leipzig etwa stieg das Durchschnittsgehalt um monatlich etwa 441 DM pro Planstelle, was eine der massivsten Erhöhungen unter den Städten und Kreisen darstellte. Hier verdiente man jährlich im Schnitt nun 5.751 DM.261 Das Ergebnis war letztlich ein Kompromiss, dem keine Diskussionen vorausgingen, sondern der sich am Ende aus den Umständen ergab. Personal Im Juni 1957 hatte Fritz Beier vor dem Sekretariat der SED-Bezirksleitung Leipzig gefordert, „eine ganze Reihe Kräfte vom Rat der Stadt in die Stadtbezirke zu geben. Wir müssen uns auch überlegen, daß wir besonders gute Kräfte in die Schwerpunkte geben“, während im Rat der Stadt „ein ganz bestimmter Kern, der hohes Niveau besitzt, erhalten werden“ müsste.262 Dieses personalpolitische Konzept, das an Beiers Struktur- und Stellenplankonzept anschloss, stieß im Rat der Stadt auf wenig Gegenliebe. Zum einen war qualifiziertes Personal rar, zum anderen wollte man eingespielte Abteilungen nicht zerreißen. Die noch bestehende Schwäche der Stadtbezirksverwaltungen als Chance begreifend, zog der Rat der Stadt nicht nur 257 Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 18. Oktober 1957, 28.10.1957, StadtAL, StVuR (1), 19903, Bl. 20. 258 Vgl. Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 259 Davon gingen 183.051 DM zu Lasten des Rates der Stadt und 798.484 DM zu Lasten der Stadtbezirke. Vgl. Stellenplan nach dem Beschluß vom 27.11.1957, StadtAL, StVuR (1), 17313, Bl. 99. 260 Vgl. Erich Uhlich, Ein Jahr Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht, in: Der Mitarbeiter 2, 1958, S. 3. 261 Vgl. Ministerium für Finanzen, Stellvertreter des Ministers an ZK der SED, Abt. Staat und Recht, Klaus Sorgenicht, 31.12.1957, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/74, Bl. 319. 262 Protokoll der Beratung bei der SED-Bezirksleitung am 27.6.1957, SächsStAL, 21123, IV/2/ 3/221, Bl. 128 f.

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die Stellenplanung, sondern auch die konkrete personalpolitische Ausgestaltung der Stadtbezirke kurzerhand an sich.263 Trotz seiner übergeordneten Position war der Rat der Stadt dabei mit zahlreichen Einzelproblemen konfrontiert. Im Kampf um fachlich versiertes Personal waren nicht etwa die Stadtbezirke die eigentlichen Konkurrenten, sondern die ortsansässigen Betriebe, die nicht selten mit attraktiveren Lohnangeboten lockten. Der Rat war so gezwungen, etwa die wenigen Lottomittel, die man flexibel für kommunale Maßnahmen einsetzen konnte, für Mitarbeiterprämien zu verwenden; im August 1957 etwa 25.000 DM.264 Gleichwohl bereitete die von der SED-Stadtleitung mit Vehemenz geforderte Umsetzung der Schwerbeschädigten große Probleme. Schwerbeschädigte waren bereits kurz nach Kriegsende vorrangig in den lokalen Verwaltungen eingesetzt worden265 und galten hier seither als lästige Zeitgenossen, unmotiviert, faul, überheblich und sogar als Gefahr für die Gesundheit der Kollegen.266 Nicht zuletzt deshalb hatte man sie häufig mit Aufgaben betraut, „denen sie gar nicht gewachsen sind“.267 Mit Zunahme der Abwanderung qualifizierter Kollegen in die Industrie stieg ihr prozentualer Anteil sogar noch.268 So beklagte der selbst zu 35 Prozent als „arbeitsbehindert“ geltende Stadtbezirksbürgermeister Mitte, Kurt Erich Hutschenreuter269, während einer Beratung mit einem abwertenden Unterton, „daß wir unsere Schwerbeschädigten nicht losbekommen“.270 Ferner verhinderte auch der den Verantwortlichen auferlegte Zeitdruck eine differenzierte Personalpolitik. Häufig wurden Mitarbeiter einzig aufgrund ihrer formalen Qualifikationen auf die Stadtbezirke verteilt, ohne dass mit ihnen zuvor gesprochen worden war. Man habe lediglich darauf geachtet, dass sich „keine Konzentration von LDP-Mitgliedern“ bildete. Den Stadtbezirken wurde Mitte Juli schließlich eine ad hoc beschlossene Personalliste vorgelegt.271 Mit dieser Besetzungspraxis verbanden sich nicht nur zum Teil drastische Gehaltsverluste auf unteren Positionen. So wurde etwa in der Abteilung Handel und Versorgung des Stadtbezirkes 12 eine Sachbearbeiterstelle zum Unmut der betroffenen Mitarbeiterin von 350 auf 310 263 Vgl. Protokoll der Leitungssitzung der SED-Grundorganisation Rat der Stadt am 23.5.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 264 Vgl. Protokoll über die gemeinsame Leitungssitzung zwischen der Parteigruppe Rat und der Leitung der Grundorganisation beim Rat der Stadt, 12.8.1957, Ebd., unp. 265 Vgl. Anordnung des Landesarbeitsamtes Sachsen über die Beschäftigung von Schwerbeschädigten vom 17. November 1945, in: Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Sachen 1 (1945), Nr. 15, S. 91. 266 Vgl. Personalamt an das Arbeitsamt, Entlassungsvorschläge, 11.11.1948, StadtAL, StVuR (1), 1343, Bl. 294–301. 267 Protokoll über die Sitzung der Stellenplankommission beim Rat der Stadt Leipzig am 17.8.1957, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 4. 268 Kaderpolitische Übersicht über den derzeitigen Stand der Strukturveränderung beim Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke, 23.8.1957, StadtAL, StVuR (1), 1542, Bl. 61 f. 269 Vgl. Personalbogen Kurt Erich Hutschenreuter, 7.12.1959, SächsStAL, 21699, 201, unp. 270 Protokoll über die Sitzung der Stellenplankommission beim Rat der Stadt Leipzig am 17.8.1957, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 4. 271 Vgl. Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitgliedern der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp.

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DM herabgesetzt.272 Ein Arbeiter im Steinkohlebergbau konnte dagegen gut das Doppelte verdienen273, selbst in der Landwirtschaft lag das Durchschnittsgehalt eines Arbeiters um etwa 100 Mark höher.274 Hinzu kam eine zunehmend um sich greifende Angst um die berufliche Existenz, die durch die Geheimniskrämerei um die Besetzung der Leitungspositionen zusätzlich angeheizt wurde. So äußerte sich ein Ratsmitglied des Stadtbezirkes 12 entrüstet über seine Lage: „Ich sollte dann zum Aufbau, dann sagte man mir, ich soll in einen anderen Stadtbezirk als Techniker. Ich war bereit, noch 2 Jahre auf die Abendschule zu gehen, um mich zu qualifizieren, damit ich meiner Aufgabe gerecht werde. Ich sagte, daß ich seit 45 Jahren als Funktionär der Partei gearbeitet habe. Mir ist das gleich was ich arbeite, aber ich verwahre mich gegen diese schematische Behandlung.“275

Auf dieser Basis ließ sich freilich kein Rationalisierungseffekt erzielen: „Unter den Kollegen [besteht d. V.] wenig Bereitschaft zur Veränderung der Arbeitsweise, da ein großer Teil sagt, nach und nach werden wir alle entlassen.“276 Eine Reihe von Mitarbeitern, die auf andere Stellen gesetzt wurden, war zudem mit den neuen Tätigkeiten schlicht überfordert.277 Im Stadtbezirk 8 wurden die Stellenbesetzungen daher eigenmächtig so geändert, „wie sie richtig laufen müssen“.278 Der Rat der Stadt reagierte auf solche Alleingänge zumeist mit Vorwürfen und Druckausübung: „Wir haben einen Plan und wehe wenn etwas daran geändert wird!“279 Sogar Vorwürfe der Vetternwirtschaft griffen dabei um sich. In den Finanzabteilungen der Stadtbezirke sei „alles verwandt und verschwägert“ gewesen, und die Bezirksbürgermeister hätten dazu geneigt, „etwas Inzucht zu treiben …“.280 Die Organisationsdebatten in Leipzig im Anschluss an das Gesetz von 1957 machen schlussendlich deutlich, wie wenig Einfluss Fritz Beier, der als 1. Sekretär der SED-Stadtleitung die Deutungshoheit über Sinn und Zweck des Gesetzes beanspruchte, tatsächlich hatte. In materiellen Fragen bestimmte schließlich der Konflikt zwischen dem Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke das Geschehen. Der Rat der Stadt sah die Stadtbezirke vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung einer einheitlichen städtischen Planung, womit er zugleich den Zugriff auf deren Ressourcen legitimierte. Als in der administrativen Hierarchie höher 272 Vgl. Ebd., unp. 273 Vgl. Hübner, Konsens, S. 76. 274 Vgl. Peter Hübner, Das Tarifsystem der DDR zwischen Gesellschaftspolitik und Sozialkonflikt, in: Karl Christian Führer (Hrsg.), Tarifbeziehungen und Tarifpolitik in Deutschland im historischen Wandel, Bonn 2004, S. 274. 275 Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitgliedern der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 276 Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 18. Oktober 1957, StadtAL, StVuR (1), 19903, Bl. 20. 277 Vgl. Gemeinsame Beratung mit den Leitungsmitgliedern der Grundorganisation beim Rat der Stadt, den 13 Parteisekretären der Parteiorganisationen, den Sekretären der PO der Stadtbezirke und den Bezirksbürgermeistern am 18.7.1957, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 278 Ebd. 279 Ebd. 280 Ebd.

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stehende Ebene entschied er dogmatisch über die Köpfe der Stadtbezirke hinweg und hinterließ so am Ende schwache örtliche Machtzentren. 2.2 Das „Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 11. Februar 1958 Während einer Sitzung des Ministerrates im Januar 1958 bilanzierte Walter Ulbricht die Umsetzung des „Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht“. Dieses, so Ulbricht, habe nicht zum Abbau des „Überzentralismus“ beigetragen. Damit gemeint war vor allem das übermäßige Hineinregieren zentraler Ministerien in die Belange örtlicher Behörden. Freilich war dies eine gern lancierte Argumentation, die das eigentliche Wissensdefizit darüber, wie der demokratische Zentralismus effektiv funktionieren sollte, verschleierte. Dennoch sollte nun ein weiteres Gesetz zur Verbesserung der Lage beitragen.281 Keinen Monat später, am 11. Februar, wurde das „Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik“ ausgegeben282, das noch immer an den Prämissen der „strengen Sparsamkeit“ und der Rationalisierung der Wirtschaftsleitung festhielt, den Schwerpunkt aber von „Vereinfachung“ auf „Vervollkommnung“ verlagerte. Diese terminologische Korrektur ermöglichte nun konkrete Strukturmaßnahmen. Im Fokus stand die „komplex-territoriale Planungs- und Leitungstätigkeit“ der Wirtschaft. Gerade auf diesem Gebiet wollte man die Bundesrepublik überholen und die massenhafte Abwanderung von Arbeitskräften aufhalten.283 Entsprechend konzentrierten sich die im Gesetz verankerten Maßnahmen auf den Ausbau des lokalen Planungs- und Bauwesens. Dabei machte sich die SED-Führung zwei einschneidende Richtungswechsel in der Sowjetunion zunutze. Zum einen hatte Chruschtschow im Jahre 1957, nach langen innerparteilichen Kämpfen284, ein Programm zur administrativen Reorganisation der Wirtschaftsverwaltung durchgesetzt. Dabei sollten 116 Industrieministerien auf Republik- und 25 auf Unionsebene aufgelöst und deren Kompetenzen auf 105 regional organisierte Volkswirtschaftsräte verteilt werden.285 Dadurch sollten in starkem Umfang Kosten eingespart werden, die das alte System der Wirtschaftsplanung und -leitung verursacht hatte. Allein für 281 Vgl. Walter Ulbricht, Vervollkommnet den Staatsapparat. Rede des Ersten Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates und Diskussionsbeiträge auf der 32. Tagung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 10. und 11. Februar 1958, Berlin (Ost) 1958, S. 8. 282 Soweit nicht anders nachgewiesen, beziehen sich die nachfolgenden Aussagen auf: Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Februar 1958, in: Gesetzblatt der DDR 1958, Teil 1, S. 117–120. 283 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 110–115. 284 Vgl. hierzu ausführlich Nataliya Kibita, Soviet economic management under Khrushchev. The Sovnarkhoz Reform, London 2013. 285 Vgl. Stefan Merl, Entstalinisierung, Reformen und Wettlauf der Systeme 1953–1964, in: Stefan Plaggenborg (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 5, Halbbd. 1: 1945–1991. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, Stuttgart 2002, S. 228.

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die ukrainische Industrie waren 18 Ministerien auf Unionsebene und 15 Ministerien auf Republikebene zuständig. Zudem arbeiteten 50 Ministerien und regionale Behörden an deren Entwicklung.286 In Anknüpfung daran hatte die SED-Führung im Frühjahr 1958 die Bezirksplankommissionen durch Wirtschaftsräte ersetzen lassen, die sich ausschließlich mit der Perspektivplanung der bezirksgeleiteten Industrie beschäftigen sollten und denen weitere Verwaltungseinheiten, sogenannte Vereinigungen volkseigener Betriebe (VVB), unterstellt waren.287 Zum anderen hatte Chruschtschow zur Stabilisierung seiner Herrschaft bereits 1954 einen Richtungswechsel im Bauwesen eingeleitet. Der „Zuckerbäcker“-Stil sollte durch die kostengünstigere industrielle und typisierte Bauweise ersetzt werden, was insbesondere dem Massenwohnungsbau zugutekommen sollte. Dem schloss sich die DDR auf der ersten Baukonferenz im darauffolgenden Jahr mit der Losung „Besser, schneller, billiger bauen“ an.288 Die hinter dieser augenscheinlichen Adaption sowjetischer Entwicklungen stehenden Diskurse entfalteten aber eine ganz eigene interne Dynamik, die in der Forschung bislang kaum genauer analysiert worden ist.289 Konzentration und Entflechtung: Debatten über Strukturreformen in Berlin Bereits im Vorfeld des 32. Plenums des ZK der SED im Juli 1957 hatte Ulbricht eine parteiinterne Debatte zur „Vereinfachung im zentralen Staatsapparat und in den örtlichen Organen“ ausgelöst und bereits sechs Wochen nach Beginn der Verwaltungsreform in der Sowjetunion eine Kommission ins Leben gerufen, die die Anwendung des sowjetischen Modells auf die Verhältnisse in der DDR diskutieren sollte.290 Dabei ging es Ulbricht, anders als Chruschtschow, nicht um eine Diskussion der Steuerungsmechanismen zwischen den Ebenen, sondern eher um Konzentration und eine Art Arbeitsteilung innerhalb des demokratischen Zentralismus. Diese Akzentsetzung zeigt sich darin, dass Ulbricht auf der Kommissionssitzung am 24. Juni 1957 gegen interne Debatten, die die Reformimpulse aus Moskau ausgelöst hatten, rigide vorging. Bezeichnenderweise hatten Fritz Selbmann (Minister für Schwerindustrie) und Gerhart Ziller (Sekretär für Wirtschaft im ZK der SED) diese Ansätze aufgriffen, um Steuerungsdefizite in der DDR zu diskutieren. Selbmann etwa hatte gefordert, die Industrieministerien zu stärken, worauf Ulbricht mit dem bekannten Hinweis auf die Schwerfälligkeit und das eigenmächtige Handeln der Industrieministerien reagierte. Ulbrichts Plan sah dagegen vor, die gesamte Ar286 Vgl. Kibita, Soviet economic management, S. 52. 287 Vgl. Verordnung über die Bildung von Wirtschaftsräten bei den Räten der Bezirke und über die Aufgaben und Struktur der Plankommissionen bei den Räten der Kreise vom 13. Februar 1958, in: Gesetzblatt der DDR 1958, Teil 1, S. 138–143. 288 Vgl. Werner Rietdorf, Von den „Grundsätzen des Städtebaus“ (1950) bis zum „Sozialistischen Wohnkomplex“ (1959). Zur Entwicklung der Wohnungspolitik und des Wohnungsbaus in der DDR während der fünfziger Jahre, in: Adelheid von Saldern (Hrsg.), Bauen und Wohnen in Niedersachsen während der fünfziger Jahre, Hannover 1999, S. 234–245. 289 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 100. 290 Vgl. Sitzung der Kommission des Politbüros am 24. Juni 1957, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/75, Bl. 32.

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beit in der Staatlichen Plankommission zu zentralisieren und die Industrieministerien aufzulösen. Demgegenüber brachten andere Wirtschaftsfunktionäre eine ganze Reihe an Einzelproblemen zur Sprache, welche stark umstritten waren. So war man etwa in der Frage des ländlichen Bauwesens geteilter Meinung. Dieses unterstand dem Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, für die Baustoffversorgung und Bauausführung war allerdings das Ministerium für Aufbau zuständig. Da jedes Ministerium selbst für sein Ressort plante, erschien es nur allzu konsequent, die gesamte Planung in einer Behörde – der Staatlichen Plankommission – zu zentralisieren. Aber auch dies stieß auf Ablehnung. Was sollte mit dem Staatssekretariat für Örtliche Wirtschaft geschehen, warf Ziller ein, oder was habe denn etwa ein Abteilungsleiter für Volksbildung überhaupt noch zu tun, wenn er nicht mehr planen dürfe, fragte die stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Margarete Wittkowski. Auch die Frage, welche Kompetenzen an die unteren Staatsorgane abgegeben werden sollten, war keineswegs geklärt. Symptomatisch für die Missliebigkeit, mit der Ulbricht die Diskussionen um Strukturreformen verfolgte, war seine Antwort auf die Frage, welche Funktionen die vom ihm ins Gespräch gebrachten Wirtschaftskommissionen in den Bezirken und Kreisen ausüben sollten. Zur Antwort hieß es: „Alles, was mit Wirtschaft zusammenhängt, kommt in die Wirtschaftskommission.“ Die Absicht Ulbrichts war klar: Steuerungsdefizite sollten nicht durch weitreichende Strukturreformen, sondern durch den Einsatz fachwissenschaftlich geleiteter, aber unverbindlicher Expertenkommissionen kompensiert werden. Mit besonders kritischen Bemerkungen in Richtung Dekonzentration von Befugnissen wagte sich Fritz Selbmann noch einmal nach vorn. Er lehnte es ab, sowjetische Modelle eins zu eins zu kopieren und forderte, an „unsere Wirtschaft“ und „an unsere Probleme“ zu denken. Zudem warnte er davor, allzu viele Kompetenzen und Betriebe an untergeordnete Staatsorgane abzugeben, was die örtlichen Organe überlasten und „hochentwickelte Kooperationen“ zerstören würde. Besonders kritisch betrachtete er auch die Idee der VVB, die man ja gerade 1950 erst abgeschafft hatte, weil sie den Betrieben jegliche wirtschaftlichen Anreize genommen hatten.291 Dagegen sprach sich Ziller für das andere Extrem aus. Seine Prämisse war es, die Verantwortung und Kontrolle der örtlichen Organe erheblich zu stärken und dabei unter keinen Umständen Verwaltungskräfte einzusparen.292 Beide Extrempositionen standen in Ulbrichts Augen jedoch im Verdacht, den Verwaltungsapparat aufblähen und zu eigensinnig werden zu lassen. Ulbricht lehnte sie daher vehement ab. Wenn eine Strukturreform aus seiner Sicht einen ökonomischen Nutzen hatte, dann war dies lediglich die Einsparung von Verwaltungskosten, und dies ließ sich freilich auch durch die Installation beratender Gremien (Wirtschaftskommissionen) erreichen, die den örtlichen Planungsorganen auf Bezirks-, Kreis- und Stadtebene bei der Erarbeitung von Planentwürfen zur Seite standen. Als Selbmann und Ziller zu eigensinnig zu werden drohten, wurden sie kurzerhand zusammen mit der 291 Vgl. Ebd., Bl. 56–66. Zit. Bl. 60. 292 Vgl. Protokoll von den Beratungen in verschiedenen Gruppen über die Vereinfachung des Staatsapparates am 26. und 27. Juni 1957, Ebd., Bl. 67.

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„fraktionellen Gruppe“ um Karl Schirdewan, Ernst Wollweber und Fred Oelßner entmachtet. Gerhart Ziller hatte sich bereits Ende 1957 durch Freitod der Denunzierung entzogen, Selbmann wurde seines Amtes enthoben und auf eine nachgeordnete leitende Funktion der Staatlichen Plankommission zurückgestuft.293 Bald legte die Kommission einen ersten (undatierten) Entwurf über einen „Plan für die Durchführung der Maßnahmen zur Vereinfachung des Staatsapparates und der Änderung der Arbeitsweise der Mitarbeiter“ vor, der festlegte, die Staatliche Plankommission zum zentralen Planungsorgan der Volkswirtschaft auszubauen, „Verwaltungen [sic!] volkseigener Betriebe (VVB)“ für zentralgeleitete VEB sowie Wirtschaftsräte in den Bezirken zu bilden und die Industrieministerien abzuwickeln.294 Im Dezember 1957 stand das konkrete Programm zur „Vereinfachung“ des Staatsapparates, das die von Ulbricht anvisierte Konzentration bei gleichzeitiger Arbeitsteilung fixierte, schließlich fest. Die Staatliche Plankommission sollte zum „zentralen Organ des Ministerrates für die Planung und Leitung der Volkswirtschaft sowie für die Kontrolle der Durchführung der Pläne“ umorganisiert werden, analog dazu sollten Wirtschaftsräte in den Bezirken gebildet und die örtlichen Plankommissionen entsprechend gestärkt werden. Dabei wurde den Planungsbehörden auch die gesamte „material-technische Planung“, die bisher die Industrieministerien geleistet hatten, übertragen. Anstelle letztgenannter sollten 73 VVB für die Bereiche Kohle und Energie, Berg- und Hüttenwesen, Chemie, Schwermaschinenbau, Allgemeiner Maschinenbau, Leichtindustrie, Lebensmittelindustrie sowie Bauwesen gebildet werden, die nun nicht mehr als „Verwaltungen“, sondern etwas kaschiert als „Vereinigungen volkseigener Betriebe“ bezeichnet wurden. Faktisch aber agierten diese als Verwaltungsorgane der Plankommission295, mit dem Ziel, ein ungeplantes Hineinregieren übergeordneter Organe künftig zu vermeiden. Die VVB existierten jeweils auf zentraler wie Bezirksebene und sollten die ihnen unterstellten Betriebe anleiten.296 Die Umwandlung des Ministeriums für Aufbau in das Ministerium für Bauwesen stand in genau jenem Kontext der extensiven Wirtschaftsentwicklung. Damit verband sich zugleich eine Akzentverschiebung im Bauwesen. War das Ministerium für Aufbau vor allem für Städtebau zuständig gewesen, sollte die Hauptaufgabe des neuen Ministeriums für Bauwesen dagegen „in der Leitung der Industriebauvorhaben und der wichtigsten VVB für Baustoffindustrie“ bestehen.297 Baupolitik wurde damit der Wirtschaftspolitik untergeordnet. Der Wohnungsbau wurde gewissermaßen an die Kommunen ausgelagert, wofür Stadtbauämter eingerichtet wurden. Damit verband sich ein für die künftige Entwicklung entscheidendes Hierarchiegefälle im Bauwesen. Entsprechend problematisch gestaltete sich die Umsetzung dieser Vorgabe in der Stadt Leipzig, während der Ausbau der städ293 Zu diesem Prozess vgl. Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale, S. 519–537. 294 Vgl. Entwurf zu einer Vorlage für das Politbüro „Plan für die Durchführung der Maßnahmen zur Vereinfachung des Staatsapparates und der Änderung der Arbeitsweise der Mitarbeiter“, o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/80, Bl. 1 f. 295 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 100. 296 Worin bestehen die wesentlichen Maßnahmen zur Vereinfachung und Vervollkommnung des Staatsapparates?, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/73, Bl. 257–259. 297 Ebd., Bl. 260–263.

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tischen Plankommission relativ unkompliziert verlief. Das Bauwesen wurde damit zugleich zum Hauptschauplatz der Konflikte zwischen kommunalen, Bezirks­ und zentralen Organen. Strukturreformen, Personal- und Ressourcenkonflikte in Leipzig Am 18. März 1958 wurde das „Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 11. Februar in der Leipziger Stadtverordnetenversammlung begründet und „diskutiert“. Mit einem leitenden, speziell die örtlichen Organe betreffenden Gedanken Walter Ulbrichts, der die Einladungskarten der Stadtverordneten zierte, wurden diese auf die Sitzung eingestimmt: „Je vollkommener und einfacher die Formen und Methoden des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens sind, umso besser kann die Teilnahme der Werktätigen an der Leitung von Staat und Wirtschaft erfolgen, um so [sic!] rascher erhöht sich ihre bewußte Teilnahme beim Aufbau des Sozialismus.“298

Bevölkerungsinitiativen und Massenmobilisierung waren freilich auch die bestimmenden Themen der Sitzung. Dabei wurde mit Blick auf die örtlichen Realitäten dem Rat der Stadt vorgeworfen, dass die Bevölkerung von der Bildung der Stadtbezirke kaum Notiz genommen habe. Zudem hätten das „Managertum“ der Betriebsleiter und der „Bürokratismus“ der Ratsabteilungen zur mangelhaften Umsetzung des Gesetzes von 1957 beigetragen. Schließlich wurden die Stadträte ermahnt, dass der „Aufbau des Sozialismus“ keine Struktur-, sondern eine Erziehungsfrage sei.299 So legten die Stadtverordneten in ihrer „Entschließung“ fest, dass die Ratsmitglieder und Mitarbeiter der Fachorgane „mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit in den Betrieben und Institutionen“ zu verbringen und regelmäßig durch öffentliche Aussprachetätigkeit vor der Bevölkerung Rechenschaft abzulegen hätten.300 In Leipzig kam man damit zu einer ganz anderen Bilanz des Gesetzes von 1957 als Walter Ulbricht wenige Wochen zuvor im Ministerrat. Während man in der Messestadt noch einmal versuchte, mithilfe des neuen Gesetzes das Konzept der Verbindung von Verwaltungs- und Produktionsarbeit in den Stadtbezirken umzusetzen, setzte die SED-Führung nun auf eine professionalisierte Ressourcenallokation durch kompetente Apparate. Dies implizierte freilich das Eingeständnis, dass sich der Staat nicht schlicht durch mobilisierte Massen leiten ließe; schon gar nicht, wenn diese in Scharen das Land verließen. So hatte ein in Berlin eingerichteter Operativstab tags zuvor selbst vertrauliche Rahmenvorgaben für die untergeordneten Räte herausgegeben, die handlungsleitend wurden. Neben detaillierten Angaben zur Vorgehensweise bei der Strukturveränderung verwies der Ope298 Einladungskarte zur 8. Stadtverordnetensitzung in Leipzig am 18.3.1958, StadtAL, StVuR (1), 180, Bl. 4. 299 Vgl. 8. Sitzung der Stadtverordneten in Leipzig am 18.3.1957, Ebd. 300 Stadtverordnetenversammlung Leipzig, Entschließung zur Durchführung des „Gesetzes über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik“ in den staatlichen Organen der Stadt Leipzig, 18.3.1958, Ebd., Bl. 256.

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rativstab nachdrücklich auf die Senkung der Verwaltungskosten, die Vermeidung von „Doppelgleisigkeiten“ und die Berücksichtigung des bestätigten Stellenplanvolumens. Eigenmächtigkeiten, wie im Falle der Stellenplan- und Personalpolitik, waren nun unbedingt zu vermeiden. Nun sollten sich die Räte auf die Fachorgane für Planung, Materialversorgung, Industrie und des Bauwesens konzentrieren und die damit verbundene Verteilung der städtischen Betriebe unter die Fachorgane organisieren.301 Begrüßt wurden die Strukturveränderungen zunächst vor allem im Bauwesen; nicht aber weil der Wohnungsbau nun schwerpunktmäßig auf die lokale Ebene verlagert wurde, sondern weil sich dadurch die Möglichkeit bot, drei bislang unabhängig voneinander agierende Behörden zum Stadtbauamt zusammenzulegen, was auf eine eigensinnige Interpretation des Gesetzes verweist.302 Das Leipziger Bauwesen war bis 1958 institutionell zersplittert. Neben der Abteilung Aufbau im Rat der Stadt bestanden das Büro des Chefarchitekten, ein Entwurfsbüro für Stadtplanung sowie ein Amt für Tiefbau und Wasserwirtschaft. Ferner gab es seit 1950 bzw. 1953 Entwurfsbüros für Hochbau. Das neu zu gründende Stadtbauamt sollte die Aufgabenbereiche Werterhaltung, Substanzerhalt sowie Materialversorgung der städtischen Baubetriebe zusammenführen. Nichtsdestoweniger gestaltete sich die Implementierung angesichts des Mangels an Verwaltungsressourcen konfliktreich. Den zentralen Vorgaben zufolge sollte das neue Stadtbauamt neben dem Stadtbaudirektor als Abteilungsleiter und Chef der Haushaltsabteilung die staatliche Bauaufsicht, eine Abteilung Städtebau und Entwurf sowie eine Abteilung Planung und Produktion umfassen. Zudem musste eine Aufbauleitung für die Bauaufgaben im Stadtzentrum eingerichtet werden, welche zentrale städtebauliche Vorhaben gesondert sicherstellen sollte. Insgesamt veranschlagten zentrale Stellen für beide Behörden 40 Planstellen sowie sieben weitere Stellen für die Stadtbezirksbaudirektoren303, was sich mit den Vorstellungen der Verantwortlichen des städtischen Bauwesens allerdings nicht deckte. Diese hatten angesichts der örtlichen Zersplitterung der Ressourcen im Sinn, das gesamte Bauwesen (ausgenommen der Entwurfsbüros für Hochbau) im Stadtbauamt zu konzentrieren, und veranschlagten hierfür das Doppelte an Stellen.304 Das mit dem augenscheinlichen Konzentrationsprozess auf lokaler Ebene verbundene Hierarchiegefälle von Industrie- und Wohnungsbau machte sich zudem bald in einem grundlegenden Konflikt zwischen Stadt und Bezirk bemerkbar. Bereits im Februar 1955 hatte letzterer eigenmächtig beschlossen, den gerade erst gegründeten städtischen VEB Straßen-, Gleis- und Tiefbau seiner Abteilung 301 Zentraler Operativstab Berlin, Vorläufige Direktive über die Rahmenstruktur der Räte der Bezirke und Kreise, 17.3.1958, StadtAL, StVuR (1), 17142, Bl. 219 f. 302 Vgl. Protokoll über die Sonderratssitzung des Rates der Stadt Leipzig am 26.6.1958, 1.7.1958, StadtAL, StVuR (1), 19929, Bl. 2–6. 303 Vgl. Deutsche Bauakademie, Abschlußbericht über den Stand der Bildung der Kreisbauämter im Bezirk Leipzig, 20.5.1958, SächsStAL, 20237, 01139, Bl. 57. 304 Ein im April 1958 vom Leiter der aufzulösenden Abteilung Aufbau entworfener Stellenplan des Stadtbauamtes sah usprünglich ein Volumen von 86 Planstellen und 664.991,40 DM Vergütungsmitteln vor. Vgl. Rat der Stadt, Abteilungsleiter Aufbau, Stellenplan für das zu bildende Stadtbauamt beim Rat der Stadt Leipzig, 18.4.1958, StadtAL, StVuR (1), 1532, Bl. 240 f.

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Aufbau ohne Einwilligung der Stadt zu unterstellen. Alle Versuche, die Bedeutung des Betriebes für die Stadt politisch (Stadtzentrum) und ökonomisch (Wohnungsbau für Industriebetriebe) nachzuweisen und so die Rückführung des Betriebes einzufordern, schlugen fehl305, so auch die Anstrengungen, im Zuge des Aufbaus des Stadtbauamtes diesen und weitere Baubetriebe (VEB Wasserwirtschaft, VEB Garten- und Landschaftsgestaltung, VEB Stadtbeleuchtung) der Stadtverwaltung zu unterstellen.306 Allerdings bestanden nicht nur auf vertikaler Ebene, sondern auch auf horizontaler Ebene Differenzen um die Frage der Baubetriebe. So hatte der dem Oberbürgermeister direkt unterstellte Chefarchitekt, Walter Lucas, bei einer internen Unterredung über die künftige Bildung von Bauämtern bereits im Oktober 1957 gefordert, den Tiefbaubetrieb und die kommunale Wasserwirtschaft nicht der Stadt zu unterstellen, wohl aber den VEB (K) Grundstücksverwaltung. Zudem sollte die fachliche Verantwortung für das Büro des Chefarchitekten auf die Abteilung Aufbau übertragen werden und der Chefarchitekt künftig nur noch „Hoheitsaufgaben“ erfüllen.307 Alle städtischen Vorstöße wurden allerdings im Mai 1958 von der Deutschen Bauakademie, die dem Ministerium für Bauwesen unterstand, mit Verweis auf die Vorgaben aus Berlin abgewiesen.308 Auch die Institution des Chefarchitekten blieb in der alten Form bestehen, mit der Änderung, dass dieser nun in Personalunion die Leitung der Abteilung Städtebau und Entwurf beim neuen Stadtbauamt übernahm.309 Ferner wurde eine Stadtbauleitung als nachgeordnete Einrichtung des Stadtbauamtes gebildet, die in Analogie zur Aufbauleitung für den Wohnungsbau zuständig war. Während die Strukturmaßnahmen durch die zentralen Vorgaben eindeutig geregelt und dadurch vor Ort nur geringe Korrekturen möglich waren, lag die Besetzung der 40 Planstellen des Stadtbauamtes ausschließlich in der Hand des Rates. Auch dieser Prozess gestaltete sich nicht nur kompliziert, sondern erhielt im Verlauf der Jahre 1958 und 1959 noch eine zusätzliche Dynamik durch die hohen Erwartungen, die den Leipziger Bauverantwortlichen durch den V. Parteitag der SED (10.–16. Juli 1958) und den Siebenjahrplan auferlegt wurden. Auf dem V. Parteitag stellte Walter Ulbricht klar, dass „an Stelle des Baus von zahlreichen Messeprovisorien zum systematischen Wiederaufbau der teilzerstörten Innenstadt übergegangen werden“310 müsse, wobei vor allem der Karl-Marx-Platz und die Hauptachsen des Messeverkehrs zu planen waren. Einen anderen Aspekt betonte der Siebenjahrplan (1959–1965), dem zufolge in der DDR bis 1959 mindestens 691.000 Wohnungen

305 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt Leipzig am 16.2.1955, StadtAL, StVuR (1), 19789, Bl. 4–46. 306 Vgl. Entwurf der Struktur des Stadtbauamtes, April 1958, StadtAL, StVuR (1), 1532, Bl. 242. 307 Rat der Stadt, Abt. Aufbau, Niederschrift über die kollektive Leitungsbesprechung am 26.10.1957, 28.10.1957, StadtAL, StVuR (1), 15593, Bl. 29. 308 Deutsche Bauakademie, Abschlußbericht über den Stand der Bildung der Kreisbauämter im Bezirk Leipzig, 20.5.1958, SächsStAL, 20237, 01139, Bl. 57. 309 Vgl. StadtAL, NL Lucas, Nr. 1, Bl. 154. 310 Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, S. 83.

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gebaut werden sollten311, davon 29.400 in der Stadt Leipzig.312 Dies bedeutete im Vergleich zum Wohnungsbau des Jahres 1958 eine jährliche Steigerung um das 4,5fache. Wenige Wochen vor dem Parteitag waren im Stadtbauamt aber noch immer 15 Planstellen unbesetzt, was vor allem an den geringen Gehältern lag. Aus diesem Grund versuchte der Rat des Bezirkes über direkte Verhandlungen mit den zentralen Projektierungs- und Konstruktionsbüros, die Anhebung des Lohnfonds und des Stellenvolumens zu erwirken. Dies scheiterte allerdings, was vom Bezirksbauamt abschätzig auf die bessere Bezahlung der Kollegen in Berlin zurückgeführt wurde.313 Das mit der Arbeitsteilung zwischen Zentrale und Kommune implizierte Hierarchiegefälle von Bauaufgaben machte sich auch in diesem Ressourcenkonflikt bemerkbar. In der Folge konnten daher nur in geringem Umfang Korrekturen am Stellenplan bzw. lohnpolitische Maßnahmen vorgenommen werden. Lediglich zwischen 1958 und 1959 erhielt das Stadtbauamt fünf Planstellen für Statiker, Prüfingenieure, Sachbearbeiter und Stenotypistinnen hinzu, was allerdings auf die am 2. Oktober 1958 erlassene Deutsche Bauordnung zurückzuführen ist, nach der das Aufgabengebiet Bauaufsicht aus den Betrieben ausgegliedert und in den Verwaltungsapparat integriert werden sollte.314 Die Diskussionen mit dem Finanzministerium über die Finanzierung dieser zusätzlichen Stellen zogen sich allerdings bis Juli 1959 hin. Zu diesem Zeitpunkt wurde schließlich noch eine Planstelle für ländliches Bauwesen und Bodenrecht von der Abteilung Landwirtschaft in das Stadtbauamt verlagert.315 1960 verfügte das Stadtbauamt damit über 47,5 Planstellen.316 Die fachlichen Probleme, die der V. Parteitag und der Siebenjahrplan dem Leipziger Bauwesen auferlegt hatten, machten auch die Wahl eines geeigneten Stadtbaudirektors zu einem schwierigen Unterfangen. Nicht nur wegen der vergleichsweise geringen Entlohnung musste man zwangsläufig auf vorhandenes Personal zurückgreifen. Auch die städtische Wohnungsnot wirkte alles andere als attraktiv auf auswärtige Fachleute.317 Hinzu kamen politische Gesichtspunkte. So hatte sich im Leipziger Bauwesen wie vielerorts318 ein ausgesprochenes Expertenmilieu halten können, dessen berufliche Prägung in die 1920er und 1930er Jahre zurückreichte. Die gerade wegen ihrer Fachexpertise protegierten Ingenieure gerieten in 311 Vgl. Gesetz über den Siebenjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1959 bis 1965, in: Gesetzblatt der DDR 1959, Teil I, S. 728. 312 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbauamt, Material über die Wohnraumlage in der Stadt Leipzig, 3.3.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 185. 313 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung mit den Kaderleitern des Entwurfsbüros wegen der Besetzung der Kreisbauämter am 23.6.1958, 26.6.1958, SächsStAL, 20237, 01139, Bl. 64. 314 Vgl. Sitzung des Stellenplanaktivs am 10.6.1959, StadtAL, StVuR (1), 16662, Bl. 164. 315 Vgl. Veränderungen in den Stellenplänen vom 15.6.1958, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 140. 316 Vgl. Aufstellung der Fachorgane des Rates der Stadt [1960], Ebd., Bl. 61. 317 Vgl. Niederschrift über eine Besprechung mit den Kaderleitern des Entwurfsbüros wegen der Besetzung der Kreisbauämter am 23.6.1958, 26.6.1958, SächsStAL, 20237, 01139, Bl. 64. 318 Vgl. Frank Betker, Handlungsspielräume von Stadtplanern und Architekten in der DDR. Einführungsreferat, in: Holger Barth (Hrsg.), Planen für das Kollektiv. Dokumentation des 4. Werkstattgesprächs vom 15.–16. Oktober 1998, Erkner etc. 1999, S. 11 f.

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den 1950er Jahren aber immer wieder ins Visier misstrauischer Funktionäre. Die politische Eignung der Kandidaten wurde deshalb zu einem besonders gewichteten Kriterium. In die engere Wahl kamen Horst Gerber, Walter Lucas und Helmut Ober. Bei Horst Gerber handelte es sich um den stellvertretenden Leiter der Abteilung Aufbau. Er war 1917 als Sohn einer Arbeiterfamilie geboren worden, hatte die Leipziger Staatsbauschule 1939 als Ingenieur abgeschlossen und zwischen 1937 und 1940 leitende Positionen in Leipziger Baufirmen eingenommen, bis er als Obergefreiter zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Nach Kriegsende arbeitete er wieder im städtischen Bauwesen und wurde 1952 mit einem Einzelvertrag als stellvertretender Leiter der Abteilung Aufbau eingestellt. Vor 1933 war er Mitglied der SAJ und trat 1946 der SED bei. 1958 geriet er allerdings in den Fokus der SED­Stadtleitung, nachdem er finanzielle Sondervergünstigungen für seine Mitarbeiter gefordert hatte. Schnell wurde er als Hauptverursacher einer „unkritischen Atmosphäre“ in der Abteilung ausgemacht. Um ihn dennoch zu halten, wurde er als Leiter der Staatlichen Bauaufsicht zurückgestuft.319 Der Leipziger Chefarchitekt Walter Lucas, 1902 als Sohn eines Landarbeiters bzw. Eisenbahnangestellten und einer Hausangestellten in Dresden geboren, kam schon aufgrund seiner Parteilosigkeit und seiner NS-Vergangenheit kaum infrage. Dabei war er von seinen Qualifikationen und hochrangigen Kontakten her gesehen der aussichtsreichste Kandidat. Nach dem Abitur am Dresdner Kreuzgymnasium hatte Lucas von 1922 bis 1928 Architektur an der Technischen Hochschule Dresden studiert, wo er mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Bereits 1928 trat er aus „Sorge um die Not des Volkes“ in die NSDAP ein, ferner in den NSDSB, den Reichsluftschutzbund und den Kampfbund der Architekten und Ingenieure. In der Zeit des Nationalsozialismus arbeitete er vorwiegend als Architekt im Wohnungsbau der Stadt Leipzig. Aufgrund seiner Tätigkeit im Gauheimstättenamt Sachsen (1935–1940) wurde Lucas am 3. August 1945 von den Sowjets in ein Internierungslager gebracht, wo er jedoch zur privilegierten Baugruppe zählte und sich um die kulturelle Betreuung der Gefangenen kümmerte, bis er 1950 entlassen wurde. Unter sozialistischen Vorzeichen konnte Lucas unmittelbar an seine Tätigkeit als Architekt anknüpfen, ohne dass er etwa seinen relativ frühen NSDAP-Eintritt vor den Behörden verleugnete. Bereits im Juni 1950 war er beim VEB Bau- und Landesprojektierungsbüro Sachsen angestellt worden. Eigenen Aussagen zufolge zeichnete er sich dort stets durch eine „bereitwillige Leistung erheblicher unbezahlter Überstunden“ aus.320 Bald genoss Lucas hohes Ansehen beim Staatssekretär für Aufbau, Gerhard Kosel, und der Deutschen Bauakademie. Dadurch konnte er einen für diese Zeit hoch dotierten Einzelvertrag von 2.500 DM erwirken, als er auf Beschluss des Ministeriums für Aufbau 1954 zum Leipziger Chefarchitekten berufen wurde.321 Aber schon zu diesem Zeitpunkt machte er Oberbürgermeister Uhlich gegenüber deutlich, dass sein Fachgebiet die „Befriedigung des Massenbedarfs an 319 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt, Einschätzung Horst Gerber, 15.1.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/359, unp. 320 Angaben und Zitate nach einem handschriftlichen Lebenslauf vom September 1950, StadtAL, NL Lucas, Nr. 1, Bl. 187–189. 321 Vgl. Ebd., Bl. 172.

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Wohnungen“ sei und er keine Erfahrungen in der „neuen“ Architektur besäße.322 In Leipzig teilten jedoch nicht alle Funktionäre die von Uhlich immer wieder bekundete Hochachtung für Lucas. Zwischen 1958 und 1961 wurde er aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft und einer aufgefundenen Bescheinigung der NSDAP-Gauleitung Sachsen, nach der er „aktiv f. die Bewegung tätig“ gewesen sei, von der Bezirksdienststelle der Staatssicherheit beobachtet. Zwar hatte sich der anfängliche Verdacht, dass Lucas Verbindungen zu einem amerikanischen Geheimdienst in West-Berlin hätte, als unhaltbar erwiesen und der Chefarchitekt wurde bald als loyal eingeschätzt. Ein anderer Pauschalverdacht, an vermeintlichen Sabotageakten auf der Baustelle des Opernneubaus beteiligt gewesen zu sein, wurde jedoch aufrechterhalten.323 Für seine vielfach geäußerte Kritik an der Organisation des städtischen Bauwesens verhielten sich auch Stadtverordnete zuweilen abweisend ihm gegenüber, warfen ihm „Rattenfängerkunststücke“ und einen „unsachlichen Redeschwall sondergleichen“ vor.324 Auch die SED-Grundorganisation misstraute Lucas für seine „eigenwilligen Ideen“, die er stets mit Verweis auf Rückendeckung durch leitende Persönlichkeiten durchgesetzt habe, währenddessen er selbst vor politischer Verantwortung zurückgeschreckt sei.325 Nichtsdestotrotz blieb Lucas bis 1967 in leitenden Positionen des städtischen Bauwesens. Helmut Ober, der bislang keine leitende Funktion im Rat der Stadt bekleidet hatte, tat sich durch bleibende Verdienste als vom Aufbauministerium eingesetzter Bauleiter beim Neubau der Leipziger Oper hervor. Ins Gespräch gebracht wurde er vom Rat des Bezirkes.326 Ober, Jahrgang 1913 und Sohn eines Meisters der graphischen Industrie, hatte die Leipziger Staatsbauschule von 1929 bis 1933 besucht, die er, wie Horst Gerber, als Bauingenieur abschloss. 1945 trat er in die SPD, 1946 in die SED ein. Ein Jahr darauf absolvierte er die Baumeisterprüfung. Zwischen 1946 und 1952 arbeitete er als Sachbearbeiter im Hochbau der Stadt Leipzig, bis er als Bauleiter diverser Prestigeobjekte des Ministeriums für Aufbau eingesetzt wurde (Deutsche Hochschule für Körperkultur Leipzig, Neubau der Leipziger Oper, Staatsoper Berlin). Seit 1956 übte er parallel dazu die Leitung des Leipziger Entwurfsbüros für Hochbau III aus. Seine Erfolge brachten ihn in den Vorstand des Bundes Deutscher Architekten, Beurteilungen bescheinigten ihm stets ein großes Organisationstalent, fachliche Kompetenz und unermüdliche Schaffenskraft.327 Allerdings erhob der Parteisekretär und Kaderleiter im Rat der Stadt Leipzig dem Bezirk gegenüber fachliche wie politische Einwände, die gegen eine Berufung Obers zum Stadtbaudirektor sprachen. Demnach sei Ober eher auf dem Gebiet der Bauausführung kompetent und weniger in der Verwaltungs- und Entwurfsarbeit. Zudem hätte er zwar durchaus „einige gute theoretische Kenntnisse“ besessen, sei 322 323 324 325

Lucas an Oberbürgermeister Uhlich, 25.4.1954, Ebd., Bl. 180. Zum Vorgang „Baumeister“ vgl. BStU, MfS, BV Lpz. AOP 23/61. Lucas an den Stadtverordneten Schütze, 27.8.1959, StadtAL, NL Lucas, Nr. 1, Bl. 146. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt, Einschätzung Walter Lucas, 15.1.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/359, unp. 326 Rat des Bezirkes Leipzig, Kaderabteilung an Abt. Aufbau, 14.4.1958, SächsStAL, 20237, 01139, Bl. 106. 327 SED-Grundorganisation des Rates der Stadt, Einschätzung Helmut Ober, 14.1.1960, Ebd., unp.

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aber weltanschaulich noch nicht gefestigt. Etwa würde er zum Alkoholgenuss neigen und mit seinen Mitarbeitern in einem „Baubudenton“ kommunizieren.328 Da man sich zunächst auf keinen der Kandidaten einigen konnte, wurde zunächst der seit 1956 amtierende Leiter der Abteilung Aufbau, Willy Siefke329, in die Funktion eingesetzt330, der im Oktober 1958 aber bereits wieder von Rolf Brummer, dem Technischen Direktor des Entwurfsbüros und Sonderbeauftragten bei der Opernprojektierung331, abgelöst wurde.332 Gegen die ehemaligen leitenden Funktionäre der Abteilung Aufbau, Siefke und Gerber, wurden 1959 Parteiverfahren wegen angeblicher Verletzung der Parteibeschlüsse und „pessimistischer“ Grundhaltung geführt, wobei auch Brummer ins Visier der lokalen SED-Funktionäre geriet.333 Wohl deswegen entschied man sich im Juni 1959 schlussendlich doch für Helmut Ober, obwohl dieser keinerlei Erfahrung in der Verwaltungsarbeit und im Wohnungsbau hatte. Ober stand vielmehr für den Aufbau des Stadtzentrums. Dennoch behielt man Ober misstrauisch unter Beobachtung. So hatte die MfS-Bezirksdienststelle Leipzig bereits 1955 den 27-jährigen Brigadeleiter für Stadt- und Dorfplanung im Entwurfsbüro Hochbau I und späteren Stadtbaudirektor, Wolfgang Geißler, als Geheimen Informanten in Stellung gebracht. Im August 1959 erwog die Staatssicherheit zudem, dass Geißler „über bestimmte Kreise des Staatsapparates informieren kann“.334 Bis zu seiner Berufung zum Stadtbaudirektor im Jahr 1963 berichte er dem MfS über Leitungsprobleme und die ideologische Verfassung des Stadtbauamtes.335 Dabei nutzten örtliche Partei- und Staatsfunktionäre die auf diesem Wege erbrachten Informationen immer wieder, um das Stadtbauamt präventiv zu disziplinieren. Ein zentraler Vorwurf lautete etwa, dass die Verantwortlichen keine Anstrengungen unternommen hätten, Arbeiter der Bauindustrie 328 Beurteilung Helmut Ober, 16.4.1958, SächsStAL, 20237, 01139, Bl. 107. 329 Willy Siefke, Mitglied der SED, bis 1958 Leiter der Abteilung Aufbau und Ratsmitglied für Aufbau des Rates der Stadt Leipzig, 1961–1964 Leiter des Entwurfsbüros Hochbau I Leipzig. Vgl. 18. Sitzung des Rates der Stadt Leipzig am 15.10.1958, StadtAL, StVuR (1), 19941, Bl. 41; Übersicht über die Leitungskader der örtlichen Bauindustrie, SächsStAL, 21145, IV/5/ 01/446, Bl. 16. 330 Leitungssitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 15.8.1956, SächsStAL, 21479, IV/7/139/013, unp. 331 Rolf Brummer (geb. 1924), erlernter Beruf: Maurer, 1942–1945 Studium an der Staatsbauschule Leipzig, Mitglied der SED, 1947–1952 Studium der Architektur an der TH Dresden (Abschluss: Diplom-Ingenieur), danach Technischer Direktor des Entwurfsbüros und Sonderbeauftragten bei der Opernprojektierung, 1958–1959 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 15.10.1958, StadtAL, StVuR, 19941, Bl. 41; 14. Sitzung des Rates der Stadt am 18.6.1959, StadtAL, StVuR, 19971, Bl. 53. 332 In den Akten taucht Willy Siefke erst wieder 1961 als Leiter des Entwurfsbüros Hochbau I (bis 1964) auf. Vgl. SächsStAL, 21145, IV/501/446, Bl. 16. 333 Vgl. Vorschläge und Schlußfolgerungen der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt, [1959], SächsStAL, 21149, IV/7/139/09, Bl. 162 f. In der offiziellen Begründung zur Ablösung Brummers hieß es nur salopp, er hätte den Erwartungen des Rates „nicht immer“ entsprochen. Vgl. Rat der Stadt, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden, Ratsvorlage zur Abberufung Rolf Brummers, 4.6.1959, StadtAL, StVuR, 19971, Bl. 53. 334 MfS, BV Leipzig, Abt. III/5, 6.8.1959, BStU, MfS, BV Lpz. AIM 3866/63, P-Akte, Bl. 36. 335 Zu den Berichten vgl. BStU, MfS, BV Lpz. AIM 3866/63, A-Akte.

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mit sozialistischen Neuerer-Brigaden zusammenzubringen336, und dass auch die Stadtbezirksbauämter jegliche Initiative im Rahmen der Volkskammerwahl 1958 hätten vermissen lassen.337 Auf die Arbeitsweise des Stadtbauamtes wirkte sich dieses Misstrauen zusätzlich destruktiv aus. So vermieden die Verwaltungsfunktionäre bald schon Konfrontationen mit den durch Arbeitskräftemangel und chronische Unterfinanzierung gekennzeichneten Baubetrieben. Während in anderen Industriezweigen zumindest die Löhne stiegen, waren die Verdienstmöglichkeiten im volkseigenen Bauwesen mithin am geringsten, die Arbeitsbedingungen schlecht und die Arbeitsbelastung unverhältnismäßig hoch338, wodurch die Verstimmung der Arbeiter des städtischen Baubetriebes VEB (K) Bau gegenüber den lokalen Staatsfunktionären besonders ausgeprägt war.339 Im Februar 1961 etwa musste man feststellen, dass der VEB (K) Bau „der schlechteste Betrieb im gesamten Bezirk hinsichtlich der Erfüllung seiner Aufgaben ist“. Während man den Lohnfonds zu 105 Prozent ausgeschöpft habe, um die wenigen Arbeitskräfte bei Laune zu halten, sei die Arbeitsproduktivität auf 79,5 Prozent zurückgegangen. Dabei fiel die hohe Zahl an Fehlstunden besonders erschwerend ins Gewicht.340 Neben den Arbeitern empfanden sich auch die technischen Leiter des Betriebes durch die zunehmende Agitation der SED-Führung gegenüber den Arbeitern, aber auch gegenüber der Betriebsleitung in die Enge getrieben.341 In der städtischen Bauindustrie überlagerten sich somit verschiedene soziale Konflikte, die jederzeit eskalieren konnten. Aber auch im Stadtbauamt selbst vermied Helmut Ober bald jegliche Disziplinarmaßnahmen aus Angst vor Kündigungen.342 Bereits zwischen 1958 und 1959 waren 20 Mitarbeiter aus dem Stadtbauamt aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen wieder ausgeschieden.343 Der Ausbau der städtischen Plankommission, das eigentliche Kernstück des Gesetzes von 1958, gestaltete sich dagegen relativ konfliktlos. Zur personellen Neubesetzung des Vorsitzenden genügte ein kurzes Gespräch zwischen dem 2. Sek336 Vgl. Rat des Bezirkes, Org.-Instr.-Abt., Information über die Auswertung der Tätigkeit der Kontrollbrigade, 21.12.1959, SächsStAL, 20237, 537, Bl. 164. 337 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Nordost, Wahlbüro, Situationsbericht Nr. 4, 14.10.1958, StadtAL, StVuR, 3441, Bl. 7. 338 Nicht ohne Grund registrierte der FDGB im Oktober 1961 gerade in der Bauindustrie erste Anzeichen von Streiks, Konflikten und Protesten, die im Zusammenhang mit der Einführung des „Produktionsaufgebots“ (Erhöhung der Arbeitsproduktivität und -intensität bei gleichzeitigem Lohnstopp) standen. Vgl. Hübner, Konsens, S. 79 f. 339 Vgl. Rat des Bezirkes, Org.-Instr.-Abt., Information über die Auswertung der Tätigkeit der Kontrollbrigade, 21.12.1959, SächsStAL, 20237, 537, Bl. 164. 340 Stadtbauamt an SED-Stadtleitung, Probleme der Baubilanz 1961, 20.2.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. 341 Vgl. Stadtbauamt an Org.-Instr.-Abt., Meldung zum 5.11.1958, StadtAL, StVuR, 3442, Bl. 84. 342 Einschätzung der Arbeit des Stadtbauamtes beim Rat der Stadt Leipzig, 15.1.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/359, unp. 343 Drei Mitarbeiter wurden fristlos entlassen, zehn durch die Bildung der Stadtbauleitung abgezogen, vier schieden wegen gesundheitlicher Gründe sowie ein Mitarbeiter aufgrund mangelnder Qualifikation aus. Darüber hinaus wurden ein Mitarbeiter in eine hauptamtliche Parteifunktion und ein weiterer in die Bezirksparteischule delegiert. Vgl. Rat der Stadt, Abt. Kader, Kaderpolitische Analyse Stadtbauamt, 13.1.1960, Ebd., unp.

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retär der SED-Bezirksleitung und dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, in dessen Folge der 31 Jahre junge Vorsitzende der ehemaligen Plankommission des Bezirkes Leipzig, Karl-Heinz Blaurock, berufen wurde.344 Dieser hatte seit 1951 im Planungswesen, zunächst des Landes Sachsen, anschließend des Rates des Bezirkes Leipzig, gearbeitet und war 1954 zum Vorsitzenden der Plankommission des Bezirkes Leipzig berufen worden.345 Sämtliche Beurteilungen bescheinigten ihm, ein ebenso fachlich wie politisch geeigneter Nachwuchskader zu sein.346 In seiner Funktion als Vorsitzender der Plankommission der Stadt wurde Blaurock zugleich Mitglied des Sekretariats der SED-Stadtleitung347 sowie des neu gebildeten Wirtschaftsrates des Bezirks, sodass die Durchführung der zentralen Vorgaben durch personelle Verflechtungen gesondert sichergestellt wurde.348 Entsprechend der Struktur des Wirtschaftsrates des Bezirkes349 bildete die neue städtische Plankommission ein die gesamte örtliche Wirtschaft planendes und koordinierendes Organ, das zusätzlich über ein kollegial-beratendes Gremium von 15 Vertretern aus der Wirtschaftsverwaltung und den städtischen Betrieben350 sowie einen Fachapparat verfügte. Dieser bestand zunächst aus den Gruppen Perspektivplanung, Koordinierung, Operative Planung und Material-technische Versorgung und umfasste 38 Planstellen.351 344 Vgl. Blaurock, Geplant, S. 78. 345 Karl-Heinz Blaurock (1927–2013), geb. in Leipzig, Besuch der Oberschule in Leipzig, 1937– 1943 Mitglied der HJ, 1945 Grenadier bei der Wehrmacht, 1946 Arbeit als Beifahrer und Ablegung des Abiturs, 1946 Mitglied der SED, 1947 Lehrgang an der Kreisparteischule der SED Breitenfeld, 1947–1951 Tätigkeit im Bereich Planung des Rates der Stadt Leipzig, 1951–1952 Referent für Planung in der Landesregierung Sachsen, 1952–1953 Hauptreferent der Bezirksplankommission Leipzig, 1953 Zentralschule für Wirtschaftskader Ballenstedt, seit 1954 Fernstudium zum Diplom-Ökonomen, 1954–1958 Vorsitzender der Bezirksplankommission Leipzig, 1958–1961 Vorsitzender der Plankommission des Rates der Stadt Leipzig, 1961–1969 Leiter des Hauptplanträgers Aufbau des Stadtzentrums des Rates der Stadt Leipzig, 1969–1983 Vorsitzender der Stadtplankommission des Rates der Stadt Leipzig, 1972 Promotion zum Dr. oec. an der Universität Halle. Vgl. Kurzbiographie Karl-Heinz Blaurock, 27.5.1958, SächsStAL, 21123, IV/2/3/234, Bl. 95; Blaurock, Geplant. 346 Vgl. Bürovorlage für die SED-Bezirksleitung zur Bestätigung Karl-Heinz Blaurock als Vorsitzenden der Stadtplankommission, 27.5.1958, SächsStAL, 21123, IV/2/3/234, Bl. 95 f. 347 Vgl. Mitglieder der Stadtleitung, 18.5.1958, Ebd., Bl. 93. 348 Vgl. Rat des Bezirkes, Berufung der Mitglieder des Wirtschaftsrates durch den Rat des Bezirkes Leipzig, 22.4.1958, BArch, DC 20/8252, Bl. 61. 349 Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 351. 350 1960 setzte sich das Gremium aus folgenden Funktionären zusammen: Vorsitzender der Plankommission, Stellvertretender Vorsitzender und Sekretär, Stellvertretender Vorsitzender und und Leiter der Abt. Koordinierung, Leiter der Abt. Industrie, Leiter der Abt. Arbeit, Leiter der Abt. Material-technische Versorgung, Stadtrat für Finanzen, Stadtbaudirektor, Stadtrat Handel und Versorgung, Stadtrat Kommunale Wirtschaft und Landwirtschaft, Sekretär für Wirtschaft der SED-Stadtleitung, Kreisvorsitzender des FDGB Leipzig-Stadt, Technischer Leiter des VEB (K) Elektrogerätebau, Planungsleiter des VEB (Z) Brücken- und Stahlbau, Leiter des Referats Handwerk, Werkleiter eines weiteren VEB (Z). Vgl. Sekretär des Rates der Stadt an Sekretär des Rates des Bezirkes, Stellenplan für den Rat der Stadt Leipzig, 3.2.1960, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 81 f. 351 Vgl. Stellenpläne des Rates der Stadt vom 28.6.1958, Ebd., Bl. 227. Vgl. auch Verordnung über die Bildung von Wirtschaftsräten bei den Räten der Bezirke und über die Aufgaben und Struk-

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Mit Verabschiedung des Siebenjahrplans ergaben sich aber auch in der städtischen Plankommissionen bald Konflikte um Verwaltungsressourcen, denn die von der SED-Führung geforderte massive Erhöhung der Industrieproduktion hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Struktur und den Umfang des lokalen Verwaltungsapparates. Im November 1959 hatte der Ministerrat deshalb die „Weiterentwicklung der Wirtschaftsleitung in den Betrieben und Kreisen“ beschlossen, die eine neue Zusammensetzung der Wirtschaftsräte implizierte. Die örtlichen Plankommissionen sollten nun analog nach Wirtschaftsbereichen untergliedert werden: Plankoordinierung, Industrie, Handwerk, Arbeit sowie Verkehr, Wasserwirtschaft und kommunale Wirtschaft.352 Dies stand jedoch konträr zu zentralen Prinzipien des Gesetzes vom Februar 1958, das eine strikte Kostensenkung vorschrieb. So wiesen der Sekretär und die Abteilung Finanzen des Rates des Bezirkes die Stadtverwaltung darauf hin, „daß die notwendigen Änderungen im Stellenplan des Rates des Kreises nicht zu einer Ausweitung des Stellenplanes und zu einer Erhöhung des geplanten Lohnfonds führen (mit Ausnahme der genehmigten staatlichen Stellen)“ dürften.353 Aus diesem Grunde hatte die Plankommission dem Rat der Stadt sowie dem Wirtschaftsrat des Bezirkes eigene Vorschläge zur Rationalisierung vorgelegt. Demnach fielen zwar die Gruppen Material­technische Versorgung und Operative Planung weg, die Gruppen Perspektivplanung und Koordinierung sollten dagegen weiterbestehen und lediglich unter der Abteilung Plankoordinierung zusammengefasst werden. Weiterhin sollte die zuvor eigenständige Ratsabteilung Örtliche Industrie und Handwerk als Abteilung Industrie mit den Referaten Lebensmittelindustrie, halbstaatliche Betriebe, private Industrie und Handwerk in die Plankommission eingegliedert werden. Die Fachabteilung Kommunale Wirtschaft, Wasserwirtschaft und Verkehr sollte dagegen zum eigenständigen Ratsbereich aufgewertet werden. Für sie sowie die anderen Ratsabteilungen Volksbildung, Gesundheitswesen und Kultur sollte als Ersatz jeweils ein hauptamtlicher Planungsverantwortlicher bei der städtischen Plankommission beschäftigt werden. Statt der 73 offiziell zur Verfügung stehenden Stellen forderte Blaurock hierfür 86 Stellen.354 Diese Abweichungen waren durchaus legitim, hatte der Ministerratsbeschluss vom 12. November 1959 doch die Möglichkeit (zumindest für die Bezirke) vorgesehen, weitere Fachorgane zu bilden, „wenn die entsprechende Anzahl von Betrieben vorhanden ist“, und damit einen gewissen flexiblen Spielraum gewährt.355 Schließlich befand sich fast die Hälfte der Großbetriebe des Leipziger Bezirkes, mit denen die Abteilung Kommunale Wirtschaft zusammenarbeiten musste, auf dem Gebiet der Stadt.

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tur der Plankommissionen bei den Räten der Kreise vom 13. Februar 1958, in: Gesetzblatt der DDR, 1958, Teil 1, S. 142. Vgl. Beschluß zur Änderung des Beschlusses über die Zusammensetzung und Struktur der Räte der Bezirke und Kreise vom 12. November 1959, in: Gesetzblatt der DDR 1959, Teil 1, S. 922. Rat des Bezirkes, Sekretär, Abt. Finanzen an den Sekretär des Rates der Stadt, 10.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 211. Vgl. Vorschläge der Plankommission des Rates der Stadt, o. D., Ebd., Bl. 194–196. Vgl. Beschluß zur Änderung des Beschlusses über die Zusammensetzung und Struktur der Räte der Bezirke und Kreise vom 12. November 1959, in: Gesetzblatt der DDR 1959, Teil 1, S. 922.

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Während der Sekretär des Rates der Stadt die Vorschläge Blaurocks jedoch mit Verweis auf den überzogenen Stellenplan ablehnte356, hatten sich die beiden Ratsvorsitzenden des Bezirkes, Erich Grützner, und der Stadt, Walter Kresse, der Uhlich Ende 1959 abgelöst hatte, mit den Vorschlägen einverstanden erklärt.357 Als förderlich erwiesen sich dabei sicherlich die persönlichen Beziehungen zwischen den Protagonisten. Walter Kresse war bis zu seiner Versetzung an die Spitze der Stadt im Dezember 1959 Vorsitzender des Wirtschaftsrates im Bezirk gewesen und mit den fachlichen Erfordernissen sowie den Funktionären des Bezirks und der Stadt vertraut.358 Am Ende einigten sich alle Beteiligten nach einem klärenden Gespräch auf einen Kompromiss. Die Abteilung Kommunale Wirtschaft, einschließlich ihrer Referate Verkehr und Wasserwirtschaft, wurde aufgrund der Vielzahl der ihr unterstellten Betriebe (40 Betriebe mit ca. 5.000 Beschäftigten) zum eigenständigen städtischen Fachorgan aufgewertet und das Referat Arbeit wurde zu einer Abteilung innerhalb der Plankommission höhergestuft, wofür insgesamt 78 Planstellen bereitgestellt wurden.359 Dies zeigt, dass kleinere strukturelle Veränderungen Ende der 1950er Jahre tendenziell eher möglich waren als Stellenplanerweiterungen. Auch eine Reihe weiterer Strukturveränderungen, die in der kurzen Zeit von 1958 bis 1960 vorgenommen wurden, macht diesen Trend deutlich. Mit dem 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters trat 1958 ein neues Ratsmitglied in das 356 Vgl. Sekretär des Rates der Stadt an Rat des Bezirkes, Abt. Finanzen, 15.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 210. 357 Vgl. Niederschrift über die am 28.12.1959 durchgeführte Besprechung beim Vorsitzenden des Wirtschaftsrates des Rates des Bezirkes in Fragen der Neuaufstellung des Struktur- und Stellenplanes für die Plankommission Rat der Stadt, 30.12.1959, Ebd., Bl. 76. 358 Friedrich Walter Kresse (1910–2001), geb. in Leipzig, 8. Klasse Volksschule, 3 Jahre öffentliche Höhere Handelslehranstalt, 1919 Mitglied der Rot-Sport-Jugend (Bezirks- und Landesjugendleiter), 1920 Mitglied der Kommunistischen Kindergruppe, Lehre zum Handlungsgehilfen und Bilanzbuchhalter, 1925 Mitglied des Zentralverbandes der Angestellten sowie des Verbandes proletarischer Freidenker, 1927–1932 kaufmännischer Angestellter in verschiedenen Leipziger Betrieben, 1928 Mitglied der KPD, 1932–1933 kaufmännischer Angestellter der Lichtenfelder Ersatzkasse Leipzig, 1933–1937 politische Haft in Waldheim und Zwickau („Vorbereitung zum Hochverrat“), 1937–1942 Buchhalter bei Müller & Sonntag GmbH Leipzig, 1942–1943 Soldat der Wehrmacht (Strafdivision 999), 1943–1946 Kriegsgefangenschaft, 1946 Mitglied der SED, 1946–1948 Direktor des Amtes für Wirtschaft bzw. Direktor für Planung, Materialversorgung und Statistik des Rates der Stadt Leipzig, 1948–1952 Stellvertreter und (seit 1949) Hauptabteilungsleiter Industrie der Landesregierung Sachsen, 1952–1953 Verwaltungsleiter im VVS IKA Leipzig, 1953 Werkleiter im VEB Schreibmaschinenwerke Dresden, 1953–1956 Hauptverwaltungsleiter Feinmechanik/Optik im Ministerium für Maschinenbau, 1956–1958 Stellvertreter des Ministers für Maschinenbau, 1958–1959 Vorsitzender des Wirtschaftsrates des Rates des Bezirkes Leipzig, 1958–1961 Bezirkstagsabgeordneter, 1959–1970 Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, seit 1961 Stadtverordneter, seit 1963 Abgeordneter der Volkskammer, seit 1963 Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindetages der DDR (seit 1970 hauptamtlich personengebunden), 1973–1980 Vizepräsident der Volkskammer, seit 1974 Vizepräsident der Liga für Völkerfreundschaft und Mitglied des Komitees Antifaschistischer Widerstandskämpfer der Stadt Leipzig, nach 1974 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses des Äußeren der Volkskammer der DDR. Vgl. SächsStAL, 21699, 776 (Kaderakte Friedrich Walter Kresse). 359 Vgl. Sekretär des Rates der Stadt an Sekretär des Rates des Bezirkes, Stellenplan für den Rat der Stadt Leipzig, 3.2.1960, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 210, Bl. 81–86.

2. Isolierte Diskurse und lokale Aushandlungsprozesse (1957–1958)

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Kollegium ein, das das Ressort Inneres aus dem Bereich des Sekretärs des Rates sowie das Aufgabengebiet Kaderpolitik aus dem Verantwortungsbereich des Oberbürgermeisters zugesprochen bekam. Dies trug sowohl zur Entlastung des Sekretärs, bei dem sich eine hohe Aufgabenfülle konzentriert hatte, als auch zur teilweisen Entmachtung dieses politischen Funktionärs bei, der künftig nur noch für die politische Führungstätigkeit im Rat sowie in der Stadtverordnetenversammlung verantwortlich war.360 Auch in der lokalen Verwaltung der Konsumgüterversorgung wurden Strukturveränderungen nötig. Im Juli 1959 hatte die SED im Rahmen des Siebenjahrplans in Leipzig eine allgemeine Handelskonferenz veranstaltet, die das Ziel verfolgte, die „ökonomische Hauptaufgabe“, d. h. die Überholung des Westens, im Bereich der Konsumgüterversorgung zu diskutieren.361 Der Ministerrat beschloss daraufhin umgehend die Bildung von Großhandelsgesellschaften, was die Zersplitterung der Handelskapazitäten vor Ort beseitigen und zu einer effektiveren Allokation der Ressourcen beitragen sollte. In der Stadt Leipzig kam hierbei noch hinzu, dass fast 40 Prozent der Stadtbevölkerung noch durch private Einzelhändler versorgt wurden, deren Ressourcen für den volkseigenen Handel unabdingbar waren.362 Dadurch erweiterte sich letztlich auch der Aufgabenbereich der Fachorgane für Handel und Versorgung in den lokalen Räten.363 Als Koordinationsorgan für die Plankommission richtete man zudem eine Konsumgüterleitstelle ein.364 Insgesamt365 führten all diese Maßnahmen letztendlich zu einem Anwachsen des Stellenplans bis August 1960 von 532 auf 563,5.366 Diese Entwicklung zeigt, dass trotz des nach wie vor gültigen „Prinzips der strengen Sparsamkeit“ künftig einem flexiblen Ausbau des Staatsapparates der Vorrang gegeben wurde, während das Prinzip der Massenmobilisierung allmählich in den Hinterkopf geriet. Dies galt vor allem für die Wirtschaftsplanung, die mit dem Gesetz von 1958 sowie im Rahmen des Siebenjahrplans gestärkt wurde. Geringe Ressourcenkonflikte, personelle Verflechtungen zwischen den Ebenen und ein tendenziell größerer Spielraum bei kurzfristigen Struktur- und Stellenplanveränderungen kennzeichneten die herausgehobene Position der neuen städtischen Plankommission. Das Bauwesen blieb demgegenüber stets in einer schwächeren Position. Nicht nur gestaltete sich die Personalpolitik hier ungleich komplizierter, auch die Arbeitsweise wurde durch eine besonders misstrauische Haltung örtlicher Funktionäre und zahlreiche Ressourcenkonflikte mit übergeordneten Organen zusätzlich beeinträchtigt.

360 Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 353 f. 361 Vgl. Mark Landsman, Dictatorship and Demand. The Politics of Consumerism in East Germany, Cambridge etc. 2005, S. 189–191. 362 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Handel und Versorgung, Vertraulich, Versorgungsinformationen für den Genossen Fritz Beier, 26.11.1959, StadtAL, StVuR (1), 1551, Bl. 87–89. 363 Vgl. Struktur der Abteilung Handel und Versorgung 1960, StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 88. 364 Vgl. Sekretär des Rates der Stadt, [Korrigierter] Entwurf über Veränderungen der Stellenpläne, o. D., StadtAL, StVuR (1), 16662, Bl. 62–68. 365 Zur institutionellen Struktur des Rates der Stadt Leipzig nach den Strukturveränderungen von 1958 vgl. Abb. 13 im Anhang, S. 418. 366 Rat der Stadt, Abt. Finanzen, Niederschrift über die Sitzung des Stellenplanaktivs am 18.8.1960, 23.8.1960, StadtAL, StVuR (1), 16662, Bl. 72–75.

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II. Verwaltung im SED-Staat

3. DEBATTEN UM EINE BETEILIGUNG DER KOMMUNEN (1961–1970) In der Forschung sind zwei sich an die Verwaltungsgesetze von 1957 und 1958 anschließende Verordnungen von 1961 und 1965 kaum beachtet worden.367 Sie markieren aber einen entscheidenden Wendepunkt in den Verwaltungsdebatten. Waren die Gesetze in den 1950er Jahren noch stark vom Primat der Ökonomie geprägt, stand nun die Organisation des gesamten Mehrebenensystems im Vordergrund. Forciert wurde diese Akzentverschiebung durch die sich zuspitzende Wirtschaftskrise und den damit in Verbindung gebrachten Massenexodus durch „Republikflucht“.368 Nicht mehr Antifaschismus allein, sondern auch wirtschaftlicher Wohlstand sollte die Herrschaft der SED künftig festigen. Vor diesem Hintergrund griff Walter Ulbricht zunehmend auf Ansätze sowjetischer Ökonomen wie Jewsei Liberman zurück, die wirtschaftspolitische Lösungen anboten, zugleich aber einen technokratischeren Ton anschlugen.369 Schon auf der berühmten Babelsberger Konferenz von 1958 hatte Ulbricht die wissenschaftlichen Weichen für diese Entwicklung gestellt und anstelle des Verwaltungsrechts ein neues Leitungsrecht gesetzt.370 Die am 28. Juni 1961 veröffentlichten „Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Bezirkstages, des Kreistages, der Stadtverordnetenversammlung, der Gemeindevertretung und ihrer Organe“ beinhalten im Vergleich zu den vorangegangenen Verwaltungsgesetzen drei formale Neuerungen. Erstens gaben sie den Anspruch auf Ganzheitlichkeit auf und formulierten für jede administrative Ebene spezifische Bestimmungen. Zweitens wurde die „doppelte Unterstellung“ der Fachorgane nicht mehr explizit genannt, was einerseits den jeweiligen Räten mehr Weisungsbefugnisse, andererseits aber auch den Fachorganen mehr Handlungsspielraum einräumte. Drittens wurde das Hauptaugenmerk deutlich auf die Leitung der Volkswirtschaft gelegt, was sich in der besonderen Würdigung des Bezirkswirtschaftsrates und der „bedarfsgerechten Versorgung“ als Hauptaufgabe der örtlichen Staatsorgane widerspiegelt.371 Der am 2. Juli 1965 in Kraft tretende und terminologisch an die Ordnungen von 1961 anknüpfende „Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung 367 Näher erläutert werden die beiden Gesetze bei Hauschild, Die örtliche Verwaltung, S. 74–76, 83 f. Zudem liegt mit Howe, Karl Polak eine rechtshistorische Untersuchung vor, welche die internen staatsrechtlichen Debatten bei der Abfassung der Ordnungen von 1961 analysiert. Zudem geht Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 393–395 näher auf den Erlass des Staatsrates von 1965 ein. 368 Vgl. Patrick Major, Behind the Berlin Wall. East Germany and the Frontiers of Power, Oxford 2009, S. 23–26. 369 Vgl. Caldwell, Dictatorship, S. 145 f. 370 Vgl. Michael Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungswissenschaft in der DDR, München 2009, S. 75. 371 Vgl. Die Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Bezirkstages, des Kreistages, der Stadtverordnetenversammlung, der Gemeindevertretung und ihrer Organe vom 28.6.1961 sind abgedruckt in: Gesetzblatt der DDR 1961, Teil I, S. 51–150. Zur „bedarfsgerechten Versorgung“ als Hauptaufgabe der örtlichen Staatsorgane vgl. Ebd., S. 101.

3. Debatten um eine Beteiligung der Kommunen (1961–1970)

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der Volkswirtschaft“372 verfolgte nun das Ziel, die Ebenen miteinander stärker zu verknüpfen. Gleichwohl fällt seine Ausarbeitung in eine Phase des Konflikts zwischen Befürwortern und Gegnern des 1963 eingeführten NÖS.373 So beinhaltete der Erlass einerseits im Detail Bemerkungen, die auf ein gesteigertes Bewusstsein über lokale Eigenheiten verweisen. Gleich zu Beginn hielt der Erlass fest, dass es durchaus spezifische örtliche Bedürfnisse gäbe, die eine stärkere Beteiligung der Territorien am Planungsprozess notwendig machten, dass aber die „wissenschaftliche Führungstätigkeit“ ausschließlich „von oben nach unten“ zu erfolgen habe.374 Ehrenamtliche Ratsmitglieder durften nur noch mit Zustimmung des übergeordneten Rates in das Kollektiv aufgenommen werden375, wohingegen Ratsmitglieder nun auch Abteilungsleiter ihrer Fachorgane werden sollten. Andererseits führte der Erlass das kurzzeitig suspendierte Prinzip der „doppelten Unterstellung“ wieder ein.376 Beim näheren Hinsehen zeigt sich somit, dass es in den Jahren von 1961 bis 1965 zu Veränderungen in der Wahrnehmung von Kommunalpolitik kam, die auf eine größere Berücksichtigung lokaler Unterschiede und ein gesteigertes Bedürfnis nach Professionalisierung hindeuten. Dahinter standen Lernprozesse, aber auch verschiedene sich überlappende Konflikte, in welche die Kommunen erstmals beratend einbezogen wurden. 3.1 Die „Ordnung über die Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe“ vom 28. Juni 1961 Der Siebenjahrplan in Leipzig: Überforderung der Kommune, ein Besuch Walter Ulbrichts und neue Ordnungsversuche Der Siebenjahrplan und die Krise der Kommune Die auf dem V. Parteitag beschlossene extensivere Entwicklung der Wirtschaft sowie der Siebenjahrplan, der Maßnahmen zur Angleichung des Lebensstandards an den der Bundesrepublik vorsah377, und die den Prozess begleitenden Kampagnen, etwa die „Störfreimachung“ (Zurückdrängung der Westimporte) oder das „Produk372 Vgl. Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft vom 2. Juli 1965, in: Gesetzblatt der DDR 1965, Teil I, S. 159–206. 373 Zum Kontext vgl. André Steiner, Die DDR­Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz­ und Machtkalkül, Berlin 1999, S. 113–124. 374 Vgl. Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft vom 2. Juli 1965, in: Gesetzblatt der DDR 1965, Teil I, S. 161. 375 Vgl. Ebd., S. 171. 376 Vgl. Ebd., S. 166. 377 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 110–115.

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II. Verwaltung im SED-Staat

tionsaufgebot“ (temporäre Erhöhung der Arbeitsnormen), hatten unmittelbare Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis innerhalb des demokratischen Zentralismus. Nicht nur sollten strukturbestimmende Betriebe nun schwerpunktmäßig von zentralen Organen angeleitet und letztgenannte damit von Versorgungsaufgaben entlastet werden (d. h. sie sollten in örtliche Belange nicht mehr hineinregieren). Die damit verbundene Arbeitsteilung bewirkte auch eine allmähliche Abkehr vom Prinzip der Massenmobilisierung zur Erschließung lokaler Ressourcen. Diese sollten nun durch administrative Maßnahmen professionell aufgespürt und zur Plan(über)erfüllung effektiver genutzt werden. Während der Wohnungsbau mit dem Aufbau der Stadtbauämter bereits in den Verantwortungsbereich der Kommunen übergegangen war, erhielten sämtliche Gemeinden mit über 50.000 Einwohnern per Ministerratsbeschluss vom 5. Januar 1961 nun auch die volle Verantwortung für die Erfüllung der Versorgungsaufgaben im Territorium.378 Da in Ost-Berlin jedoch keinerlei Übersicht über die lokalen Ressourcen bestand, sondern man sie vielmehr vermutete, bewirkte die Arbeitsteilung zwischen den Ebenen schon bald eine gravierende Überforderung der Kommunen; oftmals ausgelöst durch spontane Entscheidungen, die einer einheitlichen Planung entgegenstanden. Bereits wenige Jahre nach der Bildung des Stadtbauamtes war die anfängliche Euphorie unter den leitenden Angestellten über die „Überwindung der Zersplitterung“ in Ernüchterung umgeschlagen. So hatte sich etwa Walter Lucas im Frühjahr 1961 entsprechend kritisch geäußert, nachdem ihm ein „Diskussionsbeitrag“ vor der SED-Stadtleitung aus „Zeitgründen“ untersagt worden war. „Zur Zeit befinden wir Städtebauer uns in der Lage eines Architekten, der ein Haus bauen und einen geeigneten Bauplatz sichern soll, aber dem der Bauherr weder sagen kann, wie groß er es haben will, wie viel Zimmer es haben soll, wie viel Geld er zum Bauen hat, was es kosten darf, wann er es bauen will und wer es ausführen soll. […] Wir werden überfallen von Einzelprojekten, die jeweils eine Fülle von Problemen auslösen, ohne daß wir sie systematisch im ganzen Zusammenhang und allen ihren Auswirkungen durchdenken sowie räumlich und zeitlich ordnen können. Wir springen immer von einer Eisscholle auf die andere und freuen uns, wenn wir dabei nicht ins Wasser fallen.“379

Die Probleme im Stadtbauamt hatten sich vor allem dadurch verschärft, dass der Rat des Bezirkes am 25. April 1960 beschlossen hatte, den städtischen VEB (K) Bau für den gesamten Wohnungsbau in der 2000-kg-Laststufe, d. h. für die Montage neuer großer Betonplatten, einzusetzen. Damit kippte der Bezirk einen seiner Beschlüsse vom August 1959, wonach der Bezirksbaubetrieb VEB Bau-Union auch für diesen Bereich eingesetzt werden sollte. Um jedoch die hohen Anforderungen des Siebenjahrplans (1959–1965) einzuhalten, wurde der VEB Bau-Union kurzerhand auf den Industriebau hin spezialisiert. Der VEB (K) Bau war jedoch weder von den technischen Voraussetzungen, noch von den personellen Bedingungen her in der Lage, die Aufgaben des Bezirkes im Wohnungsbau mit zu übernehmen. Überdies war die 378 Vgl. Beschluß des Präsidiums des Ministerrates über die Erhöhung der Verantwortung der Räte der kreisangehörigen Städte auf dem Gebiet des Handels und der Versorgung vom 5. Januar 1961, in: Gesetzblatt der DDR 1961, Teil II, S. 23–28. 379 Verschriftlichung einer aus Zeitgründen nicht gestatteten Wortmeldung Walter Lucas im Büro der SED-Stadtleitung am 22.6.1961, 23.6.1961, StadtAL, NL Lucas, Nr. 2, Bl. 114.

3. Debatten um eine Beteiligung der Kommunen (1961–1970)

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2000-kg-Laststufe noch nicht einmal hinreichend erprobt.380 Die Bauverantwortlichen maßen sich bei all ihren Entscheidungen immer an Ost-Berlin und Dresden, mit denen man die Städtehierarchie der DDR anführte. Beklagt wurde vor allem, dass beide Städte nicht nur mehr Baukapazitäten zugewiesen bekommen hätten, sondern insbesondere Ost-Berlin einen viel größeren Baubetrieb besäße, während man in Leipzig jeweils acht bis neun Betriebe für eine Baustelle einplanen müsse. In Dresden habe es darüber hinaus einen Konsens zwischen Bezirk und Stadt bezüglich der Bauaufgaben gegeben. Zudem habe die Stadt immer wieder zusätzliche Kapazitäten erhalten.381 Freilich darf bei solchen Äußerungen nicht übersehen werden, dass die Stadt Leipzig innerhalb des Bezirkes eine privilegierte Stellung einnahm. So arbeiteten 1960 etwa 50 Arbeiter aus kreisgeleiteten Baubetrieben im Auftrag der SED-Bezirksleitung in der Stadt Leipzig an 116 Wohnungen, ohne dass die Stadt dafür Gegenleistungen erbringen musste.382 Ende 1960 waren von 9.051 bis dahin geplanten Wohnungen erst knapp 72 Prozent gebaut worden, wobei ein erheblicher Anteil über die AWGs (etwa 83 Prozent), d. h. zweckgebunden für privilegierte Betriebe und städtische Einrichtungen, geleistet wurde.383 Vor allem mussten Arbeiter von den Baustellen des staatlichen Wohnungsbaus immer wieder abgezogen werden, um an Projekten des Stadtzentrums auszuhelfen. Die Konflikte im Bauwesen, die quer zu den Vorgaben des Siebenjahrplans standen, machten zudem mehrfach Änderungen an Projektierungsarbeiten notwendig. Auch dies brachte Konflikte zwischen den städtischen Akteuren, insbesondere den Architekten des VEB Hochbauprojektierung I, mit sich, die sich im Februar 1960 sogar zu einem Beschwerdebrief an Walter Ulbricht veranlasst sahen, in dem sie die vermeintlich fehlende Wertschätzung durch das Stadtbauamt beklagten.384 Um seine Interessen zu stärken, unternahm der Rat der Stadt im Frühjahr 1960 einen erneuten Versuch, den VEB Straßen-, Gleis- und Tiefbau wieder unter städtische Kontrolle zu bringen.385 Da der Bezirk die Rückgabe des Betriebes wie erwartet verweigerte, versuchte der Rat, das Verfahren über den seit 1960 amtierenden 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Karl Bauer386, zu beschleunigen. Bauer, der im 380 Vgl. Oberbürgermeister Walter Kresse an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig, Erich Grützner, 25.4.1960, StadtAL, StVuR (1), 4943, Bl. 110–112. 381 Vgl. Protokoll der zentralen Parteileitungssitzung der SED-Grundorganisation Rat der Stadt am 24.2.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. 382 Vgl. VEB (K) Bau Grimma an Oberbürgermeister Kresse, 1.3.1960, StadtA, StVuR (1), 4943, Bl. 104. 383 Vgl. Wohnungsbau im Siebenjahrplan, 28.2.1961, StadtAL, StVuR (1), 4944, Bl. 29. 384 Vgl. Gewerkschaftsgruppe der Brigade A I des VEB Hochbauprojektierung I Leipzig an Walter Ulbricht, 11.2.1960, StadtAL, StVuR (1), 4943, Bl. 80 f. 385 Im Februar 1961 beschloss der Rat der Stadt Leipzig, dem Bezirk die Rückgabe des Betriebes zu „empfehlen“. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschluss Nr. 43-6-6a/61 vom 23.2.1961, StadtAL, StVuR (1), 20062, Bl. 37. 386 Karl Bauer (13.1.1921–1.10.2004), geb. in Schwaderbach (ČSR), Eltern: Arbeiter, Schulbildung: Volks- und Bürgerschule, Lehre zum Harmonikaabstimmer, 1935 Mitglied des KJV der ČSR, 1941–1945 Wehrmacht, 1945–1947 Harmonikaabstimmer in Graslitz, 1946 Mitglied der SED, 1947–1950 Sekretär des FDGB Klingenthal, 1950–1952 Kaderleiter und Hauptdirektor im VVB Musik-Kultur Plauen, 1952–1955 Leiter der Abteilung Wirtschaft der SED-Bezirks-

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II. Verwaltung im SED-Staat

Gegensatz zu seinem Vorgänger, Fritz Beier, auf jahrelange Erfahrungen als Wirtschaftskader der SED-Bezirksleitung zurückblicken konnte und ebenfalls über gute Kontakte zu Paul Fröhlich verfügte, hatte ein durchaus tieferes Verständnis für die „objektiven Faktoren“ der wirtschaftlichen Fehlentwicklungen im Bauwesen.387 Anders als Beier verstand sich Bauer auch als Akteur der Verwaltung. Mittels Weitergabe zweier kritischer Berichte des Stadtbauamtes mit den handschriftlichen Vermerken: „Gen. Paul Fröhlich f. Beratungen in Berlin“388 und „Gen. Fröhlich / Ich wäre mit dem Programm einverstanden“389 an die SED-Bezirksleitung versuchte er, direkt über den Parteiweg die Interessen der Stadtverwaltung geltend zu machen. Schon zuvor hatte es immer wieder Versuche des Oberbürgermeisters Walter Kresse gegeben, über den Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, Heinrich Rau, ein Einlenken zentraler Organe zu erwirken.390 Aber genau wie diese, blieben auch die Anstrengungen Bauers erfolglos. Obwohl zwischenzeitlich sogar eine Brigade des Ministeriums für Bauwesen und der Deutschen Bauakademie die Notwendigkeit eines städtischen Tiefbaubetriebes dringend empfohlen hatte391, beklagte sich das Stadtbauamt noch Ende August 1963 über den Unwillen des Bezirkes, „irgendwelche Teilkapazitäten aus dem bezirksgeleiteten VEB Strassen-, Gleis- und Tiefbau herauszulösen“.392 So resümierte das Stadtbauamt am 6. April 1961, dass Erschließungskapazitäten im Umfang von 80 Millionen DM fehlten.393 Die Folgen des Ausbleibens dieser Investitionen waren nicht nur die ständige Neuverteilung von Baukapazitäten, sondern auch die Überschreitung der Selbstkosten bzw. Lohnkosten und ein über-

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leitung Leipzig, 1955–1957 Sekretär für Wirtschaft der SED-Bezirksleitung Leipzig, 1958– 1960 Studium der Gesellschaftswissenschaft an der Parteihochschule der KPdSU Moskau, 1960–1971 1. Sekretär der SED-Stadtleitung Leipzig (Unterbrechung 1965–1967), 1971–1986 Dozent an der Sektion Wirtschaftswissenschaften der KMU Leipzig, 1976 Promotion zum Dr. oec., seit 1986 Rentner. Vgl. Art. ‚Bauer, Karl (1921–2004)‘, in: Niemann/Herbst (Hrsg.), SED-Kader, S. 99. Während einer Sitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 6. April 1961 etwa vermerkte der Protokollant: „Zum Bauwesen sagte Genosse Bauer, daß es nicht immer vom schlechten Willen der Bauschaffenden und der Funktionäre im Staatsapparat abhängt, sondern daß es auch objektive Ursachen gibt im Bauwesen“. Vgl. Protokoll über die gemeinsame Sitzung der Sekretäre der Abteilungsparteiorganisationen und der Genossen Leitungsmitglieder der SED-Grundorganisation Rat der Stadt am 6.4.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. Rat der Stadt, Bericht über Probleme auf dem Gebiet des Bauwesens der Stadt Leipzig, die aus eigener Kraft der Stadt nicht gelöst werden können, 3.6.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. Rat der Stadt, Stadtbauamt, Vorschläge für die Beratungen städtebaulicher Fragen durch das Leitgremium für den Aufbau der Stadt Leipzig, 15.6.1961, Ebd., unp. Vgl. Walter Kresse an Heinrich Rau, Aufbau des Stadtzentrums, 3.9.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/362, unp. Vgl. Walter Lucas, Bericht über den Aufbau der Messestadt aufgrund des Bezirkstagsbeschlusses vom 8. Juni 1961, 7.9.1961, StadtAL, StVuR (1), 4837, Bl. 9. Rat der Stadt, Stadtbauamt, Grundlage zum mündlichen Bericht über die Bildung eines dem Rat der Stadt unterstehenden Tiefbaubetriebes, 28.8.1963, StadtAL, StVuR (1), 2114, Bl. 14. Rat der Stadt, Stadtbauamt, Konzeption zum Leipziger Bauwesen, 6.4.1961, SächsStAL, IV/5/01/360, unp.

3. Debatten um eine Beteiligung der Kommunen (1961–1970)

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zogener Verbrauch fremder Leistungen durch den VEB (K) Bau.394 Im September 1960 forderte Stadtbaudirektor Ober erstmals unter Druck, 2,5 Millionen DM aus dem Wohnungsbauprogramm herauszunehmen, um die Aufgaben im Stadtzentrum erfüllen zu können. Obgleich Fritz Beier zwei Jahre zuvor entsprechende Möglichkeiten durchaus zu prüfen bereit war, lehnte die SED-Stadtleitung unter Bauer dies nun in aller Deutlichkeit ab. Stattdessen verstärkte sie einmal mehr wie gewohnt die Eingriffsrechte der SED-Grundorganisation.395 In der SED-Grundorganisation des Rates debattierte man deshalb bald, welche Machtmittel geeignet seien, um den Parteieinfluss zu verstärken396 (Einberufung zusätzlicher Versammlungen, striktere Ahndung moralischen Fehlverhaltens, Verstärkung der ideologischen Agitationsarbeit oder vermehrte Verteilung von Parteiaufträgen397). Um dem Druck der SED-Funktionäre zu entgehen, welche anstatt auf Verschiebung finanzieller Mittel auf die Ausnutzung aller vorhandenen Kräfte drängten, blieb Stadtbaudirektor Ober kaum etwas anderes übrig, als selbst Druck auf die ihm untergeordneten Stadtbezirksbauämter398 auszuüben, welche für Lückenschließungen, Enttrümmerung und Sanierungen zuständig waren. So wies er etwa den Rat des Stadtbezirkes Südost im November 1960 an, eine dort tätige Baureparaturbrigade unverzüglich von ihrer Baustelle abzuziehen, und kündigte an, dem Stadtbezirksbaudirektor in Kürze eine Liste über die im Jahr 1960 nicht mehr auszuführenden Bauleistungen zukommen zu lassen.399 Dabei hatte der Stadtbezirk in diesem Jahr bereits 1,3 Millionen DM Maurerkapazität an den Stadtbezirk Mitte und weitere 100.000 DM Baukapazität eines ansässigen Privatbetriebes für Arbeiten am Gebäude der Postdirektion ersatzlos abgeben müssen. Eigene Reparaturpläne wurden dagegen gerade einmal zu 37,5 Prozent erfüllt.400 In dieser verfahrenen Situation bedurfte es der persönlichen Intervention des Oberbürgermeisters Kresse, damit Ober seine Forderungen durchsetzen konnte.401

394 Vgl. Rat der Stadt, Stellvertretender Abteilungsleiter Finanzen, Über die Möglichkeit der Weiterabrechnung der im VEB (K) Bau entstandenen Kosten aufgrund außerplanmäßigen Verlustes, 2.3.1961, Ebd., unp. 395 Vgl. Fortsetzung Protokoll der Leitungssitzung vom 23.9.1960, SächsStAL, 21479, IV/7/ 139/015, unp. Der erste Teil des Protokolls ist nicht überliefert. 396 Vgl. Protokoll über die Leitungssitzung am 14.10.1960, SächsStAL, 21479, IV/7/139/03, unp. 397 Parteiaufträge waren ein Instrument der Machtdurchsetzung, das vor allem in Konfliktzeiten der Sozialdisziplinierung von Parteimitgliedern und der kurzfristigen Durchsetzung von Parteibeschlüssen diente. Vgl. Art. ‚Parteiauftrag‘, in: Andreas Herbst / Gerd-Rüdiger Stephan / Jürgen Winkler (Hrsg.), Die SED. Geschichte – Organisation – Politik. Ein Handbuch, Berlin 1997, S. 506 f. 398 Zu den Aufgaben der Stadtbezirksbauämter in den 1960er Jahren vgl. Harry Ullrich, Das Bauwesen in den Stadtbezirken, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig 1945–1990, S. 416. 399 Vgl. Helmut Ober an den Stadtbezirksbaudirektor Südost, 12.11.1960, StadtAL, StVuR (1), 4943, Bl. 177. 400 Rat des Stadtbezirkes Südost, Stadtbezirksbürgermeister Winter, an Helmut Ober, 21.11.1960, Ebd., Bl. 178. 401 Vgl. Oberbürgermeister Walter Kresse an Stadtbezirksbürgermeister Winter, 26.11.1960, Ebd., Bl. 180.

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II. Verwaltung im SED-Staat

So fiel die Planbilanz 1960 nicht nur enttäuschend aus, sondern drohte zudem, ein lokales politisches Fiasko auszulösen. In einer Parteileitungssitzung am 2. Dezember 1960 stellte Helmut Ober fest, dass die Stadt im Wohnungsbau mit fünf Millionen DM im Rückstand sei. Im Finanzbeirat der Stadt sprach man bereits von einer „Katastrophe“, da „eine ganze Reihe von Mietern […] seit einem Jahr keine Miete mehr bezahlen [sic!], weil die Schäden in den Wohnungen und bestehende Mängel nicht abgestellt werden“, wohingegen die Baumaschinen der Betriebe aufgrund von Lieferschwierigkeiten mitunter nur zu 30 Prozent ausgelastet seien. Eine Lösung des Problems schien jedoch nicht in Sicht. Während der Sekretär des Rates, Josef Eichner, den Stadtbaudirektor mit Nachdruck aufforderte, die geplanten Wohnungen zu bauen, sah sich Ober Problemen gegenüber, die sich seiner Zuständigkeit entzogen. Parallel versuchten andere Stellen immer wieder, das Stadtbauamt personell zu stärken. So hatte der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters zusammen mit Ober und den Führungskadern des VEB Bau-Union in intensiven Gesprächen versucht, Fachkader des Bezirksbaubetriebes „für staatspolitisch wichtige Aufgaben im Stadtbauamt“ zu gewinnen. Alle angefragten Fachkader wiesen die Gesuche aber „mit den bereits bekannten Argumenten: keine persönliche Neigung, weitere fachliche Qualifizierung und Spezialisierung im Beruf, die Lösung praktischer Bauaufgaben auf den verschiedenen Bauplätzen liegt ihnen mehr usw.“ zurück.402 Nicht nur intern wurde das Stadtbauamt zunehmend für sämtliche Verfehlungen verantwortlich gemacht, im April 1961 erreichten die Auseinandersetzungen auch die Öffentlichkeit. Auf dem 5. Plenum der SED-Bezirksleitung Leipzig kritisierte Karl Bauer, dessen Redebeitrag in Auszügen in der LVZ veröffentlicht wurde, die Arbeitsweise des Stadtbauamtes in scharfen Tönen. Die Genossen des Amtes hätten es nicht verstanden, die Zersplitterung der örtlichen Baukapazitäten zu überwinden und es dem ohnehin überlasteten VEB (K) Bau überlassen, die privaten und genossenschaftlichen Handwerkskapazitäten zu lenken.403 Im Stadtbauamt löste dieser Artikel einen regelrechten „Sturm“ aus, wie man in der SED-Stadtleitung mit Unverständnis beobachtete. Nicht nur, dass der Redebeitrag Bauers vehement abgelehnt wurde, auch eine Reihe von Stadtverordneten habe sich den kritischen Gedanken Obers angeschlossen. Helmut Ober selbst kündigte indes an, auf der Ratssitzung am 7. April die „Karten auf den Tisch [zu] legen“. Um dies zu verhindern, wies die SED-Stadtleitung den Rat kurzerhand an, sich mit dem Redebeitrag Obers im Vorfeld eingehender zu beschäftigen, damit dieser „die richtigen Probleme bringt“.404 Der Grund für die überhasteten Reaktionen der lokalen Staatsund Parteifunktionäre lag darin, dass sich Walter Ulbricht persönlich zum Besuch der Ratssitzung am 7. April angekündigt hatte, was in Ost-Berlin bereits seit Februar 1961 geplant war.405 Angesicht der verhärteten Fronten vor Ort musste der 402 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Walter Krogull, an den 2. Sekretär der SED-Stadtleitung, Walter Zmyslony, 21.1.1960, StadtAL, StVuR (1), 1652, Bl. 90. 403 Vgl. Karl Bauer, Jetzt rechnen, messen und vergleichen, in: Leipziger Volkszeitung, Nr. 92 vom 2.4.1961, S. 6. 404 SED-Stadtleitung Leipzig, Abt. Staatliche Organe, an Karl Bauer, 6.4.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/491, Bl. 91 f. 405 Vgl. Howe, Karl Polak, S. 246.

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Besuch Ulbrichts in Leipzig als Signal der Dialogbereitschaft der SED-Führung aufgefasst werden. Dies zeigen die Vorbereitungen des Rates der Stadt deutlich. In einem fast 30-seitigen Bericht hatte der Rat der Stadt Leipzig sämtliche örtliche Probleme der Arbeitskräftezufuhr, der Versorgung, der Lieferschwierigkeiten und die daraus resultierenden Probleme bei der Bedarfsplanung zusammengefasst.406 Dieser umfassende Bericht diente als Grundlage für die Ausarbeitung eines Diskussionskonzepts, das drei Schwerpunkte benannte: Kompetenzüberschneidungen bei einzelnen komplex-territorialen Planungsaufgaben, den Umgang mit halbstaatlichen und privaten Betrieben und die Stadtbezirksräte, die immer weniger in der Lage waren, die Gesamtentwicklung der Industrie einzuschätzen.407 Freilich war der SED-Führung bereits zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass die Wirtschaftskraft der DDR nicht ausreichte, um die Vorgaben des Siebenjahrplans zu erfüllen.408 Auch war man sich in Berlin darüber im Klaren, dass dem nicht durch wirtschaftliche Maßnahmen zu begegnen war.409 Abhilfe sollten die neuen „Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Stadtverordnetenversammlung und ihrer Organe sowie der Stadtbezirksversammlung und ihrer Organe“ schaffen, zu denen bereits in Leipzig und anderen Städten Entwürfe ausgearbeitet worden waren, und die Ulbricht im Anschluss an die Ratssitzung offiziell entgegennehmen wollte. Der Staat als Organisator der Gesellschaft: Debatten in Berlin Die neuen Ordnungen basierten keinesfalls nur auf kommunalen Erfahrungen. Parallel liefen in Ost-Berlin Beratungen über Sinn und Zweck derselben. Dem vorangegangen waren Strukturveränderungen in der Zentrale, die eine Krisendiskussion über kommunale Belange gerade unmöglich machten. Im Sommer 1960 wurde das Staatssekretariat für Angelegenheiten der örtlichen Räte aufgelöst. Hans Jendretzky, der 1959 noch für eine deutlichere Abgrenzung der Befugnisse der örtlichen Staatsorgane eingetreten war410, wurde nun von seiner Funktion abberufen und zum Leiter eines neu gebildeten Sekretariats des Ministerrates zur Koordination und Kontrolle der Durchführung der Beschlüsse des ZK und des Ministerrates ernannt. Dieses wiederum unterstand dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates; eine Funktion, die ebenfalls neu geschaffen und mit Willi Stoph besetzt wurde. Die im Sekretariat tätigen Kontrollgruppen sollten künftig nur noch der 406 Vgl. Rat der Stadt, Probleme der Stadt Leipzig, 24.3.1961, StadtAL, StVuR, 20066, Bl. 127– 154. 407 Vgl. Konzeption für die Beratung mit dem Vorsitzenden des Staatsrates Gen. Walter Ulbricht, o. D., Ebd., Bl. 8 f. 408 Zum Kontext vgl. Steiner, DDR-Wirtschaftsreform, S. 38–48. 409 Etwa musste das Ministerium für Außenhandel sogar Verträge mit örtlichen Handwerksbetrieben abschließen, um die Exportvereinbarungen mit der Sowjetunion erfüllen zu können, während die Bevölkerung vor Dienstleistungsbetrieben Schlange gestanden habe. Vgl. Gespräch Chruschtschows mit dem Ersten Sekretär der SED, Walter Ulbricht, am 1. August 1961, in: Gerhard Wettig (Hrsg.), Chruschtschows Westpolitik 1955–1964, Bd. 3: Kulmination der Berlin-Krise (Herbst 1960 bis Herbst 1962), München 2011, S. 302. 410 Vgl. Walter Ulbricht an Gerhard Grüneberg und Hans Jendretzky, 31.7.1959, SAPMO-Barch, DY 30/IV 2/13/51, Bl. 85.

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Anleitung der Bezirksratsvorsitzenden sowie der Koordination von „Schwerpunktaufgaben“ dienen.411 Am 19. Januar 1961 richtete das Politbüro der SED schließlich eine Kommission zur Erarbeitung der neuen Ordnungen ein. Geleitet wurde sie jedoch nicht von einem an ökonomischen Fragen orientierten Experten, sondern von Karl Polak, der bereits maßgeblich an den Verwaltungsgesetzen der Jahre 1957 und 1958 mitgewirkt hatte. Die Wahl Polaks zum Kommissionsleiter spiegelt den noch vorsichtigen Umgang mit den neuen Ideen aus der Sowjetunion wider. Für Polak war die staatliche Leitung in erster Linie darauf zu richten, das kollektive Bewusstsein zu formen und die Produktivkräfte freizusetzen.412 Polak bildete zugleich das Bindeglied zu Walter Ulbricht, der auf diesem Wege die Kommissionsarbeit entscheidend beeinflussen konnte.413 Neben der SED-internen Kommission bildete der inzwischen gebildete Staatsrat, das neue Machtzentrum unter Vorsitz Walter Ulbrichts, mit Beschluss vom 27. Februar eine weitere Kommission, die zwar auch Mitglieder der Blockparteien beteiligte, aber lediglich der inszenierten Öffentlichkeit diente und nur zweimal ohne konkrete Tätigkeit tagte. Polak stand auch dieser Kommission vor. Auf der konstituierenden Sitzung der SED-Kommission im Januar 1961 benannte Polak drei Grundsätze für die neuen Ordnungen, die entsprechend dem Staatsverständnis Polaks nicht auf wirtschaftliche, sondern auf politische Fragen rekurrierten. Erstens sollten die neuen Ordnungen an die Verwaltungsgesetze von 1957 und 1958 anknüpfen und diese „vollenden“, wobei Polak das Schwergewicht auf die „Verbindung der Staatsmacht mit der gesellschaftlichen Basis“ legte. Zweitens wurde festgelegt, dass der Kommunismus nicht mehr durch Absterben des Staates, sondern gerade durch den Ausbau des Staatsapparates zum „Organisator der gesellschaftlichen Entwicklung“ zu erreichen sei. Dies begründete letztlich auch die Akzentverschiebung auf das Zusammenspiel der Ebenen. Drittens schließlich sollten die neuen Ordnungen zwei der Einheitlichkeit des Staatsorganismus entgegenstehende Prozesse unterbinden – „Lokalpatriotismus“ und „Bürokratismus“. So bestand das Ziel der neuen Ordnungen letztlich darin, die Besonderheiten der administrativen Ebenen stärker für die zentrale Planung zu berücksichtigen, um so lokalen Eigenmächtigkeiten entgegenzuwirken. Eher auf den Machterhalt der SED bedacht, kam Polak so den Kommunen indirekt entgegen. Vor diesem Hintergrund wurden Unterkommissionen in den Bezirken, Städten, Kreisen, Gemeinden und Stadtbezirken eingesetzt, die sich aus lokalen Funktionären zusammensetzten. Aus-

411 Zur Bildung des Sekretariats des Ministerrates vgl. ZK der SED an die Mitglieder und Kandidaten des ZK und die 1. Sekretäre der SED­Bezirksleitungen der SED, Weitere Qualifizierung der Organe des Staatsapparates, 13.7.1960, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/711, Bl. 8. Zur Ernennung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates sowie des Leiters des Sekretariats vgl. Ebd., Bl. 4; Ernennungen und Abberufungen vom 25.8.1960, BArch, DC 20/I/4/396, Bl. 62. 412 Vgl. Nils Reichhelm, Die marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie Karl Polaks, Frankfurt/Main 2003, S. 169. 413 Vgl. Howe, Karl Polak, S. 243–250.

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gewählt wurden hierfür die bestimmenden wirtschaftlichen Ballungszentren Leipzig, Ost-Berlin, Erfurt, Magdeburg, Halle, Karl-Marx-Stadt und Dresden.414 Konträre Auffassungen innerhalb der Kommission bestanden vor allem in Organisationsfragen einzelner Organe, deren Kompetenzen sowie deren Verhältnisse zueinander. So standen auf der einen Seite Vertreter der Bezirke wie Harry Tisch (Vorsitzender des Rates des Bezirkes Rostock), der mehr Einflussmöglichkeiten der regionalen Ebene auf die zentralgeleitete Industrie einforderte oder Oswald Unger (Prorektor der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft), der den Bezirken die Funktion von „wissenschaftlich-koordinierende[n]“ „Zwischenstationen“ zusprach. Ihnen hielten Polak und Klaus Sorgenicht (Leiter der Abteilung Staat und Recht im ZK der SED) jedoch entgegen, dass durch solche Forderungen die Einheitlichkeit der Staatsorgane gefährdet sei und ein Zuviel an Reglementierung entstehe.415 Flexible Eingriffe der Zentrale sollten nach wie vor möglich bleiben. Bis zur letzten Sitzung am 10. Februar 1961 stagnierten die Diskussionen zusehends. Unter zeitlichem Druck, durch den zu weit führende Diskussionen gar nicht erst aufkommen sollten, erklärte die Kommission ihre Ziele zunächst für nicht erreicht, während Ulbricht mit Nachdruck die Vorlage der Arbeitsordnungen zum 17. Februar forderte.416 Als Polak Ulbricht die Entwürfe übersandte, wies er den SED-Chef auf die „erheblichen Einwände“ der Kommissionsmitglieder hin. Vor allem habe man sich über das Ausmaß der Kompetenzabgrenzung der einzelnen Organe nicht verständigen können. Während Polak von Ulbricht instruiert wurde, auf die Flexibilität der Ordnungen für mögliche Änderungen der Volkswirtschaftspläne zu achten, äußerte eine Reihe von Kommissionsmitgliedern ihre Bedenken erst nach der letzten Sitzung am 14. Februar in schriftlicher Form. Ihnen zufolge hätten die neuen Ordnungen nicht die Aufgabe, die „sozialistische Demokratie“ und den „demokratischen Zentralismus“ zu bestimmen – dies sei bereits in den Gesetzen von 1957 und 1958 geschehen –, sondern das „Funktionieren der sozialistischen Demokratie durch das System der Staatsmacht“, d. h. die konkrete Abgrenzung von Kompetenzen und Weisungsrechten der einzelnen Ebenen, zu klären.417 Auf offene Ohren stießen diese Kritiken freilich nicht, beabsichtigten Ulbricht und Polak mit den neuen Ordnungen doch in erster Linie eine Stärkung des zentralen Zugriffs. Wie die Ebenen miteinander zusammenwirken sollten, spielte dabei keine Rolle.

414 Vgl. Stenographische Niederschrift der Sitzung der Kommission der Partei, des Staatsrates und der Regierung zur Ausarbeitung der Ordnung für die Arbeit der örtlichen Organe der Staatsmacht im Hause des ZK am 19.1.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.110/6, Bl. 5–15. 415 Vgl. Stenographische Niederschrift der Sitzung der Zentralen Kommission des ZK der SED für Staats- und Rechtsfragen am 3.2.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.110/4, Bl. 5–48. 416 Vgl. Stenographische Niederschrift der Sitzung der Zentralen Kommission des ZK der SED für Staats- und Rechtsfragen am 10.2.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.110/5. 417 Vgl. Karl Polak an Walter Ulbricht, 17.2.1961, DY 30/IV 2/13/12, Bl. 99–101.

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Hoher Besuch, konträre Erwartungen: Der Verlauf der Ratssitzung am 7. April 1961 Aus Ost-Berliner Sicht schien der Besuch in Leipzig am 7. April 1961 trotz der Differenzen in der SED-Kommission gut vorbereitet. Die zuvor abgefassten Arbeitsordnungen dienten als Grundlagenmaterial für Ulbrichts Argumentation. So war es zwischen ihm und Polak im Vorfeld verabredet worden.418 Dennoch trafen auf der Ratssitzung in Leipzig zwei verschiedene Erwartungen aufeinander; auf der einen Seite standen die Funktionäre des Rates der Stadt und implizit die der SEDStadtleitung, die sich mit ihren Aufgaben völlig überfordert sahen; auf der anderen Seite stand Ulbricht, dem es nicht um grundlegende Strukturveränderungen ging, sondern in erster Linie um eine effizientere Gestaltung des Bestehenden. Das Geschehen, an dem auch Paul Fröhlich, überwiegend beobachtend neben Ulbricht sitzend, sowie Erich Apel, der spätere Initiator des NÖS, teilnahmen, bestimmten die kritischen Diskussionsbeiträge der Stadträte und die impulsiven Reaktionen Ulbrichts.419 Etwa wies der Vorsitzende der städtischen Plankommission, Manfred Richter, darauf hin, dass die Stadt 45 Prozent ihrer volkseigenen Produktionskapazität an die bezirksgeleiteten VVB abgeben und sich dadurch auf die konfliktreiche Arbeit mit den privaten und halbstaatlichen Betrieben konzentrieren musste. Darauf reagierte Ulbricht lediglich mit dem saloppen Hinweis, die DDR befände ich sich im „Übergangsstadium“ und man könne von der Staatlichen Plankommission nicht verlangen, was „noch nicht klar“ sei. Überdies habe es die Stadt in den Augen Ulbrichts versäumt, einen komplexen Versorgungsplan aufzustellen. Auch Hinweise zur Überlastung der Plankommission – ein Mitarbeiter habe 199 halbstaatliche und 400 private Betriebe anzuleiten – sowie „Unklarheiten“ über die Praxis der „Störfreimachung“ in den Betrieben, die ohne Maschinen aus der Bundesrepublik nicht arbeitsfähig waren420, winkte Ulbricht mit der Bemerkung ab, dass er sich auf dem 12. Plenum des ZK421 doch deutlich ausgedrückt habe, „aber wenn Ihr Befehle braucht, den [sic!] könnt Ihr auch noch bekommen“.

418 Vgl. Howe, Karl Polak, S. 246. 419 Die nachfolgenden Gesprächsinhalte sind dem fast 100-seitigen Protokoll der Ratssitzung vom 7.4.1961 entnommen. Vgl. StadtAL, StVuR, 20066, Bl. 33–134. Auf gesonderte Nachweise der einzelnen Passagen wird aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. 420 Im Januar 1961 listete die städtische Plankommission allein zehn zentralgeleitete Leipziger Betriebe auf, darunter der bedeutende Exportbetrieb VEB Schwermaschinenbau S. M. Kirow, deren Arbeitsproduktivität zu einem nicht geringen Teil von aus der Bundesrepublik importierten Maschinen abhängig war. Vgl. Rat der Stadt, Plankommission, Übersicht über wichtige Betriebe der zentralgeleiteten Industrie der Stadt Leipzig zu Fragen der Übereinstimmung zwischen Produktion, Kapazität und Material sowie von Westimporten entsprechend der Anleitung vom 24.12.1960, StadtAL, StVuR (1), 2233, Bl. 220–223. 421 Das vom 16. bis 19. März 1961 stattfindende 12. Plenum des ZK der SED diente der programmatischen Einstimmung auf den Volkswirtschaftsplan 1961, wobei u. a. die neuen Ordnungen „diskutiert“ wurden. Die Redebeiträge finden sich abgedruckt in: Die Aufgaben zur weiteren ökonomischen Stärkung der DDR und zur Festigung der sozialistischen Demokratie. 12. Tagung des ZK der SED 16. bis 19. März 1961, Berlin (Ost) 1961.

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Der Diskussionsbeitrag des Stadtbaudirektors Ober stand, angesichts seiner Vorgeschichte, unter besonderer Beobachtung Fröhlichs. Wie zu erwarten war, wies Ober auf die intern schon länger diskutierten Probleme des städtischen Bauwesens hin – das Missverhältnis von Substanzverlust und Wohnungsneubau, Kaderprobleme und hohe Ausfallzeiten im städtischen Baubetrieb, das Fehlen von Tiefbaukapazität, unzureichende Materialzuweisung und die Zersplitterung der Baukapazitäten. Zudem äußerte er eine Reihe von Vorschlägen zur Beseitigung der Mängel, womit er sich unter den Rednern am weitesten nach vorn wagte. Zur Koordinierung der unterschiedlichen Interessen der jeweils mit Bauaufgaben in Leipzig beauftragten Plan- und Investträger (Ministerien, Reichsbahn usw.) sollten in der Stadtverwaltung ein Hauptplanträger als eigenständiges Organ sowie eine Projektierungsgruppe bei der städtischen Plankommission eingerichtet werden. Hierzu habe man mit Unterstützung Oberbürgermeister Kresses bereits erste Maßnahmen eingeleitet, etwa die Unterstellung der Aufbauleitung unter das Stadtbauamt als Generalinvestor und zur Anleitung der ins Auge gefassten Projektierungsgruppe bei der Plankommission.422 Zur Abdeckung der Tiefbaukapazitäten sollte ein weiteres Organ beim Stadtbauamt gebildet werden, dessen Schwerpunkt auf der Koordination der privaten Tiefbaukapazitäten lag. Vor den Augen Ulbrichts forderte Ober vom Rat des Bezirkes zudem die Rückgabe des VEB Straßen-, Gleis- und Tiefbau. Darüber hinaus sollten Komplex-Produktionsgenossenschaften zur Vereinigung von Bau- und Handwerkskapazitäten eingerichtet und der Bezirk angehalten werden, eine verbindliche Entscheidung über die Abgabe von Kapazitäten an die Stadt zu treffen. Hierfür erntete Ober zunächst harsche Kritik von Paul Fröhlich, der dem Stadtbaudirektor vorwarf, mit der Bildung der von ihm genannten koordinierenden Instanzen gegen Staatsprinzipien zu verstoßen. Ulbricht warf Ober darüber hinaus fehlende Entscheidungsfreudigkeit vor, da im Politbüro bis zum Zeitpunkt der Sitzung weder Objektlisten noch Bauablaufpläne vorlagen, während die Stadt mehr Ressourcen (als im Politbürobeschluss festgelegt) verbraucht habe. Auch die Vorschläge zur Bildung eines lokalen Hauptplanträgers und einer Projektierungsgruppe sah Ulbricht mit gemischten Gefühlen. So habe er selbst bereits eine zentrale Kommission eingesetzt, welche die Entwürfe der einzelnen Plan- und Investträger aus architektonischer Sicht begutachtet habe. Das Koordinierungs- und Finanzproblem sollte Ober stattdessen noch einmal beim Präsidium des Ministerrates ansprechen, dieses würde dann Anweisungen an die entsprechenden Stellen herausgeben. Bevor Ulbricht am Ende die Entwürfe der neuen Ordnungen von Kresse überreicht wurden, richtete der SED-Chef noch einmal generelle mahnende Schlussworte an der Rat der Stadt, die von völliger Unkenntnis der örtlichen Problemlagen zeugen. Seiner Auffassung nach sollte der Rat künftig mehr Fachleute und Ingenieure in die Stadtverwaltung holen bzw. die Mitarbeiter verstärkt zum Studium delegieren. Zum Schluss forderte Ulbricht den Rat nochmals auf, fahrlässig arbeitende Kollegen unerbittlich zur Verantwortung zu ziehen. 422 Ein Organigramm mit Stand vom 2. März 1961 befindet sich in SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp.

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Trotz der letztlich enttäuschenden Ergebnisse bot die Diskussion den Verantwortlichen vor Ort einen wichtigen Informationsvorsprung über die Stimmung in der SED-Führung und damit einen Orientierungspunkt für die weitere Vorgehensweise. So berief die SED-Grundorganisation fünf Tage nach der Ratssitzung eine Vollmitgliederversammlung ein, welche die Genossen im Rat der Stadt auf die anstehenden Aufgaben einstimmen sollte.423 Dabei wurden die Kontrollbefugnisse der SED-Grundorganisation noch weiter verstärkt. Dies traf zunächst vor allem das Stadtbauamt. Am 6. Mai 1961 wurden gleich drei Parteimitglieder mit kontinuierlichen Kontrollaufgaben im Bauwesen betraut.424 Daneben wurden das Ratskollegium und die Organisations-Instrukteur-Abteilung verstärkt mit Kontrollaufgaben belegt, was bald zu einer kaum noch zu überblickenden Informationsflut führte, deren Zweckmäßigkeit auch innerhalb des Rates nicht unumstritten war.425 „Ausschöpfung örtlicher Reserven“: Resignation und Kontroversen Inzwischen hatte der nach Berlin zurückgekehrte Ulbricht am 17. April angewiesen, eine zentrale Arbeitsgruppe des Staatsrats zur Ausarbeitung der neuen Ordnungen und Vorbereitung der öffentlichen Diskussion der Entwürfe zu bilden.426 Demnach sollten vor allem die „Ausschöpfung örtlicher Reserven“ sowie die Erhöhung des „Niveau[s] der systematischen, wissenschaftlichen Arbeit aller staatlichen Organe“ in den Vordergrund gerückt werden.427 Damit reagierte Ulbricht auf die aus seiner Sicht unbefriedigenden Ergebnisse der lokalen Debatten. Für den Ablauf der „Diskussionen“ an der Basis zeichneten die SED-Stadtleitung in programmatischer und die Funktionäre bzw. Abgeordneten der lokalen Staatsorgane in operativer Hinsicht verantwortlich. Die SED-Stadtleitung Leipzig ordnete hierzu an, bis zum 30. Mai 1961 schwerpunktmäßig in 22 Betrieben, Verkaufsstellen, Wohnbezirksausschüssen und medizinischen Einrichtungen unter anderem Fragen der „Störfreimachung“, der Organisation des Bauwesens, der „vollen Ausschöpfung aller Reserven“, der Leitungstätigkeit der Staatsorgane gegenüber den Betrieben und Einrichtungen, der Erarbeitung eines Versorgungsplanes, der Durchführung eines Wohnungsreparatur-Programms unter Förderung der „Selbsthilfe der Hausgemeinschaften“ sowie der künstlerischen Selbstbetätigung der Bürger und der verbesserten Arbeit mit der Jugend und Intelligenz zu „diskutieren“. Dabei sollten die Entwürfe der neuen Ordnungen ausgiebig popularisiert werden.428 423 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Informationsbericht zum Besuch des Genossen Walter Ulbricht in Leipzig und Ratssitzung am Freitag, dem 7.4.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/018, unp. 424 Vgl. Leitungssitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 6.5.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. 425 Vgl. Leitungssitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 29.5.1961, Ebd., unp. 426 Howe, Karl Polak, S. 247. 427 Thesen für die Hinweise über die Organisation der öffentlichen Diskussion über die Entwürfe der Ordnungen für die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe, o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV/2/13/12, Bl. 122. 428 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschluß Nr. 81-S/61: Maßnahmeplan zur Durchführung des Beschlusses der Stadtleitung vom 25.4.1961 zur Organisierung der öffentlichen Diskussion und

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Im Rat der Stadt wurden die neuen Ordnungen dagegen skeptisch betrachtet. So habe Helmut Ober etwa allein 14 Tage gebraucht, um seine Mitarbeiter zur „Diskussion“ anzuleiten.429 In den Betrieben und städtischen Einrichtungen herrschte indes weitgehend Interesselosigkeit vor. So waren im VEB Metallverarbeitung, in dem der Sekretär des Rates, Josef Eichner, gesprochen hatte, zwar viele Arbeiter und Angestellte zur Versammlung erschienen, über die neuen Ordnungen hätte jedoch kein Teilnehmer ein Wort verloren. Vielmehr beherrschten lebensweltliche Probleme die Gespräche. Arbeiter verwiesen vor allem auf die Rückstände in der Lebensmittelversorgung. Auf die Frage, wie die Förderung der Eigeninitiative unter der Losung „Plane mit, arbeite mit, regiere mit“ im Betrieb umgesetzt werde, bekam Eichner zu hören: „Wir arbeiten nur, das Andere machen die andern allein“. Ähnlich verlief die Diskussion im VEB Baumwollspinnerei, der vom Abteilungsleiter Inneres, Rudolf Lehmann, aufgesucht worden war. Dort war Lehmann zur Erläuterung der neuen Ordnungen noch nicht einmal vorgedrungen, denn die lebhaften Diskussionen kreisten ebenfalls um Alltagsprobleme wie die Arbeiterversorgung während der Nachtschichten, die Beleuchtung am Arbeitsplatz, der Arbeitsschutz und die Unterbringung der Kinder während der Arbeitszeit. In anderen Betrieben war die Stimmung dagegen so erhitzt, dass mit der Diskussionsleitung beauftragte Mitarbeiter des Staatsapparates lieber ein Parteiverfahren zu ertragen bereit waren, als im Betrieb sprechen zu müssen.430 Im Bezirkskrankenhaus St. Georg war man dagegen nur bereit zu „diskutieren“, wenn der Einrichtung 50 Millionen DM Investitionsmittel zur Verfügung gestellt würden. Da diese jedoch ausblieben, erschienen zur Aussprache mit Stadtrat Wittstock, der bei den Chefärzten ohnehin nicht besonders beliebt war431, nur 20 Mitarbeiter.432 Leipzig war damit kein Einzelfall. In vielen Städten registrierte der Ministerrat, dass trotz einer Vielzahl von mit Mitarbeitern und Abgeordneten der örtlichen Staatsorgane abgehaltenen Seminaren auch unter diesen die Meinung weit verbreitet war, „daß die Ordnungen nichts Neues bringen, so daß ein erheblicher Zeitaufwand notwendig war, um zunächst bei den Mitarbeitern der Staatsorgane selbst Klarheit zu schaffen“.433

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des Erfahrungsaustausches zu den Entwürfen der Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretung und ihrer Organe vom 27.4.1961, StadtStAL, StVuR, 20069, Bl. 2–4. Vgl. Leitungssitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 29.5.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. Vgl. Ebd., unp. Vgl. Parteiorganisation 4 an die SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Handschriftliche Notiz zum Chefärzte-Gespräch über die Vorbereitung einer Ratsvorlage über den Stand der ambulanten und stationären Krankenversorgung in Leipzig, 5.11.1960, SächsStAL, 21479, IV/7/139/018, unp. Vgl. Sekretariat des Ministerrates, Abt. Grundsatzfragen, Information und Auswertung, Information über den Stand der Diskussionen zu den Entwürfen der Ordnungen über die Arbeit der örtlichen Volksvertretungen und deren Organe unter Zugrundelegung der Berichte der Vorsitzenden der Räte der Bezirke, 18.5.1961, BArch, DC 1/238, unp. Sekretariat des Ministerrates, Bericht über die Arbeit mit den Entwürfen der Ordnungen über die Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und Ihrer Organe in den zentralen staatlichen Organen und örtlichen Räten, 20.6.1961, BArch, DC 1/238, unp.

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Nichtsdestoweniger gab Oberbürgermeister Kresse auf einer inszenierten Beratung der Stadtverordneten und des Stadtausschusses der Nationalen Front in kämpferischem Ton bekannt, dass die „Art und Weise, wie die Entwürfe der Ordnungen beraten und nun wiederum mit der gesamten Bevölkerung diskutiert werden, […] erneut den zutiefst demokratischen Charakter unseres Staates“434 unter Beweis gestellt hätten. Dass dies mit der Realität kaum übereinstimmte, registrierte auch die SEDStadtleitung, die bemängelte, „daß der gegenwärtige Stand der Diskussionen über den Entwurf der Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe oft noch losgelöst von den im Volkswirtschaftsplan 1961 gestellten Aufgaben geführt wird“.435 Am 13. Juni 1961 erhielt der Rat der Stadt Leipzig schließlich Kenntnis darüber, dass seine auf lokalen Erfahrungen basierenden eingereichten Entwürfe nicht angenommen wurden. Zudem hatte sich die SED-Führung entschieden, nicht wie ursprünglich vorgesehen, separate Ordnungen für Großstädte herauszugeben, sondern nach administrativen Ebenen, d. h. Bezirken, Kreisen, Stadtbezirken und Gemeinden, unabhängig von ihrer Größe, zu unterscheiden. Jedoch waren die Funktionäre in Leipzig noch aufgefordert worden, neue Entwürfe bis zum 24. Juni auszuarbeiten436, sodass die neue Ordnung für Stadtkreise mit Stadtbezirken erst am 7. September 1961 veröffentlicht wurde, als der Bau der Mauer bereits neue Tatsachen geschaffen hatte.437 Ein tatsächlicher Handlungsspielraum erwuchs den Städten und Stadtbezirken damit aber nicht zwangsläufig. Aus diesem Grunde waren die neuen Ordnungen auch in Ost-Berlin nicht unumstritten. Im Zentrum der vornehmlich unter Wirtschaftsexperten geführten Diskussionen stand abermals die Frage: Mehr Zentralismus als Garantie für Einheitlichkeit oder mehr „schöpferische Initiative“ der örtlichen Staatsorgane und damit stärkere Berücksichtigung lokaler Eigenheiten? So standen auf der einen Seite Mitglieder der zentralen Kontrollkommission, die es als Hindernis ansahen, dass die Kreise und Gemeinden nach den neuen Ordnungen zentralgeleiteten Betrieben der Konsumgüterproduktion nur mit Zustimmung der zentralen VVB zusätzliche Auflagen erteilen durften, während ein Ministerratsbeschluss vom 11. Februar 1961 dies auch ohne Zustimmung der VVB gewährt hätte.438 Auf der anderen Seite befanden sich Wirtschaftskader des Parteiapparates, wie Siegfried Böhm, welche eine Trennung von Perspektivplanung bzw. Plankoordinierung (Wirtschaftsräte der Bezirke) und operative Planung und Leitung der Industrie (Plankommissionen der Kreise und Städte) für falsch hielten und stattdessen forderten, die Planung je nach Industriezweigen „komplex“, d. h. auf 434 Gemeinsame Beratung der Stadtverordneten und des Stadtausschusses der Nationalen Front am 18.5.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/491, Bl. 149. 435 SED-Stadtleitung, Entwurf zu den Schlußfolgerungen aus der gemeinsamen Tagung der Stadtverordnetenversammlung und des Stadtausschusses der Nationalen Front am 18.5.1961, Ebd., Bl. 206. 436 Vgl. Walter Zmyslony an Karl Bauer und Hubert Schnabel, 13.6.1961, Ebd., Bl. 96. 437 Der Erlaß des Staatsrates zu den Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Stadtverordnetenversammlung und der Stadtbezirksversammlungen und ihrer Organe in der Hauptstadt der DDR, Berlin, und den Stadtkreisen mit Stadtbezirken vom 7.9.1961 befindet sich in Gesetzblatt der DDR 1961, Teil I, S. 157. 438 Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle, Bereich III, Industrie und Verkehr, Sektor Örtliche Wirtschaft, an Bereich V, o. D., BArch, DC 20/22461, unp.

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jeweils nur einer administrativen Ebene ganzheitlich zu gestalten. Damit einher ging die Überlegung, einen Teil der örtlichen Industrie, etwa des Maschinenbaus, zentralgeleiteten VEB bzw. VVB zu unterstellen.439 Im Hinblick auf konkrete städtische Probleme konnten die neuen Ordnungen allenfalls nur kurzzeitige kompensatorische Wirkungen zeitigen. So hatte, einer ersten umfassenden Bilanz vom November 1961 zufolge, der Rat des Bezirks seinen Schwerpunkt zwar nun auf das Bauwesen der Stadt Leipzig gelegt und der Vorsitzende Grützner sogar öffentlich Unterstützung zugesagt, ansonsten blieb die zum Teil beliebige Weisungspraxis aber unverändert bestehen. Bei der komplexen Versorgung, der Ausarbeitung der IndustriezweigÖkonomiken, der Ressourcenbeschaffung, der örtlichen Wirtschaft (insbesondere während des Messebetriebes) und auch in landwirtschaftlichen Fragen fehlte es nach wie vor an jeglicher Zusammenarbeit. Nur das partielle persönliche Eingreifen Grützners konnte gelegentlich Abhilfe schaffen.440 So stieß auch ein nachdrücklicher Beschluss des Rates der Stadt zur Durchsetzung der neuen Ordnungen kaum noch auf „fruchtbringende Diskussionen“.441 Nicht zuletzt diese negative Rezeption der Ordnungen trug dazu bei, dass diese später in Vergessenheit gerieten. Die neuen Ordnungen im kommunalpolitischen Alltag Der kommunalpolitische Alltag war nach wie vor durch ad hoc Entscheidungen und Einzelkampagnen geprägt, insbesondere im Vorfeld von Wahlen. Paul Fröhlich etwa schaltete sich mit Blick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen im September 1961 persönlich in die Lösung von Kernproblemen der städtischen Versorgungspolitik ein. Die Speisekarten lokaler Gaststätten sollten so bald die Handschrift des Bezirkssekretärs tragen. „Die bisherigen Reduzierungen bei Großverbrauchern in Fleisch sind noch ungenügend. Es ist dafür zu sorgen, daß in den Gaststätten bei gleichbleibenden Preisen die Schnitzel, Koteletts usw. von 100 g auf 70 g gesenkt werden. Anstelle der 30 g Fleisch wird ein gebratenes Ei verabreicht. Bei anderen Speisen z. B. Rinderbraten soll Rührei als Äquivalent gegeben werden. […] Bei allen Großverbrauchern sollen wöchentlich 2 Eiergerichte verabfolgt werden. Die erforderliche Menge Fleisch ist einzusparen. […] Alle gegenwärtig vorhandenen geschlossenen Läden sind bis spätestens Ende des Jahres wieder zu eröffnen. (Politisch-ideologische Bedeutung, eventuell Ruheständler und Rentner für Läden gewinnen).“442

Des Weiteren wies Fröhlich an, den privaten Handel wieder stärker zu fördern, und Handlungsweisen, die dem entgegenstanden, „in der Presse auszuwerten als sektiererisches Verhalten von Staatsfunktionären“. Ferner sollten alle übrigen Mit439 Siegfried Böhm an Karl Hengst, ZK der SED, Abt. Planung und Finanzen sowie an die Abt. Staat und Recht, 20.6.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/16, Bl. 390 f. 440 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stellungnahme über die Zusammenarbeit mit dem Rat des Bezirkes Leipzig auf den einzelnen Fachgebieten seit dem Besuch des Genossen Walter Ulbricht im April 1961, 9.11.1961, StadtStAL, 3528, Bl. 188–191. 441 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Abt. Staatliche Organe, Information für Genossen Paul Fröhlich über eine Aussprache mit dem Genossen Spitzner, Parteisekretär im Rat der Stadt Leipzig, 21.6.1962, SächsStAL, 21123, IV/2/13/601, Bl. 34. 442 Aktennotiz Karl Adolphs über die Aussprache im Sekretariat der Bezirksleitung der SED über die Versorgungsfragen der Stadt Leipzig, 19.7.1961, StadtAL, StVuR (1), 3593, Bl. 151 f.

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arbeiter zur Verantwortung gezogen werden, „die nicht politisch operativ zur Lösung der gestellten Aufgaben beitragen bzw. die Lösung verhindern und sei es, daß sie sich auf formale gesetzliche Bestimmungen und Anweisungen berufen“.443 Zu einem Parteiverfahren kam es indes wenige Tage vor der „Friedenswahl“ am 17. September 1961 gegen den seit 1947 im Rat der Stadt Leipzig arbeitenden Abteilungsleiter für Handel und Versorgung, Wolfgang Volkmer, sowie gegen weitere Handelsfunktionäre. Diese hatten sich geweigert, einen Ratsbeschluss umzusetzen, der vorsah, den Verkauf von Butter während der Messezeit nur über Quartierskarten der Messegäste zu regulieren. Stattdessen hätten sie es zu verantworten gehabt, dass alle Verkaufsstellen zu Messebeginn auch für „normale“ Kunden mehr Butter als vorgesehen ausgegeben hätten.444 Zur Entlassung des Abteilungsleiters führte das Disziplinarverfahren jedoch nicht, zumal Volkmer, anders als die Funktionäre im Bauwesen, den Rückhalt des Rates des Bezirkes genoss.445 Schon nachdem die Herbstmesse beendet war und die Augen der SED-Führung sich wieder ein Stück weit von Leipzig abgewandt hatten, zwangen die Versorgungslücken die verantwortlichen Funktionäre wieder zu politisch „unsauberen“ Maßnahmen. Im November 1961 hatte sich etwa die Kartoffelsituation in Leipzig derart verschlechtert, dass nun sogar von der Bevölkerung verlangt wurde, eingekellerte Ware zurückzugeben, was nicht überall auf solidarischen Zuspruch stieß.446 Die neuen Ordnungen spielten im kommunalpolitischen Alltag somit kaum noch eine Rolle. Sie wurden dagegen verstärkt als Mittel zur Legitimation von Sanktionen herangezogen. Die Arbeit des Rates wurde nun daran gemessen, wie sehr er mit den „Werktätigen“ und den Stadtverordneten verbunden sei und wie sich die Zusammenarbeit mit den Stadtbezirken gestaltete. Seit Beginn des Jahres 1962 schaltete sich zudem die SED-Bezirksleitung vermehrt in die Vorgänge im lokalen Verwaltungsapparat ein, indem sie sich von der SED-Stadtleitung, vom Rat des Bezirkes und von der SED-Grundorganisation parallel berichten ließ.447 Der zunehmende Druck lokaler SED-Funktionäre hatte schwerwiegende Folgen für den Rat der Stadt. Schon im September 1961 war ein gesteigertes Bedürfnis von Mitarbeitern „in fast allen Aufgabenbereichen […], aus dem Staatsapparat auszuscheiden“, beobachtet worden. In einzelnen Fällen habe es bereits Abwanderungen in die Industrie gegeben, „wo für angeblich weniger Arbeit mehr bezahlt wird“.448 Auch 443 Ebd., Bl. 151 f. Ein entsprechender Bericht konnte jedoch weder in der LVZ noch im Neuen Deutschland eruiert werden. Eine mögliche Erklärung wäre, dass angesichts der überschwänglichen Propaganda im Vorfeld des Mauerbaus und der „Friedenswahlen“ ein allzu kritischer Bericht nicht erwünscht war. 444 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Einschätzung einer Ratssitzung, 13.9.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/491, Bl. 106 f. In der betreffenden Ratssitzung am 7. September 1961 wurden Fragen der Wahlvorbereitung besprochen. Vgl. Ratssitzung am 7.9.1961, StadtAL, StVuR, 20086. 445 Vgl. Rat des Bezirkes, Abt. Handel und Versorgung, Abteilungsleiter Loth an den Stellvertreter des Vorsitzenden Kühn, 11.7.1962, SächsStAL, 20237, 31619, unp. 446 Vgl. Walter Kresse an Karl Bauer, Kartoffelsituation auf der Grundlage einer Aussprache mit den Räten der Stadtbezirke Nord, Mitte und Südwest, 20.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 3594, Bl. 10. 447 Vgl. die minutiöse Berichterstattung in SächsStAL, 21123, IV/2/13/601 sowie IV/2/3/309. 448 SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Einschätzung der Parteiarbeit beim Rat der Stadt Leipzig, 9.6.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/019, Bl. 202.

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unter den Ratsmitgliedern nahmen die Konflikte zu, was auch der SED­Bezirkslei­ tung bald nicht mehr verborgen blieb. Ein als „streng vertraulich“ gekennzeichneter Bericht einer Untersuchungsgruppe des Rates des Bezirks449 vom 13. Juli 1962 zählt eine ganze Reihe von Konflikten auf. Weit verbreitet war dem Bericht zufolge die Ansicht, unabhängig von der Qualität eines Diskussionsbeitrages, „im Rat immer den schwarzen Peter zugeschoben zu erhalten“. Furcht vor Kritik und „Kritikmüdigkeit“ bestimmten zugleich die Diskussionskultur im Rat der Stadt im Jahr 1962. Der Hinweis, dass sich die „allgemeine Unsicherheit in der Grundlinie der Arbeit des Rates“ negativ auf die „Entscheidungsfreude“ des Gremiums ausgewirkt habe, kennzeichnet diese Situation im Rat der Stadt Leipzig sehr deutlich. Zum Eklat war es im Juni 1962 im Streit um die Erhöhung der Eintrittspreise für die städtischen Bäder gekommen. Hiermit hatte der Rat der Stadt auf die plötzliche Streichung von 600.000 DM Subventionen durch den Rat des Bezirkes reagiert. Die Vorbereitung der Beschlussvorlage wurde dem Stadtrat für Handel und Versorgung, Richter, zusammen mit den Vorsitzenden der Ständigen Kommissionen übertragen. Diese Vorgehensweise verstieß zwar gegen die neuen Ordnungen, nach denen der Sekretär des Rates für die Vorbereitung der Stadtverordnetenversammlung zuständig zeichnete, war aber eine durchaus gängige Praxis. Ein eigentliches Problem wurde daraus aber erst, als die Stadtverordnetenversammlung auf ihrer Sitzung am 7. Juni 1962 die obligatorische Zustimmung versagte und der Rat des Bezirkes den Beschluss daraufhin aussetzte450; nicht zuletzt aber auch, da man im Ministerrat von diesem Vorfall Notiz genommen hatte451, was die lokalen Parteifunktionäre zum Eingreifen zwang. Von allen Seiten wurde der Rat der Stadt schließlich für die Umgehung der Stadtverordneten bei der Erarbeitung der Beschlussvorlage kritisiert. Die neuen Ordnungen boten die rechtlich-ideologische Grundlage dafür. Dass die neuen Ordnungen indes Veränderungen in der Wahrnehmung städtischer Problemlagen angestoßen hätten, lässt sich allenfalls in Umrissen erkennen. So gab etwa der Rat des Bezirks im August 1962 in einem internen Papier zu erkennen, „die Stadt Leipzig nicht länger als dreizehnten Kreis behandeln [zu wollen, d. V.], sondern für eine längere Zeit ihre Kraft auf die Veränderung der staatlichen Leitungstätigkeit in der Stadt Leipzig [zu, d. V.] konzentrieren. Dabei ist der Stadt Leipzig eine qualifizierte und differenzierte Anleitung zu geben und die Kontrolle über die Durchführung der Beschlüsse wesentlich zu verstärken“.452 Dies lässt sich 449 Die Arbeitsgruppe des Bezirkes wurde von der SED-Bezirksleitung zur Untersuchung der Führungstätigkeit in den Rat der Stadt eingesetzt, nachdem die internen Konflikte bereits in die Stadtverordnetenversammlung durchgedrungen waren. Vgl. SED-Bezirksleitung, Abt. Staatliche Organe, Probleme, die sich aus der Bezirksdelegiertenkonferenz für die Arbeit der staatlichen Organe und die Führung durch die Partei ergeben, 21.6.1962, SächsStAL, 21123, IV/2/ 13/601, Bl. 35 f. 450 Vgl. Ebd., Bl. 37; SED-Bezirksleitung, Lex Ullmann, Information für Genossen Paul Fröhlich, 21.6.1961, Ebd., Bl. 29 f. 451 Vgl. Bevollmächtigter der ZKSK im Bezirk Leipzig, Einschätzung zur bisherigen Anwendung der Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe, 14.6.1962, BArch, DC 20/22461, unp. 452 Rat des Bezirkes, Einschätzung der politischen Führungstätigkeit im Rat der Stadt, 1.8.1962, SächsStAL, 21123, IV/2/3/309, Bl. 141.

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durchaus als Folge der neuen Ordnungen interpretieren, die erstmals nach Ebenen unterschieden hatten und einen Stadtkreis wie Leipzig damit aufwerteten. Gleichwohl waren das nur erste Ansätze. Die den Ordnungen weitgehend entgegengebrachte Skepsis und die Reduzierung dieser auf ein Mittel zur Legitimation von Sanktionen trugen wohl nicht unwesentlich dazu bei, dass diese bald aus dem Gedächtnis gerieten. Gleichwohl legten sie den Grundstein für die Entwicklung einer neuen Diskussionskultur zwischen den Ebenen. Die Kommunen wurden erstmals, wenn auch indirekt, in den Gesetzgebungsprozess einbezogen. Diese Dialogkultur gab man trotz zahlreicher Konflikte in nächsten Jahren nicht mehr auf. Territorialisierung und Kompetenzverlust: Strukturexperimente in Leipzig Die neuen Ordnungen hatten nicht nur im Rat des Bezirkes ein leises Umdenken der Stadt Leipzig gegenüber in Gang gesetzt, auch in den Ministerien spielten die Kommunen bei künftigen Überlegungen zu Strukturreformen zunehmend eine Rolle. Die Rationalisierung der Wirtschaftsverwaltung stand hier nach wie vor im Vordergrund. So wurde die mit dem Gesetz von 1958 begonnene Entwicklung fortgesetzt, Gesamtplanung und Plandurchführung sollten jetzt aber noch stärker administrativ getrennt werden. Mit Beschluss vom 5. Juli 1961 wurde zunächst die Staatliche Plankommission auf planerische Tätigkeiten reduziert, während ihre wirtschaftlichen Leitungskompetenzen in einen neugebildeten Volkswirtschaftsrat überführt wurden, der fortan als oberste Industrieexekutive agierte.453 Entsprechend wurden auch die Wirtschaftsräte der Bezirke zu reinen Planungsorganen umstrukturiert und Bezirksplankommissionen als oberste regionale Industriebehörden gebildet.454 Die Auflösung der städtischen Plankommission und der Abteilung Kommunale Wirtschaft Ähnlich wie 1958 stand das lokale Planungswesen einmal mehr im Zentrum kommunaler Strukturreformen. Dem waren nun sogar lokale Initiativen vorausgegangen, die in eine ähnliche Richtung zur Entflechtung von Kompetenzen zielten. Anlass hierzu gab das Bedürfnis nach einer längerfristigen stadtbezogenen Wirtschaftsplanung. So hatte die SED-Stadtleitung ihrerseits unmittelbare Konsequenzen aus der Ratssitzung mit Walter Ulbricht gezogen und am 11. April 1961 die Bildung eines Fachorgans für Perspektivplanung im Verantwortungsbereich der städtischen Plankommission beschlossen. Diese sollte die „komplex-territoriale Planung“ für die Zeit von 1965 bis 1980 im Hinblick auf die städtischen Bedürfnisse konkretisieren, langfristige Entwicklungsprogramme für die Industrie erarbeiten und Kontakte mit wissenschaftlichen Instituten, Experten, Neuerern sowie ansässigen Betrieben pflegen. Zudem sollte sie sämtliche Planvorhaben miteinander koordinieren, indem

453 Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 371. 454 Vgl. Ebd., S. 372.

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die Gruppen Perspektivplanung und Koordinierung zusammengelegt und dadurch lokale Verwaltungsressourcen gebündelt wurden.455 Bald wurden die Kreis- bzw. Stadtplankommissionen aber ganz aufgelöst. An ihre Stelle traten neue Abteilungen für Planung und Bilanzierung, die den Bezirksplankommissionen unterstellt wurden.456 Die konkrete Ausgestaltung der neuen Abteilung in Leipzig orientierte sich jedoch zunächst an den bereits eingeleiteten institutionellen Maßnahmen. So sollte sich das Aufgabenspektrum der Abteilung Planung und Bilanzierung auf die komplex-territoriale Entwicklung der Stadt, die Planung der örtlichen Wirtschaft, die Ausarbeitung territorialer Bilanzen sowie der Bilanzen der Stadtökonomik und die Koordination mit zentralgeleiteten Betrieben konzentrieren. Zudem sollten der Abteilung die Referate Verkehr und Wasserwirtschaft als eigenständige Bereiche unterstellt werden, die zuvor der parallel in Auflösung begriffenen Abteilung Kommunale Wirtschaft zugeordnet waren.457 Im Grunde handelte es sich bei der Abteilung Planung und Bilanzierung um die vormalige Abteilung Plankoordinierung der städtischen Plankommission, die nur noch für die Grobplanung zuständig war.458 Die Feinplanung sollte künftig, anders als auf zentraler und regionaler Ebene, in den jeweiligen Ressorts geschehen, was diesen mehr Spielraum gewährte, aber auch den Koordinationsbedarf erhöhte. Eine provisorische Vorlage des Ministerrates sah zudem vor, neben den Versorgungsaufgaben auch die Bilanzierung des komplexen Wohnungsbaus, der Arbeitskräfte und die Standortbearbeitung in die Abteilung Planung und Bilanzierung zu integrieren. Alle wirtschaftspolitisch wichtigen Planungsfragen sollten nun in der neuen Abteilung zusammengeführt werden. Die Umsetzung dieser Direktive verband sich vor Ort jedoch mit grundlegenden Konflikten zwischen Stadt und Bezirk um die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Ressourcen. Auf Basis der Erfahrungen bei der Umsetzung der Verwaltungsgesetze von 1957 und 1958 unterließ es der Rat der Stadt, bei übergeordneten Behörden zusätzliche Planstellen zu beantragen. Vielmehr lehnte er dies nun sogar aus „ökonomischen und politischen Gründen“ ab. So sollten die hierfür benötigten Planstellen durch Herauslösung einzelner Positionen aus anderen Fachorganen beschafft werden. Ein Konsens, aus welchen Bereichen die Stellen zu nehmen seien, wurde letztlich aber nicht erreicht. So hatte die Abteilung Planung und Bilanzierung bereits zum Ende des ersten Quartals 1963 ihren Stellenplan um etwa 50 Prozent überschritten. Schließlich musste Oberbürgermeister Kresse das Problem mit seiner Autorität lösen. Im April 1963 verfügte er, unverzüglich alle unbesetzten Planstellen in der Abteilung zu sperren, vorhandene Planstellen einzusparen (notfalls durch die Autorität des Stellenplanaktivs), 455 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Plankommission, Vorschlag zur Bildung einer Gruppe PerspektivPlanung in der Plankommission des Rates der Stadt, 15.5.1961, StadtAL, StVuR (1), 2233, Bl. 146 f. 456 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage über die Bildung der Abt. Planung und Bilanzierung und der Abt. Örtliche Industrie und Handwerk, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 2512, Bl. 39 f. 457 Vgl. Beschlussvorlage, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 2249, Bl. 12 f. 458 Zur institutionellen Struktur der Abteilung Planung und Bilanzierung vgl. StadtAL, StVuR (1), 1548, Bl. 33.

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Leistungszuschläge zu begrenzen, bei Vertretungsbedarf keine Neueinstellungen vorzunehmen und jedwede Änderungen von vornherein abzulehnen.459 Wie hinderlich sich diese Entscheidung auf die Arbeitsweise der Abteilung auswirkte, macht ein abteilungsinternes Schreiben an Stadtrat Martin deutlich. Aus diesem geht hervor, dass im April 1963 nur die Hälfte der Planstellen besetzt war, während sich „formale Arbeiten“ in der Abteilung häuften.460 Zum Personalmangel kamen externe Faktoren, die die angestrebte Perspektivplanung immer wieder erschwerten. Vor allem zentralgeleitete Betriebe sahen sich nicht veranlasst, die Abteilung davon zu unterrichten, wenn sie mit örtlichen Betrieben verhandelten. Oftmals ignorierten erstere die in der örtlichen Wirtschaft vorherrschenden Verhältnisse und gaben im Rahmen der „sozialistischen Hilfe“, wenn überhaupt, nur unrentable Produktion an diese ab.461 Komplikationen bereitete vor allem die Eingliederung des Amtes für Arbeit und Berufsberatung in die Abteilung Planung und Bilanzierung. Diese organisatorische Maßnahme462 ging zurück auf das am 12. April 1961 verabschiedete Gesetzbuch der Arbeit, welches die Arbeitskräftelenkung ausdrücklich der Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes unterordnete.463 Damit verbunden war eine Aufwertung der lokalen Organe für die Umsetzung der Arbeitskräftepolitik. Dies war vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass noch immer ein Ministerium für Arbeit in Ost-Berlin fehlte und zwischen der Staatlichen Plankommission und dem Amt für Arbeit und Löhne schon seit langem Kompetenzstreitigkeiten in dieser Sache bestanden. So drängte die SED-Führung verstärkt auf die Erhöhung der Arbeitsproduktivität als Hauptaufgabe der lokalen Ämter.464 Während sich die Aufgabenerweiterung, insbesondere die Mitwirkungspflicht bei der regionalen Abstimmung und Bilanzierung, das Weisungsrecht zur „volkswirtschaftlich richtigen Lenkung und Werbung der Arbeitskräfte“ und die Organisation einer systematischen Berufsberatung465 im Stellenplan des ebenfalls auf Bezirksebene gebildeten Arbeitsamtes niederschlug, stand die Stadtverwaltung gerade vor dem umgekehrten Problem. Hier standen bereits 33 Mitarbeiter zur Verfügung, die auf dem Gebiet der Arbeitskräftelenkung im Rat der Stadt und in den Stadtbezirken tätig waren. Sprach sich der Rat des Bezirkes aufgrund der „Bedeutung und Größe der Stadt Leipzig“ für die Beibehaltung aller 33 Mitarbeiter aus, forderte der Ministerrat eine Verringe-

459 Vgl. Walter Kresse an Stadtrat Martin, 17.4.1963, Ebd., Bl. 24. 460 Vgl. Heinig an Stadtrat Martin, 23.4.1963, Ebd., Bl. 25. 461 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Probleme, die einer Beratung mit zentralen Organen bedürfen, 15.7.1961, Ebd., Bl. 114–124. 462 Verordnung zur Verbesserung der Arbeitskräftelenkung und Berufsberatung vom 24.8.1961, in: Gesetzblatt der DDR 1961, Teil II, S. 347–349. 463 Johannes Frerich / Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2, München 1993, S. 127 f. 464 Vgl. Hoffmann, Aufbau und Krise, S. 503 f., 529. 465 Rat des Bezirkes Leipzig, Information für die Mitglieder des Sekretariats der Bezirksleitung zur Bildung der Ämter für Arbeit und Berufsberatung im Bezirk Leipzig, 11.5.1962, SächsStAL, 21123, IV/2/13/601, Bl. 289 f.

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rung des Stellenplanes auf 25 Stellen.466 Die Differenz von acht Stellen sollte nach Auffassung des Bezirks durch Umschichtung unbesetzter Planstellen aus den städtischen VEB ausgeglichen werden.467 Allerdings lehnte der Rat der Stadt derartige Eingriffe im Wissen um den Arbeitskräftemangel in den kommunalen Betrieben ab. Deshalb schlug die Stadt den Kompromiss vor, den Stellenplan auf 28 Mitarbeiter zu begrenzen, die Stadtbezirke aber nur an den Sprechtagen zu besetzen.468 Damit setzte sich der Rat der Stadt letztlich durch.469 In einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufbau der Abteilung Planung und Bilanzierung stand die Neubildung der Abteilung Örtliche Industrie und Handwerk als lokales Pendant zum Volkswirtschaftsrat.470 Dabei handelte es sich um die Abteilungen Örtliche Industrie (mit den Sachgebieten Technik und Ökonomie, halbstaatliche Betriebe und Arbeitsökonomie), Lebensmittelindustrie, Materielle Versorgung, Handwerk sowie der Konsumgüterleitstelle der ehemaligen städtischen Plankommission, die nun zu einer eigenständigen Ratsabteilung zusammengefasst wurden. Diese sollte zudem alle Aufgaben der parallel aufzulösenden Abteilung Kommunale Wirtschaft mitübernehmen.471 Dies allerdings lehnten die Verantwortlichen des Rates der Stadt mit Verweis auf die hohe Dichte an städtisch geleiteten Wirtschaftsbetrieben ab. Diskutiert wurde vor allem, ob man neben einer neuen Abteilung Industrie und Handwerk die Abteilung Kommunale Wirtschaft fortbestehen lassen sollte.472 Dies hätte bedeutet, städtische Versorgungs- und Dienstleistungsbetriebe von anderen Industriebranchen administrativ zu trennen, was dem Prinzip der „einheitlichen Leitung“ der örtlichen Wirtschaft widersprach. Aus diesem Grunde stoppte Oberbürgermeister Kresse die Überlegungen im November 1961 umgehend und hielt die Verantwortlichen dazu an, „die Struktur […] in voller Übereinstimmung mit dem Beschluß des Präsidiums des

466 Rat des Bezirkes Leipzig, Vorsitzender der Bezirksplankommission, Bauermeister, an den Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister Walter Kresse, 4.5.1962, StadtAL, StVuR (1), 1567, Bl. 71. 467 Vgl. Rat des Bezirkes Leipzig, Information für die Mitglieder des Sekretariats der Bezirksleitung zur Bildung der Ämter für Arbeit und Berufsberatung im Bezirk Leipzig, 11.5.1962, SächsStAL, 21123, IV/2/13/601, Bl. 291. 468 Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Planung und Bilanzierung, Martin, an den Rat des Bezirkes, Vorsitzenden der Bezirksplankommission, Bauermeister, 16.5.1962, StadtAL, StVuR (1), 1567, Bl. 58. 469 Beschluss des Rates der Stadt, Bildung eines Amtes für Arbeit und Berufsberatung mit Wirkung vom 1.6.1962, 28.6.1962, Ebd., Bl. 28 f. 470 Zur institutionellen Struktur der Abteilung Örtliche Industrie und Handwerk vgl. StadtAL, StVuR (1), 2512, Bl. 140. 471 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage über die Bildung der Abt. Planung und Bilanzierung und der Abt. Örtliche Industrie und Handwerk, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 2512, Bl. 39 f. 472 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Vorsitzender der Plankommission, Richter, an den Rat des Bezirkes, Bauermeister, Vorschlag zum Aufbau der neuen Struktur zur Lösung der Aufgaben auf dem Gebiet der Volkswirtschaftsplanung und der operativen Durchführung in der Industrie, dem Handwerk und der kommunalen Wirtschaft, 3.10.1961, StadtAL, StVuR (1), 1476, Bl. 68.

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Ministerrates herbeizuführen“.473 Die neue Abteilung Örtliche Industrie und Handwerk zeichnete schließlich für die Leitung der örtlichen Industrie, des Handwerks, der Reparatur- und Dienstleistungen, die Zusammenarbeit mit den zentralgeleiteten VEB, VVB sowie anderen Einrichtungen, die Ausarbeitung der Kapazitätsübersichten und Bilanzen sowie die Zusammenarbeit mit halbstaatlichen bzw. privaten Betrieben, PGH und Einzelhandwerkern verantwortlich.474 Bei der administrativen Umsetzung der Vorgaben spielte die Planstellenfrage zunächst eine untergeordnete Rolle. Aus der ehemaligen Plankommission wurde der Großteil der Stellen übernommen. Mit dem Wegfall der Abteilung Kommunale Wirtschaft und dem Zwang, die Aufgaben dieser Abteilung in das neugeschaffene Fachorgan zu integrieren, stellte sich aber eine andere Frage: Wie viele und welche Betriebe sollten der Abteilung Örtliche Industrie und Handwerk unterstellt werden? Diese Debatten zogen sich bis 1963 hin und erst im Mai des Jahres wurde die Übereinkunft erzielt, der Abteilung mit insgesamt 40 VEBs die gesamte örtliche Industrie der Stadt zu unterstellen.475 Um die zusätzlichen Aufgaben abzudecken, sahen die Verantwortlichen der kommunalen Wirtschaftsplanung keine andere Möglichkeit, als den Stadtbezirken wieder 18 Planstellen zu entziehen und diese in den städtischen Stellenplan einzugliedern.476 Obgleich die Abteilung Kommunale Wirtschaft nicht beibehalten werden konnte, war der Rat der Stadt während des Abwicklungsprozesses nicht gänzlich ohne Handlungsspielräume. So war es möglich, den Aufgabenbereich Landwirtschaft im November 1961 als eigenständigen Ratsbereich zu erhalten.477 Damit konnte zumindest ein Anliegen der lokalen Wirtschaftsfunktionäre erfüllt werden, denn nicht nur die Vielzahl der örtlichen Industriebetriebe, sondern auch die Aufgabendichte in der Landwirtschaft hatte den Gedanken zur Beibehaltung der Abteilung Kommunale Wirtschaft mitgetragen.478 Immerhin verfügte die Stadt noch über gut 4.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, auf der sich neben zwei LPGs und einer GPG ein halbstaatlicher Gartenbaubetrieb, zwei Güter der Universität, 16 volkseigene Betriebe mit Gartenbau und Landwirtschaft, 136 private Gartenbaubetriebe, 753 Kleingartengruppen sowie eine Produktionsgenossenschaft werktätiger Zierfischzüchter befanden. Zudem unterhielt die Abteilung Verbindungen zu zahlreichen lokalen Betrieben und musste beträchtliche Viehbestände verwal-

473 Vgl. Beratung des Oberbürgermeisters mit den Abteilungsleitern am 9.11.1961, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 3528, Bl. 187. 474 Vgl. Beschlussvorlage, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 2249, Bl. 12. 475 Vorschlag zur Erhöhung der Qualität der Leitung der örtlichen Industrie der Stadt Leipzig, Anlage 6: Übersicht über die gegenwärtige Unterstellung der örtlichen Industrie der Stadt Leipzig, 18.5.1963, Ebd., Bl. 139. 476 Vgl. Ebd., Anlage 5, Ebd., Bl. 139. 477 Beratung des Oberbürgermeisters mit den Abteilungsleitern am 9.11.1961, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 3528, Bl. 187. 478 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Vorsitzender der Plankommission, Richter, an den Rat des Bezirkes, Bauermeister, Vorschlag zum Aufbau der neuen Struktur zur Lösung der Aufgaben auf dem Gebiet der Volkswirtschaftsplanung und der operativen Durchführung in der Industrie, dem Handwerk und der kommunalen Wirtschaft, 3.10.1961, StadtAL, StVuR (1), 1476, Bl. 68.

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ten.479 Allerdings wurde die Abteilung Landwirtschaft aufgrund politischer Erwägungen infolge erneuter Rückschläge bei der Zwangskollektivierung bereits 1962 wieder umstrukturiert. So forderte Ulbricht auf dem VII. Bauernkongress im März 1962 „Unterstützung und Hilfe für die zurückgebliebenen LPG“480, was zunächst die Bildung einer Ständigen Kommission Landwirtschaft bei den lokalen Staatsorganen implizierte.481 Parallel wurde die Abteilung Landwirtschaft des Rates der Stadt in eine vorwiegend planerische, statistisch-analytische und organisatorische Behörde umstrukturiert. Den Stadtbezirken wurden dagegen sämtliche kontrollierende, unterstützende und beratende Tätigkeiten übertragen.482 Strukturveränderungen im Stadtbauamt und die Bildung eines Hauptplanträgers Angesichts der Probleme im Wohnungsbau hatte es auch im Stadtbauamt kleinere organisatorische Modifikationen gegeben, die zunächst auf lokale Initiativen zurückgingen. So wurde im November 1961 eine Vorplanungsgruppe für Wohnungsbau geschaffen, für die jedoch keine Deckung im Haushalt bestand, sodass sie aus Vorplanungsmitteln bezahlt werden mussten.483 Ferner erhielt das Stadtbauamt die Verantwortung für den VEB Garten- und Landschaftsgestaltung484 sowie das Nationale Aufbauwerk übertragen485, was weitere Planstellen nötig machte. Unterwandert wurde die damit beabsichtigte Stärkung des Wohnungsbaus aber durch die von der SED-Führung weiterhin präferierte Umgestaltung der Stadtzentren in Bezirksstädten. So veranlassten zentrale Behörden die Stadtbauämter in Leipzig, Dresden, Rostock, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt, Potsdam, Frankfurt/Oder, Neubrandenburg, Gera und Dessau bereits im Mai 1961, Verbesserungen bei der Leitung der Umgestaltung der Stadtzentren einzuleiten. Hierfür verfügte die Staatliche Plankommission in Reaktion auf den Ministerratsbeschluss zum Aufbau der Stadtzentren vom 4. Mai 1961 am 27. Mai eine Ordnung über die Tätigkeit der Hauptplanträger und Aufbauleitungen.486 Beide Organe waren in den genannten „Auf479 Vgl. Beschluss des Rates der Stadt Leipzig über die Durchführung der Reorganisation der Abteilung Landwirtschaft des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke, 31.8.1962, StadtAL, StVuR (1), 20119, Bl. 39. 480 VII. Deutscher Bauernkongress vom 9. bis 11. März 1962 in Magdeburg. Überarbeitetes Protokoll, hrsg. v. Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, Berlin (Ost) 1962, S. 49. 481 Vgl. Edgar Tümmler / Edgar Merkel / Konrad Blohm, Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland und ihre Auswirkung auf Produktion und Verbrauch landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Berlin (West) 1969, S. 94 f. 482 Vgl. Beschluss des Rates der Stadt Leipzig über die Durchführung der Reorganisation der Abteilung Landwirtschaft des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke, 31.8.1962, StadtAL, StVuR (1), 20119, Bl. 40 f. 483 Vgl. Niederschrift über die ausgeführte Sitzung des Stellenplanaktivs am 9.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 16662, Bl. 7. 484 Beschlussvorlage vom 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 2249, Bl. 12. 485 Beratung des Oberbürgermeisters mit den Abteilungsleitern am 9.11.1961, 10.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 3528, Bl. 187. 486 Vgl. Anordnung über die Tätigkeit der Hauptplanträger, der Gutachtergruppen und Aufbauleitungen Stadtzentrum in Aufbaustädten vom 27.5.1961, in: Gesetzblatt der DDR 1961, Teil II, S. 181–184.

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baustädten“ zu bilden. Die Aufbauleitung sollte als (freilich nicht unabhängiger) Investitionsträger agieren und die Baudurchführung sichern.487 In Leipzig wurde sie dem Stadtbauamt als nachgeordnete Einrichtung neben der bereits bestehenden Stadtbauleitung, welche die Baudurchführung kontrollieren sollte488, unterstellt. Ihr Aufgabengebiet erstreckte sich vor allem auf den Abschluss und die Kontrolle von Verträgen, die Prüfung von Preisangeboten, den Einsatz von Methoden des industriellen Bauens, die Kontrolle der Investitionen, die Übergabe der Objekte an die Planträger und die lokale Bauleitung.489 Während die Aufbauleitung vergleichsweise zügig ihre Arbeit aufnehmen konnte, kam es bei der Bildung des Hauptplanträgers zu gravierenderen Problemen. Dies war umso problematischer, da sich der Aufgabenbereich des Hauptplanträgers auf die grundsätzliche Koordinierung der verschiedenen Planträger, Fachorgane und Baubetriebe erstreckte, mit dem Ziel, einen „Grundstein für eine ordnungsgemäße Standortvorbereitung“490 zu legen. Unterstellt wurde das Koordinierungsorgan zunächst dem Oberbürgermeister.491 Dies führte bald zu Kompetenzstreitigkeiten mit dem Stadtbauamt über die nach wie vor bestehende und vom Haushalt nicht gedeckte Vorplanungsgruppe. Während Stadtbaudirektor Lucas an ihr festhalten wollte, da sie „hoheitliche Aufgaben“ erfüllte, plädierte der neue Leiter des Hauptplanträgers, Karl-Heinz Blaurock, für die Überleitung der Aufgaben an den Hauptplanträger, da dieser identische Tätigkeiten durchführe.492 Hinter dieser Forderung standen aber auch gravierende personelle Engpässe im Hauptplanträger, was im Stadtbauamt den nicht unberechtigten Verdacht laut werden ließ, dass hier Fachkräfte entzogen werden könnten.493 Letztlich verkomplizierte diese Konstruktion den Planungsprozess vor Ort noch zusätzlich. Neben den zentralen Planträgern und verschiedenen Gutachtergruppen mussten allein drei strukturell voneinander getrennte Verwaltungsorgane (Gutachtergruppe bei der Abteilung Planung und Bilanzierung, Hauptplanträger beim Oberbürgermeister, Aufbauleitung/ Stadtbauleitung beim Stadtbauamt) innerhalb der Stadtverwaltung miteinander „eng zusammenarbeiten“494, ohne dass eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen ihnen bestand. 487 Zur institutionellen Struktur der Aufbauleitung der Stadt Leipzig vgl. StadtAL, StVuR (1), 1554, Bl. 128. 488 Vgl. Roland Weis, 30 Jahre in der Stadtverwaltung, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 423. 489 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbauamt, Beschlussvorlage Komplexer Aufbau des Stadtzentrums Leipzig, Strukturplan und Statut der der Aufbauleitung Stadtzentrum, 8.8.1961, StadtAL, StVuR (1), 20081, Bl. 126. 490 Weis, 30 Jahre in der Stadtverwaltung, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 422. 491 Zur institutionellen Verankerung des Hauptplanträgers vgl. SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. 492 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Org.-Instr.-Abteilung an den Sekretär des Rates, Frank Grimm, 19.1.1962, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 407. 493 Vgl. Rat des Bezirkes, Einschätzung der politischen Führungstätigkeit im Rat der Stadt, 1.8.1962, SächsStAL, 21123, IV/2/3/309, Bl. 138. 494 Vgl. Anordnung über die Tätigkeit der Hauptplanträger, der Gutachtergruppen und Aufbauleitungen Stadtzentrum in Aufbaustädten vom 27.5.1961, in: Gesetzblatt der DDR 1961, Teil II, S. 183.

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Die Kommunen als Verlierer des NÖS? Wirtschaftsreformen und neue Akzente im Verwaltungsdiskurs Der VI. Parteitag der SED zu Beginn des Jahres 1963 (15.–21. Januar 1963) leitete weitreichende Wirtschaftsreformen ein. Der Abbruch des Siebenjahrplans und die Etablierung erfahrener Wirtschaftsexperten im zentralen Apparat hatten diesen Schritt forciert.495 Besonders der 1963 zum Leiter der Staatlichen Plankommission ernannte Erich Apel hatte sich für die Reformforderungen des sowjetischen Ökonomen Liberman begeistert, der als scharfer Kritiker der „Tonnenideologie“ Stalins galt und gefordert hatte, den Betriebsdirektoren mehr Entscheidungsmacht zu geben.496 Ähnliche Reformen sollten in der DDR eingeleitet werden. Dabei bestimmten nun Wirtschaftsexperten und junge Funktionäre den Diskurs. Im Frühjahr 1963 bildete der Ministerrat eine Ökonomische Kommission unter der Leitung Apels, die entsprechende Reformschritte beraten und Beschlüsse des Politbüros vorbereiten sollte.497 Ihre Ergebnisse wurden auf dem VI. Parteitag der SED bekanntgegeben. Danach sollte es Betriebsdirektoren durch den flexibleren Einsatz materieller Anreize, sogenannter „ökonomischer Hebel“, künftig möglich sein, die Arbeitsproduktivität zu steigern. Zudem sollten nicht mehr alle Plankennziffern und -positionen bis ins Detail zentral geplant werden, sondern nur noch Erzeugnisgruppen, was den Betrieben Flexibilität bei der spontanen Veränderung ihrer Sortimente ermöglichen sollte.498 Diese Reformen, die auf die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente unter Beibehaltung der zentralen Planung zielten, machten auch ein neues System der Bedarfsermittlung notwendig. Der Grundsatz des NÖS lautete: „Zentrale Planung, flexible Leitung, lokale Eigenverantwortung“.499 Dabei sollte auch die Verwaltung künftig nach dem „Produktionsprinzip“ strukturiert sein.500 Dazu wurden die Verwaltungsgesetze von 1957 und 1958 per Beschluss vom 17. April 1963 aufgehoben.501 Damit war das Prinzip der „doppelten Unterstellung“, nachdem es die neuen Ordnungen von 1961 bereits nicht mehr genannt hatten, nun endgültig aus dem 495 Vgl. Helmut Müller-Enbergs / Monika Kaiser, Art. ‚Erich Apel (1917–1965)‘, in: Müller-Enbergs/Wielgohs/Hoffmann (Hrsg.), Wer war wer, Bd. 1, S. 29; Helmut Müller-Enbergs / BerndRainer Barth, Art. Gerhard Schürer (1921–2010), in: Ebd., Bd. 2, S. 922. 496 Zur Debatte vgl. Erik Boettcher, Die Planwirtschaft im Wandel, in: Erik Boettcher (Hrsg.), Wirtschaftsplanung im Ostblock. Beginn einer Liberalisierung?, Stuttgart etc. 1966, S. 9–34, hier S. 17. 497 Vgl. Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform, S. 78. 498 Vgl. Ebd., S. 99 f. 499 Vgl. Peter Hübner, Soziale Reformansätze in der NÖS-Periode? Zur Geschichte eines Zielkonflikts, in: Christoph Boyer (Hrsg.), Zur Physiognomie sozialistischer Wirtschaftsreformen. Die Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, die DDR und Jugoslawien im Vergleich, Frankfurt/Main 2007, S. 269–296, hier S. 294. 500 Vgl. Beschluß des Politbüros des ZK der SED „Leitung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip“ vom 26. Februar 1963, in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 9, hrsg. v. Zentralkomitee der SED, Berlin (Ost) 1965, S. 331–335. 501 Vgl. Beschluß der Volkskammer über die Aufhebung von gesetzlichen Bestimmungen vom 17. April 1963, in: Gesetzblatt der DDR 1963, Teil 1, S. 92. Einzig die Artikel 21 bis 27 (Stellung der Abgeordneten) des Gesetzes von 1957 blieben ausdrücklich gültig.

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Bestand der formalen Bestimmungen getilgt. Bereits im Vorfeld dieser Entscheidung war parallel zur Ökonomischen Kommission am 22. März 1963 eine gemeinsame Kommission des Ministerrates und des Staatsrats damit beauftragt worden, die neuen Ordnungen von 1961 an das NÖS anzupassen. Diese Kommission wurde von Verwaltungspraktikern dominiert. Damit sollten die neuen Ordnungen durch einen stärkeren Praxisbezug modifiziert werden. Die Debatte um die Organisation der Verwaltung erhielt damit aber eine neue Stoßrichtung. Zwischen beiden zentralen Kommissionen bestanden personelle Verbindungen, allerdings war das Diskussionsklima im Gegensatz zur Ökonomischen Kommission unter Apel in der gemeinsamen Kommission vor allem durch Reformskepsis geprägt. Aber auch zwischen den Reformskeptikern bestanden grundsätzliche Interessenkonflikte. Funktionäre der Ministerien trafen hier direkt auf Vertreter der Bezirke. Entsprechend der Zusammensetzung konzentrierten sich die Diskussionen auf ressortspezifische Einzelfragen. Zu den stärksten Verfechtern der zentralen Steuerung zählte der Vorsitzende des Volkswirtschaftsrates, Alfred Neumann, zugleich Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bauwesen der gemeinsamen Kommission, der unter anderem forderte, Wohnungsbaukapazitäten in Form von spezialisierten Baukombinaten insgesamt den Bezirken zu unterstellen und die Städte bzw. Kreise nur noch für die Durchführung der Werterhaltungs- und Reparaturprogramme verantwortlich zu machen. Zudem sollten alle lokalen Staatsorgane Hauptplanträger bilden, die den städtischen Planungsbehörden zu unterstellen und mit der Koordinierung sämtlicher im Territorium beauftragter Planträger zu betrauen waren. Aus zentraler Sicht sollten die Kommunen somit ausschließlich koordinierende Funktionen übernehmen. Vertreter der Bezirke, unter anderem auch der Leipziger Bezirksratsvorsitzende, Erich Grützner, sprachen sich demgegenüber für eine „eigene Finanzgrundlage“ der Kommunen aus. Darunter verstand Grützner keine faktische Finanzautonomie, sondern die eigenverantwortliche Bilanzierung von Betrieben, d. h. die Entscheidung über den Einsatz örtlicher Kapazitäten durch die Fachorgane des Rates der Stadt ohne Eingriffe übergeordneter Behörden. Kritisch beurteilte Grützner auch die vorgesehene Reorganisation des Bezirkswirtschaftsrates, weil dieser nicht mehr dem Rat des Bezirkes unterstehen, sondern eigenständig arbeiten sollte.502 Die damit verbundene Bildung einer neuen, dem Bezirkswirtschaftsrat unterstehenden Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft mit reduzierten wirtschaftsleitenden Kompetenzen in den Räten der Städte und Kreise würde außerdem einen erheblichen Verlust des Einflusses kommunaler Organe mit sich bringen, womit die Durchsetzung kommunaler Interessen verhindert würde, während die Kommunen der Bevölkerung gegenüber voll verantwortlich sein sollten. Damit verwies Grützner auf die Schnittstellenfunktion der Kommunen, die für die Stabilität vor Ort eine immer wichtigere Rolle spielten.503 Am Ende kam kein Konsens zwischen den 502 Vgl. Hans-Georg Kiera, Partei und Staat im Planungssystem der DDR. Die Planung in der Ära Ulbricht, Düsseldorf 1975, S. 117. 503 Vgl. Erfahrungsaustausch der gemeinsamen Kommission des Staatsrates und Ministerrates zur Überarbeitung der Neuen Ordnungen mit Mitarbeitern des Bezirkes Leipzig, 23.3.1963, SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/13/95, Bl. 1–54.

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Konfliktparteien zustande, sodass die angestrebte einheitliche gesetzliche Regelung ausblieb. Erst die Praxis sollte zeigen, wer sich durchsetzte. „Erzeugnisgruppenwirtschaft“ im Dienstleistungssektor: Die Bildung der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft Dass Erich Grützner gerade auf die Folgeprobleme beim Aufbau der Abteilungen Örtliche Versorgungswirtschaft hinwies, hatte einen bestimmten Grund, denn in der Stadt Leipzig wurde diese Strukturmaßnahme als „ökonomisches Experiment“ durchgeführt. Damit verband sich die Auflösung der gerade erst gebildeten Abteilung Örtliche Industrie und Handwerk.504 Infolgedessen verlor die Stadtverwaltung ihren Einfluss auf 607 private bzw. halbstaatliche Betriebe sowie handwerkliche Produktionsgenossenschaften, die nun dem Bezirkswirtschaftsrat unterstellt wurden.505 Die Tätigkeit der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft sollte auf die Organisation der „politisch-ideologischen und wissenschaftlichen Arbeit in den kommunalen Versorgungs- und Dienstleistungsbetrieben sowie im Handwerk“ reduziert werden.506 Konkret bedeutete die Einführung des „Produktionsprinzips“ auf kommunaler Ebene, dass Betriebe, die vorrangig Ressourcen für strukturbestimmende Industrien bereitstellten, dem Zugriff durch stadtwirtschaftliche Betriebe entzogen wurden. Dennoch ließ sich in einigen Bereichen das „Produktionsprinzip“ umgehen. In Leipzig wurden etwa 33 PGH sowie fünf Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Baugewerbes dem Stadtbauamt unterstellt, womit in der Praxis bereits bestehende Abhängigkeitsverhältnisse institutionalisiert wurden. Zudem sollte die Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft dem Stadtbauamt Kapazitäten für den „unmittelbaren Bevölkerungsbedarf“ (Klempner, Maler, Bauschlosser usw.) auf Vertragsbasis zusichern. Ähnlich wie im kommunalen Bauwesen verfuhr man auch mit dem Kraftfahrzeughandwerk, das dem Referat Verkehr zugeordnet wurde. Mit der Abgabe einer Vielzahl von Betrieben aus der Verantwortung der ehemaligen Abteilung Örtliche Industrie und Handwerk war eine massive Reduktion des Stellenplanes ihres Nachfolgeorgans von zuletzt 79 auf 36 Stellen verbunden. In den Stadtbezirken wurde der Stellenplan ebenso von 38 auf 13 Stellen verringert.507 Im Dezember 1963 wurden 16 weitere PGH des Handwerks aus dem Verantwortungsbereich der Stadt ausgegliedert, sodass die Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft am Ende nur noch über 98 PGH und 22 Einkaufs- und Liefergenossenschaften verfügen konnte.508

504 Vgl. Karlheinz Alpen, Zum Charakter und zu den Aufgaben der Wirtschaftsräte der Bezirke, in: Staat und Recht 14, 1965, S. 1320. 505 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Örtliche Industrie und Handwerk, 22.8.1963, StadtAL, StVuR (1), 2513, Bl. 29. 506 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Örtliche Industrie und Handwerk, Beschlußvorlage über die Bildung der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft, 28.8.1963, Ebd., Bl. 24. 507 Vgl. Ebd., Bl. 27. 508 Vgl. Beschluss über die Zuordnung der dem Rat der Stadt Leipzig unterstellten Produktionsgenossenschaften des Handwerks zum Bezirkswirtschaftsrat, 19.12.1963, StadtAL, StVuR (1), 20167, Bl. 37.

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Schon kurz nach der Bildung des Fachorgans kristallisierten sich allerdings erhebliche Abgrenzungs- und Koordinierungsprobleme mit der Abteilung Handel und Versorgung heraus. Letztere sah im „ökonomischen Experiment“ der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft eine unmittelbare Konkurrenz um Kompetenzen und Planstellen509, sodass der Rat, offenbar nach einer Reihe von Anträgen beider Abteilungen zur Erhöhung der Stellenpläne, im September 1964 festlegte, dass beide „nicht einen Pfennig mehr bekommen“.510 So schlug der Stadtrat für Handel und Versorgung, Volkmer, im Oktober den Kompromiss vor, dass in den Stadtbezirken Abteilungen für Handel und Versorgungswirtschaft entstehen sollten, um eine einheitliche Anleitung zumindest auf Stadtbezirksebene zu gewährleisten. Während nämlich die Handelsbetriebe dort noch verwaltet wurden, waren sämtliche Versorgungsaufgaben nun im Rat der Stadt konzentriert. Umkämpft war dabei vor allem das Sachgebiet Gewerbeerlaubnis, das der Stadtrat für Handel und Versorgung wieder auf Stadtbezirksebene dezentralisieren wollte.511 Die Umsetzung dieser Forderung scheiterte allerdings am Unwillen der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft, die hierfür im Nachhinein politisch gerügt wurde.512 Im Rat der Stadt überwog vor allem die Skepsis dem Experiment gegenüber. Wohnungspolitik als „ökonomischer Hebel“: Die Abteilung Wohnungswirtschaft Eine besondere Rolle erhielt nun die Wohnungspolitik als Mittel zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und Festigung des „sozialistischen Gemeinschaftsgefühls“. Dabei standen nicht mehr nur die ideologisch aufgeladenen „sozialistischen Wohnkomplexe“ als „modern[e], farbenfreudig[e] und schön gestaltet[e] und mit Grünanlagen durchzogen[e]“ Wohngebiete im Fokus, sondern es sollte auch den bislang vernachlässigten Altbaugebieten „größere Beachtung geschenkt werden“. Die lokalen Räte sollten Walter Ulbricht zufolge künftig für die Instandsetzung und Werterhaltung verantwortlich sein und dafür Sorge tragen, dass Reparaturkapazitäten nicht mehr für andere Bauaufgaben zweckentfremdet würden.513 Entsprechend 509 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Handel und Versorgung, Stadtrat Volkmer an die Abt. Örtliche Versorgungswirtschaft, Stadtrat Richter, 4.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 2513, Bl. 7–9. So sollte etwa eine Instrukteursgruppe für die Aufgaben der Stadtbezirke innerhalb der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft gebildet werden, für die Planstellen aus den Stadtbezirken umgeschichtet werden sollten. Der Stadtrat für Handel und Versorgung befürchtete daher wohl nicht zu Unrecht, dass die Stellen aus den ihm untergeordneten Stadtbezirksabteilungen entnommen werden sollten. 510 Rat der Stadt Leipzig, Stellenplanaktiv, Protokoll über die Besprechung von Stellenplanfragen am 28.9.1964, 14.10.1964, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 13. 511 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Finanzen, Ref. Finanzierung, Protokoll über die Sitzung des Stellenplanaktivs am 15.10.1964, 26.10.1964, Ebd., Bl. 18. 512 Sekretär des Rates der Stadt Leipzig/Instrukteur, Bericht zur ideologisch-politischen Lage beim Rat der Stadt, 25.1.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/418, unp. 513 Vgl. Walter Ulbricht, Neue Fragen des ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. Aus dem Referat „Das Programm des Sozialismus und die geschichtliche Aufgabe der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ auf dem VI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin, 15. bis 21. Januar 1963, in: Walter Ulbricht, Zum ökonomischen System des Sozialismus, Berlin (Ost) 1966, S. 120 f. Zit. Ebd.

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hatte der Ministerrat am 18. Dezember 1963 die Durchführung eines „Experimentes“ auf dem Gebiet des Wohnungswesens im Bezirk Leipzig beschlossen, was die Bildung einer neuen Ratsabteilung mit Schwerpunkt Wohnraumbewirtschaftung beinhaltete. Auf Bezirksebene wurde dieser Beschluss in kurzer Zeit umgesetzt und eine völlig neue Abteilung Wohnungswesen geschaffen. Dass nunmehr auch auf Bezirksebene wohnungspolitische Aufgaben wahrgenommen wurden, sollte vor allem der im Bezirk konzentrierten strukturbestimmenden Industrie zugutekommen. „Es wird notwendig sein, daß sich die Bezirkstage und Bezirksräte gründlicher mit Fragen der Wohnungsvermittlung und des Wohnungsbaus beschäftigen und berücksichtigen, daß wir nicht über unsere wirtschaftlichen Verhältnisse leben können“, hatte Ulbricht auf dem VI. Parteitag argumentiert.514 Welche Aufgaben dadurch aber der Abteilung Wohnungswesen der Stadt Leipzig, die bereits 1962 zu einer eigenständigen Fachabteilung aufgewertet worden war, zufallen sollten, musste zwischen Stadt und Bezirk noch verhandelt werden. Die Diskussionen zogen sich ein ganzes Jahr bis Mai 1965 hin. Ein erster Strukturvorschlag vom 27. Mai 1964, wonach sich die Abteilung Wohnungswesen des Rates der Stadt in ein Referat Wohnungsverwaltung mit Unterstellung des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV), ein Referat Wohnungspolitik für Lenkungsaufgaben und Koordination mit anderen wohnraumlenkenden Organen (Großbetriebe, AWG) sowie ein Referat Hauptplanträger, Reparatur und Planung mit Unterstellung der Reparaturstützpunkte gliedern sollte, wurde abgelehnt.515 Die Begründung lautete, dass der Vorschlag zu sehr der alten Abteilung geähnelt habe.516 Für die Stadt sah das Experiment dagegen in erster Linie vor, die Verwaltung auf den Aufbau und die Anleitung von Wohnungsverwaltungen auf Wohngebietsebene zu konzentrieren, die sich um kleinere Instandhaltungsmaßnahmen sowie die Mobilisierung der Wohnbevölkerung kümmern sollten und hierzu Reparaturstützpunkte unterhielten.517 Ende Juni 1964 reichte der Rat der Stadt schließlich eine neue Vorlage ein. Nach dieser sollte sich die neue Abteilung aus den Referaten Gewerberaum, Wohnungspolitik, Wohnungsverwaltung (mit Unterstellung des VEB KWV und der Reparaturstützpunkte) sowie dem Hauptplanträger Reparaturen zusammensetzen.518 Dieser Vorschlag wurde offenkundig angenommen, denn nun begannen langwierige Verhandlungen um den Stellenplan. Erst im Mai 1965 lag ein ausgearbeiteter Feinstruktur- und Stellenplanvorschlag vor. Danach sollte die Abteilung Wohnungswesen, die nun entsprechend ihrer Hauptaufgabe Wohnungswirtschaft hieß, mit Ausnahme des Stadtrates und 514 Ebd., S. 122. 515 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stellvertretender Stadtrat Wiezorek, Vorschlag für die Bildung einer Abteilung Wohnungswesen beim Rat der Stadt Leipzig, 27.5.1964, SächsStAL, 20237, 04924/1, Bl. 26. 516 Vgl. Information zur Arbeit der Abteilung Wohnungswesen, o. D., Ebd., Bl. 32 f. 517 Rat des Bezirkes Leipzig, Vorsitzender, an das Büro des Ministerrates der DDR, 13.4.1964, Experiment auf dem Gebiet der Leitung des Wohnungswesens im Bezirks Leipzig nach Ministerratsbeschluß vom 18.12.1963, 13.4.1964 [Entwurf], Ebd., Bl. 91. 518 Rat der Stadt Leipzig, Vorlage über die Grundsätze, Aufgaben und Stellenplan der Abteilung Wohnungswesen beim Rat der Stadt Leipzig, 25.6.1964, StadtAL, StVuR (1), 1532, Bl. 52.

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des Hauptplanträgers, über zehn Planstellen verfügen.519 Die Diskussionen über die Einordnung des Hauptplanträgers erreichten dagegen erst im Dezember 1965 mit einem Ratsbeschluss ihr vorläufiges Ende, wonach dieser nun unabhängig von der Abteilung Wohnungswirtschaft und mit eigenem Stellenplan dem Stadtrat für Wohnungswirtschaft unterstellt werden sollte. Der Grund lag darin, dass Reparaturkapazitäten im Planteil „Komplexer Wohnungsbau“ verwaltet wurden und eine stärkere Koordination mit dem Hauptplanträger Wohnungsbau nötig wurde. Der Hauptplanträger erhielt acht Planstellen zugewiesen, die anteilig aus dem Haushalt des Rates der Stadt und des VEB KWV zu decken waren.520 Während der Rat der Stadt seinen Stellenanteil nach langen Verhandlungen und Hinweisen des VEB KWV auf die Schwierigkeiten bei der Arbeitskräftegewinnung ohne Verhandlungsgrundlage521 zunächst aus dem Ratsbereich Bauwesen hatte entnehmen können, beanspruchten die Verantwortlichen des Bauwesens die Planstellen für 1966 nun selbst. Aus dem Fonds des VEB KWV hatte man zwar mit Mühe und Not weitere sechs Stellen umschichten können, allerdings fehlten immer noch die Mittel für die Besetzung der Position des Leiters. Der Hauptplanträger war dadurch noch lange Zeit arbeitsunfähig. Bedeutungszuwachs und Kompetenzverlust im städtischen Bauwesen: Die Bildung des Ratsbereiches Bauwesen Die aus Sicht des Rates der Stadt folgenschwerste Veränderung ergab sich im städtischen Bauwesen. Das Klima für eine erneute Strukturveränderung war jedoch denkbar ungünstig. Schon nach Bekanntwerden der Maßnahmen wurden Gerüchte über Kündigungen und empfindliche Kompetenzeinbußen laut. Einige Baufachleute gingen sogar davon aus, dass bald ein „Bauwirtschaftsrat“ auf Bezirksebene gebildet und das Stadtbauamt damit – ähnlich wie die Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft – beträchtliche Kompetenzen abgeben werde. Andere Gerüchte bezogen sich auf die Bildung eines Dienstleistungsbetriebes für Reparaturen, was ebenso mit einem Kompetenzverlust einherginge.522 Diese Gerüchte entbehrten durchaus nicht einer realen Grundlage, hatte ein Ministerratsbeschluss vom 14. Juni 1963523 doch erst im Jahr zuvor die Bilanzierungshoheit über die städtischen Bau519 Vgl. Vorschlag Stellenplan der Abteilung Wohnungswesen beim Rat der Stadt, o. D., StadtAL, StVuR (1), 20209, Bl. 93. Zur institutionellen Struktur der Abteilung Wohnungswirtschaft im Jahre 1964 vgl. StadtAL, StVuR (1), 13855. 520 Vgl. Beschlussvorlage, 14.5.1965, Ebd., Bl. 100–107. 521 Vgl. VEB KWV, Betriebsdirektor Seidel, an den Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Wohnungswesen, Walter Reuter, StadtAL, StVuR (1), 15518, Bl. 32. 522 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abteilung Kader, Informationsbericht über die gegenwärtige Kadersituation im Stadtbauamt, 29.7.1964, StadtAL, StVuR (1), 15173, Bl. 207–212. 523 Vgl. Beschluß über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Bauwesen vom 14. Juni 1963, in: Gesetzblatt der DDR 1963, Teil II, S. 437–452. Danach sollten in den Bezirksbauämtern Abteilungen für die „komplexe Leitung der Bauwirtschaft und der Baumaterialienwirtschaft“ gebildet werden und die „wichtigsten Kapazitäten der volkseigenen Kreisbaubetriebe für den Landwirtschaftsneubau, den Wohnungsbau und den Gesellschaftsbau und die zur Durchführung von Um- und Ausbaumaßnahmen sowie kleinerer Neubauten der Industrie erforderlichen volkseigenen

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betriebe beschränkt, die Anleitungskompetenzen dagegen erhöht. In Anlehnung an Alfred Neumann wurde der Aufgabenschwerpunkt des Fachorgans auf Werterhaltung und Reparaturen konzentriert, sodass das Stadtbauamt nur noch über die Bilanzierung der Baureparaturen selbst entscheiden konnte.524 Die Bilanzierung des mit Neubauaufgaben betrauten städtischen Baukombinates fand dagegen nunmehr auf Bezirksebene statt, während das Stadtbauamt aber für dessen politische Anleitung zuständig blieb. Parallel wurde der Hauptplanträger Komplexer Wohnungsbau und Stadtzentrum aus seiner isolierten Position (Bereich Oberbürgermeister) herausgelöst und dem Stadtbaudirektor unterstellt, wodurch sich dessen Verantwortungsbereich vergrößerte.525 Die von vielen Fachkadern mit Skepsis betrachteten Strukturveränderungen, an deren Ende die Bildung eines Ratsbereiches für Bauwesen stand, begannen mit einer erneuten Berichterstattung über die Umgestaltung des Stadtzentrums vor dem Politbüro am 17. September 1963. Hierfür wurden zahlreiche leitende Funktionäre der Stadt und des Bezirks nach Berlin geladen.526 Diese mussten der Parteiführung erneut mitteilen, dass sich die Baubilanz der Stadt mit insgesamt 53,7 Millionen DM im Rückstand befand.527 Damit war allen Beteiligten klar, dass ein erst Ende Mai des Jahres beschlossener Perspektivplan für die Leipziger Messe nicht mehr erfüllbar war.528 Eher intuitiv beschloss das Politbüro deshalb, dass der „Ausbau der Messegebäude im Zentrum nicht erforderlich“ sei. Stattdessen sollte man „jetzt nur solche Gebäude bauen, die das Antlitz der Stadt + der Messe bestimmen“. Ferner sollte ein speziell auf Leipzig zugeschnittener Beschluss ausgearbeitet werden, wofür neben Erich Apel und dessen späterer Widersacher Günter Mittag auch Oberbürgermeister Kresse, der Bezirksratsvorsitzende Grützner und Paul Fröhlich verantwortlich zeichneten.529 In seinen persönlichen Notizen hielt Apel auch die unmissverständliche Ansage Ulbrichts fest, dass die Grundaufgabe darin zu bestehen habe, „die Ring-Bebauung fertigzustellen und ein Gebäude am Altmarkt zu bauen“. Das Messegeschehen sollte bis auf weiteres auf das Gelände der Technischen Messe

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kreisgeleiteten Baukapazitäten“ in spezialisierten Kombinaten zusammengefasst werden. Dem nachgeordnet waren die Baureparaturkapazitäten, die man den Kreis- und Stadtbauämtern unterstellte, die zudem übergeordnete Baubetriebe auf Vertragsbasis einbeziehen sollten. Vgl. Ebd., S. 447. Vgl. Karl-Heinz Blaurock, Territorialplanung – Aufgaben, Erreichtes und Probleme, in: Tesch/ Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 95 f. Ordnung über die Aufgaben und Arbeitsweise der Stadtbauämter, o. D., SächsStAL, 20237, 04932, Bl. 27 f. Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 17.9.1963, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/985, Bl. 5. Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister, Vorlage für das Polit-Büro des ZK der SED über den weiteren Aufbau des Stadtzentrums Leipzigs in Verbindung mit der Perspektive der Leipziger Messe, Ebd., Bl. 37. Vgl. Präsidium des Ministerrates der DDR, Beschluß über den Perspektivplan der Leipziger Messe vom 30.5.1963, Ebd., Bl. 46–78. Dieser sah unter anderem vor, bis zur Frühjahrsmesse 1965 neben zwei Hotelneubauten im Stadtzentrum und einem Ausländertreff am Messeamt zahlreiche Sanierungsarbeiten an Messehallen vorzunehmen. Vgl. Polit-Büro, 17.9.63, Aufbau Stadtzentrum Leipzig + Perspektive Leipz. Messe (handschriftliche Notizen Erich Apels), Ebd., Bl. 16.

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verlegt werden. Die weiteren Planungstätigkeiten sollten sich schlussendlich daran bemessen, „was die Plankommission geben kann“.530 Die Zeit drängte, denn die Stadt und die Messe sollten 1965 ihr 800-jähriges Jubiläum begehen, wobei die SED-Führung das Spektakel zur Demonstration ihrer Wirtschaftskraft propagandistisch nutzen wollte.531 Wenige Wochen später, am 3. Oktober 1963, lag daher der von Ulbricht geforderte Beschluss für Leipzig vor. Dieser enthielt neben den konkreten Bauaufgaben der nächsten Jahre auch den von Ulbricht gestützten Beschluss, dass zur Umgestaltung des Stadtzentrums keine zusätzlichen Mittel mehr aus zentralen Fonds vergeben werden sollten. Stattdessen sollte nun der Bezirk die Finanzierung sicherstellen, wichtige Bauvorhaben zurückstellen und der Rat der Stadt die wissenschaftliche Leitungstätigkeit im Bauwesen verbessern. Letzteres sollte durch das koordinierte Zusammenwirken der Fachorgane des Bauwesens erreicht werden: Hauptplanträger, Städtebau und Architektur sowie Stadtbauamt mit Produktionsabteilung Bau- und Baustoffproduktion. All diese waren einem „Stellvertreter des Oberbürgermeister für Baufragen“ zu unterstellen.532 Hierbei spielte auch der Glaube an das Vorhandensein örtlicher Ressourcen eine zentrale Rolle. Am 8. Januar 1964 wurden zunächst die Bauaufgaben (Studenteninternat, Touristen-Hotel Breitscheid-Straße, Hotel Karl-Marx-Platz, Mehrzweckgebäude Brühl/ Goethestraße, Straßenzüge Friedrich-Engels-Platz und Karl-Tauchnitz-Straße) von der SED-Bezirksleitung bestätigt.533 Um den Aufbau des Ratsbereiches Bauwesen zu forcieren, ging man im Rat der Stadt sogar so weit, die neue Abteilung in der Ratshierarchie den Platz hinter dem 1. Stellvertreter und vor dem Stellvertreter für Planung und Bilanzierung zuzuweisen.534 Damit sollte das Bauwesen in Stellenplanfragen privilegiert werden. Die Durchführung der verordneten Strukturveränderungen gestaltete sich dennoch kompliziert. Dies hatte mehrere Gründe, die sich vor allem auf kontroverse Diskussionen und Abstimmungsprobleme zwischen den Akteuren um Leitungspositionen und Stellenpläne zurückführen lassen. Im zeitlichen Ablauf stand zunächst die Besetzung der Positionen des Stadtrates sowie des Stadtbaudirektors zur Debatte. Einen ausschnitthaften Einblick in die Personaldebatten gewähren zwei Dokumente aus dem Nachlass des Stadtbaudirektors Walter Lucas. Ihm zufolge sei die Bildung eines Stellvertreterbereiches Bauwesen zwar ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, um den „Papierkrieg“ zwischen Hauptplanträger und Stadtbauamt zu beseitigen, die Umsetzung gestaltete sich jedoch wie die Jahre zuvor „unter dem Zwang, Tagesprobleme zu lösen“ und damit keineswegs kon530 Erich Apel, Persönliche Aufzeichnungen über die Ausführungen Ulbrichts zum Aufbau der Stadtzentren aus der Sitzung des Politbüros vom 17.9.1963, o. D., BArch, DE 1/49798, unp. 531 Vgl. hierzu Rembold, Eine Bühne der DDR-Außenpolitik, in: Saldern/Plato (Hrsg.), Inszenierte Einigkeit. 532 Beschluss über den weiteren Aufbau der Städte Leipzig und Halle, o. D. [3.10.1963], BArch, DE 1/49798, unp. Zur institutionellen Struktur des Ratsbereiches Bauwesen vgl. StadtAL, StVuR (1), 13865. 533 Bericht des Aufbauleiters Helmut Ober über den Stand der Baumaßnahmen gemäß Festlegungen der Niederschrift vom 21.12.1963, 15.1.1964, BArch, DC 14/10818, unp. 534 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Finanzen, Ref. Finanzierung, Protokoll über die am 15.10.1964 durchgeführte Sitzung des Stellenplanaktivs, 26.10.1964, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 17.

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struktiv. So „haben wir eine Reihe von Kollegen nach verhältnismäßig kurzer Zeit in andere leitende Funktionen eingesetzt, brachen ihre bisherige Entwicklung ab, verzichteten auf ihre Fähigkeiten an dem Platz, auf dem sie sich gerade eingearbeitet hatten, und gaben ihnen neue Aufgaben, in die sie erst hineinwachsen mussten“.535 Am 19. August 1964 beschloss der Rat der Stadt in Absprache mit der SED-Stadtleitung, den als politisch makellos eingeschätzten Stadtarchitekten und Leiter der Abteilung Städtebau und Entwurf des Stadtbauamtes, Wolfgang Geißler, zum künftigen Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Bauwesen zu ernennen und Walter Lucas als „erfahrenen Fachmann“ zum Hauptprojektanten für die Messemagistrale beim VEB Hochbauprojektierung Leipzig zu berufen.536 Mit dieser Personalentscheidung waren die Diskussionen jedoch keineswegs beendet. Noch Ende 1964 bestanden Differenzen zwischen den Akteuren über den qualifikationsgerechten Einsatz der Spitzenkader. Auch die Versetzung von Lucas war zu diesem Zeitpunkt noch nicht restlos geklärt. Lucas selbst wäre gern Stadtarchitekt geblieben, die Berufung zum Hauptprojektanten für die Messemagistrale war lediglich ein Kompromiss, da sich Lucas mit diesem Bauvorhaben bereits eindringlich beschäftigt hatte. Der Direktor des VEB Hochbauprojektierung, dessen Betrieb sich selbst gerade in einer Strukturreform befand und mit dem volkseigenen Kombinat (VEK) Hochbauprojektierung des Bezirks zum VEB Leipzig-Projekt zusammengelegt werden sollte, wollte Lucas jedoch als Leiter des Produktionsbereiches Stadtzentrum einsetzen. Lucas allerdings war dazu nur bereit, wenn ihm die Leitung der Messemagistrale unterstand.537 Erst im Verlauf des Jahres 1965 kam dieser Kompromiss zustande, und Lucas blieb bis zum Eintritt in das Rentenalter 1967 Leiter des Produktionsbereiches Stadtzentrum des VEB Leipzig-Projekt, der die Hochbaumaßnahmen projektieren sollte. Wie entscheidend die Person Walter Lucas für die Verhandlungen um die Besetzung der Leitungspositionen war, zeigt sich nicht nur in Bezug auf seine künftige Anstellung. Er vermochte es auch, den bereits unter Helmut Ober und anschließend während seiner Zeit als Stadtbaudirektor zielgerichtet als seinen Nachfolger ausgebildeten und mit Staatsplanvorhaben erfahrenen Joachim Müller auch gegen anfängliche Widerstände des Rates in die Funktion des Stadtbaudirektors zu bringen. Zum Stadtarchitekt wurde schließlich der 1930 geborene Leiter des Produktionsbereichs Stadtzentrum des VEB Hochbauprojektierung, Helmut Ullmann, ernannt.538 Lucas kritisierte aber nicht nur die Methode der Personalumsetzung, sondern stellte auch die Praxis der Strukturreform infrage. Diese lief seiner Ansicht nach allzu schematisch ab, indem lediglich bereits vorhandene Institutionen einem Stellvertreter unterstellt wurden, ohne innere Strukturdefizite und Kapazitätsprobleme (Fehlen eines Tiefbau- und Dienstleistungsbetriebes für Reparaturen) zu berück535 Vgl. Walter Lucas an Oberbürgermeister Walter Kresse, Stellungnahme zur Rekonstruktion des Stadtbauamtes, o. D., StadtAL, NL Lucas, Nr. 1, Bl. 120–124. 536 Rat der Stadt Leipzig, 1. Stellvertreter des Oberbürgermeister für Inneres, Kurt Ritter, an den Rat des Bezirkes Leipzig, Gehrke, 29.8.1964, StadtAL, StVuR (1), 3530, Bl. 27 f. 537 Vgl. VEB Hauptprojektierung Leipzig-Stadt, Betriebsdirektor Dorn an Oberbürgermeister Walter Kresse, 10.12.1964, StadtAL, NL Lucas, Nr. 1, Bl. 81. 538 Zu den Personalentscheidungen vgl. StadtAL, StVuR (1), 1576, Bl. 23–27. Vgl. auch Weis, 30 Jahre in der Stadtverwaltung, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 428.

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sichtigen.539 Hinzu kamen kontroverse Diskussionen um den Stellenplan und damit um die Aufgabendichte des kommunalen Bauwesens. Obgleich das Bauwesen bei allen Stellenplanverhandlungen bevorzugt wurde, waren auch hier die Möglichkeiten begrenzt. Ende Oktober 1964 waren gerade erst 48 Prozent der Gesamtforderung des Stadtbauamtes erfüllt.540 Stadtbaudirektor Geißler rechnete dem Rat detailliert vor, dass sich die Aufgabenmenge in nunmehr fünf von sechs miteinander verbundenen Organen des kommunalen Bauwesens deutlich erhöhen würde541, was die Ausweitung des Stellenplanes ohne Abstriche rechtfertigte. Der Rat des Bezirkes ging bei der Aufstellung des Stellenplans dagegen nur von den bestätigten Bauaufgaben aus, war die Dauerhaftigkeit des Ratsbereichs Bauwesen doch keineswegs gesichert. Die unterschiedlichen Positionen wirkten sich auch auf die Stellenpläne der Aufbauleitung sowie der Stadtbauleitung aus. Am 26. Mai 1964 waren die Orientierungskennziffern für beide Abteilungen ausgearbeitet worden, wonach der Rat der Stadt 180 Stellen forderte. Eine nachträgliche Präzisierung des Bauplanes im Bezirksbauamt führte allerdings zur Begrenzung des Stellenplanes auf 163 Stellen. Stadtrat Geißler schlug daraufhin einen Kompromiss von 173 Stellen vor und fügte verärgert hinzu, dass sich das Bezirksbauamt nicht mit dem kommunalen Bauwesen abgestimmt habe.542 Der Rat des Bezirks lehnte allerdings sämtliche Anträge ab, obgleich der Stadtrat immer wieder mit Überziehung des Stellenplans und Verminderung der Bauleistungsaufgaben gedroht hatte.543 Eine Einigung konnte letztendlich nicht erzielt werden. Am 22. September 1965 teilte der Leiter der Aufbauleitung, Helmut Ober, mit, dass der Stellenplan seines Organs zum Jahresende um etwa 15.000 MDN überzogen werden würde, da die Großbaustellen am Karl-Marx-Platz eine Vielzahl an Überstunden erfordert hatten. Da sich das Stadtbauamt bereits mit der Unbeweglichkeit des Bezirkes abgefunden hatte, wurden sogar Kompromisslösungen vorgeschlagen, die an die eigene Substanz gingen. So regte Ober an, den Fehlbetrag durch Beanspruchung hauseigener Sachmittel (Büromaterial, Heizung usw.) sowie von Überschussbeträgen aus Vertragsstrafen auszugleichen.544 Wer mit seinen Ansichten letztlich näher an den Realitäten war, lässt sich kaum entscheiden, denn ein hoher Stellenplan allein garantierte noch keine Planerfüllung. Allerdings zeigt sich hierin, dass ein Rationalisierungseffekt, den man sich in OstBerlin von der Strukturreform erhoffte, keineswegs zustande kam. Vielmehr war die Verwaltungswirklichkeit nach wie vor von Tagesgeschäften geprägt. Die Tätigkeit der Stadtbauleitung als Hauptinvestor für den komplexen Wohnungsbau etwa 539 Vgl. Walter Lucas an Oberbürgermeister Walter Kresse, Stellungnahme zur Rekonstruktion des Stadtbauamtes, o. D., Ebd., Bl. 120. 540 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Finanzen, Ref. Finanzierung, Protokoll über die am 15.10.1964 durchgeführte Sitzung des Stellenplanaktivs, 26.10.1964, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 16. 541 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Bauwesen, Wolfgang Geißler, an Oberbürgermeister Walter Kresse, 17.11.1964, StadtAL, StVuR (1), 1875, Bl. 169–172. 542 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Bauwesen, Staatliche Aufgaben für die sonstigen Einrichtungen der Bauämter, 2.1.1965, StadtAL, StVuR (1), 16073, Bl. 29. 543 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Bauwesen, Staatliche Aufgaben für die Bauleitungen, 14.1.1965, Ebd., Bl. 28. 544 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Aufbauleitung, Helmut Ober, 22.9.1965, Ebd., Bl. 50.

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bestand ausschließlich im Vermitteln zwischen Auftraggebern (Planträgern) und Auftragnehmern (Betrieben). Kam es dabei zu Schwierigkeiten, wurden übergeordnete Instanzen eingeschaltet.545 Eine neue Struktur garantierte nämlich noch keine Akzeptanz bei den Baubetrieben. So waren die Bauleiter der größten Baubetriebe im Stadtzentrum der Überzeugung, dass die Aufbauleitung, welche die Betriebe hinsichtlich der Durchführung ihrer Aufgaben kontrollieren und Baumaßnahmen vorbereiten sollte, „in dieser Beziehung nichts mehr zu sagen hat“.546 Dem Verlust wirtschaftsleitender Aufgaben korrespondierte am Ende eine Zunahme an kontrollierenden und koordinierenden Aufgaben. 3.2 Die „Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ vom 2. Juli 1965 Leipzig im NÖS und der lange Atem der Krisenerfahrung In den Städten wirkte sich das NÖS nicht nur negativ auf die von den Preisreformen ausgeschlossene Konsumgüterproduktion aus.547 Auch die Kommunalverwaltungen blieben durch den Zuwachs an koordinierenden Aufgaben und den Verlust materieller Gestaltungsmöglichkeiten überfordert. Aus Sicht des Rates der Stadt Leipzig bedeuteten die Konzentration von Planungsaufgaben und die Abgabe von Bilanzierungskompetenzen an den Bezirk nicht etwa eine Entlastung bei der „Ausschöpfung“ örtlicher Ressourcen, sondern vor allem die Abwertung ihrer Autorität. Am 21. November 1964 trafen sich Walter Ulbricht, Erich Grützner, Walter Kresse sowie weitere verantwortliche staatliche Leiter in Leipzig, um über die „Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in den örtlichen Staatsorganen sowie in der bezirksgeleiteten Industrie“548 zu diskutieren. Den Hintergrund des Treffens stellten Planungsarbeiten zu einem Staatsratserlass dar, der die Arbeitsweise des Staatsapparates an die Bedingungen des NÖS anpassen sollte. Die Debatten kreisten entsprechend um Fragen der Wirtschaftlichkeit und der Anwendung „ökonomischer Hebel“. Gleichwohl hatte das NÖS mit seiner technokratischen Terminologie die 545 Rat der Stadt Leipzig, Stadtbaudirektor, an den Rat des Bezirkes, Bezirksbauamt, 15.6.1965, StadtAL, StVuR (1), 16073, Bl. 15. 546 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Bauwesen, an den Rat des Bezirkes, Bezirksbauamt, 17.6.1965, Ebd., Bl. 20. 547 Vgl. hierzu ausführlich Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform, S. 84–103. 548 Vgl. Protokoll der Beratung der Arbeitsgruppe des Politbüros und des Ministerrates unter Leitung des 1. Sekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Walter Ulbricht, mit verantwortlichen staatlichen Leitern über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in den örtlichen Staatsorganen sowie in der bezirksgeleiteten Industrie am 21.11.1964 (nicht überarbeitetes Manuskript), SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/13/96, Bl. 72–79. Der folgende Abschnitt bezieht sich auf das Protokoll. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird im Folgenden auf Einzelnachweise verzichtet.

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Grenzen des Sagbaren verschoben. So nutzten Kresse und Grützner dieses Forum auch, um den Kompetenzverlust der örtlichen Organe zur Sprache zu bringen. An einer Reihe von Beispielen demonstrierte Oberbürgermeister Kresse der SED-Führung die Ohnmacht der Stadtverwaltung. Diese Einzelfallschilderung hatte freilich Methode. Hatten die Vertreter der Stadt bei der Ratssitzung mit Walter Ulbricht am 7. April 1961 für ihre grundlegende Kritik vor allem Verärgerung beim SED-Chef hervorgerufen, ging man nun vorsichtiger vor. Durch die Darlegung vermeintlich kleiner Probleme konnte man den Eindruck einer grundsätzlichen Kritik vermeiden. So sprach Kresse etwa über die Möglichkeit erheblicher Einsparungen in den Stadtwerken durch Einführung des schaffnerlosen Verkehrs, wenn der Stadtverwaltung die eingesparten Mittel als „ökonomische Hebel“ zugutegekommen wären. Diese seien jedoch vom Finanzministerium einkassiert worden. Auch auf den Großteil der Handelsorganisationen habe praktisch keine Einflussmöglichkeit mehr bestanden. Die der Stadtverwaltung noch unterstehenden Großhandelsgesellschaften (GHG) für Obst und Gemüse sowie Lebensmittel arbeiteten stark verlustreich. Etwa sei es immer wieder zu Reklamationen von Kartoffeln gekommen. Die Rückerstattungen habe man aus dem Haushalt der Stadt decken müssen, während die produzierenden Betriebe hierfür nicht zur Verantwortung zu ziehen waren. Außerdem seien die Importwaren für die GHG Obst und Gemüse stets verlustintensiver (25–35 Prozent) als man im Vorfeld planmäßig einkalkuliert hatte. Schließlich habe man sanierungsbedürftige Brücken nicht mehr eigenverantwortlich warten können, nachdem der VEB Brücken- und Stahlbau aus der Verantwortung des Stadtbauamtes ausgegliedert worden war. Am Ende waren die Probleme freilich komplexer, als sie auf dieser Krisensitzung diskutiert wurden. Ein Beispiel des städtischen Bauwesens mag dies veranschaulichen. Neben den langwierigen und zeitraubenden ratsinternen Debatten um Strukturen und Planstellen trugen vor allem die Defizite zwischen Bedarfsermittlung und Haushaltsplan sowie die ständigen Zugriffe des Bezirkes auf Baureparaturkapazitäten zur Verstimmung innerhalb des Stadtbauamtes bei. Durch die Schwierigkeiten beim Aufbau des Hauptplanträgers Baureparaturen in der Abteilung Wohnungswirtschaft und die damit zusammenhängenden Verzögerungen beim Erstellen eines Bauzustandskatasters ließ sich der Reparaturbedarf in der Regel nur durch Hinweise und Eingaben aus der Bevölkerung ermitteln. Die Folge war, dass der Investitionsplan für den VEB Baureparaturen nicht den realen Bedarf widerspiegelte. Gleichwohl hatte das Stadtbauamt keinen Überblick über die Grundmittel in seinen nachgeordneten Betrieben.549 Hinzu kam, dass sich die Schwächen des durch das NÖS geförderten zwischenbetrieblichen Vertragssystems hierbei besonders nachteilig auswirkten. Konnten Mitte Juni 1965 im Wohnungs- und Industriebau immerhin 68 Prozent der geplanten Summe vertraglich gebunden werden, waren es im Bereich Werterhaltung nur knapp 17 Prozent.550 Die Einführung des „Produktionsprinzips“ hatte die Bauaufgaben des Bezirks eindeutig begünstigt. 549 Vgl. Ministerrat der DDR, Revisionsprotokoll zur Haushalts- und Finanzwirtschaft des Stadtbauamtes, 19.12.1964, StadtAL, StVuR (1), 16074, Bl. 45–63. 550 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbaudirektor, an den Rat des Bezirkes, Bezirksbaudirektor, 15.6.1965, StadtAL, StVuR (1), 16074, Bl. 14.

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Anhand eines ratsinternen Beratungsprotokolls vom 23. Juni 1964 lassen sich die Zwänge der Stadtverwaltung in dieser Beziehung anschaulich fassen. Anlass für diese Beratung war eine abermalige Forderung an den Rat der Stadt, weitere Baukapazität für das Stadtzentrum zur Verfügung zu stellen. Zwar war zuvor beschlossen worden, „dass das Reparaturprogramm für Wohnungen unbedingt durchzuführen ist“, zugleich wurde aber der im Entwurf des Beschlusses enthaltene Zusatz, „unter keinen Umständen in das Reparaturprogramm einzugreifen“, gestrichen. Die sich daraus ergebende Möglichkeit, jederzeit doch Reparaturkapazitäten zweckentfremden zu können, wurde schließlich zu einem zentralen Konfliktpunkt im Rat der Stadt. Auf der einen Seite stand der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Karl Adolphs, der dafür plädierte, zugunsten der Anweisung aus Berlin „eine Reihe von Investobjekten“ zu streichen, wobei „Vorhaben aus der zentralen Objektliste“ hierfür nicht in Frage kommen durften. Eher sollten „Objekte aus Stadtbezirkslisten“ herausgenommen sowie sämtliche „Schwarzbauten“, d. h. bislang geduldete außerplanmäßige Vorhaben, eingestellt werden. Auf der anderen Seite standen die Stadtbezirksbürgermeister, die auf bevorstehende Rechenschaftslegungen vor der Bevölkerung sowie auf damit verbundene politisch negative Effekte eines solchen Vorgehens verwiesen. Am Ende wurden die Diskussionen zugunsten der Vorhaben im Stadtzentrum entschieden, mit der Begründung, „daß dieser Weg der einzig mögliche und richtige sei“.551 In der Folge sank die Akzeptanz der Kommunalverwaltung in der Bevölkerung trotz der Bemühungen um ein Baureparaturprogramm weiter. Während der Kommunalwahlen im Herbst 1965 registrierte man in allen Kreisen des Leipziger Bezirkes, insbesondere in der Stadt Leipzig, „daß es einzelne Bürger gibt, die eine Art Ultimatum stellen: Entweder Dachreparatur oder wir gehen nicht zur Wahl“.552 In besondere Bedrängnis geriet die Aufbauleitung für das Stadtzentrum, die noch bis Jahresende 1965 arbeitsunfähig war, aber zunehmend zur Übernahme der Hauptauftragnehmerschaft für sämtliche Leistungen und Lieferungen aller am Wohnungsbau beteiligten Betriebe gedrängt wurde. Nach Ansicht des Rates der Stadt hätte eigentlich das zentralgeleitete Bau- und Montagekombinat als Leitbetrieb dieser Verantwortung nachkommen müssen. Diese Position war wohlbegründet, handelte es sich bei einem Großteil dieses Betriebes doch um den ehemals bezirksgeleiteten VEB Bau-Union, der bereits vor seiner Umwandlung 1963 für den industriellen Wohnungsbau zuständig gewesen war. Der Generaldirektor des Betriebes wehrte sich jedoch erfolgreich gegen die Übernahme dieser Aufgabe und konnte auch durch den Minister für Bauwesen nicht zum Einlenken bewegt werden.553 Das städtische Baukombinat selbst, das bis 1963 die Hauptauftragnehmerschaft im kommunalen Wohnungsbau innehatte, war für den industriellen 551 Vgl. Beratung des Rates der Stadt mit den Stadtbezirksbürgermeistern am 23.6.1964, StadtAL, StVuR (1), 3005, Bl. 17. 552 SED-Bezirksleitung Leipzig, Bericht über den Stand der Wahlbewegung, 2.8.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/415, unp. 553 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister Kresse, Bericht über den Stand der Verwirklichung der Beschlüsse des Politbüros über den Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, 21.9.1964, SächsStAL, 21123, IV/A/2/03/070, unp.

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Wohnungsbau dagegen nicht ausgestattet. Erst im Verlauf des Jahres 1965 einigten sich die Konfliktparteien auf einen Kompromiss, nach dem das Bau­ und Montagekombinat die Generalauftragnehmerschaft für Verkehrsmaßnahmen und Gesellschaftsbauten übernahm und der VEB Straßen-, Gleis- und Tiefbau für Bauleistungen eingesetzt wurde, das städtische Baukombinat jedoch Hauptauftragnehmer für den Wohnungsbau blieb. Der Einfluss der Stadt auf die Baubetriebe und speziell das Baukombinat sank allerdings weiter, nachdem sich Paul Fröhlich am 31. März 1965 deren Grundorganisationen unterstellt und die Betriebe dadurch noch stärker an den Bezirk gebunden hatte.554 Überhaupt stellten die SED-Funktionäre vor Ort geradezu ein lokales Korrektiv gegen die Unzulänglichkeiten des NÖS dar. Während Fröhlich das Baugeschehen unter seine Beobachtung nahm, wurden andere zweifelhafte Fragen zunehmend im Einvernehmen mit der SED-Stadtleitung geregelt. So seien die Anleitungen des 1. Sekretärs der SED-Stadtleitung, Karl Bauer, „von allen Genossen außerordentlich stark begrüßt [worden d. V.], da sie zu Sicherheit und Klarheit in der gemeinsamen Partei- und Staatsarbeit [ge]führt“555 hätten. Dabei wurden jedoch weniger grundlegende Themen, sondern vielmehr „Details“ und „unwichtige Dinge“ verhandelt, insbesondere Strukturfragen des städtischen Bauwesens, der Örtlichen Versorgungswirtschaft sowie des Ressorts Handel und Versorgung.556 Dieser Erfahrungshintergrund stellte die Basis dafür dar, dass Kresse und Grützner bei der Zusammenkunft mit Ulbricht am 21. November 1964 die Rückkehr zum „Territorialprinzip“ forderten, was die beiden Ratsvorsitzenden mit der Rückgewinnung wirtschaftsleitender Kompetenzen verbanden. Begründen musste man diese Forderung freilich mit dem Vokabular des NÖS. So bezeichnete Grützner das Territorialprinzip als die einzige Alternative zum überhandnehmenden Mittelbedarf der Kommunen. Vielmehr ginge mit der Entscheidungshoheit über den Mitteleinsatz ein „echt ökonomisches Interesse an der Erzielung von Mehreinnahmen“557 einher. Darüber hinaus, und das war aus Sicht der Kommunen das Zentrale, forderte Kresse die Erarbeitung einer Ordnung, „die genau festlegt, wer ist für was zuständig“, d. h. den erhöhten Koordinationsbedarf infolge der Strukturexperimente seit 1961 zu regeln.558 Die Reaktionen Ulbrichts beschränkten sich – ähnlich wie bei der Ratssitzung im April 1961 – jedoch zumeist auf programmatische Äußerungen zur Verstärkung der Wissenschaftlichkeit, Drohgebärden in Richtung der Ministe554 Vgl. Sitzung des Sekretariates der SED-Bezirksleitung Leipzig am 31.3.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/03/078, unp. 555 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Einschätzung über die Arbeit der Parteiorganisation beim Rat der Stadt Leipzig, 25.7.1964, SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/418, unp. 556 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Bericht zur ideologisch-politischen Lage beim Rat der Stadt, 25.1.1965, Ebd., unp. 557 Protokoll der Beratung der Arbeitsgruppe des Politbüros und des Ministerrates unter Leitung des 1. Sekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Walter Ulbricht, mit verantwortlichen staatlichen Leitern über die Anwendung der Grundsätze des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in den örtlichen Staatsorganen sowie in der bezirksgeleiteten Industrie am 21.11.1964 (nicht überarbeitetes Manuskript), SAPMOBArch, DY 30/IV A 2/13/96, Bl. 31. 558 Vgl. Ebd., Bl. 75.

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rien und Vorwürfe an die Stadt, der es an Willen zur Koordination mangele. Trotz alledem und obgleich Ulbrichts Wirtschaftsplaner Apel noch der Ansicht war, dass sich die Leitungstätigkeit nur verbessern ließe, wenn man die Betriebe mit ökonomischen Mitteln zur Erfüllung der Aufgaben zwinge, ordnete Ulbricht an, dass alle „Vorschläge und Erfahrungen“ der Leipziger Genossen in die Beschlüsse für 1965 verbindlich eingehen sollten.559 Ob die Parteinahme des Reformkritikers Paul Fröhlich für die Interessen der Stadt­ und Bezirksverwaltung die Entscheidungsfindung Ulbrichts beeinflusst hat, lässt sich aus den Quellen nicht ersehen. Vermuten lässt sich dies aber anhand eines Politbüro-Beschlusses vom 24. November 1964. Nur drei Tage nach der Zusammenkunft mit den Leipziger Vertretern beschloss das oberste Gremium der Partei, „aufgrund der bisher gesammelten Erfahrungen […] ein Dokument über die Anwendung des neuen ökonomischen Systems in den Bezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden auszuarbeiten“. Verantwortlich hierfür sollten das von Günter Mittag geleitete SED-Büro für Industrie und Bauwesen sowie Vertreter der SED-Bezirksleitungen Leipzig, Cottbus und Rostock sein. Damit legte man dieses Vorhaben von Anfang an in die Hände ausgewiesener Kritiker des NÖS.560 Gleichwohl hatten die Vertreter des Bezirkes und der Stadt Leipzig einen neuerlichen Erfolg zu verbuchen, sollten ihre Erfahrungen nun doch unmittelbar in ein neues Dokument Eingang finden. So waren es letztendlich nicht nur, wie André Steiner bereits ausführlich dargestellt hat, die Differenzen zwischen Reformbefürwortern und -skeptikern im zentralen Staats- und Parteiapparat, die Ulbricht bei der Weiterführung der Wirtschaftsreformen bremsten, sondern auch die Auseinandersetzungen mit Vertretern der lokalen Staatsorgane, deren Perspektive man zumindest in einem bestimmten Rahmen wahrnahm und berücksichtigte. Während die Vorbereitungen zu einem neuerlichen Erlass liefen, gewannen die Reformgegner im zentralen Partei­ und Staatsapparat immer stärker an Einfluss. Dabei wurde Erich Apel in einem persönlichen Machtkampf mit Günter Mittag zunehmend isoliert, im Dezember 1965 wählte er den Freitod. Zudem bildete der Machtwechsel in Moskau von Chruschtschow zu Breschnew im Oktober 1964 eine wichtige Stütze für die Reformgegner um Mittag und zunehmend auch Erich Honecker, welche die Partei bereits auf dem Weg zu einer „Wirtschaftspartei“ und darin eine Bedrohung für den politischen Einfluss der SED sahen.561 Zusammen mit Gerhard Schürer bestimmte fortan Günter Mittag, der zum neuen Wirtschaftssekretär im ZK der SED berufen wurde, das Planungsgeschehen in der DDR. Die Korrekturen des NÖS wurden von Walter Ulbricht ohne vorherige „Diskussionen“ im Dezember 1965 auf der 11. Tagung des ZK der SED – kaschiert als „zweite Etappe“ – bekanntgegeben. Statt Dekonzentration bestimmte nun die Strukturentwicklung der Wirtschaft die Wirtschaftspolitik der SED. Der Einfluss beratender Gremien, wie der Ökonomischen Kommission Apels, wurde dabei zurückgedrängt und die Deutungsmacht wieder auf das ZK der SED beschränkt.562 Die Instrumente 559 Vgl. Ebd., Bl. 79. 560 Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 24.11.1964, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/964, Bl. 9. 561 Vgl. Niemann, Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen, S. 41 f. 562 Vgl. Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform, S. 120 f.

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betrieblicher Flexibilität wurden hingegen beibehalten.563 Was die SED unter Strukturentwicklung genau verstand, erläuterte Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED (17.–22. April 1967). Die Perspektivplanung sollte künftig auf zwei Stufen erfolgen: Zentral (strukturbestimmende Aufgaben) und territorial (alle übrigen wirtschaftlichen Aufgaben).564 Vor allem in planerischen Angelegenheiten sollten die Kommunen dadurch Kompetenzen hinzugewinnen. Die von Günter Mittag geleitete Kommission, die sich seit Dezember 1964 mit der Einarbeitung der „Erfahrungen“ in die bereits am Ende befindlichen Entwurfsarbeiten zum Staatsratserlass beschäftigt hatte, legte zum 1. Juli 1965 ein Ergebnis vor, das ohne Korrekturen angenommen und einen Tag später veröffentlicht wurde. Dass hierbei noch weitreichende Änderungen vorgenommen worden waren, ist unwahrscheinlich. Entsprechend beschränkte sich der Erlass auf grundlegende Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen Städten, Kreisen und Bezirken bei der Territorialplanung, stärkte aber – wie dies bereits anhand der Abgabe von Bilanzierungskompetenzen an den Bezirk deutlich geworden war – vor allem die beiden letztgenannten. Mit dem Ziel, die „Entwicklung der Zweige und Bereiche der Volkswirtschaft“ und die „Entwicklung der Wirtschaftsgebiete“ in Übereinstimmung zu bringen, sollten Bezirksplankommission und Stadtplankommission künftig zusammen an der „territoriale[n] Koordination der Investitionen aller Zweige und Bereiche in Investitionskomplexen“565 zusammenarbeiten, die Fachorgane sollten dann jeweils die Bedarfsermittlung und Plandurchführung sicherstellen. Dazu bedurfte es aber konkreter Vorstellungen darüber, wie die Koordinierung zwischen den Ebenen jenseits formaler Hierarchiebeziehungen ablaufen sollte. Da entsprechendes Wissen jedoch nicht präsent war, wurde der Erlass an der Basis kaum wahrgenommen.566 Im Rat des Stadtbezirks Leipzig-Südost fand man deutliche Worte: „… das neue ökonomische System der Planung und Leitung ist theoretisch richtig, aber gegenwärtig nicht zu verwirklichen, weil der Entwicklungsstand unserer leitenden Kader gar nicht das Niveau hat …“567

563 Vgl. Ebd., S. 124. 564 Vgl. Kiera, Partei und Staat, S. 153. 565 Alle Zitate vgl. Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratisch Republik über Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft vom 2. Juli 1965, in: Gesetzblatt der DDR 1965, Teil I, S. 173. 566 So bemängelte die SED-Stadtleitung etwa am 13. Mai 1966 die „unzureichende[n] systematische[n] Verwirklichung des Staatsratserlasses durch den Rat der Stadt“. Sitzung des Sekretariats der SED-Stadtleitung Leipzig, 13.5.1966, SächsStAL, 21145, IV/A/5/01/106, unp. 567 Bezirkssekretär Gläser an Volkskammerpräsident Dieckmann, Argumente, die in den letzten Tagen im Stadtbezirk Leipzig-Südost bekannt geworden sind, 9.12.1966, BArch, DA 1/3470, unp.

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Koordinator des „gesellschaftlichen Teilbereichs“ Stadt: Der Rat der Stadt Leipzig 1965–1970 Territorialplanung war der handlungsleitende Begriff, der die Debatte um kommunale Mitwirkungsmöglichkeiten fortan prägte. Als Teil des volkswirtschaftlichen Leitungsprozesses verstand man darunter insbesondere Aufgaben wie die „Planung von Ressourcen und Standortentwicklungen […] wie die Verwirklichung von Konzepten zur Entwicklung raumbezogener Strukturen“.568 Charakteristisch war dabei, dass Territorialplanung auf allen staatlichen Ebenen stattfand, die Kommunen also nur einen Teil davon darstellten.569 Für die Interpretation des Prinzips der Territorialplanung wichtig ist die Berücksichtigung des Kybernetikdiskurses, der im Zuge der Steuerungseuphorie der 1960er Jahre570 zunehmend auch in der staatsrechtlichen Debatte der DDR rezipiert wurde. Danach war jedes Gesamtsystem, so auch die Gesellschaft, in kleinere, miteinander hierarchisch verbundene Subsysteme zerlegbar. Auch die Stadt wurde im Zuge dessen als ein solches „gesellschaftliches Teilsystem“ betrachtet. Ihre besondere Funktion ergab sich aus der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, was wiederum der Wirtschaftsentwicklung dienen sollte. Damit verband sich ganz praktisch eine qualitative Aufwertung der Stadt, die nicht mehr nur als Wirtschaftsstandort, sondern nun auch als unmittelbarer lebensweltlicher Bezugspunkt der Bevölkerung begriffen wurde.571 Eine Präzisierung der Aufgabendichte des „gesellschaftlichen Teilsystems“ erfolgte aber nicht, sondern wurde in das Ermessen der Kommunen gelegt. Offiziell sprach die SED­Führung erstmals nach Auflösung der Kommunalwirtschaftsunternehmen (1951) wieder von einer spezifischen „Kommunalwirtschaft“ als besonderen Hoheitsbereich der Wirtschaftsleitung der Kommunalverwaltungen, der sich vor allem auf Dienstleistungen und Wohnungswirtschaft konzentrierte.572 Fragen der Zusammenarbeit zwischen den Ebenen wurden im offiziellen Diskurs aber ausgeklammert.573 Als Stadtkreis profitierte der Rat der Stadt Leipzig aber durchaus von den Strukturmaßnahmen. Zunächst folgte der Auflösung des Volkswirtschaftsrats, der durch acht Industrieministerien ersetzt wurde574, die Herauslösung der Abteilung Versorgungswirtschaft aus dem Bezirkswirtschaftsrat und deren Aufwertung zum Stellvertreterbe-

568 Joachim Bräuninger, Entwicklung, Aufgaben und Organisation der Territorialplanung in der DDR, in: Raumforschung und Raumordnung 47, 1989, Heft 2/3, S. 191. 569 Vgl. Ebd. 570 Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 805–809. 571 Vgl. Hans Zienert, Die Stadt im sozialistischen Staat. Zur Funktion der Stadtverordnetenversammlung und ihrer Organe im System der staatlichen Leitung, Berlin (Ost) 1968. 572 Vgl. Walter Ulbricht, Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. Aus dem Schlußwort auf der 19. Sitzung des Staatsrates, in: Ulbricht, Zum ökonomischen System, S. 625. 573 Zur institutionellen Struktur des Rates der Stadt Leipzig nach den Strukturreformen von 1965 vgl. Abb. 14 im Anhang, S. 419. 574 Vgl. Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform, S. 122.

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reich Örtliche Versorgungswirtschaft.575 Im Rat der Stadt (und in den Räten der Kreise) schloss sich daran die Reorganisation der lokalen Plankommission an. Allerdings ging der Leipziger Rat aufgrund der nur allgemeinen Vorgaben zunächst einen eigenen Weg. Wenige Tage bevor in Moskau die Bildung von Industrieministerien beschlossen worden war, schlug der Rat der Stadt Leipzig dem Ministerium für Anleitung und Kontrolle der Bezirks- und Kreisräte noch vor, die Fachorgane Örtliche Versorgungswirtschaft sowie Planung und Bilanzierung zu einem Stadtratsbereich Planung und Versorgungswirtschaft zusammenzuführen, was praktisch die Reorganisation der Plankommission von 1958/59 bedeutet hätte. Grund dafür waren die besonderen Koordinierungsschwierigkeiten mit dem privaten Einzelhandel, dem Handwerk sowie dem Dienstleistungsgewerbe.576 Der Vorschlag verlief jedoch im Sande. Bis Jahresende 1965 wurde die Abteilung Planung und Bilanzierung aufgelöst und eine neue Stadtplankommission gebildet. Mit den Arbeitsbereichen Territorialplanung und Plankoordinierung bestimmter Ratsbereiche (Örtliche Versorgungswirtschaft und Handel, Bauwesen und Wohnungswirtschaft sowie nicht-materielle Produktion) bildete die Stadtplankommission eine die gesamte kommunale Wirtschaftsplanung koordinierende Behörde.577 Weitere Strukturänderungen ergaben sich im Verkehrs- und Jugendbereich. Die Bildung der Abteilung Verkehr, Straßenwesen und Wasserwirtschaft – ein Aufgabengebiet, das zuvor der Abteilung Planung und Bilanzierung zugeordnet war – verband sich ebenfalls mit einer Konzentration territorialer Aufgaben in der Kommune. Ihr Tätigkeitsbereich erweiterte sich um die Perspektivplanung der Verkehrsentwicklung sowie die Organisation des Stadttransportes.578 Die Bildung der Abteilung Jugendfragen, Körperkultur und Sport war in der Praxis lediglich die Zusammenlegung von drei bereits bestehenden Referaten Körperkultur und Sport (beides vormals Abteilung Kultur) sowie Jugendfragen (vormals 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters). Die Gründe hierfür sind weniger in strukturpolitischen Entscheidungen zu suchen. Die Maßnahme stellte vielmehr eine Reaktion auf parallel im zentralen Parteiapparat lauter werdende Kritiken an der Vernachlässigung der politisch-ideologischen Arbeit im Jugend- und Kulturbereich dar. Die Liberalisierungstendenzen in den Jahren 1963–1965 hätten sich negativ auf das Verhältnis junger Menschen zum „Arbeiter- und Bauernstaat“ ausgewirkt und deren Empfänglichkeit für „westlich­dekadente“ Einflüsse gesteigert.579 Die Konzentration territorialer Aufgaben wurde durch weitere Verfeinerungen in den Jahren 1966 bis 1970 fortgeführt. Im September 1966 versank die Abteilung Landwirtschaft endgültig in der Bedeutungslosigkeit, indem sie zu einem Referat abgestuft und in die Abteilung Handel und Versorgung eingegliedert wurde. Ihr 575 Vgl. Rickmers, Aufgaben und Struktur der Bezirkstage und Räte der Bezirke in der DDR, S. 76. 576 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister Kresse, an den Minister für Anleitung und Kontrolle der Bezirks- und Kreisräte, Kurt Seibt, Vorschläge zur neuen Zusammensetzung des Rates der Stadt Leipzig, 21.9.1965, StadtAL, StVuR (1), 15168, Bl. 131. 577 Zur institutionellen Struktur der Stadtplankommission vgl. StadtAL, StVuR (1), 13855. 578 Vgl. Stellenpläne des Rates der Stadt 1965–1968/69, StadtAL, StVuR (1), 13855. 579 Vgl. Monika Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, Berlin 1997, S. 169.

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Zuständigkeitsbereich verringerte sich auf Erfassung, Bodenrecht und Bodenordnung.580 Eine beträchtliche institutionelle Erweiterung erfuhr dagegen das städtische Bauwesen. Ebenfalls im September 1966 wurde zunächst der Hauptplanträger Stadtzentrum und Wohnungsbau aus dem Ratsbereich Bauwesen herausgelöst und zu einem eigenständigen Fachorgan aufgewertet, womit die Erweiterung seines Aufgabenspektrums um die Koordinierung innerstädtischer Verkehrsmaßnahmen einherging.581 1967 entstand mit dem Büro des Chefarchitekten als nachgeordnete Einrichtung des Rates der Stadt eine eigenständige, nicht mehr in der Abhängigkeit des Stadtbauamtes stehende Stadtplanungsbehörde. Allerdings handelte es sich dabei um „eine rein ausführende Einrichtung ohne Widerspruchs- und Anweisungsrechte und ohne eine ausgeprägte Anbindung an die SED“.582 Ungeachtet dessen war der Aufbau des Büros des Chefarchitekten eine unmittelbare Folge der gleichsam von oben und unten in den 1960er Jahren angestoßenen Strukturdebatten. Von zentralen Behörden wurde die Generalbebauungsplanung von Städten als „territoriale Dienstleistung“ bereits seit 1963 vermehrt gefordert.583 Nach den intensiven Diskussionen, insbesondere mit den Vertretern des Bezirkes und der Stadt Leipzig, war es zudem kein Zufall, dass das erste Entwurfskolloquium der Bauakademie der DDR im November und Dezember 1966 in Leipzig stattfand, welches das Ziel verfolgte, die „Stadt als Ganzes in längerfristige Planungsprozesse“ einzubinden.584 Der Generalbebauungsplan sollte gleichwohl in erster Linie als Instrument der Volkswirtschaftsplanung dienen, indem er „auf der Grundlinie der (prognostischen) ökonomischen Entwicklung des Bezirks“585 basierte. Zugleich entlastete das Büro des Chefarchitekten die Abteilung Bauwesen im Rat der Stadt in erheblicher Weise, da die Aufgaben der personell dünn besetzten Abteilung Städtebau und Architektur des Stadtbauamtes (etwa 13 Mitarbeiter) mit der Zeit über ihren originären Verantwortungsbereich hinaus beträchtlich gewachsen waren. Während der Umgestaltung des Stadtzentrums Mitte der 1960er Jahre waren der Abteilung zusätzlich die Verantwortung für die Auftragsvergabe von Bauausführungsarbeiten sowie damit zusammenhängende Tätigkeiten (Vorbereitung, Abnahme, Abrechnung) übertragen worden.586 Der Arbeitsschwerpunkt des im Oktober 1967 eingerichteten Büros lag zunächst auf Generalplanung, Direktivplanung (v. a. komplexer Wohnungsbau und Umgestaltungsgebiete) und Hoheitsaufgaben 580 Zu den Stellenplänen der Abteilungen Kultur und Allgemeine Landwirtschaft vgl. Stellenpläne des Rates der Stadt 1966–1969, StadtAL, StVuR (1), 13856. 1968 wurden landwirtschaftliche Aufgaben mit der Bildung von Räten für landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft zudem immer stärker auf Bezirksebene konzentriert. Vgl. Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 403. 581 Vgl. Ebd. 582 Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“, S. 214. 583 Vgl. Ebd., S. 133 f. 584 Vgl. Horst Siegel, Generalbebauungsplanung – Ziele, Aussagen und Ergebnisse, in: Tesch/ Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 127. 585 Art. ‚Generalbebauungsplan‘, in: Willi Ehlert / Heinz Joswig / Willi Luchterhand (Hrsg.), Wörterbuch der Ökonomie – Sozialismus, 2. Aufl. Berlin (Ost) 1969, S. 307. 586 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt Leipzig am 17.3.1966, Diskussionsbeitrag Geißler, StadtAL, StVuR (1), 20236, Bl. 87.

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(Hauptauftraggebertätigkeiten), ferner auf der Verringerung außerplanmäßiger operativer Tätigkeiten und der Koordination mit den Planungsbüros anderer Städte. Später kamen noch Aufgaben in der Öffentlichkeitsarbeit, der technisch-ökonomischen Vorbereitung des Hauptplanträgers Stadtzentrum und des Wohnungsbaus sowie als weitere Institution die Abteilung Architekturbezogene Kunst hinzu.587 Maßgeblich geprägt wurde die institutionelle Ausgestaltung des Büros vor allem durch den 1967 berufenen und mit Großprojekten (Halle-Neustadt) erfahrenen Horst Siegel, der offenbar in der Lage war, dem Rat seine Forderungen zu „diktieren“. So geht die Eingliederung des Bereichs Vorbereitung des Hauptplanträgers auf seine Initiative zurück.588 Auch in personeller Hinsicht genoss das Büro eine, freilich nicht unumstrittene, privilegierte Stellung. Mit 94 Planstellen verfügte das Büro nahezu über das doppelte Mitarbeitervolumen des Stellvertreterbereichs Bauwesen und zugleich über ein Drittel mehr als die parallel auf Bezirksebene gebildeten Büros für Städtebau.589 Etwa ein Drittel der Stellen wurde mit Hochschulkadern, zum Teil von der HAB Weimar und der TH Dresden, acht weitere Stellen mit Fachschulkadern besetzt; fünf Kader erhielten Sondergehälter und weitere 46 Ingenieurgehälter, die mitunter weit über denen der Ratsmitglieder lagen.590 Zudem gehörten etwa vier Fünftel der Mitarbeiter keiner Partei an591, was die Behörde – wohl auch wegen ihrer faktischen Randposition im Leitungsprozess – insgesamt zu einer hochqualifizierten Fachbehörde ohne besonders starken SED­Einfluss machte. In einem direkten Zusammenhang mit der Dezentralisierung der Stadtplanung stand eine im Herbst 1967 gebildete Einrichtung zur Schaffung der Baufreiheit und Rationalisierung des Gewerberaumes in der Abteilung Wohnungswirtschaft. Sie sollte städtebauliche Arbeiten vorbereiten, indem sie die Umsiedlung der Wohnbevölkerung und Betriebe aus Sanierungsgebieten organisierte. Sie wurde zunächst als zeitweiliges Organ für die Fertigstellung der Aufgaben im Stadtzentrum gebildet, bald aber dauerhaft als Teil der Abteilung Wohnungswirtschaft etabliert.592 Eine institutionelle Aufwertung erfuhr auch das Erholungswesen, das im November 1969 aus der Abteilung Jugendfragen, Körperkultur und Sport herausgelöst und zum eigenständigen Stadtratsbereich wurde.593 Aufgrund der geringen Zahl an 587 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Büro des Chefarchitekten, Bericht über die Arbeitsweise und Wirksamkeit des Büros des Chefarchitekten der Stadt Leipzig, 8.6.1971, StadtAL, StVuR, 18905, Bl. 31 f. 588 Zur exponierten Stellung Horst Siegels vgl. Weis, 30 Jahre in der Stadtverwaltung, in: Tesch/ Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 429 f.; Siegel, Generalbebauung, in: Ebd., S. 124. 589 Vgl. Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“, S. 184. 590 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Protokoll der Leitungssitzung vom 26.6.1968, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/009, unp. Ein „Intelligenzgehalt“ entsprach in etwa dem des Leipziger Oberbürgermeisters. Zahlenangaben für die 1950er Jahre vgl. Renate Hürtgen, Angestellt im VEB. Die Industrieangestellten in der DDR, Köln 2009, S. 75. 591 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Kader und Bildung, Kadersituation im Büro des Chefarchitekten, 9.7.1976, StadtAL, StVuR (2), 1157, Bl. 28. 592 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Sitzung des Stellenplanaktivs am 13.10.1967, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 105. 593 Zu den Stellenplänen 1969–1972 vgl. StadtAL, StVuR (1), 13856 sowie StVuR (2), 4332.

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Planstellen handelte es sich bei dem Fachorgan weniger um ein Ressort mit eigenem Gestaltungsbereich, sondern vielmehr um ein rein koordinierendes Organ für Freizeitgestaltung, das mit sämtlichen Betrieben aller Leitungsebenen sowie wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen des Territoriums zusammenarbeiten sollte.594 In der Ära Honecker kamen dann vermehrt auch Aufgaben im Bereich Tourismus hinzu. Ferner wurde auch das Amt für Arbeit zum eigenständigen Stadtratsbereich aufgewertet und erhielt eine territorialplanerische Ausrichtung.595 In personeller Hinsicht markiert der Staatsratserlass von 1965 eine einschneidende Zäsur. In diesem Jahr wurden allein zwei Drittel der Stadtratspositionen neu besetzt.596 1958 waren noch 57 Prozent der Ratsmitglieder über ein Studium der Staats-, Gesellschafts- bzw. Rechtswissenschaft oder Pädagogik in ihre Positionen gelangt. Demgegenüber hatten nur 25 Prozent über einen ökonomischen oder ingenieur-technischen Abschluss verfügt. 1965 verkehrten sich diese Verhältnisse in ihr Gegenteil. Nun besaß die Hälfte der Ratsmitglieder einen ökonomischen bzw. ingenieur-technischen Abschluss und nur noch ein Drittel einen der erstgenannten Abschlüsse.597 Zwar wurde bereits seit Ende der 1950er Jahre versucht, die Ratsmitglieder durch Weiterqualifizierungsmaßnahmen auf die Höhe der Anforderungen zu bringen, dies scheiterte jedoch immer wieder an den Belastungs- und Altersgrenzen der Stadträte.598 1965 wurden diese Kader nun ausgewechselt. Mit den neuen Kadern zog ein anderes Berufsverständnis in den Rat der Stadt ein. Allerdings fehlte es diesen Fachspezialisten oftmals an Praxiserfahrungen. Zudem bestanden bis auf das Fachgebiet Örtliche Versorgungswirtschaft keine spezialisierten Ausbildungsmöglichkeiten.599 Dennoch verliehen diese Funktionäre der Verwaltungsarbeit einen neuen sachlicheren Stil. Vor allem stützten sie durch ihr theoretisches Planungswissen den Kurs der SED-Führung, welcher die Kommunen zunehmend von Organen der Massenmobilisierung zu Koordinatoren örtlicher Planungsprozesse werden ließ. Professionalisierungstendenzen zeichneten sich seit 1965 auch in Bezug auf die Bereitstellung von Verwaltungsressourcen ab. War der Stellenplan des Rates zwischen 1961 und 1965 trotz des Aufgabenzuwachses praktisch nicht erhöht worden, stieg dieser in den Jahren 1965 bis 1970 um rund 17 Prozent von 563 auf 675 Stellen an, die nachgeordneten Einrichtungen wie das Büro des Chefarchitek-

594 Vgl. Struktur des äußeren Führungsbereiches Erholungswesen, o. D., SächStAL, 21123, IV/B/2/3/085, unp. 595 Vgl. Ebd.; Scheller, Die regionale Staatsmacht, S. 407. 596 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 9.5.1965, StadtAL, StVuR (1), 20209, Bl. 257; Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 25.10.1965, StadtAL, StVuR (1), 249. 597 Die Berechnungen basieren auf im Stadtarchiv Leipzig erfasste biographischen Angaben der Ratsmitglieder. 598 Vgl. Plan zur weiteren Entwicklung und Qualifizierung des Ratskollektivs und der Mitglieder des Rates der Stadt, 30.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 20095, Bl. 99–107. 599 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Programm des Rates der Stadt Leipzig zur planmäßigen Entwicklung, Ausbildung, Erziehung und Verteilung der leitenden Kader des Rates der Stadt, 19.7.1965, StadtAL, StVuR (1), 17312, Bl. 48–61.

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ten nicht eingerechnet.600 Trotz dieser Lockerungen versuchte die SED-Führung, die lokalen Räte an die Stellenplandisziplin zu binden. Sie erließ am 2. Dezember 1965 eine Anordnung über die Jahreshaushaltsrechnung der Staatsorgane, nach der die Abteilungen für Finanzen in den lokalen Räten Jahreshaushaltsrechnungen an den Ministerrat übergeben mussten, die anschließend von der Finanzrevision des Finanzministeriums geprüft wurden. Ohne diese Prüfung war künftig keine Rechenschaftslegung vor der städtischen Volksvertretung mehr möglich.601 Zwar war es in der Praxis auch weiterhin kein Problem, für Ratsmitglieder Einzelverträge auszuhandeln602, dies geschah jedoch zunehmend zu Lasten geringerer Stellen. Eine zunehmende Lockerung des „Prinzips der strengen Sparsamkeit“ war letztlich der Preis für die Verwissenschaftlichung der Verwaltungsarbeit. Sieht man einmal vom Büro des Chefarchitekten ab, das tatsächlich einen Zugewinn an Gestaltungsmöglichkeiten bedeutete, so liefen die Strukturreformen seit 1965 vergleichsweise schematisch ab. In den Akten des Rates der Stadt finden sich keine mit den Strukturexperimenten der Jahre 1961 bis 1965 vergleichbaren Debatten und Konflikte. Dem Staatsratserlass von 1965 zufolge ging es vor allem um Anpassungen an Strukturveränderungen auf Bezirksebene. Der Staatsratserlass schloss gewissermaßen die Phase der Strukturexperimente ab, korrigierte sie an manchen Stellen und trug in erster Linie zur Konsolidierung der Ratsstruktur bei. Die seit 1961 infolge der Strukturexperimente zentral gewordene Frage der Koordination zwischen den Ebenen aber ließ er offen. Eine Lösung des Problems erhoffte sich die SED-Führung durch die heilsamen Kräfte der auf kybernetischen Annahmen basierenden marxistisch-leninistischen Organisationswissenschaft. Im Rat der Stadt Leipzig wurden deshalb eine Gruppe Wissenschaftliche Leitungstätigkeit sowie eine Gruppe Datenverarbeitung im Verantwortungsbereich des 1. Stellvertreters des Oberbürgermeisters eingerichtet. Mit 30 Planstellen bildete sie das viertgrößte Organ innerhalb des Rates der Stadt, was ihre zentrale Bedeutung unterstreicht.603 4. MIT „EIGENVERANTWORTUNG“ AUS DER KRISE? STABILITÄTSDISKURSE UND MONOLITHISMUS (1967–1989) Die Phase des „real-existierenden Sozialismus“, d. h. die von Utopieverlust geprägten letzten 20 Jahre der DDR, ist aus verwaltungsgeschichtlicher Sicht bislang nicht erforscht. Dies gilt ganz besonders für die beiden in dieser Zeit verabschiedeten Gesetze; das „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe in der 600 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Kaderabteilung, Übersicht vom 17.8.1970, StadtAL, StVuR (2), 4332, Bl. 43 f. 601 Vgl. Anordnung über die Aufstellung, Prüfung und Bestätigung der Jahreshaushaltsrechnung der zentralen Staatsorgane und der örtlichen Räte vom 2. Dezember 1965, in: Gesetzblatt der DDR 1965, Teil III, S. 137–139. 602 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Kader an den 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, 29.6.1966, StadtAL, StVuR (1), 15168, Bl. 144–147. 603 Zu den Stellenplänen vgl. StadtAL, StVuR (1), 13856. Zur institutionellen Struktur des Rates der Stadt Leipzig im zu Jahresbeginn 1971 vgl. Abb. 15 im Anhang, S. 420.

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Deutschen Demokratischen Republik“ vom 12. Juli 1973604 sowie das „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 4. Juli 1985605. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird beiden Texten kaum Bedeutung zugemessen, was ihre Vernachlässigung in der historischen Forschung nicht unwesentlich beeinflusst haben dürfte; nicht zu sprechen davon, dass die 1970er und 1980er Jahre insgesamt noch wenig erforscht sind.606 Das Gesetz von 1973 habe, so der Stand der Forschung, vor allem eine festere Einbindung der Kommunen in die zentralistischen Strukturen bewirkt.607 Dabei vereinheitlichte es die Rechtsverhältnisse gleichgewichteter Gebietseinheiten (Stadtkreise-Landkreise und kreisangehörige Städte-Gemeinden).608 Eine nähere, wenn auch nicht über programmatische Aussagen hinausgehende Regelung erfuhren jedoch die Zweck- und Gemeindeverbände, die nun einen eigenen Verwaltungsrat bilden durften.609 Ein Ministerratsbeschluss vom 13. Juni 1974 über die Bildung und Entwicklung dieser Formen „sozialistischer Gemeinschaftsarbeit“ stellte jedoch sicher, dass sich diese nicht zu eigenständigen Verwaltungseinheiten qualifizieren konnten. Demnach blieb der zu bildende Rat eines Gemeindeverbandes immer an die Volksvertretungen der beteiligten Gebietskörperschaften rückgebunden, indem er nur im Rahmen der jeweiligen Kreisjahrespläne tätig werden durfte und jenen stets rechenschaftspflichtig war. Auch bedurften gemeinsame Standortplanungen und die Erarbeitung eines Verbandshaushaltsplanes immer erst der Beschlüsse der Volksvertretungen mit Zustimmung der Räte. Schließlich musste auch der Rat des Bezirks seine Zustimmung zur Bildung von Gemeindeverbänden geben.610 Auch das letzte 1985 erlassene Gesetz kam kaum über programmatische Aussagen hinaus. Es habe lediglich der Zementierung der staatlichen Ordnung gedient.611 Inhaltlich begrenzte es den Mitwirkungsbereich der örtlichen Verwaltungsbehörden auf „Daseinsvorsorge“ in Form von Anleitungsbefugnissen gegenüber unterstellten Betrieben der örtlichen Versorgungswirtschaft (Dienstleitungen und Reparaturen)

604 Vgl. Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Juli 1973, in: Gesetzblatt der DDR 1973, Teil I, S. 313–335. 605 Vgl. Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 4. Juli 1985, in: Gesetzblatt der DDR 1985, Teil I, S. 213–235. 606 Erste übergreifende Sichtweisen bieten Leonore Ansorg (Hrsg.), „Das Land ist still – noch!“ Herrschaftswandel und politische Gegnerschaft in der DDR (1971–1989), Köln etc. 2009; Andreas Malycha, Die SED in der Ära Honecker. Machtstrukturen, Entscheidungsmechanismen und Konfliktfelder in der Staatspartei 1971 bis 1989, München 2014; Frank Bösch (Hrsg.), Geteilte Geschichte. Ost- und Westdeutschland 1970–2000, Göttingen 2015. 607 Vgl. Bretzinger, Die Kommunalverfassung der DDR, S. 43–45; Hauschild, Die örtliche Verwaltung, S. 104–106. 608 Vgl. Hauschild, Die örtliche Verwaltung, S. 104 f. 609 Vgl. Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Juli 1973, in: Gesetzblatt der DDR 1973, Teil I, S. 333 f. 610 Vgl. Beschluß des Ministerrates über Grundsätze über die Bildung und Entwicklung von Gemeindeverbänden vom 13.6.1974, in: Lothar Steglich / Erwin Jurisch, Zur Arbeit der Gemeindeverbände. Fragen-Antworten, Berlin (Ost) 1980, S. 90–95. 611 Vgl. Bretzinger, Die Kommunalverfassung der DDR, S. 45–47; Hauschild, Die örtliche Verwaltung, S. 118–121.

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sowie durch Kooperation mit nicht-unterstellten Betrieben.612 Auch wenn beide Texte zusammen eher die konventionelle Interpretation der Ära Honecker als Phase der Stagnation und (Re-)Zentralisierung stützen, so lohnt doch ein Blick hinter die Kulissen. Vor allem die intern geführten Debatten schärfen den Blick für die ambivalente Reaktion der SED-Führung und machen Übergänge von der Ära Ulbricht zur Ära Honecker deutlich, die durchaus fließender waren, als die nach außen hin dargestellte Abgrenzung Honeckers von seinem Vorgänger vermuten lässt. 4.1 Vertane Chancen: Das „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 12. Juli 1973 Die Praxis des Dialogs zwischen Kommunen und Vertretern der Zentrale gestaltete sich bis Mitte der 1960er Jahre asymmetrisch. Kommunale Vertreter, insbesondere aus Leipzig, wurden zwar angehört und durften ihre Position in einem begrenzten diskursiven Rahmen verteidigen, in den unmittelbaren Prozess der Gesetzgebung wurden sie aber nicht einbezogen. Dies lag nicht zuletzt daran, dass der eigentliche Fokus der Strukturreformen auf den Bezirken (und Kreisen) lag, deren planerischer Einfluss im Rahmen des NÖS gestärkt wurde. Obwohl das NÖS unlängst abgebrochen worden war bzw. in modifizierter Form (als Ökonomisches System des Sozialismus) ohne weitere Strukturreformen fortgeführt wurde, war der Diskurs um weitere Strukturreformen im Staatsapparat intern nicht verstummt. Im Gegenteil begannen nun interne Evaluationsprozesse, die vor allem kleinere und mittlere Städte als Akteure einbezogen. Neue Impulse gab der VII. Parteitag der SED im April 1967, der den Städten und Gemeinden eine unmittelbare Funktion für die Gestaltung der Lebensqualität der Werktätigen zugedachte. „Die örtlichen Volksvertretungen entscheiden im Rahmen der Gesetze über die Angelegenheiten, die ihr Territorium und seine Bürger betreffen. Es ist dabei der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die örtlichen Staatsorgane im Rahmen des einheitlichen gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses und des sozialistischen Staates auf der Grundlage des Planes eigenverantwortlich wirken.“613

Der hervorgehobene Terminus Eigenverantwortung wurde von Ulbricht allerdings zu keiner Zeit genauer definiert. Der Begriff stellte damit zunächst einen diskursiven Rahmen bereit, den führende Vertreter der ZK-Abteilung Staat und Recht, allen voran deren Leiter Klaus Sorgenicht, und die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften „Walter Ulbricht“ als Diskussionsangebot nutzten. Ulbricht selbst hatte diesen Prozess gestützt, indem er etwa vor den 1. Kreissekretären Brandenburgs dazu aufgerufen hatte, Möglichkeiten der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“, d. h. Formen trans-lokaler Kooperation unterhalb der Kreisebene auf Vertragsbasis (Gemeinde- und Zweckverbände), zu erproben. Aus dieser Konstel612 Vgl. Püttner/Rösler, Gemeinden und Gemeindereform, S. 35–42. 613 Protokoll der Verhandlungen des VII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 95. Hervorhebungen im Original.

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lation heraus begann nun ein Evaluierungsprozess, der durch eine begrenzte Entpolitisierung und einen stärkeren Praxisbezug gekennzeichnet war. Um eine erste Bilanz zur Wirksamkeit „sozialistischer Gemeinschaftsarbeit“ zu ziehen, nahm Klaus Sorgenicht die an den Experimenten beteiligten Bürgermeister am 18. Dezember 1967 zu einer Arbeitsberatung zusammen. Einen unmittelbaren Bezug zur Praxis erhielten die diskutierten Probleme vor allem durch die in den Städten und Gemeinden immer bedrohlicher werdende Versorgungslage. Die vergleichsweise offene Diskussion (Sorgenicht verzichtete auf das übliche, den Rahmen absteckende Referat) ermöglichte es, die Versorgungskrise614 als Koordinationsproblem, und nicht als Folge der überzogenen Planziele Ulbrichts, wahrzunehmen. Insofern hatte die Debatte für die SED-Führung eine entlastende Funktion. Der Krise könne man vor allem durch mehr kommunale Eigenverantwortung entkommen, so die Grundtendenz der Debatte. In diesem Zusammenhang wurde die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ zur Chiffre kommunaler „Mitverantwortung“. Es ging hierbei nicht einfach um die bessere Gewinnung örtlicher Reserven, sondern – und das war das qualitativ Neue – um kommunale Interessenvertretung innerhalb des Systems. Damit verband sich die mittelbare Aufwertung der Interessen der Bürger, d. h. einer zentralen kommunalen Machtressource, zu einer Ressource für die vertikale Planung. Paradigmatisch für die damit verbundene Aufbruchsstimmung unter den Bürgermeistern steht der Beitrag des Bürgermeisters von Altenburg und früheren Sekretärs des Rates der Stadt Leipzig, Frank Grimm. „Das einzige was mich gegenwärtig mit dem Gesundheitswesen verbindet, ist ein freundschaftliches Verhältnis – ähnlich wie bei der Kultur und die Aufgaben, den Ärzten Wohnungen zu besorgen. Wir sind als Volksvertretung und als Rat nicht in der Lage, einzuschätzen, wie der Krankenstand unserer Bevölkerung ist.“615

Demgegenüber müsse das Planangebot „von unten nach oben gehen, auf der Grundlage der zentralen Kennziffern“.616 Für die Beziehungen zwischen den Ebenen sei es zudem notwendig, dass die Kommunen „eigenverantwortlich bestimmen“ könnten, „welchen Zweckverband sie eingehen, weil sie die Interessen der Bevölkerung kennen und weil sie das mit der Bevölkerung besprechen können.“617 Zudem forderten mehrere Bürgermeister, Aufgaben und Ressourcen aus den Bezirken/ Kreisen an die Städte/Gemeinden abzugeben, damit letztgenannte ihre Kapazitäten zur Regelung überörtlicher Probleme zusammenlegen konnten. Die Bezirke/Kreise wären damit zugleich von Aufgaben entlastet worden. In ihren Schlussworten bestärkten Günther Witteck, Stellvertreter des Ministers für Anleitung und Kontrolle der Bezirks- und Kreisräte, und Sorgenicht die Perspektive der Bürgermeister. Ihre Worte lassen sich als Ergebnis eines Lernprozesses deuten, der durch den zunehmenden Praxisbezug innerhalb des NÖS gefördert wurde, sich aber zugleich gegen 614 Vgl. Gerhard Naumann / Eckhard Trümpler, Von Ulbricht zu Honecker. 1970 – ein Krisenjahr der DDR, Berlin 1990. 615 Stenographische Niederschrift der Arbeitsberatung der Abteilung Staats- und Rechtsfragen über die Arbeit der Räte der Städte und Gemeinden im Hause des Zentralkomitees am 18. Dezember 1967, SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/13/123, Bl. 46. 616 Ebd., Bl. 53. 617 Ebd., Bl. 43.

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die verklausulierte Wissenschaftssprache richtete. Witteck etwa betonte, künftig anstelle von „Papierchen“, die „doch nur einen begrenzten Wert haben bei der Mannigfaltigkeit der Struktur unserer Städte und Gemeinden“, den Erfahrungsaustausch mit den Kommunen zu fördern. Es gäbe außerdem zu viele Gesetze, die „solche Hemmschuhe beinhalten und die systematisch ausgeräumt werden müssen.“618 Sorgenicht schließlich betonte, dass die Stabilität des Gesamtsystems davon abhänge, verschiedene Interessen „unter einen Hut“ zu bringen.619 Insofern sollten die Formen „sozialistischer Gemeinschaftsarbeit“ auch als Foren der Interessenabstimmung fungieren – als Erweiterung einer einseitig von den wirtschaftlichen Standorten ausgehenden, die lokalen Besonderheiten aber nicht berücksichtigenden Planung auf Kreisebene. Das Jahr 1968 markiert den Höhe-, zugleich aber auch den Wendepunkt in den Debatten um kommunale Eigenverantwortung. Die „sozialistische“ Verfassung der DDR vom April 1968, an der auch Klaus Sorgenicht federführend mitgewirkt hatte, definierte den Staat in kybernetischer Perspektive als „Gesamtsystem“ und sicherte den Kommunen als „Teilsysteme“ Eigenverantwortung zu. Der Terminus erhielt damit Verfassungsrang, blieb aber weiterhin definitorisch unscharf. Allerdings stellte die Verfassung eine umfassende gesetzliche Regelung der Rechte und Pflichten der Kommunen in Aussicht, über deren Stoßrichtung die SED­Führung allerdings keine offiziellen Aussagen traf.620 So veranstaltete die Akademie der Staats- und Rechtswissenschaften im September 1968 in Potsdam-Babelsberg eine Konferenz zum Thema „Funktion, Rechtsstellung und Arbeitsweise der Organe der Staatsmacht in kreisangehörigen Städten im entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus“, auf der man diese Frage erörtern wollte. Dort diskutierten 180 Funktionäre, unter ihnen nur ein SED-Funktionär, und Wissenschaftler über die Möglichkeiten „sozialistischer Gemeinschaftsarbeit“.621 Unfreiwillige Legitimationshilfe leistete dabei auch die Große Koalition in der Bundesrepublik mit der anstehenden Finanzreform, die eine Neuverteilung der Steuern (nach Bedarf anstatt nach örtlichem Aufkommen) und die Festlegung von Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern zum Ziel hatte.622 Die auf internationale Anerkennung und Abgrenzung vom westdeutschen „Klassenfeind“ bedachte SED-Führung konnte diesen Schritt nutzen, um die „Feindseligkeit“ des Kapitalismus gegenüber den Kommunen zu „entlarven“, sich selbst aber als Förderin der Städte und Gemeinden zu präsentieren. Entsprechend beschäftigte sich eine ganze Sektion mit der Bundesrepublik. 618 Vgl. Ebd., Bl. 113 f. 619 Vgl. Ebd., Bl. 133. 620 Karl Sorgenicht / Klaus Weichelt / Wolfgang Riemann (Hrsg.), Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Dokumente, Kommentar, Bd. 2, Berlin (Ost) 1969, S. 179–206, 365–398. 621 Die Debatten sind abgedruckt in: Gesellschaftliche Funktion der Stadt und Aufgaben der Stadtverordnetenversammlung, 2 Bde., hrsg. v. Deutsche Akademie der Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“, Berlin (Ost) 1969. 622 Vgl. Joachim Samuel Eichhorn, Durch alle Klippen hindurch zum Erfolg. Die Regierungspraxis der ersten Großen Koalition (1966–1969), München 2009, S. 244–272.

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Die anderen Sektionen schlossen aber unmittelbar an die während der Arbeitstagung im Dezember 1967 geführte Debatte um Möglichkeiten kommunaler Interessenvertretung durch „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ an. Die Einzelbeiträge machen deutlich, dass sich die Debatte um kommunale Eigenverantwortung längst von dem konstituierenden Kybernetikdiskurs abgelöst hatte und damit an Eigendynamik gewann. Sie verwandelte sich in einen Deutungskampf um die Stabilität der SED-Herrschaft. Schon zu Beginn hielt eine zentrale These zur Rolle der Städte fest: „Ihre Stabilität dient der Stabilität des gesellschaftlichen Gesamtsystems“, indem vor Ort die „Interessen der Werktätigen“ mit den „gesellschaftlichen Erfordernissen“ in Einklang gebracht würden.623 So standen vor allem die Abstimmungsprobleme zwischen Kommunen und ihnen nicht-unterstellten Betrieben im Mittelpunkt. Dabei kamen auch unmittelbare Defizite der überzentralisierten Steuerung zur Sprache, etwa wenn diese zur Luftverschmutzung führten. Solchen Nebeneffekten könne man vor Ort nur durch „Anpassungsmaßnahmen“ begegnen, beispielsweise durch Verlagerung von Wohnungsbaustandorten oder durch Erschließung von Naherholungsgebieten außerhalb des Stadtzentrums.624 Die Kernforderung der kommunalen Vertreter bestand entsprechend in einer Stärkung der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ durch Einführung von Sanktionsmöglichkeiten bei Nichterfüllung von Verträgen. Dabei machten auch frühere Vertreter eines auf bürgerliche Traditionen zurückgreifenden Verwaltungsrechts, die auf der Babelsberger Konferenz von 1958 abgestraft worden waren, auf die Grenzen der politischen Steuerung durch Anwendung kybernetischer Modelle aufmerksam. Der Leipziger Jurist Karl Bönninger etwa sagte dies in aller Deutlichkeit: „Was bisher nicht gelungen ist und worüber es auch keine rechte Vorstellung gibt, sind kybernetische Modelle und mathematische Modelle.“625 Obwohl die inneren und äußeren Bedingungen der Debatte förderlich waren, bewirkte schließlich ein die Stabilität des gesamten sowjetischen Herrschaftsbereichs infrage stellendes Schlüsselereignis hinter der Ostgrenze der DDR den stillschweigenden Abbruch der Diskussionen. Der „Prager Frühling“, in dessen Schatten die Babelsberger Konferenz bereits stattfand, und die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes der Reformsozialisten um Alexander Dubček führten zum Abbruch sämtlicher Experimente innerhalb der sowjetischen Hemisphäre. Auch in der SEDFührung war die Angst vor „Abweichlern“ in den eigenen Reihen so stark verbreitet626, dass auf der 9. Tagung des ZK der SED im Oktober 1968 sogar der Kybernetikdiskurs in die Nähe „revanchistischer Tendenzen“ gerückt wurde, da dieser 623 Funktion, Rechtsstellung und Arbeitsweise der Organe der Staatsmacht in kreisangehörigen Städten im entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus (Thesen), in: Gesellschaftliche Funktion, Bd.1, hrsg. v. Deutsche Akademie der Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“, S. 59 f. 624 Vgl. Ellenor Oehler, Zur Verantwortung der Stadtverordnetenversammlung für die Sicherung rationellster Nutzung von Naturreichtümern, in: Ebd., Bd. 1, S. 272–275. 625 Vgl. Karl Bönninger, Probleme der Erarbeitung von Leitungsmodellen in Großstädten, in: Ebd., Bd. 2, S. 349. 626 Einen detaillierten Einblick in die Stimmungslage im gesamten sowjetischen Herrschaftsbereich gibt die Quellenedition Stefan Kramer / Natalja Tomilina / Alexander Tschubarjan (Hrsg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr, Bd. 2: Dokumente, Köln etc. 2008.

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dem Selbstlauf Tür und Tor öffne.627 Dabei zeichnete sich bereits der Machtverlust Ulbrichts ab. So suchte man nach einem Statement Ulbrichts in den veröffentlichten Reden zur 9. Tagung vergebens. Stattdessen dominierten nun die Funktionäre, die Ulbricht wenige Jahre später stürzen sollten, allen voran Erich Honecker und Günter Mittag. Mit einem Staatsratserlass vom 16. April 1970 zur „Entwicklung sozialistischer Kommunalpolitik“ versuchte Ulbricht noch einmal, den Diskurs um die Eigenverantwortung der Kommunen in eine politisch genehme Bahn zu lenken, indem er den Wirkungskreis der Kommunen auf territoriale Prognosetätigkeit einschränkte und sie auf die Anwendung organisationswissenschaftlicher Methoden verpflichtete.628 Hier zeigt sich die je nach Kontext formbare Sprache des NÖS/ÖSS, auf die Peter Caldwell bereits in Bezug auf die Rolle von Betrieben verwiesen hat: „Conceiving of the state-socialist economy as a system with subsystems could serve to justify the decentralization of planning in the interest of optimizing the adaptability of the subsystem (i. e., the firm). But it could just as easily serve to justify increasing control over the firm to ensure that it operated within the bounds of the system.“629

Mit Blick auf die Verwaltungsdebatte wurde durch die Wahrnehmung des „Prager Frühlings“ der Schalter zugunsten der zweiten Option umgelegt, Eigenverantwortung galt innerhalb der SED-Führung seither als negativ besetzte Kategorie. Auch bei seinen letzten Auftritten ließ Ulbricht kein Zweifel daran, ohne seinen Kurs aber völlig aufzugeben. Am 21. November 1970 machte er etwa vor der SEDBezirksleitung Leipzig deutlich, dass die „wissenschaftlich-technischen Revolution“ Priorität besäße und man Abstriche am Lebensstandard hinnehmen müsse.630 Solche Worte klangen nicht nur in den Ohren regionaler und lokaler Funktionäre befremdlich, sondern stießen auch den Mitgliedern des Politbüros sauer auf, unter denen Ulbricht zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend isoliert war.631 Im Mai 1971 wurde der greise SED-Chef schließlich durch seinen ehemaligen politischen Ziehsohn Erich Honecker gestürzt.632 Mit Honecker zog zugleich ein neues, von Moskau diktiertes Konzept der Herrschaftsstabilisierung in das Politbüro und die politische Kultur der DDR ein. Nicht mehr Wirtschaftsreformen und Strukturveränderungen, sondern Investitionen in Konsum und soziale Transferleistungen sollten die DDR künftig gegen Prager Ver627 Vgl. insbesondere die Reden von Erich Honecker und Günter Mittag, abgedruckt in: Neues Deutschland vom 27.10.1968, S. 3–5. 628 Vgl. Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik „Die weitere Gestaltung des Systems der Planung und Leitung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, der Versorgung und Betreuung der Bevölkerung in den Bezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden – zur Entwicklung sozialistischer Kommunalpolitik vom 16. April 1970, in: Gesetzblatt der DDR 1970, Teil I, S. 39–62. 629 Caldwell, Dictatorship, S. 159. 630 Vgl. Rede des Genossen Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, auf der Sitzung der Bezirksleitung in Leipzig am 21.11.1970, SAPMO-BArch, DY 30/2118, Bl. 230–262. 631 Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 161. 632 Hierzu sei insbesondere verwiesen auf Kaiser, Machtwechsel, S. 370–454; Jochen Staadt, Walter Ulbrichts letzter Machtkampf, in: Deutschland Archiv 29, 1996, Heft 5, S. 686–700; Jochen Stelkens, Machtwechsel in Ost-Berlin, Der Sturz Walter Ulbrichts 1971, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45, 1997, Heft 4, S. 503–533.

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hältnisse immunisieren.633 Bereits im September 1970 hatte Honecker mit Mehrheit des Politbüros erste zaghafte Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern beschlossen.634 Gerade deshalb aber galt Honecker unter den Anhängern der Babelsberger Konferenz aus mehreren Gründen als Hoffnungsträger. Die Beschlüsse des VIII. Parteitags der SED vom Juni 1971, der den Machtwechsel öffentlich legitimierte, waren durchaus anknüpfungsfähig an die Babelsberger Thesen. So lenkte Honecker in seiner Rede die Aufmerksamkeit auf die wirtschaftlichen und sozialen Missstände in den „großen Städte[n] und Arbeiterzentren“ und versprach eine „weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität“.635 Den Kommunen sagte er die Einlösung des Verfassungsversprechens, eine umfassende Neuregelung ihrer Verantwortung, zu.636 Dies implizierte eine vorsichtige Korrektur des vor Ort kaum rezipierten Staatsratsbeschlusses von 1970, zumal mit Honecker eine neue Sachlichkeit und Realitätsnähe in den politischen Diskurs einzog. Der neue Generalsekretär nutzte den kommunalpolitischen Diskurs der späten 1960er Jahre zum Zwecke der eigenen Machtsicherung und gab vor, ihn in sein Herrschaftskonzept zu integrieren. Allerdings hatte er die Folgewirkungen unterschätzt. Kaum ein halbes Jahr nach dem VIII. Parteitag hatte der Ministerrat bereits einen „Beschluß über weitere Rechte und Pflichten der Räte der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden bei der Versorgung der Bevölkerung“ gefasst, der den Räten der Bezirke einräumte, regionale Versorgungspläne auf Basis der Volkswirtschaftspläne zu erstellen und entsprechende Koordinierungsrechte im Territorium wahrzunehmen. Diesen und den untergeordneten Räten wurde dadurch gewährt, nichtunterstellten Betrieben im Hinblick auf die Bereitstellung von Waren, die Erfüllung der Bezirksversorgungspläne sowie die Koordinierung von Kapazitäten und Arbeitskräften Auflagen zu erteilen, ferner Einspruch bei übergeordneten Behörden gegen Verstöße einzulegen.637 Gleichwohl waren die Babelsberger Debatten hinter den Kulissen noch vielen Funktionären präsent. So kritisierte der Staatsekretär für Staats- und Wirtschaftsrecht beim Ministerrat der DDR, Stephan Supranowitz, unmittelbar nach der Beschlussfassung, dass dieser praktisch nutzlos war, solange keine grundlegende Klarheit über Ziel, Inhalt, Planmethodik und Zeitpunkt der Versorgungsplanung bestand und den örtlichen Räten gegenüber säumigen Betrieben keine wirksamen Sanktionsmöglichkeiten, etwa die Einziehung von Gewin633 Vgl. Christoph Boyer, Zwischen Pfadabhängigkeit und Zäsur. Ost- und westeuropäische Sozialstaaten seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008, S. 103–119. 634 Vgl. Kaiser, Machtwechsel, S. 41 f. 635 Erich Honecker, Zu aktuellen Fragen bei der Verwirklichung der Beschlüsse unseres VIII. Parteitages. Aus dem Schlußwort auf der 4. Tagung des ZK der SED am 16./17. Dezember 1971, Berlin (Ost) 1971, S. 22. 636 Vgl. Erich Honecker, Bericht des Zentralkomitees an den VIII. Parteitag der SED, Berlin (Ost) 1971, S. 66. 637 Vgl. Beschluss über weitere Rechte und Pflichten der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden bei der Versorgung der Bevölkerung vom 8.11.1971, BArch, DC 20/19762, Bl. 1–7.

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nen oder die Einleitung von Ordnungsstrafverfahren, zur Verfügung stünden. Diese mussten in der Praxis bei den übergeordneten und wirtschaftsleitenden Organen erst beantragt werden. So forderte Supranowitz, die Versorgung vor Ort vornehmlich als Organisationsproblem zu betrachten.638 Supranowitz war mit seiner Kritik nicht allein. In der ZK-Abteilung Staat und Recht lag bereits vor Bekanntwerden des Beschlusses vom 8. November ein Positionspapier vor, das das von Honecker auf dem VIII. Parteitag angekündigte Gesetz zur Regelung kommunaler Verantwortung zum Thema hatte. Auch dieses trug die Babelsberger Handschrift. Als Ziele des Gesetzes nannte dieses die Einheitlichkeit der staatlichen Leitung, d. h. die Beseitigung der kaum zu überblickenden Einzelvorschriften, und die Stabilität der Arbeitsweise der örtlichen Organe. Letztgenannter Aspekt umfasste Punkte, wie die Definition des Verantwortungsrahmens, der Beschlussbefugnis, der Entscheidungsrechte, der Aufgabenbereiche, der Kontrollbefugnisse, der Beteiligung untergeordneter Organe, stabiler Finanzierungsquellen, von Koordinationsfunktionen, die Regelung der Zusammenarbeit mit Betrieben, die Ausnutzung territorialer Reserven und die Definition des Aufgabenfeldes „Verbesserung der Arbeits­ und Lebensbedingungen“. Im Wissen um die fehlende Bereitschaft der SED-Führung, solch weitreichende Forderungen umzusetzen, bemühte sich Klaus Sorgenicht um Vermittlung. So bezeichnete er es als das „schwierigste Problem des Gesetzes“, das „erforderliche Maß an Allgemeinheit und Konkretheit zu finden“. Zudem strich er die im Papier formulierte Kritik an den neuen Ordnungen von 1961 (schematische Unterscheidung administrativer Ebenen ohne Berücksichtigung lokaler Eigenheiten) und korrigierte den vorgeschlagenen Zeitraum für die Ausarbeitung des Gesetzestextes von „etwa zwei Jahren“ auf „nicht mehr als zwei Jahre“.639 Dennoch wurde für die Entwurfsarbeiten im Januar 1972 eine Arbeitsgruppe des Ministerrats unter Leitung von Stephan Supranowitz eingesetzt, die im Vergleich zu früheren Gesetzesdebatten eine ausgewogene Beteiligung von Vertretern der Zentrale und der örtlichen Organe zuließ. Auch die fachliche Zusammensetzung der Staatssekretäre (Plankommission, Finanzen, Bauwesen, Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft) sowie die Berücksichtigung ausschließlich südlicher Bezirke, Kreise und Städte lässt ferner erkennen, dass der Schwerpunkt auf Versorgungsfragen, insbesondere in den urbanisierungspolitisch vernachlässigten Territorien lag.640 Der Arbeitsplan der Gruppe knüpfte unmittelbar an die Babelsberger 638 Vgl. Ministerrat der DDR, Staatssekretär für Staats- und Wirtschaftsrecht, Supranowitz, an den 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Horst Sindermann, 10.11.1971, Ebd., Bl. 8–12. 639 Vgl. Vermerk für Genossen Ebert, Zu Problemen der Gesetzgebung für die örtlichen Staatsorgane, 16.7.1971, SAPMO-BArch, DY 30/22312, unp. Die Vorlage war von Wolfgang Weichelt, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim ZK der SED, und Manfred Scheler, Vorsitzender des Rates des Bezirkes Dresden, ausgearbeitet worden. 640 Vgl. Mitglieder der am 22.12.1971 berufenen Arbeitsgruppe des Ministerrates zur Ausarbeitung des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe, o. D., BArch, DC 20/19755, Bl. 127 f. Mitglieder der Arbeitsgruppe waren im Einzelnen: Prof. Dr. Stephan Supranowitz (Staatssekretär für Staats- und Wirtschaftsrecht beim Ministerrat), Richard Müller (Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission), Helmut Sandig (Stellvertreter des Ministers der Finanzen), Dr. Karl Schmiechen (Staatssekre-

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Thesen an und nannte als zentrales Anliegen, die „Fehler von 1965“ zu beseitigen. Infrage gestellt wurde zudem das Prinzip der „doppelten Unterstellung“, wie es anzuwenden sei und ob es für die örtlichen Organe generell oder nur partiell zu gelten habe.641 Die Arbeitsgruppe trat in den ersten drei Monaten ihres Bestehens fünf Mal zusammen, was die Ausmaße des Diskussionsbedarfs erahnen lässt. Thematisch war man dabei breit und offen aufgestellt. So diskutierten insbesondere die Vertreter der Städte die Möglichkeiten einer Territorial- und Siedlungsplanung, welche auch die Ebenen unterhalb der Bezirke einbezog. Ebenso drängten sie auf die Gewährung effektiver Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Kommunen nicht-unterstellten Betrieben und Einrichtungen, mit denen sie zur Kooperation gezwungen waren. Ferner forderten sie die Möglichkeit, Kapazitäten über die administrativen Grenzen hinaus durch Bildung leistungsfähiger Gemeindeverbände zusammenlegen zu können.642 Parallel zu den Diskussionen legte die Arbeitsgruppe im März 1972 neue Strukturentwürfe für die örtlichen Organe vor, in denen sich das Bestreben der Beteiligten nach Entflechtung, Versachlichung und Rationalisierung des Verwaltungsapparates sichtlich niederschlug. Etwa war für alle Ebenen vom Bezirk abwärts die Funktion des Sekretärs nicht mehr vorgesehen. Auch sollten die Ratsbereiche speziell in den Großstädten von 17 auf 14 reduziert werden, indem verwandte Sachgebiete zusammengelegt wurden – etwa die Fachorgane Handel und Versorgung und Örtliche Versorgungswirtschaft oder die Abteilung Erholungswesen mit dem Bereich Wohnungspolitik. Ferner wurde über die Bildung eines Fachorgans für Familienpolitik nachgedacht.643 Am 12. Juni 1972 legte die Arbeitsgruppe einen ersten Gesetzentwurf vor, der bereits eine Woche später im Politbüro verhandelt werden sollte. Hierzu kam es zunächst jedoch nicht. Zu weitreichend waren die Forderungen der Beteiligten. So wurde der Entwurf durch die ZK-Abteilung Staat und Recht in den folgenden drei tär im Ministerium für Bauwesen), Heinz Kuhrig (Staatssekretär im Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft), Fritz Scharfenstein (Leiter der Instrukteurabteilung für die Räte der Bezirke beim 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates), Günther Witteck (stellvertretender Leiter der Abteilung Staats- und Rechtsfragen beim ZK der SED), Erich Grützner (Vorsitzender des Rates des Bezirkes Leipzig), Manfred Scheler (Vorsitzender des Rates des Bezirkes Dresden), Arnold Zimmermann (Vorsitzender des Rates des Bezirkes Suhl), Erhard Müller (Vorsitzender des Rates des Kreises Senftenberg), Günter Lehmann (Vorsitzender des Rates des Kreises Meißen), Werner Herzig (Oberbürgermeister Magdeburg), Thea Hauschild (Oberbürgermeisterin Dessau), Prof. Dr. Hans Dietrich Moschütz (Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft), Prof. Dr. Gerhard Schulze (Deutsche Akademie für Staatsund Rechtswissenschaft), Dr. Uwe-Jens Heuer (Leiter der Abteilung Gesetzgebung der Arbeitsgruppe Staats- und Wirtschaftsrecht beim Ministerrat). 641 Arbeitsplan der Arbeitsgruppe des Ministerrates für die Vorbereitung des Gesetzes zur Regelung der Aufgaben und Befugnisse der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe, Entwurf, 7.1.1972, Ebd., Bl. 137–145. 642 Vgl. Ministerrat der DDR, Staatssekretär für Staats- und Wirtschaftsrecht, Supranowitz, an den 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Sindermann, 10.4.1972, BArch, DC 20/17221, Bl. 1–7. 643 Vgl. Vorschläge der Arbeitsgruppe des Ministerrates zur Vereinfachung der Leitungsstruktur der Räte der Bezirke usw., 13.3.1972, Ebd., Bl. 56–63 (Bezirke), 212 f. (Großstädte).

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Monaten von Formulierungen bereinigt, die im Verdacht standen, den örtlichen Organen allzu große Einflussmöglichkeiten zu gewähren. Erst am 3. Oktober 1972 gelangte der Entwurf ins Politbüro. Noch während dieser Sitzung wurden weitere Korrekturen vorgenommen. Dies betraf etwa Paragraph 18, der den kommunalen Abgeordneten ein aktives Stimmrecht bei der Vorbereitung von Beschlüssen eingeräumt hatte, oder Paragraph 21, der den Abgeordneten unmittelbare Bilanzierungsbefugnisse zuwies. Erstgenannter Paragraph wurde gestrichen, im letztgenannten Fall „Bilanzierung“ durch „Leitung“ ersetzt.644 Gleichwohl erachtete es das ZK der SED als zusätzlich erforderlich, den Parteieinfluss der Bezirks­, Kreis­, Stadt­ und Stadtbezirksleitungen der SED auf die örtlichen Staatsorgane durch einen gesonderten Beschluss zu untermauern, was im ursprünglichen Begründungstext nicht vorgesehen war bzw. ursprünglich sogar vermieden werden sollte.645 Die auf diskursive Integration und faktische Begrenzung kommunaler Mitgestaltung setzende Strategie der SED­Führung spiegelte sich auch in der offiziellen Begründung vor der Volkskammer durch Alfred Neumann wider, der dem Gesetz attestierte, „noch bessere[n] Grundlagen für eine abgestimmte harmonische Entwicklung zwischen Zweigen und Territorien“646 zu schaffen. Honecker war damit zum Gefangenen seiner Legitimationsstrategie geworden. Er musste das Gesetz in den Kategorien des kommunalpolitischen Diskurses der späten 1960er Jahre begründen, obwohl er genau das Gegenteil verfolgte. In der Folge maßen vor allem Kommunalpolitiker und einige Staatsrechtler die Stabilität der SED-Herrschaft nun anhand der in Babelsberg aufgestellten Prämissen. So äußerten sich lokale Funktionäre immer kritischer über die Machtlosigkeit der Räte gegenüber nicht-unterstellten Betrieben und Wirtschaftsfunktionären, die kaum Verständnis für die Verantwortung der örtlichen Organe aufbrächten und bei denen Abgeordnete wenig Anerkennung genossen. Ein wesentlicher Kritikpunkt stellte auch das Prinzip der „doppelten Unterstellung“ dar, das mehrheitlich als Eingriffsrecht übergeordneter Organe wahrgenommen wurde. Zudem wurde das latente Problem der geringen Verdienstmöglichkeiten im Staatsapparat angesprochen, wodurch die Rekrutierung qualifizierter Kader praktisch unmöglich gemacht, einer vermehrten Abwanderung in die Industrie Tür und Tor jedoch geöffnet wurde.647 Die einst als wichtiges Mittel zum Weg aus der Krise diskutierten Formen der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ verkamen so zu einseitigen Instrumenten des Krisenmanagements. Sie wurden nun unter dem Begriff „territoriale Rationalisierung“ zusammengefasst, ein bereits in der späten Ära Ulbricht als Reaktion auf die Babelsberger Diskussionen entwickelter Terminus, der die Wirkungskraft von Kom644 Vgl. Gesetzesentwurf [mit Anstreichungen], o. D. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/1627, Bl. 49–61. 645 ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Stellungnahme zum Gesetzentwurf über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR, 27.9.1972, Ebd., Bl. 25. 646 Vgl. Rede Alfred Neumanns zur Begründung des Gesetzentwurfes über die Ordnungen über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe auf der 7. Tagung der Volkskammer am 14. Dezember 1972, BArch, DC 20/9555, Bl. 10. 647 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Stellungnahme zur Vorlage für das Politbüro der SED, 26.4.1973, SAPMO-BArch, DY 30/22389, unp.

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munal-, Gemeinde- und Zweckverbänden inhaltlich begrenzen sollte.648 Aufgrund der schwachen Verankerung der lokalen Kooperationsformen basierten diese in der Folgezeit überwiegend auf Machtasymmetrie.649 Die Motivation zur „territorialen Rationalisierung“ lag einseitig bei den Kommunen. Die Leipziger Stadtverwaltung etwa war bestrebt, im Rahmen ihrer Konzeption zur „territorialen Rationalisierung“ vor allem die Defizite der städtischen Bau­ und Konsumgüterindustrie durch räumliches Zusammenlegen von Betriebsteilen bzw. verwandten Kapazitäten, Änderung von Unterstellungsverhältnissen und „Rationalisierungshilfen“ von zentralgeleiteten Maschinenbaubetrieben zu kompensieren.650 So entstand 1979 die Kooperationsgemeinschaft „Rationalisierungsmittelbau“, in der 21 Betriebe und Kombinate auf der Basis von Organisationsverträgen gegenseitig Geräte und andere Grundmittel tauschten. Zudem konnten mit 60 Betrieben Maßnahmen zur Unterstützung städtischer Baubetriebe vereinbart werden, etwa indem die Maschinenbaubetriebe VEB S. M. Kirow, VTA und GISAG Schwenkarme für Schuttcontainer, Bauaufzüge, Schweißvorrichtungen, Verladeeinrichtungen, Stahlrohrgerüstbrücken und Kleinsilos bereitstellten, was letztlich aber immer nur einen sehr geringen Teil des Gesamtbedarfs abdecken konnte.651 Ein anders lokales Beispiel ist der „Rationalisierungskomplex Leipzig-Plagwitz“. Hierbei handelte es sich um eine Interessengemeinschaft, bestehend aus Akteuren von Architektur, Verwaltung und Wirtschaft, die bereits seit 1966 vorbereitet wurde und deren Ziel es war, durch räumliche Konzentration und Infrastrukturmaßnahmen Entwicklungsmöglichkeiten für acht „strukturbestimmende“ Betriebe zu schaffen, von denen auch die übrigen etwa 80 kleineren Betriebe in Plagwitz profitieren sollten. Zudem wurden in Leipzig zwischen 1974 und 1981 fünf Rationalisierungskonferenzen veranstaltet, welche der Abstimmung von Betrieben und Stadtverwaltung dienten und an denen zuletzt über 100 ortsansässige Betriebe teilgenommen haben sollen.652 Jedoch rechtfertigte der 648 Geregelt wurde diese Form der Kooperation im Wesentlichen schon durch eine Richtlinie des Ministerrates vom 8. Juli 1970 für die Planung und Finanzierung gemeinsamer Maßnahmen zwischen den Räten der Städte und Gemeinden und den Betrieben und Kombinaten für die Entwicklung sozialistischer Arbeits- und Lebensbedingungen im Territorium, in: Gesetzblatt der DDR 1970, Teil II, S. 463–466. 649 Vgl. Heinz Mestrup, Die Interessengemeinschaft „Territoriale Rationalisierung“ in Jena. Offizielle Netzwerkstrukturen sowie Formen informellen Zusammenwirkens, in: Annette Schuhmann (Hrsg.), Vernetzte Improvisationen. Gesellschaftliche Subsysteme in Ostmitteleuropa und in der DDR, Köln etc. 2008, S. 77–102, hier S. 80. 650 Sekretariat der SED-Stadtleitung Leipzig / Rat der Stadt Leipzig / Sekretariat des Stadtvorstandes des FDGB Leipzig / Stadtausschuss der Nationalen Front Leipzig, Konzeption der territorialen Rationalisierung der Stadt Leipzig 1976–1980, September 1975, SAPMO-BArch, DY 30/22429, unp. 651 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Bericht über das Studium von Erfahrungen der Stadtleitung der SED Leipzig und ihres Sekretariats bei der Führung der staatlichen Arbeit und Entwicklung der politischen Massenarbeit in den städtischen Wohngebieten, 5.10.1979, SAPMO-BArch, DY 30/22303, unp. 652 Vgl. Blaurock, Territorialplanung, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 101–107; Karl-Heinz Blaurock, Leipzigs Industrie und deren Beziehung zum Territorium zu Region und Stadt (1945–1990), in: Karl-Heinz Blaurock / Hubert Schnabel / Peter Zetzsche (Hrsg.), Industrie der Stadt Leipzig 1945–1990. Probleme­Konflikte­Ergebnisse, Schkeuditz 2010, S. 163–165.

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Aufwand kaum das Ergebnis, denn in der Praxis diktierten zumeist die Betriebe die Bedingungen, während die für die Lebensumwelt verantwortlichen Kommunen das Nachsehen hatten. 4.2 Verhinderte Dialoge: Das „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 4. Juli 1985 Klaus Sorgenicht hatte im Verlauf der Debatten am Übergang von der Ära Ulbricht zur Ära Honecker eine ambivalente Rolle gespielt. Zunächst hatte er die praxisorientierten Debatten gefördert, nach dem Machtwechsel war er als Vermittler zwischen den auf Umsetzung des Konzepts der Eigenverantwortung drängenden Kommunen und der ablehnenden Haltung der SED-Führung aufgetreten, schließlich aber wurden unter seiner Regie zahlreiche auf örtliche Eigenverantwortung hindeutende Passagen gestrichen. Im Mai 1978 war er es aber, der die Debatte in moderater Form wieder aufnahm. So bat er Erich Honecker am 18. Mai 1978 um Erlaubnis, die Wirksamkeit des Gesetzes von 1973 analysieren und gegebenenfalls Ergänzungen bzw. Präzisierungen vorlegen zu dürfen, womit sich der Generalsekretär zunächst einverstanden erklärte.653 Einem Gesinnungswandel ist diese überraschende Zustimmung sicherlich nicht zuzuschreiben. Wichtiger dürfte gewesen sein, dass Sorgenicht auf die bevorstehenden Kommunalwahlen im Mai 1979 verwiesen hatte, die angesichts der sich zuspitzenden Versorgungslage vor Ort zu einem politischen Desaster auszuufern drohten. Im Zentrum der von Sorgenicht geforderten Evaluation standen die Paragraphen 4 (Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Staatsorganen und den Betrieben bzw. Genossenschaften des Territoriums) und 20 (Planungstätigkeit des Rates des Bezirkes mit dem Ziel der Übereinstimmung von Zweig- und Territorialentwicklung). Hierzu legte seine Abteilung einen 35-seitigen Problembericht vor, der auf Analysen örtlicher Staatsorgane sowie Erfahrungsaustauschen beruhte und viele der schon 1973 diskutierten Probleme zur Sprache brachte. Dies waren das Fehlen von Sanktionsmöglichkeiten gegenüber nicht-unterstellten Betrieben sowie die Zunahme von Eingriffen übergeordneter Organe, insbesondere im Bauwesen. Hinzu kamen die Probleme der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“, insbesondere das Machtungleichgewicht zwischen Betrieben und Kommunen. Oftmals agierten die örtlichen Räte als Bittsteller, die den Betrieben „Angebotskataloge“ offerierten, aus denen sich die Direktoren die lukrativsten Objekte aussuchen konnten.654 Auf dieser Basis legte Sorgenicht im Dezember 1978 eine Beschlussvorlage für das Sekretariat des ZK vor, die u. a. empfahl, die Autorität und Arbeit der Abgeordneten „aufgrund der vorliegenden praktischen Erfahrungen“ zu fördern und die Aufgaben der örtlichen Staatsorgane im Rahmen der „territorialen Rationalisierung“ zu fixie-

653 Vgl. Klaus Sorgenicht an Erich Honecker, 18.5.1978, SAPMO-BArch, DY 30/22390, unp. 654 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Problembericht über die Beratung am 24.10.1978 zu §§ 4 und 20 des Gesetzes über die örtlichen Staatsorgane, Ebd., unp.

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ren.655 Angesichts des umfangreichen Problemberichtes erschienen diese Forderungen eher zurückhaltend. Diese Strategie war aber geboten, denn Honecker verfolgte die Arbeiten der Abteilung mit Skepsis.656 Am 11. Dezember 1978 lag der Beschlussentwurf auf Honeckers Schreibtisch. Jedoch hatte der Generalsekretär seine lakonische Zustimmung zur Evaluation des Gesetzes zwischenzeitlich wieder revidiert, denn nun vermerkte er auf dem Entwurf nur lapidar: „Was soll dabei herauskommen?“657 Diese schwankende Haltung ist durchaus typisch für Honecker. Sie findet sich ebenso in einem zweiten, zeitlich parallelen Fall. Im Juli 1979 hatte Honecker die von Wirtschaftsfunktionären vehement geforderten Preiserhöhungen eher widerwillig abgesegnet, um das Experiment im Oktober wieder abzubrechen.658 Insgesamt zeigte sich der Generalsekretär am Ende der 1970er Jahre immer beratungsresistenter.659 Umso erstaunlicher ist, dass Honecker selbst auf dem X. Parteitag der SED im Frühjahr 1981 eine „Präzisierung“ des Gesetzes ankündigte, freilich ohne konkreter zu werden.660 Der Grund lag vor allem darin, dass die dahinter stehende Absicht alles andere als populär war. Intern hatte die ZK-Abteilung Staat und Recht schon wenige Monate nach dem Parteitag deutlich gemacht, dass das Reformvorhaben bis 1984 hinauszuzögern und im Vorfeld eine Konzeption zu erstellen sei, die „genügend gegen Tendenzen einer völligen Neufassung des Gesetzes“ absicherte. Auch sollte das Gesetz „nur im unbedingt notwendigen Umfang“ geändert werden, wobei die „Detailorientierung“ zu beseitigen war.661 Sorgenicht machte nun keine Anstalten mehr, eigene Akzente zu setzen. Erst als hinter den Kulissen alles gelaufen war, äußerte sich Honecker offiziell zur Begründung der Gesetzesnovelle, die „eine noch bessere Übereinstimmung zwischen örtlicher Initiative und zentraler staatlicher Leitung“662 gewährleisten würde. Im Ministerrat ließ man gegenüber solchen schwammigen Äußerungen keinen Zweifel, dass das Gesetz vor allem für zentrale Organe eine stabile Rechtsgrundlage über einen längeren Zeitraum bieten und vorrangig einem „dynamischen Leistungs655 Vgl. Vorsitzender des Ministerrates/Sekretär des Staatsrates/ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Entwurf der Vorlage für das Sekretariat des ZK der SED, Erfahrungen und Ergebnisse bei der Durchführung des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe vom 12.7.1973, SAPMO-BArch, DY 30/22391, unp. 656 So missbilligte Honecker das Vorgehen der ZK-Abteilung, indem er auf dem an ihn übergebenen Beschlussentwurf vermerkte: „Zuerst dem PB [= Politbüro, d. V.] unterbreiten. E. H. 11.12.78“. Vgl. Klaus Sorgenicht an Erich Honecker, 11.12.1978, Ebd., unp. 657 Vgl. Ebd. 658 Vgl. Andreas Malycha, Der „Konsumsozialismus“ der Honecker-Ära und der Eklat um die Erhöhung der Verbraucherpreise im Herbst 1979, in: Deutschland Archiv 45, 2012, Heft 2, S. 305–318, S. 309. 659 Vgl. Andreas Malycha, Ungeschminkte Wahrheiten. Ein vertrauliches Gespräch von Gerhard Schürer, Chefplaner der DDR, mit der Stasi über die Wirtschaftspolitik der SED im April 1978, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59, 2011, Heft 2, S. 294. 660 Protokoll des X. Parteitages, Bd. 1, S. 122. 661 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Klaus Heuer, an Klaus Sorgenicht, 25.8.1981, SAPMO-BArch, DY 30/22392, unp. 662 Erich Honecker, Aus dem Bericht des Politbüros an die 9. Tagung des ZK der SED, 22./23. November 1984, Berlin (Ost) 1984, S. 51.

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anstieg“ in den Kombinaten dienen sollte. Eher am Rande fand die „lebensnahere sozialistische Kommunalpolitik“ als Ziel Berücksichtigung, obgleich diese in den 1980er Jahren als eigentliche Innovation des Gesetzes propagandistisch ausgeschlachtet wurde.663 Entsprechend sollte sich auch die Diskussionskultur fundamental von 1972/73 unterscheiden. Nun galt es vorrangig, unliebsame Debatten bereits im Vorfeld zu unterbinden. So setzte die SED-Führung zwar wieder eine Kommission unter Anleitung des Ministerrats ein, die aber ausschließlich der Vorbereitung des Gesetzesentwurfs diente. Geleitet wurde sie vom Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph, der als treuer Gefolgsmann Honeckers galt und den Kontakt zum Generalsekretär sicherstellte. Auch die Zusammensetzung macht das geringe Gewicht der Kommunen und Bezirke deutlich. 26 Vertreter von Ministerien und ZK-Abteilungen traten lediglich zwei Bezirksratsvorsitzenden (Karl-Marx-Stadt und Leipzig), zwei Oberbürgermeistern (Berlin und Karl-Marx-Stadt), zwei Kreisratsvorsitzenden (Staßfurt und Bautzen), einem Bürgermeister (Haldensleben) sowie zwei Staatswissenschaftlern der Akademie der Wissenschaften der DDR gegenüber.664 Ausgewählt wurden die Vertreter der Kommunen und Bezirke nicht mehr nach territorialen Gesichtspunkten, sondern ausschließlich nach wirtschaftspolitischen Schwerpunkten. Eine eigene Stimme besaßen sie jedoch nicht. Sie wurden lediglich im Vorfeld der Kommissionsarbeit um ihre Stellungnahme zu den Grundsätzen gebeten. Die Stellungnahmen machen indes deutlich, dass die Babelsberger Forderungen noch immer den Referenzrahmen darstellten. So verlangte etwa der seit 1974 amtierende Vorsitzende des Rates des Bezirkes Leipzig, Rolf Opitz, eine stärkere Differenzierung der Verantwortung, eine eindeutige Regelung der Aufgaben in den Bereichen Versorgung und innere Sicherheit, Sanktionsmöglichkeiten gegenüber säumigen Betrieben sowie die Berücksichtigung von Einschätzungen der Bezirke im Rahmen der Kommissionsarbeit.665 Letztgenannte sollten nach Auffassung der SED-Führung jedoch nur in Form der aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen einbezogen werden. Auch bei den Vorbereitungen der Kommissionssitzungen, die im kleinen Kreis (Klaus Sorgenicht, Kurt Kleinert, Siegfried Petzold, Klaus Heuer) stattfanden, wurde deutlich, wie wenig Eigengewicht die lokalen Staatsfunktionäre in den Debatten erhalten sollten. Ihnen wurden lediglich „kurze Diskussionsbeiträge“ gewährt. Überhaupt sollten höchstens vier Sitzungen stattfinden. Der Diskussionsrahmen wurde dabei auf wirtschaftspolitische Fragen eingeschränkt: „Der Beitrag der örtlichen Staatsorgane zur Leistungsentwicklung der Volkswirtschaft“, „Fragen der Kommunalpolitik und Leitung der nichtmateriellen Bereiche“, „Erhöhung der Wirksamkeit der Volksvertretungen, der Räte und der Abgeordneten“ sowie „Diskussion des ersten Arbeitsentwurfes des Gesetzes“.666 663 Vgl. Grundsätze und Maßnahmen zur Neufassung des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe, 20.6.1984, BArch, DC 20/I/3/2054, Bl. 2–7. 664 Vgl. Ebd., Bl. 12–14. 665 Vgl. Rat des Bezirkes Leipzig, Rolf Opitz, an die Kommission zur Erarbeitung des Gesetzentwurfes, Kurt Kleinert, 12.6.1984, BArch, DC 20/I/3/2054, Bl. 66 f. 666 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Vermerk über ein Gespräch zwischen den Genossen Sorgenicht, Dr. Kleinert, Prof. Petzold und Prof. Heuer am 31.7.1984, 1.8.1984, SAPMO-BArch, DY 30/22392, unp.

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Auch die Diskussionsinhalte wurden im Vorfeld minutiös abgestimmt; so auch der Beitrag von Rolf Opitz über die „territoriale Rationalisierung“ als „volkswirtschaftlich bedeutsame Methode der Leitung und Planung“ und die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ als „langfristig angelegte Forschungskooperation“ zwischen ortsansässigen Akteuren.667 Einzig der Stellvertreter Sorgenichts, Günter Böhme, wagte es, die inszenierte Kommissionsarbeit zu kritisieren. Er wandte sich freilich nicht an seinen Vorgesetzten, sondern an Egon Krenz, der wesentlich näher am Machtzentrum saß. Böhme verwies darauf, dass sich die Diskussionen „im wesentlichen auf Begründungen der vorgelegten Materialien“ beschränken würden und es „zu keiner Erörterung der vorgelegten Probleme im Sinne von Meinungsaustausch“ käme. Zudem hätten Kommissionsmitglieder, unter anderem auch Stoph, immer wieder darauf gedrängt, „schneller zu endgültigen Gesetzesformulierungen zu kommen“. Aber genau das war beabsichtigt und so vermerkte Krenz lediglich, dass man „nicht endlos diskutieren“ könne.668 In einem weiteren Schreiben an Krenz deutete Böhme Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Gerhard Schürer, und dem Mitglied der Wirtschaftskommission sowie Arbeitsgruppe Zahlungsbilanz und Bundesrepublik im Politbüro der SED, Werner Krolikowski, an. Schürer hatte empfohlen, die Fünfjahrpläne künftig nicht mehr auf der Grundlage lokaler Vorarbeiten, sondern nur noch auf zentraler und bezirklicher Ebene zu beschließen, wobei die Bezirksstädte in den Bezirksplänen gesondert berücksichtigt werden sollten.669 Krolikowski, der diese Ansicht nicht teilte, hatte dagegen versucht, seinen Standpunkt sowohl über Stoph bei Honecker ins Gespräch zu bringen als auch über Krenz in der Abteilung Staats- und Rechtsfragen erörtern zu lassen.670 Die Rechnung der SED-Führung, Diskussionen auf verschiedene Weise implizit zu unterbinden, ging am Ende nicht vollständig auf. Vielmehr mussten Stoph und Krenz bei Böhme und Krolikowski ungewollt direkt eingreifen. Am 11. Februar 1985 lag der „gemeinsame“ Standpunkt der Kommission zur Ausarbeitung des Gesetzentwurfes vor. Dieser enthielt neben den bekannten programmatischen Formulierungen über die Erhöhung der Verantwortung der örtlichen Staatsorgane und Kritiken an den Diskussionsbeiträgen der Minister, die zu sehr aus Sicht ihrer Ressort argumentiert hätten, vor allem Empfehlungen, wie der Einfluss der Kommunen wirkungsvoll zurückgedrängt werden konnte. Die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ war hiervon unmittelbar betroffen. Die Gemeindeverbände sollten nun stärker auf die „Leistungsentwicklung der Volkswirtschaft“ ausgerich667 Vgl. Erste Sitzung der Kommission zur Neuordnung des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe vom 12.9.1984, SAPMO-BArch, DY 30/22393, unp. 668 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Günter Böhme an Egon Krenz, Information über die Sitzung der Kommission zur Neufassung des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen am 19.12.1984, 20.12.1984, Ebd., unp. Nachfolgende Zit. ebd. 669 ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Günter Böhme an Egon Krenz, Einschätzung des 1. Entwurfs des Gesetzes, 8.3.1985, SAPMO-BArch, DY 30/22394, unp. 670 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Günter Böhme an Egon Krenz, Information über die Sitzung der Kommission zur Neufassung des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen am 19.12.1984, 20.12.1984, SAPMO-BArch, DY 30/22393, unp.

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tet und ihre langfristige Institutionalisierung vermieden werden. Auch Kommunalverträge, die in der Praxis offenbar auch als heimliche Druckmittel gegenüber Betrieben genutzt wurden, sollten künftig keinen Zwangscharakter mehr tragen. Dringend benötigte Ressourcen sollten so nicht mehr territorial gebunden werden dürfen. Dagegen waren Maßnahmen, wie die Beschränkung von Bilanzeingriffen übergeordneter Organe (ohne sie jedoch explizit auszuschließen), flexiblere Möglichkeiten der Umverteilung von Volksvertreterfonds sowie das Bestätigungsrecht für Veränderungen in nicht-unterstellten Einrichtungen der sozialen Infrastruktur (etwa bei Öffnungszeiten usw.) eher symbolische Zugeständnisse.671 Damit war die Tätigkeit der Ministerratskommission beendet. Die textlichen Arbeiten wurden ausschließlich von der ZK-Abteilung Staats- und Rechtsfragen in enger Zusammenarbeit mit allen anderen ZK-Abteilungen wahrgenommen und erstreckten sich lediglich auf die Monate März und April 1985. Egon Krenz trat nun als alleiniger Vermittler zwischen Abteilung und Politbüro auf. Er sorgte dafür, dass unliebsame Verbesserungsvorschläge abgewiesen wurden, so etwa der Einwand der seit den 1960er Jahren in zentralen Funktionen der Frauen- und Sozialpolitik aktiven Politbüro-Kandidatin, Ingeburg Lange, die anregte, dass die Bezirke künftig aktive Familien- und Bevölkerungspolitik betreiben sollten.672 Zudem wirkte Krenz direkt auf die Formulierungen des Gesetzestextes ein. So enthielt etwa die Präambel noch den, wenngleich inhaltlich sinnentleerten Begriff Eigenverantwortung. Um aber auch den letzten Rest eines diskursiven Bezugsrahmens auszuräumen, „empfahl“ Krenz, in der Präambel lediglich vom „demokratischen Zentralismus“ als „Grundlage von Planung und Leitung“ zu sprechen und statt der Eigenverantwortung den Begriff „sozialistische Demokratie“ stärker zu betonen.673 Als der für das Politbüro vorbereitete Entwurf vorlag, versuchte der Leipziger Bezirksratsvorsitzende, Rolf Opitz, noch ein letztes Mal einzugreifen und forderte, die Übereinstimmung von Industrie- und Territorialstruktur als wesentliches Ziel des Gesetzes an den Anfang des Textes zu stellen. Er scheiterte aber an Willi Stoph, der Opitz ermahnte, dass es nicht Absicht der abschließenden Diskussion sei, über das hinauszugehen, was die SED beschließt.674 Erich Honecker, der bislang allenfalls passiv in die Vorgänge eingegriffen hatte, ließ sich zur Beschlussfassung im Politbüro lediglich eine „kurze Zusammenfassung der wesentlichen Neuerungen des Gesetzes, der nicht mehr enthaltenen Bestimmungen von 1973 und einen Vergleich zum Gesetz von 1973“ zukommen.675 Zu den Streichungen zählten die Fünfjahrpläne für Stadt- und Landkreise, die Befugnis zur Abänderung von 671 Vgl. ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, an Werner Krolikowski, Standpunkt zu den Hauptrichtungen des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen, 11.2.1985, SAPMOBArch, DY 30/22394, unp. 672 Vgl. Inge Lange, Kandidatin des Politbüros, an Egon Krenz, 22.3.1985, SAPMO-BArch, DY 30/22395, unp. Zur Biographie Ingeburg Langes vgl. Art. ‚Ingeburg Lange‘, in: Buch, Namen und Daten, S. 182. 673 Entwurf des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe, mit handschriftlichen Anmerkungen Egon Krenz, 4.4.1985, SAPMO-BArch, DY 30/22395, unp. 674 Vgl. Zusammengefaßte Diskussion zu den Kapiteln I bis II des Gesetzentwurfes, o. D., BArch, DC 20/4837, Bl. 118. 675 Klaus Sorgenicht an Egon Krenz, 25.4.1985, SAPMO-BArch, DY 30/22396, unp.

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Jahres- und Haushaltsplänen, die Möglichkeit zur Übertragung von Überschüssen in den Grundmittelfonds, die Definition der örtlich geleiteten Industrie sowie die vergleichsweise ausführliche Regelung der Zweck- und Gemeindeverbände. Das Gesetz vom 4. Juli 1985 setzte somit den Schlusspunkt hinter die seit 1967 geführte und bis zuletzt nicht ganz verstummte Debatte um die Eigenverantwortung der Kommunen innerhalb des Planungs- und Leitungssystems. Honeckers Verhältnis zu den Kommunalverwaltungen war, im Gegensatz zu Ulbricht, vorwiegend von Ignoranz geprägt. Der in der Verfassung verankerte Terminus Eigenverantwortung erwies sich für Honecker dabei als schwere Hypothek. Es gelang jedoch nicht, die damit verbundene Debatte um kommunale Interessenvertretung entschlossen zu unterbinden, geschweige denn alternative Konzepte anzubieten. Viel zu sehr war insbesondere die Abteilung Staat und Recht des ZK der SED damit beschäftigt, Überreste der Debatte um den Begriff Eigenverantwortung unter keinen Umständen zu Honecker durchdringen zu lassen. Ihre einstige Vermittlerrolle konnte die Abteilung damit nicht mehr wahrnehmen. Das diskursiv entwickelte Instrumentarium blieb so aber ein zentraler Referenzrahmen für die Wahrnehmung struktureller Defizite. Hieran musste sich die SED­Führung bis zuletzt messen lassen. Sie beschleunigte damit den Prozess der inneren Herrschaftserosion. 4.3 „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“: Der Rat der Stadt Leipzig 1971–1989 Erich Honecker stand für das nach der Erfahrung des „Prager Frühlings“ von Moskau aus verordnete Legitimationskonzept durch Sozial- und Konsumpolitik. Als „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ beschrieben, zeichnete es sich in der DDR zum einen durch die Rückkehr zum System der Wirtschaftsplanung der 1950er Jahre und zum anderen durch eine bisher nicht gekannte Ausweitung der sozialen Transferleistungen aus.676 Freilich war Sozialpolitik im Verständnis der SED kein Selbstzweck, obgleich dies von vielen Bürgern so wahrgenommen wurde. Vielmehr sollte sie der Reproduktion der Arbeitskraft dienen und damit zur Erhöhung der Produktivität beitragen.677 Gleichwohl sollten die sozialpolitischen Maßnahmen nicht zuletzt durch eine deutliche Steigerung der Westexporte, also mithilfe von Devisen, finanziert werden. Damit band sich die SED­Führung aber zunehmend an die globalisierten Märkte, was den ökonomischen Zusammenbruch in den 1980er Jahren, neben den massiv anwachsenden Kosten für Sozialleistungen, zusätzlich beförderte.678 Diese Verschränkung von nationalen Zielen und globalen Verflechtungen hatte auch Rückwirkungen auf den Staatsapparat, der neue Aufgabenfelder wie Umweltschutz und Energiepolitik schaffen und traditionelle 676 Vgl. Malycha, Die SED in der Ära Honecker, S. 178. 677 Vgl. Manfred G. Schmidt, Sozialpolitik der DDR, Wiesbaden 2004; Mark Allinson, More from Less. Ideological Gambling with the Unity of Economic and Social Policy in Honecker’s GDR, in: Central European History 45, 2012, Heft 4, S. 102–127. 678 Vgl. André Steiner, The globalisation process and the Eastern bloc countries in the 1970 s and 1980 s, in: European Review of History 21, 2014, Heft 2, S. 165–181.

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Felder (Arbeitskräftelenkung) ausbauen musste. Wie dieser Steuerungsbedarf administrativ bewältigt wurde und welche Konsequenzen sich für die Kommunen ergaben, ist Gegenstand des letzten Abschnitts. Sozialpolitik: Das Wohnungsbauprogramm und der Verlust von Steuerungskompetenzen Als Kernstück der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ galt der SED-Führung das Wohnungsbauprogramm, mit dem die „Wohnungsfrage als soziale Frage“ gelöst werden sollte. Es sah den Bau und zu einem geringen Teil die Modernisierung von bis zu 3,5 Millionen Wohnungen im Zeitraum von 1976 bis 1990 vor.679 Verwaltungsgeschichtlich betrachtet bewirkte das Programm eine erneute steuerungspolitische Stärkung der Bezirke. Diese wurden für den aus ökonomischen, aber auch ideologischen Gründen präferierten Wohnungsneubau verantwortlich gemacht. Auf sie ließ sich von Ost-Berlin aus schneller zugreifen, Planprobleme konnten so besser erkannt und korrigiert werden. Dies bedeutete für die Bezirke einen erheblichen materiellen Zugewinn. Schon einen Monat nach dem VIII. Parteitag wurde etwa in Leipzig das stadtgeleitete Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat mit dem Hochbaukombinat des Bezirkes zu einem bezirksgeleiteten Baukombinat zusammengelegt.680 In der Stadt verblieben dagegen nur noch Aufgaben in der Modernisierung, im Reparaturbereich und in der Lückenschließung, wobei Maßnahmen im letztgenannten Bereich 300 Wohneinheiten bzw. 15 Millionen Mark Investitionen nicht übersteigen durften. Gleichwohl beschloss der Rat des Bezirks die Bildung eines städtischen Tiefbauamts681, von dem sich der Bezirk aber weniger kommunale Handlungsspielräume, sondern vielmehr eine Beschleunigung der vorbereitenden Erschließungsarbeiten zur Erfüllung seiner Bauaufgaben erhoffte.682 Das städtische Bauwesen wurde damit zunehmend zum Erfüllungsgehilfen des Bezirks. Ferner erhielt das Stadtbauamt durch die Eigenheim-Verordnung vom 24. November 1971, ein erster Vorgeschmack auf das sozialpolitische Programm Honeckers, ein zusätzliches Aufgabenfeld. Diese sah u. a. koordinierende Tätigkeiten bei der Durchführung des Bewerbungsverfahrens, der Bestimmung günstiger Standorte (einschließlich Sicherstellung der erforderlichen Erschließungsmaßnahmen), der Förderung von Eigenleistungen der Bewerber und der Materialbereitstellung vor.683 679 Vgl. Beatrix W. Bouvier, Die DDR – ein Sozialstaat? Sozialpolitik in der Ära Honecker, Bonn 2002, S. 183. 680 Vgl. Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Leipzig am 21.7.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/158, unp. 681 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Verkehr, Straßenwesen und Wasserwirtschaft, Beschlussvorlage zur Bildung eines Tiefbauamtes, 29.3.1972, StadtAL, StVuR (2), 18928, Bl. 89–91. 682 Vgl. Ebd., Bl. 90. 683 Vgl. Verordnung über die Förderung des Baues von Eigenheimen vom 24. November 1971, in: Gesetzblatt der DDR 1971, Teil II, S. 709–712.

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Auch die Strukturveränderungen innerhalb des Bauwesens des Rates der Stadt waren einseitig auf die Bauaufgaben des Bezirks ausgerichtet. 1974 wurde das Stadtbauamt mit einigen Modifikationen reorganisiert.684 Hierzu zählten die Integration des Hauptplanträgers und des Chefarchitekten in die Leitungsstruktur des Stadtbauamtes, was den Zugriff durch den Bezirk ebenfalls erleichtern sollte. Weitere Strukturmaßnahmen ergriff der Rat der Stadt Leipzig in Reaktion auf das am 30. August 1977 vom Politbüro eigens für die Stadt Leipzig beschlossene Wohnungsbauprogramm. Dabei enthielt dieses gar nicht so viel Neues, wie es vorgab. Es setzte lediglich das Bauvolumen der Stadt Leipzig auf 93.000 bis 95.000 Neubauwohnungen und 44.500 bis 52.500 modernisierte Altbauwohnungen fest.685 Da der Beschluss ansonsten aber vor allem die Verantwortlichkeiten der Minister regelte, organisatorische Maßnahmen aber gänzlich offen ließ, überließ man den städtischen Behörden, entsprechende Schritte selbst einzuleiten. Der Rat reagierte, wie so oft in der Vergangenheit, mit der Anhebung von Stellenplänen, was weniger als Ausdruck einer mentalen Prägung, sondern vielmehr begrenzter Handlungsspielräume zu deuten ist. Zunächst erhielten die Bauämter und nachgeordneten Einrichtungen der Stadtbezirke neue Stellen. In Stadtbezirken mit besonders maroder Bausubstanz (Nordost, West, Süd und Südwest) wurden zudem Planstellen für Bauingenieure zur Koordination des Eigenheimbaus, der Instandsetzungen sowie zur Erstellung von Bauzustandsanalysen geschaffen. Überdies sollte in Grünau, dem zweitgrößten Wohngebiet hinter Berlin-Marzahn, eine Außenstelle des Rates des Stadtbezirkes West eingerichtet werden. Ferner forderte der Rat die Aufwertung des Leiters der Arbeitsgruppe Baufreiheit.686 Das chronische Ressourcendefizit ließ sich durch zusätzliches Personal aber nicht beheben. Dem städtischen Tiefbaubetrieb fehlte es trotz zwischenzeitlicher Angliederung des VEB Asphaltierung687 weiterhin an Baustellenausrüstung.688 Auch bei der Anlage von Grünflächen stieß die Stadtverwaltung an nicht­beeinflussbare Grenzen. So hatte etwa das im Zuge der internationalen Ölkrise forcierte Kohleprogramm und die Forderungen verschiedener anderer Planträger zu einer erheblichen Verringerung von Grünanlagen geführt, mit deren Sanierung die Stadtverwaltung zusätzlich beschäftigt war. Reagieren konnte die Stadt nur mit der Bildung eines Gartenamtes im Juli 1979, dessen Direktor zugleich als Stellvertreter des Stadtbaudirektors für Tiefbau und Stadtgrün agierte.689

684 Zu institutionellen Struktur des Stadtbauamtes im Jahre 1976 vgl. StadtAL, StVuR (2), 4332, Bl. 64. 685 Vgl. Beschluss zur weiteren Durchführung des Wohnungsbauprogramms in der Stadt Leipzig im Fünfjahrplanzeitraum 1976 bis 1980 und bis 1990, DY 30/J IV 2/2A/2099, Bl. 14–20. 686 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, 1. Stellvertreter, an den Rat des Bezirkes Leipzig, 1. Stellvertreter, 10.4.1978, StadtAL, StVuR, 985, Bl. 41–55. 687 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbaudirektor, Beschlussvorlage zur Angliederung des VEB Asphaltierung an den VEB Städtischer Tiefbau, 23.11.1977, StadtAL, StVuR (2), 19137, Bl. 105–106. 688 Vgl. exempl. Konzeption zur Leistungs- und Effektivitätsentwicklung des VEB Städtischer Tiefbau Leipzig bis 1990, StadtAL, StVuR (2), 20900, Bl. 53. 689 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage zur Bildung eines Gartenamtes als nachgeordnete Einrichtung beim Stadtbauamt, 29.7.1979, StadtAL, StVuR, 19203, Bl. 117–119.

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Die sich mit dem Wohnungsbauprogramm verbindende Stellenplanpolitik hatte unmittelbar nachteilige Auswirkungen auf andere Fachorgane des Rates der Stadt. In den 1980er Jahren wurden sogar Aufgabenbereiche des Bauwesens auf die Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft verlagert. Dem VEB Gebäudewirtschaft etwa wurde 1984 die Verantwortung für die Vorbereitung und Planung des städtischen Wohnungsbaus (Modernisierung) übertragen, obgleich dieser lediglich für kleinere Reparaturaufträge zuständig war.690 Die Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft musste für diese Maßnahme Einsparungen in ihrem Verantwortungsbereich vornehmen, was vor allem die Gewerberaumpolitik betraf.691 Dies führte nicht nur zur Arbeitsunfähigkeit der Abteilung auf ihrem eigentlichen Gebiet, sondern lancierte eine Praxis, nach der die Mitarbeiter der Gewerberaumpolitik Anträge auf Genehmigung von Gewerberaum immer häufiger an die Stadtplankommission weitergaben, sodass zwischen dieser und dem städtischen Wohnungsamt bald massive Kompetenzstreitigkeiten entstanden. So entschied sich der Rat der Stadt 1986, den Arbeitsbereich Gewerberaumpolitik notgedrungen an die Stadtplankommission abzugeben.692 Dennoch versuchte der Rat der Stadt in den 1970er und 1980er Jahren zunehmend, Formen der kommunalen Interessenvertretung als Gegengewicht zur Dominanz des Bezirkes zu etablieren. Diese basierten aufgrund fehlender rechtlicher Möglichkeiten freilich nicht auf wirksamen Verträgen, sondern auf Freiwilligkeit und Informalität. Ähnlich wie Formen „territorialer Rationalisierung“ fungierten sie als Foren des Krisenmanagements. Bereits 1974 richtete der Rat der Stadt einen Stadtratsbereich für das Wohnungsbauvorhaben Grünau ein, dem ein Aufbaustab zur Koordination der städtischen Aufgaben innerhalb des Siedlungsprojektes zur Seite stand.693 Dieser bestand aus einer Abteilung Kommunalpolitik (zur Sicherstellung von Versorgungs- und Betreuungsaufgaben), einer städtebaulichen Planungsgruppe sowie einem Hauptauftraggeber Grünau zur Koordinierung der Investitionen zwischen den Planträgern.694 Als Stadtrat agierte der Leiter des Hauptauftraggebers (HAG) im Stadtbauamt in Personalunion, was die direkte Anbindung an das städtische Bauwesen sicherstellte. Der Stadtratsbereich Grünau wurde aber bereits zum 30. Juni 1976 wieder aufgelöst, denn die Planstellen mussten kurzzeitig zur Bildung eines zeitweiligen Fachorgans für die Vorbereitung des VI. Turn- und Sportfestes umgewidmet werden.695 Aufgaben des städtischen Aufbaustabes Grünau wurden somit anteilig an das Bezirksbauamt (Abteilung Kommunalpolitik), an 690 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Hausmitteilung an die Stadtplankommission, o. D., StadtAL, StVuR (2), 17897, Bl. 114 f. 691 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Kader und Bildung, Entwicklung des Arbeitsbereiches Gewerberaumpolitik in der Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft beim Rat der Stadt Leipzig 1976 bis 1986, StadtAL, StVuR, 25233, Bl. 10 f. 692 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtplankommission, an den 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, 26.11.1986, Ebd., Bl. 9. 693 Vgl. Verantwortungsbereiche des Rates der Stadt Leipzig (auf Grundlage des Ministerratsbeschlusses vom 28.2.1974), StadtAL, StVuR, 19012, Bl. 12. 694 Rat der Stadt Leipzig, Beschluss zur Überleitung der Aufgaben und Verantwortung des Aufbaustabes Grünau, 4.2.1976, StadtAL, StVuR, 19080, Bl. 104. 695 Vgl. Stellenplan des Rates der Stadt Leipzig per 1.1.1976 (mit handschriftlichen Korrekturen),

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den HAG-Bezirk (Hauptauftraggeber Grünau) sowie an das Büro des Chefarchitekten der Stadt Leipzig (städtebauliche Planungsgruppe) abgegeben.696 Die bereits erwähnte Außenstelle des Rates des Stadtbezirkes West für die Siedlung Grünau wurde ebenso als außerplanmäßige Behörde in der zweiten Hälfte des Jahres 1978 geschaffen. Mit 14 Planstellen ausgestattet, sollte sie alle wichtigen Versorgungsaufgaben wahrnehmen (u. a. Ordnung und Sicherheit, Wohnungspolitik, Wohnraumlenkung, Sozialfürsorge, Jugendfürsorge, Finanzen, Freiflächengestaltung, örtliche Versorgungswirtschaft, Handel und Versorgung).697 Parallel dazu bildete der Rat der Stadt eine Koordinierungsgruppe Ostvorstadt im Verantwortungsbereich des Oberbürgermeisters zur Koordinierung und Kontrolle der im Politbürobeschluss vom 30. August 1977 festgelegten Modernisierungsmaßnahmen. Inhaltlich umfasste ihr Zuständigkeitsbereich die Einflussnahme auf termin­ und plangerechte Abläufe, die Durchführung von Umgestaltungsmaßnahmen, volkswirtschaftliche Masseninitiative, die Sicherheit im Baugebiet, Eingabenbearbeitung, Berichterstattung, Unterstützung der Fachorgane des Rates, Kontrolle der Baufreiheit, die Sicherung des Informationsflusses und Öffentlichkeitsarbeit.698 Nicht alle dieser flexiblen Koordinationsforen entstanden auf Initiative der Stadt. Sie konnten genauso gut auf Beschluss übergeordneter Behörden geschaffen werden, um den Bezirk von Aufgaben zu entlasten. So beschlossen die SEDBezirksleitung und der Rat des Bezirkes 1979, die Aufbauleitung Grünau beim Rat der Stadt zu reaktivieren, um den Bezirk von Koordinierungs- und Kontrollaufgaben zu entlasten. Hierfür musste die Stadt die Hälfte der Planstellen der Außenstelle Grünau des Stadtbezirkes West umwidmen. Initiativen der Stadt, koordinierende Organe durch Eingliederung in die Ratsstruktur stärker an die Interessen der Stadt zu binden, scheiterten dagegen häufig am fehlenden Interesse des Bezirks. So hatte die Stadt den Aufbaustab Grünau im Mai 1981 zum Stellvertreterbereich für Neubaugebiete aufgewertet, der in Personalunion vom Leiter der Koordinierungsgruppe Ostvorstadt gesteuert wurde. Dies verursachte aber bald Konflikte mit dem Rat des Stadtbezirkes West, der sich mehrfach beim Bezirk beschwert hatte, dass die Versorgungs- und Betreuungsaufgaben mit zunehmendem baulichen Fortschritt und Einzug der Mieter anwuchsen und man deshalb dringend auf Verstärkung angewiesen sei. Daher gab die Stadt die Planstellen 1981 wieder an den Stadtbezirk zurück und erklärte den Stellvertreterbereich für Neubaugebiete unverhofft für überflüssig. Parallel wurde die Koordinierungsgruppe Ostvorstadt aufgelöst.699

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StadtAL, StVuR, 25219, Bl. 3; Stellenplanüberwachungslisten und -übersichten des Rates der Stadt Leipzig 1977, StadtAL, StVuR, 25236, Bl. 25–27. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschluss zur Überleitung der Aufgaben und Verantwortung des Aufbaustabes Grünau, 4.2.1976, StadtAL, StVuR, 19080dies, Bl. 106. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage zur Bildung des Ratsbereiches für das Wohngebiet Grünau beim Rat des Stadtbezirkes West, 26.4.1978, StadtAL, StVuR, 19153, Bl. 58–62. Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage zur Bildung einer Koordinierungsgruppe Ostvorstadt, 26.4.1978, StadtAL, StVuR, 19153, Bl. 90–94. Vgl. Rat des Stadtbezirkes West, 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters, an den Rat des Bezirkes, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden, Übersicht über die erforderlichen Planstellen für die Aufgabenstellung durch das Neubaugebiet Grünau, 10.11.1980, StadtAL, StVuR, 25251, Bl. 100; Gegenüberstellung der Stellenpläne des Rates der Stadt Leipzig 1980 und

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Steuerungsmöglichkeiten bestanden für den Rat der Stadt in den 1970er und 1980er Jahren im Bereich Bauwesen kaum noch. Das Wohnungsbauprogramm begünstigte einseitig den Bezirk, dessen Funktionäre koordinierende Aufgaben jederzeit an die Stadt ohne Rücksicht auf die Folgen abgeben konnten. Das städtische Bauwesen wurde so immer stärker in die Rolle des Krisenmanagers abgedrängt. Diese Funktion hatte es zwar schon in den 1950er und 1960er Jahren ausgefüllt, Bezirk und Zentrale waren aber immer Verhandlungspartner geblieben. Diese Option schwand nun unter dem Druck des Wohnungsbauprogramms. Wirtschaftspolitik: Umweltschutz, Energie und Arbeitskräftelenkung Das Wohnungsbauprogramm begrenzte den Handlungsspielraum der Kommune wieder stärker auf die „Ausschöpfung örtlicher Reserven“, was vor allem auch Verwaltungsressourcen meinte. Ähnliche Tendenzen lassen sich in rein wirtschaftspolitischen Ressorts beobachten. Steuerungsbedarf ergab sich in diesem Bereich vor allem aus der zunehmenden internationalen Verflechtung der DDR. Schon in den späten 1960er Jahren waren etwa Fragen des Umweltschutzes infolge der starken Schwefeldioxidbelastung durch die Industrie auf die Agenda des Politbüros gerückt. Das 1970 beschlossene Landeskulturgesetz stellte im internationalen Vergleich eine durchaus beachtliche gesetzliche Grundlage dar, stand innerhalb der DDR aber quer zu der auf extensives Wachstum setzenden Wirtschaftspolitik der SED. So wurde am 1. Januar 1972 das Ministerium für Umwelt als Querschnittsministerium gegründet.700 Die Wirtschaftsentwicklung behielt aber stets Vorrang, was sich auch in der faktischen Unterstellung des Ministeriums unter das von Günter Mittag geleitete Wirtschaftssekretariat des ZK der SED widerspiegelt.701 Obwohl das Ministerium schwach blieb, erhielt es infolge der Aufnahme der DDR in die UNO als „Vehikel für die internationale Anerkennung“702 bald auch eine besondere außenpolitische Symbolfunktion im Kontext der beginnenden internationalen Umweltdebatte. Die schwache Verankerung des Umweltschutzes spiegelt sich auch auf regionaler und lokaler Ebene wider. Bereits am 25. August 1972 hatte der Rat des Bezirkes Leipzig selbst Maßnahmen zur Wahrung einer „einheitlichen Leitungslinie vom Ministerrat bis zu den Räten der Kreise“ ergriffen und die Bildung einer Abteilung Umweltschutz und Wasserwirtschaft im Funktionsbereich des Stellvertreters für Verkehr, Straßenwesen und Wasserwirtschaft verfügt. Im selben Atemzug aber verlagerte der Rat des Bezirkes strukturbestimmende Bereiche, von denen der Großteil der Schadstoffbelastung ausging, in andere Fachorgane, sodass diese dem Zugriff der Abteilung Umweltschutz und Wasserwirtschaft entzogen wurden. So erhielt die 1981, StadtAL, StVuR, 25220, Bl. 2–14; Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage zur Auflösung des Ratsbereiches Neubaugebiete und die sich daraus ergebende Aufgabenübertragung, 18.7.1981, StadtAL, StVuR, 20707, Bl. 66–70. 700 Vgl. Tobias Huff, Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR, Göttingen 2015, S. 171–175. 701 Vgl. Ebd., S. 179. 702 Vgl. Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen, S. 339.

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Bezirksplankommission die Verantwortung für Bergbau und Wismut übertragen, während Regierungsaufträge in den Zuständigkeitsbereich des Bezirkswirtschaftsrats übergingen. Ferner wurde die Arbeitsgruppe Energie von der Bezirksplankommission in die Abteilung für Inneres verschoben.703 Für den Rat der Stadt wurde die Bildung einer Abteilung Umweltschutz und Wasserwirtschaft, die vom Fachorgan Verkehr und Straßenwesen getrennt wurde, mit einem Ministerratsbeschluss vom 28. Februar 1974704 verbindlich. Der neu geschaffene Stadtratsbereich Umweltschutz und Wasserwirtschaft konzentrierte seine Tätigkeit ähnlich global wie das Ministerium auf landeskulturelle Fragen, sonst aber auf die Zusammenarbeit mit Kleingärtnern und Kleintierzüchtern.705 Auf Stadtbezirksebene wurde das Ressort ferner in die Abteilungen Örtliche Versorgungswirtschaft eingegliedert und damit auf einen engen Bereich begrenzt. Steuerungsbedarf löste auch die Ölkrise von 1973 aus, mit der sich für die DDR die Verteuerung des sowjetischen Öls und der Rückgang von Lieferungen aus der Sowjetunion (auch infolge des Afghanistankrieges) ergaben. Da die SED sowjetisches Öl zudem eher in den Westen verkaufte, um zusätzliche Devisen zu erwirtschaften, musste man notgedrungen die Gewinnung alternativer Energieträger im eigenen Land bzw. den Rohstoffimport aus Drittländern intensivieren.706 Vor allem Leipzig besaß im südlichen Stadtrand reichhaltige Braunkohlevorkommen, deren Abbau nun forciert werden sollte.707 Bereits 1972 hatte die SED das 1958 aufgelöste Ministerium für Kohle und Energie wiedergegründet.708 Ende 1978 wurden auch die Räte der Bezirke und Städte stärker in die Energiepolitik der SED eingebunden. Bis dahin hatte es lediglich einen Energiebeauftragten in der Stadtplankommission gegeben. Nun sollte das Aufgabengebiet per Beschluss vom 12. Dezember 1978, allerdings mit lediglich zwei Planstellen, in den Verantwortungsbereich des Stadtrates für Verkehrs- und Nachrichtenwesen übergehen. Ferner wurde in diesem Ratsbereich ein Büro für Energiewirtschaft als nachgeordnete Einrichtung geschaffen, das vor allem konzeptionelle Arbeiten ausführte. In den Stadtbezirken wurden im selben Atemzuge die Aufgabenbereiche Umweltschutz und Wasserwirtschaft aus den Fachorganen für Örtliche Versorgungswirtschaft herausgelöst und mit den neu 703 Vgl. Rat des Bezirkes Leipzig, Erich Grützner, an alle Räte der Kreise, 11.10.1972, SächsStAL, 20237, 24330, unp. 704 Beschluß über die Zusammensetzung der Räte der örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. Februar 1974, BArch, DC 20/I/4/3023, Bl. 79–84. 705 Zu diesen und allen nachfolgenden dargestellten Strukturveränderungen im Rat der Stadt Leipzig im Jahre 1974 vgl. Verantwortungsbereiche des Rates der Stadt Leipzig (auf Grundlage des Ministerratsbeschlusses vom 28.2.1974, StadtAL, StVuR, 19012, Bl. 9–12. 706 Insbesondere zum letztgenannten Aspekt vgl. Brigitte H. Schulz, Die zwei deutschen Staaten und das subsaharische Afrika, in: Bernd Greiner / Christian Th. Müller (Hrsg.), Ökonomie im Kalten Krieg, Bonn 2010, S. 163–180, hier S. 173. 707 Vgl. Dierk Hoffmann, Ölpreisschock und Utopieverlust. Getrennte Krisenwahrnehmung und -bewältigung, in: Udo Wengst / Hermann Wentker (Hrsg.), Das doppelte Deutschland. 40 Jahre Systemkonkurrenz, Berlin 2008, S. 230. 708 Vgl. Beschluß zur Änderung des Beschlusses des Ministerrates vom 28. Februar 1974 über die Zusammensetzung der Räte der örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Dezember 1978, BArch, DC 20/I/4/1545, Bl. 108–125.

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II. Verwaltung im SED-Staat

aufgenommenen Sektoren Energie und Verkehrswesen zu einem Stadtratsbereich Verkehrswesen, Energie, Umweltschutz und Wasserwirtschaft zusammengelegt.709 Freilich erschwerte die Anleitung der Abteilungen durch zwei getrennte Behörden im Rat der Stadt eine koordinierte Arbeit in den Stadtbezirken. Mehr aber noch entstand zwischen Energiewesen und Verkehrswirtschaft ein Konkurrenzverhältnis, was sich vor allem zulasten des letztgenannten Resorts auswirkte. So musste etwa der Winterdienst häufig zurückgestellt oder notdürftig auf andere Ressorts verteilt werden.710 Mit einem weiteren Beschluss des Ministerrates vom 30. Januar 1986711 wurde die Abteilung Energie, Verkehrs- und Nachrichtenwesen im Rat der Stadt in zwei eigenständige Ratsabteilungen Energie sowie Verkehrs- und Nachrichtenwesen aufgegliedert, was auf die diffuse Konstruktion in den Stadtbezirken aber keine Auswirkung hatte. Ferner sah der Ministerratsbeschluss vor, die Abteilung Erholungswesen in den Bereich Umweltschutz und Wasserwirtschaft einzugliedern, was aufgrund der hohen touristischen Aufgaben in Leipzig aber nicht vollzogen wurde.712 Die ungebrochen auf extensives Wachstum setzende Wirtschaftspolitik ging mit einem stetig steigenden Arbeitskräftebedarf einher. Die Nachfrage der Betriebe sollte deshalb nun stärker vor Ort bedient werden. Für die Leipziger Stadtverwaltung verband sich damit die Herauslösung des Amtes für Arbeit aus der Stadtplankommission und die Aufwertung des Amtsdirektors zum Ratsmitglied. Die Abteilung Berufsbildung und Berufsberatung verblieb dagegen in der Stadtplankommission. 1983 wurde zudem der Bereich Erfassung und Arbeitskräftelenkung (EAL) aus der Struktur des Amtes für Arbeit herausgelöst und zu einer nachgeordneten Dienstleistungseinrichtung des Rates mit aufgestocktem Stellenplan umstrukturiert. Die einzige Aufgabe der EAL bestand in der Erarbeitung einer Arbeitskräftekartei. Da sie sich aber als ineffektiv erwies, wurde sie 1985 bereits wieder in das Amt für Arbeit eingegliedert, dabei jedoch um die Hälfte ihrer Planstellen gekürzt, um den Aufbau eines Bürgerberatungszentrums für Arbeitssuchende zu gewährleisten. Indes stieg die Nachfrage ortsansässiger Betriebe nach Arbeitskräften unaufhaltsam an, von etwa 67.000 im Jahre 1982 auf etwa 280.000 im Jahre 1986. Deshalb sollten bislang unberücksichtigte Bevölkerungsgruppen, wie Schüler, Rentner, private Gewerbetreibende und deren Familienangehörige und sogar Beschäftigte der evangelischen Kirche, in die Kartei aufgenommen werden.713 Die Arbeitskräftepolitik der DDR war damit kurz vor ihrem Ende an die Grenze ihrer Möglichkeiten gekommen. 709 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Nord, Abt. Finanzen, Aktennotiz zum Lohnfonds des Staatsapparats, 21.4.1980, StadtAL, SB Nord, 965, Bd. 2, Bl. 33. 710 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Ulrich Lehmann, Struktur- und Stellenplan der Fachabteilungen Verkehr, Energie, Umweltschutz und Wasserwirtschaft der Räte der Stadtbezirke, 30.4.1987, StadtAL, StVuR 25230, Bl. 93 f. 711 Vgl. Ministerrat der DDR, Beschluß über die Zusammensetzung der örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 30. Januar 1986, BArch, DC 20/I/3/2272, Bl. 164–172. 712 Vgl. Organisationsstruktur des Rates der Stadt (auf Grundlage des Ministerratsbeschlusses vom 30.1.1986), StadtAL, StVuR, 25229, Bl. 44 f. 713 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Direktor des Amtes für Arbeit, Utta Gießner, an den 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Joachim Schilling, 12.1.1987, StadtAL, StVuR, 25230, Bl. 95–97.

4. Mit „Eigenverantwortung“ aus der Krise?

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Verlust kommunaler Mitwirkungsmöglichkeiten: Eine Bilanz der Ära Honecker Die Erfahrung des „Prager Frühlings“ hatte in der DDR nicht nur zum Abbruch der Wirtschaftsreformen und zur Etablierung eines neuen Legitimationskonzepts durch den Ausbau der Konsummöglichkeiten und sozialer Transferleistungen geführt, sondern auch das kurzzeitig offene Fenster zur Stärkung kommunaler Mitverantwortung wieder geschlossen. Dabei hatte die von kommunaler Seite als Aufgabenbereich eingeforderte Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen im Grunde einiges mit Honeckers Konzept „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ gemein. Vielleicht wurde deshalb der Bruch zwischen Zentrum und kommunaler Sphäre eher schleichend vollzogen und spiegelte sich nicht in der Etablierung eines grundlegend neuen Diskurses bzw. in der Revision kommunaler Strukturen wider. Vielmehr bestanden diese fort714 und auch das seit Mitte der 1960er Jahre in Leitungspositionen des Rates der Stadt gelangte Fachpersonal behielt seine Posten. Diese Ratsmitglieder waren nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Arbeitsbereiche zunehmend durch die Stärkung des Bezirks bzw. das Hinzukommen neuer hoheitlicher Aufgaben ausgehöhlt wurden. Aus Sicht der SED-Führung sollten die Kommunen wieder in den Stand der 1950er Jahre zurückversetzt werden, als die „Ausschöpfung örtlicher Reserven“ den Kern kommunalen Handelns ausgemacht hatte. Der revolutionäre Impetus der Massenmobilisierung war in der Herrschaftspraxis vor Ort allerdings schon lang verschwunden. Die Diskurserweiterung in den 1960er Jahren hatte das Bedürfnis nach einer pragmatischeren Kommunalpolitik genährt. Ressourcenallokation war nicht mehr vorrangig ein politisches, sondern ein technokratisches Problem. Dies implizierte auch ein gewisses Maß an Mitwirkung auf der vertikalen Ebene, wenngleich diese stets konfliktträchtig verlief und mit zahlreichen Misserfolgen verbunden war. In seinen Erinnerungen charakterisierte der Vorsitzende der Stadtplankommission, Karl-Heinz Blaurock, sein Aufgabenfeld und seine Erfahrungen insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren wie folgt: Die Arbeit seiner Abteilung habe sich erstreckt auf die „gesamte Analyse und Entwicklung der sozialen und technischen Infrastruktur. […] In der Zuarbeit des Bezirkes zum Generalschema wurden vorhandene Disproportionen offen benannt, fanden jedoch nur eine ungenügende Beachtung.“715 Dieses Beispiel illustriert sehr deutlich das technokratische, sich für das Lokale verantwortlich fühlende und deshalb auch auf vertikale Mitwirkung bedachte Selbstverständnis eines kommunalen Funktionärs, der während des NÖS im Rat der Stadt Leipzig Verantwortung übernommen hatte. In der Ära Honecker war das damit verbundene spezifische lokale Wissen jedoch immer weniger gefragt. Es war weniger der Verlust kommunaler Autonomie, sondern die Ambivalenz von Kontinuität und Wandel, die die Ära Honecker auf kommunalpolitischer Ebene charakterisierte und vieles zur Herrschaftserosion am unteren Ende des Staatsapparates beitrug.

714 Vgl Abb. 16 und 17 im Anhang, S. 421 f. 715 Blaurock, Leipzigs Industrie, in: Blaurock/Schnabel/Zetzsche (Hrsg.), Industrie der Stadt Leipzig, S. 154.

III. BAUEN NACH PLAN? STEUERUNGSINSTRUMENTE UND HANDLUNGSKONFLIKTE IM WOHNUNGSBAU DER STADT LEIPZIG

1. ZENTRALISMUS UND INFORMALITÄT: STRUKTUREN UND AKTEURE IM LEIPZIGER BAUWESEN Wohnungsbau war in der DDR zu jederzeit den wirtschaftspolitischen Leitzielen der SED verpflichtet. Sowohl die Standortplanung als auch der Bedarf an Wohnraum bemaß sich an den Wirtschaftsplänen. Wohnungsbau war Teil der Stadtplanung, die die SED wiederum als „Bestandteil der Volkswirtschaftsplanung“ auffasste. „Ihr Gegenstand sind die Bestimmung der territorialarbeitsteiligen Spezialfunktion der Stadt im Gesamtterritorium der Volkswirtschaft und die proportionale innerstädtische Organisation und Verflechtung der Funktionsströme, Bauten, Verkehrsanlagen usw.“1 Institutionell war das Bauwesen daher in erster Instanz dem Wirtschaftssekretariat des ZK der SED unterstellt, das seit 1958 bestehende Ministerium für Bauwesen hatte sich an dessen Zielvorgaben zu orientieren.2 Im Hinblick auf die räumliche Verteilung der Investitionen profitierten davon zunächst die nördlichen Bezirke, deren Industrialisierung die SED in den 1950er Jahren als vorrangig betrachtete. Als Teil eines Südbezirkes zählte die Stadt Leipzig damit zu den wohnungsbaupolitisch benachteiligten Territorien. Über Baukapazitäten und eine eigene Abteilung Aufbau verfügte die Stadt aber bereits seit den frühen 1950er Jahren. Deren Planungen konzentrierten sich aber, den 16 Grundsätzen des Städtebaus folgend, vor allem auf das Stadtzentrum, ein vollständiger Stadtbebauungsplan lag noch nicht vor. Als „Aufbaustadt“ war Leipzig hinsichtlich der Stadtplanung völlig von zentralen Entscheidungen abhängig.3 Dennoch war es der Abteilung Aufbau der Stadt Leipzig durch die territoriale Konzentration von Ressourcen immer wieder möglich, kleinere Lückenbebauungsmaßnahmen in Eigenregie durchzuführen. Der wirtschaftspolitische Bedeutungszuwachs der Stadt im Rahmen des NÖS bzw. der zunehmende Arbeitskräftebedarf der Industriebetriebe und VVBs ließ in den 1960er Jahren auch den Wohnungsbau zunehmend in den Fokus der zentralen Pläne rücken. In der Folge überlagerten sich die Bauaufgaben im Stadtzentrum und im Wohnungsbau, sodass neben das 1958 eingerichtete Stadtbauamt auch Aufbauleitungen (für Stadtzentrum und Wohnungsbau) und ein Hauptplanträger traten, um die Koordinierung zwischen den verschiedenen, zuweilen divergierenden Interessen sicherzustellen. Neben dem Hinzukommen neuer Institutionen spiegelte sich die Überlagerung von Interessen auch in einer besonderen „Dominanz der bezirklichen und städtischen Organe der SED […] bei allen Entscheidungen bis ins Detail“4 1 2 3 4

Art. ‚Stadt‘, in: Ehlert/Joswig/Luchterhand (Hrsg.), Wörterbuch der Ökonomie, S. 764. Vgl. Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“, S. 112–150; Siegfried Grundmann, Der Einfluß der Standortwahl des Wohnungsbaus auf die räumliche Umverteilung der Bevölkerung der DDR, in: Comparativ 6, 1996, Heft 3, S. 148–175. Vgl. Gesetz über den Aufbau der Städte in der Deutschen Demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands, Berlin (Aufbaugesetz) vom 6. September 1950, in: Gesetzblatt der DDR 1950, S. 365–367. Blaurock, Geplant, S. 94 f.

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III. Bauen nach Plan?

wider. Insgesamt agierte auf diesem Gebiet damit eine ganze Reihe von Akteuren, deren Beziehungen keineswegs zwangsläufig einer institutionellen Koordination unterlagen. Erst der Generalbebauungsplan und die Einrichtung eines Büros des Chefarchitekten 1967 sollte Ordnung in das administrative Chaos bringen. Dabei gewährte der Generalbebauungsplan nicht nur die Möglichkeit, erstmals wieder eine städtebauliche Gesamtplanung unter Berücksichtigung der historischen Strukturen vorzunehmen, sondern bewirkte auch eine schrittweise Entpolitisierung in der Stadtplanung. Die ideologisch überhöhte Bedeutung des Stadtzentrums musste nicht mehr übermäßig betont werden, stattdessen konnte der Fokus auf bisher vernachlässigte Bereiche des Städtebaus, insbesondere den Wohnungsbau, verlagert werden. Die im Verlauf der 1960er Jahre geschaffenen Strukturen überdauerten auch den Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker, nicht zuletzt weil der Generalbebauungsplan die Umsetzung des Wohnungsbauprogramms begünstigte. Mit Grünau (1976–1988) und Paunsdorf (1987–1991) entstanden allein am westlichen und nordöstlichen Stadtrand von Leipzig insgesamt knapp 45.000 Wohnungen.5 Die „Institutionenkultur“ im städtischen Bauwesen wurde aber nicht nur maßgeblich durch die starke Fixierung auf zentrale Planvorgaben bestimmt, sondern auch durch das spezifische Selbstverständnis der Leiter und Mitarbeiter, die von der Ausbildung her – vom Büro des Chefarchitekten abgesehen – allesamt Bauingenieure waren und damit die technischen Aspekte des Bauens in den Vordergrund rückten. Der Paradigmenwechsel weg vom Architekten hin zum Bauingenieur stand in Verbindung mit dem Aufkommen des industriellen Bauens seit Mitte der 1950er Jahre. Architektonische Fragen wurden damit zunehmend an den Rand gedrängt.6 Dennoch ließen sich durch die Wahl von Leitungspersönlichkeiten durchaus lokalspezifische Akzente setzen. In Leipzig etwa wollte man weder auf architektonische Fachexpertise, noch auf lokalspezifisches Wissen verzichten. 1954 ernannte der Rat der Stadt, nicht zuletzt auf Betreiben des stellvertretenden Ministers für Aufbau, Gerhard Kosel, Walter Lucas7 zum Leiter der Abteilung Städtebau und Entwurf. 5 6

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Vgl. Thomas Nabert, „Wohnungsbauprogramm“ und „WBS 70“. Der Wohnungsbau von 1971 bis 1989, in: Thomas Nabert (Hrsg.), „Eine Wohnung für alle“. Geschichte des kommunalen Wohnungsbaus in Leipzig 1900–2000, Leipzig 2000, S. 118–141. Vgl. Jay Rowell, Wohnungspolitik (1), in: Dierk Hoffmann / Michael Schwartz (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: Deutsche Demokratische Republik 1949–1961: Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus, Baden-Baden 2004, S. 713; Jay Rowell, Wohnungspolitik (2), in: Christoph Kleßmann (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 9: Deutsche Demokratische Republik 1961–1971: Politische Stabilisierung und wirtschaftliche Mobilisierung, Baden-Baden 2006, S. 709. Walter Lucas (1902–1968), geb. in Dresden, 1922 Abitur und Gelegenheitsarbeiter, 1922–1928 Studium der Architektur an der TH Dresden (Diplom mit Auszeichnung und Staatspreis), 1928 Mitglied des NSDSB und der NSDAP, 1929–1930 Architekt bei der Kreishauptmannschaft Leipzig (Baupolizei und Landesplanung), 1930 freier Mitarbeiter bei Regierungsbaumeister Kösser, 1930–1931 Architekt und Entwurfschef im Wohnungsbaubereich (Architektenbüro Koppe), seit 1932 selbständiger Architekt, 1933 Mitglied der Bezirksleitung des Kampfbundes der Architekten und Ingenieure, 1936 Übernahme des Architektenbüros Heinrich (v. a. Städtebau, Wohnungsbau, Siedlungsbau, Raumgestaltung, Industriebau), 1935–1940 Leiter des Gauheimstättenamtes der DAF Sachsen, Mitglied im Reichsluftschutzbund, 1944–1945 Betreuung des Deutschen Wohnungshilfswerk Leipzig und ehrenamtliche Tätigkeit bei Oberbürgermeis-

1. Zentralismus und Informalität: Strukturen und Akteure im Leipziger Bauwesen

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Lucas hatte nicht nur eine klassische Architektenausbildung absolviert, sondern bereits in den 1930er Jahren einschlägige Erfahrungen im Wohnungsbau der Stadt Leipzig sammeln können. Stadtbaudirektor wurde 1959 aus politischen Gründen zwar zunächst der Bauingenieur Helmut Ober8, der sich vor allem als Bauleiter von städtischen Prestigeobjekten hervorgetan hatte, Lucas aber folgte ihm 1961 nach internen Auseinandersetzungen und infolge der zunehmenden Überlastung des mit Verwaltungsaufgaben unerfahrenen Obers in dessen Position nach. Lucas bestimmte bis 1964 die Baupolitik der Stadt – freilich im Rahmen der zentralen Vorgaben und stets unter Beobachtung seines Nachfolgers in der Abteilung Städtebau und Entwurf, Wolfgang Geißler, der überdies der Staatssicherheit als informeller Mitarbeiter diente. Lucas wurde schließlich 1964 von Geißler9 abgelöst, welcher den außerplanmäßig geschaffenen Ratsbereich Bauwesen bis 1967 leitete. Geißler hatte bereits seit 1953 Entwurfsarbeiten im Bezirk Leipzig durchgeführt und war damit auch auf architektonischem Gebiet bewandert. Auch die in den folgenden Jahren die Funktion des Stellvertreters des Oberbürgermeisters für Bauwesen/Stadtbaudirektors ausfüllenden Bauingenieure hatten sich bereits im lokalen Bauwesen bewährt. Wolfgang Schwalbe (1967–70) war zuvor Leiter der Abteilung

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ter Freyberg, 1945–1950 Verhaftung und sowjetische Kriegsgefangenschaft (Entlassung wegen „guter Führung“), 1950 Angestellter bei Architekt Ries Leipzig, anschließend Angestellter im VEB Bau- und Landesprojektierungsbüro Sachsen, 1954–1958 Chefarchitekt und Leiter der Abteilung Städtebau und Entwurf des Rates der Stadt Leipzig, 1958–1961 Stadtbauleiter des Rates der Stadt Leipzig, 1961–1964 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig, 1964 Chefarchitekt für die Bebauung des Komplexes der Messemagistrale Straße des 18. Oktober im VEB Hochbauprojektierung I, 1965–1967 verantwortlicher Produktionsbereichsleiter für das Stadtzentrum im VEB Leipzig-Projekt. Vgl. StadtAL, NL Lucas, 1 (Persönliche Dokumente); Peter Leonhardt, „… ein gediegener Mann von solidem Können“. Über den umstrittenen Architekten Walter Lucas (1909–1968), in: Leipziger Blätter 2010, S. 16–18. Helmut Ober (geb. 1913), 1929–1933 Staatsbauschule Leipzig (Abschluss: Bauingenieur), 1946 Mitglied der SED, 1946–1952 Sachgebietsleiter in der Abteilung Aufbau des Rates der Stadt Leipzig, 1947 Baumeisterprüfung, nach 1952 Bauleiter der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig, der Staatsoper Berlin und der Oper Leipzig, 1959–1961 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig, 1960 Nationalpreis der DDR (Leipziger Oper), seit 1961 Leiter der Aufbauleitung Stadtzentrum des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. 14. Tagung der Stadtverordnetenversammlung am 14.7.1959, StadtAL, StVuR (1), 196, Bl. 14 f.; 14. Sitzung des Rates der Stadt Leipzig am 18.6.1959, StadtAL, StVuR (1), 19971, Bl. 53; 26. Tagung der Stadtverordnetenversammlung am 28./29.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 219, Bl. 31–33; 15. Sitzung des Rates der Stadt Leipzig am 1.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 20073, Bl. 36 f.; Einschätzung Helmut Ober, 14.1.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/359, unp. Wolfgang Geißler (geb. 1928), geb. in Holzhausen, 1942–1947 Lehre zum Maschinenschlosser, während des Zweiten Weltkrieges Arbeitseinsatz bei der Wehrmacht und Schlosser, 1945 Fliegerersatzabteilung amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1946 Mitglied der SED, 1947–1953 Student TH Dresden (Abschluss: Diplom-Ingenieur), 1953–1955 Diplom-Ingenieur im Entwurfsbüro Hochbau I Leipzig, 1955 Leiter der Abteilung GSTD ebd., 1956–1968 Stadtverordneter in Leipzig, seit 1956 Mitglied des Bundes Deutscher Architekten, 1961–1964 Stadtarchitekt und Leiter der Abteilung Städtebau und Architektur im Rat der Stadt Leipzig, 1964–1967 Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Bauwesen, 1967–1976 1. Stellvertreter des Chefarchitekten Leipzig, 1972–1973 Betriebsschule Marxismus-Leninismus des Rates der Stadt Leipzig, 1955–1962 und seit 1977 IM des MfS Leipzig, 1976–1986 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. Kurzbiographie Wolfgang Geißler, StadtAL, StVuR, 20860, Bl. 267–274.

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III. Bauen nach Plan?

Bauwesen in der SED-Bezirksleitung gewesen10, Paul Widenmann (1970–1973) konnte auf Erfahrungen als Direktor für Bilanzierung im städtischen Reparaturund Rekonstruktionskombinat zurückblicken.11 Über den kurzzeitig als Stadtbaudirektor agierenden Waldemar Thiele (1973–1975) ist biographisch nichts bekannt.12 1976 wurde die Funktion wieder von Wolfgang Geißler übernommen, der seit 1967 zusammen mit dem im Großsiedlungsbau (Halle-Neustadt) erfahrenen Chefarchitekten Horst Siegel13 am Generalbebauungsplan der Stadt Leipzig gearbeitet hatte. Er empfahl sich daher besonders für die Umsetzung des Wohnungsbauprogramms. Seit Herbst 1977, kurz nachdem das Politbüro das Wohnungsbauprogramm für Leipzig beschlossen hatte, war Geißler wieder als informeller Mitarbeiter für das MfS tätig, obwohl er als Ratsmitglied ohnehin zur offiziellen Zusammenarbeit 10

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Wolfgang Schwalbe (geb. 1926), geb. in Leipzig, 1941–1943 Lehre zum Maurer, 1943–1945 Wehrmacht, 1945 Mitglied der KPD/SED, 1945–1947 Maurer, 1947–1950 Student Ingenieursschule für Bauwesen (1950 Diplom-Ingenieur für Hochbau), 1950–1951 Konstrukteur und Assistent VVB Holzbau-Bauleitung Erfurt, 1951–1952 Werkleiter VEB Holzindustrie und Holz und Bauindustrie St. Egidien, 1952 Sachverständiger für Holzhausbau Oberbaustab der Kasernierten Volkspolizei, 1953 Bau-Ingenieur VEB Holzbau Leipzig sowie VEB PKM (hier auch Abteilungsleiter), 1954–1955 Wirtschaftssekretär der SED-Kreisleitung Eilenburg, 1955– 1958 Parteihochschule der SED, 1958 Reservelehrgang Unterleutnant, 1958–1967 politischer Mitarbeiter und Leiter der Abteilung Bauwesen der SED-Bezirksleitung Leipzig, 1967–1970 Stellvertreter für Bauwesen im Rat der Stadt Leipzig, seit 1970 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für soziale Wirtschaftsführung. Vgl. Kurzbiographie Wolfgang Schwabe, StadtAL, StVuR, 20381, Bl. 49. Paul Widenmann (geb. 1927), geb. in Aachen, Mitglied der CDU (Ost), 1954–1959 Studium an der Ingenieurschule für Bauwesen Leipzig, seit 1963 Wahlfunktionen der CDU, 1965–1970 Stadtverordneter in Leipzig und Vorsitzender eines Wahlkreisaktivs, Direktor für Bilanzierung und Generalauftragnehmer im VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion, 1970– 1973 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig, seit 1973 Abteilungsleiter Bauwirtschaft / Bereichsleiter Bilanzierung im Stadtbauamt Leipzig. Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Vorschlag zur Einleitung einer Operativen Personenkontrolle, 24.10.1988, BStU, MfS, BV Lpz. AOPK 1419/92, Bl. 8–14; Rat der Stadt Leipzig, Bereich Bauwesen, Beurteilung, 15.7.1975, Ebd., Bl. 334 f.; Sitzung des Rates der Stadt am 30. Dezember 1969, StadtAL, StVuR, 20368, Bl. 103. Waldemar Thiele (geb. 1930), 1973–1975 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. 18. Tagung der Stadtverordnetenversammlung am 14.11.1968, StadtAL, StVuR, 266, Bl. 152 f. Horst Siegel (geb. 1934), geb. in Lampersdorf (tschechisch: Lampertice), 1951–1953 Abitur an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Weimar, 1953–1959 Studium an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar (Abschluss: Diplom-Ingenieur), 1959–1964 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Industriebau und Entwerfen ebd., 1963 Promotion zum Dr.-Ing., 1964 Mitglied der SED, 1964–1965/1967 Hauptarchitekt bzw. stellvertretender Chefarchitekt für den Aufbau Halle-Neustadts, 1967–1985 Chefarchitekt der Stadt Leipzig und Leiter des kommunalen Planungs- und Architektenbüros (Projekte: u. a. Messemagistrale Straße des 18. Oktober, Universitätshochhaus, Generalbebauungsplan der Stadt Leipzig, Städtebauliche Gesamtplanung der Wohnsiedlung Grünau, Umgestaltungsplan für die Leipziger Ostvorstadt, Planungskonzeption zum Neuen Gewandhaus, Planungskonzeption für die Wohnsiedlung Paunsdorf), 1969–1985 Honorarprofessor für Generelle Stadtplanung an der TU Dresden, in den 1970er Jahren Beratungstätigkeiten in Bamako und Brno, 1985–1991 Professor für Industriebau und Entwerfen an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Mitglied des Bezirksvorstandes des Bundes der Architekten Leipzig, seit 1991 freier Architekt. Vgl. Simone Hain, Art. ‚Horst Siegel‘, in: Wer war wer, Bd. 2, S. 945 f.; 21. Sitzung des Rates der Stadt Leipzig am 21.9.1967, StadtAL, StVuR (1), 20283, 50 f.

1. Zentralismus und Informalität: Strukturen und Akteure im Leipziger Bauwesen

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mit der Staatssicherheit verpflichtet gewesen war. Offenbar sollte Geißler dadurch zusätzlich an die Beschlüsse der SED-Führung gebunden werden, um so lokale Eigenmächtigkeiten zu verhindern. Geißler aber nutzte diesen informellen Kanal auch, um Probleme örtlicher Baubetriebe nach oben hin bekannt zu machen, was die Dysfunktionalität des offiziellen Weges, auf dem der Bezirk bereits die Deutungshoheit besaß, illustriert. So wies Geißler das MfS bereits im Oktober 1977 darauf hin, dass das Bezirksbauamt die Stadt „bevormunde“ und „schulmeistere“.14 Geißler wurde 1986 desillusioniert abgelöst, für ihn kam der im Bauwesen bislang völlig unerfahrene Diplom-Ökonom Hans-Joachim Schroeder15, der jedoch nur noch den Mangel verwalten konnte. Der Chefarchitekt Horst Siegel war bereits 1985 von Dietmar Fischer16 abgelöst worden, der seit 1980 die Abteilung Umgestaltungsgebiete im Büro des Chefarchitekten geleitet hatte. Der biographische Überblick zeigt, dass man neben aller Zentralität und Ausrichtung auf technische Aspekte im Leipziger Stadtbauamt weder ganz auf architektonische Expertise noch auf lokalspezifisches Wissen verzichten wollte. Dies ist insofern bemerkenswert, als die SED-Führung eine ausgesprochene Abneigung gegen jeglichen „Lokalpatriotismus“ als Hemmschuh zentraler Plantätigkeit zeigte. Gleichwohl war lokalspezifisches Wissen nicht nur für die Standortplanung, sondern auch vor dem Hintergrund des Wissensdefizits in Berlin über die Verteilung örtlicher Ressourcen unverzichtbar. Zudem lassen sich zeitspezifische Akzentsetzungen beobachten. Es war durchaus ein qualitativer Unterschied, ob ein Stadtbaudirektor aus der SED-Bezirksleitung berufen wurde, oder aus dem kommunalen Rekonstruktionsbetrieb. Inwiefern diese (informellen) Rekrutierungsmuster mit lokalen Eigenlogiken einhergingen, ist in den Fallstudien zu untersuchen. 14 15

16

Vgl. BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Treffbericht, 29.10.1977, BStU, MfS, BV Lpz. AGMS 619/92, A.-Akte, Bl. 19–21. Hans-Joachim Schroeder (geb. 1944), geb. in Luckenwalde, 1963 Abitur, 1963–1964 Lehrling im VEB Beschläge Luckenwalde, 1964 Arbeit im VEB Plastpresse ebd., 1964 Delegierung zum Studium und Student an der TU Dresden (Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft), 1964–1965 Reservistenwehrdienst bei der NVA, 1965 Mitglied der SED, 1968–1971 Forschungsstudent an der TU Dresden (Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft), 1970 Studium zum Diplom-Ingenieur-Ökonom, 1971 Promotion zum Dr. oec., 1971–1974 stellvertretender Vorsitzender der Stadtplankommission des Rates der Stadt Leipzig, 1972–1974 Fernstudium an der Bezirksparteischule der SED Leipzig, 1974–1986 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Stadtplankommission Leipzig, seit 1976 Mitglied im Kreisvorstand Leipzig-Stadt Urania, seit 1986 Stadtbaudirektor des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. Kurzbiographie Hans-Joachim Schroeder, StadtAL, StVuR, 20860, Bl. 267–274. Dietmar Fischer (geb. 1950), geb. in Niederlichtenau, 1964–1968 Lehre zum Maurer mit Abitur im VE BMK Süd Frankenberg, 1968–1970 Maurer ebd., 1970 Mitglied der SED, 1970–1974 Studium der Architektur an der TU Dresden (Abschluss Diplom-Ingenieur), 1974–1978 wissenschaftlicher Assistent an der TU Dresden (Promotion), 1979–1980 Ingenieur für Direktivplanung im Büro des Chefarchitekten Leipzig, seit 1980 Leiter der Abteilung Umgestaltungsgebiete und seit 1984 Bereichsleiter ebd., seit 1979 Mitglied im Bund der Architekten, 1980–1981 Studium an der Betriebsschule für Marxismus-Leninismus des Rates der Stadt Leipzig, seit 1982 Mitglied der Sektion Städtebau und Architektur des Plenums der Bauakademie der DDR, seit 1982 Mitglied der zentralen Kommission Architekturtheorie des Bundes der Architekten, seit 1985 Chefarchitekt der Stadt Leipzig, 1985–1986 Fernstudium an der Bezirksparteischule der SED Leipzig. Vgl. Kurzbiographie Dietmar Fischer, StadtAL, StVuR, 20828, Bl. 134–141.

206

III. Bauen nach Plan? Tab. 4: Personalentwicklung im Bauwesen der Stadt Leipzig Stadtbauamt

Hauptplanträger

Büro des Chefarchitekten

1960 – Mitarbeiter – Hoch- und Fachschulkader – SED-Mitglieder

44 36,4 % 45,5 %

-

-

1969 – Mitarbeiter – Hoch- und Fachschulkader – SED-Mitglieder

k. A. k. A. k. A.

47 4,3 % k. A.

94 43,6 % k. A.

1976 – Mitarbeiter – Hoch- und Fachschulkader – SED-Mitglieder

53 66,1 % 39,6 %

-

92 62 % 18,4 %

Quelle: Rat der Stadt, Abteilung Kader, Kaderpolitische Analyse Stadtbauamt, 13.1.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/359, unp.; SED-Grundorganisation Rat der Stadt, Leitungssitzung vom 26.6.1969, 30.6.1969, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/9, unp.; Rat der Stadt, Abteilung Kader und Bildung, Einschätzung der Situation im Stadtbauamt, 28.5.1976, StadtAL, StVuR (2), 1155, Bl. 8; Rat der Stadt, Abteilung Kader und Bildung, Kadersituation im Büro des Chefarchitekten, 9.7.1976, StadtAL, StVuR (2), 1157, Bl. 28.

Statistisch belastbare Angaben über die Entwicklung des Mitarbeiterstabes im lokalen Bauwesen existieren nur spärlich. In der Tendenz (Tab. 4) zeigt sich aber, dass es sich vor allem beim Stadtbauamt und beim Büro des Chefarchitekten um hochqualifizierte Fachbehörden handelte, während der Hauptplanträger womöglich aufgrund seiner ausschließlich koordinierenden Aufgaben kaum über Hoch- und Fachschulkader verfügte. Der augenscheinlich höhere Anteil von SED-Mitgliedern im Stadtbauamt erklärt sich aus dessen verantwortlicher Position. Im Gegensatz zum Büro des Chefarchitekten war das Stadtbauamt für Fehlentwicklungen politisch haftbar. So konnte dem Büro des Chefarchitekten während einer Parteikontrolle im Jahre 1975 „Elitedenken“ vorgeworfen werden, ohne dass daraus Konsequenzen erwuchsen. Der parallel in Schwierigkeit geratene Stadtbaudirektor Waldemar Thiele wurde dagegen entlassen.17 2. PLAN UND POLITIK: WOHNUNGSBAU IN LEIPZIG 1957–1990 Wohnungsbau spielte in den Besatzungsjahren (1945–1949) nur eine geringe Rolle. Vielmehr lagen Wiederherstellungsmaßnahmen in der Hand der Bewohner selbst. Aufgrund von Materialknappheit, der Aufnahme von Vertriebenen, der Beschlagnahmung von Wohnungen zur Unterbringung sowjetischer Militärangehöriger sowie zur Einrichtung von Verwaltungs- und Wirtschaftsinstitutionen wurden während der Besatzungszeit lediglich 283 Wohnungen neu gebaut, 527 weitere Woh17

Vgl. SED-BPKK, Aussprache mit Genossen der APO III beim Rat der Stadt Leipzig am 21. Januar 1975, 28.1.1975, SächsStAL, 21123, IV/C/2/4/310, unp.

2. Plan und Politik: Wohnungsbau in Leipzig 1957–1990

207

nungen wurden durch Um- und Ausbaumaßnahmen wiedergewonnen. Allerdings gingen im gleichen Zeitraum 212 Wohnungen verloren.18 Demgegenüber wurden bis August 1949 3.198 Wohnungen durch persönliche Leistungen der Stadtbewohner wiederhergestellt.19 Durch die Konzentration der Baukapazitäten auf die Umgestaltung des Stadtzentrums entspannte sich die Lage auch nach der Gründung der DDR in Leipzig nur unwesentlich. So wurden zwischen 1950 und 1954 gerade einmal 1.460 Wohnungen neu gebaut sowie 900 weitere saniert.20 Zudem konnten durch private Baubetriebe weitere 437 Wohnungen in innerstädtischen Bereichen gebaut werden.21 Erst der Siebenjahrplan (1959–1965) sollte den Massenwohnungsbau auf die Agenda bringen. Um den Rückstand zur Bundesrepublik – 1959 hatte die DDR im Wohnungsbau erst 43 Prozent des Niveaus der Bundesrepublik erreicht22 – auszugleichen, sollten bis 1965 in Leipzig 29.400 Wohnungen gebaut werden, vorrangig als „sozialistische Wohnkomplexe“, in denen sich funktionelles Wohnen durch räumliche Konzentration von Wohnen, materieller sowie kultureller Versorgung und die Ermöglichung eines aktiven gesellschaftlichen Lebens vereinen sollten.23 Wie in vielen anderen Städten der DDR konzentrierte sich auch in Leipzig die Umsetzung des Siebenjahrplanes auf wichtige Industriestandorte. Neben den 29.400 geplanten Wohnungen sollten lediglich 3.519 weitere durch privaten Wiederaufbau bzw. Wiederherstellung übergeben werden.24 Trotz der Propaganda um die Lösung der Wohnungsfrage zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Investitionen in den Wohnungsbau nach dem Mauerbau zunächst einen allgemeinen Rückgang.25 Dabei erhoffte man sich, den Wohnungsbau ohne Einbußen für die Entwicklung der Industrie durch eine massive Senkung der Kostennormative zu erhöhen. Waren in Leipzig bis Mitte der 1950er Jahre noch etwa 35.000 DM zum Bau einer Wohnung veranschlagt worden, sollten die Kosten nunmehr auf 22.000 DM abgesenkt werden.26 Die Entwicklung von Typenserien ging allerdings nur schleppend voran, was 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Monatsberichte des Statistischen Amtes der Messestadt Leipzig 1946–1949, o. S. Vgl. Stadtverwaltung Leipzig, Dezernat Grundstücks- und Wohnungswesen an das Zentralamt Pressestelle, Wiederaufbau der Stadt Leipzig in den letzten Jahren, 26.8.1949, StadtAL, StVuR (1), 4780, Bl. 27. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Entwicklung der Stadt Leipzig unter den Bedingungen unserer Arbeiter- und Bauernmacht, o. D., StadtAL, StVuR (1), 4822, Bl. 28. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Architektur und Aufbau, Bericht über das Baugeschehen im privaten Wohnungsbau 1950–1954, 13.7.1954, Ebd., Bl. 48. Vgl. Manfred Hoffmann, Wohnungspolitik der DDR. Das Leistungs- und Interessenproblem, Düsseldorf 1972, S. 197. Vgl. Der sozialistische Wohnkomplex, hrsg. v. Ministerium für Bauwesen / Deutsche Bauakademie, Berlin (Ost) 1959, o. S. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbauamt, Material über die Wohnraumlage in der Stadt Leipzig, 3.3.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 185. Vgl. Christine Hannemann, Die Platte. Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, Berlin 2005, S. 65. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Aktennotiz des Chefarchitekten Walter Lucas, Betreff: Volkseigener Wohnungsbau im 2. Fünfjahrplan, 28.9.1956, StadtAL, StVuR (1), 15593, Bl. 25. Zu den Investitionen in den Jahren 1951–1954 vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Architektur und Aufbau an die Abt. Finanzen, 26.1.1955, StadtAL, StVuR (1), 4822, Bl. 55.

208

III. Bauen nach Plan?

in der Stadt Leipzig dazu führte, dass 1961 immer noch fünf verschiedene Bauweisen praktiziert wurden.27 Aber nicht nur die Überschätzung der wirtschaftlichen Leistungskraft, sondern auch grundlegende Interessenkonflikte im Städtebau führten schlussendlich dazu, dass sich das Leipziger Stadtbauamt bereits 1961 mit einer ganzen Jahresproduktion im Rückstand befand. Am 7. September 1960 schilderte der persönliche Referent des Oberbürgermeisters im Anschluss an eine Beratung beim ZK der SED die Zwickmühlensituation des Rates der Stadt: „Überhaupt sind wir beim Aufbau des Stadtzentrums abhängig von den zentralen Institutionen (Staatssekretariat für Hochschulwesen, MAI, Ministerium für Verkehr usw.). Es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, mit diesen Stellen zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, da diese Institutionen die Mittel für den Bau der Objekte im Stadtzentrum besitzen, wir aber andererseits für den Aufbau des Stadtzentrums verantwortlich sind. […] Ferner will man uns auch für nächstes Jahr wiederum Mittel für den Wohnungsbau streichen (11 Millionen DM). Das sind bis 1962 3000 Wohnungen, die wir weniger bauen sollen. Andererseits erhielten wir vom Ministerium für Bauwesen, Gen. Kosel, die Aufforderung, das Volumen, das eigentlich bis 1970 zu bauen ist, bereits bis 1965 vorzusehen. Dazu benötigen wir jedoch zusätzliche Mittel, deren Bereitstellung ebenfalls völlig unklar ist.“28

Auch nach Abbruch des Siebenjahrplans und der Einführung des NÖS im Jahre 1963 blieb der Wohnungsbau einseitig ökonomischen Interessen untergeordnet. So wies Walter Ulbricht auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 explizit darauf hin, dass „[e]s notwendig sein [wird, d. V.], sich im Wohnungsbau auf die Industrieschwerpunkte und Stadtzentren zu konzentrieren“. Zugleich sprach Ulbricht aber erstmals offiziell das Problem der Sanierung der Altbauten an: „Entsprechend dem hohen Anteil von Wohnbauten, die vor 1918 errichtet worden wurden, muß auch der Erhaltung und Modernisierung der Wohnungen in den Altbaugebieten größere Beachtung geschenkt werden.“29 Freilich merkte man im Rat der Stadt nicht jetzt erst, dass die Baureparaturbetriebe immer wieder für das Stadtzentrum zweckentfremdet wurden, dies wurde nun aber erstmals statistisch belastbar erfasst. So zeigt eine interne Statistik über die lokalen Baukapazitäten aus dem Jahr 1964, dass die Stadt fast die Hälfte der ihr zugewiesenen Investitionen für Baureparaturen an andere in der Stadt mit Bauprojekten beauftragte Planträger abgeben musste.30 Parallel zur Einführung der Generalbebauungspläne ergab sich ein allmählicher Aufwärtstrend im Wohnungsbau, sodass die Zäsur aus lokaler Sicht noch in der Zeit vor dem Machtwechsel zu setzen ist. Insgesamt wurden in der Ära Ulbricht (1950–1969) in der Stadt Leipzig aber letztlich nur 15.620 Wohnungen gebaut, d. h. etwas mehr als die Hälfte des im Siebenjahrplan vorgesehenen Kontingents.31

27 28 29 30 31

Vgl. Probleme der Stadt Leipzig 1961 (unkorrigiertes Material), SächsStAL, 21145, IV/5/ 01/493, unp. Niederschrift über die Aussprache zwischen Vertretern der Abt. Staat und Recht des ZK der SED mit Vertretern des Rates der Stadt, 7.9.1960, StadtAL, StVuR (1), 3590, Bl. 142. Walter Ulbricht, Neue Fragen des ökonomischen Systems, in: Ulbricht, Zum ökonomischen System, S. 120 f. Hervorhebung im Original. Vgl. Zusammensetzung der Baukapazität, 13.11.1964, StadtAL, StVuR (1), 1875, Bl. 189. Vgl. Rat des Bezirks, Hauptplanträger Komplexer Wohnungsbau Bezirk Leipzig, Übersicht der Wohnungsbaustandorte in der Stadt Leipzig, 24.8.1978, SächsStAL, 21123, 0185, unp.

7000

60000

6000

50000

Wohnungsneubau

5000

40000

4000 30000

3000 20000

2000

10000

1000 0

Wohnungsanträge

209

2. Plan und Politik: Wohnungsbau in Leipzig 1957–1990

1961

1963

1965

1967

1969

1971

1973

1975

Wohnungsneubau

1977

1979

1981

1983

1985

1987

1989

0

Wohnungsanträge

Abb. 3: Wohnungsbau und Wohnungsanträge in Leipzig 1961–1990 Quelle: Statistisches Jahrbuch der Stadt Leipzig 1970, S. 61; Statistisches Jahrbuch der Stadt Leipzig 22 (1991), S. 106; Rat der Stadt Leipzig, Bericht über die Wohn- und Gewerberaumsituation in der Stadt Leipzig sowie über den Wohnungsneubau in der Stadt Leipzig nebst Schlußfolgerungen, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 197; Entwicklung der Wohnungsanträge, o. D., StadtAL, StVuR, 20651, Bl. 81; Rat der Stadt, Abt. Wopo/Wowi, Information zur Bereitstellung von Wohnraum in der Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 31. Dezember 1983 in der Stadt Leipzig 29.2.1984, StadtAL, StVuR (2), 17897, Bl. 245; Rat der Stadt, Abt. Wopo/Wowi, Information zur Bereitstellung von Wohnraum 1984 in der Stadt Leipzig, 13.2.1984, StadtAL, StVuR (2), 17898, Bl. 208; Rat des Bezirkes, Wohnungspolitik/Wohnungswirtschaft, Information zur Entwicklung der Wohnungsanträge und der Vergabe von Wohnungen im Bezirk Leipzig im Jahr 1986 (Stadt: per 31.12.1986), 9.4.1987, SächsStAL, 20237, 25964, unp.; Rat der Stadt, Abt. Wopo/Wowi, Information zum Stand der Versorgung junger Eheleute, Absolventen und Forschungsstudenten mit familiengerechtem Wohnraum, 4.5.1989, StadtAL, StVuR (2), 17901, Bl. 144.

Ein Vergleich von Bedarf (Wohnungsanträge) und Bedarfsdeckung (Wohnungsneubau) nach dem Mauerbau zeigt allerdings, dass beide Größen auch nach dem Machtwechsel von 1971 und der dabei vollzogenen Aufwertung der Wohnungspolitik nicht miteinander gekoppelt wurden (Abb. 3). Dabei hatte es im Anschluss an den VI. Parteitag 1963 durchaus Versuche auf kommunaler Ebene gegeben, das Wissen der Wohnungsbehörden mit dem des für die Reparaturdurchführung zuständigen Stadtbauamtes zu verbinden. Seit 1964/65 war die Abteilung Wohnungswirtschaft mit dem Aufbau eines Bauzustandskatasters beauftragt, der neben den Kennziffern für den Wohnungsbau als Grundlage für die Bilanzierung der Baukapazitäten dienen sollte. Die Arbeiten am Kataster waren jedoch erst 1968 zumindest so weit vorangeschritten, dass man die sichtbaren Gebäudeschäden beziffern konnte. Experten schätzten jedoch, dass der ermittelte Wert von 280 Millionen M mit dem Hinzukommen der von außen nicht sichtbaren Schäden um 30 bis 40 Prozent steigen würde.32 32

Vgl. ABI, Stadtinspektion, Bericht über die durchgeführte Kontrolle der Leitungstätigkeit der örtlichen Staatsorgane in der Stadt Leipzig zur Durchführung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Werterhaltung und Baureparaturen, 17.10.1968, SächsStAL, 20301, 557, unp.

210

III. Bauen nach Plan?

Erst kurz vor dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker bestand überhaupt ein einigermaßen belastbarer Überblick über die Gebäudeschäden in Leipzig. Dieses Wissen spielte im Planungsprozess der Ära Honecker aber keine besondere Rolle mehr. Mit dem Übergang des gesamten Wohnungsneubaus auf den Bezirk wurden Neubau und Reparaturwesen administrativ vollständig voneinander getrennt. In Zahlen ausgedrückt las sich dies in einem internen Gutachten folgendermaßen: Von den im Wohnungsbauprogramm für Leipzig vom 30. August 1977 veranschlagten Investitionen für Modernisierungen wurde der Stadt die Hälfte verweigert. Alle Gebäude unterhalb der Bauzustandsstufe 3 mussten dem „progressiven Verschleiß“ preisgegeben werden. Insgesamt, so schätzte das Stadtbauamt ein, würde allein die Hälfte der zwischen 1975 und 1990 gebauten bzw. geplanten Neubauwohnungen für den bloßen Ersatz von Altbauwohnungen aufgezehrt, was die Gesamtzahl der nutzbaren Wohnungen der Stadt erheblich nach unten korrigierte.33 Damit waren innerstädtische Wohnungsbauprojekte, insbesondere in den maroden Arbeitervierteln mit überwiegend schlechter Infrastruktur34, nur noch mit einem hohen Arbeitsaufwand bzw. persönlichem Einsatz35 und abhängig von den Zeitumständen realisierbar. So konnten während der Bauzeit Grünaus nur wenige Wohnungen in anderen Stadtteilen gebaut werden.36 Dabei hing die Altbausanierung auch in anderer Hinsicht vom Neubau ab, denn Altbaugebiete mussten systematisch freigelenkt werden. Die Wohnungsbehörden mussten Ersatzwohnraum anbieten, wobei die Bürger häufig nur zum Umzug bereit waren, wenn der angebotene Wohnraum über eine gleichwertige Ausstattung (Bad, WC) verfügte.37 Das galt in besonderem Maße für Rentner, die häufig altersgerechten Wohnraum forderten. 1977 etwa standen für 636 freizulenkende Wohnungen nur 449 Neubauwohnungen zur Verfügung, 90 Prozent der umzusiedelnden Bürger waren Rentner.38 Auch aufgrund dieser unberechenbaren Probleme, die der Planlogik widersprachen, verzichtete man oftmals auf Rekonstruktionsmaßnahmen in Altbaugebieten. In den 1980er Jahren konzentrierte sich die Stadtverwaltung angesichts der Dominanz des Wohnungsneubaus und der Verweigerung von Investitionen nicht mehr auf Modernisierungsmaßnahmen, sondern gleich auf Flächenabrisse. Allerdings musste es im Sommer 1984 erst zu einem unerwarteten Einsturz von zwei unbewohnten Gebäuden im Osten der Stadt kommen, damit die städtischen Organe mit der Bildung einer Stabsgruppe für Abbruchmaßnahmen reagierten. Sicherlich 33

34 35 36 37 38

Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtplankommission/Stadtbauamt, Entwurf einer Kurzdokumentation zur Lösung der Wohnungsfrage in der Stadt Leipzig bis 1990 – Stand und weitere Maßnahmen zur Erfüllung des Politbürobeschlusses vom 30.8.77, Stand: 14.10.1981, StadtAL, StVuR (2), 17894, Bl. 32–49. Vgl. Standortcharakteristiken für komplexen Wohnungsbau, 27.3.1972, StadtAL, StVuR, 22427, Bl. 189–209. Vgl. Betker, Handlungsspielräume, in: Barth (Hrsg.), Planen für das Kollektiv, S. 11. Zu den Bauprojekten im Einzelnen vgl. Nabert, „Wohnungsbauprogramm“, in: Ders. (Hrsg.), „eine Wohnung für alle“, S. 125–131. Vgl. Eingaben und Vermerke auf Besichtigungskarten, StadtAL, SB Südost, 822. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister, Bericht des Rates der Stadt über Ergebnisse und weitere Aufgaben der Wohnraumlenkung und der Gebäudewirtschaft für die Sitzung des Rates des Bezirkes am 10. Juni 1977, 31.5.1976, StadtAL, StVuR (2), 8486, Bl. 58.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

211

nutzte die Stadt die sich bietende Gunst der Stunde, um auf den Verlust des städtischen Einflusses aufmerksam zu machen. Erstmals wurde so eine umfassende Übersicht über umgehend abzubrechende Grundstücke erarbeitet, die 452 Gebäude, davon 89 mit akuter Einsturzgefahr, auflistete.39 Die Stabsgruppe besaß aber, wie viele der in den 1970er und 1980er Jahren gebildeten informellen Organe, keine faktischen Einflussmöglichkeiten auf die örtlichen Baubetriebe, welche sich oftmals weigerten, Flächenabrisse durchzuführen, da diese im Plan nur als Einzelabrisse bzw. Baureparaturleistungen abgerechnet werden konnten und wirtschaftlich gesehen nur einen geringen Wertanteil hatten.40 Der Ministerrat reagierte dagegen lediglich mit einer „Abrißanordnung“ im November 1984, nach der jeder Abriss vom Ministerium für Bauwesen genehmigt werden musste, was mitunter ein Jahr lang dauern konnte. Die Forderung der lokalen Funktionäre, einen spezialisierten Abbruchbetrieb zu schaffen, blieb indes auf dem Papier.41 3. HERRSCHAFTSPRAXIS IM KOMMUNALEN BAUWESEN: FALLSTUDIEN 3.1 Jenseits des Stadtzentrums: Wohnungsbau in Leipzig in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren Das Primat der Messestadt: Baupolitik in Leipzig nach dem V. Parteitag der SED Die Baupolitik der Stadt Leipzig gestaltete sich trotz ihrer gesetzlichen Verankerung als „Aufbaustadt“ seit 1950 keineswegs einheitlich. Stand zunächst die Umgestaltung des Karl-Marx-Platzes zum zentralen Demonstrationsplatz im Zentrum städtebaulicher Planungen, verlagerte Walter Ulbricht den Schwerpunkt des Baugeschehens während des V. Parteitags der SED im Juli 1958 auf den Messeverkehr. Unter Bezugnahme auf die von Nikita Chruschtschow geprägte Formel von der „friedlichen Koexistenz“ (als Gegennarrativ zum „Kalten Krieg“)42 sollte nun der Leipziger Messe eine Schlüsselrolle als Schaufenster der Leistungsfähigkeit der sozialistischen Welt gegenüber der kapitalistischen zukommen. Für die Stadtplanung bedeutet dies: „In Leipzig soll an Stelle des Baus von zahlreichen Messeprovisorien zum systematischen Wiederaufbau der teilzerstörten Innenstadt übergegangen werden. Im Zusammenhang mit der 1960 zu eröffnenden Oper muß der Karl-Marx-Platz ein einheitliches Gesicht erhalten. Besonders 39 40 41 42

Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Operativinformation 109/84 über die Situation beim Abbruch und bei der Sicherung einsturzgefährdeter Gebäude in der Stadt Leipzig, 18.7.1984, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 01545/04, Bl. 75 f. Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Information über die Situation beim Abbruch einsturzgefährdeter Gebäude in der Stadt Leipzig, 4.3.1985, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742/02, Bl. 62–66. Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Operativinformation 109/84 über die Situation beim Abbruch und bei der Sicherung einsturzgefährdeter Gebäude in der Stadt Leipzig, 18.7.1984, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 01545/04, Bl. 77. Vgl. Manfred Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion 1917–1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998, S. 801.

212

III. Bauen nach Plan? sorgfältig ist die Verkehrsplanung und die architektonische Gestaltung der Hauptachsen des Messeverkehrs vorzunehmen.“43

Im Frühjahr 1959 hatte Chruschtschow der Leipziger Messe selbst einen Besuch abgestattet und „allen Völkern der Welt die Bedeutung der Leipziger Messe als Welthandelszentrum, als Knotenpunkt der Verbindungen im Ost- und Westhandel gezeigt“.44 Dies nahm Ulbricht zum Anlass, um auf einer Bezirksdelegiertenkonferenz im März der Leipziger Stadtverwaltung eine deutliche Absage an die noch weit verbreitete Lückenbebauung im Stadtzentrum zu erteilen. Den Verantwortlichen warf er vor, die Würde und Bedeutung der „Weltstadt“ zu missachten, wenn sie nur „die paar Luftlöcher“ bebauten. „Ich werde der Stadtverwaltung sagen: Lernt etwas von dieser alten Leipziger Bourgeoisie, die alten Bürgermeister hier haben sich gekümmert um die Stadt, die haben – für das damalige Niveau – nicht solche Rückständigkeiten zugelassen. Solche Fanatiker auf sozialistischer Basis, auf neuer Basis müßt ihr auch sein.“45

Walter Ulbricht hatte mit diesem und anderen Auftritten klargemacht, dass er selbst als Architekt und Städtebauer in die Planungen eingreifen würde. Entsprechend schnell legte die SED-Bezirksleitung für das Politbüro eine Beschlussvorlage zur Umgestaltung des Stadtzentrums schon im April 1959 vor, in die Ulbrichts Mahnungen kurzerhand und ohne Planvorlauf eingearbeitet worden waren. Demnach sollte erstens die bisherige Praxis der Lückenschließung im Stadtzentrum einer großräumigen Bebauung weichen. Als „politisches und gesellschaftliches Zentrum der Stadt Leipzig“ sollte zweitens der Karl-Marx-Platz an der Ostseite durch das Haus der Kunst und Wissenschaft, eine neue Hauptpost sowie ein sieben- bis achtstöckiges Wohngebäude gesäumt werden. Drittens sollte das Universitätsgebäude rekonstruiert werden. Schließlich sollte die sich an das Universitätsgebäude anschließende Universitätskirche zurückgesetzt und damit aus dem Ensemble des Platzes entfernt werden.46 Von einer Sprengung der Kirche, wie sie 1968 unter lokalem Protest erfolgte, war hier noch keine Rede. Vielmehr sollte das bauliche Erbe allen Zukunftsvisionen zum Trotz bewahrt werden. Gleichwohl übertrug die SED-Bezirksleitung im Juni 1959 dem 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Fritz Beier, sowie dem 2. Sekretär, Walter Zmyslony, die volle Verantwortung für die Durchführung des Planes.47 Die Umgestaltung des Stadtzentrums wurde damit auf ein einseitig politisches Problem reduziert und bot damit kaum Lösungen für städtebauliche Herausforderungen. Dennoch konnte auch der 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Fritz Beier, der als treuer Gefolgsmann Fröhlichs galt, nicht einfach über lokale Fehlentwicklungen hinwegsehen. Dabei zeigte er durchaus Verständnis für die komplizierte Material43 44 45 46 47

Vgl. Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, S. 83. Protokoll der Bezirksdelegiertenkonferenz in Leipzig am 14. und 15. März 1959, SächsStAL, 21123, IV/1/11, Bl. 88. Ebd., unp. Vgl. Beschlüsse und Entwurf zum Aufbau des Leipziger Stadtzentrums, Berichterstatter: Paul Fröhlich, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/6546, Bl. 7–34. Vgl. Parteiaktivtagung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 24. Juni 1959, SächsStAL, 21479, IV/7/139/9, unp.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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situation in den Wohnungsbaubetrieben, welche die nachdrücklich vorangetriebene Umgestaltung des Stadtzentrums mit sich brachte. Beier, der vor seiner Karriere im Parteiapparat selbst als Industriearbeiter sozialisiert worden war, machte allerdings keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der Verwaltung. Während einer Beratung mit dem VEB Baustoffwerke am 4. Juni 1959 gab er unmissverständlich zu Protokoll, dass es Aufgabe des Rates der Stadt sei, sich um zusätzliche Materialbelieferung beim ZK zu bemühen und die Abzweigung von Wohnungsbaumitteln zu prüfen.48 Diese Sichtweise war handlungsleitend für Beier. So war sein Urteil Ende 1959 eindeutig: Neben der prekären Materialsituation seien am schlechten Ergebnis des Bauwesens vor allem die Schwächen in der Betriebsleitung des VEB (K) Bau und die mangelnde Leitungstätigkeit des Stadtbauamtes Schuld.49 Als Hauptverantwortlicher geriet jedoch Oberbürgermeister Erich Uhlich ins Visier Fritz Beiers. Darin spiegelt sich die Tragweite des Konflikts, zugleich aber auch die ambivalente Logik der Konfliktlösungspraxis wider. Obwohl das Stadtbauamt im Fokus der Kritik Beiers stand, war ihm bewusst, dass die SED-Führung als Urheber der städtebaulichen Planungen die kommunalen Baufunktionäre keineswegs sanktionieren würde. Uhlich als Nomenklatur-Kader des ZK aber konnte für die Probleme verantwortlich gemacht werden und zugleich als Blitzableiter für Beier fungieren. Uhlich geriet so in die Mühlen des Konflikts, der damit ein politischer wurde. Im Juni 1959 wurden gleich zwei Parteiaktivtagungen der SEDGrundorganisation des Rates der Stadt einberufen, die dem Ziel dienten, die Verwaltungsfunktionäre, insbesondere Uhlich, auf die Schwerpunktaufgaben der Stadt zu orientieren und – noch viel entscheidender – die Deutungshoheit über die Geschehnisse in der Stadt zu behaupten.50 Bezeichnenderweise stand dabei nur der zeitliche Rückstand bei der Umgestaltung des Stadtzentrums, nicht aber der Wohnungsbau, im Zentrum der inhaltlichen Kritik. Erich Uhlich sollte in diesem Rahmen für alle Verfehlungen verantwortlich gemacht werden. Während parallel die Ablösung des Vorsitzenden des Rates des Bezirks, Karl Adolphs, wegen Unstimmigkeiten bei der Planbilanz vorbereitet wurde51, wurde Uhlich auf der Leipziger Parteiaktivtagung am 13. März 1959 für sein angeblich „kleinbürgerliches Verhalten zur Selbstkritik“ und seine vermeintlich „ungenügenden Fähigkeiten zur Führung des Kollektivs“ als Ursachen für „Unzufriedenheit“, „Handwerkelei“, „Spontaneität“ sowie das „Ausweichen vor prinzipiellen Auseinandersetzungen“ verantwortlich gemacht.52 Bedeutend erhitzter und konfliktbehafteter verliefen die Diskussionen drei Monate später53, denn schon einen Tag nach der ersten Parteiaktivtagung am 13. März 48 49 50 51 52 53

SED-Stadtleitung, Beratung über Baufragen, 4.6.1959, SächsStAL, 21145, IV/5/01/359, unp. Vgl. Einschätzung der Erfüllung des Volkswirtschaftsplan 1959 und Plananlauf 1960, 11.1.1960, SächsStAL, 21145, IV/5/01/189, Bl. 213. Zur Funktion von Parteiaktivkonferenzen als Form der „raschen, einheitlichen Orientierung und Formierung der Parteikräfte“ vgl. Art. Parteiaktivtagung der SED, in: Andreas Herbst / Winfried Ranke / Jürgen Winkler (Hrsg.), So funktionierte die DDR, Bd. 2, Reinbek 1994, S. 782 f. Vgl. Kurzweg/Werner, SED und Staatsapparat, in: Richter/Schaarschmidt/Schmeitzner (Hrsg.), Länder, Gaue und Bezirke, S. 274. Vgl. Entschließung der Parteiaktivtagung, 11.–13.3.1959, SächsStAL, 21479, IV/7/139/019, unp. Vgl. Parteiaktivtagung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt, 24.6.1959, SächsStAL, 21479, IV/7/139/9, unp.

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III. Bauen nach Plan?

hatte Walter Ulbricht der Stadtverwaltung auf der 4. Leipziger Bezirksdelegiertenkonferenz die bereits geäußerten Vorwürfe noch einmal deutlich entgegengebracht. Uhlich blieb zwar auch jetzt noch der Hauptangeklagte, aber anders als noch im März warf Beier nun der gesamten SED-Grundorganisation Totalversagen vor. Dabei benannte er weitere Hauptschuldige, für die er disziplinarische Maßnahmen einforderte. Neben einem Funktionär, den Beier als Staatsbeamten kapitalistischen Zuschnitts bezeichnete, weil er nur mit Planzahlen „jonglieren“ würde, benannte das Parteiaktiv elf weitere „Bremser“ im Staatsapparat und „schlug“ sieben Ablösungen sowie sechs Parteiverfahren vor. Damit reagierte Beier nicht nur auf den größer werdenden Druck von oben, sondern bereitete die Isolierung des ohnehin überlasteten Oberbürgermeisters vor. Aus dieser Position heraus beschuldigte Beier den Rat der Stadt in beinahe zynischer Art, tatkräftig an der „Planuntererfüllung“ gearbeitet zu haben und drohte empfindliche Konsequenzen an. Namentlich Oberbürgermeister Uhlich sollte als Mitglied des Sekretariats der SED-Bezirksleitung zur Verantwortung gezogen werden. Nicht minder anmaßend warf Beier dem Oberbürgermeister vor, so eitel zu sein, dass er bei jeder Kritik „wie ein Pfau“ kollere. Der Oberbürgermeister konnte sich gegen die Vorwürfe der SED-Stadtleitung und zunehmend auch anderer leitender Funktionäre im Rat der Stadt kaum zur Wehr setzen, musste die Kritik aber beide Male als Warnsignal auffassen. Dies gab er auch in seiner radebrechenden Selbstkritik zu erkennen, in der er zugleich implizit das mangelnde Lokalbewusstsein der ihn kritisierenden Funktionäre beklagte: „Auf dem 30. Plenum sind diese Fragen angeschnitten worden und ich sagte schon, daß man mit einer solchen Einstellung in die Nähe der Gruppe Schirdewan gerät, wenn man nicht genügend die Beschlüsse erfüllt.“54

Machtdemonstration zum X. Jahrestag der DDR: Die Entlassung des Oberbürgermeisters Erich Uhlich im Dezember 1959 Der Konflikt um die Umgestaltung des Stadtzentrums, der schnell zu einem politisierten Personalkonflikt geworden war, kam im Dezember 1959 zu seinem vorläufigen Abschluss. Die unlängst zu erwartenden unbefriedigenden Ergebnisse der Planerfüllung zum X. Jahrestag der DDR boten die Grundlage für eine inszenierte Machtdemonstration der SED-Stadtleitung.55 Nur zwölf Tage nach dem Festakt beantragte Fritz Beier die Ablösung Uhlichs direkt beim Politbüro, dem auch Paul Fröhlich angehörte. Dabei betonte Beier nicht nur, dass Uhlich, dem in der verfahrenen Situation wohl kaum eine Wahl blieb, selbst aus gesundheitlichen Gründen um Ablösung gebeten habe, sondern formulierte zugleich die Anforderungen an seinen Nachfolger. Dieser sollte sich nicht mehr nur durch „bessere Kollektivar54 55

Ebd. Einem Bericht des Rates der Stadt zufolge habe die Forderung der SED-Bezirksleitung, zum 10. Jahrestag der DDR 80 Prozent des Planes erfüllt zu haben, zu einer intensiveren Arbeit der SED-Grundorganisation geführt, die nach dem 7. Oktober wieder stark nachgelassen habe. Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Bericht über die Verbesserung der Parteiarbeit beim Rat der Stadt, 31.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 1652, Bl. 100.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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beit“ und „größere Entschlußkraft“ (freilich im Sinne der Planvorgaben), sondern zugleich durch eine „fachlich ökonomische Qualifikation“ auszeichnen.56 Nur einen Tag später erhob das Politbüro unter Anwesenheit Fröhlichs dieses Gesuch zum Beschluss und legte fest, den wenige Monate zuvor neben Karl Adolphs gemaßregelten Vorsitzenden des Bezirkswirtschaftsrates, Walter Kresse, zum Oberbürgermeister Leipzigs zu ernennen.57 Die Schnelligkeit, mit der die Absetzung und Nachfolge Uhlichs beschlossen worden war, deutet einerseits auf den weitreichenden Einfluss Fröhlichs im Politbüro und andererseits auf bereits im Vorfeld zwischen den Beteiligten getroffene Absprachen hin, die in den Quellen jedoch nicht überliefert sind. Einen solchen zeitlichen Vorlauf von der Parteiaktivtagung im Juni bis zum X. Jahrestag im Oktober 1959 benötigte Beier, um nicht den Eindruck eigenmächtiger und voreiliger Entscheidungen zu erwecken, die gegebenenfalls auf die SED-Stadtleitung zurückgefallen wären. Deshalb sah man bei der Parteiaktivtagung im Juni wohl auch von weiteren parteierzieherischen Maßnahmen gegen Uhlich ab. Zudem hätte sich Fröhlich durch eine voreilige Handlungsweise womöglich übergangen gefühlt, was ein Schreiben des Büros der SED-Bezirksleitung an die SED-Stadtleitung vom 21. November 1959 verdeutlicht. Dieses forderte die Genossen auf, „die Begründung für den Abzug des Genossen Uhlich […] entsprechend den Hinweisen des Büros zu überarbeiten“ und die Abberufung Uhlichs unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzunehmen. Es legte außerdem fest, dass die Abberufung seines Nachfolgers Kresses von der Funktion des Wirtschaftsratsvorsitzenden zum 26. November erfolgen sollte.58 Für diesen Tag hatte sich Walter Ulbricht zum Besuch in Leipzig angekündigt. Womöglich wollte Fröhlich den Funktionärswechsel dabei im Vier-Augen-Gespräch unter Dach und Fach bringen. Die Absicherung durch übergeordnete Funktionäre erachtete Beier nicht zuletzt aber auch deshalb als notwendig, weil im Rat der Stadt über die Absetzung Uhlichs offenbar unterschiedliche Auffassungen bestanden, was Beiers Deutungshoheit zu untergraben drohte. Dies verdeutlicht das Protokoll der außerordentlichen Ratssitzung vom 12. November 1959, die sich mit der Angelegenheit Uhlich intern beschäftigte. Entgegen der am Oberbürgermeister zuvor geübten scharfen Kritik in der SED-Grundorganisation fand der Rat der Stadt in seiner Beschlussvorlage durchaus lobende Worte für Uhlichs agitatorische Fähigkeiten und Verdienste. Die Gründe für seine Absetzung sah das Ratskollektiv indes ausschließlich in den letzten beiden Jahren, in denen die Kollektivität des Rates nicht mehr gewährleistet gewesen sei und der Oberbürgermeister zu Überreaktionen und Empfindlichkeiten geneigt habe. Zudem habe es ihm an Fachwissen gefehlt und sein Gesundheitszustand habe sich stark verschlechtert.59 Die für die SED-Stadtleitung zur Bestätigung vorgelegte und vom 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters korrigierte Fassung 56 57 58 59

Vgl. Fritz Beier an das Polit-Büro der SED, 19.10.1959, SächsStAL, 21145, IV/5/01/491, Bl. 72 f. Vgl. Sitzung des Politbüros der SED am 20.10.1959, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/672, Bl. 4. Technisches Büro der SED-Bezirksleitung an die SED-Stadtleitung, 21.11.1959, SächsStAL, 21145, IV/5/01/188, Bl. 288. Vgl. Ratsvorlage, 11.11.1959, StadtAL, StVuR, 19987, Bl. 204.

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III. Bauen nach Plan?

kam dagegen zu einem weniger differenzierten Urteil, in dem sich die Sichtweise Fritz Beiers stärker widerspiegelt. Darin wurde Uhlich pauschal vorgeworfen, das „Grundprinzip unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates“, die „schöpferischen Kräfte der Bevölkerung“ einzubeziehen, verletzt zu haben. Damit habe er sich die Kritik der „Massen“ zugezogen und sei den ständig größer werdenden Aufgaben nicht mehr gewachsen gewesen.60 So bestand zwar Einigkeit darüber, dass Uhlich ausgewechselt werden musste, jedoch keineswegs über die Begründung. Wie wenig die offizielle Fassung des Ratsbeschlusses mit der Wahrnehmung eines Großteils der Ratsmitglieder übereinstimmte, lässt sich anhand des Sitzungsprotokolls erahnen. Dieses verzeichnet nicht weniger als neun, inhaltlich allerdings nicht überlieferte Diskussionsbeiträge zu der Angelegenheit und die eindringliche Bitte des 1. Stellvertreters des Oberbürgermeisters, „über diese Angelegenheit noch keine Diskussion zu führen“.61 Während der Funktionärswechsel im Bezirkswirtschaftsrat vor sich ging, war Walter Ulbricht am 26. November 1959 wie geplant in die Messestadt gereist, um diesmal im engen Kreis leitender Funktionäre über die Umgestaltung des Stadtzentrums persönlich zu diskutieren. Auch Paul Fröhlich, Fritz Beier und Erich Uhlich waren vor Ort. Dabei ging es nochmals um die Universitätskirche, die sich in den Augen Ulbrichts „unmöglich“ machte und um deren Verlagerung noch immer keine abschließende Einigkeit bestand. Nach Ulbrichts Dafürhalten sollte sie aber um jeden Preis vom Karl-Marx-Platz verschwinden. Außerdem ließ Ulbricht keinen Zweifel daran, dass zum Aufbau des Karl-Marx-Platzes nach Belieben Wohnungsbaumittel zweckentfremdet werden konnten und jegliche Versuche von Lückenbebauung bis 1965 zu unterbinden waren. Im Zentrum (s)einer Messestadt hatten weder Gaststätten, „Buden“, Verkaufsstellen für Lebensmittel noch Wohnungen etwas zu suchen. Gleichwohl forderte Ulbricht die Verantwortlichen – freilich im Wissen um den bevorstehenden Wechsel an der Spitze der Stadt – auf, dem Plan nicht wie ihr Oberbürgermeister hinterherzulaufen.62 Ulbricht hatte den Verantwortlichen der Stadt mit diesen Worten zu verstehen gegeben, dass die Autorität Uhlichs praktisch schon vor seiner offiziellen Absetzung kein Gewicht mehr hatte. Damit hatte die Demütigung des Oberbürgermeisters aber noch kein Ende. Nur zwei Tage später berief Fritz Beier eine Sitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt ein, um den Funktionären die letzten Modalitäten des unlängst bekanntgewordenen Funktionärswechsels mitzuteilen. Dies betraf einerseits den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der offiziellen Inszenierung des Funktionärswechsels und andererseits die Forderung, Walter Kresse bei der „Darlegung seines Programms […] behilflich“ zu sein. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Nach dieser kurzen Information widmete sich Beier ausführlich dem zwei Tage zuvor stattgefundenen Treffen mit Walter Ulbricht und forderte die Verantwortlichen des städti60 61 62

Vgl. Beschlußvorlage zur Veränderung der Besetzung der Funktion des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig, 12.11.1959, Ebd., Bl. 203. Vgl. Protokoll über die außerordentliche Ratssitzung am 12.11.1959, Ebd., Bl. 23. Vgl. Protokoll der Besprechung des 1. Sekretärs der SED Walter Ulbricht mit der SED-Bezirksund Stadtleitung und Vertretern des Stadtbauamtes über den Aufbau des Stadtzentrums, 26.11.1959, StadtAL, StVuR (1), 3589, Bl. 1–23.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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schen Bauwesens letztmalig warnend auf, die zusätzlich benötigten Kapazitäten in Berlin anzufordern.63 Die Ablösung Uhlichs war damit auch als Warnsignal für das Stadtbauamt zu begreifen. Die inszenierte Abberufung Uhlichs durch die Stadtverordneten fand am 5. Dezember 1959 in Abwesenheit des Oberbürgermeisters statt. Ein kurzer öffentlicher Teil, zu dem auch der Konsul der Sowjetunion im Bezirk Leipzig sowie ein General der NVA geladen waren, sollte den Schein der Legalität des Vorganges und die Einigkeit unter allen Beteiligten für die Öffentlichkeit und die Presseberichterstattung demonstrieren sowie den zur Wahl gestellten Walter Kresse programmatisch in Szene setzen. Nicht zuletzt sollten dadurch aber auch mit Blick auf die SEDFührung die Probleme bei der Umgestaltung des Stadtzentrums überdeckt und der Eindruck erweckt werden, dass die Parteiorgane vor Ort alles im Griff hätten. So wurde zunächst die von der SED-Bezirksleitung autorisierte Version der Begründung für den Kaderwechsel verlesen. Diese betonte die besonderen Anforderungen, die einem staatlichen Leiter zur Lösung der „ökonomischen Hauptaufgabe“, die Bundesrepublik wirtschaftlich einzuholen, abverlangt wurden und gab an, dass Uhlich nicht von der SED abberufen worden war, sondern beim Stadtausschuss der Nationalen Front um Abberufung gebeten habe.64 Anschließend wurde der neue Oberbürgermeister Walter Kresse unter „lebhaftem Beifall“ einstimmig gewählt, nachdem ihn ein Vertreter des Stadtausschusses als Bezirkstagsabgeordneten und selbstverständlich unter Auslassung der bereits neun Monate zurückliegenden Konflikte im Bezirk vorgestellt hatte.65 Kresses Antrittsrede glich wie erwartet einem Lobgesang auf den demokratischen Zentralismus. Bereits in seinen einleitenden Worten machte er deutlich, dass er kein eigenes Programm vorgeben würde, sondern der Siebenjahrplan, über den gerade im Bezirkstag „beraten“ wurde, alleiniges Programm des Rats der Stadt sein werde. Dieser habe die Aufgabe, die Stadt Leipzig angesichts ihrer industriellen Bedeutung an die Spitze des Bezirks zu führen. Dabei kam Kresse noch einmal explizit auf das „Führungsproblem“ im Rat zu sprechen. Zunächst verlangte er von den Ratsmitgliedern, den Inhalt des Siebenjahrplanes ab dem Tag der Beschlussfassung nicht mehr zu diskutieren, sondern sich schwerpunktmäßig auf die Umsetzung zu konzentrieren. Weiterhin bedürfe es eines entwickelten Kontrollsystems, wozu er vor allem ein kontinuierliches Berichtswesen (in Dekaden), Bauablaufpläne und das öffentliche Aushängen von Plänen auf den Baustellen zählte. Das Ratskollegium wies Kresse noch einmal auf die Wahrung des Prinzips „voller persönlicher Verantwortung bei kollektiver Beratung“ sowie auf die Notwendigkeit zur „gebieterischen“ Überwindung jeglichen Ressortgeistes hin.66 Implizit bedeutete dies, dass sich der Fall Uhlich jederzeit wiederholen könnte. Der sich anschließende nicht-öffentliche Teil der Sitzung diente ausschließlich der internen Rechtfertigung des Vorganges. Unter den Augen Fritz Beiers, der 63 64 65 66

Vgl. Kurzprotokoll über die Beratung Fritz Beiers mit der Parteigruppe Rat am 28.11.1959, StadtAL, StVuR (1), 3594, Bl. 43. Vgl. Außerordentliche Tagung der Stadtverordnetenversammlung am 5.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 199, Bl. 19–21. Vgl. Ebd., Bl. 21–24. Vgl. Ebd., Bl. 24–29.

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III. Bauen nach Plan?

selbst in seiner Funktion als Stadtverordneter sprach, gaben Vertreter der Parteien sich in der Wortwahl nahezu gleichende abschätzige Urteile über den abgesetzten Erich Uhlich ab. Die Inszenierung der Stadtverordnetensitzung diente letztlich nicht ausschließlich der Legitimation der Abberufung Uhlichs außerhalb einer Kommunalwahl. Dazu hätte die offizielle Begründung „aus Gesundheitsgründen“ genügt. Vielmehr sollten die Deutungshoheit der SED-Stadtleitung und ihre Fähigkeit, den Staatsapparat auf die Linie der SED-Führung einschwören zu können, für verschiedene Öffentlichkeiten demonstriert werden. Insbesondere richtete sich die Inszenierung an die SED-Führung und sollte die SED-Stadtleitung entlasten. Dass mit Walter Kresse ein in der Wirtschaftsplanung auf Minister- und Bezirksebene erfahrener Kader in die Stadtverwaltung kam, wurde von der seit 1957 mehrfach in die Kritik geratenen SED-Grundorganisation gleichfalls als Erleichterung nach konfliktreichen Jahren gewertet, obgleich Kresse noch wenige Monate vor seinem Amtsantritt wegen seiner „rein ökonomischen Perspektive“ gerügt worden war. „Durch den Einsatz des Genossen Kresse als OBM zeichnet sich bereits jetzt eine straffere und zielstrebigere Arbeit und die Entwicklung der kollektiven Leitung des Rates ab. Es wird von den leitenden Kadern eingeschätzt, daß sie trotz der harten Kritik, die an den einzelnen geübt wird, froh sind über die konkrete Hilfe und feste politische Konzeption, die vom Genossen Kresse sofort entwickelt wurde.“67

Eine „feste Konzeption“? Wohnungsbau in Leipzig im Siebenjahrplan Ein neuer Oberbürgermeister, der den Siebenjahrplan als nicht hinterfragbares Mittel zur Überholung Westdeutschlands nachdrücklich anerkannt hatte, garantierte aber noch lange keine feste Konzeption, wie dieser umzusetzen sei. Dieses Problem wurde durch den inszenierten Kaderwechsel vom Dezember 1959 vielmehr verschleppt. Dabei hatte der inzwischen auf die Bezirke aufgeschlüsselte Siebenjahrplan der Stadt Leipzig neue städtebauliche Aufgaben gestellt. Bis 1965 waren allein 29.400 Wohnungen in der Stadt zu bauen. Da sämtliche Baukapazitäten aber im Stadtzentrum eingesetzt waren, musste sich der kommunale Wohnungsbau hieran orientieren. So präferierte der Rat der Stadt bald wieder die Bebauung von Einzelstandorten.68 Der erst im Dezember 1959 vorliegende Plan zur Durchführung des Wohnungsbauprogramms zeigt diese enge Verzahnung divergierender Interessen und deren mangelnde Koordination. Zu den Eckpunkten gehörte die Konzentration des Wohnungsbaus auf „bestimmte Schwerpunkte“, insbesondere auf den Bereich „vom Stadtzentrum nach außen um die Karl-Liebknecht-Straße und das Chausseehaus“ sowie den Georgi-Ring, die Max-Liebermann-Straße, die Baalsdorfer Straße und Sellerhausen. Die Bauvorhaben sollten dabei nicht nur durch Umstellung auf Taktverfahren in industrieller Bauweise durchgeführt werden. Auch vorhandene Altbauten im Stadtzentrum sollten, unabhängig ihres Zustandes, großzügig ge67 68

SED-Grundorganisation beim Rat der Stadt, Bericht über die Verbesserung der Parteiarbeit beim Rat der Stadt Leipzig, 31.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 1652, Bl. 101. Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 15.2.1961, StadtAL, StVuR (1), 20060, Bl. 114.

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3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

schnittenen Wohnungen weichen. Die hierfür erforderlichen Enttrümmerungsarbeiten sollten in ehrenamtlicher Arbeit durch das Nationale Aufbauwerk, vor allem durch AWG-Mitglieder geleistet werden.69 Dabei appellierte man an das ökonomische Interesse der AWG, setzten sich diese doch vor allem aus denjenigen qualifizierten Arbeitskräften zusammen, die in den Schlüsselindustrien arbeiten sollten. (Tab. 5). Tab. 5: Wohnungsbau der Stadt Leipzig im Siebenjahrplan

Anteile – Staatlich Soll – Staatlich Ist – AWG/GWG Soll – AWG/GWG Ist

1959

1960

1961

1962

1963

1964

1965

627 538 2.537 1.853

394 115 1.944 1.729

786 447 2.763 1.806

920 k. A. 3.908 k. A.

900 k. A. 4.130 k. A.

886 k. A. 4.235 k. A.

610 k. A. 4.760 k. A.

Quelle: Wohnungsbau im Siebenjahrplan, 28.2.1961, StadtAL, StVuR (1), 4944, Bl. 29.

Die mit den vielgepriesenen „sozialistischen Wohnkomplexen“ verbundenen Hoffnungen auf Senkung der Baukosten konnten sich angesichts der Überlagerung von Bauaufgaben in der Stadt Leipzig aber nicht erfüllen. Die kostenintensivere Konzentration auf innerstädtische Bauflächen resultierte vor allem aus dem Fehlen eines städtebaulichen Gesamtkonzepts. Die Diskussionen im Rat der Stadt zu Beginn der 1960er Jahren waren so von einem spezifischen Pragmatismus geprägt. Während der Ratssitzung am 15. Februar 1961, bei der das Baugeschehen des Jahres 1960 resümiert wurde, kamen diese Probleme direkt zur Sprache. Zwischen Stadtbaudirektor Helmut Ober und Stadtarchitekt Walter Lucas bestand Einigkeit darüber, dass sich der Wohnungsbau vor allem am „Höchstmaß der Wirtschaftlichkeit“ zu orientieren hatte. So lehnten Ober und Lucas die von Kresse bevorzugte Strategie, „jede Baulücke, die irgendwie industriell bebaut werden kann, als Standort auszuweisen“, aus ökonomischen Gründen ab. Stattdessen forderten sie, Wohnkomplexe an konzentrierten Standorten, wie Paunsdorf oder Markkleeberg, zu bauen. Im Hinblick auf das Stadtzentrum mussten solche Wunschvorstellungen aber hintangestellt werden. Kresse setzte sich deshalb mit der Forderung durch, Einzelmaßnahmen durch Abbruch von Altbauten durchzuführen, auch wenn dies keineswegs ökonomisch war.70 Hintergrund der Debatten war, dass der Rat der Stadt Ende Juni 1961 vor dem Politbüro über die Ergebnisse berichten musste. Dabei geriet das Stadtbauamt wieder einmal unter den Druck der SED-Grundorganisation. Sie warf Helmut Ober bereits Ende Mai vor, die Konzeption für das Politbüro „auf einer Zigarettenschachtel vorbereitet“ zu haben und sah in einem solchen für die Arbeit Obers scheinbar symptomatischen Vorgehen die „Gefahr, daß das Politbüro wiederum falsch 69 70

Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 1.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 19990, Bl. 61–64. Zit. Bl. 61. Sitzung des Rates der Stadt am 15.2.1961, StadtAL, StVuR (1), 20060, Bl. 113 f.

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III. Bauen nach Plan?

informiert wird“.71 Die Erfahrung des Jahres 1959 war noch deutlich präsent. Kurzerhand löste die SED-Stadtleitung Ober, der sich angesichts zunehmender Berichtspflichten und der Notwendigkeit, Konzeptionen und Organisationspläne immer wieder abändern zu müssen, zurückgezogen hatte und für seine Mitarbeiter wie Kollegen kaum noch greifbar war72, ab und versetzte ihn in die Position des Aufbauleiters. Fachlich war dies durchaus wohlbegründet, entsprach diese Position doch viel eher seinen früheren Tätigkeiten als Bauleiter. In die Funktion des Stadtbaudirektors wurde Walter Lucas berufen, seinen Platz als Stadtarchitekt nahm im Herbst 1961 Wolfgang Geißler ein.73 Suche nach Kompromissen: Die Idee einer Satellitenstadt Hatte Walter Ulbricht die Stadt explizit aufgefordert, die Umgestaltung des Stadtzentrums auch mithilfe von Wohnungsbaumitteln durchzuführen, so erwartete die für die wirtschaftlichen Kennziffern verantwortliche Staatliche Plankommission die Umsetzung des Wohnungsbauprogramms. Der neue Stadtbaudirektor Lucas musste die nicht miteinander koordinierten Interessen gleichermaßen im Beschlussentwurf für das Politbüro unterbringen. So war er am 13. Juni 1961 zu einer Besprechung bei der Staatlichen Plankommission gereist, von der er jedoch verärgert zurückkehrte. Kaum zurück aus Berlin, beschwerte er sich umgehend, dass die Zusammenkunft außer einer Materialsammlung nichts gebracht habe. In Berlin existiere keinerlei Übersicht über Kapazitäten und Materialbedarf, formulierte er seinen ernüchternden Eindruck.74 So wurde die im Juni 1961 dem Politbüro übergebene Beschlussvorlage75 erst nach einigen Korrekturen bestätigt.76 Diese sah erwartungsgemäß vor, die von Oberbürgermeister Kresse befürwortete und bereits geplante Lückenbebauung im Stadtzentrum bis nach 1965 zurückzustellen. Um das Wohnungsbauprogramm des Siebenjahrplans dennoch erfüllen zu können, erhielten die Bauverantwortlichen der Stadt die Erlaubnis, Möglichkeiten für den Bau einer Satellitenstadt am nördlichen bzw. nordöstlichen Stadtrand für die Arbeiter der Kohle-, Chemie- und Energiewirtschaft zu untersuchen.77 Hiervon versprach 71 72 73

74 75 76 77

Vgl. Leitungssitzung der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig am 29.5.1961, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. Vgl. Ebd., unp. Über die Berufung Geißlers gab es im Vorfeld längere Differenzen mit dem Rat des Bezirkes. Vgl. Rat des Bezirkes, Bezirksbaudirektor, Besprechung zwischen Vertretern des Bezirksbauamtes, Stadtbauamtes und VEB (K) Bau Leipzig-Stadt über Fragen des Wohnungsbaus der Stadt Leipzig am 12.10.1961, StadtAL, StVuR (1), 4944, Bl. 127. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Bericht über eine Aussprache bei der Staatlichen Plankommission am 13.6.1961, 16.6.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. Vgl. Sitzung des Politbüros des ZK am 27.6.1961, SAPMO-BArch, DY 30/J IV/2/2/770, Bl. 6 (Beschluss), 46–50 (Beschlussvorlage). Rat der Stadt, Abt. Planung und Bilanzierung, Stellungnahme zu den Hinweisen des Präsidiums des Ministerrates für den weiteren Aufbau der Stadtzentren vom 14.6.1962, SächsStAL, 21145, IV/5/01/361, Bl. 5 f. Vgl. Siegel, Generalbebauung, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 125.

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man sich nicht nur positive Effekte auf die Reproduktion der Arbeitskraft der künftigen Bewohner (ruhige Lage in Waldnähe), sondern sah vor allem auch Rationalisierungsmöglichkeiten durch die räumliche Konzentration von Kapazitäten, Nähe zum Betonwerk Naunhof und günstigen Zugang zu benötigten Rohstoffen (Sand vom Autobahnsee Naunhof).78 Damit kam das Projekt den Interessen von Lucas (und Ober) entgegen. Gleichwohl hatte die SED-Bezirksleitung dieses Vorhaben mit Nachdruck unterstützt, was die Entscheidungsfindung in Ost­Berlin sicherlich begünstigt haben dürfte.79 Die Vorbereitungen dieses außerplanmäßigen Projektes gerieten jedoch schon bald durch Interessenkonflikte zwischen dem Rat des Bezirkes und dem Rat der Stadt ins Stocken. So hatte Lucas kaum zwei Wochen nach der Sitzung in Ost-Berlin verstreichen lassen und das bezirksgeleitete Entwurfsbüro für Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung auf Veranlassung der Deutschen Bauakademie und unter Umgehung des Bezirksbauamtes mit der Erschließung eines Standortes für die Satellitenstadt beauftragt. Dies erregte freilich Ärger im Bezirksbauamt, woraufhin Lucas um der Einhaltung der Ordnung willen formal um Genehmigung beim Bezirksbauamt und um Beschlussfassung durch den Bezirkstag ersuchen musste.80 Dabei stellte Lucas noch im November verärgert fest, dass der Rat des Bezirks in dieser Hinsicht kaum Eigeninitiative zeigte, auf Zeit spielte und man in der Stadt wiederum auf persönliche Eingriffe durch den Bezirksratsvorsitzenden angewiesen war.81 Der Rat des Bezirkes handelte freilich nicht aus Ignoranz den städtischen Problemen gegenüber, sondern vor dem Hintergrund eigener Schwierigkeiten. Der mit Bauaufgaben in der Stadt Leipzig betraute bezirksgeleitete VEB Bau-Union hatte bereits im Herbst 1961 ein Defizit von 16 Millionen DM erwirtschaftet. Die Arbeitsproduktivität lag mit 90,6 Prozent im Vergleich zum Durchschnittslohn von 103,7 Prozent auf niedrigem Niveau. Die Kontrolle über die Tätigkeit des Betriebes, der auf über 90 Baustellen an 482 Einzelobjekten eingesetzt war, war überdies kaum mehr möglich.82 Erst Anfang April 1962 konnte deshalb der abschließende Untersuchungsbericht, der den Bau eines Wohnkomplexes für höchstens 50.000 Einwohner in der Nähe von Gerichshain und Kosten von 875 Millionen DM vorsah, vorgelegt werden.83 Vor dem Hintergrund der komplizierten Materialsituation und den Interessenkonflikten zwischen Bezirk und Stadt hatte die SED­Bezirksleitung allerdings 78 79 80 81 82 83

Vgl. Niederschrift über die Berichterstattung über den Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig vor dem Politbüro am 26.6.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. Vgl. SED-Bezirksleitung, 2. Sekretär, Otto Heckert, an das Politbüro des ZK der SED, Otto Schnell, 3.7.1961, StadtAL, StVuR (1), 3594, Bl. 84–88. Vgl. Rat der Stadt, Stadtbauamt, Aktennotiz, 14.7.1961, StadtAL, StVuR (1), 4944, Bl. 93. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stellungnahme über die Zusammenarbeit mit dem Rat des Bezirkes Leipzig auf den einzelnen Fachgebieten seit dem Besuch des Genossen Walter Ulbricht im April 1961, 9.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 3528, Bl. 191. Vgl. Ministerium für Bauwesen, Zwischenbericht des Brigadeeinsatzes des Ministeriums für Bauwesens und der Deutschen Bauakademie in den Bezirken Rostock, Schwerin, Frankfurt/ Oder, Leipzig, Erfurt und Suhl, 9.9.1961, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/6.06/62, Bl. 11 f. Rat der Stadt, Vorlage für das Büro der Bezirksleitung Leipzig der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bericht: Untersuchungen zum Bau einer Satellitenstadt, 6.4.1962, SAPMOBArch, DY 30/5364, Bl. 120–133. Zu den Kosten vgl. Protokoll einer Beratung des Rates des

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III. Bauen nach Plan?

beschlossen, dass „der Aufbau der Satellitenstadt möglichst aus eigenen Kräften gesichert wird“84, womit die zeitaufwendigen Bemühungen bald eingestellt wurden. Auch hier machte sich letztlich das Fehlen eines städtebaulichen Gesamtkonzepts, das einen für alle Ebenen verbindlichen Rahmen schaffte, negativ bemerkbar. Verflechtungen und Desillusionierung Die lokalen Kapazitäten reichten aber auch für die im Politbürobeschluss von 1961 festgelegten Wohnkomplexe in Sellerhausen, Schönefeld, Möckern, Marienbrunn und Großzschocher nicht aus. Es fehlte hierbei nicht nur an Tiefbauressourcen. Auch die Produktion von Großplatten85 sowie die Versorgung der Neubauwohnungen mit Heizungsanlagen gerieten ins Hintertreffen.86 Im Oktober 1961 musste die Stadtverwaltung feststellen, dass für den Wohnungsbauplan 1962 35 Millionen DM zusätzlich beantragt werden mussten.87 Da Erfolge auf allen Ebenen ausblieben, geriet das Stadtbauamt immer wieder in die Kritik des seit 1960 amtierenden 1. Sekretärs der SED-Stadtleitung, Karl Bauer. Er warf den Verantwortlichen vor, „keine zielstrebige Arbeit“ zu leisten, sondern „sich auf Randprobleme abdrängen“ zu lassen. Vielmehr sollten sie eine „konsequente Haltung zur Durchführung der Bauproduktion“ zeigen.88 Auch Oberbürgermeister Kresse sah sich durch solche Drohrufe aus der SED-Stadtleitung vermehrt dazu gezwungen, sich persönlich an den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Karl Mewis89, und bald auch an Paul Fröhlich mit der Bitte zu wenden, die Stadt bei der Vermittlung zwischen den Einzelinteressen der Planträger „gegebenenfalls auf dem Parteiweg zu unterstützen“.90 In der Folge entstand eine kaum noch zu überblickende Verflechtung von Institutionen und Akteuren, während sich die Lage im Stadtbauamt zuspitzte. Insbesondere der Leiter der Abteilung Planung und Produktion des Stadtbauamtes, Erich Heinzig, der Stadtbauleiter, Siegfried Sachs, der Planungsleiter, Jochen Müller, der

84 85 86 87 88 89 90

Bezirkes mit sowjetischen Fachexperten zum Bau einer Satellitenstadt, 17.2.1962, StadtAL, StVuR (1), 3593, Bl. 111. SED-Bezirksleitung Leipzig, Beschluss des Büros der Bezirksleitung Leipzig zum Bericht des Rates der Stadt Leipzig über den Stand und die Probleme in der Planung der Satellitenstadt, 30.4.1962, SAPMO-BArch, DY 30/5364, Bl. 119. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbauamt, Abt. Planung und Produktion, Schlömann, an Walter Lucas, 5.7.1961, StadtStAL, StVuR (1), 4944, Bl. 82 f. Vgl. Walter Lucas an Walter Kresse, Information, 11.8.1961, Ebd., Bl. 103. Vgl. Rat des Bezirkes, Bezirksbaudirektor, Besprechung zwischen Vertretern des Bezirksbauamtes, Stadtbauamtes und des VEB (K) Bau Leipzig-Stadt über Fragen des Wohnungsbaus der Stadt Leipzig am 12.10.1961, Ebd., Bl. 126. Vgl. Stellungnahme des Büros der SED-Stadtleitung zum Bericht des Rates der Stadt zum Aufbau des Stadtzentrums, 17.10.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. Vgl. Walter Kresse an Karl Mewis, Sicherung des Wohnungsbauprogramms der Stadt Leipzig, 2.8.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/361, Bl. 60. Walter Kresse an Paul Fröhlich, Aufbau des Stadtzentrums Leipzig, 16.1.1962, SächsStAL, 21145, IV/5/01/361, Bl. 1. Vgl. ferner mit ähnlichem Bezug Walter Kresse an Paul Fröhlich, Durchführung des Staatsplanvorhabens Aufbau Stadtzentrum, 24.5.1962, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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zusammen mit Helmut Ober am Bau der Staatsoper Berlin sowie der Leipziger Oper beteiligt gewesen war91, sowie der Sekretär der Parteigruppe Stadtbauamt, Horst Kiel, äußerten sich verstärkt kritisch über die Organisationsprobleme sowie die Zersplitterung der städtischen Baukapazitäten und wurden hierfür mehrfach in ihre Schranken gewiesen. Als jedoch ein Mitarbeiter des Stadtbauamtes gerichtlich belangt wurde, eskalierte die Situation im Dezember.92 „Genosse Kiel bringt das Argument, dass im Stadtbauamt vorherrscht die Meinung, im Rat gibt es zwei Wissenschaftler. Der eine ist Genosse Kresse, der andere sein Stellvertreter. Die anderen, die Bauleiter usw. – sind Pfeiffen [sic!]. Vom Genossen Sachs wurde weiterhin gesagt, dass es kein Vertrauen mehr untereinander gibt. Es sei kein Zustand für die Fachleute, wenn Dinge ausgearbeitet werden, die im Rat dann wieder über den Haufen geworfen werden, da es einigen nicht passt. […] Es gab nicht einen einzigen, der sagte, dass die Partei die richtige Linie hat.“93

Auch Helmut Ober meldete sich wenige Monate nach seiner Versetzung wieder kritisch zu Wort. Er warf dem Oberbürgermeister sowie dem 1. und 2. Sekretär der SED-Stadtleitung vor, mit dem Auto durch die Stadt zu fahren und zu bestimmen, was wo gebaut werde. Erich Heinzig stellte dagegen gleich einen Antrag auf Abberufung von seiner Funktion aus „Gesundheitsgründen“, mit der Absicht, dass dadurch „die Ursachen der Schwierigkeiten und der Arbeitsweise im Stadtbauamt“ einmal ernsthaft geprüft würden.94 In der SED-Grundorganisation bestand jedoch weitgehende Einigkeit mit der SED-Stadtleitung darüber, dass im Stadtbauamt „nicht genügend der Wille da [sei, d. V.], die Lage zu verändern“. Den Verantwortlichen wurde immer wieder vorgeworfen, keine exakte Bauökonomik ausgearbeitet zu haben, keine konkreten Maßnahmen zur Überprüfung der Standorte für den Wohnungsbau, zur Organisation des sozialistischen Wettbewerbs und zur Auslastung der Technik getroffen zu haben.95 Das Stadtbauamt sah sich zunehmend isoliert. Schließlich wandte sich der Parteisekretär der Grundorganisation, Manfred Spitzner, persönlich an die SED-Bezirksleitung.96 Inwiefern Fröhlich, der von diesem Vorfall Kenntnis erhielt, in die Vorgänge eingriff, ist nicht überliefert. Allerdings wurde der Abteilungsleiter, Erich Heinzig, bald abgelöst. Für Sachs und Müller, denen Ähnliches drohte, die Lucas wegen ihrer praktischen und intellektuellen Fähigkeiten aber unbedingt als Fachkräfte halten wollte, trat der vergleichsweise weitsichtig und konsensorientiert agierende Stadtbaudirektor Lucas persönlich ein.97 91 92 93 94 95 96 97

Vgl. Kurzbiographie Jochen Müller, StadtAL, StVuR, 20133, Bl. 172. Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, 1. Sekretär, Manfred Spitzner, an Karl Bauer, 23.1.1962, SächsStAL, 21479, IV/7/139/017, unp. Leitungssitzung der SED-Grundorganisation Rat der Stadt am 17.1.1962, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, 1. Sekretär, Manfred Spitzner, an Karl Bauer, 23.1.1962, SächsStAL, 21479, IV/7/139/017, unp. Leitungssitzung der SED-Grundorganisation Rat der Stadt am 17.1.1962, SächsStAL, 21479, IV/7/139/016, unp. Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, 1. Sekretär, Manfred Spitzner, an Karl Bauer, 23.1.1962, SächsStAL, 21479, IV/7/139/017, unp. Vgl. Walter Lucas an Walter Kresse, Kaderveränderung Koll. Sachs/Müller, 26.5.1962, StadtAL, StVuR (1), 1654, Bl. 234–237.

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III. Bauen nach Plan?

Die Leipziger Baupolitik der späten 1950er und frühen 1960er Jahre wurde maßgeblich durch das Fehlen einer städtebaulichen Gesamtplanung und die damit verbundene Überlagerung von nicht miteinander koordinierten Einzelinteressen bestimmt. Eine ökonomisch rationelle Ressourcenallokation, wie sie neben allen propagandistischen Lobpreisungen der „sozialistischen Wohnkomplexe“, beabsichtigt war, konnte dadurch nicht erfolgen. Zudem wurde der Wohnungsbau, obwohl der Mangel an Wohnungen als eine der Hauptursachen der Massenabwanderung galt, zugunsten des Stadtzentrums an den Rand gedrängt, Probleme wurden nicht erörtert bzw. die Erörterung durch politische Konfliktlösungsstrategien verhindert. 3.2 Auf dem Weg zum Generalbebauungsplan: Die städtebauliche Integration des Wohnungsbaus in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre „Wirtschaftsboom“ und Interessenkonflikte: Städtebauliche Probleme Leipzigs in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Die Umgestaltung des Stadtzentrums, namentlich die Bebauung des Karl-MarxPlatzes und das ihn umgebende Areal, war Mitte der 1960er Jahre – bis auf den Universitätsneubau – weitgehend abgeschlossen. Die Baupolitik der Stadt konzentrierte sich seither auf die Entwicklung des Chemieanlagenbaus, der Elektrotechnik, der Elektronik sowie des polygraphischen Maschinenbaus.98 Allein zwischen 1962 und 1967 wurden vier Industriebauvorhaben im Stadtzentrum realisiert. Hinzu kamen weitere Industriekomplexe, etwa im Leipziger Nordosten.99 Mit dem Bau von Verwaltungs- und Industriekomplexen verband sich auch ein erhöhter Zustrom von Arbeitskräften. Zwar hatte der Rat der Stadt schon seit 1957 monatlich 50 Anträge auf Zuzug registrieren müssen100, infolge der hohen Republikflucht­Zahlen und der dadurch freiwerdenden Wohnungen aber blieben die Auswirkungen auf die Wohnungspolitik noch moderat. Seit dem 13. August 1961 machte sich die Vernachlässigung des Wohnungsbaus umso mehr bemerkbar. Seither sank die Zahl der jährlich neugebauten Wohnungen bis 1969 (823) auf unter die Hälfte des Jahres 1961 (2.066).101 Auch Altbauwohnungen kamen für die Zugezogenen immer weniger infrage. Im Stadtbezirk Nordost etwa, wo einer der größten Industriekomplexe entstand, besaßen 75,2 Prozent der Gebäude kein Bad, 1,6 Prozent keinen Wasseranschluss und 13,9 Prozent keinen Gasanschluss. Zudem verfügten 63,2 Prozent der Wohnungen nicht über ein Innenklosett, 10,9 Prozent 98

Vgl. Programm des Rates der Stadt zur planmäßigen Entwicklung, Ausbildung, Erziehung und Verteilung der Führungskader des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke entsprechend der Perspektive der Stadt Leipzig, 15.11.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/03/097, unp. 99 Vgl. Blaurock, Leipzigs Industrie, in: Blaurock/Schnabel/Zetzsche (Hrsg.), Industrie der Stadt Leipzig, S. 149. 100 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Bericht über die Wohn- und Gewerberaumsituation unter Beachtung der Zurückführung von zweckentfremdeten Wohnraum und die Gewinnung von Wohnraum im Rahmen des NAW sowie der Stand der Werterhaltungsmaßnahmen, 12.9.1957, StadtAL, StVuR (1), 19901, Bl. 200. 101 Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Leipzig 1970, S. 61.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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besaßen Trockenklosetts ohne Kanalisationsanschluss. Gravierender aber waren der zunehmende Schädlingsbefall und Defekte an Schleusenanlagen, was die Gebäude praktisch unbewohnbar machte.102 Den wohnungspolitischen Herausforderungen des Leipziger „Wirtschaftsbooms“, die eine zunehmende Konkurrenz auf dem „Wohnungsmarkt“ zwischen alteingesessenen und neuzugezogenen Bürgern zur Folge hatten, standen nicht nur fehlende Investitionen und die Vernachlässigung der städtebaulichen Gesamtplanung gegenüber, sondern auch die Zersplitterung der Baukapazitäten. Für den Wohnungsbau war nach der Eingliederung des bezirksgeleiteten VEB Bau-Union in das zentralgeleitete Bau- und Montagekombinat Süd Mitte der 1960er Jahre zwar ein stadtgeleitetes Kombinat für den komplexen Wohnungsbau geschaffen worden.103 Der Rat des Bezirkes aber besaß die Bilanzierungskompetenz und damit die Deutungshoheit über das Baugeschehen in der Stadt. So wurde das städtische Baukombinat immer wieder für die „ungenügende[n] Vorbereitung der Herstellung von Betonelementen für die Großblockbauweise“ verantwortlich gemacht.104 Die Realität sah jedoch anders aus. Einerseits war der vielgeschossige typisierte Wohnungsbau mit den vorhandenen Finanzmitteln nicht zu bewältigen. Andererseits musste der Betrieb immer wieder auf Baustellen am Karl-Marx-Platz aushelfen, da vor allem Kräne und Hebezüge nahezu regelmäßig ausfielen.105 Der Einfluss des Bezirks, der das Baukombinat der Stadt wiederholt an erster Stelle der Betriebe mit beträchtlicher Planuntererfüllung sah106, lässt sich auch anhand der Berichtspraxis nachzeichnen. Berichte, etwa die der Ständigen Kommission Bauwesen des Bezirkstages, gingen zuweilen direkt auf den Schreibtisch von Erich Honecker. Sie machten vor allem die schlechte Arbeitsmoral der Belegschaft für die fehlenden Erfolge verantwortlich. Der Betriebsleitung wurde vorgeworfen, „kein gutes Betriebsklima“ zu verbreiten. Die Arbeiter seien deshalb lustlos, kämen nicht zu Vollversammlungen, hörten auf Baustellen Westmusik, beschädigten wertvolle Geräte, vernichteten und entwendeten Material. Arbeitssitzungen seien nicht, wie vorgeschrieben, nach, sondern während der Arbeitszeit abgehalten worden. Auch habe es die Betriebsleitung zugelassen, dass die Zahl der Fehlstunden etwa zum 31. Mai 1966 auf 8.800 angewachsen und der Plan nur zu 84,5 Prozent erfüllt worden sei, während sie nicht davon abrückte, erhöhte Löhne bei niedriger Arbeitsproduktivität zu zahlen.107 Tatsächlich aber waren die Löhne im Baukombinat so 102 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Nordost, Bericht über die bauliche Situation in der Altbausubstanz des Wohnungsbestandes unseres Stadtbezirkes zum gegenwärtigen Zeitpunkt, 10.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 3001, Bl. 129–132. 103 Vgl. Blaurock, Leipzigs Industrie, in: Blaurock/Schnabel/Zetzsche (Hrsg.), Industrie der Stadt Leipzig, S. 151. 104 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Aufbauleitung Stadtzentrum, Bericht über den Stand der Baumaßnahmen für den Aufbau des Stadtzentrums Leipzig per 31.12.1964, 8.1.1965, SächsStAL, 21145, IV/A/5/01/208, unp. 105 Vgl. Berichte zum Aufbau des Stadtzentrums Leipzig 1964–1965, Ebd. 106 Vgl. Rat des Bezirkes, Vorsitzender, Vorlage für das Sekretariat der SED-Bezirksleitung: Bericht des Rates des Bezirkes über den Stand der Perspektivplandiskussion, 31.5.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/3/086, Bl. 29. 107 Vgl. Ständige Kommission Bauwesen des Bezirkstages Leipzig, Vorsitzender Willy Leidenrei-

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niedrig, dass sogar Transportarbeiter, Kraftfahrer oder Betriebsmaurer mehr verdienten. Auch bewerteten die zur Rückkehr in die Bauwirtschaft angesprochenen Arbeiter die kulturelle und soziale Betreuung, das Verhältnis zur Betriebsleitung sowie die Qualifizierungsmöglichkeiten in anderen Industriebereichen als wesentlich besser.108 Das Büro des Chefarchitekten, der Generalbebauungsplan und der VII. Parteitag Das stadtplanerische Chaos, das bislang in der Stadt Leipzig waltete, sollte mit dem 1967 geschaffenen Büro des Chefarchitekten beseitigt werden. Das Büro entstand keineswegs in einem ad-hoc-Verfahren, sondern war vielmehr eine Spätfrucht der 1. Baukonferenz von 1955, auf der bereits eine „generelle Planung“ gefordert worden war. Unter den Bedingungen des NÖS und unter Anleitung der Bauakademie wurde die Generalbebauungsplanung schließlich auch von der SED-Führung als „territoriale Dienstleistung“ anerkannt, mit dem Ziel, Industrie und Wohnungsbau räumlich effizient zu konzentrieren. Auch wenn das Büro letztlich keinen Einfluss auf die Umsetzung des Generalbebauungsplans hatte, ist seine Wirkung nicht zu unterschätzen. Der Generalbebauungsplan schuf nicht nur die Möglichkeit, die Stadt als Ganzes in den Blick zu nehmen, sondern auch lokale Interessen geltend zu machen, und er versprach weitgehende Planungssicherheit.109 So legte der Leipziger Generalbebauungsplan den Fokus auf die bislang vernachlässigten innerstädtischen Wohngebiete, die durch Neubau umgestaltet und aufgelockert werden sollten.110 Mit Horst Siegel hatte der Rat der Stadt Leipzig 1967 nicht nur einen ausgewiesenen Fachmann in Sachen Wohnungsbau (Halle-Neustadt) zum Chefarchitekten berufen, Siegel verfügte obendrein über ein dichtes personelles Netzwerk in Architekten- und Funktionärskreisen. Einerseits unterhielt er gute Beziehungen zur Abteilung Bauwesen der SED-Bezirksleitung Leipzig, die von 1962 bis 1989 von Günter Berger geleitet wurde, der wiederum in den 1950er Jahren für rund zwei Jahre als 1. Sekretär zweier SED-Stadtbezirksleitungen Leipzigs agiert hatte.111 Dieser Kontakt verschaffte Siegel die Möglichkeit, auf Standortentscheidungen unmittelbar Einfluss nehmen zu können.112 Andererseits pflegte Siegel einen persönlichen Umgang mit dem Büro für Städtebau des Rates des Bezirks. So bildete sich

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ter, Analyse über die Lage im Baukombinat Leipzig (St.), 4.7.1966, SächsStAL, 20237, 26230, Bl. 44–49. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtplankommission, Bericht über die Zurückgewinnung berufsfremd eingesetzter Baufacharbeiter, 17.7.1967, SächsStAL, 21145, IV/A/5/01/209, unp. Vgl. Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“, S. 133 f. Vgl. Horst Siegel, Zur generellen Planung und Gestaltung der Stadt Leipzig. Ein Beitrag zur praktischen Erbeaneignung der Ideen des Bauhauses, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 29, 1983, S. 432–434. Vgl. zu den Prinzipien des Generalbebauungsplans Siegel, Generalbebauung, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 135. Vgl. Art. ‚Berger, Günter (*1924)‘, in: Niemann/Herbst (Hrsg.), SED-Kader, S. 108 f. Vgl. Büro des Chefarchitekten, Informationsbericht über einen Erfahrungsaustausch mit dem Chefarchitekten der Hauptstadt der DDR-Berlin am 29.11.1979, 7.12.1979, StadtAL, StVuR, 21415, Bl. 73.

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mit der Zeit zwischen beiden Institutionen eine Art Arbeitsteilung heraus, wonach sich das Büro für Städtebau des Bezirks ausschließlich auf die Kreise konzentrierte, während man Siegel in der Bezirksstadt freie Hand ließ.113 Überlagert wurden die Planungen jedoch durch den VII. Parteitag der SED (17.–22. April 1967), der vor allem durch die Rücknahme dezentraler Elemente der Wirtschaftsreformen in die Geschichtsbücher einging, aber auch Auswirkungen auf die kommunale Baupolitik hatte. Positiv für die Stadt Leipzig war zunächst, dass Walter Ulbricht den Bezirksstädten nun eine stärkere Konzentration von Baukapazitäten zusicherte. Gleichwohl verlangte er von den Bauverantwortlichen parallel, die Stadtzentren nicht mehr ausschließlich in industrieller Bauweise umzugestalten, sondern auch die bildkünstlerische Gestaltung mitzudenken.114 Die Präferenzen der SED-Führung lagen jedoch immer noch in der Innenstadt. So verlangte das Politbüro von Leipzig zunächst eine überarbeitete Konzeption für die Umgestaltung des Stadtzentrums. Dies hatte auch Paul Fröhlich wieder auf den Plan gerufen. Mit den Delegierten der SED-Bezirksparteiorganisation besprach er am 12. Juli 1967 die von Berlin vorgegebenen Perspektivplanaufgaben für den Leipziger Bezirk. Parallel war eine Zentrale Arbeitsgruppe des Ministeriums für Bauwesen, des Bezirkes sowie der Stadt Leipzig damit beschäftigt, einen Bericht über die Umgestaltung des Stadtzentrums zur Vorlage im Politbüro auszuarbeiten. Zeitgleich drohten jedoch Einzelprojekte im Stadtzentrum zusehends an fehlenden Ersatzobjekten zur Freilenkung von abzureißenden Gebäuden zu scheitern, wovon insbesondere das Prestigeprojekt der Straße des 18. Oktober (Messemagistrale) betroffen war.115 Folglich konnten Bautermine nicht eingehalten werden, was hohe Vertragsstrafen für das städtische Baukombinat nach sich zog, für die wiederum der Rat der Stadt aufkommen musste. Fröhlich sah sich deshalb und im Hinblick auf den bevorstehenden XX. Jahrestag der DDR, an dem sich Leipzig mit einem neuen Gesicht präsentieren sollte, wieder zu verstärkten Eingriffen in die Belange der Stadtverwaltung veranlasst. Bei einer internen Beratung mit Vertretern des Rates der Stadt und der Ständigen Kommission Bauwesen am 21. August 1967 machte er den Anwesenden unmissverständlich deutlich, dass sämtliche Wohnungsbaumittel auf das Stadtzentrum zu konzentrieren seien, was bedeutete, dass bereits begonnene Bauvorhaben in den Außenbezirken unverzüglich abzubrechen waren.116 Einen Monat später legte der Rat der Stadt einen diese Vorgaben präzisierenden Beschlussentwurf vor. Diesem zufolge sollte der Wohnungsbau an der Peripherie unverzüglich eingestellt werden und Rekonstruktionsmaßnahmen betrieblicher Werkswohnungen nur noch 113 Vgl. Rat des Bezirkes, Instrukteurabteilung, Probleme der Leitung der Büros für Städtebau (B), des Büros des Chefarchitekten der Stadt Leipzig und der Büros für Verkehrsplanung des Bezirkes und der Stadt Leipzig, 23.12.1976, SächsStAL, 20237, 24347, unp. Zu den Spielräumen Horst Siegels vgl. auch Horst Siegel, Ende ’67/Anfang ’68 – zwischen Verantwortung und Ohnmacht, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig 1945–1990, S. 387–391. 114 Vgl. Protokoll der Verhandlungen des VII. Parteitages, Bd. 1, S. 183. 115 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Aufbauleitung, Helmut Ober, an den Stellvertreter für Bauwesen, Wolfgang Geißler, 12.7.1967, StadtAL, StVuR, 15716, Bl. 188. 116 Vgl. Protokoll zur Beratung von Paul Fröhlich, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, mit Mitgliedern des Rates der Stadt und der Kommission Bauwesen am 21.8.1967, StadtAL, StVuR (1), 518.

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III. Bauen nach Plan?

über Eigenleistungen der Belegschaften erfolgen. Gleichwohl – und hier griff man Ulbrichts Worte zur Konzentration von Baukapazitäten in Bezirksstädten „schöpferisch“ auf – sollte das Baukombinat der Stadt sich auf den Abriss „störender Substanz im Stadtzentrum“ sowie an der Straße des 18. Oktober konzentrieren und dabei perspektivisch zum Generalauftragnehmer für den komplexen Wohnungsbau entwickelt werden.117 Man wollte somit die Gunst der Stunde nutzen, um langfristig gesehen ein leistungsfähiges und im Interesse der Stadt agierendes Baukombinat aufzubauen. Parallel wurde gleichwohl der Einfluss der SED­Bezirksleitung auch personell gestärkt, indem der Hochbau-Spezialist, langjährige politische Mitarbeiter und Leiter der Abteilung Bauwesen der SED-Bezirksleitung, Wolfgang Schwalbe, zum neuen Stellvertreter für Bauwesen berufen wurde. Freilich oblag es dem Rat der Stadt, den unpopulären Beschluss bei der noch ahnungslosen Betriebsleitung des städtischen Baukombinats bekannt zu machen. Hierfür zeichnete der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Walter Zmyslony118, verantwortlich, der den Beschluss bestmöglich verkaufen musste, ohne dabei Diskussionen aufkommen zu lassen. Die zu erwartende Verärgerung der Betriebsleitung über die Nichtbeteiligung des Betriebes an der Beschlussfassung hatte jedoch einen umgehenden Interventionsversuch des Betriebsdirektors Sachs bei der SEDStadtleitung zufolge. Darin verwies dieser auf den immensen ökonomischen und politischen Schaden, den der Beschluss des Rates nach sich zöge. Zudem befürchtete er nicht nur Gewinnverluste und spürbare Investitionsrückgänge im Wohnungsbau, sondern auch beträchtliche Vertragsstrafen und voreilige Bauentscheidungen, denn weder war klar, ob ein sich noch in Planung befindliches zweites Plattenwerk in Wiederitzsch – eines bestand bereits in Neu-Schönefeld – termingemäß in Betrieb genommen werden konnte, noch lagen alle notwendigen Bebauungspläne für die Straße des 18. Oktober vor. Neben einem hohen wirtschaftlichen Verlust durch Nichterfüllung von Verträgen befürchtete der Betriebsleiter einen unkontrollierbaren Anstieg der Fluktuation unter den Arbeitskräften, denn „solche Mitteilungen erzeugen unter der Belegschaft unseres Betriebs nicht nur Empörung über die Ar117 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Beschlussvorlage zu Konsequenzen für die staatliche Leitungstätigkeit des Rates der Stadt beim weiteren Aufbau des Stadtzentrums, 6.9.1967, StadtAL, StVuR (1), 20082, Bl. 16–21. 118 Walter Zmyslony (geb. 1924), geb. in Rassnitz/Kreis Merseburg, 1938–1942 Lehre als Drogist, sowie Nachkalkulator ATG Leipzig, 1942–1945 Gefreiter der Wehrmacht, 3 Tage amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1945 Mitglied der KPD, 1945–1946 Demontage-Arbeiter und Pförtner ATG Leipzig, 1946 Mitglied der SED, 1951 Vorsitzender einer Überprüfungskommission im Rat der Stadt / in den Räten der Stadtbezirke Leipzig, 1952–1954 1. Sekretär der SEDStadtbezirksleitung V sowie der SED-Kreisleitung Geithain, seit 1954 Fernstudium Gesellschaftswissenschaften, 1955–1959 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Döbeln, 1959–1961 2. Sekretär der SED-Stadtleitung Leipzig, 1962–1963 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig, 1963–1965 Studium Diplom-Ökonom TU Dresden, 1965–1970 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters Leipzig, 1970–1980 Direktor des VEB Stadtreinigung Leipzig. Vgl. Kurzbiographie Walter Zmyslony, 14.12.1961, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/834, Bl. 104; Kurzbiographie Walter Zmyslony, 1.3.1968, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/1577, Bl. 45; Sitzung des Rates der Stadt am 20.5.1970, StadtAL, StVuR (1), 20380, Bl. 178; Rat des Bezirkes Leipzig, Kadersituation beim VEB Stadtreinigung, 1.7.1980, SächsStAL, 20237, 25475, unp.

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beitsweise des Rates der Stadt, sondern geradezu Unglauben an die Beschlüsse unserer Partei“.119 Aber auch von anderer Seite waren schon im Juli 1967 kritische Stimmen zu hören. Bereits wenige Tage bevor Walter Ulbricht in die Messestadt Leipzig kommen sollte, um knapp zwei Wochen nach den Volkskammer- und Bezirkstagswahlen (2. Juli 1967) eine flammende Rede über die „Globalstrategie der USA und der Europa-Politik der amerikanischen und westdeutschen Imperialisten“ zu halten120, hatten die Behörden in Leipzig eine dramatische Zunahme von Nichtwählern registrieren müssen. Viele der über 11.000 Nichtwähler protestierten zwar vornehmlich gegen Reisebeschränkungen sowie die Politik der SED im Allgemeinen, in zunehmendem Maße reihten sich aber auch mit ihrer Wohnsituation unzufriedene Bürger in den Kreis der Nichtwähler ein.121 Mit diesen alarmierenden Eindrücken vor Augen versuchte Zmyslony, die Umsetzung des umstrittenen Ratsbeschlusses auf der Basis des Generalbebauungsplans mit Fröhlich abzustimmen und ihn dabei zugleich für die Probleme der Stadt zu sensibilisieren.122 Der Generalbebauungsplan wurde somit zu einem Instrument städtischer Interessenvertretung. Dabei nutzte Zmyslony auch die guten Kontakte des Chefarchitekten Siegel zur Abteilung Bauwesen der SED-Bezirksleitung. Ein auf den 28. November 1967 datierter Problembericht, den die Abteilung Bauwesen der SED-Bezirksleitung „für die Sitzung des Politbüros für den Genossen Paul Fröhlich“ an den 1. Sekretär übergab, ist mit handschriftlichen Streichungen und Vermerken Fröhlichs im Sächsischen Staatsarchiv erhalten und gibt in dieser Form tiefe Einblicke in die Konflikte und Denkweisen der in unterschiedliche Herrschaftskontexte eingebundenen Akteure. Darüber hinaus lässt der zwölf-seitige Bericht erkennen, inwieweit dem Rat der Stadt Handlungsspielräume zugestanden wurden und Fröhlich bereit war, städtische Interessen im Politbüro geltend zu machen.123 Der Inhalt berührt drei Themenschwerpunkte: Problemanalyse – Lösungsvorschlag – weitere Bauaufgaben der Stadt. Um Fröhlich für die spezifischen städtischen Problemlagen sensibilisieren zu können, mussten die Bauverantwortlichen der Stadtverwaltung stets vom gesamten Bezirk ausgehen und nachweisen, dass sich das Leipziger Bauwesen im Vergleich zu anderen Bezirken im Rückstand befand. Die Ursache für diese räumlichen Disproportionen seien vor allem zentrale 119 Vgl. VEB Baukombinat (St.) Leipzig, Kombinatsdirektor Sachs an die SED-Stadtleitung Leipzig, Informationen über die Auswirkungen des Ratsbeschlusses Nr. 123–20/67 vom 6.9.1967, 26.9.1967, SächsStAL, 21145, IV/A/5/129, unp. 120 Das Protokoll zu Rede befindet sich in SächsStAL, 21123, IV/A/2/2/040, unp. 121 Vgl. SED-Stadtleitung, Abt. Parteiorgane. Analyse der Nichtwähler, 12.7.1967, SächsStAL, 21145, IV/A/5/01/253, Bd. 1, unp. 122 Dies geht aus handschriftlichen Notizen hervor, die Zmyslony während der Ratssitzung am 21. September 1967 anfertigte. Vgl. Bericht über den Aufbau des Stadtzentrums Leipzig vor dem Politbüro des ZK der SED, 6.9.1967, StadtAL, StVuR, 20283, Bl. 54–56. 123 Vgl. Material für die Sitzung des Politbüros für den Genossen Paul Fröhlich, 1. Sekretär der Bezirksleitung Leipzig zum Bericht Plan der Stadt, o. D., SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/408, unp. Zur Datierung und Kontextualisierung des Berichtes vgl. Rowell, Le totalitarisme au concret, S. 217 f. Rowell untersucht den Bericht jedoch nicht im Hinblick auf Interessenkonflikte mit der Stadt. Aufgrund der fehlenden Folierung werden Inhalte und Zitate des Berichtes im Folgenden ohne gesonderte Nachweise wiedergegeben.

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Planträger gewesen, die ungeachtet der genehmigten Investitionen immer wieder Zusatzbedarf gefordert hatten. Dies wiederum habe eine Differenz von 135 Millionen MDN zwischen Aufkommen und Bedarf im Wohnungsbau verursacht. Um den Bedarf der Zentrale abzudecken, habe der Bezirk (und folglich auch die Stadt) fast die Hälfte der Bauleistungen auf den Industriebau konzentrieren müssen, was dem Bezirk in dieser Hinsicht zwar den zweiten Platz, aber im Hinblick auf den Wohnungsbau den zwölften Platz unter den Bezirken der DDR einbrachte. Mit 15,2 Prozent der Bauleistungen habe der Bezirk weniger als die anderen Bezirke für den Wohnungsbau aufgewendet. Ferner lag der Bezirk beim Bau von Kinderkrippen und -gärten an siebter, bei Werterhaltungen an 15. Stelle. Bemerkenswert im Hinblick auf die Werterhaltung ist, dass Fröhlich weitere detailliertere Ausführungen über den starken Verschleiß an Gebäuden der Örtlichen Versorgungswirtschaft, der Volksbildung, der Kultur, des Gesundheitswesens und des Staatsapparates aus dem Bericht herausstrich, was deutlich macht, wie kompliziert es war, Fröhlich für lokale Problemlagen außerhalb politischer Schwerpunktaufgaben zu sensibilisieren. Gehör fanden die Vertreter der Stadt daher in erster Linie in Bezug auf die Fertigstellung des Stadtzentrums, aber – und dies ließ sich aus Sicht des Rates der Stadt durchaus als Erfolg werten – auch im Hinblick auf die Forderung, dass „die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung in Zukunft die notwendige Beachtung finden muß“. Die statistischen Berechnungen des Rates hatten bei Fröhlich damit durchaus gefruchtet. Die Lösungsvorschläge der Stadt verwarf Fröhlich allerdings gänzlich. Etwa hatte die Kommune vorgeschlagen, den Wohnungsbau im Stadtzentrum sowie in den maroden Altbaugebieten West- und Ostvorstadt im Gleitbauverfahren voranzutreiben. Hierzu sollten die Investitionen von 116,9 Millionen MDN (1968) auf 302,2 Millionen MDN (1970) erhöht werden, wobei das zentralgeleitete Bau- und Montagekombinat Süd ebenso Hauptauftragnehmerleistungen erbringen sollte wie die bezirks- und stadtgeleiteten Betriebe. Zudem sollten bezirkliche und städtische Kapazitäten auf das Dreifache aufgestockt werden, während das zentralgeleitete Kombinat nur etwas mehr als das Doppelte seiner bisherigen Mittel erhalten sollte. Hinter diesen Zahlenspielereien verbargen sich elementare Machtfragen, denn bezirks- bzw. stadtgeleitete Betriebe konnten so viel effektiver und berechenbarer für territoriale Bedürfnisse eingesetzt werden. Dagegen konnte das zentralgeleitete Kombinat, über dessen Kapazitäten man in Ost-Berlin ja Bescheid wusste, jederzeit anderweitig eingesetzt werden – etwa in Ost-Berlin. Dies jedoch und der Hinweis darauf, dass das Ministerium für Bauwesen bereits den Einsatz eines Spezialbaukombinates zur Errichtung der geplanten Hochhäuser im Stadtzentrum zugesagt habe, konnten Fröhlich letztlich aber nicht überzeugen, die Vorschläge der Stadt in Ost-Berlin zu unterbreiten. Dies mag einerseits daran gelegen haben, dass Fröhlich um die Tabuisierung von Investitionserhöhungen im Politbüro wusste, andererseits aber womöglich auch – wie eine weitere Streichung im Bericht deutlich macht – an der Furcht vor einer allzu großen Bevorzugung der Stadt gegenüber dem Bezirk.

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Kapazitätenkonzentration und Ressourcenkonflikte im Leipziger Bauwesen (1968) Am 28. November 1967 war Paul Fröhlich nach Ost-Berlin gereist, um das weitere Vorgehen bei der Umgestaltung des Stadtzentrums im Politbüro zu besprechen. Der Beschluss fiel erwartungsgemäß einseitig aus. Der Karl­Marx­Platz war als „politisch-kulturelles Zentrum“ Leipzigs schwerpunktmäßig fertigzustellen.124 Überdies waren Vorbereitungen für den Bau von Hochhäusern am Ring sowie den geplanten Universitätsneubau zu treffen. Vor allem die architektonischen Entwürfe mussten überarbeitet werden.125 Bei den Diskussionen in Ost-Berlin hatte Fröhlich das Argument der rückständigen Leipziger Baubilanz vor Vertretern der Zentrale zwar vorbringen können, die Beratungen bezogen sich in ihrem Kern aber lediglich auf „strukturbestimmende“ Investitionsvorhaben sowie die Umgestaltung des Stadtzentrums. Wohnungsbau spielte hierbei am Ende keine Rolle.126 Dies hatte letztlich zur Folge, dass die in der Konzeption der Stadt festgelegte Zahl der Wohnungen auf Anordnung Fröhlichs auch nachträglich immer wieder nach unten korrigiert werden musste.127 Innerhalb des städtischen Bauwesens wurde dieses Vorgehen, wie eine Sitzung der APO Bauwesen/Wohnungswirtschaft vom 29. Januar 1968 zeigt, zunehmend zur inneren Zerreißprobe. Der Generalbebauungsplan wurde dabei vehement als Instrument der Mitwirkung eingefordert. So hielt ein verärgerter Abteilungsleiter dem Stadtrat für Bauwesen vor: „Wir haben uns schon, als mit dem Abbruch angefangen wurde, gefragt, wohin soll das führen? Uns wurde gesagt, das ist Befehl und den habt ihr auszuführen. In der Bevölkerung wird schon diskutiert, unser Rat macht nur Unsinn. Ich wiederhole, man muß auch mal unsere Meinung hören. Wir wollen nicht nur Befehle ausführen, sondern mitdenken.“128

Der Stadtrat Wolfgang Schwalbe entgegnete dem in ähnlich resignierter Weise: „Ich bin grundsätzlich dafür, Beschlüsse gut vorzubereiten. Aber das ‚Auf uns hören‘ hat uns lange Zeit in große Schwierigkeiten gebracht, weil uns nicht immer exakt die Wahrheit unterbreitet wurde.“129 124 Vgl. Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 28.11.1967, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/1143, Bl. 4. 125 Vgl. Vorlage für das Sekretariat der SED-Bezirksleitung zu Maßnahmen zur Durchführung der Aufgaben in Auswertung der Berichterstattung des Sekretariats der SED Bezirksleitung vor dem Politbüro des ZK der SED am 28.11.1967, 21.12.1967, SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/408, unp. 126 Vgl. ZK der SED, Abt. Bauwesen, Information über die Beratung zu Fragen der Baubilanz und zum weiteren Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, 14.12.1967, SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/6.06/51, unp. Eine Darstellung der Diskussionen findet sich auch bei Siegel, Ende ’67/ Anfang ’68, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig 1945–1990, S. 391 f. 127 So sah eine den Vorgaben des Politbürobeschlusses vom 28.11.1967 angepasste Konzeption der Stadt vom 22.3.1968 vor, 2.852 Wohnungen zu bauen. Die von Fröhlich korrigierte und abgesegnete Fassung der Konzeption sah schließlich nur noch 1.616 Wohnungen vor. Vgl. SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/408, unp. 128 Rat der Stadt Leipzig, APO Bauwesen/Wohnungswirtschaft, Protokoll der Sitzung vom 29.1.1968, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/005, unp. 129 Vgl. Ebd., unp.

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Den Konflikten zum Trotz bekräftigte und präzisierte das Politbüro am 7. Mai 1968 seine Position hinsichtlich der Bauaufgaben der Stadt Leipzig (Architektonische Gestaltung des Karl-Marx-Platzes, der Straße des 18. Oktober, des Bayrischen Platzes sowie des Johannisplatzes) und verschob weitere Vorhaben auf die Zeit nach dem XX. Jahrestag der DDR.130 Bis dahin waren dem Rat der Stadt im Wohnungsbau die Hände gebunden. Weitere Maßnahmen mussten deshalb zwischen den Akteuren vor Ort ausgehandelt werden. Paul Fröhlich agierte auch hierbei als zentrale Instanz. Am 28. Februar 1968 hatte die SED-Bezirksleitung die Bildung eines Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats für die Stadt Leipzig beschlossen. Damit kam Fröhlich der Forderung aus dem Problembericht der Stadt vom November 1967 nach, das städtische Baukombinat zum Generalauftragnehmer für komplexen Wohnungsbau in seinem Territorium zu entwickeln – allerdings nicht, wie vom Rat der Stadt gefordert, durch Erhöhung der Investitionen, sondern durch Eingliederung von Kapazitäten und Technologien des bezirksgeleiteten Wohnungsbaukombinats in das städtische Baukombinat. Gestützt wurde das Vorhaben durch den 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Karl Bauer.131 Damit bewegte sich Paul Fröhlich durchaus auf der Linie des VII. Parteitages, ohne Mehrforderungen gegenüber zentralen Stellen zu erheben. Gleichwohl nutzte Fröhlich das Informationsdefizit der Baufunktionäre in Ost-Berlin über die Verteilung der Baukapazitäten aus, um den Parteitagsbeschluss „schöpferisch“ auszulegen. So sah der Beschluss der SEDBezirksleitung Leipzig durchaus zugunsten des Bezirks konkret vor, das städtische Baukombinat mit Baukapazitäten der benachbarten Kreise Leipzig-Land, Borna und Wurzen auf fast das Doppelte seiner bisherigen Leistungen aufzustocken, vom Bezirk dagegen nur Vorfertigungskapazitäten sowie etwa 460 Arbeitskräfte des ebenfalls bezirksgeleiteten VEB Leipzig-Projekt in das neue städtische Wohnungsbaukombinat einzugliedern. Seine Aufgaben sollte das neue Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat allerdings nicht auf Basis des Generalbebauungsplans erhalten, sondern ausschließlich durch den alle städtischen Bauprojekte koordinierenden Stadtrat für den Hauptplanträger des Rates der Stadt.132 Das Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat wurde damit nur bedingt als genuin städtisches Instrument aufgebaut. Die Umsetzung des Beschlusses gestaltete sich trotz der Abwägungen zwischen Stadt- und Bezirksinteressen jedoch alles andere als reibungslos. Allein fehlte es an einem gemeinsam ausgehandelten Terminplan, wann welche Kapazitäten in das städtische Baukombinat überzuleiten waren. Begründet war dies vor allem durch die beharrliche Weigerung der Betriebsleitung des Wohnungsbaukombinates des Bezirkes, mit einer durch den Stadtrat für Bauwesen geleiteten Arbeitsgruppe zur Organisation der Überleitung bzw. mit dem designierten Betriebsleiter des Woh130 Vgl. Direktive des ZK der SED und des Ministerrates der DDR über den weiteren Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, 7.5.1968, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/1167, Bl. 6 f. 131 Vgl. Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Leipzig am 28.2.1968, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/044, unp. 132 Vgl. Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Leipzig am 27.3.1968 (Konzeption des Rates der Stadt zur Bildung des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats), SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/046, unp.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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nungs- und Gesellschaftsbaukombinats, Roland Hoffmann, auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. So ignorierte der Betriebsleiter des Bezirksbaukombinats, Thiele, etwa Vorschläge zur kontinuierlichen Überleitung von Arbeitskräften oder lehnte es ab, die zu den Taktstraßen zugehörigen Kräne mit zu übergeben.133 Stattdessen verwies er auf abzuschließende Bauaufgaben des Bezirks und zeigte sich überhaupt nur gesprächsbereit, wenn der Bezirksbaudirektor in der Arbeitsgruppe der Stadt vertreten war. Auch die SED-Bezirksleitung, die das Vorhaben maßgeblich mitgetragen hatte, von der sich Thiele aber offenkundig übergangen fühlte134, vermochte es nicht, über die administrativen Grenzen zwischen Bezirk und Stadt hinaus als Vermittler aufzutreten.135 Zudem stellten die technologischen Fachkader aus Borna, Wurzen und Leipzig-Land unerfüllbare Forderungen (Wiedereinsatz in adäquate Posten, Bereitstellung von guten aber billigen Wohnungen, Bereitstellung von Kindergartenplätzen usw.), offenkundig mit dem Ziel, Gründe für eine offizielle Ablehnung zu haben. Umgekehrt war es den Vertretern der Stadt aber auch nicht möglich, ihnen gegenüber konkrete Aussagen über Einsatz, Entlohnung und Unterbringung zu treffen. So war im September 1968 klar, dass das Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat frühestens 1970 voll über seine geplante Kapazität verfügen könne.136 Während sich das Wohnungsbaukombinat des Bezirks beharrlich gegen die Überleitung seiner Kapazitäten verwehrte, warfen sich die Leitungskader der Stadtverwaltung und des städtischen Baukombinats gegenseitig Konzeptionslosigkeit vor. Der Kombinatsdirektor Siegfried Sachs hielt dem Rat der Stadt unter Verweis auf den Generalbebauungsplan vor, „kein richtiges Verhältnis zwischen der Durchführung der Aufgaben am Karl-Marx-Platz und einer planmäßigen Arbeit gefunden“ zu haben, der Stellvertreter für Bauwesen sagte Sachs dagegen nach, „die Kapazitäten hin- und hergeschaukelt“ sowie den Rat der Stadt permanent für Fehlentwicklungen beschuldigt zu haben. Sachs, der über jahrelange Erfahrungen im Leipziger Bauwesen verfügte, kündigte schließlich im Juli 1968.137 Für ihn kam der schon erwähnte Roland Hoffmann138, der weder mit den Leipziger Verhältnissen vertraut 133 Vgl. SED-Stadtleitung, Information zum Stand der Vorbereitung zur Bildung des Wohnungsund Gesellschaftsbaukombinats, 22.8.1968, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/236, unp. 134 So war bei der Beschlussfassung im Sekretariat der SED-Bezirksleitung über die Bildung des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats am 28. Februar 1968 kein Vertreter der das Kombinat anleitenden Bezirksverwaltung (Bezirksbauamt) anwesend. 135 Vgl. SED-Stadtleitung, Abt. Wirtschaftspolitik, Informationen über eine von der Bezirksleitung durchgeführte Aussprache mit dem Genossen Dr. Hoffmann, Direktor des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinates Leipzig und Genossen Thiele, Direktor des Wohnungsbaukombinates Leipzig, 29.8.1968, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/236, unp. 136 Vgl. SED-Stadtleitung, Überleitung der Kapazitäten vom Wohnungsbaukombinat zum Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat, 24.9.1968, Ebd., unp. 137 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Einschätzung der Beratung des Oberbürgermeisters, Genossen Walter Kresse, mit der Leitung des VEB Baukombinat am 3.7.1968, 4.7.1968, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/233, unp. 138 Roland Hoffmann (geb. 1936), bis 1955 Grund- und Oberschule, 1955–1959 Studium der Arbeitsökonomie an der KMU Leipzig, 1959–1964 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Bauakademie, 1963 Mitglied der SED, 1964 Sektorenleiter im Ministerium für Bauwesen (ausgeschieden wegen mangelnder praktischer Erfahrung), 1965–1967 Unterabteilungsleiter Bau- und Montagekombinat Süd und stellvertretender Ökonomischer Direktor, 1968–1969

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war, noch über bemerkenswerte praktische Erfahrungen verfügte. Hinzu kam, dass der Stadtrat für den Hauptplanträger, Rudolf Klatte139, die Erwartungen der SEDSekretäre, mit Vergrößerung der Kapazität, aber ohne Erhöhung der Investitionen mehr Wohnungen zu bauen, nicht teilte. Den Plänen nach musste die Stadt im Jahre 1969 3.000 Wohnungen mit einer Investitionssumme von 142,3 Millionen M errichten. Verglichen mit einer von Wolfgang Schwalbe im Frühjahr 1968 eingereichten und von Paul Fröhlich abgelehnten Konzeption, in der jener für den Bau von 2.852 Wohnungen einen Investitionsbedarf von 240,7 Millionen M gefordert hatte, zeigt sich die Schieflage zwischen der bezirklichen und städtischen Wahrnehmung besonders. So schätzte Klatte, dass allein 80 Prozent der genehmigten Mittel in der Realität nur die Hälfte der geplanten Wohnungen abdeckten.140 Vom Ressourcen- zum Rollenkonflikt: Das Leipziger Bauwesen, der XX. Jahrestag und der „Prager Frühling“ Während die Leipziger Stadtverwaltung mit der Bildung des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats zumindest einen, wenn auch mühsam erkämpften Teilerfolg verbuchen konnte, blieben die Einsparungen im Wohnungsbau zugunsten des Stadtzentrums, wie sie Fröhlich von den Bauverantwortlichen im September 1967 gefordert hatte, bestehen. Am 14. November 1968 stand die Begründung des „Maßnahmenplanes des Rates der Stadt zur Sicherung der Aufgaben in Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR“ vor den Leipziger Stadtverordneten an. Obwohl die Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung üblicherweise reine Routine war, war mit diesem Beschluss offenbar eine Grenze erreicht. So kam es bereits während der Verlesung zu Zurufen von Vertretern der Ständigen Kommissionen Wohnungswirtschaft sowie Gesundheits- und Sozialwesen, denen der unpopuläre Beschluss im Vorfeld nicht zugegangen war. Besonderen Anstoß erregten die erneuten Einsparungen im Wohnungsbau sowie die Nichtberücksichtigung der „Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen“, der ideologischen Grundlage des Generalbebauungsplans. Selbst das Versprechen des Rates, nach der Beschlussfassung durch die Stadtverordneten entsprechende Änderungen einzufügen, konnte den Stadtverordnetenvorsteher Schmidt nicht überzeugen.141 Schon Ende Juni des Jahres hatte die Stadtverordnetenversammlung einen unpopulären Beschluss über Leiter des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinates Leipzig. Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Stadtparteikontrollkommission, Übersicht der Besetzung von Leitungsfunktionen des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinates Leipzig, 3.7.1969, SächsStAL, 21145, IV/B/5/ 01/126, unp. 139 Rudolf Klatte (geb. 1933), 8. Klasse, erlernter Beruf: Maurer, Mitglied der SED, 1966–1969 Stadtrat und Leiter des Hauptplanträgers Stadtzentrum und Komplexer Wohnungsbau des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 12.11.1969, StadtAL, StVuR (1), 20363, Bl. 9. 140 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Informationen über den weiteren Aufbau des Stadtzentrums, 3.7.1968, SächStAL, 21145, IV/B/5/01/233, unp. 141 Vgl. 18. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 14.11.1968, StadtAL, StVuR (1), 266, Bl. 143.

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die Verwendung der „Volksvertreterfonds“ bestätigen müssen. Obwohl den Kommunen damit ein Instrument der begrenzten finanziellen Freizügigkeit zur Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen in die Hand gegeben wurde, mussten diese Mittel in Leipzig zumeist für die Bezahlung anderer Rechnungen aufgewendet werden. Am 30. Juni 1968 hatte der Rat der Stadt den Stadtverordneten einen Beschlussentwurf vorgelegt, nach dem gerade einmal 20,6 Prozent der für das erste Halbjahr 1968 bewilligten 13,5 Millionen M für die Verbesserung der Lebensbedingungen, vor allem Werterhaltungs- oder freizeitkulturelle Maßnahmen, ausgegeben werden konnten. Der Großteil der Mittel musste für Finanzschulden des städtischen Baukombinats (42 Prozent), Vertragsstrafen anderer Betriebe, kulturelle Massenveranstaltungen (Zoo-Jubiläum, Kinder- und Jugendspartakiade, Turn- und Sportfest, Gutenberg-Ehrung, Wettbewerbe) sowie zur Ausstattung prestigeträchtiger Einrichtungen, etwa Hotels, aufgewendet werden.142 Mit Beginn des Jahres 1969 spitzten sich die Konflikte zwischen den regionalen und lokalen Akteuren nicht zuletzt aufgrund der Reaktionen der Stadtverordneten ein weiteres Mal zu, mussten doch gerade die Parteifunktionäre in Leipzig ein Aufbegehren der Stadtverordneten als Legitimationsproblem verstehen und entsprechend reagieren. Im Unterschied zu den vorangegangenen Konflikten im Leipziger Bauwesen wurden daher nun nicht mehr städtebauliche Interessen, sondern Deutungshoheiten und Rollenerwartungen im demokratischen Zentralismus verhandelt. Der etwa ein Jahr andauernde Konflikt begann mit einer Intervention durch die SED-Bezirksleitung. Die aus ihrer Sicht akuten Führungsmängel im Rat der Stadt veranlasste sie, am 19. September 1968 eine weitreichende Untersuchung in der Stadtverwaltung anzuordnen. Erwartungsgemäß endete diese mit scharfer Kritik an der Kaderpolitik des Rates sowie an einzelnen leitenden Funktionären. So hob der Untersuchungsbericht hervor, dass nur 42 der 289 Führungskader eine Parteischule besucht hatten und der Oberbürgermeister zwar ein „anerkannter klassenbewusster Kader“ sei, er „jedoch einige Probleme nicht tiefgründig fasst“. Stattdessen sei sein 1. Stellvertreter, Walter Zmyslony, die „dominierende Persönlichkeit im Rat“. Allerdings sei dieser „zu wenig bemüht […], die Rolle des Oberbürgermeisters zu stärken“ und trete mitunter unbeherrscht auf.143 Neben Zmyslony geriet auch die Abteilung Bauwesen ins Visier der SED-Bezirksleitung. Diese bzw. das Büro des Chefarchitekten hatten nach der Politbürositzung am 28. November 1967 sämtliche architektonische Entwürfe überarbeiten müssen. Das Ergebnis lag im Mai 1968 zur Bestätigung im Politbüro vor. Trotz des darin vermerkten Hinweises, dass die „politische und städtebauliche Aufgabenstellung“ für die an das Stadtzentrum angrenzenden Ensembles erst 1968/69 ausgearbeitet werden konnte, hatte Paul Fröhlich die Vorlage abgesegnet.144 Offenbar stieß dies während der Politbürositzung am 7. Mai 1968 erneut auf Unbehagen bei Walter Ulbricht, sodass sich Fröhlich wieder

142 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Finanzen, Übersicht über die Ausgaben aus dem Fonds der Volksvertretung im 1. Halbjahr 1968, StadtAL, StVuR (1), 265, Bl. 183. 143 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, AG Staat und Recht, Bericht, 14.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/13/663, unp. 144 Vgl. Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Mai 1968, SächsStAL, 21123, 1889, unp.

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zum Durchgreifen veranlasst sah. In der Abteilung Bauwesen der Stadt wurde Fröhlichs Kritik nun allerdings harsch zurückgewiesen, worauf die SED-Bezirksleitung mit der Androhung „kadermäßige[r] Veränderungen“ reagierte.145 Ähnlich wie die inszenierte Absetzung des Oberbürgermeisters Erich Uhlich im Jahre 1959 dienten diese Berichte einzig der Behauptung der Deutungshoheit durch die SED-Bezirksleitung. Mit dem Aufbegehren der Stadtverordneten, die eine Art Puffer zwischen Verwaltung und Bevölkerung darstellten, war für Fröhlich offenkundig eine Grenze überschritten. Jedes noch so kleine Anzeichen, lokale Probleme zum Anlass städtebaulicher Planungen zu nehmen, konnte die Genossen nun dem Verdacht falscher ideologischer Positionen aussetzen. So zog etwa ein Versuch der Mitarbeiter der Ratsabteilung Bauwesen, ihre APO aus der Grundorganisation des Rates der Stadt in die Grundorganisation des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats umzusetzen, um eine engere Verbindung zum Betrieb herzustellen, kurzerhand das Misstrauen der SED-Stadtleitung auf sich.146 Aber auch letztgenannter warf Fröhlich nun vor, keine Führungskonzeption zu besitzen.147 Dem 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Karl Bauer, blieb um der eigenen Machtposition willen nichts anderes übrig, als nun selbst verstärkt Druck auf den Rat der Stadt auszuüben. Ähnlich wie im Vorfeld der Absetzung Erich Uhlichs berief die SED-Stadtleitung kurzerhand eine Parteiaktivtagung ein, deren Linie und Diskussionsinhalte im engen Kreis ihres Sekretariats festgelegt und den Genossen der Grundorganisation nur noch durch den 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters Zmyslony mitgeteilt wurden.148 Die Folge dieser Einflussnahme war eine Reihe von Personalmaßnahmen, die mit den eigentlichen Problemen nichts zu tun hatten. So musste sich etwa der Stadtrat für Hauptplanträger, Rudolf Klatte, vor der Leitung der SED-Grundorganisation, Vertretern der SED-Stadtleitung sowie der ABI für sein „überhebliches“ Verhalten rechtfertigen, da er, anstatt zur Mitgliederversammlung der Grundorganisation zu gehen, zur Aussprache in die Ständige Kommission Bauwesen und anschließend zur Fahrschule gegangen sei.149 Schließlich ließ sich auch über den 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters Zmyslony, der qua Funktion Mitglied des Sekretariats der SED-Stadtleitung war und seinerseits in die Kritik der SED­Bezirksleitung geriet, Einfluss nehmen. Dieser griff nicht nur die „Selbstzufriedenheit“ der Funktionäre des Bauwesens an, welche maßgeblich zu

145 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, AG Staat und Recht, Bericht, 14.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/13/663, unp. 146 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Mitarbeiter für Staat und Recht, Material für die Parteiaktivtagung der Genossen der staatlichen Organe der Stadt Leipzig, 22.1.1969, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/246, unp. 147 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Einschätzung der Führungstätigkeit des Sekretariats der Stadtleitung Leipzig, 6.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/069, unp. 148 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Mitarbeiter für Staat und Recht, Material für die Parteiaktivtagung der Genossen der staatlichen Organe der Stadt Leipzig, 22.1.1969, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/246, unp.; SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Leitungssitzung zur Auswertung der Bezirkstagssitzung und der Sekretariatssitzung vom 17.1.1969, 20.1.1969, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/009, unp. 149 Vgl. Ebd.

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den Planrückständen und zur Fluktuation im Apparat beigetragen hätten, sondern auch die Nachsichtigkeit des Parteisekretärs der SED-Grundorganisation, der die Staatsfunktionäre notfalls zur Durchsetzung der Beschlüsse hätte zwingen müssen.150 Mit diesen Disziplinierungsmaßnahmen konnte die SED-Stadtleitung die Deutungshoheit über die Bauaufgaben in der Stadt behaupten, schließlich wollte sie um jeden Preis den XX. Jahrestag der DDR ohne Ansehensverlust überstehen. Allerdings hatte auch der „Prager Frühling“ 1968 seine Wirkung auf Leipzig nicht verfehlt. Um infolge der lokalen Konflikte ein Abfärben „liberaler“ Tendenzen auf Leipzig zu vermeiden, hatte Paul Fröhlich die Sekretäre der SED-Stadt- und Stadtbezirksleitungen im Februar 1969 zusammengenommen und sich plötzlich in einem für ihn ungewöhnlichen Ton als Fürsprecher der lokalen Staatsfunktionäre präsentiert. Dabei warnte er die Sekretäre mit Verweis auf die Vorgänge in der Tschechoslowakei, in Personalangelegenheiten keine „leichtfertigen Entscheidungen“ zu treffen: „… ich bin mir vollständig im klaren, daß solche Menschen in den staatlichen Organen, die bewußt ihre Arbeit erfüllen, aber einfach auf Grund der gegenwärtigen Möglichkeiten nicht in der Lage sind, eben die Beschlüsse real abzudecken und zu befriedigen, wenn es zur Wahl kommt, die natürlich nicht zu 100 % gewählt werden. […] Wir dürfen uns das nicht so einfach machen. Staatsarbeit, liebe Genossen, ist eine schwere verantwortliche Arbeit und wir sind daran interessiert, daß die Vorbereitung und Durchführung der Parteiwahlen eine gewisse Kaderkontinuität [sic!] gewahrt bleibt …“151

Eine inszenierte Machtdemonstration wie 1959 kam damit nicht infrage. Karl Bauer musste sein Handeln genau abwägen. Einerseits musste er um der eigenen, zusätzlich durch interne Konflikte ins Wanken geratenen Position Willen152 für Ruhe im städtischen Bauwesen der Stadt sorgen, andererseits durfte er keine voreiligen Kaderentscheidungen treffen. Zunächst musste er daher Überzeugungsarbeit bei Paul Fröhlich leisten. Mindestens einmal im Monat ließ sich Fröhlich nach den erhitzten Diskussionen im Politbüro von Bauer über den Bauablauf am Universitätskomplex berichten. In diesen Berichten versuchte Bauer nun, in Umkehrung seiner bisherigen Strategie, zentrale Organe für die Fehlentwicklungen vor Ort verantwortlich zu machen. Er schilderte Probleme, wie die Drosselung der Betonproduktion153,

150 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Protokoll der Leitungssitzung vom 26.6.1969, Ebd., unp. 151 Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit Sekretären der Stadtleitung und der Stadtbezirksleitungen am 6.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/177, unp. 152 Ähnlich wie im Rat der Stadt war auch das Arbeitsklima in der SED­Stadtleitung von Konflikten geprägt. Mitarbeiter beklagten sich über die zusätzliche Übernahme von Aufgaben des Staatsapparates, ein dysfunktionales Informationssystem sowie über einen machthaberischen 1. Sekretär, der seinen Mitarbeitern gegenüber mit Misstrauen auftreten würde. Vgl. SEDStadtleitung, Grundorganisation, Einschätzung der Aussprache zum Umtausch der Parteidokumente, 28.10.1970, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/216, unp.; Sitzung der SED-Bezirksleitung mit Sekretären der SED-Stadtleitung am 20.1.1971, Ebd., unp. 153 Vgl. Information über den Stand der Baumaßnahmen am Komplex KMU, 23.3.1969, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/114, unp.

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das Fehlen von Projektierungskräften154, oder versuchte, über Fröhlich eine Entscheidung des Ministerrats zu erwirken, um die Schwierigkeiten mit den Zuliefererbetrieben zu lösen.155 Diesbezüglich berichtete er auch über die zunehmend ablehnende Haltung der zentralgeleiteten Betriebe, bei denen die „Maßnahmen zur Durchführung der Beschlüsse der Bezirks- und Stadtleitung der Partei, aus denen sich die Beschlüsse des Rates der Stadt ergeben, […] immer mehr auf Unverständnis bzw. auf offene Ablehnung“156 stießen. Erst im zweiten Schritt lenkte Bauer die Aufmerksamkeit Fröhlichs auf das vermeintliche Fehlverhalten des Hauptplanträgers, des Stadtrates für Bauwesen sowie des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats als Ursache für die Rückstände im Stadtzentrum. Vor allem das städtische Kombinat habe sowohl in der Planerfüllung als auch in der Arbeitsproduktivität stark zurückgelegen und sei seiner Auflage nicht nachgekommen, Arbeitskräfte für den Bau des Universitätskomplexes abzuführen.157 So konnte Bauer kommunale Funktionäre trotz der Warnungen Fröhlichs vor voreiligen Entscheidungen verantwortlich machen, indem er ihnen nur noch eine Teilschuld zuschob und zugleich eine komplexe Fehleranalyse suggerierte. Parallel bildete die SED-Bezirksleitung eine Arbeitsgruppe Bauwesen, bestehend aus Verwaltungs-, Partei-, Wirtschafts- und Wissenschaftskadern des Bezirks, deren Aufgabe darin bestand, die Führungs- und Leitungstätigkeit im bezirklichen und lokalen Bauwesen zu analysieren, aber auch die Durchführung der Partei- und Staatsbeschlüsse unter Kontrolle zu halten.158 Die Arbeitsgruppe sollte so möglichen kaderpolitischen Maßnahmen Legalität verschaffen, und ebenso eine komplexe Fehleranalyse simulieren. Vertreter des städtischen Bauwesens waren bezeichnenderweise nicht in die Arbeitsgruppe integriert. Die Untersuchungen der Arbeitsgruppe konzentrierten sich zunächst auf das städtische Wohnungsbaukombinat. Im September hatte die Arbeitsproduktivität hier mit 54 Prozent ihren Tiefpunkt erreicht, die Klagen über fehlende Arbeitskräfte und Tiefbaukapazitäten bis hin zur Ablehnung des Plans häuften sich dagegen zusehends. In die Kritik geriet dabei der Betriebsdirektor Hoffmann, dem, obwohl er zur Beruhigung der Lage innerhalb des Betriebs selbst Abstriche am Plan gemacht hatte, vorgehalten wurde, dass sich sein junges Parteialter und die fehlende praktische Erfahrung unmittelbar auf die Unterdrückung der Initiative der „Werktätigen“ ausgewirkt hätten.159 Während sich im Wohnungsbaukombinat damit erneute Kaderwechsel abzeichneten, beabsichtigte Karl Bauer, Kaderveränderungen im Rat der Stadt unter Umgehung des Staatsapparats vorzuentscheiden. So verhandelte er einzig mit dem 154 Vgl. Information zum Stand des Bauablaufes am zentralen Komplex der Karl-Marx-Universität, 20.12.1968, Ebd., unp. 155 Vgl. Information über den Stand des Bauablaufes am Komplex Karl-Marx-Universität, 19.11.1968, Ebd., unp. 156 Persönliche Information, 19.6.1969, Ebd., unp. 157 Vgl. Information zum Stand des Bauablaufes am zentralen Komplex der Karl-Marx-Universität, 20.12.1968, Ebd., unp. 158 Vgl. SED­Bezirksleitung, Abt. Grundstoffindustrie und Bauwesen, Vorlage zur Bildung einer AG Bauwesen, 19.6.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/085, unp. 159 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Einschätzung der Leitungstätigkeit im VE Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat Leipzig, 17.10.1969, SächStAL, 21145, IV/B/5/01/236, unp.

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Generaldirektor des zentralgeleiteten Bau- und Montagekombinats Süd über den Nachfolger des Stadtrats für Bauwesen. Eine ähnliche Vorgehensweise strebte er auch im Hinblick auf die Besetzung des Hauptplanträgers an.160 Die Kaderwechsel selbst erfolgten bezeichnenderweise erst nach dem XX. Jahrestag, dann jedoch schlagartig. Im November 1969 wurden der erst im September 1968 berufene Abteilungsleiter für wissenschaftliche Leitungstätigkeit im Bereich Bauwesen, Ernst Klement161, der Leiter des Hauptplanträgers, Rudolf Klatte162, sowie der Werkleiter des Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats, Roland Hoffmann, entlassen.163 Das Politbüro saß Fröhlich und Bauer schließlich doch mehr im Nacken als Prag. Strategische Abwägungen: Die Entlassung des Oberbürgermeisters Kresse Konnte Bauer die Kaderwechsel unmittelbar nach dem XX. Jahrestag der DDR als Erfolg verbuchen, gestaltete sich die von ihm angestrebte und seit längerem vorbereitete Absetzung des Oberbürgermeisters Kresse angesichts der von Fröhlich verordneten Kaderkontinuität als kompliziert, handelte es sich bei Kresse doch um einen Nomenklaturkader des ZK und um eine Repräsentationsfigur, die kaum ohne großes Aufsehen hätte abgesetzt werden können. In Reaktion auf die Untersuchungen der SED-Bezirksleitung im Rat der Stadt zu Beginn des Jahres 1969 forderte Karl Bauer jedoch bereits am 19. Februar 1969 vom Sekretariat der SED-Bezirksleitung, „daß Genosse Kresse wohl wiederum als Mitglied der Stadtleitung und ihres Sekretariats kandidieren, jedoch mit den Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen nicht mehr zur Wiederwahl als Oberbürgermeister gestellt werden sollte“.164 Als Begründung wurden zunehmende psychische und physische Belastungen des immerhin fast 60-jährigen Kresses angegeben. In der Tat war Kresse in den Jahren 1968 und 1969 kaum noch bei Parteisitzungen anwesend.165 Wie schon erwähnt, hatte sein 1. Stellvertreter und Vertrauter Bauers, Walter Zmyslony, das Führungszepter bereits weitgehend übernommen. Daher erschien es nur konsequent, Kresse anlässlich der anstehenden Kommunalwahlen 1970 in Ehre aus seinem Amt scheiden zu lassen, wäre die SED-Führung nicht auf Kaderkontinuität bedacht gewesen. So unterstützte auch die SED-Bezirksleitung das Entlassungsgesuch Bauers nicht. Stattdessen hatte sie Kresse wenige Tage nach Fröhlichs Anweisung ihr Vertrauen 160 Vgl. Karl Bauer an Paul Fröhlich, Persönliche Information, 30.9.1969, SächsStAL, 21145, IV/B/5/01/114, unp. 161 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 5.11.1969, StadtAL, StVuR (1), 20362, Bl. 60. Der 1913 geborene Klement wurde durch den 1932 geborenen und promovierten Bauingenieur Dieter Franz ersetzt. 162 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 12.11.1969, StadtAL, StVuR (1), 20363, Bl. 9. Nachfolger von Klatte wurde Herbert Stolle. 163 Vgl. Ebd. Hoffmann wurde durch den 1936 geborenen Jörg Scheibner ersetzt. 164 Vgl. Karl Bauer, Einschätzung der Tätigkeit des Mitglieds des Sekretariats der SED Stadtleitung Leipzig und Oberbürgermeister Walter Kresse, 19.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/ 3/070, unp. 165 Vgl. die Protokoll der Leitungssitzungen der APO Bauwesen und Wohnungswirtschaft der Jahre 1968–1969, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/005.

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ausgesprochen, legte ihm aber nahe, den Rat der Stadt vor „höhere Anforderungen“ im Leitungsprozess zu stellen.166 Intern aber erhöhten die Parteifunktionäre der Stadt den Druck auf Kresse und seinen Stellvertreter Zmyslony immer weiter. So mahnte Hubert Schnabel, 2. Sekretär der SED-Stadtleitung, während einer Beratung in der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt am 10. September 1969: „Solange die Arbeit innerhalb des Hauses nicht geändert wird, da muß der Genosse Kresse damit rechnen und auch der Genosse Zmyslony, daß sie immer wieder solche kritischen Einschätzungen entgegennehmen müssen. Aber wir müssen doch langsam mal die Kraft aufbringen, das Blatt zu wenden“.167

Aber erst nachdem Kresse am 26. November 1969 vor dem Sekretariat der SEDBezirksleitung über den Stand des Wohnungsbaus berichtet hatte und sich die „Bezirksleitung gezwungen sah, einen ganzen Tag vor dem höchsten Forum unserer Partei zur Durchführung der Beschlüsse im Bauwesen Stellung zu nehmen“168, war auch für Fröhlich erneut eine Grenze überschritten. Schon auf der Titelseite seines Berichtes vom 26. November hatte der Oberbürgermeister auf gravierende Kapazitätsprobleme hingewiesen. Der Bericht endete schließlich mit dem ernüchternden Ergebnis, „dass wir wesentliche Zielstellungen der Bezirksdelegiertenkonferenz nicht erfüllt haben“.169 Paul Fröhlich musste nun selbst, um seine Position zu verteidigen, Maßnahmen ergreifen. Die Absetzung des Oberbürgermeisters wurde in kürzester Zeit, ohne großes Aufsehen sowie unter Ausschluss des Rates der Stadt und sogar der SED-Grundorganisation durchgeführt. Am 24. Dezember hatte der Vorsitzende des Rates des Bezirkes ein offizielles Absetzungsgesuch bei der SED­Bezirksleitung eingereicht, schon sechs Tage später lag der Beschlussentwurf vor, der als Vorschlag am 7. Januar 1970 bestätigt wurde.170 Bevor die Entscheidung jedoch Gültigkeit erhalten konnte, musste der Kaderwechsel dem ZK gegenüber begründet werden. Dabei stellte Fröhlich das Absetzungsgesuch gegenüber Walter Ulbricht als eine von vielen Schlussfolgerungen in eine allgemeine Berichterstattung über „Probleme der Führungs- und Leitungstätigkeit des Rates der Stadt Leipzig bei der Durchführung der Beschlüsse der Partei“ dar. Vor dem Hintergrund der Stimmungslage im ZK war es wichtig, dass Fröhlich die Notwendigkeit der Ablösung Kresses nicht auf ideologische Schwächen, wie dies intern durchaus getan wurde, sondern auf fachliche Mängel in der Organisation und Leitung des Ratskollektivs bezog. Die Ablösung 166 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Begründung für Genossen Kresse, Walter, Mitglied des Sekretariats der Stadtleitung und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, 10.2.1969, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/069, unp. 167 Beratung der Leitung der Grundorganisation, der Leitungsmitglieder der APO und der Gruppenorganisatoren mit Hubert Schnabel, 10.9.1969, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/007, unp. 168 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Parteiaktivtagung vom 15.12.1969, SächStAL, 21479, IV/B/7/139/007, unp. 169 Bericht des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig, Walter Kresse, zum Stand der Durchführung der Beschlüsse der Bezirksdelegiertenkonferenz im Bauwesen der Stadt Leipzig, besonders im komplexen Wohnungsbau, o. D., SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/096, unp. 170 Vgl. Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung am 7.1.1970, SächsStAL, 21123, IV/B/ 2/3/099, unp.

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sollte, wie Bauer bereits vorgeschlagen hatte, anlässlich der am 22. März 1970 stattfindenden Kommunalwahlen geschehen, um damit den Anschein der Legalität zu wahren. Auch schlug Fröhlich vor, den in der Bevölkerung nicht unbeliebten Kresse in allen Ehren zu verabschieden, indem man ihm zugestand, weiterhin als Abgeordneter der Stadtverordnetenversammlung sowie mit personenbezogenem Gehalt hauptamtlich als Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindetags zu wirken.171 Das ZK stimmte dem Kaderwechsel und den vorgeschlagenen Modalitäten aber nicht ohne eigene Überlegungen zu.172 Vor allem hatte man sich über das Alter und die Amtszeit Kresses rückversichert. Daraus ging hervor, dass die Amtskollegen Kresses allesamt zwischen 11 und 21 Jahre jünger waren. Somit wirkte der Amtswechsel in der Messestadt gewissermaßen wie ein überfälliger Generationswechsel.173 Nicht nur die Abberufung Kresses, sondern auch die Berufung seines Nachfolgers wurde ausschließlich auf Bezirksebene verhandelt und vom ZK abgesegnet. Die Entscheidung, den Vorsitzenden des Bezirkswirtschaftsrates Karl-Heinz Müller174 zum Leipziger Oberbürgermeister zu ernennen, fiel ebenso kurzfristig wie die zur Abberufung Kresses. Offenkundig ohne große Absprache mit Müller selbst hatte der Vorsitzende des Rates des Bezirks der SED-Bezirksleitung am 26. Januar 1970 diesen Vorschlag unterbreitet.175 So bemerkte Müller etwa während eines Kadergesprächs in den Räumen des ZK der SED, dass „der Vorschlag für ihn überraschend kam“.176 Jedoch schien die Besetzung des Postens mit Müller alternativlos, verfügte er doch über profundes ökonomisches Fachwissen und war – zumindest den Planzahlen nach – mit den städtischen Problemlagen vertraut. Zudem wurde sein kollegialer und pflichtbewusster Leitungsstil geschätzt, weil er nicht zuletzt auch 171 Vgl. Paul Fröhlich an Walter Ulbricht, Informationsbericht vom 22.1.1970, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/187, unp. 172 Vgl. Sitzung des Sekretariats des ZK der SED am 3.2.1970, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/1601, Bl. 4. 173 Vgl. Besetzung der Funktion des Oberbürgermeisters in den Bezirksstädten, 3.2.1970, Ebd., Bl. 18. 174 Karl-Heinz Müller (1918–1987), geb. in Dresden, 1935–1939 Lehrling und Handlungsgehilfe in einer Dresdner Großhandlung, 1939–1945 Kriegsteilnahme bei der Luftwaffe, 1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1945 Mitglied der SPD, 1946 Mitglied der SED, 1945–1950 Angestellter/Geschäftsstellenleiter beim Arbeitsgericht Dresden und beim Landesarbeitsgericht Sachsen, 1950–1952 Referent bei der Landesregierung Sachsen, 1952 Kurzlehrgang an der DASR Walter Ulbricht, 1952–1964, Abteilungsleiter und Direktor im Amt für Arbeit und Berufsberatung des Rates des Bezirks Leipzig, 1962–1963 als Geheimer Informator (GI) „Zorn“ für das MfS tätig, 1959 Fernstudium an der DASR Walter Ulbricht, 1964–1965 Abteilungsleiter im Wirtschaftsrat des Bezirks Leipzig, 1965 Dr. rer. oec., 1965–1970 Vorsitzender des Wirtschaftsrates des Bezirks Leipzig, 1970–1986 Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. Vgl. SächsStAL, 21699, 729 (Kaderakte Karl-Heinz Müller); BArch, DC 20/8252 (Personalakte Karl-Heinz Müller); BStU, MfS, BV Lpz. AIM 3981/63 (Vorgang GI „Zorn“). 175 Vgl. Rat des Bezirkes Leipzig, Vorsitzender Erich Grützner, Begründung des Vorschlages zur Wahl des Genossen Dr. Karl-Heinz Müller zum Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, 26.1.1970, SächsStAL, 21699, 729 (Kaderakte Karl-Heinz Müller), unp. 176 Vermerk über eine Aussprache mit Genossen Müller, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, am 7.5.1970, BArch, DC 208252 (Personalakte Karl-Heinz Müller), Bl. 122.

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Beruhigung im Rat versprach. Die Probleme im Wohnungsbau konnte er letztlich aber nicht lösen. Auch er sah keine andere Möglichkeit, als mit „den Stellvertretern des Vorsitzenden und Vorsitzenden der Bezirksplankommission, Koll. Bauermeister, in Verbindung mit der Staatlichen Plankommission und den Fachministerien zu klären, wie die von den Betrieben vorgegebenen materiellen Kennziffern, die das Bauaufkommen des Bezirkes überschreiten, mit Kapazitäten abgedeckt werden können.“ Als er dies am 5. September 1970 auf einer Vorlage für den Rat des Bezirks anlässlich einer sechs Tage später stattfindenden Sitzung forderte, vermerkte der das Schriftstück prüfende Mitarbeiter der SED-Bezirksleitung handschriftlich daneben nur: „Wunschtraum“.177 Von Null auf Hundert: Der Streit um den Wohnungsbau in Lößnig (1970) Obwohl der Generalbebauungsplan als Grundlage des langfristigen Städtebaus zunächst von kurzfristigen Bauaufgaben unterwandert worden war, sollte nach dem XX. Jahrestag der DDR mit seiner Umsetzung begonnen werden. Danach sollte die Innere Westvorstadt (Kolonnaden- und Musikviertel) als erstes Rekonstruktionsgebiet saniert bzw. als Standort für Neubauwohnungen erschlossen werden.178 Da die Bedingungen der Planwirtschaft es aber nicht gestatteten, etwa das Plattenwerk Neuwiederitzsch kurzfristig von der Fertigung von Elementen des 17-geschossigen Punkthausbaus auf die Produktion für den elfgeschossigen Wohnungsbau umzustellen179, musste der Rat der Stadt improvisieren. Gleichwohl kam der Rat erst spät zu der Erkenntnis, dass die Innere Westvorstadt nicht für den elfgeschossigen Wohnungsbau vorbereitet werden konnte. In dieser Situation handelte der Stadtrat für Bauwesen Schwalbe nach eigenem Ermessen. Offenkundig in Abstimmung mit dem Sekretär für Wirtschaft der SEDStadtleitung und dem 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters Süd hatte er festgelegt, den ebenfalls für 1970 zum Baubeginn vorgesehenen Standort Lößnig kurzerhand auf etwa 3.200 Wohnungen zu erweitern (ursprünglich war nur die Bebauung der westlich verlängerten Zwickauer Straße vorgesehen), obwohl dort noch rund 1.500 Kleingärtner Pachtland unterhielten.180 Die Variante Lößnig bot 177 Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister Müller, Vorlage für den Rat des Bezirkes zur Sitzung am 11.9.1970, 5.9.1970, SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/410, unp. 178 Neben der Inneren Westvorstadt waren das Hochhaus an der Wintergartenstraße, die Straße des 18. Oktober als Prestigeobjekte sowie der Standort Lößnig für den Wohnungsbau mit Baubeginn 1970 vorgesehen. 179 Vgl. Rat der Stadt, Hauptplanträger Stadtzentrum und Komplexer Wohnungsbau, Bericht über die Überprüfung der Notwendigkeit der Bebauung des Standortes Lößnig im Rahmen des komplexen Wohnungsbaus, 22.1.1970, StadtAL, StVuR, 22324, Bl. 157 180 Rat der Stadt Leipzig, Arbeitsgruppe „Lößnig“, Bericht über die Untersuchung von Verletzungen der sozialistischen Demokratie bei der Vorbereitung des Standortes Lößnig, 20.1.1970, StadtAL, StVuR (2), 1913, Bl. 1–7; Rat der Stadt, Hauptplanträger Stadtzentrum und Komplexer Wohnungsbau, Bericht über die Überprüfung der Notwendigkeit der Bebauung des Standortes Lößnig im Rahmen des komplexen Wohnungsbaus, 22.1.1970, StadtAL, StVuR, 22324, Bl. 158.

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den Beteiligten aber ideale Bedingungen für eine Primärerschließung sowie Gründungsarbeiten. Zudem mussten dort keine Wohnungen freigelenkt werden.181 Ohne große Vorbereitung wurde den Kleingärtnern182 die Kündigung ausgesprochen und ihnen lediglich auf einer Versammlung mitgeteilt, dass sie ihr Pachtland für Baumaßnahmen zu räumen hätten. Verärgert wandten sich die Kleingärtner jedoch an die SED-Stadtbezirksleitung Süd, die daraufhin eine Beschwerdedelegation zu Paul Fröhlich entsandte.183 Um politischen Schaden vom Bezirk abzuwenden, legte die SED-Bezirksleitung umgehend fest, den Konflikt durch ihre Parteikontrollkommission lösen zu lassen. Der Sekretär für Wirtschaft der SED-Stadtleitung, der 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters Süd sowie der Stadtrat für Bauwesen erhielten im Ergebnis der Untersuchung jeweils eine Parteistrafe.184 Im Nachgang der Ereignisse mussten schließlich auch der Stadtrat für Bauwesen Schwalbe, der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Walter Zmyslony, und der Parteisekretär der SED-Grundorganisation, Gerhard Hoffmann, ihre Posten räumen. Zmyslony, der sich zusätzlich noch vor der Parteikontrollkommission der SED-Stadtleitung verantworten musste, wurde als Direktor in den VEB Stadtreinigung versetzt. Sein Nachfolger im Rat wurde Frank Grimm185, der bereits zwischen 1961 und 1965 als Sekretär des Rates der Stadt Leipzig und zuletzt als Bürgermeister in Altenburg tätig gewesen war. Grimm wurde 1977 wieder abgelöst, da er offenkundig selbst Ambitionen auf den Oberbürgermeisterposten in Leipzig hegte und deshalb unentwegt gegen Müller intrigierte.186 Der Sekretär der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt, Hoffmann, dem die SED-Stadtleitung „Nachgiebigkeit“ und mangelndes Durchsetzungsvermögen vorgeworfen hatte, wurde nicht nur seiner Parteifunktion enthoben, sondern zudem in einen Stadtbezirk als Ratsvorsitzender versetzt. Allerdings erwies es sich als kompliziert, einen Nachfolger zu finden, der die Doppelbelastung 181 Vgl. Zuarbeit Wahlvorbereitung, Warum mußte der Wohnungsbau unbedingt am Standort Lößnig im Jahre 1970 vorgesehen werden?, 16.1.1970, Ebd., Bl. 184. 182 Vgl. Der terminliche Ablauf und überschlägige Kosten für die Entschädigung der Kleingärten einschl. Verlegung der Sportplatzanlagen, 17.1.1970, Ebd., Bl. 181 f. 183 Vgl. SED-Bezirksleitung, Beschluss der BPKK Leipzig, 28.1.1970, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/206, Bl. 53–55. 184 Vgl. Ebd., SED-Bezirksleitung, Beschluss der BPKK über die Erteilung einer Parteistrafe gegen Wolfgang Schwalbe, 3.2.1970, Ebd., Bl. 63. 185 Frank Grimm (geb. 1930), geb. in Reinsdorf / Kreis Zwickau, Besuch der Oberschule (1949 Abitur), 1949–1950 Praktikant bei der Staatsanwaltschaft Zwickau, 1950 Student der Rechtswissenschaften an der KMU Leipzig (Abschluss: Diplom-Jurist), 1952 Mitglied der SED, 1954–1957 wissenschaftlicher Assistent an der Juristenfakultät ebd., 1958 Oberassistent ebd., parallel verschiedene Leitungsfunktionen in SED-Grundorganisationen der KMU Leipzig, 1961–1965 Sekretär des Rates der Stadt Leipzig, 1963 Promotion zum Dr. jur., 1965–1970 Bürgermeister in Altenburg, 1967–1981 Nachfolgekandidat der Volkskammer der DDR, 1970– 1977 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters Leipzig, 1975–1976 Parteihochschule des ZK der SED, 1977–1984 Oberbürgermeister in Schwerin.Vgl. Kurzbiographie Frank Grimm, 23.7.1958, SächsStAL, 21123, IV/2/3/236, Bl. 110 f.; Buch, Namen und Daten, S. 94. 186 Vgl. Hinweise zu einem Kadergespräch mit Karl-Heinz Müller am 6.12.1977, BArch, DC 20/19493, Bl. 204; Kadergespräch mit Opitz, Müller und Zimmermann am 26.5.1975, Ebd., Bl. 216 f.

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als Staats- und Parteifunktionär auf sich nehmen wollte. So reagierte die SEDStadtleitung einmal mehr mit der Ausübung von Druck, indem sie einem ausgewählten Kandidaten androhte, „wenn Du nicht fähig bist, die Funktion des amtierenden Parteisekretärs auszuüben, bist Du auch nicht in der Lage, Abteilungsleiter zu sein“. Der Betroffene ließ sich daraufhin krankschreiben187 und noch im Herbst 1970 war die Position unbesetzt. Im Rat der Stadt, der während des gesamten Konfliktlösungsprozesses außen vor gelassen worden war, stieß das Vorgehen der lokalen und regionalen Parteiorgane auf starke Kritik.188 Es war zwar nicht üblich, dass die lokalen Staatsorgane ein Mitspracherecht beim Wechsel von ihnen nicht verantworteter Nomenklaturkader besaßen, dennoch war der Rat in der Vergangenheit in die Auseinandersetzungen einbezogen oder zumindest im Vorfeld über die Gründe der Ablösungen informiert worden. Deshalb warfen Ratsfunktionäre den Parteiorganen nun vor, den in einer solchen Situation üblichen Austausch der Parteidokumente initiiert zu haben, um „labilen Genossen das Mitgliedsbuch nicht wieder auszuhändigen“.189 Für viele war dies gleichbedeutend mit einer Ablösung aus ihren Staatsfunktionen. Die Kaderveränderungen im Ratskollektiv „anlässlich der Kommunalwahlen“ wurden am Ende nur noch vor der konstituierenden Stadtverordnetenversammlung am 16. April 1970 kommentarlos und ohne jeglichen Hinweis auf die hausinternen Konflikte bekanntgegeben.190 Schließlich hatten die Konflikte auch für die SED­ Stadtleitung ein Nachspiel. Im Herbst 1970 hatte das ZK der SED die Parteiarbeit 187 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Leitungssitzung am 15.4.1970, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/010, unp. 188 So übte ein Mitglied der SED-Grundorganisation des Rates der Stadt während der Sitzung am 9. April 1970 Kritik an der „Geheimniskrämerei“ der SED-Stadtleitung: „Es verwundert mich als Mitglied der Parteileitung eines so großen Staatsorgans, daß wir als Leitungsmitglied bisher noch von keiner Seite Orientierung erhalten haben über die Veränderung unseres Parteisekretärs. Das gleiche trifft zu auf die Ablösung einiger Funktionäre im Hause. Das ist nötig, das ist mir klar. Aber haben wir als Leitung der GO keinen Einfluß zu nehmen? Wir müssen doch auch von der Stadtleitung so viel Vertrauen besitzen, daß man uns in Vorbereitung solcher Fragen Kenntnis gibt. Wie wollen wir uns eine richtige Meinung auf der Aktivtagung bilden, wenn wir eine Reihe Probleme, die zur Ablösung einiger Funktionäre geführt haben, gar nicht erfahren haben.“ SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Protokoll der Leitungssitzung der Grundorganisation vom 9. April 1970, 14.4.1970, Ebd., unp. 189 Vgl. SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig, Protokoll der Leitungssitzung der Grundorganisation vom 9. April 1970, 14.4.1970, Ebd., unp. 190 Vgl. Konstituierende Stadtverordnetenversammlung Leipzig am 16.4.1970, StadtAL, StVuR (1), 18599, Bl. 8–19. Das Ratskollektiv setzte sich wie folgt zusammen: Karl-Heinz Müller (Oberbürgermeister), Frank Grimm (1. Stellvertreter), Karl-Heinz Blaurock (Vorsitzender der Stadtplankommission), Paul Widenmann (Stellvertreter für Bauwesen), Kurt Ritter (Stellvertreter für Inneres), Heinz Stock (Stellvertreter für Handel und Versorgung), Werner Wiezorek (Stellvertreter für Wohnungswirtschaft), Wilfried Schlosser (Stellvertreter für Verkehr, Straßenwesen und Wasserwirtschaft), Heinz Collier (Sekretär des Rates), Werner Schlorke (Stadtrat für Örtliche Versorgungswirtschaft), Rudi Winkler (Stadtrat für Finanzen), Waltraut Martin (Stadtrat für Volksbildung), Heinz-Jürgen Gemkow (Stadtrat für Gesundheits- und Sozialwesen/Kreisarzt), Rudolf Gehrke (Stadtrat für Kultur), Sigrid Neugebauer (Stadtrat für Jugendfragen, Körperkultur und Sport), Herbert Stolle (Stadtrat für Hauptplanträger), Theo Ullrich (Stadtrat für Naherholung), Rainer Falsch (weiteres Ratsmitglied ohne Geschäftsbereich).

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im Bezirk und in der Stadt Leipzig einschätzen lassen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass es „Erscheinungen der Routine, des Mittelmaßes und Tendenzen der Selbstzufriedenheit“ auf beiden Ebenen gegeben habe. Als Begründung wurde das „ernste Zurückbleiben des Bauwesens, sowohl des komplexen Wohnungsbaues als auch des Industriebaues“ seit 1966 angegeben. Zudem wurden dem 1. Sekretär Karl Bauer „Züge des Administrierens und Reglementierens“ vorgeworfen.191 Er wurde im Frühjahr 1971 mit einer Parteistrafe belegt und seiner Funktion enthoben.192 Die zusätzlichen Wohnungen in Lößnig wurden am Ende freilich nicht gebaut. Obwohl seit Mitte der 1960er Jahre auch in Ost-Berlin das Bedürfnis gewachsen war, den Wohnungsbau aus wirtschaftspolitischen Gründen in die städtebauliche Gesamtplanung einzubeziehen, konnte der Generalbebauungsplan als kommunales Steuerungsinstrument nur bedingt wirksam werden. Vor allem auf lokaler Ebene ermöglichte er erstmals eine einheitliche Interessenvertretung gegenüber übergeordneten Stellen, was sich in dem umfassenden Problembericht an Paul Fröhlich vom November 1967 sowie den scharfen Kritiken seitens der Staatsfunktionäre, Betriebsfunktionäre und Stadtverordneten zeigt. In dieser Situation sah der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, der eine ausgesprochene Abneigung gegen jegliche Anzeichen lokaler Eigenmächtigkeiten hegte, seine Position destabilisiert. Er musste nun, stärker als in den Jahren zuvor, städtische, bezirkliche und zentrale Interessen gegeneinander abwägen. Ein Instrument der Interessenabstimmung zwischen den Ebenen bildete der Generalbebauungsplan allerdings nicht. Vielmehr konnte er als politisches Argument eingesetzt werden, die äußeren Umstände mussten hierfür jedoch stimmen. Diese Ambivalenz spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass gerade nach dem Eklat um den Wohnungsbau in Lößnig das ZK der SED die SED-Stadtleitung für die Mängel in der planmäßigen städtebaulichen Entwicklung, wie im Generalbebauungsplan vorgesehen, verantwortlich machte. Nicht ganz ohne Grund kam erst eine kurz nach dem Tode Fröhlichs und der Absetzung Bauers erarbeitete Komplexstudie des Rates des Bezirks zu einer äußerst kritischen Einschätzung der bisherigen Wohnungsbaupraxis in Leipzig: „Die bisherige Wohnungsbaupraxis mit einer mehr oder weniger willkürlichen Aneinanderreihung [sic!] von Wohn- und Funktionsbauten in zahlreichen Wohngebieten hat gezeigt, daß wir es noch nicht immer verstanden haben, die baulichen Voraussetzungen für die volle Entfaltung des sozialistischen Lebens zu schaffen.“193

191 Vgl. Bericht der vom Sekretariat des ZK eingesetzten Arbeitsgruppe zur Einschätzung der Parteiarbeit im Bezirk und in der Stadt Leipzig Leipzig, 3.11.1970, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/1308, Bl. 25–28. 192 Vgl. SED-Bezirksleitung, Bezirksparteikontrollkommission, 2.2.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/3/216, unp. 193 Rat des Bezirkes Leipzig, Abt. Hauptplanträger und Wohnungspolitik, Komplexstudie „Entwicklungstendenzen des sozialistischen Lebens in den Wohngebieten“, Oktober 1970, SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/427, unp.

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3.3 Das Primat des Wohnungsbauprogramms: Zur Rolle des Rates der Stadt in der Wohnungspolitik der Ära Honecker „Lösung der Wohnungsfrage“: Aufbruchsstimmung im Bezirk, Konflikte in der Stadt 1973 kündigte Erich Honecker das lang ersehnte Wohnungsbauprogramm an, mit dem sich die SED – unter Anleitung Moskaus – gerade nach dem „Prager Frühling“ Beruhigung an der Basis erhoffte. Bis 1990 sollten etwa drei Millionen Wohnungen durch Neubau und Modernisierung übergeben werden.194 Entsprechend tatkräftig sollte das Programm umsetzt werden. Dabei konnte Honecker freilich an die bereits Ende der 1960er Jahre vom Politbüro in Auftrag gegebene Entwicklung von Großplatten anknüpfen.195 Nichtsdestoweniger wurde das Wohnungsbauprogramm nach dem Machtwechsel (zunächst implizit) sogar zur Grundlage des Städtebaus erklärt und die Zuständigkeiten im Wohnungsbau wurden neugeordnet. Große, leistungsfähige Bezirksbaukombinate sollten durch ihre Nähe zum administrativen Zentrum in Berlin eine zügige und plangemäße Durchführung gewährleisten. So wurde das erst 1968 geschaffene Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat der Stadt Leipzig 1972 zum Leitbetrieb des Baukombinats des Bezirks.196 In der Stadt Leipzig selbst verblieben damit lediglich noch die Kapazitäten des Ende 1969 geschaffenen Kombinats für Baureparaturen und Rekonstruktion. Im Büro des Chefarchitekten wurden dagegen weiterhin beide Bereiche (Wohnungsbau und Modernisierung) im städtebaulichen Zusammenhang geplant.197 Dies gab aber keine Garantie dafür, dass sich das Bezirksbaukombinat an den Generalbebauungsplan gebunden fühlen musste. Parallel dazu wurde die Wohnraumlenkung und Wohnungswirtschaft (vor allem Kleinreparaturen und Instandhaltungen) zur zweiten kommunalen Kernkompetenz ausgebaut.198 Nimmt man diese institutionellen Bedingungen zum Ausgang, so war die 1973 proklamierte „Einheit von Neubau, Modernisierung und Werterhaltung“199 allenfalls auf der Ebene der Stadtplanung im Büro des Chefarchitekten, nicht aber durch adäquate Ressourcenallokation verwirklicht. Gleichwohl machte sich im Bauwesen vor Ort zunächst ein starker Optimismus breit. Schon kurze Zeit nach dem Tode Paul Fröhlichs am 29. September 1970 hatte 194 Vgl. Wolfgang Junker, Das Wohnungsbauprogramm der Deutschen Demokratischen Republik für die Jahre 1976 bis 1990. 10. Tagung des ZK der SED, 2. Oktober 1973, Berlin (Ost) 1973, S. 30. 195 Vgl. Palutzki, Zur Baupolitik in der Ära Honecker, in: Barth (Hrsg.), Planen für das Kollektiv, S. 69. 196 Vgl. Zetzsche, Entwicklung des Wohnungsbaus, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 258 f. 197 Vgl. Betker, „Einsicht in die Notwendigkeit“, S. 190. 198 Zur Aufwertung der Wohnungspolitik nach 1971 vgl. Jay Rowell, Wohnungspolitik (3), in: Christoph Boyer / Klaus-Dietmar Henke / Peter Skyba (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 10: Deutsche Demokratische Republik 1971–1989: Bewegung in der Sozialpolitik, Erstarrung und Niedergang, Baden-Baden 2008, S. 683 f. 199 Vgl. Zur Einordnung der offiziellen Losung vgl. Peter Jochen Winters, Wiederaufbau in OstBerlin, in: Deutschland Archiv 18, 1985, Heft 12, S. 1313.

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die Abteilung Hauptplanträger und Wohnungspolitik des Rates des Bezirks im Oktober eine Komplexstudie vorgelegt, welche die Wohnungsbaupolitik der 1960er Jahre scharf kritisierte. Danach sei der „kontinuierliche Reproduktionsprozess“ im Wohnungsbau durch den „vorrangigen Aufbau der Industrie in der DDR unterbrochen worden“.200 Auch hinsichtlich des Umgangs mit Altbaugebieten wurden intern nun nüchternere Töne angeschlagen. Lob fanden sogar die ökonomischen Vorzüge des solideren Mauerwerks: „Unsere Altbauwohnungen können, abgesehen von der in großem Umfang noch fehlenden perfektionierten sanitärtechnischen Ausstattung, unseren Bedürfnissen in gleicher Weise wie Neubauwohnungen entsprechen. Die Altbauwohnungen in Ziegelmauerwerk sind sogar für die Modernisierungsmaßnahmen vielfach geeigneter, als wir das von unseren in industrieller Fertigteilbauweise errichteten Neubauwohnungen annehmen dürfen. In dem weitverbreiteten Streben nach einem zweiten Wohnsitz bzw. einem Wochenendhaus kommt die Tendenz zur Stadtflucht zum Ausdruck, die ihre Ursachen zum Teil in den Wohnumweltbedingungen der hinter uns liegenden städtebaulichen Ära hat.“201

Nur einen Monat nach dem VIII. Parteitag legte auch die SED-Bezirksleitung einen Problembericht vor, nach dem allein für den Zeitraum von 1971 bis 1980 Modernisierungsmaßnahmen im Wert von über 1,2 Milliarden M nur in der Stadt Leipzig eingefordert wurden. Auch sollte der Baureparatursektor fortan nicht mehr als „Anhängsel im Bauwesen“ betrachtet werden.202 In der Stadt Leipzig schlug jener Optimismus jedoch alsbald in Ernüchterung um. Das Wohnungsbauprogramm sollte im Wesentlichen durch Neubau und erst danach durch Modernisierung umgesetzt werden, was das Stadtbauamt schnell wieder in eine randseitige Position drängte. Im Bezirksbauamt liefen derweil die Vorbereitungen zur Erschließung des Standortes Grünau im Westen der Stadt Leipzig.203 Allerdings entwickelten sich die Vorbereitungen alles andere als planmäßig. Schon 1974 wurde der Rückstand bei der Erschließung auf 1,5 bis zwei Jahre204 sowie das Defizit an Arbeitskräften auf rund 3.600 geschätzt. Als Lösungsvariante wurde dabei sogar an den konzentrierten Einsatz von Strafgefangenen gedacht.205 Außerdem fehlte es immer noch an einem zweiten Plattenwerk, das alle benötigten Bauelemente vorfertigte.206 Dies hatte zur Folge, dass einige Baustellen zwangs200 Rat des Bezirkes, Abteilung Hauptplanträger und Wohnungspolitik, Komplexstudie „Entwicklungstendenzen des sozialistischen Lebens in den Wohngebieten“, Oktober 1970, SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/427, unp. 201 Ebd., unp. 202 Vgl. SED-Bezirksleitung, Wissenschaftliche Arbeitsgruppe beim 1. Sekretär an Horst Schumann, Probleme der Instandsetzung und Instandhaltung von Wohngebäuden in der Stadt Leipzig, 15.7.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/395, unp. 203 Vgl. Horst Siegel, Das Wohngebiet Leipzig-Grünau. Ein Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage in der Stadt Leipzig, in: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Leipzig, 1978, S. 14. 204 Vgl. SED-Bezirksleitung, Abt. Bauwesen, Handmaterial für die Beratung Grünau, 16.4.1974, SächsStAL, 21123, IV/C/6/04/552, unp. 205 Vgl. Rat des Bezirkes, Vorsitzender Rolf Opitz an Gerhard Schürer, o. D., SächsStAL, 20237, 24597, unp. 206 Ein erstes Plattenwerk war 1967/68 in Wiederitzsch errichtet worden. Ein zweites erhielt Leipzig am selben Standort erst in den Jahren 1976–1978. Vgl. Blaurock/Schnabel/Zetzsche (Hrsg.), Industrie der Stadt Leipzig, Anlagen, S. 373 f.

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läufig von elf verschiedenen Betonwerken beliefert werden mussten, was die Transport- und Kommunikationskosten erheblich über das geplante Niveau steigen ließ.207 Bereits seit Anfang 1974 liefen deshalb informelle Gespräche zwischen dem Sekretär für Bauwesen der SED-Bezirksleitung, Günter Berger, und dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Gerhard Schürer, über die Zuteilung außerplanmäßiger Kapazitäten.208 Parallel griff der Bezirk jedoch auf das altbewährte Mittel der „Ausschöpfung örtlicher Reserven“, namentlich der Baureparaturkapazitäten der Stadt, zurück. Allein im Jahr 1974 musste die Stadt auf diese Weise 8,4 Millionen M aus dem Modernisierungsprogramm an „Sonderbedarfsträger“ des Wohnungsbauprogramms, insbesondere MfS, NVA und Ministerium des Innern, abgeben.209 Im darauffolgenden Jahr wuchsen diese Leistungen bereits auf 32 Millionen M an, hinzu kamen 16 Millionen M (vor allem Zimmerer, Maurer und Gerüste) an das Bezirksbauamt, die in erster Linie für den Aufbau des Plattenwerks, zum Teil aber auch für die Fertigstellung von Neubauwohnungen eingesetzt wurden. Deshalb entschied sich der Rat der Stadt kurzerhand, dem Bezirk diesen Teil der „Kooperationsleistungen“ zu verwehren, was nicht nur vom Stadtbauamt, sondern auch von der Stadtplankommission mitgetragen wurde. Im Rat des Bezirks wurde dieses Vorgehen freilich als Missachtung der Leitungsbeziehungen gewertet.210 Nur mit „Drängen“ habe man schließlich erreicht, dass die Stadtverwaltung nachträglich zumindest die Hälfte des geforderten Bedarfs an Maler- und Heizreparaturkapazitäten bereitstellte.211 Die Leistungskraft der Bezirksbaukombinate, die auch auf Propagandaplakaten symbolisch lanciert wurde, basierte somit in nicht geringem Maße auf städtischen Kapazitäten, die dann zur Sanierung der Altbaugebiete fehlten. Leipzig im Brennpunkt: 1977 als lokales Schlüsseljahr Obwohl Altbaugebiete im Wohnungsbauprogramm kaum eine Rolle spielten, wuchs mit der Zeit ihre Präsenz in der von der SED kontrollierten Öffentlichkeit, um die propagierte „Einheit von Neubau, Modernisierung und Werterhaltung“ zusätzlich zu legitimieren. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre stieg die Zahl der Zeitungsberichte, die sich mit dem Wesen von Altbaugebieten auseinandersetzten, rasant. Im Neuen Deutschland las man in den 1970er Jahren fast jeden zehnten Tag einen Artikel über Baumaßnahmen in Altbaugebieten (314 Artikel insgesamt). Damit 207 Vgl. SED-SBPKK Nord, Untersuchungen im Baukombinat, APO-Bereich Wohnungsbau Möckern, 1.8.1973–24.8.1973, SächsStAL, 21139, IV/C75/03/123, unp. 208 Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Abteilung Bauwesen, Ergänzungsmaterial für die Beratung mit Genossen Schürer, 10.1.1974, SächsStAL, 21123, IV/C/6/04/552, unp. 209 Rat der Stadt, Stadtrat für Bauwesen an den Oberbürgermeister, Bilanzierung für Sonderbedarfsträger I, 3.8.1972, StadtAL, StVuR, 21910, Bl. 105. 210 Vgl. Gemeinsames Seminar des Sekretariats der SED-SL mit Mitgliedern der Sekretariate der SED-Stadtbezirksleitungen und Mitgliedern des Rates der Stadt am 10.1.1975 zu Fragen des Volkswirtschaftsplanes 1975, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/129, unp. 211 Vgl. Rat des Bezirkes, Abt. Allgemeine Verwaltung an den Vorsitzenden Rolf Opitz, 11.2.1975, SächsStAL, 20237, 24628, unp.

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suggerierte die SED, sich auch um die Bewohner in den vernachlässigten Altbaugebieten zu kümmern. Im Zentrum stand dabei jedoch vor allem die Wohnumwelt, der Zustand der Gebäude selbst war tabuisiert. Vielmehr machte die SED deutlich, dass es ihr darum ginge, Altbaugebiete durch das Hinzukommen gesellschaftlicher Einrichtungen und Konsummöglichkeiten aufzuwerten.212 Damit erhoffte man sich im offiziellen Diskurs auch positive Effekte auf die Erziehung der Altbaubewohner. So bezeichnete das CDU-Blatt Neue Zeit die in Altbaugebieten wohnenden Kinder in einem 1975 erschienenen Artikel als „Stiefkinder der Gesellschaft“, weil sie in ihren Wohngebieten keine Spielplätze vorfänden, sondern stattdessen Freiflächen zum Leidwesen der Anwohner nutzten, um Fußball zu spielen.213 Leipzigs Altbauwohnungen selbst gerieten im Jahre 1977 in den Fokus der Medien. Am 8. September des Jahres strahlte das wegen seiner Zeitkritik bei der Bevölkerung beliebte und deshalb auch von der SED-Führung misstrauisch geduldete Fernsehmagazin PRISMA214 einen Beitrag über die Vergabe von Altbauwohnungen in der Messestadt aus. Aus der Perspektive einer Altbauwohnung erzählt, verwies der Beitrag vor allem auf die Zweckmäßigkeit der Wohnung. Verglichen mit dem auf die Schattenseiten von Altbaugebieten abhebenden Zeitungsdiskurs der ersten Hälfte der 1970er Jahre, lässt sich dieser Beitrag als ein Signal für die Verschiebung der Diskursgrenzen und zugleich als Appell an die SED für eine pragmatischere Wohnungspolitik lesen. In der Tat war die Euphorie über die Auswirkungen des Wohnungsbauprogramms außerhalb des Politbüros bereits nach wenigen Jahren versiegt. Freilich waren auch für den PRISMA-Beitrag die hohen Verfallszahlen tabu und damit allenfalls eine vorsichtige Kritik möglich. So behauptete der Bericht, dass viele gute Altbauwohnungen aufgrund „subjektivistischer Tendenzen“ von Wohnungssachbearbeitern leer stünden. Diese unqualifizierte Arbeitsweise sei „gegen die Interessen der Wohnungssuchenden“ und damit „gegen die Interessen unseres Staates“ gerichtet. Der Gebäudeverfall wurde gewissermaßen heruntergespielt, denn es seien genügend bewohnbare Reserven vorhanden, die lediglich durch das schlechte „Zusammenspiel zwischen Wohnraumlenkung und Gebäudewirtschaft“ ungenutzt waren – so der Grundtenor des Berichtes. Befragt über die Unzulänglichkeiten in der Kommunikation, warfen sich der Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Manfred Brendel215, und der Direktor 212 Diese Statistik basiert auf der Datenbank der Berliner Staatsbibliothek „DDR-Presse“ (URL: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/ddr-presse/ abgerufen am 15.12.2013). 213 Vgl. Peter Mugay, Von einem Berliner Indianerdorf, seinen Schöpfern und Bewohnern. Kinder in Großstädten mit viel Raum für ihre Spiele, in: Neue Zeit vom 26. April 1975, o. S. 214 Zum Fernsehmagazin PRISMA vgl. Susanne Pollert, Alltägliches im Fernsehen der DDR. Die Sendereihen „Prisma“ und „Entdeckungen im Alltag“. Wie Überlieferungslage und Erschließungszustand audiovisueller Quellen eine vergleichende Themenanalyse beeinflussen können, in: Friedrich Beck / Wolfgang Hempel (Hrsg.), Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds, Potsdam 1999, S. 279–298. 215 Manfred Brendel (geb. 1939), geb. in Leipzig, 1957 Abitur und Mitglied der LDPD, 1957– 1964 Redakteur für Wirtschaft bzw. Lokalredaktion beim Sächsischen Tageblatt, 1959 Studium an der Zentralen Parteischule der LDPD, 1964–1970 Tätigkeit bei Radio DDR, 1967–1975 Chefredakteur und Cheflektor des Instituts für Verwaltungsorganisation und Bürotechnik Leipzig, 1970 Studium zum Diplom-Ökonomen, 1973 Promotion zum Dr. oec., 1975–1978 Stadtrat

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des VEB Gebäudewirtschaft, Werner Seidel, vor den TV-Kameras gegenseitig Versäumnisse vor und bestätigten damit mehr oder weniger freiwillig die offizielle Sicht. Der Betriebsdirektor bezichtigte die Behörde, keine Übersichten über den Wohnungsbestand zu besitzen, der Stadtrat warf der Gebäudewirtschaft vor, leerstehende Wohnungen nicht zeitnah frei zu melden. Im Ergebnis forderte der Beitrag die Bevölkerung schließlich dazu auf, den Verantwortlichen bei entsprechenden Problemen „sofort politisch [zu d. V.] kommen“.216 Adressaten des Beitrags waren damit in erster Linie die Wohnungsbehörden, indirekt aber – weil Eingaben zunehmend an zentrale Behörden gingen – auch die SED-Führung. Der Sendezeitpunkt hätte aus Sicht aller beteiligten Funktionäre zeitlich allerdings nicht ungünstiger ausfallen können. Baupläne für die Leipziger Altbaugebiete hatte die SED-Führung freilich keineswegs im Sinn, stattdessen hatte das Politbüro neun Tage zuvor ein eigens für die Stadt Leipzig konzipiertes Wohnungsbauprogramm beschlossen, das die Bauleistungen beträchtlich erhöhen sollte. Der Grund hierfür war, dass von den für Leipzig insgesamt geplanten 90.000 Wohnungen bis zum 1. August 1977 erst 18.813 Wohnungen neu gebaut und 9.490 weitere modernisiert worden waren. Diese Ergebnisse erschienen der SED-Führung im Hinblick auf das Planziel jedoch nicht nur dürftig, sondern das Politbüro korrigierte den Plan gleich noch einmal nach oben. Bis 1990 sollten nun 93.000 bis 95.000 Wohnungen durch Neubau und 44.500 bis 52.500 durch Modernisierung geschaffen werden.217 Welche Bedeutung das Programm für Erich Honecker hatte, verdeutlicht allein sein Einwand gegen den in der Beschlussvorlage vom 30. August 1977 enthaltenen Nebensatz, dass „nahezu 100 % aller Wohnungen mit WC sowie Bad oder Dusche […] ausgestattet“ werden sollten. Auf seine Weisung hin musste das Wort „nahezu“ gestrichen werden.218 Obgleich der Ministerrat am Tage nach der Bestätigung des Beschlusses kämpferisch verkündet hatte, dass dieser „ein großes zustimmendes Echo unter der Arbeiterklasse und der ganzen Bevölkerung der Stadt Leipzig und neue Reserven zur Stärkung der Leistungskraft unserer Wirtschaft auslösen wird“219, reagierten sowohl zentrale als auch lokale Funktionäre hinter den Kulissen eher mit gemischten Gefühlen. Gewerkschaftsberichte des Rates der Stadt signalisierten, dass neben der grundsätzlichen Zustimmung zu den Zielen vor allem „Zweifel an der Realisierbarkeit geäußert“ wurden:

216 217 218 219

für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft des Rates der Stadt Leipzig, 1976–1977 Abendstudium Marxismus-Leninismus an der KMU Leipzig. Vgl. Art. ‚Manfred Brendel‘, in: Buch, Namen und Daten, S. 33; Kaderspiegel der Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft des Rates der Stadt Leipzig, 1978, StadtAL, StVuR (2), 1153, Bl. 49. Vgl. Fernsehen der DDR am 8.9.1977, Sendung ‚Prisma‘ – leerstehende Wohnungen, SächsStAL, 21123, IV/D/2/03/075, Bl. 92–94. Vgl. Beschluss zur weiteren Durchführung des Wohnungsbauprogramms in der Stadt Leipzig im Fünfjahrplanzeitraum 1976 bis 1980 und bis 1990, 30.8.1977, SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/2099, Bl. 14–20. Vgl. ZK der SED, Abt. Bauwesen, Gerhard Trölitzsch, an das Büro des Politbüros, 30.8.1977, Ebd., Bl. 19. Sitzung des Ministerrates der DDR am 1.9.1977, BArch, DC 20/I/3/1428, Bl. 120/9.

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„Im allgemeinen werden aber bereits Fragen der Umsetzung des Beschlusses aufgeworfen, z. B. nach der Verantwortung aller staatlichen Organe, nach der Verstärkung der wirtschaftsleitenden Funktionen im Bau- und Wohnungswesen, nach der Gewinnung des notwendigen Bauarbeiternachwuchses und der Schaffung der erforderlichen Ausbildungsplätze, nach der Verbesserung des Schutzes von Staats- und Dienstgeheimnissen“.220

Andererseits wurden lokale Funktionäre immer häufiger mit der Unzufriedenheit der in den Altbaugebieten wohnenden Bürger konfrontiert, die zunehmend „Unverständnis über die vorrangige Sicherung kommunalpolitischer Aufgaben in Grünau äußern, während andere Gebiete seit Jahren ohne diese Einrichtungen [gemeint sind Einkaufsmöglichkeiten, soziale und medizinische Infrastruktur, d. V.] sind“.221 Bereits seit Mai 1977 stand fest, dass ein Fünftel aller städtischen Wohnungen „auf Grund ihres Bauzustandes nicht mehr instand zu setzen bzw. zu modernisieren“222 war. Das Wohnungsbauprogramm für Leipzig entbehrte damit jeglicher lokalen Grundlage. Im Wissen um die widersprüchlichen Konsequenzen des Beschlusses hatte die Staats- und Parteiführung angeordnet, ihn trotz der euphorisch verkündeten Verbesserung der politischen Stimmungslage nicht zu veröffentlichen. Dies stieß vor Ort allerdings auf wenig Gegenliebe. So beantragte Günther Bitterlich, der als Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirks Leipzig für Inneres über die politische Stimmungslage im Territorium gut informiert war, am 25. Oktober 1977 die Aufhebung der Geheimhaltung, erhoffte er sich doch gerade davon Beruhigung in der Bevölkerung und im Staatsapparat. Zugleich bot sich ihm dadurch die Möglichkeit, die SED-Führung unter Zugzwang zu setzen und dem Bezirksbaukombinat so zusätzliche Kapazitäten zuzuschustern. Bitterlich erreichte schließlich aber nur, dass der erste Teil des Beschlusses, der lediglich die groben Planziele (ohne konkrete Zahlenangaben) enthielt, veröffentlicht wurde. Gegen die Publikation der beiden folgenden Abschnitte, welche über die Verantwortlichkeiten der Ministerien im Einzelnen Auskunft gaben, verwehrte sich sogar der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Gerhard Schürer, der selbst intern auf die fehlende wirtschaftliche Basis hingewiesen hatte.223 Sowohl der PRISMA-Beitrag als auch das zeitgleich verabschiedete Wohnungsbauprogramm für Leipzig illustrieren unterschiedliche Wahrnehmungen der städtebaulichen Probleme in der Großstadt Leipzig und spiegeln verschiedene Legitimationsstrategien wider. Lenkte der Fernsehbeitrag die Aufmerksamkeit auf die Altbaugebiete und erinnerte er die SED an die in der Medienöffentlichkeit allmählich in Vergessenheit geratene „Einheit von Neubau, Modernisierung und Werterhaltung“, setzte das Wohnungsbauprogramm für Leipzig auf eine noch extensivere 220 Rat der Stadt Leipzig, BGL, Monatsbericht über das gewerkschaftliche Mitgliederleben, 8.12.1977, SAPMO-BArch, DY 34/11293, unp. 221 Rat der Stadt Leipzig, BGL, Monatsbericht über das Mitgliederwesen, 15.6.1978, Ebd., unp. 222 SED­Bezirksleitung, Information über Erfahrungen und Probleme der weiteren Qualifizierung der Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe, 11.5.1977, SächsStAL, 21123, IV/D/2/12/523, Bl. 4. 223 Vgl. Ministerrat der DDR, Staatssekretär Kleinert, an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig, Opitz, 9.11.1977, BArch, DC 20/I/3/1428, Bl. 119; Gerhard Schürer an Staatssekretär Kleinert, Aktennotiz, 2.11.1977, Ebd., Bl. 118.

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Baupolitik in den Großsiedlungen. Das Jahr 1977 war für Leipzigs weitere Entwicklung entscheidend, denn nun hing es an dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Horst Schumann, das legitimatorische Spannungsfeld, in dessen Brennpunkt seine Bezirksstadt stand, zu deuten und darauf zu reagieren. Das Wohnungsbauprogramm als Bewährungsprobe: Horst Schumann und das Leipziger Stadtbauamt Aus lokaler Perspektive muss die Reaktion Horst Schumanns auf das intern umstrittene Wohnungsbauprogramm für die Stadt Leipzig im Zusammenhang mit dem Eklat um die Verwehrung von „Kooperationsleistungen“ durch den Rat der Stadt im Jahre 1975 gesehen werden. Auf diesen Vorfall reagierte Horst Schumann prompt und mit ähnlichen Mitteln wie sein Vorgänger Paul Fröhlich. Seit Anfang 1975 ließ er ihn mithilfe der hauseigenen Parteikontrollkommission untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Aus Schumanns Sicht besonders unglücklich nahm sich ein bereits während der Untersuchungen von Vertretern des städtischen Staats- und Parteiapparats veranstaltetes Krisenseminar aus. Auf diesem wies der Vorsitzende der Stadtplankommission, Karl-Heinz Blaurock, in aller Deutlichkeit auf die Ignoranz städtischer Probleme durch den Bezirk hin, nämlich „daß in der allgemeinen Lage in der Stadt kritischere Bedingungen sind als bei einzelnen Positionen der Sonderbedarfsträger, [aber] daß die natürlich grünes Licht haben“.224 Ins Zentrum der Kritik der SED-Bezirksparteikontrollkommission (BPKK) geriet zunächst jedoch der offenkundig überforderte Stadtbaudirektor Waldemar Thiele. Dieser gab zu Protokoll: „‚Im Bezirksbauamt und als Werkdirektor war ich gut, warum habe ich hier keine Erfolge in der Arbeit?‘ Er wird nicht fertig mit den drei Faktoren, wie er sagt, die ständig auf ihn einwirken: Der Rat der Stadt, das Bezirksbauamt und sein eigenes Kollektiv“. Die SED-Bezirksleitung lastete ihm diese kritischen Töne und andere Aussagen über die ausbleibende Würdigung seiner Arbeit freilich als fehlende „Kampfposition“ an. Er sei unmittelbar verantwortlich für die „ungenügende Umsetzung der Beschlüsse zur Entwicklung der Baureparaturkapazität und deren Einsatz“, die mangelnde Anleitung der Stadtbezirksbauämter sowie die unbefriedigende städtebauliche Gestaltung. Vorgeworfen wurde ihm ferner, für die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen dem ihm unterstellten Hauptplanträger und dem Büro des Chefarchitekten bei der Verwirklichung des Generalbebauungsplans verantwortlich zu sein.225 Auch während der Parteigruppensitzungen, denen die SED-BPKK beiwohnte, habe sich die fehlende „Kampfposition“ im Stadtbau224 Gemeinsames Seminar des Sekretariats der SED-Stadtleitung mit Mitgliedern der Sekretariate der SED-Stadtbezirksleitungen und Mitgliedern des Rates der Stadt am 10.1.1975 zu Fragen des Volkswirtschaftsplanes, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/129, unp. 225 Sämtliche Belegstellen in: Rat des Bezirkes, Ergebnisse der Arbeitsgruppentätigkeit im Auftrage der Bezirksparteikontrollkommission zur Aufdeckung von Ursachen für den ungenügenden Kampf zur Verwirklichung des sozialistischen Programms der Partei, besonders auf dem Gebiet des Wohnungsbaus in der Stadt Leipzig, 10.2.1975, SächsStAL, 21123, IV/C/2/4/310, unp.

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amt gezeigt. Die Genossen seien verschlossen, unkritisch und diskutierten nur über technisch-organisatorische Fragen. Auch im Büro des Chefarchitekten würde ein ausgesprochenes „Elitedenken“ herrschen. Ferner verhalte sich der Stadtbaudirektor seinen Mitarbeitern gegenüber „diktatorisch“.226 Kritiken der kommunalen Baufunktionäre am „Hineinregieren“ übergeordneter Stellen wurden übergangen bzw. ebenso als fehlende „Kampfposition“ gewertet.227 Die „richtigen“ Schlüsse aus dem Bericht der SED-BPKK zu ziehen, oblag anschließend der SED-Stadtleitung. Sie sollte „weitere[r] Maßnahmen zur Qualifizierung und kadermäßigen Stärkung“ in eigenem Ermessen ergreifen.228 Bis auf die formale „Auswertung“ des Berichtes erfolgten jedoch keine weiteren Schritte. Waldemar Thiele hingegen wurde am 4. Februar 1976 entlassen.229 Die überhitzte und teilweise unbeholfene Reaktion Schumanns auf den Vorfall von 1975 steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen schwacher Position in Ost-Berlin. Vor allem ging es ihm darum, jegliche kritischen Diskussionen präventiv zu unterbinden. Die kompromisslose Durchführung des Wohnungsbauprogramms war für ihn eine Frage des eigenen Machterhalts. Diese Erfahrung prägte auch seine Reaktion auf das am 30. August 1977 beschlossene Wohnungsbauprogramm für die Stadt Leipzig. Auch hier musste die Stadt wieder zusätzliche Dienstleistungen erbringen. Nur einen Tag nach der Beschlussfassung im Politbüro beschwerte sich deshalb der Rat des Stadtbezirks Süd, dass immer noch Kapazitäten, insbesondere Gerüste, zum Bau des Plattenwerkes in Wiederitzsch abgestellt werden mussten.230 Die Reaktion Schumanns erfolgte wiederum prompt. Zwischen September 1977 und September 1979 wurden in seinem Auftrag zahlreiche strukturelle Maßnahmen ergriffen, mit deren Hilfe künftig jegliche Anzeichen von Kritik im Keim erstickt werden sollten. So hatte Schumann die Kreisdienststelle des MfS schon im September 1977 damit beauftragt, das städtische Bauwesen zusätzlich unter Kontrolle zu nehmen. Die Kreisdienststelle konnte dabei auf ihren früheren Inoffiziellen Mitarbeiter, den seit 1976 als Stadtbaudirektor tätigen Wolfgang Geißler, zurückgreifen, den man problemlos als Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) gewinnen konnte. Geißler berichtete dem MfS bis zu seiner Abberufung 1986 aber vor allem über die wirtschaftlichen und politischen Probleme in den städtischen Baureparaturbetrieben.231 Ausgewertet wurden diese Berichte offensichtlich nicht. Im Januar 1978 folgten weitere Maßnahmen zur Ausdehnung des kontrollierenden Einflusses der SED­Stadtleitung. Diese sollte etwa einen Parteistab Bauwesen innerhalb ihres Sekretariats zur Beratung sämtlicher Maßnahmen sowie eine Abteilung Bauwesen allein zur politischen Anleitung bilden, womit die SED-Stadt226 Vgl. SED-BPKK, Aussprache mit Genossen der APO III beim Rat der Stadt Leipzig am 21. Januar 1975, 28.1.1975, Ebd., unp. 227 SED-BPKK, Beratung der AG Rat der Stadt am 27. Januar 1975, 27.1.1975, Ebd., unp. 228 Vgl. Büro des Sekretariats der SED-Bezirksleitung, Untersuchungsbericht der SED-BPKK Leipzig in der GO Rat der Stadt Leipzig, APO 3, 16.4.1975, Ebd., unp. 229 Vgl. Sitzung des Rates am 4.2.1976, StadtAL, StVuR, 19080, Bl. 113–115. 230 Vgl. Probleme aus der Plenartagung der Stadtbezirksversammlung Leipzig-Süd am 31.8.77, 6.9.1977, Ebd., Bl. 238. 231 Vgl. BStU, MfS, BV Lpz., AGMS, 619/92.

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leitung zugleich koordinierende Kompetenzen des Rates an sich zog. Dazu wurden der SED-Stadtleitung neun SED-Grundorganisationen von stadt- und bezirksgeleiteten Betrieben des Bauwesens (VEB Baukombinat, Großbaustelle Grünau, VE Verkehrs- und Tiefbaukombinat, VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion, VEB Ingenieurhochbau, VEB Städtischer Tiefbau, VEB Technische Gebäudeausrüstung, VEB Garten­ und Landschaftspflege, VEB Gebäudewirtschaft) unterstellt.232 Der Grund für diese Maßnahmen war nicht zuletzt ein für den 25. Juli 1978 angekündigter Besuch des Ministers für Bauwesen, Wolfgang Junker, in Leipzig, mit dem Schumann die Baustelle Grünau besichtigen und über „Probleme“ des örtlichen Bauwesens „diskutieren“ sollte. Deshalb wurden bereits Ende März bisherige Ergebnisse und weitere Aufgaben zur Durchsetzung des Politbürobeschlusses von der Wirtschaftspolitischen Abteilung der SED-Bezirksleitung zusammengefasst. Dabei kam man jedoch zu dem ernüchternden Ergebnis: „Erste Berechnungen lassen erkennen, daß mit dem bisher vorgesehenen Volumen der Beschluß des Politbüros nicht realisierbar sein wird.“233 Dem ZK der SED sowie Horst Schumann gegenüber formulierte man dies in Vorbereitung auf das Treffen freilich beschönigender. In einem an Junker adressierten gemeinsamen Arbeitspapier des Rates des Bezirks sowie der SED-Bezirksleitung hieß es, dass zur Erfüllung des Wohnungsbauprogramms die Arbeitsproduktivität auf über 123 Prozent gesteigert werden müsste.234 Damit suggerierte man, dass die Aufgaben auch aus eigener Kraft zu schaffen wären. Das Treffen selbst verlief schließlich ohne besondere Probleme. Auch die „Schlussfolgerungen“, die Schumann aus dem Treffen zog und an das ZK der SED weiterleitete, trafen bei Honecker auf Zustimmung. Dabei wird aber auch ersichtlich, wie kompliziert es für Schumann war, überhaupt an Honecker heranzukommen. Dies war ihm letztlich nur über den Leiter der Abteilung Bauwesen, Gerhard Trölitzsch, sowie über dessen Vorgesetzten, Günter Mittag, möglich.235 Vor Ort wurden die präventiven Kontrollmaßnahmen über das Stadtbauamt gleichwohl fortgeführt. Seit September 1979 mussten alle für den Rat des Bezirks bestimmten Berichte und Vorlagen zum Bauwesen zuvor über den Schreibtisch der SED-Stadtleitung gehen.236 Der Funktionswandel des Stadtbauamtes vom städtebaulichen Akteur hin zum einseitigen Dienstleister des Bezirks, forciert seit 1977, machte sich nicht zuletzt in der Etablierung eigener Herrschaftsstrategien bemerkbar. So machte der Stadtbaudirektor Geißler aus der Not, dass über die Situation im Leipziger Reparaturwesen 232 Vgl. Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung am 11.1.1978, SächsStAL, 21123, IV/C/2/3/083, unp. 233 SED-Bezirksleitung, Wirtschaftspolitische Abteilung, Zusammenfassung für Beratung am 31.3.1978 zum erreichten Stand der Verwirklichung des Politbürobeschlusses vom 30.8.1977, 27.3.1978, SächsStAL, 21123, 185, unp. 234 Rat des Bezirkes/SED-Bezirksleitung, Arbeitsmaterial für die Mitglieder des ZK der SED, die Genossen Wolfgang Junker, Minister für Bauwesen, und Horst Schumann, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, zu Fragen der Ausrüstungsinvestitionen des Bauwesens im Bezirk Leipzig an Junker, 20.6.1978, Ebd., unp. 235 Vgl. SED, ZK, Abt. Bauwesen an Horst Schumann, 16.10.1978, Ebd., unp. 236 Vgl. Oberbürgermeister Müller an alle Ratsmitglieder, 29.8.1979, StadtAL, StVuR (2), 832, Bl. 32.

3. Herrschaftspraxis im kommunalen Bauwesen: Fallstudien

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kaum etwas nach Berlin durchdrang, eine Tugend und ließ dem Direktor des Kombinats für Baureparaturen und Rekonstruktion, Jörg Strenz, beträchtliche Freiheiten; etwa bei der Versetzung konkurrierender Leitungskader ungeachtet ihrer fachlichen Eignung237 oder bei der Manipulation von Erfüllungsberichten.238 Beides wurde von Geißler aktiv gefördert, indem er gemeinsam mit Strenz gegen „negativ diskutierende“ Leitungskader vorging oder unfertige Wohnungen als modernisiert deklarierte. Letztere Option wurde im Stadtbauamt bald zur gängigen Praxis. So mussten während der Planabläufe in Modernisierungsgebieten unentwegt Veränderungen in den Listen der für Sanierungsmaßnahmen geplanten Objekte vorgenommen werden, etwa weil diese von der Abteilung Wohnungspolitik nicht fristgerecht freigelenkt werden konnten oder weil Modernisierungsobjekte aufgrund fehlender Kapazitäten nachträglich zum Abbruch bestimmt wurden.239 Auch konnten notwendige Erschließungsarbeiten häufig nicht ausgeführt werden, etwa weil hierfür infrage kommende bezirksgeleitete Betriebe, wie der VEB Straßen-, Gleis- und Tiefbau, bereits an komplexen Standorten in Leipzig oder in Berlin eingesetzt waren. Dies konnte zur Folge haben, dass das Baureparaturkombinat zwar Wohnungen rekonstruierte, wodurch es seinen Plan formal erfüllte, die Wohnungen dennoch nicht als bezugsfertig gelten konnten, weil diese etwa nicht an die Wasser- und Energieversorgungsnetze angeschlossen waren.240 Schließlich wirkten sich auch die begrenzten personellen Kapazitäten der Stadtbezirksbauämter beträchtlich auf Ungenauigkeiten in der Bedarfsermittlung aus, sodass nachträglich immer wieder Plankorrekturen vorgenommen werden mussten. So stellte eine ABI-Kontrollkommission im April 1983 fest, dass der Bauzustand von Altbauwohnungen im Stadtbezirk Mitte häufig nicht durch Baufachleute begutachtet wurde, sondern man auf die spärlichen Informationen von Wohnraumzählern bzw. Vermietern zurückgriff oder die Gebäude oberflächlich „von der Straße“ aus beurteilte. Somit kamen immer wieder Gebäude auf die Objektlisten, deren Rekonstruktion nachträglich als unwirtschaftlich eingestuft wurde.241 237 Vgl. BV MfS Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Erscheinungen der Unzufriedenheit und Unsicherheit unter Leitungskadern im VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion Leipzig, 9.2.1982, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742, Bd. 2, Bl. 132–135. 238 Vgl. Ebd.; SED-Stadtbezirksleitung West, Sekretariat, Sonderinformation an den 1. Sekretär der SED-Stadtleitung Leipzig, Probleme des Modernisierungskomplexes Leipzig-Leutzsch, 17.10.1974, SächStAL, 21145, IV/C/5/01/264, unp. 239 Vgl. BV MfS Leipzig, Information über einige Probleme der Führungs- und Leitungstätigkeit im VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion Leipzig (KBR) zur ökonomischen Situation sowie zu anderen Betrieben und Einrichtungen des stadt- und stadtbezirksgeleiteten Bauwesens der Stadt Leipzig, 21.1.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742, Bd. 1, Bl. 163. 240 Vgl. BV MfS Leipzig, Information über einige Probleme der Führungs- und Leitungstätigkeit im VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion Leipzig (KBR) zur ökonomischen Situation sowie zu anderen Betrieben und Einrichtungen des stadt- und stadtbezirksgeleiteten Bauwesens der Stadt Leipzig, 21.1.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742, Bd. 1, Bl. 168. 241 Vgl. ABI Stadtbezirkskomitee Mitte, Information über eine Kontrolle zur weiteren Verbesserung der Wohnbedingungen, insbesondere durch Rekonstruktion vorhandener Bausubstanz, 13.4.1983, SächsStAL, 20301, 711, unp.

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III. Bauen nach Plan?

Die Wahrnehmung und Reaktion Schumanns gestaltete sich in erster Linie vor dem Hintergrund seiner schwachen Verankerung innerhalb des ZK der SED. Von Honecker geradezu gemieden, musste er um der eigenen Machtposition Willen alles daransetzen, jegliche Unstimmigkeiten bei der Umsetzung des Wohnungsbauprogramms zu unterbinden. Der Rat der Stadt galt ihm als Hauptschuldiger für Verfehlungen, Eigenmächtigkeiten übergeordneter Organe blendete er dagegen aus. Dabei zeigt sein Vorgehen deutliche Parallelen zu seinem Vorgänger Fröhlich. Dies verwundert insofern nicht, als Schumann zu einer Zeit in die SED-Bezirksleitung wechselte (1969), als lokale Baukonflikte und zentrale Erwartungshaltungen konfrontativ aufeinander prallten und zahlreiche Entlassungen im Rat der Stadt, unter anderem Oberbürgermeister Walter Kresse, nach sich zogen. Anders als Fröhlich, unter dem zeitweise lokale Interessen zumindest unbeschadet vertreten werden konnten, fehlte es bei Schumann jedoch an jeglicher Bereitschaft, Kritiken partiell zuzulassen, denn für ihn war das Wohnungsbauprogramm die wohl wichtigste Bewährungsprobe. Der Bezirk konnte hiervon freilich profitieren. Lakonische Kritik an der Eingabenbearbeitung: Horst Schumann und das Leipziger Wohnungsamt Auch den PRISMA-Beitrag vom September 1977 deutete Schumann einzig vor dem Hintergrund möglicher auf ihn zurückfallender politischer Konsequenzen. 13 Tage nach Ausstrahlung des Beitrags legte sich das Sekretariat der SED-Bezirksleitung auf eine entsprechende Begründung fest: „Aus Eingaben und Hinweisen der Bevölkerung sowie durch die Sendung des Fernsehfunkes der DDR – Sendefolge ‚PRISMA‘ vom 8.9.1977 wird erneut sichtbar, daß die schnelle Belegung freier Wohnungen durch die staatlichen Organe in der Stadt Leipzig zur Durchsetzung unserer sozialistischen Wohnungspolitik nicht gewährleistet ist und berechtigte Verärgerung der Bevölkerung auslöst“.242

Ins Visier der Kritik gerieten dabei einseitig die Wohnungsämter der Stadtbezirke. Freilich deckte sich die Interpretation des Beitrags auch mit der Art und Weise, wie Schumann den Wohnungsbehörden bislang in der internen Kommunikation begegnet war. Schon häufiger hatte der 1. Sekretär der SED­Bezirksleitung die säumige Eingabenarbeit der städtischen Wohnungsbehörden getadelt. „Gefällt es Dir, daß ich Dich ständig mahnen muß?“243, schrieb er etwa im April 1973 an die Stadtbezirksbürgermeisterin Süd. Andere Probleme der Wohnungsbehörden besprach Schumann aber keineswegs mit den verantwortlichen Staatsfunktionären, sondern ausschließlich mit den 1. Sekretären der SED-Stadtbezirksleitungen.244 Die Prob242 Vorlage des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung, 16.9.1977, SächsStAL, 21123, IV/D/2/03/075, Bl. 89. 243 SED-SBPKK Leipzig-Süd, Information an den 1. Sekretär der SBL über eine Untersuchung beim Rat des Stadtbezirkes Süd betreffs Eingabenbearbeitung, 22.6.1973, SächsStAL, 21141, IV/C/5/05/102, unp. 244 Vgl. exempl. Zuarbeit der Abt. Staat und Recht für die Beratung Horst Schumann mit 1. Kreissekretären, 18.11.1976, SächsStAL, 21123, IV/C/2/13/725, unp.

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leme der Wohnraumlenkung wurden dabei immer wieder auf den „herzlosen“ Umgang der Behörden mit den Eingaben der Bevölkerung reduziert.245 Bereits zwei Tage vor Ausstrahlung des PRISMA-Beitrags hatte der Rat der Stadt deshalb die präventive, in der Praxis aber eher symbolische Maßnahme der Bildung einer Eingabengruppe ergriffen.246 Entsprechend der Vorliebe Schumanns für den Parteiweg, der vor allem eine einseitige, aber reibungslose politische Lösung versprach, beauftragte er das Sekretariat der SED-Stadtleitung, Maßnahmen zu ergreifen und eine Auseinandersetzung mit dem Oberbürgermeister sowie dem Vorsitzenden der Stadtplankommission über „Leitungsfragen“ durchzuführen. Dabei erhielt die SED-Stadtleitung die Vollmacht, nötigenfalls neue Kader zu ernennen, „die die Garantie geben für eine konsequente Durchsetzung der Grundsätze der sozialistischen Wohnungspolitik“. Zudem sollte der Direktor des VEB Gebäudewirtschaft eine Analyse der Mietschuldensituation vorlegen und gemeinsam mit der SED-Stadtleitung Maßnahmen zur „Durchführung der Gesetzhabungen [sic!]“ treffen.247 Dass gerade der Oberbürgermeister, Karl-Heinz Müller, und der Vorsitzende der Stadtplankommission, KarlHeinz Blaurock, in die Kritik gerieten, obwohl diese im PRISMA-Beitrag gar nicht aufgetreten waren, verweist auf die Tragweite des Vorfalls für Schumann. Eine politische Lösung sollte nicht nur die Wohnungsämter, sondern den ganzen Rat der Stadt, hier die beiden höchsten Repräsentanten einbeziehen. Es dauerte jedoch noch etwa einen Monat, bis das Sekretariat der SED-Stadtleitung seinem Auftrag nachkam. Im Grunde stand das Resultat der am 19. Oktober 1977 abgehaltenen Sitzung aber bereits fest. Dem Oberbürgermeister und dem Vorsitzenden der Stadtplankommission wurde vorgeworfen, „nicht im erforderlichen Maße“ dazu beigetragen zu haben, die Leitungsschwächen „aufzudecken und zu verändern“. Lediglich Blaurock versuchte noch, die PRISMA-Sendung als das eigentliche Problem zu thematisieren, wurde aber in seine Schranken gewiesen mit der Begründung, nur an die Bilanzen zu denken. Oberbürgermeister Müller erhielt eine „Kritik“, Blaurock eine „Verwarnung“. Zusätzlich sollte gegen den Stadtrat für Wohnungspolitik Manfred Brendel ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, da dieser als LDPD-Mitglied nicht politisch zu belangen war. Außerdem wurde der Rat der Stadt beauftragt, „Grundsätze der sozialistischen Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig“ bis zum 15. Dezember 1977 auszuarbeiten.248 Die Reaktion der SED­Stadtleitung fiel angesichts der politischen Bedeutung des Vorfalls für Schumann damit am Ende moderat aus. 245 Vgl. SED-SBPKK Süd, Information an den 1. Sekretär der SED-SBL über eine Untersuchung beim Rat des Stadtbezirkes Süd betreffs Eingabenbearbeitung, 22.6.1973, SächsStAL, 21141, IV/C/5/05/102, unp. 246 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Instrukteurabteilung an Oberbürgermeister Müller, Aussprachen in der Abteilung Wohnungspolitik/Wohnungswirtschaft im Rat der Stadt, 6.9.1977, StadtAL, StVuR, 25218, Bl. 63. 247 SED-Bezirksleitung, Sitzung des Sekretariats am 21.9.1977, SächsStAL, 21123, IV/D/2/03/075, Bl. 8. 248 Vgl. SED-Stadtleitung Leipzig, Beschluß des Sekretariats der SED-Bezirksleitung vom 21.9.1977, Durchsetzung der Grundsätze der sozialistischen Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig, SächsStAL, 21123, IV/D/2/01/012/523, Bl. 15–18.

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III. Bauen nach Plan?

Am gleichen Tag noch übertrug das Sekretariat der SED-Bezirksleitung den städtischen Verwaltungsorganen die Verantwortung für personalpolitische Maßnahmen in ihren Apparaten. Darüber hinaus wurde der Rat beauftragt, den personellen Problemen des VEB Gebäudewirtschaft mit lohnpolitischen Maßnahmen zu begegnen. Ferner sollte er dem Bezirk Konzeptionen zur Entwicklung der Arbeitskräfte und Fondsbereitstellung im VEB Gebäudewirtschaft vorlegen.249 Ob das Disziplinarverfahren gegen Brendel durchgeführt wurde, lässt sich aus den Akten nicht ersehen. Jedenfalls aber gab dieser seine Funktion bald auf und übernahm, wie er bereits zu Jahresbeginn 1977 intern angekündigt hatte250, den Vorsitz der LDPDBezirksleitung Leipzig. Damit brach man zugleich mit der bisherigen Praxis, die Wohnungsverwaltung durch ein Mitglied einer Blockpartei leiten zu lassen. Die SED-Bezirksleitung sah offenbar nun den Zeitpunkt dafür gekommen, das Ressort stärker unter Parteieinfluss zu bringen, was in erster Linie bedeutete, dass dadurch eine gezieltere präventive Kontrolle und Sanktionierung der Verantwortlichen über die Kontrollkommissionen der Partei möglich war. Für die Wohnungsämter hatte der Konflikt um den PRISMA­Beitrag aber auch positive Folgen. Ihre Stellenpläne wurden bis 1982 um etwa die Hälfte angehoben und auch das Finanzvolumen wurde in wenigen Jahren entsprechend aufgestockt.251 Im Dezember 1977 lag überdies die geforderte „Ordnung über die Verteilung und Nutzung des Wohnraumes in der Stadt Leipzig“ vor. Nach außen wirkte auch diese Maßnahme wie ein Erfolg, mehr als symbolischen Charakter besaß sie in der Praxis aber nicht. So versprach die Ordnung zwar ein „einheitliches Vorgehen“ bei der Vergabe von Neubauwohnungen252, unterließ aber die hierfür notwendige Abgrenzung der Kompetenzen. Vielmehr bestätigte ein Kontrollbericht über die Durchführung der Ordnung, dass der PRISMA-Beitrag an der Basis eher zur Desillusionierung beigetragen hatte. So sei etwa die Bereitschaft der Bevölkerung zur Übernahme ehrenamtlicher Funktionen, die bisher vieles zu kompensieren vermochten, um mehr als die Hälfte zurückgegangen. 1.107 Familien wohnten immer noch in bauaufsichtlich gesperrten Wohnungen, während 27.054 Wohnungen als „stark unterbelegt“ galten. Auch waren viermonatige Leerstandszeiten nach wie vor Realität, was vor allem auf den Mangel an Reparaturkapazitäten zurückgeführt wurde.253 „Sozialistische Wohnungspolitik“ stellte man sich so freilich nicht vor. Ein späterer Bericht machte außerdem darauf aufmerksam, dass die Parteisekretäre der SED­Grundorganisationen in drei Stadtbezirken deutlich an Einfluss verloren hatten, im Stadtbezirk Südost betrug die durchschnittliche Teilnahme an Mitglie249 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Auszug aus dem Beschluss der SED-Bezirksleitung vom 19.10.1977, 20.2.1978, StadtAL, StVuR (2), 1153, Bl. 27. 250 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Verbalanalyse zum Stand der Kaderstatistiken, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, 24.1.1977, Ebd., Bl. 103. 251 Vgl. Haushaltspläne des Rates der Stadt Leipzig für 1975 und 1981, StadtAL, StVuR, 24780, Bl. 131 und StadtAL, StVuR, 19511, Bl. 161 f. 252 Vgl. SED-Bezirksleitung, Abt. Staat und Recht, Information zur Vorlage des Rates des Bezirkes „Ordnung über die Verteilung und Nutzung des Wohnraumes in der Stadt Leipzig“, 13.12.1977, SächsStAL, 21123, IV/D/2/12/523, Bl. 10. 253 Vgl. Berichtsteil zur Kontrolle der Durchsetzung der sozialistischen Wohnraumlenkung, 1978, SächsStAL, 21123, IV/D/2/03/109, Bl. 207–210.

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derversammlungen lediglich noch zehn bis zwanzig Prozent. In der Abteilung Wohnungspolitik des Rates des Stadtbezirks Mitte hatte die Fluktuation unter den Mitarbeitern zwischen 1977 und 1979 zudem einen neuen Höchststand von 54 Prozent erreicht.254 Auch im Rahmen der im Frühjahr 1979 stattfindenden Kommunalwahlen wurden deutliche Anzeichen sichtbar, dass die Bürger von der Forderung des PRISMA-Beitrages, den Funktionären „politisch zu kommen“, nun verstärkt Gebrauch machten. Schon während der Vorbereitungen im April/Mai registrierte die Kreisdienststelle der Staatssicherheit eine signifikante Zunahme der Kritik an den städtischen Wohnverhältnissen sowie am Unvermögen der Staatsorgane bzw. der „Parteibonzen“, den zum Teil lebensbedrohlichen Zuständen in Altbaugebieten Abhilfe zu schaffen. Auch drohten immer mehr frustrierte Stadtbewohner mit Wahlverweigerung, öffentlichem Protest, „Republickflucht“ oder der Beschädigung von Herrschaftssymbolen. Die Sicherheitsorgane konnten dem selbst nur mit verdeckter Repression („Vorbeugungsgespräche“) begegnen, wobei unbelehrbaren Bürgern zuweilen auch die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft angedroht wurde. Allerdings hatte auch das MfS zum Teil sichtlich Mühe, aus der Vielzahl der Bürgerkritiken konsequente politische Schlussfolgerungen abzuleiten.255 Obwohl Horst Schumann auch den PRISMA-Beitrag vom 8. September 1977 vor dem Hintergrund seiner fragilen Machtposition vor allem als Problem säumiger Eingabenbearbeitung beurteilte und damit verbundene Fachfragen völlig ausblendete, unterschied sich seine Reaktion gegenüber den Wohnungsämter doch deutlich von derjenigen gegenüber dem Stadtbauamt. Während dort zahlreiche administrative Vorkehrungen getroffen wurden, um Konflikte nicht mehr nach oben dringen zu lassen, geschah den Wohnungsämtern praktisch nichts. Eher symbolischen Charakter trugen die Parteistrafen gegen Oberbürgermeister, Müller, und den Vorsitzenden der Stadtplankommission, Blaurock, sowie die im Dezember 1977 beschlossene Ordnung zur Durchsetzung der „sozialistischen Wohnungspolitik“. Auch die erstmalige Ernennung eines SED-Mitglieds zum Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft stellte allenfalls eine schwache disziplinarische Maßnahme dar. Gleichwohl bedeutete das Jahr 1977 für die Wohnungspolitik der Stadt eine Zäsur. Durch das spezifische Krisenmanagement Horst Schumanns wurden dem Rat der Stadt mit einem Schlag alle Wege der Interessenartikulation auf vertikaler Ebene versperrt. Nicht nur die latente Ressourcenknappheit und urbanisierungspolitische Präferenzen der SED-Führung, sondern auch die Wahrnehmung des 254 Vgl. SED-Bezirksleitung, Abt. Parteiorgane, Information zur politischen Führungstätigkeit der Stadtleitung, der Stadtbezirksleitungen und der Arbeit der Grundorganisationen in den staatlichen Organen zur weiteren Qualifizierung der Arbeit der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Räte, 25.10.1979, SächsStAL, 21123, IV/D/2/12/523, Bl. 22 f. 255 Vgl. die Berichte der Kreisdienststelle des MfS Leipzig-Stadt über die Vorbereitungen zu den Kommunalwahlen, April/Mai 1979, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 01186, Bl. 11– 42. Ein erster Lagebericht vom 25. April 1979 ging mit folgender Notiz zur Bearbeitung zurück: „Das ist keine Einschätzung, sondern eine Aneinanderreihung von Beispielen, ohne Wertung, ob berechtigt oder nicht, ob sich dahinter anderes versteckt“. Zit. Ebd., Bl. 11.

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1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung und damit regionale Eigenheiten entschieden maßgeblich über die Handlungsmöglichkeiten der Großstadt Leipzig. Gerade die Blockadehaltung Schumanns verhinderte zusätzlich die Umsetzung des Generalbebauungsplans als städtebauliches Gesamtkonzept und dessen Wirksamkeit als Instrument kommunaler Interessenartikulation.

IV. AUSHANDELN AN DER BASIS: DIE WOHNUNGSÄMTER ALS LOKALE AKTEURE

1. „SOZIALISTISCHE WOHNUNGSPOLITIK“: DISKURSE, STRUKTUREN, AKTEURE Während einer Parteikontrolle im April 1981 äußerte sich ein Mitarbeiter der Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft des Stadtbezirks Leipzig-Süd nicht nur kritisch über den ausufernden Arbeitsumfang seiner Behörde, sondern gleichermaßen abfällig über den Umgang zwischen Kollegen und mit Bürgern. „Die Mitarbeiter müssen viele Probleme der Bürger behandeln, die teilweise über die ‚reine‘ Wohnraumlenkung hinausgehen. Zusätzlich wurden von ihm 5–10 Wohnungen wöchentlich angesehen, um den Hinweisen der Bürger über freien Wohnraum nachzukommen und um zur Sprechstunde aussagefähig gegenüber den Bürgern sein zu können. So konnte er den Bürgern über leerstehende Wohnungen, die sich für Wohnzwecke nicht eigneten (von 10 Wohnungen ca. 2 Wohnungen bewohnbar) die entsprechenden Auskünfte erteilen. […] Die Verteilung der Wohnungen findet im Rahmen der Mitarbeiter für Wohnraumlenkung in einer Beratung statt. Gen. J. bezeichnet die Vergabe unter aller Würde, denn wer am lautesten seine Argumente vorbringt, erhält die Wohnung zur Vergabe an den Bürger. Nicht die Prüfung auf dringendste Notwendigkeit des Erhaltens einer Wohnung steht im Mittelpunkt. Gen. J. sagte, die Brigadiere reißen sich die meisten Wohnungen unter den Nagel. Die Meinung der Kolln. S., 10 Jahre Mitarbeiter in der Wohnungspolitik, ist: es hat wenig Sinn sich für die Bürger einzusetzen, diese haben ja nicht einmal einen Dank übrig. Außerdem werden die Entscheidungen auf anderer Ebene getroffen (Abt.-Leiter und SB-Rat).“1

Diese Aussage ist kein Einzelfall. Häufig enthalten die Akten entsprechende Äußerungen, die nicht das Bild einer bis ins kleinste Detail geplanten Politik zeichnen. Vielmehr scheinen Überforderung, Ohnmacht, Frust und fast schon anarchische Verhältnisse die kommunale Wohnungspolitik bestimmt zu haben. Angesichts dieser Realitäten, die in einem entgegengesetzten Verhältnis zu der von der SED-Führung gepriesenen „sozialistischen Wohnungspolitik“ steht, drängt sich die Frage auf, warum die Kommunalpolitik gerade auf einem für die Legitimation der SED so sensiblen Gebiet so kläglich versagte. Oder umgekehrt: Wie konnte es in einem streng zentralistischen System dazu kommen, dass es in der Wohnungspolitik offenbar Bereiche gab, welche die Legitimation der SED sogar massiv gefährdeten? Der von den Offiziellen stets lancierte Begriff „sozialistische Wohnungspolitik“ war handlungsleitend. Seine Bedeutung erhielt er durch einen spezifischen Diskurs um den Begriff soziale Gerechtigkeit, dessen ideologische Wurzeln in der mit der Arbeiterbewegung tief verbundenen „Lösung der sozialen Frage“ zu suchen sind.2 Was soziale Gerechtigkeit bedeutete, bestimmte freilich die diskursanführende SED. Diese setzte den Begriff keinesfalls mit Egalität gleich, obwohl die Verfassungen der DDR dies durchaus suggerierten. So hatte die erste, noch Teile des bürgerlich-demokratischen Rechtsdiskurses integrierende Verfassung von 1949 das Recht der Bürger auf „eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende 1 2

SED-SBPKK Leipzig-Süd, Aktennotiz über die Aussprache mit Gen. J. Am 29.4.1981, 12.5.1981, SächsStAL, 21141, IV/D/5/05/122, unp. Vgl. Erich Honecker, Aus meinem Leben, Berlin (Ost) 1980, S. 303–316.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Wohnung“3 zur hoheitlichen Staatsaufgabe bestimmt. Auch die „sozialistische Verfassung“ von 1968 wertete dieses Recht noch einmal zum (nunmehr sozialen) Grundrecht auf, wobei die „volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und örtlichen Bedingungen“4 dem Grenzen auferlegen konnten. Grundlage der Arbeit der von den Kommunen organisierten Wohnungsvergabe waren jedoch die Wohnraumlenkungsverordnungen (WRLVO) von 1955, 1967 und 1985. Diese verbanden das Gerechtigkeitsdenken mit dem Leistungsprinzip, wonach Wohnungen vor allem an Personen vergeben werden sollten, die der sozialistischen Gesellschaft dienten. Dies umfasste in erster Linie die politische und administrative Dienstklasse, aber auch Arbeiter und Wissenschaftler, sofern sie in wirtschaftlich oder politisch wichtigen Einrichtungen tätig waren. Entsprechend variabel konnte das Leistungsprinzip gehandhabt werden. So nannte die erste WRLVO von 1955 neben Kriegsgeschädigten und Kranken an vorderster Stelle die Intelligenz und Persönlichkeiten, die sich im Rahmen des „Aufbaus des Sozialismus“ bleibende Verdienste erworben hatten. Die Novelle von 1967 stärkte dagegen die Rechte kinderreicher Familien, die ebenso wie „Kämpfer gegen den Faschismus und Verfolgte des Faschismus […] sowie Personen, die sich durch herausragende Leistungen bei der Stärkung, Festigung sowie zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik verdient gemacht haben“, bevorzugt zu versorgen waren. Die WRLVO von 1985 schließlich nannte nur noch „Kämpfer gegen den Faschismus“ und „Verfolgte des Faschismus“ als bevorzugte Gruppen und suggerierte damit, dass ein grundsätzlicher Mangel an Wohnraum, mit dem Verteilungspraktiken zuvor offiziell begründet werden konnten, nicht mehr existierte.5 Freilich wurden die Formulierungen über bevorzugt zu versorgende Gruppen seit 1967 aus legitimatorischen Gründen eher allgemein gehalten und kaschierten die tatsächlichen Praktiken. Umso mehr Klarheit bestand jedoch darüber, welche Gruppen die WRLVO ausschloss oder zumindest nicht begünstigte. Dies waren jene gesellschaftlichen Sektoren, die als „unproduktiv“ angesehen wurden, insbesondere sogenannte „Asoziale“ (Arbeitsbummelanten, Prostituierte, Alkoholiker usw.), Ex­Häftlinge, Rentner, gering qualifizierte oder ungelernte Arbeiter, aber auch Privatunternehmer (Handwerker) und Servicekräfte (Kellner usw.).6 Der Umsetzung dieser Vorgaben stand indes eine nur schwache zentrale Verankerung der Wohnungspolitik gegenüber. An einem zentralen Organ, das die Wohnungspolitik einheitlich steuerte, fehlte es, was im sowjetischen Herrschaftsbereich ein Unikum war.7 Aus Sicht der SED-Führung gehörten die Vergabe des Wohnraums, 3 4 5

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Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (1949), S. 19. Vgl. Sorgenicht/Weichelt/Riemann (Hrsg.), Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 2, S. 160. Vgl. Lothar Weiß, Kontinuität und Wandel in der Wohnraumlenkung der DDR, in Deutschland Archiv 21, 1988, S. 647–652. Im Einzelnen: Verordnung über die Lenkung des Wohnraumes vom 22. Dezember 1955, in: Gesetzblatt der DDR 1956, Teil I, S. 3–7; Verordnung über die Lenkung des Wohnraumes vom 14. September 1967, in: Gesetzblatt der DDR 1967, Teil II, S. 733–739; Verordnung über die Lenkung des Wohnraumes vom 16. Oktober 1985, in: Gesetzblatt der DDR 1985, Teil I, S. 301–308. Vgl. Jens Gieseke, Soziale Ungleichheit im Staatssozialismus. Eine Skizze, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 10, 2013, Heft 2, S. 182–185. Vgl. hierzu auch Rowell, Le totalitarisme au concret, S. 176–180.

1. „Sozialistische Wohnungspolitik“: Diskurse, Strukturen, Akteure

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die Ermittlung des Reparaturbedarfs und die Durchführung kleinerer Instandhaltungsmaßnahmen offenbar nicht zu den Bereichen, die einer zentralen Steuerung bedurften. Der Bedarf an Neubauwohnungen wurde der Plankommission über die Ministerien mitgeteilt, die freilich nur die ihnen untergeordneten Betriebe und Einrichtungen im Blick hatten. Insofern waren die dort tätigen Personen von vorn herein begünstigt. Die Investitionsmittel für Reparaturmaßnahmen wurden wiederum vom Ministerium für Bauwesen mitgeplant, das jedoch primär andere Interessen verfolgte. Insofern war der Handlungsspielraum der Wohnungsbehörden eng gefasst, allerdings bildete sich auf lokaler Ebene zugleich eine Art Machtvakuum heraus. Initiativen zur Einrichtung einer zentralen koordinierenden Stelle gab es erst im Jahre 1982. Mit der Ständigen Arbeitsgemeinschaft Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft sollte nun ein beratendes Organ ohne Entscheidungsrechte geschaffen werden, das vor allem dem Zweck diente, dem nicht abebben wollenden Drängen lokaler Akteure zu begegnen. So lag auch der Beschlussvorlage vom 20. Januar 1982 ein entsprechendes Schreiben der Stadträtin für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft Zwickau bei. Zudem hatte sich die Zahl der Wohnungsanträge binnen weniger Jahre um fast 200.000 erhöht – von etwa 600.000 (1975) auf 790.000 (1980). Dass trotz der Offensichtlichkeit der Ambivalenz der Wohnungspolitik unter Honecker letztlich nur schwacher Handlungsbedarf gesehen wurde, zeugt von dem geringen Stellenwert, den die SED-Führung der Wohnungsvergabe bis zuletzt beimaß. Die Arbeitsgemeinschaft bestand lediglich aus Vertretern der einzelnen Ministerien und begrenzte sich auf die Koordinierung der beteiligten zentralen Organe (Staatliche Plankommission, Ministerium für Bauwesen, Ministerium der Finanzen, Ministerium für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie, Ministerium der Justiz, Staatliche Zentralverwaltung für Statistik) sowie die Anleitung und Kontrolle der örtlichen Räte. Bezüglich der Wohnraumbewirtschaftung sollte sie gleichwohl überhaupt nur prüfen, ob eine zentrale Koordination auf diesem Feld notwendig sei.8 Das Fehlen einer zentralen Stelle trug wesentlich zur latenten Destabilisierung der Wohnungsbehörden bei, denn die Wohnungssachbearbeiter operierten stets in einer gesetzlichen und politischen Grauzone. Man stehe „ständig mit einem Bein im Zuchthaus“, beschrieben Funktionäre der städtischen Wohnungspolitik auf Stadtbezirksebene ihre prekäre Situation im Jahre 1986.9 Innerhalb des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke wiesen die Wohnungsbehörden deshalb zu jederzeit die höchsten Fluktuationszahlen auf. Schon in den 1960er Jahren wurde das Fluktuationsniveau als „hoch“ eingestuft. Vom Stadtbezirk Süd wurde etwa 1966 berichtet, dass in diesem Jahr die Hälfte des Personals (5 Mitarbeiter) ausgewechselt wurde.10 In den 1970er Jahren wurden zum Teil noch dramatischere Werte erreicht. So schieden 8 9 10

Vgl. Entwurf einer Beschlussvorlage zur weiteren Verwirklichung der sozialistischen Wohnungspolitik und zur Erhöhung der Effektivität der Wohnungswirtschaft, 20.1.1982, SAPMOBArch, DY 30/22388, unp. Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Bericht über ein Gespräch mit Funktionären des Stadtbezirkes Mitte und der Wohnungstauschzentrale, 30.10.1986, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 04903, Bl. 34. Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, AG Staat und Recht, Information über Probleme der Wohnungswirtschaft in der Stadt Leipzig, 2.11.1966, SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/412, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

in den Jahren von 1972 bis 1975 72,2 Prozent aller Mitarbeiter in den Wohnungsbehörden aus, im Stadtbezirk Südwest wurde in diesem Zeitraum sogar der gesamte Mitarbeiterstab ausgewechselt.11 Eine zentrale Rolle spielten dabei auch die geringen Gehälter. So verdiente ein etatisierter Wohnungssachbearbeiter 1969 gerade einmal 460 bis 530 M im Monat, dagegen ein ehrenamtlicher (!) Mitarbeiter einer Betriebswohnungskommission 600 bis 800 M.12 Im Stadtbezirk Süd etwa wurden die Monatsgehälter der Sachbearbeiter erst 1973 von 460 auf 600 M erhöht. Freilich brachte auch dies „keine wesentliche Verbesserung der Arbeitsergebnisse“13, wie eine Kontrolle durch die ABI nüchtern feststellte. 600 M entsprachen in etwa dem Monatsgehalt einer Schreibkraft im Betrieb. Kurzum: Wohnungspolitik galt trotz der hohen politischen Bedeutung als wenig attraktives Arbeitsfeld. Der durchschnittliche Wohnungssachbearbeiter war deshalb gering qualifiziert und weiblich (Tab. 6), worin sich auch die soziale Benachteiligung von Frauen in der „Arbeitsgesellschaft“ DDR widerspiegelt. Wohnungssachbearbeiterinnen konnten häufig nur aus fachfremden und noch geringer bezahlten Berufen gewonnen werden. Unter den im Jahre 1966 in drei Stadtbezirken gezählten 75 Prozent Frauen befanden sich überwiegend Fachverkäuferinnen, Damenschneiderinnen, Stenotypistinnen, Weißnäherinnen, Kassiererinnen, Schaffnerinnen und Fotohilfslaborantinnen.14 In den 1970er Jahren wurden in allen sieben Stadtbezirken Frauenquoten von 8515 oder sogar 100 Prozent16 erreicht. Auch hier wurde eine auffallende Dominanz ehemaliger Modistinnen, Säuglingsschwestern und Verkäuferinnen registriert.17 Kaum mehr als ein Drittel der Mitarbeiter waren Mitglieder der SED.18 Dies bot zuständigen Kontrolleuren freilich immer wieder die Möglichkeit, sämtliche Probleme vor Ort einseitig auf die schlechte Kaderpolitik der Wohnungspolitik zurückzuführen. Im Jahre 1973 etwa urteilte die ABI über den Stadtbezirk Mitte: „Von den 14 Mitarbeitern der Abteilung sind zwei Mitglieder der SED, eine Kollegin ist Mitglied der NDPD. Der Stadtrat ist Mitglied der LDPD, damit ist der Parteieinfluß sehr gering. 11 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. Rat des Bezirkes, Untersuchungen zum Stand der sozialistischen Kaderpolitik in den Räten der Stadtbezirke der Stadt Leipzig, 30.3.1976, StadtAL, StVuR (2), 634, Bl. 98. Vgl. Rat des Stadtbezirkes Mitte, Bericht über die Lenkung des Wohnraumes nach WRLVO 1967, 23.4.1969, StadtAL, StVuR (1), 20344, Bl. 34. Vgl. ABI Bezirkskomitee Leipzig, 24. Information zur Kontrolle über die Verwirklichung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik im Stadtbezirk Leipzig-Süd, 5.6.1973, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, AG Staat und Recht, Information über Probleme der Wohnungswirtschaft in der Stadt Leipzig, 2.11.1966, SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/412, unp. Vgl. Ergänzung zum Bericht der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft 1978, SächsStAL, 20237, 25554, unp. Vgl. SED-Bezirksleitung Leipzig, Abt. Parteiorgane, Kadermäßige Zusammensetzung der Mitarbeiter beim Rat der Stadt und in den Räten der Stadtbezirke, 6.2.1975, SächsStAL, 21123, IV/C/2/4/310, unp. Vgl. Ergänzung a. a. O. Vgl. Struktur und Zusammensetzung der Abt. Wohnungswirtschaft in den Stadtbezirken, 25.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp.; Verbaleinschätzungen der Räte der Stadtbezirke zur Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, November 1979, StadtAL, StVuR (2), 1153, Bl. 2–10.

267

1. „Sozialistische Wohnungspolitik“: Diskurse, Strukturen, Akteure

Insgesamt verfügen 10 Mitarbeiter nur über einen 8-Klassenabschluß. Eine kadermäßige Übersicht weist aus, dass bei der Mehrzahl der Mitarbeiter aufgrund der bisherigen beruflichen Entwicklung die Voraussetzungen nicht gegeben sind, die soz. Wohnungspolitik durchzusetzen.“19 Tab. 6: Personalentwicklung im Rat des Stadtbezirkes Mitte, Abt. Wohnungspolitik

Planstellen – davon besetzt – davon Frauen

1969

1972

1973

13,5 12 9

10 10 8

19 18 13

Fluktuation SED-Mitgliedschaft Durchschnittsalter Fachliche Qualifikation – Hochschule/Fachschule – Facharbeiter – Volksschule – ohne Abschluss

4

k. A.

k. A.

4

48 Jahre

k. A.

12 -

k. A. k. A. k. A.

k. A.

2 12 }4

1976

1977

1978

1979

23 22 19

23 23 k. A.

8

11 10

k. A.

40 Jahre

37 Jahre

4 17 1

Quelle: Rat des Stadtbezirkes Mitte, Bericht über die Lenkung des Wohnraumes nach WRLVO 1967, StadtAL, StVuR (1), 20344, Bl. 34; SED-Stadtleitung Leipzig, SPKK, Struktur und Zusammensetzung der Abt. Wohnungswirtschaft in den Stadtbezirken, 25.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp.; Rat der Stadt Leipzig, Vorlage für das Sekretariat der Stadtleitung der SED, Information zur Analyse ausgewählter Kennziffern und Probleme zur Wohnraumsituation und zur staatlichen Leitungstätigkeit, 11.10.1973, StadtAL, StVuR, 1090, Bl. 66 f.; Rat der Stadt Leipzig, Information über die Durchsetzung der Kaderpolitik zur weiteren Stabilisierung der Apparate des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke (Analyse über Fluktuation), 18.11.1977, StadtAL, StVuR (2), 19137, Bl. 165; Rat der Stadt Leipzig, Analyse zur kaderpolitischen Situation in den Abteilungen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke sowie im VEB Gebäudewirtschaft Leipzig, 3.1.1978, StadtAL, StVuR (2), 1153, Bl. 34; Verbaleinschätzungen der Räte der Stadtbezirke zur Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, November 1979, Ebd., Bl. 2–10.

Auch für leitende Positionen musste vielfach auf Personal „zweiter Wahl“ zurückgegriffen werden, oftmals mit unerwünschten Nebeneffekten. In den Stadtbezirken Mitte und Süd, die besonders problematische Wohnungsstrukturen aufwiesen, waren die Stadtbezirksratspositionen zu Beginn der 1970er Jahre mit einem LDPDund einem CDU-Kader besetzt, die beide bereits nach wenigen Jahren wegen Arbeitsüberlastung wieder ausschieden.20 Auch innerhalb der Verwaltung waren die Wohnungssachbearbeiterinnen häufig dem Spott der Kollegen ausgesetzt. So beschwerte sich eine Wohnungssachbearbeiterin während einer Parteikontrolle im 19 20

ABI Bezirkskomitee Leipzig, 24. Information zur Kontrolle über die Verwirklichung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik im Stadtbezirk Leipzig-Süd, 5.6.1973, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. Vgl. Kadersituation in den Fachorganen Wohnungspolitik des Rates des Bezirkes, des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke, 1.11.1976, SächsStAL, 20237, 24347, unp.

268

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Jahr 1982 über das „innere Grinsen“, das sie von Kollegen anderer Abteilungen entgegengebracht bekommen würde, „aber keiner möchte bei uns arbeiten“.21 Es verwundert daher kaum, dass sich die Wohnungsbehörden der sieben Stadtbezirke am 30. Januar 1990 geschlossen an einem offenen Brief beteiligten, in dem sie die Auflösung ihrer Fachabteilungen einforderten.22 Tab. 7: Arbeitszeitverteilung in den Abteilungen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft der Räte der Stadtbezirke 1978 Aufgabenbereich

Anteil in %

Durchführung von Sprechstunden

16

Aussprachen mit Bürgern außerhalb der Sprechtage

12

Operative Tätigkeiten im Wahlkreis, Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Kräften

12

Arbeitsgruppentätigkeit, Arbeitsberatungen, Eigenqualifizierung

12

Eingaben- und Postbearbeitung

25

Aktualisierung der Wohnraumkartei/Meldespäne

5

Sonderaufgaben

2

Ausfallzeiten durch Fluktuation/Krankheit

14

Quelle: Ergänzung zum Bericht der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft 1978, SächsStAL, 20237, 25554, unp.

Wie gestaltete sich der Arbeitsalltag eines Wohnraumlenkers? Einen ersten, quantifizierenden Einblick gewährt eine im Jahre 1978 in den Räten der Stadtbezirke Süd, Mitte und West durchgeführte Studie des Instituts für Verwaltungsorganisation und Bürotechnik der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft über die Arbeitszeitverteilung in den Leipziger Wohnungsbehörden (Tab. 7). Daraus ist ersichtlich, dass ein großer Teil der Arbeitszeit (etwa 40 Prozent) für die Bearbeitung von Post und Eingaben sowie zur Kompensation von Ausfallzeiten beansprucht wurde.23 Für organisatorische Arbeiten, wie die Aktualisierung der Wohnraumkartei wurde dagegen die wenigste Zeit aufgewendet. Damit zeigt schon dieser ausschnitthafte Einblick die Grenzen der Diktatur auf. Obwohl die SED die Oberhoheit über die Wohnungspolitik besaß, arbeiteten die entscheidenden Schaltstellen vor Ort reichlich ineffizient; schon allein dadurch, dass Tagesaufgaben den Arbeitsalltag viel stärker prägten als die eigentlichen elementaren Arbeiten, die für eine flächendeckende „Durchherrschung“ nötig gewesen wären. Auch Vergabepläne, die eine systema21 22 23

Vgl. Aktennotiz über Aussprache mit Genn. R. [anonymisiert], stellv. Leiter der Abteilung Wohnungswirtschaft am 1.7.1982, 7.7.1982, SächsStAL, 21138, IV/E/5/02/121, unp. Vgl. Offener Brief, 30.1.1990, StadtAL, StVuR (2), 17901, Bl. 12 f. Ähnliche Ausfallquoten wurden für die Monate Januar bis August 1973 berechnet. Danach fielen zwischen 9 und 17,3 Prozent der Arbeitstage durch Fluktuation und Krankheit aus. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Vorlage für das Sekretariat der Stadtleitung der SED, Information zur Analyse ausgewählter Kennziffern und Probleme der Wohnraumsituation und zur staatlichen Leitungstätigkeit, 11.10.1973, StadtAL, StVuR, 1090, Bl. 69.

1. „Sozialistische Wohnungspolitik“: Diskurse, Strukturen, Akteure

269

tische „sozialistische Wohnungspolitik“ nach politischen und ökonomischen Kriterien sicherstellen sollten, spielten kaum eine Rolle. 1981 etwa kommentierte ein Ratsmitglied des Stadtbezirks Süd während einer Parteikontrolle: „Vergabeplan im Rat – ist schon lange her“. Dort wurden die zu vergebenden Wohnungen bereits seit vielen Jahren während der Arbeitsbesprechungen aufgeschlüsselt, wobei sich derjenige Wohnraumlenker durchsetzte, „der am meisten kämpft“.24 Aber auch aus Sicht des Bürgers war die Wohnungsvergabe mit zahlreichen Konflikten behaftet. Zunächst einmal mussten Bürger viel Zeit und Geduld mitbringen. Nicht selten zog es an einem Sprechstundentag 300 bis 500 Besucher in einen der sieben Räte der Stadtbezirke. In den oftmals unordentlichen und beengten Wartezimmern drängte man sich zusammen und sprach über die vermeintliche Willkürpraxis der Wohnraumlenker, die Wohnungen verschieben oder erst nach einer Eingabe an höhere Stellen tätig würden.25 Wer zuvor allerdings, unabhängig von den Wartezeiten, keinen Termin vereinbart hatte, für den war spätestens vor der Tür des Sachbearbeiters Schluss.26 Wer all diese Hürden genommen hatte, den erwartete ein oftmals schlecht gelaunter Sachbearbeiter. So beschrieb der eingangs zitierte Mitarbeiter des Wohnungsamts Süd die Begegnung zwischen Bürger und Wohnraumlenker im April 1981 wie folgt: „Genn. K. verhält sich gegenüber den Bürgern kühl in ihrer Argumentation. Wenn ein Antrag auf Wohnung von einem Bürger erst vor einem ½ Jahr gestellt wurde, macht Genn. K. den Bürgern gar keine Hoffnung. Eine freundliche Auskunft verbunden mit Hinweisen wie es weitergeht, würden wichtiger sein. Die meisten Bürger interessieren nicht die Probleme der Wohnungspolitik und auch nicht das politische Gespräch […], sondern wann sie eine neue Wohnung erhalten“.27

Viele Bürger, die solche Erfahrungen mehrmals machen mussten, wandten sich in letzter Konsequenz an den vermeintlichen Urheber der „sozialistischen Wohnungspolitik“ – die SED. Eine wichtige Funktion in der Kommunikation zwischen Staat und Bürger erfüllten Eingaben. Sie ersetzten gewissermaßen die fehlenden Möglichkeiten zur Wahrnehmung subjektiver Rechte.28 Der überwiegende Teil der Eingaben betraf, nicht nur in der Stadt Leipzig29, Wohnungsfragen. 1987 beinhalteten allein 45,5 Prozent der 3.347 von Leipzig aus an den Staatsrat gerichteten Eingaben Wohnungsprobleme.30 Je nach örtlichen Problemlagen und je nachdem, ob münd24 25 26 27 28 29 30

Vgl. SED-SBPKK Süd, Untersuchung im Auftrag der SED-SBL in der Grundorganisation des Rates des Stadtbezirkes Süd, 6.12.1976–27.1.1977, 1.2.1977, SächsStAL, 21145, IV/D/5/ 05/122, unp. Vgl. Rat der Stadt, Instrukteurabteilung, Information über Ergebnisse der Untersuchung zur Gestaltung und effektiven Durchführung der Sprechstundentage in den Fachabteilungen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, 2.5.1985, StadtAL, StVuR (2), 17898, Bl. 157. Vgl. SED-SBPKK Leipzig-Süd, Aktennotiz über die Aussprache mit Gen. J. am 29.4.1981, 12.5.1981, SächsStAL, 21141, IV/D/5/05/122, unp. Ebd., unp. Vgl. Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 149. Eine quantitative Fallstudie liegt für Halle vor. Vgl. Stefan Schmidt, „Jedem eine Wohnung“. Partizipationsmöglichkeiten der DDR Bevölkerung am Beispiel der Wohnungspolitik der SED in den 1970er Jahren, in: Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte, 2008, Heft 1, S. 50. Vgl. Eingaben an den Staatsrat 1987, SächsStAL, 20237, 25794, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

liche Eingaben hinzugerechnet wurden, konnten die Werte jedoch weitaus höher ausfallen. So schätzte man im Stadtbezirk Mitte 1982, dass 80 bis 90 Prozent der eingegangen Eingaben mit Wohnungsproblemen zu tun hatten.31 Da das Recht auf Wohnraum nicht einklagbar war, sondern eher einen staatlichen Gnadenakt darstellte, mussten sich die Beschwerdeführer den Diskursregeln des SED-Staates anpassen, um Erfolg zu erzielen. Dabei war es zunächst wichtig, an wen und zu welchem Zeitpunkt man Eingaben verfasste, um größtmöglichen Handlungsdruck zu erzeugen. So wurden 1962 etwa noch 90,6 Prozent der 1.633 registrierten Eingaben an die Wohnungsämter des Rates der Stadt bzw. der Räte der Stadtbezirke gesandt32, 1974 gingen dagegen nur noch 45,7 Prozent der 2.406 Eingaben direkt an lokale Stellen, 25,2 Prozent bereits an Bezirks- und zentrale Organe.33 Zudem häuften sich Eingaben im Vorfeld „politischer Höhepunkte“. Vor allem während der Vorbereitungen von Wahlen war es eine gängige Praxis, den Gang zur Urne zu verweigern, sofern die Behörden den Forderungen nicht nachkamen. 1974 etwa wurden 46 Prozent der Leipziger Eingaben als sogenannte „Wahleingaben“ eingestuft.34 Inhaltlich mussten Bürger stets ihre grundsätzliche Loyalität gegenüber dem Staat zum Ausdruck bringen und nachweisen, welche Leistungen sie zum Wohle des Sozialismus erbracht hatten.35 Denn für den staatlichen Gnadenakt der Wohnungszuweisung erwartete die SED eine gewisse Gegenleistung der Bürger, seien es finanzielle Beteiligungen an AWGs, abzuleistende Baustunden, Mitarbeit in einer ehrenamtlichen Wohnungskommission oder schlicht die Bereitschaft, kleinere Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen selbst durchzuführen.36 Ein wichtiges argumentatives Mittel war es aber auch, den Wohnungssachbearbeitern vor Ort „subjektivistisches“ Fehlverhalten nachzuweisen. Einige Beschwerdeführer drohten den Behörden sogar gleich damit, „den Fall an die Parteikontrollkommission zu geben“.37 Andere Bürger dokumentierten ihre ernüchternden Erfahrungen mit den Wohnungsbehörden peinlich genau, um SED-Funktionäre zum Einlenken zu bewegen. So versuchte die Bürgerin T. mittels einer Eingabe vom 25. März 1982 an den 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Roland Wötzel, die Lösung ihres Wohnungsproblems zu erwirken. Der Rat des Stadtbezirks Mitte hatte ihr 1977 eine Abbruchwohnung zugewiesen mit der Aussicht, dass dies nur eine Übergangslösung sei. Daraus wurde jedoch ein Dauerzustand. 1981 hatte sie es endlich, allerdings auf Umwegen, geschafft, in den Vergabeplan zu kommen. Im Januar 1982 wurden Bad und Küche der Wohnung wegen Baufälligkeit polizeilich gesperrt, zudem die Räumung der Wohnung angeordnet. Allein im Februar des Jahres habe sich T., wie 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. SED-Stadtbezirksparteikontrollkommission, Aktennotiz über Aussprache mit Gen. B. [anonymisiert] am 30.6.1982, 8.7.1982, SächsStAL, 21138, IV/E/5/02/121, unp. Vgl. Analyse der Arbeitsweise der Abt. Wohnraumlenkung des Rat des Stadtbezirkes Südwest, 14.10.1964, StadtAL, StVuR (1), 3001, Bl. 9. Vgl. Eingabenanalyse I. Halbjahr 1974, StadtAL, StVuR, 21416, Bl. 256. Vgl. Ebd. Vgl. Rowell, Le totalitarisme au concret, S. 306 f. Vgl. Sozialistische Wohnungspolitik. Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister, hrsg. v. d. Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, Berlin (Ost) 1979. Eingabe des Bürgers E. an den Staatsrat der DDR, 10.5.1978, Ebd., Bl. 30.

1. „Sozialistische Wohnungspolitik“: Diskurse, Strukturen, Akteure

271

sie minuziös auflistet, 13 mal an den Rat des Stadtbezirks Mitte gewandt, um einen Ersatz für ihre Wohnung zu erhalten. Jedes Mal sei sie dabei von der Wohnungsbehörde abgewiesen oder vertröstet worden.38 Gleichwohl spiegelt sich in den Eingaben der Bürger der mit der „sozialistischen Wohnungspolitik“ verbundene ambivalente Gerechtigkeitsdiskurs wider. Schon die das erste Wohnungsbauprogramm im Rahmen des Siebenjahrplans (1959–65) begleitende Propagandaformel „Jedem eine Wohnung“39 stieß vor Ort vielfach auf Missverständnis. Im Kreis Saalfeld kursierte die Formel in ihrer populären Version „Jedem seine Wohnung“.40 Auch in der Stadt Leipzig scheint es zu ähnlichen Aneignungsweisen gekommen zu sein, denn bereits zu Beginn des Jahres 1961 fühlte sich der Finanzbeirat des Bezirkes Leipzig in einem Bericht an zentrale Organe dazu veranlasst, die Richtigstellung der Propagandaformel zu fordern: „Jedem eine Wohnung, aber nicht seine Wohnung!“41 Das sich darin ausdrückende Bedürfnis nach individuellen Wohnungen wurde unter Honecker aus legitimatorischen Gründen – aber ohne die entsprechende Basis hierfür zu schaffen – zur offiziellen Propagandaformel aufgewertet42, mit der Folge, dass sich seither jeder Bürger hierauf berufen konnte. Dies veranschaulicht eine auf den 19. Oktober 1986 datierte Eingabe einer Kleinfamilie mit zwei Kindern, die im Stadtbezirk Südost in einer 2 ½ Zimmer-Wohnung lebte: „Pauschal gesehen wohnen wir sicher, warm und trocken. Formal gesehen sind wir also auch ausreichend versorgt. Leider empfinden wir das persönlich überhaupt nicht so. Die Gesamtfläche der Wohnung beträgt 56 m2. Es ist eine Mansardenwohnung, wodurch die Außenwände (ca. 20 m) entsprechend des Dachs geneigt sind. Daraus ergeben sich gewisse Einschränkungen sowie extreme Klimabedingungen. Der Gesamtzustand des Hauses ist beängstigend schlecht. Wir haben die Wohnung 1982 als Ausbauwohnung zugewiesen bekommen und waren froh uns eine eigene Wohnung einrichten zu können. Wir investierten dabei ungefähr 800 Stunden für Baumaßnahmen. Der Einbau eines Bades war aus Gründen des Holzschutzes nicht möglich, der Wasserdruck läßt es ebenfalls kaum zu.“43

Obwohl Eingaben immer häufiger an höhere staatliche Stellen geschickt wurden, bekamen die Wohnungsämter letztlich alle Eingaben zur Bearbeitung zurück. Seit 1975 waren sie dabei zur Einhaltung einer Frist von vier Wochen angehalten44, 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. Eingabe der Bürgerin T. an Roland Wötzel, 25.3.1982, SächsStAL, 21138, IV/E/5/02/121, unp. Vgl. Petra Gruner, „neues leben – neues wohnen“. Das Wohnungsbauprogramm des Siebenjahresplans, in: Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60er Jahren, hrsg. v. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Köln etc. 1996, S. 92. Vgl. Port, Conflict and Stability, S. 263. Vgl. Rat des Bezirkes Leipzig, Finanzbeirat, Analyse der Finanzorgane des Bezirkes Leipzig für das Jahr 1960, o. D., BArch, DN 1/1792, unp. Vgl. Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989, Berlin 1998, S. 187. Eingabe des Bürgers S. an den Rat des Stadtbezirkes Südost, Stadtbezirksbürgermeister Thiele, 19.10.1986, StadtAL, SB Südost, 823, Bl. 69. Vgl. Verordnung über die Prüfung von Vorschlägen und Beschwerden der Werktätigen vom 6. Februar 1953, in: Gesetzblatt der DDR 1953, S. 265–267, hier S. 266; Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger vom 20. November 1969, in: Gesetzblatt der DDR 1969, Teil I, S. 239–244, hier S. 241; Gesetz über

272

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

womit sie jedoch maßlos überfordert waren. Entsprechend lakonisch ging man mit den Eingaben um. Eingabebücher, in denen die Beschwerdeführer namentlich registriert werden mussten, waren in der Regel unvollständig, es fehlten oft der Name des Sachbearbeiters und Angaben zum Bearbeitungsstand.45 In der Praxis entschieden daher andere Parameter über die Bearbeitung von Eingaben. Oft war es deshalb nicht entscheidend, dass, sondern wie oft sich ein Bürger bereits an höhere Stellen gewandt hatte.46 Nichtsdestoweniger trugen die zahlreichen Eingaben dazu bei, dass die Wohnungsbehörden seit Ende der 1970er Jahre zunehmend auch die individuellen Lebensumstände statistisch erfassten, wobei diese nur insoweit eine Rolle spielten, wie sie sich mit den vorgegeben Normen im Einklang befanden (Tab. 8). Tab. 8: Wohnungsanträge im Vergleich (April 1977/Dezember 1983) Nach sozialpolitischen Kriterien

Nach Wohnverhältnissen

1977

1983

1977

1983

Arbeiter

12.932 (55,2 %)

30.889 (61,6 %)

gesperrt

578 (2,5 %)

15 (–)

Junge Ehepaare

3.074 (13,1 %)

6.067 (12,1 %)

verworfen/nass

497 (2,1 %)

7.083 (14,1 %)

Kinderreiche Familien

309 (1,3 %)

427 (0,9 %)

überbelegt

10.234 (43,7 %)

5.469 (11 %)

Familien bis 3 Kinder

8.862 (37,9 %)

1.091 (2,2 %)

ohne eigenen Wohnraum

14.707 (62,8 %)

17.467 (34,9 %)

k. A.

2.640 (5,3 %)

Ältere Bürger

1.981 (8,4 %)

5.131 (10,2 %)

Gesamtzahl der Anträge

23.428

50.102

23.428

50.102

Gesundheitsgeschädigte Bürger

Gesamtzahl der Anträge

Quelle: Rat der Stadt, Bericht über Ergebnisse und weitere Aufgaben der Wohnraumlenkung und der Gebäudewirtschaft für die Sitzung des Rates des Bezirkes am 10. Juni 1977, 31.5.1977, StadtAL, StVuR, 21446, Bl. 64–78; Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik, Information zur Bereitstellung von Wohnraum in der Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 31. Dezember 1983 in der Stadt Leipzig, 29.2.1984, StadtAL, StVuR (2), 17897, Bl. 245.

45

46

die Bearbeitung der Eingaben der Bürger vom 19. Juni 1975, in: Gesetzblatt der DDR 1975, Teil I, S. 461. Vgl. Stadtparteikontrollkommission, Einschätzungen und Fakten aus ABI-Berichten, 1.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp.; ABI Bezirkskomitee Leipzig, 24. Information zur Kontrolle über die Verwirklichung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik im Stadtbezirk Leipzig-Süd, 5.6.1973, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. Vgl. SED-Stadtparteikontrollkommission Mitte, Untersuchungsbericht, 17.7.1982, SächsStAL, 21138, IV/E/5/02/121, unp.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

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Die Erfassung der Wohnungsanträge blieb jedoch bis zuletzt schematisch. Alles, was über die offiziellen Kriterien hinausging, wurde als „Komfortverbesserung“ gewertet. Dennoch ermöglichte das faktische Machtvakuum vor Ort einen gewissen Handlungsspielraum für die Wohnungsbehörden. Im Folgenden sollen zunächst die institutionellen Verflechtungen und Strukturbedingungen der Wohnungsämter in den Stadtbezirken untersucht werden, indem die großen Linien der Wohnungspolitik (als Wirtschaftspolitik in den 1960er Jahren, als Sozialpolitik in den 1970er und 1980er Jahren) mit lokalen Entwicklungen (aufsteigende Bezirksstadt und Wirtschaftsmetropole in den 1960er Jahren, absteigende Bezirksstadt in den 1970er und 1980er Jahren) verknüpft werden. Im abschließenden Kapitel wird dagegen stärker auf Wechselbeziehungen zwischen Wohnraumlenkern und Bürgern eingegangen. 2. WOHNUNGSPOLITIK IN DER WIRTSCHAFTSMETROPOLE: DIE ÄRA ULBRICHT 2.1 Prekäre Ordnung: Wohnraumlenkung in den 1960er Jahren Wirtschaftlicher Boom und Wohnraumknappheit: Leipzig am Ende der 1950er Jahre Seit Ende der 1950er Jahre gehörte die Stadt Leipzig zu den wirtschaftlich aufstrebenden Städten. Industriebetriebe samt ihrer Verwaltungsapparate wurden in und um Leipzig herum angesiedelt und machten einen stetig steigenden Arbeitskräftebedarf geltend. Dies hatte aber zur Folge, dass immer mehr Arbeitskräfte von außerhalb in die Stadt strömten und mit den ansässigen Stadtbewohnern um den knappen Wohnraum konkurrierten. Die Wohnungsämter mussten in diesem Spannungsfeld agieren. 1955 waren bereits ein Viertel der etwa 30.000 registrierten Wohnungssuchenden Zugezogene. Hinzu kamen etwa 22.000 Studenten, aufgeteilt auf 25 Hoch- und Fachschulen. Parallel häuften sich die Anträge auf Zuweisung von Gewerberaum bei den Behörden, was schon Mitte der 1950er Jahre zu einem Defizit von 350.000 m2 Gewerberaum führte. Auch hierbei griffen die Ämter immer wieder auf Wohnraum zurück.47 1961 waren schon 811 Wohnungen entsprechend zweckentfremdet, dennoch hatte sich das Defizit angesichts des steigenden Bedarfs nicht verringert, sondern auf rund 400.000 m2 erhöht.48 Der für dringende Wohnungsprobleme verbleibende Wohnraum war häufig von minderer Qualität und häufig mit unklaren Eigentumsverhältnissen belastet. Zu Jahresbeginn 1955 befanden sich noch fast drei Viertel aller städtischen Wohnungen in Privateigentum, rund zehn Prozent wurden zudem treuhänderisch von 47 48

Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Arbeit und Berufsausbildung, Sachgebiet Wohnraumlenkung, Bericht über die Wohn- und Gewerberaumsituation in der Stadt Leipzig, 25.3.1955, StadtAL, StVuR (1), 19795, Bl. 20–22. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Bericht für das Büro der Bezirksleitung der SED über zweckentfremdeten Wohnraum und die Gewerberaumsituation in der Stadt Leipzig, 31.1.1961, StadtAL, StVuR (1), 1653, Bl. 113 f.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

der Stadt verwaltet.49 So kam es immer wieder vor, dass Wohnungen längere Zeit leer standen, weil sich private Eigentümer aufgrund fehlender Anreize weigerten, notwendige Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen.50 Von Seiten der Bevölkerung war die Stadtverwaltung indes mit zwei zentralen Problemen konfrontiert. Einerseits häuften sich Beschwerden der ansässigen Bevölkerung, „weil gegenwärtig auch in den dringlichsten Fällen kaum geholfen werden kann, da sonst der planmäßige Aufbau von vornherein gefährdet ist“.51 Andererseits beobachtete die Stadtverwaltung allmählich wachsende Wohnbedürfnisse, denn parallel waren auch die Löhne kontinuierlich gestiegen: „Der wachsende Wohlstand unserer Bevölkerung läßt die Forderung nach mehr und ausreichendem Wohnraum ständig mehr in den Mittelpunkt des Lebens treten“.52 Intelligenzpolitik und Autoritätsverlust der Wohnungsbehörden Die Wohnraumlenkungsverordnung (WRLVO) von 1955 gab zwar vor, die „sozialistische Wohnungspolitik“ planmäßig durchführbar zu gestalten, in der Praxis waren die dort genannten Kriterien der Wohnraumlenkung jedoch Auslegungssache. Ein Beispiel dafür, wie die WRLVO in Leipzig gehandhabt wurde, lässt sich anhand einer internen Verordnung vom 8. Juli 1959 ablesen. Danach fasste der Rat der Stadt die ersten drei von der WRLVO privilegierten Personengruppen in einer Gruppe zusammen, während die anderen drei in der WRLVO genannten Gruppen praktisch keine Rolle spielten. Stattdessen orientierten sich die lokalen Behörden an den örtlichen Wohnbedingungen (Tab. 9). Wer unter die unter a) genannte Gruppe jedoch konkret fiel, bemaß sich an den sozialpolitischen Präferenzen der SED-Führung. Diese hatte angesichts der hohen Abwanderungszahlen und des damit verbundenen Fachkräftemangels seit Mitte der 1950er Jahre vor allem Ärzte und Pädagogen als akut „Republikflucht“­ gefährdete Gruppen vor Augen, denen mittels mehrerer Kommuniqués der SED zahlreiche Privilegien eingeräumt wurden.53 Darunter fiel auch die Wohnraumversorgung. Die umworbenen Fachkräfte nutzten wiederum ihre Sonderstellung, um eigene, der „sozialistischen Wohnungspolitik“ entgegenstehende Wohnbedürfnisse den Sachbearbeitern gegenüber auf erpresserische Weise durchzusetzen. So machte ein Sachbearbeiter im Frühjahr 1957 seinem Ärger freie Luft. Konkret ging es dabei 49 50 51 52 53

Vgl. Entwicklung des Arbeitsumfanges des VEB Haus- und Grundbesitzes, 16.12.1954, StadtAL, StVuR (1), 10942, Bl. 121. Vgl. exempl. Überprüfungsbericht Wohnungswesen, 21.6.1957, StadtAL, StVuR (1), 1654, Bl. 27. Rat der Stadt Leipzig, Bericht für das Büro der Bezirksleitung der SED über zweckentfremdeten Wohnraum und die Gewerberaumsituation in der Stadt Leipzig, 31.1.1961, StadtAL, StVuR (1), 1653, Bl. 115. Rat der Stadt Leipzig, Bericht über die Wohn- und Gewerberaumsituation in der Stadt Leipzig sowie über den Wohnungsneubau in der Stadt Leipzig nebst Schlußfolgerungen, 27.2.1961, SächsStAL, IV/5/01/360, unp. Vgl. Siegfried Prokop, Sozialgeschichte der ostdeutschen Intellektuellen 1945–1961. Zeittafel, Berlin 1993, S. 50–58.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

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Tab. 9: Offizielle und inoffizielle Dringlichkeitskriterien (1955 und 1959) Dringlichkeitskriterien nach WRLVO vom 22.12.1955

Dringlichkeitskriterien nach interner Richtlinie der Stadt Leipzig vom 8.7.1959

a) b) c) d)

a) Wohnungssuchende, die aufgrund ihrer Bedeutung in unserem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbau besonders beachtet werden müssen b) Wohnungssuchende, deren Wohnraum aufgrund der Feststellung des Stadtbezirksbauamtes freigestellt werden muß und nicht wieder bewohnbar ist c) Wohnungssuchende, deren Wohnraum aufgrund der Feststellung des Stadtbezirksbauamtes freigestellt werden muß und nach Freistellung instandgesetzt werden kann d) Wohnungssuchende ohne Wohnraum in Leipzig e) Wohnungssuchende, die getrennt wohnen f) Wohnungssuchende, die in beengten Wohnverhältnissen wohnen g) Wohnungssuchende, die einen begründeten Antrag, besonders aus Gesundheits- und Arbeitsgründen auf Wohnungswechsel stellen

anerkannte VdN Personen mit Auszeichnungen Intelligenz Personen mit bestimmten ansteckenden Krankheiten e) Schwerbeschädigte f) kinderreiche Familien

Quelle: Verordnung über die Lenkung des Wohnraumes vom 22. Dezember 1955, in: Gesetzblatt der DDR 1956, Teil I, S. 4; Richtlinien für einheitliche Arbeitsweise der Abteilung Wohnraumlenkung der Stadtbezirke der Stadt Leipzig, 8.7.1959, StadtAL, StVuR (1), 19975, Bl. 64.

um die Wohnbedürfnisse eines Arztes, der mit seiner Frau eine 4-Zimmer-Wohnung bewohnte und zudem noch drei Zimmer der darüber und darunter liegenden Wohnungen nutzte. Alle Versuche, ihn mit Verweis auf die Wohnungsnot in der Stadt zum Umzug in eine kleinere Wohnung zu bewegen, scheiterten bzw. wurden von dem Arzt mit der Androhung von „Republikflucht“ beantwortet.54 Um jedoch die Linie der SED-Führung gegen die vielfach in Bedrängnis geratenen Stadtbezirke durchzusetzen, mussten letztere auf Geheiß des Rates seit Oktober 1959 monatlich jeweils eine bestimmte, zuvor festgelegte Anzahl an großräumigen Voll-Komfortwohnungen, das sogenannte „3er Kontingent“ (d. h. geräumige Wohnungen), an den Rat der Stadt abtreten, der diese bevorzugten Personen reservierte. Fast schon zynisch reagierten die Stadtbezirke auf diese Anweisung, indem sie im Entwurf der internen Arbeitsrichtlinie vom 8. Juli 1959 festlegten, dass für die Wohnraumvergabe der „gesellschaftliche Wert der Bürger zu beachten“ sei, was nachträglich in „gesellschaftliche Aktivität der Bürger“ geändert werden musste.55

54 55

Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abgeordnetenkabinett an den Sekretär des Rates, Situation im Sachgebiet Wohnungswesen, 22.3.1957, StadtAL, StVuR (1), 17141, Bl. 46. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Org.-Instr.-Abt., Bemerkungen zur Ratsvorlage der Abteilung Wohnraumlenkung vom 8.7.1959 über die Arbeitsweise der Abteilungen Wohnraumlenkung, 15.7.1959, StadtAL, StVuR (1), 19975, Bl. 70.

276

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Parallel mussten die Verantwortlichen angesichts des deutlich höheren Arbeiteranteils an den Wohnungsanträgen (Tab. 10) aber darauf achten, dass die Bevorzugung der pädagogischen und medizinischen „Intelligenz“ nicht allzu offensichtlich wurde. Dies zeigt etwa ein Interessenkonflikt um die Belegung eines im Zentrum Leipzigs gebauten repräsentativen Wohnhauses am Georgiring. Von den dort geschaffenen 144 Wohnungen sollten laut Belegungsplan des Rates der Stadt 80 Wohnungen an Angestellte, 35 an „Angehörige der Intelligenz“ und nur jeweils zwölf an Arbeiter und Rentner vergeben werden.56 Dagegen erhob der 1. Sekretär der SEDStadtleitung, Karl Bauer, jedoch vehement Einspruch, denn es habe „eine große erzieherische Bedeutung für die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse, wenn mindestens die Hälfte dieser Wohnungen durch Arbeiter, Verdiente Aktivisten und andere ausgezeichnete Arbeiter belegt werden“.57 Die Wohnungsämter waren damit angehalten, dafür zu sorgen, die soziale Benachteiligung, wenn man ihr schon nicht entgegenwirken könne, sie doch wenigstens zu kaschieren. Tab. 10: Wohnungsanträge im Rat der Stadt Leipzig 1955–1961 Gesamt

Arbeiter

Angestellte

Intelligenz

sonstige

1955

9.468

51,03 %

27,11 %

16,13 %

5,72 %

1957

11.463

58,82 %

23,42 %

10,94 %

6,81 %

1961

12.003

54,77 %

10,82 %

11,11 %

4,19 %

Quelle: Rat der Stadt Leipzig, Abt. Arbeit und Berufsausbildung, Bericht über die Wohnund Gewerberaumsituation unter Beachtung der Zurückführung von zweckentfremdeten Wohnraum und die Gewinnung von Wohnraum im Rahmen des NAW sowie der Stand der Werterhaltungsmaßnahmen, 12.9.1957, StadtAL, StVuR (1), 19901, Bl. 70; Oberbürgermeister Kresse an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Grützner, Aufstellung über den Stand der Wohnungsanträge in Leipzig, 5.7.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 102. (In die Berechnung der Prozentangaben für 1961 konnten nur 10.503 Wohnungsanträge berücksichtigt werden, da für einen Stadtbezirk nur grobe Schätzungen vorlagen.)

Als Reaktion auf diesen mit divergierenden Interessen verbundenen Erwartungsdruck machte sich in den Räten der Stadtbezirke bald eine offene „Intelligenzfeindlichkeit“ breit. Deshalb wurde die Wohnraumversorgung der „Intelligenz“ auf Anordnung der SED-Bezirksleitung im Oktober 1960 gänzlich im Rat der Stadt zentralisiert. Fortan sollte der Rat eine eigene Wohnungskommission bilden, die sich ausschließlich Angelegenheiten der „Intelligenz“ widmete. Zudem sollten künftig alle infolge von „Republikflucht“ freiwerdenden Wohnungen unverzüglich dem Rat der Stadt gemeldet werden, was kurzzeitig zum Wegfall des „3er Kontingentes“ führte. Schließlich sollte im November eine Beratung mit den Stadtbezirken zu Fragen des Umgangs mit der „Intelligenz“ stattfinden, was praktisch auf eine Maßregelung hinauslief.58 56 57 58

Vgl. Belegungsplan Georgiring, 29.12.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 4. Karl Bauer an Walter Kresse, 29.11.1961, Ebd., Bl. 9. Vgl. Walter Kresse an Paul Fröhlich, 20.10.1960, Ebd., Bl. 229.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

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Die zentrale Vergabe von „Republikfluchtwohnungen“, die anderswo vor allem zur Beseitigung unzumutbarer Wohnbedingungen genutzt wurden59, sollte in Leipzig eine bessere Kontrolle und effektivere Lösung der Wohnungsangelegenheiten der „Intelligenz“ erbringen, zog aber vor allem einen ungeheuren administrativen Aufwand nach sich, sodass die Regelung bereits im Juni 1961 wieder rückgängig gemacht wurde. Den Stadtbezirken wurde infolgedessen die Aufgabe übertragen, alle anfallenden Wohnungen bereits nach Komfortmerkmalen kategorisiert an den Rat der Stadt zu übermitteln.60 Dies verzögerte die Zuweisung der Wohnungen am Ende jedoch nur noch mehr. Wie eine interne Aufstellung zur „Sondermaßnahme Republikfluchtwohnungen“ vom 26. Juni 1961 zeigt, gingen fast 70 Prozent der gemeldeten Wohnungen wieder an die Stadtbezirke zurück61, denn „ein erheblicher Teil dieses Wohnraums war ohne Komfort (Bad usw.) und für die Befriedigung des vorgesehenen Personenkreises nicht verwendbar“.62 Anstatt die verschiedenen Interessen aber miteinander zu koordinieren, stellte der Rat der Stadt die Stadtbezirke häufig selbst vor vollendete Tatsachen, was letztere wiederum zunehmend in Erklärungsnot gegenüber der Stadtbevölkerung brachte. So sei etwa ein Arzt vom Rat der Stadt in die Wohnung eines „Republikflüchtigen“ eingewiesen worden, die allerdings noch von zwei anderen Teilmietern genutzt wurde. Der zuständige Stadtbezirk wurde deshalb beauftragt, die beiden verbliebenen Mieter herauszulenken, was bei diesen freilich auf wenig Gegenliebe stieß. Ferner standen reservierte Wohnungen häufig mehrere Monate leer, was immer wieder Anfragen provozierte, „ohne konkret Auskunft geben zu können, warum diese Wohnungen nicht belegt werden“.63 Die politischen Kosten der unkoordinierten Arbeitsteilung zwischen dem Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke schienen den Beteiligten am Ende aber zu hoch, sodass die Stadtbezirke seit Juni 1961 wieder ihre eigenen „Sonderfälle“ lösen sollten. Dennoch behielt sich Oberbürgermeister Kresse vor, „ganz besonders dringende Wohnungsangelegenheiten“64, etwa von Professoren, direkt durch die Autorität des Rates der Stadt zu entscheiden. Diese Ausnahmeregelung wurde freilich nicht mit den Räten der Stadtbezirke abgestimmt, sondern mit dem 1. Sekretär der SED-Stadtleitung. Dieser empfahl dem Oberbürgermeister sogar noch, immer 20 „ordentliche Wohnungen“, die sogenannten „OberbürgermeisterWohnungen“, in Reserve zu halten.65 Um sicherzustellen, dass die Stadtbezirke 59 60

61 62 63 64 65

Vgl. Rowell, Wohnungspolitik (2), in: Kleßmann (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 9, S. 701. Als Kategorien wurden eingeführt: 1 (Einfamilienhäuser), 2 (Wohnungen in Zweifamilienhäusern), T (Teilhauptmieten), L (Leerzimmer), M (möblierte Zimmer), Ä (Ärzte-Wohnungen). Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Oberbürgermeister an alle Stadtbezirksbürgermeister, 24.10.1960, StadtAL, StVuR (1), 13442, Bl. 152. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Wohnraumlenkung an den Oberbürgermeister, Sondermaßnahme Republikfluchtwohnungen, Stand: 26.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 108. Walter Kresse an Karl Bauer, 22.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 3594, Bl. 95. Vgl. Bericht über die Aussprachen in den Abt. Wohnraumlenkung bei den Räten der Stadtbezirke Südost, Nord und Nordost zur Methode der gegenwärtigen Verteilung des Wohnraums, o. D., StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 159–162. Walter Kresse an Karl Bauer, 22.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 3594, Bl. 96. Vgl. Karl Bauer an Walter Kresse, 29.6.1961, Ebd., Bl. 89.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

möglichst nicht von den Normen abwichen, wurde ihnen auferlegt, die Wohnungsanträge der Intelligenz in drei Rangfolgen abzuarbeiten. Höchste Priorität hatten die Anträge, die zuvor vom Rat der Stadt bearbeitet worden waren. Auf der zweiten Ebene folgten Fachkräfte, die zwar über ausreichend Wohnraum verfügten, aber Komfortverbesserung wünschten. Erst danach sollten die Dringlichkeitslisten der Stadtbezirke abgearbeitet werden.66 Ein planmäßiges Vorgehen wurde aber stets durch lokale Parteifunktionäre unterwandert. So bestand etwa intern der Konsens, dass Wohnungen, die zuvor von Ärzten oder Lehrern bewohnt worden waren, auch nach ihrem Freiwerden wieder an Vertreter der jeweiligen Gruppe gingen. An einem Fall, der sich etwa drei Wochen nach dem Mauerbau ereignete, wird jedoch ersichtlich, wie schnell solche ungeschriebenen Gesetze ausgehebelt werden konnten. Am 8. September 1961 hatte sich der Vorsitzende der Gewerkschaft Unterricht und Bildung beim Stadtrat für Volksbildung persönlich beschwert, dass die Wohnung, die ihm und seiner Familie versprochen worden war, offenbar bereits an einen Offizier der NVA vergeben worden war. Nach Erkundigungen beim Stadtbezirk Nord stellte sich in der Tat heraus, dass diese „politische Maßnahme“ auf Druck der SED-Stadtbezirksleitung beschlossen worden war, ohne mit dem Rat der Stadt Rücksprache zu halten.67 Eine besondere Herausforderung für die Stadtbezirke stellten auch die zahlreichen Studenten dar. Zum Wintersemester 1961/62 waren es allein etwa 2.600 Neuimmatrikulationen, wofür die Universitätsverwaltung vom Rat der Stadt 1.700 Quartiere forderte. Der Großteil dieser Forderung ließ sich jedoch nur durch Behelfslösungen abdecken. So musste die Universität aus eigenen Mitteln ein Barackenlager errichten, mit dem lediglich 700 Studenten versorgt werden konnten.68 Zusätzlich musste die Universität ganze Etagen der Messehäuser im Stadtzentrum anmieten. Wenige Monate vor Beginn des Wintersemesters hatte sich der Bedarf wiederum um 2.551 Zimmer erhöht. Den Stadtbezirken wurde deshalb zusätzlich auferlegt, für die Vermietung von Zimmern in Privathaushalten zu werben, wofür sie Unterstützung durch Studenten erhalten sollten. Hierfür mussten einige Dienststellen sogar für eine Zeit lang schließen, um sich ganz auf die Einwerbung von Privatquartieren zu konzentrieren. Der Erfolg war jedoch bescheiden. Im August 1961 meldete die Abteilung Wohnraumlenkung an den Oberbürgermeister, dass auf diesem Wege gerade einmal 523 Zimmer besorgt werden konnten.69 In zunehmendem Maße ließ sich die fehlende Koordination der Vergabepolitik immer weniger vor den Stadtbewohnern rechtfertigen. So sei es, den Klagen des Stadtrates für Wohnungswesen zufolge,

66 67 68 69

Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Wohnraumlenkung, Vorschlag und Bemerkung zum künftigen Arbeitsablauf in der Abt. Wohn- und Gewerberaumlenkung des Rates der Stadt hinsichtlich der angefallenen Republikfluchtwohnungen, 26.5.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 143 f. Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Wittstock an den Rat des Stadtbezirkes Nord, Stadtbezirksrat Förster, 12.9.1961, Ebd., Bl. 54. Vgl. Karl-Marx-Universität, Universitätsverwaltung an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, 30.5.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 136. Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnraumlenkung an den Oberbürgermeister, 4.8.1961, Ebd., Bl. 58 f.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

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„… den Bürgern unserer Stadt z. T. bekannt geworden, dass bei Inanspruchnahme des Kollegen Oberbürgermeisters oder meiner Person häufig durch die Reservewohnungen, aber auch durch das 3er-Kontingent, wenn dieses auch von den Stadtbezirken trotz ständiger Kontrolle kaum noch erfüllt wird, Wohnungsfälle schneller gelöst werden, als bei den normalen Bearbeitungen in den Stadtbezirken, auch wenn wir voraussetzen, dass die Stadtbezirke einen ordnungsgemäßen Vergabeplan aufgestellt haben“.70

Die Stimmung der Wohnungssuchenden verschlechterte sich umso mehr, als die ihrerseits frustrierten Wohnungssachbearbeiter die persönlichen Belange ihrer Klientel oftmals mit abfälligen Bemerkungen kommentierten. So erhielt ein Bürger im Stadtbezirk Nord auf seine Frage hin, ob er bei Bekanntwerden von freien Wohnungen diese „bringen“ könne, zur Antwort: „Wollen Sie mir diese in der Aktentasche bringen?“ In einem anderen Fall etwa bewarb sich eine Familie auf eine von ihr als leerstehend gemeldete Erdgeschoss-Wohnung, denn der Ehemann war zu 95 Prozent erblindet und die Frau schwer krank. Die Wohnung wurde jedoch an eine andere Familie vergeben. Auf ihre Frage hin, warum man die Wohnungen nicht einfach getauscht hätte, wurde den Eheleuten entgegnet, dass man „dem Ehepaar mit Kleinkind […] doch keine Wohnung in der IV. Etage […] zumuten“ könne.71 Zum Teil versuchten die Mitarbeiter in den Stadtbezirken erst gar nicht, die soziale Benachteiligung in der Wohnungsvergabe zu verhehlen. So bemerkte man gegenüber einem Bürger, der seit 1946 eine 4 ½-Zimmer-Wohnung ausgebaut, diese später getauscht hatte und nun eine Wohnung mit Bad beantragte: „Sie können keine Wohnung mit Bad bekommen, da diese Wohnungen für andere Fälle bestimmt sind“.72 Im März 1961 hatte der Rat der Stadt auch wegen solcher Fälle, aber auch aufgrund der insgesamt „immer angespannteren Wohnraumlage“ sogar überlegt, „Sonderfälle“ ganz abzuschaffen, was jedoch schnell vom Sekretär des Rates als „politisch falsch“ abgewiesen wurde.73 Nach dem Mauerbau: Debatten, Kampagnen, Mittelkonflikte Nachdem mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 die Massenabwanderung von Fachkräften praktisch unmöglich geworden war, standen in den Wohnungsbehörden der Stadtbezirke zunächst alle Signale auf Entspannung. Geschlossen forderten sie mit Nachdruck seit 1962 die Ausarbeitung einer verbindlichen Ordnung über die Arbeit der Wohnraumlenkungsorgane. In einer kritischen Stellungnahme vom 17. Oktober 1962 brachte die Wohnungsbehörde des Rates des Stadtbezirks West den Kern des zu lösenden Problems auf den Punkt:

70 71 72 73

Rat der Stadt, Stadtrat Reuter an die Stellenplankommission, 2.12.1963, StadtAL, StVuR (1), 2596, Bl. 18. Zu den Fällen vgl. StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 148 f. Beschwerden von Bürgern über die Art der Behandlung seitens der Mitarbeiter der Abt. Wohnraumlenk. d. Stadtbezirke, o. D., StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 69. Vgl. Rat der Stadt, Sekretär, handschriftliche Bemerkungen zur Ratsvorlage vom 23.3.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 177–180.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure „Die überwiegend administrative, auf die Verteilung des Wohnraumes eingestellte Arbeitsweise musste dazu führen, daß diese [die Wohnungsbehörden, d. V.] überlastet sind und statt den Schwerpunkt der Tätigkeit auf die Erfassung und Lenkung des unterbelegten Wohnraumes zu legen, versucht [sic!], in mehr oder weniger qualifizierter Form Einzelfälle zu lösen und die Masse der Wohnungssuchenden zu vertrösten. […] Wie bereits in der Aussprache mehrfach angeführt wurde, gibt es in den einzelnen Stadtbezirken, aber auch innerhalb der Sachgebiete selbst, oftmals eine recht unterschiedliche Beurteilung solcher Fragen, wie besondere gesellschaftliche Förderwürdigkeit, Überbelegung, Unterbelegung, Möglichkeiten des Verzugs in andere Stadtbezirke u. ä. Deshalb scheint es dringend geboten, die vorgesehene Ordnung unverzüglich auszuarbeiten. […] Gegenwärtig besteht die Hauptarbeit der Wohnraumlenkung darin, Sprechstunden durchzuführen (2 Tage in der Woche für Bevölkerung, 1 Tag in der Woche für Betriebe) und die Unmengen der schriftlich eingegangen Eingaben zu bearbeiten.“74

Kernpunkte der anvisierten Ordnung sollten die Führung der Wohnungskartei, in der Zuzüge und Abgänge nicht nur sporadisch registriert waren, die Systematisierung der Aktenführung, die Regelung der Freimeldungen, die regelmäßige Führung von Vergabeübersichten, die Beziehungen zu den Großbetrieben, die aufgrund ihrer Bedeutung und Größe eigene Wohnraumlenkungsorgane unterhielten, sowie die Einbindung ehrenamtlicher Organe sein.75 Die innerhalb der Stadtverwaltung kontrovers geführten Diskussionen über die neue Arbeitsordnung zogen sich allerdings in die Länge. Parallel dazu wurden Überlegungen angestellt, inwiefern Aufgaben zweckmäßig auf andere Organe verlagert werden konnten, etwa durch Übertragung der Gewerberaumlenkung auf die Wirtschaftsorgane des Rates (Handel und Versorgung / Örtliche Versorgungswirtschaft).76 Inzwischen hatte sich auch das NÖS auf die Wohnraumlenkung ausgewirkt, was die Behörden zunächst vor neue Schwerpunktaufgaben (Wohnraumbewirtschaftung) stellte. Als Minimalkonsens wurden schließlich erst im Mai 1965 Arbeitsrichtlinien beschlossen, die zwar eine ganze Bandbreite an Verantwortlichkeiten der Stadtbezirke auflisteten, die Kernfrage der Koordination aber mit keiner Silbe berührten.77 Überdies bot der Beschluss keine Gewähr, dass sich auch übergeordnete Organe an diesen hielten. Im November 1966 stellte die Arbeitsgruppe Staat und Recht der SED-Bezirksleitung fest, dass immer noch fünf verschiedene Stellen unabhängig voneinander über die Vergabe von Wohnraum entschieden: die Wohnungsbehörden der Stadtbezirke, die Stadtbezirksbürgermeister, der Rat der Stadt, der Oberbürgermeister sowie 13 Großbetriebe.78 Handlungsspielräume ergaben sich somit nicht auf prinzipieller Ebene. Vielmehr wurde ein systematisches Vorgehen durch situative Kampagnen ersetzt, die vor allem Propagandaerfolge nach dem Mauerbau erzielen sollten. Die sich 74 75 76 77 78

Rat des Stadtbezirkes West, Stadtbezirksbürgermeister Fritzsche an den Oberbürgermeister Kresse, 17.10.1962, StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 40 f. Vgl. Rat des Stadtbezirkes Südost, Informationsbericht über den Einsatz und die Tätigkeit der Brigade in der Abteilung Wohnraumlenkung vom 21.5.–9.6.1962, 14.6.1962, Ebd., Bl. 98–100. Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Ergebnisse einer Beratung bei der Abt. Org.-Instr. zu Fragen der staatlichen Tätigkeit / Leitung der Wirtschaft, 22.10.1962, StadtAL, StVuR (1), 1540, Bl. 71. Vgl. Arbeitsrichtlinien auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft der Stadt Leipzig (Ratssitzung vom 10.5.1965), StadtAL, StVuR (1), 20210, Bl. 44–47. Vgl. SED-Bezirksleitung, AG Staat und Recht, Information über Probleme der Wohnungswirtschaft in der Stadt Leipzig, 2.11.1966, SächsStAL, 21123, IV/A/2/13/412, unp.

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bietenden Möglichkeiten nutzten die Stadtbezirke aber durchaus „schöpferisch“. Vor allem Kernaufgaben, wie die Erfassung unterbelegten Wohnraumes oder die Rückführung zweckentfremdeter Wohnungen, konnten durch diese singulären, von übergeordneten Organen initiierten Aktionen bewältigt werden. Eine dieser Aktionen wurde im November 1961 auf Betreiben des erst wenige Monate amtierenden Stadtrates, Walter Reuter79, angeregt. Ein Grund für die Einleitung der Aktion war die Wohnraumzählung von 1961, deren Ergebnisse die Behörden zum Handeln veranlassten. So hatte man bis dahin angenommen, dass auf eine Person etwa 10 m2 Wohnfläche kämen (was der offiziellen Belegungsnorm entsprochen hätte80), laut Wohnraumzählung waren es jedoch 20 m2. Unabhängig davon hatte eine übergeordnete Parteistelle angeordnet, im Jahre 1962 100 zweckentfremdete Wohnungen ihrer ursprünglichen Nutzung zurückzuführen. Ziel der Aktion war es daher, gleichsam unterbelegten Wohnraum und nicht genutzten Gewerberaum in Zusammenarbeit mit den örtlichen Stellen der Volkspolizei zu erfassen (Abgleich der Wohnraumkartei mit der Meldekartei) und dort, wo es möglich war, Wohnungstausche anzuordnen. Ferner sollten verworfene und mangelhafte Wohnungen durch unbezahlte Feierabendarbeit von Handwerker-Brigaden wieder bewohnbar gemacht werden. Schließlich sollte die Aktion von öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen (Pressekonferenzen o. ä.) begleitet werden, versprach sie doch politische Zugewinne für den Staatsapparat. Die ersten Erfolge konnten sich durchaus sehen lassen. So habe man, allerdings in einem „sehr kleinen Verwaltungsbezirk“, im Dezember 1961 bereits 118 lenkbare Wohnungen und 486 vermietbare Zimmer festgestellt.81 Dadurch konnten in kurzer Zeit rund 15 Prozent der Wohnungsanträge erledigt werden.82 Letztlich blieben derart groß angelegte und propagandistisch genutzte Aktionen aber Einzelfälle. Sie bedurften immer eines konkreten Anlasses sowie eines politischen Nutzeffektes und auch die Zusammenarbeit zwischen der Volkspolizei und der Stadtverwaltung musste zuvor durch eine Weisung von oben hergestellt werden.83 Zudem verursachte „eine so grosse Aktion von grosser politischer Bedeutung“ einen ungeheuren Arbeitsaufwand, der auf Dauer nicht im Verhältnis zum Ertrag stand. So war die von Walter Reuter vorgeschlagene Vorgehensweise, Einwohnerkarteien abzugleichen, intern stark umstritten. Der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Karl Adolphs, schlug stattdessen vor, eine Brigade zu bilden, 79

80 81 82 83

Walter Reuter (geb. 1910), Mitglied der CDU, 1961–1965 Stadtrat für Wohnungswesen/Wohnungswirtschaft des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Betriebsgewerkschaftsleitung, Bericht über Wählervertreterkonferenzen, 7.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 16744, Bl. 37. Vgl. Rowell, Wohnungspolitik (2), in: Kleßmann (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 9, S. 703. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat Reuter, Konzeption für die Beratung mit den Bezirksbürgermeistern am 2.1.62 über Probleme der Wohnraumerfassung und Wohnraumlenkung, 29.12.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 26–30. Vgl. Rat der Stadt, Sekretär, Niederschrift über eine Aussprache zwischen Vertretern der Abt. Staat und Recht des ZK der SED mit Vertretern des Rates der Stadt, 7.9.1960, Ebd., Bl. 142. Vgl. Aktennotiz Stadtrat Reuter zu einem Gespräch bei der Bezirkspolizei BDVP zur Vorbereitung der Aktion Erfassung des unterbelegten Wohnraumes, 18.12.1961, Ebd., Bl. 33.

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die einzelne Straßenzüge überprüfen und politische Aussprachen mit den Einwohnern vornehmen sollte.84 Diese interne Debatte ist zugleich symptomatisch für die Ambivalenz der Wohnungspolitik der DDR. Zielte Reuters Vorschlag dezidiert auf staatliche Interventionen ab, plädierte Adolphs für Überzeugungsarbeit. Bei einer Stichprobe der Organisations-Instrukteur-Abteilung im Juli 1964 wurde indirekt festgestellt, dass solche Aktionen letztlich auch keinen nachhaltigen Effekt hatten. Dem Bericht zufolge habe die Wohnungsbehörde des Rates der Stadt zwar registriert, dass im ersten Halbjahr 1964 zehn Zweckentfremdungen vorgenommen wurden, allerdings nicht, ob zweckentfremdeter Wohnraum parallel zurückgewonnen wurde.85 So deckte eine Kontrolle der ABI zwei Jahre später erneut auf, dass allein in den ersten acht Monaten des Jahres wieder 41 Wohnungen für Einrichtungen der Volksbildung sowie des Gesundheitswesens zweckentfremdet worden waren.86 Während des NÖS versuchten die Verantwortlichen vor Ort allerdings nun stärker an das „materielle Interesse“ der angesiedelten Betriebe zu appellieren und diese zur stärkeren Beteiligung am Wohnungsbau als Gegenleistung für Lenkungsmaßnahmen zu gewinnen.87 Solche Arrangements blieben aber die Ausnahme. Viele VVB versuchten dagegen, ihre Interessen notfalls durch interne Verhandlungen mit zentralen Behörden durchzusetzen. Anschließend argumentierten sie dem Rat gegenüber dann „mit angeblichen Beschlüssen des Ministerrates, die es dann bei genauer Prüfung überhaupt nicht gab“.88 Wohnungspolitik als „ökonomischer Hebel“: Ordnungsversuche im NÖS Das Neue Ökonomische System verlieh der Wohnungspolitik die Funktion eines „ökonomischen Hebels“, d. h. eines materiellen Anreizes für erhöhte Leistungen. Wohnraumlenkung sollte fortan der „Unterstützung der nationalen Wirtschaft, insbesondere der Erfüllung der Bedürfnisse der führenden Zweige der Volkswirtschaft“89 dienen. Aus lokaler Sicht war dies freilich nicht neu, allerdings wurden die Wohnungsbehörden nun explizit von der SED-Führung aufgefordert, „eine ökonomische Leitung der Erhaltung des gesamten Wohnbestandes mit höchstem Nutzeffekt unter breitester Mitwirkung der Bevölkerung entwickeln“ zu müssen. Dies sollte einem Ministerratsbeschluss vom 7. November 1963 zufolge durch den Aufbau von Woh84 85 86 87 88 89

Vgl. Rat der Stadt, 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Aktennotiz zum Bericht vom 29.12.1961, 3.1.1962, StadtAL, StVuR (1), 2596, Bl. 27 f. Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Übersicht über zweckentfremdeten Wohnraum im 1. Halbjahr 1964, 8.7.1964, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 16. Vgl. ABI, Stadtinspektion, Bericht über eine durchgeführte Kontrolle zur jahrelangen Nichtbelegung von Wohnräumen im Grundstück Sassestr. 20 – Leipzig – Stadtbezirk Mitte, 27.9.1966, SächsStAL, 20301, 557, unp. Vgl. exempl. Rat der Stadt, Stadtrat Reuter, Niederschrift über die Aussprache zur räumlichen Unterbringungen VVB Chemieanlagen, 16.1.1964, StadtAL, StVuR (1), 1663, Bl. 50 f. Rat des Bezirkes, Vorsitzender Erich Grützner an den Minister für die Anleitung der Bezirke und Kreise, 4.8.1964, StadtAL, StVuR (1), 3532, Bl. 29. Rat der Stadt Leipzig, Vorlage über die Grundsätze, Aufgaben und Stellenplan der Abteilung Wohnungswesen beim Rat der Stadt Leipzig, 25.6.1964, StadtAL, StVuR (1), 1532, Bl. 47.

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nungsverwaltungen auf Wohngebietsebene geschehen. Dort sollten „erfahrene und sachkundige“ sowie aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Bürger versammelt werden und die Wohnungsbehörden unterstützen. Die Wohnungsverwaltungen fungierten somit zugleich als eine Art Puffer zwischen Wohnbevölkerung und Stadtverwaltung, in ihnen sollte sich das Prinzip der Mietermitverwaltung verwirklichen. Die Mitwirkungsrechte hatten die Wohnungsverwaltungen zu sichern, indem sie Informationen über den Zustand der Grundstücke (Bedarfsermittlung) zentral sammelten, Mietmitverwaltungs­ bzw. Pflegeverträge über Reparaturarbeiten mit Hausbewohnern sowie kurzfristige Verträge mit Handwerksbetrieben abschlossen, Reparaturstützpunkte als Ausleihstationen für Werkzeuge und Selbsthilfeeinrichtungen unterhielten, Reparaturbrigaden bildeten und die materiellen wie kulturellen Bedürfnisse der Wohnbevölkerung mit der Stadtverwaltung und den gesellschaftlichen Massenorganisationen koordinierten. Inwiefern die Wohnungsverwaltungen auch zur Verteilung des Wohnraumes herangezogen wurden, lag jedoch im Ermessen des Rates der Stadt. Dies sollte sich anhand der „volkswirtschaftliche[n] Erfordernisse“ des Territoriums bemessen.90 Damit war zugleich die Grenze des anvisierten Bevölkerungseinflusses aufgezeigt. Wie aber wurde diese Grenze vor Ort verhandelt? Angesichts der überhandnehmenden Zahl von Wohnungsanträgen erblickte der Rat der Stadt nun vor allem eine Möglichkeit, Kompetenzen an die Wohnungsverwaltungen auszulagern und sich fortan auf die volkwirtschaftliche Dimension zu konzentrieren. Um dennoch die Kontrolle über die Wohnungsverwaltungen zu wahren, sollte ein eigener Stadtrat für die Arbeit mit den Wohnungsverwaltungen berufen werden. Im Stadtbezirk Mitte sollte dieses Modell erprobt werden.91 Der Aufbau der Wohnungsverwaltungen im Stadtbezirk Mitte war in der Praxis jedoch mit einer Vielzahl von Problemen verbunden. Problematisch war vor allem die Frage der materiellen Ausstattung. Entsprechende Ressourcen standen allenfalls im VEB Kommunale Wohnungsverwaltung zur Verfügung, der aber noch der Abteilung Örtliche Versorgungswirtschaft unterstand. Ein Beschluss des Rates des Bezirkes sah eine Unterstellung des Betriebes unter die Abteilung Wohnungswirtschaft erst für 1965 vor.92 So mussten zunächst Mitarbeiter der ebenfalls gerade erst geschaffenen Abteilung Wohnungswesen des Bezirks aushelfen, obgleich sie mit eigenen organisatorischen Fragen beschäftigt waren. Zentrale Dinge wie Materialversorgung, Transport und Einsatz von Handwerksbetrieben blieben lange Zeit ungeklärt.93 Auch bei der Rekrutierung „erfahrener und sachkundiger“ ehrenamtlicher 90 91 92

93

Vgl. Waldemar Schmidt, Wohnungsverwaltungen in den städtischen Wohngebieten, in: Sozialistische Demokratie 8, 1964, Heft 5, S. 9–16. Vgl. Rat der Stadt, Bericht über die schrittweise Bildung von Wohnungsverwaltungen im Stadtbezirk Mitte, 14.12.1963, StadtAL, StVuR (1), 2596, Bl. 1–10. Vgl. ABI, Stadtinspektion, Bericht über die durchgeführte Kontrolle der Verwirklichung des Eingabenerlasses in den Staatsorganen auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates vom 7.11.1963 über die schrittweise Bildung von Wohnungsverwaltungen in den städtischen Wohngebieten unter dem Gesichtspunkt des ökonomisch richtigen Einsatzes von Mitteln für Reparaturen, Werterhaltung und Instandsetzung, 5.9.1964, SächsStAL, 20301, 557, unp. Vgl. Rat des Stadtbezirkes Mitte, Stadtrat Obst an den Rat des Bezirkes Leipzig, stellvertretender Vorsitzender Kühn, Einschätzung der Wirksamkeit der Abteilung Wohnungswesen beim

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Kräfte stieß die Stadtverwaltung an erhebliche Grenzen. Zwar konnten im ModellBezirk Mitte 165 ehrenamtliche Kräfte gewonnen werden94, diese genügten den Anforderungen aber keineswegs, zumal eine hohe Fluktuation unter ihnen bestand. Infolgedessen beantragten die sieben Wohnungsverwaltungen des Stadtbezirkes Ende September 1964 76 Planstellen beim Rat der Stadt, für die freilich keinerlei Deckung bestand. Dem Rat boten sich allenfalls Behelfslösungen. So sollte etwa geprüft werden, in welchen Ratsabteilungen Planstellen existierten, die zeitweise nicht benötigt wurden. Ein unorthodoxer Vorstoß kam indes vom Sekretär des Rates, der vorschlug, drei Planstellen für die Umstrukturierung der Abteilung Wohnungswirtschaft zu streichen und deren Aufgaben von einem qualifizierten Baufachmann übernehmen zu lassen, der die Wohnungsverwaltungen zugleich fachlich unterstützte.95 Ein weiteres generelles Problem war, dass die Wohnungsverwaltungen zwar auf der Grundlage eines Ministerratsbeschlusses vom 18. Dezember 1963 arbeiteten, für die städtischen Wohnungsbehörden aber nach wie vor die WRLVO von 1955 galt, welche die neuen Aufgabenfelder noch nicht beinhaltete.96 Alles in allem arbeiteten die Wohnungsverwaltungen daher zunächst weitestgehend substanzlos bzw. hingen in der Luft. Auch gingen die Räte bald dazu über, die Rechte der Wohnungsverwaltungen bei der Vergabe von Wohnraum wieder einzuschränken. So mussten diese alle registrierten 2-Zimmer-Wohnungen mit Komfort erst dem Rat „anbieten“ und durften erst bei dessen „Verzicht“ über diese verfügen. Alle Beteiligten waren sich jedoch einig, dass bei einer solchen Vorgehensweise nicht intendierte Konkurrenzen entstehen würden, was sogar die Mitarbeiter der Wohnungsverwaltungen zu der Forderung veranlasste, die Verteilung der Neubauwohnungen wieder ausschließlich durch die Räte vornehmen zu lassen.97 Das Projekt der Mietermitverwaltung blieb damit eine organisatorische Hülle. Neben den Debatten um eine Ordnung der Wohnraumlenkungsorgane und den parteipolitisch motivierten Kampagnen kurz nach dem Mauerbau scheiterte schließlich auch das (freilich begrenzte) Konzept der Mietermitverwaltung im Rahmen des NÖS nicht nur an fehlenden Ressourcen, sondern auch an einem grundlegenden Konsens über die Mittel zur Durchsetzung der „sozialistischen Wohnungspolitik“. Vielmehr spiegelt sich in der Praxis der Wohnraumvergabe die Ambivalenz der Wirtschaftspolitik in Leipzig wider. Gerade der Status der Wirtschaftsmetropole

94 95 96 97

Rat des Bezirkes auf die Arbeitsweise der Wohnungsverwaltungen im Stadtbezirk Mitte, 3.9.1964, SächsStAL, 20237, 04924/1, Bl. 184. Vgl. Büro des Ministerrates der DDR, Stand zum Beschluß des Ministerrates vom 7.11.1963 zur schrittweisen Bildung von Wohnungsverwaltungen, 14.4.1965, SächsStAL, 20237, 04924/2, Bl. 83. Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stellenplanaktiv, Protokoll über die Besprechung Stellenplanfragen am 28.9.1964, 14.10.1964, StadtAL, StVuR (1), 2610, Bl. 12 f. Rat des Bezirkes Leipzig, Vorsitzender, an das Büro des Ministerrates der DDR, 13.4.1964, Experiment auf dem Gebiet der Leitung des Wohnungswesens im Bezirks Leipzig nach Ministerratsbeschluß vom 18.12.1963, 13.4.1964 [Entwurf], Ebd., Bl. 91. Vgl. Bericht über die ersten Erfahrungen in der schrittweisen Bildung von Wohnungsverwaltungen in den städtischen Wohngebieten, der Herausbildung einer einheitlichen Leitung des Wohnungswesens und sich daraus entwickelnde Schlußfolgerungen (1. Entwurf), o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/13/69, Bl. 101.

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war mit einer Reihe von Einzelinteressen verbunden, die einer einheitlichen Wohnungspolitik geradezu im Wege standen. Die WRLVO von 1955 bzw. 1967 stand dieser Fülle von Interessen eher entgegen und konnte dadurch kaum als normsetzende Instanz wirken. Vielmehr wurde das Machtvakuum durch eine Vielzahl von Akteuren ausgefüllt. Dies wiederum engte den Handlungsspielraum der Leipziger Behörden besonders stark ein. Informelle Handlungsspielräume bestanden trotz des Machtvakuums nur partiell und wurden entsprechend schnell sanktioniert; so etwa durch eine Kontrollbrigade im Sommer 1966, die argwöhnisch festhielt, „dass die einzelnen Kollegen versuchen, möglichst viel [sic!] eigene Sprechstundenfälle in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich (Wahlkreis) mit Hilfe von erfaßten [sic!] oder durch Hinweise bekannt gewordenen [sic!] freien Wohnraum, darunter auch Doppelzimmer, ohne Absprache mit der Abteilung zu lösen“.98 2.2 Konkurrenten um Wohnraum: Großbetriebe und Genossenschaften Die Bildung von Stammbelegschaften bzw. die dauerhafte Ansiedlung von Arbeitskräften in industriellen Schwerpunktgebieten nahm einen zentralen Stellenwert in der Wirtschaftspolitik der 1960er Jahre ein. Dem dienten sowohl die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) und Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften (GWG), die in den 1950er Jahren geschaffen worden waren und jeweils in der Trägerschaft ausgewählter Betriebe standen, als auch betriebliche Wohnraumlenkungsorgane innerhalb einzelner Großbetriebe.99 Während des NÖS wurden die „Schwerpunktbetriebe“ noch einmal zusätzlich aufgewertet, indem man ihnen durchschnittlich 80 Prozent der Neubauwohnungen zusprach.100 Allerdings war auch der Wohnraumbedarf dieser Betriebe größer als das Aufkommen an Neubauwohnungen. In der Folge konkurrierten Großbetriebe und AWG auf dem „Wohnungsmarkt“ zunehmend mit den städtischen Wohnungsbehörden, die dadurch ihrerseits in Bedrängnis gegenüber der Stadtbevölkerung gerieten. Konkurrierende Gesetzgebung und Kampf um politischen Einfluss Schon Ende der 1950er Jahre war der Wohnraumbedarf der Betriebe für den Rat der Stadt kaum noch zu überblicken. Die stetig steigende Nachfrage der Betriebe entsprang häufig unkoordinierten zentralen Entscheidungen. So wurde etwa die Oberste Bergbaubehörde 1959 nach Leipzig verlegt, wodurch der Rat der Stadt zusätzliche Wohnungen und Verwaltungsräume bereitstellen musste. Zwei Jahre 98

Rat des Stadtbezirkes Südost, Informationsbericht über den Einsatz und die Tätigkeit der Brigade in der Abteilung Wohnraumlenkung vom 21.5.–9.6.1962, 14.6.1962, StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 98. 99 Vgl. Rowell, Wohnungspolitik (1), in: Hoffmann (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8, S. 717 f. 100 Vgl. Rowell, Wohnungspolitik (2), in: Kleßmann (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 9, S. 703.

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später wurde die Behörde erweitert, was eine zusätzliche Forderung von 30 bis 35 Räumen im Stadtzentrum nach sich zog. Zudem wurde ein weiterer Zuzug von technischem Fachpersonal erwartet. Um solch ungeplanten Forderungen entgegenzuwirken, hatte der Rat der Bezirks bereits 1956 eine Zuzugsbeschränkung erlassen, wonach die Betriebe den Rat der Stadt rechtzeitig über den Zuzug von Arbeitskräften informieren und die Aufenthaltsgenehmigung auf die Dauer der Beschäftigungszeit beschränkt bleiben sollten. Dies wurde jedoch vor allem von den zentralgeleiteten Betrieben und VVB, von denen insgesamt 15 auf dem Stadtgebiet angesiedelt waren, immer wieder umgangen.101 Die Zugezogenen traten häufig erst dann an die Wohnungsbehörden heran, wenn sie bereits eine Zeit lang von ihren Familien getrennt bei Verwandten oder Freunden gewohnt und sich auf informellem Wege eine Wohnung verschafft hatten. Auf diese Weise wurden monatlich etwa 50 Anträge auf nachträgliche Zuzugsgenehmigung gestellt.102 Zudem stand die Ordnung nicht im Einklang mit anderen Vorschriften. Die Zuzugsordnung legte fest, dass erst dann die polizeiliche Anmeldung erfolgen sollte, wenn die Betroffenen ihre Wohnungszuweisungen erhalten hatten. Das Meldegesetz hingegen schrieb vor, dass die polizeiliche Meldepflicht auch ohne Wohnungszuweisung galt.103 Die Einhaltung der Zuzugsordnung bedurfte daher der ständigen Abstimmung mit den Kreisdienststellen der Volkspolizei, was sich keineswegs reibungslos gestaltete. So forderte der Rat im Februar 1961 zu prüfen, ob der Ministerrat der Zuzugsordnung nicht durch ein Gesetz Ausdruck verleihen könne.104 Dies allerdings hätte wiederum die Interessen der zentralen Planträger tangiert, die selbst nur einen ungefähren Überblick über den Arbeitskräftebedarf ihrer Betriebe hatten und oftmals fallweise entschieden. Gerade sie profitierten von den Organisationsdefiziten, indem sie ihnen die notwendige Flexibilität garantierten. Parallel beförderte der Rat aber die Überarbeitung der Zuzugsordnung. Hierzu kam es allerdings erst 1964. Dabei machen die Diskussionen innerhalb des Rates der Stadt und mit den Räten der Stadtbezirke deutlich, wie umstritten die Thematik auch intern war. So legte ein Entwurf für eine revidierte Zuzugsordnung vom 22. Juni 1964 fest, dass eine Zuzugsgenehmigung erst dann erteilt werden könne, wenn „der Zuzug einer Person oder einer Familie aus staats- oder wirtschaftspolitischen Gründen notwendig ist und entsprechender Wohnraum zur Verfügung steht bzw. zugewiesen werden kann“.105 Gerade dieser Paragraph berührte das Verhältnis zwischen 101 Vgl. Rat der Stadt, Beschlussvorlage zur Ratssitzung am 23.3.1961 über weitere Maßnahmen zur noch zügigeren Lösung von Schwerpunktaufgaben auf dem Gebiet des Wohnungswesens, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 173. 102 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Bericht über die Wohn- und Gewerberaumsituation unter Beachtung der Zurückführung von zweckentfremdeten Wohnraum und die Gewinnung von Wohnraum im Rahmen des NAW sowie der Stand der Werterhaltungsmaßnahmen, 12.9.1957, StadtAL, StVuR (1), 19901, Bl. 200. 103 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtrat für Wohnraumlenkung an die Räte der Stadtbezirke, 5.6.1961, Ebd., Bl. 128. 104 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Material aus dem 30-Jahr-Plan vom I. Halbjahr 1960 – Repräsentativverfassung, 27.2.1961, Ebd., Bl. 219. 105 Rat der Stadt, Entwurf der Zuzugsordnung für die Stadt Leipzig, 22.6.1964, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 28.

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zentralen Entscheidungen und örtlichen Gegebenheiten unmittelbar. Während die Organisations-Instrukteur-Abteilung sicher stellen sollte, dass zentrale Entscheidungen immer Vorrang hatten106, sahen das die Stadtbezirke völlig anders.107 Die Wohnungsbehörde des Rates der Stadt hatte schließlich zwischen beiden Kontrahenten zu vermitteln, was recht bald zur Aufgabe des Vorhabens führte. Parallel zu den Debatten um eine Zuzugsordnung unterliefen die Stadtbezirke das ungeschriebene Gebot der Vorrangstellung zentralgeleiteter Betriebe immer wieder. So kam es bereits in den Jahren vor dem Mauerbau nicht selten vor, dass Stadtbezirke einzelnen Großbetrieben überhaupt keine Wohnungen mehr zur Verfügung stellten und Wohnungssuchende abwiesen. Demgegenüber erhielten Belegschaftsmitglieder von kleineren Betrieben unter 300 Beschäftigten die Möglichkeit, „in der Woche zweimal bei den Stadtbezirken Druck zu machen“ und auf diesem Wege Wohnungen zu erhalten, auch wenn deren Wohnungsprobleme nicht als wirtschaftlich „dringend“ eingestuft wurden.108 Nach dem Mauerbau versuchte der Rat der Stadt, solchen Eigenmächtigkeiten energischer entgegenzuwirken; etwa indem er verfügte, dass die Stadtbezirke künftig den Großteil der Neubauwohnungen auf die Betriebe aufzuschlüsseln hatten.109 In Zahlen ausgedrückt, gestaltete sich die Vergabesituation für die Stadtbezirke 1961 und 1962 folgendermaßen: Von insgesamt erwarteten 698 Neubauwohnungen mussten 270 an den Rat der Stadt als „Reservewohnungen“ bzw. „Oberbürgermeister-Wohnungen“ abgegeben werden, die jeweils zur Hälfte für „Sonderfälle“ und zur Schaffung von Baufreiheit im Stadtzentrum eingesetzt wurden. Das waren im Durchschnitt pro Monat 22,5 Wohnungen, was somit sogar leicht über dem zwischen Oberbürgermeister und 1. Sekretär der SED-Stadtleitung vereinbarten Umfang von 20 Wohnungen lag. Vom Rest (428 Wohnungen) durften die Stadtbezirke nur 26 Wohnungen eigenverantwortlich vergeben. 300 Wohnungen mussten sie dagegen an Betriebe mit über 300 Mitarbeitern abgeben.110 Die Klarheit der Zahlen garantierte aber noch keine systematische Arbeit. Noch im Juli 1962 fehlte es an einem Konsens, welche Betriebe von welchen Stadtbezirken kontingentiert wurden, da ein Betrieb oftmals mehrere Betriebsteile in verschiedenen Stadtbezirken unterhielt.111 Demgegenüber forderten die Räte der Stadtbezirke, dass sich die Betriebe selbst für die „Beschaffung des erforderlichen Wohnraumes“ verantwortlich fühlen 106 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Bemerkungen zum Entwurf der Zuzugsordnung für die Stadt Leipzig, 4.7.1964, Ebd., Bl. 26. 107 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Information über den gegenwärtigen Stand der Verwirklichung der Grundsätze auf dem Gebiet des Wohnungswesens, 14.8.1964, StadtAL, StVuR (1), 3001, Bl. 22. 108 Rat der Stadt, Stadtrat Wittstock an die Abteilungen Wohnraumlenkung der Stadtbezirke, 5.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 126. 109 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnraumlenkung an den Bürger S., 15.11.1961, StadtAL, StVuR (1), 1654, Bl. 256. 110 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnraumlenkung, Beschlussvorlage über die Verteilung der Neubauwohnungen aus dem staatlichen Wohnungsbauprogramm 1960/61 und 1961/62, o. D., StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 11–13. 111 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Reuter an seinen Stellvertreter Hentschel, 6.7.1962, StadtAL, StVuR (1), 1653, Bl. 111.

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müssten. In ihren Augen sollten sich die Betriebswohnungskommissionen, ebenso wie die Stadtbezirke um die Rückgewinnung, Instandsetzung und Modernisierung von Wohnraum kümmern, um so ihre Belegschaftsmitglieder selbst zu versorgen. Gleichwohl sollten die Großbetriebe und Betriebswohnungskommissionen stärker an die Weisungen staatlicher Organe gebunden werden.112 Dabei beriefen sie sich auf das Gesetz der Arbeit vom 12. April 1961, das den Betrieben vorschrieb, „zur Verbesserung der Wohnverhältnisse der Werktätigen beizutragen“. Der Umfang dieses Beitrages wurde aber den Betrieben und/oder staatlichen Organen überlassen. Demgegenüber legte die WRLVO von 1955 die Verantwortung voll und ganz in die Hände der Behörden. Ende 1962 unternahm Stadtrat Reuter erstmals den Versuch, diesen Gesetzesund damit verbundenen Interessenkonflikt zu lösen. In einem Grundsatzpapier „über die Veränderung auf dem Gebiete der Wohnraumlenkung“ forderte er, dass 15 der 220 auf die Wohnungsämter aufgeteilten Betriebe eigenständige, hauptamtliche Wohnraumlenkungsorgane aufbauen sollten, welche die von ihren Betrieben genutzten Wohnungen zu bewirtschaften hatten, ohne dass die Stadtverwaltung dabei aktiv werden musste. Zur Kontrolle sollten sie jedoch der Ständigen Kommission Wohnungswesen der Stadtverordnetenversammlung unterstellt werden. Für die „Schwerpunktbetriebe“ ohne eigene Wohnraumlenkung, d. h. diejenigen Betriebe, die bereits ehrenamtliche Wohnungskommissionen unterhielten, stellte er ferner die Erarbeitung von Grundsätzen in Aussicht.113 Bereits im Frühjahr 1963 lagen Entwürfe zu den Arbeitsordnungen für Betriebe mit und ohne eigene Wohnraumlenkung vor, die allerdings ohne Wissen der Betriebe ausgearbeitet worden waren. Die betrieblichen Lenkungsorgane sollten demnach vor allem organisatorische Tätigkeiten erfüllen, etwa die Erarbeitung und Aktualisierung von Wohnungskarteien, die Bearbeitung der Wohnungsanträge nach Dringlichkeitskriterien, die Aufstellung eines Lenkungsplanes, die Durchführung von Sprechstunden sowie die Förderung und Durchführung von Wohnungstauschen. Dabei appellierten die Entwürfe an die Einsicht der Betriebsleitungen, „dass die Stadt Leipzig eine Einheit ist“ und deshalb eine „gute Zusammenarbeit“ zwischen staatlichen und betrieblichen Organen anzustreben sei. Gleichwohl sollte die Bestätigung über den Lenkungsplan von der Verantwortung der Wohnraumlenkungsorgane abgekoppelt und in die Zuständigkeit der Arbeitskräftelenkung (Abteilung Arbeit des Rates der Stadt bzw. Direktor für Arbeit bei den Großbetrieben) verlagert werden, was sich aus dem Gesetz der Arbeit vom 12. April 1961 ergab. Schließlich wurden die Betriebe noch einmal ausdrücklich zur Einhaltung der Zuzugsordnung verpflichtet.114 112 Vgl. Rat des Stadtbezirkes West an den Oberbürgermeister, Hinweise zur Veränderung der Arbeitsweise auf dem Gebiete der Wohnraumlenkung, 17.10.1962, StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 40. 113 Vgl. Rat der Stadtrat Reuter, Vorschlag über die Veränderung auf dem Gebiete der Wohnraumlenkung in der Stadt Leipzig, 12.12.1962, StadtAL, StVuR (1), 20133, Bl. 44 f. 114 Vgl. Arbeitsordnung für Betriebswohnungskommissionen ohne eigene Wohnraumlenkung, o. D., StadtAL StVuR (1), 1719, Bl. 187 f.; Entwurf Arbeitsordnung für Betriebswohnungskommissionen mit eigener Wohnraumlenkung, o. D., StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 189–191. Zit. Bl. 189.

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Das Bestehen konkurrierender gesetzlicher Grundlagen erschwerte jedoch die Umsetzung der Arbeitsordnungen. So wurde etwa von Seiten der OrganisationsInstrukteur-Abteilung vehement Einspruch gegen die Arbeitsordnungen erhoben. Die Organisations-Instrukteure warfen Stadtrat Reuter vor, konkrete Regelungen über die Stellung, Zusammensetzung, Aufgaben und Arbeitsweise der Betriebswohnungskommissionen außer Acht gelassen zu haben115, wofür Reuter die Wohnungsbehörden aber nicht in der Pflicht sah. Außerdem war die genaue Zuständigkeit der Ständigen Kommissionen noch ungeklärt.116 Dennoch leitete sie Stadtrat Reuter, allerdings in Unkenntnis ihres konkreten Inhalts, im Mai 1963 an zwölf Großbetriebe mit hauptamtlicher Wohnraumlenkung weiter und erklärte deren Gültigkeit zum 1. Juli. Bei den Betrieben stieß diese Vorgehensweise hingegen auf Ablehnung. Sie beklagten sich vornehmlich über das Fehlen der materiellen Voraussetzungen für eine aktive Wohnraumlenkung im Sinne der Arbeitsordnungen. So habe man auf der einen Seite keine ehrenamtlichen Kräfte für die zusätzlichen Aufgaben gewinnen können und verfüge auf der anderen Seite nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um hauptamtliche Kräfte einzustellen.117 Die Lösung der Probleme wurde allerdings bis auf weiteres vertagt, wobei die Arbeitsordnungen als Provisorien gültig blieben. Die Hinhaltetaktik des Rates, der indes alle Wohnungsanträge kommentarlos an die Betriebe zurückgab, führte in den Betrieben zu einer Verschlechterung der Stimmung. Dort fühlte man sich zunehmend gegängelt („diese Fälle wurden uns angedreht“), während die Ständige Kommission keine Initiative zeigte, die ihr auferlegten Anleitungskompetenzen zu übernehmen.118 Hinzu kamen Differenzen zwischen der Stadtverwaltung und zentralen Organen hinsichtlich der Anzahl der vom Rat zu versorgenden Kombinate. So hatte der Rat der Stadt im Verlauf des Frühjahrs 1963 drei der 15 Großbetriebe von seiner Verantwortung ausgeschlossen, weil sie nicht direkt auf dem Gebiet der Stadt angesiedelt waren. Unter diesen befanden sich die Kombinate Böhlen und Espenhain, von denen etwa 5.000 Betriebsangehörige in Leipzig wohnten. Als Ersatz hatte der Rat angeboten, dass beide Kombinate das ständige Belegungsrecht für alle bisher vergebenen Wohnungen im Stadtgebiet erhalten sollten. Doch auch in diesem Fall hatte es der Rat der Stadt unterlassen, eine Beratung mit den Betrieben durchzuführen. Stattdessen erhielten diese Kombinate alle Wohnungsanträge ihrer Belegschaftsmitglieder kommentarlos zur eigenständigen Bearbeitung zurück. In der Folge häuften sich die Eingaben beim Rat des Bezirks.119 Die zentralen Organe reagierten jedoch erst, als beide Betriebe in einer am 4. Oktober 1964 be115 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Einige Bemerkungen zum Entwurf der Arbeitsordnungen für Betriebswohnungskommissionen mit und ohne eigene Wohnraumlenkung, 3.4.1963, Ebd., Bl. 186. 116 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., In Ergänzung unserer Bemerkungen zum Leitfaden (Arbeitsrichtlinien) geben wir folgende Hinweise für den Aufbau des Leitfadens, 25.3.1963, Ebd., Bl. 192. 117 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt. an den Sekretär des Rates, 12.6.1963, Ebd., Bl. 184. 118 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Hinweise über Mängel in der Arbeit mit den Betrieben mit eigener Wohnraumlenkung, 15.11.1963, StadtAL, StVuR (1), 1540, Bl. 93. 119 Vgl. Zwischenbericht zur Durchführung des Experiments Werkwohnungen im Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.1965, o. D., SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/13/69, Bl. 367.

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schlossenen Grundsatzverordnung zur „Wohnraumversorgung der Werktätigen der Großbetriebe der führenden Zweige der Volkswirtschaft“ namentlich aufgeführt wurden.120 Zu einer Lösung des Problems kam es dennoch nicht. So wies ein Wohnungssuchender des Kombinats Espenhain, der seit elf Jahren in einem Untermietverhältnis und getrennt von seiner Ehefrau lebte, den Rat des Bezirks noch im Jahre 1970 verärgert darauf hin, dass sein Betrieb zum letzten Mal 1965 Wohnungen vom Rat der Stadt erhalten habe, obwohl es sich um einen „Schwerpunktbetrieb“ im Chemieprogramm handelte. Zugleich machte er darauf aufmerksam, dass sich der Rat des Stadtbezirks nicht an die Vorgaben des Rates der Stadt halte und er freiwerdende Wohnungen von Betriebsangehörigen an „Betriebsfremde“ vergab.121 Eine verbindliche Arbeitsordnung für Großbetriebe mit eigener Wohnraumlenkung wurde erst am 11. Juli 1966 beschlossen. Diese legte die Verantwortung für die Bildung ehrenamtlicher Betriebswohnungskommissionen in die Hände der Werksleiter sowie der Betriebsgewerkschaftsleitung, die fachliche Anleitung und Kontrolle sollte dagegen den Fachorganen der zuständigen Stadtbezirke zukommen. Zudem sicherte sie den Betrieben das volle Verfügungsrecht über die bisher belegten Wohnungen sowie die jährliche Zuweisung der Neubauwohnungen zu, wobei die staatlichen Belegungsnormen verbindlich zu berücksichtigen waren. Darüber hinaus regelte sie eine Fülle von Zuständigkeiten der Stadtverwaltung, etwa die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und das Entscheidungsrecht bei Unstimmigkeiten.122 Der Beschluss stellte sicherlich einen Minimalkonsens dar. Dass seine Wirksamkeit indes begrenzt blieb und im Zweifelsfall die Kommunikation zwischen Betrieb und Zentrale entscheidender war, zeigt letztlich das Beispiel des Chemiekombinats Böhlen. Der Traum vom individuellen Wohnen: Die Alltagsfunktion der AWG Für Betriebsangehörige wesentlich attraktiver war die Mitgliedschaft bei einer der 30 Genossenschaften der Stadt (21 AWG und 9 GWG), sofern sie bei einem der Trägerbetriebe arbeiteten. Ihnen fiel das Gros der jährlich geplanten Neubauwohnungen zu und bis 1962 unterlagen sie nicht den staatlichen Belegungsnormen. Dabei lässt die interne Vergabestatistik erkennen, dass, obwohl zwei Drittel der für sie kontingentierten Wohnungen an Arbeiter gehen sollten, Angestellte und „Intelligenzler“ hiervon gleichermaßen profitierten (Tab. 11). Dies lag nicht zuletzt an den hohen finanziellen und materiellen Eigenleistungen (wobei letztere in der Praxis oftmals in Hilfstätigkeiten auf Baustellen bestanden), die im Rahmen der Mitgliedschaft zu erbringen waren. Allein für eine 2 ½ Zimmer-Wohnung waren Genossenschaftsanteile von

120 Vgl. Grundsätze zur Wohnraumversorgung der Werktätigen der Großbetriebe der führenden Zweige der Volkswirtschaft vom 9.10.1964, Ebd., Bl. 224. 121 Vgl. Eingabe des Bürgers S. an den Rat des Bezirkes, 17.12.1970, SächsStAL, 20237, 28036, Bd. 2, Bl. 240 f. 122 Vgl. Arbeitsordnung der Großbetriebe mit eigener Wohnraumlenkung, 11.7.1966, StadtAL, StVuR (1), 20248, Bl. 22–25.

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2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

2.100 DM zu erwerben und die AWG-Vorstände bevorzugten freilich diejenigen, die nicht vom Recht einer zehnjährigen Abzahlung Gebrauch machen mussten.123 Tab. 11: Verteilung der Neubauwohnungen in den AWG/GWG 1961/62 AWG 1960 Wohnungen gesamt Arbeiter

GWG 1960

AWG 1961

GWG 1961

1.720

362

1.800

453

52,72 %

39,23 %

57,78 %

49,22 %

Angestellte

36.74 %

32,32 %

32,89 %

29,80 %

Intelligenz

10,99 %

19,06 %

9,33 %

11,48 %

Handwerker

-

5,25 %

-

2,87 %

Sonstige

-

4,14 %

-

6,63 %

Quelle: Rat der Stadt, Abt. Wohnraumlenkung, Beschlussvorlage über die Verteilung der Neubauwohnungen aus dem staatlichen Wohnungsbauprogramm 1960/61 und 1961/62, o. D., StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 11–13.

Die Zahlen täuschen allerdings darüber hinweg, dass auch hier das Aufkommen den Bedarf nicht zu decken vermochte. Gerade weil Mitglieder einer AWG vergleichsweise schnell (innerhalb von drei Jahren) an Wohnraum, dazu noch unabhängig von den staatlichen Belegungsnormen, kommen konnten, verzeichneten die Genossenschaften einen stetigen Zulauf, sodass die AWG 1960 bereits ein Defizit von 6.086 Wohnungen beklagten, das sogar wesentlich über der Zahl der jährlich geplanten Neubauwohnungen lag.124 Über die damit für die AWG verbundenen Probleme gibt der Rechenschaftsbericht der AWG „Polygraphie“ vom 21. März 1962 Auskunft. Obwohl bis dato noch über die Hälfte der bis 1961 eingetretenen Mitglieder nicht wie geplant versorgt waren und sich die Wartezeit bereits auf fünf Jahre erhöht hatte, verzeichnete die AWG immer noch einen stetigen Zustrom an Mitgliedern. Allein im Jahr 1961 stieg die Mitgliederzahl von 907 auf 1.055. Wesentlich gravierender aus Sicht des Vorstandes aber war der Eigen-Sinn der zukünftigen Mieter, die für ihre Leistungen eine den individuellen Erfordernissen entsprechende Wohnung erwarteten. So habe es immer wieder „einige Ungehörigkeiten unserer späteren Mieter“ gegeben. Sie hätten sich oftmals selbst von der Qualität ihrer Neubauwohnungen überzeugen wollen, obgleich sich diese noch im Bau befanden. „Eigenmächtige Gütekontrollen“ wie das Zerschlagen von Wänden mit Bauklammern oder Beschimpfungen gegen Baubrigaden waren keine Seltenheiten. Die Klagen betrafen vor allem die Ausstattung, für deren Bereitstellung die Stadtbauleitung zu sorgen hatte. So fehlten oftmals Fließen, Einbauwannen, Heizkonvektoren oder Möglichkeiten, die bereitgestellten Öfen an die Gasschornsteine anzuschließen. Letztere wiesen zudem erhebliche Mängel auf, sodass es in einem Fall sogar zum Brand gekommen war. Um 123 Vgl. Verordnung über die Umbildung gemeinnütziger und sonstiger Wohnungsbaugenossenschaften vom 14. März 1957, in: Gesetzblatt der DDR 1957, Teil I, S. 202. 124 Vgl. Aufstellung über die Fehlbeträge bei den 30 Genossenschaften 1962, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 96.

292

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

die anwachsenden Kosten zu decken, wurden sie einerseits auf die Mitglieder umgemünzt, andererseits rekrutierte der Vorstand immer wieder neue Mitglieder. Austrittsdrohungen begegnete man deshalb mit gemischten Gefühlen. Um möglichst viele Neubauwohnungen zugewiesen zu bekommen, wurde es bald zur gängigen Praxis, bereits versorgte Mitglieder in den Wartelisten stehen zu lassen. Damit kam es aber auch zur Konkurrenz der AWG untereinander.125 Es verwundert daher nicht, dass der Rat der Stadt immer wieder mit Versuchen, seine „Sonderfälle“ zusätzlich in den AWG unterzubringen, scheiterte. So stieß es etwa auf „keine Gegenliebe“ der AWG, als die Abteilung Wohnraumlenkung versuchte, die Wohnungsprobleme des Leiters eines für die Sowjetunion arbeitenden Maschinenbaubetriebes auf diese Weise zu lösen, sofern der Rat nicht in der Lage war, dem Betrieb jährlich vier Wohnungen zur Verfügung zu stellen.126 Die Konflikte verschärften sich aber noch während des NÖS. Durch die nochmalige Aufwertung der „Schwerpunktbetriebe“ wurden nicht nur die Handlungsspielräume der AWG erheblich eingeschränkt, auch der Rat der Stadt erhielt nun mehr Einfluss auf die Genossenschaften. Im Dezember 1962 wurden die AWG zunächst durch eine Direktive verpflichtet, die staatlichen Belegungsnormen einzuhalten. Zudem sollten Neuaufnahmen von Mitgliedern künftig beschränkt und Beschäftigte von „Schwerpunktbetrieben“ bevorzugt versorgt werden.127 Die Empörung der AWG-Vorstände ließ nicht lange auf sich warten. Am 29. Mai 1963 reichte die AWG Leipzig-West Beschwerde beim Staatsrat ein, griff die Direktive doch empfindlich in das Innenleben der AWG ein. So standen in der AWG plötzlich vier „Schwerpunktbetriebe“ und 30 weniger privilegierte Betriebe, bzw. 7.500 und 20.000 Mitglieder in Konkurrenz zueinander. Von letzteren wurde vehement gegen die Ungleichbehandlung protestiert, schließlich hatten alle Mitglieder gleichermaßen in die Genossenschaft eingezahlt. Durch die Bevorzugung von lediglich vier Trägerbetrieben befürchteten viele Mitglieder, dass die Arbeiter dieser Betriebe nun in kürzester Zeit „ihre“ Wohnungen zugewiesen bekämen, ohne ein vergleichbares Maß an Eigenleistungen erbracht zu haben.128 Die Klagen der AWG hatten allerdings keinen Erfolg, sondern bewirkten eher das Gegenteil. Am 21. November 1963 wurde eine neue Verordnung über die AWG erlassen, welche die Direktive vom Dezember 1962 auf eine gesetzliche Grundlage stellte. Diese gewährte den AWG eine finanzielle Unterstützung in Form von zinslosen Darlehen und Steuerbefreiung künftig nur noch dann, wenn die Vorgaben eingehalten wurden.129 Damit wurden die AWG nicht nur genötigt, die Normen 125 Vgl. Rechenschaftsbericht der AWG „Polygraphie“ 1961, 21.3.1962, StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 144–164. Zit. Bl. 161 f. 126 Vgl. Rat der Stadt, Oberbürgermeister Kresse an Stadtrat Wittstock, 26.10.1960, StadtAL, StVuR (1), 3590, Bl. 101. 127 Vgl. Rowell, Wohnungspolitik (1), in: Hoffmann (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8, S. 718. 128 Vgl. Vereinigte AWG Leipzig-West an die Kanzlei des Staatsrates der DDR, 29.5.1963, SAPMO-BArch, DY 30/IV/A 2/13/69, Bl. 1 f. 129 Vgl. Verordnung über die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften vom 21. November 1963, in: Gesetzblatt der DDR 1964, Teil II, S. 19.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

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widerspruchslos anzuerkennen, sondern der Rat der Stadt Leipzig nutzte diese Gelegenheit gleich dazu, den Beirat der AWG, der zur Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Mitglieder- und Vertreterversammlungen gedacht war, zugunsten der Stadtverwaltung umzustrukturieren. Die AWG waren bisher lediglich durch den Vorsitz des Stadtrates für Wohnraumlenkung im Beirat an den Rat der Stadt angebunden. Im neuen Beirat sollten nun 13 Ratsmitglieder vertreten sein.130 Damit bot sich nicht zuletzt die Möglichkeit, die zulasten der städtischen Ressourcen gehenden Bedürfnisse der strukturbestimmenden Betriebe den AWG aufzubürden. Bis 1969 wurde die Kontrolle durch den Rat der Stadt noch weiter ausgebaut, indem man die Zahl der AWG, offiziell zur Verbesserung der „innergenossenschaftlichen Demokratie“, auf zwölf reduzierte. Nach einer nochmaligen Zusammenlegung bestanden ab 1970 nur noch vier AWG und zwei GWG.131 Die Eingriffe des Rates der Stadt in die „innergenossenschaftliche Demokratie“, in der offizielle Vergabenormen weniger eine Rolle spielten als die eingebrachten Leistungen des Einzelnen, waren freilich gegen diese marktähnlichen Strategien gerichtet. Aber auch dabei erkaufte sich die Stadtverwaltung Autoritätsgewinne letztlich mit einem deutlichen Ansehensverlust. Auch im Umgang mit aus wirtschaftlichen Gründen privilegierten Großbetrieben und AWG spiegeln sich die widersprüchlichen Auswirkungen des wirtschaftlichen „Booms“ in Leipzig wider. Beide Institutionen erleichterten nicht nur die Wohnraumvergabe für ihre Angehörigen, sie brachten die Stadtverwaltung gegenüber der nicht-privilegierten Bevölkerung zugleich in Misskredit. Gegen die Großbetriebe konnte man sich nach vergeblichen Versuchen der gesetzlichen Regelung nur mit hartnäckiger Ignoranz partiell durchsetzen, im Falle der AWG begriff man dagegen die Kritik der SED-Führung an der eigenwilligen „innergenossenschaftlichen Demokratie“ im Jahre 1962 als Signal zur Kontrolle durch die Stadt, die man in Leipzig mit starken Mitteln durchzusetzen suchte. Die Machtverhältnisse gestalteten sich jedoch auch weiterhin zuungunsten der Stadt. 2.3 Ressourcenkämpfe: Wohnungsreparaturen als örtliches Konfliktfeld Altbausanierung nach dem 17. Juni 1953: Legitimation und Konflikt Obwohl Wohnungsreparaturen bis 1965 eine von vielen kommunalen Dienstleistungen darstellten und bis dahin nicht von der Abteilung Wohnungswesen reguliert wurden, waren beide Sektoren von Anfang an eng miteinander verzahnt. Einen wesentlichen Bedeutungsgewinn erfuhr das örtliche Reparaturwesen durch die Erfahrung des 17. Juni 1953.132 So sicherte Walter Ulbricht den „Leipziger Werktätigen“ 130 Vgl. Konzeption zur Durchführung der Mitglieder- und Vertreterversammlungen in den Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaften der Stadt Leipzig zur Durchsetzung der Verordnung über die Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaften vom 21. November 1963, 1.4.1964, StadtAL, StVuR (1), 1663, Bl. 45 f. 131 Vgl. Rat der Stadt, Bericht, 18.4.1969, StadtAL, StVuR (1), 20344, Bl. 87–95. 132 Vgl. Michael F. Scholz, Die DDR 1949–1990, Stuttgart 2009, S. 351.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

anlässlich der Volkskammerwahlen am 17. Oktober 1954 zu, dass die Behebung aller noch bestehenden Schäden an Grundstücken und Wohnungen als „hervorragende politische Aufgabe“ eine hohe Priorität im zweiten Volkswirtschaftsplan (1951–55) besäße.133 Dies änderte sich jedoch bereits wieder in der nächsten Planperiode. Nun verkündete Ulbricht auf der 1. Baukonferenz (April 1955), dass „wir es ablehnen, einfach die alten Gebäude wiederzuerrichten“.134 Für den in Leipzig zuständigen VEB Haus- und Grundbesitz bedeutete der Schlingerkurs in der Baupolitik, dass etwa 1955 für nicht einmal ein Fünftel aller städtischen Wohnungen ausreichend Kapazitäten vorhanden waren. Diese deckten gerade den Anteil volkseigener Grundstücke ab.135 Ein ungleich größeres finanzielles Problem stellten jedoch die wenigen Treuhand-Wohnungen dar, denn für Investitionen in diese Art von „geerbten“ Wohnungen konnten offiziell nur die geringen Mieteinnahmen verwendet werden, während die formal zuständigen Eigentümer – oftmals nach ihrer Abwanderung in den Westen – jeglichen Anreiz zur Sanierung der zumeist heruntergewirtschafteten Gebäude verloren hatten. Um dennoch die notwendigsten Reparaturen abdecken zu können, musste der VEB Haus- und Grundbesitz immer wieder Abstriche an volkseigenen Grundstücken machen. 1956 etwa habe man 17,2 Millionen DM entsprechend zweckentfremden müssen.136 Gleichwohl gab es durchaus noch einige engagierte Privateigentümer, die häufig mehr Geld aufbrachten als die Kommune, was wiederum das Privateigentum in der Bevölkerung aufwertete.137 Dies aber galt als politisch unerwünscht, was der VEB Haus- und Grundbesitz zugleich als Argument für eine Erhöhung der Investitionen nutzte. So stellte er unentwegt Anträge auf flexible Verwendung von ansonsten an den Staatshaushalt abzuführenden „Überplangewinnen“. Der Aufwand stand dabei allerdings kaum im Verhältnis zum Ertrag. Schon Mitte des Jahres 1953 musste der Betrieb zusätzliche Mittel für 1955 beantragen. Am Ende erhielt er (erst im Juli 1955!) mit 214.000 DM nur 1,3 Prozent der ursprünglich beantragten Mittel (16,5 Millionen DM).138 Aus diesem Grunde versuchte der Betrieb immer wieder, Hausbewohner selbst für Reparaturarbeiten in die Pflicht zu nehmen; etwa durch die Bildung von Mieterkolonnen, denen Baumaterial zugewiesen wurde. Zudem 133 Vgl. VEB Haus- und Grundbesitz, Zur Beratung des Oberbürgermeisters mit den Ratsmitgliedern, 8.11.1954, StadtAL, StVuR (1), 19774, Bl. 27. 134 Walter Ulbricht, Die neuen Aufgaben im nationalen Bauen. Rede des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED auf der Baukonferenz der DDR am 3. April 1955, in: Die Baukonferenz der Deutschen Demokratischen Republik vom 3. bis 6. April 1955, hrsg. v. Ministerium für Aufbau, Berlin (Ost) 1955, S. 2. 135 Vgl. Entwicklung des Arbeitsumfanges des VEB Haus- und Grundbesitzes, 16.12.1954, StadtAL, StVuR (1), 10942, Bl. 121. Bis Anfang der 1970er Jahre wuchs der kommunale Wohnungsbestand lediglich um knapp 15.000 Wohnungen und umfasste damit etwa ein Viertel des städtischen Wohnraums. Vgl. Thomas Nabert, „Besser, schneller und billiger bauen“ – Der Übergang zum industriellen Wohnungsbau Mitte der 50er Jahre bis Anfang der 70er Jahre, in: Nabert (Hrsg.), „Eine Wohnung für alle“, S. 96–117, hier S. 117. 136 Vgl. Situation beim VEB Haus- und Grundbesitz, 5.9.1956, StadtAL, StVuR (1), 19865, Bl. 40. 137 Vgl. VEB Haus- und Grundbesitz, Betriebsleitung an den Rat der Stadt, Abt. Dienstleistungsund Versorgungseinrichtungen, 20.5.1953, StadtAL, StVuR (1), 10942, Bl. 170. 138 Vgl. Ebd.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

295

erhoffte man sich, durch ideologische Maßnahmen mittel- und langfristige Anreize zu schaffen; so durch eine verbindliche politische Schulung aller Hausmeister oder durch die Vorbildwirkung „fortschrittlicher“ Hausgemeinschaften, die in „geeigneten Fällen“ Pflegeverträge mit dem Rat des Bezirks abschlossen. Daneben erwog der Betrieb sogar, die Denunziation säumiger Mieter durch Mieterkomitees zu fördern.139 Die Umsetzung dieser Vorschläge stieß allerdings an deutliche Grenzen. Mit Beispielen privaten Engagements vor Augen zog es das Gros der Hausbewohner weiterhin vor, dem VEB Haus- und Grundbesitz gegenüber als Beschwerdeführer aufzutreten. Auch innerhalb der Stadtverwaltung bildeten Wohnreparaturen ein ausgesprochenes Konfliktfeld. 1955 waren die Interessenkonflikte so weit eskaliert, dass der Rat dem VEB Haus- und Grundbesitz sogar untersagte, vor dem Ratskollegium mündlich zu berichten.140 Seither nahm die Stadtverwaltung nur noch Rechenschaftsberichte des Betriebes an, welche aber zugunsten städtebaulicher Präferenzen im Stadtzentrum ignoriert wurden. Erst eine am 26. Juli 1956 im Stadtbezirk 4 durchgeführte Einwohnerversammlung, bei der der amtierende Oberbürgermeister, Reinhold Fleschhut, den Bewohnern unter Druck zugesichert hatte, dass „die Beseitigung der von den Einwohnern vorgebrachten Mängel in den von uns verwalteten Grundstücken gar keine Schwierigkeiten bereite“141, führte zum Umdenken in der Stadtverwaltung. In seiner Reaktion auf die Einwohnerversammlung kritisierte der Leiter des VEB Haus- und Grundbesitzes, Horst Helmuth Günther, nicht nur die Reaktion Fleschhuts aufs Heftigste und verwies auf die chronische Materialknappheit des Betriebes, sondern nutzte zugleich die Gelegenheit, um auf ein generelles strukturelles Problem aufmerksam zu machen: Reparatur- und Wohnungsbauinvestitionen bildeten innerhalb der Wirtschaftspläne des Ministeriums für Bauwesen eine gemeinsame Planposition. Die Verfügungsgewalt über die Baukapazitäten war vor Ort jedoch auf die Ratsabteilungen Aufbau (volkseigener Wohnungsneubau, Stadtzentrum) und Kommunale Wirtschaft (Wohnreparaturen) verteilt. Im Zweifel genoss die Abteilung Aufbau Vorrang, was diese auch zu nutzen wusste. So erreichten Günther immer wieder Anweisungen, auf bereits eingeplante private Handwerksbetriebe zu verzichten.142 Überdies stand der dem Stadtbauamt unterstellte VEB (K) Bau, der mit dem VEB Haus- und Grundbesitz Verträge abschließen sollte, für Werterhaltungsmaßnahmen praktisch nur außerhalb der Bausaison zur Verfügung. In der Konsequenz konnte der VEB Haus- und Grundbesitz allenfalls Instandhaltungs-, jedoch weniger tatsächliche Reparaturmaßnahmen ausfüh-

139 Vgl. VEB Haus- und Grundbesitz, Plan zur weiteren Demokratisierung der Tätigkeit des VEB Haus- und Grundbesitzes Leipzig, 15.11.1954, StadtAL, StVuR (1), 12571, Bl. 5–7. 140 Vgl. VEB Haus- und Grundbesitz an den amtierenden Oberbürgermeister, Reinhold Fleschhut, 27.7.1956, StadtAL, StVuR (1), 19865, Bl. 36. 141 VEB Haus- und Grundbesitz Bezirk 4 an den Rat des Stadtbezirkes 4, Einwohnerversammlung am 26.7.1956, 3.8.1956, Ebd., Bl. 30. 142 Vgl. VEB Haus- und Grundbesitz an den amtierenden Oberbürgermeister, Reinhold Fleschhut, 27.7.1956, Ebd., Bl. 36.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

ren, was von der Bevölkerung zwar noch nicht als Problem wahrgenommen wurde, den zunehmenden Verfall der Altbausubstanz aber langfristig beschleunigte.143 Am 19. September 1956 wurden die Probleme der Wohnraumwerterhaltung erstmals wieder im Rat der Stadt Leipzig verhandelt, nachdem auch die III. Parteikonferenz der SED das Thema Werterhaltung nicht mehr aufgegriffen hatte.144 Es mussten daher Lösungen vor Ort gefunden werden. Allerdings schien nicht einmal der Oberbürgermeister über das Ausmaß der Probleme in Kenntnis zu sein.145 Das Ergebnis der intensiv geführten Diskussionen blieb somit bescheiden, was die geringen Handlungsspielräume des VEB Haus- und Grundbesitz verdeutlicht. Ende 1956 wurde zwar ein „planmäßiger und zusätzlicher Fonds für Instandhaltungen und Instandsetzungen“ im Haushaltsplan des Rates der Stadt eingerichtet. Mit rund 3,5 Millionen DM umfasste dieser aber nicht einmal ein Viertel der bereits 1953 geforderten Mittel.146 Der Siebenjahrplan: Institutioneller Ausbau und lokale Verteilungskämpfe Die Vorbereitungen zum Siebenjahrplan (1959–1965) berührten auch den Geschäftsbereich des VEB Haus- und Grundbesitz. Der in Reaktion auf das Gesetz über die Finanzierung des volkseigenen Wohnungsbaus vom 9. Januar 1958 in VEB Kommunale Wohnungsverwaltung (VEB KWV) umbenannte Betrieb sollte künftig nicht nur Wohnreparaturen organisieren und durchführen, sondern auch die Rechtsträgerschaft für alle staatlich neugebauten Wohnungen übernehmen.147 Eine Erweiterung der betrieblichen Ressourcen hatte dies aber nicht zur Folge, sodass sich der VEB KWV bald sogar gegen die Überführung von Altbauten in Volkseigentum wehrte und mitunter die (Re-)Privatisierung volkseigener Wohnungen förderte, um die bereits verausgabten Mittel für Instandsetzungen zurückfordern zu können. Verfügen konnte der Betrieb über diese Mittel aber auch dann nicht. So musste er sich beeilen, die Mittel kurzfristig durch die Vergabe von Aufträgen an Privatbetriebe zu binden, um nachträglich die Bestätigung des Rates einzuholen. Eine solche Vorgehensweise sorgte wiederum für Verärgerung im Ratskollektiv, weil die Stadtverwaltung das Geld für andere Maßnahmen, etwa Enttrümmerungsarbeiten im Stadtzentrum, benötigte.148 Politisch aber erfuhr die Werterhaltung durch den Siebenjahrplan eine Aufwertung. Instandhaltungen und Instandsetzungen sollten analog zum Wohnungsbau künftig „komplex“ nach Straßenzügen geplant und durchgeführt werden. Hierzu 143 144 145 146

Vgl. Situation beim VEB Haus- und Grundbesitz, 5.9.1956, Ebd., Bl. 39–43. Vgl. Weber, Geschichte der DDR, S. 255 f. Vgl. Ratssitzung am 19.9.1956, Diskussion, StadtAL, StVuR (1), 19865, Bl. 13 f. Vgl. Rat der Stadt, Abt. Kommunale Wirtschaft, Wasserwirtschaft und Verkehr, 22.12.1958, StadtAL, StVuR (1), 19950, Bl. 16. 147 Vgl. Gesetz über die Finanzierung des volkseigenen Wohnungsbaus vom 9.1.1958, in: Gesetzblatt der DDR 1958, Teil I, S. 69. Ratssitzung vom 5.2.1958, StadtAL, StVuR (1), 19915, Bl. 23–32. 148 Vgl. Ratssitzung vom 24.12.1958, StadtAL, StVuR (1), 19950, Bl. 6–16.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

297

wurde mit dem VEB (K) Reparatur ein zweiter Betrieb im Bereich der Abteilung Kommunale Wirtschaft gegründet.149 Zugleich drängte der Rat der Stadt darauf, private Handwerksbetriebe, die 50 Prozent der Baukapazität der Stadt ausmachten, zur Bildung von speziellen Produktionsgenossenschaften für Baureparaturen zu bewegen. Ferner sollten Hausgemeinschaften Aushilfsarbeiten, insbesondere Transport- oder Malerarbeiten leisten, um so die örtlichen Kapazitäten zu entlasten.150 Hierfür wurden Reparaturstützpunkte in den Stadtbezirken eingerichtet, die vom VEB (K) Reparatur mit Baumaterialien und Handwerkzeugen versorgt werden sollten. An diesen Stützpunkten konnten sich Hausgemeinschaften bedienen, wenn sie zuvor Pflegeverträge mit dem VEB KWV abgeschlossen hatten. Dabei wurden aus Sicht des Rates der Stadt durchaus beachtliche Erfolge erzielt. 1961 habe man insgesamt 6.840 Pflegeverträge gezählt. Zudem seien im Vorjahr bereits Reparaturen im Wert von rund einer Million DM durch die Bevölkerung geleistet worden. Allerdings sagen die bloßen Zahlen nichts über die Qualität des Ergebnisses aus. So wies die SED-Stadtleitung in einem internen Problembericht darauf hin, dass viele dieser Verträge nur auf dem Papier stünden, da wesentliche Materialien nicht bedarfsgerecht geliefert wurden. Zudem differierten die handwerklichen Fähigkeiten der Hausgemeinschaften mitunter sehr stark. Trotz dieser Analyse wurde letztlich der VEB KWV für diese Mängel verantwortlich gemacht.151 Schon im November 1959 hatte jedoch der Betriebsdirektor des VEB KWV, Günther, eine umfassende Denkschrift vorgelegt, in der er die Ambivalenz der Wohnungspolitik im Siebenjahrplan scharf angriff. Darin bezeichnete er den Glauben, dass mit 772.000 geplanten Neubauwohnungen das Wohnungsproblem gelöst werde, als „Trugschluss“. Speziell in Leipzig würden regelrechte „Piratenkämpfe“ der Bedarfsträger um die 1.200 privaten Handwerksbetriebe der Stadt bestehen. Demgegenüber hätten die wenigen bereits bestehenden Produktionsgenossenschaften des Bauhaupt- und Baunebengewerkes (20) kaum Interesse, Reparaturmaßnahmen durchzuführen, da die Verdienstmöglichkeiten im Neubau wesentlich höher waren. Ferner stellten die treuhänderisch verwalteten Grundstücke nach wie vor einen immensen Kostenfaktor dar, der über das Doppelte des zur Verfügung stehenden Finanzvolumens aufzehrte. Auch mangelte es dem Betriebsdirektor keineswegs an Lösungsvorschlägen. Er sprach sich unter anderem für die Einrichtung eines ständigen Referats Reparaturen im Ministerium für Bauwesen aus, das den Planteil Reparaturen gesondert ausarbeitete. Zudem machte er Vorschläge für die Verteilung der sanierungsbedürftigen Gebäude auf die städtischen Handwerks- und Reparaturbetriebe und forderte die Mobilisierung der Großbetriebe zur Mitarbeit. Ferner plädierte er für die Förderung weiterer Produktionsgenossenschaften, die dann als Leitbetriebe des Reparaturwesens eingesetzt werden sollten.152 Berück149 Vgl. Siebenjahrplan des Bezirkes Leipzig 1959–1965. Beschluß des Bezirkstages Nr. 58/III/59 vom 5.12.1959, hrsg. v. Rat des Bezirkes Leipzig, Leipzig 1960, S. 53. 150 Vgl. Sitzung des Rates der Stadt am 1.12.1959, StadtAL, StVuR (1), 19990, Bl. 62. 151 Vgl. SED-Stadtleitung, Abt. Sicherheitsfragen, Information, 18.5.1961, SächsStAL, 21145, IV/5/01/360, unp. 152 Vgl. „Mehr Hausreparaturen – aber wie?“, Denkschrift des VEB KWV, 26.11.1959, StadtAL, StVuR (1), 4943, Bl. 136–141.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

sichtigung fanden diese Vorschläge jedoch nicht. Der VEB KWV sowie genossenschaftliche und private Betriebe wurden auch künftig willkürlich eingesetzt, wobei das Reparaturprogramm immer an letzter Stelle stand. Ein Beispiel aus dem Jahr 1963, in dem rund 32,4 Millionen DM für Instandhaltungskapazitäten geplant waren, verdeutlicht den willkürlichen Umgang mit diesen Kapazitäten (Tab. 12). Tab. 12: Planerfüllung im Bereich Instandhaltung 1963 Ist per 31.8.1963

Soll per 31.12.1963

VEB KWV

18,3 %

29,5 %

PGH

2,0 %

7,8 %

Private Betriebe

15,9 %

62,7 %

GESAMT

36,2 %

100 %

Quelle: SED-Stadtleitung, Büro für Industrie und Bauwesen, AG Bauwesen, Einschätzung des Standes der Erfüllung des Reparaturprogrammes der Stadt Leipzig durch den Rat der Stadt und seine nachgeordnete Organe, 16.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 3593, Bl. 7.

Der VEB KWV trug auch weiterhin die Hauptlast der Instandhaltungen. Mit dem VEB Reparatur war jedoch ein weiterer Betrieb hinzugekommen, mit dem er um die wenigen Ressourcen im Bausektor konkurrieren musste. Dieser geriet jedoch selbst unter den Druck des Stadtbauamts. Da die beiden kommunalen Baubetriebe (VEB (K) Bau und VEB (K) Ausbau153) selbst unter hohen Verlusten arbeiteten154, musste der VEB Reparatur immer wieder im Wohnungsneubau aushelfen.155 Schon ein Jahr nach Anlaufen des Siebenjahrplanes hatte die Stimmung in den Stadtbezirksbauämtern einen Tiefpunkt erreicht. Kritik wurde vor allem an den Beschlüssen der SED laut, die „Mist“ seien und sich letztlich „gegen die Interessen der Werktätigen“ richten würden.156

153 Der VEB (K) Ausbau wurde 1957 als Spezialbetrieb für Baunebengewerke geschaffen und ging bereits 1962 wieder zusammen mit dem VEB (K) Bau im VEB Baukombinat (St.) auf. Vgl. Horst Siegel, Leipzig und sein Wohnungsbauprogramm. Zur Entwicklung und Gestaltung der Stadt Leipzig seit Bestehen der DDR, in: Leipzig: Aus Vergangenheit und Gegenwart, Beiträge zur Stadtgeschichte 3, 1984, Heft 5/6, S. 37. 154 1961 belief sich der Produktionsrückstand des VEB (K) Bau auf 7 Millionen DM bei einem Finanzrückstand von 4 Millionen DM. Beim VEB (K) Ausbau betrugen die Werte 1,2 Millionen DM und 1 Millionen DM. Vgl. Rat der Stadt, Stadtbauamt, Material über die Wohnraumlage in der Stadt Leipzig, 3.3.1961, StadtAL, StVuR (1), 13443, Bl. 188–190. 155 Vgl. Beschlussvorlage des Stadtbauamtes, Sachgebiet Stadtbezirke, 24.10.1960, StadtAL, StVuR (1), 4943, Bl. 160. 156 Rat der Stadt, Stadtbauamt, Sachgebiet Stadtbezirke an die Parteileitung im Hause, 11.11.1960, Ebd., Bl. 176.

2. Wohnungspolitik in der Wirtschaftsmetropole: Die Ära Ulbricht

299

Die Bildung des VEB Baureparaturen und eines Hauptplanträgers Werterhaltung Nach dem 17. Juni 1953 und dem Siebenjahrplan erhielt der lokale Reparatursektor auch im Rahmen des NÖS eine abermalige politische und institutionelle Aufwertung, nachdem Walter Ulbricht auf dem VI. Parteitag der SED die „Erhaltung und Modernisierung der Wohnungen in den Altbaugebieten“ zu einem wichtigen Anliegen seines Wirtschaftsprogramms erklärt hatte.157 Die Umsetzung dieser Vorgabe sollte vor allem durch spezialisierte Reparaturbetriebe unter Anleitung der Stadtbauämter geschehen.158 Für die Leipziger Stadtverwaltung bedeutete dies praktisch, den VEB (K) Reparatur zum „Hauptauftragnehmer für die komplex-territoriale Gebäudeinstandsetzung“ sowie zum „Leitbetrieb für wissenschaftlich-technischen Fortschritt“ entwickeln zu müssen. Parallel wurde in der Abteilung Wohnungswirtschaft ein Hauptplanträger Werterhaltung geschaffen, der künftig die Koordination der Baureparaturen an Wohngebäuden organisieren sollte. Instandsetzungsmaßnahmen fielen somit seither in die Verantwortung des Stadtbauamts, Instandhaltungsarbeiten sowie „Klein- und Kleinstreparaturen“ dagegen in den Bereich des Wohnungsamts. Dies bedeutete zwar eine partielle Entflechtung, in der Praxis aber entschied das Stadtbauamt trotz der Bildung des Hauptplanträgers Werterhaltung über den Einsatz der Kapazitäten. So orientierten sich die Richtlinien für die Tätigkeit des VEB (K) Reparatur am Primat des Wohnungsneubaus. Nach einer zentralen Direktive vom 21. August 1963 sollten die Reparaturbetriebe aus „örtlichen Reserven“ gebildet werden und keine zusätzlichen Arbeitskräfte erforderlich machen, sondern auf der Basis „rationeller Auslastung“ der Baukapazitäten und gesteigerter Arbeitsproduktivität arbeiten. Zudem sollten Reparaturen nur durchgeführt werden, wenn eine längere Nutzungsdauer der Gebäude zu erwarten war oder die Standorte wirtschaftspolitisch bedeutsam waren.159 Diese interne Anweisung zeigt, dass Ulbrichts Aussagen auf dem VI. Parteitag keineswegs die Grundlage für eine den lokalen Bedürfnissen angemessene Sanierungspraxis boten. Zudem gingen die zentralen Vorgaben zur Bildung des Reparaturbetriebes völlig an den örtlichen Realitäten vorbei, wie ein nur wenige Wochen vor der Direktive abgefasster Problembericht des VEB (K) Reparatur zeigt. Darin beklagte der Betrieb vor allem die massiven personellen Probleme. Unter den Leitungskadern befand sich nur ein (unzufriedener) Bauingenieur, unter den Meistern fehlte es dagegen an Nachwuchskräften, sodass besonders diese mittlere Ebene durch starke Überalterung und Qualifikationsmängel gekennzeichnet war. Unter diesen Bedingungen hatte sich ein eigenes Regime innerhalb des Betriebes entwickelt, in welchem die Aufgaben nach persönlichen Fähigkeiten, nicht aber nach Zuständigkeiten verteilt waren.160 Die Betriebsleitung hatte hierauf kaum Einfluss. Besonders erschwerend aber wirkten sich die Diskrepanzen zwischen den eingeplanten Sortimenten und der 157 Vgl. Ulbricht, Neue Fragen des ökonomischen Systems, in: Ulbricht, Zum ökonomischen System, S. 121. 158 Vgl. Hoffmann, Wohnungspolitik der DDR, S. 99. 159 Vgl. Ministerrat der DDR, Vorläufige Direktive zu Fragen der Wohnungsbaupolitik, 21.8.1963, StadtAL, StVuR (1), 3532, Bl. 66. 160 Vgl. SED-Stadtleitung, Büro für Industrie und Bauwesen, AG Bauwesen, Einschätzung des

300

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Beauflagung des Stadtbauamts aus161, denn das eigentlich für Werterhaltungsmaßnahmen eingeplante Material kam häufiger auf Wohnungsbaustellen oder im Stadtzentrum zum Einsatz (Tab. 13). Für die eigentlich geplanten Reparaturen blieb dagegen nur ein Bruchteil des Materials übrig. Tab. 13: Plan und Objektbeauflagung des VEB (K) Reparatur Leipzig 1963 (in DM) Plan

Objektbeauflagung

Lückenbebauung

840.000

200.000

Schornsteininstandsetzung

550.000

430.000

Mauerwerksisolierung

83.000

150.000

Maschinelles Putzen

165.000

38.000

Generalreparaturen im Wohnungsbau

700.000

1.033.500

Generalreparaturen und Reparaturen im Industriebau

667.000

1.378.400

Sonstige Reparaturen (Überhänge, Notstände usw.) – davon Bevölkerungsbedarf (Reparaturstützpunkte) – Restarbeiten aus dem letzten Jahr

1.955.000 925.000 1.000.000

1.778.600 637.000 1.141.400

GESAMT

4.960.000

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Quelle: Bericht des VEB (K) Reparatur Leipzig an den Rat der Stadt Leipzig über das Planund Betriebsgeschehen in der Zeit vom 1.1.–31.7.1963, StadtAL, StVuR (1), 2114, Bl. 150 f.

Der VEB (K) Reparatur wurde mitunter auch außerhalb des Stadtgebietes eingesetzt. So arbeitete der Betrieb etwa 1963 auf Anordnung des Rates des Bezirks an einem Schweinestall in Taucha sowie am Wohnungsbaustandort Blumberg.162 Kritik an den „Machenschaften von einigen Abteilungsleitern“163 im Stadtbauamt kam dabei nicht nur vom VEB KWV und dem Stadtbezirksbauamt Nordost, sondern zunehmend auch von der SED-Stadtleitung.164 Solang das Stadtbauamt aber den Rückhalt durch übergeordnete Organe und deren städtebaulichen Präferenzen genoss, blieben solche Forderungen auf dem Papier stehen. Das galt auch für die nachlässige Eingabenbearbeitung des Stadtbauamtes, das sich hierfür nicht zuständig sah.165 Offensichtlich war jedoch, dass immer mehr Eingaben Reparaturprobleme beinhalteten, für welche das Stadtbauamt seit Jahresbeginn 1964 offiziell ver-

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Standes der Erfüllung des Reparaturprogrammes der Stadt Leipzig durch den Rat der Stadt und seine nachgeordnete Organe, 16.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 3593, Bl. 12. Vgl. Bericht des VEB (K) Reparatur Leipzig an den Rat der Stadt Leipzig über das Plan- und Betriebsgeschehen in der Zeit vom 1.1.–31.7.1963, StadtAL, StVuR (1), 2114, Bl. 145–155. Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Einsatz des VEB (K) Reparatur, 2.5.1963, StadtAL, StVuR (1), 1540, Bl. 217. Vgl. Rat des Stadtbezirkes Nordost, Sekretär des Rates an Stadtbaudirektor Lucas, 26.4.1963, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 158. Vgl. SED-Stadtleitung, Büro für Industrie und Bauwesen, AG Bauwesen, Einschätzung des Standes der Erfüllung des Reparaturprogrammes der Stadt Leipzig durch den Rat der Stadt und seine nachgeordnete Organe, 16.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 3593, Bl. 9. Vgl. Bericht über die Bearbeitung der Eingaben während der Wahlbewegung im Stadtbauamt und im Stadtbezirksbauamt Südwest, 24.2.1964, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 67.

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antwortlich zeichnete.166 Die langfristigen Folgen der faktischen Marginalisierung des Reparatursektors ließen sich nun kaum noch verbergen. Gerade in den Stadtbezirken Mitte und Südwest, die immer mehr zu Sorgenkindern der Stadtentwicklung wurden, registrierte man anlässlich der Volkskammerwahlen 1967 eine spürbare Zunahme an Wahlverweigerern wegen ungelösten Reparaturproblemen.167 Es glich dabei schon fast einer Ironie des Schicksals, als wenige Monate vor der Wahl im Stadtbezirk Mitte bekannt wurde, dass der Technische Direktor des VEB Baureparaturen für seine Sekretärin eine 2 ½-Zimmer-Wohnung (Vollkomfort) mithilfe von Kapazitäten seines Betriebes ausbauen lassen hatte.168 Legitimationsverlust: Werterhaltung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Nicht erst die Volkskammerwahl des Jahres 1967 hatte den Verantwortlichen vor Ort ins Bewusstsein gerufen, dass Altbausanierung unlängst zu einem örtlichen Konfliktfeld geworden war. Die SED baute auf diesem Gebiet einen gewichtigen Teil ihrer Legitimationsstrategie auf, entsprechend hoch waren die Erwartungen in der Bevölkerung. Bereits anlässlich der Kommunalwahlen 1965 wurde den Offiziellen in Leipzig deshalb offensiv mit Wahlverweigerung gedroht. Zuvor hatte die SEDBezirksleitung mit dem Thema Werterhaltung für Zustimmung geworben. Auf einer Wahlkundgebung im Felsenkeller hielt der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Paul Fröhlich, Oberbürgermeister Walter Kresse vor den Augen von über 1.000 Zuschauern spöttisch entgegen: „Genosse Oberbürgermeister, wenn man Dir das Rathaus wegnehmen würde, dann könntest Du auch nicht mehr regieren.“169 Noch wenige Monate vor der Wahl hatte Kresse die Arbeit des VEB Baureparaturen, der seine Bauleistungen seit 1962 auf 190 Prozent gesteigert habe, vor den Stadtverordneten gelobt.170 Nun sah er sich angesichts der Kommunalwahl zum Handeln veranlasst. Auf der sich anschließenden konstituierenden Stadtverordnetensitzung am 25. Oktober 1965 kündigte er deshalb an, dass man Schluss damit machen müsse, „daß alle Hinweise auf bestimmte Mängel mit Eingriffen in das Programm begründet und das Stadtzentrum oder der Wohnungsneubau für die mangelhafte Arbeit im Reparaturprogramm vorgeschoben werden“.171 Die Frage nach den Mitteln ließ Kresse indes offen, wusste er doch um die geringen Handlungsspielräume der Stadtverwaltung. Ein Ansatz bestand darin, einen komplexen Hauptplanträger zu bilden, der unab166 Vgl. ABI, Stadtinspektion, Bericht über die durchgeführte Kontrolle der Leitungstätigkeit der örtlichen Staatsorgane in der Stadt Leipzig zur Durchführung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Werterhaltung und Baureparaturen, 17.10.1968, SächsStAL, 20301, 557, unp. 167 Vgl. SED-Stadtleitung, Abt. Parteiorgane, Analyse über Nichtwähler, 12.7.1967, SächsStAL, 21145, IV/A/5/01/253, Bd. 1, unp. 168 Vgl. ABI, Stadtinspektion, Information über den Ausbau einer Dachgeschoßwohnung – Nikischplatz 1 durch den VEB Baureparaturen Leipzig, 13.4.1967, SächsStAL, 20301, 557, unp. 169 Vgl. Wahlkundgebung mit Paul Fröhlich im Felsenkeller Leipzig, 22.9.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/2/040, unp. 170 Vgl. Sitzung der Stadtverordneten am 26.7.1965, StadtAL, StVuR (1), 248, Bl. 21. 171 Sitzung der Stadtverordneten am 25.10.1965, StadtAL, StVuR (1), 249, Bl. 79.

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hängig von Wohnungs- oder Stadtbauamt arbeitete.172 Von Seiten der Stadtbezirke wünschte man sich dagegen einen stärkeren Einfluss auf das private und genossenschaftliche Handwerk, da dieses oftmals nicht „plantreu“ arbeitete, mitunter Kapazitäten drosselte und sich weigerte, Einsatzorte kurzfristig zu wechseln.173 Derartige Vorschläge scheiterten aber immer wieder am Hinzukommen neuer Bauaufgaben im Stadtzentrum sowie an divergierenden Interessen. Noch im April 1971 forderte der Stadtbezirksbürgermeister Mitte, Ernst Wende, auf einer Stadtbezirksdelegiertenkonferenz vehement, den Stadtbezirksräten die „volle Verantwortung“ für die städtischen Handwerksbetriebe zu übertragen, um diese zu einer Erhöhung ihrer Leistungen zu zwingen.174 Das private Handwerk selbst war allerdings auf dem absteigenden Ast. Immer mehr Handwerks­ und Kleinindustriebetriebe fielen durch Tod bzw. wegen fortgeschrittenem Alter der Inhaber weg. Die wenigsten Betriebe wurden übernommen, da es unter den Bedingungen der Planwirtschaft an Anreizen fehlte bzw. durch die SED-Führung immer wieder Hürden, wie etwa ein erneuertes Handwerksteuergesetz (1966)175, aufgestellt wurden. So standen im Bezirk Leipzig den zwischen Juli 1967 und Juni 1968 aufgegebenen 617 Handwerksbetrieben nur 240 Neugründungen gegenüber. Bei Kleinindustriebetrieben des Bauhaupt- und Baunebengewerkes betrug das Verhältnis 92 zu 46.176 Die staatlichen Stellen versuchten, diese Entwicklung nicht zuletzt durch die verstärkte Einbeziehung der Bevölkerung zu kompensieren. So hatte es auch Paul Fröhlich auf der Wahlveranstaltung 1965 gefordert.177 Hierbei mangelte es jedoch vor allem an Arbeitskräften zur Unterhaltung der eingerichteten Materialstützpunkte für den Bevölkerungsbedarf. Grundsätzlich zeigten sich viele Bürger bereit, das Angebot anzunehmen. Durch den Mangel an Arbeitskräften aber entstanden oftmals lange Wartezeiten, die wiederum politisch tabuisiert waren. Ein Repara-

172 Vorschläge und Hinweise an den Rat der Stadt Leipzig zur Verwirklichung des Erlasses des Staatsrates vom 2.7.1965 auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft und des Bauwesens, o. D., StadtAL, StVuR (1), 15518, Bl. 35–37. 173 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Südost, Bericht über Vorschläge zur Unterstellung von Reparaturbetrieben unter die Räte der Stadtbezirke sowie der systematischen Einbeziehung der Feierabendtätigkeit in das Werterhaltungsprogramm der Wohnraumsubstanz, 10.8.1966, StadtAL, StVuR (1), 16047, Bl. 43–45. 174 Vgl. Auszug aus dem Diskussionsbeitrag des Genossen Ernst Wende, Stadtbezirksbürgermeister, auf der Stadtbezirksdelegiertenkonferenz Leipzig-Nordost am 24./25.4.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/6/395, unp. 175 Vgl. Gesetz über die Besteuerung der Handwerker vom 16. März 1966, in: Gesetzblatt der DDR 1966, Teil I, S. 71–73. Dass das Handwerksteuergesetz unter Handwerkern vor allem Skepsis auslöste und damit Gegenstand zahlreicher Eingaben wurde, zeigt ein Hinweis Mary Fulbrooks. Vgl. Mary Fulbrook, The People’s State. East German Society form Hitler to Honecker, New Haven etc. 2005, S. 279, 328 (Fn. 30). 176 Vgl. ABI, Stadtinspektion, Bericht über die durchgeführte Kontrolle der Leitungstätigkeit der örtlichen Staatsorgane in der Stadt Leipzig zur Durchführung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Werterhaltung und Baureparaturen, 17.10.1968, SächsStAL, 20301, 557, unp. 177 Wahlkundgebung mit Paul Fröhlich im Felsenkeller Leipzig, 22.9.1965, SächsStAL, 21123, IV/A/2/2/040, unp.

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turstützpunkt war sogar nur sechs Stunden pro Woche geöffnet.178 Auch bei der Materialausgabe fehlte es an jeglicher Ordnung. Vor allem erwiesen sich die Stadtbezirksbauämter als Problem, denn diese weigerten sich oftmals, Kapazitäten freizugeben. So sei das kontingentierte Material erst auf Druck der Wohnungsverwaltungen von den Stadtbezirksbauämtern zugewiesen worden.179 Dagegen verwiesen die Stadtbezirke auf Feierabendbrigaden, die gegen Entgelt kleinere Reparaturarbeiten erledigen konnten.180 Die Brigadearbeiter setzten in der Praxis jedoch entweder private Kapazitäten (Handwerkzeuge) ein oder benutzten die Werkzeuge ihrer Betriebe, sofern diese es ihnen gestatteten.181 Auch mangelte es der Stadtverwaltung deshalb wohl an Entschlusskraft, die zentrale Steuerung der Brigaden vor Ort durchzusetzen. Zudem unterstanden nur wenige Brigaden dem VEB KWV direkt. Viele waren ihren Betrieben unterstellt, andere wiederum entbehrten einer sie kontrollierenden Instanz völlig.182 Auch die Praxis der Werterhaltung illustriert die widersprüchlichen Auswirkungen der extensiven Wirtschaftspolitik, in deren Zentrum auch Leipzig stand. Als Bezirks- und Messestadt sollte Leipzig zudem repräsentativ umgestaltet werden. Dem hatte sich das gesamte Baugeschehen, auch der Reparatursektor, unterzuordnen. Aus Gründen der Legitimation übertrug man den kommunalen Behörden parallel jedoch immer mehr Aufgaben auf diesem Gebiet, was die Zentrale zugleich entlastete, die Stadt aber unter massiven Druck setzte. Parallel dienten die Werterhaltungskapazitäten stets der Kompensation anderer Engpässe, insofern ermöglichten sie Handlungsspielräume auf anderen Gebieten. Bei der Bevölkerung stießen die Konsequenzen dieser Praxis aber bereits seit Mitte der 1960er Jahre auf zunehmenden Unmut, dem man vor Ort kaum noch adäquat zu begegnen wusste.

178 Vgl. SED-Stadtleitung, Büro für Industrie und Bauwesen, AG Bauwesen, Einschätzung des Standes der Erfüllung des Reparaturprogrammes der Stadt Leipzig durch den Rat der Stadt und seine nachgeordnete Organe, 16.9.1963, StadtAL, StVuR (1), 3593, Bl. 11. 179 Vgl. Minister für die Anleitung und Kontrolle der Bezirks- und Kreisräte an das ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, 3.8.1964, SAPMO-BArch, DY 30/IV A 2/13/69, Bl. 18. 180 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Südost, Bericht über Vorschläge zur Unterstellung von Reparaturbetrieben unter die Räte der Stadtbezirke sowie der systematischen Einbeziehung der Feierabendtätigkeit in das Werterhaltungsprogramm der Wohnraumsubstanz, 10.8.1966, StadtAL, StVuR (1), Bl. 46 f. 181 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Einschätzung der Stadtbezirksversammlung Nordost am 11.3.1964, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 64. 182 Vgl. ABI, Stadtinspektion, Bericht zur Überprüfung der eingeleiteten Maßnahmen durch die örtlichen Räte zur Sicherung der Verteilung der Bau- und Reparaturmaterialien und zur Abdeckung der Baukapazitäten für Reparaturen und Werterhaltung, 27.6.1966, SächsStAL, 20301, 557, unp.

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3. WOHNUNGSPOLITIK IN DER ABSTEIGENDEN METROPOLE: DIE ÄRA HONECKER 3.1 Zugewinn an Steuerung? Wohnungspolitik nach dem VIII. Parteitag Aus Sicht der SED markierte der VIII. Parteitag eine „Wende in der Politik der Partei, insbesondere der Wirtschafts- und Sozialpolitik“.183 Obwohl die SED mit ihrer Losung von der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ vor allem den Wohnungsneubau im Blick hatte, blieb der VIII. Parteitag auch für die Wohnungsämter in den Kommunen nicht folgenlos. Am 3. März 1972 beschloss das Politbüro seine „Vorschläge zur Verbesserung der Wohnverhältnisse der Werktätigen“. Diese konzentrierten sich vor allem auf Mietpreise, Mietbeihilfen und Zuteilungskriterien für Neubauwohnungen, die nun zu 60 Prozent an Produktionsarbeiter vergeben werden sollten. Überdies bekräftigte er noch einmal die bevorzugte Versorgung von kinderreichen Familien, wie sie bereits die WRLVO von 1967 festgelegt hatte. Organisatorische Fragen berührten die „Vorschläge“ indes nicht. Jedoch stellten sie die Wohnungsämter nun stärker unter die Kontrolle der Arbeiter-und-BauernInspektion (ABI).184 Dieser Aspekt wurde in der offiziellen Druckfassung vom 10. Mai 1972 zwar herausgestrichen185, hatte aber unmittelbare Auswirkungen auf die Herrschaftspraxis in den städtischen Wohnungsbehörden. Schon im September 1971 aber hatte der Rat der Stadt Leipzig selbst auf den VIII. Parteitag reagiert. Auf der 9. Stadtverordnetenversammlung präsentierte der Rat einen Beschluss über die „weiteren Maßnahmen zur Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages auf dem Gebiet der sozialistischen Wohnungspolitik“. Dieser sah eine Verstärkung der staatlichen Einflussnahme vor. So sollten die Räte der Stadtbezirke künftig für die gesamte „rationelle Auslastung und Nutzung“ des Wohnraums verantwortlich sein, d. h. auch sämtliche Wohnungsanträge bearbeiten, die zuvor bei den Betrieben bzw. AWG bearbeitet worden waren.186 Auf dieser Basis arbeitete der Rat der Stadt eine „Ordnung über die Vergabe, den Tausch und die Lenkung des Wohnraumes“ aus, die am 3. November 1971 Gültigkeit erhielt. Darin wurde das sich erhöhende Aufgabenspektrum der Stadtbezirke konkretisiert. Ihnen wurde aufgetragen, künftig für die Erarbeitung von Übersichten zum Wohnungsbestand, Lenkungsplänen, (namentlichen) Vergabeplänen und Analysen über leerstehenden sowie zweckentfremdeten Wohnraum voll verantwortlich zu sein. Überdies sollten sie Wohnungstausche fördern und Manipulationen aktiv verhindern. Unterstützung sollten sie von ehrenamtlichen Wohnungskommissionen 183 Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus, Berlin (Ost) 1978, S. 563. 184 Vgl. Vorschläge zur Verbesserung der Wohnverhältnisse der Werktätigen, 3.3.1972, SAPMOBArch, DY 30/J IV 2/2A/1581, Bl. 39 f. 185 Vgl. Verordnung zur Verbesserung der Wohnverhältnisse der Arbeiter, Angestellten und Genossenschaftsbauern vom 10. Mai 1972, in: Gesetzblatt der DDR 1972, Teil II, S. 318 f. 186 Vgl. Weitere Maßnahmen zur Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED auf dem Gebiet der sozialistischen Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig, 11.10.1971, StadtAL, StVuR (2), 18607, Bl. 242–244.

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sowie den Betrieben ohne eigene Wohnraumlenkung erhalten, wobei letzteren das Vorschlagsrecht für Zuteilungen, Instandsetzungsmaßnahmen, Um- und Ausbauwohnungen usw. gewährt wurde. Nichtsdestotrotz behielt sich der Rat der Stadt weiterhin die Möglichkeit vor, in „Ausnahmefällen“ Sonderauflagen zu erteilen.187 Bis Jahresende 1971 wurden außerdem noch drei weitere Einzelverordnungen zur Erfassung „überbelegten“ Wohnraumes, zur Aufhebung der Garagenbewirtschaftung sowie zur Bearbeitung und Überleitung von Wohnungsanträgen mittlerer Betriebe an die zuständigen Stadtbezirke erlassen.188 Der Rat der Stadt betrachtete den VIII. Parteitag somit zunächst als Signal zur Durchführung überfälliger Organisationsmaßnahmen, die in den 1960er Jahren bereits angedacht worden waren, aber keine Erfolgsaussichten hatten. Kritik an diesem Vorhaben kam indes aus den Reihen der SED-Grundorganisation. In einem internen Positionspapier gaben die vorwiegend in den Wohnungsämtern selbst arbeitenden Genossen zu bedenken, „dass die Maßnahmen nicht dazu angetan sein werden, die Wohnungspolitik besser als bisher durchzuführen“.189 Vor allem fehlte es zur Umsetzung des Programms an den notwendigen Voraussetzungen. Im Stadtbezirk Südwest etwa arbeitete man noch 1971 mit einer Wohnraumkartei, die sich auf dem Stand von 1948 befand.190 Im selben Jahre noch musste der Rat der Stadt dem Rat des Stadtbezirks Mitte 34.000 M zur Verfügung stellen, mit denen ehrenamtliche Helfer zum Aufbau einer aktuellen Wohnraumkartei rekrutiert werden sollten. Da sich aber kaum freiwillige Helfer finden ließen, zahlte der zuständige Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik 20.000 M an Kollegen, Freunde und Verwandte aus, die letztlich die Kartei erarbeiteten, ohne aber jemals eine der Wohnungen auf ihren tatsächlichen Zustand hin überprüft zu haben.191 Ein sowohl ideologisches als auch verwaltungstechnisches Problem waren dauerhaft leerstehende Wohnungen. Im Stadtbezirk Nord standen Wohnungen, einer Berechnung aus dem Jahre 1973 zufolge, durchschnittlich 7,9 Monate leer.192 Dadurch erwuchsen Mietern und Eigentümern etliche Spielräume, die sich von der Stadtverwaltung kaum kontrollieren ließen. So wurde bei einer Kontrolle im Stadtbezirk West 1978 festgestellt, dass von 462 als leerstehend gekennzeichneten Wohnungen nur 29 tatsächlich leer standen. Alle anderen waren entweder neu belegt (ohne dass dies vermerkt worden war), wurden zweckentfremdet genutzt, befanden sich bereits im 187 Vgl. Ordnung über die Vergabe, den Tausch und die Lenkung des Wohnraumes vom 3.11.1971, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp. 188 Zu den Verordnungen vgl. Ebd., unp. 189 Sekretär der APO 3, Bericht über die durchgeführte Gruppenversammlung am 13.9.1971, 14.9.1971, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/06, unp. 190 Vgl. ABI Bezirkskomitee, Bericht über die Ergebnisse der Kontrolle der Eingabenarbeit beim Rat des Stadtbezirkes Südwest, insbesondere auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft, 16.11.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/4/01/234, unp. 191 Vgl. SED-SPKK, Anruf des Genossen Heinz Fröhlich, SED-Stadtbezirksleitung Mitte, 20.1.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp. 192 Vgl. ABI, Stadtbezirkskomitee Nord, Bericht von der Weiterführung der Überprüfung zur Verbesserung der Wohnverhältnisse kinderreicher Familien und über die Durchführung gezielter Kontrollen zu ausgewählten Schwerpunkten der sozialistischen Wohnungspolitik, 31.10.1973, SächsStAL, 20301, 658, unp.

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Um- und Ausbau, waren verworfen, illegal bezogen oder existierten schlicht nicht mehr, da sie bereits mit anderen Wohnungen zusammengelegt worden waren.193 Andererseits wurden Wohnungen beim Auszug oftmals nicht frei gemeldet, sondern entweder durch die (privaten) Vermieter neu belegt, um dauerhaften Leerstand zu verhindern, oder im Bekannten- und Verwandtenkreis weitergegeben. Bekannt wurden leerstehende Wohnungen häufig nur durch Wohnungssuchende selbst, die sich im Gegenzug dafür eine Zuweisung erhofften194, durch ABI-Kontrollen oder zufällig. So registrierte etwa die Kreisdienststelle des MfS während der Vorbereitungen zur Kommunalwahl 1989 allein in einem Wahlkreis „mindestens“ 300 bereits geräumte Wohnungen, deren Leerstand den Behörden nicht bekannt war. Viele von diesen wurden als noch bewohnbar eingestuft.195 Zwischen den Leitungskadern des Rates der Stadt und den Mitarbeitern der Abteilung Wohnungspolitik bestand somit kein einheitlicher Konsens über die Interpretation des VIII. Parteitages. Der Rat der Stadt aber genoss zunächst noch den Rückhalt des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung, Horst Schumann, der den Genossen des Wohnungsamtes im Frühjahr 1972 mahnend vorhielt, „daß man beim Rat der Stadt in der Abteilung Wohnungspolitik drei Monate benötigte, um die 9. Stadtverordnetenversammlung auszuwerten“.196 Den Befürchtungen der Genossen aus der SED-Grundorganisation, nämlich dass die neuen Maßnahmen in erster Linie zu Warteschlagen vor den Sprechzimmern, einem Anstieg der Fluktuation unter den Mitarbeitern sowie einer Zunahme von Unmut in der Bevölkerung führen würden197, wurde keine Beachtung geschenkt. Mit der Unterstützung Schumanns versuchte der Rat der Stadt Leipzig indes, dem erhöhten Verwaltungsaufwand durch Rationalisierungsmaßnahmen nachzukommen. Im Januar 1972 etwa wurden zwei Strukturvarianten unterbreitet, die darauf abzielten, alle den städtischen Wohnungsbehörden „nicht zustehenden“ Aufgaben an andere Behörden abzugeben. Dies betraf bautechnische Aufgaben der Werterhaltung, koordinierende Aufgaben des Hauptplanträgers Werterhaltung, die Planung der Werterhaltung, Kontrolle der Planabrechnungen sowie die Bearbeitung von Anträgen zum Eigenheimbau.198 Diesen Vorschlag umzusetzen, hätte jedoch bedeutet, die auszugliedernden Aufga193 Vgl. ABI, Stadtkomitee, Information über die Kontrolle einiger Probleme der zweckmäßigen Ausnutzung des Wohnungsfonds und der ordnungsgemäßen Vergabe von Wohnraum, 9.10.1978, SächsStAL, 20301, 502, unp. 194 Vgl. Stadtparteikontrollkommission, Einschätzung und Fakten aus ABI-Berichten, 1.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp. 195 Vgl. KD Leipzig, Ref. XX/3, Bericht über die im Dezember 1988 durchgeführten Wohnungskontrollen im Stadtbezirk Mitte, Wahlkreis 11, 8.6.1989, BStU, MfS, BV Lpz., KD LeipzigStadt, 00184, Bl. 2. 196 Vgl. SächsStAL, 21145, IV/C5/01/150, unp. 197 Vgl. Sekretär der APO 3, Bericht über die durchgeführte Gruppenversammlung am 13.9.1971, 14.9.1971, SächsStAL, 21479, IV/B/7/139/06, unp. 198 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Gruppe Datenverarbeitung, Bericht zur durchgeführten Untersuchung in der Abteilung Wohnraum- und Gewerberaumlenkung mit dem Ziel Schaffung von Voraussetzungen zur Durchführung einer effektiven Wohnraum- und Gewerberaumlenkung auf der Grundlage einschlägiger Gesetze und Beschlüsse, 24.1.1972, StadtAL, StVuR, 21852, Bl. 41.

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ben dem Stadtbauamt zu übertragen, das, trotz der Berechtigung dieses Vorschlags, hierfür freilich keine Kapazitäten hatte. Damit verschwanden diese und spätere Vorschläge in den Schubladen des Rates der Stadt. Der Arbeitsalltag in den Stadtbezirken war in den Folgejahren mehr als zuvor durch die tagtägliche Kommunikation und Konfrontation mit wohnungssuchenden Bürgern geprägt. Allein an einem Sprechstundentag im Stadtbezirk Süd wurden 1974 484 Besucher und 348 Telefonanrufe gezählt. Hinzu kamen täglich 80 zu beantwortende Schreiben.199 Auch im Stadtbezirk Südwest entfielen 1971 jeden Tag 130 Besucher auf einen Mitarbeiter. So entstanden auch die Vergabepläne häufiger auf der Basis der Sprechstundenbesuche als auf der Grundlage sozialpolitischer Erwägungen.200 Im Stadtbezirk Süd handelte man vor allem nach der Devise: „Wer schreit, wer schreibt, wer Instanzen kennt, der kommt mit seinen Forderungen durch!“201 Obwohl die SED-Führung erst im Frühjahr die Erhöhung der Kontrolltätigkeit durch die ABI beschlossen hatte, zeigte sich in Leipzig angesichts des Verwaltungschaos schon in den ersten Monaten nach dem VIII. Parteitag eine deutliche Dauerpräsenz von ABI und SED-Parteikontrollkommissionen in den Wohnungsämtern. In vielen Stadtbezirken stieß dieser Schritt freilich nicht auf Gegenliebe. Dabei kam es sogar vor, dass man der ABI, wie im Stadtbezirk Süd im November 1971, den Einlass verweigerte.202 Das Verhältnis der Wohnungsbehörden zu den Kontrollorganen war jedoch keineswegs einseitig negativ geprägt. So konnte die ABI punktuell zur Abschwächung von Strukturdefiziten beitragen. Etwa lieferten ihre Berichte immer auch unverzichtbare Informationen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht auf dem Dienstweg bekannt wurden. In ihren Schlussfolgerungen enthielten sie zudem praktische Lösungsvorschläge und deckten Gesetzeslücken im Hinblick auf Kompetenzabgrenzungen auf. Mitunter wurden die Kontrolleure der ABI auch helfend tätig. So registrierte und kontrollierte das Stadtkomitee der ABI im Sommer 1973 von sich aus 119 leerstehende Wohnungen im Stadtbezirk Süd, von denen der Rat des Stadtbezirks anschließend 44 unbürokratisch vergab.203 Der Koordinierungs- und Regelungsbedarf, der von den lokalen Behörden zunehmend auch auf der vertikalen Hierarchieebene artikuliert wurde, blieb von der SED-Führung bis zuletzt unbeachtet. Dennoch greift es zu kurz, den zentralen Apparat als verkrusteten monolithischen Block zu begreifen, der er aus Sicht der 199 Vgl. SED-SBPKK Süd, Untersuchung in der Grundorganisation des VEB GWL Süd, 14.10.1974–12.11.1974, 7.12.1974, SächsStAL, 21141, IV/C/5/05/102, unp. 200 Vgl. ABI, Bezirkskomitee, Bericht über die Ergebnisse der Kontrolle der Eingabenarbeit beim Rat des Stadtbezirkes Südwest, insbesondere auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft, 16.11.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/4/1/234, unp. 201 Untersuchung der Stadtparteikontrollkommission in den Räten der Stadtbezirke Süd und Nord, 25.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp. 202 Vgl. SED-SPKK, Information über Probleme der Leitungstätigkeit des Rates des Stadtbezirkes Süd und der Abteilung Wohnraumlenkung, die sich in der Bearbeitung der Eingabe der Genossin S. zeigen, 21.12.1971, Ebd., unp. 203 Vgl. ABI Stadtkomitee, Information über Ergebnisse der Weiterführung der Kontrolle zur Durchsetzung der sozialistischen Wohnungspolitik im Stadtbezirk Süd, insbesondere bei der Erschließung von Wohnraumreserven, 12.7.1973, SächsStAL, 20301, 501, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

lokalen Verwaltungsorgane vermeintlich war. In Berlin wurde dem Problem des Fehlens einer einheitlichen Ordnung auf dem Gebiet der Wohnraumlenkung und Wohnraumbewirtschaftung durchaus Beachtung geschenkt. Bezeichnenderweise war es zuerst die Zentrale der ABI, welche das Nicht-Funktionieren der Wohnungspolitik aufgrund der unübersichtlichen Gesetzeslage im Februar 1974 zu bedenken gab204, wodurch im ZK der SED eine interne Debatte ausgelöst wurde. Dabei ging man freilich vom Wohnungsbauprogramm aus, ohne dessen Berücksichtigung politische Forderungen kaum durchsetzbar waren. In dessen Verlauf war der jährliche Verwaltungsaufwand in der DDR bis 1976 um etwa 100.000 Wohnungen, parallel dazu auch der Bedarf an Instandsetzungskapazitäten gestiegen.205 Das erste vorläufige Ergebnis der sich an diesen Prämissen orientierenden internen Diskussionen war ein Beschluss des Ministerrates vom 21. Juli 1977 über „Maßnahmen zur besseren Gewährleistung der Erhaltung und Verwaltung des Wohnungsbestandes“, der auf Analysen der ZK-Abteilung Staat und Recht basierte. Dieser enthielt aber im Grunde nichts Neues, sondern stellte eher eine programmatische Zusammenfassung der Verantwortungsbereiche der Staatsorgane auf dem Gebiet der Wohnungspolitik dar. Die Aufschlüsselung der Kennziffern für die Wohnraumbewirtschaftung blieb weiterhin den lokalen Räten überlassen, ebenso wie die Entwicklung der Leistungsfähigkeit der Betriebe der kommunalen Wohnungsverwaltung sowie des Handwerks. Eine Reihe weiterer Festlegungen betraf schließlich die bereits zuvor vielfach beschworene „Einbeziehung der Werktätigen“ durch den Aufbau von „Macht-Mit!“-Zentralen, von Reparaturstützpunkten, Organisation von Reparaturschnelldiensten, Brigadeeinsätzen, mobiler Werkstätten, zentraler Servicebüros und den Abschluss von Mietermitverwaltungsverträgen. Auch die Möglichkeit zur Ausgliederung nicht-typischer Aufgaben aus dem Verantwortungsbereich des Betriebes war keineswegs neu und blieb letztlich den örtlichen Räten überlassen. Demgegenüber blieben die Pflichten der zentralen Staatsorgane begrenzt. Ihnen wurde lediglich auferlegt, die „komplexe Forschung“ in der Instandhaltung, Instandsetzung und Modernisierung zu verstärken sowie die Betriebe der kommunalen Wohnungsverwaltung mit Ausrüstung zu unterstützen.206 Der Ministerratsbeschluss vom 21. Juli 1977 hatte praktisch keinerlei Auswirkungen und, wie die Akten des ZK zeigen, maßen auch die verantwortlichen Funktionäre des ZK sowie des Ministerrates dem Beschluss keine wegweisende Bedeutung zu. Selbst der Jurist Günter Böhme kam zu dem Schluss, dass der Beschluss nicht geeignet sei, „größere Fortschritte auf dem Gebiet der Wohnraumerhaltung und -bewirtschaftung zu erreichen“.207 Böhme zweifelte sogar explizit die Univer204 Vgl. ABI Zentrale, Amt. Vorsitzender Stief an den Vorsitzenden des Ministerrates, Sindermann, 20.2.1974, SAPMO-Barch, DY 30/22385, unp. 205 Vgl. Analyse zur Vorlage: Vorschläge zur besseren Gewährleistung der Verwaltung und Erhaltung des Wohnungsfonds, o. D., Ebd., unp. 206 Vgl. Beschluss des Ministerrates vom 21.7.1977, Maßnahmen zur besseren Gewährleistung der Erhaltung und Verwaltung des Wohnungsbestandes, StadtAL, StVuR, 19448, Bl. 226–237. 207 ZK der SED, Abt. Staats- und Rechtsfragen, Sektor Parteiorgane, Stellungnahme zum Beschluß über Maßnahmen zur besseren Gewährleistung der Erhaltung und Verwaltung des Wohnungsbestandes (Vorlage für das Politbüro, 21.7.1977), 25.7.1977, SAPMO-BArch, DY 30/22385, unp.

3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

309

salbegründung für die Unzulänglichkeiten in der Wohnungspolitik an, die sich auch durch sämtliche Berichte der Parteikontrollverfahren zog: „Die ganze Sache wird so dargestellt, als würden die lokalen Staatsorgane die ihnen übertragene Verantwortung zur Verbesserung der Wohnbedingungen ungenügend wahrnehmen“.208 Eine interne Aussprache mit Fritz Scharfenstein, Leiter der Instrukteurabteilung beim Vorsitzenden des Ministerrates, im September 1977 lässt zudem erkennen, dass der Nutzen des Beschlusses auf Geheiß Erich Honeckers bewusst heruntergespielt wurde. So habe Scharfenstein auf die Frage eines ZK-Mitarbeiters, wie der Beschluss umgesetzt würde, „ungehalten“ reagiert. Der Vorsitzende des Ministerrats, Willi Stoph, „hätte ihm nach der Beschlußfassung persönlich gesagt, was zu machen sei und mehr werde er nicht veranlassen. […] Eine laufende Kontrolle, die einen ständigen Überblick über die Probleme der Erhaltung und Verwaltung der Gebäudefonds ermöglicht, werde er nicht und könne er nicht sichern“.209 Letztlich konnte der Beschluss, der im Übrigen zusammen mit der revidierten WRLVO von 1985 bis zuletzt die einzige zentral vorgegebene Richtlinie zur Durchführung der Wohnungspolitik blieb, wohl allenfalls symbolische Wirkung nach unten entfalten. Aus Sicht der städtischen Wohnungsbehörden verband sich mit dem VIII. Parteitag letztendlich keine „Wende“ in der lokalen Herrschaftspraxis. Wohl aber trug der zunehmende Rückgang der Aufmerksamkeit der SED-Führung gegenüber Leipzig zur Verschiebung des Handlungsrahmens bei. 3.2 Gratwanderungen und Pragmatismus: Wohnraumlenkung nach 1971 Privilegierung und Bedürfniszuwachs: „Sonderbedarfsträger“ und „Komfortverbesserungen“ Obwohl das Wohnungsbauprogramm nun vor allem Produktionsarbeitern und kinderreichen Familien zugutekommen sollte, war dessen Planung nicht an den örtlichen Bedarf gekoppelt. Vielmehr bemaß sich das Aufkommen an der Nachfrage zentral- und bezirksgeleiteter Betriebe, die wiederum durch AWG (insbesondere Bau-, Exportförder- und Zuliefererbetriebe), den Rat der Stadt und den Rat des Bezirks (Erweiterung des Kohleabbaugebietes südlich der Stadt, Planträger der Ministerien) versorgt wurden. Den Wohnungsbehörden der Stadtbezirke blieben zur Versorgung der restlichen Bevölkerung nur wenige Neubauwohnungen (Tab. 14). In den 1970er Jahren kam eine ganze Reihe von „Sonderbedarfsträgern“, etwa die bewaffneten Organe, hinzu, welche die „sozialistische Wohnungspolitik“ ebenfalls durch eigene Vorschriften unterwandern konnten. Diese privilegierten Gruppen überschritten nicht nur stets ihre Kontingente, sondern hatten auch die Möglichkeit, individuelle Wohnbedürfnisse durchzusetzen. So lag der Gesamtbedarf der bewaffneten Organe der Stadt Leipzig für die Jahre 1973–1975 bei 911 Wohnungen, von denen auf Weisung des Oberbürgermeisters allein 221 durch Freilenkung von Alt208 Ebd., unp. 209 Aktennotiz über die Aussprache mit Genossen Fritz Scharfenstein, Leiter der Instrukteurabteilung beim Vorsitzenden des Ministerrates, 12.9.1977, Ebd., unp.

310

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure Tab. 14: Vergabe von Neubauwohnungen in der Stadt Leipzig 1971–1986 1971–1979

1981–1986

Gesamt-Aufkommen

28.045

20.642

davon AWG

47,7 %

47,7 %

davon durch den Rat der Stadt / des Bezirks vergeben

43,6 %

33,8 %

davon durch die Räte der Stadtbezirke vergeben – Wohnungen – Rentnerwohnheimplätze

5,5 % 3,2 %

10,0 % 8,5 %

Quelle: Aufteilung der gebauten Neubauwohnungen 1971–1979, StadtAL, StVuR, 20651, Bl. 32; Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Verteilung der Neubauwohnungen 1981–1986, o. D., StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 15.

bauwohnungen in den Stadtbezirken Nord und Mitte gesichert werden sollten.210 Schließlich mussten die Stadtbezirke seit 1978, gestützt durch eine „Ordnung über Wohnraumversorgung der Berufssoldaten und Zivilbeschäftigten der NVA“ des Ministerrats vom 26. Juli 1973, jährlich 25 bis 30 qualitativ gute Wohnungen an bewaffnete Organe abgeben. Diese wurden anschließend von eigenen Standortwohnungskommissionen verwaltet und nachbelegt, auf welche die Verwaltungsbehörden der Stadt keinen Zugriff mehr hatten.211 Kompromisse waren nur mit vergleichsweise schwachen Verhandlungspartnern möglich; etwa der Reichsbahn. Deren Antragsvolumen am Dienstort Leipzig belief sich 1974 auf 1.066 Wohnungsanträge, von denen etwa 400 als „dringlich“ eingestuft wurden. In den Vergabeplan des Rates der Stadt waren jedoch nur 144 der Anträge aufgenommen worden.212 Dennoch lehnte der Stadtrat für Wohnungspolitik ein Gesuch der Reichsbahn ab, weitere Neubauwohnungen „außerplanmäßig“ zur Verfügung zu stellen, und verwies stattdessen darauf, dass dies den Wohnungssuchenden der Stadtbezirke gegenüber „ungerechtfertigt“ sei. Allerdings sicherte er dem Betrieb zu, Um- und Ausbauwohnungen durch die Räte der Stadtbezirke bereitstellen zu lassen.213 Eine andere Art von Kompromiss fand man mit dem Bezirksbaukombinat, dessen Arbeiter ebenfalls Vorrechte genossen. 1982 hatten sich alle Beteiligten darüber geeinigt, zwei Wohnscheiben des Wohngebietes Grünau in eigener Initiative zu bauen, da beide Objekte immer wieder wegen aufwendiger Gründungsarbeiten aus dem Plan gestrichen worden waren. Das Baukombinat stellte hierfür allerdings die Bedingung, dass diese Wohnungen nur an seine Werksangehörigen sowie an „Werktä-

210 Vgl. Konzeption des Rates der Stadt Leipzig zur Versorgung der bewaffneten Organe in der Stadt Leipzig in den Jahren 1973–75 mit Wohnraum, o. D., SächsStAL, 21123, IV/C/2/3/097, unp. 211 Vgl. exempl. StadtAL, SB Südost, 907. 212 Vgl. Rat des Bezirkes, Vorsitzender Opitz an den Oberbürgermeister Müller, 29.7.1974, StadtAL, StVuR, 20616, Bl. 132 f. 213 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Wilde an den Oberbürgermeister Müller, 24.10.1974, Ebd., Bl. 134 f.

3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

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tige“ von Kooperationspartnern vergeben werden sollten, was der Kombinatsleitung sogar von der SED-Bezirksleitung zugesichert worden war.214 So entstanden durch Sonderverordnungen und deren praktische Handhabe, aber auch durch informelle Übereinkünfte, Stadtgebiete, die fast nur noch für politisch bevorzugte Personen zugänglich waren, obgleich diese wiederum als Orte der „klassenlosen Gesellschaft“ galten.215 Segregationstendenzen waren die Folge. „Dringende Wohnungsfälle“ „verdienter“ Persönlichkeiten gingen zuweilen auch direkt über den Schreibtisch der Stadtbezirksbürgermeister. Im Stadtbezirk Mitte behielt sich der Stadtbezirksbürgermeister sogar persönlich das Recht vor, über sämtliche Wohnungsvergaben im Stadtzentrum zu entscheiden.216 Als Zielgruppen traten dabei vor allem lokale Funktionäre sowie deren Verwandte auf. Nur wenige hartnäckige Bürger, die sich mehrfach an übergeordnete Organe gewandt hatten, konnten mit etwas Glück direkt über die Stadtbezirksbürgermeister versorgt werden.217 Auf die damit verbundene Einengung des Handlungsspielraumes reagierten die Fachorgane zunehmend mit Eingriffen in die Privatsphäre ihrer Klientel; einerseits durch Förderung von Wohnungstauschen, andererseits durch Schaffung neuer Untermietverhältnisse. Beide Vorgehensweisen stießen bei den Adressaten aber immer mehr auf Kritik, denn auch bei den wohnungspolitisch benachteiligten Gruppen waren die Wohnbedürfnisse merklich gestiegen. Wohnungstausche verursachten so in der Praxis oftmals einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand, da es sich bei den zum Tausch angebotenen Objekten zumeist um Wohnungen minderer Qualität handelte. Im Jahr 1988 etwa mussten für 1.400 Tauschaktionen 35.000 Wohnungsangebote unterbreitet werden.218 In vielen Fällen mussten auch informelle Arrangements getätigt werden. Im Stadtbezirk Nord etwa konnten Wohnungstausche nur zwischen Wohnungssuchenden selbst initiiert werden. Für „Tauschwillige“ mussten die Sachbearbeiter wiederum auf das geringe Neubaukontingent zurückgreifen, um Anreize zu schaffen.219 Die Bereitschaft zum Tausch „unterbelegter“ Wohnungen gegen kleinere Mietbereiche oder zur Aufnahme von Untermie214 Vgl. Hausmitteilung Stadtrat Wiedemann an Oberbürgermeister Müller, 16.6.1983, StadtAL, StVuR, 17896, Bl. 115. 215 Vgl. Christoph Lorke, Soziale Utopien – Prekäre Viertel – Problematische Menschen? Perzeptionen urbaner Segregation im geteilten Deutschland, in: Thomas Großbölting / Rüdiger Schmidt (Hrsg.), Gedachte Stadt – Gebaute Stadt. Urbanität in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz 1945–1990, Köln etc. 2015, S. 267–299, hier S. 289. 216 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Stadtrat an den Oberbürgermeister, 15.6.1982, StadtAL, StVuR, 17895, Bl. 152. 217 Vgl. Rat des Stadt Stadtbezirkes West, Abt. Wohnungspolitik an den Stadtbezirksbürgermeister West, Übergabeprotokoll Nr. 7: Dringende Fälle, die beim Stadtbezirksbürgermeister laufen, 23.1.1984, StadtAL, SB West, 23, Bd. 2, Bl. 282 f. 218 Vgl. Rat der Stadt, Instrukteurabteilung, Kontrollbericht im Ergebnis der Untersuchung zur Verwirklichung des Beschlusses 0149 des Rates der Stadt vom 13.07.1988 – Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der sozialpolitischen Wirksamkeit der Wohnungspolitik und zur effektiven Nutzung und Erhaltung des Wohnungsfonds in der Stadt Leipzig, 5.12.1988, StadtAL, StVuR, 17900, Bl. 4. 219 Vgl. ABI, Stadtbezirkskomitee Nord, Bericht von der Kontrolle Wohnungswirtschaft, 13.6.1973, SächsStAL, 20301, 657, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

tern war in der Bevölkerung relativ gering. Auch zeigten Statistiken deutlich, dass Wohnnormen und Wohnbedürfnisse immer mehr auseinanderdrifteten. 1982 etwa wurden 23.860 Wohnungsanträge auf „Komfortverbesserung“, was rund die Hälfte aller registrierten Wohnungsanträge ausmachte, und 95.300 „unterbelegte“ Wohnungen gezählt.220 Den Offiziellen blieb aus politischen Gründen häufig nur die Möglichkeit, Bürger von der Notwendigkeit der Einhaltung der Belegungsnormen zu überzeugen. In vielen Fällen stießen die Mitarbeiter der Stadtbezirke bei entsprechenden Versuchen aber auf Ablehnung. Ein Teil der angesprochenen Mieter, insbesondere Rentner, war nur bereit, auf ihre Wohnungen zu verzichten, wenn die Behörden im Gegenzug kleinere Komfort-Wohnungen anboten221, denn „sie gehen davon aus, daß nur durch ihr Entgegenkommen eine Lösung zugunsten kinderreicher Familien möglich ist. Die Beschränkung in höherem Lebensalter auf einen Raum wird unter Hinweis auf die bisherigen Lebensgewohnheiten fast ausnahmslos abgelehnt“.222 Auch die Mitarbeiter der Stadtbezirke zeigten immer weniger Bereitschaft zum „Klinkenputzen“, sodass der Stadtrat für Wohnungspolitik in einem internen Schreiben aus dem Jahr 1984 sogar darum bat, die Beseitigung „unterbelegter“ Wohnungen „unter Parteikontrolle zu nehmen“.223 Pragmatische Arrangements und Ausgrenzung: „Arbeiter“, kinderreiche Familien, Rentner, Haftentlassene Der sozialpolitische „Kurswechsel“ erlegte den Wohnungsbehörden der Stadtbezirke aber nicht nur Grenzen auf. Vor allem die in den „Vorschlägen“ des Politbüros von 1972 genannte Fokussierung auf bestimmte Problemgruppen ermöglichte informelle Arrangements. Dies betraf insbesondere die Einstufung von „Arbeitern“. In den Stadtbezirken Nord und Süd war es schon kurz nach Veröffentlichung der „Vorschläge“ zu „endlosen Diskussionen“ um die Frage gekommen, welche Kriterien erfüllt sein mussten, um als „Arbeiter“ zu gelten. Das Ergebnis lautete: „Die Entscheidung darüber wurde den Mitarbeitern der Abteilungen Wohnungswirtschaft überlassen“. Speziell im Stadtbezirk Süd, in dem auch die SED-Bezirksleitung saß, wurde praktisch versorgt, wer hartnäckig genug blieb. Unter diesen Wohnungssuchenden hätten sich, einer Kontrolle durch die lokale Parteikontrollkommission zufolge, jedoch nur wenige Arbeiter befunden. Aufmerksamkeit erregte dabei auch der Vergabeplan des Stadtbezirks für das Jahr 1972. Dieser hätte 95 Prozent „Arbeiter“ ausgewiesen, tatsächlich seien es aber nur 51,5 Prozent gewe220 Vgl. ABI-Stadtkomitee, Information über Kontrollergebnisse zur Durchsetzung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig, 24.6.1982, SächsStAL, 20301, 503, unp. 221 Vgl. Rat des Bezirkes, Abt. Wohnungspolitik an den Vorsitzenden des Rates, Rolf Opitz, 11.10.1976, SächsStAL, 20237, 24784, unp. 222 Rat der Stadt, Stadtrat Wiedemann, Wohnungsprobleme kinderreicher Familien in der Stadt Leipzig, 13.6.1986, StadtAL, StVuR, 17899, Bl. 302. 223 Hausmitteilung Stadtrat Wiedemann an Oberbürgermeister Müller, 21.12.1984, StadtAL, StVuR, 17897, Bl. 2.

3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

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sen.224 Auch der Vergabeplan für 1973 habe den Arbeiteranteil trotz Ermahnungen nicht korrekt ausgewiesen. So sei es vorgekommen, dass sich ein Ehepaar im Vergabeplan befand, das als „Arbeiterfamilie“ gekennzeichnet war, obgleich der Mann als Abteilungsleiter in einem Warenkontor beschäftigt und die Frau als Hausfrau registriert war.225 Im Stadtbezirk Nord wies der Vergabeplan für 1972 lediglich 40 Prozent „Arbeiter“ aus, wobei man auch hier sehr großzügig verfuhr. So galt hier jeder als „Arbeiter“, der einen Arbeiterberuf erlernt hatte. Die aktuelle berufliche Position wurde ebenso wenig berücksichtigt wie die „strukturbestimmende“ Relevanz der Betriebe.226 Oftmals waren es auch lokale Bedingungen, welche für eine Einordnung der Wohnungssuchenden als „Arbeiter“ ausschlaggebend sein konnten. Im Stadtbezirk Mitte, der im Vergleich zu anderen Stadtbezirken eine besonders heterogene Sozialstruktur aufwies, wurden neben der sozialen Zusammensetzung auch Familiengröße und Wohnungsgröße berücksichtigt, nicht aber die berufliche Tätigkeit, die Zugehörigkeit zu Schwerpunktbetrieben, die Dauer des Wohnungsantrags und ob die Antragsteller in verworfenem bzw. gesperrtem Wohnraum lebten.227 Die Kritik an den verschiedenen Vorgehensweisen der Stadtbezirke bei der sozialpolitischen Einordnung der Wohnungssuchenden wich allerdings bereits bald einem Pragmatismus, sofern die Statistiken formal stimmten. So wiesen die Vergabestatistiken des Rates der Stadt für die Jahre 1972 bis 1977 jeweils zwischen 58 und 60 Prozent „Arbeiter“ aus.228 Jedoch macht ein Hinweis der ABI aus dem Jahre 1987 deutlich, dass Wohnungsanträge etwa im Stadtbezirk Mitte kaum noch geprüft wurden.229 Während die „Rückbesinnung“ der SED-Führung auf die Arbeiterklasse Handlungsspielräume bei der Vergabe von Wohnraum eröffnete, galt dies für kinderreiche Familien keineswegs. Hauptgrund hierfür war, dass die Größe der vorhandenen Wohnungen oftmals nicht mit den Bedürfnissen der Familien übereinstimmte. Vor allem bei der Belegung der Wohnungen in Grünau, unter denen sich nur wenige große Wohnungen befanden, war es „nur in beschränktem Umfang möglich, die festgelegten sozialpolitischen Kriterien (Arbeiter, junge Ehepaare) einzuhalten“.230 Die SED-Führung versuchte, dem Problem zunächst durch die Förderung des Eigenheimbaus entgegenzukommen.231 In der Praxis blieb dieser aber immer dem 224 Vgl. SED-SPKK, Untersuchung in den Räten der Stadtbezirke Süd und Nord 17.1.1972– 5.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01//150, unp. 225 Vgl. ABI Bezirkskomitee, 24. Information zur Kontrolle über die Verwirklichung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik im Stadtbezirk Leipzig-Süd, 5.6.1973, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. 226 Vgl. SED-SBPKK, Untersuchungsbericht von der Parteiorganisation des Rates des Stadtbezirkes Nord, 5.4.1972, Ebd., unp. 227 Vgl. SED-SPKK, ABI-Kontrolle Wohnungswirtschaft Stadtbezirk Mitte, 4.4.1972, Ebd., unp. 228 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik, Entwicklung der sozialistischen Wohnungspolitik 1972–1977, 3.2.1978, StadtAL, StVuR, 17892, Bl. 79. 229 Vgl. ABI-Stadtbezirkskomitee Mitte, Bericht über die Kontrolle zur Überprüfung der Wohnungsanträge im Stadtbezirk Mitte, 26.11.1987, SächsStAL, 20301, unp. 230 Rat der Stadt, Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Neubaugebiete, Vorlage für die Beratung der AG „Komplexer Wohnungsbau“ des Rates des Bezirkes am 28.10.1980, 15.10.1980, SächsStAL, 20237, 25557, unp. 231 Vgl. Verordnung über die Förderung des Baues von Eigenheimen vom 24. November 1971, in: Gesetzblatt der DDR 1971, Teil II, S. 709–712.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Wohnungsbauprogramm untergeordnet, sodass es hier zu schwerwiegenden Materialengpässen kam. In Leipzig wurden von den für den Zeitraum 1973 bis 1975 geplanten 1.000 Eigenheimen sogar auf Anweisung des Ministeriums für Bauwesen nur noch 319 gebaut.232 In der Folge ignorierte das Bezirksbaukombinat die sich häufenden Anfragen des Stadtbaudirektors, Material für den Eigenheimbau bereitzustellen.233 Bis 1990 erweiterte sich der Bestand daher auf gerade einmal 882.234 Auch die Bewerberstruktur zeigt, dass Personen, deren Betriebe oder Institutionen materielle Ressourcen bereitstellen konnten, der Vorzug gegeben wurde. So befanden sich unter den Bewerbern nur zu einem Drittel kinderreiche Familien.235 Vielmehr dominierten Angehörige der Reichsbahn, der NVA sowie der Volkspolizei.236 In der Praxis mussten die Wohnungsprobleme kinderreicher Familien deshalb durch Lenkungen außerhalb des Plans und Wohnungstausche gelöst werden. Im Stadtbezirk Mitte wurden im Jahre 1973 74 Prozent der 159 Vergaben an kinderreiche Familien „außerplanmäßig“ gelöst.237 Im selben Jahr wurden im Stadtbezirk Nord neben 300 planmäßigen Fällen sogar 820 entsprechende Probleme außerhalb des Planes geregelt.238 Kinderreichen Familien galt – allerdings vorrangig aus politischen Gründen – auch in den 1980er Jahren das Hauptaugenmerk der lokalen Staats- und Parteiorgane. Oftmals trugen deren Handlungsweisen aber eher zweifelhaften Charakter und verdeutlichen vielmehr den fehlenden Handlungsspielraum sowie die zunehmenden Differenzen zwischen Anspruch und gesellschaftlicher Realität. Am 17. November 1982 etwa beauftragte die SED-Stadtleitung den Rat der Stadt, den vorhandenen Wohnungsfonds im Neubau „richtig auszureizen“. Allerdings ging der Beschluss davon aus, dass sich der Anteil der 4-Raum-Wohnungen erhöhen werde, was vom Stadtrat für Wohnungspolitik als „unsachlich“ zurückgewiesen wurde. Auch die Forderung der SED-Stadtleitung, dass 40 Prozent der 1–2-Raum-Wohnungen in Paunsdorf zur Herauslenkung älterer Bürger aus großen Wohnungen „wirksam“ werden sollten, wurde als zweifelhaft bezeichnet.239 Die Wohnungsprobleme kinderreicher Familien verringerten sich während der 1980er 232 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Örtliche Bauwirtschaft, Gruppe Eigenheimbau, Aktenvermerk (Besprechung mit Bezirksbaudirektor Neumann nach Gespräch im Ministerium für Bauwesen am 15.5.1973), 30. Mai 1973, StadtAL, StVuR (2), 22414, Bl. 90 f. 233 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Stadtbaudirektor Thiele an den VEB Baukombinat, Direktor Scheibner, 1.11.1973, Ebd., Bl. 6 f. 234 Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Leipzig 22, 1991, S. 108. 235 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Leitungsorganisation und Kontrolle, Information über die Situation im Eigenheimbau in der Stadt Leipzig, 14.2.1973, StadtAL, StVuR (2), 22414, Bl. 173. 236 Vgl. Rat der Stadt, HAG Wohnungs- und Gesellschaftsbau Leipzig, Bericht an den Stellvertretenden Vorsitzenden und Stadtrat für Bauwesen über Vorbereitung und Stand des individuellen Wohnungsbaus 1972, 4.8.1972, StadtAL, StVuR (2), 22416, Bl. 130 f. 237 Vgl. ABI Stadtkomitee, Bericht über die Kontrolle zur weiteren Durchsetzung der sozialistischen Wohnungspolitik, insbesondere zur Realisierung des Beschlusses des Ministerrates vom 10.5.1972, 7.11.1973, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. 238 Vgl. ABI, Stadtbezirkskomitee Nord, Bericht von der Weiterführung der Überprüfung zur Verbesserung der Wohnverhältnisse kinderreicher Familien und über die Durchführung gezielter Kontrollen zu ausgewählten Schwerpunkten der sozialistischen Wohnungspolitik, 31.10.1973, SächsStAL, 20301, 658, unp. 239 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Stadtrat Wiedemann an

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3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

Jahre deshalb nur in quantitativer Hinsicht. Lagen 1983 noch 1.504 entsprechende Anträge im Rat der Stadt vor, waren es 1986 „nur“ noch 797. Diese Ergebnisse mussten in der Praxis aber mit der Missachtung der Vergabenormen erkauft werden. Eigentlich sollten kinderreiche Familien nicht nur ausreichend großen, sondern auch ausgestatteten Wohnraum mit Bad und Innen-WC entsprechend der Maßgabe „warm-sicher-trocken“ erhalten.240 Die Wohnungsbehörden in Leipzig waren jedoch allenfalls in der Lage, die Wohnungsgröße und den Zustand der Bausubstanz bei der Bewertung von Anträgen zu berücksichtigen.241 Um kinderreichen Familien dabei zumindest Wohnungen mit Bad und Innen-WC anbieten zu können, machten die Wohnungsämter bei alleinstehenden Bürgern bzw. jungen Ehepaaren Abstriche und stuften deren Bedürfnisse als niedriger ein. Dabei zogen sie die Wohnungsanträge als Quellen heran, die sie auf ganz eigensinnige Weise auswerteten. (Tab. 15). Tab. 15: Wohnbedürfnisse und -ausstattung nach Haushaltsgrößen, Stadtbezirk Südost 1981 1 Pers.

2 Pers.

3 Pers.

4 Pers.

5 Pers.

6 Pers.

größer

Gesamt

Gesamt (absolut)

2.012

1.150

726

429

62

11

2

4.392

Wohnbedürfnisse (in %) Zumutbarer Wohnraum eigener Wohnraum Wohnraumverkleinerung Komfortverbesserung

22,9 53,5 9,4 14,2

35,6 39,5 1,7 27,3

42,6 18,6 0,4 38,4

42,6 11 0,9 45,5

53,2 46,8

18,2 72,8

50 50

Gegenwärtige Ausstattung Bad Bad/IWC ohne Bad/IWC

5,3 30,9 49,5

13,4 42,1 35

23,8 61,2 40,6

29,8 75,5 27,5

25,8 83,7 25,8

100 -

100 -

Quelle: Rat des Stadtbezirkes Südost, Wohnungsantragsanalyse, Stand. 10.12.1981, StadtAL, SB Südost, 900, Bl. 33.

Dadurch wurden zwar zumindest vorübergehend leidliche Wohnverhältnisse geschaffen, in den letzten zwei Jahren vor Öffnung der Mauer ließ sich aber auch diese Kompromisslösung kaum mehr durchsetzen. 1988 lagen im Rat der Stadt Leipzig immer noch 702 Wohnungsanträge kinderreicher Familien vor242 und auch die durchschnittliche Wartezeit auf eine Wohnung hatte sich mitunter, wie im Stadtbezirk Mitte, auf sieben Jahre erhöht.243 Hier waren 1987 nur 16,7 Prozent der Wohnungsanträge kinderreicher Familien gelöst worden, dagegen 54 Prozent der Anträge junger Ehepaare. Der Schwerpunkt der Wohnungsbehörde des Stadtbe-

240 241 242 243

den Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, 20.3.1985, StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 186. Vgl. Grundmann, Der Einfluß der Standortwahl, S. 151. Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Wiedemann, Wohnungsprobleme kinderreicher Familien in der Stadt Leipzig, 13.6.1986, StadtAL, StVuR, 17899, Bl. 301. Vgl. ABI, Stadtkomitee, Bericht über die Kontrolle zur Realisierung der Wohnraumvergabepläne bei den örtlichen Räten mit dem Schwerpunkt kinderreiche Familien, 5.9.1988, SächsStAL, 20301, 504, unp. Vgl. Information Nr. 40/88 des Komitees der ABI, 17.11.1988, BArch, DC 20/11261, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

zirks lag in den letzten zwei bis drei Jahren fast ausschließlich auf der Freilenkung bauaufsichtlich gesperrter Wohnungen, d. h. sogar die Wohnungsgröße spielte bei der Vergabe am Ende nicht mehr unbedingt eine ausschlaggebende Rolle.244 Kinderreiche Familien standen aber nicht nur aus politischen Gründen im Fokus der Wohnungsämter. Ihre Wohnbedingungen waren oftmals von erheblichen innerfamiliären Spannungen begleitet, womit auch die lokalen Behörden zunehmend konfrontiert wurden. Eines der zahllosen Beispiele innerfamiliärer Spannungen schilderte ein Familienvater in seiner Eingabe vom 29. Juni 1978. Die vierköpfige Familie bewohnte eine marode 2 ½ Zimmer­Wohnung. Sie war stark von Salpeter befallen, wodurch die Tochter an schwerer Bronchitis litt, und auch der Gesundheitszustand der Frau hatte sich merklich verschlechtert. Die Wohnsituation hatte insgesamt zu erheblichen ehelichen Spannungen geführt. Aus diesem Grunde hatte sich der Vater 1972 mit Unterstützung der Stadt für die Aufnahme in eine AWG beworben. In der Hoffnung, seine Wohnungsangelegenheit würde dadurch nun gelöst werden, hatte er in kürzester Zeit und in Feierabendarbeit die obligatorischen Arbeitsstunden abgeleistet. Obwohl die Wartezeit für eine Wohnung über eine AWG drei Jahre betrug, wandte er sich bald danach an deren Vorstand, denn in der Zwischenzeit hatte die Familie erneut Zuwachs bekommen. Die AWG lehnte sein Gesuch jedoch mit dem Verweis ab, dass noch 250 Mark Eigenleistungen ausstünden. In einer verzweifelten Eingabe wandte er sich schließlich abermals an den Rat der Stadt und bot an, sämtliche Renovierungsarbeiten und gesellschaftliche Tätigkeiten im Wohngebiet übernehmen zu wollen.245 Vom Rat der Stadt erhielt er aber nur zur Antwort, dass man gegen die Wartezeit der AWG nichts ausrichten könne, die Familie aber die Prüfung eines vorzeitigen Bezugs im Jahre 1979 beim AWG-Vorstand erfragen sollte.246 Auch die Zunahme von Ehescheidungen stellte mit der Zeit einen von den Wohnungsbehörden inoffiziell akzeptierten Grund für Wohnungsprobleme dar. Allerdings taten sich die Behörden dabei äußerst schwer und häufig musste die Situation erst eskalieren und politische Dimensionen annehmen. Dies zeigt das Beispiel einer im Bau- und Montagekombinat Süd arbeitenden Angestellten, die am 5. September 1985 eine verzweifelte Eingabe an das ZK der SED geschrieben hatte. Nachdem sie sich im April 1985 hatte scheiden lassen – ihr Kind war gerade ein Jahr alt – erhielt sie das Nutzungsrecht für die gemeinsame Wohnung zugesprochen. Ihr geschiedener Mann dachte jedoch keineswegs daran auszuziehen und blieb, solange man ihm keine adäquate Wohnung zur Verfügung stellte, in der gemeinsamen Wohnung. Auch akzeptierte er es nicht, sich auf das kleinere Zimmer (½ Zimmer) der Wohnung zu beschränken. Bald erfolgte die erste Anzeige wegen Körperverletzung, nachdem er handgreiflich geworden war und seine Familie mit dem Luftgewehr bedroht hatte. Es folgte eine zweite Anzeige, mehrfach musste die 244 Vgl. ABI, Stadtbezirkskomitee Mitte, Bericht über die Kontrolle zur Realisierung der Wohnraumvergabepläne bei den Räten der Stadtbezirke mit dem Schwerpunkt kinderreiche Familien und Anträge von Familien aus bauaufsichtlich gesperrten Wohnungen, 26.7.1988, SächsStAL, 20301, 716, unp. 245 Vgl. Eingabe des Bürgers H., 29.6.1978, StadtAL, StVuR (2), 958, Bl. 70. 246 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Abt. Wohnungspolitik an H., 29.8.1978, Ebd., Bl. 71.

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Polizei gerufen werden. Aber erst, nachdem die Frau eine Eingabe an das ZK geschrieben hatte und die SED-Stadtbezirksleitung eingeschaltet worden war, nahm sich der Rat des Stadtbezirks Südost des Falles an. Mehrmals erfolglos versuchten die Verantwortlichen, dem Mann eine Um- und Ausbauwohnung zuzuweisen. Erst im Januar 1986 und offenbar unter Androhung von Konsequenzen konnte ihm eine Um- und Ausbauwohnung zugewiesen werden.247 In einem anderen Fall aus dem Jahre 1988 hatten die Konflikte zwischen den seit 1986 geschiedenen Eheleuten sogar zu einem Selbstmordversuch geführt. Erst danach erwogen die Behörden, die Zuweisung einer Um- und Ausbauwohnung im nachfolgenden Jahr zu prüfen. Bis zur endgültigen Entscheidung wohnte der Betroffene in seiner Gartenlaube.248 Gerade diese Beispiele zeigen, dass der geringe Handlungsspielraum bei der Versorgung kinderreicher Familien neue Probleme nach sich zog, welche die Stadtverwaltung wiederum zum Handeln zwangen. Eine sozialpolitisch zwar nicht bevorzugte, aber aus lokaler Sicht immer deutlicher ins Gewicht fallende Gruppe stellten Rentner dar. In den 1980er Jahren pegelte sich der Anteil der Rentner an den Wohnungsanträgen auf etwa zehn Prozent ein, sodass für diese Generation eine hohe Toleranzgrenze hinsichtlich der Wohnverhältnisse angenommen werden kann. Dass sie häufig von prekären Wohnverhältnissen betroffen war, war Folge ihrer randseitigen „Stellung im Produktionsprozess“.249 Gleichwohl hatten sich die Wohnbedürfnisse auch bei Rentnern erhöht. Der Umzug in eine kleinere Neubauwohnung (Tab. 16) wurde von vielen Rentnern zunehmend zur Bedingung für die Freigabe großer Altbauwohnungen gemacht. Rentner konnten ihre Geringschätzung dadurch kompensieren, indem sie auf das politische Potential ihrer Wohnungen verwiesen. Vor allem deshalb sah der Rat der Stadt Leipzig bereits Mitte der 1970er Jahre akuten Handlungsbedarf, obgleich sich der Anteil der Rentner an den Wohnungsanträgen zu dieser Zeit noch auf etwa sechs Prozent belief. Dem konnten die staatlich geplanten Rentnerwohnheimplätze (Neubau), die zu einem geringen Teil auch von den Kirchen finanziert werden mussten, aber kaum Abhilfe schaffen. Tab. 16: Wohnungsanträge von Rentnern und Rentnerwohnheimplätze in Leipzig

Wohnungsanträge von Rentnern Rentnerwohnheim-Plätze

1979

1981

1982

1983

1984

4.116

k. A.

k. A.

5.131

5.037

334

465

763

298

230

Quelle: Material zu einer Studie über Wohnungsanträge (1980), StadtAL, StVuR, 20651, Bl. 80 f.; Entwicklung des Wohnungsneubaus 1981–86, 1986, StadtAL, StVuR (2), 17898, Bl. 15.

247 Vgl. Eingabe der Bürgerin S., 5.9.1985, Sprechstundenprotokolle und Besichtigungskarten, StadtAL, SB Südost, 823, Bl. 198–213. 248 Vgl. Protokoll der Sprechstunde mit dem Bürger W., StadtAL, SB Süd, 1519, Bl. 14. 249 Vgl. Fulbrook, The People’s State, S. 248. Als eine der wenigen Arbeiten, die sich mit den Lebenslagen von Rentnern in der DDR beschäftigen, sei zu nennen Dierk Hoffmann, Am Rande der sozialistischen Arbeitsgesellschaft. Rentner in der DDR 1945–1990, Erfurt 2010.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Der Rat der Stadt selbst konnte diesen Differenzen immer nur mit singulären Maßnahmen begegnen. So ergriff er etwa 1975 eine „außerplanmäßige“ Maßnahme zur Schaffung von 122 Rentnerwohnheimplätzen im Neubaugebiet Schönefeld. Um dies zu rechtfertigen, sollten zugleich noch 20 Angestellte des Gesundheitswesens, des Handels, der Örtlichen Versorgungswirtschaft und des pädagogischen Dienstes, die alle selbst einen Wohnungsantrag gestellt hatten, ebenfalls dort untergebracht werden. Dahinter stand die Absicht, die für Rentnerwohnheime notwendige Infrastruktur gleich mit in das Gebäude zu integrieren – in Form von Nachbarschaftshilfe.250 Größere Aktionen waren jedoch nur möglich, wenn woanders Fehlentwicklungen auftraten. 1978 etwa wurden zwölf Rentnerwohnheime nur deshalb geplant, weil sich ein vorgesehenes Lückenschließungsprogramm aufgrund von Materialengpässen nachträglich als undurchführbar erwiesen hatte. Letztlich kamen aber nur sieben Heime zustande, denn auch hierbei mangelte es an Erschließungskapazität.251 Eine weniger notgedrungene, sondern vielmehr aktive Ausgrenzungspolitik betrieb der Rat der Stadt gegenüber Haftentlassenen, obwohl diesen gegenüber infolge der staatlichen Selbstverpflichtung zur sozialen Rehabilitierung eine besondere Fürsorgepflicht bestand. Nicht nur allgemeine Vorurteile (Kulturlosigkeit, Interessenlosigkeit, Bedürfnislosigkeit)252, sondern auch lokale Faktoren setzten dieser Politik aber eine markante Grenze. Zum einen waren für die Reintegration von Haftentlassenen innerhalb des Rates der Stadt mehrere Abteilungen zuständig, was im Kampf um Ressourcen immer wieder zu Streitigkeiten führte.253 So waren die Abteilungen für Inneres für die Zuweisung von Arbeitsplätzen und Wohnungen an Strafentlassene zuständig, die Kontingente mussten aber von den entsprechenden Fachabteilungen gestellt werden. Den Vorgaben nach sollten die angeforderten Mietbereiche stets vier Wochen vor Haftentlassung instandgesetzt und möbliert bereitgestellt werden, was in der Praxis jedoch kaum funktionierte. Im Stadtbezirk Mitte etwa wurden Wohnungen zumeist erst drei bis fünf Tage vor Haftentlassung, in vielen Fällen erst danach übergeben, denn nur in seltenen Fällen erhielten die Wohnungsbehörden vier Wochen vor Auszug der Vormieter Zugang zu den Wohnungen, um den Zustand überprüfen und gegebenenfalls Renovierungsarbeiten vornehmen zu können. Dabei wurde in der Regel festgestellt, dass der Zustand der Wohnungen unbefriedigend war und die Rechtsträger keine Instandsetzungsmaßnahmen geleistet hatten.254 Der Stadtbezirk Südwest schätzte 1986 ein, dass in 90 250 Vgl. Oberbürgermeister der Stadt Leipzig an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig, Schaffung von Rentnerwohnheimplätzen im Neubaugebiet Schönefeld 1976 – Hochhaus Typ „Erfurt“, 10.5.1975, StadtAL, StVuR, 20616, Bl. 107 f. 251 Vgl. die handschriftlichen Notizen aus dem Bereich des Hauptplanträgers Komplexer Wohnungsbau der Stadt Leipzig, StadtAL, StVuR, 21972, Bl. 15 f., 39. 252 Vgl. Lorke, Soziale Utopien, in: Großbölting/Schmidt (Hrsg.), Gedachte Stadt – Gebaute Stadt, S. 294 f. 253 Vgl. Sven Korzilius, „Asoziale“ und „Parasiten“ im Recht der SBZ, DDR. Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung, Köln etc. 2005, S. 623–630. 254 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte, Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Rat der Stadt Leipzig, 12.6.1989, StadtAL, StVuR, 19418, Bl. 12; Rat des Stadtbezirkes Leipzig- Mitte, Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Rat der Stadt Leipzig, Hausmitteilung, 15.12.1989, Ebd., Bl. 48.

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Prozent der Wohnungen Öfen neu gesetzt sowie Elektroanlagen und Fenster repariert werden müssten, was angesichts des Kapazitätsmangels aber nicht zu leisten war.255 Die Abteilungen für Inneres aber beharrten stets auf ihren Forderungen, verwiesen auf die politische Bedeutung der Wiedereingliederung und warfen den Wohnungsbehörden „Subjektivismus“ vor.256 Aus Sicht der Wohnungsbehörden bestimmten zum anderen jedoch davon abweichende politische Überlegungen den Umgang mit Haftentlassenen. Angesichts der angespannten Wohnsituation in der Stadt Leipzig kam es vor allem aus der Bevölkerung immer wieder zu heftigen Beschwerden, wenn „Asoziale“ bessere Wohnungen erhielten. Dies kam paradoxerweise deshalb häufig vor, weil etwa Kleinstmietbereiche für Lehrer reserviert werden mussten. Haftentlassene wurden deshalb gelegentlich in 2–3-Zimmer-Wohnungen untergebracht, die dann zu Sammelpunkten „kriminell-gefährdeter“ Personen wurden. Mitunter wurden sogar notgedrungen Komfortwohnungen an Strafentlassene vergeben, was oft zu heftigen Konflikten mit den Anwohnern führte. So notierte ein Stadtbezirksrat in einer internen Hausmitteilung: „Auf die Reaktionen der Bürger im jeweiligen Wohngebiet bei solchen Entscheidungen möchte ich bewußt nicht näher eingehen“.257 Auch bei Aussprachen stellten Bürger, in deren Haus oder Nachbarschaft ein „Haftentlassener“ eingewiesen worden war, immer wieder die Frage, ob es denn richtig sei, dass eine solche Person eine Komfortwohnung erhalten könne.258 Nicht selten bedienten sich „besorgte Bürger“ auch der Autorität der Staatssicherheit und schreckten nicht vor illegalen Mitteln zurück, um „Asoziale“ aus dem Haus zu vertreiben. So erreichte den Rat des Stadtbezirks West im Jahre 1980 eine Sammeleingabe einer Hausgemeinschaft. Die Hausbewohner fühlten sich von dem im Jahr zuvor eingezogenen 19-jährigen S., der sich „staatsfeindlicher“ Handlungen schuldig gemacht hatte und 1979 infolge eines Amnestiebeschlusses aus dem Strafvollzug entlassen worden war, belästigt.259 Unterstützung bei der Renovierung der Wohnung erhielt S. nicht von den staatlichen Organen, sondern von seinen Freunden. In der Hausgemeinschaft galt er auch weiterhin als „asozial“. Das hatte jedoch weniger politische Gründe, sondern war vielmehr der häufigen Ruhestörung und der fehlenden Bereitschaft zur Säuberung der Etagentoilette geschuldet. Dennoch haftete S. das Stigma des Haftentlassenen an. So führte die Hausgemeinschaft in ihrer Sammelklage seine vermeintlich „negative[n] Einstellung zur Arbeit“ und offenkundige „Bindungen zu kirchlichen Kreisen“ an.260 Um dies nachzuweisen, hatten sich 255 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Leipzig-Südwest, Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Rat der Stadt Leipzig, 3.12.1986, Ebd., Bl. 49. 256 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Leipzig-Süd, Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Rat der Stadt Leipzig, 24.6.1985, Ebd., Bl. 161. 257 Rat des Stadtbezirkes Mitte, Abt. Wohnungspolitik an den Rat der Stadt Leipzig, Abt. Wohnungspolitik, Hausmitteilung, 15.12.1986, StadtAL, StVuR, 19418, Bl. 48. 258 Vgl. Niederschrift über das politische Gespräch mit Bürgern des Stadtbezirkes am 8.11.1989, StadtAL, SB Nord, 1971, Bl. 54. 259 Vgl. Rat des Stadtbezirkes West, Abt. Innere Angelegenheiten, Beschwerde der Hausgemeinschaft, 28.8.1980, BStU, MfS, BV Lpz. AKAG 1272/91, KNA 1, Bl. 50. 260 Vgl. VPKA Leipzig, VP Revier West, Ermittlungen über den Jugendlichen S., 29.3.1981, BStU, MfS, BV Lpz. AKAG 1272/91, KNA 1, Bl. 65.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

die Hausbewohner sogar Zutritt zu seiner Wohnung verschafft und die „asoziale“ Lebensweise des Beschuldigten feinsäuberlich dokumentiert.261 So habe ihm eine gestohlene Korbglocke als Lampenschirm gedient. Geschlafen habe er auf 25 Bierkästen.262 Die Hausbewohner hatten bereits mehrfach Versammlungen abgehalten und beschlossen, dass S. aus dem Haus herausgelenkt werden sollte. Die staatlichen Stellen waren jedoch geteilter Ansicht über das eigenmächtige Vorgehen der Hausbewohner. Während sich das Volkspolizei-Kreisamt dafür aussprach, S. in ein kleineres Mietbereich zu lenken, damit er „nicht mehr in der Lage ist fremde Personen aufzunehmen“263, lehnte der Rat des Stadtbezirkes West eine solche Vorgehensweise – mit Blick auf die Wohnraumsituation – ab, „da dies nicht dazu beiträgt eine grundsätzliche Veränderung im Verhalten des S. zu erreichen“.264 Es war eine Mischung aus Gängelungsgefühlen und strategischen Überlegungen, die dazu führten, dass Haftentlassene am unteren Ende der Stadtgesellschaft in Leipzig standen. Sie wurden vorrangig in Umgestaltungsgebieten untergebracht und hier zumeist in Wohnungen, die sich in den Bauzustandsstufen 3b bis 4 bewegten, d. h. praktisch abgeschrieben waren.265 Für die Herrschaftsstabilität vor Ort erfüllten Haftentlassene damit eine wichtige legitimatorische Funktion. Indem man sie durch räumliche Ausgrenzung zusätzlich bestrafte, wertete man die oftmals leidlichen Wohnverhältnisse „unbescholtener“ Bürger wiederum auf. Die Stadtverwaltung demonstrierte dadurch einmal mehr die Legitimität einer hierarchischen Ordnung der Wohnraumverteilung entlang des Kriteriums Loyalität und Nutzen für die sozialistische Gesellschaft. Mit ihren Reaktionen trugen Bürger, die „Asoziale“ in besseren Wohnverhältnissen den Behörden meldeten, zur Stabilität dieser Ordnung bei. Zwischen Norm und Bedarf: Deutungskonflikte und Kollaps in den 1980er Jahren Der zunehmend pragmatische Umgang mit privilegierten und nicht-privilegierten Personengruppen, der nicht mehr, wie in den 1960er Jahren noch, durch Kampagnen übergeordneter Stellen gestört wurde, gewährte auch Raum für spezifisch lokalpolitische Lösungsansätze. Selbst im Rat des Bezirks wurde nun versucht, die Wohnungspolitik der Bezirksstadt nachdrücklich zu beeinflussen. Dabei rückten 261 Vgl. Auszug aus den Unterlagen zu S. bei der Abteilung Inneres des Stadtbezirkes LeipzigWest, Ebd., Bl. 36. 262 Vgl. VPKA Leipzig, Gespräch zur Verhinderung der Anreise zum V. Festival der Freundschaft in Karl-Marx-Stadt, 23.5.1980, Ebd., Bl. 25; VPKA Leipzig, Wohngebietsermittlung, 23.6.1980, Ebd., Bl. 35. 263 VPKA Leipzig, VP Revier West, Ermittlungen über den Jugendlichen S., 29.3.1981, BStU, MfS, BV Lpz. AKAG 1272/91, KNA 1, Bl. 65. 264 Rat des Stadtbezirkes West, Abt. Innere Angelegenheiten, Beschwerde der Hausgemeinschaft, 28.8.1980, BStU, MfS, BV Lpz. AKAG 1272/91, KNA 1, Bl. 50. 265 Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik an den Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, Zuarbeit zur Halbjahresanalyse I/1989 auf dem Gebiet der Wiedereingliederung, 29.7.1989, StadtAL, StVuR, 19418, Bl. 3 f.; Rat des Stadtbezirkes Mitte, Abt. Wohnungspolitik an den Rat der Stadt, 12.6.1989, Ebd., Bl. 12.

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vor allem die sozial-räumlichen Disparitäten der Bezirksstadt in den Fokus, allerdings glaubte man, das Problem durch eine „richtige“ Belegungspolitik lösen zu können. Dabei waren das Ratsmitglied und der Abteilungsleiter für Wohnungspolitik durchaus unterschiedlicher Auffassung. So sah das Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, vor allem den dauerhaften Leerstand von Wohnungen sowie die zahlreichen „unterbelegten“ wie zweckentfremdeten Wohnungen als politisches Problem. Dabei geriet auch die Institution der „Oberbürgermeisterwohnungen“ in die Kritik; allerdings nicht, weil dadurch soziale Ungleichheiten geschaffen wurden, sondern weil diese Wohnungen oftmals lange Zeit leer standen, was freilich nicht unbemerkt blieb. Gleichwohl gerieten auch spontane sozialpolitische Aktionen der Stadtbezirke in die Kritik des Ratsmitglieds. Im Stadtbezirk Südwest hatte der Rat der Stadt etwa beabsichtigt, zwei Ehepaare, die jeweils eine 3-Raum-Wohnung in einem Altbau in der Karl-Heine-Straße bewohnten, in zwei 3-Raum-Neubauwohnungen des Stadtbezirks Nordost einzuweisen, um das Gebäude in der Karl-HeineStraße als Kindergrippe nutzen zu können. Den faktisch gestiegenen Einfluss der Bürger, die durch häufiges Eingabenschreiben Druck auf die lokalen Behörden ausüben konnten, ignorierend, beklagte Eißler nicht nur die dadurch entstehende „Unterbelegung“, sondern wies zudem an, künftig keiner Zweckentfremdung mehr zuzustimmen.266 Bereits im Juni 1976 hatte aber auch der Abteilungsleiter Wohnungspolitik im Bezirk, Manfred Zimmermann, einen Problembericht vorgelegt, der vor allem auf die „soziale Differenziertheit“ in der Stadt Leipzig hinwies. Darin hieß es, dass die „Arbeiterklasse“ trotz der „Erfolge“ im Wohnungsbau „noch sehr schlecht wohnt“. Zudem prognostizierte er, dass die Unterschiede noch über das Jahr 1980 hinaus hingenommen werden müssten. Einen Ausweg, auch zur Lösung der Probleme kinderreicher Familien, sah er allenfalls in administrativen Zwangsmaßnahmen: „Es ist doch keine Frage der Freiwilligkeit, ob die Bürger ihren zu großen Wohnraum tauschen möchten“. Außerdem schlug er vor, große Wohnungen „bedarfsgerecht“ durch Baumaßnahmen zu teilen, was jedoch wiederum zulasten kindereicher Familien gegangen wäre.267 Den Gepflogenheiten des demokratischen Zentralismus folgend, setzte sich Eißlers Sicht der Dinge durch. Zur Behebung des Leerstandes und Gewährleistung einer normgerechten Belegung führte der Rat des Bezirks 1979 zunächst Neubaukarten, oder auch „blaue Karten“ genannt, ausschließlich zur Verwendung auf dem Gebiet der Stadt Leipzig ein. Den konkreten Anlass hierzu bot eine im Frühjahr 1979 durchgeführte Kontrolle über die Vergabe von Wohnungen in Grünau, bei der erneut festgestellt wurde, dass der Rat des Stadtbezirks West nur von zwei AWG sporadisch über die Belegung der Blöcke informiert war.268 Deshalb sollten künftig 266 Vgl. Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, an den Abteilungsleiter Wohnungspolitik, Zimmermann, und den 1. Stellvertreter des Vorsitzenden, 26.11.1976, SächsStAL, 20237, 24784, unp. 267 Vgl. Rat des Bezirkes, Abteilungsleiter Wohnungspolitik, Zimmermann, Einige Probleme zur Wohnungspolitik, 15.6.1976, Ebd., unp. 268 Vgl. Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, an den Vorsitzenden, Opitz, Ergebnisse der operativen Kontrolle zur Belegung der Neubauwohnungen in Grünau am 28.2.1979, 2.3.1979, SächsStAL, 20237, 19782, Bd. 2, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

vor der Vergabe Neubaukarten an alle Kontingentträger ausgegeben werden, die jeweils für eine bestimmte Wohnung gültig waren und auf denen namentlich der Mieter und mitziehende Personen (samt ihrer sozialen Stellung und Informationen über die bisherigen Wohnverhältnisse) zu vermerken waren. Erst wenn diese Karten ausgefüllt im Rat des Stadtbezirks vorlagen, sollte dieser Zuweisungen ausstellen dürfen.269 Ferner sollten AWG künftig nur noch Mitglieder aufnehmen dürfen, die zuvor vom Stadtbezirk bestätigt worden waren. Zur Einhaltung dieser Auflagen sollten die Neubaukarten zusätzlich vom Rat der Stadt geprüft werden, die Wohnungsbehörde West sollte im Gegenzug Rechenschaft ablegen und schließlich behielt sich der Rat des Bezirks selbst operative Kontrollen vor.270 Bei einer der ersten Kontrollen im August 1980 mussten die Verantwortlichen jedoch ernüchternd feststellen, dass die Neubaukarten nur sehr oberflächlich ausgefüllt waren. Außerdem waren die personellen Ressourcen für eine genaue Überprüfung der Karten in den Wohnungsbehörden zu gering, sodass die Bestätigung der AWG-Anträge lediglich als Formalie gehandhabt wurde. Folglich existierten für die kontingentierten Neubauwohnungen keine namentlichen Listen und auch die soziale Zusammensetzung der vorgesehenen Mieter ließ sich nicht zweifelsfrei feststellen. Eine Stichprobe von 50 Wohnungen ergab, dass sich unter den Mietern tatsächlich nur 16 Arbeiter befanden. Auch für die Vergabe der Neubaukontingente der Stadtbezirke spielte die Arbeit mit den Neubaukarten kaum eine Rolle. Zwar existierten hier zumindest namentliche Vergabepläne, allerdings ließ sich durch die Kontrolleure nicht ermitteln, ob diese auf Grundlage der „blauen Karten“ aufgestellt worden waren. Auch hätten sich unter den geplanten Vergabefällen statt den ausgewiesenen 60–65 Prozent allenfalls 30 Prozent Arbeiter befunden. Praktisch wurden diese Wohnungen nicht nach Dringlichkeit, sondern „nach Bedarf“ vergeben. So konnte etwa der Anteil der hiermit gelösten Wohnungsprobleme aus verworfenen bzw. gesperrten Wohnungen zwischen 30 und 60 Prozent variieren.271 Seit 1981 engagierte sich auch die SED-Bezirksleitung verstärkt in der Stadt, um die offiziellen Normen zur Belegung, lückenlosen Erfassung, Verhinderung von Zweckentfremdung, Durchführung von Sprechstunden, Rechenschaftslegungen usw. noch energischer als bisher unter Kontrolle zu nehmen.272 In Reaktion hierauf und auf Grundlage der bei der Kontrolle der Neubaukarten gewonnenen Erkenntnisse erließ der Rat des Bezirks die Weisung 8/81 „zur Lösung der dringendsten Wohnungsprobleme“.273 Dahinter stand die Absicht, die offiziellen Dringlichkeits269 Vgl. Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, an den Vorsitzenden, Opitz, Ergänzung und Zusammenfassung des Ihnen vorliegenden Untersuchungsergebnisses zum Problem leerstehender Wohnungen in Grünau, 22.3.1979, Ebd., unp. 270 Vgl. Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, an den Vorsitzenden, Opitz, Monatsbericht Januar 1981, 29.1.1981, Ebd., unp. 271 Vgl. Zur Vergabe von Neubauwohnungen 1980 in der Stadt Leipzig, o. D., SächsStAL, 20237, 25557, unp. 272 Vgl. Maßnahmen zur Verwirklichung der Wohnungspolitik auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen und zur Sicherung volkswirtschaftlich wichtiger Aufgaben, 4.3.1981, SächsStAL, 21123, IV/D/2/03/174, unp. 273 Vgl. Rat des Bezirkes, Vorsitzender Opitz, Weisung 8/81 [Abschrift], 16.11.1981, StadtAL, StVuR, 17894, Bl. 4–6.

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kriterien (gesperrter Wohnraum, verworfener/nasser Wohnraum, Einzelpersonen in „kraß“ überbelegtem Wohnraum sowie junge, getrennt lebende Ehepaare) als vorrangige Prämissen bei der Wohnungsvergabe durchzusetzen. Aus Sicht der Stadtbezirke, wo man sich aufgrund der Engpässe nur noch auf die ersten beiden der vier Dringlichkeitskategorien konzentrierte, bewirkte der Beschluss das komplette Gegenteil. So hätten 1981 in den Stadtbezirken laut Definition der Weisung 14.709 Wohnungsanträge bearbeitet werden müssen, das tatsächliche Aufkommen an passenden Wohnungen betrug jedoch nur 7.817 Wohnungen, sodass der Beschluss schon von vorn herein nur zur Hälfte erfüllbar gewesen wäre. Vor allem aber schränkte er den Handlungsspielraum der Stadtbezirke bei der Gewinnung großräumiger Wohnungen durch Tausch mit qualitativ höherwertigen Wohnungen noch weiter ein.274 Ferner zeigt die Statistik für das erste Halbjahr 1982, dass die Lösung der „dringendsten“ Wohnungsprobleme bei Vergaben an Kontingentträger praktisch eine wesentlich geringere Rolle spielte als bei direkten Vergaben durch die Stadtbezirke. So befanden sich unter den durch die Stadtbezirke gelösten Wohnungsproblemen zu 81,9 Prozent Fälle laut Weisung 8/81, unter den Vergaben nach „staatlichen Auflagen“ dagegen nur 64,7 Prozent laut Weisung 8/81.275 Kontingentträger wurden also weiterhin nach individuellem Bedarf versorgt. Ein anderer Beschluss des Rates des Bezirks zur Rückführung zweckentfremdeten Wohnraums vom Dezember 1983, wonach im Folgejahr 250 dauerhaft zweckentfremdete und 218 als Baustelleneinrichtungen genutzte Wohnungen in der Stadt Leipzig ihrer ursprünglichen Funktion zugeführt werden sollten, stieß schon von vornherein auf massiven Widerspruch der Stadtbezirke. Der Beschluss stützte sich auf eine Volks-, Berufs-, Wohnraum- und Gebäudezählung von 1981, die für die Stadt Leipzig einen Bestand von 1.779 zweckentfremdeten Wohnungen ausgewiesen hatte. Zu Beginn des Jahres 1984 seien es noch 815 gewesen, wobei die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher geschätzt wurde, da viele Wohnungen nach ihrer Zweckentfremdung aus der Wohnungskartei gelöscht worden waren. Der Rat der Stadt sah in diesem Beschluss durchaus eine Chance und ordnete daran anknüpfend an, die vorgegebene Zahl zweckentfremdeter Wohnungen ersatzlos zurückzuführen. Die Reaktionen der Stadtbezirke reichten jedoch von expliziter Zurückweisung des Beschlusses über die Schutzbehauptung, keine zweckentfremdeten Wohnungen zu besitzen276, bis zur Ausstellung formaler Kündigungen an 19 Betriebe, die freilich umgehend Einspruch erhoben. Auch unternahmen die Wohnungsämter der Stadtbezirke keine Anstrengungen, sich mit dem VEB Gebäudewirtschaft über leerstehenden Wohnraum abzustimmen. Anfang August 1984 waren so nur 33 zuvor als Baustelleneinrichtungen genutzte sowie 22 dauerhaft zweckentfremdete

274 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Durchsetzung der Weisung 8/81 vom 16.11.1981, 31.12.1981, StadtAL, StVuR, 17895, Bl. 380 f. 275 Vgl. Rat der Stadt, Mitteilung des Stadtrates für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Oberbürgermeister, 27.7.1982, Ebd., Bl. 105 f. 276 Vgl. Hausmitteilung des Stadtrates für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Oberbürgermeister, 3.8.1984, StadtAL, StVuR, 17897, Bl. 95 f.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Wohnungen gewonnen worden, Ende Oktober wurde der Erfüllungsstand des Beschlusses auf gerade einmal 20 bis 30 Prozent geschätzt.277 Zwei Jahre vor der Wiedervereinigung kündigte sich in Leipzig bereits der Kollaps der städtischen Wohnungspolitik an. Aus der Verteilungskonzeption des Rates der Stadt Leipzig für 1988 ging unzweifelhaft hervor, dass die Stadtbezirke bei Beachtung aller Zweckbindungen insgesamt nur noch 17 Neubauwohnungen erhalten würden.278 Resümierend wies die Stadtverwaltung darauf hin, dass „wichtige Entscheidungen zur Ansiedlung und Seßhaftmachung von Wissenschaftlern und des wissenschaftlichen Nachwuchses (rund 400 Absolventen der KMU haben z. Zt. keinen eigenen Wohnraum in Leipzig), Festlegungen zur weiteren Unterstützung der Räte der Stadtbezirke zur Klärung sozialpolitisch dringender Probleme und weitere in der Anlage dargestellter Aufgaben […] nicht getroffen werden“ konnten.279 An den Privilegierungen hielt man folglich trotz der kaum noch praktikablen Wohnungspolitik fest. Demgegenüber ließen sich etwa die Vergabezahlen für Personen ohne eigenen Wohnraum, die von den Leipziger Stadtbezirken zugunsten kinderreicher Familien zunehmend vernachlässigt worden waren, statistisch und prozentual allenfalls als Erfolg verbuchen, weil nur noch Anträge von Personen über 25 Jahre als „sozial dringend“ eingestuft wurden.280 Schon im Februar 1989 machte Stadtrat Wiedemann281 in einem internen Dispositionspapier deutlich, dass sich die Wohnungsämter zu „Mangelverwaltern“ entwickelt hätten. Dabei forderte er – bereits ein

277 Vgl. ABI Stadtkomitee, Information über Ergebnisse der Kontrolle zur Durchsetzung örtlicher Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik, 24.10.1984, SächsStAL, 20301, 503, unp.; ABI Stadtbezirkskomitee West, Information zur Kontrolle über die Durchsetzung örtlicher Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik – Rückführung von z. Zt. zweckentfremdeten Wohnungen, 15.10.1984, SächsStAL, 20301, 808, unp. 278 Vgl. Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, an den Vorsitzenden, Opitz, 24.9.1987, SächsStAL, 20237, 25964, unp. 279 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Wiedemann, an Oberbürgermeister, Seidel, Wohnungsverteilungsplan 1988 (Ratssitzung beim Rat des Bezirkes am 26.10.1987/Vorlage 2.3), StadtAL, StVuR, 17899, Bl. 31. 280 Vgl. Rat der Stadt, Bericht über die Versorgung von Familien ohne Wohnraum, Familien mit 3 und mehr Kindern und jungen Ehepaaren mit eigenem Wohnraum sowie zur Einbeziehung der ehrenamtlichen territorialen und gewerkschaftlichen Wohnungskommissionen und der FDJ in die Lösung der Aufgaben (zur Vorlage beim Rat des Bezirkes), 20.9.1989, StadtAL, StVuR, 20940, Bl. 78. 281 Karl-Heinz Wiedemann (geb. 1946), geb. in Dahlen / Kreis Oschatz, 1962–1964 Lehre zum Fernmeldemonteur bei der Deutschen Post, 1964–1969 Lehrausbilder der Betriebsschule der Deutschen Post, 1966 Weiterbildung am Institut für Lehrmeisterausbildung in Karl-MarxStadt, 1966–1968 Unteroffizier der NVA, 1967 Mitglied der SED, 1969–1970 Besuch der Kreisparteischule für Marxismus-Leninismus Leipzig, 1969–1974 Oberreferent der Abteilung Inneres des Rates der Stadtbezirkes Leipzig-West, 1974–1977 Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft ebd., 1975 Qualifikation zum Diplom­Staatswissenschaftler, 1977–1978 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters des Rates der Stadtbezirkes Leipzig-West (parallel Besuch der Bezirksparteischule der SED Leipzig), 1974–1978 Stadtbezirksabgeordneter ebd., seit 1978 Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft des Rates der Stadt Leipzig. Vgl. Kurzbiographie Karl-Heinz Wiedemann, StadtAL, StVuR, 19173, Bl. 117–120.

3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

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Jahr, bevor die Wohnungsämter der Stadtbezirke dies selbst mit einem offenen Brief taten – die Auflösung der Wohnungsämter in den Stadtbezirken.282 Letzte, freilich fragwürdige Handlungsspielräume ergaben sich durch die seit 1988 zunehmenden Anträge auf Ausreise.283 Bereits im November 1988 hatte auch der Rat des Bezirks das sozialpolitische Potential der Ausreisewelle erkannt und zum 1. Dezember 1988 die Weisung 5/88 zur „Durchsetzung von Entscheidungen der örtlichen Räte bei der Lenkung von Wohnraum, insbesondere bei der Räumung und schnellen Wiederbelegung von Wohnraum“ erlassen. Diese bezog sich explizit auch auf sogenannte „BRD-Verzugswohnungen“ und setzte den Behörden eine einmonatige Frist zwischen Freimeldung und Wiedervergabe (einschließlich Instandsetzung).284 Von der SED-Bezirksleitung stillschweigend zur Kenntnis genommen285, wurden die Modalitäten zur Umsetzung des Beschlusses zwischen der Stadtverwaltung und dem MfS ausgehandelt. Jedoch erst am 13. Juli des darauffolgenden Jahres lag ein konsensfähiger Beschluss vor, was auf Schwierigkeiten in der Abstimmung hindeutet. Darin legte der Rat der Stadt unter anderem fest, dass „Entlassungen aus der Staatsbürgerschaft“ erst ausgesprochen werden sollten, wenn die Ausreisenden ihre Wohnungen vollständig leergeräumt hatten. Dies allerdings stand im Widerspruch zur Maßgabe des MfS, „zur Absicherung gesellschaftlicher Ereignisse“ auch „kurzfristige Ausweisungen“ durchführen zu dürfen.286 Trotz der Abstimmungsprobleme stellte sich im Vergleich zum „Krisenjahr“ 1988 ein Erfolg fast wie von selbst ein. Zum 3. August 1989 registrierte der Rat der Stadt 2.112 „BRD-Verzugswohnungen“, von denen immerhin 905 als wiederbelegbar eingestuft wurden.287 Die tatsächliche Vergabe allerdings gestaltete sich schleppend. Mitte November 1989 waren erst 180 dieser Wohnungen tatsächlich vergeben. Probleme traten immer wieder auf, weil Schlüssel fehlten, Wohnungen polizeilich versiegelt waren, sich in vielen Wohnungen immer noch Mobiliar oder „Gerümpel“ befand und andere Wohnungen bereits „schwarz“ bezogen worden waren. Außerdem sah sich der Rat oftmals außerstande, die Wohnungen „schnell“ zu erfassen. Ferner blieb es etwa ungeklärt, ob Wohnungen erst nach erfolgter polizeilicher Abmeldung erfasst werden durften oder bereits dann, sobald Bürger diese frei meldeten. Zudem war der Rat angehalten, auch nach erteilten Visa eine sechsmonatige Wartezeit einzuhalten.288 282 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Vorschläge für eine Veränderung der Wohnungserfassung, Freimeldung und Vergabe in der Stadt Leipzig, 7.2.1989, StadtAL, StVuR, 17901, Bl. 8. 283 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Wiedemann, an den 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Prag, 11.8.1989, Ebd., Bl. 108. 284 Vgl. Rat des Bezirkes, Weisung Nr. 5/88 vom 1.12.1988, SächsStAL, 21123, IV/F/2/03/108, Bl. 177 f. 285 Vgl. Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung am 4.7.1989, Ebd., unp. 286 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Innere Angelegenheiten, Genehmigungswesen, Betreff: Sitzung am 13.7.1989 zur Durchsetzung des Wohnraum-Beschlusses 5/88 – Wohnungen von Ausreisenden, 25.7.1989, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt 01431, Bl. 17 f. 287 Vgl. Rat der Stadt, Gesamtzahl der Auflistungen Abt. Inneres von Dienstsache Nr. 1 bis 35 vom 28.3. bis 3.8.1989, StadtAL, StVuR, 17901, Bl. 117. 288 Vgl. Rat der Stadt, Zur Lage, 16.11.1989, StadtAL, StVuR, 17901, Bl. 50 f.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Obwohl die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ mit besonderem Fokus auf letzterem keine Abkehr von der Privilegierungspraxis bei der Wohnraumvergabe mit sich brachte, so veränderte sich im Zuge der zunehmenden Distanz der Stadt Leipzig zum Machtzentrum in Berlin vor allem der Umgang mit nicht-privilegierten Personengruppen. Ihnen begegnete man nun nicht mehr wie in den 1960er Jahren noch mit einer Mischung aus Kampagnenpolitik und Sanktionen, sondern mit einem Mehr an Pragmatismus. Die Stadtbezirke hatten, obwohl die Wohnraumsituation sich noch verschlechterte, nun vielmehr die Chance, zwischen den Erwartungen privilegierter Gruppen und den Bedürfnissen nicht-privilegierter Personen zu vermitteln. Allerdings wurde dieser Pragmatismus verstärkt seit den 1980er Jahren wieder durch politisch motivierte administrative Zwangsmaßnahmen seitens des Bezirks unterlaufen. Diese erwiesen sich für die Stadtbezirke als schwere Last, da man hier bereits dazu übergangen war, die gestiegenen Erwartungen der Bevölkerung zum Teil produktiv zu nutzen, etwa wenn Rentner bereit waren, große Wohnungen gegen kleine, altersgerechte Neubauwohnungen zu tauschen. Dem Pragmatismus waren freilich auch andere ideologische Grenzen gesetzt. Vor allem Haftentlassenen gegenüber betrieb man eine aktive Ausgrenzungspolitik, um häufige Beschwerden über „Asoziale“ in besseren Wohnverhältnissen abzuwehren, zugleich aber die Privilegierungspraxis zu legitimieren. 3.3 Relative Autonomie: Die politische und wirtschaftliche Rolle der AWG Für Leipzig als Stadt mit der höchsten Industriekonzentration in der DDR289 bedeutete Wohnungspolitik stets eine politische Gratwanderung. 1978 waren bereits 63 Kontingentträger bevorzugt zu versorgen.290 Eine entlastende Funktion kam dabei den Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) zu. In der Stadt Leipzig war deren Anteil am Wohnungsneubau bis 1971 auf neun Prozent zurückgedrängt worden, was deutlich unter dem DDR-Durchschnitt von 15 Prozent291 lag. Im Zuge der politischen Neuausrichtung der Wohnungspolitik auf Produktionsarbeiter erhielten die AWG (und GWG) nun wieder einen stärkeren Einfluss. Sie sollten zur „Hauptform der Wohnungswirtschaft“ entwickelt werden, wobei sich ihr Anteil am Wohnungsneubau auf 45 Prozent steigern sollte.292 In der Stadt Leipzig ging man aufgrund der hohen örtlichen Konzentration von Kombinaten sogar noch weiter und legte den prozentualen Anteil der AWG im Januar 1973 auf 55 Prozent fest. Die Stadtverwaltung sah darin vor allem wirtschaftliche Vorteile. So sollten bis zu einem Viertel der Kosten für den Wohnungsbau durch materielle bzw. finanzielle Eigenleistungen der AWG-Mitglieder erbracht werden, die übrigen Gelder waren vornehmlich für Werterhaltungsmaßnahmen einzusetzen, was die AWG zu 289 Vgl. Wötzel/Berger, Reproduktionsbedingungen, S. 25. 290 Vgl. Wohnungsverteilungskonzeption 1978, StadtAL, StVuR, 19137, Bl. 56–58. 291 Vgl. Manfred Melzer / Wolfgang Steinbeck, Wohnungsbau und Wohnungsversorgung in beiden deutschen Staaten – ein Vergleich, Berlin (West) 1983, S. 79. 292 Vgl. Art. ‚Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG)‘, in: Bernd Kaden (Hrsg.), Das gesellschaftliche Leben im Wohngebiet. Handbuch, Berlin (Ost) 1988, S. 46 f.

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einer bedeutenden finanziellen Stütze des Wohnungsbaus machte. Gleichwohl blieben die Kontrollmechanismen des Rates der Stadt bestehen. In die Beratungen der AWG über Wohnraumvergaben war er gleichberechtigt einzubeziehen und im Beirat war er mit acht Mitgliedern vertreten.293 Ferner sollten AWG und Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften (GWG) künftig wieder grundsätzlich offen für neue Mitglieder sein, sofern sich die Betriebe der Wohnungssuchenden finanziell und materiell beteiligten.294 Aus Sicht des Rates der Stadt hatte die privilegierte Stellung der Genossenschaften aber auch ihre Kehrseite, denn trotz aller Kontrollmechanismen bestanden zwischen den städtischen Wohnungsämtern und den AWG nach wie vor nur „lose Kontakte“. Vergaben wurden praktisch innerhalb der AWG geregelt und Zusammenarbeit kam in der Regel nur auf Initiative einzelner AWG-Vorsitzender zustande.295 Damit konnten sich die AWG ein Stück weit Unabhängigkeit bewahren. So saßen in den Vorständen kaum Arbeiter. Von 58 gewählten Vorstandsmitgliedern waren 1973 nur sechs Arbeiter, von denen auch noch vier parteilos waren. Im Vorstand der AWG „Stadt Leipzig“ etwa war überhaupt kein Arbeiter vertreten. Stattdessen dominierten dort Lehrer, Betriebsdirektoren, Justiziare und Wissenschaftler das Mitgliederleben. Auch war der „Parteieinfluss“ mit insgesamt 32 SED­Mitgliedern nicht übermäßig groß. In der AWG „Stadt Leipzig“ habe es zudem nicht einmal eine SED-Grundorganisation gegeben. Auch bei der Vergabe der Wohnungen spielten sozialpolitische Kriterien kaum eine Rolle. Stattdessen wurden Wohnungen traditionell nach „zeitlicher Reihenfolge“ des Eintritts sowie nach der Höhe der „individuellen Leistungen“ vergeben, was finanziell besser gestellte Mitglieder begünstigte.296 Dem korrespondierte ein vergleichsweise hoher Neuaufnahme-Beitrag. Wurden im DDR-Durchschnitt 300 M pro Wohnung in eine AWG eingezahlt, so musste man in der AWG „Stadt Leipzig“ schon 2.000 M aufwenden, was Geringverdiener bzw. Arbeiter nicht-privilegierter Betriebe von vornherein von einer Mitgliedschaft ausgrenzte. Kleinere Freiräume schufen sich die AWG aber auch bei der Verwendung der Mitgliederbeiträge. So hatte die AWG „Stadt Leipzig“ mit Beiträgen eines ihrer Trägerbetriebe, des Exportförderbetriebs GISAG, sowie den Städtischen Theatern 1973 vier Bungalows im Kreis Grimma „schwarz“ errichten lassen. Die Baugenehmigung des Rates des Kreises, dem gegenüber man freilich als Vertreter eines Betriebes auftrat (Betriebe konnten eigenverantwortlich über Sozial- und Kulturfonds verfügen), lag zwar vor, die erforderliche Ausnahmegenehmigung des Rates der Stadt Leipzig zur Zweckentfremdung der für den Wohnungsbau 293 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungswirtschaft, Konzeption zur künftigen Arbeitsweise und Weiterentwicklung der sozialistischen Wohnungsbaugenossenschaften in der Stadt Leipzig, 17.1.1973, StadtAL, StVuR, 18950, Bl. 23–25. 294 Vgl. Verordnung zur Änderung von Rechtsvorschriften über Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften vom 13. Dezember 1972, in: Gesetzblatt der DDR 1973, Teil I, S. 53 f. Diese Verordnung ging der Konzeption des Rates der Stadt Leipzig vom 17.1.1973 unmittelbar voraus. 295 Vgl. ABI Stadtbezirkskomitee Nord, Bericht von der Weiterführung der Überprüfung zur Verbesserung der Wohnverhältnisse kinderreicher Familien und über die Durchführung gezielter Kontrollen zu ausgewählten Schwerpunkten der sozialistischen Wohnungspolitik, 21.10.1973, SächsStAL, 20301, 658, unp. 296 Vgl. Ebd., unp.; ABI Stadtkomitee, Aktennotiz, 19.9.1973, SächsStAL, 20301, 501 unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

gedachten Mittel allerdings nicht. Auf Intervention der ABI hin einigte man sich schließlich auf einen Kompromiss. Da es sich bei dem geldgebenden Kombinat um einen „volkswirtschaftlich wichtigen“ Betrieb handelte, wurde ihm das Nutzungsrecht für die Bungalows zugesprochen.297 Auf informeller Basis räumte die Stadt der AWG sowie den Städtischen Theatern aber ein, Nutzungsverträge mit dem Kombinat abschließen zu dürfen.298 Im Wohnungsamt des Rates der Stadt sah man es keinesfalls als entscheidendes Problem an, „daß die Genossenschaften eigenverantwortliche Organe sind und selbstständig arbeiten“299, sondern hier überwog vor dem Hintergrund der Belastung der Behörden eher ein pragmatischer Umgang. Politisch heikel hingegen war, dass die AWG in Unkenntnis der erwarteten Neubaukontingente unentwegt Mitglieder aufnahmen (Tab. 17), wodurch sich die Wartezeiten unkontrolliert erhöhten. Auch drängten Großbetriebe, die AWGunabhängige Kontingente erhielten, aber gleichermaßen von den Defiziten im Wohnungsneubau betroffen waren, immer häufiger darauf, ihre Beschäftigten in einer AWG unterzubringen. Letztere konnten dem kaum abgeneigt sein, war es den Großbetrieben aufgrund ihrer günstigen finanziellen Situation doch oftmals möglich, eigene Kapazitäten einzubringen. So wurden bereits in den ersten vier Monaten des Jahres 1977 262 Beschäftigte von ansässigen Großbetrieben in Leipziger AWG aufgenommen. In der Folge mussten immer häufiger zusätzliche Wohnungen für die AWG aus dem Kontingent der Wohnungsämter bereitgestellt werden.300 Tab. 17: Entwicklung der Leipziger AWG 1981–1986 1981

1982

1983

1984

1985

1986

Versorgung

2.796

2.812

2.480

2.237*

2.649*

3.199*

Aufnahmen

2.600

3.207

2.723

1.449

645

1.097

Wohnungsanträge

k. A.

8.953

9.641

10.203

k. A.

k. A.

Quelle: Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, 23.10.1984, StadtAL, StVuR, 17897, Bl. 37; Entwicklung des Wohnungsneubaus 1981–86, o. D., StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 16; Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Information zur Bereitstellung von Wohnraum 1984 in der Stadt Leipzig, Ebd., Bl. 208. (Die mit * gekennzeichneten Angaben beruhen auf Schätzungen der Behörden.)

297 Vgl. ABI Stadtkomitee Leipzig, Information über den Bau von 4 Bungalows für die hauptamtlichen Mitarbeiter der AWG Stadt Leipzig, 17.9.1973, Ebd., unp. 298 Vgl. ABI Stadtkomitee, Aktennotiz über die Beratung am 8.10.1973 beim Stadtkomitee der ABI zum Bungalowbau der AWG Stadt Leipzig, 9.10.1973, Ebd., unp. 299 ABI Stadtkomitee, Bericht über die Kontrolle zur weiteren Durchsetzung der sozialistischen Wohnungspolitik, insbesondere zur Realisierung des Beschlusses des Ministerrates vom 10.5.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. 300 Vgl. Rat der Stadt, Oberbürgermeister Müller, Vorschlag zur mündlichen Ergänzung zum Bericht über die Ergebnisse und weitere Aufgaben der Wohnraumlenkung und Gebäudewirtschaft vor dem Rat des Bezirkes am 10.6.1977, StadtAL, StVuR, 8486, Bl. 52; Rat der Stadt, Oberbürgermeister Müller, Bericht über Ergebnisse und weitere Aufgaben der Wohnraumlenkung und der Gebäudewirtschaft für die Sitzung des Rates des Bezirkes am 10. Juni 1977, Ebd., Bl. 57.

3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

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Das plötzliche Absinken der Aufnahmezahlen seit 1984 erklärt sich durch einen singulären Interventionsversuch des Rates der Stadt, der sein formales Bestätigungsrecht über Aufnahmen nun erstmals durchsetzte, um die gesetzlich vorgeschriebene maximale Wartezeit von drei Jahren wieder zu gewährleisten.301 Angesichts der sich kaum verringernden Zahl der Wohnungsanträge verfehlte diese Maßnahme allerdings ihr Ziel. Noch 1988 registrierten Kontrolleure des ZK der SED während eines Besuchs im Wohnungsamt Leipzig­Süd eher beiläufig eine Wartezeit von vier bis sechs Jahren für neu aufgenommene AWG-Mitglieder.302 Konflikte zwischen den Verwaltungsbehörden und den AWG blieben Einzelfälle. Grundsätzliche Kritik kam etwa aus den Räten der Stadtbezirke, die sich den AWG gegenüber benachteiligt fühlten303, und Wohnungssuchenden, die trotz der Mitgliedschaft in einer AWG auch nach drei Jahren noch keine Wohnung zugewiesen bekommen hatten.304 Dem versuchte man zwar mithilfe einer „Entwicklungskonzeption“ von 1977 zu begegnen. Diese aber spiegelte nur das Dilemma wider, in dem sich die Stadtverwaltung den AWG gegenüber befand, und das zur Abwägung nötigte. So verwies die Konzeption auf das bedeutende Grundkapital, das sich flexibel für Wohnungsreparaturen einsetzen ließ und damit den Haushalt der Stadt entlastete. Zudem stellten die AWG eine Konstante bei der Erfüllung der staatlichen Auflagen für Zulieferer­ und Exportbetriebe dar und versorgten jährlich rund 8.000 Bürger. Schon allein deshalb war der Rat der Stadt bereit, den Eigensinn der AWG zu akzeptieren. In Abwägung der Vor- und Nachteile nannte die Konzeption daher nur zwei sehr umständliche Kompromissvorschläge. Eine Variante sah vor, die AWG nach Stadtbezirken zu strukturieren, was allerdings zur Folge gehabt hätte, dass diese nicht mehr ausschließlich Neubau-, sondern in größerem Umfang auch Altbauwohnungen erhalten hätten. Zudem hätten finanzielle Mittel auf kompliziertem Wege umgewidmet werden müssen, sodass dieser Vorschlag mit Verweis auf eine mögliche Überforderung der AWG als nicht praktikabel verworfen wurde. Alternativ stand zur Debatte, die vier bestehenden AWG zu einer zentralen AWG zusammenzuschließen und in den Stadtbezirken jeweils einen Betriebsteil als Außenstelle zu bilden. Dies stieß innerhalb des Rates zwar durchaus auf Zuspruch, letztlich blieben die Vorschläge aber auf dem Papier stehen.305 301 Vgl. Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, 23.10.1984, StadtAL, StVuR, 17897, Bl. 38. 302 Vgl. ZK der SED, Sektor Staatsorgane, Information über eine Kontrolle zur Arbeit mit den Eingaben der Bürger beim Rat des Stadtbezirkes Leipzig-Süd, 5.1.1988, SAPMO-BArch, DY 30/22353, unp. 303 Vgl. exempl. Rat des Stadtbezirkes West, Vorlage, Bericht über die Erfüllung des Wohnraumvergabeprogramms per 30.6.1977, für die Sitzung des Rates der Stadt am 3.8.1977, 27.7.1977, StadtAL, 937, Bl. 194. 304 Vgl. ABI Stadtkomitee, Information über die Kontrolle einiger Probleme der zweckmäßigen Ausnutzung des Wohnungsfonds und der ordnungsgemäßen Vergabe von Wohnraum, 9.10.1978, SächsStAL, 20301, 502, unp. 305 Vgl. Entwicklungskonzeption für die AWG der Stadt Leipzig, insbesondere mit dem Ziel, bessere Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Verantwortung der Abteilung Wohnungspolitik der Räte der Stadtbezirke für den genossenschaftlichen Wohnungsfonds ihres Territoriums zu schaffen, o. D., StadtAL, StVuR, 17892, Bl. 68–73.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Eher politischen Charakter trugen vereinzelte Kritiken seitens des Rates der Stadt und des Rates des Bezirks. 1980 lastete etwa das Ratsmitglied für Neubaugebiete, Klaus Kühne, dem Stadtrat für Wohnungspolitik, Karl-Heinz Wiedemann, an, dass in den AWG „noch schlechter gearbeitet wird, da hier die Einflußfaktoren wie im staatlichen Sektor nicht relevant sind“.306 Formal hätten sich die AWG bei den Vergaben der Wohnungen in Grünau zwar am vorgeschriebenen Arbeiteranteil (52,7 Prozent) orientiert, allerdings seien bis 1980 nur sechs Prozent junge Ehepaare und 0,3 Prozent kinderreiche Familien in die Wohnkomplexe eingewiesen worden.307 Auch der Rat des Bezirks beschwerte sich über den Eigensinn bestimmter Trägerbetriebe, wenn ein politischer Imageschaden zu befürchten war. So wurden etwa dem Braunkohlekombinat Espenhain 1976 zusätzliche Wohnungen zur Ansiedlung von Arbeitskräften bereitgestellt, worunter sich auch ungenutzte Wohnungen für ursprünglich vorgesehene Baufreiheitsmaßnahmen in der Ostvorstadt befanden. Jedoch habe es das Kombinat „fertiggebracht, Monate verstreichen zu lassen, ohne diese Wohnungen zu belegen“308, was als politisches Tabu galt. Ein aus Sicht des Bezirks besonders schwerer Fall politischen Tabubruchs ereignete sich im Rahmen außerplanmäßiger Wohnungsvergaben an das Chemieanlagen- und Montagekombinat im selben Jahr. Auf der Basis eines Ministerratsbeschlusses „über die Sicherung eines Arbeitskräftezuwachses für eine hohe Leistungs- und Effektivitätsentwicklung in ausgewählten Betrieben der Industrie“ sollte dem Betrieb eine geplante Anzahl Hoch- und Fachschulkader aus anderen Bezirken zugeführt werden, wofür ihm zusätzlich zum regulären Kontingent weitere Wohnungen in erheblicher Anzahl bereitgestellt wurden. Allerdings wurden am Ende weniger Fachkräfte als geplant angeworben. Die Betriebsleitung des Kombinats nutzte die überschüssigen Wohnungen aber, um Wohnungsprobleme anderer Betriebsmitarbeiter zu lösen und wies ihnen die Wohnungen umgehend und ohne Kenntnis der Behörden zu. Im April/Mai 1976 jedoch forderte der Rat des Bezirks die Rückgabe von 50 Wohnungen und schaltete vorsorglich den Ministerrat in den Konflikt ein. So sah sich der Betriebsdirektor gezwungen, die bereits vergebenen Wohnungen von seinen Mitarbeitern wieder zurückzufordern, was „berechtigte Verärgerungen“ ausgelöst habe. Um weiteren politischen Schaden abzuwenden, musste den Betroffenen nach langwierigen Aussprachen versprochen werden, ihre Wohnungsprobleme im darauffolgenden Jahr über eine AWG zu lösen.309 Den AWG gegenüber stellte sich nach 1971 ein zunehmend pragmatischer Umgang ein. Sie waren wegen ihrer Finanzkraft und konfliktlösenden Funktion für die Herrschaftsstabilität vor Ort von hoher Wichtigkeit. Aus diesem Grunde akzeptierte die Stadt auch ein gewisses Eigenleben der Genossenschaften. Zudem sah man die AWG in zunehmendem Maße 306 Rat der Stadt, Ratsmitglied für Neubaugebiete, Vorlage für die Beratung der AG „Komplexer Wohnungsbau“ des Rates des Bezirkes am 28.10.1980, 15.10.1980, SächsStAL, 20237, 25557, unp. 307 Vgl. Ebd., unp. 308 Rat des Bezirkes, Ratsmitglied für Wohnungspolitik, Eißler, an den 1. Stellvertreter des Vorsitzenden Zimmermann, 26.11.1976, SächsStAL, 20237, 24784, unp. 309 Vgl. Rat des Bezirkes, Vorsitzender, Opitz, an den Leiter des Sekretariats des Ministerrates, Dr. Kurt Kleinert, 1.10.1976, Ebd., unp.

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auch als gleichwertige Verhandlungspartner an. So trafen sich Vertreter der Stadt, der Stadtbezirke und von AWG-Vorständen seit Ende der 1970er Jahre regelmäßig in einem Café, um Wohnungsvergaben zu beraten.310 3.4 Zwischen Legitimation und Effizienz: Das kommunale Reparaturwesen Zentrale Stelle für Reparaturen: Der VEB Gebäudewirtschaft Leipzig Vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der Wohnungssuchenden in Leipzig nur geringe Chancen auf die Zuweisung von Neubauwohnungen hatte, stand die Erhaltung der Bausubstanz in den Altbaugebieten im Zentrum kommunalpolitischer Aktivitäten nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Auch wenn das 1969 geschaffene VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion für größere Modernisierungsmaßnahmen zuständig war, kam dem VEB Kommunale Wohnungswirtschaft (VEB KWV) als Rechtsträger des staatlichen Wohnungsfonds dabei eine zentrale Rolle zu. Allein zwischen 1979 und 1990 erhöhte sich der Anteil der von ihm verwalteten staatlichen Wohnungen in der Stadt Leipzig von 49 auf 65 Prozent.311 1977 galten zudem bereits 20 Prozent der städtischen Wohnungen als nicht mehr modernisierungswürdig.312 Um den Niveauunterschieden im Neu- und Altbau entgegenzuwirken, wurde der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung institutionell erweitert, zum 1. Januar 1972 mit dem VEB Maschinen- und Heizungsbetrieb zusammengelegt und in VEB Gebäudewirtschaft (VEB GWL) unbenannt. Dies sollte einerseits zur „rationelleren und effektiven Wohnungsverwaltung“ beitragen, bedeutete andererseits aber auch, dass der Betrieb künftig als Hauptauftraggeber für Reparaturen insgesamt fungieren, d. h. neben Instandhaltungen auch Instandsetzungs- und Werterhaltungsmaßnahmen in Auftrag geben sollte.313 Für die betriebliche Stabilität war diese Aufwertung zunächst von besonderer Wichtigkeit, fehlte es dem VEB GWL doch an allen Ecken und Enden an Ressourcen, um die eigenen Betriebspläne (Klein- und Kleinstreparaturen) zu erfüllen. Vor allem mangelte es an Kapazitäten für Maurer-, Klempner-, Tischler-, Elektriker-, Dachdecker- und Ofensetzerarbeiten. Eine aussagekräftige Statistik, aus der sich die Differenzen ablesen lassen, liegt für das Jahr 1989 vor. Danach fehlte im Betriebsteil West etwa ein Viertel der geplanten Instandhaltungskapazitäten, wobei in allen anderen Stadtbezirken eine ähnliche Tendenz diagnostiziert wurde. Zudem hätten in der gesamten Stadt in diesem Jahr etwa 1.600 Öfen erneuert werden müs310 Befragungsprotokoll Leiter der AG Baufreiheit, 10.7.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 3, Bl. 165. 311 Vgl. Nabert, „Wohnungsbauprogramm“, in: Ders. (Hrsg.), „Eine Wohnung für alle“, S. 141. 312 Vgl. SED­Bezirksleitung, Information über Erfahrungen und Probleme der weiteren Qualifizierung der Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe, 11.5.1977, SächsStAL, 21123, IV/D/2/12/523, Bl. 4. 313 Vgl. VEB KWV, Wissenschaftliche Dokumentation über Aufgabenstellung und Lösungswege des zu bildenden VEB Gebäudewirtschaft Leipzig, 1.10.1971, SächsStAL, 21143, IV/B/5/ 07/118, unp.

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sen, zur Verfügung standen dem Betrieb aber lediglich 60.314 Deshalb führte der Betrieb bald nur noch Instandhaltungsmaßnahmen in bewohnten Gebäuden aus. Das hieß zugleich, dass der überwiegende Teil der leerstehenden Wohnungen gar nicht mehr instandgehalten wurde. 1988 standen nur noch 15 Prozent der 10.992 leerstehenden Wohnungen in Leipzig auf der Liste des VEB Gebäudewirtschaft. Private oder treuhänderisch verwaltete Grundstücke wurden dagegen gar nicht mehr oder nur noch sporadisch betreut.315 Die Betriebspläne des VEB GWL wurden aber auch durch unvorhersehbare Verluste im Wohnungsneubau stets durcheinandergebracht. Nicht selten kam es vor, dass Neubauwohnungen ohne Wasseranschluss oder Wärmeversorgung, mit unabgeschlossener Sanitärinstallation, fehlenden Türen oder Fußbelägen und undichten Fugen, die zu beträchtlicher Nässebildung führten, übergeben wurden. 1984 galten allein 70 Prozent der Neubauwohnungen in Leipzig als mängelbehaftet. In diesem Jahr musste der VEB GWL 1.028 Mängel im Wert von rund 600.000 M beheben, die dem VEB Baukombinat als Vertragsstrafen auferlegt worden waren. Die benötigten Baumaterialien sowie Arbeitsgeräte mussten dabei häufig erst über Umwege besorgt werden. Zudem oblag es dem Betrieb als Rechtsträger, die vorgesehenen Mieter zu vertrösten, was immer wieder zu Verärgerungen führte, zumal zwischen Abnahme und Übergabe der Wohnungen häufig nur fünf bis sechs Tage lagen. Dabei mussten die Verantwortlichen den Mietern oftmals zusätzlich nahelegen, ihre Wohnungen aufgrund von Engpässen selbst tapezieren zu müssen.316 Hierin ist ferner ein Grund zu sehen, warum der VEB Gebäudewirtschaft gegenüber dem Bezirksbaukombinat, mit dem die Bürger kaum in Kontakt kamen, ein geringes Ansehen genoss.317 Ähnlich wie das VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion blieb auch der VEB GWL dem Primat des Bezirks im Wohnungsprogramm der Ära Honecker untergeordnet. Gegengewichte konnten dabei nur auf kommunaler Ebene geschaffen werden.

314 Vgl. ABI Stadtkomitee, Bericht zur Nachkontrolle über die Erhöhung der Wirksamkeit des VEB GWL über die Verwaltung und Erhaltung des Wohnungsbestandes, 28.4.1989, SächsStAL, 20301, 506, unp. 315 Vgl. VEB GWL, Betriebsdirektor, Analyse und Schlußfolgerungen zum Problemkreis leerstehender Wohnraum, 18.4.1988, StadtAL, SB Südost, 692, Bl. 40–47. 316 Vgl. VEB GWL, Betriebsdirektor an den Oberbürgermeister Müller, 13.3.1985, StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 188 f.; Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an die SED-Bezirksleitung, BPKK, 8.4.1987, StadtAL, 19434, Bl. 32 f.; MfS, KD LeipzigStadt, Information über die gegenwärtige Lage im VEB Gebäudewirtschaft Leipzig (GWL), 30.11.1981, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742, Bd. 2, Bl. 321–323. 317 In Ost-Berlin etwa, wo die Betriebe der kommunalen Gebäudewirtschaft auch weiterhin VEB Kommunale Wohnungswirtschaft hießen, existierte im Volksmund für das Kürzel KWV die Übersetzung „kaputt – wüst – verkommen“. Vgl. Eckart Bethke, Vom Wohnen der DDR-Bürger, in: Werner Filmer / Heribert Schwan (Hrsg.), Alltag im anderen Deutschland, Düsseldorf etc. 1985, S. 283.

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Maßnahmen zur Ressourcenallokation und die Etablierung einer Schattenwirtschaft Ein früher Versuch zur Schaffung eines solchen Gegengewichtes lag im Aufbau kleinerer Baubetriebe, die zwar dem Stadtbauamt (VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion) und Wohnungsamt (VEB GWL) unterstanden, aber die die jeweils spezifische Situation in den Stadtbezirken berücksichtigen und somit zur effektiveren Allokation der knappen Ressourcen beitragen sollten. Im Falle des VE Kombinats für Baureparaturen und Rekonstruktion dienten die in den Jahren von 1973 bis 1975 geschaffenen VEB Baureparaturen der Entlastung des übergeordneten Betriebs. Das Kombinat sollte sich künftig auf „städtebaulich bedeutsame“ Einzelobjekte und Stadtteilkomplexe konzentrieren.318 Die Betriebsteile auf Stadtbezirksebene sollten sich hingegen auf Instandsetzungsmaßnahmen konzentrieren, wurden aber „zum Teil aus dem Nichts“319, d. h. ohne Plan aufgebaut. Dies und die Folgen lassen sich am Beispiel des VEB Baureparaturen Leipzig-Südost320 verdeutlichen. Unter hohem Zeitdruck hatte der Rat des Stadtbezirks am 7. Februar 1975 angeordnet, den Betrieb großzügig und ohne Kalkulation mit 4,8 Millionen M aufzubauen. Um diesen hohen Betrag zu rechtfertigen, hatte der Rat vorgegeben, auch gleich noch ein Gebäude an der Russenstraße, Ecke Leninstraße mit zu errichten, das sowohl den Anwohnern als Klubhaus als auch dem nahegelegenen VEB Baureparaturen Südost als Betriebsgaststätte dienen sollte. Vom restlichen Geld sollte der Betrieb auf Anweisung lokaler SED-Funktionäre „soviel wie möglich und alles […] kaufen“. Dabei waren auch „Zielprämien“ zum Ankauf von „Schwerpunktausrüstungen“ eingeplant, die als materielle Anreize an die Verkäufer ausgezahlt werden konnten, damit der Betrieb bevorzugt an begehrtes und knappes Material kam. Für den Aufbau des Betriebes waren nur drei Monate Zeit. Kurzerhand wurden deshalb zwei privat verwaltete Grundstücke in der Russenstraße und ein weiteres unbebautes Grundstück in der Leninstraße, auf dem das Klubhaus entstehen sollte, ohne rechtliche Grundlage enteignet. Einer der Eigentümer, der hiervon nur aus der örtlichen Presse erfuhr, wandte sich jedoch mit einer Eingabe an den Staatsrat. Um die Angelegenheit ohne politischen Folgeschaden zu klären, bot die Stadtbezirksrätin für Wohnungspolitik dem Eigentümer umgehend an, sämtliche sich auf dem Grundstück befindlichen Objekte ohne Räumungsbefehl „großzügig“ zu übernehmen und ihm Ersatzgrundstücke zuzuweisen. Auf der Grundlage eines überhastet erstellten Gutachtens über den Zeitwert der Objekte wurden diese schließlich zu einem maßlos überhöhten Preis abgekauft, der politische Schaden aber abgewendet. 318 Vgl. Hans E. Großmann, Baureparaturen – Leistungen unter schwierigen Bedingungen, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig, S. 343 f. 319 Zetzsche, Entwicklung des Wohnungsbaus, in: Tesch/Ackermann (Hrsg.), Bauen in Leipzig 1945–1990, S. 261. 320 Der nachfolgende Absatz basiert auf: ABI Stadtkomitee, Information über bisher durchgeführte Kontrollen im Stadtbezirk Südost, betrifft: VEB Baureparaturen, 28.6.1976, SächsStAL, IV/C/5/01/167, unp.; ABI Stadtkomitee, Information über durchgeführte Kontrollen beim Rat des Stadtbezirkes Südost, 2.8.1976, Ebd., unp. Aufgrund der fehlenden Folierung wird im Folgenden auf Einzelnachweise verzichtet.

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Beim Ankauf von „Schwerpunktausrüstung“ und Baumaterialien verfuhr die Stadtbezirksverwaltung ähnlich großzügig. Vom Klosettbecken über Dachrinnen, LKWs, Werkzeuge, Büromöbel bis hin zu kompletten Einbauküchen wurde alles gekauft, was man für das verfügbare Geld bekommen konnte. Dabei wurde nicht darauf geachtet, ob sich die Materialien in einem brauchbaren Zustand befanden, ob der Kaufpreis gerechtfertigt sei und ob diese überhaupt benötigt wurden. Allerdings war man im Rat des Stadtbezirks der Auffassung, dass man ab 1976 nicht mehr in einem solchen Maß über flexible Finanzmittel verfügen könne und daher auf Vorrat kaufen müsse. Bei einer Kontrolle des Betriebs durch die ABI wurde dann festgestellt, dass einige der erworbenen Grundmittel allenfalls noch Schrottwert hatten, viele Geräte noch immer ungenutzt herumstanden oder Baumaterialien auf freiem Gelände vor sich hin rotteten. Am 30. Juni 1976 errechnete eine Kontrollgruppe der ABI einen betrieblichen Materialwert von 167.600 M, womit der VEB Baureparaturen zu 57 Prozent über dem „Richtsatzplan“ lag. Das war nicht nur ein wirtschaftliches, sondern zugleich ein politisches Problem. Einerseits fehlte das zu viel gekaufte Material anderen Handwerksbetrieben, die bereits für Reparaturaufträge bilanziert waren. Andererseits lag es offen sichtbar herum und konnte so leicht den Verdacht der Schattenwirtschaft erwecken. Unter dem Druck der ABI wurde ein Großteil der Baumaterialien daher rasch und zumeist unter hohen Verlusten wieder an volkseigene Betriebe, private Handwerker, PGH sowie an Privatpersonen und Betriebsangehörige verkauft. Bereits im ersten Halbjahr 1976 wurden auf diese Weise 88.200 M „Überplanbestände“ umgesetzt. Zudem wurden von den Grundmitteln, deren Gesamtumfang nicht einmal geschätzt werden konnte, im selben Zeitraum bereits 53.689 M verkauft. Andere, vor allem ungeschützt gelagerte Materialien ließ der Betrieb auf kreative Weise verschwinden. So wurden etwa hochwertige Gasrohre zu Bauzäunen umgearbeitet. Auf die Kontrolleure der ABI erweckte dies den Eindruck, „daß es sich beim VEB Baureparaturen nicht um einen Produktionsbetrieb, sondern um einen Handelsbetrieb für Baumaterialien handelt“. Diese Wertung war keineswegs ungerechtfertigt, waren die Leitungskader des Betriebs und der Stadtbezirksbaudirektor fast ausnahmslos ausgebildete Handelsfachleute, die teilweise noch im Studium standen, auf dem Gebiet der Bauwirtschaft aber keinerlei Erfahrungen hatten. Offenbar wurden sämtliche Leitungskader des Betriebes über das persönliche Netzwerk des Stadtbezirksbaudirektors rekrutiert, der für seine guten Beziehungen bekannt war. Unter der Hand wurden dabei freilich gute Konditionen ausgehandelt. So erhielten alle Leitungskader durch zusätzliche Zahlung von „Treueprämien“, „Leistungszuschlägen“ und „personengebundenen Zuschlägen“ übermäßig hohe Gehälter. Auch bei der Abrechnung von „Feierabendtätigkeit“ zeigte sich der Stadtbezirksbaudirektor großzügig. So wurden auch unbezahlte Überstunden und informelle Zuarbeiten von betriebsfremden Angestellten als „Feierabendtätigkeit“ abgerechnet. Etwa konnte sich ein Mitarbeiter der Staatlichen Bauaufsicht auf diese Weise 1.210 M im Monat dazuverdienen. Nicht nur diese Beispiele, sondern die insgesamt unkorrekten Abrechnungen des Betriebes erweckten immer wieder den Verdacht der Lohnfälschung. Die im Juni und August 1976 durchgeführten Kontrollen der ABI münzten die aus der fehlenden Planung, aber auch aus den sich damit bietenden Chancen

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zur Materialansammlung resultierenden Arrangements abrupt in einen politischen Konflikt um, der schließlich mit einer Reihe von Entlassungen endete. Die SED­ Stadtleitung initiierte kurzerhand selbst ein Parteiverfahren gegen Leitungskader des Rates des Stadtbezirks und des VEB Baureparaturen, wobei sie freilich die kritischen Bemerkungen gegenüber Leitungskadern der SED-Stadtbezirksleitung Südost verschwieg. Im Ergebnis der zweimonatigen Untersuchung wurden dem Stadtbezirksbaudirektor, der bereits während eines Parteiverfahrens gegen den Stadtbaudirektor Thiele 1975 negativ aufgefallen war, dem Betriebsdirektor des VEB Baureparaturen, dem Stadtbezirksbürgermeister sowie dessen 1. Stellvertreter Parteistrafen ausgesprochen. Zudem wurden diese Funktionäre, bei denen zum Teil noch weitere Vorfälle von Klientelismus aufgedeckt wurden, ausgewechselt.321 Überdies musste der neue Betriebsdirektor, der 30 Prozent seiner Belegschaft verlor, eine umfangreiche Konzeption erarbeiten, wie er die „Steigerung der Arbeitsproduktivität zu erfüllen und die geplanten Kosten nicht zu überschreiten“ gedachte. Darin verpflichtete er sich unter anderem, freiwillige Überstunden, Sonder­ und Initiativschichten abzuleisten (bezahlte „Feierabendarbeit“ wurde dem Betrieb nun ausnahmslos untersagt), Baustellen künftig strikter zu kontrollieren, den Strukturund Stellenplan des Betriebes zu überarbeiten sowie die Betriebsgaststätte in der Leninstraße wieder zu verkaufen. Gleichwohl wies der Betriebsleiter aber darauf hin, dass die Maßnahmen nur Ergebnisse erbrächten, wenn alle Vorarbeiten des Stadtbauamtes, etwa zur Bilanzierung der Kooperationspartner oder die Absicherung von Winterbauobjekten, wie geplant abliefen.322 Der selbst in Bedrängnis geratene Rat des Stadtbezirks musste dies jedoch als fehlende „Kampfposition“ werten und wies unter Androhung erneuter personeller Konsequenzen an, dass der Betrieb künftig „aus eigener Kraft“ aufzubauen sei.323 Das kompromisslose Vorgehen gegen den VEB Baureparaturen Südost sollte zugleich auf andere Stadtbezirke abschreckend wirken, denn auch dort wurden ähnliche Praktiken aufgedeckt. Etwa habe man im Stadtbezirk West zulasten des Haushalts und mit Unterstützung der leitenden Staats- und Parteifunktionäre Ausrüstungen, Baumaterialien und Luxusgegenstände über alle Maßen gekauft bzw. im Tausch mit staatlichen Dienstleistungen erhalten. Auch das Leitungspersonal wurde auf eigensinnige Weise rekrutiert. Im Stadtbezirk West spielten personelle Netzwerke dabei allerdings keine Rolle, stattdessen kaufte der Rat des Stadtbezirks einen kompletten Handwerksbetrieb auf, dessen Personal er gleich mit übernahm und in Leitungspositionen des neuen VEB Baureparaturen unterbrachte. Dabei handelte es sich aus ideologischer Sicht keineswegs um eine mustergültige Kaderauswahl. Der Kaderleiter war 1974 wegen „Verlassen des Klassenstandpunktes“ aus der Volkspolizei entlassen worden, der Technische Direktor hatte bereits ein Diszi321 Vgl. SED-SPKK, Untersuchung im Stadtbezirk Südost. 15.7.–23.9.1976, o. D., SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/157, unp. 322 Vgl. VEB Baureparaturen Südost, Aufholekonzeption [sic!] der staatlichen Leitung des VEB Baureparaturen Leipzig Südost zur Planerfüllung 1977 und Plananlauf 1978, o. D., StadtAL, StVuR, 937, Bl. 71–75. 323 Rat des Stadtbezirkes Südost, Stadtbezirksbürgermeister an den Oberbürgermeister Müller, 1.12.1977, Ebd., Bl. 55 f.

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plinarverfahren hinter sich und der Betriebsleiter für technische Ausrüstungen war 1970 wegen Eigentumsdelikten bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und aus der SED ausgeschlossen worden. Auch das übrige Personal war kein Garant für Stabilität. Von den 70 Mitarbeitern hatten 80 Prozent mehrfach die Arbeitsstelle gewechselt und allein im ersten Jahr des Bestehens des Betriebes hatten schon 21 Mitarbeiter wieder gekündigt.324 Dass sich die Eingriffe von Partei- und Staatsorganen wohl aufgrund der schwierigen personellen Situation in den Betrieben letztlich auf singuläre, aber nur begrenzt wirksame Aktionen beschränkten, zeigen häufige Fälle von Missbrauch betriebseigener Kapazitäten durch betriebliche Leitungskader. Unbeobachtet von Berlin entwickelte sich auf dem lokalen Baureparatursektor so eine blühende Schattenwirtschaft, nicht zuletzt als Kompromiss für eine gewisse personelle Stabilität. Im VEB Baureparaturen West etwa hatte sich der Kaderleiter, der bereits 1976 wegen seines „unparteilichen“ Verhaltens gerügt worden war, 1985 einen eigenen Bungalow aus Mitteln der Wohnraumwerterhaltung finanziert und hierfür drei Arbeitskräfte, als „Brigade“ getarnt, privat beschäftigt, wofür er am Ende lediglich eine „strenge Rüge“ erhielt.325 Dabei wurde auch bekannt, dass sich in diesem Betrieb offenbar jeder Mitarbeiter als materiellen Anreiz zum Verbleib im Betrieb mit privaten Reparaturbedürfnissen an die Betriebsleitung wenden konnte.326 Und im Stadtbezirk Süd ließ sich der Stadtbezirksbaudirektor seine wohlwollende Haltung gegenüber den Eigenmächtigkeiten des Baureparaturbetriebs durch den Bau eines Eigenheims mit aufwendigen Holzverkleidungen vergüten.327 Überhaupt gehörte es angesichts des Drucks durch das Wohnungsbauprogramm, für dessen Umsetzung auch jene Betriebe stets herangezogen wurden, zum Alltag, regelmäßig mehr Bauleistungen abzurechnen, als tatsächlich erbracht wurden. Im VEB Baureparaturen Nord wurde bereits im ersten Halbjahr 1986 ein Drittel mehr Bauleistungen abgerechnet als erbracht wurden. Nur in diesem Falle wurde der Betriebsdirektor entlassen, wobei sich die Schwere des Vorfalls dadurch ergab, dass die Manipulationen im Vorfeld des XI. Parteitags der SED praktiziert wurden, um bei dieser Gelegenheit eine Auszeichnung entgegenzunehmen.328 Ähnliche Versuche, den eigenen Betrieben bei jeder sich bietenden Gelegenheit Ansehen zu verleihen, um damit von krummen Geschäften abzulenken, waren freilich keine Einzelerscheinungen. Selbst im übergeordneten Baureparaturkombinat wurden im Vorfeld des XI. Parteitags 423.000 M nicht erbrachte Bauleistungen abgerechnet. Hinzu kamen 2,1 Millionen M für Rechen- und Bürocomputertechnik. Um 324 Vgl. SED-SBPKK West, Untersuchung in der SED-Grundorganisation des VEB Baureparaturen, 1.9.1976–11.1.1977, SächsStAL, 21144, IV/C/5/08/107, unp. 325 Vgl. SED-SBPKK West, Untersuchung in der SED-Grundorganisation es VEB Baureparaturen, 8.10.–19.12.1985, o. D., SächsStAL, 21144, IV/E/08/121, unp. 326 Vgl. ABI Stadtbezirkskomitee West, Information über die Einhaltung der Gesetzlichkeit gegenüber der Bevölkerung bzw. Werktätigen im VEB Baureparaturen Leipzig-West, 14.8.1985, Ebd., unp. 327 Vgl. MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, 2. Information zum VEB Baureparaturen LeipzigSüd, 27.1.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 01533, Bl. 49–53. 328 Vgl. SED-SBPKK Nord, Untersuchungsergebnis, 22.9.1986, SächsStAL, 21139, IV/E/5/03/ 105, unp.

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die Qualität des operativen Rechenzentrums des Betriebes herauszustreichen, hatte der Stellvertreter des Betriebsleiters für Ökonomie einen Minirechner über persönliche Beziehungen aus Rumänien beschaffen lassen und die Rechnung aus Mitteln zur „Finanzierung wissenschaftlich-technischer Höchstleistungen“ beglichen. Um diese Mittel wieder hereinzubringen, wurde das Gerät auch über den Betrieb hinaus kostenpflichtig zur Nutzung angeboten. Und damit diese Gewinne nicht an den Staatshaushalt abgeführt werden mussten, wurde der Rechner den Behörden gegenüber schlicht als „noch nicht in Benutzung“ deklariert.329 Ein vergleichbares Eigenleben herrschte in den Betriebsteilen des VEB GWL. Dieser hatte schon 1972 mit dem Aufbau von Bauhöfen begonnen, die vor allem Kleinstreparaturen (ähnlich einem Hausmeisterservice) durchführen sollten. In ihnen sollten sich die „sozialistischen Produktionsverhältnisse“ auf dem Gebiet der Instandhaltung widerspiegeln, wie es im „Kampfplan“ des VEB GWL hieß.330 Auch die Bauhöfe mussten jedoch binnen weniger Wochen „aus dem Nichts“ aufgebaut werden. Da die staatlichen und betrieblichen Organe der Wohnungswirtschaft jedoch nicht über eigene Fonds zum Ankauf von Ausrüstungen verfügten, war der Betrieb auf ausgesonderte Geräte angewiesen. So gaben etwa die Ratsabteilung Örtliche Versorgungswirtschaft sowie das Stadtbauamt an die Bauhöfe, was „abgezweigt werden kann“. Auch einige Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) zeigten sich solidarisch und stellten ihre Ausrüstung leihweise zur Verfügung. Selten wurden auch vom Bezirksbaukombinat gebrauchte Ausrüstungen, wie Schlagbohrmaschinen, die allerdings erst umgerüstet werden mussten, abgekauft.331 Dass die Betriebshandwerker ihre Einsätze mit privaten PKW, Fahrrädern oder der Straßenbahn fuhren, war keine Seltenheit.332 Auch die Personalsituation im VEB GWL gestaltete sich ähnlich kritisch wie in den VEB Baureparaturen. Bereits 1973 hatten fast 15 Prozent der etwa 1.460 Beschäftigten, von denen 42 Prozent in den Bauhöfen arbeiteten, nach wenigen Monaten wieder gekündigt. Eine ähnliche Quote wurde 1989 schon in den ersten drei Monaten erreicht, wobei fast die Hälfte der Kündigungen aus „persönlichen Gründen“ erfolgte.333 Dies betraf vor allem qualifiziertes Personal, denn im VEB GWL verdiente etwa ein Meister monatlich rund 120 M weniger als in den städtischen Baureparaturbetrieben. Dafür sollten sie jeweils 2.100, teilweise sogar 3.000 329 Vgl. BV MfS Leipzig, Information über einige Probleme der Führungs- und Leitungstätigkeit im VE Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion Leipzig (KBR) zur ökonomischen Situation sowie zu anderen Betrieben und Einrichtungen des stadt- und stadtbezirksgeleiteten Bauwesens der Stadt Leipzig, 21.1.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742, Bd. 1, Bl. 160–165. 330 Vgl. VEB Gebäudewirtschaft, Betriebsdirektor an den Stadtbaudirektor, 8.5.1972, StadtAL, StVuR, 21924, Bl. 220. 331 Vgl. ABI Stadtkomitee, Kontrollergebnisse zur Stabilisierung und Erweiterung der Kapazitäten der Bauhöfe des VEB GWL Leipzig, 10.5.1974, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. 332 Vgl. VEB Gebäudewirtschaft, Betriebsdirektor an den Stadtbaudirektor, 8.5.1972, StadtAL, StVuR, 21924, Bl. 222. 333 Vgl. ABI Stadtkomitee, Bericht zur Nachkontrolle über die Erhöhung der Wirksamkeit des VEB GWL über die Verwaltung und Erhaltung des Wohnungsbestandes, 28.4.1989, SächsStAL, 20301, 506, unp.

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Wohnungen betreuen.334 Zudem fehlten sozialpolitische Anreize wie betriebseigene Wohnungskontingente und ein organisierter Feriendienst. Auch die räumliche Unterbringung der Mitarbeiter ließ stark zu wünschen übrig. Die Produktions- und Lagerstätten, die sich auf nicht weniger als 153 Einrichtungen verteilten, waren überwiegend in Altbauten untergebracht und in einem entsprechend schlechten Zustand.335 Dies traf ebenso auf die Verwaltungsräume zu, in denen zugleich Sprechstunden abgehalten wurden. Häufig kam es hier vor, dass vier Mitarbeiter in einem Raum saßen und die Verhältnisse derart beengt waren, dass Besuchern nicht einmal ein Stuhl angeboten werden konnte.336 Ähnlich wie im VE Kombinat Baureparaturen und Rekonstruktion arbeitete in der Gebäudewirtschaft aus diesen Gründen vorwiegend gering qualifiziertes Personal. Unter 145 Berufshausmeistern im Jahre 1975 besaßen nur 87 die geforderte Qualifikation eines Facharbeiters (58 Hausmeister hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung) und unter den 42 Technikern konnten nur sechs den verlangten Meister-Abschluss vorweisen.337 Die oftmals fehlende Fachkenntnis sowie der tägliche Umgang mit veralteten und notdürftig reparierten Maschinen verursachten zudem hohe Unfallquoten. In den Jahren 1985 und 1986 etwa waren jeweils knapp die Hälfte der 674 bzw. 1.172 Ausfalltage durch Betriebsunfälle bedingt.338 Um die wenigen qualifizierten Mitarbeiter bestand dagegen ein regelrechter innerbetrieblicher Kampf, wobei die Zentrale des VEB GWL selbst immer wieder Arbeitskräfte aus den Betriebsteilen und Bauhöfen abzog.339 Zu Konflikten kam es aber auch immer wieder, weil sich die Bauhöfe als „Diener vierer Herren“ sahen.340 Aufträge erhielten sie sowohl von der Zentrale des VEB GWL bzw. den Betriebsteilen als auch vom Stadtbauamt sowie den Stadtbezirksbauämtern. Zudem kamen Aufträge auch direkt von der Abteilung Staatliche Bauaufsicht des Stadtbauamts, etwa zur Instandsetzung maroder Balkone.341 Kritische Aussprachen und sogar gewöhnliche Anleitungen wurden aus Angst vor Kündigungen dagegen vermieden, was freilich einen beträchtlichen Kontrollverlust gegenüber den Betriebsteilen und den Bauhöfen nach sich zog. Gerade das 334 Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Information über die gegenwärtige Lage im VEB Gebäudewirtschaft Leipzig (GWL), 30.11.1981, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742, Bd. 2, Bl. 317. 335 Vgl. Bericht zur Entwicklung des VEB GWL 1981–1985, o. D., StadtAL, StVuR, 19434, Bl. 68–82. 336 Vgl. SED-SPKK, Bericht über eine Untersuchung im VEB Gebäudewirtschaft Leipzig, Betriebsteil Süd, 7.12.1974, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp. 337 Vgl. SED-Stadtleitung, Sekretariat, Untersuchungsbericht der SED-SPKK in der SED-Grundorganisation des VEB GWL, 21.2.1975, Ebd., unp. 338 Vgl. Sekretär des Kooperationsrates an den Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, 10.2.1987, StadtAL, StVuR, 19434, Bl. 104. 339 Vgl. Rat der Stadt, Instrukteurabteilung an den Oberbürgermeister, Kontrollinformation zu einigen Problemen des Zusammenwirkens zwischen den Räten der Stadtbezirke und den Betriebsteilen des VEB GWL, 3.4.1978, StadtAL, StVuR, 17892, Bl. 3. 340 Rat des Bezirkes, Hinweise zum Bericht des Rates der Stadt Leipzig über die Erhöhung der Rolle, Verantwortung und Arbeitsfähigkeit der Räte der Stadtbezirke vor dem Sekretariat der SED-Bezirksleitung am 7.1.1976, 29.12.1975, SächsStAL, 20237, 24345, unp. 341 Vgl. VEB GWL, Betriebsdirektor an den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Horst Schumann, 4.6.1988, StadtAL, StVuR, 17900, Bl. 113–115.

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aber war einer der wenigen Gründe, warum sich überhaupt noch qualifizierte Fachkräfte als Hausmeister oder Techniker im VEB GWL anstellen ließen. So gab der Leiter des Bauhofs Südost 1981 bei einer Untersuchung zu Protokoll: „Wer zur Gebäudewirtschaft kommt ist der Auffassung, daß ihre [sic!] Arbeit bei uns nicht so kontrolliert würde und sie günstigere Bedingungen vorfänden für private Nebentätigkeiten während der Arbeitszeit, für Feierabendarbeit usw.“342 Auch Bauhofleiter selbst profitierten vom Kontrollverlust der Behörden, etwa indem sie private Reparaturen auf Kosten des Betriebs „schwarz“ durchführen ließen.343 In den Bauhöfen und den VEB Baureparaturen spiegelt sich zusammenfassend die Schattenseite der Planwirtschaft wider. Ihr Aufbau entsprang gewünschten lokalen Initiativen, war aber nicht hinreichend durch zentrale Vorgaben oder übergeordnete Funktionäre gedeckt. Stellten sie teilweise dennoch zunächst ein Mindestmaß an Handlungsspielraum dar, da sie unbeobachtet Material horten konnten, wurden solche Aktionen immer wieder aus politischen Gründen unterbunden. Der prekären Personal- und Materialsituation der Betriebe begegnete man indes nicht mit politischen Maßnahmen, sondern mit einer relativ großen Toleranz gegenüber einer Schattenwirtschaft, die ausschließlich dem Zweck diente, das Personal bei der Stange zu halten. Dem eigentlichen Zweck, ein Gegengewicht zur Überbeanspruchung der Betriebe durch das Wohnungsbauprogramm herzustellen, dienten die Betriebe aber kaum. „Ausschöpfung örtlicher Reserven“: Handwerker, Brigaden, Bevölkerungsleistungen Die Dysfunktionalität der staatlichen Maßnahmen zur Etablierung eines stabilen Reparatursektors machte es unumgänglich, anderweitig Ressourcen „auszuschöpfen“. Eine besondere Rolle kam dabei den noch verbliebenen ortsansässigen privaten Handwerksbetrieben zu. Deren Haltung gegenüber der Wohnungspolitik der SED war jedoch durch Reserviertheit gekennzeichnet. Während einer internen Umfrage unter Leipziger Handwerkern zum Wohnungsbauprogramm Honeckers zu Beginn des Jahres 1972 wurde den Parteikontrolleuren häufig entgegnet, „daß es keine gesetzliche Grundlage gibt die Handwerker zur Arbeit bei Reparaturen zu zwingen“. Dabei stellten sich sogar Funktionäre der örtlichen Handwerkskammer und Staatsfunktionäre, unter ihnen auch Mitglieder der SED, schützend vor die Handwerksbetriebe und verwiesen auf fehlende gesetzliche Regelungen.344 Die reservierte Haltung der Handwerksbetriebe erwies sich in der Folge oftmals 342 SED-SBPKK Südost, Niederschrift über eine Aussprache mit dem Leiter des Bauhofes, dem Vorsitzenden der AGL und dem Brigadier der Maurer, 3.6.1981, SächsStAL, 21142, IV/D/ 5/06/168, unp. 343 Vgl. SED-SBPKK Nord, Untersuchung in der SED-Grundorganisation des VEB GWL Nord, 1.12.1978–14.1.1979, o. D., SächsStAL, 21139, IV/D/05/3/152, Bl. 218. 344 Vgl. SED-SPKK, Teilbericht zur Untersuchung über die Durchführung der Beschlüsse des VIII. Parteitages in der APO im Rat der Stadt und den Grundorganisationen der Räte der Stadtbezirke Süd und Südwest zum Problem der Bauhöfe, 29.2.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/ 01/150, unp.

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als wohlbegründet, denn nicht selten vergingen zwischen Auftragserledigung und Bezahlung der Rechnungen durch den VEB GWL sechs bis acht Wochen, zum Teil neun Monate. Der Grund für die lange Bearbeitungsdauer lag darin, dass in den Betriebsteilen des VEB GWL jeweils nur ein Mitarbeiter zur Bearbeitung von wöchentlich etwa 300 Rechnungen vorhanden war. Handwerker reagierten darauf immer häufiger mit der Ablehnung von Aufträgen oder forderten die Bürger auf, die Rechnungsbeträge auszulegen und sich selbst um Rückerstattung beim VEB GWL zu bemühen, was kaum zur Herrschaftsstabilität beitrug.345 Aus diesem Grunde richteten die Räte der Stadtbezirke 1978 Auftragszentralen mit jeweils vier Mitarbeitern ein. Diese sollten als Mittler zwischen der Bevölkerung und Handwerksbetrieben agieren und zugleich die Betriebsteile des VEB GWL entlasten. Gleichwohl war deren Aktionsradius beschränkt, denn ihr Zuständigkeitsbereich umfasste lediglich Reparaturen unter 100 M, die durchschnittlich gerade einmal ein Zehntel der Reparaturaufträge ausmachten. Den Ausschlag zur Bildung der Auftragszentralen gab zudem nicht die Überlastung des VEB GWL bei der Koordination der Reparaturaufträge, sondern der Umstand, dass Bürger immer wieder aufgefordert wurden, sich selbst um Handwerker zu bemühen, was als politisches Tabu galt. Grundlegende Defizite sollten durch die personell eher dünn besetzten Auftragszentralen dagegen von vornherein nicht behoben werden. Auch ihre Kontrollfunktion über die Erledigung von Reparaturaufträgen konnten diese nur eingeschränkt erfüllen, weil das Problem der termingerechten Bezahlung der Handwerker nach wie vor bestand und diese sich auch den Auftragszentralen gegenüber reserviert verhielten.346 Eine Maßnahme, der auch intern wesentlich mehr Wirkung beigemessen wurde, war eine grundlegende Strukturreform der Wohnungsverwaltungen auf Wahlkreisebene. Ausgelöst durch einen Beschluss der SED-Stadtleitung vom 1. Oktober 1981, sollten die bisher vorhandenen 63 Wohnungsverwaltungen auf 20 reduziert werden, sodass nur noch zwei bis drei Wohnungsverwaltungen je Stadtbezirk bestanden. Der grundlegende Gedanke dahinter war, dass der Wohnungsbestand in einigen Wahlkreisen durch den konzentrierten Wohnungsbau bedeutend angestiegen war, in anderen dagegen nicht. So sollten künftig 158 Wohnungswirtschaftler für jeweils etwa 800 Wohnungen und 62 Bauberater für jeweils etwa 2.000 Um- und Ausbauwohnungen in den Wohnungsverwaltungen tätig sein.347 In der Tat stellten sich in den ersten Jahren der Umsetzung des Beschlusses durchaus Erfolge ein. Allerdings erwies sich das Personal als instabiler Faktor. Die Fluktuation war auch hier wie in allen Bereichen der Wohnungspolitik hoch. 1987 etwa fehlten 106 Mitarbeiter, 345 Vgl. Rat der Stadt, Instrukteurabteilung, Kontrollinformation zu einigen Problemen des Zusammenwirkens zwischen den Räten der Stadtbezirke und den Betriebsteilen des VEB GWL, 3.4.1978, StadtAL, StVuR, 17892, Bl. 8–10. 346 Vgl. Rat der Stadt, Instrukteurabteilung, Kontrollinformation zu einigen Problemen des Zusammenwirkens zwischen den Räten der Stadtbezirke und den Betriebsteilen des VEB GWL, 3.4.1978, StadtAL, StVuR, 17892, Bl. 7–9. 347 Vgl. SED-Stadtleitung, Abt. Bauwesen, Information zur Realisierung des Beschlusses des Sekretariats der SED-Stadtleitung vom 1.10.1981 zur Verbesserung der Leitungstätigkeit im VEB GWL, 20.1.1982, StadtAL, StVuR, 17895, Bl. 254–256.

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darunter 42 Wohnungswirtschaftler und 29 Bauberater. Überhaupt erwies sich die von der SED-Stadtleitung vorgegebene Personalkennziffer als zu gering, sodass 1989 von jedem Wohnungswirtschaftler etwa 200 Wohnungen mehr als ursprünglich gedacht verwaltet werden mussten. Überdies handelte es sich bei den Bauberatern, welche den Bürgern bei Um- und Ausbaumaßnahmen fachlich zur Seite stehen sollten, zumeist um in der Praxis unerfahrenes Personal. Zudem bereitete es erhebliche Schwierigkeiten, die Wohnungsverwaltungen in geeigneten Räumlichkeiten unterzubringen und diese adäquat auszustatten. Die zugewiesenen Räumlichkeiten waren beengt, überaltert, unbeheizt und es fehlte überall an Büro- und Rechentechnik.348 Auch sah der Betriebsdirektor des VEB GWL die Erfolge der Wohnungsverwaltungen schon 1985 eher in der günstigen Außenwirkung auf die Bürger, die dadurch eine feste Anlaufstelle für ihre Anliegen hatten. Die praktische Arbeit der Wohnungsverwaltungen, die auf eine zügigere und effektivere Erledigung von Reparaturarbeiten sowie einen schnellen Wiederbezug leerstehender Wohnungen, ferner auf die Vermittlung zwischen Hausgemeinschaftsleitungen, Wohnbezirksausschüssen, ehrenamtlichen Mitarbeitern, Betrieben usw. ausgerichtet war, trug letztlich kaum zur Entlastung des VEB GWL bei. Zwar durften sie im Gegensatz zu den Auftragszentralen Reparaturaufträge bis zu 200 M pro Wohnungen auf unbürokratischem Wege an Handwerksbetriebe vergeben, aber selbst das war angesichts des sich zunehmend verschlechternden Gebäudezustandes wirtschaftlich wenig effizient. Zudem waren die Mitarbeiter der Wohnungsverwaltungen auf die subjektiven Mängelbeschreibungen der Bürger angewiesen, da auch sie nur über spärliche Unterlagen zum Bauzustand der verwalteten Gebäude verfügten. Ferner hatte die Möglichkeit, Reparaturaufträge auf unbürokratischem Wege zu erteilen, auch negative ökonomische Folgen, denn dadurch stieg die spontane Vergabe kleiner Reparaturaufträge zulasten längerfristig geplanter Instandhaltungsmaßnahmen.349 Andere Maßnahmen ließen sich dagegen nur über Kampagnen realisieren. 1984 etwa initiierte der Rat der Stadt eine Aktion zur Wiedergewinnung gebrauchter Baumaterialien, die sich in zur Modernisierung bzw. zum Abriss vorgesehenen Gebäuden befanden. Allerdings fehlte es auch bei der Durchführung dieser Aktion an jeglicher Koordination. In vielen Fällen trafen die Mitarbeiter des VEB GWL auf kaum verwendbares oder bereits zerstörtes Material, in anderen Fällen hatten sich Bürger bereits selbst bedient.350 Auch eine seit 1983 laufende Aktion zur Rück348 Vgl. VEB Gebäudewirtschaft / Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Ergebnisse bei der Umbildung der Wohnungsverwaltungen, o. D., StadtAL, StVuR, 17899, Bl. 365–375; ABI Stadtkomitee, Bericht zur Nachkontrolle über die Erhöhung der Wirksamkeit des VEB GWL über die Verwaltung und Erhaltung des Wohnungsbestandes, 24.8.1989, SächsStAL, 20301, 506, unp. 349 Vgl. VEB Gebäudewirtschaft, Betriebsdirektor, Stand der Umsetzung des Beschlusses des Sekretariats der SED-Stadtleitung vom 9.1.1984 zur Herausbildung leistungsfähiger Wohnungsverwaltungen im VEB Gebäudewirtschaft Leipzig unter Zugrundelegung der Umsetzung des Führungsbeispiels der Wohnungsverwaltung 111 im Betriebsteil Südwest, 22.1.1985, StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 238–242. 350 Vgl. ABI Stadtkomitee, Information zur 2. Etappe der Kontrolle über die Gewinnung und Wiederverwendung gebrauchter Baumaterialien bei der Erhaltung von Wohnraum sowie beim Abriß von Bauwerken, 24.5.1984, StadtAL, StVuR, 1422, Bl. 6.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

gewinnung von Thermoglasscheiben brachte im Ergebnis kaum Nutzen. Hierbei fehlte es dem VEB GWL vor allem an nötigen Arbeitsgeräten zum Entfernen der Scheiben. So sei einem Bericht vom 6. August 1984 zufolge jede zweite Scheibe zu Bruch gegangen. Aber auch die unbeschädigten Scheiben waren durch das Herausschneiden allenfalls noch als Keller- oder Schuppenfenster zu gebrauchen.351 Größere Kampagnen, wie das umfassende Dachinstandsetzungsprogramm „Dächer dicht!“ (1984–1987) ließen sich dagegen nur initiieren, wenn sie von übergeordneten Organen angewiesen und außerhalb des Planes finanziert wurden. Als „sozialistische Masseninitiative“ angelegt, sollten bei dieser Aktion Baureparaturbetriebe, örtliche Großbetriebe, FDJ- und Feierabendbrigaden gemeinsam an der Behebung der Dachschäden arbeiten. In Leipzig wurde hierfür ein Reparaturbedarf von 2.995 km2 Dachfläche angemeldet, was in etwa dem vierfachen der Fläche der Leipziger Innenstadt oder 92.000 betroffenen Wohnungen entsprach.352 Der Erfolg des Programms war letztlich jedoch nicht nur gering, sondern trug sogar noch zur Misswirtschaft vor Ort bei. Da über die Zuschüsse von Ost-Berlin lediglich Personalkosten abgedeckt wurden, es aber weiterhin an Ausrüstungen sowie an der Kooperationsbereitschaft von Handwerksbetrieben und Eigentümern mangelte, ging es bei der Durchführung der Aktion letztlich nur um die Erfüllung der Planzahlen.353 Dies hatte zur Folge, dass vornehmlich Dächer repariert wurden, bei denen kein Bedarf bestand, während sich der Anteil reparaturintensiver Dächer kaum reduzierte. Letztlich wurde das „Ausweichen auf bessere Substanz“ geduldet, um den Plan formal zu erfüllen.354 Auch hielt sich die Massenwirksamkeit des Programms in engen Grenzen. FDJ-Brigaden, die ferner auch zum Ausbau von Dachgeschosswohnungen abgestellt worden waren, erhielten kaum Unterstützung ihrer Betriebe355, andere FDJ­Gruppen, die qualifizierte Arbeitskräfte für das Dach­ instandsetzungsprogramm anwerben sollten, lieferten den Betrieben größtenteils Hilfsarbeiter oder vorbestrafte Arbeitskräfte.356 Dass die städtische Wohnungswirtschaft stets ein gering angesehenes Arbeitsfeld war, für das sich vor Ort kaum Kooperationspartner gewinnen ließen, zeigen nicht nur diese Beispiele, sondern auch verschiedene erfolglose Versuche des Rates 351 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Wiedemann, an den Oberbürgermeister, Müller, Hausmitteilung, 6.8.1984, StadtAL, StVuR, 17897, Bl. 94. 352 Vgl. Prof. Dr. Siegbert Fröhlich / Manfred Eißler, Zur Bauzustandsermittlung der Stadt Leipzig, 30.6.1983, StadtAL, StVuR, 19422, Bl. 103 f. 353 Vgl. MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Zuarbeit für die Lageeinschätzung des örtlichen und stadtgeleiteten Bauwesens, zu Fragen des „Dächer-dicht-Programmes“, aus der Sicht der Baubetriebe des örtlich geleiteten Bauwesens, 2.2.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt 01533, Bl. 54–62. 354 Vgl. Rat der Stadt Leipzig, Chefarchitekt, Analyse des Erfüllungsstandes des Programms DÄCHER DICHT bis 1987 in der Stadt Leipzig, 31.7.1986, SächsStAL, 20301, 506, unp. 355 Vgl. Übersicht über die FDJ-Aktion ‚Um- und Ausgebaut‘, Stadt 12/85, StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 2. 356 Vgl. MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Zuarbeit für die Lageeinschätzung des örtlichen und stadtgeleiteten Bauwesens, zu Fragen des „Dächer-dicht-Programmes“, aus der Sicht der Baubetriebe des örtlich geleiteten Bauwesens, 2.2.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt 01533, Bl. 61.

3. Wohnungspolitik in der absteigenden Metropole: Die Ära Honecker

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der Stadt, Betriebe, die alleinige oder zum Großteil Nutzer von volkseigenen oder treuhänderisch verwalteten Grundstücken waren, zur Übernahme der Rechtsträgerschaft zu bewegen. In der Stadt Leipzig hätten dadurch allein 1988 etwa 400 zweckentfremdete Wohnungen aus dem Bestand des VEB GWL ausgegliedert werden können. Es fand sich aber kaum ein Betrieb zur Übernahme der Rechtsträgerschaft bereit. Häufige Argumente der Betriebe waren, dass man kein Interesse habe, nicht der alleinige Nutzer sei und keine Verwaltungskräfte wie -mittel zur Verfügung habe.357 Am Ende verblieb schließlich nur ein lokaler Akteur, der aus eigener Betroffenheit gezwungenermaßen aktiv werden musste – die Stadtbevölkerung. Sie trat der städtischen Verwaltung nicht nur als Bittsteller gegenüber, sondern auch als stabiler Faktor der Planerfüllung auf dem Gebiet der Instandhaltung. So kommentierte der Rat des Bezirkes die Bilanz der Planerfüllung im lokal geleiteten Bauwesen im Jahre 1975: „Die ausgewiesene Planerfüllung resultiert zum größten Teil aus der Übererfüllung der Bevölkerungsleistungen“.358 Auch 1980 machten Bevölkerungsleistungen 47,7 Prozent aller Instandhaltungsleistungen des Jahres aus.359 Die Wohnprobleme der Bevölkerung waren daher auch ein gern genutztes Argument, um die Betriebe an ihre soziale Fürsorgepflicht zu erinnern und dadurch an die vermuteten Reserven zu kommen. Besonders deutlich wurde diese Doppelabsicht, als die Wohnungsbehörden der Stadtbezirke von der SED-Bezirksleitung 1978 beauftragt wurden, in Zusammenarbeit mit ansässigen Betrieben in ihren Territorien Reparaturstützpunkte aufzubauen, bei denen sich Bürger Werkzeuge und Kleinmaschinen für Reparaturarbeiten ausleihen konnten. Die Wohnungsbehörden sowie die Betriebsteile des VEB GWL legten die verordnete Zusammenarbeit freilich weit aus und forderten die Betriebe nicht nur zur Mithilfe beim Aufbau, sondern auch zur Ausstattung und Unterhaltung der Reparaturstützpunkte auf.360 Grenzen setzte dabei vor allem die unterschiedliche Standortgebundenheit der Akteure. Im Stadtbezirk Südost, wo es nur „wenig leistungsstarke Betriebe“361 gab, fanden sich gerade einmal zwei Betriebe (VEB DEWAG und VEB Polygraph) bereit, überhaupt in dieser Richtung aktiv zu werden. Aber auch ihre Kapazitäten waren eng begrenzt. VEB Polygraph etwa, der auch im Stadtbezirk Südwest einen Repara357 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Information über den Stand der Umsetzung des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates vom 21.7.1977 – „Maßnahmen zur besseren Gewährleistung der Erhaltung und Verwaltung des Wohnungsbestandes“ – Ausgliederung nicht typischer Leistungen aus dem Verantwortungsbereich des VEB Gebäudewirtschaft Leipzig, 7.9.1988, StadtAL, StVuR, 19448, Bl. 50. 358 Rat des Bezirkes, Instrukteurabteilung, Hinweise zum Bericht des Rates der Stadt Leipzig über die Erhöhung der Rolle, Verantwortung und Arbeitsfähigkeit der Räte der Stadtbezirke vor dem Sekretariat der SED-Bezirksleitung am 7.1.1976, SächsStAL, 20237, 24345, unp. 359 Vgl. Rat der Stadt, Auszüge aus dem Bericht des Stadtrates, o. D., StadtAL, StVuR, 20651, Bl. 29. 360 Vgl. VEB GWL, Betriebsteil Südost, Bericht zu den konkreten Maßnahmen in der Durchsetzung der gefaßten Beschlüsse zum Aufbau von Reparaturstützpunkten in Zusammenarbeit mit den Betrieben, 25.4.1979, StadtAL, SB Südost, 871, Bl. 4 f. 361 Rat des Stadtbezirkes Südost, Bericht über den Stand des Aufbaus von Reparaturstützpunkten, 9.4.1979, Ebd., Bl. 9.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

turstützpunkt unterhielt, sicherte dem Rat des Stadtbezirks Südost zwar Arbeitskräfte und finanzielle Beteiligung zu, lehnte aber die Übernahme der Trägerschaft über den Reparaturstützpunkt ab. Andere Betriebe verweigerten grundsätzlich die Übernahme jeglicher Mehrbelastungen oder ignorierten die Anfragen der lokalen Räte.362 Organisatorisch waren die Reparaturstützpunkte an die Bauhöfe des VEB GWL angegliedert. Hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit waren sie jedoch in unterschiedlichem Maße vom VEB GWL sowie von den sie unterstützenden Betrieben abhängig. Die Materiallieferungen mussten aus den Beständen der Bauhöfe gesichert werden, die Arbeitskräfte wurden hingegen durch die Betriebe für „Feierabendtätigkeiten“ entlohnt. Da Letzteres aber von den finanziellen Möglichkeiten der Betriebe abhing, kam es nicht selten vor, dass Mitarbeiter während ihrer Tätigkeit in den Reparaturstützpunkten anderen „Feierabendtätigkeiten“ nachgingen.363 Je nach Lage der Dinge konnte die Funktionsfähigkeit der Reparaturstützpunkte auch innerhalb von Stadtbezirken beträchtlich variieren. So bewegte sich die Planerfüllung im Stadtbezirk Südwest je nach betrieblicher und staatlicher Beteiligung zum 31. August 1985 zwischen 12,6 und 156,8 Prozent.364 Überdies wurden Kapazitäten der Reparaturstützpunkte aufgrund ihrer Abhängigkeit vom VEB GWL bei Materiallieferungen immer wieder für Arbeiten in Modernisierungsgebieten abgezogen.365 Ihre eigentliche Funktion, die Bevölkerung bei Klein- und Kleinstreparaturen zu unterstützen, erfüllten sie jedoch nur in geringem Maße. Eine andere Möglichkeit, betriebliche und private Ressourcen zu binden, war die Vergabe von Um- und Ausbauwohnungen. Bis zum Beginn der 1980er Jahre bestand die Tätigkeit der Wohnungsämter dabei lediglich in der Vergabe ausbaufähiger Wohnungen, im Abschluss von Ausbauverträgen und in der Festlegung der von den „Ausbauwilligen“ zu erbringenden Leistungen. Alles Weitere sollten die Bürger und ihre Betriebe in Eigenregie regeln. Allein der finanzielle Aufwand bewegte sich pro Wohnung zwischen 3.000 und 10.000 M, d. h. zwischen einem Zehntel und einem Drittel der Ausgaben für eine professionelle Rekonstruktion. Es verwundert daher nicht, dass dieses Angebot nur selten auf Resonanz stieß, insbesondere bei Einzelpersonen ohne betrieblichen Rückhalt.366 1981 wurden im Stadtbezirk Mitte und fünf Jahre später auch in den anderen Stadtbezirken Beratungs- und Vermittlungszentren (im Verantwortungsbereich der Betriebsteile des VEB GWL) eingerichtet, welche die Bürger beim Um- und Ausbau fachlich sowie 362 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Südost, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, an den Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Information zum Stand des Aufbaus von Reparaturstützpunkten in den einzelnen Wahlkreisen per 30.9.1979, 17.10.1979, Ebd., Bl. 35. 363 Vgl. Rat des Stadtbezirks Südwest, Abt. Wohnungspolitik, Bericht zur Situation 1981, o. D., SächsStAL, 21143, IV/E/5/07/119, unp. 364 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Südwest, Abt. Wohnungspolitik, Information über die Wirksamkeit der Reparaturstützpunkte der Großbetriebe und ihre vertragliche Einbeziehung in die Wohnraumwerterhaltung, 9.9.1985 [Abschrift], StadtAL, SB Nordost, 1994, Bd. 1, Bl. 45–48. 365 Vgl. VEB Gebäudewirtschaft Leipzig, Betriebsdirektor an den Oberbürgermeister Müller, 12.9.1985, StadtAL, StVuR, 17898, Bl. 111. 366 Vgl. SED-SPKK, Einschätzungen und Fakten aus ABI-Berichten, 1.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp.

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bei der Besorgung von Baumaterial unterstützen sollten. Zudem bildeten diese jeweils einen Gesellschaftlichen Rat, der zur Abstimmung zwischen den Betrieben und Verwaltungsbehörden dienen sollte.367 Dadurch sollte nicht nur der Einsatz von Eigenleistungen gefördert werden, sondern die Beratungs- und Vermittlungszentren waren schon allein deshalb nötig geworden, da immer mehr Um- und Ausbauwohnungen grundsätzlicher Modernisierungsmaßnahmen bedurften. So erhöhte sich der maximal gewährte Aufwand für eine Um- und Ausbauwohnung bis 1986 auf 20.000 M. Dabei sollten nun auch das Stadtbauamt und der VEB GWL bilanzierend tätig werden. Dies wiederum machte eine fachliche und organisierte Begleitung der Bürger unumgänglich, denn bei ihnen handelte es sich zumeist um junge Menschen, vorwiegend im Alter von 18 bis 23 Jahren, die weder in der Lage waren, Projektierungen bzw. Bauablaufpläne aufzustellen noch die erforderlichen Unterlagen für die bauaufsichtliche Prüfung zu erbringen.368 So wurden auch die Wohnungsbehörden der Stadtbezirke stärker als bisher in die Pflicht genommen, indem sie vor Vertragsabschluss mit den Bürgern ausführliche Beratungsgespräche sowie Besichtigungen mit fachkundigen Bauleitern zur Feststellung der Mängel durchführen sollten.369 Allerdings konnten auch die Beratungs- und Vermittlungszentren nur wenig zur Popularisierung des staatlich organisierten Um- und Ausbaus beitragen. Da es bereits den Wohnungsämtern an aussagekräftigen Unterlagen über den Bauzustand der Wohngebäude fehlte und kaum Beratungen mit den Mitarbeitern der Zentren stattfanden, erfuhren letztgenannte in der Regel erst nach Abschluss von Ausbauverträgen von der Existenz von Um- und Ausbauwohnungen. Im Stadtbezirk Nordost etwa wurden 1983 nur 345 von 3.553 leerstehenden Wohnungen direkt im Zentrum angeboten. Auch die Beschaffung von Baumaterialien blieb in der Praxis den Bürgern selbst überlassen. Da das für den Bevölkerungsbedarf kontingentierte Material gering war, musste dieses auf anderen Wegen besorgt werden. Dabei ließen sich gelegentlich „Überplanbestände“ von kommunalen Betrieben informell erwerben, oftmals aber wurden leerstehende Wohnungen ausgeschlachtet oder Baustellen geplündert. 1974 etwa machten Diebstähle im Bauwesen 11,7 Prozent aller in diesem Jahr in Leipzig registrierten Wirtschaftsdelikte aus. Dabei wurden 37,5 Prozent der Diebstähle von Beschäftigten des Bauwesens selbst begangen, wobei die Materialien oftmals in Kenntnis der Betriebs- oder Baustellenverantwortlichen als „Hilfeleistungen“ mitgenommen wurden. Beliebt waren vor allem Fenster, Warmwasserspender, Fußbodenbeläge, Elektroinstallationsmaterial, Klempnermaterial, Betonmischer und Badeöfen; kurzum alles, was man für Um- und Ausbaumaß367 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Grundsätze über die Aufgaben des Beratungs- und Vermittlungszentrums für Um- und Ausbauwohnungen des Stadtbezirkes Leipzig-Mitte, o. D., StadtAL, StVuR, 17895, Bl. 364–372. 368 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Nordost, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Ausbauvertrag für die Beseitigung von baulichen Schäden mit Hilfe der Initiative der Bürger und Betriebe, 7.4.1980, StadtAL, SB Nordost, 1994, Bd. 1, Bl. 224. 369 Vgl. Rat der Stadt, Richtlinie über die Aufgaben und Arbeitsweise der Beratungs- und Vermittlungszentren für den Um- und Ausbau von Wohnungen auf dem Territorium der Stadt Leipzig, 13.8.1986, StadtAL, StVuR, 20850, Bl. 45–50.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

nahmen benötigte.370 Die Stadtbezirksbauämter hingegen verweigerten häufig die planmäßige Zuordnung von Baumaterial, da die Wohnungsämter bzw. die Bauleiter der Zentren vielfach nicht in der Lage waren, fertige Berechnungen zu liefern. Nicht selten stellte sich erst während der begonnenen Arbeiten in den Wohnungen heraus, dass die Kosten für den Um- und Ausbau bis zu zehnfach über dem Normativ von 20.000 M lagen.371 Die Nutzung des staatlich organisierten Um- und Ausbaus blieb daher vor allem auf junge Menschen, die diese Lasten auf sich zu nehmen bereit waren oder dies als Abenteuer betrachteten, begrenzt oder es wurden andere informelle Anreize geschaffen. Im Stadtbezirk Mitte etwa spielte das Beratungs- und Vermittlungszentrum 1987 keine Rolle mehr für die Arbeit der Wohnungsbehörde. Letztgenannte vergab Ausbauverträge ungeachtet der Belegungsnormen an Bürger, sodass hier eine Möglichkeit bestand, großräumige Wohnungen und großzügige Ausbauverträge zu erhalten, die das Normativ um Längen überstiegen und mitunter auch moderne Sanitär- und Kücheninstallationen umfassten.372 Zudem hatte sich hier die Praxis eingebürgert, großräumige Um- und Ausbauwohnungen direkt an leitende Kader des VEB GWL zu vergeben, um diese langfristig an den Betrieb zu binden, wobei freilich auch finanzielle Mittel nach Belieben überzogen werden konnten.373 Dies gewährte in Einzelfällen ein gewisses Maß an Flexibilität. So war es etwa möglich, ein Gebäude in der Funkenburgstraße, das über 30 Jahre nicht in den Dachinstandsetzungsplan gekommen war, über Um- und Ausbaukontingente außerhalb des Plans zu sanieren.374 Der hierfür verantwortlich zeichnende Leiter des Hauptauftraggebers im Betriebsteil des VEB GWL Mitte, der sich in diesem Zusammenhang gleich selbst eine Wohnung in diesem Gebäude mit Komfortausstattung ausgebaut und sein vertragliches Normativ (47.000 M mit Dachinstandsetzung) um das Dreifache überschritten hatte, wurde hierfür, neben anderen Verantwortlichen, später disziplinarisch und finanziell zur Rechenschaft gezogen, was allerdings eine Ausnahme blieb.375 Während die zunehmende politische Distanz der Stadt Leipzig zum Machtzentrum in Ost-Berlin auf dem Gebiet der Wohnraumlenkung und beim Umgang mit Genossenschaften eine pragmatischere Politik ermöglichte, stand der VEB Gebäudewirtschaft bzw. der gesamte Reparatursektor Leipzigs weiterhin im Dienste des Wohnungsbauprogramms der Ära Honecker. Der Betrieb musste mithelfen, Vertragsstrafen des Bezirksbaukombinats auszugleichen, während er selbst immer mehr Wohnungen dem Verfall preisgeben musste. Auch bei der „Ausschöpfung örtlicher Reserven“ musste streng darauf geachtet werden, dass diese einen aus 370 Vgl. Abschrift aus dem Bericht über Straftaten in der Volkswirtschaft gemäß Informationsordnung 081/73, SächsStAL, 21123, IV/C/2/4/310, unp. 371 Vgl. VEB Gebäudewirtschaft, Überprüfung des Gesamtprozesses Um- und Ausbau, 16.12.1985, StadtAL, SB Nordost, 1994, Bd. 1, Bl. 54–66; Rat der Stadt, Stadtrat für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft an den Stadtbezirksbürgermeister Nordost, 14.2.1984, Ebd., Bl. 79. 372 Vgl. SED-SBPKK Mitte, Bericht, 28.5.1987, SächsStAL, 21138, IV/F/5/02/056, unp. 373 Vgl. SED-SBPKK Mitte, Untersuchung im VEB GWL Mitte, 12.5.–2.7.1987, Ebd., unp. 374 Vgl. SED-SBPKK Mitte, Aktennotiz über eine Aussprache mit L., Abteilungsleiter Wohnungswirtschaft des Rates des Stadtbezirkes Mitte am 13.7.1987, 14.7.1987, Ebd., unp. 375 Vgl. SED-SBPKK Mitte, Untersuchung im VEB GWL Mitte, 12.5.–2.7.1987, Ebd., unp.

4. Bindungskräfte: Der Staat und „seine“ Bürger im lokalen Wohnungskampf

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politischen Gründen gedrosselten Höchstbetrag nicht überstiegen. Handlungsmöglichkeiten beschränkten sich letztlich auf den inneren Selbsterhalt durch eine geduldete Etablierung einer blühenden Schattenwirtschaft, wodurch sich die Ineffizienz des Sektors nur noch verstärkte. 4. BINDUNGSKRÄFTE: DER STAAT UND „SEINE“ BÜRGER IM LOKALEN WOHNUNGSKAMPF Nicht nur das faktische Machtvakuum begrenzte und ermöglichte Handlungsspielräume in vielen Bereichen. Auch der unmittelbare Kontakt zu den Bürgern, deren Unmut die SED nach der Erfahrung des 17. Juni 1953 wie kaum etwas anderes fürchtete und um deren Zustimmung oder stillschweigende Loyalität die Staatspartei deshalb besonders bemüht war, konnte Spielräume auf lokaler Ebene eröffnen und zuweilen als politische Ressource instrumentalisiert werden. In ihrer viel beachteten, aber keineswegs unumstrittenen Studie376 hat die britische Historikerin Mary Fulbrook darauf hingewiesen, dass es in der DDR unzählige Formen von Mikrobeziehungen zwischen „Herrschenden“ und „Beherrschten“ gab, die jene Bindungskräfte erzeugen sollten und die von der bloßen passiven Mitgliedschaft in einer oder mehreren Massenorganisationen über die aktive Teilnahme an Diskussionszirkeln bis hin zur inoffiziellen Mitarbeit für die Staatssicherheit reichten. Die „partizipative Diktatur“377 habe es dem Bürger ermöglicht, „einen gewissen Beitrag […] zur Gestaltung innenpolitischer Maßnahmen“ zu leisten, was freilich keine echte demokratische Mitbestimmung bedeutete. Vielmehr sollte hierdurch subtil erzieherisch auf die Bevölkerung eingewirkt und der Zwangscharakter des SED-Staates überformt werden.378 Aus Sicht der Bürger aber eröffneten diese Beteiligungsangebote Möglichkeiten, auf Verwaltungsentscheidungen einzuwirken oder gegen diese gar vorzugehen. Sie entfalteten ihre Bedeutung gerade vor dem Hintergrund, dass es in der DDR an institutionalisierten legalen Formen der Beschwerdeführung (etwa an einer Verwaltungsgerichtsbarkeit379) fehlte. Aber auch jenseits institutionalisierter Mitwirkungsmöglichkeiten ergaben sich im Verlauf der Zeit Grauzonen, in denen zwischen Bürgern und lokalen Staatsrepräsentanten offizielle Normen und individuelle Interessen ausgehandelt wurden. In der Wohnungspolitik entwickelten sich zahlreiche solcher Mikroformen. Hierzu zählen ehrenamtliche Wohnungskommissionen genauso wie die Etablierung einer Korruptionskultur oder der informell legalisierte „Schwarzbezug“ von Wohnungen. Diese Praktiken wirkten gleichermaßen als Katalysatoren für wachsenden Unmut und trugen damit zur Systemstabilität vor Ort bei. Aus welchen Motiven heraus Bürger und lokale Behördenmitarbeiter

376 377 378 379

Zur Kritik vgl. Grieder, The German Democratic Republic, S. 10 f. Vgl. Fulbrook, The People’s State, S. 233–288. Ebd., S. 280. Erst 1988 wurden – in ihrer Wirkung allerdings eher symbolische – Anstrengungen zur Wiedereinführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit unternommen. Vgl. Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 156.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

informelle Arrangements eingingen und inwiefern sich dabei Bindungskräfte entwickelten, sind Fragen, die nachfolgend im Zentrum der Untersuchung stehen. 4.1 Im gegenseitigen Interesse: Die Wohnungskommissionen Eine besondere staatliche Förderung kam den offiziellen Formen der Bürgerbeteiligung zu, welche die Zustimmung der Bevölkerung zur Politik der SED nach innen und außen demonstrieren sollten. Eine dieser vorwiegend auf lokaler Ebene wirksamen Beteiligungsmöglichkeiten boten ehrenamtliche Verwaltungskommissionen, die praktisch für jedes Ressort existierten. Auch die Wohnungsämter waren beauftragt, Wohnungskommissionen zu organisieren. In diesem speziellen Fall konnte man gleichwohl auf eine ausgesprochene kommunale Tradition zurückgreifen, denn bereits seit dem späten 19. Jahrhundert waren Wohnungskommissionen fest in der lokalen und gewerkschaftlichen Kultur verankert. Vor dem Hintergrund unkontrolliert wachsender innerstädtischer Arbeiterquartiere und den damit verbundenen hygienischen Problemen380 waren sie als „kommunale Wohlfahrtseinrichtungen mit einem sozialpädagogischen Auftrag, in dessen Mittelpunkt Volksgesundheit und Familienpflege standen“, gegründet worden.381 Auf betrieblicher Ebene wirkten sie noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in allen Besatzungszonen an der Verteilung des Wohnraumes mit.382 In der SBZ gingen die betrieblichen Wohnungskommissionen freilich bald in die Trägerschaft des FDGB über. Daneben agierten Hausbeauftragte im Namen der kommunalen Verwaltungsorgane als „Wohnungsinspektoren“. Diese Funktion wurde im Zuge der Verwaltungsreform des Jahres 1952 kommunalen Wohnungskommissionen übertragen, die allmählich in das System der staatlichen Wohnraumlenkung integriert wurden.383 Sie arbeiteten – ebenso wie die Wohnungsbehörden der Stadtbezirke – auf Wahlkreisebene und sollten jene bei der Prüfung von Wohnungsanträgen, Entscheidungen über Beschwerden, der Erarbeitung von Vorschlägen zur besseren Nutzung, Erhaltung und Gewinnung von Wohnraum sowie bei der Durchführung von „Wohnraumbegehungen“ und „öffentlicher Beratungen“ unterstützen.384 Allen Vereinnahmungsversuchen zum Trotz zeichneten sich die Wohnungskommissionen in der Stadt Leipzig aber noch lange Zeit durch ein hohes Maß an Traditionsbewusstsein aus, worauf die kommunalen Organe besonders sensibel reagierten. Im Juni 1961 etwa kritisierte der Stadtrat für Wohnungswesen, Hans Ulrich Wittstock: „In vielen Fällen bestimmen die Verwaltungskommissionen die

380 Vgl. Clemens Zimmermann, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung in Deutschland 1845–1914, Göttingen 1991, S. 112 f. 381 Adelheid von Saldern, Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute, Bonn 1995, S. 76. 382 Für Bayern vgl. Dietmar Süß, Kumpel und Genossen. Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayrischen Montanindustrie 1945 bis 1976, München 2003, S. 42–45. 383 Vgl. Rowell, Le totalitarisme au concret, S. 287 f. 384 Vgl. Hoffmann, Wohnungspolitik der DDR, S. 336 f.

4. Bindungskräfte: Der Staat und „seine“ Bürger im lokalen Wohnungskampf

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Arbeit der Abt. Wohnraumlenkung der Stadtbezirke“.385 Die Wohnungskommissionen waren vor allem an der Lösung von Notständen in ihren Wirkungsbereichen interessiert. Sie stellten „umfassende, klar nach Wohnbedarf und gegenwärtig vorhandene[m] Wohnraum unter der Angabe der Reihenfolge der Dringlichkeit gegliederte Notstandslisten“386 auf, die sie den Wohnungsbehörden als verbindliche Arbeitsgrundlage übermittelten. Aber auch die Räte der Stadtbezirke waren auf die Wohnungskommissionen angewiesen, da sie ihnen wertvolle Informationen über die Wohnsituation vor Ort bereitstellten und damit gewissermaßen einen Ersatz für die fehlende Übersicht darstellten. Deshalb bemühten sich einige Wohnungsbehörden, die Listen der Kommissionen abzuarbeiten. So hätten sich – zum Ärger des Rates der Stadt – die Wohnungskommissionen im Stadtbezirk Süd „der Sachbearbeiterin zur Vollendung der von der Kommission vorbereiteten Maßnahmen“ bedient.387 Andere Stadtbezirke aber ignorierten die Ehrenamtlichen und nahmen damit in Kauf, dass die Mitarbeiter der Wohnungskommissionen eine dauerhafte Mitarbeit und damit ein Angebot zur Entlastung der Verwaltung verweigerten. Zudem konnte ein solches Verhalten die Wohnungsbehörden dem Verdacht aussetzen, die von der SED verlangte „administrative Mobilisierung“ nicht umzusetzen.388 Trotz der Interessenkonflikte zwischen den Wohnungskommissionen und dem Rat der Stadt Leipzig kam der SED die traditionelle Verankerung der Wohnungsinspektion anfangs zugute, ließen sich dadurch doch Probleme in der Aufbauphase (1950er Jahre) kanalisieren und kaschieren. Die Tradition bedeutete aber zugleich eine schwere Hypothek, denn Anfang der 1960er Jahre erklärte die SED-Führung die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus offiziell für beendet.389 Damit verloren auch die Wohnungskommissionen in ihrem traditionellen Verständnis an legitimatorischer Kraft. In vielen Fällen lag ein gutes Verhältnis zwischen „Herrschenden“ und „Beherrschten“ in den Wohnungskommissionen aber weiterhin im gegenseitigen Interesse. Dass man sich von den Wohnungskommissionen nun jedoch immer weniger einen Mobilisierungseffekt erhoffte, zeigt deren personelle Zusammensetzung. Obwohl die Stadtbezirke vom Rat der Stadt dazu angehalten waren, politisch bewährte Kräfte zu rekrutieren390, ließen sich für die ehrenamtliche Mitarbeit allenfalls Wohnungssuchende selbst gewinnen (Tab. 18) und diese wiederum erwarteten für ihr Engagement die vorrangige Lösung ihrer Wohnungsprobleme.391 385 Rat der Stadt, Stadtrat Wittstock, 5.6.1961, StadtAL, StVuR (1), 13433, Bl. 130. 386 Rat des Stadtbezirkes Mitte, Mündlich vorgetragene Darlegungen der Verwaltungskommission 4 für Wohnungsfragen (Gebiet Kreuzstr., Kohlgartenstr., Lutherstr., Grenzstr., Gabelsberger Str., Hermann-Liebmann-Str. usw.), o. D. [1961], StadtAL, StVuR (1), 13433, Bl. 164. 387 Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abteilung, Weitere Bemerkungen zur Arbeit des Wohnungswesens in der Stadt Leipzig, 17.9.1964, StadtAL, StVuR (1), 3001, Bl. 15. 388 Vgl. Ebd., Bl. 163–168. 389 Vgl. Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus, S. 438. 390 Vgl. Rat der Stadt, Sekretär, Aktennotiz über eine Beratung mit den Org.-Instr. am 8.3.63 zu Fragen der ehrenamtlichen Arbeit in der WRL, 8.3.1963, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 208 f. 391 Vgl. Analyse der Arbeitsweise der Abt. Wohnraumlenkung des Rates des Stadtbezirkes Südwest, 14.10.1964 [Abschrift], StadtAL, StVuR, 3001, Bl. 7.

350

IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure Tab. 18: Soziale Zusammensetzung der Wohnungskommissionen, Stadtbezirke Mitte und Südwest (1964)

Soziale Zusammensetzung – Arbeiter – Angestellte – Intelligenz – Rentner – Hausfrauen – sonstige Parteimitgliedschaften – SED – Blockparteien – parteilos

Rat des Stadtbezirks Mitte (165)

Rat des Stadtbezirks Südwest (164)

30 % 34 % 12,1 % 11,5 % k. A. 9,7 %

50,9 % 19,3 % 6,6 % 7,8 % 13,3 % 1,2 %

k. A. k. A. k. A.

27,8 % 3,6 % 68,4 %

Quelle: Analyse der Arbeitsweise der Abt. Wohnraumlenkung des Rates des Stadtbezirkes Südwest, 14.10.1964 [Abschrift], StadtAL, StVuR, 3001, Bl. 7; Büro des Ministerrates, Beschluß des Ministerrates vom 7.1.1963 über die schrittweise Bildung von Wohnungsverwaltungen, 14.4.1964, SächsStAL, 20237, 04924, Bd. 2, Bl. 83.

Die Mitarbeiter der Wohnungskommissionen empfanden diese Praxis keineswegs als ungerechte Privilegierung, mussten sie doch oftmals an der Grenze des politisch Zumutbaren arbeiteten. Im Stadtbezirk Südost stellte man etwa bei einer Kontrolle im dritten Quartal des Jahres 1962 fest, dass auf 72 von den Wohnungskommissionen organisierten Lenkungsmaßnahmen in „unterbelegten“ Wohnungen 46 Einsprüche folgten.392 Da auch dies negativ auf den Rat der Stadt zurückwirken konnte, gab es – wohl nicht zufällig ein Jahr nach dem Bau der Mauer – von verschiedenen Seiten Bestrebungen, die Arbeit der Wohnungskommissionen unter strikte Kontrolle zu nehmen. Bereits in den Monaten nach dem August 1961 waren Versuche gescheitert, die Ständige Kommission Wohnungswesen der Stadtverordnetenversammlung als Korrektiv zu den eigenwilligen Handlungsweisen der Wohnungskommissionen aufzustellen. Dieses Organ sollte in erster Linie die politische Linie des Rates der Stadt popularisieren sowie als Beratungsgremium bei der Vorbereitung von Ratsbeschlüssen mitwirken. Darüber hinaus sollte die Ständige Kommission selbst Aktivs bilden, welche die Hausbücher auf „Unterbelegung“ hin überprüfen oder die „richtige Verteilung“ von Ärzte-Wohnungen kontrollieren sollten. Allerdings erwiesen sich die Interventionsversuche über die örtliche Volksvertretung oftmals als mühsam, denn einerseits erwarteten auch die Stadtverordneten eine vorrangige Behandlung der von ihnen vorgetragenen Wohnungsprobleme und andererseits verhielten sich die Stadtbezirke ihnen gegenüber vielfach reserviert, betrachteten sie die Aktionen der Ständigen Kommission doch als Eingriffe in ihren Hoheitsbereich.393 392 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Reuter, Bemerkungen zur ehrenamtlichen Mitarbeit auf dem Gebiet der Wohnraumlenkung, 31.10.1962, StadtAL, StVuR (1), 1653, Bl. 106. 393 Vgl. Protokoll der Sitzung der Ständigen Kommission Wohnungswesen, 11.10.1961, StadtAL, StVuR (1), 601, Bl. 2.

4. Bindungskräfte: Der Staat und „seine“ Bürger im lokalen Wohnungskampf

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Einen anderen Ansatz verfolgte nicht zuletzt deshalb der Stadtrat für Wohnungswesen, Walter Reuter. Im Oktober 1962 ordnete er eine Gesamtüberprüfung des Systems der Wohnraumlenkung an, mit dem Ziel, „die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter auf diesem Gebiet zu verringern und hauptamtliche Arbeiten durch ehrenamtliche Arbeit zu ersetzen“. Dabei ging es ihm vorrangig nicht um die Beziehungen der Institutionen zueinander, sondern um konkrete Aufgabenbereiche für die Wohnungskommissionen. Nach seinen Vorstellungen sollten den ehrenamtlichen Mitarbeitern „befristete Ausweise“ ausgehändigt werden und die Vorsitzenden der Wohnungskommissionen zugleich Mitglieder in den Aktivs der Ständigen Kommission sein.394 Die Absichten Reuters bestanden somit vor allem in der Entlastung der Verwaltungsbehörden von lästigen administrativen Pflichten. In seinem Konzeptentwurf vom 19. November 1962 schlug er vor, die Zahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter der Stadtbezirke um 50 bis 60 Prozent auf 1.000 bis 1.100 zu erhöhen, wobei auch die Wohnungskommissionen der Betriebe (bis 800 Mitarbeiter) mit den städtischen Wohnungskommissionen vereinigt werden sollten. Dabei sollten künftig „möglichst die gesamten Sprechstunden“ in die Wohnungskommissionen ausgelagert werden. Daneben sollten diese „geeignete Mitarbeiter (Nichtberufstätige)“ zur Verwaltungsarbeit in die Fachabteilungen abstellen, etwa zur Aktualisierung der Wohnraumkartei. Die Eingriffsrechte der Wohnungskommissionen sollten dagegen auf Lenkungsmaßnahmen beschränkt werden, während die durch „natürlichen Abgang“ (Verzug, Todesfall, Eheschließung usw.) leer werdenden Wohnungen ausschließlich für „staatliche Aufgaben“ durch die Verwaltungsorgane vergeben werden durften. Zudem sollten die Wohnungsbehörden gegen jede Entscheidung der Wohnungskommissionen Einspruch einlegen können.395 Die Wohnungsämter der Stadtbezirke sahen darin allerdings keine Entlastung, sondern befürchteten angesichts der angestrebten Erhöhung des ehrenamtlichen Personals vielmehr den Verlust ihrer Kontrolle über die Wohnungskommissionen. Stattdessen sollten die Vorsitzenden der Wohnungskommissionen in deren Augen als unmittelbare Beauftragte der Wohnungsbehörden agieren.396 Einen anderen Vorschlag unterbreitete der Sekretär des Rates der Stadt und spätere 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Frank Grimm. Er beabsichtigte, die Wohnungskommissionen gänzlich unter die Leitung der Ständigen Kommission Wohnungswesen zu stellen, die nach und nach auch sämtliche Weisungsbefugnisse der Wohnungsbehörden übernehmen sollte.397 Um diese Linie, die er seiner Funktion entsprechend und gestützt auf eine Rede Walter Ulbrichts vom Oktober 1962398 als vornehmlich politische Aufgabe verstand, durchzusetzen, stimmte er sich nicht 394 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Reuter, Bemerkungen zur ehrenamtlichen Mitarbeit auf dem Gebiet der Wohnraumlenkung, 31.10.1962, StadtAL, StVuR (1), 1653, Bl. 106–108. 395 Vgl. Rat der Stadt, Stadtrat Reuter, Konzeption zur ehrenamtlichen Arbeit auf dem Gebiete der Wohnraumlenkung, 19.11.1962, Ebd., Bl. 109–111. 396 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Nordost, Stadtbezirksrat an den Stadtbezirksbürgermeister, Entwicklung der ehrenamtlichen Arbeit im Wohnungswesen, 7.11.1963 [Abschrift], StadtAL, StVuR (1), 2595, Bl. 20. 397 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr., Auswertung des 17. Plenums mit der Abt. Wohnraumlenkung, 7.11.1962, Ebd., Bl. 17 f. 398 Vgl. Walter Ulbricht, Dem VI. Parteitag entgegen. Die Vorbereitungen des VI. Parteitages der

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

nur im Vorfeld mit seinem Parteigenossen, dem Leiter der Abteilung Wohnungswesen Hentschel (ohne Wissen des CDU-Stadtrates Reuter) ab, sondern nutzte auch seine persönliche Nähe zu Oberbürgermeister Kresse aus.399 Reuter blieb bei all dem außen vor und musste sich schließlich der Einflussnahme Grimms beugen; jedoch ohne seine Vorschläge gänzlich aufzugeben. In einem revidierten Vorschlag vom 12. Dezember 1962 übertrug Reuter der Ständigen Kommission „die volle Verantwortung für die Durchsetzung der Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig […], weil ohne eine breitere Basis die Kraft nicht ausreicht“.400 Dabei wollte er selbst den Vorsitz der Ständigen Kommission übernehmen, sein Abteilungsleiter sollte dagegen die Funktion des Sekretärs der Ständigen Kommission übertragen bekommen. Gleichwohl sollten Ratsmitglieder jederzeit in der Lage sein, „Sonderfälle“ selbst zu entscheiden. Die Wohnungskommissionen sollten in den Wohnraumlenkungsaktivs der Ständigen Kommission aufgehen, deren Vorsitzende aber aus dem Kreis der „erfahrensten und in der Praxis bewährten Vorsitzenden der jetzigen Wohnungskommissionen“ kommen. Seine früheren Forderungen, die Wohnraumlenkungsaktivs personell aufzustocken und ihnen umfassende administrative Aufgaben zuzuweisen, erhielt Reuter ebenfalls hartnäckig aufrecht.401 Initiativen zur Durchführung dieser Vorschläge gingen vom Stadtrat jedoch kaum aus. Er beließ es dabei, die Stadtverordneten über die revidierten Vorschläge in Kenntnis zu setzen, in der Ständigen Kommission sorgte dagegen die Frage für Diskussionen, ob es gesetzmäßig sei, dass der Stadtrat deren Vorsitz übernehme. Am Ende blieb daher alles beim Alten. Die Wohnungsbehörden rekrutierten weiterhin die ehrenamtlichen Mitglieder allein und ohne Beachtung „politischer, sozialer und altersmäßiger“ Kriterien. Eine erste Bilanz des Rates des Stadtbezirks Nordost macht deutlich, dass sich SED-Mitglieder und Personen unter 30 Jahren ohnehin nur in geringem Maße gewinnen ließen.402 Auch in der offiziellen Arbeit der Ständigen Kommission Wohnungswesen spielten Fragen der Wohnraumvergabe bald kaum noch eine Rolle. Ihr Diskussionsschwerpunkt verlagerte sich seit Mitte der 1960er Jahre auf Fragen der Wohnraumwerterhaltung. In den Wohngebieten traten Stadtverordnete dagegen immer seltener agitatorisch in Erscheinung.403 Gerade jüngere Abgeordnete lehnten dies zunehmend ab, aus „Scheu“ vor den Reaktionen der in prekären Wohnverhältnissen lebenden Bürger. Gleichwohl gab es Abgeordnete, die ihre „gesellschaftliche Aktivität“ zur vorrangigen Lösung ihrer eigenen Wohnungsprobleme nutzten, sich im Alltag aber als Abgeordnete nicht zu erkennen

399 400 401 402 403

SED. Referat auf der 17. Tagung des ZK der SED, 3.–5. Oktober 1962, Berlin (Ost) 1962, S. 3–96. Vgl. insbesondere die Aussagen zur „sozialistischen Demokratie“, Ebd., S. 83–86. Vgl. Rat der Stadt, Sekretär Grimm an Oberbürgermeister Kresse, 23.11.1962, StadtAL, StVuR (1), 1653, Bl. 30. Rat der Stadt, Stadtrat Reuter, Vorschlag über die Veränderung auf dem Gebiete der Wohnraumlenkung in der Stadt Leipzig, 12.12.1962, StadtAL, StVuR (1), 20133, Bl. 41 f. Vgl. Ebd., Bl. 41–44. Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Stand der Realisierung des Ratsbeschlusses 185/62 vom 19.11.1962 im Gebiet Wohnraumlenkung, 20.3.1963, StadtAL, StVuR (1), 1719, Bl. 201–204. Vgl. die Sitzungsprotokolle in StadtAL, StVuR (1), 1017 und 19421.

4. Bindungskräfte: Der Staat und „seine“ Bürger im lokalen Wohnungskampf

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Tab. 19: Entwicklung der Wohnungskommissionen der Stadt Leipzig/ des Stadtbezirkes Nord 1978–1989 a) Stadt Leipzig

b) Stadtbezirk Leipzig-Nord 1973

Wohnungskommissionen – SOLL – IST

k. A. 45

davon arbeitsfähig Mitglieder

1978

1988

1989 Wohnungskommissionen

1973

1981

1982

5

6

8

58 48

58 39

k. A. 74

k. A.

41

k. A.

k. A.

Mitglieder

101

27

24

714

431

k. A.

417

Mitglieder je Kommission

20

4,5

3

Quelle: ABI Stadtkomitee, Bericht über die Kontrolle zur weiteren Durchsetzung der sozialistischen Wohnungspolitik, insbesondere zur Realisierung des Beschlusses des Ministerrates vom 10.5.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp.; ABI Stadtkomitee, Ausgewählte Fragen zur Kontrolle „Wohnungspolitik“, o. D., SächsStAL, 20301, 505, unp.; Rat der Stadt, Instrukteurabteilung, Kontrollbericht im Ergebnis der Untersuchung zur Verwirklichung des Beschlusses 0149 des Rates der Stadt vom 13.07.1988 – Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der sozialpolitischen Wirksamkeit der Wohnungspolitik und zur effektiven Nutzung und Erhaltung des Wohnungsfonds in der Stadt Leipzig, 5.12.1988, StadtAL, StVuR, 17900, Bl. 3; Rat der Stadt, Abt. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, Information über die wirkungsvolle Einbeziehung der Bürger auf dem Gebiet der Wohnungspolitik/Wohnungswirtschaft in der Stadt Leipzig, 13.4.1989, StadtAL, StVuR, 20928, Bl. 123 f.; ABI Stadtbezirkskomitee Nord, Information über die Kontrolle zur Durchführung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig, 9.6.1982, SächsStAL, 20301, 668, unp.

gaben.404 Andere Abgeordnete verstanden sich dagegen weiterhin als Fürsprecher ihrer Wahlkreise und machten die Wohnraumlenker auf einzelne Wohnungsprobleme aufmerksam. Dass dabei, wie noch zu Beginn der 1960er Jahre, umfassende Bedarfslisten erstellt wurden, war nun allerdings nicht mehr der Fall.405 Der bewährte Konsens zwischen den Räten der Stadtbezirke und den Wohnungskommissionen (Bevorzugung bei der Wohnungsvergabe im Gegenzug für administrative Dienstleistungen) blieb bestehen, weil die Konflikte um die Reorganisation im Rat der Stadt nicht aufgelöst wurden. Das Verhältnis blieb aber ebenso prekär. Vor allem seit 1971 stieg der faktische Einfluss der Bevölkerung auf die Modalitäten der Wohnraumvergabe angesichts der pragmatischer werdenden Politik der Stadtbezirke zusehends. Die Wohnungskommissionen waren deshalb kaum noch vonnöten, zumal sie offenkundig schon in den 1960er Jahren nicht mehr als Dauerlösung betrachtet worden waren. Dies schlug sich auch in der personellen Entwicklung der Wohnungskommissionen nieder (Tab. 19). Dabei bestanden von Stadtbezirk zu Stadtbezirk zuweilen markante Niveauunterschiede. Im Stadtbezirk Nord etwa war es ohne Hilfestellung der lokalen Wohnungsbehörden sowie der 404 Vgl. SEB-SBPKK Nord, Vorsitzender, an den 1. Sekretär der SED-Stadtbezirksleitung Nord, 26.4.1972, SächsStAL, 21139, IV/C/5/03/125, unp. 405 Vgl. SED-SPKK, Untersuchung in den Räten der Stadtbezirke Süd und Nord, 17.1.1972– 5.4.1972, 25.4.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Massenorganisationen vor Ort bald kaum noch möglich, überhaupt ehrenamtliche Kräfte zu rekrutieren.406 So musste für die Besetzung der Kommissionsvorsitzenden in den 1980er Jahren verstärkt auf etatisiertes Personal der Stadtverwaltung zurückgegriffen werden. Als nützlich erwiesen sich hierfür die seit 1987 im Auftrag der lokalen Räte arbeitenden Wahlkreissekretäre. Da ihre Aufgaben denen der Stadtverordneten ähnelten (Massenmobilisierung), betrachtete es der Rat der Stadt nicht als „abwegig“, sie gezielt im konfliktträchtigsten örtlichen Politikfeld einzusetzen.407 Das Ehrenamt selbst galt aber längst nicht mehr als ehrenvoll. Vielmehr gerieten die Mitglieder der Wohnungskommissionen immer wieder in den Verdacht, sich selbst auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern. Im Stadtbezirk Nord habe ein erboster Bürger einem Kommissionsmitglied deshalb sogar seinen Hund hinterhergehetzt.408 Die Gerüchte waren freilich nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn ehrenamtliche Mitglieder konnten nahezu ausschließlich aus dem Gros der Wohnungssuchenden selbst gewonnen werden. Im Stadtbezirk Nord gab es Wohnungskommissionen, in denen der Anteil der Wohnungssuchenden über 50 Prozent betrug.409 Diese wurden bei der Wohnungsvergabe bevorzugt, arbeiteten aber oftmals auch nur solange mit, bis ihre Wohnungsprobleme gelöst waren.410 Als stabilere Klientel erwiesen sich dagegen Rentner. Die Mitarbeit in einer Wohnungskommission diente diesen vor allem zur Aufbesserung der oftmals geringen Renten.411 So wurden im Stadtbezirk Nord 20 Pfennig je Quadratmeter vermitteltem Wohnraum an ehrenamtliche Helfer ausgezahlt412, was bei der hohen Zahl leerstehender bzw. 406 Vgl. ABI Stadtbezirkskomitee Nord, Information über die Kontrolle zur Durchführung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig, 9.6.1982, SächsStAL, 20301, 668, unp. 407 Vgl. Rat der Stadt, Instrukteurabteilung, Kontrollbericht im Ergebnis der Untersuchung zur Verwirklichung des Beschlusses 0149 des Rates der Stadt vom 13.07.1988 – Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der sozialpolitischen Wirksamkeit der Wohnungspolitik und zur effektiven Nutzung und Erhaltung des Wohnungsfonds in der Stadt Leipzig, 5.12.1988, StadtAL, StVuR, 17900, Bl. 3. 408 Vgl. Kontrollberichte zu ehrenamtlichen Wohnungskommissionen im Stadtbezirk Nord, 25.10.1973, SächsStAL, 20301, 658, unp. 409 Vgl. Ebd. Andere Beispiele vgl. ABI Stadtkomitee, Bericht über die Kontrolle zur weiteren Durchsetzung der sozialistischen Wohnungspolitik, insbesondere zur Realisierung des Beschlusses des Ministerrates vom 10.5.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. 410 Vgl. ABI Bezirkskomitee, Bericht über die Ergebnisse der Kontrolle der Eingabenarbeit beim Rat des Stadtbezirkes Südwest, insbesondere auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft, 16.11.1971, SächsStAL, 21123, IV/B/2/4/1/234, unp.; SED-SBPKK, Handschriftlicher Untersuchungsbericht, o. D., SächsStAL, 21144, IV/C/5/08/102, unp. 411 Zu Beginn der 1980er Jahre waren über eine halbe Million Rentner in der DDR aufgrund zu geringer Renten gezwungen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vgl. Dierk Hoffmann, Leistungsprinzip und Versorgungsprinzip. Widersprüche der DDR-Arbeitsgesellschaft, in: Dierk Hoffmann / Michael Schwartz (Hrsg.), Sozialstaatlichkeit in der DDR. Sozialpolitische Entwicklungen im Spannungsfeld von Diktatur und Gesellschaft 1945/49–1989, München 2005, S. 111. 412 Vgl. ABI Stadtbezirkskomitee Nord, 1. Bericht über Beratungen mit Wohnungsaktivs des Stadtbezirkskomitees, 1.4.1971, SächsStAL, 20301, 654, unp.

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„unterbelegter“ Wohnungen für einen Rentner einen durchaus lohnenden Zuverdienst bedeuten konnte. Insgesamt hatten die ehrenamtlichen Helfer von Beginn an einen hohen Einfluss auf die Entwicklung der Wohnungskommissionen. Bis in die frühen 1960er Jahre hinein traten sie den Räten der Stadtbezirke als Interessenvertreter ihrer Klientel entgegen, später mussten die Wohnraumlenker den Ehrenamtlichen für ihre Mitarbeit schon die bevorzugte Lösung ihrer Wohnungsprobleme versprechen. Dass sie schon lange zu den Traditionsbeständen kommunaler Politik zählten, kam der SED zugute, begrenzte aber auch deren Durchsetzungsfähigkeit. In der Phase des „sozialistischen Aufbaus“ trugen die Kommissionen zur Mobilisierung der Bevölkerung bei, mit zunehmender Zeit verblasste ihre Attraktivität aber, blieben sie doch immer ein Instrument zur Behebung von Missständen, hervorgerufen durch eine unwirtliche Stadtentwicklung. Als solches verloren die Wohnungskommissionen zunehmend ihre Legitimation, seitdem die SED-Führung Ende der 1950er Jahre die Aufbauphase sukzessive für beendet erklärt hatte. Die Räte der Stadtbezirke blieben aber von der Arbeit der Kommissionen abhängig, da sie die Behörden faktisch entlasteten und einen unverzichtbaren Ersatz für den fehlenden Überblick über die Wohnverhältnisse vor Ort darstellten. Dieses Verhältnis erwies sich lange Zeit als stabil, allerdings auch als prekär. 4.2 Anreiz und Anerkennung: Korruption und Wohnungsschiebereien Dass Korruption in der DDR weit verbreitet war, um die Mängel der Planwirtschaft zu kompensieren, und staatssozialistische Gesellschaften durch ihre charakteristische Verschränkung von öffentlichen und privaten Interessen einen hervorragenden Nährboden hierfür darboten, ist hinlänglich bekannt.413 Wenig beleuchtet sind dagegen die Dynamiken solcher informellen Beziehungen und der Umgang der Staatsbehörden mit jenen, die Legitimation der Hegemonialpartei herausfordernden Praktiken. Die Wohnungspolitik bietet mit ihrem für die DDR typischen Machtvakuum, das der Diktatur schon per se Grenzen setzte, ein ertragreiches Forschungsfeld. Aus Sicht der Bevölkerung ließ es die erlebte Schwerfälligkeit der Wohnungsämter414 schon früh als zweckdienlich erscheinen, den Wohnraumlenkern eine kleine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die Behörden wurden zu jeder Zeit geradezu überhäuft mit kleineren Geldbeträgen, Pralinen, Schnaps, Uhren, Westwaren oder Reparaturangeboten. Auf die Wohnraumlenker, die ihren Arbeitsalltag 413 Zur Verschränkung privater und öffentlicher Interessen in staatssozialistischen Gesellschaften vgl. Stephan Merl, Kann der Korruptionsbegriff auf Russland und die Sowjetunion angewandt werden?, in: Niels Grüne / Simona Slanička (Hrsg.), Korruption. Historische Annäherungen, Göttingen 2010, S. 247–283, hier S. 49; André Steiner, Bolsche Vita in der DDR? Überlegungen zur Korruption im Staatssozialismus, in: Jens Ivo Engels (Hrsg.), Geld, Geschenke, Politik. Korruption im neuzeitlichen Europa, München 2009, S. 248–274, hier S. 249 f. 414 Vgl. die Auswahl der Eingaben bei Ina Merkel (Hrsg.), „Wir sind doch nicht die Mecker-Ecke der Nation“. Briefe an das DDR-Fernsehen, Köln etc. 1998, S. 33–61.

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überwiegend als frustrierend erlebten, deren Tätigkeit kaum attraktive Verdienstmöglichkeiten bot und von den Kollegen oftmals geringgeschätzt wurde, wirkten solche Anreize wiederum anerkennend. Freilich bedeutete die Annahme von Zuwendungen immer ein Risiko, denn Korruption stellte auch in der DDR einen Straftatbestand dar, wobei den Delinquenten neben hohen Haftstrafen415 auch die soziale Ausgrenzung drohte. Überall gab es wachsame Gegenspieler, die Bestechungsfälle an Sanktionsinstanzen meldeten. So bezichtigten eine Mitarbeiterin der SED-Stadtleitung sowie der Vorsitzende eines Wohnbezirksausschusses im Jahr 1957 gemeinsam den Leiter des Sachgebiets Wohnungswesen des Stadtbezirks 6, Wohnungen bei abendlichen Trinkgelagen für 250 DM „verschoben“ zu haben.416 Das Wohnungsamt des Stadtbezirks West war 1963 gleich von verschiedenen Seiten dem Verdacht der Bestechung ausgesetzt. Vor allem die stellvertretende Abteilungsleiterin stand im Ruf, Wohnungsprobleme gegen Geld schnell und unbürokratisch zu bearbeiten.417 Ein dritter Fall aus dem Jahre 1972 zeigt, dass Bestechungen im Wohnungswesen nicht weniger normal waren als ein Familienausflug. Mitte September des Jahres erschien ein Familienvater mit seinem dreijährigen Sohn bei einer Sprechstunde im Stadtbezirk Südost. Dabei habe Herr L. seinem Sohn einen Briefumschlag mit den Worten „Nun gib der Tante mal den Umschlag“ gegeben. Dieser habe 50 M enthalten und sei schnell unter dem Schreibtisch der Sachbearbeiterin verschwunden. Als zwei Wochen später immer noch keine Wohnungszuweisung vorlag, übergab Herr L. Frau D. einen weiteren Umschlag, diesmal mit 500 M und einer ausgefüllten Zuweisung für eine nicht angenommene Wohnung, die ihm offenbar durch einen Bekannten zugegangen war.418 Trotz des Risikos, jederzeit erwischt und verraten werden zu können, war die Bereitschaft der Sanktionsinstanzen, tatsächlich strafrechtliche Untersuchungen einzuleiten, aber eher gering. Nur im letzten Fall wurde am Ende Anzeige gegen beide Beschuldigte erhoben, nachdem sie im Beisein ihrer Vorgesetzten verbal zurechtgestutzt worden waren. Dabei stand dieser Fall kaum im Verhältnis zu den anderen, denn Frau D. hatte wenige Tage nach der Übergabe des zweiten Umschlags offenbar Gewissensbisse bekommen, den Vorfall gemeldet und das Geld an Herrn L. zurückgegeben, ohne die gewünschte Wohnung zuzuweisen. Im ersten Fall von 1957 hingegen begnügte man sich mit der Aussage einer vermeintlichen „Käuferin“, das Geld nur für Malerarbeiten an den Eigentümer des Gebäudes gezahlt zu haben. Im zweiten Fall von 1963 nutzte man lediglich eines der zahlreichen Vorkommnisse, um die Unbeflecktheit des Rates des Stadtbezirks West zu demonstrieren. Leidtragende der Aktion war eine beim Rat angestellte Betriebskrankenschwester, die sowohl an den Stadtbezirksrat für Wohnungswesen als auch an die stellvertretende Abteilungsleiterin für Gesundheitswesen jeweils eine Fla415 Vgl. Strafgesetzbuch – StGB – sowie angrenzende Gesetze und Bestimmungen. Textausgabe, hrsg. v. Ministerium der Justiz, Berlin (Ost) 1986, S. 82. 416 Vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abt., Überprüfungsbericht, 21.6.1957, StadtAL, StVuR (1), 1654, Bl. 22 f. 417 Vgl. Rat des Stadtbezirks West, Aktennotiz, 1.11.1963, StadtAL, StVuR, 14116, Bl. 54. 418 Vgl. Rat des Stadtbezirkes Südost an das VP-Revier Südost, 1.2.1972, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/150, unp.

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sche Krim-Sekt mitsamt persönlichen Danksagungen geschickt hatte. Ihr Unglück war offenbar, dass sich der Stadtbezirksrat für Wohnungswesen gerade von einem anderen Stadtbezirksrat hatte vertreten lassen, der für diese Art von Einflussnahme keinerlei Verständnis hatte und die Betriebskrankenschwester beim Stadtbezirksbürgermeister verriet. Dieser wiederum nutzte den Vorfall, „um vor allem damit die ständigen Anwürfe der Bestechlichkeit unserer Mitarbeiter auszuräumen“.419 Umgehend meldete er dem 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Karl Adolphs, dass er bereits die Kriminalbehörden eingeschaltet habe und die Betriebskrankenschwester vermeintlich westlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen sei. Dass die lange eingeübte Praxis der Korruption nach 1971 eine kaum noch zu begrenzende Dynamik auslösen konnte, zeigt das Beispiel des Stadtbezirks Süd, wo die Staatssicherheit seit 1986 mehrere Vorfälle von Wohnungsschiebereien im großen Stil aufdeckte und zur Absicherung der illegalen Geschäfte ein „Buch der guten Taten“ existierte, in welchem alle Wohnungen verzeichnet waren, die „nicht über die normale Wohnungsvergabe gingen“.420 Dieses enthielt auch „alle heißen Sachen“, die über den Rat der Stadt oder den Rat des Bezirks abgewickelt worden waren.421 Zugleich existierte hier ein „spezielles Kontingent an Neubauwohnungen für Mitarbeiter des Staatsapparates“, die außerhalb des Planes vergeben werden konnten.422 Parallel wurde seit den späten 1970er Jahren eine nachträglich nicht mehr zu ermittelnde Anzahl von Wohnungen für Summen zwischen 3.000 und 18.000 M, bzw. gegen Westgeld an Bürger vermittelt. Bei den „Käufern“ handelte es sich vorrangig um Wohnungssuchende, die nicht zu den privilegierten Statusgruppen in der DDR zählten, die jedoch Zugang zu begehrten Ressourcen besaßen. Darunter befanden sich vor allem Angestellte im Gastronomiegewerbe, im Einzelhandel, private Handwerksunternehmer, freischaffende Techniker, Kraftfahrer und Ärzte. Sie kamen vorwiegend aus dem Kreis der Nicht-SED-Mitglieder und teilten die Erfahrung jahrelanger Wartezeiten bei der Bearbeitung ihrer Wohnungsanträge. Ihre Wohnungsprobleme waren vorwiegend klassische, allerdings nicht unbedingt sozialpolitisch anerkannte „Dringlichkeitsfälle“. Sie ergaben sich aus Ehescheidungen, Streitigkeiten mit den Eltern oder Lebenspartnern, gesundheitlichen Problemen oder schlicht aus dem Wunsch, nach der Hochzeit zusammenziehen zu wollen.423 Die Funktionäre im Stadtbezirk Süd hatten dabei kaum mehr zu tun, als die Wohnungsanträge zurück zu datieren bzw. offiziell anerkannte „Dringlichkeitsmerkmale“ zu fingieren. Dies war ein relativ banaler Akt. Die Wohnungen selbst wurden nicht direkt in der Wohnungsbehörde, sondern verdeckt über Vermittler verschoben. Die Wohnungssuchenden selbst hatten keinen Kontakt zu den Funktionären. Die Vermittler wiederum stammten allesamt aus den Bekanntenkreisen der 419 Rat des Stadtbezirks West, Aktennotiz, 1.11.1963, StadtAL, StVuR, 14116, Bl. 54. 420 MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Operativinformation Nr. 60/87, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 2, Bl. 409. 421 MfS, KD Leipzig-Stadt, Bericht über ein Gespräch mit Funktionären des Stadtbezirkes Mitte und der Wohnungstauschzentrale, 30.10.1986, Ebd., Bl. 34. 422 Befragungsprotokoll vom 4.3.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 2, Bl. 444. 423 Vgl. Auszug aus den Beschuldigtenvernehmungen in der Strafsache, o. D., BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Strafakte, Bd. 7, Bl. 124.

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Funktionäre. Unter ihnen befanden sich eine Intershop-Verkaufsstellenleiterin, ein Barmann des Interhotels, ein ehrenamtlich tätiger Rentner, ein Justiziar sowie eine Taxifahrerin; d. h. vor allem Personen, die insbesondere mit Menschen in Kontakt kamen, die über begehrte Ressourcen, etwa Devisen, verfügten. Sie verstanden ihre Dienste nicht als Teil korrupter Transaktionen (oftmals profitierten sie finanziell nicht von ihnen), sondern als Hilfeleistungen.424 Persönliche Bereicherung spielte offenbar nur bei einer Vermittlerin eine zentrale Rolle. Eine nähere Untersuchung der Ursachen für die relative Stabilität dieser Praktiken erlaubt das aus der neueren Institutionenökonomie stammende Prinzipal-AgentKlient-Modell, das neben den korrupten Beziehungen selbst auch systemische Bedingungen einbezieht. Das Modell geht davon aus, dass sowohl der Agent (im diesem Fall die lokalen Funktionäre der Wohnungspolitik Süd sowie der Leiter Arbeitsgruppe Baufreiheit des Rates der Stadt Leipzig) als auch der Klient (Wohnungssuchende) zum Zwecke der persönlichen Wohlfahrtsmaximierung korrupte Transaktionsbeziehungen eingehen. Der Wohlfahrtsgewinn bestand für die Funktionäre des Wohnungsamtes in der Anerkennung ihrer Leistungen, aber auch in der Befriedigung individueller materieller Bedürfnisse. Etwa hatte der Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik eine Vorliebe für barocke Möbel. Für die Klienten ergab sich der Wohlfahrtsgewinn dagegen durch die Beschleunigung des Verfahrens. Dabei steht vor allem der Agent, der im Auftrag des Prinzipals (SED, Stadtrat für Wohnungspolitik, Ratsmitglied des Bezirkes für Wohnungspolitik) arbeitet, vor einem zentralen Entscheidungsproblem; nämlich unter welchen Bedingungen es sich lohnt, seinen Vertrag mit dem Prinzipal zugunsten korrupter Transaktionen zu brechen.425 Ein wichtiger bindender Faktor im Verhältnis zwischen SED und Wohnungsämtern war das Angestelltenverhältnis, d. h. die Auswahl der Kader nach fachlicher und politischer Eignung sowie die Schaffung von Anreizen durch die Zahlung eines angemessenen Gehaltes. Dass sich die Praxis nicht nur generell anders gestaltete, sondern die Kadersituation im Stadtbezirk Süd als besonders „instabil“ galt, stellte die Parteikontrollkommission schon 1977 fest. Seit 1972 hätten 18 Mitarbeiter die Abteilung Wohnungspolitik verlassen. Nur drei Mitarbeiter waren SED-Mitglieder, der Stadtrat selbst CDU-Mitglied, und keiner der Angestellten habe eine fundierte Bildung im sozialistischen Recht genossen.426 Deshalb war man bei der Rekrutierung auf langjährige Verwaltungskader angewiesen, die wiederum Kader aus ihren Verwandtenkreisen rekrutierten. Der Preis für dieses Mindestmaß an Kaderstabilität war, den Funktionären beträchtliche Freiheiten zu gewähren. Ende der 1970er Jahre übten so drei Schlüsselfunktionäre im Rat des Stadtbezirks Süd und der Leiter der AG Baufreiheit als Organ der Wohnungspolitik des Rates der Stadt beträchtlichen persönlichen Einfluss auf die Wohnraumverteilung aus.

424 Vgl. die Befragungsprotokolle von 1985–1987, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 1–4. 425 Zum Modell vgl. Peter Graeff, Prinzipal-Agent-Klient-Modelle als Zugangsmöglichkeit zur Korruptionsforschung. Eine integrative und interdisziplinäre Perspektive, in: Grüne/Slanička (Hrsg.), Korruption, S. 67–72. 426 Vgl. SED-SBPKK Süd, Untersuchung in der SED-Grundorganisation des Rates des Stadtbezirkes Süd, 6.12.1976–27.1.1977, SächsStAL, 21144, IV/D/5/05/122, unp.

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Der 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters (geb. 1939, Mitglied der SED), ausgebildeter Finanzwirtschaftler, seit 1960 im Dienste des Rates der Stadt und von 1970 bis 1983 in der Funktion des 1. Stellvertreters des Bürgermeisters im Stadtbezirk Süd war nicht nur innerhalb des Kreises der Ratsmitglieder wegen seiner rauen Art gefürchtet427, auch gegenüber Kontrollbesuchen übergeordneter Behörden verhielt er sich „arrogant“, etwa indem er einen Instrukteur des Rates der Stadt während einer Beratung mit Leitungsfunktionären als „Spion“ angriff.428 Dennoch galt er als unverzichtbar, sodass er 1983 trotz mehrfacher Kritiken und Parteiverfahren sogar zum Stadtbezirksbürgermeister Mitte befördert wurde.429 Er deckelte die Schiebereien gegenüber übergeordneten Behörden. Der Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik Süd (geb. 1946, Mitglied der SED), ausgebildeter Diesellokschlosser und Erzieher, war 1977 über Beziehungen völlig unbeleckt in die Verwaltungsarbeit als stellvertretender Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik gekommen und bereits zwei Jahre später zum Stadtbezirksrat aufgerückt.430 1984 übernahm er die Leitung der Wohnungstauschzentrale der Stadt Leipzig. Seinen beruflichen Vorstellungen entsprach diese Funktion allerdings nicht. Sein Wunsch sei vielmehr gewesen, eine gastronomische Einrichtung zu eröffnen, einen entsprechenden Gewerbeantrag hatte er bereits ein Jahr nach seiner Berufung zum Stadtbezirksrat gestellt. Gleichwohl brachte ihm seine ausgeprägte Vorliebe für barocke Möbel und einen luxuriösen Lebensstil schnell den Verdacht der „kleinbürgerlichen Lebensweise“ ein.431 Eine finanzielle Aufbesserung seines Angestelltengehaltes, das wesentlich unter dem des Diesellokschlossers gelegen habe, kam ihm dabei nicht ungelegen, wie er während eines Verhörs beim MfS unverhohlen zugab.432 Initiatorin der Wohnungsschiebereien war allerdings die Stellvertreterin des Stadtbezirksrats (geb. 1947, Stenotypistin, Mitglied der SED). Sie habe sich „unangreifbar“ und „unentbehrlich“ gemacht, indem sie sich gegenüber ihren Vorgesetzten bei Wohnungszuweisungen, Wohnungstauschen oder der Vermittlung von Baumaterial „gefällig“ gezeigt und sich dadurch einen „umfangreichen Bekanntenkreis“ erworben hatte, der auch den Stadtrat und das Ratsmitglied für Wohnungspolitik des Rates des Bezirks einschloss. Dabei hatte sie als einzige unter den vier Funktionären eine umfangreiche staatswissenschaftliche Ausbildung genossen. Darüber hinaus soll sie zum Stadtbezirksrat in einem intimen Verhältnis gestanden haben.433 Nachdem dieser 1984 in die Wohnungstauschzentrale gewechselt hatte, 427 Vgl. Information über diskriminierende Äußerungen des amt. SBBM-Süd, o. D. [1976], StadtAL, StVuR, 937, Bl. 304–308 (Anlage: Äußerungen von Ratsmitgliedern und Mitarbeiter). 428 Vgl. Ebd., Bl. 303. 429 Vgl. Kurzbiographie S., StadtAL, StVuR, 20776, Bl. 101 f. 430 Vgl. Kurzbiographie S., StadtAL, StVuR, 19207, Bl. 70–72. 431 Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Auszug aus Treffberichten des GMS „Kaufmann“, 31.3.1986, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 1, Bl. 145 f. 432 Vgl. Befragungsprotokoll, 16.12.1985, Ebd., Bl. 101. 433 Vgl. Mündlicher Bericht des GMS „Semsek“ vom 16.9.1986 zur Abteilungsleiterin Wohnungspolitik Süd, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 2, Bl. 19; Bericht zur Abteilungsleiterin Wohnungspolitik Süd, o. D., Ebd., Bl. 21.

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soll sie gleiches auch bei seinem Nachfolger versucht haben, „damit er den Schiebergeschäften mit Wohnungen bedingungslos zustimmt“.434 Beides habe er jedoch abgelehnt, mit der Folge, weiteren Intrigen ausgesetzt gewesen zu sein, was ihn schlussendlich veranlasste, den Rat des Stadtbezirks bereits Mitte 1986 wieder zu verlassen.435 Einen exklusiven Zugang zur Ressource Wohnraum besaß der Leiter der Arbeitsgruppe (AG) Baufreiheit im Rat der Stadt (geb. 1941, Mitglied der SED). In bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte er nach Beendigung der achten Klasse eine Lehre als Kraftfahrer absolviert und war ebenfalls zu Beginn der 1960er Jahre zum Rat des Bezirks gelangt; zunächst als Kraftfahrer, später über Beziehungen als Mitarbeiter der Abteilung Wohnungspolitik, wo er bis zum stellvertretenden Ratsmitglied aufstieg. 1978 wechselte er in dieselbe Position in den Rat der Stadt Leipzig und holte neben seiner Tätigkeit die neunte und zehnte Klasse nach. Zudem absolvierte er die Bezirksparteischule der SED sowie die Fachschule für Staatswissenschaft in Weimar. 1982 wurde er zum Leiter der AG Baufreiheit ernannt und für seine Verdienste mehrfach ausgezeichnet.436 Die AG Baufreiheit bildete im örtlichen Institutionengefüge der Wohnungspolitik ein Unikum. Als Bezirksstadt verfügte Leipzig über ein Büro des Chefarchitekten, das neben den Neubaugebieten auch die Umgestaltung von Altbaugebieten plante. Um letztgenannte Vorhaben durchsetzen zu können, bedurfte es einer Behörde, die flexibel über Wohnraum verfügte und die zügige Freilenkung von Altbauwohnung gewährleisten konnte. Dies war die AG Baufreiheit. Jährlich verfügte sie über ein Wohnungskontingent von 600 bis 800 Neubauwohnungen, von denen zwei Drittel für Baufreiheitsmaßnahmen in Umgestaltungsgebieten und ein Drittel zur flexiblen Vergabe reserviert waren. Von den für Baufreiheitsmaßnahmen vorgesehenen Wohnungen wurde zumeist jedoch nur ein Bruchteil tatsächlich vergeben, da geplante Freilenkungen aufgrund fehlender Ressourcen zur Umgestaltung oftmals nicht stattfanden. Gleichwohl war die AG nicht verpflichtet, sozialpolitische oder „Dringlichkeitskriterien“ entsprechend der WRLVO beachten zu müssen, wodurch sie nur lose an die Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft im Rat der Stadt Leipzig angegliedert war.437 Damit bildete sie eine informelle Reserve für flexible Wohnungsvergaben aller Art. Der Stadtbezirk Süd war dabei nur einer der „Kunden“ des Leiters der AG Baufreiheit, denen er Neubaukarten ausstellte, nachdem man ihm versichert hatte, dass die Lösung der betreffenden Wohnungsprobleme „Herzensangelegenheiten“ seien, man aber unnötige Fragen vermeiden wolle.438

434 Bericht des GMS „Kaufmann“, 20.12.1985, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 1, Bl. 178. 435 Vgl. Abschrift eines Treffberichts, 31.10.1986, Ebd., Bl. 444. 436 Vgl. Staatsanwaltschaft des Bezirkes Leipzig, Abt. I A, Anklageschrift gegen den Leiter der AG Baufreiheit, 10.9.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Bl. 316 f. 437 Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Abt. XI, Information zu strafbegünstigenden Umständen im Bereich der Arbeitsgruppe Baufreiheit beim Rat der Stadt Leipzig, 7.9.1987, Ebd., Bl. 309–313. 438 Vgl. Befragungsprotokoll Leiter AG Baufreiheit, 10.7.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 3, Bl. 161 f.

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Ein zweiter zentraler Faktor für die Bindung zwischen SED und Wohnungsämtern war die Formulierung klarer (öffentlicher) Interessen, welche letztgenannte wahrnehmen sollten. Im Zweifelsfalle sollten Offizielle zumindest in der Lage sein, eine klare Entscheidung zu treffen. Auch dies war in der Praxis nicht gegeben, denn die SED trat keineswegs als homogener Akteur auf. Als Prinzipal konnte etwa die SED-Führung agieren, welche die Verteilung des Wohnraums nach sozialpolitischen und wirtschaftlichen Kriterien forderte, einzelne übergeordnete Funktionäre der Stadt bzw. des Bezirks, welche Wohnungen zuweilen nach sozialem Status vergaben und sich diesbezüglich dem Wohnungskontingent der Stadtbezirke bedienten439, und schließlich galt auch der Bürger als Verfasser von Eingaben selbst als Prinzipal. Da viele Bürger die räumliche Nähe zur SED-Bezirksleitung zu nutzen wussten440, galten Eingaben im Stadtbezirk Süd in besonderem Maße als „Extrawünsche“ lokaler SED-Funktionäre.441 Es verwundert daher nicht, dass sämtliche dem potentiellen Druck der SED-Bezirksleitung ausgesetzte Funktionäre der Wohnungspolitik ihren Handlungsspielraum „schöpferisch“ nutzten und sich gelegentlich zu abendlichen Treffen in einem Café des Stadtbezirks Süd verabredeten, um dort unter Umgehung des Dienstweges über Wohnungsvergaben zu beraten. Zu diesem Netzwerk gehörten der Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik Süd, dessen Abteilungsleiterin, der 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters Süd, der Stadtrat für Wohnungspolitik, die Geschäftsführer zweier AWG, der Leiter der AG Baufreiheit sowie ein Mitarbeiter des Rates des Bezirks.442 Ein dritter wichtiger Bindungsfaktor zwischen SED und Wohnungsämtern war eine funktionierende Überwachung und Sanktionierung ihrer Arbeit. Die SED verfügte dabei über ein dichtes Netz von Kontrollinstanzen, die eine flächendeckende Überwachung des Staatsapparates gewährleisten sollten. Als unmittelbare Kontrollinstanzen traten die SED-Grundorganisation sowie die Parteikontrollkommissionen auf. Erstgenannter wurde jedoch bereits 1977 bescheinigt, nicht nur keinen Einfluss zu haben, sondern geradezu mutlos den Funktionären der Wohnungspolitik gegenüberzustehen.443 Die SED-Parteikontrollkommission des Stadtbezirks Süd unternahm dagegen 1977 und 1981 zwei umfangreiche Untersuchungen mit dem Ziel, die politischen Ursachen für die Verstöße aufzudecken. Beide Untersuchungen endeten mit der Verhängung von Parteistrafen gegen den Stadtbezirksbürgermeister, dessen 1. Stellvertreter sowie den Stadtbezirksrat für Wohnungspolitik. Berufliche Konsequenzen hatten diese Maßnahmen jedoch nicht. Selbst im engeren Kreis der SED-Bezirksleitung wurde vermutet, dass die Parteistrafe gegen den 439 Vgl. die Sammelakte SächsStAL, 20237, 24784, unp. 440 Vgl. ABI Bezirkskomitee, 24. Information zur Kontrolle über die Verwirklichung der Beschlüsse auf dem Gebiet der Wohnungspolitik im Stadtbezirk Leipzig-Süd, 5.6.1973, SächsStAL, 21145, IV/C/5/01/167, unp. 441 Vgl. SED-SBPKK Süd, Untersuchung in der SED-Grundorganisation des Rates des Stadtbezirkes Süd, 6.12.1976–27.1.1977, Ebd., unp. 442 Vgl. Befragungsprotokoll Leiter der AG Baufreiheit, 10.7.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 3, Bl. 165. 443 Vgl. SED-SBPKK Süd, Untersuchung in der SED-Grundorganisation des Rates des Stadtbezirkes Süd, 6.12.1976–27.1.1977, Ebd., unp.

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Stadtbezirksrat bald wieder gelöscht werden würde.444 Letztlich war auch hier die Kaderstabilität im Wohnungsamt Süd wichtiger, wodurch die Parteikontrollkommission jedwede Autorität einbüßte. Von solchen verwaltungsinternen Vorgängen nahm das MfS, auf dessen Einwirken hin sich auch die Bezirksstaatsanwaltschaft in den Konflikt einschaltete, freilich keine Notiz. Das MfS führte über Jahre hinweg Befragungen mit sämtlichen Beschuldigten durch und legte eine umfangreiche Materialsammlung an. Letztlich erhob die Staatsanwaltschaft des Bezirks aber lediglich Anklagen gegen den Leiter der AG Baufreiheit sowie eine als Vermittlerin agierende Hausfrau. Die Kreisdienststelle der Staatssicherheit ermittelte indes weiter gegen den Stadtbezirksrat Süd bzw. (seit 1984) Leiter der Wohnungstauschzentrale und die Abteilungsleiterin für Wohnungspolitik Süd, da man einen Zusammenhang beider Netzwerke vermutete.445 Dies lag nahe, denn während der Vernehmung des Leiters der AG am 11. Juni 1987 hatte dieser darauf hingewiesen, dass er vom 1. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters Süd telefonisch von den Ermittlungen des Kreisgerichtes Leipzig Süd erfahren hatte.446 Seine Ermittlungen stellte das MfS aber am 20. März 1989 urplötzlich ein, da „die offizielle Nachweisführung der Bestechung […] nicht möglich“447 gewesen sei. Die genauen Hintergründe für diesen unvorhersehbaren Sinneswandel des MfS bleiben indes im Dunkeln. Zwei Gründe sind jedoch wahrscheinlich. Zum einen war im Verlauf der Untersuchungen immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Wohnungsschiebereien von höheren Funktionären, die sich selbst Wohnraum auf unbürokratische Weise besorgten, „gedeckelt“ wurden, wodurch auch das MfS zum Aufgeben bewegt worden sein könnte. Zum anderen stellte die Kreisdienststelle des MfS Leipzig ihre Untersuchungen gegen den Stadtbezirk Süd wenige Tage vor der Kommunalwahl 1989 ein. Dies war wohl kaum ein Zufall, denn gerade bei den Wahlvorbereitungen hatte sich bereits deutlich gezeigt, welche politische Sprengkraft in der lokalen Wohnungssituation lag. Einerseits gab es im März und April 1989 kaum eine Propagandaveranstaltung, die nicht von in prekären Wohnverhältnissen lebenden Bürgern boykottiert worden war.448 Andererseits war den Behörden bekannt, dass die Möglichkeit, Wohnungen gegen Geld zu bekommen, im Stadtbezirk ein „offenes Geheimnis“449 war und damit eine akzeptierte Praxis darstellte, durch welche Drohungen mit Wahlverweigerung gerade verhindert werden konnten. Im Abwägen beider Dimensionen erwiesen sich 444 Vgl. Information an die SED-BPKK, SED-SPKK und den 1. Sekretär der SED-Stadtbezirksleitung Süd, 13.5.1981, Ebd., unp. 445 Vgl. MfS, KD Leipzig-Stadt, Vorschlag zur Durchführung einer Prüfungshandlung nach § 95 StPO, 23.4.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Bl. 16. 446 Vgl. Befragungsprotokoll vom 11.6.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Strafakte, Bd. 2, Bl. 162. 447 MfS, KD Leipzig-Stadt, Vorschlag zum Ablegen der OPK Süd – Reg.-Nr. XIII 1112/86, 20.3.1989, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 4, Bl. 354. 448 Vgl. dazu BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 01071, Bl. 157; BV Leipzig, Abt. XX/3, WPO-Veranstaltung im Leipziger Stadtbezirk Nordost, 26.4.1989, BStU, MfS, BV Lpz., AKG, 00969/02, Bl. 12. 449 Protokoll der Befragung eines Bürgers, 6.3.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AOPK, 657/89, Bd. 2, Bl. 168.

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aus staatlicher Sicht wohl die kurzzeitigen Effekte von Korruption (Abwehr von Wahlverweigerung) als nutzbringender, während die langfristigen Folgen (zunehmender Legitimationsverlust) nicht als bedrohlich, sondern eher als korrigierbare temporäre Erscheinungen gewertet wurden. Welcher der beiden genannten Gründe auch zutreffen mag, dem MfS waren in seiner Durchsetzungsfähigkeit erhebliche Grenzen gesetzt. Zur Verurteilung kam es schließlich nur in einigen Fällen und auch hierbei setzte das MfS alles daran, die Konsequenzen der Strafmaßnahmen für die Wohnungspolitik selbst gering zu halten. So wurden für verurteilte Bürger, die Wohnraum „gekauft“ hatten, Geldstrafen zwischen 1.000 und 2.000 M verhängt. Nur bei weniger problematischen Wohnumständen, wie junge Ehepaare mit jeweils eigenen Zimmern bei den Eltern oder die Haltung einer Zweitwohnung, wurden Geldstrafen über 2.000 M fällig. Die Wohnungen durften die Beschuldigten jedoch alle behalten.450 Deutungskonflikte zwischen MfS und Bezirksstaatsanwaltschaft bestanden jedoch hinsichtlich der Konsequenzen für den Staatsapparat. Parallel zur Verurteilung des Leiters der AG Baufreiheit wegen „kleinbürgerlicher Raffgier“ und „Bestreben nach Besitz von Luxusgütern“451 legte der Staatsanwalt des Bezirks direkt beim Oberbürgermeister Protest gegen die Verwaltungspraktiken in der AG Baufreiheit sowie im Stadtbezirk Süd ein und forderte ihn auf, Maßnahmen gegen die „unzulässige Übertragung von Entscheidungsbefugnissen und mangelhafte Kontrolle über deren Einhaltung sowie Verwirklichung der Aufgabenstellung“452 einzuleiten. Keine zwei Wochen nach der Verkündung des Urteils verfügte die Bezirksverwaltung des MfS aber die „Wiedereingliederung“ des verurteilten Leiters der AG Baufreiheit durch eine Tätigkeit im VEB Gebäudewirtschaft.453 Bereits am 22. September 1987 hatte das MfS zudem seinerseits Maßnahmen zur internen Disziplinierung der lokalen Funktionäre der Wohnungspolitik angeordnet, die freilich nicht über den Oberbürgermeister, sondern über die einflussreichere SED­ Stadtleitung erfolgen sollte. Diese zielten allerdings nicht auf die Anordnung administrativer Maßnahmen ab, wie die Staatsanwaltschaft es deutlich gefordert hatte, sondern das MfS verlangte lediglich die „Auswertung der festgestellten Unkorrektheiten in der Arbeitsweise der Arbeitsgruppe Baufreiheit […] im Bereich des Rates der Stadt“ sowie die „Auswertung der Strafverfahren […] vor einem ausgewählten Teilnehmerkreis im Bereich des Rates der Stadt“.454 Zudem versuchte das MfS, die Vorfälle ein Stück weit zu bagatellisieren, indem es darauf verwies, dass es sich bei 450 Vgl. Auszug aus den Beschuldigtenvernehmungen in der Strafsache, o. D., BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Strafakte, Bd. 7, Bl. 124. Überblick über die Geldstrafen, o. D., Ebd., Bl. 123. 451 Vgl. Urteil der Strafkammer des Kreisgerichtes Leipzig SB Mitte, 14.10.1987, Ebd., Bl. 61–68. 452 Staatsanwalt des Bezirkes Leipzig an den Oberbürgermeister Seidel, 14.10.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Strafakte, Bd. 1, Bl. 230. 453 Vgl. BV Leipzig, Untersuchungsorgan, Aktenvermerk zur Wiedereingliederung, 27.10.1987, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1925/88, Bd. 1, Bl. 361. 454 MfS, KD Leipzig-Stadt, Information über Untersuchungsergebnisse aus Ermittlungsverfahren gegen 2 Personen wegen Bestechung bei der Vergabe von Wohnungen und strafbegünstigenden Umständen beim Rat der Stadt Leipzig, 22.9.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 02742/02, Bl. 13 f.

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den wohnungssuchenden Delinquenten ausschließlich um parteilose und „gesellschaftlich inaktive“, d. h. illoyale Bürger gehandelt habe.455 Die politische Deutungshoheit über die Bestechungsfälle – und das war das Entscheidende – behauptete das MfS, das die Untersuchung der Vorgänge erst ins Rollen gebracht, dann aber die Staatsfunktionäre vor empfindlicheren Sanktionen bewahrt hatte. Hierin liegt eine deutliche Grenze der Diktatur. Korruption war keineswegs eine außeralltägliche Praxis, sie garantierte im Falle der Wohnungspolitik aus Sicht der Beteiligten erst die Stabilität der SED-Diktatur. Dies galt vor allem für die Zeit nach 1971, in der Leipzig (vom Wohnungsbauprogramm einmal abgesehen) kaum noch im Fokus der Machtzentrale in Berlin stand. Hier war man vielmehr als zuvor auf Kaderstabilität und die Verhinderung von Wahleingaben bedacht, wodurch sich die örtlichen Sanktionsinstanzen zuweilen selbst in ihren Handlungsspielräumen begrenzten. 4.3 Selbsthilfe und Entlastung: „Schwarzwohnen“ Wer in der DDR eine Wohnung ohne staatliche Zuweisung bezogen hatte, galt als „Schwarzwohner“.456 Mit diesem Begriff hatte die SED eine weitere kommunalpolitische Tradition der Weimarer Republik übernommen, die sich auf das Wohnraummangelgesetz von 1920 zurückführen lässt.457 In der DDR fand der Begriff allerdings keinen Eingang in die Gesetze, sondern tauchte als im Verwaltungsalltag gebräuchlicher Begriff wohl erst in den 1970er Jahren auf.458 Formal galt „Schwarzwohnen“ als Ordnungswidrigkeit, die mit Geldstrafen von bis zu 500 M geahndet wurde. Zwangsräumungen, die in den 1920 Jahren noch üblich waren, ließen sich nur noch durchführen, wenn der Staat parallel in der Lage war, für Ersatzwohnraum zu sorgen. „Schwarzwohnen“ wurde somit für viele Bürger eine Option zur Selbsthilfe. Da „Schwarzwohnen“ keinen juristisch eigenständigen Tatbestand darstellte, fehlen in den Akten auch Statistiken über das Ausmaß und die Zusammensetzung der „Schwarzwohner“. Für Ost-Berlin liegen MfS-Berichte vor, denen zufolge 1979 ein Viertel der Wohnungen im Stadtbezirk Friedrichshain illegal bewohnt worden sei.459 „Schwarzwohnen“ zielte als Unterwanderungsstrategie nicht zwangsläufig auf die Schaffung individueller Freiräume in der Diktatur, sondern zunächst einmal auf die Linderung persönlicher Wohnprobleme unter Umgehung der staatlichen Vergabepraxis.460 Vor diesem Hintergrund wandelte sich auch das Verhältnis von Staat und „Schwarzwohnern“ vor Ort.

455 Vgl. Ebd., Bl. 7. 456 Vgl. Udo Grashoff, Schwarzwohnen. Die Unterwanderung der staatlichen Wohnraumlenkung in der DDR, Göttingen 2011, S. 10. 457 Vgl. Karl Christian Führer, Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914–1960, Stuttgart 1995, S. 308–327. 458 Vgl. Grashoff, Schwarzwohnen, S. 12. 459 Vgl. Ebd., S. 18. 460 Vgl. Ebd., S. 9.

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In den 1950er und 1960er Jahren war der illegale Bezug von Wohnungen oder freien Zimmern in bereits vermieteten Wohnungen selbst häufig noch eine Reaktion auf staatliche Zwangsmaßnahmen. Um etwa die Einquartierung von Unbekannten zu verhindern, suchten sich vor allem Bürger in „unterbelegten“ Wohnungen vermehrt selbst genehme Mitbewohner.461 Vor diesem Hintergrund verstärkte der Rat der Stadt Leipzig sein Vorgehen gegen irreguläre Wohnverhältnisse zu Beginn der 1960er Jahre erheblich. Dabei gerieten auch „Schwarzwohner“ als gesondert zu behandelnde Gruppe zunehmend ins Visier der Stadtverwaltung. Maßnahmen gegen Bürger, „die aus der Not heraus sich haben zu solch einem Schritt verleiten lassen“ bzw. „mit dieser Handlung eher ihre Angelegenheit zum Abschluß bringen wollten“ und „so ein Beispiel für undisziplinierte Bürger schufen, auf diese Weise zu einer Wohnung zu kommen“462, sollten in erster Linie eine erzieherische Wirkung entfalten. Begleitet waren die Gegenmaßnahmen deshalb von einer intensiven „Aussprachetätigkeit“ mit den Beschuldigten, zu der jeweils auch die Hausgemeinschaften, die Wohnbezirksausschüsse, die Kommunale Wohnungsverwaltung, die Wohnungsaktivs, Vertreter der Arbeitsstellen sowie im Falle von Genossen auch Verantwortliche von SED-Grundorganisationen hinzugezogen wurden. Zudem wurden wohnungspolitische Argumente („unterbelegter Wohnraum“, Scheidungsfälle) verstärkt mit moralischen Begründungen vermengt, um dadurch auch in der Bevölkerung Zustimmung für durchgeführte Zwangsmaßnahmen zu erhalten. So wurden die Betroffenen nicht mehr allein wegen Missachtung der Belegungsnormen zwangsausgewiesen, sondern auch, weil Wohnungen verwahrlost waren, Wohnungssuchende falsche Tatsachen vorgetäuscht hatten, Mieter häufig den Arbeitsplatz wechselten oder bereits mit Gesetzen in Konflikt geraten waren. Auch griff die Stadt stärker als zuvor in die Privatsphäre der Bürger ein. So wurde etwa der Wohnbereich einer 72-jährigen Frau in ihrer 3-Raum-Wohnung durch administrative Zwangsmaßnahmen auf einen Raum beschränkt, sie musste sich ihre Wohnung künftig mit einem Ehepaar teilen. Dabei musste sie ihre gesamten Möbel in einem Zimmer unterbringen, wodurch dieses praktisch nicht mehr bewohnbar war und sie bei einer Bekannten unterkommen musste. In einem anderen Fall musste eine 60-jährige Frau eines ihrer zweieinhalb Zimmer an einen Arzt und dessen Familie abgeben. Freilich riefen diese Aktionen heftigen Protest der Betroffenen hervor, sodass sich zunehmend auch Verwaltungsmitarbeiter weigerten, derart tief in persönliche Belange einzugreifen.463 Je länger die Mitarbeiter der Abteilungen Wohnungspolitik auf administrative Zwangsmaßnahmen verzichteten, desto attraktiver wurden die zahlreichen leerstehenden Wohnungen für Wohnungssuchende. Zudem wurden Wohnungen immer häufiger im Verwandten­ und Bekanntenkreis unter der Hand weitergegeben, was letztlich auch zu „Schwarzbezügen“ führte. Einige dieser Beispiele dokumentierte die Kreisdienststelle des MfS im Juli 1987. Im Stadtbezirk West etwa habe ein 461 Vgl. Aufstellung von Einzelproblemen aus den Eingabenanalysen II/1963, die in die Gesamtanalyse nicht mit aufgenommen werden konnten, o. D., StadtAL, StVuR, 1604, Bl. 86. 462 Ebd. 463 Zu den Fällen vgl. Rat der Stadt, Org.-Instr.-Abteilung, Räumungen auf dem Verwaltungswege, 8.7.1964, StadtAL, StVuR, 1719, Bl. 17 f.

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IV. Aushandeln an der Basis: Die Wohnungsämter als lokale Akteure

Mann nach dem Tod seines Vaters die elterliche 3-Raum-Wohnung mit Bad und Innen-WC allein und ohne Zuweisung bewohnt. Auch im Stadtbezirk Südwest wurde eine alleinstehende Forschungsstudentin ohne Wohnungszuweisung in einer 3-Raum-Wohnung aufgespürt. Im Stadtbezirk Südost hatten Eltern ihrem 18-jährigen Sohn die Wohnung überlassen, nachdem sie nach Grünau gezogen waren. Im Stadtbezirk Süd sei schließlich eine ganze Etage „unter der Hand“ weitervermietet worden, nachdem sich ehemalige Mieter ein Eigenheim gebaut hatten bzw. zu Bekannten nach Grünau gezogen waren.464 Dadurch wurde die durchgängige Bewirtschaftung der Wohnungen gesichert, was die Ineffizienz der staatlichen Wohnungsverwaltung ein Stück weit kaschierte. 1983 wies deshalb sogar das Sekretariat der SED-Stadtleitung an, von Zwangsräumungen in Abrisshäusern abzusehen, um Konfrontationen mit Bürgern, die unter Einsatz von „viel Kraft, Mühe und Geld“465 selbst Instandsetzungsarbeiten vorgenommen hatten, zu vermeiden. Dies galt ausdrücklich auch für „illegal bezogene Quartiere“, mit deren Bewohnern höchstens ein „ordentlicher Klärungsprozeß“ erfolgen sollte.466 Das Leben in Altbaugebieten, in denen „Schwarzbezüge“ immer mehr zu einer entpolitisierten Praxis wurden, entzog sich damit aber zunehmend der staatlichen Kontrolle, wodurch sich auch Freiräume für jugendliche Subkulturen ergaben, was „Schwarzwohner“ in der Literatur häufig verkürzt in die Nähe zu Hausbesetzern rücken lässt. Aufgespürt wurden „Schwarzwohner“ in den 1980er Jahren oftmals nur noch durch zufällige Inspektionen der Volkspolizei oder Staatssicherheit. Allerdings hing die Beurteilung darüber, ob man bei diesen Kontrollen als „Schwarzwohner“ „enttarnt“ wurde oder nicht, sehr stark vom Ansehen der Personen und den jeweiligen Umständen ab. So stellte „Schwarzbezug“ etwa einen genehmen Vorwand dar, um als politisch indifferent bzw. „asozial“ eingestufte Jugendliche aus ihren Wohnungen ausweisen zu lassen. Im Juli 1984 gerieten ein 22-jähriger Arbeitsloser und ein 26-jähriger Montageschlosser, die in einem Abrissgrundstück der Erich-Ferl-Straße (heute: Wurzner Straße) im Modernisierungsgebiet Ostvorstadt wohnten, ins Visier der Volkspolizei. Entdeckt wurde der „Schwarzbezug“ der jungen Leute allerdings nur, weil beide ihre Notsituation öffentlich gemacht hatten. Nach vergeblichen Versuchen, Wohnungen auf offiziellem Wege zu erhalten, hatten sie Such­Anzeigen an einer Ladenfensterscheibe ihres Wohngrundstücks angebracht. Darin war zu lesen: „Suche ab sofort Wohnraum“ und „Suche dringend Zimmer Hilfe im Haushalt zugesichert“. Dies und der Besuch auffälliger Jugendlicher (Punks), den die Volkspolizei als „organisierte Zusammenkunft“ wertete, brachte beiden ein Ordnungsstrafverfahren ein, wonach sie ihre Wohnungen binnen eines Tages zu räumen hatten.467 Schon ein paar Monate zuvor waren sie einem 52-jährigen Nachbarn durch eine mehr oder minder ernst gemeinte Provokation aufgefallen. Dieser hatte sie bei der Volkspolizei angezeigt, nachdem beide ein Transparent mit der Losung 464 Vgl. MfS, BV Leipzig., Abt. XV, Information über ungerechtfertigte Nutzung von Wohnraum, 7.7.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 04903, Bl. 53 f. 465 Beschwerdebrief, o. D., BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 03933, Bl. 7. 466 Vgl. Handschriftliche Mitschrift der Sekretariatssitzung vom 23.6.1983, Ebd., Bl. 14–19. 467 Vgl. VPKA Leipzig, Revier Nordost, Befragung zur vorliegenden Ordnungswidrigkeit gem. § 4 (1 Ziff. 3) OWVO, 22.7.1984, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1606/84, Strafakte, Bl. 193.

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„Wohnungspolitik, Kernstück unserer Sozialpolitik“ an der Fassade ihres Hauses befestigt hatten.468 Die Zwangsräumung der Mieter, die offiziell durch den Rat des Stadtbezirks Nordost am 20. Juli 1984 angeordnet worden war, geriet allerdings zu einem administrativen Desaster. Durch die knappe Fristsetzung von einem Tag wollten die Behörden erreichen, dass die Zwangsräumung möglichst ohne Protest ablief. Allerdings fiel der hierfür anberaumte 21. Juli auf einen Samstag, an dem kein Personal zum Abtransport der Möbel bereitstand. Die „Schwarzwohner“ taten an diesem Tag nicht mehr, als ihre Möbel auf die Straße zu stellen und auf Weiteres zu warten. Dies reichte aber bereits aus, um von der Staatssicherheit der staatsfeindlichen Handlung bezichtigt zu werden. Für diese sah es so aus, als wollten die Mieter ihre Obdachlosigkeit zum Ausdruck bringen, die es in der DDR freilich nicht geben durfte. Die Verantwortlichen des Rates des Stadtbezirks Nordost zeigten jedoch keinerlei Interesse an der Durchführung der Zwangsräumung; anders die Sicherheitsorgane. Vom MfS genötigt ordnete der Abteilungsleiter für Wohnungspolitik schließlich eine absonderliche Maßnahme an. Die „Schwarzwohner“ sollten ihre Möbel zurück ins Haus bringen, durften das Grundstück anschließend aber nicht mehr betreten. Für alles Weitere sei der Abteilungsleiter in seinem Garten erreichbar. Auf Druck des 1. Sekretärs der SED-Stadtbezirksleitung Nordost musste dieser allerdings doch noch einen LKW organisieren. Nach etwa drei Stunden waren die Möbel zu Verwandten der Betroffenen abtransportiert und die Sache für die Behörden damit erledigt.469 Im November 1984 wurde der Fall allerdings wieder aufgenommen, nachdem bei einer Kontrolle durch das MfS festgestellt worden war, dass einer der Ausgewiesenen, dessen Möbel in die Wohnung seiner Ehefrau gebracht worden waren, dort nicht mehr wohnte. Da die Wohnung für das Ehepaar zu klein war, hatten beide kurzerhand eine leerstehende Wohnung in einem Abbruchgebäude der Friedrich-Ebert-Straße „schwarz“ bezogen.470 Hierin erblickte das MfS eine erneute Provokation: „Offensichtlich legt er es darauf an, durch eine Zwangsräumung erneut ins Gespräch zu kommen, um sein Wohnungsproblem zu klären“.471 Zwischen den Sicherheits- und Verwaltungsbehörden zeichnete sich in den 1980er Jahren zunehmend ein Deutungskonflikt über den Umgang mit „Schwarzwohnern“ ab. Während die Sicherheitsorgane vor allem politisch nicht genehme Personen im Blick hatten und „Schwarzwohner“ mit politischen Provokateuren gleichsetzten, legten die Verwaltungsbehörden pragmatischere Maßstäbe zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen an, die oftmals von langwierigen Auseinandersetzungen mit den betreffenden Bürgern begleitet waren. Tatsächlich durch468 Zum Fall vgl. Ebd., Bl. 56–166. Solche Aktionen fanden vielfach Nachahmer. Im Stadtbezirk Süd etwa brachte 1987 ein junger Mann, der seit sieben Jahren auf die Lösung seines Wohnungsantrags wartete und seit acht Jahren in einer baufälligen Wohnung ohne Wasseranschluss und Heizmöglichkeit lebte, ein Bettlaken mit der Aufschrift „Ich will hier raus“ an der Fassade des Wohngrundstücks an. Vgl. VPKA Leipzig, Befragungsprotokoll, 24.9.1987, BStU, MfS, BV Lpz., KD Leipzig-Stadt, 03099/07, Bl. 2–6. 469 Vgl. MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Sachverhaltsinformation zum Stadtbezirk Nordost, 23.7.1984, BStU, MfS, BV Lpz., AU, 1606/84, Strafakte, Bl. 198 f. 470 Vgl. MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Aktennotiz, 28.11.1984, Ebd., Bl. 201. 471 MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Information, 24.11.1984, Ebd., Bl. 202.

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gegriffen wurde seitens der Behörden zumeist aber nur noch, wenn angemessener Ersatzwohnraum vorhanden war, es sich bei der „schwarz“ bezogenen Wohnung um eine Nebenwohnung handelte oder andere Stellen bzw. Betriebe Ansprüche auf „schwarz“ bezogene Wohnungen geltend machten. In diesen Fällen wurden zusätzlich hohe Zwangsgelder von bis zu 2.000 M angedroht und zum Teil auch kassiert.472 In vielen Fällen aber gab es für die Wohnungsämter auch andere gute Gründe, um von Zwangsräumungen abzusehen. Im April 1987 etwa ordnete der Rat des Stadtbezirks Südost einen Räumungsbefehl gegen einen Musikstudenten an, der vorübergehend in ein Abbruchgrundstück in der Witzgallstraße „schwarz“ eingezogen war. Zuvor hatte er bei seinen Eltern gewohnt und sich dort mit seiner 7-jährigen Schwester ein Zimmer teilen müssen. Da er tagsüber jedoch über mehrere Stunden am Klavier üben musste, hatte er 1985 einen Wohnungsantrag gestellt. Weil eine Lösung für sein Wohnungsproblem nicht in Aussicht stand, suchte er sich eine seit zwei Jahren leerstehende Wohnung in einem Abrisshaus, welche bereits nicht mehr für die reguläre Vergabe vorgesehen war. Die Mieter des Hauses hatten nichts gegen das Klavierspiel und der Student zeigte sich auch bereit, für Miet-, Gas- und Stromkosten aufzukommen. Nichtsdestotrotz wurde die Zwangsräumung angeordnet. Dass sie letztlich doch ausgesetzt wurde, lag an den guten Kontakten des Vaters zur SED-Bezirksleitung.473 Daneben gab es andere Fälle, bei denen die Wohnungsämter zwar Zwangsgelder verhängten, von Zwangsräumungen aber aufgrund der besonderen Schwere der Wohnumstände absahen. In diesen Fällen wurden nachträglich offizielle Zuweisungen erteilt. In einem Fall massiver Konflikte zwischen einer Mutter und ihrer Tochter intervenierte sogar der Stadtbezirk Mitte gegen den Räumungsbefehl des Stadtbezirks Südost. 1988 zog S. mit 17 Jahren in eine leerstehende Wohnung im Stadtbezirk Südost, nachdem sie zunächst von ihrer Mutter, später von ihrem Untervermieter hinausgeworfen worden war. Da es nicht abzusehen war, dass die Mutter S. wieder aufzunehmen bereit war, erwirkte der Rat des Stadtbezirks Mitte schließlich, dass ihr die Wohnung mit Erlangung der Volljährigkeit zugewiesen wurde.474 Auch bei jungen und kinderreichen Familien, die in besonderem Maße zu den wohnungspolitischen Problemgruppen zählten, zeigte sich die Stadt durchaus bereit, „Schwarzbezüge“ nachträglich zu legalisieren. Im Stadtbezirk Süd bezog ebenfalls 1988 ein frisch verheiratetes Ehepaar eine Wohnung in der Wolfgang-Heinze-Straße „schwarz“, da sich beide keinen anderen Rat mehr gewusst hätten. Offenbar erhielten sie dabei auch Unterstützung durch die Arbeitsstelle der Frau. Im Stadtbezirk Süd hatte man das Verhalten des Ehepaars, erst „schwarz“ einzuziehen und dann die Zuweisung zu beantragen, sowie die Unterstützung durch die Arbeitsstelle für verurteilungswürdig befunden. In Abwägung der Tatsachen entschied man am Ende aber, lediglich ein Zwangsgeld von 500 M zu erheben und die Zuweisung zu erteilen.475 Flexibel zeigte sich der Stadtbezirk Süd in Fällen akuter Überbelegung. Im Oktober 1988 hatte sich ein unverheiratetes Paar, das bereits das zweite Kind erwartete, entschieden, in eine Wohnung in der 472 473 474 475

Vgl. die Beispiele des Stadtbezirkes Südost, StadtAL, SB Südost, 758, Bd. 2, Bl. 1–78. Zum Vorgang vgl. Ebd., Bl. 32–46. Zum Vorgang vgl. StadtAL, SB Südost, 823, Bl. 16 f. Zum Vorgang vgl. StadtAL, SB Süd, 1519, Bl. 97.

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Biedermann-Straße „schwarz“ einzuziehen. Beide hatten zuvor jeweils in stark beengten Wohnverhältnissen gelebt; Frau E. in einem Zimmer mit ihrem 10 Monate alten Kind (und bereits wieder schwanger), Herr M. in der elterlichen Wohnung, in der sich fünf Personen auf zweieinhalb Zimmer verteilten. Auch in diesem Fall wurde ein Ordnungsgeld von 500 M erhoben und eine offizielle Zuweisung erteilt.476 „Schwarzwohner“ entlasteten die Wohnungsämter in mehrfacher Hinsicht; zunächst vor allem administrativ und wirtschaftlich, in zunehmendem Maße aber auch politisch, denn „Schwarzwohner“ schrieben keine Eingaben mehr. Vor allem in den 1980er Jahren bestand innerhalb der Leipziger Stadtverwaltung und in der SED-Stadtleitung eine große Bereitschaft zur Toleranz illegaler Bezüge, obgleich man auf das Ordnungsgeld nicht verzichten wollte. Es ist jedoch augenscheinlich, dass seither ein zunehmend pragmatischer, wenn auch nicht konfliktfreier Umgang mit „Schwarzwohnern“ einsetzte. Am Ende waren es häufig nur noch die Volkspolizei oder die Staatssicherheit, welche die „Schwarzwohner“ in die Nähe devianter Milieus rückten.

476 Zum Vorgang vgl. Ebd., Bl. 127.

ZUSAMMENFASSUNG Kommunalpolitik gehört zu den bisher wenig erforschten Themenfeldern der DDRGeschichte. Das verwundert nicht, stellt Kommunalpolitik doch auf den ersten Blick einen Antagonismus zum zentralistischen Herrschaftsverständnis der SED dar. Löst man sich dagegen von dem mit westlichen Vorstellungen von kommunaler Autonomie verbundenen Konzept, so öffnet sich der Blick dafür, dass der Begriff nicht völlig aus dem Ideenhaushalt des ostdeutschen Teilstaates verschwand. Vielmehr deutete die SED das Konzept um und etablierte einen eigenen Diskurs über die Rolle und Funktion lokaler Politik. Sie verstand unter Kommunalpolitik nun einen das Örtliche betreffenden und damit eigenen (nicht eigenständigen) Teilbereich ihrer Gesamtpolitik. Die Räte der Bezirke, Städte, Kreise und Gemeinden waren diesem Verständnis nach nicht nur bloße Durchführungsorgane für zentral gefasste Beschlüsse, sondern sollten auch genau diesen Teilbereich nach den Vorstellungen der Hegemonialpartei „eigenverantwortlich“ gestalten. Im Staatsverständnis der SED durchdrangen sich damit zwei Strukturelemente: der auf Entdifferenzierung zielende demokratische Zentralismus als Ordnungsprinzip des Partei- und Staatsapparates und der Faktor Raum als Kategorie der Differenz. Dieses Wechselspiel lässt sich aus verwaltungsgeschichtlicher Perspektive als Multilevel-Governance begreifen. Danach stehen weniger formale Strukturen und Personen im Vordergrund, sondern vielmehr Regelungsmechanismen, kommunikative und Netzwerkstrukturen, d. h. die Möglichkeiten der Kommunen zur Mitgestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive lässt sich daran anknüpfend fragen, inwiefern die SED es vermochte, den Verwaltungsapparat bis an die Basis zu beherrschen bzw. wodurch sie an ihre Grenzen stieß.

AMBIVALENZEN: DIE DEBATTE UM KOMMUNALPOLITIK IN DER DDR Das administrative Verhältnis zwischen Zentrale und Kommunen war nicht nur durch die statischen Strukturen im demokratischen Zentralismus vorgegeben, sondern ebenso in den DDR­spezifischen Diskurs um Kommunalpolitik eingebunden, das damit in begrenztem Rahmen verhandelbar war. Die Genese des Diskurses und dessen Auswirkungen auf die Struktur der Stadtverwaltungen wurden am Beispiel der Bezirksstadt Leipzig untersucht. Dabei lassen sich die 1960er Jahre als Phase des Umbruchs deuten, charakterisiert durch eine veränderte Diskussionskultur zwischen den Ebenen, einer Trendwende in der politischen Theorie und damit verbundenen Verschiebungen in der Legitimationsstrategie der SED. Diese Entwicklungen sind ein Schlüssel zum Verständnis der instabilen Stabilität der Ära Honecker,

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die sich durch eine zunehmende Diskrepanz zwischen Legitimation und Verwaltungspraxis auszeichnete. Diese Entwicklungen lassen sich an den Debatten um die Gesetze über die Arbeitsweise der örtlichen Organe ablesen, die zwischen 1957 und 1985 veröffentlicht wurden. Die zwischen 1957 und 1961 beschlossenen Gesetze folgten noch dem Bedürfnis nach einer umfassenden Umgestaltung der Gesellschaft und trugen die Handschrift Karl Polaks, des wichtigsten Staatstheoretikers der Zeit. Die Gesetze erhoben den Anspruch, den Staatsapparat als Gesamtorganismus in den Blick zu nehmen und die Kommunen darin theoretisch zu verorten. Das Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17. Januar 1957 war das Ergebnis eines durch die unverhoffte Entstalinisierung verhinderten Verfassungsprojekts, das die völlige Übertragung des stalinistischen Modells auf die DDR vorgesehen hatte. Das Gesetz schrieb den demokratischen Zentralismus auch für die kommunale Ebene fest, wovon sich die SED-Führung auch eine effektive Mobilisierung der Massen zur „Ausschöpfung örtlicher Reserven“ erhoffte. Daran knüpfte das Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeitsweise des Staatsapparates vom 11. Februar 1958 an. Dieses zielte auf die Einbindung der Kommunen in die zentralistische Wirtschaftsplanung und -leitung. Vor allem im Bauwesen sollte es zu einer Art Arbeitsteilung kommen. Das neugebildete Ministerium für Bauwesen, das nun selbst stärker in die Planwirtschaft integriert wurde, sollte in erster Linie Industriebauvorhaben für die neu geschaffenen Vereinigungen volkseigener Betriebe (VVB) durchführen, während städtebauliche Aufgaben in die Hände der örtlichen Organe gelegt wurden. Der Umsetzung solcher Großentwürfe waren jedoch deutliche Grenzen gesetzt, denn örtliche Funktionäre sahen in den Gesetzen stets Möglichkeiten zur Lösung konkreter lokaler Probleme. So war die Umsetzung des Gesetzes von 1957 in Leipzig von heftigen Konflikten über das Verhältnis zwischen dem Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke überlagert. 1958 dagegen stritt man sich in Leipzig über die Besetzung der Position des Stadtbaudirektors und damit verbunden die künftigen primären Aufgaben der Behörde. Der Erlass neuer Ordnungen im Jahre 1961 markiert einen Übergang im Verwaltungsdiskurs. Einerseits waren sie noch von den Vorstellungen Karl Polaks geprägt, der den Staat in traditionell marxistisch-leninistischer Denkweise als Organisator gesellschaftlicher Entwicklungen definierte und das Ziel verfolgte, lokale Handlungsspielräume zu begrenzen. Anderseits rückten jüngere Staatswissenschaftler wie Oswald Unger, die ebenfalls an den internen Debatten beteiligt waren, zunehmend organisatorische Fragen in den Vordergrund und forderten die SED-Führung auf, die Kompetenzen zwischen den Ebenen verbindlich zu regeln. Dieser Grundkonflikt spiegelte sich auch in „Fehlerdiskussionen“ wider, die Walter Ulbricht erstmals mit Vertretern ausgewählter Großstädte, darunter auch Leipzig, führte, die nun stärker in den Gesetzgebungsprozess integriert wurden. Auch die sich anschließenden Strukturreformen zielten im Prinzip darauf ab, lokalen Problemen ein stärkeres Gewicht für die zentrale Planung und Leitung zuzugestehen. Sie bewirkten jedoch keine tatsächlichen Veränderungen in der Arbeitsweise der Stadtverwaltung. Zu unklar blieben letztlich deren Kompetenzen, an deren Rege-

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lung die SED-Führung aus Furcht vor einem Verlust ihrer Steuerungskompetenz kaum interessiert war. Eine neue Dynamik in der Debatte lösten der Mauerbau und das NÖS aus. Die Stabilisierung der DDR und die Konzentration auf Verwaltungsreformen in der Wirtschaft wirkten gewissermaßen als Katalysatoren. Zum einen ermöglichte die Diskussion um den Einsatz „ökonomischer Hebel“ zur Leistungssteigerung eine Verlagerung der Debatten hin zu pragmatischeren Ansätzen (flexiblerer Umgang mit Ressourcen). Dabei wurde der Verwaltungsdiskurs nunmehr von Verwaltungspraktikern geführt, die keine umfassende Gesellschaftstheorie verfolgten, sondern den Fokus auf technische Fragen legten. Ihnen war daran gelegen, die bestehenden Strukturen zu konsolidieren und effizienter zu gestalten. Die Zeit großer theoretischer Konzepte war damit vorbei. Zudem begann man, den Faktor Raum als Kategorie der Differenz positiv zu besetzen und in das staatstheoretische Konzept zu integrieren. Diese Diskurserweiterung bildete den Hintergrund für die Beratungen über den Staatsratserlass zur Anwendung des NÖS auf die Arbeitsweise der örtlichen Staatsorgane vom 2. Juli 1965 und die daran anknüpfenden Strukturreformen. Kennzeichnend für die Ambivalenz dieser Debatte war aber auch, dass sie vor allem von Skeptikern der Dezentralisierung geführt wurde. So stärkte der Erlass letztlich die Bezirke als staatliche Mittelinstanzen, der Rat der Stadt Leipzig verlor indes wichtige lokale Ressourcen an den Bezirk, insbesondere im Bauwesen. Zum anderen aber bot die im marxistisch-leninistischen Diskurs zunehmend Aufmerksamkeit findende Kybernetik­Debatte eine Grundlage dafür, die Stadt (und deren Verwaltung) als eigenes (nicht eigenständiges) gesellschaftliches Teilsystem zu betrachten, dessen spezifische Qualität sich durch ihre besondere Funktion als Lebensmittelpunkt der Bevölkerung ergab. Städte wurden nun nicht mehr einseitig als Wirtschaftsstandorte wahrgenommen. In dieser Zeit formte sich der für die DDR spezifische Begriff von Kommunalpolitik im eingangs skizzierten Sinne. Damit gab die SED ihren Anspruch auf eine umfassende „Durchherrschung“ ein Stück weit auf und eröffnete Möglichkeiten für eine begrenzte funktionale Differenzierung. Dieses ambivalente Wechselspiel von Reformsignalen und Reformskepsis spiegelt sich insbesondere in der Etablierung des Büros des Chefarchitekten im Rat der Stadt Leipzig wider, das sämtliche Bauaufgaben in ein städteplanerisches Gesamtkonzept einordnen sollte, aber keine Entscheidungsgewalt darüber besaß, ob dieses Konzept tatsächlich umgesetzt wurde. Während der Staatsratserlass von 1965 für eine Bezirksstadt wie Leipzig allenfalls mit begrenzten Handlungsspielräumen (allerdings nicht auf der Ebene der Entscheidungsfindung) verbunden war, führte er bei kleineren administrativen Einheiten (Gemeinden, Kreisstädten) zum Verlust jeglicher Autorität. Dort entwickelte sich der Kreis zum bestimmenden Akteur. Um dieses Defizit in der Herrschafts­ praxis auszugleichen, wurden auf Initiative der Akademie der Staats- und Rechtswissenschaft in verschiedenen Klein- und Mittelstädten der DDR institutionalisierte Kooperationsformen mit nicht-unterstellten Betrieben und Einrichtungen erprobt. Vertreter kleiner und mittlerer Städte der DDR sahen darin ein Angebot zur Lösung lokaler Strukturprobleme und machten parallel auf die Defizite einer allzu zentralistischen Steuerung aufmerksam. Sie präsentierten sich als Interessen-

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vertreter der Bürger und damit als entscheidende Faktoren der Herrschaftsstabilität. Damit wandten sich kommunale Vertreter auch mehr oder weniger offen gegen die katastrophalen Auswirkungen des NÖS auf die Versorgungslage vor Ort und die impraktikable Wissenschaftssprache der Kybernetik. Die verschiedenen Interessen trafen sich in dem von Ulbricht selbst lancierten Begriff Eigenverantwortung, der mit explizitem Bezug zu den örtlichen Organen auch Verfassungsrang erhielt. Ulbricht sah in der begrenzten kommunalen Autonomie vor allem einen Beitrag zur Steigerung der Produktion, indem die örtlichen Orange zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen beitragen sollten. Da er den Begriff Eigenverantwortung aber nie genauer definierte, füllten andere Akteure diese Lücke aus und trugen maßgeblich dazu bei, dass die Debatte eine besondere Eigendynamik entwickelte. Unbeabsichtigt gab die SED-Führung ihr Deutungsmonopol über die Grundlagen ihrer Herrschaft auf. Kommunen wollten die Lebensumwelt der Bevölkerung nun eigenverantwortlich gestalten, d. h. Verträge mit nicht-unterstellten Betrieben zur Verwendung von Ressourcen für Infrastrukturprojekte abschließen und Gemeindeverbände bilden, um so einen Beitrag zur Herrschaftsstabilität zu leisten. Wirtschafts- und Territorialentwicklung wurden dabei als gleichrangige Existenzgrundlagen ein- und desselben Systems begriffen. Dass sich diese Position mit derjenigen der SED-Führung, die ein Mehr an Reglementierung nach wie vor als Verlust des eigenen Machtmonopols betrachtete, nicht deckte, machte sich besonders im Nachgang des „Prager Frühlings“ bemerkbar. In seinen letzten Amtsjahren versuchte Walter Ulbricht durch Auftritte vor örtlichen Repräsentanten und einen Staatsratsbeschluss zur „sozialistischen Kommunalpolitik“ noch einmal das Ruder herumzureißen und die Position der SEDFührung durchzusetzen. Allerdings hatte die „sozialistische“ Verfassung von 1968 ein Gesetz zur Konkretisierung der kommunalen Kompetenzen in Aussicht gestellt. Dieses auszuarbeiten, oblag nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker letztgenanntem, der in Verwaltungsfragen wieder stärker auf Re-Zentralisierung setzte, den Diskurs um Eigenverantwortung der Kommunen aber schon aus Legitimationsgründen nicht ignorieren konnte. Vielmehr hatte dieser für Honecker, der sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger gern als Interessenvertreter der „kleinen Mannes“ inszenierte, eine wichtige Rolle für die Sicherung seiner Herrschaft gespielt. Insofern erwies sich das Verfassungsversprechen von 1968 für Honecker als schwere Hypothek. Lokalpolitiker, die zunehmend Unterstützung von Staatswissenschaftlern erhielten, werteten den Machtwechsel überwiegend als positives Signal, denn die Abkehr von der Wissenschaftssprache und einseitigen Wirtschaftspolitik in der Ära Ulbricht schuf zunächst Raum für die Fortsetzung der Diskussionen der späten 1960er Jahre. Vor allem die Betonung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung unter Honecker verlieh der Debatte erneuten Auftrieb. Sie bildete die argumentative Grundlage für das Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe vom 12. Juli 1973. So forderte die Arbeitsgruppe des Ministerrats, die unter Leitung von Stephan Supranowitz mit der Ausarbeitung des Gesetzes betraut war, die Eingriffsrechte der Kommunen zur Durchsetzung der staatlichen Autorität zu stärken, ferner politische und fachliche Arbeit strikter zu trennen. Der Entwurf, der schließlich von der ZK-Abteilung Staat und Recht

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unter Klaus Sorgenicht auf das „richtige“ Maß von Allgemeinem und Konkreten zurechtgestutzt werden sollte, stieß bei Honecker, der an den Diskussionen bisher nicht teilgenommen hatte, freilich auf Ablehnung. Der am 12. Juli 1973 veröffentlichte Text stellte so am Ende lediglich eine Zusammenfassung aller bisher gültigen Gesetze über die örtlichen Organe dar. Allerdings musste das Gesetz, angesichts der Erwartungen, die Staatswissenschaftler und kommunale Vertreter an die SEDFührung herantrugen, in den Kategorien des zunehmend zur Belastung werdenden Diskurses legitimiert werden. Es genügte nun nicht mehr, ideologische Fragen ohne praktischen Bezug zu verhandeln. So blieb auch die Möglichkeit zur Bildung von Gemeindeverbänden im Gesetz stehen. Der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern institutionalisierter Kooperationsformen auf kommunaler Ebene brach ein letztes Mal in abgeschwächter Form im Rahmen der inszenierten Debatten über das am 4. Juli 1985 beschlossene Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen aus. Das Ziel dieser von Honecker selbst angeregten Gesetzesinitiative bestand jedoch darin, mögliche verbliebene Handlungsspielräume auf kommunaler Ebene endgültig zu beseitigen. Um bereits im Vorfeld zu erwartende Diskussionen zu verhindern, wurden nur wenige ausgewählte örtliche Funktionäre in einem sehr begrenzten Diskursrahmen zu den Beratungen hinzugezogen. Der Text selbst wurde ausschließlich in den Räumen der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED erarbeitet; beaufsichtigt wurde der Prozess von Willi Stoph und Egon Krenz. Honecker brauchte so gar nicht erst in die laufenden Arbeiten einzugreifen. Die SED-Führung war in den 1970er und 1980er Jahren letztlich nur noch damit beschäftigt, schwelende Konflikte um kommunale Kompetenzen zu unterdrücken. Der sich in den 1960er Jahren im Zuge einer allgemeinen Planungseuphorie, neuer Impulse aus Moskau und Normalisierung nach dem Mauerbau entwickelnde Diskurs um dezentrale Elemente im zentralistischen Planungs- und Steuerungssystem, die sich im Begriff Kommunalpolitik verdichteten, war nach wenigen Jahren in eine Debatte umgeschlagen, in der sich schon vor der Machtübernahme Honeckers eine gewisse Desillusionierung über die Machtbarkeit widerspiegelt. Konkrete Strukturreformen waren in der Ära Honecker angesichts der Haltung der SED-Führung auch nicht mehr Bestandteil von Gesetzesdebatten. Die wenigen, in den letzten 18 Jahren der DDR durchgeführten Strukturreformen auf kommunaler Ebene ergaben sich entweder aus dem Hinzukommen neuer zentraler Aufgabenfelder (Umweltschutz, Energie, Erholungswesen/Tourismus) oder gingen auf kommunale Initiativen zurück. Obwohl zwischen 1957 und 1985 sechs Gesetze über die Arbeitsweise der örtlichen Organe beschlossen worden waren, der demokratische Zentralismus und das Prinzip der doppelten Unterstellung der Fachorgane zumindest in der Theorie die „Durchherrschung“ des Staatsapparats durch die SED gewährleisteten, trugen diese formalen Normen aus lokaler Sicht gerade nicht zur Herrschaftsstabilität bei. Je länger die SED-Führung Forderungen von verschiedener Seite nach Regelung der Beziehungen innerhalb des Mehrebenensystems ignorierte, desto stärker verloren die kommunalen Staatsorgane an Autorität. Bewegung zeigte die auf eine Stärkung der zentralen Ebene bedachte SED-Führung unter Honecker allenfalls in argumentativer Hinsicht. Honecker hatte von dem sich

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allmählich gegen Ulbricht wendenden Diskurs um kommunale Eigenverantwortung im Prozess des Machtwechsels profitiert, war deshalb aber bis zum Schluss daran gebunden. Er integrierte die Debatte um ein ausgewogenes Verhältnis von Wirtschafts- und Territorialentwicklung in sein sozialpolitisches Legitimationskonzept, war intern aber bis zuletzt nur noch damit beschäftigt, gegen dessen praktische Auswirkungen anzukämpfen. Dabei malte man sich in Ost-Berlin die Handlungsspielräume der Kommunen wohl deutlich größer aus als sie tatsächlich waren. Zu den Widersprüchen in der Debatte kam eine gewisse Unbeständigkeit in den Strukturen, die oftmals tagespolitischen Veränderungen unterlagen und gerade in den 1960er Jahren keine Verwaltungsroutine gewährleisteten. Oftmals war der Apparat mehr mit sich beschäftigt als mit inhaltlichen Aufgaben. Diese Unbeständigkeit bildete neben der vielfach zu beobachtenden Aufblähung der Bürokratie ein weiteres Strukturmerkmal des Verwaltungsapparates der DDR. Nicht zuletzt trugen diese systemimmanenten Ambivalenzen schon viele Jahre vor dem Herbst 1989 wesentlich zur Erosion der SED-Herrschaft bei. GOVERNANCE ALS PRAXIS: WOHNUNGSBAU UND WOHNUNGSPOLITIK IN LEIPZIG Kommunalpolitik wurde in der DDR als ein Aufgabenbereich verstanden, der auf allen administrativen Ebenen stattfand und damit keine eindeutige Verteilung von Kompetenzbereichen auf die Räte der Städte und Gemeinden zuließ. Seit Ende der 1960er Jahre wurde verstärkt über die Abgrenzung bestimmter Einflusszonen diskutiert, was jedoch stets an der reservierten Haltung der SED-Führung scheiterte. In der kommunalpolitischen Praxis bedurfte es deshalb zusätzlicher Steuerungsmechanismen, die zwischen zentralen und kommunalen Interessen vermittelten. Konzeptionelle Unzulänglichkeiten im System der Multilevel-Governance mussten durch informelle Beziehungen ersetzt werden, die jedoch instabil und unberechenbar waren. Ob diese Beziehungen Handlungsspielräume blockierten oder ermöglichten, war von Politikfeld zu Politikfeld unterschiedlich und hing auch von raumpolitischen Präferenzen der SED-Führung ab. In der Herrschaftspraxis der als Beispiel in den Blick genommenen Stadt Leipzig spiegelt sich dies unmittelbar wider. Ihr Status als Bezirksstadt konnte Handlungsspielräume ermöglichen, aber auch blockieren. Das Zusammen- oder Gegenspiel von administrativer Struktur und raumpolitischen Erwägungen zeigt sich etwa in der Stellung der 1. Sekretäre der SED-Bezirksleitung, die eine Schlüsselrolle in der Kommunikation zwischen Stadt und Zentrale einnahmen. Paul Fröhlich, der den Bezirk Leipzig von 1952 bis 1970 politisch anführte, war gerade deshalb vergleichsweise eng an Walter Ulbricht gebunden, weil die Stadt Leipzig als Messestadt und Wirtschaftsstandort, vor allem in den 1960er Jahren, eine zentrale Rolle im Herrschaftskonzept der SED einnahm. Dies änderte sich mit der Machtübernahme Erich Honeckers im Jahre 1971 zwar nicht schlagartig, aber doch sehr deutlich. Fröhlichs Nachfolger Horst Schumann, der ebenso als ausgesprochener Ulbricht-Mann in die Funktion gekommen war, hatte unter Honecker keinen direkten Kontakt mehr zum wichtigsten Mann im

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SED-Staat, kommunale Probleme konnte er nur mittelbar über andere Politbüromitglieder zur Sprache bringen. Im Leipziger Wohnungsbau, einem kommunalpolitisch besonders umkämpften Feld, wurde die Vermittlungsfunktion zwischen den Interessen der Ebenen von den 1. Sekretären der SED-Bezirksleitung besonders stark ausgefüllt. Diese hebelten zuweilen auch die Pläne, die Hauptinstrumente kommunalpolitischer Aktivitäten, aus. In den 1950er und 1960er Jahren stand das gesamte Baugeschehen der Stadt Leipzig unter dem Primat der Umgestaltung des Stadtzentrums. Hierfür konnten auf Walter Ulbrichts Weisung hin auch Wohnungsbaumittel verwendet werden. Der SED-Führung spielte überdies in die Hände, dass bis zum Ende der 1960er Jahre kein städtebaulicher Gesamtplan vorlag. Die Abteilung Städtebau und Entwurf unter dem Wohnungsbauexperten Walter Lucas verfügte nur über geringe Kapazitäten, die sie für die Baumaßnahmen im Stadtzentrum aufwenden musste. Wohnungsbaustandorte wurden zu Beginn der 1960er Jahre daher vor allem unter dem Aspekt der kostengünstigsten Variante verhandelt. Zuvor hatte Paul Fröhlich mithilfe des 1. Sekretärs der SED-Stadtleitung, Fritz Beier, den Oberbürgermeister Erich Uhlich durch Walter Kresse austauschen lassen, nachdem Walter Ulbricht das Baugeschehen in der Stadt und die noch gängige Praxis der Lückenbebauung mehrfach scharfer Kritik unterzogen hatte. Kresse, der zuvor als Vorsitzender des Wirtschaftsrates des Bezirks selbst ins Visier Fröhlichs geraten war, setzte vieles daran, Eigenmächtigkeiten wie diese künftig zu verhindern. Als Minimalkonsens zwischen den Interessen einigte man sich 1961 schließlich auf den Bau einer Satellitenstadt am Stadtrand Leipzigs, schließlich hatte auch die SED-Führung ein politisches Interesse daran, das Wohnungsbauprogramm des Siebenjahrplans (1959–65), das parallel zum Umgestaltungsplan für das Stadtzentrum lief, im geplanten Umfang zu verwirklichen. Der Bau der Satellitenstadt scheiterte jedoch an der fehlenden Bereitschaft des Bezirks, Baukapazitäten hierfür abzustellen. Auch Paul Fröhlich räumte der außerplanmäßigen Baumaßnahme letztlich keine erkennbare Priorität ein, sodass er auf Eingriffe in die Baupolitik des Bezirks verzichtete. Erst das 1967 gebildete Büro des Chefarchitekten schuf die institutionelle Basis für eine gezielte und langfristige Wohnungsbaupolitik. Wohnungsbaustandorte sollten nun nach Wirtschaftsstandorten und territorialen Bedingungen ausgewählt werden. Zudem sollten die Wohngebiete mit allen weiteren Funktionsräumen der Stadt verkehrstechnisch verbunden werden. Zeitlich fiel die Bildung des Büros des Chefarchitekten in Leipzig mit dem VII. Parteitag der SED zusammen, auf dem Walter Ulbricht zusätzlich die Konzentration von Baukapazitäten in den Bezirksstädten angekündigt hatte. Dies ermöglichte den Aufbau eines städtischen Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats mithilfe von Kapazitäten des Bezirks und umliegender Kreise. Gestützt wurde das Projekt im kommunalen Interesse von Paul Fröhlich, der damit freilich in erster Linie die Erwartung Ulbrichts erfüllte. Parallel aber achtete Fröhlich, nachdem er einen Problembericht des Rates der Stadt Leipzig vom November 1967 für Verhandlungen in Ost-Berlin erhalten hatte, darauf, dass Wohnungsbaumaßnahmen erst nach Fertigstellung des letzten innerstädtischen Großprojekts, des Universitätsneubaus, begonnen wurden. Diesen Machtanspruch untermauerte Fröhlich, indem er Walter Kresse im Jahre 1970 aufgrund von Baurück-

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ständen im Stadtzentrum durch Karl-Heinz Müller ersetzen ließ. Anders als die Absetzung Erich Uhlichs im Jahre 1959 wurde dieser Kaderwechsel jedoch nicht von einer inszenierten Stadtverordnetensitzung begleitet, sondern erfolgte angesichts der Angst vor Prager Verhältnissen und der damit verbundenen Wahrnehmung der lokalen Konflikte im Bauwesen unter dem Vorwand eines regulären Funktionsaustauschs im Rahmen der Kommunalwahl 1970. Der Wohnungsbau begann im selben Jahre schließlich ohne jegliche Vorbereitung. Um bereits vorhandene Ressourcen nutzen zu können, wich der Rat der Stadt kurzerhand auf einen nicht geplanten Standort in Lößnig aus, was fast zu einem politischen Eklat geführt hätte. Dieser schlug seine Wellen, auch in Ost­Berlin nahm man nun von den Konflikten in Leipzig Notiz. Aus lokaler Sicht erscheint es fast als Ironie, dass im Zuge dessen der 1. Sekretär der SED-Stadtleitung, Karl Bauer, wegen Versäumnissen im Wohnungsbau auf Beschluss des ZK der SED entlassen wurde. Allerdings war diese kaderpolitische Maßnahme bereits unter dem Eindruck der Aufwertung des Wohnungsbaus unter Erich Honecker getroffen worden. Das Wohnungsbauprogramm, das Herzstück der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, das den Bau bzw. die Modernisierung von bis zu drei Millionen Wohnungen vorsah, wurde in Leipzig angesichts der Entwicklungen in den 1960er Jahren zunächst als positives Signal aufgefasst. Auch die Sanierung der Altbauten, deren Bauqualität man durchaus schätzte, kam schnell auf die Agenda des Rates des Bezirks. Schnell aber trat Ernüchterung ein, denn das Wohnungsbauprogramm räumte Modernisierungsmaßnahmen keine Präferenz ein. Das gerade erst gebildete Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinat der Stadt Leipzig wurde dem Bezirk unterstellt und zum Leitbetrieb des Bezirksbaukombinats umgewandelt, das für den Bau der großen Wohnsiedlungen an der Peripherie der Stadt Leipzig (Grünau, Paunsdorf) zuständig war. Aber nicht nur durch die Stärkung des Bezirks, dessen administrative Nähe zur Zentrale ein Mehr an Kontrolle des Wohnungsbauprogramms durch die SED-Führung versprach, stellte das Verhältnis zwischen Leipzig und Ost-Berlin auf neue Grundlagen, auch der seit 1970 agierende neue 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Horst Schumann, prägte die Beziehungen maßgeblich mit. Als charakterlich ängstlicher und von Honecker wenig geschätzter Funktionär setzte er alles daran, das Wohnungsbauprogramm ohne Abstriche durchzuführen. Statt auf zeitweilige Verhandlungsangebote setzte Schumann einseitig auf administrativen und politischen Druck. Angesichts des immer akuter werdenden Verfalls der Altbausubstanz und der zunehmenden Eingaben aus der Bevölkerung wegen Wohnungsproblemen erwies sich diese Strategie als Gratwanderung. Jegliche Anzeichen von Kritik seitens der Stadtverwaltung wertete Schumann dogmatisch als Missachtung der Leitungsbeziehungen und unterband sie mit völlig überzogenen Maßnahmen. Als sich der Rat der Stadt etwa weigerte, Modernisierungskapazitäten als „Kooperationsleistungen“ an den Bezirk zur Erfüllung des Wohnungsbauprogramms abzugeben, reagierte Schumann mit einer groß angelegten Parteiuntersuchung, in deren Folge der Stadtbaudirektor Waldemar Thiele entlassen wurde. Auch auf sachliche Kritiken aus den Räten der Stadtbezirke am Wohnungsbauprogramm für die Stadt Leipzig vom 30. August 1977 reagierte Schumann prompt mit der Verstärkung des Einflusses der SED und des MfS. Demgegenüber blieben seine Re-

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aktionen auf andere kommunalpolitische Krisenherde wie die Vergabe von Wohnraum eher verhalten. Obwohl er die Stadtbezirke schon in den frühen 1970er Jahren immer wieder wegen säumiger Eingabenbearbeitung gemahnt hatte, ergriff er erst drastischere Maßnahmen, als wenige Tage nach dem Beschluss des Wohnungsbauprogramms von 1977 ein Bericht über den Leerstand von Altbauwohnungen in der Stadt Leipzig im Fernsehen der DDR ausgestrahlt worden war. Insgesamt trug Horst Schumann zur Begrenzung des Handlungsspielraumes, wenn nicht sogar Lähmung des Rates der Stadt Leipzig bei. Trotz der exponierten Position der Stadt Leipzig innerhalb der „urban landscape“ der DDR und der Existenz eigener Behörden für Stadtplanung, worüber andere Städte nicht verfügten, war der Einfluss des Rates der Stadt auf Wohnungsbaufragen zu jeder Zeit gering. Als Bezirksstadt, Messestadt und zumindest bis zum Ende der 1960er Jahre bedeutende Industriestadt war Leipzig mit einer Vielzahl von Interessen belegt, die nicht miteinander koordiniert wurden. Auch der Generalbebauungsplan konnte diesen Zweck nur unzureichend erfüllen. Vielmehr prägte der Einfluss des 1. Sekretärs der SED­Bezirksleitung als regionale Mittelinstanz das Baugeschehen in der Stadt, indem er als Mediator über die Baupräferenzen in der Stadt, zumeist im Interesse der SED-Führung, entschied. Er übernahm damit die Koordinationsfunktion, die eigentlich den Plänen und den damit verbundenen den Ministerien zugekommen wäre. Die Defizite im Wohnungsbau der Stadt Leipzig waren damit nicht nur fehlenden Ressourcen geschuldet, sondern vornehmlich der zuweilen mit zahlreichen Verlusten verbundenen einseitigen Orientierung der Baupolitik am Stadtzentrum bzw. am Wohnungsbauprogramm. Die zu keiner Zeit aufgelöste Ambivalenz von zentralistischem Steuerungsanspruch und begrenzter Dezentralisierung spiegelt sich in der starken Position des 1. Sekretärs der SEDBezirksleitung wider. Die verheerenden Folgen der Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig, insbesondere der Verfall der Altbaugebiete, fielen im kommunalpolitischen Alltag voll und ganz auf die Wohnungsbehörden zurück. Sie mussten letztlich mit der Bevölkerung verhandeln, zur Abmilderung der Missstände im Alltag beitragen und agierten dabei immer zwischen Legitimation und Pragmatismus. Als Gralshüter der „sozialistischen Wohnungspolitik“ sollten die Wohnungsbehörden in den Stadtbezirken den alten Traum der Arbeiterbewegung von der klassenlosen Gesellschaft in die Realität umsetzen. Anders als im Wohnungsbau herrschte auf diesem Gebiet jedoch ein ausgesprochenes Machtvakuum, das konträr zu der besonderen legitimatorischen Funktion der Wohnungspolitik im Fürsorgekonzept der SED stand. Paradoxerweise war der Handlungsspielraum von Wohnraumlenkern und Gebäudewirtschaft in Leipzig während der Ära Honecker größer als in der Ära Ulbricht, obwohl die Wohnungspolitik und damit der staatliche Einfluss auf diesem Gebiet gerade nach 1971 zunahm. Im Vergleich zur Regierungszeit Walter Ulbrichts lassen sich dabei jedoch Zusammenhänge zu den allmählich nachlassenden raumpolitischen Präferenzen der SED-Führung gegenüber Leipzig herstellen. In der Aufbauphase, die in den 1960er Jahren in eine zunehmende Ökonomisierung der Politik überging, profitierten vor allem die sogenannte Intelligenz und ansässige strukturbestimmende Betriebe von der staatlichen Wohnraumvergabe.

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Erstere sollten vom Verlassen der DDR gen Westen abgehalten werden, letztgenannte sollten die Möglichkeit erhalten, ihren Arbeitskräftebedarf, wenn nötig auch über den Plan hinaus decken zu können. Ortsansässige Bürger waren vom zunehmenden Wohlstand dagegen häufig ausgeschlossen. Dieses soziale Gefälle konnte auch dadurch nicht verschleiert werden, dass repräsentative Wohnkomplexe sozial heterogen belegt wurden, um die Machtbarkeit der „sozialistischen Wohnungspolitik“ zu demonstrieren. Das örtliche Konfliktfeld gestaltete sich komplex und unübersichtlich. Der Rat der Stadt versorgte vor allem die Intelligenz. Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) und Großbetriebe mit eigener Wohnraumlenkung nutzten ihre Nähe zu den übergeordneten Ministerien, um von der Stadt zusätzlichen Wohnraum zu erlangen, und der für Wohnungsreparaturen zuständige VEB Kommunale Wohnungswirtschaft kämpfte mit dem Stadtbauamt bzw. den städtischen Wohnungsbaubetrieben um knappe Ressourcen. So diffus sich das örtliche Konfliktfeld in der Wohnungspolitik gestaltete, so unterschiedlich waren auch die Lösungsstrategien durch den Rat der Stadt Leipzig. Die prekäre Situation der Wohnungsbehörden in den Stadtbezirken, die mit dem Unmut benachteiligter Bürger direkt konfrontiert waren, nahm das Wohnungsamt des Rates der Stadt dabei jedoch nur bedingt wahr. Eine von den Wohnungsbehörden der Stadtbezirke geforderte Ordnung, die verbindliche Regeln und abgegrenzte Kompetenzbereiche für alle beteiligten Akteure garantierte, verschleppte der Rat. Demgegenüber versuchte er mithilfe einer Zuzugsordnung und Arbeitsordnungen für die betriebliche Wohnraumlenkung, den aus seiner Sicht unkontrolliert ausufernden Wohnraumbedarf der Großbetriebe zu beschränken. Die Zuzugsordnung kollidierte aber mit dem Gesetz der Arbeit von 1961, das keine Abstimmung zwischen Arbeitskräftezuzug und Wohnraumangebot vorsah. Die Arbeitsordnungen stießen dagegen auf Widerstand bei den Betrieben, die sich zunehmend gegängelt sahen. Einzig auf die AWG konnte der Rat der Stadt seinen Einfluss durch Personalunionen ausdehnen. Möglich war dies allerdings nur deshalb, weil die SED-Führung die Missachtung der Belegungsnormen durch die AWG selbst mit Argwohn betrachtete und gesetzlich in die „innere Demokratie“ der AWG eingriff. Zeitweilige Verbesserungen für benachteiligte Bevölkerungskreise konnten in den 1960er Jahren allenfalls im Rahmen von Kampagnen erreicht werden, die wegen ihrer politischen Kurzzeitwirkung aber nur begrenzte Auswirkungen hatten. Lediglich organisatorische Handlungsspielräume bestanden auf dem Gebiet des Reparaturwesens. Aber auch diese waren abhängig von politischen Konjunkturen. Die Konflikte zwischen den Baubetrieben um die Verteilung der Kapazitäten, über die das Stadtbauamt bzw. der Rat der Stadt entschied, bestanden parallel ungebrochen fort. Dahinter standen allerdings nicht nur die bevorzugt zu behandelnden Bauinteressen zentraler Akteure. Vielmehr besaßen die kommunalen Baureparaturbetriebe und der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung keinerlei Überblick über den Reparaturbedarf, während die Baukennziffern planmäßig vorgegeben und damit zumindest berechenbarer waren. Erst Mitte der 1960er Jahre wurde mühsam ein Bauzustandskataster aufgebaut, der dieses Defizit beheben sollte, aber auch noch Jahre später keine zuverlässigen Informationen lieferte. Die aus wirtschaftlicher Sicht „goldenen 1960er“ waren für die Stadt Leipzig nicht nur mit einer prospe-

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rierenden Industrie und repräsentativen Bauten im Stadtzentrum verbunden, sondern auch mit einem erhöhten Problemstau in lokalen Entwicklungsfragen. In der Wohnungsvergabe und -wirtschaft fand die Ökonomisierung der SED-Politik unter Ulbricht deutliche legitimatorische Grenzen. Umso mehr erhoffte man sich auch in Leipzig von Ulbrichts Nachfolger, Erich Honecker, der die Wohnungspolitik ganz hoch auf seine Agenda setzte, organisatorische Verbesserungen. Schnell wurde den Funktionären vor Ort aber klar, dass die SED-Führung zwar den Aufgabenbereich der kommunalen Wohnungsbehörden zu erweitern gedachte, ein Mehr an Steuerung aber nicht anstrebte. Die Herrschaftspraxis der Wohnungsämter war seit den führen 1970er Jahren bis zum Ende der DDR durch Krisenmanagement gekennzeichnet. Allerdings lösten sich die Konfliktfelder der 1960er Jahre zugunsten informeller Konsensfindungsprozesse auf, ohne dass die Spannungen angesichts der sich sukzessive verschlechternden Wohnungssituation gänzlich verschwanden. Krisenmanagement bedeutete freilich nicht, dass man unbedingt immer die örtlichen Problemlagen als Krisensymptome vor Augen hatte. Oftmals war es auch die Krise des Staatsapparats, die durch informelle Handlungsspielräume abgeschwächt werden sollte, denn Wohnungspolitik zählte zu den unattraktiven Tätigkeitsfeldern. Es entsprach der Logik des demokratischen Zentralismus, dass ein instabiler Apparat auf höheren Ebenen eher als Problem wahrgenommen wurde als die Situation der Bürger vor Ort, die man bis zuletzt unter Kontrolle zu haben glaubte. Die von den Wohnungsbehörden wahrgenommen Handlungsspielräume deckten sich daher nur bedingt mit den Interessen der Wohnungssuchenden. In der Wohnraumvergabe nutzte man etwa die definitorischen Unklarheiten des Arbeiterbegriffs, der nun im Zentrum der Wohnungspolitik stand, um häufig vorsprechende Bürger „loszuwerden“. Gleichwohl wurden die Probleme kinderreicher Familien nun verstärkt außerhalb des Plans gelöst. Schon Ende der 1970er Jahre aber verengten sich die Spielräume der Wohnraumlenker wieder. Der Rat des Bezirks und die örtlichen SED-Organe ergriffen nunmehr selbst Maßnahmen zur Abmilderung der sich zuspitzenden Situation im Wohnungswesen. Dabei setzten sie auf die dogmatische Durchsetzung der vorgegebenen Belegungsnormen; eine Praxis, die von den Stadtbezirken nur noch sporadisch verfolgt worden war. Als Konsequenz erodierte die SED-Herrschaft nun auch in den Wohnungsämtern schneller, zumal die getroffenen Regelungen mit den aus pragmatischen Gründen zunehmend akzeptierten gestiegenen Bedürfnissen der Bürger kaum noch übereinstimmten. Ähnliche Tendenzen lassen sich im Reparatursektor beobachten. Es gab zwar zahlreiche Ansätze, um die immer knapper werdenden Ressourcen effektiver zu verteilen, etwa durch Bildung von Baureparaturbetrieben und Bauhöfen auf Stadtbezirksebene. In der Praxis stellten diese Betriebe aber eher Versorgungsposten für frühere private Handwerker oder aus der SED ausgeschlossene Personen dar. Diese Betriebe entwickelten zudem eine blühende Schattenwirtschaft. Handlungsspielräume besaßen hier vor allem die Kader und Mitarbeiter, die für einen Verbleib im Betrieb häufig die informelle Versorgung mit Baukapazitäten verlangten. Maßnahmen zur unbürokratischen Erledigung von Reparaturarbeiten waren dagegen kaum wirksam, weil sie auf geringe Beträge beschränkt waren und oft auf Widerstand

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privater Handwerksbetriebe stießen. Parallel verbreitete sich die Praxis der Selbstversorgung der Bürger, die häufig im Wissen ihrer Vorgesetzten Baumaterial auf Baustellen mitnahmen oder verfallene Häuser nach brauchbaren Ressourcen durchsuchten. Einer gewissen Beliebtheit vor allem bei jüngeren Menschen erfreute sich auch die Vergabe von Um- und Ausbauwohnungen; nicht zuletzt weil sich dadurch Baumaterialien unter der Hand ergattern ließen. Der Einfluss der Bürger auf ihre Wohnverhältnisse wuchs partiell aber auch auf anderen Gebieten. Während das Instrument der Wohnungskommissionen, die sich entgegen den Erwartungen der SED noch in den 1960er Jahren als Interessenvertreter der benachteiligten Bürger verstanden, durch Zwangsmaßnahmen allmählich verkümmerte, wuchs die Bedeutung informeller Arrangements für die Entwicklung von Bindungskräften zwischen „Herrschenden“ und „Beherrschten“. Für Bürger, die über höhere Einkommen oder den Zugang zu begehrten Ressourcen wie Westgeld und Handwerkskapazitäten verfügten, wohnungspolitisch aber benachteiligt waren, ergaben sich Freiräume durch die zwar verbotene, aber aus politischen Gründen nur mäßig verfolgte Korruptionspraxis. Möglich wurde dies besonders, wenn Funktionäre der Wohnungspolitik nur durch einen informellen Zuverdienst stärker an ihren Arbeitsplatz gebunden werden konnten und es Neubaukontingente gab, die nicht völlig ausgeschöpft wurden. Die Arbeitsgruppe Baufreiheit etwa verwaltete einen nicht geringen Fonds an Neubauwohnungen für die Umsiedlung von Bürgern aus Umgestaltungsgebieten, die dann aber doch nicht bebaut wurden. Neubauwohnungen ließen sich so für Beträge von bis zu 18.000 Ost-Mark unter der Hand ergattern. Im Vergleich zu Preisen, die parallel auf dem Schwarzmarkt etwa für die Bevorzugung bei der Verteilung von Trabis bezahlt werden mussten, waren diese Preise durchaus moderat. Für weniger betuchte Bürger ergaben sich durch die vielen leerstehenden Altbauten Handlungsspielräume. „Schwarzwohnen“, d. h. Wohnen ohne staatliche Zuweisung (aber häufig mit Mietvertrag), wurde in den 1970er Jahren zur urbanen Alltagspraxis. Auch für die Wohnungsämter hatte dies Vorteile. Sie wurden damit langjährige Problemfälle los und hatten überdies die Möglichkeit, Ordnungsgelder zu erheben, ohne aber die Zwangsräumung vollstrecken zu müssen. Die Ergebnisse der Untersuchungen zur Wohnungspolitik in der Stadt Leipzig zeigen, dass die Stadt mehr als nur ein Resonanzraum politischer Entwicklungen war. Sie war ein Beziehungsgefüge mit eigenen Strukturen und eigenen Konflikten, in denen sich die ganze Ambivalenz der instabilen Stabilität der DDR vor allem in den 1970er und 1980er Jahren widerspiegelt. Mikrobeziehungen und Verschränkungen zwischen politischen, behördlichen und wirtschaftlichen Akteuren lassen sich auf lokaler Ebene dicht und differenziert erforschen. Dabei zeigen sich gerade im Feld der Wohnraumlenkung und Wohnungsreparaturen die Grenzen der Diktatur. Während in Wohnungsbaufragen der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung das Koordinationschaos mit harter Hand – freilich mit verheerenden Folgen – bewältigte, ließ sich das System in Fragen der Verteilung und Reparatur von Wohnraum nur durch informelle Beziehungen einigermaßen stabil halten. Mit einer konsequenten „Durchherrschung“ hatte all dies aber wenig zu tun.

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WEITERFÜHRENDE FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN Die Stadt- und Urbanisierungspolitik der DDR erschöpfte sich nicht in städtebaulichen Großprojekten, einer katastrophalen Versorgungslage, maroden Infrastrukturen und ökologischen Verwerfungen. Auch trug der demokratische Zentralismus nicht automatisch zur restlosen Verkümmerung kommunaler Politik bei. Vielmehr war dessen Ausgestaltung Aushandlungsprozessen unterworfen, die ein begrenztes Eigengewicht der Kommunen ermöglichten. Freilich hing es stets von der SED-Führung ab, welche Ausmaße dieses annahm. Die Untersuchung des DDRspezifischen Diskurses um Kommunalpolitik bietet Anknüpfungspunkte, das komplexe Feld der Verwaltungspraxis im Staatssozialismus der DDR differenziert in den Blick zu nehmen. Verwaltung war im SED-Staat keineswegs auf die Zentrale beschränkt. Zudem stellte der demokratische Zentralismus mit seinen Strukturen nur einen, die Verwaltungspraxis prägenden Faktor dar. Kommunale Einflussmöglichkeiten und Herrschaftspraktiken waren ebenso abhängig von raumpolitischen Erwägungen der SED-Führung. Künftige Forschungen zur instabilen Stabilität der Ära Honecker könnten die Verbesserung der Arbeits­ und Lebensbedingungen als spezifischen Aufgabenbereich der Kommunen zum Ausgang der Betrachtung nehmen. Diese Formel markierte den diskursiven Rahmen und prägte Wahrnehmung sowie Selbstverständnis von Lokalpolitikern mehr als der Verlust kommunaler Autonomie. Zu untersuchen wäre etwa, inwiefern die Diskurserweiterung in den späten 1960er Jahren die Kommunikation zwischen den Ebenen beeinflusste. Zudem wären neben Leuchttürmen wie Leipzig, die das Scheitern der Kommunalpolitik der SED eindrücklich demonstrieren, oder den häufig untersuchten Planstädten vor allem Klein­ und Mittelstädte verstärkt in die Untersuchung einzubeziehen. Hier steht die Forschung noch am Anfang. Dabei waren es gerade Vertreter dieser Territorien, die die Eigendynamik des Diskurses prägten. Damit verbunden wäre auch ein Perspektivwechsel, der das Eigengewicht des städtischen Raums für die Sozialgeschichte der DDR nutzbar machen kann. Städte waren nicht nur Resonanzräume allgemeiner Entwicklungen, sondern stellten auch in der Diktatur Beziehungsgefüge mit eigenen Organisationsstrukturen dar. Untersuchen ließen sich letztgenannte etwa anhand lokaler und gebietsübergreifender Kooperationsformen, die für kleinere und mittlere Städte eine viel größere Rolle spielten als für eine Großstadt wie Leipzig, wo sich aufgrund der Interessendiversität allenfalls kleinere Projekte verwirklichen ließen. In Gebieten, wo personelle Netzwerke zwischen verschiedenen Institutionen dichter waren, erreichte die „sozialistische Gemeinschaftsarbeit“ vermutlich eine andere Qualität. Auch müsste der Bürger als Akteur stärker in den Blick genommen werden. Das Selbstverständnis städtischer Verwaltungsakteure als Vermittler zwischen Bürgerund Staatsinteressen resultierte auch aus dem direkten Umgang mit den Menschen, deren Lebensumwelt man gestalten wollte oder sollte. Ausgehend von den Untersuchungen zur Verhandlungsmacht der Bürger in der Wohnungspolitik, sollten auch andere Politikfelder, wie Handel und Versorgung, Gesundheitswesen oder Erholungswesen auf diese Fragen hin abgeklopft werden. Schon jetzt zeigt sich, dass das Bild vom zentralistischen Einheitsstaat, das die DDR auch nach außen hin gern

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verkörperte und in der Forschung oft unhinterfragt übernommen wird, nur teilweise trägt. Vielmehr spiegelt sich in der Kommunalpolitik die gesamte Ambivalenz der Herrschaftswirklichkeit der DDR zwischen Erosion und Stabilität wider. Reformsignale und Reformskepsis, damit verbundene Hoffnungen und Vorbehalte, Legitimationsstrategien und Einzelinteressen überlagerten sich in diesem Politikfeld in besonderem Maße.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABI AG Agit. APO AWG BArch BGL BV BStU CDU ČSR DAF DBD DDR DEWAG DM DWK EAL FDGB FDJ Gen./Genn. GHG GISAG GMS GPG GWG HAB HAG HJ IM KBR KD KJV KMU KPD KPdSU

Arbeiter- und Bauern-Inspektion Arbeitsgruppe Agitation Abteilungsparteiorganisation (Unterabteilung der SEDGrundorganisation) Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft(en) Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Betriebsgewerkschaftsleitung Bezirksverwaltung (Ministerium für Staatssicherheit) Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Christlich-Demokratische Union (Ost) Tschechoslowakische Republik (1918–1939, 1945–1960) Deutsche Arbeitsfront Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Republik Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (24. Juli 1948–31. Juli 1964) Deutsche Wirtschaftskommission Erfassung und Arbeitskräftelenkung (Rat der Stadt) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Genosse/Genossin Großhandelsgenossenschaft VEB Kombinat Gießereianlagenbau und Gußerzeugnisse Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit Gärtnerische Produktionsgenossenschaft Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft Hochschule für Architektur und Bauwesen Hauptauftraggeber Hitler-Jugend Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit Kombinat für Baureparaturen und Rekonstruktion Kreisdienststelle (Ministerium für Staatssicherheit) Kommunistischer Jugendverband Karl-Marx-Universität Leipzig Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion

386 KWU LDP/LDPD LKW LPG M MAI MDN MfS NAW NDPD NÖS NSDAP NSDSB NVA Org.-Instr.-Abt. ÖSS PGH PKW Prop. SächsStAL SAG SAJ SAPMO-BArch SED SED-BPKK SED-GO SED-SBL SED-SBPKK SED-SPKK SKK SMA/SMAD SMAS SPD SPJ StadtAL TH UNO USPD VdN VEB (Z, B, St./K)

Abkürzungsverzeichnis

Kommunalwirtschaftsunternehmen Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Lastkraftwagen Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Mark der Deutschen Demokratischen Republik (1. Januar 1968–30. Juni 1990) Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Mark der Deutschen Notenbank (1. August 1964–31. Dezember1967) Ministerium für Staatssicherheit Nationales Aufbauwerk Nationaldemokratische Partei Deutschlands Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationale Volksarmee Organisations-Instrukteur-Abteilung Ökonomisches System des Sozialismus Produktionsgenossenschaft des Handwerks Personenkraftwagen Propaganda Sächsisches Staatsarchiv, Außenstelle Leipzig Sowjetische Aktiengesellschaft Sozialistische Arbeiter-Jugend Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der Deutschen Demokratischen Republik im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED-Bezirksparteikontrollkommission SED-Grundorganisation SED-Stadtbezirksleitung SED-Stadtbezirksparteikontrollkommission SED-Stadtparteikontrollkommission Sowjetische Kontrollkommission (Nachfolgerin der SMAD) Sowjetische Militäradministration Deutschland Sowjetische Militäradministration Sachsen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Proletarier Jugend Stadtarchiv Leipzig Technische Hochschule United Nations Organization Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Verfolgte des Naziregimes Volkseigener Betrieb (Zentrale, Bezirk, Stadt/Kreis)

Abkürzungsverzeichnis

VEB GWL VEB KWV VEK VPKA VTA VVB VVN WRL WRLVO ZK ZKK

VEB Gebäudewirtschaft Leipzig VEB Kommunale Wohnungsverwaltung (Leipzig) Volkseigenes Kombinat Volkspolizei Kreisamt VEB Verlade- und Transportanlagen Vereinigung volkseigener Betriebe Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Wohnraumlenkung Wohnraumlenkungsverordnung Zentralkomitee (der SED) Zentrale Kontrollkommission

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TABELLENVERZEICHNIS Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17: Tab. 18: Tab. 19:

Motive für einen möglichen Verzug aus Leipzig 1975 ..................... Gesamtpersonal der Stadtverwaltungen Leipzig und Dresden, Ende 1945 .......................................................................................... Stellenpläne und Lohnfonds im Rat der Stadt und den Räten der Stadtbezirke Leipzig 1957 ......................................... Personalentwicklung im Bauwesen der Stadt Leipzig ...................... Wohnungsbau der Stadt Leipzig im Siebenjahrplan ......................... Personalentwicklung im Rat des Stadtbezirkes Mitte, Abt. Wohnungspolitik ....................................................................... Arbeitszeitverteilung in den Abteilungen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft der Räte der Stadtbezirke 1978 ....................... Wohnungsanträge im Vergleich (April 1977/Dezember 1983) ......... Offizielle und inoffizielle Dringlichkeitskriterien (1955 und 1959) ................................................................................ Wohnungsanträge im Rat der Stadt Leipzig 1955–1961 ................... Verteilung der Neubauwohnungen in den AWG/GWG 1961/62 ...... Planerfüllung im Bereich Instandhaltung 1963 ................................. Plan und Objektbeauflagung des VEB (K) Reparatur Leipzig 1963 (in DM) ....................................................... Vergabe von Neubauwohnungen in der Stadt Leipzig 1971–1986 ... Wohnbedürfnisse und -ausstattung nach Haushaltsgrößen, Stadtbezirk Südost 1981 .................................................................... Wohnungsanträge von Rentnern und Rentnerwohnheimplätze in Leipzig ........................................................................................... Entwicklung der Leipziger AWG 1981–1986 ................................... Soziale Zusammensetzung der Wohnungskommissionen, Stadtbezirke Mitte und Südwest (1964) ............................................ Entwicklung der Wohnungskommissionen der Stadt Leipzig/ des Stadtbezirkes Nord 1978–1989 ...................................................

46 63 105 206 219 267 268 272 275 276 291 298 300 310 315 317 328 350 353

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17:

Einwohner der Stadt Leipzig 1930–1989 ......................................... Die Anteile der mitteldeutschen Bezirke an der Bruttoproduktion der DDR (1980er Jahre) ................................................................... Wohnungsbau und Wohnungsanträge in Leipzig 1961–1990 .......... Leipzig vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ........................... Leipzig nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ........................ Bebauungsplan der Inneren Altstadt der Stadt Leipzig 1949 ........... Demonstrations- und Aufbauplan der Stadt Leipzig 1952 ............... Stand des Wiederaufbaus der Stadt Leipzig 1959 ............................ Wiederaufbau der Stadt Leipzig im Siebenjahresplan (1959–1965) ..................................................................................... Generalbebauungsplan, Komplexer Wohnungsbau ......................... Der Rat der Stadt Leipzig 1953 ........................................................ Der Rat der Stadt Leipzig 1957 ........................................................ Der Rat der Stadt Leipzig 1958 ........................................................ Der Rat der Stadt Leipzig 1965 ........................................................ Der Rat der Stadt Leipzig 1971 ........................................................ Der Rat der Stadt Leipzig 1974 ........................................................ Der Rat der Stadt Leipzig 1985 ........................................................

37 45 209 409 410 411 412 413 414 415 416 417 418 419 420 421 422

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS UNGEDRUCKTE QUELLEN Stadtarchiv Leipzig (StadtAL) StadtAL, StVuR (Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt 1945–1990). StadtAL, SB (Räte der Stadtbezirke 1971–1989). StadtAL, NL Lucas (Nachlass Walter Lucas).

Sächsisches Staatsarchiv, Außenstelle Leipzig (SächsStAL) SächsStAL, 20237 (Rat des Bezirkes Leipzig). SächsStAL, 21123 (SED-Bezirksleitung Leipzig). SächsStAL, 21138–21144 (SED-Stadtbezirksleitungen). SächsStAL, 21145 (SED-Stadtleitung Leipzig). SächsStAL, 21479 (SED-Grundorganisation des Rates der Stadt Leipzig). SächsStAL, 21699 (Kaderakten).

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch/SAPMO-BArch) BArch, DC 20 (Ministerrat der DDR). BArch, DE 1 (Staatliche Plankommission). BArch, DL 1 (Ministerium für Handel und Versorgung). BArch, DN 1 (Ministerium für Finanzen). SAPMO-BArch, DY 30 (Politbüro und ZK der SED). SAPMO-BArch, DY 34 (Bundesvorstand des FDGB). SAPMO-BArch, NY 4182 (Nachlass Walter Ulbricht).

BStU, Außenstelle Leipzig (BStU) – BV Leipzig (Bezirksverwaltung Leipzig) BStU, MfS, BV Leipzig, AGMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter). BStU, MfS, BV Leipzig, AIM (Austauschbarer Inoffizieller Mitarbeiter). BStU, MfS, BV Leipzig, AKG (Auswertungs- und Kontrollgruppe). BStU, MfS, BV Leipzig, AOP/AOPK (Operativer Vorgang). BStU, MfS, BV Leipzig, AP (Allgemeine Personenablage). BStU, MfS, BV Leipzig, AU (Untersuchungsvorgang). BStU, MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt (Kreisdienststelle Leipzig-Stadt). BStU, MfS, BV Leipzig, Leitung.

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ANHANG

PLANUNGSKONZEPTE DER STADT LEIPZIG 1945–1983

Abb. 4: Leipzig vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Quelle: Walter Lucas, Der Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, in: Deutsche Architektur 9, 1960, S. 471.

410

Anhang

Abb. 5: Leipzig nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Quelle: Walter Lucas, Der Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, in: Deutsche Architektur 9, 1960, S. 472.

Planungskonzepte der Stadt Leipzig 1945–1983

Abb. 6: Bebauungsplan der Inneren Altstadt der Stadt Leipzig 1949 Quelle: StadtAL, Kap. 19, Nr. 369, Bl. 5.

411

412

Anhang

Abb. 7: Demonstrations- und Aufbauplan der Stadt Leipzig 1952 Quelle: StadtAL, Pläne BCA, 6197, unp.; StadtAL, StVuR, 16820, Bl. 12.

Planungskonzepte der Stadt Leipzig 1945–1983

Abb. 8: Stand des Wiederaufbaus der Stadt Leipzig 1959 Quelle: Walter Lucas, Der Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, in: Deutsche Architektur 9, 1960, S. 473.

413

414

Anhang

Abb. 9: Wiederaufbau der Stadt Leipzig im Siebenjahresplan (1959–1965) Quelle: Walter Lucas, Der Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig, in: Deutsche Architektur 9, 1960, S. 474.

Planungskonzepte der Stadt Leipzig 1945–1983

Abb. 10: Generalbebauungsplan, Komplexer Wohnungsbau Quelle: StadtAL, StVuR, 17105, Bl. 91.

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Anhang

INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNG DES RATES DER STADT LEIPZIG

Abb. 11: Der Rat der Stadt Leipzig 1953 Quelle: StadtAL, StVuR (1), 17205, Bl. 20–27 (eigene Darstellung).

Institutionelle Entwicklung des Rates der Stadt Leipzig

Abb. 12: Der Rat der Stadt Leipzig, März 1957 Quelle: StadtAL, StVuR (1), 19884, Bl. 33 (eigene Darstellung).

417

418

Anhang

Abb. 13: Der Rat der Stadt Leipzig 1958 Quelle: StadtAL, StVuR (1), 17091, Bl. 295f. (eigene Darstellung).

Institutionelle Entwicklung des Rates der Stadt Leipzig

Abb. 14: Der Rat der Stadt Leipzig 1965 Quelle: StadtAL, StVuR (1), 13855 (Zusammenstellung aus verschiedenen Stellenplänen, eigene Darstellung).

419

420

Anhang

Abb. 15: Der Rat der Stadt Leipzig 1971 Quelle: StadtAL, StVuR (2), 4332 (Zusammenstellung aus verschiedenen Stellenplänen, eigene Darstellung).

Institutionelle Entwicklung des Rates der Stadt Leipzig

Abb. 16: Der Rat der Stadt Leipzig 1974 Quelle: StadtAL, StVuR (2), 19012, Bl. 9–12 (eigene Darstellung).

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422

Anhang

Abb. 17: Der Rat der Stadt Leipzig 1985 Quelle: SächsStAL, 20237, 25606, unp. (eigene Darstellung).

PERSONENREGISTER A Adolphs, Karl 49, 163, 213, 215, 281–282, 357 Apel, Erich 136, 151–152, 157, 165 Austel, Fritz 70 B Barth, Willi 78 Bauer, Karl 129–132, 164, 222, 232, 236–239, 241, 245, 276, 378 Bauer, Oswald 68 Bayer, Johannes 84 Beier, Fritz 49, 79, 94–101, 103, 107, 109, 130–131, 212–217, 377 Berger, Günter 226, 248 Berija, Lawrenti Pawlowitsch 89 Beyer, Walther 32 Bitterlich, Günther 251 Blaurock, Karl-Heinz 122–124, 150, 197, 244 (Fn. 190), 252, 257, 259 Böhm, Siegfried 140 Böhme, Günter 187, 308 Bönninger, Karl 177 Borissow (Oberst) 62 (Fn. 9) Brendel, Manfred 249, 257–258 Breschnew, Leonid Iljitsch 40, 165 Brummer, Rolf 120 (Fn. 331, 333) Burkhardt, Max 84 (Fn. 141) C Chruschtschow, Nikita 33, 39, 87, 89–90, 92, 110–111, 165, 211–212 Collier, Heinz 244 (Fn. 140) D Daute, Helmut 69, 104 Dubček, Alexander 177 E Eaton, Richard 62 Edel, Oskar 68 Eggerath, Werner 79, 82 Eichelbaum, Ernst 68 Eichner, Josef 132, 139 Eißler, Manfred 321

F Falsch, Rainer 244 (Fn. 190) Fischer, Dietmar 205 Fleißner, Heinrich 63 Fleschhut, Reinhold 96–97, 102, 295 Franz, Dieter 239 (Fn. 161) Fröhlich, Paul 24, 47, 48–50, 52–53, 92, 130, 136–137, 141, 157, 164–165, 212–216, 222–224, 227, 229–232, 234–241, 243, 245–246, 252, 256, 301–302, 376–377 Freyberg, Alfred 203 (Fn. 7) G Gehrke, Rudolf 244 Geißler, Wolfgang 120, 159–160, 203–205, 220, 253–255 Gelbke, Karl Hermann 68, 84 (Fn. 141) Gemkow, Heinz-Jürgen 244 (Fn. 190) Gerber, Horst 118–120 Gerlach, Manfred 84 (Fn. 140) Grimm, Frank 175, 243–244 (Fn. 190), 351–352 Grotewohl, Otto 75, 77, 90 Grützner, Erich 124, 141, 152–153, 157, 161–162, 164, 181, 195 Günther, Horst Helmuth 295, 297 H Hackenberg, Helmut 53 Hauschild, Thea 181 (Fn. 640) Heinzig, Erich 222–223 Hengst, Adalbert 48 Hentschel (Abteilungsleiter) 352 Herzig, Werner 181 (Fn. 640) Heuer, Klaus 186 Heuer, Uwe-Jens 181 (Fn. 640) Hill, Jim Dan 61–63 Hlawaczek, Walter 68 Hodes, Josef 84 Hoffmann, Gerhard 243 Hoffmann, Hans-Joachim 53 Hoffmann, Roland 233, 238–239 Holtzhauer, Helmut 62, 68

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Personenregister

Honecker, Erich 18, 26, 35–36, 40, 45, 47, 51–53, 165, 171, 174, 178–180, 182, 184–190, 197, 202, 210, 225, 246, 250, 254, 256, 265, 271, 309, 331–332, 339, 346, 371, 374–376, 378–379, 381, 383 Hutschenreuter, Kurt Erich 69, 108

Müller, Max 75 Müller, Richard 180 (Fn. 640)

J Jahn, Günther 52 Jendretzky, Hans 92,133 Junker, Wolfgang 18, 254

O Ober, Helmut 118–121, 131–132, 137, 139, 159–160, 203, 219–221, 223 Oelßner, Fred 113 Opitz, Max 72–74 Opitz, Rolf 186–188

K Kiel, Horst 223 Klatte, Rudolf 234, 236, 239 Kleinert, Kurt 186 Klement, Ernst 239 Kloß, Paul 62 Kosel, Gerhard 118, 202, 208 Kösser (Regierungsbaumeister) 202 (Fn. 7) Krenz, Egon 53, 187–188, 375 Kresse, Friedrich Walter 50, 124, 130, 132, 137, 140, 145, 147, 157, 161–162, 164, 215–220, 222–223, 239–241, 256, 276–277, 301, 352, 377 Kresse, Kurt 50 Krolikowski, Werner 187 Kühne, Klaus 330 Kuhrig, Heinz 181 (Fn. 640) L Lange, Ingeburg 188 Lehmann, Günter 181 Lehmann, Rudolf 97, 139 Lenin, Wladimir Iljitsch 17 (Fn. 27), 67 Leuschner, Bruno 91 Liberman, Jewsei 126, 151 Lohagen, Ernst 64 Lucas, Walter 26, 116, 118–119, 128, 150, 158–159, 202–203, 219–221, 223, 377 M Mäding, Kurt 84 Martin (Stadtrat) 146 Martin, Waltraut 244 (Fn. 190) Mewis, Karl 222 Mittag, Günter 157, 165–166, 178, 194, 254 Moschütz, Hans Dietrich 181 (Fn. 640) Müller, Erhard 181 (Fn. 640) Müller, Joachim/Jochen 159, 222–223 Müller, Karl-Heinz 19, 241, 243, 244 (Fn. 190), 257, 259, 378

N Neugebauer, Sigrid 244 (Fn. 190) Neumann, Alfred 152, 157, 182

P Peplinski, Franz 92 Petzold, Siegfried 186 Pieck, Wilhelm 75–77 Pientka, Walter 66, 69 Plenikowski, Anton 73, 79 Polak, Karl 88, 90, 134–136, 372 R Rau, Heinrich 130 Reuter, Walter 281–282, 288–289, 351–352 Richter, Manfred 136, 143 Ritter, Kurt 244 (Fn. 190) Rossberg, Kurt 62 Rupp, Wolfgang 84 (Fn. 141) S Sachs, Siegfried 222–223, 228, 233 Sachse, Johannes 68 Sandig, Helmut 180 (Fn. 640) Scharfenstein, Fritz 181 (Fn. 640), 309 Scheler, Manfred 180 (Fn. 639), 181 (Fn. 640) Schenke, Gerda 84 (Fn. 141) Schirdewan, Karl 48 (Fn. 113), 79 (Fn. 214), 113, 214 Schlorke, Werner 244 (Fn. 190) Schlosser, Wilfried 244 (Fn. 190) Schmidt (Stadtverordnetenvorsteher) 234 Schmiechen, Karl 181 (Fn. 640) Schnabel, Hubert 240 Schroeder, Hans-Joachim 205 Schulze, Gerhard 181 (Fn. 640) Schumann, Georg 50–52 Schumann, Horst 47, 50–53, 252–254, 256–257, 259, 306, 376, 378–379 Schumann, Johanna 50 Schürer, Gerhard 165, 187, 248, 251

Personenregister Schwalbe, Wolfgang 203, 204 (Fn. 10), 228, 231, 234, 242–243 Schwarz, Erich 84 (Fn. 140) Schwidtmann, Heinz 103 Seidel, Werner 250 Selbmann, Fritz 111–113 Seydewitz, Max 80 Siefke, Willy 120 Siegel, Horst 34, 170, 204–205, 226–227, 229 Simon, Max 84 (Fn. 141) Sorgenicht, Klaus 135, 175–176, 180, 184–187, 375 Spitzner, Manfred 223 Stalin, Josef Wissarionowitsch 33, 75–77, 87, 89–90, 151 Stock, Heinz 244 (Fn. 190) Stolle, Herbert 239 (Fn. 163), 244 (Fn. 190) Stoph, Willi 134, 186–188, 309, 375 Strenz, Jörg 254–255 Supranowitz, Stephan 179–180, 374 Suprunow, M. F. 62 (Fn. 9) T Thiele, Waldemar 204, 206, 233, 252–253, 335, 378 Tisch, Harry 135 Trabalski, Stanislaw 64 Trölitzsch, Gerhard 254 Trufanow, Nikolai Iwanowitsch 54, 62, 64 U Uhlich, Erich 48, 72, 74, 79, 84 (Fn. 140), 86, 96–97, 107, 118–119, 124, 213–218, 236, 377–378 Ulbricht, Walter 14, 18, 26, 34, 36, 39–40, 47, 49–52, 55, 67, 70, 75–77, 89, 92, 110–114, 116, 126–127, 129, 133–138, 144, 149, 154–155, 157–158, 161–162, 164–166,

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174–175, 178, 182, 184, 189, 197, 202, 208, 210–212, 214–216, 220, 227–229, 235, 240, 293–294, 299, 331, 351, 372, 374, 376–377, 379, 381 Ullmann, Helmut 159 Ullrich, Theo 244 (Fn. 190) Unger, Oswald 135, 372 V Vierling, Wilhelm Johannes 62 Volkmer, Wolfgang 142, 154 W Wagner, Kurt 63, 68 Wallwiener, Waltraud 84 (Fn. 141) Weber, Fritz 84 (Fn. 141) Weichelt, Wolfgang 180 (Fn. 639) Weidauer, Walter 64–65 Weise, Hans 66 Wende, Ernst 84 (Fn. 140), 96–97, 302 Werner, Karl 84 (Fn. 141) Widenmann, Paul 204, 244 (Fn. 190) Wiedemann, Karl-Heinz 324, 330 Wiezorek, Werner 244 (Fn. 190) Winkler, Rudi 244 Witteck, Günther 175–176, 181 (Fn. 640) Wittkowski, Margarete 112 Wittstock, Hans Ulrich 139, 348 Wollweber, Ernst 113 Wötzel, Roland 53, 270 Z Zeigner, Erich 23, 54, 62, 64–65, 68, 72 Ziller, Gerhart 111–113 Zimmermann, Arnold 181 (Fn. 640) Zimmermann, Manfred 321 Zmyslony, Walter 212, 228–229, 235–236, 239–240, 243

b e i t r äg e z u r s ta d t g e s c h i c h t e u n d u r b a n i s i e ru ng s f o r s c h u ng

Herausgegeben von Christoph Bernhardt (geschäftsführend), Harald Bodenschatz, Christine Hannemann, Tilman Harlander, Martina Heßler, Wolfgang Kaschuba, Friedrich Lenger, Dieter Schott und Clemens Zimmermann.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 1612–5746

Adelheid von Saldern (Hg.) Inszenierte Einigkeit Herrschaftsrepräsentationen in DDR-Städten Unter Mitarbeit von Alice von Plato, Elfie Rembold, Lu Seegers 2003. 420 S. mit 14 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08301-0 Adelheid von Saldern (Hg.) Inszenierter Stolz Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935–1975) Unter Mitarbeit von Lu Seegers 2005. 498 S. mit 30 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08300-3 Frank Betker „Einsicht in die Notwendigkeit“ Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende (1945–1994) 2005. 412 S. mit 38 s/w-Fot., 10 Abb., 20 Graph. und Schem., geb. ISBN 978-3-515-08734-6 Clemens Zimmermann (Hg.) Zentralität und Raumgefüge der Großstädte im 20. Jahrhundert 2006. 174 S. mit 35 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08898-5 Christoph Bernhardt / Heinz Reif (Hg.) Sozialistische Städte zwischen Herrschaft und Selbstbehauptung Kommunalpolitik, Stadtplanung und Alltag in der DDR 2009. 324 S. mit 50 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08763-6 Thomas Biskup / Marc Schalenberg (Hg.) Selling Berlin Imagebildung und Stadtmarketing von der preußischen Residenz bis zur Bundeshauptstadt 2008. 376 S. mit 71 Abb. und 8 Farbtaf. mit 17 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08952-4 Thomas Höpel Von der Kunst- zur Kulturpolitik

Städtische Kulturpolitik in Deutschland und Frankreich 1918–1939 2007. 516 S. mit 47 Schaubild. und 11 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09106-0 8. Ueli Haefeli Verkehrspolitik und urbane Mobilität Deutsche und Schweizer Städte im Vergleich 1950–1990 2008. 380 S. mit 54 Abb. und 12 Farbktn., geb. ISBN 978-3-515-09133-6 9. Ralf Roth (Hg.) Städte im europäischen Raum Verkehr, Kommunikation und Urbanität im 19. und 20. Jahrhundert 2009. 274 S. mit 24 Abb. und 11 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09337-8 10. Petra Spona Städtische Ehrungen zwischen Repräsentation und Partizipation NS-Volksgemeinschaftspolitik in Hannover 2010. 349 S. mit 52 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09668-3 11. Astrid Mignon Kirchhof Das Dienstfräulein auf dem Bahnhof Frauen im öffentlichen Raum im Blick der Berliner Bahnhofsmission 1894–1939 2011. 274 S. mit 22 Abb. und 2 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09776-5 12. Sebastian Haumann „Schade, daß Beton nicht brennt …“ Planung, Partizipation und Protest in Philadelphia und Köln 1940–1990 2011. 335 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09889-2 13. Andrea Bergler Von Armenpflegern und Fürsorgeschwestern Kommunale Wohlfahrtspflege und Geschlechterpolitik in Berlin und Charlottenburg 1890 bis 1914 2011. 392 S. mit 23 Abb. und 10 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09935-6

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Wolfgang Hofmann Bürgerschaftliche Repräsentanz und kommunale Daseinsvorsorge Studien zur neueren Stadtgeschichte 2012. 434 S. mit 39 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10120-2 Georg Wagner-Kyora (Hg.) Wiederaufbau europäischer Städte / Rebuilding European Cities Rekonstruktionen, die Moderne und die lokale Identitätspolitik seit 1945 / Reconstructions, Modernity and the Local Politics of Identity Construction since 1945 2014. 485 S. mit 112 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10623-8

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Martina Heßler / Günter Riederer (Hg.) Autostädte im 20. Jahrhundert Wachstums- und Schrumpfungsprozesse in globaler Perspektive 2014. 227 S. mit 61 Abb. und 5 Tab., geb. ISBN 978-3-515-10692-4 Dirk Schubert Jane Jacobs und die Zukunft der Stadt Diskurse – Perspektiven – Paradigmenwechsel 2014. 355 S. mit 68 Fot. u. Abb. sowie 3 Pläne, geb. ISBN 978-3-515-10709-9

Stadtgeschichte

André Krischer (Hg.)

Stadtgeschichte

Frühe Neuzeit

André Krischer (Hg.)

Stadtgeschichte

André Krischer (Hg.)

entangled , die nicht nur Amerika, Asien und Afrika

basistexte Frühe Neuzeit – baND 4 Der herausgeber André Krischer, Studium von Geschichte, Philosophie und Anglistik. 2006 Promotion mit einer Arbeit über „Reichsstädte in der Fürstengesellschaft“, seit 2009 Juniorprofessor für Geschichte Großbritanniens, Habilitation 2015 mit einer Arbeit über englische Hochverratsprozesse. Forschungsschwerpunkte: Europäische Stadtgeschichte der Frühneuzeit, Britische Rechts- und Verfassungsgeschichte, Kriminalitätsgeschichte.

Stadtgeschichte ist ein zentraler Fokus der Frühneuzeitforschung. Ratsregiment, zünftische Wirtschaftsformen, Konflikte um bürgerliche Teilhabe am Politischen – all das verschaffte den Städten einen besonderen Status in einer Epoche, die durch eine Adels- und Fürstengesellschaft geprägt war. Was zeichnete Städte in dieser Zeit aus? Wie konnten sie sich als bürgerliche Welten in einer adligen Umwelt behaupten? Inwiefern haben sie sich aber auch angepasst und waren selbst ein Teil der vormodernen Ständegesellschaft? Solche Fragen standen bei den Historikern auf der Agenda, seitdem sich die Frühneuzeitforschung in den 1960er Jahren etabliert hat. Die Basistexte zur Stadtgeschichte bieten eine repräsentative Auswahl an Beiträgen, die dieses Forschungsfeld seitdem geprägt haben. Von der grundlegenden Frage nach Status und Besonderheit der frühneuzeitlichen Stadt reicht das Spektrum über Wirtschafts- und Selbstverwaltungspraktiken bis zu den neueren Forschungen über die Stadt als Raum von Kommunikation und Öffentlichkeit. Die ausführliche Einleitung bietet zugleich eine profunde Einführung in die frühneuzeitliche Stadtgeschichte.

2017 Ca. 220 Seiten mit 4 Abbildungen 978-3-515-10831-7 kart.

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Mangelverwaltung, Ohnmacht, Unwirtlichkeit – Begriffe wie diese prägen unser Bild von der Kommunalpolitik in der SED-Diktatur. Der traurige Anblick, den ostdeutsche Städte im Herbst 1989 boten, fügt sich gut in die Vorstellung vom totalitären SED-Staat ein, in dem eine kleine Machtelite 40 Jahre lang über den ostdeutschen Teilstaat herrschte. Demgegenüber blieben die vielen, an der Schnittstelle von Politik und Alltag agierenden Herrschaftsträger in den Städten bislang unbeachtet. Von ihnen wurde „Eigenverantwortung“ im Rahmen der staatlichen Vorgaben verlangt, die Spielräume und Grenzen ihres Handelns unterlagen jedoch weniger kla-

ren formalen Regelungen, sondern informellen Aushandlungsprozessen. Christian Rau untersucht am Beispiel Leipzigs diese Grenzdebatten, die sich seit Mitte der 1960er Jahre um den Begriff Kommunalpolitik rankten, sowie die Handlungsspielräume lokaler Verwaltungsfunktionäre in zwei der lokalpolitisch wichtigsten Politikfelder. Die Studie leistet damit einen Beitrag zum Verständnis der Herrschaftspraxis und Systemstabilität in der DDR, die sich aus lokaler Perspektive komplexer darstellt, als es mit dem Blick auf die SED-Führung erscheint.

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