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German Pages 436 Year 2017
Sandra Danielczyk Diseusen in der Weimarer Republik
texte zur populären musik 9 Herausgegeben von Winfried Pape und Mechthild von Schoenebeck
Sandra Danielczyk (Dr. phil.), geb. 1984, ist Studienrätin für die Fächer Musik und Deutsch. Die Georg-Christoph-Lichtenberg-Stipendiatin promovierte an der Universität Osnabrück in der historischen Musikwissenschaft.
Sandra Danielczyk Diseusen in der Weimarer Republik. Imagekonstruktionen im Kabarett am Beispiel von Margo Lion und Blandine Ebinger
Diese Arbeit wurde als Dissertation im Fachbereich 3 der Universität Osnabrück im Rahmen des niedersächsischen Promotionsprogramms »Erinnerung – Wahrnehmung – Bedeutung. Musikwissenschaft als Geisteswissenschaft« eingereicht. Gutachter: Prof. Dr. Dietrich Helms, Prof. Dr. Melanie Unseld
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Inhalt E INLEITUNG ǀ
9
Die Diseuse: Von der Suche nach einem Begriff und seiner Definition ǀ 15 Ziel der Imageanalyse und Forschungsstand ǀ 23
METHODISCHES V ORGEHEN: KULTURWISSENSCHAFTLICHE IMAGEANALYSE ǀ
33
Das Image: Ein variables Vorstellungsbild ǀ 34
Verkaufsargument durch Stabilität ǀ 35 Konstruktion und Funktion von Leitbildern ǀ 37 Ergebnis einer performativen Kulturpraxis: Mimetische Identifikation ǀ 42 Imageanalyse ǀ 46
Das Kollektivimage ǀ 48 Das Fremdimage ǀ 50 Das Eigenimage ǀ 52 Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona: Die fiktionale Kabarettsituation ǀ 54 Ein zirkulärer Prozess: Aufbau der Imageanalyse und Funktion der einzelnen Abschnitte ǀ 62
MARGO LIONS IMAGE DER GROTESKEN NEUEN FRAU : E IN DIACHRONER ÜBERBLICK ǀ 67 Der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau ǀ 76 Margo Lions Repertoire: Das Eigenimage der grotesken Neuen Frau ǀ 82 Bildliche Inszenierung: Die „Ullsteinbilder“ und Karikaturen ǀ 93
Das Kollektivimage der Diseuse: Yvette Guilbert – Marya Delvard – Margo Lion ǀ 101 Margo Lions Fremdimage: Eine Themen- und Werteanalyse von Rezensionen ǀ 110
Methodisches Vorgehen ǀ 111 Auswertung: Themen ǀ 119 Auswertung: Werte ǀ 122 Die parodistische Funktion der Musik: Bruch mit einer heteronormativen Weiblichkeit ǀ 130
MARGO LIONS IMAGE DER GROTESKEN NEUEN FRAU : S YNCHRONE EINBLICKE ǀ 143 Margo Lions Durchbruch auf der Kabarettbühne: Das Chanson „Die Linie der Mode“ – Zur Grundlegung ihres Images ǀ 144 Die (Kabarett-)Revue: Ihre Funktion für die Imagekonstruktion Margo Lions ǀ 158
Die Voraussetzung: Zur Popularität der Revue ǀ 160 Die imagekonstituierenden Eigenschaften: Zur Dramaturgie der Kabarettrevue ǀ 166 Beispielanalyse: Imagebildende Aspekte in der Kabarettrevue Es liegt in der Luft ǀ 174 Zusammenführende Chansonanalyse: „Die Braut“ ǀ 233
BLANDINE EBINGERS IMAGE EINES ARMEN MÄDCHENS: E IN VERGLEICH ǀ 261 Blandine Ebingers Repertoire der Lieder eines armen Mädchens ǀ 269 „Wenn ick mal tot bin“: Eine Beispielanalyse ǀ 279 Blandine Ebingers Auftritt in Es liegt in der Luft ǀ 283
S CHLUSS ǀ
289
P S. ZUR TRADIERUNG DER IMAGES ǀ
295
Danke! ǀ 305
ANHANG ǀ
307
Noten der analysierten Chansons ǀ 309 Abkürzungsverzeichnis für Zeitungen und Zeitschriften ǀ 315 Chronologisch sortierte Rezensionen der Themen- und Werteanalyse ǀ 317 Quellen- und Literaturverzeichnis ǀ 405 Abbildungsverzeichnis ǀ 431
Einleitung
Der Vers „Der Restbestand eines Weibes“ aus dem Erfolgschanson „Die Linie der Mode“ von 1923, getextet von Marcellus Schiffer, komponiert von Mischa Spoliansky und interpretiert durch Margo Lion, pointiert zwei Beobachtungen, die ausschlaggebend für das Entstehen des vorliegenden Buches waren: Erstens spitzt der Vers das kulturelle Handeln der Diseuse Margo Lion – und in gewisser Weise auch das der Diseuse Blandine Ebinger – im Kabarett der Weimarer Republik satirisch zu. Denn in und mit ihren Chansons parodierten und zerrissen sie Weiblichkeitstypen wie die Neue Frau, die Berliner Jöhre oder auch den Vamp, die Mignon, die Jungfrau und die Braut. Den Restbestand dieser Typen speisten sie in ihr individuelles Image ein, konstruierten sie in ihren Performances neu und nahmen durch ihren populären Status eine wichtige Position im Diskurs um jene Weiblichkeitstypen vor allem in Berlin ein, der wiederum ganz wesentlich für den Erfolg ihres Images sorgen konnte. Der Vers „Der Restbestand eines Weibes“ steht aber noch für eine zweite Beobachtung. Denn seine Interpretin, wie viele andere Diseusen, blieb neben den männlichen „Paten des literarisch-zeitkritischen Kabaretts“1 reich illustrierte Statistin – oder eben ein Restbestand. Dass dieser Restbestand jedoch durchaus wirkungsvoll und umso hartnäckiger ist, mag folgende Anekdote exemplarisch zeigen: In ihren Memoiren erinnert sich die Diseuse, Soubrette und Kabarettgründerin Trude Hesterberg 1971 daran, wie sie Margo Lion kennenlernte. Marcellus Schiffer, späterer Ehemann der Diseuse und Schauspielerin Lion und Texter der zahlreichen Kabarettrevuen, in denen sie mitgewirkt hat, war 1923 Haustexter von Hesterbergs Kabarett Die Wilde Bühne. Dorthin brachte er Lion zum Vorsingen, wie sich Hesterberg erinnert:
1
Klaus Budzinski: Die Muse mit der scharfen Zunge. Vom Cabaret zum Kabarett, München: Paul List Verlag 1961, S. 111.
10 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK „Inzwischen war der lange, schmale Schatten der Lion schon da und sah mich aus seiner Höhe herab an. ‚Haben Sie so etwas wie ein Kostüm?‘ fragte ich. ‚Ja, hier‘, sagte der Schatten einfach und zog eine Zigarettenschachtel unter den langen Armen hervor. ‚Was‘, sagte ich erschrocken, ‚das ist alles?‘ – ‚So ziemlich‘, meinte sie vergnügt. Kurze Zeit darauf stand sie auf dem Podium. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Eine schwarze Seidenstoffbahn war eng um den linealdünnen Körper gewickelt. Nur mit Nadeln befestigt, schleifte das Ende als Schleppe hinterher. Auf dem Kopf mit den glatt zurückgekämmten Haaren thronte eine kleine, schwarze Pillenschachtel als Hut, die übermäßig langen Arme endeten in zwei kurzen schwarzen Handschuhen. Im kalkweiß geschminkten Gesicht sah man nur die schwarzumrandeten Augen und darunter den breiten Schlitz der schwarz geschminkten Lippen. Ein wahrhaft grotesk-makabrer Anblick. Und dann legte sie los! Anders konnte man das nicht nennen! Die langen Arme links und rechts ausgestreckt stand sie da, ein schwarzes Kreuz auf der Leere des Hintergrundes, und plärrte mit frecher Gossenstimme ‚Das Lied von der Linie der Mode‘, das Marcellus dieser Siegellackstange auf den sogenannten Leib geschrieben hatte. […] Margo sprach ihre Chanson mit französischer Betonung […]. Alle Vokale wurden langgezogen, durch das schlangenhafte Rudern der Arme unterstrichen, und alles zusammen war mit einer Art von parfümiertem Sex geladen. Sie war der Ausdruck dieser ganzen morbiden, übersteigerten Zeit: ‚Dieses Ausrufungszeichen der Not‘, wie Marcellus es ausdrückte.“2
Was hier auf den ersten Blick als wortgewandte, persönliche Erinnerung von Hesterberg an Lion daher kommt, ist viel mehr als eine subjektive Wahrnehmung. Denn Lion gab nicht nur diesem Buch, sondern vielen Kabarettgeschichten ihr Gesicht – Kabarettgeschichten, die auf den Bühnen der Weimarer Republik inszeniert wurden ebenso wie jenen populärwissenschaftlichen Kabarettgeschichten, die aus der Retrospektive über die Unterhaltungskultur der Weimarer Republik erzählen. Diese, zum größten Teil in den 1960er bis 80er Jahren erschienen, zeichnen sich durch einen publizistischen, emotionalen Stil aus, der die Nähe der Autoren und Autorinnen zum Kabarett, nicht nur zeitlich, sondern auch durch ihr aktives Mitgestalten offenbart. So begegnet den Lesern und Leserinnen3 immerfort diese Anekdote, häufig gemeinsam mit jenem berühmten Foto (vgl. Abb. 15) von Lion im Kostüm der Chanson-Performance „Die Linie der Mode“.4 Nicht zu
2
Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollte…, Berlin: Henschelverlag 1971, S. 116.
3
Da, wo es der Kontext erlaubt und fordert, werden im vorliegenden Buch beide Geschlechtsformen verwendet. Aus Höflichkeit lasse ich dabei der männlichen Geschlechtsform den Vortritt.
4
Vgl. bspw. Helga Bemmann: Berliner Musenkinder-Memoiren. Eine heitere Chronik von 1900–1930, Berlin: VEB Lied der Zeit Musikverlag 1981, S. 105; Klaus Budzinski:
E INLEITUNG
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finden sind Analysen ihrer Chansons oder ihrer Performance, nur wenige Informationen über ihre Biografie oder ihre Karriere – zum Beispiel, dass sie nicht nur in der Wilden Bühne auftrat, sondern in vielen weiteren Kabaretts und in fast einem Dutzend Kabarettrevuen in Hauptrollen mitwirkte. Und auch in den neueren, wissenschaftlichen, aber raren Publikationen zum Kabarett der Weimarer Republik spielt das kulturelle Handeln dieser und anderer Diseusen bisher nur eine Nebenrolle. Ein Blick weiter zurück, nämlich in die Quellen rund um das Kabarett im Berlin der 1920er Jahre – in Programmankündigungen, Rezensionen oder Werbematerial – verrät dann jedoch schnell, dass Lions Image nicht nur eine historiographische Verengung ist, sondern bereits in der Weimarer Republik Wesensbestandteil ihres kulturellen Handelns war. Meine Verwunderung über die Omnipräsenz der Bilder auf der einen Seite und den Mangel wissenschaftlicher Untersuchungen zum Wirken der Diseusen auf der anderen Seite veranlasste mich näher hinzuschauen: Inwiefern spielt das Image
Die Muse mit der scharfen Zunge, S. 138 u. 142; Art. „Lion, Margo“, in: Ders. u. Reinhard Hippen: Metzler Kabarett Lexikon, in Verbindung mit dem Deutschen Kabarettarchiv, Stuttgart u. Weimar: Metzler 1996, S. 230f., hier S. 230; Die Umschlaggestaltung von Heinz Greuls Chansonzusammenstellung Chansons der Zwanziger Jahre (= Galerie Sanssouci), Zürich: Sanssouci Verlag 1962; Ders.: Bretter, die die Zeit bedeuten. Die Kulturgeschichte des Kabaretts, Bd. 1, durchges. u. erw. Aufl., München: dtv 1971, S. 210 und im Abb.-Teil, unpaginiert; gem. mit dem Liedtext von „Die Linie der Mode“, in: Reinhard Hippen: Das Kabarett-Chanson. Typen – Themen – Temperamente (= Kabarettgeschichte-n, Bd. 10), Zürich: pendo-Verlag 1986, S. 50f.; Rudolf Hösch: Kabarett von gestern. Nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Bd. 1: Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1969, S. 198f., siehe dort auch den Schutzumschlag und im Bildteil Abb. 230; Volker Kühn: Die zehnte Muse. 111 Jahre Kabarett, Köln: vgs 1993, S. 62; Maurus Pacher: Sehn Sie, das war Berlin. Weltstadt nach Noten, Frankfurt am Main u. Berlin: Ullstein 1987, S. 170 u. 172; Pem (Paul Erich Marcus): Heimweh nach dem Kurfürstendamm. Aus Berlins glanzvollsten Tagen und Nächten, Berlin: Lothar Blanvalet Verlag 1962, S. 175f. u. außerdem unpaginiert zwischen S. 176 u. 177; Rainer Otto u. Walter Rösler: Kabarettgeschichte. Abriß des deutschsprachigen Kabaretts (= Taschenbuch der Künste), 2. Aufl., Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1981, S. 90; Walter Rösler: (Das Chanson im deutschen Kabarett. 1901–1933, Berlin: Henschelverlag 1980, S. 367, Endnote 71) zitiert Felix Joachimsons Rezension zu Lions Auftritt (vgl. Rezension Nr. 18 im Anhang. [Alle Zitate aus Rezensionen, die im Anhang aufgeführt sind, werden im Fußnotenapparat mit der jeweiligen Nummer bezeichnet]).
12 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
der Diseusen eine Rolle für ihre Bedeutung in der Unterhaltungskultur der Weimarer Republik und die kulturelle Erinnerung an sie? Wie wurde und wird ein solches Image konstruiert? Nun mag die beschriebene Beobachtung des vielfach abgedruckten Bildes Lions in den Kabarettgeschichten gegenüber dem Mangel an tiefergehenden Darstellungen zu der Akteurin sofort den von Silvia Bovenschen eingeführten Begriff der „imaginierten Weiblichkeit“5 hervorrufen, der die Passivität der Frau als Objekt des männlichen Imaginierens beschreibt. Und auch das so häufig anzutreffende Verständnis der Diseusen als bloße Interpretinnen der von Männern geschriebenen Chansons evoziert einen medienpessimistischen Begriff des Images, das allein fremdbestimmt und manipulativ sei. Sich solchen Ansätzen anzuschließen und zu untersuchen, inwiefern die Images Ausdruck von männlichen Phantasien seien, die von Frauen lediglich reproduktiv übernommen würden, bedeutete jedoch, das kulturelle Handeln von Frauen auf und an der Kabarettbühne zu ignorieren und sie anstelle dessen als bloß passives, fiktionalisiertes Objekt, höchstens noch als Muse zu verstehen. Anstelle dessen plädiere ich dafür, das Image ebenso wie die Rolle der Diseuse in der Chanson-‚Komposition‘ als einen dynamischen und konstruktiven Akt zu verstehen. Das Image der Diseusen entsteht nicht allein durch Fremdzuschreibungen, sondern in einem Prozess, in dem ihre Chanson-Performances in einer wechselseitigen Beziehung zu diskursiv erzeugten Vorstellungen von Weiblichkeit stehen.6 Um das kulturelle Handeln der Diseusen zu beschreiben, möchte ich den Blick auf dieses dynamisch organisierte System lenken, das durch eine wechselseitige Beziehung der Produzenten- und der Rezipientenseite bestimmt ist und in dem mediale und diskursive Prozesse als Vermittlungsinstanz zwischen diesen Polen, aber auch selbst als konstruktives Moment fungieren. Indem ich ein solches Konzept der Imagekonstruktion meinen Forschungen zu Grunde lege, bette ich die ästhetische Praxis der Chanson-Interpretation in einen Diskurs von zeitgeschichtlichen Zuschreibungen ein, die wiederum auch durch
5
Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen (= Edition Suhrkamp 2431), Sonderausg. zum 40jährigen Bestehen der Edition Suhrkamp 2003, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003 (erstmals 1979 erschienen).
6
Vgl. unterstützend dazu auch Alan Lareau: „‚Ich wär so gern ein Sex-Appeal‘: Images of Femininity on the Weimar Cabaret Stage“, in: Peter Schulman u. Frederick A. Lubich (Hrsg.): The marketing of eros. Performance, sexuality, consumer culture, Essen: Die Blaue Eule 2003, S. 78–96, hier S. 79 u. 92.
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das kulturelle Handeln der Diseusen beeinflusst wurden und werden. Der fiktionale Rahmen des Chansontextes sowie die performativ-musikalische Umsetzung durch die Diseuse auf der Kabarettbühne werden damit in Bezug zu virulenten Themen der 1920er Jahre wie der Urbanität, der Modernität und den damit zusammenhängenden Geschlechterzuschreibungen gesetzt. Das Image wird in diesem Kontext als Bedeutungsträger ernst genommen. Es wird nicht dekonstruiert, um eine ‚reale Person‘ dahinter zu entdecken, oder gar als verfremdendes manipulatives Mittel aus medienpessimistischer Sicht gedeutet. Das Image selbst wird als Ausdruck wahrnehmbarer Wirklichkeit verstanden und gibt damit Auskunft über Einstellungen und Erwartungen von Akteuren und Akteurinnen in bestimmten kulturellen und medialen Umfeldern. Das Image ist „inhaltlich mehr als nur das Bild von einem Gegenstand, hinter dem dann der Gegenstand selber stünde. Es ist der Gegenstand selbst, […] die erlebte Welt, die eigentliche – psychologische – Wirklichkeit für den Menschen“7. Diseusen haben als Akteurinnen in einer Populärkultur bereits in der Weimarer Republik die Funktionen eines Images zur Selbstvermarktung genutzt, welches ihnen über ihre Zeit hinaus einen Platz in der kulturellen Erinnerung verschaffte. Denn das, was wir heute in den Kabarettgeschichten oder in Anekdoten wie der von Trude Hesterberg über beispielsweise Margo Lion lesen, sind keine individuellen, persönlichen Erinnerungen mehr, die Teil eines sozialen Gedächtnisses sind. Sie mögen es zum Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung in den 1960er bis 1980er Jahren noch gewesen sein, insofern als dass sich Zeitzeugen mittels ihrer verschriftlichten Erinnerungen kommunikativ eine gemeinsam erlebte Vergangenheit vergegenwärtigten. Die zentrale Rolle des Images ist in solchen Erinnerungen, wie anhand von Trude Hesterbergs Anekdote gezeigt wurde, nicht zu unterschätzen. Eine noch erheblichere Rolle spielt das Image, sobald Erinnerungen generationsübergreifend abstrahiert, vermittelt und tradiert werden. Aleida Assmann beschreibt den 1925 von Maurice Halbwachs eingeführten Begriff des kollektiven Gedächtnisses als „überzeitliche Wirkmacht von Bildern und Symbolen“8. Solche kollektiven Wahrnehmungen werden in ihrer Relevanz für die Geschichtsschrei-
7
Jürgen Müller: „Image“, in: Dieter Pflaum u. Wolfgang Pieper (Hrsg.): Lexikon der Public Relations, 2. überarb. u. erw.Aufl., Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie 1993, S. 251–254, hier S. 251.
8
Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik (= Schriftenreihe / Bundeszentrale für politische Bildung 633), Lizenzausg., Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2007, S. 31.
14 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
bung mit dem Begriff des kollektiven Gedächtnis seit spätestens den 1990er Jahren ernst genommen, ohne ihnen mit negativer Konnotation ‚Fiktionalität‘ vorzuwerfen oder sie auf Begriffe wie ‚Mythen‘ und ‚Ideologien‘ zu reduzieren: „Es ist die Einsicht in die Unvermeidlichkeit von Bildern, die auch die Notwendigkeit von politischen Symbolen mit einschließt. An die Stelle einer kritischen Rationalität, die Bilder vorwiegend als Mittel der Manipulation einstuft, ist die Überzeugung einer irreduziblen Angewiesenheit des Menschen auf Bilder und kollektive Symbole getreten.“9
Die aufgeschriebenen Erinnerungen der Generation, die die Kabarettkultur direkt miterlebt hat, sind nach ungefähr dreißig bis fünfzig Jahren Teil eines ‚Speichergedächtnisses‘ geworden, in dem auch das Image der Diseusen aufbewahrt wird. Nicht nur in solchen Memoiren, auch in anderen Archiven, wie denen der Akademie der Künste10 oder der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv11, sind es weniger persönliche Dokumente der Diseusen, die dort zu finden sind (wie zum Beispiel Geburtsurkunden, Tagebücher oder Briefe) als vielmehr solche Materialien, die zur Imagekonstruktion beitrugen und beitragen: Chansontexte und -noten, Rezensionen zu ihren Auftritten, Pressefotos und Karikaturen, Werbematerial für Schallplatten, aber auch spätere Interviews, Zeitschriftenartikel, Nachrufe und Würdigungen zu ihrem Tod. Es ist darüber hinaus das Image der Diseusen, dem wir in Filmen wie der Der blaue Engel bereits 1930 begegnen, das mit Neuaufführung ihrer Chansons etwa in einer Revue wie It’s oh so quiet. Exilkomponisten in Hollywood, einer studentischen Produktion der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 2007 auf die Bühne gebracht wird, das in Bildbänden12 in Erscheinung tritt, deren Repertoire auf CD-Samplern zu den ‚goldenen Zwanzigern‘ oder gleichnamigen Mottopartys erscheint, von gegenwärtigen Sängern, Sängerinnern und Diseusen wie Tim Fischer, Evelyn Förster, Georgette Dee, Sandra Kreisler, Ute Lemper oder Nina Proll neu interpretiert wird. Dabei wird auf die im Speichergedächtnis gelagerten Dokumente zurückgegriffen, sie werden revitalisiert, in neue Kontexte gebracht, erhalten erneut Bedeutung und sind in diesem Sinne aktiver Bestandteil des ‚Funktionsgedächtnisses‘.
9
Ebd., S. 30.
10 Im Folgenden abgekürzt mit AdK. 11 Im Folgenden abgekürzt mit StKA. 12 Vgl. bspw. Lori Münz (Hrsg.): Cabaret Berlin. Revue, Kabarett and Film Music between the Wars, Hamburg: Edel Classics 2005.
E INLEITUNG
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Anhand der Diseuse Lion lässt sich die Imagekonstruktion und deren Wirkung prototypisch zeigen. Denn die Art, wie eine Diseuse in ein solch strukturiertes ‚kulturelles Gedächtnis‘13 eingegangen ist, zeigt, dass dafür ihre höchst individualisierte Imagekonstruktion verantwortlich war. Die eingangs zitierte, immer weitergereichte und wiederholte Anekdote zu Lions Auftritt mit „Die Linie der Mode“ in der Wilden Bühne ist Ausdruck eines solchen stabilen und wirkungsvollen Images, welches in dieser Arbeit von verschiedenen Seiten beleuchtet werden soll. Um den Trugschluss zu entgehen, dass nur Lion als Extremfall eine solche Imagekonstruktion für ihren Erfolg genutzt hat, ist eine Gegenlektüre am Beispiel von Blandine Ebinger durchzuführen. Die mindestens ebenso erfolgreiche, in der Nachkriegszeit sogar noch populärere Diseuse hat ein ebenso starkes Image ausgebildet wie Lion. Spannend ist jedoch die Erkenntnis, dass sich dieses inhaltlich stark von dem Lions unterscheidet und dennoch entscheidend für ihre lebenslange Karriere war. Die exemplarische Zusammenschau dieser beiden Imagekonstruktionen kann zeigen, dass sowohl die Geschichte jeder einzelnen Diseuse wie auch die Geschichte der kollektiven Bezeichnung ‚Diseuse‘ die eines Images ist.
D IE D ISEUSE : V ON DER S UCHE UND SEINER D EFINITION
NACH EINEM
B EGRIFF
„Die zehnte Muse ist jene Dame aus dem Gefolge Apolls, der das Patronat über das Kabarett anvertraut wurde. Sie trägt nicht den langen Peplos ihrer ernsteren Schwestern. Wenn schon Thalia sich einen fußfreien Rock erlaubt und bei Terpsichore ein nur halblanges, möglicherweise sogar durchscheinendes Gewand einigermaßen entschuldbar erscheint, weil dieses ihr die zum Tanzen nötige Bewegungsfreiheit beläßt, so muß man sich die zehnte Muse mit einem kniefreien Röckchen vorstellen, geschminkt, mit viel Rouge auf den Lippen, gezupften Augenbrauen, hübsch, sehr hübsch, jedenfalls von äußerst gewinnender Keckheit, um nicht zu sagen Keßheit, ein Luderchen, die den ernstesten Leuten die Köpfe verdreht und der vieles verziehen wird, weil sie bei aller Verwegenheit so viel Scharm hat. Sie weiß genau, daß ihr Bereich ganz undeutlich gegen den ihrer Kolleginnen abgegrenzt ist, aber es fällt ihr nicht schwer, diesem Mangel durch kräftige und eigenmächtige Anleihen aus den benachbarten Gebieten abzuhelfen. Thalia hat sich schon um manchen Lustspielstoff betrogen gesehen, Erato, die Muse der erotischen Poesie, wurde um die nettesten Gags geprellt,
13 Zu den hier verwendeten Begriffen der kulturellen Gedächtnisforschung vgl. vor allem Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit, hier v.a. S. 21–61. Vgl. außerdem Jan Assmann u. Tonio Hölscher (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988.
16 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK und wie oft war Klio, die die Geschichtsschreiber beschützt, anstatt ihre Fälschungen zu verhindern, geradezu gekränkt, wenn sie sehen mußte, in wie ganz unziemlicher Weise das Kabarett ihrem Bemühen, die Zeitläufe zu deuten, Konkurrenz machte! Am schlimmsten aber ergeht es jenen beiden Geschwistern des Parnaß, die für die Abteilung Musik bestellt wurden. Sie haben nicht zu lachen. Ihre Künste sind gerade gut genug, nur Handlangerdienste zu leisten, ob dies nun nach den Regeln der Kunst geschieht oder nicht. Macht Euterpe oder Polyhymnia ihrer jüngsten Schwester darob einen Vorwurf, was denken Sie, was dieses lose Mädchen ihnen antwortet? ‚Aber geh zu, das kommt doch nicht so darauf an!‘ So trällert sie drollig und läßt sie stehen. Frech, nicht?“14
Die Charakterisierung des Kabaretts von Edmund Nick – selbst Kabarettist und Kabarettleiter, Komponist und Musikkritiker – lässt keine Zweifel offen: Dieses Genre ist weiblich, intelligent und erotisch. Es ist zeitaktuell und modisch, greift zugleich zurück in die Geschichte und konstruiert sie neu. Die zehnte Muse hat sich Aussehen und Attitüde von der Neuen Frau geborgt. Kniefreier Rock, Kessheit, erotisch und sachlich, frech. Nicks Beschreibung des Kabaretts steht nicht nur in einer Reihe mit denen der griechischen Göttinnen, sondern auch mit Metaphern von der großen Hure Babylon, den zahlreichen Femmes fatales und Vamps, die als Musen immer wieder in der Literatur- und Kunstgeschichte auftauchen. Bei dieser geballten Ladung Weiblichkeit, die das Kabarett ganz offensichtlich auszeichnet, liegt es nahe, dass die ganz und gar realen und zahlreichen weiblichen Akteurinnen auf der Kabarettbühne Nick zu seinen Fabulierungen inspiriert haben. Denn neben Komponisten und Textern gaben vor allem die singenden Schauspielerinnen dem Kabarett sein wahrnehmbares Gesicht. Natürlich trugen auch Männer Chansons auf dem so genannten Überbrettl vor – solche, die eigene Texte interpretierten, wie Frank Wedekind, Hugo Ball und auch Bertolt Brecht, und andere, wie Wilhelm Bendow, Curt Bois, Kurt Gerron oder Paul Graetz. Prominenter vertreten waren jedoch die Frauen. Sie waren der originelle Mittelpunkt der großen und kleinen, politischen und literarischen Kabaretts, der Bierkabaretts zum bloßen Amüsement und der so erfolgreichen Kabarettrevuen in der Weimarer Republik. Sie waren es vornehmlich, die die primäre Gattung des Kabaretts zwischen Autor und Autorin, Komponist und Komponistin und dem Publikum vermittelten: das Chanson. Ihre zentrale Rolle in diesem Gefüge macht der Begriff des Kreierens deutlich. Dieser Ausdruck erscheint heute zwar sperrig und altmodisch, ist jedoch in der Kabarettliteratur der etablierte Begriff, um die Chansoninterpretation durch Diseusen zu beschreiben:
14 Edmund Nick: „Musik im Kabarett“, in: Musica. Zweimonatsschrift für alle Gebiete des Musiklebens 1, Nr. 2 (März – April 1947), S. 110f., hier S. 110.
E INLEITUNG
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„Kreieren ist als Fremdwort in seiner Kürze beim Chanson unersetzbar. Es bedeutet: Text und Musik durch den Vortrag erstmalig in einer bestimmten, gültigen Schallform zu vereinen. Meistens steckt aber in dem Wort noch etwas von der Bedeutung ‚Entdecken‘, d. h. einen Text für das Publikum als Chanson zu entdecken [Hervorheb. orig.].“15
Diesen bedeutsamen Akteurinnen des Kabaretts wurden seit ihrem ersten Auftreten in Frankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert bis heute eine Vielzahl an Begriffen gewidmet. So wurden Blandine Ebinger, Käte Erlholz, Annemarie Hase, Trude Hesterberg, Hilde Hildebrand, Kate Kühl, Margo Lion, Rosa Valetti, Claire Waldoff und viele weitere als Diseusen, Chansonetten, Chansonnièren oder Chanteusen bezeichnet. Sabine Renken wählt beispielsweise den Begriff der Chanteuse, um sich in ihrem Sammelband16 von 1997 nicht nur singenden Akteurinnen, sondern auch Tänzerinnen wie Valeska Gert oder Josephine Baker zu widmen. Im Metzler Kabarett Lexikon sucht man nach einem Eintrag ‚Chanteuse‘ hingegen vergebens. Dafür heißt es im Eintrag „Chansonnier, Chansonniere“, welche die im Deutschen üblichen Bezeichnungen für Vortragende von Chansons seien, dass die eigentlich korrekte Bezeichnung ‚Chanteur‘ beziehungsweise ‚Chanteuse‘ sei.17 Die Bezeichnung ‚Chansonniere‘ hingegen habe die alte Bezeichnung Diseuse verdrängt. Im eigenen Eintrag zu letzterer heißt es: „Veraltete Bezeichnung für eine Vortragskünstlerin im Kabarett (männliche Form: Diseur), heute allgemein durch ‚Chansonniere‘ ersetzt. Falsch ist deren Bezeichnung als ‚Chansonette‘, weil dies im Französischen ein ‚kleines Lied‘ (und nicht die Vortragende) bezeichnet.“18
Allein diese beiden kurzen Lexikonartikel zeugen von der Begriffsverwirrung aus französischen und deutschen Bezeichnungen. Die in der Musikwissenschaft einschlägigen Lexika MGG und New Grove ermöglichen ebenfalls keine Klärung, offenbaren stattdessen ein Desiderat – es gibt weder Einträge zur Diseuse noch
15 Wolfgang Victor Ruttkowski: Das literarische Chanson in Deutschland (= Sammlung dalp 99), Bern u. München: A. Francke Verlag 1966, S. 169, Anm. 3. 16 Sabine Renken: Chanteusen. Stimmen der Großstadt, Mannheim: Bollmann 1997. 17 Art. „Chansonnier, Chansonniere“, in: Klaus Budzinski u. Reinhard Hippen (Hrsg.): Metzler Kabarett Lexikon, S. 61. 18 Art. „Diseuse“, in: Klaus Budzinski u. Reinhard Hippen: Metzler Kabarett Lexikon, S. 73.
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zur Chanteuse, Chansonnière oder Chansonette. Und auch im Handbuch der populären Musik findet sich unter dem Eintrag „Chansonnier/Chansonnette“ lediglich die Definition „Bezeichnung für die Chanson-Interpreten/Interpretinnen“19 beziehungsweise im Eintrag „Diseuse“ lediglich deren Begrenzung auf die weibliche Form („Bezeichnung für weibliche Chansoninterpreten“20). Die dezidiert auf das Kabarett ausgerichtete Literatur scheint zunächst auch kaum behilflich zu sein. Allein in Klaus Budzinskis erster Kabarettgeschichte Die Muse mit der scharfen Zunge von 1961 kreuzen sich die Begriffe Chansonniere und Diseuse für ein und dieselbe Künstlerin wild durcheinander. So wird Kate Kühl mal als ernsthafte, politische „Chansonnier-Natur“ (gemeinsam mit Rosa Valetti und Ernst Busch) den blutvollen und auf freche, vordergründige Chansons spezialisierten Diseusen (Käte Erlholz, Gussy Holl, Trude Hesterberg, Claire Waldoff) gegenübergestellt, auf der nächsten Seite jedoch selbst als Diseuse mit „handfeste[r] Erotik“ bezeichnet.21 Auf einer solchen Skala von Frivolität bis Seriosität ordnen auch Rainer Otto und Walter Rösler die Begriffe der Diseuse und der Chanteuse ein, jedoch gänzlich konträr zu Budzinski. Die „berühmte Diseuse des Fin de siècle“22 und Vorbild vieler Nachfolgerinnen Yvette Guilbert „wollte anders sein als die Chanteusen, die sie in den Cafés-Concerts antraf, sie schminkte sich anders […], vollführte nicht die neckischen Bewegungen ihrer Kolleginnen, sondern ließ, nahezu unbeweglich, Gesicht und Hände sprechen, und sie hatte ein anspruchsvolles Repertoire. Ihre suggestive Gestaltungskraft, ihre Fähigkeit, mit einer einzigen Geste einen Typus entstehen zu lassen, sind von den Zeitgenossen oft gerühmt worden.“23
Hier beschreibt der Begriff der Diseuse offensichtlich einen Performance-Stil, der für Anspruch steht und sich von den bloß unterhaltenden und trivialen Performances der Chanteusen abgrenzt. Wiederum anders gelagert, nämlich auf emotional-erotischer Ebene, bringt Rudolf Hösch den Begriff Chansonette ins Spiel: „Für Herz und Gemüt waren die Diseusen und Soubretten, für Frivolität die Chansonetten, und aus Paris kam
19 Art. „Chansonnier/Chansonnette“, in: Peter Wicke, Wieland Ziegenrücker u. Kai-Erik Ziegenrücker: Handbuch der populären Musik. Geschichte – Stile – Praxis – Industrie, erw. Neuaufl., Mainz: Schott 2007, S. 138. 20 Art. „Diseuse“, in: Peter Wicke, Wieland u. Kai-Erik Ziegenrücker: Handbuch der populären Musik, S. 196. 21 Klaus Budzinski: Die Muse mit der scharfen Zunge, S. 128–130. 22 Rainer Otto u. Walter Rösler: Kabarettgeschichte, S. 19. 23 Ebd., S. 20.
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Yvette Guilbert mit einer Gage von neuntausend Mark im Monat“24. Neben der exponierten Stellung, die Hösch Guilbert durch ihren populären Status – gemessen an ihrer Gage – einräumt, ist seine Verwendung des Begriffs ‚Chansonette‘ interessant. Während es heute Konsens erscheint, dass dieser Begriff als Bezeichnung für die vortragende Kabarettistin falsch sei (da er übersetzt für ‚kleines Lied‘ stehe), scheint Hösch mit seiner Begriffsbestimmung nicht allzuweit vom zeitgenössischen Diskurs der Weimarer Republik entfernt zu sein. Die Zeitschrift Das Magazin erläutert die Bezeichnung ‚Diseuse‘ zunächst etymologisch (dire = sprechen) und grenzt sie von den frivolen Chansonetten ab: „Vor den ‚D i s e u s e n ‘ – die im Gegensatz zur Sängerin ihre Lieder halb gesprochen vortrugen – gab es nur ‚C h a n s o n e t t e n ‘ (nach dem Konversationslexikon französ. sprich: schangssonétt), Sängerinnen, die kleine Lieder meist komischen oder frivolen Inhaltes vortrugen. Die Schrittmacherin dieser neuen in der Bohêmepoesie wurzelnden Gattung war Y v e t t e G u i l b e r t , die in den neunziger Jahren mit ihren brennend roten Haaren und den unvermeidlichen schwarzen, langen Handschuhen eine der populärsten Pariser Persönlichkeiten war. Heute ist die Guilbert, die immer noch Gastspielreisen unternimmt, eine weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannte Erscheinung. Einige ‚D i s e u s e n ‘ , die nach ihr kamen und sich auf den Brettern des Kabaretts einen Namen machten, bringen wir hier mit ihren Lieblingschansons [Hervorheb. orig].“25
Die auf ein männliches Publikum zielende, mit erotischen Inhalten gespickte Zeitschrift von 1931 führt auf den Folgeseiten Yvette Guilbert, Marya Delvard, Claire Waldoff, Juliska Nemeth, Maria Ney, die Mistinguette, Ilse Bois, Trude Hesterberg, Margo Lion und Voni Miriame als Diseusen auf. Als Diseuse, die ihre Lieder halb gesprochen vorträgt, versteht sich auch die erste, hier bereits so oft genannte, Diseuse Yvette Guilbert: „Ich bin in erster Linie Schauspielerin und nicht Sängerin im landläufigen Sinn des Wortes, und der Musiker, der Komponist, ist für mich im Vergleich zum Dichter von zweitrangiger Bedeutung, weshalb man mich auch ‚Diseuse‘ nennt [Hervorheb. orig.].“26
24 Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 39. 25 „Diseusen“, in: Das Magazin 7, Nr. 81 (Mai 1931), S. 55882–5888, hier S. 5882. 26 Yvette Guilbert: Die Kunst, ein Chanson zu singen (L’Art de chanter une chanson), hrsg. von Walter Rösler, übers. von Thomas Dobberkau, Berlin: Henschelverlag 1981, S. 56. Die Originalausgabe erschien 1928 in Paris.
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Auch die aktuellste Definition der Diseuse zieht eben jenen Stil für ihre nähere Bestimmung heran. Carolin Stahrenberg fasst in ihrem Artikel „Diseuse“ für das Lexikon Musik und Gender so unterschiedliche Frauen aus dem Kabarett wie Marya Delvard, Rosa Valetti, Emmy Ball-Hennings, Gussy Holl, Trude Hesterberg, Blandine Ebinger, Kate Kühl, Margo Lion, Marlene Dietrich, Gisela May, Helene Vita und Georgette Dee mit dem Begriff „Diseuse“ zusammen.27 Kriterien für diese Auswahl sind offensichtlich der gemeinsame Ursprung aus der französischen Tradition und der von dem Vorbild Guilbert geprägte und fortgeführte gemeinsame Stil sowie – ein bis dahin zu wenig beachtetes Kriterium – der gemeinsame Handlungsort: „Die Diseuse (von frz. dire: sagen, männliche Bezeichnung: Diseur) ist eine Vortragskünstlerin, die besonders im Kabarett, aber auch im CaféConcert, Varieté oder in der Music Hall auftrat und Chansons interpretierte, die normalerweise nicht von ihr selbst verfasst wurden.“28 Stahrenberg beruft sich zudem auf eben jene Definition der Diseuse, wie sie durch Guilbert geprägt wurde. Guilbert macht in ihrer Anleitung zur Kunst, ein Chanson zu singen an mehreren Stellen deutlich, dass es der Diseuse um die Interpretation eines Textes gehe, darum, „Worte zum Glühen zu bringen, sie auszulöschen, in Licht und Schatten zu tauchen, sie ihrem Sinn entsprechend zu verstärken oder zu entblößen. Kurzum, es gehört all das dazu, was einen Text mit Leben erfüllt oder ersterben läßt, ihn mit Kraft, Farbe, Stil, Anmut oder Derbheit zum Leben bringt. Und hierzu brauchen wir eine besondere Diktion: Aktiver Einsatz des Verbs, bewußte Gliederung des Textes, malerisch-plastische Gestaltung des Wortes, Hervorhebung des prägnanten Gefüges und Freilegung des innewohnenden Sinns. Die Schauspielkunst im Dienste einer Sängerin ohne Stimme, die es jedoch vermag, ein Orchester oder das begleitende Klavier an ihrer Statt ‚singen‘ zu lassen – das ist meine Kunst [Hervorheb. orig.]!“29
Der spezifische Wechsel zwischen Sprechstimme und Gesangsstimme, der im Dienst der Textinterpretation stehe, zeichne die Diseuse aus: „Ist es nun Ihr Wunsch, eine Chansoninterpretin zu werden und in dieser Eigenschaft große Karriere zu machen, müssen Sie sich zuallererst einem längeren Stimmtraining unterziehen,
27 Vgl. Carolin Stahrenberg: „Diseuse“, in: Annette Kreutziger-Herr u. Melanie Unseld (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Kassel: Bärenreiter und Metzler 2010, S. 381f., hier S. 382. 28 Ebd., S. 381. 29 Yvette Guilbert: Die Kunst, ein Chanson zu singen, S. 41.
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einem für diese Laufbahn besonderen Training. In Ihrem Fall geht es nicht darum, nur Sopranistin, Altistin, Tenor, Baß und Bariton zu sein – nichts von alledem. Und doch ist das alles notwendig, denn es gilt, Sopranist, Altist, Tenor, Baß und Bariton in einem zu sein. Das ist eine unerläßliche Grundbedingung. Eine Sängerin, die, wie man sagt, ein ‚einziges Register‘ beherrscht, und zwar in einer normalen Lage, was für die meisten Sängerinnen zutrifft, wird wohl niemals die Kunst einer guten Chansondarbietung beherrschen und sei es, sie besäße die schönste Stimme der Welt. […] Wir sind in der Tat Maler, Bildner, und unser Organ ist gleichsam unsere Palette. Durch den gemischten Einsatz der Sprech- und der Gesangsstimme und durch die Vielfalt der ‚Nuancen‘ bringen wir Farbe in das Chanson, beleuchten wir unsere Gestalten, die Sujets, ihre Atmosphäre und die Epoche.“30
Dass eine solche Bestimmung der Diseuse nicht nur den Stil von Guilberts Nachfolgerinnen in den 1920er und 30er Jahren geprägt hat, sondern bis heute Bestand hat, zeigt das Lehrbuch der heute, neben Georgette Dee, wohl bekanntesten Diseuse Sandra Kreisler. Auch sie schreibt, dass das Singen „nur ein Teil der Berufsanforderung, und nicht unbedingt der Hauptteil sei“ und dass deshalb viele Chansoninterpreten und -interpretinnen die Ausdrücke Diseur oder Diseuse nutzen, da sie das ‚Sagen‘ im Namen tragen.31 Es zeigt sich also, dass der Begriff „Diseuse“ keinesfalls veraltet ist, wie Budzinski und Hippen in ihrem Kabarett Lexikon behaupten. Im Gegenteil, er war seit Yvette Guilbert, in den 1920er Jahren und bis heute, wie die Beispiele von Stahrenberg und Kreisler zeigen, aktuell, geläufig und jeder verstand, dass darunter die unterschiedlichen Akteurinnen im Kabarett gefasst wurden. Aus diesen Gründen und in dem dargelegten Sinn beschreibe ich in dieser Arbeit Margo Lion und Blandine Ebinger als Diseusen, ohne dass damit eine ästhetische Einschränkung oder Kategorisierung einhergeht. Die Suche nach einem Begriff und die darin entdeckte Vielfalt, wie die Diseusen im Laufe der Zeit beschrieben wurden, zeigt zwei Dinge: Zum einen ist es schlichtweg nicht möglich, die vielen weiblichen Akteurinnen im Kabarett anhand einzelner Begriffe zu kategorisieren und ihnen ein auf alle passendes Label zu geben. Ein solches kann höchstens Orientierung schaffen, um dann stets aufs Neue gedeutet und konstruiert zu werden. Zum anderen sind es ganz offensichtlich nicht
30 Ebd., S. 43f. 31 Sandra Kreisler: Das Chansonbuch. Interpretation und Bühnenpräsentation, Leipzig: Henschel 2012, S. 88.
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allein die Stimme, der Stil und der Handlungsort, die zur Begriffsbestimmung herangezogen werden müssen und eine Diseuse auszeichnen, sondern die individuelle Ausstrahlung und die Werte, für die jede Einzelne steht – also ihr Image. Dies zeigt eindrücklich Walter Röslers Einschätzung zu den unterschiedlichen Vortragsstilen innerhalb des Kabaretts der Weimarer Republik: „Welch gegensätzliche Vortragsstile innerhalb des Kabaretts der Weimarer Republik zu verzeichnen sind, wird offenbar, wenn wir zum Beispiel Interpretationen Margo Lions, Kate Kühls und Hilde Hildebrands miteinander vergleichen. Der persiflierende, freche, neusachlich-unterkühlte Vortrag der Lion besaß ganz den Zuschnitt, der den mondänen SchifferRevuen entsprach, Käte [sic!] Kühl wirkt dagegen blutvoll, vital und direkt, sowohl in der deftigen Erotik als auch in der zeitkritischen Aggressivität. Hilde Hildebrand schließlich, der Star der Nelson-Revuen Anfang der dreißiger Jahre, brachte einen Vamp-Typ mit romantischem Fluidum auf die Kabarettbühne, ersetzte Frechheit und Aggressivität durch vordergründige Sinnlichkeit und Sentimentalität und tendierte damit zu einer Art des Chansonvortrags, wie wir ihn wenig später bei dem UFA-Star Zarah Leander ausgeprägt finden.“32
Die wie auch immer gewählten Oberbegriffe für die Chanson-Interpretinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen und Künstlerinnen evozieren bis heute ein von Emotionalität und Werten gesättigtes Image, das deren Individualität betont und das an die einleitenden Ausführungen von Edmund Nick erinnert, wie auch folgende Beschreibung abschließend zeugt: „Chanteusen sind Frauen ihrer Zeit, und auf ihre Weise ist jede von ihnen kompromißlos. Lustvoll inszenieren sie ihre Individualität und verbinden dabei Sinnlichkeit mit Witz und Scharfsinn. Ohne erhobenen moralischen Zeigefinger und ohne in Sentimentalitäten zu versinken setzt die Chanteuse ein Stück ihrer Lebenswelt in Szene und behauptet sich darin als Frau in dem reichen Spektrum zwischen Kämpferin und Vamp. Mit ihrem eigenwilligen Gesang, ihrer Erotik und den eingängigen Melodien ist die Chanteuse Verführerin, die mit der Paradiesschlange im Bund ist, der ‚Raupe der Göttin Vernunft‘, wie sie von Ernst Bloch im Zusammenhang mit der Seeräuberjenny bezeichnet wurde.“33
32 Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett, S. 267. 33 Sabine Renken: „Nachwort“, in: Dies. (Hrsg.): Chanteusen, S. 203–212, hier S. 203. Renken bezieht sich auf Ernst Blochs äußerst lesenswerten Essay „Lied der Seeräuberjenny in der ‚Dreigroschenoper’“, in: Ders.: Literarische Aufsätze (= Gesamtausgabe 9), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 392–396.
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Und so lässt sich die Begriffsvielfalt in der Kabarettliteratur auch ganz anders, nicht unbedingt nur kritisch, lesen. Auch wenn keine einheitliche Terminologie existiert, so wird doch deutlich, was die hier benannten Diseusen sind, zumindest in der Erinnerung, Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung: Vortragskünstlerinnen des Kabaretts, die sich mit vielen anderen Vortragskünstlerinnen ein dynamisches, auch diffuses und doch stets wieder erkennbares Image teilen – das der selbstbewussten und selbstbetonten Künstlerin mit Ausstrahlung – und gleichzeitig mit einer eigenen, höchst individualisierten Imagekonstruktion das Publikum zu überzeugen wussten.
Z IEL DER I MAGEANALYSE
UND
F ORSCHUNGSSTAND
Ziel dieser Arbeit ist es, die Bedeutung der Imagekonstruktion für die Wahrnehmung der Diseusen anhand eines konkreten Beispiels herauszustellen. Um ein Image von Diseusen hinsichtlich seiner Funktion in Wahrnehmungsprozessen und Bedeutungszuschreibungen zu untersuchen, müssen die Chansonperformances der Diseusen in einen Zusammenhang mit ihrer Rezeption und Distribution gestellt werden. Darüber hinaus ist ihre Abhängigkeit von und ihr konstruktiver Anteil in Diskursen zu analysieren. Für das Beispiel Lion wird zentraler Anknüpfungspunkt immer wieder der diskursiv erzeugte Weiblichkeitstyp der Neuen Frau sein, welcher wiederum in Diskurse um Urbanität und Modernität eingebunden ist. In welchen wechselseitigen Beziehungen das kulturelle Handeln von Schauspielerinnen, Fotografinnen, Schriftstellerinnen etc. mit dem in der Weimarer Republik virulenten Weiblichkeitsdiskurs rund um die Neue Frau standen, haben zahlreiche Publikationen gezeigt. Diseusen wurden bisher von solchen Betrachtungen jedoch ausgeschlossen. So finden sich in kulturwissenschaftlichen und disziplinübergreifenden Sammelbänden wie Triumph und Scheitern in der Metropole. Zur Rolle der Weiblichkeit in der Geschichte Berlins von Sigrun Anselm und Barbara Beck34, Neue Frauen. Die zwanziger Jahre von Kristina von Soden35, Practicing modernity. Female creativity in the Weimar Republic von Christiane
34 Sigrun Anselm u. Barbara Beck (Hrsg.): Triumph und Scheitern in der Metropole. Zur Rolle der Weiblichkeit in der Geschichte Berlins, Berlin: Reimer 1987. 35 Kristine von Soden (Hrsg.): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre (= Elefanten-Press BilderLeseBuch 262), Berlin: Elefanten-Press 1988.
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Schönfeld und Carmel Finnan36, City Girls. Bubiköpfe und Blaustrümpfe in den 1920er Jahren von Julia Freytag und Alexandra Tacke37 und in Hanna VollmerHeitmanns Monographie Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Die zwanziger Jahre38, die sogar mit einem Schlager-Zitat überschrieben ist, sowie in zahlreichen weiteren Beispielen39 keinerlei Einträge zu Diseusen. Ein Blick in diese Publikationen bestätigt nicht nur die Virulenz des Geschlechterdiskurses in der Weimarer Republik selbst, sondern auch seine Relevanz für die kulturelle Erinnerung an diese Ära. Solche Forschungen bilden damit einen unverzichtbaren Bezugspunkt, um das kulturelle Phänomen ‚Diseuse‘ zeitgeschichtlich einzuordnen. Anschlussfähig an die dort entworfenen Perspektiven sind Gedanken zur Rolle der Diseuse in der Weimarer Kultur auf jeden Fall – durchgeführt wurden solche bisher jedoch selten und bilden damit ein Desiderat sowohl in der Musikwissenschaft als auch in den interdisziplinär angelegten Kulturwissenschaften.40
36 Christiane Schönfeld u. Carmel Finnan (Hrsg.): Practicing modernity. Female creativity in the Weimar Republic, Würzburg: Königshausen & Neumann 2006. 37 Julia Freytag u. Alexandra Tacke (Hrsg.): City Girls. Bubiköpfe & Blaustrümpfe in den 1920er Jahren (= Literatur, Kultur, Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte. Kleine Reihe 29), Köln u.a.: Böhlau 2011. 38 Hanna Vollmer-Heitmann: Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Die zwanziger Jahre (= Frauenleben), Hamburg: Kabel 1993. 39 Vgl. bspw. Helmut Gold u. Rolf Barnekow (Hrsg.): Fräulein vom Amt, München: Prestel-Verlag 1993; Petra Bock u. Katja Koblitz (Hrsg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin: Edition Hentrich 1995; Katharina von Ankum (Hrsg.): Women in the metropolis. Gender and modernity in Weimar culture (= Weimar and now 11), Berkeley: Univ. of California Press 1997; Birgit Jochens u. Claudia Schoppmann: Zwischen Rebellion und Reform. Frauen im Berliner Westen, Berlin: Jaron-Verlag 1999; Marsha Meskimmon: We weren't modern enough. Women artists and the limits of German modernism, London: Tauris 1999; Gesa Kessemeier: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ‚Neuen Frau‘ in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929, Dortmund: Ed. Ebersbach 2000; Birgit Haustedt: Die wilden Jahre in Berlin. Eine Klatsch- und Kulturgeschichte der Frauen, 2. Aufl., Dortmund: Ed. Ebersbach 2002. 40 Als ein Versuch ist mein Artikel „‚Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß?‘ Die Neue Frau im Chanson: Margo Lion und Die Linie der Mode“, in: Gregor Ackermann u. Walter Delabar (Hrsg.): Schreibende Frauen. Ein Schaubild im frühen 20. Jahrhundert (= JUNI-Magazin für Literatur und Kultur 45/46), Bielefeld: Aisthesis Verlag 2011, S. 199–211, zu verstehen.
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Man könnte annehmen, dass das Kabarett nur eine Art Nischenkultur war, nicht so bedeutend wie Malerei, Literatur, Film und Sport – die in den erwähnten Publikationen im Zentrum stehen – und deshalb nicht bedacht wurde. Ein Blick in die Veranstaltungsankündigungen und -rezensionen in den Tageszeitungen Berlins bestätigen diese Vermutung hingegen nicht. Zwar beschränkte sich die Bekanntheit der Diseusen auf den Raum Berlin (obwohl auch beispielsweise in Leipzig, Dresden, Hannover oder Hamburg von neuen Berliner Kabarettpremieren und ihren Akteuren berichtet wurde), hier hatten sie jedoch durchaus einen Star-Status inne und waren unverzichtbarer Bestandteil der sich rasant ausbreitenden populären Formen des Musiktheaters.41 Warum finden musikwissenschaftliche Beiträge also keinen Eingang in interdisziplinäre Sammelbände? Der wesentliche Grund dafür mag darin liegen, dass das Kabarett als disziplinübergreifendes Genre innerhalb der Musikwissenschaft nur wenig und die Diseuse so gut wie keine Beachtung findet. Derzeit gibt es nur eine einzige aktuelle musikwissenschaftliche Dissertation zum Kabarett der 1920er Jahre von Carolin Stahrenberg, die sich unter dem Aspekt der Raumtheorie mit der Arbeitsbiographie Mischa Spolianskys beschäftigt und seine Tätigkeiten in Cafés und Kabarett verfolgt. Zu nennen sind darüber hinaus die Aufsätze von Nils Grosch42, Sabine Schuttes Sammelband zur populären Musik vom ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum Ende
41 Vgl. zum Stellenwert des populären Musiktheaters Nils Grosch: „Populäres Musiktheater als dramaturgische Koordination populärer Musik“, in: Christofer Jost, Klaus Neumann-Braun, Daniel Klug u. Axel Schmidt (Hrsg.): Die Bedeutung populärer Musik in audiovisuellen Formaten (= Short Cuts / Cross Media 1), Baden-Baden: Nomos 2009, S. 85–101, hier S. 89: „Im Laufe des 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts wuchs mit zunehmender Industrialisierung die Nachfrage eines Massenpublikums nach populären Unterhaltungsformen. Insbesondere in den urbanen Zentren etablierte sich das populäre Musiktheater in einer gewaltigen Zahl von nicht immer trennscharf unterscheidbaren Possen-, Cabaret-, Varieté-, Vaudeville- und Operettenbühnen“. 42 Nils Grosch: „‚Bilder Radio, Telephon‘: Revue und Medien in der Weimarer Republik“, in: Ders. (Hrsg.): Aspekte des modernen Musiktheaters in der Weimarer Republik, Münster: Waxmann 2004, S. 159–174; Ders.: „Lieder vom Fahrstuhl, Automobil und anderen Nicht-Orten: Zur Konstruktion des urbanen Raums in Berliner Revueschlagern der 1920er Jahre“, in: Stefan Weiss u. Jürgen Schebera (Hrsg.): Street scene. Der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen der KurtWeill-Gesellschaft Dessau 6), Münster: Waxmann 2006, S. 189–198; Ders.: „Populäres Musiktheater als dramaturgische Koordination populärer Musik“; Ders.: „Zur medialen
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der Weimarer Republik43, ein Jahresband des Arbeits- und Studienkreisen Populärer Musik (ASPM) zur Weimarer Kultur44 sowie der Artikel zum Kabarett in der zweiten Auflage der MGG45 und zur Revue im New Grove46. Darüber hinaus gibt es keine musikwissenschaftliche Literatur zum Kabarett, seinen Akteuren, seinen Chansons und Schlagern. Komponisten wie Friedrich Hollaender, Werner Richard Heymann oder Kurt Weill sind dennoch bis heute bekannt, weil sie ihre Musik nicht nur für das Kabarett, sondern auch für den deutschen und amerikanischen Film schrieben. Die Diseusen hingegen wurden in der Musikgeschichtsschreibung vergessen. Gründe dafür lassen sich nur erahnen: Es mag an dem engen Aktionsraum der Diseusen liegen, die vornehmlich in Berlin wirkten; daran, dass sich Formen des Kabaretts nicht in enge disziplinäre Rahmen eingrenzen lassen und somit fächerübergreifende Kompetenzen und Interessen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erfordern; daran, dass das Kabarett unter dem Label des Populären läuft, vielleicht auch am Geschlecht der Diseusen; daran, dass notierte Kompositionen und Texte einfacher zu analysieren und zugänglicher sind als vergängliche, performative Interpretationen – Aspekte, die es erschweren mögen, in einen musikwissenschaftlichen Kanon aufgenommen zu werden. Dem Mangel an musikwissenschaftlicher Literatur steht jedoch eine Vielzahl von Lebenserinnerungen diverser Kabarettisten und Kabarettistinnen, Kritiker, Publizisten und anderer Akteure der Kultur in der Weimarer Republik47 sowie die
Dramaturgie des populären Musiktheaters in der Weimarer Republik“, in: Jessica Nitsche u. Nadine Werner (Hrsg.): Populärkultur, Massenmedien, Avantgarde. 1919– 1933, München: Fink 2012, S. 239–250. 43 Sabine Schutte (Hrsg.): Ich will aber gerade vom Leben singen … Über populäre Musik vom ausgehenden 19. Jh. bis zum Ende der Weimarer Republik (= Geschichte der Musik in Deutschland), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1987. 44 Helmuth Rösing (Hrsg.): „Es liegt in der Luft was Idiotisches…“ Populäre Musik zur Zeit der Weimarer Republik (= Beiträge zur Popularmusikforschung 15/16), Karben: CODA-Verlag 1995. 45 Friederike Becker: Art. „Kabarett“, in: MGG2, Sachteil, Bd. 4, Kassel u. Stuttgart: Bärenreiter u. Metzler 1996, Sp. 1601–1609. 46 Andrew Lamb, Deane L. Root u. Patrick O’Connor: Art. „Revue“, in: The New Grove2, Bd. 21 (2001), S. 242–244. 47 Vgl. von Kabarettisten und Diseusen bswp.: Blandine Ebinger: „Blandine…“. Von und mit Blandine Ebinger, der großen Diseuse der Zwanziger Jahre, der kongenialen Muse von Friedrich Hollaender, Zürich: Arche Verlag, Raabe + Vitali 1985; Curt Bois: Zu wahr, um schön zu sein, Mitarb. v. Gerold Ducke, Berlin: Henschelverlag Kunst und
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bereits erwähnten kabarettgeschichtlichen Publikationen gegenüber.48 Von letzteren seien vor allem diejenigen von Walter Rösler49, Wolfgang Victor Ruttkowski50
Gesellschaft 1982; Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollte…, Friedrich Hollaender: Von Kopf bis Fuß. Revue meines Lebens, hrsg. u. kommentiert v. Volker Kühn, Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag 2001; Hubert von Meyerinck: Meine berühmten Freundinnen. Erinnerungen, 9. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1979. Als wichtige Quelle, um einen Einblick in den Kabarettalltag zu bekommen, ist außerdem Victor Rotthaler (Hrsg.): Marcellus Schiffer. Heute nacht oder nie. Tagebücher, Erzählungen, Gedichte, Zeichnungen, Berlin: Weidle Verlag in Zusammenarbeit mit Stiftung Archiv der Akademie der Künste 2003 zu nennen. In seinen Tagebucheinträgen schreibt Schiffer auch vieles über seine Freundin Marguerite, also Margo Lion: über seine Beziehung zu ihr, über ihre Streitereien, ihre Krankheiten und Hysterien, aber auch, wie er für sie die ersten Chansons schrieb und sie auf ihren ersten Kabarettauftritt vorbereitete. Für die Imageanalysen sind diese überaus spannend zu lesenden Details jedoch nur von begrenztem Wert, weil Schiffers Wahrnehmungen zur Zeit der Weimarer Republik nicht publiziert wurden und damit auch keinen Einfluss auf ihr Image nehmen konnten. 48 Darüber hinaus sind zahlreiche Anthologien mit Chansontexten vor allem von Friedrich Hollaender, aber auch von Walter Mehring, Klabund, von Kurt Tucholsky und gemischte Sammlungen mit entsprechenden Texten, selten auch mit Noten, zu nennen. Vgl. stellvertretend dafür Mary Gerold-Tucholsky u. Hans Georg Heepe (Hrsg.): Das Kurt Tucholsky Chanson Buch. Texte und Noten, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1983; Reinhard Hippen (Hrsg.): Das Kabarett-Chanson; Volker Kühn (Hrsg.): Hoppla, wir beben. Kabarett einer gewissen Republik 1918–1933 (= Kleinkunststücke 2), Berlin: Quadriga 1988 u. Friedrich Hollaender: Lieder und Chansons für Blandine Ebinger, Freiburg: Klemm 1957. Leider sind diese sowie die vielen weiteren, hier nicht aufgezählten Anthologien nur noch antiquarisch zu beziehen. Für Notenausgaben vgl. bspw.: Sexappeal. Lieder und Chansons von Friedrich Hollaender und Marcellus Schiffer, Mainz: Schott 1999 und zuletzt erschienen: Marlene Dietrich sings Friedrich Hollaender, Maching: Edition DUX 2011. Neben Texten und Noten sind glücklicherweise viele Chansonaufnahmen digitalisiert worden und als CDs vornehmlich bei Bear Family und in der Edition Berliner Musenkinder von duo-phonrecords erschienen. 49 Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett. 50 Wolfgang Victor Ruttkowski: Das literarische Chanson in Deutschland.
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und Heinz Greul51 hervorgehoben, weil ihre Arbeiten die einzigen sind, die systematisch, reflektiert und mit meist genauen Quellenverweisen arbeiten. Nichtsdestotrotz bieten auch die anderen Kabarettgeschichten einen Einblick in die Kabarettkultur, auf die nicht zu verzichten ist. Weitere Forschungsarbeiten sind sowohl in der allgemeinen Geschichtswissenschaft sowie vor allem in den Nachbardisziplinen der Literatur- und Theaterwissenschaft erschienen.52 Doch auch bei diesen Arbeiten stehen die Diseusen nicht im Mittelpunkt. Allen voran sei jedoch auf die für die Kabarettforschung unverzichtbaren Arbeiten des amerikanischen Germanisten Alan Lareau 53 hingewiesen. Roger Steins theaterwissenschaftliche Dissertation über das deutsche Dirnenlied54 geht nur oberflächlich auf einzelne Chansons ein, ohne sich tiefgreifend der Musik, den Interpretinnen und ihren Performances oder den Kontexten zu widmen. Das Gleiche gilt für die literaturwissenschaftliche Dissertation von Martin Trageser, der sich mit den 1920er Jahren im Spiegel des Werks von Marcellus
51 Heinz Greul: Bretter, die die Zeit bedeuten. Die Kulturgeschichte des Kabaretts, Bd. 1 u. 2. 52 Vgl. bspw. Jürgen Henningsen: Theorie des Kabaretts, Ratingen: A. Henn Verlag 1967; Benedikt Vogel: Fiktionskulisse. Poetik und Geschichte des Kabaretts (= Explicatio), Paderborn u. a.: Schöningh 1993 u. Kerstin Pschibl: Das Interaktionssystem des Kabaretts. Versuch einer Soziologie des Kabaretts, Diss., Univ. Augsburg 1999, verfügbar unter http://epub.uni-regensburg.de/9858/ (20.01.2013). 53 Neben seiner Dissertation An unhappy love. The struggle for a literary cabaret in Berlin. 1919–1935, Ann Arbor: UMI 1990, vgl. für den Kontext der hier vorliegenden Studie vor allem Lareaus Aufsätze: „‚Ich wär so gern ein Sex-Appeal‘: Images of Femininity on the Weimar Cabaret Stage“; Ders.: „Lavender Songs: Undermining Gender in Weimar Cabaret and Beyond”, in: Popular Music and Society 1, Bd. 28 (2005), S. 15–33; Ders.: „The Blonde Lady Sings: Women in Weimar Cabaret“, in: Christiane Schönfeld u. Carmel Finnan (Hrsg.): Practicing modernity. Female creativity in the Weimar Republic, Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 191–217; Ders.: „‚Wenn ick mal tot bin‘. Blandine Ebingers ‚Lieder eines armen Mädchens‘ (von Friedrich Hollaender)“, in: Gregor Ackermann; Walter Delabar u. Carsten Würmann (Hrsg.): Deutsches Lied. Von den Hymnen bis zum Baum der Schmerzen (Juni. Magazin für Literatur und Politik 39/40), Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2007, S. 118–134. 54 Roger Stein: Das deutsche Dirnenlied. Literarisches Kabarett von Bruant bis Brecht (= Literatur und Leben 67), Köln u. a.: Böhlau 2006.
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Schiffer beschäftigt, ohne dabei über allgemeine Inhaltsbeschreibungen und biographisch-anekdotische Erzählungen hinaus zu kommen.55 Zu nennen ist zudem Monika Portenlängers kunstwissenschaftliche Untersuchung zur Darstellung von Frauen auf Umschlagillustrationen von Noten und in den Schlagertexten.56 Darin arbeitet sie die große Notensammlung von Salonmusik aus der Landesbibliothek zu Speyer auf. Der beschreibende philologische Einblick in die Fülle der Illustrationen und die Häufung der Weiblichkeitstypen in den Schlagern ist beeindruckend, leider fehlt der Arbeit eine methodische Auswertung zur Bedeutung dieser Gestaltungsprinzipien. Dieser kurze Forschungsüberblick gibt weder die Gesamtheit an Publikationen zum Kabarett wieder, noch listet er auch nur im Geringsten die so hilfreichen Archivalien, geschweige denn die unverzichtbaren Chansonaufnahmen sowie die methodische Sekundärliteratur für die vorliegende Arbeit auf. Die Herangehensweise der kulturwissenschaftlichen Imageanalyse öffnet vielerlei Bezüge. Daher sind der Kabarettgeschichte sehr nahestehende Forschungsbereiche wie zum Musiktheater im Allgemeinen und der Revue im Speziellen, wie auch sich in konzentrischen Kreisen um den Gegenstand herum bewegende weitere Bereiche, relevant. Zu nennen sind hier etwa Arbeiten zur Konsumforschung, zur Stadt- und Metropolenentwicklungen, zum Bühnenbau und zur Kostümgestaltung und natürlich solche zur Bedeutung und zur methodischen Analyse des Images. Diese, sowie die benutzten Archivalien, werden an den Stellen der Dissertation genannt und eingeordnet, an denen sie hinzugezogen wurden. Es ist deutlich geworden, welches Desiderat die Beschäftigung mit Diseusen darstellt. Dabei sind sie ein unverzichtbarer Teil einer historisch zwar kurzen, aber dennoch intensiven und nachhaltigen Zeit der Weimarer Republik. Sie waren zentral beteiligt am Kulturtransfer des französischen Chansons sowie der amerikanischen Kultur in den deutschsprachigen Raum und sind aus dem System der Unterhaltungskultur der Weimarer 1920er, -30er und -40er Jahre nicht weg zu denken. Warum steht nun in dieser Arbeit das Image der Diseusen und nicht deren tatsächliches Wirken, ihre Biographie, ihr Stil und ihr Repertoire in Zentrum? Zunächst kann eine kulturwissenschaftliche Imageanalyse der Diseusen nicht nur das Forschungsspektrum zu weiblichen Akteuren in der Weimarer Republik ergänzen,
55 Martin Trageser: „Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit“. Die Zwanziger Jahre im Spiegel des Werks von Marcellus Schiffer (1892–1932), Berlin: Logos Verlag 2007. 56 Monika Portenlänger: Kokettes Mädchen und mondäner Vamp. Die Darstellung der Frau auf Umschlagillustrationen und in Schlagertexten der 1920er und frühen 30er Jahre, Marburg: Jonas Verlag 2006.
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sie erweitert auch das Blickfeld über die bisher stets im Zentrum stehende Neue Frau hin zu alternativen Weiblichkeitsentwürfen und deren Durchlässigkeit untereinander. Ein weiterer Grund liegt darin, dass ihr Wirken unmittelbar mit der kulturellen Vielfalt der Weimarer Republik verbunden ist, über das sich, wie Lareau eindrücklich in seiner Dissertation analysiert, ein hartnäckiges Image gebildet hat. So prägend also das Image der so genannten ‚goldenen 1920er Jahre‘ und das Image des politisch-satirischen Kabaretts in der Geschichtsschreibung verankert ist,57 so hartnäckig sind auch das Image der sachlichen und zugleich erotisch-frivolen Neuen Frau und die Images der einzelnen Diseusen. Während Lareau sich auf archäologische Spurensuche begibt,58 folgt die vorliegende Arbeit der These, dass gerade das Image Ausdruck dieser Zeit ist und dass sich nur noch auf dieses zugreifen lässt. Und damit rückt das Image selbst in den Fokus der Untersuchung. Die methodische Anlage dieser Arbeit folgt der konstruktivistischen Überzeugung, dass man weder die eine wahre Lebensgeschichte noch eine authentische, echte Person hinter diesem Image finden kann, erst recht nicht aus der historischen sowie der persönlichen Distanz zwischen Wissenschaftlerin und untersuchter Akteurin.59 Zum Konstrukt ‚Persönlichkeit‘ gehören soziale Rollen60, in dem Fall der
57 Vgl. Alan Lareau: An unhappy love, S. 10f.: „Freeing ourselves from the nostalgic search fort he golden age of the ‚cheeky muse‘, we must recognize the dominant image of the political cabaret in the Weimar Republic is largly a myth, an idealization.“ 58 „The cabaret, and especially that of the Weimar Republic, is a ‚black hole.‘ Although everyone knows that it existed, nobody is quite sure what actually went on there. It is a slow and painful archaeological task to reconstruct its history“ (ebd., S. 14) u.: „This study attempts to question and break the prevalent myths of the great critical cabaret tradition of the 1920s. Documenting the histories, repertoires, and reception of four major cabaret stages at different points in the era, I will try to reevaluate their innovative power and critical potential“ (ebd., S. 21). 59 Vgl. dazu auch Erkenntnisse aus der aktuellen, kritischen Biographik. Als Referenzwerk sei Christian Klein (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart: Metzler 2009 genannt. Zum Ansatz einer konstruktivistischen Biographik siehe dort Sven Hanuschek: „Wirklichkeit als Konstruktion. Der radikale Konstruktivismus“, S. 15f. 60 Die soziale Rolle ist ein Grundbegriff der Soziologie, der eng mit der Sozialisation von Individuen und an sie gerichtete Erwartungen in bestimmten sozialen Positionen verknüpft ist. Vgl. dazu grundlegend Orrin E. Klapp: Heroes, Villains and Fools, Englewood Cliffs: Prentice Hall 1962 u. Ralf Dahrendorf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, 16. Aufl., Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2006.
E INLEITUNG
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Diseusen auch Bühnenrollen, mediale Zuschreibungen und diskursive Erwartungshaltungen. Mit ihren öffentlichen und medialen Persönlichkeitskonstruktionen reagierten die Diseusen auf den Weiblichkeitsdiskurs sowie auf Anforderungen der Unterhaltungskultur und prägten diese Bereiche durch ihr Handeln innerhalb ihrer Chanson-Performances. Abhängig vom thematischen Fokus, einer spezifischen Fragestellung, aber auch der persönlichen Einbindung der Fragenden in ihre Zeit mit ihren Diskursen können sich nun unterschiedliche Erzählungen61 von der Persönlichkeit der Untersuchten ergeben: „Die biographische Wahrheit einer Person ist nichts, das feststeht bzw. durch auch noch so exakte Rekonstruktionsund Recherchearbeit definitiv geklärt werden könnte, sie wird mit jedem biographischen Projekt neu verhandelt“62. Die im Folgenden vorgestellte kulturwissenschaftliche Imageanalyse geht von eben solchen Erkenntnissen der kritischen Biographik aus, ist jedoch ein alternativer Weg, um den Quellen des Speichergedächtnisses und deren Verwendung im funktionalen Gedächtnis zu begegnen und mit ihnen den Bedeutungszuschreibungen und Wahrnehmungen der Diseusen auf die Spur zu kommen. Als Kontrapunkt zu der vorliegenden Arbeit mit einer solchen Grundannahme lässt sich die Herangehensweise von Kerstin Pschibl in ihrer Dissertation zum Interaktionssystem des Kabaretts nennen. Dort hat sie den weiblichen Kabarettistinnen ein eigenes Kapitel gewidmet und dabei ihre Unterrepräsentanz in der Geschichtsschreibung sowie abweichende Bedeutungszuschreibungen im Vergleich zu den männlichen Textern und Autoren in der Weimarer Republik festgestellt. Ihren Schwerpunkt legt Pschibl bewusst auf die „Darstellung der Kabarettistinnen in Literatur und Rezension“ sowie deren „Gegenüberstellung zu den autobiographischen Aussagen der Künstlerinnen“.63 Auf eine Auseinandersetzung mit Ge-
61 Zum Begriff der Erzählung bzw. der Narrativität innerhalb der Biographik vgl. Matthias Aumüllers Ausführungen „Narrativität“, in: Christian Klein (Hrsg.): Handbuch Biographie, S. 17–20 und zu dessen Schlüsselrolle in der allgemeinen Historiographik vgl. Hans-Jürgen Görtz: Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität (= Universalbibliothek 17035), Stuttgart: Reclam 2001. Dass der Begriff auch geschlechtsspezifisch aufgeladen ist, zeigen Vera und Ansgar Nünning (Hrsg.) umfassend in Erzähltextanalyse und Gender Studies (= Sammlung Metzler 344), Stuttgart u. Weimar: Metzler 2004. 62 Bernhard Fetz: „Biographisches Erzählen zwischen Wahrheit und Lüge, Inszenierung und Authentizität“, in: Christian Klein (Hrsg.): Handbuch Biographie, S. 54–60, hier S. 60. 63 Kerstin Pschibl: Das Interaktionssystem des Kabaretts, S. 226.
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schlechterverhältnissen, also mit „‚doing gender‘ oder konstruktivistische[n] Vorstellungen“64 verzichtet sie dabei überraschenderweise. Die Gegenüberstellung von Literatur und Rezensionen mit autobiographischen Aussagen sowie die Ablehnung einer konstruktivistischen Sichtweise lassen vermuten, dass die Autorin auf der Suche nach einer Wahrheit ist, die es hinter den Selbst- und Fremdinszenierungen zu entdecken gilt – ein Ziel, das es in der vorliegenden Arbeit nicht gibt. Denn die spezifische Wahrnehmung der Diseusen in der Geschichtsschreibung sowie die Bedeutung ihrer Performances in der Weimarer Republik selbst sind Resultate einer aktiven Kulturpraxis, die im Folgenden als Imagekonstruktion bezeichnet wird.
64 Ebd.
Methodisches Vorgehen: Kulturwissenschaftliche Imageanalyse
Die Geschichte der Diseuse ist eine Geschichte ihres Images, das an die Stelle ihrer Identität gerückt, beziehungsweise in der Erinnerung sogar zu ihrer Identität geworden ist. Jede erfolgreiche Diseuse der Weimarer Republik musste ein eigenes, durchschlagkräftiges Image entwickeln, um sich als originelle Künstlerin in der Unterhaltungsmetropole Berlin der 1920er Jahre durchsetzen zu können. Ihr Image diente sowohl ihrer Vermarktung, war aber auch Ausdruck für sie umgebende Vorstellungen, wie eine Diseuse im Speziellen und eine moderne Frau im Allgemeinen zu sein habe. So war ihr kulturelles Handeln stets auch Ausdruck von kulturellen Zuschreibungen, sodass ihre Performances unter dem Einfluss der virulenten Weiblichkeitsbilder der Weimarer Republik ebenso zu deuten sind wie als Teil einer ästhetischen Entwicklung, die Yvette Guilbert als erste Diseuse im Montmartre ins Leben gerufen hat. Ein so konstruiertes Image hinsichtlich seiner Bedeutungsinhalte auf Seiten der Akteurinnen und ihrer Produkte, der Erwartungen und Bedürfnisse der Rezipienten und Rezipientinnen und der medialen Vermarktung sowie ihrer Wechselwirkung zu untersuchen, bedeutet, hinter einem festen Stereotyp vielschichtige diskursive Handlungen aufzudecken. Gerade weil die Geschichte der Diseuse durch ihr Image überlagert ist und in ständig weiter gereichten Anekdoten gefestigt wurde, ist eine Analyse dieser stereotypen Vorstellungsbilder der Weg, um ihrer Wirkung in der Weimarer Republik bis heute auf die Spur zu kommen.
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D AS I MAGE : E IN VARIABLES V ORSTELLUNGSBILD Das Image ist ein gefühlsgeladenes Vorstellungsbild von einem Meinungsgegenstand, das von einer größeren Gruppe der Bevölkerung geteilt wird.1 Ein solcher Meinungsgegenstand kann beispielsweise eine bestimmte Person, ein Produkt oder eine Institution sein. Der Ausdruck Vorstellungsbild macht bereits deutlich, dass es sich beim Image nicht um ein objektives, die Realität bloß wiedergebendes Ebenbild handelt, sondern subjektiv sowohl vom Träger und der Trägerin des Images meist bewusst konstruiert als auch von den Rezipienten und Rezipientinnen vor dem Hintergrund eigener Bedürfnisse, Einstellungen und Erfahrungen wahrgenommen und gedeutet wird. Zwar ist der Begriff Image als Alltagsbegriff allgegenwärtig und geläufig, in der Forschung wurde er jedoch bislang hauptsächlich nur im pragmatischen Bereich des Marketings erforscht und genutzt. Die Kultur- und Geisteswissenschaften umgingen den entsprechend geprägten Begriff, der unter Manipulationsverdacht steht, weitestgehend. Seit kurzer Zeit ist jedoch ein Trend zu beobachten, der den Begriff des Images für Fragestellungen der Popmusikforschung fruchtbar macht.2
1
Vgl. bspw. Stephen Lowry: „Image“, in: Hans-Otto Hügel (Hrsg.): Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2003, S. 259–262, hier S. 259; Karl-Heinz Hillmann: „Image“, in: Ders. (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie, 5. vollständig überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2007, S. 359f., hier S. 359. Jürgen Müller definiert das Image ähnlich, doch gesteht er diesem neben seiner affektiven Komponente auch eine kognitive Seite zu, die Aussagen über weitestgehend objektive Eigenschaften des Produktes mache. Zudem ergänzt er die soziale Komponente, die für das gesellschaftliche Umfeld eines Individuums stehe, das dessen Wahrnehmung von dem Gegenstand beeinflusse (vgl.: Jürgen Müller: „Image“, S. 251).
2
Als Anstoß dieses Interesses kann die Pionierarbeit von Silke Borgstedt: Der MusikStar. Vergleichende Imageanalysen von Alfred Brendel, Stefanie Hertel und Robbie Williams (= Studien zur Popularmusik), Bielefeld: transcript 2008, auf die auch in dieser Arbeit Bezug genommen wird, herausgestellt werden. Auch im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (19001960) um Martin Pfleiderer in Weimar sind jüngst Ansätze entstanden, die die Analyse der vokalen Gestaltung populärer Musik mit Imageanalysen verbinden, vgl. dazu bspw. Tilo Hähnel: „Vokale Ausdrucksmuster im Kontext von Star-Images und kulturellen Stereotypen. Eine exemplarische Analyse der Vokalstile von Bert Williams und Bing
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Postmoderne Theoretiker betrachteten das Image als Inbegriff einer wahrnehmbaren Realität und nicht mehr als Mittel, diese zu verschleiern oder zu verfremden. Entsprechend gibt es auch „keine inszenierungsfreie Zone. Hinter jeder entlarvten Inszenierung steckt womöglich eine weitere“3. Ausgehend von dieser These ist der Begriff des Images in seiner Relevanz und Verwendung für die vorliegende Arbeit zu diskutieren, indem er Definitionen des Marketings aufgreift, diese jedoch um Konzepte der Kulturwissenschaften erweitert. Verkaufsargument durch Stabilität Das Image ermöglicht Rezipienten und Rezipientinnen vor allem Komplexitätsreduktion: Es bietet Orientierung innerhalb umfassender Sachverhalte, Entlastung durch deren stereotype Einengung sowie die Möglichkeit der Einordnung in bereits vorhandene Denk- und Vorstellungssysteme.4 Der Begriff des Images wird wegen dieser Funktionen vor allem durch die politische Soziologie, die Konsumsoziologie sowie durch die Werbepsychologie der Public Relations5 geprägt – seine Funktionen also hinsichtlich ihrer Bedeutung für Kauf- und Wahlentscheidungen untersucht – und die Ergebnisse werden entsprechend genutzt. Imageanalysen zum Zweck der Public Relations haben damit eine direkte Anwendungsorientierung: Die mit dem bestehenden Image konnotierten Assoziationen werden
Crosby“, in: Ralf von Appen, André Döring u. Thomas Phleps (Hrsg.): Samples. Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung / German Society for Popular Music Studies e.V., abrufbar unter http://www.gfpm-samples.de/ (06.12.2016). Vgl. außerdem Christa Brüstle (Hrsg.): Pop-Frauen der Gegenwart. Körper – Stimme – Image. Vermarktungsstrategien zwischen Selbstinszenierung und Fremdbestimmung, Bielefeld: transcript 2015. 3
Jens Bergmann u. Bernhard Pörksen: „Einleitung. Die Inszenierungsgesellschaft“, in: Dies. (Hrsg.): Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert (= defacto 1), Münster: Solibro-Verlag 2007, S. 10–19, hier S. 19.
4 5
Vgl. dazu bspw. Karl-Heinz Hillmann: „Image“, S. 60. Vgl. dazu bspw. Roman Antonoff: Methoden der Image-Gestaltung für Unternehmen und Organisationen. Eine Einführung (= Girardet-Taschenbücher 25), Essen: Girardet 1975; Alexander Demuth: Image und Wirkung. Corporate communications. Erfolg durch strategische Unternehmenskommunikation (GWP-Schriftenreihe 2), Düsseldorf: GWP 1987; Kurt Huber: Image. Global-Image, Corporate-Image, Marken-Image, Produkt-Image, 2. Aufl., Landsberg/Lech: Verl. Moderne Industrie 1990; Clive Chajet, Tom Schachtman u. Johanna Lauerbach: Image-Design. Corporate Identity für Firmen, Marken und Produkte, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 1995.
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deskriptiv erfasst, um dann das beschriebene Image und die damit verbundenen Assoziationen hinsichtlich der Käufer- beziehungsweise Wählerbedürfnisse zu optimieren. Entsprechend bewusst ist das Eigenimage eines Künstlers, einer Sängerin, einer Firma, eines Produkts etc. konzipiert, wobei es zwischen den Konsumenten- und Konsumentinnen-Bedürfnissen und den eigenen Produkt- beziehungsweise Charaktereigenschaften vermitteln muss. Dass die Vermarktung von Prominenten wie Politikern und Politikerinnen, Pop- und Filmstars oder Sportlern und Sportlerinnen ähnlichen Prinzipien wie denjenigen von materiellen Produkten unterliegt, haben mehrere Forschungsarbeiten belegt.6 Nur zu einem geringen Anteil beeinflussen demnach faktische Eigenschaften Werturteile der Rezipienten und Rezipientinnen, entscheidend für diese ist vor allem das öffentliche, medial vermittelte Bild. Bestimmte Invarianzen, also stets gleichbleibende Merkmale, in einem entsprechend konzipierten Image sorgen für „Individualisierung, Differenzierung, Identität und Identifizierbarkeit“7. Sie sind Teil der Corporate Identity, welche durch eine spezifische visuelle und ästhetische Erscheinungsform mit dem Produkt oder mit dem Menschen assoziierte Eigenschaften repräsentiert.8 Die so erzeugte Originalität ermöglicht es, das Produkt beziehungsweise das Individuum von der Konkurrenz abzusetzen. Das Image stellt mithilfe dieser Invarianzen zugleich eine diachrone Kontinuität9 in der Wahrnehmung her, also eine Stabilität gleichbleibender Merkmale über einen längeren Zeitraum hinweg, die dem Produkt beziehungsweise dem oder der Prominenten Glaubwürdigkeit und gleichzeitig eine gewisse Starrheit verleiht: Nach der „Initiation in die Kaste der Stars und Sternchen schwindet der Einfluss des Medienmenschen auf sein Image. Er verliert Autonomie, Kontrolle über sein
6
Vgl. bspw. Jens Bergmann u. Bernhard Pörksen: Medienmenschen; Marcel Engh: Popstars als Marke. Identitätsorientiertes Markenmanagement für die musikindustrielle Künstlerentwicklung und -vermarktung (= Gabler Edition Wissenschaft), Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2006 u. Dieter Herbst: Der Mensch als Marke. Konzepte – Beispiele – Experteninterviews, 2., ungek. Aufl., Göttingen: BusinessVillage 2011.
7
Stephen Lowry: „Image“, S. 259.
8
Vgl. ebd., 261.
9
Vgl. Werner Faulstich, Helmut Korte, Stephen Lowry u. Ricarda Strobel: „‚Kontinuität‘ – zur Imagefundierung des Film- und Fernsehstars“, in: Werner Faulstich u. Helmut Korte (Hrsg.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung, München: Fink 1997, S. 11–28, hier S. 12.
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öffentliches Bild“10, behaupten Jens Bergmann und Bernhard Pörksen. Eine solche diachrone Kontinuität des Images betrifft nicht nur die Selbstinszenierung und die Wahrnehmung heutiger Prominenter,11 sondern ist – wie noch im Detail zu zeigen ist – auch im Handeln der Diseusen sowie in deren Wahrnehmung durch die Presse der Weimarer Republik beobachtbar.12 Konstruktion und Funktion von Leitbildern Der Begriff des Images ist in den Kulturwissenschaften fast untrennbar mit dem des Stars verbunden. Dieser werde durch die mediale Verarbeitung „expressive[r], kommunikative[r] oder andere[r] Aspekte einer Person auf mehreren semiotischen Ebenen zu einem prägnanten Persönlichkeitsbild“13 verdichtet. Borgstedt folgend ist das Image die mediale Form, den Star öffentlichkeitswirksam zu vermarkten, und der Star ein Konstrukt, das auf verschiedene mediale, gesellschaftliche und soziale Erwartungen reagiert – und somit zu einem Ideal stilisiert wird. Durch Prozesse der Stereotypisierung, aber auch durch kalkulierte Rollenbrüche können Stars laut Silke Borgstedt als „individualisierte bzw. idealisierte soziale Typen“ verstanden werden, die beispielsweise „durch musikbezogene Repräsentationssysteme intertextuell erzeugt und in Form medialer Images distributiert und rezipiert werden“14. Während das Kompositum ‚individualisierter Typ‘ auf eine einzigartige, charakteristische, durch bestimmte Invarianzen erzeugte Identität des Stars verweist, ist er im Verständnis als ein ‚idealisierter Typ‘ ein eher abstraktes, kollektives und passives Produkt von diskursiv hergestellten Erwartungen. Und tatsächlich ist ein Star beides. In Anlehnung an Richard Dyer beschreibt Hans-Otto Hügel den Star als „hochverdichtetes, symbolisches Zeichen“15, das durch sein Image vermarktet
10 Jens Bergmann u. Bernhard Pörksen: „Einleitung. Die Inszenierungsgesellschaft“, S. 11. 11 Vgl. die Interviews in Jens Bergmann u. Bernhard Pörksen: Medienmenschen mit z. B. Joschka Fischer, Ursula von der Leyen, Michel Friedman oder Franziska van Almsick. 12 Vgl. hierzu das Kapitel „Margo Lions Image der grotesken Neuen Frau – Ein diachroner Überblick“). 13 Silke Borgstedt: „Star“, in: Anette Kreutziger-Herr u. Melanie Unseld (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Kassel, Stuttgart, Weimar: Bärenreiter u. Metzler 2010, S. 518f., hier S. 519. 14 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 63. 15 Richard Dyer: Stars, London: Educational Advisory Service British Film Institute 1979, passim.
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und dadurch Teil von kulturellen Diskursen wird.16 Das Image soll einerseits originell, kohärent und individuell sein, andererseits aber auch für Wiedererkennbarkeit sorgen und ist damit an in der Gesellschaft vorhandene Modelle, Bilder, Typen – wie beispielsweise die Femme fatale und Femme fragile oder auch die Neue Frau17 und das Girl der Weimarer Republik – angelehnt. „Musiker-Images werden daher als kommunikative Konstrukte betrachtet, die sich aus den überwiegend medial distributierten, intertextuellen Darstellungsmustern eines Interpreten und den darauf aufbauenden Vorstellungen der Rezipienten zusammensetzen.“18
Aus dem Geflecht von sozialen und historischen Gegebenheiten, tradierten und fortgesetzten Weiblichkeitsbildern beziehungsweise, allgemeiner formuliert, sozialer Typen und den Bedürfnissen medialer Produktion entstehen Leitbilder, die ebenso individualisierte Typen mit eigenem Image hervorbringen, wie diese der Verbreitung idealisierter Typen dienen. In genau diesem Spannungsfeld liegt die Erklärung für die Wirkung des Stars: „So ermöglicht der Bezug auf einen sozialen Typ durch dessen prägnantes, kulturelles Rollenmuster die Wiedererkennung, während die Individualisierung durch die Ergänzung um neuartige und ungewöhnliche Komponenten erfolgt und die Einzigartigkeit eines Stars unterstreicht.“19 Die öffentliche Präsenz der Stars erzeugt allgemeine Akzeptanz, wobei Akzeptanz nicht als Zustimmung des vorgelebten Musters an sich, sondern eher als Einverständnis mit der normbestimmenden, zum Teil auch provozierenden Rolle
16 Vgl. Hans-Otto Hügel: „Das selbstentworfene Bild der Diva. Erzählstrategien in der Autobiographie von Sarah Bernhardt“, in: Rebecca Grotjahn; Dörte Schmidt u. Thomas Seedorf (Hrsg.): Diva – die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, Schliengen: Ed. Argus 2011, S. 37–57, hier S. 54f. u. Ders: „‚Weißt Du wieviel Sterne stehen?‘. Zu Begriff, Funktion und Geschichte des Stars“, in: Claudia Bullerjahn u. Wolfgang Löffler (Hrsg.): Musikermythen. Alltagstheorien, Legenden und Medieninszenierungen (= Musik – Kultur – Wissenschaft 2), Hildesheim: Georg Olms Verlag 2004, S. 265–293, hier S. 276f. 17 Vgl. zum Typ der Neuen Frau beispielsweise Atina Grossmann: „Eine ‚neue Frau‘ im Deutschland der Weimarer Republik?“, in: Helmut Gold u. Anette Koch (Hrsg.): Fräulein vom Amt, S. 136–162, hier S. 136: „Die ‚Neue Frau‘ schuf eine neue weibliche Identität, die in der Massengesellschaft vermarktet und gleichzeitig durch die Vermarktung mitgestaltet wurde.“ 18 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 136. 19 Ebd., S. 98.
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des Stars begriffen werden soll. Durch den medialen Prozess wird ein Vorstellungsbild für eine breite Masse erreichbar und das Image dadurch zu einem diskursiven Gegenstand, wodurch ihm scheinbare Objektivität und Allgemeingültigkeit verliehen werden: „Images stehen damit für ein öffentliches, implizites Wissen, das in einer Massenkultur eine Eigendynamik entwickeln kann“20. Stars beziehungsweise ihre Images reagieren auf Meinungsbilder, Einstellungen und Normen einer Gesellschaft und beeinflussen diese wiederum. Sie stehen mit ihnen in einem diskursiven Verhältnis, indem sie diese weder nur reproduzieren noch allein vorgeben, sondern mit ihnen kreativ umgehen und so an ihrer Verfestigung mitarbeiten.21 Das Starimage wird so zur Projektionsfläche für eigene Selbstentwürfe, die mit diesem nicht unbedingt kongruent sein müssen, sich jedoch mit ihm als scheinbar objektives und normatives gesellschaftliches Bild messen müssen. Gezielte Werbekampagnen, dargestellte Bühnen- und/oder Textfiguren, die in Kongruenz zu den Künstlerpersönlichkeiten stehen sowie veröffentlichte Anekdoten aus dem vorgeblichen Privatleben der Stars können als narrative Strategien gelesen werden, um ein Image zu fundieren.22 Durch Berichte aus dem Privatleben der Stars soll jedoch auch eine Distanz zu dem Publikum aufgehoben werden –
20 Ebd., S. 75. Vgl. dazu auch Karl-Heinz Hillmann: „Image“, S. 360: „Das Image […] ist prinzipiell unabhängig von der objektiven Kenntnis der betreffenden empirischen Sachstruktur. Es ist vielmehr das subjektiv gewertete, jedoch von sozialen und kulturellen Leitbildern und von selektiven sozialen Wahrnehmungen bestimmte und verarbeitete Bild von Wirklichkeit.“ 21 Vgl. dazu Jürgen Müllers Äußerungen zur sozialen Komponente des Images sowie über dessen Varianz: „Images entstehen schnell. Anfänglich können sie sich mit jeder neuen Information, mit jedem Wechsel des psychischen Zustands dynamisch verändern. Im Laufe der Zeit verfestigen sie sich und neigen zur Stabilität, ohne indessen starr zu werden. Sie sind auch dann, wenn sie ausgebildet sind, von innen, d. h. durch den Imageträger, korrigierbar und von außen durch jedwede Darstellung des Imagegegenstandes beeinflussbar“ (Jürgen Müller: „Image“, S. 252). 22 Vgl. Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 59. Interessante Fallbeispiele stellen beispielsweise Camilla Bork in ihrem Aufsatz „Zwischen Literarisierung und Reklame: Paganini im Spiegel der Anekdote“, in: Melanie Unseld u. Christan von Zimmermann (Hrsg.): Anekdote – Biographie – Kanon. Zur Geschichtsschreibung in den schönen Künsten) (= Biographik 1), Köln u.a.: Böhlau 2013 sowie Janina Klassen in ihrer Monographie Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit (= Europäische Komponistinnen 3), Köln u.a.: Böhlau 2009, dort vor allem im Kapitel „Starkult“, S. 99–178, dar.
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der unerreichbare Star wird scheinbar zum Greifen nahe.23 Zwischen der öffentlichen und vermeintlich privaten Person wird eine „synchrone Kontinuität“24 hergestellt, die dem Image Glaubhaftigkeit verleiht, indem sie eine Unterscheidung zwischen ‚realer‘ Person und Bühnenfigur verwischt. Die vorgeblich reale Person und das Image stehen in einem dialektischen Verhältnis. Letzteres erweckt mit seinen Kontinuitäten auf der einen und seinen systematischen Brüchen auf der anderen Seite in den Rezipienten und Rezipientinnen die Neugier, hinter diese Fassade blicken zu wollen und hält somit das Interesse wach. Gleichzeitig soll das Image möglichst authentisch und real erscheinen, um den Glauben an den Star mit einer echten Identität aufrecht zu erhalten. Beide Effekte zeugen von einem Bedürfnis, das durch fiktionalisierte Anekdoten, Sensationsgeschichten und ‚Homestories‘ gestillt werden soll: „Das Umschreiben, Erfinden, Plagiieren von Lebensgeschichten, Praktiken, die zum Normalfall einer medial geprägten Öffentlichkeit geworden sind, antwortet immer auch bestimmten kollektiven Bedürfnissen nach biographischer Wahrheit.“25 Der Zusammenhang von erzählten Lebensgeschichten, performten Bühnenpersönlichkeiten und deren Darstellung von Figuren auf der Textebene eröffnet ein Kontinuum, in dem sich biografische, fiktive und diskursive Lebensentwürfe vermischen. Neben den oben genannten Funktionen der Komplexitätsreduktion und den damit verbundenen Strategien der Konsumanreize tritt im Zusammenhang mit dem Star und seinem Image also eine weitere Funktion hinzu: Dadurch, dass das prägnante Persönlichkeitsbild durch Nähe und Distanz Leitbildcharakter erhält, dient es den Rezipienten und Rezipientinnen zur eigenen Identitätskonstruktion, indem sie sich von dem medial öffentlich präsentierten Star abgrenzen oder ihn als positives Vorbild für die eigene Lebens- und Selbstgestaltung nutzen. Parallel
23 Silke Borgstedt nennt das dialektische Verhältnis von Nähe und Distanz als konstituierendes Merkmal von Stars, es existiere „ein permanentes Informations-Defizit und ein entsprechendes Kontaktbedürfnis zur ‚wahren‘ Persönlichkeit“ (Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 53). 24 Werner Faulstich et. al.: „‚Kontinuität‘ – zur Imagefundierung des Film- und Fernsehstars“, S. 12. 25 Bernhard Fetz: „Schreiben wie die Götter. Über Wahrheit und Lüge im Biographischen“, in: Hannes Schweiger (Hrsg.): Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit (= Profile 13), Wien: Zsolnay 2006, S. 7–20.
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zur Bewegung weg von einer medienkritischen und -pessimistischen Anschauung,26 hin zu einer konstruktivistischen Medientheorie,27 die den Nutzern Gestaltungskraft zugesteht, kann also auch gefragt werden, was wir mit dem Image machen, und nicht mehr ausschließlich, was das Image mit uns macht. Eine Analyse von Lions und Ebingers Images ermöglicht mit einer solchen Perspektive einen Zugriff auf die Wahrnehmung und Bedeutung ihrer Performances im kulturellen System der Weimarer Republik. Biografische Daten werden nicht beziehungsweise nur dort, wo sie einen Beitrag zum Image leisten, in die Arbeit einbezogen. Vorgeblich objektive Fakten aus dem Privatleben einzelner Diseusen finden sich zahlreich in journalistischen Artikeln und werden dort als inszenatorisches Mittel verwendet.28 Diese gängige journalistische Praxis, verwendet vor allem in popkulturellen Berichterstattungen, zeigt, wie sehr bereits Diseusen des Kabaretts zu Stars einer Gesellschaft wurden. Denn dass solche Anekdoten aus dem ‚Privatleben‘ erzählt werden, bedeutet, dass sie Teil der Tradierung
26 Vgl. bspw. Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels und andere Texte, übers. von Jean-Jacques Raspaud u. Wolfgang Kukulies (= Critica Diabolis 65), Berlin: Ed. Tiamat 1996, im Original unter dem Titel La société du spectacle 1968 in Paris erschienen; Daniel J. Boorstin: Das Image. Der amerikanische Traum, übers. von Manfred Delling u. Renate Voretzsch, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1987, der Originaltitel The image. A guide to pseudo-events in America erschien im gleichen Jahr in New York.; Neil Postman u. Reinhard Kaiser: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie (= Fischer-Taschenbücher 4285), 18. Aufl., übers. von Reinhard Kaiser, Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 2008, im Original unter dem Titel Amusing oursselvves to death. Public Discourse in the Age of Showbusiness 1987 in London erschienen. 27 Vgl. bspw.: Jean Baudrillard: „The Ecstasy of Communication“, in: Hal Foster (Hrsg.): The Anti-Aesthetic. Essays on Postmodern Culture, Port Townsend: Bay Press 1983, S. 126–134; Ders.: „The Masses: The Implosion of the Social in the Media“, in: Sue Thornham, Caroline Basset u. Paul Marris (Hrsg.): Media Studies. A reader, Edingburgh: University Press 1996, S. 98–108. 28 In diesem Kontext ist auch der Blick hinter die Kulissen, den Hesterberg auf Lions Auftritt in der Wilden Bühne ihren Lesern und Leserinnen gewährt, zu lesen (Kapitel „Einleitung“, S. 10). Siehe dazu auch die Anekdote zum Kennenlernen von Lion und Schiffer (Kapitel „Margo Lions Durchbruch auf der Kabarettbühne: „Die Linie der Mode“ – Zur Grundlegung ihres Images“, S. 142).
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werden – und tradiert werden nur solche Begebenheiten und Persönlichkeiten, denen Bedeutung beigemessen wird.29 Ergebnis einer performativen Kulturpraxis: Mimetische Identifikation Die Hamburger Soziologin und Tanzwissenschaftlerin Gabriele Klein, unter anderem durch ihre Arbeiten in den Performance Studies bekannt, hat mit ihrer Perspektive auf Popkulturen, die sie als performative Kulturen versteht, ein Konzept entwickelt, um die wechselseitig stattfindende Konstruktion eines Images zwischen seinen Trägern und deren Rezipienten und Rezipientinnen jenseits eines behavioristischen stimulus-and-response-Prinzips beschreiben zu können. Das performative Konzept der „mimetischen Identifikation“30 sieht von einem VorbildAbbild-Verhältnis im Sinne einer „blinden Imitatio“31 ab. Das Künstlerbild und seine Wirkung auf Rezipienten und Rezipientinnen würden hingegen durch eine globale Imageproduktion und deren Umsetzung in einer lokalen Praxis hergestellt.32 Ein global verbreitetes Image werde erst dann real und erhalte Bedeutung, wenn es auf lokaler Ebene ausgehandelt, also bestätigt, abgelehnt oder auch variiert werde: „Mimetische Identifikation meint also nicht nur Konventionalisierung im Sinne einer Reproduktion eines Normengefüges, sondern beschreibt den performativen Akt der Neu-Konstruktion und Neukontextualisierung. Aus dieser Perspektive geht es beispielsweise bei der Nachahmung weiblicher popkultureller Images durch Konsument/-innen nicht nur um das
29
Vgl. zur Rolle der Anekdote als geschichtliche Quelle vor allem der Pophistoriographie Simon Obert: „Wen kümmert’s, ob Keith Richards schnarcht? ‚(I Can’t Get No) Satisfaction‘ und die Pophistoriographie“, in: Musiktheorie. Zeitschrift für Musikwissenschaft 24, Nr. 1 (2009), S. 113–136 sowie allgemein zu ihrer Funktion in der Musikgeschichtsschreibung Melanie Unseld u. Christan von Zimmermann (Hrsg.): Anekdote – Biographie – Kanon.
30 Gabriele Klein: „Popkulturen als performative Kulturen. Zum Verhältnis von globaler Imageproduktion und lokaler Praxis“, in Udo Göttlich, Clemens Albrecht u. Winfried Gebhardt (Hrsg.): Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies (= Fiktion und Fiktionalisierung 6), 2. durchgesehene, erw. u. aktualisierte Aufl., Köln: Herbert von Halem Verlag 2010, S. 192–212, hier S. 209. 31 Ebd., S. 207. 32 Vgl. ebd., S. 209.
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Aneignen des kulturindustriell Produzierten, des Fremden, auf Kosten des Eigenen, Authentischen. Vielmehr können die globalisierten Images nur deshalb lebensweltlich ihre Wirksamkeit entfalten, weil sie von den Konsument/-innen mimetisch nachvollzogen und in einem performativen Akt der Neukonstruktion lebensweltlich umgedeutet werden.“33
Klein geht es in ihren Ausführungen vor allem darum, Popkulturen als performative Kulturen vor anderen Lesarten (Popkultur als patriarchale Kulturpraxis oder als subversive Praxis) zu etablieren. Zu diesem Zweck will sie die aktiven Rezipienten und Rezipientinnen mehr ins Blickfeld der Analysen rücken. Ihre ImageKonzeption ist darauf ausgelegt, zu zeigen, dass nicht unreflektiert Vorbilder auf Kosten der eigenen Individualität imitiert werden, sondern dass das vorbildhafte Image aktiv mitgestaltet und so zur eigenen lebensweltlichen Realität in Bezug gesetzt wird. Ich denke jedoch, dass der Prozess der mimetischen Identifikation auch von der anderen Seite aus gesehen werden kann, was am Beispiel von Weiblichkeitstypen verdeutlicht werden soll. Vor allem feministische Lesarten der patriarchalen Kulturpraxis haben seit den 1970er Jahren gezeigt, wie virulent imaginierte Weiblichkeitstypen beziehungsweise -bilder im Vergleich zu realen Akteurinnen im kulturellen Sektor waren und sind – Sylvia Bovenschen hat dieses Verhältnis in ihrer Habilitationsschrift eingehend erforscht.34 Die Frau ausschließlich als Objekt der männlichen Phantasie zu verstehen, bedeutet jedoch auch gerade Interpretinnen jegliche schöpferische Eigenleistung abzusprechen. Das Konzept der mimetischen Identifikation kann hingegen dafür sensibilisieren, dass (selbstverständlich nicht nur weibliche) Figurationen, etwa auf der Kabarettbühne, nicht ausschließlich passives Ebenbild im Sinne einer blinden Imitatio des vorherrschenden Weiblichkeitsdiskurses sind, sondern dass sie gerade als konstruierender Part in einem solchen Diskurs mitgedacht werden müssen. Und so ist auch das Starimage nicht einfaches Abbild einer gesellschaftlichen Einstellung, „da [seine] notwendige Ausrichtung auf Medienformate, gesellschaftlich relevante Normen oder wünschenswerte Lebensweisen immer als konstruiert betrachtet werden muss, auch wenn dies durch diskursive Techniken (z. B. bestimmte Metaphern oder Argumentationsmuster) verschleiert wird.“35
33 Ebd. 34 Vgl. Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. 35 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 143. Vgl. dazu auch Stephen Lowry: „Image“ S. 261.
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Das Verhältnis von globaler Imageproduktion und lokaler Praxis kann meines Erachtens damit auch umgedreht werden. Globale Images im Sinne von Voreinstellungen, diskursiven Festschreibungen und gesellschaftlichen Handlungen, wie zum Beispiel Weiblichkeitstypen, werden etwa auf der lokalen Bühne des Kabaretts verarbeitet, performiert und so (re-)konstruiert. Die Imagekonstruktion im Sinne einer mimetischen Identifikation ist damit kein linearer Akt, der von einem zum anderen Pol verläuft, sondern ein zirkulärer Prozess. Eine lineare Kommunikationskette ausgehend vom Star, endend beim Rezipienten oder bei der Rezipientin ist also nicht gegeben. Vielmehr ist diese zu einem Kreis zu schließen, oder besser noch zu einer unendlichen Spirale zu öffnen, die einen veränderbaren Diskurs generiert, der wiederum Einfluss nimmt auf das konkrete kulturelle Handeln von Einzelakteuren und -akteurinnen.36 Die Diseuse und ihre Chanson-Performance sind in diesem Sinne sowohl als lokale Ausdeutung eines globalen, kollektiven Images beziehungsweise eines darauf beruhenden Weiblichkeitstyps (etwa der Neuen Frau) als auch selbst als globales Image beziehungsweise Weiblichkeitstyp (die Diseuse mit bestimmten, stereotypisierten Eigenschaften) zu beschreiben, deren Performance erst durch die lokale Weiterverarbeitung der Rezipienten und Rezipientinnen an Relevanz gewinnt und damit auf Erwartungen an eine erfolgreiche Diseuse zurück projiziert wird. Bisher wurde im Marketingsektor der Schwerpunkt auf die Produktgestaltung gelegt, wobei die Rezipienten und der Rezipientinnen empirisch hinsichtlich ihrer Assoziationen mit dem zu verkaufenden Produkt berücksichtigt wurden, um dessen Imagegestaltung zu verbessern. Wie gezeigt, betrachten auch die Kulturwissenschaften die Bedeutung des Images vor allem hinsichtlich seiner Auswirkungen auf Rezipienten und Rezipientinnen, wenn auch mit gänzlich anderer Zielsetzung (sei es aus medienpessimistischer oder konstruktivistischer Perspektive). Aus der Zirkularität der mimetischen Identifikation geht ein Nebeneinander und Miteinander der in dieser Arbeit gelegten Schwerpunkte hervor. Die Betrachtung des kulturellen, historischen und auch institutionellen Kontextes, zu dem eine Imagekonstruktion immer in Beziehung steht, ist ebenso unverzichtbar wie eine
36 Vgl. dazu auch die Funktionen, die Stephen Lowry dem Image zuschreibt. Neben seinen Funktionen als semiotisches und ästhetisches Produkt, seinem Wert für das Verständnis bspw. eines Films, seinem Einfluss auf Produktionsbedingungen und -faktoren, seine Funktion als Knotenpunkt zwischen Schauspieler und Publikum, führt er die Bedeutung eines Stars auch auf das „Ergebnis der Interaktion zwischen dem Image und den kulturellen Diskursen der Zeit“ zurück (Stephen Lowry: „Stars und Images. Theoretische Perspektiven auf Filmstars“, in: montage/av 6, Nr. 2 (1997), S. 10–35, hier S. 13).
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Untersuchung der Imagewirkung, die auf bestimmte Bedürfnisse und Voreinstellungen von Akteuren und Akteurinnen in einer bestimmten Kultur rückschließen lässt. Damit kommt mein Vorgehen dem Vorschlag Stephen Lowrys nach, der einen diskurs- und kulturtheoretischen Ansatz als den geeignetsten einstuft, um ein Starimage zu analysieren: „Ein solcher Ansatz ermöglicht es, Rezeption als einen aktiven, produktiven Prozeß seitens der Konsumenten zu verstehen, ohne einem Subjektivismus oder Pluralismus das Wort zu reden, denn die Subjekte selbst werden als in Diskurse integriert und durch sie geformt konzipiert. Darüber hinaus wird das Starimage als Text relativiert und historisiert, denn seine Bedeutung wird erst durch eine erweiterte Intertextualität bestimmt: Weder die Filme noch die sekundären Texte über den Star bestimmen seine Bedeutung. Vielmehr sind diese in größere Zusammenhänge eingebettet. Die Intertextualität des Images erstreckt sich bis hin zu allgemeinen kulturellen Intertexten, zum ‚social text‘ der historischen Diskurse einer Gesellschaft. […] Mit dem Begriff der Diskursivität von Stars besteht eine Möglichkeit, die Fülle an Zeichen und Bedeutungen, die man im Starimage eines konkreten Einzelfalls findet, mit verschiedenen Komplexen von gesellschaftlich und historisch relevanten Bedeutungen zu verknüpfen, ohne sie auf monokausale unilineare Modelle zu reduzieren.“37
Die Berücksichtigung historischer, kultureller und soziologischer Diskurse mündet in dem vorliegenden Forschungskontext schließlich in ein Verständnis der Imagekonstruktion auch als Theatralitäts-Konzept, das die Aufführung performativer Produkte an die erfahrbare Lebenswelt anbindet.38 Da in der bisherigen Forschungsliteratur zum Kabarett immer wieder betont wurde, welch zentrale Rolle die Kreation des Chansons durch die Diseuse spielt, diese jedoch nie methodisch ausgewertet wurde, soll gerade dieser Aspekt detailliert betrachtet werden. Die Chanson-Performance kann jedoch nicht isoliert in ihrem Bühnenkontext analysiert werden, da die Bedeutung einer Aufführung immer von allen beteiligten Akteuren und Akteurinnen, also auch vom Publikum, konstruiert wird.39 Hier ist eine
37 Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 29. 38 Erika Fischer-Lichte: „Theatralität als kulturelles Modell“, in: Dies., Christian Horn, Sandra Umathum u. Matthias Warstat (Hrsg.): Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften (= Theatralität 6), Tübingen u. Basel: A. Francke Verlag 2004, S. 7–26, hier S. 8. 39 Dazu ebd., S. 13: „Vielmehr müssen hermeneutisch-historische Herangehensweisen berücksichtigen, daß Bedeutungen immer erst im Prozeß der Aufführung selbst entste-
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Verbindung zwischen dem zu ziehen, was in den folgenden Abschnitten Eigenimage und Fremdimage genannt wird und der theaterwissenschaftlichen Unterscheidung von Erika Fischer-Lichte zwischen „Aufführung“ und „Inszenierung“ entgegenkommt. Denn lassen sich aus den Chansontexten und deren Musik sowie der Beobachtung von Kostüm- und Bühnengestaltung Schlüsse über bestimmte Inszenierungsstrategien ziehen, „welche die Aufmerksamkeit des Zuschauers lenken und bestimmte Wirkungen in ihm auslösen sollten“, so „läßt sich nur aus den Berichten Beteiligter erschließen“, ob diese oder eine andere Wirkung in der Aufführung und damit in der Wahrnehmung erzielt wurde.40 Musik-, Text- und Performanceanalyse (die Analyse der Bühnen-Persona und der Chanson-Protagonistin), eine Rezeptionsstudie (die Auswertung von Rezensionen aus der zeitgenössischen Presse) sowie diskursanalytische Ansätze (die Berücksichtigung von soziologischer Konsum- und Sexualitätsforschung ebenso wie die Analyse von historischen Vorbildern) bilden damit ein Konglomerat, mit dessen Hilfe eine Imagekonstruktion in ihrer Zirkularität beschreiben werden kann.
I MAGEANALYSE Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, dass das Image der Diseuse nicht als statisches Fremdbild verstanden werden kann, sondern dass es erst durch sich „wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt“41, hergestellt wird. Demnach ist nicht nur das Produkt der Diseuse, also das Chanson, im künstlerischen Sinne eine höchst performative Kunst, die Imagekonstruktion der Diseuse ist es ebenso. Durch die exemplarische Imageanalysen der Diseusen Lion und Ebinger, die sowohl die Produktions-, Distributions- als auch Rezeptionsebenen beachten, können drei wesentliche Erkenntnisse erarbeitet werden. Erstens kann gezeigt werden, durch welche gesellschaftlichen Faktoren und individuellen Handlungsakte ein spezifisches Image der Diseusen entstand und letztlich bis in die Gegenwart tradiert wird. Die veränderte Situation für Frauen nach dem ersten Weltkrieg, die in
hen, daß sie erst prozessual hervorgebracht werden und daher nicht mit den Bedeutungen identisch sein können, welche einzelne oder Gruppen von Personen – z. B. die Veranstalter – durch die Aufführung zum Ausdruck bringen wollten.“ 40 Ebd., S. 15. 41 Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, übers. von Karin Wördemann (= Gender Studies 1731), Frankfurt am Main.: Suhrkamp 1997, S. 22.
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der neuen Verfassung verankerten Rechte, notwendig gewordene Verantwortlichkeiten in der Berufswelt sowie die damit verbundene öffentliche Präsenz, boten gemeinsam mit der Entwicklung der Massenmedien eine Grundlage, die Diseuse zum Star des Kabaretts zu machten. Die Diseuse hatte bestimmte Erwartungen an ihre Rollengestaltung zu erfüllen. Diese Entwicklungen beeinflussen und prägen das, was im Folgenden ‚Kollektivimage‘ der Diseuse genannt wird und noch näher zu erläutern ist. Neben der Analyse von gesellschaftlichen Bedeutungen gelingt es mithilfe der kontextuell angelegten Imageanalyse, die Bedeutung einer die einzelnen Diseusen miteinander verbindenden Ästhetik zu untersuchen. Indem aus den zahlreichen erfolgreichen Diseusen Lion als ein Beispiel ausgewählt und ihr ‚Eigenimage‘ dem der Diseuse Ebinger gegenübergestellt wird, gelingt es zweitens, die Diseusen voneinander abzugrenzen und damit auch ihre jeweiligen individuellen künstlerischen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Dadurch, dass Lion und Ebinger als originelle Einzelerscheinungen ins Zentrum der vorliegenden Arbeit gestellt werden und untersucht wird, wie diese ihr individuelles Eigenimage ausgebildet haben, gelingt es, ihre Chanson-Performance gleichberechtigt neben dem Chanson-Text und seiner Komposition zu analysieren. Die Kreation eines Eigenimages als bewusster Akt der Individualisierung steht in performativer Wechselwirkung etwa zu Weiblichkeitstypen der Weimarer Republik. Ihr Zusammenhang ist der oben beschriebene zirkuläre Prozess der mimetischen Identifikation. Die Prämissen, Ein- und Vorstellungen, die aus einem solchen diskursiven Prozess entstehen, können drittens mit entsprechenden Auswirkungen auf das künstlerische Handeln untersucht werden. Das im Folgenden noch im Detail vorzustellende ‚Fremdimage‘ dient dabei als Indikator für solche Voreinstellungen. Welche Wünsche, Vorstellungen und Prägungen lassen sich aus Erinnerungen, journalistischen Dokumenten und Rezensionen ablesen? Um der lebensweltlichen Bedeutung der Diseusen in der Weimarer Republik auf die Spur zu kommen, ist es also nicht nur notwendig, einen Blick von Komposition und Text auf die Performance zu richten, sondern auch von der produktionsästhetischen Seite hin zur Rezeption. Die Trias des Kollektiv-, Eigen- und Fremdimages verdeutlicht den Zusammenhang von sozialen und ästhetischen Dimensionen im mimetischen Prozess und macht diesen analysierbar.42 Die Diseuse ist weder nur Kunstprodukt noch bloße Affirmation gesellschaftlicher Vorstellungen. Sie kann als Knotenpunkt von
42 Vgl. Gabriele Klein: „Popkulturen als performative Kulturen“, S. 208 u. Gunter Gebauer u. Christoph Wulf: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft (= Rowohlts Enzyklopädie 497), Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch Verlag 1992, S. 113.
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ästhetischer Performance und gesellschaftlich virulenten Vorstellungen verstanden werden. Das Kollektivimage Neben der selbstreflexiven und -konstruierenden Ebene sowie der fremdbestimmten Seite des Images beschreibt Karl-Heinz Hillmann im Wörterbuch der Soziologie das allgemeine Image, „das unabhängig vom Stellungnehmenden, überpersönlich, gleichsam allen vorgegeben und damit allgemein existent ist“43. Klingt dieser Ansatz zunächst sehr objektivistisch, so ergänzt Hillmann an späterer Stelle, dass das Image das subjektiv gewertete, „jedoch von sozialen und kulturellen Leitbildern und von selektiven sozialen Wahrnehmungen bestimmte und verarbeitete Bild von der Wirklichkeit“44 sei. Gerade dadurch, dass das allgemeine, nicht spezifisch auf ein Individuum bezogene Image den Anschein von Objektivität und Normativität vermittelt, wird seine Diskursivität erkennbar. Sind auch die Aspekte der Fremd- und Eigenimages unmittelbar mit diskursiv hergestellten Meinungen verbunden, so repräsentiert das allgemeine Image, im folgenden ‚Kollektivimage‘ genannt, eine abstraktere, umfassendere und vor allem überpersönliche Ebene, die komplexere, langwierigere Prozesse bereits durchlaufen hat. Der Begriff Kollektivimage soll den Begriff des allgemeinen Images des Soziologen Karl-Heinz Hillmann ersetzen. Zum einen entgeht der Begriff des Kollektivimages einer Verwechslungsgefahr, meint man doch schnell mit dem allgemeinen Image den gesamten Konstruktionskomplex ‚Image‘ beschrieben zu haben. Der Begriff präzisiert aber vor allem eine Teilebene des gesamten Images, das nur für Analysezwecke temporär zergliedert werden kann. Zum anderen schärft der Begriff des Kollektivimages die Unterscheidung zwischen den gemeinten überpersönlichen, allen individuellen Diseusen gemeinsam betreffenden Elementen und den spezifisch individuell kreierten Eigen- und Fremdimages. Gleichzeitig lehnt sich der Begriff bewusst an den Begriff des kollektiven Gedächtnisses an, wie er in der Einleitung beschrieben wurde. Das Kollektivimage bezieht sich nicht direkt auf die individuellen Images, also beispielsweise von Lion oder Ebinger, die kaum vergleichbar erscheinen, sondern auf deren gemeinsamen Kern. Obwohl das Kollektivimage keine spezifischen Eigenschaften einer einzelnen Diseuse beschreibt, ist es ohne sie nicht zu denken, wie auch die einzelnen Diseusen nicht ohne das Kollektivimage zu denken sind.
43 Karl-Heinz Hillmann: „Image“, S. 359. 44 Ebd., S. 360.
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Daneben wird das Kollektivimage der Diseuse unmittelbar von diskursiven Vorstellungen geprägt, wie beispielsweise solche zum Weiblichkeitstyp der Neuen Frau. Dieser beschreibt jene um 1900 geborenen Frauen, die sich in der Weimarer Republik in der Mode, durch den Sport, mit der Neigung zur frei ausgelebten Sexualität, der Freiheit zur politischen Teilhabe, den Willen zur Berufstätigkeit auszeichneten. Parallelen zwischen den Konstruktionen von Kollektivimages, die hier auf die Produktion und Distribution von Kunst und Kultur durch Diseusen bezogen sein soll, und Weiblichkeitstypen, die sich eher auf soziale Gruppen beziehen lassen, sind nicht von der Hand zu weisen. Obwohl der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau auf Merkmalen einzelner Frauen beruht, wird mit diesem Begriff nie die einzelne Frau mit ihren individuellen Bedürfnissen, Charakterzügen etc. berücksichtigt. Sie entspricht einem solchen Typ immer nur in Teilen, aber nie komplett. Gleiches gilt für das Kollektivimage der Diseuse und den einzelnen Frauen auf der Kabarettbühne. Jede so genannte ‚Neue Frau‘ oder so genannte ‚Diseuse‘ beruft sich auf Vorbilder und konstruiert sie ihrerseits durch das eigene Handeln und die eigene Performance neu. Da sich der Begriff ‚Image‘ jedoch nicht aus der Vermarktung künstlersicher Produkte lösen lässt, soll er nicht auf eine soziologische Ebene erweitert werden, wenn auch beide Ebenen unmittelbar miteinander diskursiv verknüpft sind. Das Phänomen ‚Diseuse‘ ist in den 1920er Jahren so präsent, dass es eigene stereotype Vorstellungen evoziert und gefestigt hat – Vorstellungen, die auf dem Vorbild der ersten Diseuse Yvette Guilbert und der deutschen Weiterentwicklung dieser Tradition beruhen.45 Sie sind jedoch auch jenseits der theatralischen Bühnen zu kontextualisieren. So greift das Diseusen-Image auf traditionelle Weiblichkeitstypen wie die Femme fatale, die Dirne und vor allem auch die Diva zurück. Seine Prägung und sein Erfolg sind jedoch auch durch Varianten und Erneuerungen solcher Typen zu erklären. Die Neue Frau, die Garçonne, der Flapper haben ebenso wie die Berliner Göre ihre Spuren im Kollektivimage der Diseuse hinterlassen. Stars beziehungsweise Images repräsentieren also nicht „nur individuelle Persönlichkeiten, sondern stellen immer auch eine Beziehung zu verschiedenen sozialen Gruppen, Kategorien und Dimensionen her“46.
45 Vgl. dazu auch: Wolfgang Victor Ruttkowski: Das literarische Chanson in Deutschland, S. 14: „Die meisten Vortragskünstler identifizieren sich – zumindest unbewußt – mit einem Vorbild oder mehreren, die einmal Eindruck auf sie gemacht haben. Selbst wenn sie Einzigartiges und in jeder Hinsicht Neues leisten wollen, haben sie sich mit negativen Vorbildern beschäftigt, um sich von ihnen absetzen zu können.“ 46 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 139.
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Wolfgang Victor Ruttkowski greift diesen zirkulären Prozess auf, wenn er vom Chanson als Spiegel seiner Zeit spricht: „Gemeinsamkeiten können aber auch durch gleichartige Anregungen der Umwelt entstehen. So wird ein bestimmtes soziales Milieu, etwa das der Berliner Hinterhöfe, mit seinen charakteristischen Typen von mehreren Künstlern gestaltet werden, ohne daß diese sich gegenseitig nachgeahmt haben müssen. Zeitthemen, aktuelle Ereignisse und Moden haben sich in der Geschichte des Chansons so treulich niedergeschlagen, daß man wirklich von ihm als Spiegel seiner Zeit sprechen kann [Hervorheb. orig.].“47
Im kollektiven Gedächtnis sind die Kollektivimages mindestens genauso präsent wie einzelne geschichtliche Individuen. Im Fall der Diseusen ist ihr Kollektivimage sogar noch stärker vertreten, wie der Blick in die Kabarettgeschichten zeigen konnte. Der Begriff bezieht sich zusammenfassend also sowohl auf ein Kollektiv von stereotypen Bildern, deren Inhalte sich eine bestimmte Personengruppe teilt, als auch auf deren kollektive Verfügbarkeit, die sie offensichtlich zu einem tradier- und erinnerbaren Gegenstand – und damit zu einem lohnenswerten Forschungsgegenstand macht. Das Fremdimage Das Fremdimage, „das als Summe der strukturierten, entscheidungs- und verhaltensbestimmenden Vorstellungen und Beurteilungen anderer besteht“48, gibt den Rezipienten und Rezipientinnen eine Projektionsfläche zur Selbstkonstruktion durch Annahme oder Ablehnung vorgelebter Muster. Es ist das Bild, das sie sich von ihrem Idol machen und das sie gerne für sich beanspruchen würden oder von dem sie sich kategorisch abgrenzen. Die Analyse des Fremdimages ist damit zum einen eine Rezeptionsstudie: Wie wurden Lion und Ebinger von wem wie gedeutet und bewertet? Die Betrachtung der Rezipientenseite ist jedoch nicht strikt von der Produzentenseite zu trennen – im Gegenteil: Führt man sich erneut die ökonomischen Funktionen des Images vor Augen, so ist es für die Diseuse eine Notwendigkeit, auf die Rezipientenbedürfnisse einzugehen. Und auch vom Kollektivimage ist das Fremdimage nicht in letzter Instanz zu trennen; so bewegen sich die Rezipienten und Rezipientinnen in einer Gesellschaft, die durchwoben ist von
47 Wolfgang Victor Ruttkowski: Das literarische Chanson in Deutschland, S. 14. 48 Karl-Heinz Hillmann: „Image“, S. 359.
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Normen und Wertvorstellungen, die wiederum die Kollektivimages begründen.49 Es entsteht ein zirkulärer Prozess, der bestimmt ist von Angebot und Nachfrage, nicht beschränkt auf Anzahl und Preis von Produkten, sondern angewendet auch auf Bilder, die reproduziert, genutzt und variiert werden, Reaktionen auslösen und dadurch tradiert werden. Das Fremdimage ist also die Wahrnehmung Anderer, welche dem Gesamtimage erst seine Bedeutung verleiht.50 Um dieser Wahrnehmung auf die Spur zu kommen, sind die Kabarettrezensionen der Tagespresse in Berlin probate Indizien, denn mit der Expansion des Pressewesens vor allem in der Großstadt Berlin (von insgesamt 3356 deutschen Tageszeitungen erschienen 147 dort) wuchs auch der Beruf des Kritikers zu enormer Bedeutung heran. Kritiker-Texte wurden zur vielgehörten beziehungsweise vielgelesenen, meinungsbildenden Instanz und schufen so einen eigenen Diskurs. Die Vielfalt und die Breite der Presseerzeugnisse, die für die unterschiedlichsten Adressatenkreise bestimmt waren, ermöglichen einen Zugriff auf die unterschiedlichen Meinungen und Wahrnehmungen, die im Berlin der Weimarer Republik zirkulierten. Das Pressewesen in der Weimarer Republik wuchs zum primären Massenmedium (in späteren Jahren der Weimarer Republik trat der Hörfunk hinzu) heran und war damit die zentrale Instanz für die Bildung, Verbreitung und Wiedergabe des Fremdimages. Die Reportagen und Bilder in Illustrierten verteilten, vergleichbar mit den Presseerzeugnissen heute, bereits mehr oder minder kreative
49 Diese Zirkularität von Fremd-, Eigen- und Kollektivimage wird auch in den Ausführungen Lowrys deutlich: „Erst in der Rezeption entsteht die Vorstellung eines Stars, sein spezifisches Image. In diesem Prozeß spielen Faktoren eine Rolle, die nicht direkt im Image als Medienprodukt oder Zeichen enthalten sind. Auf der einen Seite sind das subjektive Faktoren der Rezeption – von den individuellen Situationen und psychischen Verfassungen der Rezipienten bis hin zu sozialpsychologischen Tendenzen oder grundlegenden psychischen Mechanismen wie Identifikation, Projektion oder kognitive Fähigkeiten. Auf der anderen Seite ist die Rezeption durch den kulturellen Kontext mitbestimmt, da die in der Gesellschaft oder einer speziellen Subkultur oder Fangemeinschaft vorhandenen Werte, Ideologien, Diskurse und kulturellen Codes den Horizont des Verstehens und der emotionalen Beteiligung am Starimage bilden [Hervorheb. orig]“ (Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 23). 50 Vgl. dazu auch die Anmerkung Hans-Otto Hügels: „Wenn in der Literatur […] auf der gegenseitigen Abhängigkeit von Medienperson und Star insistiert wird, so wird zu wenig berücksichtigt, dass bei Stars – gerade weil sie Konstrukte sind – die Herstellung von Bedeutung hauptsächlich durch die Rezeption geschieht“ (Hans-Otto Hügel: „‚Weißt Du wieviel Sterne stehen?‘. Zu Begriff, Funktion und Geschichte des Stars“, S. 270).
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Ettiketen für ihre Stars und hatten so Teil an der Imagekonstruktion. Auch die feuilletonistischen Rezensionen und Kritiken brachten die Leistungen und Ereignisse der neusten Aufführungen auf den Punkt und begleiteten die bekanntesten Persönlichkeiten kontinuierlich. Da die Zeitschriften und Zeitungen somit ähnliche beziehungsweise sogar gleiche Funktionen für die Imagekonstruktion hatten wie die heutigen, können Ziele und Methodik von Silke Borgstedts Kommunikatorstudie, in der sie Presseerzeugnisse auswertet, weitestgehend übernommen werden, wohingegen eine Rezeptionsstudie in ihrem Sinne (Befragung des Zielpublikums) durch den Abstand zum untersuchten Zeitraum nicht mehr durchzuführen ist.51 Eine Analyse der Rezensionen, die sich auf Themenkategorien und ihre implizierten Bedeutungswerte konzentriert, gibt sowohl Aufschluss über die Einstellungen und Werte der jeweiligen Verfasser, bietet jedoch auch die Möglichkeit, kollektive Fremdwahrnehmungen zu erfassen, indem in ihrer Summe deutlich wird, wie bestimmte Labels immer wieder genutzt werden. Gleichzeitig dienen die Rezensionen auch als Informationsquelle zu den Aufführungen und den Performances selbst. Da keine Videoaufnahmen und nur wenige Tondokumente und Bilder erhalten geblieben sind, sind sie unverzichtbarer Bestandteil nicht nur der Distributions- und Rezeptionsanalyse, sondern auch der Produktionsanalyse. Das Eigenimage Das Eigenimage dient unter soziologischer und psychologischer Perspektive der Selbstkonstruktion. Es ist das Bild, das eine Person von sich selbst und seiner Position in der Gesellschaft hat.52 Der so von Hillmann grob umrissene Teilbereich des Images lässt sich jedoch um ökonomische Aspekte erweitern, die wiederum Einfluss auf die individuellen künstlerischen Ausdeutungen beispielsweise der Diseuse haben. Unter ökonomischer Perspektive ist das Eigenimage auch das Konzept, das eine Person oder auch ein Unternehmen bewusst entwirft, um sich in der Öffentlichkeit zu positionieren und zu vermarkten (und damit auch auf das Fremdimage Einfluss zu nehmen).53
51 Vgl. Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 149–154. 52 Karl-Heinz Hillmann: „Image“, S. 359. 53 Die eher psychologisch orientierte Argumentation von Lothar Laux, Caroline Spielhagen und Karl-Heinz Renner über die Funktion des Selbstbildnisses zielt in eine ganz ähnliche Richtung, ohne auf einen ökonomischen Aspekt hinauszuwollen: „Selbstdarstellung gilt nämlich einerseits als Form sozialer Beeinflussung; Indem Personen bestimmte Selbstbilder vermitteln, versuchen sie, die Eindrücke und Attributionen zu
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Bereits im Abschnitt „Verkaufsargument durch Stabilität“ (S. 21–23) wurde die Bedeutung von Invarianzen für das Image eines Stars oder eines Produktes erläutert. Diese Symbole der Wiedererkennbarkeit sorgen für Originalität und mit ihr für einen möglichst hohen Marktwert. Daraus lässt sich schließen, dass das (öffentliche) Auftreten mit entsprechenden Requisiten, aber auch Mimik und Gestik, Aussagen und Stimmfärbungen etc. einen bewussten Akt darstellt. Damit solche Persönlichkeitsmerkmale wirken und in Erinnerung bleiben, müssen sie zum einen den Betrachtern und Hörern bereits vertraut sein, ihre Gewohnheiten jedoch um bestimmte Effekte erweitern. Genau in diesem Zusammenhang ist der soziologische Faktor des Eigenimages gerade in seiner Wechselwirkung mit ökonomischen Notwendigkeiten und künstlerischer Performance nicht zu vernachlässigen. Das Eigenimage ist Ergebnis permanenten Aushandelns zwischen der Wahrnehmung eines biografischen Ichs, dessen sozialer Positionierung sowie des Eigenmarketings und der darzustellenden Bühnenfigur. In diesem Zusammenhang ist die Bühnenperformance mit all ihren Elementen als zentraler Teil der öffentlichen Persönlichkeitskonstruktion zu analysieren. Im Zusammenhang mit der Konstruktion eines funktionierenden Eigenimages rückt das Chanson in den Fokus der Untersuchung. Denn nicht nur die Diseuse präsentiert das Chanson. Dieses präsentiert, charakterisiert und typisiert auch seine Vortragende. Dabei ist zu erörtern, durch welche strukturellen, musikalischen und narrativen Mittel Protagonistinnen auf der Bühne durch Text und Musik des Chansons charakterisiert werden und mehr noch, wie sie gerade durch diese Mittel Bedeutungszuschreibungen erfahren. Zentral werden jedoch auch deren Wechselwirkungen mit den spezifischen Bühnenperformances sein. Das Repertoire von Lion wird hinsichtlich typischer Merkmale in Komposition, Text und Ausführung und typischer, immer wiederkehrender Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae zu kategorisieren sein. Wie wird ihr Eigenimage durch die jeweiligen Protagonistinnen geprägt, wie wird es aber auch durch die Interpretation in Form einer Bühnen-Persona variiert, gefestigt und verarbeitet? Im Zusam-
steuern, die ihre Interaktionspartner über sie formen, und die antizipierten Reaktionen anderer zu kontrollieren. Selbstdarstellung hat aber andererseits nicht nur Einfluss darauf, wie Interaktionspartner eine Person sehen und behandeln, sondern auch, wie sich eine Person selbst sieht“ (Lothar Laux, Caroline Spielhagen u. Karl-Heinz Renner: „Persönlichkeitseigenschaften als Selbstdarstellungsprodukte: Vom Ereignis zur Eigenschaft“, in: Erika Fischer-Lichte, Christian Horn, Sandra Umathum u. Matthias Warstat [Hrsg.]: Performativität und Ereignis [= Theatralität 4], Tübingen u. Basel: A. Francke Verlag 2003, S. 244–247, hier S. 245).
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menhang mit der Interpretation eines Text-Musik-Gefüges in einer konkreten Aufführungssituation ist dann auch danach zu fragen, in welchen Kontexten Lion auftrat – wobei sowohl institutionelle Orte als auch unterschiedliche Genres in den Blick genommen werden.
C HANSON -P ROTAGONISTIN UND B ÜHNEN -P ERSONA: DIE FIKTIONALE K ABARETTSITUATION Eigentlich ist es erstaunlich, dass im Zusammenhang des Kabarett-Chansons noch nie von der Imagekonstruktion der Diseusen gesprochen wurde. Denn sowohl das Chanson als auch das Image unterliegen performativen Prozessen und beide sind abhängig von den sie umgebenden Diskursen. Darüber hinaus ist es heute keine unbedingt neue Einsicht mehr, dass der Erfolg von Liedern, Songs, Chansons der Popkultur nicht allein auf deren Text und Musik zurückzuführen ist, sondern es dabei wesentlich um Performances, Inszenierungen und eben eine geschickte Imagekonstruktion geht.54 Auch in der Einleitung dieser Arbeit wurde bereits mithilfe von Yvette Guilbert und Sandra Kreisler formuliert, dass es im Chanson nicht darum gehe, einen Text, sondern ein Sujet darzustellen, weshalb in der Folge eine textimmanente Analyse viel zu eng gefasst wäre, um den Bedeutungen des Chansons auf die Spur zu kommen. Und auch in der Imagekonstruktion spielt jenes Sujet in Form von diskursiv hergestellten, normativen Werten eine Rolle, die Kollektivimages konstruieren und die dann wiederum auch in die Konstruktion des Eigenimages eingespeist werden. Im Fall der Diseusen wird letzteres vor allem in der Chansonperformance hergestellt. Um den so eng beieinander liegenden Bedeutungen des Chansons und der Eigenimagekonstruktion näher zu kommen, soll deshalb an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf eine mögliche Methodik zur Erfassung der performativen Gattung ‚Chanson‘ gerichtet werden. „Erst aus der Summe von Inhalt, Form, Vortragsweise, Rahmen und Funktion der Darbietung ergibt sich jene neue Qualität, die wir als Chanson bezeichnen“,55
54 Man denke dabei beispielsweise an den Wandel des Eurovision Song Contests, originär ein Komponisten- und Songwriterwettbewerb, durch den heute eher solch orginelle Bühnen-Personae wie diejenigen der finnischen Hard Rock- und Heavy Metal-Band Lordi oder wie der österreichischen Dragqueen Conchita Wurst (Tom Neuwirth) populär werden. 55 Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett, S. 303.
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schreibt Walter Rösler zutreffend am Schluss seiner Studie zum deutschen Chanson zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und Sandra Kreisler formuliert aus Sicht der aktiven Diseuse, was das für die konkrete Performance heißt: „Ein Chanson hat drei Säulen: den Text/Inhalt, die Musik und die Präsentation auf der Bühne. Diese drei Säulen verschwimmen allerdings immer wieder ineinander. Eine Pointe zu setzen ist auch von der Musik abhängig, und ebenso von Ihrer Bewegung auf der Bühne. Ein Kostüm unterstützt oder behindert Ihre Textverständlichkeit oder die Darstellung Ihrer Figur. Ja, sogar das Licht trägt zur Interpretation eines Chansons bei, unterstützend oder erschwerend.“56
Während Kreisler hier anschaulich darstellt, welch einen bewussten, durchdachten, künstlerischen und inszenierten Akt die Kreation eines Chansons darstellt, bemerkt Rösler an anderer Stelle seiner Studie, dass es charakteristisch für das Kabarett sei, „daß sich der Darsteller nicht wie im Theater seiner eigenen Persönlichkeit ‚entäußert‘, sondern ‚er selbst‘ bleibt“57. Rösler übersieht dabei, dass in der Chanson-Performance die präsentierende (das heißt eben auch interpretierende) Person, indem sie auf die Kabarett-Bühne geht, sich zwangsläufig als Bühnenfigur konstruiert und ignoriert dabei all die Ausgangsbedingungen für eine Chansonperformance, die er selbst aufzählt. Yvette Guilbert, die erste Diseuse, macht das durchaus ambivalente Verhältnis zwischen dem Chansonnier beziehungsweise der Diseuse, seiner und ihrer Bühnenpräsenz und der Chanson-Figur in einem Puppenspieler-Bild deutlich: Ein gewiegter [sic!] Chansonnier schafft sich für seine drei Minuten ein eigenes Theater, es gibt Expositionen, Verwicklungen, Höhepunkte, alles durch sich selbst, nicht anders als die Puppenspieler der Jahrmärkte, die in einem Kasten stecken, selber deklamieren, über ihrem Kopf die Puppe mit den Händen bewegen und so eine ganze Welt in Bewegung bringen.58
Die Diseuse schafft, um in Guilberts Bild zu bleiben, ein Ein-Personen-Drama, in dem sie gleichzeitig in die Rolle des Regisseurs, der Puppenspielerin und der Puppe schlüpft. In keinem Fall ist sie sie selbst, denn die Diseuse als Puppenspielerin verschwindet in einem Kasten und wird unsichtbar, zu sehen sind allein ihre 56 Sandra Kreisler: Das Chansonbuch, S. 73 57 Ebd., S. 84. 58 Manuskript von Yvette Guilbert aus dem Deutschen Kabarett Archiv Mainz. Zit. nach Reinhard Hippen (Hrsg.): „Sich fügen – heißt lügen“. 80 Jahre deutsches Kabarett, Mainz: Druckhaus Schmidt & Bödige 1981, S. 53.
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Figuren, die durch sie gelenkt werden – und das sind sowohl die fiktionale Protagonistin innerhalb des Chansons als auch die ebenso fiktionale Persona auf der Bühne. Um die Bedeutung eines Chansons erfassen zu können, reicht es damit also nicht aus, allein Text und Musik zu analysieren, erst recht nicht, wenn man den werkimmanenten Fokus auf einen intertextuellen und diskursiven Ansatz erweitert. Die Aussage des Chansons wird erst durch die Interpretation und die Deutung der Diseuse generiert. Entsprechend schreibt Guilbert an anderer Stelle, dass „nicht der Autor, sondern der Sänger der wirkliche Schöpfer eines Chansons“59 sei. Im Zentrum der Chansonanalyse muss zwangsläufig der Vortrag, also die Performance des Vortragenden beziehungsweise der Diseuse stehen. Ähnlich wie Guilbert macht auch die heutige Diseuse Sandra Kreisler deutlich, wie wichtig die Beherrschung einer bestimmten Personenstruktur auf der Bühne ist. In ihrem Handbuch für angehende Diseusen und eine gute Chansoninterpretation betont sie an verschiedenen Stellen, wie wichtig es sei, sich sowohl von der Person, um die es in dem Chanson gehe, ein Bild zu machen, sich aber außerdem auch der präsentierenden Person auf der Bühne bewusst zu sein. Wer präsentiert dort wie wen? So sei das „Erste, was man sich einfallen lassen muss, […] die Figur. Natürlich gibt es jede Menge Chansons – zum Beispiel politische Lieder oder Liebeslieder –, bei denen Sie sich denken werden: Da gibt es doch keine Figur! Das Chanson singe ich und basta. Stimmt. Dieses Lied singen Sie. Aber auch Sie sind eine Figur. Und vor allem: Auch Sie können verschiedene Figuren sein, denn jeder Mensch hat viele Facetten. […] Also ist es hilfreich, wenn Sie auch bei solchen Chansons einen Gedanken daran verschwenden, wer Sie jetzt konkret sind, wo Sie sind und warum Sie sagen, was Sie in dem Lied zu sagen haben. […] Natürlich können Sie auch entscheiden, dass Sie als Interpret die im Chanson erzählte Figur quasi dem Publikum vorstellen. Aber auch das bedingt, dass Sie sich vorher Gedanken machen: Wer bin ich, wo bin ich, warum bin ich hier? Glauben Sie mir, wenn Sie diesen Schritt bewusst setzen, gewinnt das Chanson – und damit Sie – an Ausstrahlung, es wird konkreter und schlüssiger [Hervorheb.orig.].“60
Diesen hier angesprochenen Persönlichkeitsebenen zwischen Chansoninhalt und dessen Präsentation widmet sich auch Philip Auslander in seinen Überlegungen
59 Yvette Guilbert: Die Kunst, ein Chanson zu singen, S. 77. 60 Sandra Kreisler: Das Chansonbuch, S. 27.
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zu Performance-Analysen von populärer Musik, beispielsweise in seiner Studie zur Liveness.61 Seiner Meinung nach ist die Instanz der „performance persona (the performer’s self-presentation)“62 der Schlüssel für das Verständnis einer Pop-Performance. Diese grenzt er in Anlehnung an Simon Frith vom Begriff der „real person (the performer as human being)“ und dem Begriff „the character (a figure portrayed in a song text)“ ab.63 Diese einzelnen Termini beschreiben letztlich nichts anderes als das, was Guilbert mit ihrem Puppenspieler-Bild verdeutlicht hat und geben der Forderung von Kreisler eine Reflexionsebene. Die PerformancePersona steht zwischen der Puppe und der Puppenspielerin oder in den Worten von Auslander: „I find the term persona useful as a way of describing a performed presence that is neither a fictional character nor equivalent to the performer’s ,real‘ identity.“64 In den folgenden Analysen möchte ich Auslanders Begriffe des ‚character‘ als ‚Chanson-Protagonistin‘ und ‚persona‘ als ‚Bühnen-Persona‘ weiterführen. Auf den dritten Begriff ‚performer‘ verzichte ich hingegen. Mit der Prämisse dieser Arbeit, dass allein das Image das ist, was greifbar und analysierbar ist, kann kein Konzept der „‚real‘ identity“ einhergehen, und sei der Begriff noch so deutlich in Anführungszeichen gesetzt. Das, was nach Auslander und Frith als Performer hinter den fiktionalen Ebenen der Chanson-Protagonistin und der Bühnen-Persona steht, entpuppt sich letztlich selbst als Konstrukt, das von Erwartungen und sozialen Rollen bestimmt ist. Der Performer ist ebenso ein Vorstellungsbild wie die anderen beiden Instanzen, zumal aus der historischen Perspektive dessen Analyse nicht nur durch die zeitgenössischen Wahrnehmungen, sondern auch durch die eigene situative und persönliche Perspektive der Forschenden bestimmt ist. Der Performer bleibt eine theoretische Konstruktion, die für die Analyse keinen Wert hat.65
61 Vgl. Philip Auslander: Liveness. Performance in a mediatized culture, London u. New York: Routledge 1999 u. Ders.: Performing glam rock. Gender and theatricality in popular music, Ann Arbor, Mich.: University of Michigan Press 2006. 62 Philip Auslander: Performing glam rock, S. 4. 63 Ebd. Vgl. zum Gebrauch dieser Begriffe auch Allan Moore: „Adressing the Persona“, in: Dietrich Helms u. Thomas Phleps (Hrsg.): Black Box Pop. Analysen populärer Musik (= Beiträge zur Popularmusikforschung 38), Bielefeld: transcript 2012, S. 125–134. 64 Philip Auslander: Performing glam rock, S. 4, die 3. Fußnote. 65 Vgl. dazu in die gleiche Richtung zielend Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 16: „Es gibt verschiedene Versuche, das Zeichenagglomerat, das ein Star darstellt, zu zerlegen und seine Facetten zu benennen […]. Obwohl die Einteilung und die Terminologie sehr unterschiedlich sind, werden im Prinzip zwischen realer Person und Starimage
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Eine weitere Einschränkung beziehungsweise Weiterentwicklung ist vorzunehmen, weshalb ich die alternativen Begriffe Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona für den Bedeutungskontext der Diseusen wähle. Auslander bezieht seine Begriffe auf Pop-Performances des 21. Jahrhunderts und verwendet den Begriff ‚character‘ beziehungsweise ‚protagonist‘ nicht nur für das lyrische Ich eines Song-Textes, sondern auch für die Darstellung einer fiktionalen Figur auf der Bühne (er nennt als Beispiel Ziggy Stardust bei David Bowie). Eine solche Figurendarstellung, wie sie beispielsweise auch schon in der Tradition der Music-Hall zu finden ist, grenzt Auslander von der ‚persona‘ ab, die eine Authentizität des Stars selbst vorgebe (Katy Perry stellt auf der Bühne beispielsweise Katy Perry dar). Ich hingegen nutze den Begriff ‚Chanson-Protagonist‘ allein in Bezug auf den fiktionalen Chanson-Text. Daraus folgt, dass ich nicht wie Auslander den Begriff ‚persona‘ allein für die Selbstdarstellung des Stars auf der Bühne nutze, sondern als Mischform, in der sowohl das über das Chanson hinausreichende Starimage auf der Bühne performiert wird, als auch Züge des spezifischen Chanson-Protagonisten oder der Chanson-Protagonistin für die Performance adaptiert werden. Damit knüpfe ich an die Definition des Begriffs ‚Star‘ von Hans-Otto Hügel an, der zufolge es für Stars konstitutiv sei, „dass ihr Werk und ihr Image zusammen rezipiert werden“. Ihr Image sei, so heißt es weiter, „integraler Bestandteil des Werkes, wie umgekehrt das Werk nicht ohne das Image wahrgenommen werden kann“.66 Eine Begriffsverschiebung in diese Richtung behält das wesentliche Kriterium bei, dass der Gegenstand von Analysen popkultureller Live-Musik immer
und innerhalb des Images zwischen Filmrollen oder Leinwandimage und dem Privatimage unterschieden. Was dabei mit ‚realer‘ Person gemeint ist, bleibt oft unklar. Der Star, mit dem die Zuschauer und Fans interagieren, ist immer ein Konstrukt, das auf den in den Medien verbreiteten Informationen und Zeichen aufbaut. Insofern kann man bei der Untersuchung von Stars Fragen nach der wirklichen Person vernachlässigen bzw. das Konstrukt ‚wirkliche Person‘ als Teil der Imagebildung betrachten.“ 66 Hans-Otto Hügel: „‚Weißt Du wieviel Sterne stehen?‘. Zu Begriff, Funktion und Geschichte des Stars“, S. 266. Ich ziehe Hügels Definition des Stars als Referenz zur Bühnen-Persona der Definition Benedikt Vogels der „Darstellerfigur“ vor. Zwar nennt Vogel als wesentliches Charakteristikum des Kabarettisten jene „Darstellerfigur“, die zwischen dem Bühnendarsteller und der fiktiven Figur, der Rahmenfigur, des Chansons stehe und scheint damit in die gleiche Richtung wie der Begriff Bühnen-Persona zu zielen. Doch nennt er als wesentliches Merkmal das Fehlen eines Eigennamens bzw. „die Identität der Eigennamen von Bühnensprecher und Bühnendarsteller“. Und er führt weiter aus, dass die Darstellerfigur nichtsdestotrotz nicht identisch mit dem wirklichen
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konstruierte Performances sind, wird aber zugleich der hybriden Rollengestaltung durch die Diseuse gerecht, die nicht als Darstellung einer fiktiven Figur verstanden werden kann. Die Diseuse stellt, um auch auf Röslers Aussage zurückzukommen, einen Mischtyp zwischen den Polen der Rollendarstellung und der Selbstinszenierung dar. Ein ‚Entweder-Oder‘ von dargestellter Chanson-Protagonistin oder performierter Selbstinszenierung im Sinne von Auslanders Modell gelingt nicht. Die Diseuse bleibt nicht sie selbst, sondern schlüpft in die Rolle einer Bühnen-Persona, die gleichermaßen von der Chanson-Protagonistin wie von ihrem spezifischen Image geprägt ist. Ihre öffentlich wahrgenommene Persönlichkeit wird zum Teil einer Gesamtinszenierung, die sich aus der Protagonistin des Chansons, der Bühnenpräsenz der Interpretin und den an sie herangetragenen Vorstellungen sowie dem persönlichen Wissen des Publikums über ihre konstruierte Privat-Persona speist – „Die Starfigur entsteht in einem synthetischen Vorgang, indem die Wahrnehmung Image und Werk miteinander verschmelzen lässt.“67 Simon Frith führt mit Rückgriff auf Ginette Vincendeau, um ein Beispiel zu nennen, die Faszination für Edith Piaf im Besonderen und Chanson-Sängerinnen im Allgemeinen auf die Synthese von erwarteter und erfüllter Authentizität und fiktionalem Rollenspiel zurück: „As Ginette Vincendeau argues, the chanteuses also took a part within their narratives: on the one hand, the imagery of the songs (which had an obvious cinematic source in terms of both character and setting) determined how they were performed – the singer lit and staged as if she too were on screen; on the other hand, the singers were taken to live the same lives as their characters, with the same melodramas, the same oppressions, the same romance, the same sadness. Edith Piaf’s stories were authenticated by her own story; and her story was as much shaped by her songs as were those of her lyrical protagonist. People flocked to her shows not just to hear good tales well told, but also for the spectacle of narrative-in-action, for the sight of someone hanging onto life, pummeling and defying it, by putting it into
Ich des Bühnendarstellers sein muss. Vogel operiert also nicht mit dem Begriff Image, sondern zieht als Referenz für die Darstellerfigur das reale, biographische Ich des Bühnendarstellers heran (Benedikt Vogel: Fiktionskulisse, S. 84). Hügels Star-Definition versucht hingegen erst gar nicht hinter das Image zu schauen und entspricht damit eher der hier vorgelegten Herangehensweise. 67 Ebd.
60 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK words. And this pleasure was, from the beginning, imbued with nostalgia [Hervorheb. orig.].“68
Frith stellt weiter die These auf, dass die Synthese von character beziehungsweise der Chanson-Protagonistin und Persona eine spezifisch französische Tradition sei, wohingegen die britische Tradition, wie in der Music Hall, in ihren Songs auf eine klare Trennung zwischen fiktionalem Charakter und präsentierender künstlerischer Bühnenpersona setze und in der deutschen Tradition die Persona eine kritisch-kommentierende Rolle zum character einnehme.69 Dass jedoch auch eine Trennung zwischen der französischen Tradition der Synthese und der deutschen Tradition der kritischen Kommentierung nicht so einfach zu vollziehen ist, sondern beide im Gegenteil in einem Spannungsverhältnis zu einander stehen können, ist exemplarisch an Lion zu zeigen. Ihr Image basiert gerade auf einer permanenten Mischung von Identifikation mit ihren ChansonProtagonistinnen und gleichzeitiger Distanzierung mit Mitteln der Parodie.70 Bei Ebinger wird hingegen zu beobachten sein, wie sehr ihre soziale Anklage direkt aus dem Mund des armen Mädchens zu entspringen scheint, wie sehr Ebinger als Schauspielerin und Diseuse in dieser Rolle aufgeht. Ein letzter, aber nicht weniger relevanter Punkt ist in die Performance-Analyse der Chansons unbedingt mit einzubeziehen, was gerade an den Beispielen Lion und Ebinger deutlich wird: die Präsenz und die Mittel des Körpers. Lions und Ebingers Performances können mit ihren noch näher zu beschreibenden Charakteristika des Hässlichen, des Kreatürlichen und vor allem des Grotesken in einen Diskurs eingeordnet werden, der sich vor allem auch im modernen Ausdruckstanz manifestiert hat. Im Unterschied zu den Choruslines der Revue-Girls wurden die Ausdruckstänzerinnen nicht der Industrialisierung und der Taylorisierung zuge-
68 Simon Frith: Performing Rites. Evaluating Popular Music, Oxford: Oxford University Press 1996, S. 170. Frith bezieht sich hier auf: Ginette Vincendeau: „The Mise-en-scène of Suffering. French Chanteuses Réalistes“, in: New Formations, Nr. 3 (1987), S. 107– 128. 69 Vgl. Simon Frith: Performing Rites, S. 171. 70 Vgl. dazu allg. das Kapitel „Die parodistische Funktion der Musik: Bruch mit einer heteronormativen Weiblichkeit“ und insbesondere die Chanson-Analysen von „Die Linie der Mode“ und „Die Braut“.
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ordnet, sondern aus kulturpessimistischer Sicht deren Gegenpol, dem „zivilisations- und technikfeindlichen Naturbegriff […]“71. Die Schnittmenge von modernem Ausdruckstanz und Performance der Diseusen besteht in ihrem bewussten Einsatz des Körpers als Ausdrucksmittel. So wie das Tanzsubjekt im neuen Diskurs um den Körper „nicht mehr nur als eine Kunstfigur inszeniert, sondern zugleich als Kunstfigur und Persönlichkeit in Szene gesetzt“72 wurde, so wurde auch für die Diseusen ihr Körper zum zentralen Ausdrucksmittel neben ihrer Sprache. Jedoch ist der Körper hier nicht nur symbolisch beziehungsweise semiotisch zu verstehen, indem er Bedeutungen ausdrückt, die anderswo gegeben sind und sie lediglich vermittelt. Ganz im Sinne der mimetischen Identifikation schließe ich mich vielmehr dem Konzept der Verkörperung an wie er in Fischer-Lichtes Programm zur Theatralität entwickelt wurde: „Unter Verkörperung wird […] nicht verstanden, einem ‚Geistigen‘ – einer Idee, einer Vorstellung, einer Bedeutung oder auch einem körperlosen Geist – vorübergehend einen Körper zu ‚leihen‘, durch den es sich artikulieren, durch den es wahrnehmbar in Erscheinung treten kann. Vielmehr meint der Begriff der Verkörperung diejenigen körperlichen Prozesse, mit denen der phänomenale Leib sich immer wieder selbst als einen je besonderen hervorbringt und damit zugleich spezifische Bedeutungen erzeugt [Hervorheb. orig.].“73
Die von Fischer-Lichte formulierte ungeheure Herausforderung für die Kulturwissenschaft, die durch den Begriff der Verkörperung ausgelöst werden könne, „die vor allem sozialwissenschaftliche Forschungen zur Identität und zur sozialen Rolle fruchtbar machen [kann], sowie theater- und literaturwissenschaftliche Forschungen zur dramatischen/theatralen Figur“74, findet in der kulturwissenschaftlichen Imageanalyse einen Lösungsansatz. Denn hier fließen neben Ergebnissen der Marketingforschung eben jene Aspekte der Identitätsforschung, der Theatralität, der Konstruktion von Bühnenfiguren sowie deren Einbettungen in zeitgenössische Diskurse zusammen.
71 Gabriele Klein: „Die Aura des Ereignisses. Körperkonzepte im Tanz der Moderne“, in: Sabine Meine u. Katharina Hottmann (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen: Edition Argus 2005, S. 136–147, hier S. 139. 72 Ebd. 73 Erika Fischer-Lichte: „Theatralität als kulturelles Modell“, S. 20. 74 Ebd., S. 21.
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E IN ZIRKULÄRER P ROZESS : AUFBAU DER I MAGEANALYSE UND F UNKTION DER EINZELNEN ABSCHNITTE Die vielen Publikationen zum Starimage aus den unterschiedlichen Disziplinen mit ihren vielen Systematisierungsversuchen, die zwar viele Schnittmengen aufweisen und dennoch zu kaum verallgemeinerbaren Ergebnissen führen, veranlassen Stephen Lowry zu folgender Aussage: „Um die Bestandteile eines Images in ihrer Konkretheit, in ihrer Einbindung in die historischen, diskursiven und kulturellen Kontexte und im Zusammenhang mit ihren möglicherweise unterschiedlichen Bedeutungen für verschiedene Publika zu erfassen, muß die Analyse des Starimages eine relativ offene hermeneutische Prozedur bleiben.“75
So ist auch ein individuelles methodisches Vorgehen für die Analyse von Diseusenimages zu entwerfen, in dem all die vorausgegangenen Anmerkungen ihren Niederschlag finden, in das an konkreter Stelle aber auch weitere Bezüge einzuflechten sind. Denn der Imagekern, der „auf die Bedeutung permanenter Repetition der wesentlichen inhaltlichen Aspekte eines Images“ 76 hinweist, ist in einer Schnittmenge von Invarianzen zu suchen. Diese werden sowohl innerhalb einer Performance hergestellt als auch in Rezensionen, Karikaturen und Fotos, die den Diseusen charakterisierende Labels zuschreiben. „Das Image eines Musikers repräsentiert die Gesamtheit der Vorstellungs- und Bewertungsinhalte, die als spezifisches Arrangement von Wertemustern, Persönlichkeitseigenschaften und emotionalen Anmutungen mit einem bestimmten Musiker verknüpft sind. Ein Image besitzt hinsichtlich seiner Grundstruktur stereotypen Charakter im Sinne einer schematisierten Vorstellung bzw. eines vereinfachten, unveränderlichen Bildes einer Person. Gleichzeitig ist es aber ein dynamisch organisiertes, hierarchisches System, das als Effekt kumulativer Botschaften entsteht und sich durch neue Information verändern kann.“77
Silke Borgstedt beschreibt hier den Imagekern eines Starmusikers, wie er durch distributierte und rezipierte Bilder entsteht. Da ein solch definierter Imagekern auf mehreren Ebenen entstehe, spricht Borgstedt vom Image als kommunikatives Konstrukt. Dabei teilt sie nicht strikt zwischen der Produzenten- und der Rezipientenseite, sondern verortet die Imagekonstruktion in einem Kontinuum, das aus
75 Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 19. 76 Ebd., S. 138. 77 Ebd., S. 135.
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jenen primären Texten (in der heutigen Populärkultur sind dies zum Beispiel CDs, MP3s, Bilder, audiovisuelle Darstellungen, Live-Konzerte), sekundären Texten (Zeitungs- und Zeitschriftenartikel oder sonstige Arten der Publicity) und tertiären Texten (Wissensbestände und Meinungen der Rezipienten) bestehe.78 Die getrennte Analyse von Produkten der Produzenten und Produzentinnen, deren Rezeption und der medialen Vermittlung wäre damit ein theoretischer Eingriff, der dem zirkulären Prozess der Imagekonstruktion nicht entspräche.79 Aus der historiographischen Perspektive heraus stehen primäre Texte (Dokumentationen von Liveauftritten, Chansonaufnahmen, Karikaturen, Fotos etc.) und sekundäre Texte (Rezensionen zu den einzelnen Performances) im Zentrum der Betrachtung, um der Imagekonstruktion Lions und Ebingers auf die Spur zu kommen. Deren Image sowie die all der anderen Diseusen haben sich in der Weimarer Republik hauptsächlich durch ihre Performances und deren direkte Rezeption, also durch das Live-Erlebnis konstituiert. Zwar gab es bereits mediale Strukturen, die ihr Image auch außerhalb des Bühnenraums vermitteln und prägen konnten, doch spielten diese eher eine begleitende Rolle und nicht, wie heute, die entscheidende. So wurden zwar Schlager aus Kabarettrevuen, in denen die Diseusen mitwirkten, auf Schallplatte und als Notendrucke veröffentlicht, es wurden Autogrammkarten in Umlauf gebracht, Interviews, Fotos, Chansontexte etc. wurden in den Illustrierten publiziert. Prägend blieb jedoch der Bühnenauftritt, der unter anderem mithilfe von Rezensionen an ein breites Publikum weiter gegeben wurde. Letztere Sekundärtexte sind jedoch, wie auch Borgstedt beschreibt,80 nicht nur Ausdruck der Rezeptionsseite, sondern auch der Produktions- und Distributionsseite. Die einzelnen Teilwege, die zum gesamten Netzwerk des Images führen, überkreuzen sich also, laufen parallel, vereinigen sich zu einem gemeinsam Weg und führen wieder auseinander. Auch das Konzept der mimetischen Identifikation, das
78 Vgl. ebd., S. 136. 79 Die Verschränkung von Fremd- und Kollektivimage ist bereits allein auf Rezipientenseite zu beobachten, so konstatiert Hans-Otto Hügel: „Einen Prozesscharakter hat die Rezeption von Starfiguren nicht zuletzt, weil Stars stets zwei Funktionen erfüllen: Erstens wird der Star als hochverdichtetes Zeichen zum Symbol seiner Zeit beziehungsweise eines gesellschaftlichen Diskurses, zweitens wird er als Idol zum Orientierungsbild für den Einzelnen. Stars werden daher sowohl kollektiv als auch individuell rezipiert, das heißt die Rezipienten verstehen sich ebenso als Mitglieder eines bestimmten kulturellen Kollektivs wie als selbstständige Individuen“ (Hans-Otto Hügel: „‚Weißt Du wieviel Sterne stehen?‘ Zu Begriff, Funktion und Geschichte des Stars“, S. 280). 80 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 136.
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den Begriff des Kontinuums differenziert, zeigt, dass eine Trennung von Kollektiv-, Eigen- und Fremdimage in separate Kapitel eines linearen Textes nicht zielführend sein kann. Die bisher getroffenen Vorannahmen werden daher in die folgenden Imageanalysen punktuell eingewoben. Ausgehend von den Revuen und Chansons, in denen Lion beteiligt war, lassen sich verschiedene Verbindungsfäden zu medialen Prozessen, bildlichen Festschreibungen, diskursiven Weiblichkeitsvorstellungen oder zu ästhetischen Vorbildern ziehen, die jeweils Einfluss auf die einzelnen Ebenen ihres Images nahmen. Da im Sinne von Lowry für jede einzelne Diseuse ein eigenes Forschungsdesign erstellt werden müsste, erscheint es zunächst sinnvoll, einen genauen Einblick in eine konkrete Imagekonstruktion zu geben. Es soll untersucht werden, inwiefern Lions Image ihre Karriere begleitete, aus ihr hervorgegangen ist und diese bestimmt hat. Ein Überblick über ihr Rollenprofil zeigt die diachrone Kontinuität ihres Images auf, während die Analysen ihres Chansons „Die Linie der Mode“ und ihr kulturelles Handeln in der Revue Es liegt in der Luft zeigen, wie eine synchrone Kontinuität dieses Images geschaffen wurde. Da das Chanson „Die Linie der Mode“ in den Erinnerungen an Lion eine solch erhebliche Rolle für ihre Imagekonstruktion spielt, wird dessen Bedeutung durch eine Musik- und Textanalyse ebenso wie durch einen Blick auf die Entwicklung der Diseusentradition untersucht. Um die Performance dieses und weiterer Chansons adäquat hinsichtlich ihrer Wirkung beschreiben zu können, werde ich dabei auf die eingeführten Begriffe der ‚Bühnen-Persona‘ und der ‚Chanson-Persona‘ zurückgreifen. Es liegt die glückliche Situation vor, dass die Revue Es liegt in der Luft so erfolgreich war, dass sie auf Gastspiel ging. Glücklich ist diese Situation nicht nur deshalb, weil Lion hier eine notwendige Basis fand, um ihr Image massenwirksam zu vermarkten, sondern auch aus analytischer Perspektive. Auf der Tournee übernahm nämlich eine andere Diseuse – die mindestens ebenso bekannte und erfolgreiche Blandine Ebinger – Lions Rollen, und so lässt sich zum einen zeigen, wie wichtig ein Image auch für die Bedeutungszuschreibung und Wahrnehmung von musikalischen Werken ist. Zum anderen ermöglicht ein Vergleich, die Individualität jener Diseusenimages aufzuzeigen. Nach einer Einführung in Ebingers Image des armen Mädchens, wie sie es mit den Chansons von Friedrich Hollaender geschaffen hat, soll daher gezeigt werden, wie dieses Image die Rezeption der Revue Es liegt in der Luft, aber auch ihre eigene Imagekonstruktion beeinflusste. Indem ich in der vorliegenden Arbeit also nicht nur Lions Image analysiere, sondern vergleichend auch das der Diseuse Ebinger heranziehe, lässt sich zeigen, dass die Imagekonstruktion keine bloß passive Reproduktion normierter beziehungsweise modebedingter Weiblichkeitstypen wie dem der Neuen Frau ist, sondern individualisiert aus dem Prozess der mimetischen Identifikation hervorgeht. Welch
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große Rolle dabei die Musik und die Bühnen-Performances spielen, zeigen die stilistischen Eigenarten von Ebingers Liedern eines armen Mädchens in Kontrast zu denjenigen Lions. In einem Postscriptum lässt sich schließlich zeigen, wie stark die Aura dieser Images ist, wie sie sich auch nach der Zeit der Weimarer Republik trotz abrupter Unterbrechung durch das Naziregime fortgesetzt und sich so einmal mehr in der Kabarettgeschichtsschreibung und damit auch im kulturellen Gedächtnis verankert haben. Die bis heute überlieferten Images hinsichtlich ihres Zustandekommens und ihrer Einzelteile zu untersuchen, ermöglicht den Zugriff sowohl auf die künstlerische Praxis einzelner Diseusen, ihre zeitgenössische Wirkung und Bedeutung, aber auch auf ihre Positionierung im kulturellen System der Weimarer Republik mit ihren Wechselwirkungen im Weiblichkeitsdiskurs.
Margo Lions Image der grotesken Neuen Frau: Ein diachroner Überblick
Margo Lion verschmolz mit ihrem Auftritt „Die Linie der Mode“ in der Wilden Bühne 1923 den Weiblichkeitstyp der Neuen Frau und das Kollektivimage der Diseuse zu ihrer eigenen grotesk gebrochenen Version. Einhergehend mit dem Erfolg dieses Auftritts wurde in der Öffentlichkeit aus dem Konglomerat der Chanson-Protagonistin und Lions Bühnen-Persona unmittelbar Lions Gesamtimage entworfen. Ihre sich anschließenden Chansonperformances in Kabaretts und Kabarettrevuen vertieften und etablierten dieses, indem Lion mit ihrem Repertoire immer wieder auf verschiedene Aspekte des diskursiven Umfelds der Neuen Frau zurückgriff. So lassen sich die Bühnen-Personae und Chanson-Protagonistinnen Lions immer deutlicher im Modernitäts- und Urbanitätsdiskurs zu Beginn des 20. Jahrhunderts verorten. Leider ist eine genaue Dokumentation von Lions Karriere bisher noch nicht erfolgt und lässt sich auch nur schwer rekonstruieren. Auswertbares Material stellt zum einen eine von ihr angefertigte Liste ihrer Engagements in der Akademie der Künste dar.1 Zum anderen lassen sich auf Grund von Ankündigungen und Rezensionen in den Tageszeitungen Berlins Rückschlüsse auf ihre Bühnenpremieren ziehen. Zudem sind in der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv Mainz e. V. und der Akademie der Künste Berlin einige Szenenfotos und Bühnenmanuskripte von Kabarettrevuen sowie wenige lose Programmzettel von Kabaretts erhalten, die jedoch nicht immer genau beziehungsweise oft auch gar nicht datiert sind. In der folgenden Tabelle sind Lions Premieren-Auftritte mit Chansons erfasst, wie sie sich aus solchen Dokumenten rekonstruieren ließen. Da dies der erste Versuch ist, ihr Wirken in der Kabarettkultur der Weimarer Republik quellenbasiert zu erfassen, hat die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll eher dazu
1
AdK S/L, Sig. 724.
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anregen, ergänzt und erweitert zu werden. Auf Grund des Forschungsschwerpunktes dieser Arbeit wurden Lions schauspielerischen Tätigkeiten in Theaterstücken2 und später im Tonfilm3 nicht aufgeführt. Es fällt zudem auf, dass Lion in ihre eigene Liste von Engagements mit Ausnahme ihrer Rollen in einem russischen Stück und in George Bernhard Shaws Der Kaiser von Amerika selbst ausschließlich ihre Tätigkeiten als Diseuse bis zum Tod ihres Ehemanns und Chansontexters Marcellus Schiffer 1932 aufnimmt. Eine solche Auswahl könnte bereits auf ihr Selbstverständnis als Diseuse hinweisen. Tabelle 1: Margo Lions Auftritte in Kabaretts Kabarett Comedia Valetti – Die Rampe (Berlin)
Datum Mai und Nov. 1923; Jan., 16. Feb., März, 23. Sept.; (21. Dez.) 1924
Programmtitel / Repertoire „Die Linie der Mode“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Mischa Spoliansky) „Die Perverse“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Allan Gray) „Therese“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Allan Gray)
Die Wilde Bühne (Berlin)
2
Sept. und Okt. 1923
„Die Linie der Mode“
Vgl. hier bspw. ihr Mitwirken in Baal (Bertolt Brecht, Premiere am 14.02.1926 im Deutschen Theater) Das Mandat (Nicolaj Erdmann, dt. von Erich Böhne, Premiere am 18.05.1927 im Renaissance-Theater Berlin), Der Kaiser von Amerika (Georg Bernhard Shaw, Premiere am 19.10.1929 im Deutschen Theater Berlin), Roulette (Ladislaus Fodore, Premiere im Januar 1932 im deutschen Künstlertheater Berlin).
3
Vgl. hier vor allem ihre Rolle in der französischen Verfilmung der Dreigroschenoper (Georg Wilhelm Pabst u. Albert Préjean, 1931), wo sie die Polly spielte; außerdem bspw. Rollen in Die Koffer des Herrn O. F. (Alexis Granowsky, 1931), Nie wieder Liebe (Anatole Litvak, 1931), Die große Attraktion (Max Reichmann, 1931), Das Lied einer Nacht (Anatole Litvak, 1932), Und wer küsst mich? (E. W. Emo [Emerich Josef Wojtek], 1933), zudem weitere französische Filme ab 1945.
M ARGO L IONS I MAGE DER
GROTESKEN
N EUEN FRAU : E IN
Kabarett Unbekannt (Gesamtregie: Ludwig Roth; Literarischer Mitarbeiter: Leo Freund; Musikalischer Mitarbeiter: Stefan Meisel; Bühnenbild: Traugott Müller; Am Flügel: Stefan Meisel)
Datum Jan. 1924
Tü-Tü (Berlin)
29. März und Mai 1924
DIACHRONER
Ü BERBLICK
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Programmtitel / Repertoire „Madame X“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Allan Gray) „Das Gebet einer Jungfrau“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Friedrich Hollaender) „Die Perverse“ Chansons scandaleuse: „Die Schlange“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Allan Gray) „Das Luxushündchen“ (T.: Marcellus Schiffer, M.: Allan Gray) „Die Perverse“
Karussell (Berlin)
2. Aug. 1924 und Sept. 1924
„Strassenlied“ (T.: Marcellus Schiffer; M.: Allan Gray) „Die Perverse“ „Das Luxushündchen“
Schall und Rauch (Berlin)
5./6. Sept. 1924; 10./11. /12. Okt. 1924
Die Frau in der Karikatur: „Die Mondsüchtige“ (T.: Marcellus Schiffer; M.: Allan Gray) „Die Perverse“
Paul Schneider-Dunckers Der Roland von Berlin (Admiralspalast, Berlin)
7./9. u. 22. Jan. 1925
Margo Lion in ihrem Repertoire Programm gemeinsam mit Trude Hesterberg
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Kabarett Bonbonnière (München)
Datum April u. Okt. 1925
Programmtitel / Repertoire Das Weib aus der vierten Dimension Mitwirkende in der Situation „Wieso – Warum?“
Mascotte (Zürich)
7. Mai 1925
/ (namentliche Erwähnung)
Größenwahn im Kurfürstendamm-Theater (Berlin) Paul Schneider-Dunckers Der Roland von Berlin (Admiralspalast, Berlin) Paul Schneider-Dunckers Rakete Central Theater – Künstlerspiele (Dresden) Charlott-Casino (Berlin)
Aug./Sep. 1925
„Die heilige Johanna“ (Sketch von Marcellus Schiffer, gem. mit Max Behrendt) „Die heilige Johanna“ / „Die Jungfrau von Orléans“
Dez. 1925
Jan. 1926
/ (namentliche Erwähnung)
1.–3. März 1926
Die Mode in der Karikatur
Aug. 1926 und 1928
Die bekannte und beliebte Parodistin
Alfred Flechtheims und Herr von Weddekopps Kabarettnachmittage (Berlin)
ab 12. Dez. 1926
Kabarett der Komiker (Berlin)
Juni 1931
Französisches Chanson „Die Pompadour“ („Mir ist so mies vor mir“) (T.: Marcellus Schiffer; M.: Friedrich Hollaender) Verrückte Lieder einer mondänen Frau (T.: Marcellus Schiffer, M.: Mischa Spoliansky) „Der Vamp“ (T.: Marcellus Schiffer; M.: Mischa Spoliansky)
M ARGO L IONS I MAGE DER
GROTESKEN
N EUEN FRAU : E IN
DIACHRONER
Ü BERBLICK
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Kabarett
Datum
Programmtitel / Repertoire
Größenwahn (unter der Leitung von R. Hanns Schindler, Berlin)
Ohne Datum
Chansons
Boulevard-Theater Der krumme Spiegel (im Tauentzien-Palast, Direktion Otto Stransky, Szöke Szakall, Berlin) Gastspiel des Größenwahns; Künstlerspiele Danziger Hof (Danzig) Roland des Westens, vormals Rakete (Direktion: Paul Schneider-Duncker, Berlin)
Ohne Datum
/ (namentliche Erwähnung)
Ohne Datum
Die Rolle der Mizzi, in: „Die A-B-C-Schützen!“
Ohne Datum
/ (namentliche Erwähnung)
Die Rolle „Yvonne“ im Schwank „Ja, die Liebe…!“ (L. Gérard)
In den Publikationen zur Kabarettkultur und -geschichte wird auf diese hier mit Sicherheit noch unvollständige Zahl von Lions Engagements nicht eingegangen. Erwähnung finden ausschließlich ihr Auftritt im Kabarett Die Wilden Bühne mit dem Chanson „Die Linie der Mode“ sowie ihr Duett mit Marlene Dietrich „Wenn die beste Freundin“ in der Kabarettrevue Es liegt in der Luft.4 Dass sich Lions Image der grotesken Neuen Frau durchgesetzt hat, machen allein schon die Chanson- und Programmtitel, wie sie in der Tabelle aufgelistet sind, deutlich. Nachdem ihr Auftritt mit „Die Linie der Mode“ ein einschlagender Erfolg war, folgten weitere: in der Rampe, im Tü-Tü, dem Karussell, dem Schall und Rauch, dem Roland von Berlin und anderen der zahlreichen Berliner Kabaretts der Zeit. Dort behielt Lion ihren Stil als groteske Parodie der Neuen Frau in Chansons (z. B. „Die Perverse“ oder „Die Mondsüchtige“) und Programmen (z. B. „Die Frau in der Karikatur“, „Das Weib aus der vierten Dimension“ oder 4
Es sei an dieser Stelle nur kurz zu bedenken gegeben, dass bei einer solchen Geschichtsschreibung deren Konstruktionsmechanismen ganz offensichtlich werden. Denn 1928 war Margo Lion Star der Kabarettrevue und nachweislich Vorbild für Marlene Dietrich, die eher als Statistin der Revue zu beschreiben ist, und die Szene der Sisters war nicht die Hauptattraktion. Erst in Folge der Legendenkonstruktion um Marlene Dietrich bekam das Duett „Wenn die beste Freundin“ die Bedeutung einer beliebten Anekdote in der Biographie von Marlene Dietrich und wurde so zum meist tradierten Chanson aus der Revue.
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„Die Mode in der Karikatur“) bei. In der Imagekonstruktion Lions bilden diese Auftritte in ihrer Gesamtheit die Grundlage für ein Kontinuum von Eigenschaften, die sich gegenseitig beeinflussten und voneinander abhängig waren und aus denen sich das Bild der grotesken Neuen Frau ergibt. Ein Blick auf ihre Rollen in den Kabarettrevuen von Rudolf Nelson, Marcellus Schiffer, Friedrich Hollaender, zu denen letzterer und vor allem Mischa Spoliansky die Musik komponierten, zeigt dann die Kontinuität dieses Images. Da die Kabarettrevuen im Berlin der Weimarer Republik eine Sensation im kleinen Rahmen waren, konnten sie ein größeres Publikum ansprechen als die Programme in kleinen, intimen Kabarettlokalitäten, ohne dass deren Charakteristik aufgegeben werden musste.5 Auf diese Weise konnte Lions Image wirksam verbreitet und inhaltlich gestützt werden. Tabelle 2: Margo Lions Auftritte in (Kabarett-)Revuen Institution An Alle im Großen Schauspielhaus (R.: Erik Charell; T.: Fritz Beda u. Willy Prager; M.: Ralph Benatzky, Rudolf Nelson u. Irving Berlin, Berlin) Die fleißige Leserin im Renaissance-Theater, in der Komödie und im Kleinen Theater (R. u. T.: Marcellus Schiffer, M.: Paul Strasser, Berlin)
5
Premieren-Datum 18. Okt. 1924
Repertoire „Das moderne Verhältnis“ (T. u. M.: Ralph Benatzky) „Die Hungerkünstlerin“ (T.: unbenannt, M.: Rudolf Nelson)
11. Juni 1926
„Die fleißige Leserin“ Französisches Chanson = „Seit ich mir meine Haare geschnitten“ = „Was ganz Paris heut singt“
Zur Spezifik der Kabarettrevuen im Vergleich zu den ‚klassischen‘ Kabaretts und den Ausstattungsrevuen vgl. das Kapitel „Die (Kabarett-)Revue: Ihre Funktion für die Imagekonstruktion Margo Lions“.
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Institution Hetärengespräche im Kleinen Theater und Renaissance-Theater (R. u. M.: Friedrich Hollaender; T.: Marcellus Schiffer, Berlin) Was Sie wollen in der Komödie (R. u. M.: Friedrich Hollaender, T.: Marcellus Schiffer, Berlin) Die fleißige Hetäre im Theater am Kurfürstendamm (R. u. M.: Marcellus Schiffer; M.: Friedrich Hollaender u. Paul Strasser, Berlin) Es liegt in der Luft in der Komödie (R.: Robert Forster-Larrinaga; T.: Marcellus Schiffer, M.: Mischa Spoliansky, Berlin)
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Premieren-Datum 30. Okt. 1926
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Repertoire „Madame de Pompadour“ = „Mir ist so mies vor mir“ „Im Venusberg“
7. April 1927
diverse Rollen
7. Juni 1927
„Die fleißige Leserin“ „Was ganz Paris heut singt“ „Madame de Pompadour“
15. Mai 1928
„Im Venusberg“ „Es liegt in der Luft“ „L’heure bleu“ „Die Braut“ „Der Pudel“ „Wenn die beste Freundin“
Der Rote Faden im Nelson-Theater und im Blauen Vogel (R.: Rudolf Nelson, T.: Marcellus Schiffer, M.: Friedrich Hollaender, Berlin)
7. März 1930
„Il m’a vue nue“ „Gigolo und Gigolette“ = „Das Paar nach der Mode“ „Das fünfte Instrument der Jazzband“
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Premieren-Datum
Repertoire
Ich tanze um die Welt mit dir im Deutschen Künstler Theater Berlin (R. u. T.: Marcellus Schiffer, M.: Friedrich Hollaender, Berlin) Quick im Nelson-Theater (R.: Rudolf Nelson, T.: Marcellus Schiffer, M.: Friedrich Hollaender, Berlin) Sie werden von uns hören im Nelson-Theater (R. u. T.: Marcellus Schiffer, M.: Rudolf Nelson, Berlin) Alles Schwindel im Theater am Kurfürstendamm (R.: Gustaf Gründgens; T.: Marcellus Schiffer; M.: Mischa Spoliansky, Berlin)
4. Juni 1930
„Daffke“ „Sex-Appeal“
19. Sept. 1930
„Nofretete“ „Auto-Kursus“
3. Feb. 1931
„ Daffke“ „Il m’a vu nue“
11. April 1931
„Sex-Appeal“ „Mir ist so nach Dir“ „Lied von der Gesellschaft“
Ein Blick in die Tabellen zeigt, dass Lion fast ausschließlich Texte ihres Mannes Marcellus Schiffer aufgeführt hat. Er schrieb ihre ersten Chansons und bereitete sie auf ihre ersten Auftritte vor.6 Mit seinem Chanson „Die Linie der Mode“ feierte sie 1923 ihren Durchbruch und mit seinen Kabarettrevuen die größten Erfolge. Nach seinem Selbstmord in der Nacht vom 23. auf den 24. August 19327 verließ
6
Vgl. dazu kurze Eintragungen in Schiffers Tagebüchern. Victor Rotthaler (Hrsg.): Marcellus Schiffer, S. 73, 77, 86f., 100 u. 123f.
7
Die Vossische Zeitung hat am 24. August 1932 einen Nachruf veröffentlicht, der an den Ursachen für seinen Tod kaum Zweifel lässt. Dort heißt es: „Warum verliert ein Satiriker, der das Zeug in sich spürt, alle knebelnden, alle geistfeindlichen Mächte anzugreifen, heute die Lust am Leben? Die Antwort kann nur mit dem Titel einer Schifferschen Revue formuliert werden: „Es liegt in der Luft“ (Vossische Zeitung, Nr. 406, AbendAusg., „Das Unterhaltungsblatt“ [24.08.1932], S. 1). Angedeutet wird hier der aufziehende Nationalsozialismus mit seinen bereits deutlich spürbaren Restriktionen. Vielleicht wird hier aber auch eine politische Intention hineingedeutet. Die Tagebücher von
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sie Berlin und ging zurück in ihr Heimatland Frankreich. Lions Berliner Karriere umfasst insgesamt also lediglich neun Jahre und doch konnte sich in dieser Zeitspanne ein starkes Image ausprägen, das die Wahrnehmung dieser Diseuse bis heute prägt. Um diesem Phänomen nachzugehen, ist zunächst die These, dass Lions Chanson-Protagonistinnen und ihre Bühnen-Personae auf den Weiblichkeitstyp der Neuen Frau reagierten, über die Nennung der Chansontitel hinaus zu belegen. Indem Lions Bühnen-Personae und Chanson-Protagonistinnen mit diesem Weiblichkeitstyp spielen, ihn brechen und grotesk verzerren, wird Lions Eigenimage in einen für die Konsumenten und Konsumentinnen bekannten und relevanten Kontext eingeordnet. Auf den ersten Blick bietet es ein Identifikationsangebot, auf den zweiten Blick lädt es, wie zu zeigen sein wird, zu kritischer Distanz ein. Dass die Imagekonstruktion unbedingt plurimedial zu begreifen ist, zeigt die Analyse von publizierten Fotografien und Karikaturen von Lion, die die Invarianzen ihres Eigenimages auf bildlicher Ebene verdichten. Darüber hinaus können die Ergebnisse Rückschlüsse darüber liefern, inwiefern Lion in das Kollektivimage der Diseuse einzuordnen ist beziehungsweise sie gezielt darauf zurückgreift. Da ein Gesamtimage jedoch nicht allein aus seiner Wirkungsintention heraus existieren kann, sondern erst dann, wenn es von einer breiten Öffentlichkeit auch als solches wahrgenommen wird, ist im nächsten Schritt zu untersuchen, welche Aspekte von Lions Performances rezipiert wurden und zu welch invariantem Bild sie zusammengefügt wurden. Welche Charakteristika wurden ihr zugeschrieben? In einer Auswertung von 300 Rezensionen aus Tageszeitungen, die zwischen 1923 und 1932 erschienen, sind die Themen und Werte herauszuarbeiten, die das Image von Lion abbilden. Schließlich kann gezeigt werden, welch zentrale Funktion die Musik in dieser medial komplexen Imagekonstruktion einnimmt. Anschließend ist eine eingehende Untersuchung dieser Imagekonstruktion vorzunehmen. Dazu greife ich exemplarisch zwei prägnante Punkte in Lions Karriere heraus – zum einen ihren Durchbruch auf der Kabarettbühne mit dem Chanson „Die Linie der Mode“. Da sich ihr Image vor allem in der Kabarettrevue profilieren konnte, ist zum anderen ein Blick auf typische Merkmale dieser literarisch-theatralisch-musikalischen Gattung zu werfen, der imagerelevante Faktoren offenbart. Die sich anschließende Analyse von Mischa Spolianskys und Marcellus Schiffers Kabarettrevue Es liegt in der Luft von 1928 wird die vorangegangenen theoretischen Feststellungen greifbar machen.
Marcellus Schiffer zeigen nämlich deutlich, dass er bereits seit mehreren Jahren depressiv war (AdK S/L, Sig. 749, veröffentlicht von Victor Rotthaler [Hrsg.]: Marcellus Schiffer).
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Diese Auswahl geht auf die Intention zurück, das kulturelle Handeln der Diseuse ins Zentrum dieser Arbeit zu stellen und mithilfe der Imageanalyse ihrer Bedeutung und Wirkung näher zu kommen. Gerade weil Lion als Diseuse, also als Interpretin von Chansons im Kabarett, insbesondere mit den ausgewählten Beispielen in die kulturelle Erinnerung eingegangen ist, scheinen diese Performances für die Imagekonstruktion relevanter zu sein als ihre Filme und Theaterauftritte nach 1932, welche deshalb in der vorliegenden Arbeit keine Berücksichtigung finden.
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Abbildung 1: Margo Lion, Autogrammkarte
Große und schwermütig wirkende Augen, meist dunkel geschminkte Lippen, fein gezupfte Augenbrauen im großen Bogen, schlank – ohne Taille und ohne Busen –, eng anliegende Kleider oder Hosen – schlicht geschnitten oder in Glitzer und Glamour –, wahlweise mit Hut oder die Haare zum Bubikopf geschnitten und glatt
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gelegt, er reicht kaum über die Ohren: So blickt Lion ihren Betrachtern und Betrachterinnen auf Privat- und Pressefotos entgegen.8 Auch wer sie nicht kennt, würde Lion spontan den vermeintlich so goldenen und wilden Zwanzigern des letzten Jahrhunderts zuordnen. Denn obwohl sich selbstverständlich die ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts sowie das individuelle „Frauenleben in der Weimarer Gesellschaft […] jeder eindimensionalen Bewertung“9 entziehen, ist das Kollektivimage der so genannten Neuen Frau bis heute so stark wie eh und je: „In den 1920er Jahren erobern die City Girls die Metropolen und Medien. Sie treten in einem neuen Look auf: mit Bubikopf, kurzem Rock und Zigarette. Sie tanzen, trinken, rauchen, flanieren und flirten, als gäbe es kein Morgen. Sie sind jung und sportlich: Sie boxen, schwimmen, reiten, spielen Tennis und Golf, fahren Fahrrad und Ski, sitzen am Steuer von schnittigen Sportwagen und schwingen sich in die Lüfte auf. Dann wieder eilen sie ins Büro, tippen, telefonieren und führen Buch; sind fleißige Tippmamsells, Bürofräuleins oder kleine Ladenmädchen, die tagsüber hinter den Tresen der großen Kaufhäuser stehen, nach Feierabend sehnsüchtig an den Schaufenstern vorbeiflanieren und ins Kino gehen, um zu träumen. Manchmal werden sie auch zu Goldgräberinnen in den Taschen der Männer, genießen die neue sexuelle Freiheit, zeigen Bein, kokettieren, verführen, werden nicht mehr nur begehrt, sondern begehren selbst.“10
Der hier so lebendig gehaltene Weiblichkeitstyp der Neuen Frau (entsprechend ist die Beschreibung im Präsens und nicht im Präteritum geschrieben) zeichnet sich in der Sekundärliteratur der letzten Jahrzehnte durch die stets gleichbleibenden Attribute aus, stammend aus Sport, Mode, Sexualität, Berufstätigkeit, Freizeitvergnügungen und den sich entwickelnden Massenmedien. Nicht selten finden sich dann die Formulierungen die Garçonne, die Dame, die Neue Frau, das Girl, der Flapper mit all ihren mondänen und modernen Attributen und Angewohnheiten, die die jungen Frauen in der Weimarer Republik zu Typen stilisieren. Solche Beschreibungen beschwören eine Stimmung der roaring twenties herauf und zeich-
8
Eine umfangreiche Sammlung sowohl von Privatfotos, Pressebildern im Original sowie diversen Zeitungsausschnitten mit abgedruckten Fotos befindet sich in AdK S/L sowie in der Datenbank von Ullstein, aufrufbar unter www.ullstein-bild.de (06.12.2016).
9
Jens Flemming: „‚Neue Frau‘? Bilder, Projektionen, Realitäten“, in: Werner Faulstich (Hrsg.): Die Kultur der zwanziger Jahre (= Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts), München: Wilhelm Fink Verlag 2008, S. 55–70, hier S. 68.
10 Julia Freytag u. Alexandra Tacke: „Einleitung”, in Dies.: (Hrsg.): City Girls, S. 9–19, hier: S. 9.
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nen damit ein stereotypes Bild, das auch von Erwartungen und Phantasien gesättigt ist. Doch bereits in der Weimarer Republik war das Kollektivimage der Neuen Frau so geschärft, dass es zum beliebten und bespöttelten Objekt in Karikaturen11 wurde und, ebenso wie später für nostalgische Erinnerungen, eine Projektionsfläche für weiterreichende Diskurse war. Der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau konnte jedoch erst auf der Grundlage von greifbaren, kaum übersehbaren Entwicklungen vor allem in den Großstädten entstehen, die den um 1900 geborenen Frauen neue Lebenschancen boten.12 Erst durch tatsächlich gelebte Möglichkeiten konnten zahlreiche produktive und schöpferische Frauen ein Kollektivimage der Neuen Frau prägen, das imitiert, verbreitet und schließlich zu einem Typus stilisiert wurde, der wiederum zur Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen anregte.13 Der so prägnante und haltbare Begriff der Neuen Frau ging, bevor er medial überformt wurde, zunächst, wie unter anderem Katharina Sykora und Gesa Kessemeier zeigen, aus revolutionären Bewegungen hervor: von der Femme libre im Geiste der französischen Revolution über die Deklaration eines Neuen Menschen und der Frau der Zukunft in der proletarischen Frauenbewegung bis zum Kampfbegriff des Neuen Weibs bürgerlicher Feministinnen. Die Forderungen all dieser Frauenrechtlerinnen waren die gleichen: weibliche Selbstbestimmung, gleichberechtigte Bildung, Berufstätigkeit, politisches Wahlrecht und die Ablehnung einer bigotten Sexualmoral. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs trat jedoch „ein deutlicher und wesentlicher Wandel ein, sowohl was den Gebrauch und die Bedeutung des Begriffs ‚Neue Frau‘ betraf, als auch was Ausmaß und Kontext der Verbreitung des damit verbundenen sozialen ‚Typus‘ und seine Bildprägung anging“14.
11 Vgl. unter anderem die regelmäßig erschienenen Karikaturen von Paul Simmel in der Berliner Illustrirten Zeitung. 12 Vgl. zum Zusammenspiel von Phantasmen und realen Veränderungen in der Lebenswelt von Frauen vor allem Ute Frevert: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit (= Edition Suhrkamp / Neue historische Bibliothek 1284), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986, S. 146–199. 13 Vgl. das Kapitel „Konstruktion und Funktion von Leitbildern“, S. 37–42. 14 Katharina Sykora: „Die neue Frau. Ein Alltagsmythos der Zwanziger Jahre“, in: Dies., Annette Dorgerloh, Doris Noell-Rumpeltes u. Ada Raev (Hrsg.): Die neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg: Jonas Verlag 1993, S. 9–24, hier: S. 10. Vgl. dazu auch: Gesa Kessemeier: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ‚Neuen Frau‘ in den Zwanziger Jahren, S. 18–26.
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In der Verfassung von 1918 wurde die Gleichberechtigung der Geschlechter verankert, und 1919 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. Das politische Mitspracherecht und damit die (zumindest theoretische) Möglichkeit der offiziellen Mitgestaltung der Republik, die Öffnung von Bildungswegen, aber auch die durch den Krieg notwendig gewordene Erwerbstätigkeit auch der bürgerlichen Frauen zum Beispiel in Fabriken, die neue Schicht der weiblichen Angestellten sowie die in die Massenmedien drängenden Diven und Stars machten die Frau in einem bis dahin nicht dagewesenen Ausmaß öffentlich sichtbar. Solche durch den Ersten Weltkrieg in Gang gebrachte Entwicklungen schufen die Wahrnehmung von einer Frauengeneration, „die für sich den Status der ‚Neuen Frauen‘ bereits als gegeben beanspruchte.“15 Die Illusion heimkehrender, lorbeerbekränzter Soldaten musste nach dem verlorenen Krieg aufgegeben werden und das bürgerliche Bild des männlichen Heroen sah sich „einem bis dahin unbekannten Typus von Weiblichkeit“16 konfrontiert. Der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau löste den männlichen Helden der Kaiserzeit ab, wobei das Adjektiv ‚neu‘ für eine „‚unverbrauchte‘ Utopie“ stand: Das „Bild einer ‚neuen Frau‘, unbefleckt und gleichsam eine säkularisierte Madonna, sollte zu einer starken Hoffnungsträgerin“ nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg werden.17 Viele Frauen sammelten durch ihre notwendig gewordene Erwerbstätigkeit während des Ersten Weltkriegs Erfahrungen des „Handelns und sich Bewährens außerhalb der eigenen vier Wände“18 und wurden zwangsläufig aus ihrem familiären Umkreis gelöst. Ein Teil der Frauen, die diesen Erfahrungshorizont erwarben, richteten sich mit den neuen Möglichkeiten und den an sie gerichteten Erwartungen konsequent gegen die radikalen Frauenbewegungen des Proletariats, der Bürgerinnen, der Suffragetten und ‚Blaustrümpfe‘, die aus der Ablehnung der wilhelminischen Ära stammten.
15 Katharina Sykora: „Die neue Frau“, S. 11. 16 Jens Flemming: „‚Neue Frau‘?“, S. 56. 17 Vgl. Annette Dorgerloh: „‚Sie wollen wohl Ideale klauen…?‘ Präfigurationen zu den Bildprägungen der ‚Neuen Frau‘“, in: Katharin Sykora et. al (Hrsg.): Die neue Frau, S. 25–50, hier: S. 25f. 18 Petra Bock: „Zwischen den Zeiten – Neue Frauen und die Weimarer Republik“, in: Dies. u. Katja Koblitz (Hrsg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, S. 14–37, hier S. 18. Dieses Handeln differenziert Manja Seelen weiter aus. Die Frauen übernahmen eine große Verantwortung, erhielten eine gesteigerte Bedeutung im Produktionsprozess der Kriegswirtschaft sowie im Management der sozialen Folgen (Vgl. Manja Seelen: Das Bild der Frau in Werken deutscher Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit (= Kunstgeschichte 49), Münster: Lit Verlag 1995, S. 5–12, hier S. 12).
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Bei all diesen Ausführungen ist eine Differenzierung zwischen individuell handelnden Frauen und diskursiven Überformungen sowie daraus resultierenden Kollektivimages zu beachten. Ich schließe mich damit der Unterscheidung von Christina von Braun zwischen individuellem und Kollektivkörper an, der zu Folge es wichtig sei, „die Wechselwirkungen zwischen den kollektiven Weiblichkeitsbildern und den individuellen Reaktionen auf diese Bilder zu sehen. Vor allem aber ist es wichtig, sich bei der historischen Betrachtung der Geschlechterbilder zu vergegenwärtigen, daß mit dem einen Weiblichkeitsbild – etwa dem der Madonna – nicht ‚die Frau‘ oder der individuelle weibliche Körper gemeint ist, sondern die Gemeinschaft bzw. der kollektive Körper.“19
Die nicht zu leugnenden Veränderungen in der Lebensrealität der Frauen kreuzten sich in der Öffentlichkeit der Weimarer Republik mit einer Flut an Bildern, die aus der Neuen Frau eine Projektionsfläche machten. Sie wurde zu einem emanzipatorischen, modischen und sexuellen Ideal, zum „Symbol des neuen Vergnügungsgeistes und seiner Produkte“20 und stand gleichermaßen ein für eine „Großstadtfaszination“21, wie sie auch als Zeichen für Verfall und urbane Hysterie22 ge-
19 Christina von Braun: „Gender, Geschlecht und Geschichte“, in: Dies. u. Inge Stephan (Hrsg.): Gender-Studien. Eine Einführung, 2. aktual. Aufl., Stuttgart: Metzler 2006, S. 10–51, hier S. 23. 20 Vgl. dazu auch Thomas Hecken: Populäre Kultur. Mit einem Anhang ‚Girl und Popkultur‘ (= Schriften zur Popkultur 1), Bochum: Posth Verlag 2006, S. 155. Er beschreibt, wie in dieser Zuschreibung einerseits ein frauenfeindliches Klischee begründet liege, aber eine solche Zuschreibung andererseits direkter emanzipatorischer Ausdruck arbeitstätiger Frauen sei. 21 Sigrun Anselm: „Emanzipation und Tradition in den 20er Jahren“, in: Dies. u. Barbara Beck (Hrsg.): Triumph und Scheitern in der Metropole, S. 253–274, hier: S. 255. 22 Als mythische Zuspitzung ist etwa die „Hure Babylon“ zu begreifen, wie sie unter anderem in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz zu finden ist. Sie stand für das Verderben, das die Großstadt für seine Bewohner bereit hielt. Vgl. zu diesem Aspekt: Armin Leidinger: Hure Babylon, Großstadtsymphonie oder Angriff auf die Landschaft? Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz und die Großstadt Berlin: eine Annäherung aus kulturgeschichtlicher Perspektive (Epistemata Reihe Literaturwissenschaft 689), Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. Eine allgemeine historische Einordnung zum Mythos der Hure Babylon findet sich in Susanne Frank: Stadtplanung im Geschlech-
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lesen wurde. Während Feministinnen vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert als Außenseiterinnen agierten, über ihre theoretischen Ideen und Forderungen definiert wurden und daraus ihr revolutionäres Potential zogen, trat die Neue Frau nun in ihrer Bildhaftigkeit ins Zentrum der Gesellschaft und deren Aufmerksamkeit. Die neuen Arbeits- und Lebensformen wurden von illustrierter Presse, Berichterstattung, Werbung, Fotografien, Verarbeitung in Romanen, Darstellung in Filmen und Kommentierung in Ratgebern sowie auf den unterschiedlichen Bühnenformen der Weimarer Kultur (Revue, Kabarettrevue, Operette, Zeitoper, Kino etc.) herausgestellt. Im Übergang (und der gegenseitigen Beeinflussung) des „gedanklichen emanzipatorischen Entwurfs in ein formal determiniertes ikonografisches System“23 bildet sich der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau, der bis heute „mit Kurzhaarschnitt, Hängekleid und Zigarette“24 überliefert ist. Aus einer solchen gegenseitigen Beeinflussung von Individuen und diskursiven Prozessen (mimetische Identifikation) entstand eine virulente mediale Präsenz der Neuen Frau, die sich nicht einfach auf ein modisches Erscheinungsbild festlegen lässt, sondern auch als Fortsetzung einer Geschichte von Weiblichkeitsbildern zu verstehen ist. Die Allegorie der Neuen Frau, auf die Hoffnungen nach dem Ersten Weltkrieg ebenso projiziert wurden wie Ängste vor der Modernität im urbanen Wandel der 1920er Jahre, steht in einer langen Tradition, in der die Frau immer wieder zum Symbol für Umbrüche wurde. Melanie Unseld stellt dies beispielsweise für das Doppelmotiv von Weiblichkeit und Tod in der Musik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dar und kommt zu dem einsichtigen Schluss, dass es beim Ringen um das ‚Weib‘ nicht um dessen Enträtselung gehe, sondern
terkampf. Stadt und Geschlecht in der Großstadtentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts (= Stadt, Raum und Gesellschaft 20), Opladen: Leske + Budrich 2003, S. 27–29; vgl. außerdem: Katharina Sykora: „Die ‚Hure Babylon‘ und die ‚Mädchen mit dem eiligen Gang‘. Zum Verhältnis ‚Weiblichkeit und Metropole‘ im Straßenfilm der Zwanziger Jahre“, in: Dies. et. al. (Hrsg.): Die neue Frau, S. 119–140. Vgl. vor allem: Hanne Bergius: „Berlin als Hure Babylon“, in: Joachim Boberg u. Tilman Fichter (Hrsg.): Die Metropole (= Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert 2), München: Beck Verlag 1986, S. 102–119. 23 Katharina Sykora: „Die neue Frau“, S. 11: „Während nämlich bereits seit Beginn der Zwanziger Jahre die inhaltlichen Bestimmungen des Begriffs der ‚Neuen Frau‘ durch feministische Bewegungen gesamtgesellschaftlich wieder marginalisiert wurden, verdichtete sich ihre Begrifflichkeit im öffentlichen Bewußtsein auf immer einfachere, eindeutigere Aspekte, sodaß sich schließlich auch eine bildliche Typologie des Phänomens ‚Neue Frau‘ als Alltagsprägung herausschälte“. 24 Ebd.
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um eine Selbstvergewisserung der Künstler, Komponisten und Dichter in einer ihnen fremd gewordenen Welt.25 Der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau ist Teil des „alten Bilderhandel[s] und Bilderwandel[s], um einen schnellrotierenden Kreisel von Projektionen und Imaginationen, der von Wünschen, Ängsten und Sehnsüchten angetrieben und in Gang gehalten wird“26.
M ARGO L IONS R EPERTOIRE : D AS E IGENIMAGE DER GROTESKEN N EUEN F RAU Margo Lion verstand es, mit dem Kreisel von Projektionen und Ängsten um die Neue Frau zu spielen und ihn aus seiner Bahn zu katapultieren. Aus der Projektionsfläche ‚Weib‘ machte sie einen ‚Restbestand‘, wie es in ihrem Chanson „Die Linie der Mode“ heißt, und erteilt mit ihren Chanson-Protagonistinnen jeglichen Identifikations- oder Kompensationsbedürfnissen eine Absage, indem sie, so der Theaterkritiker Herbert Ihering, „eine ganze rüde Geistesrichtung gleichzeitig verkörpert und erledigt“27. Sie galt als Parodistin, Karikaturistin und Meisterin der Satire.28 Und so war ihr Image geprägt von einem Zusammenspiel des Kollektivimages der Neue Frau und einer Ästhetik des Grotesken, die beide Teil von „typischen Regelhaftigkeiten, Gewohnheiten, Wünsche[n] und Ängste[n], kurz Mentalitäten“29 der Weimarer Republik waren und so auch in der Musik ihren Ausdruck fanden. Behauptet nun Jürgen Henningsen in seiner Arbeit zur Theorie des Kabaretts, dass die Parodie nur einen schwachen Effekt habe, weil sie eine gewisse
25 Melanie Unseld: „Man töte dieses Weib!“. Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende, Stuttgart: Metzler 2001, S. 304. Vgl. dazu auch Annette Dorgerloh: „‚Sie wollen wohl Ideale klauen…?‘ Präfigurationen zu den Bildprägungen der ‚Neuen Frau‘“, S. 30ff. 26 Silvia Bovenschen: „Krieg und Schneiderkunst oder Wie sich die Männer von gestern die Frau von morgen vorstellten. Vorwort zur Neuausgabe“, in: Friedrich Markus Huebner (Hrsg.): Die Frau von morgen wie wir sie uns wünschen (= Insel-Taschenbuch 1194), Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 9–21, hier S. 11. 27 Rezension Nr. 213. 28 Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 33, 42, 91, 92, 118, 258 u. 269. 29 Sabine Meine: „Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930. Einführende Bemerkungen“, in: Dies. u. Katharina Hottmann (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter, S. 12–33, hier S. 12.
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Kennerschaft beim Publikum voraussetze und diese im anonymen Massenpublikum nicht vorhanden sei,30 so unterschätzt beziehungsweise übersieht er die Wirkung und Bedeutung von Weiblichkeitstypen wie dem der Neuen Frau, gerade weil sie ein Massenphänomen sind und zum dankbaren Ziel der Parodie auch auf der Kabarettbühne wurden. Ein Kritiker der Frankfurter Zeitung und Handelsblatt bringt dies Verhältnis zwischen dem Identifikationspotential der Neuen Frau und ihrer grotesken Parodie durch Lion bildlich treffend auf den Punkt: „Als ihr eigener Exzentrik [sic!] zeigt sie die Dame in der Dämlichkeit; setzt sich auf’s Spiel – und gewinnt. Ein Schwan darf ruhig sich einmal zur Gans machen; die Gans hüte sich zu schwanen. Die Lion ist Schwan vom Schnabel bis zur Flosse.“31 Lions Bühnen-Personae sind zum einen nicht zu lösen von dem Weiblichkeitsdiskurs der Weimarer Republik, wie er oben beschrieben wurde, zum anderen übernehmen sie Weiblichkeitstypen der Neuen Frau oder der Dame nicht einfach: Lion kreiert ihre groteske Versionen von diesen. Die Transformation vom Schwan zur Gans beziehungsweise von dem bürgerlichen Idealbild einer Frau zum Bürgerschreck ist fast allen Chanson-Protagonistinnen Lions eigen. Gemäß dem typischen Aufbau des Couplets beginnen Lions Chansons32 meist mit allgemeinen, harmlosen Beschreibungen, die sich dann im Verlauf der Strophen und mit den durch die Kombination mit ihren immer bissiger wirkenden Kehrreimen zu Bodenlosigkeit und Schärfe entwickeln. Sie bringen, um ein sehr treffendes Bild von Henningsen zu übernehmen, das Kartenhaus des Publikums zum Einsturz: „Nehmen wir nun die Parodie als eine Methode, indem wir sie auf die These beziehen, Kabarett sei Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums, dann zeigt sich an ihr eine typische ‚quasi-betrügerische‘ Tendenz: durch sie wird scheinbar derselbe Vorstellungszusammenhang nachgebaut, den der Zuhörer schon mitbringt, wird, um beim Bild des Kartenhauses zu bleiben, scheinbar jede vorhandene Karte noch einmal bestätigt. Der Zuhörer kann dabei so virtuos geleitet werden, daß er streckenweise durchaus der Illusion sich hingeben könnte, das Original vor sich zu haben. Es bedarf dieses illusionären
30 Jürgen Henningsen: Theorie des Kabaretts, S. 40f. 31 Rezension Nr. 263. 32 Neben eingigen Aufnahmen, u. a. auf der CD Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt, Edel Classics 2005, existieren einige Notendrucke (u.a. im Dreiklang-Dreimasken Bühnen- und Musikverlag veröffentlicht) und unveröffentlichte Textmanuskripte, die in der Akademie der Künste Berlin in der Abteilung der darstellenden Künste im Archiv Margo Lion / Marcellus Schiffer einzusehen sind.
84 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Spielraums im Mitgehen, damit dann an späterer Stelle der intendierte Effekt auftreten kann; ein Ironie-Signal darf nicht zu früh und nicht zu deutlich gegeben werden. Der befreiende Lacheffekt entsteht (nachdem der Zuhörer die einlullende Illusion abgeschüttelt hat) aus dem fast zwanghaft sich aufdrängenden Vergleich zwischen der mitgebrachten Vorstellungsstruktur: die mitgebrachte Struktur verliert dadurch ihre Stabilität, wird ‚entzaubert‘ [Hervorheb. orig.].“33
Henningsens Bild macht auch in Bezug auf Lions Bühnen-Personae deutlich, wie sie zunächst zu Identifikation einladen, um dann immer deutlicher in Distanz zu den vorgestellten Chanson-Protagonistinnen zu treten. Er bringt darüber hinaus den zirkulären Prozess der mimetischen Identifikation auf den Punkt. Mithilfe der kabarettistischen Ironie werden Weiblichkeitstypen eben nicht einfach nachgeahmt und illustriert, sondern „entzaubert“ und so neu konstruiert. Lions Repertoire zeichnet sich durch den (parodierenden) Bezug auf das Bürgertum, den Mittelstand und die neue Angestelltenschicht aus, im Gegensatz etwa zu Claire Waldoffs und auch Blandine Ebingers Ausrichtung auf das Proletariat. Ihre Chansons beginnen entsprechend meist mit einer Zustandsbeschreibung des großstädtischen und/oder bürgerlichen Milieus. Dargestellt werden unschuldige Mädchen (z. B. in „Die Mondsüchtige“, „Das Gebet einer Jungfrau“, „Die Perverse“), tugendhafte, bürgerliche Frauen (z. B. „L’heure bleue“, „Die Braut“, „Die Gesellschaft“) oder harmlose, unbedarfte Figuren, die sich durch ihren Bezug zum modernen Berlin der Vergnügungen auszeichnen (z. B. „Die Nofretete“, „Die Linie der Mode“, „Der Pudel“, „Sexappeal“, „Die fleißige Leserin“). Das Repertoire Lions zielt mit diesem Personal nicht auf sozialkritische Satire von Armut in der Großstadt ab, sondern auf den Bruch mit bigotten Moralvorstellungen und der Dekonstruktion von modernen Zeiterscheinungen. So werden im Verlauf der Strophen den Idealfiguren der bürgerlichen Frauen ihre Unschuld und ihre unkritische Oberfläche genommen. Madame X, im gleichnamigen Chanson in der ersten Strophe noch durch Eleganz, Bewunderung und eine Zukunft gezeichnet, entpuppt sich schließlich als Diebin, Mörderin und gefallene Frau. Im letzten Refrain heißt es nicht mehr „Eine Frau, die sicherlich sehr viel vor sich hat und hinter sich sehr viel Vergangenheit!“, sondern „Eine Frau, die hinter sich ihre Zukunft hat und vor sich – ihre Vergangenheit!“. Lola ist im „Gebet einer Jungfrau“ ein tugendhaftes Mädchen, dessen Lieblingsort das Grab ihrer Eltern ist, das sie pflegt – bis sie dort einen Jüngling trifft. Gemeinsam wird aus der bisher so tugendhaften Lieblingsstelle das „Jungfraugrab“. Die Obstfachverkäuferin singt in voller Unschuld ihr
33 Jürgen Henningsen: Theorie des Kabaretts, S. 41.
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„Straßenlied“, bis dieses von Passanten aufgegriffen, frivol umgedeutet, schließlich zensiert wird und in Folge dessen sie und ihr Obstgeschäft geschändet werden. „Die fleißige Leserin“ ist zu Beginn des Chansons eben nur eine fleißige Leserin, eine von vielen Frauen mit Faible für die Illustrierten der prosperierenden Berliner Presse – bis sie dann ihre Wände mit Fortsetzungsromanen tapeziert und die Bühnen-Persona Lion gemeinsam mit ihrer Chanson-Protagonistin in eine wahre Raserei bei der Auflistung der vielen Illustrierten verfällt: „Der Querschnitt durch die Dame, die illustrierte Berlinerin, die Praktische in Wochen, der Uhu ohne ihn! Ich turn ich schwimm ich hoppse, den ganzen Kladeradatsch, und tausend Worte Zeitschrift und jede Woche: Quatsch! Schluss!“34
„Gigolo und Gigolette“ sind zunächst ein zugegebenermaßen eitles Pärchen, das sich, weil sie so schick und geschlechtlich gleichgestellt sind, nicht gegenseitig zum Essen einladen mögen, in der zweiten Strophe sind sie dann auch für bezahlte Liebe zu geizig: „Er: Du reiche Gigolette, Du weiche Gigolette, bezahl’ mich mal, Du hast ja Geld! Sie: Du weicher Gigolo, Du bleicher Gigolo, ich tu’s und tu’s nicht um die Welt!
34 Letzte Strophe des Chansons „Die fleißige Leserin“ aus der gleichnamigen Kabarettrevue, Text von Marcellus Schiffer, Musik von Paul Strasser (1926), AdK S/L, Sig. 3.1.
86 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Er:
Das find‘ ich unreell
Sie: Ich tu’s nicht prinzipiell. Zus.: Ich bin zu schön dazu, Du bist zu schön dazu! Am schönsten ist’s, wir zahl’n uns beide nichts.“35
„Die Braut“ ist nur zu Beginn die keusche, ideale und schöne Frau, wenn auch schon ihr Marschauftritt von anderen Dimensionen zeugt – am Ende schließlich wird sie ganz offen ordinär. Und „Die Perverse“ war ein „Mädchen ohne Reize“, bis sie, weil es modern war, sich „Morphium gepiekt“ hat. Fortan war sie beliebt bei allen Männern – bis das Morphiumpieken und damit auch sie aus der Mode kamen. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Chanson-Protagonistinnen Lions als Modeerscheinungen enthüllt werden. So wie die Perverse nur kurz in ihrer „meschuggenen“ Art, in der sie aussah „wie Bier mit Spucke“ bei den Herren beliebt war, so hat Madame X nur vorübergehend die Zukunft vor sich, das Mädchen in „Die Linie der Mode“ ist ebenso eine vorübergehende Zeiterscheinung, wie selbst die „Nofretete“ mit ihrer „Nofretüte“ nur zeitweilig Berliner Schau- und Sensationslustige ins Museum locken kann. Die Chanson-Protagonistinnen von Lion sind allesamt groteske Spiegelungen ihrer selbst, so wie Lion mit ihrer Bühnen-Persona einen Übergang vom Schwan zur Gans vollzieht. Und damit steht Lions Bühnen-Persona in weitem Abstand zu den zu brechenden Idealbildern, wie an „Die Linie der Mode“ und „Die Braut“ noch im Detail gezeigt wird. Auch die Erzählperspektive, in der die Chansons geschrieben sind, verhindert eine Identifikation von Chanson-Protagonistin und Lions Bühnen-Persona. Letztere steht vor allem in den Kabarettchansons in sicherer Distanz zu den Chanson-Protagonistinnen, indem sie über ihr Schicksal aus der dritten Person spottet. Ausnahmen sind einige Chansons der Kabarettrevuen, wie „Der Pudel“, der wiederum aus seiner Hundesicht distanziert das menschliche Treiben kritisiert und ironisiert. „Stellt ein Interview die Frage was ich so zum Beispiel sage, zu der Lage heutzutage?!
35 Letzter Refrain des Chansons „Gigolo und Gigolette“ aus der Kabarettrevue Der rote Faden (1930), Text von Marcllus Schiffer, Musik von Rudolf Nelson, AdK S/L, Sig. 11.
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Was ich zu den Menschen sage und worüber ich sonst klage?? Sage ich auf seine Frage: Ich könnt klagen stundenlang, doch dann käm der Maulkorbzwang!“36
Mit ihren Persiflagen der Neuen Frau repräsentierte Lion in ihrem „tragikomischen Bänkelsang“37 ihre Zeit. Sie hat sich Phänomenen ihrer gegenwärtigen, sie umgebenen Umwelt angenommen und mit einem spezifisch modern konstruierten Verständnis von Körper38 vornehmlich deren Frauenfiguren verfremdet und als zerbrochene Projektionen dargestellt. Lion griff aktuelle Geschlechterdiskurse auf und parodierte sie auf eine Weise, die den modernen Kunstgeist dieser Jahre traf, welcher, wie Thomas Mann 1926 formuliert, das Leben als Tragikomödie und das Groteske als seinen eigentlichen Stil verstand: „Denn ganz allgemein und wesentlich scheint mir die Errungenschaft des modernen Kunstgeistes darin zu bestehen, daß er die Kategorien des Tragischen und des Komischen, also auch etwa die theatralischen Formen und Gattungen des Trauerspiels nicht mehr kennt und das Leben als Tragikomödie sieht. Das genügt, um das Groteske zu seinem eigentlichsten Stil zu machen, und zwar in dem Grade, daß selbst das Großartige heute kaum anders als in der Gestalt des Grotesken erscheint. Es wird erlaubt sein, das Groteske den eigentlichen antibürgerlichen Stil zu nennen; […].“39
36 Letzte Strophe des Chansons „Der Pudel“ aus der Kabarettrevue Es liegt in der Luft (1928), Text von Marcellus Schiffer, Musik von Mischa Spoliansky, abgedruck in: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus. Revue in 24 Bildern, unverk. Text-Manuskript, Berlin: Felix Bloch Erben o.J. [1928], S. 15. 37 Rezension Nr. 28. 38 Vgl. eingehender zu diesem Aspekt die Kapitel „Margo Lions Fremdimage: Eine Themen- und Wertanalyse von Rezensionen“ und „Bildliche Inszenierung: Die ‚Ullsteinbilder‘ und Karikaturen“. 39 Thomas Mann: „Vorwort zu Joseph Conrads Der Geheimagent (1926)“, in: Thomas Mann: Reden und Aufsätze 2 (= Gesammelte Werke 10), Frankfurt am Main: Fischer 1960, S. 651. Sowohl mit zeitgenössischen Betrachtungen als auch aus retrospektivem Blickwinkel zeigt der Ausstellungskatalog Grotesk! 130 Jahre Kunst der Frechheit eindrücklich, welch virulenten Einfluss das Groteske in der (antibürgerlichen) Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts hatte und wie sehr es auch zum kabarettistischen Prinzip avancierte (Hanne Bergius u. Pamela Kort [Hrsg.]: Grotesk! 130 Jahre Kunst der Frechheit [anläßlich der gleichnamigen Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
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Das Groteske, wie der ästhetische Begriff hier von Thomas Mann gebraucht wird, lässt sich als Stilmittel verstehen, mit dem die eigene, aber in ihrer Ordnung zerbrochene und bedrohliche Welt – häufig durch Betonung des Materiellen und des Körperlichen – verfremdet dargestellt wird.40 Hans Heinz Stuckenschmidt hat Lion in seinem Aufsatz „So wird heute gesungen. Choräle aus dem Schlamm“ von 1930 zur Patin einer solchen Ästhetik des Grotesken erklärt, in der der „Begriff des ‚Schönen‘ […] endgültig abgeschafft und durch die fraglos kultische Betonung und Verherrlichung des Sexus“41 verdrängt werde. Ihre Frauendarstellungen seien „für die Gegenwart bezeichnend“, Ausdruck „der Zeit, in der wir leben“42. Nach Stuckenschmidts Meinung sei das Kabarett in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bereits von Lasterhaftigkeit geprägt gewesen, doch hätten die damaligen Diseusen mit ihren Chansons noch eine Sehnsucht nach bürgerlicher Solidität gezeigt, die sie nie erreichen würden. In der Zeit der Weimarer Republik sei für ein solches Sehnen jedoch kein Platz mehr: „Aus. Vorbei. Die ethischen Krücken, wurmstichig schon seit geraumer Zeit, sind endgültig gefallen. Man hat sich daran gewöhnt, Körper und Seelen nackt zu betrachten. In einer sozial aus den Fugen geratenen Welt ist für moralische Nachdenklichkeit kein Raum. Die Schlagzeilen des Mittagsblatts sind wichtiger als die leeren Drohungen der Apokalypse.“43
Stuckenschmidt spielt hier auf die Ablösung des Expressionismus mit seinem OhMensch-Pathos und seiner Weltuntergangsstimmung durch DADA und Neue Sachlichkeit an: die „ethischen Krücken“ seien spätestens seit dem fin de siècle
vom 27. März bis 9. Juni 2003 und im Haus der Kunst, München, vom 27. Juni bis 14. September 2003], München: Prestel-Verlag 2003). 40 Vgl. Elisheva Rosen: Art. „Grotesk“, übers. von Jörg W. Rademacher u. Maria Kopp, in: Karlheinz Barck u. a. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 2, Studienausg., Stuttgart: Metzler 2010, S. 876–900, hier S. 876. Rosen verweist in ihrer Zusammenfassung auf die beiden Grundsatzarbeiten von Wolfgang Kayser: Das Groteske (1957) und Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs (1963, ins dt. 1971). 41 Hans Heinz Stuckenschmidt: „So wird heute gesungen. Choräle aus dem Schlamm“, in: UHU, Nr. 9 (1930), S. 45–48, zit. nach: Bärbel Schrader u. Jürgen Schebera (Hrsg.): Kunstmetropole Berlin 1918–1933. Dokumente und Selbstzeugnisse, Berlin u. Weimar: Aufbau-Verlag 1987, S. 128f., hier S. 129. 42 Ebd. 43 Ebd.
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„wurmstichig“ gewesen, die Welt der Expressionisten längst schon „aus den Fugen“ geraten. Die Warnungen vor einer Apokalypse konnten nach dem Ersten Weltkrieg niemanden mehr schockieren. In Zeiten von Bedrohungen durch Inflation, Massenarbeitslosigkeit und in einem Land im Neuaufbau mit einer neuen nationalen, gesellschaftlichen, politischen und auch moralischen Situation scheinen die Schlagzeilen des Mittagsblatts relevanter als die entworfenen Untergangsvisionen gewesen zu sein. Entsprechend habe sich laut Stuckenschmidt auch die Ästhetik der Diseusen dem Bruch in Ethik und Moral anzupassen. Sie seien die neuen Verkörperungen von offener und entfesselter Sexualität: „Die sentimentale Kokotte ist per Holzklasse in die Hölle gefahren, wie sie’s verdient. Und aus dem Schlamm ward, mit leichter Variation des mythischen Sachverhalts, die neue Venus vulgivaga geboren, griechisch Pandemos, berlinisch Nutte genannt. An diesem Typus scheitern alle Versuche der moralischen Klassifizierung, weil ihm jede derartige Voraussetzung fehlt, selbst die der Negation. […] Diese durchaus sexuell betonte Frau hat eine neue Form des Couplets inspiriert, eine Art von Kunst, deren Merkmale sich von Jahr zu Jahr plastischer herausstellen. Es ist eine abgrundtiefe Verherrlichung des Venustyps, die in ihrer klaren Ausschließlichkeit fasziniert. […] Das geschlechtliche Endziel wird nicht mehr schamhaft verbrämt. Die moralischen Hüllen sind abgefallen, und so wird das erotische Couplet zum Choral der Sinnlichkeit, zum beinahe heidnischen Hymnus auf das, was Puritaner die Niederung der Welt, den Schlamm der Großstadt zu nennen belieben. […] Inzwischen hat Berlin den Typus kultiviert. Hier, wo der Zerfall der Gesellschaftsmoral sich am handgreiflichsten vollzieht, ist die geistige Basis, ist auch das Frauenmaterial zur Ausbildung des Nuttenkults gegeben.“44
So wie die Diseusen im Allgemeinen mit der „sexuell betonten Frau“ der Gegenwart und damit mit dem „Schlamm der Großstadt“ verbunden werden, so ordnet Stuckenschmidt schließlich auch Lions Chanson „Die Braut“ aus der Revue Es liegt in der Luft in diese Ästhetik ein, die sich durch Erotik, Derbheit und Hässlichkeit auszeichne.45
44 Ebd, S. 128. 45 Vgl. zu Stuckenschmidts Ausführungen über Lions Chanson das Kapitel „Zusammenführende Chansonanalyse: ‚Die Braut‘“.
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Manns und Stuckenschmidts Positionen zum Grotesken als adäquate Ausdrucksform der Gegenwart fanden jedoch auch ihre Antipoden mit einer absoluten, kulturpessimistischen Ablehnung einer solchen Ästhetik.46 Hans Pfitzner, Komponist und Vertreter der Anti-Modernisten, erteilte der aktuellen Musik in der Weimarer Republik folgende Absage: „Wir sind verkitscht, versaut, versumpft und stecken tief bis über den Hals in Lüge, Dreck und Verwesung!“47. Auch im Untertitel seines Buches Die neue Aesthetik der musikalischen Impotenz fragt er polemisch danach, ob dieser Zustand der Kultur ein „Verwesungssymptom“ sei. Aus den von Pfitzner benutzten Begriffen spricht eine tiefe Ablehnung gegenüber modernen Erscheinungsformen in allen künstlerischen Bereichen. ‚Dreck‘, ‚Verwesung‘ und ‚Impotenz‘ entspringen einem kulturkritischen Diskurs, der seine Ursprünge in der Jahrhundertwende hat und sich im Laufe von Urbanisierung und politischen, sozialen und sexuell-moralischen Umbrüchen nach dem ersten Weltkrieg zuspitzte.48
46 Deshalb will bspw. Eberhard Kolb den Begriff der „Weimarer Kultur“ differenziert wissen: „Der Kultursektor der Weimarer Zeit darf nicht reduziert werden auf die künstlerische Avantgarde und das Aufkommen einer Massenkultur. Jene Namen, Titel, Hervorbringungen, die den Begriffen ‚Weimarer Kultur‘ und ‚goldene zwanziger Jahre‘ assoziiert werden, sind nicht uneingeschränkt repräsentativ für das damalige kulturelle und geistige Leben in seiner Gesamtheit: die ‚Moderne‘ beherrschte nicht unangefochten die Kulturszene, die neue Kunst war keineswegs populär und allgemein akzeptiert; traditionelle Kunstrichtungen und die hergebrachte Formensprache blieben weiterhin einflußreich, und eine mächtige kulturpessimistische und zivilisationskritische Strömung setzte dem Vordringen der Moderne entschieden Widerstand entgegen. Die deutsche Kultur in der Zeit der Weimarer Republik war daher eine tief gespaltene Kultur, zugespitzt gesagt: es gab in Weimar-Deutschland zwei Kulturen, die sich gegenseitig kaum etwas zu sagen hatten und sich mit tiefer Fremdheit und Feindseligkeit gegenüberstanden, jede der anderen – wenn auch mit sehr unterschiedlichen Berechtigungen – ‚Kultur‘-Qualität absprechend“ (Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik [= Oldenbourg-Grundriss der Geschichte 16], 3. durchges. u. erg. Aufl., München: Oldenbourg 1993, S. 93). 47 Hans Pfitzner: Die neue Aesthetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom? München: Süddeutsche Monatshefte GmbH 1920, S. 123. 48 Zu Pfitzners Positionierung mit seinem Buch in der Musik-Debatte der Weimarer Republik, vgl. Tobias Widmaier: „Diagnose ‚musikalische Impotenz‘. Antimoderne Affekte am Beispiel Hans Pfitzner“, in: Sabine Meine u. Katharina Hottmann (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter, S. 82–101.
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Auch für den Philosophen und Publizisten Theodor Lessing ist Lions BühnenPersona, wie die Kabarettkultur im Ganzen, ein Symptom für den entarteten Zustand Berlins als eine „Stadt von Irrsinnigen“: „Der Gedanke, welchen ich hier niederlege, wird von den Lesern belächelt, mit Achselzucken beantwortet, kaum jemals ernst genommen werden und enthält doch den Kern aller meiner Lebenserfahrung und Weltbeobachtung: Die Entwicklung des Menschen, der sogenannte ‚Kulturprozess‘, mündet mit unweigerlicher Sicherheit in den – Irrsinn. […] [Ich habe die Vorstellung gewonnen], daß das gegenwärtige B e r l i n in manchem seiner Distrikte schon durchaus eine S t a d t v o n I r r s i n n i g e n ist, die freilich sich selber für die vernünftigsten, ja einzig vernünftigen Geschöpfe der Natur halten [Hervorheb. orig.].“49
Den deutlichsten Ausdruck für diesen Irrsinn sieht Lessing in der Berliner Kabarettszene, an der er als groteskes Element die ihr „eigene Physiognomie“ und die „Spezialität“ der Kabarett-Performances hervorhebt. Während bei Stuckenschmidt der neue Körperkult der Nacktheit und Erotik als adäquater und einzig möglicher Ausdruck der Gegenwart erscheint, zeugen Lessings Ausführungen von Ablehnung und Hass gegenüber dieser neuen Ästhetik: „Es ließe sich leicht zeigen, daß auf jedem Kunstgebiet der sozusagen zur Tugend gemachte Defekt, also der Notausgang irgendeiner Art von Schwächung oder ‚Kompensation‘ der lebenszeugenden Mächte den Sieg gewann. […] [Aber] ich will mich hier darauf beschränken, meine Beobachtung an demjenigen Kunstgebiet zu exemplifizieren, welches für die ‚moderne Menschheit‘ am kennzeichnendsten und lehrreichsten sein dürfte: an Varieté und Kabarett, neben dem Kino von allen Kunstgebieten das ertragreichste. Wofern man unter Entartung die einseitige Vorherrschaft eines Gliedes oder Funktionsgebietes über alle anderen versteht, so dominiert hier die Entartung am vollkommensten; denn das oberste Gesetz für den Kabarettisten ist es, sich eine ‚Spezialität‘, eine ‚eigene Physiognomie‘ zuzulegen, und je ausgefallener, verrückter, konsequent sinnloser sie ist, um so besser!“50
Wie Stuckenschmidt zieht auch Lessing, wenn auch namentlich nicht genannt, Lions groteske Komik als Beispiel für seinen Standpunkt heran, diesmal ins Negative gekehrt:
49 Theodor Lessing: „Die Entwicklung zum Irrsinn“, in: Das Tagebuch 5, Nr. 30 (26.07.1924), S. 1030–1034, hier S. 1030. 50 Ebd., S. 1031.
92 ǀ DISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK „Ein Mädchen von grotesker Häßlichkeit, ohne Büste, ohne Muskel, ein Totengerippe mit Totenschädel pudert und schminkt sich vollends abscheulich und mimt zum Entzücken des neuen Sensation begehrenden, im Kern völlig herz- und glaubenslosen Publikums die überperverse Uebermorphinistin so eindrucksvoll, daß der Anblick so verstümmelter Natur sich gräßlich in alle Sinne ätzt […].“51
Dass hier Lion gemeint ist, liegt nahe, da sie im Erscheinungsjahr von Lessings Essay (1924) mit dem Chanson „Die Perverse“ in diversen Kabaretts auftrat, in der es um jene Morphiumsüchtige Chanson-Protagonistin geht. Zudem passen seine Beschreibungen zur kollektiven Wahrnehmung ihres Körpers, die sich zu ihrem Fremdimage verdichteten.52 Künstlerische Avantgarde und Kulturkritik, Bewunderung für die amerikanisierte Massenkultur und Anti-Modernität standen in der Weimarer Republik neben- und gegeneinander. Dass sich Lions Image mit den Komponenten der Neuen Frau als Phänomen einer modernisierten Massenkultur und ihrer grotesken Verzerrung gerade in diesem Spannungsfeld etablieren konnte, zeigt die – hier anhand bekannter Publizisten dargestellte – unterschiedliche Bewertung ihres Stils. Lion ist einer Ästhetik des Hässlichen, der Dekadenz und des Grotesken entsprungen – sie war „Ausdruck [einer] ganzen morbiden, übersteigerten Zeit“53, ein „dekadent wirkendes Zeichen der Zeit“54. Mit den Attributen von Hässlichkeit, Sexualität und Groteske sind ihre Chanson-Protagonistinnen (die Hure, die Perverse, die Hysterische, die Bleich-, Hunger- und Kaufsüchtige) auf der einen Seite zu Ikonen der Moderne geworden, sie stehen „für das moderne Lebensgefühl der Flüchtigkeit, des Rauschs, der sinnlichen Gefahr, aber auch für die Todesnähe, da sie das lebensfördernde Prinzip der Fruchtbarkeit verweiger[n]“.55 Auf der anderen Seite versäumte Lion es nicht, in diese Ästhetik des Grotesken permanent Züge der massentauglichen und etablierten Neuen Frau einzuweben. Lions Image als die tragikomische Meisterin des Grotesken ist deshalb so erfolgreich gewesen, weil sie zum einen Alltagsphänomene der Pop- und Massenkultur – in Form der Neuen Frau – aufgriff und sich zum anderen in die antibürgerliche, intellektuelle und durchaus auch ‚kunstwürdige‘56 Kabarettkultur eingliederte. Und schließlich
51 Ebd., S. 1031f. 52 Vgl. hierzu das Kapitel „Margo Lions Fremdimage: Eine Themen- und Werteanalyse von Rezensionen“. 53 Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollte.., S. 117. 54 PEM: Heimweh nach dem Kurfürstendamm, S. 176. 55 Sabine Meine: „Puppen, Huren, Roboter“, S. 27. 56 Zur Kunstwürdigkeit des Grotesken vgl. Elisheva Rosen: Art. „Grotesk“, S. 878f.
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lässt sich der Erfolg ihres Images nicht zuletzt auch auf ihre Kritiker zurückführen, nach dem Motto „any publicity is good publicity“.
B ILDLICHE I NSZENIERUNG : D IE „U LLSTEINBILDER “ UND K ARIKATUREN Als Akteurin einer populären Kultur wurde Lions Imagekonstruktion auch durch in Zeitschriften und Zeitungen publizierte Fotografien sowie durch Karikaturen, die in der prosperierenden Presselandschaft und der Ästhetik der Moderne57 eine zentrale Rolle einnahmen, bestimmt. Dabei nahm die Fotografie von ihrer Bühnen-Persona des Chansons „Die Linie der Mode“ eine besonders wichtige, dauerhafte Stellung in ihrer Imagekonstruktion ein. Aber auch ein Blick auf andere Fotografien und Karikaturen von Lion lohnt sich, da sie pointiert die Charakteristik ihrer Bühnen-Personae und ihres Images insgesamt festhalten. Ergiebige Quellen für eine solche Analyse sind einerseits die in der Tagespresse erschienenen Karikaturen von Lion in ihren Kabarettrevuerollen sowie die bei Ullstein Bild archivierten Fotos, da sie einen Querschnitt durch Lions Berliner Jahre darstellen. Der besondere Wert dieser Fotos liegt darin, dass bei ihnen die Gewissheit besteht, dass sie für ein Massenpublikum publiziert wurden. Denn die in einer eigenen Abteilung des Verlags – mittlerweile auch online – archivierten Fotografien58 wurden in den unterschiedlichen Zeitschriften und Zeitungen des Ullstein Medienkonzerns, wie beispielsweise in dem Boulevardblatt B.Z. am Mittag, in den Unterhaltungsblättern Berliner Illustrirte Zeitung, UHU, Tempo oder Die Dame oder auch in Zeitungen, die sich eher an eine geistige und künstlerische Intellektuellenschicht richteten, wie der Querschnitt oder die Vossische Zeitung, sowie in der eher sozialdemokratisch geprägten Berliner Morgenpost veröffentlicht. Die Fotos stammen von verschiedenen Ateliers und Fotografen, die von Ullstein beauftragt wurden, wie beispielweise dem Atelier Binder (vgl. Abb. 2 u. 3) oder dem Fotografen Rolf Mahrenholz (Abb. 6). Einige schriftliche Rezensionen bezeichnen Lion als eine Primadonna und eine Diva des Kabaretts.59 In ihrer fotografischen Inszenierung findet eine solche Zuschreibung eine Zuspitzung, ohne dabei die Perspektive auf Lions Kernimage des Grotesken zu verlieren. Vielmehr passt die Ästhetik des Grotesken ideal mit dem zusammen, was Silvia Eiblmayr „Die verletzte Diva [Hervorheb. orig.]“
57 Vgl. Elisheva Rosen: Art. „Grotesk“, S. 885 u. 895. 58 Abrufbar unter www.ullstein-bild.de (06.12.2016). 59 Vgl. Rezensionen Nr. 72, 122, 284 u. 398.
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nennt. Diese sei die Schnittstelle, in der im Rationalisierungsprozess des ausgehenden 19. Jahrhunderts die „Krise des Subjekts“, Prozesse der „Automatisierung, Mechanisierung und Elektrifizierung“, die vor allem auch die Entwicklung der Bild-, Sprach- und Tonmedien erfassten, und „ein damit verbundenes Phantasma von ‚Weiblichkeit‘“ zusammenliefen.60 Die Diva umfasse auf „paradigmatische Weise die künstlerischen Konzepte des 20. Jahrhunderts“61. In solchen Repräsentationen der Moderne werde ‚die Frau‘ zur Symptomfigur, wobei ihr (hysterisierter) Körper die Rolle eines Austragungsortes von technologischem Fortschritt und inszenierter Geschlechterbeziehung spiele.62 „‚Die Frau‘ symbolisiert auf ambivalente Weise das Bedrohungs- und zugleich auch das innovativ-revolutionäre Potenzial, mit dem das (männliche) Subjekt der modernen, technologisierten Zivilisation im Allgemeinen und der Künstler durch die spezifische Herausforderung der Fotografie, des Films und der neuen Produktions- und Reproduktionstechniken im Besonderen konfrontiert sind.“63
Die Diva sei laut Eiblmayr die massenmediale Version der Göttin Venus, die sich in der Moderne in Olimpia, den Automaten, und Olympia, die Prostituierte, aufspalte.64 Ohne darauf im Detail einzugehen, sei hier vor allem auf die bereits zitierte Charakterisierung Lions von Stuckenschmidt hingewiesen, der sie zu dem neuen, urbanen Typus der „venus vulgivaga“, „berlinisch Nutte“, erklärte. Die im UHU und im Querschnitt erschienenen Porträts greifen eine solche Mystifizierung auf, indem sie Lion in einer Mischung aus kreatürlicher Femme fatale und ihrer Modernität wie Mondänität als Neue Frau gleichermaßen inszenieren (Abb. 2–4).
60 Vgl. Silvia Eiblmayr: „Die verletzte Diva. Hysterie, Körper, Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts“, in Dies. u. a. (Hrsg.): Die verletzte Diva. Hysterie, Körper, Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Köln: Oktagon 2000, S. 11–28, hier S. 13. 61 Ebd. 62 Vgl. ebd., S. 15–18. 63 Ebd., S. 18. 64 Vgl. ebd., S. 13.
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Abbildungen 2–4: Porträts von Margo Lion in der Ullstein-Presse
Die Porträts in einer halbnahen Kameraeinstellung zeigen Lion mit einer lasziven, verruchten und abweisenden Mimik. Der Hintergrund auf den Abbildungen 2 und 4 ist kaum ausgeleuchtet, lediglich in Abbildung 3 wirkt der Hintergrund heller und bildet einen Schein um Lions Kopf. Auf allen drei Fotos ist ihre Haut angestrahlt, wodurch sie in alabasterner Farblosigkeit inszeniert wird. Das in Rezensionen so häufig auftretende Attribut ihrer bleichen Haut65 findet hier eine bildliche Entsprechung. Lions Hautfarbe steht durch ihre Helligkeit im scharfen Kontrast zum dunklen Hintergrund und ihrer noch dunkleren Kleidung, ihren schwarz geschminkten Lippen sowie ihren schwarzen, langen, hoch und rund gezupften Augenbrauen. Durch Bubikopf und Fliege beziehungsweise Zigarette als Accessoires wird sie in den urbanen Diskurs um die androgyne Neue Frau und in die Ästhetik des Grotesken gleichermaßen eingeordnet, der die Avantgarde der Weimarer Republik bestimmte. Es sind die typischen, für die moderne Frau stehenden Accessoires, wie sie unter anderem auch von den berühmt gewordenen Fotografien Marlene Dietrichs bekannt sind. Gleichwohl wirken sie hier befremdlich, unnatürlich und nicht, was nicht zuletzt die Neue Frau auch ausmachte, natürlich, befreiend, unbefangen. Die überzogenen, überlangen Augenbrauen und die bis ins Extreme betonten Augen verzerren die Proportionen in Lions Gesicht. Die Fliege macht gemeinsam mit dem Make-Up und dem so eng pomadisierten Bubikopf auf Abbildung 2 aus Lion geradezu eine geschlechtslose Kreatur, die an den Pierrot aus der Commedia dell’arte erinnert und den schon Frank Wedekind als Vorbild für seine Femme fatale Lulu heranzog. Der Zigarettenqualm in Abbildung 4 färbt die Szenerie mythisch-unheimlich ein. Lions Blicke auf den Abbildungen 2 und 3 sind zur Seite gewandt, scheinen den Fotografen oder die Fotografin zwar wahrzunehmen, ihn oder sie jedoch zu 65 Rezensionen Nr. 18, 21, 22, 36 u. 38.
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ignorieren. Ihre verschränkten beziehungsweise in die Hüften gestemmten Arme zeigen ihre Stärke und zeugen von einer gelassenen, überlegenen Haltung. Und auch auf Abbildung 4 werden Lion Arroganz, Kühle und Stärke fotografisch unterstellt. Sie nimmt dort die Betrachter aus der Vogelperspektive von oben herab in den Blick. Ihr Blick ist der einer Zerstörerin,66 der Femme fatale. Sie zerstört, auch im Sinne der Avantgarde, bürgerliche Weiblichkeitsideale in ihren grotesken Parodien der Chansons, was hier auch fotografisch inszeniert wird. Bereits in einer sehr frühen Rezension ihrer Karriere stehen die Merkmale ihres kontrastreich geschminkten und in Szene gesetzten Gesichts sowie ihr dünner, „geschmeidiger“ Körper im Mittelpunkt: „Weißgepudert mit schwarzen Lippen, schwarz und geschmeidig-schlank: Margo L i o n . Ihre Art ist messerscharf, herausfordernd und kalt. Aber ihr Körper vereint sich in (unwesentlichen) Shansons [sic!] mit Stimme und Dichtungsgehalt zu meisterhafter Präzision. Parodie nicht als Selbstzweck, sondern als Erlebnis.“67
Die Porträts von Lion bestätigen beziehungsweise forcieren solche sprachlichen Zuschreibungen. So liegt der Fokus auf Lions Gesicht, vor allem auf ihren Augenbrauen und halb geschlossenen Augen sowie den dunkel geschminkten Lippen. Der Kritiker Max Herrmann-Neiße68 bemerkt, wie viele andere Rezensenten gerade zu Beginn von Lions Karriere, ihr Auftreten in Schwarz-Weiß als originelles Markenzeichen.69 Ins Zentrum von Lions Wirkungsmöglichkeiten wurde über das Gesicht hinaus aber vor allem ihre Körperlichkeit gestellt. Neben den fast obligatorischen Hinweisen auf ihre Schlankheit beziehen sich die Beschreibungen häufig auch auf
66 Silvia Eiblmayr: „Die verletzte Diva“, S. 15. 67 Rezension Nr. 36. 68 Vgl. Rezensionen Nr. 22 u. 23. 69 Vgl. Rezensionen Nr. 18, 21, 22 u. 38.
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ihre schlenkrige Beweglichkeit.70 Lions Image ist geradezu durchdrungen von ihrer „körperlichen Elastizität“71, der schlank-schneidigen Eleganz72, den „verzerrten Linien“73 ihres „grotesk langgedrehten Körpers“74, der Exzentrizität ihres Körpers75. Sie sei „von schlanker, lachender Anmut“76, „exzentrisch-graziös[…], schlaksig-grotesk[…]“77, „überschlank, biegsam“78, eine „Schlangendame“79, „lang und dürr und schmiegsam“80. Lions Körper als Symbol für ihre groteske Parodie auf die Neue Frau fokussieren fast alle publizierten Fotografien, die Lion in einer halbtotalen Einstellung einfangen. So gut wie nie ist Lion ungebrochen dem Weiblichkeitstyp der Neuen Frau zuzuordnen, bezieht sich durch ihr modisches Auftreten zwar immer auf diesen, tritt durch ihre Mimik sowie das extreme Make Up und das extreme Kostüm jedoch in Distanz zu ihr. Stärker als die Attribute der typisierten Neuen Frau, also eine androgyne Körperlinie, der Bubikopf, ein Topfhut, gerade geschnittene Röcke oder Hosen, tritt auf Lions fotografischen Inszenierungen ihre Körperlichkeit selbst in den Vordergrund. Pate hierfür stand von Anbeginn ihrer Karriere und bis zu ihrem Tod ihre Bühnen-Persona, mit der sie ihr Chanson „Die Linie der Mode“ performte. Im Analysekapitel zum Chanson und Lions Performance wird hiervon noch detailliert die Rede sein. An dieser Stelle sei jedoch bereits auf den Erfolg dieser Bühnen-Persona hingewiesen sowie auf die markante Ähnlichkeit zwischen ihrer so prominent gewordenen gebogenen Pose (vgl. Abb. 15) und den vielen weiteren Aufnahmen von Lion aufmerksam gemacht (beispielhaft zu sehen auf den Abb. 5 und 6).
70 Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 227, 275, 279 u. 294. 71 Rezension Nr. 56. 72 Rezension Nr. 69. 73 Rezension Nr. 95. 74 Rezension Nr. 122. 75 Rezension Nr. 152. 76 Rezension Nr. 172. 77 Rezension Nr. 178. 78 Rezension Nr. 199. 79 Rezension Nr. 201. 80 Rezension Nr. 279.
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Abbildungen 5 und 6: Margo Lions typische Posen
So, wie Lion in ihren Chanson-Performances mit dem Kollektivimage der Neuen Frau bricht, so bricht hier auch ihr gewundener Körper mit der propagierten geraden, sachlichen, androgynen Linie der ‚neuen‘ Mode und des ‚neuen‘ weiblichen Körpers. Außer der gebogenen Körperhaltung haben diese Ganzkörperaufnahmen die Akzentuierung von Lions Gliedmaßen gemein. Stets sind vor allem ihre Arme in Szene gesetzt. Sie wirken frei schwingend, sind immer im Akt des Agierens abgelichtet und wirken so als zentrales Ausdrucksmittel. Auch die Karikaturen, die einigen Rezensionen zu Kabarettrevuen, in denen Lion mitwirkte, beigegeben waren, greifen diese Invarianzen in Lions Körperlichkeit auf (Vgl. Abb. 7–9).
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Abbildung 7: Karikatur des Ensembles aus der Kabarettrevue Was ihr wollt, 2. v. li. Margo Lion
Abbildung 8: Karikatur von Margo Lion (links oben) in Alles Schwindel!
Abbildung 9: Karikatur von Margo Lion (rechts) in Sie werden von uns hören
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Während auf den Fotos Lions biegsame, geschmeidige Linie dargestellt wird, finden sich auf den Karikaturen Zuspitzungen auf Lions „eckig-schmale“81 Silhouette sowie vor allem auf ihre langen82, spitzen83 Gliedmaßen, ihre Nase und ihr Kinn. Diese Hervorhebungen mögen in der Charakteristik und der Funktion der Karikatur begründet liegen, denn durch sie entstehe, laut Jürgen Henningsen, „ein Mißverhältnis, eine Mißgestalt: ein Glied im erworbenen Zusammenhang des mitgebrachten Wissens wird so vergrößert, daß die übrigen Glieder nicht länger in der bisherigen Weise damit integriert bleiben können: die Struktur lockert sich“84. Das so beschriebene ästhetische Prinzip der Karikatur kommt dem ästhetischen Kern des Grotesken entgegen, weil beide von einer Überspitzung, von der übertreibenden Abweichung von einer Norm leben. Lion wurde nicht nur selbst als Karikatur, sondern auch als Karikaturistin verstanden, die es vermochte, den Zeitgeist einzufangen und durch Überspitzung und Verzerrung zu parodieren. So ist die Karikatur durch ihre Ähnlichkeit mit Lions grotesker Spezifik eines der geeignetsten und damit wichtigsten Medien, um ihre Leistung gleichermaßen zu interpretieren wie zu würdigen und um ihr Image mittels bildlicher Invarianzen festzuhalten und zu publizieren. Die Karikaturen von Lion können gerade deshalb so prägnant wirken und bringen ihr Image der grotesken Neuen Frau auf den Punkt, weil Lions auf körperliche Charakteristika basierende Performances sowie ihr Fremdimage, wie es in den noch näher zu analysierenden Rezensionen zum Ausdruck kommt, eine Symbiose mit der zeichnerischen Darstellung eingehen. Die in den Karikaturen grotesk lang dargestellten Gliedmaßen Lions verbildlichen die Ambivalenz in ihrem Image, das zwischen dem hässlichen, unheimlichen, dem eleganten, schönen und dem komischen Aspekt des Grotesken changiert. Die Karikaturen greifen als pointierte, verdichtete Charakteristika Lions Schlankheit, ihren Bubikopf, ihre runden Augenbrauen und ihren breiten Mund sowie ihre spitze Nase und das spitze Kinn heraus, bezeichnen und verdichten somit ihr Image. Der Bubikopf, das kurze, enge Kleid in Abbildung 8 sowie der moderne Hosenanzug in Abbildung 9 ordnen sie der Mode der Neuen Frau zu. Die groteske Übertreibung ihrer Körperlichkeit und ihrer Mimik stehen zugleich in enger Verbindung mit ihrer Performance. So wie der Körper auch in den sprachlichen Rezensionen für Lions Parodie und ihre Zeitsatire einsteht, so verbildlicht
81 Rezension Nr. 29. 82 Vgl. Rezensionen Nr. 62, 101, 110, 121, 122, 152, 155, 159, 160, 165, 166, 183, 189, 195, 203, 210, 215, 216, 229, 235, 256, 263, 279, 287 u. 288. 83 Rezensionen Nr. 58, 91, 96, 101, 110, 139 u. 241. 84 Jürgen Henningsen: Theorie des Kabaretts, S. 44.
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seine zeichnerische Darstellung hier ihren spitzen, scharfen, frechen und schlagfertigen Stil. So komisch, arrogant, grotesk die Karikaturen wirken, so komisch, arrogant und grotesk wurden Lions Performances wahrgenommen. Die Fokussierung auf Nase, Mund und Gliedmaßen, wie etwa auf Abbildung 8 zu sehen, ist nicht nur als Übertreibung ihrer Körperlichkeit, sondern zugleich auch als Analogie ihres Handelns als Bühnen-Persona zu sehen. Karikaturen vermögen durch ihre Pointierungskraft ein Image zu verbildlichen. Darüber hinaus, das sei zuletzt angemerkt, sind sie auch ein Indikator für die Prominenz der Abgebildeten, denn die Karikatur ist nur dann verständlich, wenn ihr Referenzobjekt den Betrachtern bekannt ist. Die Karikaturen werden nur deshalb als solche von Lion erkannt, weil Lions spezifische Körperlichkeit bereits so sehr in ihr Image, also in das allgemein bekannte und geteilte Vorstellungsbild von ihr, eingegangen ist.
D AS K OLLETKIVIMAGE DER D ISEUSE : Y VETTE G UILBERT – M ARYA D ELVARD – M ARGO L ION Die Bilder von Lion in ihrem Kostüm sowie die sprachlichen Beschreibungen ihrer Körperlichkeit haben ihre Karriere begleitet wie kein anderes Merkmal. Das Magazin druckte beispielsweise im November 1924, also gut ein Jahr nach ihrem Auftritt in der Wilden Bühne, eines ihrer Rollenfotos im schwarzen Kleid mit der Bildunterschrift „Eine lebende Karikatur: Die Diseuse Margo Lion“85 ab. Zum anderen stellen diese (fotografischen, zeichnerischen und sprachlichen) Bilder Lion in eine Traditionslinie von erfolgreichen Diseusen, die ebenso mit ähnlichen karikaturistisch typisierten Merkmalen ausgestattet wurden und somit ein Kollektivimage bildeten, das nicht nur auf Lion, sondern auch auf andere Diseusen wie Blandine Ebinger, Kate Kühl oder Rosa Valetti Einfluss ausübte und von ihnen in den 1920er Jahren aktualisiert und erweitert wurde. Die Blässe Lions, ihre gebogene Haltung, ihr grotesker Körper und auch ihre Handschuhe verweisen auf eine
85 Das Magazin, Nr. 3 (November 1924), S. 20. Das Magazin erschien im Oktober 1924 zum ersten Mal und orientierte sich mit seinem handlichen Pocket-Format am amerikanischen Markt. Die Illustrierte bestand aus einem Themenmix aus Film, Tanz, Literatur, Mode und Fotografie. Mit ihrer Auflage von über 200.000 Exemplaren war sie eine der erfolgreichsten Monats-Illustrierten der 1920er Jahre. Das Magazin existiert bis heute (diese und weiter Informationen unter http://www.dasmagazin.de/?page_id=188 [06.12.2016]). Aufgrund des Erfolgs der Illustrierten kann die Wirkung des Labels, das Lion hier zugeschrieben wurde, nicht hoch genug eingeschätzt werden.
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Tradition von Diseusen-Darstellungen, die durch Henri Toulouse-Lautrecs Plakatzeichnung von Yvette Guilbert (vgl. Abb. 10) und derjenigen von Marya Delvard durch Th. Th. (Thomas Theodor) Heine (vgl. Abb. 11) geprägt wurde. Damit wird Lion zur direkten Nachfolgerin der beiden erfolgreichsten Diseusen vor dem Ersten Weltkrieg. Abbildung 10: Yvette Guilbert, gemalt von Henri Toulouse-Lautrec
Yvette Guilbert gilt als Patin und Vorbild jeder weiteren Fortentwicklung der Diseusen im Kabarett über Paris hinaus und wird entsprechend als „Schöpferin eines neuen Vortragsstils“86 verstanden. Durch „die Guilbert“87 „wurde das Chanson in der ganzen Welt populär“88. Ihre Rolle im Kulturtransfer vom Chanson des Montmartre sowie der Kabarett-Idee im Allgemeinen und der neuentdeckten Ästhetik der Diseuse, obwohl sie selbst nur außerhalb des Kabaretts in Café-Concerts und Music Halls auftrat, wird in jeder Kabarettgeschichte betont und gewürdigt. Als einzige Frau habe sie sich in Frankreich den Weg zum Chanson „freigekämpft“89.
86 Rainer Otto u. Walter Rösler: Kabarettgeschichte, S. 19. 87 Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 29. 88 Ebd., S. 31. 89 Klaus Budzinski: Die Muse mit der scharfen Zunge, S. 30, vgl. auch ebd., S. 21.
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Die Guilbert als weibliche Kämpferin wird mit sprachlichen Mitteln wie der Ersetzung des Vornamens durch den bestimmten Artikel zur Diva stilisiert. Doch nicht nur sprachlich erzählend wird dieses Divenimage entworfen; besonders einflussreich für ihre Rezeption und Tradierung sind die Veranstaltungsplakate von Henri Toulouse-Lautrec.90 Zudem veröffentlichte er 1894 einen Sammelband mit 16 lithographierten Randillustrationen, die die Situation der Pariser Café-Concerts, in denen Guilbert berühmt wurde, beschreiben und die ausschließlich der Diseuse und ihrem Erfolg gewidmet waren.91 So stellt die Umschlagzeichnung Guilberts schwarze Handschuhe, ihr Markenzeichen, dar.92 Mit der bildlichen Fixierung in diesem Bildband und der Popularisierung durch die Veranstaltungsplakate kann Gilbert nicht nur als erste Diseuse überhaupt, sondern zugleich auch als erste Imageträgerin der Diseusen gelten. Toulouse-Lautrec war vor allem Porträtist, dessen Bilder in einem „direkten Erlebnisbezug“93 standen und für den „allein die Figur existiert“94. Sein Umfeld, in dem die pointierten Porträts vieler Künstler entstanden, war der Montmartre von Paris und damit auch die Kabarettbühne. Der Kunsthistoriker Götz Adriani sieht in den Gemälden von Toulouse-Lautrec ein Wirklichkeitsabbild, das im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit in Einklang mit dem konstruktivistischen Konzept der mimetischen Identifikation gebracht werden kann und zugleich
90 Dass vor allem die Plakate von Toulouse-Lautrec zu seiner eigenen Tradierung beigetragen haben, beschreibt Götz Adriani: „In dem kurzen Zeitraum zwischen 1891 und 1901, dem Todesjahr des Künstlers, entstanden 351 Lithographien. Darunter befinden sich 28 Plakate, die schon früh seinen Ruhm zu sichern vermochten. Sie waren es, die den Namen des südfranzösischen Aristokraten publik machten und die bis heute – mit immerwährendem Erfolg reproduziert – sinnigerweise auch zum Schmuck von Aschbechern, T-Shirts, Handtüchern und ähnlich nützlichen Utensilien beizutragen haben“ (Götz Adriani: Toulouse-Lautrec. Das gesamte graphische Werk (= Sammlung Gerstenberg), unveränd. Studienausg. des 1986 ersch. Buches, Köln DuMont 2002 [Ausstellungskatalog Kunsthalle Tübingen, 14.9.2002–06.01.2003], S. 11). 91 Vgl. Götz Adriani: Toulouse-Lautrec. Das gesamte graphische Werk, S. 116–130 u. Ders.: Toulouse-Lautrec. Gemälde und Bildstudien [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung], unveränd. Studienausg. des 1986 erschienenen Katalogbuches, Köln: DuMont 2002, S. 178. 92 „Die schwarzen Handschuhe der Yvette Guilbert (Gant noirs d’Yvette Guilbert), 1894“, in: Götz Adriani: Toulouse-Lautrec. Gemälde und Bildstudien, S. 180f. 93 Ebd., S. 13. 94 Zit. nach: ebd.
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Toulouse-Lautrecs Fähigkeiten herausstellt, Beobachtungen zu Invarianzen eines Images zu verdichten: „Lautrec demontierte einen auf Faktentreue festgelegten Realismusbegriff, indem er seine Figuren derart verdichtete, daß sie sich eigenartig von ihrer Ursache lösen und selbst in ihrer Ausschnitthaftigkeit Zeitloses im Zeitgenössischen repräsentieren. So gelang es ihm, die wahren, Faktisches und Allegorisches beinhaltenden Historienbilder dieser späten Epoche zu ermitteln. An die Stelle der vermeintlichen Augenzeugenschaft des Historienmalers, der mittels raffinierter Stilkonglomerate geschichtliche Zuverlässigkeit suggerierte, traten die Gestaltformen durchlebter Wirklichkeit. Die Scheinwelt von Theater, Kabarett, Tanzdiele und Bordell, die den Wunsch des Fin de siècle nach Verdrängung von Wirklichkeit zu institutionalisieren suchte, bildete den zentralen Gegenstand eines betont auf das Wirkliche gerichteten Kunstwillens. Direkt Erfahrenes wurde in Kunst umgesetzt und nicht wie bei vielen der Altersgenossen mit den Mitteln der Kunst illustriert. Nicht der zeitgebundene Augenzeuge zeichnete ein Milieu, sondern der große Künstler der Menschen.“95
Sprechen diese von Bewunderung durchwirkten Äußerungen zunächst von der Darstellung einer Wirklichkeit und Wahrheit, so stellen sie doch auch treffend heraus, dass es sich bei Toulouse-Lautrecs Bildern um subjektive Eindrücke handelt. Sie geben nicht vor, aus einer Distanzhaltung heraus die Wirklichkeit objektiv widerzuspiegeln, sondern halten sie als Eindruck des Selbsterlebten verdichtet fest. Diese Wahrnehmungsperspektive und die Stilisierung der Merkmale sind von nicht zu unterschätzendem Wert für die Imageentwicklung von Guilbert. Bezeichnend ist, dass in der Rezeption von Toulouse-Lautrecs Bildband über Guilbert vor allem ihre dargestellte Hässlichkeit wahrgenommen und positiv oder negativ bewertet wurde. Doch nicht nur die Rezeption von Toulouse-Lautrecs Bildern war bestimmt von diesem Merkmal, auch die Wahrnehmung von Guilbert selbst wurde fortan von Attributen der Hässlichkeit und Groteske geprägt. Mit dieser Pointierung ist die erste Diseuse Guilbert selbst als immer gleich gezeichnetes Bild in die Kabarettgeschichte eingegangen.96 Eine solche Rezeptionsrichtung spiegelt sich auch darin wieder, dass, obwohl Guilbert in jeder Kabarettgeschichte mehr oder weniger ausführlich als erste Frau und gleichzeitig als
95
Ebd., S. 14.
96 Die Musikwissenschaftlerin Annette Ziegenmeyer hat das Bild von Yvette Guilbert in ihrer Dissertation Yvette Guilbert. Pionierin einer musikalischen Mediävistik zum Hören (musicolonia 11), Köln: Verlag Dohr 2013, um ihre Tätigkeit als Vermittlerin des altfranzösischen Chansons erweitert.
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richtungsweisend für das Kabarett (neben Rodolphe Salis, dem ersten Kabarettgründer, und Aristide Bruant) genannt wird, sich ihre Beschreibung auf ein einziges Zeitzeugnis von Erich Klossowski beschränkt. Dieses wird kommentarlos, meist ohne als Quelle ausgewiesen zu werden, in den Texten der Autoren eingefügt. Klossowski beschreibt Guilbert in seinem Büchlein über das Pariser Künstlerviertel Montmatre „als eine große, hagere Person mit eckigen, saloppen, gesucht unschönen, aber suggestiven Gesten; Gesten von einer unsagbaren, scabreusen Gemeinheit, einem erschreckenden Cynismus, einer verruchten Blasiertheit… Scharf und heiser, doch mit einem hysterisch leidenschaftlichen Accent zwischen den großen, schmalen Lippen hervorgestoßen, fallen die Worte: in einem degoutierten, ennuyierten Ton, rhythmisch abgehackt… Das blasse, knochige Gesicht, in dem über den spitzen Backen nur die grauen, harten Augen zu glühen scheinen, wie phosphoreszierend unter dem verblichenen Rot der welken, strohigen Haare; die weite helle Masse des schlichten, damenhaften Kleides, jäh durchschnitten zuweilen von den wie getuschten langen zittrigen Flecken der Handschuhe, in denen die dürren Arme stecken. Dieses lebendig gewordene Plakat, dieses Mannweib, halb verblühte Kokotte, halb englische Gouvernante – das ist Yvette Guilbert…“97
Analog zu Toulouse-Lautrecs Zeichnung erhält Guilbert von Klossowski die Attribute Hässlichkeit, Männlichkeit und Schärfe im Ausdrucksvermögen. Er stellt vor allem die Exzentrik ihres Körpers als auch ihrer Gestik heraus, ein abgehackter Rhythmus bestimme Guilberts Interpretation als eine melodiöse Ausgestaltung der Chansons. Sie ist das Gegenteil des Weiblichkeitsideals des 19. Jahrhunderts. Vielmehr ist sie Ausdruck des fin de siècle und wird durch eine solche Charakterisierung eindeutig der Bohème des Montmartre zugeordnet. Am bemerkenswertesten erscheint jedoch Klossowskis Beschreibung von Guilbert als lebendig gewordenes Plakat. Hier wird das Verhältnis von Vorbild und Abbild umgekehrt, so als stünden Toulouse-Lautrecs Bildnisse am Anfang (auf die höchstwahrscheinlich angespielt wird), die dann durch Guilbert zum Leben erweckt würden. Diese zunächst verwirrende Beschreibung trifft den Tradierungsprozess und die Bedeutungszuschreibung jedoch im Kern. Denn durch das Plakat hat Guilbert ein mediales Konterfei bekommen, das eine wichtige Grundlage für ihre Bekanntheit und ihren Ruhm legte. Klossowski ahnte selbst wahrscheinlich noch nicht, dass auch sein sprachliches Bild dieselbe Funktion erhalten sollte.
97 Erich Klossowski: Die Maler von Montmartre. Willette, Steinlen, T.-Lautrec, Léandre (= Die Kunst 15), Berlin: Julius Bard 1903, S. 50–52.
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Ihr Image ebnete jedoch nicht nur Guilbert als Einzelperson den Weg zum Erfolg, sondern durch ihre Vorreiterrolle auch dem Kollektivimage der Diseuse. Sie wurde zum Maßstab der späteren Diseusen und legte deren immer wieder geforderte und gelobte Merkmale der Groteske, der Satire und der Schärfe fest. Das Fremdimage Lions geht geradewegs auch auf narrative Muster, wie sie im Fin de Siècle entstanden, zurück. Die Imagekonstruktion Lions ist damit nicht nur abgeschlossen innerhalb ihrer Karriere zu suchen, sondern auch in die hier skizzierte Tradition zu setzen. So wie Guilbert in der Geschichte der Diseusen die Rolle eines Vorbildes zugeschrieben wird, so erhält auch die Diseuse Marya Delvard eine ähnlich tragende Rolle. Sie weist in ihren Inszenierungsstrategien durchaus Ähnlichkeiten sowohl mit Yvette Guilbert als auch mit der Bühnen-Persona von Margo Lion auf. Abbildung 11: Marya Delvard, Plakat von Th. Th. Heine
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Delvard wird in der Kabarettgeschichte „zur Gütemarke“98 und zum Deus ex Machina des Kabarettisten-Ensembles Die Elf Scharfrichter in München stilisiert. Dramatisch ausgeschmückt beschreibt etwa Klaus Budzinski ihren Premierenauftritt im Münchener Kabarett: „Nun aber erschütterte ein donnernder Applaus den Saal. Man stürmte die Bühne, umarmte und küßte die große Diseuse, als die sie sich erwiesen hatte; der Bann war gebrochen, die ‚Elf Scharfrichter‘ waren gerettet.“99 Als Quelle nennt Budzinski Delvard selbst, ohne diese Aussage näher zu belegen. Sei es eine weitererzählte beziehungsweise weitergeschriebene Erfahrung oder eine Selbststilisierung Delvards, Budzinski setzt sie unkommentiert und unkontextualisiert neben eine weitere Zeitzeugenaussage, auch diese nicht näher belegt: „Nichts wußte man von ihr, ein Legendenkranz legte sich in tausendfältigen Windungen um ihr Dasein, die Fülle mehr oder weniger geflüsterter Anekdoten machte sie berühmt und beredet. Aber alles vergaß sich, wenn sie dastand, hoch, schlank, strengumrissen, fast unbeweglich und doch voll zitternden Lebens, die gallisch großen, ausdrucksschönen Hände übereinandergelegt, wenn ihr schwerer, das bleiche Antlitz leidenschaftlich betonender Mund sich auftat und sie mit glockenhaft tiefer Stimme ihre Lieder und Balladen nicht nur sang, sondern wahrhaft erstehen ließ.“100
Delvard scheint hier weniger Mensch als Fabelwesen, weniger Künstlerin als Erlöserin zu sein, und wie auch in den Rezensionen zu Lion beobachtet, lassen sich auch hier Widersprüchlichkeiten entdecken, die die groteske Stilistik Delvards beschreiben („mit glockenhaft tiefer Stimme“). Die Typologisierung Delvards als metaphysisches Wesen findet sich in allen weiteren Kabarettgeschichten wieder. In Delvard scheint das Image der Elf Scharfrichter einen Kristallisationspunkt gefunden zu haben, der in jeder Kabarettgeschichte weiter gefestigt wird: „Halb Somnambule, halb Leiche“, nachtwandelnder „Geist einer Ermordeten“, bei deren Anblick man an „Sünde, vampirisch zehrende Grausamkeit und Tod“101 denke. Dies ist die Rolle, die Delvard innehatte und die dem Publikum des Kabaretts sowie den späteren Lesern von Kabarettgeschichten auch vermittelt werden sollte. Delvard sei „der erste Bühnenvamp“ und habe durch ihre Aufmachung „ihr unverwechselbares Image“ gefunden, das Th. Th. Heine mit ihrer Umrisskarikatur
98 Klaus Budzinski: Die Muse mit der scharfen Zunge, S. 54. Vgl. auch Rainer Otto u. Walter Rösler: Kabarettgeschichte, S. 29. 99 Klaus Budzinski: Die Muse mit der scharfen Zunge, S. 54. 100 Quelle unbekannt, zit. nach ebd., S. 55. 101 Vgl. Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 98 u. 103.
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für das Werbeplakat verewigt habe.102 Die elf Scharfrichter um Marc Henry werden dort (vgl. Abb. 11) als Monster im Stil von Th. Th. Heines Doggen für die Künstler-Zeitschrift Simplizissimus fast anonymisiert, wohingegen Delvard als einzige Ganzkörper-Karikatur im Vordergrund steht. Das Dämonische der Scharfrichter-Köpfe findet hier seine Entsprechung im Körperlichen. Sowohl in der Inszenierung Delvards als unerwartete Erscheinung auf der Kabarettbühne, von der man vorher nichts gewusst habe, als auch in den Beschreibungen ihrer Bühnen-Persona lassen sich narrative Strategien entdecken, die so auch in der Imagekonstruktion Lions verankert sind. Es ist erstaunlich, wie ähnlich beispielsweise Felix Joachimsons Rezension zu Lions Chansonsperformance von „Die Linie der Mode“ aufgebaut ist: „Weißgepudert mit schwarzen Lippen, schwarz und geschmeidig-schlank: Margo Lion. Ihre Art ist messerscharf, herausfordernd und kalt. Aber ihr Körper vereint sich in (unwesentlichen) Chansons mit Stimme und Dichtungsgehalt zu meisterhafter Präzision. Parodie nicht als Selbstzweck, sondern als Erlebnis.“103
Die Beschreibungen von Lion sind zwar nicht ganz so dämonisch-vernichtend wie die zur Jahrhundertwende von Guilbert und Delvard, sie erscheint nicht so geisterund legendenhaft wie letztere aus dem Nichts, sondern lediglich aus dem Modesalon, und auch ihre Handschuhe sind kürzer geworden, aber ihre neusachliche Beschreibung läuft dennoch auf die gleichen Attribute hinaus: tiefe Stimme, deformierter und grotesker Körper mit entsprechenden Gesten, die in ihrer Gesamtheit gleichzeitig Befremden und Begeisterung erregen. Auch sie kreiert ihre Chanons einer Ästhetik des Grotesken folgend, die nicht nur als bloße Interpretation, sondern als plastisches Erlebnis wirkt. Die Fotografien, zeichnerischen Karikaturen und auch die vielen Rezensionen schreiben Lion also auf zwei Wegen Qualität zu, die image- und erfolgsbestimmend wirken sollten. Zum einen stellen sie ihre Fähigkeiten als groteske Parodistin und Karikaturistin heraus, indem sie ihre Art der Chansoninterpretation mit ihrem Kostüm, dem Inhalt des Chansons und vor allem ihrem Körper in Einklang bringen. Zum anderen ist das so konstruierte Fremdimage Lions aber auch Produkt einer Traditionslinie, die für Originalität, Zeitgeist und Erfolg steht. Yvette Guilbert und Marya Delvard waren beide Ausnahmeerscheinungen in der männerdominierten Kabarettszene bis zum Ersten Weltkrieg. Als solche wurden sie in ihrer
102 Lisa Appignanesi: Das Kabarett, S. 43. 103 Rezension Nr. 18.
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Einzigartigkeit überhöht, wurden zu idealisierten und gefürchteten Frauen gleichzeitig. Die Ähnlichkeit in ihren Darstellungen belegt die dichte Verschränkung von spezifischen Eigenimages und deren Bezugnahme auf ein Kollektivimage, wie eine erfolgreiche Diseuse zu sein habe, und so wurden Lions Leistungen mit diesem Maß gemessen: „Ihre Liedervorträge und ihr Auftreten erinnern ein wenig an Guilbert. Sie hat Temperament und Rasse gemischt mit einem Schuß Zynismus. Ihr Können ist unbestritten beachtlich“104. Abbildung 12: Margo Lion, Karikatur von Godot
Schließlich standen alle diese Diseusen auch als Karikaturen für ihr kulturelles Umfeld: So wie Guilbert verbunden war mit dem Pariser Montmartre, so war Delvard verknüpft mit der Münchener Bohème105, und Lion wurde zur Verkörperung
104 Rezension Nr. 17. 105 „Ihr Aussehen, ihr ganzes Wesen, imaginierte so recht den Typ des ‚momentan-Weiblichen’ Schwabingerischen Problemweibtums“ (Heinz Greul: Bretter, die die Zeit bedeuten, S. 125).
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des „Großstadtsumpfes“ (in Anlehnung an Pfitzner und Stuckenschmidt) Berlin. Lions Image ist seit ihrem Auftritt mit „Die Linie der Mode“ in der Wilden Bühne „eingenäht“106 in die Karikatur des Weiblichkeitstyps der Neuen Frau.
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VON
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Das Image wurde zu Beginn dieser Arbeit als gefühlsgeladenes Vorstellungsbild von einem Meinungsgegenstand, das von einer größeren Gruppe der Bevölkerung geteilt wird, definiert.107 Und wenn somit ein Image nur dann existiert, wenn es als kollektives Vorstellungsbild wahrnehmbar ist, muss es eine gewisse Prägnanz besitzen, „die durch die Wiederholung ein und derselben Botschaft auf verschiedenen Präsentationsebenen idealiter gewährleistet wird“108. Eine solche Wiederholung wurde bereits anhand von Lions Repertoire und ihrer bildlichen Inszenierung herausgestellt. Doch reicht es nicht aus, ausschließlich auf die künstlerische Produktion (also auf die Ebene des Eigenimage) zu schauen, um Lions Imagekonstruktion zu beschreiben. Der Prämisse folgend, dass ein Image „nicht allein aus den Informationen, Bildern und Texten der Medien [besteht], sondern vielmehr Produkt der Verarbeitung dieser Zeichen und Aussagen“109 ist, soll im Folgenden untersucht werden, welche Wirkung die künstlerische Produktion Lions erzielt hat, ob diese also überhaupt zu einem Eigenimage, das nur durch Rezeption existent ist, verdichtet werden kann. Welche Merkmale typisierten Lion? Wurden diese Charakteristika über einen längeren Zeitraum wahrgenommen, gewährleisteten also eine diachrone Kontinuität des Images? Es ist zu untersuchen, ob das bereits beschriebene Verhältnis von Typsierung und Individualität110 in der Wahrnehmung von Lions Person als Diseuse vorhanden ist. Zu diesem Zweck wurde eine Themen- und Werteanalyse von Rezensionen, die in den Printmedien zwischen 1923 und 1933 erschienen sind, durchgeführt. Diese zweistufige Methode der Imageauswertung ist an die Kommunikatorstudie von Silke Borgstedt angelehnt.111 Zielrichtung und Vorgehen sind entsprechend eng an ihrer Studie orientiert. Ziel einer solchen Themen- und Werteanalyse ist, wie Borgstedt formuliert,
106 Rezension Nr. 22. 107 Vgl. das Kapitel „Das Image: Ein variables Vorstellungsbild“. 108 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 98. 109 Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 23. 110 Vgl. das Kapitel „Konstruktion und Funktion von Leitbildern“, S. 37–42. 111 Vgl. Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 151 und Bsp. auf Seite 161, 206 u. 241.
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„a) die empirische Herausarbeitung derjenigen (Themen-)Kategorien, die imagerelevante Informationen beinhalten sowie b) die Darstellung der in den Kategorien repräsentierten Werte und Bedeutungen“112. Methodisches Vorgehen Alan Lareau hat in seiner Dissertation versucht, die Programme der vier Kabaretts Schall und Rauch, Wilde Bühne, Die Gondel und Die Katakombe zu rekonstruieren. Dabei weist er auf die desolate Quellensituation hin, betont jedoch ausdrücklich den Wert von Rezensionen in den Printmedien dieser Zeit. Auch wenn sie nur zum Teil repräsentativ für eine breite Publikumsmeinung seien, so gäben sie dennoch unverzichtbare Auskunft über die Kabarettprogramme und deren Wahrnehmung.113 Gleiches gilt für ihre Bedeutung in der Analyse von Lions Image. Ausgewertet wurden 300 Rezensionen, die imagerelevante Informationen enthalten, also über die bloße Nennung von Lion als Akteurin eines Kabarettprogramms oder einer Revue hinausgehen. Entsprechend der Anlage und der Fragestellung dieser Arbeit wurden Rezensionen zu Lions schauspielerischen Tätigkeiten in Filmen und auf Theaterbühnen nicht berücksichtigt und die Untersuchung auf den Zeitraum ihrer Karriere in Berlin der Weimarer Republik begrenzt. Die Stichprobe besteht aus Rezensionen, die in diesem Zeitraum in der Berliner Illustrirten, dem Querschnitt und der Vossischen Zeitung erschienen sind, den gesammelten Schriften von Max Herrmann Neiße als etablierter Kabarettkritiker, dessen umfangreiche Sammlung von Rezensionen in seinen Gesammelten Werken erneut publiziert wurden114 und die um eine Durchsicht der Zeitschrift Der Kritiker115 ergänzt wurde, außerdem aus Artikeln sowie deren Abschriften durch Reinhardt Hippen aus dem Kabarettarchiv Mainz,116 vor allem aber aus den gesammel-
112 Ebd., S. 149. 113 Vgl. Alan Lareau: An unhappy love, S. 25. 114 Max Herrmann-Neiße: Panoptikum. Stücke und Schriften zum Theater (= Gesammelte Werke 3), Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988 u. Ders.: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst (= Gesammelte Werke 8), Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988. 115 Die Durchsicht erfolgte in den vorhandenen Ausgaben der monatlich zwischen 1919 und 1927 erschienenen Zeitschrift Der Kritiker, wie sie mittels einer DFG-Nationallizenz auf der Internetseite http://db.saur.de/LEX/login.jsf;jsessionid=53e890c4b245 c5dd9780d6a98532 (06.12.2016) zur Verfügung stehen. 116 Im Folgenden abgekürzt mit StKA.
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ten Zeitungsausschnitten der Sammlung Marcellus Schiffer/Margo Lion im Archiv der darstellenden Künste in der Akademie der Künste Berlin. Die dort archivierten Zeitungsausschnitte wurden größten Teils von dem Adressenverlag und der Zeitungsausschnittdienstagentur Adolf Schustermann in Berlin gesammelt, die auch im Auftrag unter anderem von Heinrich Schenker und Paul Bekker für die Personen relevante Zeitungsartikel gesammelt hat.117 Da sich diese Ausschnitte im Nachlass von Schiffer/Lion befinden, ist davon auszugehen, dass sie der Firma den Auftrag erteilt haben, alle Zeitungsartikel, in denen sie genannt werden, zu sammeln. Ein solcher Auftrag sowie die aufbewahrte Sammlung mag auf Lions und Schiffers Interesse an ihrer Außenwirkung hinweisen. Schließlich gibt das Konvolut einen umfangreichen Einblick in die Darstellung der Presse und das Fremdimage von Lion.118 Die schriftlichen Rezensionen bieten deshalb eine ideale Basis für die Auswertung von Lions Fremdimage, da sie sich als Sekundärtexte auf die von Lion produzierten Primärtexte (das heißt im Sine eines erweiterten Textbegriffs ihre Chansons und ihre Chansonperformances) beziehen. Dennoch bezeichne ich diese
117 Die Firmengeschichte und ein Katalog aus den 1920er Jahren des seit 1893 existierenden Adressenverlags und der Zeitungsausschnittagentur Adolf Schustermann sind auf der Homepage des Direktmarketing-Unternehmens Scholz direct einzusehen, das aus der Firma hervorgegangen ist: Scholz direct, http://www.scholz-direct.de/index.php/unternehmen, (06.12.2016). In diesem Katalog findet sich Werbung für den Zeitungsausschnittdienst, die deutlich macht, warum dieses Konvolut so wertvoll auch für die vorliegende Studie ist: „Eigentlich müßten Sie alles Wichtige kennen, was in der Presse über Ihr Interessengebiet veröffentlich wird. Eigentlich müßten Sie auch wissen, was die Oeffentlichkeit über Sie und Ihre Arbeit denkt. Ein jeder braucht die Anerkennung als Ansporn; niemand ist so stark, daß er berechtigten Tadel überhören dürfte. Unrichtigen Behauptungen muß man entgegentreten können. Wer aber wäre imstande, auch nur einen Bruchteil aller Zeitungen und Zeitschriften zu lesen? Adolf Schustermann hat dies Unmögliche möglich gemacht. Wir lesen für öffentliche Unternehmungen, für Familienarchive und für die Prominenten aller geistigen Berufe“ (unpaginiert). Entsprechend stellt die Sammlung von Zeitungsausschnitten, wie sie in der AdK archiviert wird, die Meinungen und Wahrnehmungen zu Lions Schaffen, also ihr Fremdimage, dar. 118 Da in Berlin täglich 147 Tageszeitungen in mehrfachen Ausgaben erschienen und diese heute nicht mehr vollständig erhalten sind, kann diese Auswahl leider keiner umfassenden Kontrolle durch eine komplette Durchsicht der Tagespresse unterzogen werden.
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Rezensionen nicht, wie Silke Borgstedt, als eine „Meta-Ebene der Imagekonstruktion“119. Sie sind vielmehr selbst Ausdruck und inhärenter Bestandteil der Imagekonstruktion, weil sie nicht nur die Wirkung von Lions Performances verdichten, sondern selbst auch Erwartungen an ihre Produktion zurückspiegeln. Hauptartikel über Lion, also solche, die sich ausschließlich mit ihr befassen, liegen nur vereinzelt vor, wobei diese weniger Text bieten, sondern meist aus einer Fotografie mit Kommentar bestehen, weshalb solche nicht hier, sondern in die Analyse ihrer publizierten Fotos Eingang fanden (Kapitel „Bildliche Inszenierung: Die „Ullsteinbilder“ und Karikaturen“). Die sprachliche Auseinandersetzung mit ihr findet in den Artikeln neben der Besprechung anderer Akteure und Akteurinnen einer Revue beziehungsweise eines Kabarettprogramms statt. Dies hat zur Folge, dass Lion oft lediglich namentlich erwähnt wird oder, was für das Image von nicht zu unterschätzendem Wert ist, pointiert in nur wenigen Sätzen von ihrem Typ und ihrer Leistung berichtet wird. Als erstes wurden aus den Rezensionen die in der Tabelle 3 zu sehenden Themen induktiv abgeleitet, um erste Informationen zur inhaltlichen Verortung von Lions Image zu erhalten.120 Zugleich wurden für die Imageanalyse nichtrelevante Textteile wie die Besprechung anderer Akteure und Akteurinnen, Informationen zu Aufführungsort und -zeit etc. aussortiert. Die Stichprobe enthält 1190 „Auswertungseinheiten“121, die sich zu 22 Themen bündeln lassen (vgl. Tabelle 3).
119 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 149. 120 Vgl. dazu auch das Vorgehen von Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 151. 121 Ebd.
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Tabelle 3: Themenanalyse Thema 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.
Bühnen-Persona Vortrag Repertoire/Chansons Körperlichkeit Leistung/Können Erfolg Originalität Chanson-Protagonistin Stimme Kabarett Frankreich/Paris Diseuse Kunst Publikum Karriere/Entwicklung Geschlecht Vergleich mit anderen Künstlerinnen Zeitkritik Berlin Kostüm Marcellus Schiffer Authentizität
absolute Treffer 198 144 120 91 82 67 65 52 46 38 37 32 31 29 27 26 22 22 18 18 13 12
prozentuale Nennung 66,0 48,0 40,0 30,3 27,3 22,3 21,7 17,3 15,3 12,7 12,3 10,7 10,3 9,7 9,0 8,7 7,3 7,3 6,0 6,0 4,3 4,0
Anschließend wurden die in den Rezensionen enthaltenen Werte exzerpiert und den Themen interpretativ zugeordnet. Als Werte werden in Anlehnung an Borgstedt Charakterisierungsmerkmale verstanden, „die ein Interpret [die Diseuse, Anm. S. D.] repräsentiert und prägnant verkörpert und damit in der Öffentlichkeit Orientierungsreaktionen auslöst, indem zu diesen Bedeutungskomponenten Stellung bezogen wird. Diese ‚Image-Codes‘ verweisen also auf Persönlichkeitseigenschaften, Emotionen, Anschauungen und Fähigkeiten der Musiker.“122
Die Auswertung ergab 90 imagerelevante Werte mit insgesamt 1182 so genannten Image-Codes. Hier konnte es wie auch bei der Themenanalyse pro Artikelausschnitt zu Mehrfachbelegungen kommen, da in so kurzen Sätzen wie „[i]hr Glanzpunkt Marga Lions groteske Schlankheit und straff geschulte mondäne Brettlkunst“123 sowohl mehrere Themen (Bühnen-Persona, Erfolg, Kabarett, Körperlichkeit, Kunst, Leistung/Können) mitgedacht sind als auch mehrere Werte (dünn, 122 Ebd. 123 Rezension Nr. 73.
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erstklassig, grotesk, künstlerisch, mondän, souverän) angesprochen werden. Für die Auswertung wurden einzelne Beschreibungen in Form von Adjektiven, Partizipien und Nomen hinsichtlich ihres gemeinsamen Aussagewerts gruppiert. So wurden etwa Begriffe wie „schlank“, „dünn“, „dürr“ „schlaksig“ oder auch „Fleischlosigkeit“ unter den gemeinsamen Oberbegriff „dünn“ zusammengefasst. Einfachnennungen, die sich nicht zuordnen ließen, wurden nicht berücksichtigt, da sie durch ihre Singularität keine Relevanz für die diachrone und synchrone Kontinuität des Images besitzen.
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Tabelle 4: Werteanalyse Wert 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.
erstklassig erfolgreich französisch künstlerisch komisch grotesk souverän dünn elegant temperamentvoll einzigartig individuell ausdrucksstark lang parodistisch originell scharf ordinär beweglich frech frivol satirisch authentisch modern intelligent kreatürlich charmant schmissig talentiert pointiert Star vielfältig unheimlich boshaft hässlich perfekt schön Typ Dame gefühlvoll hinreißend karikaturistisch berlinerisch heiser leicht meisterhaft
absolute Treffer 64 45 45 41 39 38 37 37 35 32 29 28 27 26 25 22 21 19 18 18 18 18 17 17 16 16 15 15 14 13 13 13 12 11 11 11 11 11 10 10 9 9 8 8 8 8
prozentuale Nennung 21,3 15,0 15,0 13,7 13,0 12,7 12,3 12,3 11,7 10,7 9,7 9,3 9,0 8,7 8,3 7,3 7,0 6,3 6,0 6,0 6,0 6,0 5,7 5,7 5,3 5,3 5,0 5,0 4,7 4,3 4,3 4,3 4,0 3,7 3,7 3,7 3,7 3,7 3,3 3,3 3,0 3,0 2,7 2,7 2,7 2,7
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47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90.
mondän sachlich dekadent exzentrisch famos interessant mitreißend schmetternd spitz androgyn ausgezeichnet direkt genial heiter phantastisch rassig sympathisch tiefe Stimme zynisch bleich kühl naiv brav eigenartig entzückend gröhlend krächzend näselnd präzise rhythmisch antibürgerlich harmonisch leise Spezialität anspruchsvoll grell mächtig selbstständig faszinierend fesselnd hohl monoton süffisant verrückt
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8 8 7 7 7 7 7 7 7 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 5 5 5 4 4 4 4 4 4 4 4 3 3 3 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2
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2,7 2,7 2,3 2,3 2,3 2,3 2,3 2,3 2,3 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 1,7 1,7 1,7 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 1,3 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 0,7 0,7 0,7 0,7 0,7 0,7
Um sowohl die Themenzuordnung als auch die Bündelung der einzelnen Nennungen zu Werten transparent zu machen, und auch um einen Eindruck von der originellen, ausdrucksstarken Sprache der Rezensionen zu bekommen, sind im Anhang sämtliche ausgewertete Rezensionsausschnitte, ihre Quellen sowie die von
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mir zugeschriebenen Themen und Werte chronologisch sortiert aufgeführt. Die folgende Tabelle 4 gibt außerdem einen Einblick in das methodische Vorgehen anhand eines konkreten Beispiels. Abbildung 13: Beispiel zur Auswertung von Rezensionen
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Auswertung: Themen Auffällig ist, dass 342 Auswertungseinheiten der Themenanalyse auf die Themen „Bühnen-Persona“124 (198) und „Vortrag“ (144) bezogen sind und diese damit fast ein Drittel der Gesamtnennungen für sich beanspruchen. Zieht man das Thema „Repertoire/Chanson“ (120) hinzu, dann kommen diesem performanceorientiertem Gebiet sogar 2/5 der Gesamtnennungen zu. Im Themenfeld „Bühnen-Persona“ wurden solche Aussagen gebündelt, die auf Lions dargestellte Person eingehen beziehungsweise ihr wahrnehmbares Image auf der Bühne charakterisieren. Oberflächlich betrachtet sind hier jene Attribute gesammelt, die Lion als Person charakterisieren. Es folgt jedoch der Prämisse dieser Arbeit, diese Werte mit dem Thema „Bühnen-Persona“ zu kennzeichnen, um für den bereits erläuterten Rahmen der Performance zu sensibilisieren. Zu diesen Werten zählen beschreibende Attribute, die Lions Stil, wie ihr Temperament, ihren Charme, ihre französische Attitüde oder ihr parodistisches Talent beschreiben. Als solch typisierende Beschreibungen gelten sowohl umfangreichere Textabschnitte wie beispielsweise „[e]in kleines Augenblinzeln, und wir sind im Bilde. Da sitzt jede Bewegung, da ist ganz Berlin drin; viel Skepsis, ein wenig Husch-Husch und Neurasthenie ist dabei“125 als auch kurze, dafür sprachlich prägnantere Äußerungen wie „[ü]bersprühend vor Witz“126 oder „unvergleichlich in ihrer grotesken Pointiertheit“127. Unter dem Thema „Vortrag“ wurden solche Werte zusammengefasst, die spezifisch auf Lions Art des Vortrags eingehen, sich also beispielsweise auf ihre Stimme (sie trällere128 und sei heiser129), ihre Bewegung (mit ihren wiegenden Hüften130 sei sie nicht nur biegsam131, sondern auch „boshaft in jeder Bewegung“132), ihre Sprache („die schnoddrige […] Tonlosigkeit ihres Vortrags“133) oder ihren Umgang mit Sprache („biegt selbst zahme Texte um“134) beziehen.
124 Zum Begriff Bühnen-Persona vgl. eingehender das Kapitel „Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona: Die fiktionale Kabarettsituation“. 125 Rezension Nr. 226. 126 Rezension Nr. 239 127 Rezensionen Nr. 257. 128 Vgl. Rezension Nr. 193 u. 220. 129 Vgl. Rezensionen Nr. 16, 59, 62, 84, 152 u. 189. 130 Vgl. Rezension Nr. 206. 131 Vgl. Rezensionen Nr. 166 u. 199. 132 Rezension Nr. 153. 133 Rezension Nr. 228. 134 Rezension Nr. 258.
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Dass sich die Dominanz dieser zwei Themen unter anderem aus ihrer weitgefassten Definition ergibt, dass also unter die Themen „Bühnen-Persona“ und „Vortrag“ ebenso Beschreibungen zur Körperlichkeit, Stimme, Geschlecht, Kunst etc. fallen, ist keine banale Feststellung oder gar ein statistischer Fehler. BühnenPersona und Vortrag sind vielmehr der Boden für den Imagekern von Lion. Denn auch ohne die diesen Themen zugeordneten Werte bereits betrachtet zu haben, kann allein aus der Verteilung beziehungsweise der Häufigkeit der Themen geschlossen werden, dass Lions Image ganz unmittelbar von ihrem Vortragsstil sowie von dem geprägt ist, was beziehungsweise wen sie auf der Bühne darstellt. Zwei ebenso eng mit dem Vortrag und der Bühnen-Persona verknüpften Themen wurden dennoch auch separat ausgewertet: das Thema „Körperlichkeit“ sowie das Thema „Stimme“. Die Wahrnehmung von Lions Körper ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Images, gerade weil er, wie noch zu zeigen sein wird, nicht isoliert und rein deskriptiv Beachtung findet, sondern weil er stets mit anderen Elementen wie ihrem Vortrag, ihrem Humor, ihrem Intellekt verbunden und geradezu mit den dazugehörigen Eigenschaften aufgeladen wird. Und auch innerhalb des Themas „Stimme“ finden sich zentrale Zuschreibungen, die Lions Imagekern zusammenfassen. Die Themen „Repertoire/Chansons“ (120), „Chanson-Protagonistinnen“ (52), „Frankreich/Paris“ (37), „Diseuse“135 (32) und „Vergleich mit anderen KünstlerInnen“ (22) enthalten zwar nur wenige Werte, sie haben jedoch gemeinsam, dass sie den Wert „französisch“ mehrheitlich abbilden. Dass die Rezensionen immer wieder von Lions Herkunft oder ihrer ideellen Zugehörigkeit zum Montemartre sprechen, zeigt, dass die Kabarett- beziehungsweise die Diseusentradition bei der Imageanalyse von Lion nicht außer Acht gelassen werden darf.136 Darüber hinaus ist diese Themengruppe insofern relevant, als dass sie Informationen zur Verortung von Lions kulturellem Handeln erlaubt. Durch ihre Präsenz wird deutlich, dass sie als Diseuse wahrgenommen wurde, indem sie als solche benannt, in Beziehung zu anderen Diseusen gesetzt und indem innerhalb dieser Themen ihr Repertoire referiert wird. Eine Auflistung der genannten Chanson-
135 Unter den Begriff Diseuse, selbst 13 Mal genannt, wurden auch die verwandten Bezeichnungen Chansonette (6), Kabarettistin (5), Vortragskünstlerin (5), Chanteuse (3) und Chansonnière (1), zusammengefasst. 136 Vgl. hierzu vor allem das Kapitel „Das Kollektivimage der Diseusen: Yvette Guilbert – Marya Delvard – Margo Lion“.
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Protagonistinnen (z. B. „Die Mondsüchtige“137, „Die fleißige Leserin“138, „Nofretete“139, „Der Pudel“140, „Die Braut“141) wäre hier wenig sinnvoll. Offensichtlich stecken in der Identifikation von Lion mit ihren Chanson-Protagonistinnen Werte mit imagekonstituierenden Funktionen. Diese bedürfen jedoch eingehender Analysen, wie sie exemplarisch in dem Kapitel „Margo Lions Image der grotesken Neuen Frau: Synchrone Einblicke“ dieser Arbeit gegeben sind. Die an diese Themen geknüpften Werte sind im Schaubild den handlungsbezogenen Kategorien „Vortrag“ und „Bühnen-Persona“ zuzuordnen. Es ist zu beachten, dass ein solch statisches Schaubild die Relationen nur andeuten, aber nie genau abbilden kann (so beinhaltet beispielsweise auch das Thema „Stimme“ immer wieder den Wert „französisch“). In der Kombination dieser genannten Themen mit den eher bewertenden Themen „Leistung/Können“ (82) sowie „Erfolg“ (67) ergibt sich ein klares Bild von Lion als hochgradig professionell Agierende in der Kabarettszene. Dieses Ergebnis zeigt, wie wichtig es ist, den Aufführungskontext von Lion eingehend zu betrachten, um ihr Image greifbar zu machen. Denn dass in den Rezensionen immer wieder Lions theatrales Handeln auf der Bühne in all seinen Facetten im Zentrum der Beschreibungen steht, bedeutet, dass der Bühnenkontext in der Imagekonstruktion von Lion als der wesentliche Faktor zu analysieren ist – und nicht Sensationsgeschichten, beworbene Merchandise-Artikel oder Homestories.
137 Rezensionen Nr. 28 u. 37. 138 Rezensionen Nr. 50, 78, 81, 85, 103 u. 114. 139 Rezensionen Nr. 226–228, 232–234 u. 239–242. 140 Rezensionen Nr. 149, 152, 157, 160, 173 u. 183. 141 Rezensionen Nr. 149, 152, 154, 157, 170, 174, 176, 181 u. 183.
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Auswertung: Werte Abbildung 14: Ergebnisse der Themen- und Werteanalyse
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Im Schaubild (Abb. 14) ist die Dominanz der Themen „Bühnen-Persona“ und „Vortrag“ durch ihre Schriftgröße und ihre zentrale Positionierung markiert. Diese sowie die anderen Themen, alle als grüne Kästen markiert, wurden durch ihre räumliche Positionierung in Relation zueinander gesetzt. Die Verteilung der Werte ist im Schaubild wiederum auf ihre relative Zugehörigkeit zu den einzelnen Themen zurückzuführen. Auch daraus ergibt sich die notwendige, zentrale Positionierung der Themenkreise „Bühnen-Persona“ und „Vortrag“, denn kaum ein Wert berührt diese nicht. Innerhalb der 22 Themen ergibt sich damit ein engmaschiges Netz von Werten, die sich nicht nur auf einen bestimmten Teil im Auftreten von Lion, sondern auf ihr Gesamtimage bezieht. Gerade aus diesen vielschichtigen Bezügen erhalten die Werte ihre Bedeutung für den Imagekern und verleihen diesem durch die Wiederholung in unterschiedlichen Facetten seine Stabilität. Im Schaubild ist die Schriftgröße der einzelnen Werte an die Häufigkeit ihrer Nennung angepasst. Die zehn meist genannten Werte sind am fettesten gedruckt (von „erstklassig“ bis temperamentvoll“). Es folgen die zehn nächsthäufig genannten Werte („einzigartig“ bis „modern“), dann alle Werte, die zehn mal und öfter genannt wurden („intelligent“ bis „gefühlvoll“) und schließlich in kleinster Schriftgröße alle weiteren Werte („hinreißend“ bis „verrückt“). Es fällt zwar auf, dass, wenn man die abgebildeten zusammenfassenden Werte einzeln für sich nimmt, sie prozentual häufig nur einen Bruchteil der Gesamtaussagen darstellen (Tabelle 4). Das Schaubild (Abb. 14) zeigt mit den farbig gekennzeichneten Gruppierungen jedoch, wie eng die einzelnen Werte miteinander verknüpft sind und dass sie einen gemeinsamen Bedeutungshorizont darstellen. Aus den einzelnen Werten mit ihrem gemeinsamen Aussagewert ergibt sich Lions Imagekern. Die Beschreibungen und Inhalte innerhalb der Themen „Vergleich mit anderen Künstlerinnen“, „Diseuse“, „Frankreich/Paris“, „Repertoire/Chansons“ und „Chanson-Protagonistin“ bilden schwerpunktmäßig den Wert „französisch“ (lila) im Image von Lion ab. Auch wenn in diesem Sinne die zum Vergleich ihrer Bühnen-Persona herangezogenen Künstlerinnen „Mistinguette“ und „Yvette Guilbert“ nur drei beziehungsweise vier Mal genannt wurden142, so zeigen sie gemeinsam mit den Zuschreibungen „pariserisch“143 beziehungsweise „französisch“144
142 Vgl. die Rezensionen Nr. 108, 113 u. 290 für Mistinguette sowie 17, 122, 220 u. 261 für Yvette Guilbert. 143 Vgl. bspw. Rezensionen Nr. 75, 78, 110, 137, 147, 155 u. 215. 144 Vgl. bspw. Rezensionen Nr. 53, 60, 101, 109, 154 u. 202.
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und den Bezeichnungen „Diseuse“145, „Chanteuse“146 und „Chansonette“147 doch, dass sich Lions französische Abstammung, aber sicherlich auch die französische Diseusen-Tradition in ihrem Image festgeschrieben haben. Dass diese Werte über die Themenfelder „Repertoire/Chansons“, „Frankreich/Paris“, „Diseuse“, „Vortrag“ und „Vergleich mit anderen Künstlerinnen“ verteilt sind, also sowohl vom „Pariser Modeschlager“148, „pariserischem Timbre“149, der „französischen Chansonette“150 geschrieben oder ihr Ebenbild in den Werken von Toulouse-Lautrec151 gesehen wird, beweist die breite Wahrnehmungsebene und damit die Tragfähigkeit des Werts „französisch“. Ähnlich weit gestreut und in den zehn Jahren des erfassten Zeitraums ebenso konstant gebraucht, ist der Wert „grotesk“, wobei dieser eine noch stärkere Aussagekraft als der interpretativ erschlossene Wert „französisch“ zu haben scheint, weil er neben semantisch ähnlichen Begriffen und Umschreibungen 38 Mal wortwörtlich gebraucht wird. Grotesk sei nämlich nicht nur Lions Bühnen-Persona152, sondern auch ihr Vortrag153, ihre Kunst154, ihr Körper155 und ihr Repertoire156. Auch die im Schaubild rot gefärbten Werte zielen in dieselbe Richtung: Lions Bühnen-Persona wird beispielsweise als „frivol“ (19), „ordinär“ (19), „kreatürlich“ (16), „unheimlich“ (12) und „boshaft“ (11) betrachtet. Sie sei „grauenvoll, verwesend, in todsicherer Färbung“157, „gespenstisch“158, und Fred Hildebrand, Rezensent des Berliner Tageblatts, bezeichnet sie gar als „Jettatore“159, also als diejenige mit dem bösen Blick, die alle, die dieser Blick trifft, ins Verderben stürze. Im Vergleich zu eher auf ihre Leistung bezogenen und weniger charakterisierenden Beschreibungen ihres Vortrags wie „ausdrucksstark“ (24), „pointiert“
145 Rezensionen Nr. 15, 137, 145, 154, 155, 168, 189, 190, 215, 218, 228, 265 u. 274. 146 Rezensionen Nr. 58, 78 u. 194. 147 Rezensionen Nr. 25, 53, 129, 219, 276 u. 282. 148 Rezension Nr. 82. 149 Rezension Nr. 75. 150 Rezension Nr. 53. 151 Rezension Nr. 74, 211 u. 279. 152 Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 42, 93, 99, 113, 117, 149 u. 166. 153 Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 98, 155 u.. 212 154 Vgl. Rezension Nr. 136 u. 156. 155 Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 23, 73, 122, 178 u. 231. 156 Vgl. Rezension Nr. 28 u. 209. 157 Rezension Nr. 36. 158 Rezensionen Nr. 21, 112 u. 256. 159 Rezension Nr. 36.
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(13) und „präzise“ (4) (im Schaubild grün markiert) zielen andere Beschreibungen ihrer Vortragsweise ebenfalls auf den grotesken Stil Lions ab, weshalb Werte wie „scharf“ (21), „krächzend“ (4) und „schmetternd“ (7) ebenfalls rot eingefärbt wurden. Auch in der Analyse des Fremdimages bestätigen sich die Anlagen, wie sie für Lions Eigenimage bereits herausgearbeitet wurden: Ihre Stimme wird, gemessen an einem weiblichen Stimmideal, als normabweichend wahrgenommen: „ein ätzend schmaler Protest gegen alle Soubrettentraditionen“160. Es ist bezeichnend, dass ihre Stimme im Bereich zwischen Mezzosopran und Alt in der Rezeption häufig als Besonderheit Erwähnung fand und hin und wieder sogar als tiefe Bassstimme beschrieben, also in einem männlichen Register verortet wurde.161 Auch die weiteren Attribute zeigen, wie sehr Lions Stimme ihr Image der grotesken Neuen Frau prägte. Ihre Stimme sei „grotesk“ (3), „heiser“ (8), „tief“ (6), „näselnd“ (4), „krächzend“ (4), und „hohl“ (2), beziehungsweise gar nicht vorhanden. All diese Zuschreibungen ordnen Lion in ihrer Drastik der Diseusenästhetik zu, die sich durch das Fehlen einer – im klassischen Sinne –Gesangsausbildung zu Gunsten der Koloration der Sprechstimme auszeichnet.162 Diese Art des von Yvette Guilbert geprägten Parlandos, das die Musik erst als letztes beachte, da sie „lediglich Verzierung [Hervorheb. orig.]“163 sei, wird unterstützt durch die Verschiebung vom musikalischen Rhythmus hin zum rhythmisierten Wort, der rhythmischen Anpassung an die Betonung des Textes.164 Unter anderem am Beispiel des Chansons „L’heure bleu“ wird noch zu zeigen sein, wie sehr Lion diesen Stil adaptierte. Und auch in den Rezensionen findet sich eine solche stilistische Einordnung immer wieder: „[…] denn die Lion nimmt den Couplets jede Spur der üblichen Wirkungsweise. Sie reißt sie auseinander, verzerrt sie, verlegt die Betonungen, und es kommt etwas völlig Neues zustande, das das Vorgetragene mit einem unerbittlichen Spott übergießt und den Worten einen neuen Sinn verleibt.“165
160 Rezension Nr. 189. 161 Rezensionen Nr. 155 u. 216. 162 Vgl. hierzu als Grundlagenlektüre: Yvette Guilbert: Die Kunst, ein Chanson zu singen, speziell zur Stimme siehe dort S. 41–54 sowie Sandra Kreisler: Das Chansonbuch. 163 Yvette Guilbert: Die Kunst, ein Chanson zu singen, S. 51. 164 Vgl. ebd. 165 Rezension Nr. 118.
126 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK „Die Lion – von unheimlicher, beängstigender Komik, wenn sie sich auf Worte wirft wie ‚Daffke‘ und dieses Wort moduliert, färbt, streichelt, höhnisch aufrichtet, verächtlich wegwirft, eine ganze rüde Geistesrichtung gleichzeitig verkörpert und erledigt. Oder wenn sie mit der Vokabel ‚Sex Appeal‘ spielt, sie auseinandernimmt, sieben appeal, acht appeal, neuen appeal, sich verwandelt in ein neues Wesen, schaurig, grotesk, morgensternisch: in das ‚Sex Appeal‘.“166
In diesen zwei Beispielen tritt der künstlerische Umgang mit dem Text durch die Interpretin Lion klar hervor. Das Fehlen von Stimme werde bei Lion durch eine besondere Betonung des Rhythmus kompensiert.167 Die etymologische Bedeutung des Wortes ‚grotesk‘ weist auf die Vermischung von Mensch, Tier und Pflanze hin – Konnotationen, die ihren Platz auch in Lions Fremdimage finden: Sie wird als „Natur“168 oder als „eminentes Scheusal“169 bezeichnet, und sie habe die „verteufelte Grazie eines Asphaltgeschöpfs“170. Und schließlich verkörpert Lion nicht nur den „beunruhigenden und erschreckenden Aspekt“ des Grotesken, sondern auch seine „Affinität zum Komischen“171. 39 Mal werden in der Stichprobe Lions Humor und ihr komischer Stil, im Sinne von lustig oder als seltsam, hervorgehoben. Sie sei „übersprühend“ beziehungsweise „reich an Witz“,172 „glänzend burlesk“173, habe eine „überwältigend schmissige Komik“174 und sei mit ihrer „ulkigen Schnute“175 die „komischste aller Primadonnen“176, die „Frau mit herrlicher Witzbesessenheit“177. Gemeinsam mit der hohen Frequentierung des Wertes „erstklassig“ (64) und den in die gleiche Richtung zielenden Werten wie „perfekt“ (11), „meisterhaft“ (8) oder „genial“ (6) (im Schaubild blau markiert) zeigt sich, dass die virulent auftretenden, vermeintlich negativen, oft unheilbringenden Werte die Faszination für Lion ausmachen, dass ihr Erfolg wesentlich auf dieses Image des Grotesken
166 Rezension Nr. 213. 167 Vgl. bspw. Rezensionen Nr. 4 u. 229. 168 Rezensionen Nr. 43 u. 256. 169 Rezension Nr. 42. 170 Rezension Nr. 210. 171 Elisheva Rosen: Art. „Grotesk“, S. 878. Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 64 u. 214. 172 Rezensionen Nr. 215 u. 239. 173 Rezension Nr. 39. 174 Rezension Nr. 161. 175 Rezension Nr. 231. 176 Rezension Nr. 122. 177 Rezension Nr. 229.
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zurückgeht und das Image als Ergebnis professionell und intendierten Handelns verstanden wird. Das zeigt auch die häufige Nennung von Werten der Themen „Authentizität“ und „Originalität“: Dass Lion „echtes Kabarett“178 gebe, ihre Kunst als „ungewöhnlich“179, ihr Vortrag als „einzigartig“180, ihre Bühnen-Persona als „nicht alltäglich“181 wahrgenommen und sie insgesamt als ein echter (Kabarett-)Typ182 empfunden wird, spricht für ihren Marktwert und ihr wirkungsvolles Image. Als zunächst diametral erscheinende Ergänzung zu dieser beunruhigenden und erschreckenden Seite finden sich in den Rezensionen immer wieder auch positive Werte, die Lion als „elegante“ (35), „intelligente“ (16) und „charmante“ (15) Dame auszeichnen. Werte wie „hinreißend“ (9), „mitreißend“ (7) und „harmonisch“ (3) wurden im Schaubild türkis eingefärbt. Auffällig ist jedoch, dass diese Werte in ihrem Bedeutungskontext häufig auch paradox verwendet werden: Sie sei „geistvoll ordinär“183, „exzentrisch-graziös“184, „entzückend vernunftlos und boshaft“185, „mit sinnlicher Leidenschaft unsüß“186, ihre körperliche Länge trage sie „mit dem Phlegma, das irgendwie Temperament vermuten läßt“187, und ihre Chansons trage sie mit einer zarten Stimme, die gröle188, vor – insgesamt sei sie zu einer „grotesken Schönheit“189 geworden, und wenn dieser Jettatore der böse Blick ausrutscht – wie Hildebrandt Lion beschreibt –, dann wehe über ihr Trümmergesicht, ob sie wolle oder nicht, etwas Rührendes, Anmutiges und Frauliches.190 Auf subversive Weise stellt Lion neben Boshaftigkeit und Kreatürlichkeit auch das Ideal der zerbrechlichen Frau dar und wird darüber hinaus als Star191 (13), Primadonna und als Diva (4) bezeichnet.192 Wenn Elisabeth Bronfen die
178 Vgl. die Rezensionen Nr. 1, 4 u. 141. 179 Vgl. Rezension Nr. 216. 180 Vgl. bspw. die Rezensionen Nr. 43 u. 54. 181 Vgl. Rezension Nr. 131. 182 Vgl. die Rezensionen Nr. 11, 41, 45, 116, 136, 152, 173, 212, 281 u. 289. 183 Rezension Nr. 177. 184 Rezension Nr. 178. 185 Rezension Nr. 153. 186 Rezension Nr. 189. 187 Rezension Nr. 160. 188 Rezension Nr. 59. 189 Rezension Nr. 288. 190 Rezension Nr. 36. 191 Rezensionen Nr. 1, 10, 12, 90, 92, 110, 121, 124, 186, 188, 210, 231 u. 244. 192 Rezensionen Nr. 72, 122, 284 u. 298.
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Diva als „Unfall im Zeichensystem des Startums“193 bezeichnet, so stellt Lion in den Rezensionen wiederum einen Unfall im Zeichensystem der Diva dar. Sie ist nicht das Ideal dieses Typus, sondern eine Sonderklasse, weil sie die Erhabenheit dieser Ideale ins Komische, Ordinäre und Groteske zieht: Sie sei die „komischste aller Primadonnen“194, und im Chanson „Das Gesellschaftschanson“ böten ihre Lippen das Sprungbrett für das Wort „Scheiße“195. Diese Mischung aus grotesken und idealisierten Inhalten des Weiblichen ist es, die Lion in ihren Chansonperformances forciert, um solche Projektionen zu sprengen. Die Rezensionen zeigen, dass sich diese Ambivalenz auch in ihr Fremdimage eingeschrieben hat und dort ebenfalls als Ausdruck des Grotesken gedeutet wird. Lions Körper ist in diesem Zusammenspiel Kristallisationspunkt für ihre als grotesk wahrgenommene Erscheinungsweise. Er steht nie für sich selbst, wird nie als einfach nur schön, lang, dünn oder auch hässlich beschrieben. Sabine Meine hält fest, dass der Körper das „Ergebnis inszenierter Bedeutungen“196 sei, und somit steht auch Lions Körper immer in Verbindung mit ihrer Bühnen-Persona und ihrer Vortragsweise. Er wird symbolisch gebraucht für ihren Witz, ihre Parodie und ihre Satire. Die folgende Rezension zu ihrer Chanson-Performance „Lied der Gesellschaft“ aus der Revue Alles Schwindel! (1931) kann sowohl inhaltlich als auch sprachlich als Beispiel für viele Rezensionen gelten, die die Beschreibung von Lions Körper nutzen, um sie insgesamt zu charakterisieren: „Margo Lion triumphiert wie immer mit dem Volltemperament der Wurstigkeit, mit ihrer witzigen Schlankheit, mit ihrer überkühnen Länge, die mit der Gewohnheit zu einer grotesken Schönheit geworden ist. Mit dieser furiosen Grazie macht sie noch ein Wort unschuldig, das mit Sch anfängt, und von dem ich nicht sagen werde, wie es weiter geht.“197
193 Elisabeth Bronfen: „Vorwort“, in: Dies. u. Barbara Straumann (Hrsg.): Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer/Mosel 2002, S. 7. Dieses Label scheint so populär, also auch treffend zu sein, dass es auch in neueren Publikationen zur Diva immer wieder aufgegriffen wird (vgl. bspw.: Rebecca Grotjahn, Dörte Schmidt u. Thomas Seedorf [Hrsg.]: Diva – Die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts [Forum Musikwissenschaft, Bd. 7, hrsg. von Dörte Schmidt u. Joachim Kremer], Schliengen: Argus Verlag 2011). Näheres zu dieser Definition im. Kapitel „Zusammenführende Chansonanalyse: ‚Die Braut‘“. 194 Rezension Nr. 122. 195 Rezension Nr. 298. 196 Sabine Meine: „Puppen, Huren, Roboter“, S. 13. 197 Rezension Nr. 288.
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Der Rezensent Arthur Eloesser beschreibt hier sowohl die Bühnen-Persona von Lion als auch den Stil ihres Vortrags in der Kabarettrevue Alles Schwindel!, indem er das Thema Körperlichkeit funktionalisiert. Ihre Schlankheit steht für ihren Humor, ihre Länge für ihr Temperament, ihre Schönheit gleichzeitig für ihren grotesken Stil und ihre Grazie für ihre Fähigkeit, mit Sprache zu spielen. Auch viele andere Rezensionen zeigen: In ihrem abgestimmten Verhältnis von Widersprüchlichkeiten und Zusammenspiel zwischen Körper und Vortrag liegt die Überzeugungskraft von Lions Performances. „Bei ihr sitzt jedes Wort wie aufgemalt auf den Körper, mit dem sie singt“198, sie sei die „verkörperte Parodie“199, alles an ihr sei „spitz – die Nase, der Akzent, die Geste“200, sie bestehe aus nur „Haut, Knochen, Rhythmus und Fratzen“201, sie sei „schlaksig-grotesk“202 beziehungsweise verfüge über eine „schlank-schneidige souveräne Eleganz“203 und „schmächtige[n] Charme“204 – kurz: sie sei „so lang wie gut“205. Lions Körper wird so zum ausdrucksstarken Inbegriff ihres Images. Wie noch im Detail zu erläutern ist, wird im Chanson „Die Linie der Mode“ erst durch Lions körperliche Präsenz die Neue Frau zersetzt. In der Revue Es liegt in der Luft wiederum steht ihr geschlechtlich kodierter Körper in dem ihm zugeschriebenen ‚natürlichen‘ Umfeld des Warenhauses – ein Konsumort, der ebenso wie der weibliche Körper „den Gemeinschaftskörper, als individueller Körper, aber auch das ganz ‚Andere‘ der Gemeinschaft [Hervorheb. orig.]“206 repräsentiert. In ihrem in dieser Revue dargebotenen Chanson „Die Braut“ ist der Frauenkörper nur ursprünglich Schönheits- und Reinheitsideal. Bei Lion wird er zum kranken und ordinären Ausdruck von Doppelmoral und Dekadenz innerhalb der Metropole Berlin. Lions Körper dient ihr geradezu als parodistische Angriffsfläche, auf der sie die dargestellten Chanson-Protagonistinnen zersetzt. Entsprechend steht er, wie bereits gezeigt, nicht nur auf den von ihr publizierten Fotografien und Karitkaturen im Zentrum, sondern auch in den Rezensionen. Der Körper bietet für die
198 Rezension Nr. 209. 199 Rezension Nr. 144. 200 Rezension Nr. 139. 201 Rezension Nr. 166. 202 Rezension Nr. 178. 203 Rezension Nr. 69. 204 Rezension Nr. 79. 205 Rezension Nr. 151. 206 Christina von Braun: „Gender, Geschlecht und Geschichte“, S. 22.
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Fremdwahrnehmungen die ideale materialisierte Fläche für Bedeutungszuschreibungen und Projektionen.207
D IE PARODISTISCHE F UNKTION DER M USIK : B RUCH MIT EINER HETERONORMATIVEN W EIBLICHKEIT „Die extraordinäre, tragische, komische, böse, glamouröse, provozierende, sentimentale und scharfe Frau ist gewöhnlich eine mehr oder weniger heterosexuelle, aber nie ganz heteronormative Frau. Diven wie Bette Midler, Joan Crawford, Bette Davis, Asta Nielsen, Marlene Dietrich, Edith Piaf, Greta Garbo, Zarah Leander, Maria Callas, Birgit Nilsson, Barbra Streisand und Madonna sind Frauen, die nicht nur ihre Umgebung provoziert haben, sondern auch die heteronormative Weiblichkeit.“208
Nach den vorangegangenen Überlegungen lässt sich diese Reihe um den Namen Margo Lion erweitern, denn die Betrachtungen unter anderem von Lions Repertoire konnten zeigen, wie ihre Chanson-Protagonistinnen außerhalb einer heteronormativen Weiblichkeit konzipiert wurden. Die ausgewerteten Rezensionen bestätigen einen solchen Eindruck, da Lions Bühnen-Personae als extraordinär, böse, tragikomisch und vor allem als grotesk empfunden wurden. Dafür sind jedoch nicht nur die Texte ihrer Chansons verantwortlich, sondern auch, wie bei all diesen Diven, ihre Stimme sowie die spezifische Komposition ihrer Chansons. Denn auch die Musik ist neben dem Verhältnis von Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae ein wesentliches Element für die Imagekonstruktion von
207 Vgl. zu diesem Gedanken auch Roland Barthes: „[…] und dann ist der Körper auch das Bild, das die anderen von einem haben, dieses Bild, zu dem man letztlich nie Zugang hat, weil man sich nie selber sieht. Was man im Spiegel sieht, ist ein erstarrtes Objekt, ein imaginärer Gegenstand. Ebenso ist das, was man auf einer Photographie sieht, nicht man selber. Ich würde sagen, daß als einziger ICH MICH nicht sehen kann – wohingegen die anderen mich sehen [Hervorheb. orig.]“ (Roland Barthes: „Schreiben als Verausgabung für nichts. Ein Gespräch mit Jacques Chancel“, in: Freibeuter, Nr. 6 (1980), S. 2–14, hier S. 9). 208 Tina Rosenberg: „Stimmen der Queer-Diven. Hosenrollen in der Oper und Zarah Leander auf der Schlagerbühne“, in: Doris Kolesch, Vito Pinto u. Jenny Schrödl (Hrsg.): Stimm-Welten. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven (= Kultur- und Medientheorie), Bielefeld: transcript 2009, S. 189–220, hier S. 214. Um eine bedeutende Queer-Diva unserer Gegenwart ist diese Liste in jedem Fall zu ergänzen: Georgette Dee.
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Lion. Auch wenn im Chanson der Text mehr als die Musik im Vordergrund der Gesamtkomposition und der Performance steht, so wäre es laut Walter Rösler simplifizierend, „wenn man von der ‚Unterordnung‘ der Musik unter den Text“209 sprechen würde. „Denn: Die Präsentation des Textes ist von der Musik abhängig, der Text ist für den Vortrag mit Musik konzipiert, die Darbietung erhält nur durch die Verbindung von Text und Musik – und durch die Wechselwirkung beider Kunstebenen – ihren Sinn und ihre künstlerische Aussage.“210
Es wäre also unzulässig, die Musik für die Imagekonstruktion der Diseuse außer Acht zu lassen. Weil aber Musik, Text und Performance nicht voneinander zu trennen sind, sei es laut Rösler wenig ergiebig, ein Chanson „vorrangig unter dem Aspekt des verwendeten musikalischen Materials“ zu untersuchen.211 Auch wenn ich in Bezug auf die Imageanalyse ebenfalls der Meinung bin, dass sich weder das Eigenimage von Lion noch der Weiblichkeitstyp der Neuen Frau oder das Kollektivimage der Diseuse hinter einem bestimmten Akkord, einem bestimmten Motiv oder Thema, einem spezifischen Rhythmus oder einem bestimmten musikalischen Stil entdecken lassen, so lassen sich dennoch Vermutungen darüber anstellen, inwiefern in den einzelnen Chansons aus Lions Repertoire eine gemeinsame musikalische Charakteristik vorhanden ist, die ihr Image der grotesken Neuen Frau stützt. Während Tilo Hähnel, Tobias Marx und Martin Pfleiderer methodische Herangehensweisen zur Analyse der vokalen Gestaltung in der Popmusik entwickeln, die hauptsächlich auf rechnergestützten Auswertungsverfahren von digitalisierten Klangaufnahmen basieren, um so unter anderem auch dem charakteristischen Personalstil eines Musikers auf die Spur zu kommen,212 halte ich es für ergiebiger, die Funktion der Musik in einzelnen Fallbeispielen in konkreter, individueller Verbindung mit anderen Konstituenten wie den Texten, den Performances und
209 Zur Funktion der Musik im Chanson vgl. Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett 1901–1933, S. 252. 210 Ebd. 211 Ebd. 212 Tilo Hähnel, Tobias Marx und Martin Pfleiderer: „Methoden zur Analyse der vokalen Gestaltung Populärer Musik“, in: Ralf von Appen, André Döring u. Thomas Phleps (Hrsg.): Samples. Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung / German Society for Popular Music Studies e.V., abrufbar unter http://www.gfpmsamples.de/ (06.12.2016).
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den Aufführungsräumen zu suchen. So entsteht zwar keine systematische, zeitunabhängige Methode, die auf jeden Akteur oder jede Akteurin einer populären Kultur übertragbar wäre. Der individuelle und induktive Zugang entgeht jedoch einer Schematisierung und wird einer diskursiven Vorstellung der Imagekonstruktion gerechter. Insofern die Musik (in Form von Noten, Original- oder späteren Aufnahmen) von Lions Repertoire erhalten ist, zeugt sie ebenso von einem distanzierten Erzählgestus wie Lions Bühnen-Persona gegenüber ihren Chanson-Protagonistinnen, wobei die Komponisten auf populäre Formen der Schlagerindustrie zurückgriffen. Häufig legten Allan Gray, Mischa Spoliansky, Friedrich Hollaender und Rudolf Nelson für Lions Chansons den Foxtrott zu Grunde. Dies mag natürlich in der Zeit begründet liegen, erlebte der Foxtrott als Ausdrucksform des Jazz in den 1920er Jahren gerade seine Blütezeit und kaum ein Schlager verzichtete auf diese so einfache wie populäre Form.213 Der Schlager ließ sich dank seiner schlichten Struktur, also der häufigen Wiederholungen in den Refrains und den Melodien, leicht nachsingen, was für Gefälligkeit und eine ‚Ohrwurmqualität‘ sorgte. Gleichzeitig war durch die einfache Struktur Wiedererkennbarkeit der durch die Melodie gefügig gemachten Texte gegeben. Die Eigenschaften des Schlagers sorgten für eine ideale Vermarktung von Lions Image, das in ihren Chansons transportiert wurde. Der Foxtrott kam durch seine Ausrichtung auf Rhythmus und Metrik dem Vorrang des Textes im Chanson sowie dem Sprechgesang der Diseusen entgegen. Jedoch übernahm Lion die Formen des Schlagers, den Rhythmus des Foxtrotts und deren für Modernität stehendes Image eben so wenig, wie sie die Neue Frau nur schlicht illustrierte. Sie entfremdete ihre Chansons vom Schlager, indem sie den Foxtrott parodistisch nutzte: „Parodien sind parasitär […]. Das Attribut ‚bissig‘, das häufig im Zusammenhang mit Parodien verwendet wird, ist dementsprechend ganz plastisch und konkret zu verstehen. Mehr noch: So wie ein Parasit in jeder Hinsicht dem Wirt angepasst ist, übernimmt auch die Parodie die Strukturen ihres Modells, doch bewahrt sie dabei immer einen gewissen Abstand, realisiert sie eine überzeichnende Abweichung, durch die das Modell entstellt wird.“214
213 Walter Rösler macht darüber hinaus deutlich, dass sich auch die Chansonvertonungen „an der kontemporären Unterhaltungs- und Tanzmusik sowie an verschiedenen Arten volkstümlichen Liedgutes“ orientierten (Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett 1901–1933, S. 252ff). 214 Robert Fajen: „Pop, Parodie und Profanierung“, in: Florian Niedlich (Hrsg.): Facetten der Popkultur. Über die ästhetische und politische Kraft des Populären, Bielefeld: transcript 2012, S. 131–146, hier S. 137.
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Lions Chansons sind nicht dafür gemacht, sie in Gemeinschaft mitzugrölen oder sie wie einen Gassenhauer immer und überall zu singen. Die Betonung des Rhythmus ist nicht dazu da, das Chanson tanzbar zu machen, sondern dient als Grundlage für die zu übermittelnde sprachliche Botschaft. Die populären Musikgattungen vom Foxtrott bis zum Tango werden aufgegriffen, um sie in ihrer Kombination mit dem parodistischen Text zu dekonstruieren. Eine Parodie hat „aufdeckende Funktion, d.h. sie bringt die Strukturen des imitierten Modells an den Tag, sie macht bewusst und ermöglicht es so, über sie nachzudenken“215. Dem Jazz nahestehende Gattungen wie der Foxtrott eignen sich für Lion als ideale Grundlage, die bürgerliche Kultur mit ihren Gewohnheiten und Geschlechterbildern zu parodieren, denn sie lassen sich ebenso wenig wie die Neue Frau von dem alles umfassenden Urbanitäts- und Modernitätsdiskurs trennen, der zwischen Kulturpessimisten, Avantgardisten und Vertretern der Neuen Sachlichkeit ausgefochten wurde. Der Foxtrott galt wegen seines Ursprungs aus dem Jazz, beziehungsweise dem Ragtime und dem Onestep, mit seinen grotesken Bewegungsformen216 als Ausdruck amerikanischer Kultur. Sowohl für seine Anhänger als auch für seine Kritiker stand er für „Niedrigkeit“217, Modernität, Tempo, Urbanität und Sachlichkeit. Er erhielt „das Image des Mondänen“218, das auch den von Lion parodierten Frauentypen eigen war. Er richtete sich innerhalb der Schlagerindustrie an die Mittelschicht, die Angestellten, das Revuepublikum, die Großstädter und Großstädterinnen und brach als Ausdruck „vitaler Freiheit“219 ebenso wie Lions Groteskkunst zugleich mit bürgerlichen Normen. So diente Lion der Foxtrott nicht im Sinne von Siegfried Kracauer ausschließlich dazu, „die Frustration eines monotonen Arbeitsalltags zu verdrängen“220 und ihr Publikum schlicht zu unterhalten, sondern ihnen dieses Verhalten ebenso wie ihre Geschlechterprojektionen in einem Zerrspiegel vorzuhalten.
215 Ebd. 216 Vgl. dazu: Art. „Onestep“, in: Peter Wicke, Wieland Ziegenrücker u. Kai-Erik Ziegenrücker: Handbuch der populären Musik, S. 506 217 Hans Pfitzner: Gesammelte Schriften 2, Augsburg: Filser 1926, S. 115f. 218 Ulrich Kurth: „‚Ich pfeif’ auf Tugend und Moral‘. Zum Foxtrott in den zwanziger Jahren, in: Sabine Schutte (Hrsg.): Ich will aber gerade vom Leben singen… Über populäre Musik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik (= Geschichte der Musik in Deutschland), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1987, S. 365–406, hier S. 380. 219 Ebd. S. 374. 220 Ulrich Kurth (ebd., S. 380) verweist mit dieser Aussage auf Siegfried Kracauers einflussreiche Arbeit Die Angestellten (1930).
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Lions Chansons zeichnen sich nicht nur sprachlich und durch das Verhältnis der Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae zueinander durch Ironie und Parodie aus. Ähnlich wie in Bertolt Brechts und Kurt Weills Songs im Sinne des epischen Theaters wird in Lions Chansons die Identifikation mit den ChansonProtagonistinnen und den Bühnen-Personae sowie die unhinterfragte Übernahme von deren Einstellungen durch den starken Einsatz von Rhythmus, der Verwendung von Parlando und den Verzicht auf tragende Melodien vermieden. Auch die Musik selbst parodiert und überzeichnet den dargestellten Charakter. So lässt der beschleunigte Hochzeitsmarsch „Die Braut“ aus Es liegt in der Luft nicht grazil auf die Bühne schreiten, sondern treibt sie mit harten, schnellen Schlägen förmlich stampfend auf die Bühne. Dass „L’heure bleu“ als rubato ausgeführter Tango kommt der mondänen, schläfrigen und dekadenten Parfumsüchtigen entgegen. In „Daffke“ werden die Moden und Vorlieben („Kaum war die neue Sachlichkeit / schwärmt man für neuste Sinnlichkeit“, „Kaum war beliebt das kurze Kleid / schon sind die Röcke lang und weit“) und das unsinnige Handeln der Berliner ‚aus Trotz‘ (berlinisch: ‚aus Daffke‘) parodiert, indem Friedrich Hollaender das Kinderlied „Kuckuck, kuckuck ruft’s aus dem Wald“ nutzt und Marcellus Schiffer darauf die Eskapaden der Berliner („Du findst noch heut’ ne Wohnung schwer / doch Kinos baut man rings umher“, „Weil keiner will heut‘ Opern seh’n / ham wir drei Opernhäuser steh’n“) verniedlicht, verkindlicht und nicht zuletzt veralbert. Im Chanson „Es liegt in der Luft“ wird der Marsch „Preußens Gloria“ zitiert, um die unkritische Vergnügungssucht und Tendenzen von Militarismus der Berliner Großstädter ad absurdum zu führen. Wie die Melodien der meisten Chansons zeichnen sich auch diejenigen aus Lions Repertoire durch einfache Viertel- und Achtelfolgen in Tonwiederholungen, Tonschritten oder kleinen Stufen aus. Vergleicht man die notierte Musik mit Aufnahmen von Lion, so stellt sich heraus, dass die Notation der Chansons in vielen Fällen Lions Interpretation vor allem rhythmisch ziemlich exakt wiedergibt – gute Beispiele dafür sind „Es liegt in der Luft“ oder „Wenn die beste Freundin“. In manchen Fällen interpretiert Lion die Komposition jedoch freier, wie in „Die Linie der Mode“ oder besonders in „L’heure bleu“ – nie jedoch so extrem wie Blandine Ebinger, bei der die Noten zu ihren Liedern eines armen Mädchens lediglich eine Skizze für ihr freies Parlando sind. Ein typisches Beispiel für Lions Repertoire ist das Duett „Es liegt in der Luft“ von ihr und Oskar Karlweis aus der gleichnamigen Revue.
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Notenbeispiel 1: „Es liegt in der Luft“
„Es liegt in der Luft“ ist wie für Schlager üblich als zweiteilige Liedform gestaltet. Die ersten vier Takte (inklusive Auftakt) der Melodiestimme bestehen ausschließlich aus einem sich wiederholenden Motiv, bestehend aus einem repetierenden g‘. Die Klavierstimme hat die typische Form des Wechselbasses. Die nächsten vier Takte führen zunächst in aufsteigenden Tonschritten (in der Melodiestimme: g‘ – a‘ – b‘ – c‘‘, in der Klavierbegleitung in Oktavparallelen: Es-Dur [tP] – F-Dur [S] – Es-Dur [tP] – c-Moll [t]) bis zur Doppeldominante D-Dur, um dann wieder zum Ausgangspunkt der Tonika mit dem repetierenden g‘ zurück zu kehren (Melodiestimme: d‘ – c‘‘ – b‘ – a‘ – g‘, Klavierbegleitung: g-Moll [d] – As-Dur [sP] – EsDur [tP] –D / 7 [(D)], c-Moll [t]). Und auch die ersten acht Takte des Refrains sind geprägt von dem stets repetierten g‘. Rhythmik und ‚Melodie‘ wiederholen sich dann in den folgenden acht Takten sequenziert eine Sekunde höher auf dem a‘. Lion und Karlweis weichen von einer solchen Interpretation nicht ab;221 ihr Duett lebt geradezu von der überkorrekten Betonung des Sprachrhythmus‘. Auch wenn die simpel erscheinende Komposition typisch für Chansons und Schlager ist, so hat Nils Grosch am Beispiel „Es liegt in der Luft“ auch gezeigt, wie diese Charakteristika durchaus inhaltstragend sind. Er deutet die schlichten
221 Eine historische Aufnahme wurde auf Mischa Spoliansky. Musikalische Stationen zwischen Morphium und Wiederstand, archiphon 1998 u. Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt, edel Classics 2005,CD 1, Track 17 wiederveröffentlicht.
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und monotonen Tonrepetitionen in der Melodieführung beispielsweise als Wiedergabe des neusachlichen Lebensgefühls, wie es im Chanson thematisiert wird.222 Seine plausible Interpretation lässt sich erweitern, indem die musikalische Gestaltung auch im Hinblick auf ihre Funktion für die Imagekonstruktion analysiert wird. Das neusachliche Gefühl wird hier nicht losgelöst von den Interpreten Oskar Karlweis und Lion erzeugt, sondern steht in unmittelbarer Verbindung mit der Charakterisierung ihrer Bühnen-Personae in der Revue Es liegt in der Luft und ihrer Gesamtimages. Groschs Interpretationsansatz folgend, ermöglicht die staccatohafte, monotone und schnelle Aussprache Lions dem Publikum, sie in die sachliche Ästhetik der Großstadt einzuordnen und sie als Neue Frau zu identifizieren. Überblickt man ihre weiteren Chansons, so lassen sich Ähnlichkeiten in der musikalischen Gestaltung finden, durch die nicht nur einzelne Bühnen-Personae charakterisiert werden, sondern die in ihrer Gesamtheit und Kontinuität ein Image konstruieren. So sind beispielsweise auch „Die fleißige Leserin“, „Wenn die beste Freundin“ „L’heure bleu“ und „Mir ist so nach dir!“ gute Beispiele für diese einfache Melodiestruktur, die sich meist nur aus Sekunden und Terzen in kurzen zwei- beziehungsweise viertaktigen Phrasen zusammensetzt und stets mit Lions Weiblichkeitstypus der grotesken Neuen Frau verknüpft wird. Der einfachen Melodiestruktur entspricht zudem die rhythmische Gestaltung der Chansons. Nur wenige sind ternär phrasiert („Der Pudel“, „Sex-Appeal“, „Die Gesellschaft“). Die Mehrzahl folgt einer binären Phrasierung und nutzt marsch- und polkaähnliche Betonungen auf der ersten und dritten Zählzeit („Die Braut“, „Wenn die beste Freundin“, „Nofretete“). Um allerdings erneut das Beispiel „Es liegt in der Luft“ zu bemühen: Anklänge an den Jazz finden sich hier, indem in den ersten Takten zwischen den repetierenden Vierteln und in jedem zweiten Takt zwischen einer Synkopierung der zweiten Zählzeit gewechselt wird.
222 Nils Grosch: „‚Bilder, Radio, Telephon‘: Revue und Medien in der Weimarer Republik“, in: Ders. (Hrsg.): Aspekte des modernen Musiktheaters in der Weimarer Republik, Münster: Waxmann Verlag 2004, S. 159–174, hier S. 168f.
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Notenbeispiel 2: „Die fleißige Leserin“
Notenbeispiel 3: „Wenn die beste Freundin“
Notenbeispiel 4: „L’heure bleu“
Notenbeispiel 5: „Mir ist so nach dir“
Typisch für das Chanson im Gegensatz zum Kunstlied, aber dadurch auch den Stil Lions prägend, ist der syllabische Duktus ihrer Chansons. Interessant ist nicht nur, dass dieses Silben-Ton-Verhältnis Lion je nach Aussage und Charakter eines Chanson und seiner Chanson-Protagonistin an einen bestimmten Rhythmus bindet oder sie die Betonungen und Längen freier interpretiert, sondern auch, dass tragende Melodiebögen zu Gunsten von natürlich wirkenden ausgesprochenen Wörtern vermieden werden. Lions Artikulation zeichnet sich entsprechend meist durch portato bis hin zum staccato aus. Lions Bühnen-Personae werden in keinem Fall lyrisch, etwa durch getragene legato-Bögen oder einem großen Stimmumfang eingeführt. Stets werden sie durch Tempo, Klarheit, Sachlichkeit und einen spitzen, trockenen Ausdruck charakterisiert. Der Tonumfang umfasst bei Lions Chansons die mittlere Lage mit Tendenz in den Sopranbereich (ca. c‘ – a‘‘). Dies verwundert zunächst, wurde ihre Stimme – wie in der Themen- und Werteanalyse der Rezensionen noch zu zeigen sein wird – doch stets als Bass oder zumindest als tief und rau empfunden. In den Aufnahmen fällt jedoch auf, dass Lion diesen Tonumfang nicht vollends aussingt, sondern die notierten Melodien stärker als den Rhythmus als Orientierung nutzt, um immer wieder frei interpretierend im Stil der Diseusen in die Sprechstimme zu wechseln und so vor allem die hohen Töne zu vermeiden.
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Der parodistische Effekt der Musik wird so durch Lions Stimmlage, -charakter und -beschaffenheit verstärkt. „Die Stimme mit ihrer kulturellen, physischen und geschlechtlichen Dimension verschafft ihrem Träger/ihrer Trägerin Möglichkeiten der Darstellung, der Selbstinszenierung und der Identitätsbildung“.223 Ruft man sich nun die körperliche Erscheinung Lions vor Augen – dünner, zierlicher Körper –, so erwartet man in einer angenommenen (kulturell tradierten) Zusammengehörigkeit von Körper, Geschlecht und Stimme einen hellen Sopran. Lions Stimme ist jedoch eine „genderdissonante Stimme“224: Sie ‚singt‘ im Alt – der Stimmlage, die von dem genderkonformen Sopran abweicht und damit auch in kein weibliches Idealbild passen will. Folgt man der aus dem 19. Jahrhundert stammenden und der Kunstmusik zugehörigen These, dass Stimmlagen Typen abbilden und über sie „die Zuweisung charakteristischer Eigenschaften von Rollen“225 erfolge, so ist danach zu fragen, welchen Typ Lion nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar macht. Weil aber die Stimme nicht von ihrem Körper zu lösen ist, zumal die Chansons für (sichtbare) live-Ereignisse gemacht sind, so schließt sich an die Frage nach dem Typ die Frage nach dem spezifischen Bruch an, der sich zwischen Lions Stimme und ihrem Körper vollzieht. Es ist nämlich gerade ihr charakteristisches Merkmal, dass ihre Stimme auf den ersten Blick und den ersten Höreindruck nicht zu ihrem Körper passen will. So wie sie in ihrer Ausgestaltung der Bühnen-Persona mit dem Bruch zur Chanson-Protagonistin spielt, so inszeniert sie auch den Bruch zwischen Körper und Stimme. Erscheinen Lions zierlicher Körper und ihre tiefe Stimme zunächst unvereinbar miteinander, so wird im Verlauf einer Chanson-Performance deutlich, dass beide in ihrer grotesken Art miteinander übereinstimmen. Ihr Körper entspricht nur oberflächlich dem androgynen Schönheitsideal der Neuen Frau. Er wird bei ihr, wie anhand der Detailanalyse von „Die Linie der Mode“ zu zeigen sein wird, zum Instrument, den modischen Körperkult ins Groteske zu verzerren. Und auch ihre Stimme ist als grotesk zu bezeichnen. So hager ihr Körper ist, so dünn ist ihre Stimme, und sie schwankt dabei zwischen den Extremen. Wie sowohl auf historischen wie auf späteren Aufnahmen226 zu hören ist, artikuliert Lion die Konsonanten sie überdeutlich, lässt sie
223 Anno Mungen: „Gesang / Stimme. 1. Gesang / Stimme / Stimmfächer“, in: Anette Kreutziger-Herr u. Melanie Unseld (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, S. 245–247, hier S. 245. 224 Tina Rosenberg: „Stimmen der Queer-Diven“, S. 202. 225 Anno Mungen: „Gesang / Stimme. 1. Gesang / Stimme / Stimmfächer“, S. 246. 226 Neben der bereits erwähnten CD Mischa Spoliansky. Musikalische Stationen zwischen Morphium und Wiederstand mit Aufnahmen aus der Revue Es liegt in der Luft sei vor
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explodieren oder nutzt sie, wie im Refrain von „Es liegt in der Luft“, um die Wörter abzuwürgen und ihnen jegliche Klangmöglichkeit zu nehmen. Die Vokale formt sie stets in ihren Extremen – entweder nasal, wie zum Beispiel in der dritten Strophe von „Es liegt in der Luft“ („ganz und gar fassadenlos“) oder aber im hinteren gutturalen Bereich, wodurch auch ihr (französisches) ‚r‘ betont wird. Als Idealbeispiel für diese zwischen den Extremen schwankenden Tongebung lässt sich „L’heure bleu“ heranziehen (Notenbsp. 6). Notenbeispiel 6: „L’heure bleu“ – Refrain
Das Chanson stammt aus der Kabarettrevue Es liegt in der Luft. Der Titel des Chansons bezieht sich auf den Duft „L’heure bleue“ von 1912 – ein Modeparfum, das mit seinem schweren, süßen und pudrigen Duft bis heute als markantes Parfum des Hauses Guerlain gilt. Schiffer, Spoliansky und Lion nutzten dieses Modeparfum als Aufhänger, um die dekadente Dame zu karikieren, wie sie sich in ihren Extremen auch im Warenhaus der 1920er Jahre darstellen lässt. Die Dekonstruktion dieser Dame geschieht hier unter anderem durch Lions Orientierung an gesprochener Sprache mit nur einzelnen, dafür umso exponierter gesungenen Passagen.227 Wenn Lion jedoch eine Melodie explizit aussingt, so geschieht dies nie ohne Überspitzung. Die entsprechenden Textstellen werden karikiert, und Lions Duktus wirkt geradezu polemisch. Sie betont jeden Vokal der Wörter in den Stro-
allem die ebenfalls bereits erwähnte CD Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt empfohlen, um einen umfassenden Höreindruck von Lions Repertoire zu erhalten. Im Film Nie wieder Liebe von 1931 ist Lion darüber hinaus in einer Interpretation des Chansons „Leben ohne Liebe kannst du nicht“ zu sehen und zu hören. 227 Als Grundlage für die folgende Interpretationsanalyse dient die historische Aufnahme des Chansons von 1928, die u.a. auf Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt, Track 6 wiederveröffentlicht wurde.
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phen, das jeweils letzte Wort der viertaktigen Phrasen in der Strophe zieht sie extrem lang. Der notierte Rhythmus unterstützt sie dabei, indem die Vokale auf punktierte Achtel beziehungsweise am Ende der Phrase mit einer Viertel zusammenfallen („Ich eeesse nicht, ich schlaaafe nicht, ich taaanze nicht, ich baaade nicht, ich liiiebe nicht; ich leeebe nicht, ich schmiiiiiinke mich“). So wird der nasale Klang ihrer Stimme betont und die Bühnen-Persona zugleich als dekadent-mondäne Persönlichkeit charakterisiert. Das andere Extrem, ihre kehlige Tongebung, wird im Refrain (vgl. Notenbeispiel 6) besonders deutlich. Dort gibt Lion das Idealbild einer Dame nicht nur durch den Text wieder, sondern auch, indem sie das Vibrato einer Opernsängerin imitiert. Sie singt der Komposition entsprechend die erste ganze Note lang aus und auch die nun bis zum a‘‘ reichenden Überleitungen zwischen den sich wiederholenden ganzen Noten intoniert sie mit scheinbar voller Stimme, wobei sie vor allem diesen Spitzenton stets auffällig mit Vibrato versieht und ihn über die Zählzeit hinaus im rubato aufhält. Doch erreicht Lion das imitierte Stimmideal nie ganz, und wahrscheinlich will sie es auch nicht erreichen. Ihr Vibrato wird nicht im vollen Resonanzraum des Mundes gebildet, sondern sitzt weit hinten im Bereich der Kehle, wodurch das Vibrato aufgesetzt, fast meckerndspitz klingt und ein Gestus des ‚Ich-tue-so-als-ob-ich-eine-Opernsängerin-wäre‘ entsteht. Diesen karikierenden Spitzen stehen weitere kleine Brüche anderer Art gegenüber. So wirft sie den „Hauch“ von „Mille fleurs“ im fünften Takt des Refrains nur so hin und intoniert ihn ebenso nasal wie die Anweisung „Dann tüchtig schütteln und noch einmal rütteln“ in den Takten 33 und 35. Hier verlässt Lion die notierte Melodie ganz, indem sie nicht die notierte absteigende Quarte aussingt, sondern die zweite Silbe ‚-teln‘ nasal nach oben schleift, ebenso wie sie die in Viertel gesetzte Anweisung „heiß – auf – koch – en“ jeweils anschleift, wodurch ihre ‚Hochnäsigkeit‘ geradezu hörbar wird. So wie die „Autoluft“ (T. 30/31) nicht etwa mit Vibrato über die vollen fünf Schläge dynamisch ausgestaltet, sondern abgekürzt und mit einem deutlichen, sogar stotternd repetierten ‚t‘ beendet wird, so schließt Lion auch den Refrain nicht mit einem brillierenden f‘‘ wie es vielleicht eine Operndiva tun würde, sondern gibt dem Text den Vorrang und wirft analog zur Parfummischung auch den Ton weg. Ein weiteres typisches Merkmal in der Chansoninterpretation von Lion lässt sich schließlich an diesem Chanson verdeutlichen. Es ist auffällig, dass die Gesangsmelodie nie solistisch erklingt, sondern stets durch die Begleitung gestützt wird. Im letzten Vers der Strophe übernimmt sogar die Geige die melodiöse Ausgestaltung allein, wohingegen Lions Bühnen-Persona schon wieder das Interesse an Melodie und Gegenstand verloren hat und in eine nonchalante Sprache fällt. Lion treibt hier ein Prinzip der ersten Diseuse Yvette Guilbert auf die Spitze. Diese schreibt in ihrem Leitfaden zur Kunst, ein Chanson zu singen von 1928:
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„Die Schauspielkunst im Dienste einer Sängerin ohne Stimme, die es jedoch vermag, ein Orchester oder das begleitende Klavier an ihrer Statt ‚singen‘ zu lassen – das ist meine Kunst! An Ihnen liegt es nun, diese Kunst weiterzuentwickeln und, vor allem, sie zu vervollkommnen.“228
In der Tat hat Lion sich diesen Stil zu eigen gemacht, so sehr, dass er in Kombination mit dem neusachlichen Sujet ihrer Chansons zur verdichteten Form ihres Images der grotesken Neuen Frau führte. Ein lyrischer Ausdruck, Inbegriff des Schönen, wird bei ihr zu Gunsten der klaren, schroffen Aussage vermieden. Lions Chansons laden nicht, wie Theodor W. Adorno dem Jazz, dem Schlager und dem Foxtrott mit ihrer verse-chorus-Struktur unterstellt, zu Identifizierung des Individuums mit dem Kollektiv ein: „Das Individuum im Publikum erlebt sich primär als Couplet-Ich, fühlt dann im Refrain sich aufgehoben, identifiziert sich mit dem Refrainkollektiv, geht tanzend in dieses ein und findet damit sexuelle Erfüllung.“229 Bei Lion ist das Gegenteil der Fall: Nur an der Oberfläche findet eine Illustration von Massenphänomenen und Moden statt, die zur Identifikation einlädt. Durch die Perspektive der dritten Person, der im Verlauf der Chansons stattfindenden Brechung von Idealbildern zu ihren grotesk-verzerrten Spiegelbildern, Lions genderdissonante Stimme sowie die diese Tendenzen unterstützende Musik wird vielmehr eine kritische Distanz zwischen Bühnen-Persona und Chanson-Protagonistin erzeugt. Ob auch eine Distanz zu einem Publikum geschaffen wird, das nach Adorno auf reine Identifikation aus sei, ist zu hinterfragen. Denn durch ihre grotesken Parodien hat Lion ihr Publikum gewonnen, das nicht mit Klischees bestätigenden Chansons rechnet, sondern gerade Lions scharfsinnige Brüche honoriert und fordert.
228 Yvette Guilbert: Die Kunst, ein Chanson zu singen, S. 41. 229 Theodor W. Adorno: „Über Jazz“ [1936], in: Ders.: Musikalische Schriften IV (= Gesammelte Schriften 17), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, S. 74–108, hier S. 95.
Margo Lions Image der grotesken Neuen Frau: Synchrone Einblicke
Es wäre zu kurz gegriffen, Lions Image allein auf Stimmen von Kritikern und ihrer Darstellung auf Fotografien und in Karikaturen zurückzuführen. In der Einleitung dieser Arbeit wurde mit Verweis auf Silke Borgstedt bereits erörtert, dass es nicht möglich ist, Prozesse einer Imagekonstruktion linear entweder nur auf Produzenten- oder Rezipientenseite zu verorten. Vielmehr handelt es sich um einen zirkulären Prozess, bei dem sich Publikumserwartungen mit medialer Verbreitung und Einengung sowie künstlerischer Produktion wechselseitig bedingen. Mit dem Verständnis einer solch komplexen Imagekonstruktion muss deren Analyse sowohl allgemeine Diskurse im Blick haben als auch vertiefend auf die unterschiedlichsten Bereiche der Produktionsebene eingehen sowie deren Wahrnehmung durch Rezipienten und Rezipientinnen erörtern. Dies darzustellen gelingt am besten an Einzelbeispielen, weshalb im Folgenden möglichst detailliert auf Lions Performances einzugehen ist. An ihrem Chanson „Die Linie der Mode“ und ihren Rollen in Es liegt in der Luft kann paradigmatisch ihre Imagekonstruktion aufgezeigt werden. Es wurde bereits auf Diskurse im Umfeld der Neuen Frau eingegangen. Ausgehend von Lions Repertoire ist nun darüber hinaus zu zeigen, wie sie mit ihrem ersten Auftritt an diesen Weiblichkeitstyp anknüpft, wie sich also ihre ChansonProtagonistin und ihre Bühnen-Persona in den aktuellen Geschlechterdiskurs einordnen lässt und sie zugleich als dessen Produkt zu deuten sind. Anhand der Revue Es liegt in der Luft kann anschließend eine Verbindung zum Unterhaltungssystem der Weimarer Republik gezogen werden. Nicht nur allgemeine, soziologische, gesellschaftliche und politische Diskurse sind mit Lions Image verwoben, auch kulturelle Entwicklungen in der Unterhaltungskultur beeinflussen nicht unwesentlich Lions Imagekonstruktion. Die Gattung Revue war in der Weimarer Republik höchst erfolgreich und kulturprägend. Da Lion gerade mit ihren Kabarettrevuen Erfolge feierte, kann diese Gattung daher hinsichtlich ihrer Funktion für eine
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Imagekonstruktion befragt werden. Dabei geht eine exemplarische und tiefergehende Analyse der Revue Es liegt in der Luft über die Benennung allgemeiner, theatralischer Prinzipien hinaus, um mithilfe von diversen Quellen zu zeigen, inwiefern auch der Ort der Darstellung, die Bühnen- und Kostümgestaltung sowie ein spezifisches dramaturgisches Konzept das Image von Lion unterstützten. Schließlich findet mit der Analyse des Chansons „Die Braut“ aus dieser Revue ein Vergleich mit Lions Chansons „Die Linie der Mode“ statt. Hier kann sowohl die Varianz eines Images, aber auch dessen Kontinuität nachgewiesen werden.
M ARGO L IONS D URCHBRUCH AUF DER K ABARETTBÜHNE : D AS C HANSON „D IE L INIE DER M ODE “ – Z UR G RUNDLEGUNG IHRES I MAGES Aus der Garderobe erschien sie dann in ein Stück Seide gewickelt, die sie mitgebracht hatte, und man war von ihrer Erscheinung sofort gebannt und gefesselt. Schiffer hatte Margo Lion, eine Deutsch-Französin, in einem Modesalon entdeckt. Da stand nunmehr eine überschlanke, ja dürre Frau mit weißgeschminktem Gesicht auf der kleinen Bühne und plärrte Schiffers Verse von der ‚Linie der Mode‘ – Musik Mischa Spoliansky – in den Raum.1
Auffallend ähnlich den Erinnerungen der Kabarettgründerin Trude Hesterberg an Lions ersten Auftritt an ihrer Wilden Bühne berichtet auch der Journalist, Filmund Kabarettkritiker Paul Marcus, bekannt geworden unter dem Pseudonym PEM, von ihrer Performance. Es ist die Erinnerung an eine eigenwillige und einprägsame Bühnenpräsenz, die immer wieder in zahlreichen Presseberichten, in der Forschungsliteratur zum Kabarett und durch weitere Medien wie CD-Booklets, Umschlaggestaltungen von Kabarettgeschichten und abgedruckten Fotografien festgeschrieben wurde. So wurde Lion beispielsweise schon einen Monat nach ihrem Auftritt in der Wilden Bühne mit einem Foto von ihr im berühmt gewordenen, mondänen und morbiden, eng anliegenden, schwarzen Wickelkleid für den Artikel „Moderne Berliner Kabarettypen“ in der Berliner Illustrirten Zeitung ausgewählt.2 Die berühmt gewordene Erzählung von ihrem Vorsingen in der Wilden Bühne suggeriert jenen Initiationsritus zur Künstlerin, wie er von Simon Obert als typisches Merkmal in Künstleranekdoten des Pop analysiert wird. Seine Aussage zu
1 2
PEM (= Paul Marcus), zit. nach Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 198. „Moderne Berliner Kabarettypen“, in: Berliner Illustrirte Zeitung 32, Nr. 44 (4. November 1923), S. 890.
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dem Rolling Stones-Hit „I can’t get no Satisfaction“ kann uneingeschränkt auch auf Lions Chanson „Die Linie der Mode“ übertragen werden: „So wie aus einem Hit ein Klassiker wurde, wurden aus mehr oder weniger nüchternen Informationen Anekdoten oder, wie man sagen könnte, moderne Mythen. Voraussetzung hierfür ist das wiederholte Erzählen.“3 Es besteht also ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Chansons selbst und der Erzählung darüber. Der Erfolg mit diesem Chanson und ihr denkwürdiger Auftritt in dem markanten Kostüm wurden so sehr zu Lions Merkmal, dass es sich in den Kabarettgeschichten häufig so liest, als sei Lion hier zum ersten Mal im Kabarett aufgetreten. Zwar feierte sie mit diesem Chanson tatsächlich ihren Durchbruch, doch konnte sie, wie die Tagebücher von Schiffer nahelegen, bereits vorher kleine Erfolge in Kabaretts feiern, mit denen die gebürtige Marguerite Hélène Constantine Barbe Elisabeth Lion auch ihren Namen „Margo Lion“ etablierte.4 Die eingangs zitierte Erinnerung PEMs umfasst jedoch mehr als die bloße Beschreibung von Lions Kostüm. Knapp erwähnt er, woher diese „Erscheinung“5 komme. Der Hausdichter der Wilden Bühne, Marcellus Schiffer, habe Lion in einem Modesalon kennengelernt. Warum wählte PEM ausgerechnet dieses Detail aus, um Lion zu charakterisieren? Oberts These zur Funktion der Anekdote erklärt auch dies: „Ihre historische Referentialität, ihre sprachliche Bezugnahme auf außersprachliche Geschehnisse einer ge- und erlebten Vergangenheit kann, muss aber nicht faktisch sein. Nicht dass das Erzählte so stattgefunden hat, sondern dass das Erzählte die Ursachen und Folgen eines Stattgefundenen plausibel macht, erweist sich als die Referenz der (auto-)biographischen Anekdote.“6
Dass die Anekdote PEMs über das Kennenlernen von Lion und Schiffer erfunden sei, wie Marcus Bier nahelegt,7 ist für ihre Bedeutung also nicht ausschlaggebend.
3
Simon Obert: „Wen kümmert’s, ob Keith Richards schnarcht? ‚(I Can’t Get No) Satisfaction‘ und die Pophistoriographie“, S. 125.
4
Vgl. Victor Rotthaler (Hrsg.): Marcellus Schiffer, S. 124 u. 127.
5
PEM, zit. nach Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 198.
6
Simon Obert: „Hinter verschlossenen Türen. Anmerkungen zu einer Künstleranekdote im Pop“, in: Sandra Danielczyk, Christoph Dennerlein, Sylvia Freydank, et. al. (Hrsg.): Konstruktivität von Musikgeschichtsschreibung. Zur Formation musikbezogenen Wissens, Hildesheim: Georg Olms Verlag, S. 141–156, hier S. 151.
7
Dass es sich hier um eine erfundene Anekdote handelt, die in der Erinnerungsliteratur zum Kabarett immer weitergereicht wird, legt Marcus Bier nahe. Margo Lion habe diese
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Die Leser und Leserinnen von PEMs Anekdote erfahren nämlich nicht nur, wo sich das spätere Ehepaar angeblich kennengelernt habe, ihnen wird mit ihr vor allem das Bild der Neuen Frau suggeriert – und damit ist mit dem Verweis auf den Modesalon keine Aussage über Privates getroffen. Selbst die Nennung von Lions Herkunft – sie war „Deutsch-Französin“ – hat nichts Privates an sich, auch dies ist Teil ihres inszenierten Images, dem durch diese Anekdote Glaubwürdigkeit und Authentizität verliehen werden soll. Die Attribute der Aussprache und des Kostüms sowie ihr parodistischer, „plärrender“8 Stil wurden neben ihrem Talent zur parodierenden Groteske zu Lions Markenzeichen und fortan mit ihr verknüpft. Mit ihrem Chanson „Die Linie der Mode“ begründete sie ihren Erfolg9 und kreierte ein individuelles Image, das von Modernität, Mode und Internationalität bestimmt wird und Teil des virulenten Weiblichkeitsdiskurses der Weimarer Republik ist. Lion wurde 1899/190010 geboren und fällt mit diesem Geburtstag genau in die Generation der jungen Frauen, die in der Weimarer Republik den Typus der Neuen Frau prägten. Lion erscheint mit ihrem Chanson „Die Linie der Mode“ 11 aus dem
Erzählung im Gespräch mit Günter Odemann-Nöring dementiert (vgl. Marcus Bier: Schauspielerportraits. 24 Schauspieler um Max Reinhardt (= Beiträge zu Theater, Film und Fernsehen aus dem Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin 2), Berlin: Edition Hentrich 1989, S. 164). 8
PEM, zit. nach Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 198.
9
Vgl. dazu Trude Hesterberg: „Als sich der Vorhang teilte und dieser lange, dünne Strich, die Hüften schaukelnd, in Erscheinung trat, wurde sie mit frenetischem Auftrittsapplaus empfangen, der auch ihren Abgang begleitete und ihren Erfolg ein für allemal besiegelte. Dazu kam, daß der Berliner von jeher einen Hang zur Parodie hatte und so auch eine Schwäche für fremde Akzente“ (Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollte…, S. 117).
10 In der Sekundärliteratur finden sich verschiedene Angaben zu ihrem Geburtsdatum. Klaus Budzinski und Reinhard Hippen datieren es im Metzler Kabarett Lexikon auf den 28. Februar 1899 (Klaus Budzinski u. Reinhard Hippen (Hrsg.): Metzler Kabarett Lexikon, S. 230), während Marcus Bier einer Aussage Lions im Gespräch mit Kai Odemann-Nöring folgt, demzufolge sie am 29. Februar 1900 geboren sei (vgl. Marcus Bier: Schauspielerportraits, S. 164). 11 Abgedruckt unter anderem auch in: Reinhard Hippen (Hrsg.): Das Kabarett-Chanson. Typen – Themen – Temperamente, S. 50f. und Volker Kühn: Hoppla, wir beben, S. 144f. Einige Änderungen am Text sind nach zwei Originalaufnahmen (Volker Kühn, Jürgen Crasse, et. al.: 100 Jahre Kabarett. Da machste was mit… Texte und Chansons. 1901–1933, Bear Family Records 2006, 2. CD, Track 12 und Margo Lion. Die Linie
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Jahr 1923, Text von Marcellus Schiffer, Musik von Mischa Spoliansky, als Mittelpunkt eines Projektionskreisels rund um die Neue Frau, wie sie einleitend zu diesem Kapitel umrissen wurde, ohne dabei selbst bloß passive Empfängerin von Vorstellungen zu sein. Im Gegenteil: In Form einer schwarzen, morbiden und schwindsüchtigen Bühnenerscheinung singt und urteilt sie in der dritten Person in den drei Strophen des Chansons über die zentralen Attribute der Neuen Frau – über Mode, urbane Hast und Unterhaltung sowie über die neusachliche Liebe. Die Linie der Mode 1. Es steht in dem Fenster der Menschheit zur Schau Eine magere Frau unbeweglich. Es hat zum Kostüm ihr der Stoff nicht gereicht – Was oben sie zeigt ist recht kläglich. Sie kann sich nicht brüsten – sie hat keine Brust, ein Leibchen ist Hülle des Leibes. Sie hat keine Hüften – sie hat keine Lust, Dieser Restbestand eines Weibes! 1. Refrain Sie spreizt ihre Arme – sie dreht sich im Kreis. Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß? Wer ist dieses Ausrufungszeichen der Not? Welch’ Abgesandter vom Tode? Man weiß nicht – ist es der Hungertod? Oder die neueste Linie der Mode?
der Mode. Ein musikalisches Porträt, Track 2, am Klavier Ursula Harnisch) aus dem Jahr 1976 vorgenommen worden: In der ersten Strophe singt Lion anstelle von „Menschlichkeit“ „Menschheit“. Ebenso wurden in jedem Refrain die im Druck verwendeten Wörter „Ausrufezeichen“ in „Ausrufungszeichen“ geändert. In der dritten Strophe singt Lion anstelle von „den Nuttchen geklaut“: „der Halbwelt geklaut“. Die Änderungen der Tondokumente zur Textvorlage zeigen einmal mehr die Notwendigkeit, die Performativität des Chansons zu beachten. Nicht die Fixierung von Musik und Text war Charakteristikum der Gattung, sondern die spontane, der Situation angemessene Änderung eines aufgeschriebenen Textes. Eine Transkription befindet sich im Anhang.
148 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 2. Es raset ein Auto durch Dick und durch Dünn! Erleuchtet von außen und innen. Das Auto das rast zum Saisonbeginn. Doch sitzet kein Fahrgast darinnen! Es hält vorm Theater, dem modischen Haus. Man wittert schon rings die Reklame! Ein Fahrgast so gut als wie nichts steigt heraus. Dieses Nichts – das war eine Dame! 2. Refrain Sie spreizt ihre Arme – sie dreht sich im Kreis. Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß? Wer ist dieses Ausrufungszeichen der Not? Welch’ Abgesandter vom Tode? Die Dame – das ist der Geistestod! Genannt auch – die Muse der Mode! 3. Eine vornehme Frau trägt zu Markt ihre Haut, Sie leistet sich leicht – das zu bieten. Die Mode – die hat sie den Nuttchen/der Halbwelt geklaut! Sehr viel ist da nicht zu vermieten! Doch denkt sie geschäftlich mit häuslichem Geist – Man muß sich mit Liebe ergänzen. Man hat dieses Vorrecht – damit man beweist, Daß selbst jede Vornehmheit Grenzen! 3. Refrain Sie spreizt ihre Arme – sie dreht sich im Kreis! Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß? Wer ist dieses Ausrufungszeichen der Not? Welch’ Abgesandter vom Tode? Man weiß nicht – ist es der Liebestod? Oder die schickeste Schickse der Mode?12
Eine Musikanalyse des Chanson „Die Linie der Mode“ ist leider nicht auf Grundlage einer Aufnahme aus den 1920er Jahren möglich, sondern beruft sich auf Lions Aufnahme von 1976. Man hört eine in die Jahre gekommene Diseuse, doch
12 Mit freundlicher Druckgenehmigung – auch der Notentranskription im Anhang – von Chris Kelly und Andreas Seeber.
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im Vergleich mit anderen Chanson-Aufnahmen aus ihren frühen Jahren ist davon auszugehen, dass sie die Stilistik beibehalten hat, weshalb mit einer gewisser Einschränkung auf der Grundlage dieser Aufnahme durchaus einige Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Ausgestaltung der Musik gewonnen werden können. Wäre da nicht die Stimme von Lion, würde mit dem Chanson „Die Linie der Mode“ ein relativ harmloses Stück Klaviermusik mit Gesang erklingen: dezent in der Begleitung, bis auf wenige Ausnahmen keine spektakulären harmonischen Wendungen, eine schlichte Melodie. Die vier einleitenden Takte sind bereits in dieser Stilistik geschrieben. Im Arpeggio angeschlagene Dominantsept- beziehungsweise Dominantseptnonakkorde über je einen beziehungsweise zwei Takte (T. 3 u. 4) wirken als Eröffnung eines lyrischen, erzählenden Liedes, das mit dem Auftakt zu Takt 5 auf der Dominante einsetzt. Die Melodie ist schlicht gestaltet, basiert auf Tonwiederholungen, und durch das eher getragene Tempo des Stücks ( = ca. 120 bpm) wird der erzählende Gestus bestätigt. Die Klavierbegleitung beschränkt sich auf Akkorde in Vierteln in der linken Hand sowie auf die Doppelung der Melodiestimme, wobei die tongetreue Wiedergabe des Notentextes allein vom Klavier, nicht von Lion, übernommen wird. So harmlos wie Melodie und Begleitung gestaltet sind, so simpel und ohne Überraschungen ist auch der Aufbau des Chansons im 4/4-Takt: Drei 16-taktige Strophen (in sich als Reprisenbarform [A – A – B – A] strukturiert) mit dreimal wiederholtem 12-taktigen Refrain (C – A‘ – D, wobei D Motive aus C und A‘ verwendet), die ohne Variation in der Melodik, Harmonik oder Rhythmik durchgespielt werden und damit eine ‚simple Verse/Chorus-Form‘ ergeben.13 Lediglich das Tempo steigert sich im Verlauf des Chansons. Spoliansky hat hier ein Chanson mit klassischer Schlagerstruktur komponiert. Die Schlichtheit und Klarheit in Melodik, Harmonik und Form stützt also einerseits die Sangbarkeit und damit die potentielle Popularität des Chansons, andererseits legt sie aber auch die Grundlage für Lions groteske Parodie, weil diese sich mit ihrer Interpretation und Performance von diesen Gegebenheiten abgrenzen kann.
13 Zu dem mannigfaltigen Gebrauch der Terminologien zur Songformanalyse vgl. Ralf von Appen u. Markus Frei-Hausschild: „AABA, Refrain, Chorus, Bridge, PreChorus. Songformen und ihre historische Entwicklung“, in: Dietrich Helms u. Thomas Phleps (Hrsg.): Black Box Pop, S. 57–124. Die Autoren stellen die Bedeutung der Form in der musikalischen Analyse heraus (vgl. ebd.) und plädieren für die stärkere Beachtung von Songstrukturen, um historische Entwicklungen begreifen zu können. Vor allem rufen sie jedoch dazu auf, die Form nicht nur als Grundlage zu verstehen, um Orientierung im Song zu schaffen, sondern sie selbst als Analysegegenstand zu betrachten, von dem ausgehend Bezüge zu den expressiven Inhalten und dem Gebrauch der Songs gefunden werden können.
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Die Wortmetrik wird von daktylischen Dreier-Betonungen bestimmt, jeder zweite Vers endet mit einer Silbe weniger und mit zwei Viertelnoten, die das Ende der 4-taktigen Phrasen markieren, wodurch der perlende Erzählgestus unterstützt wird. Lions freie Ausgestaltung der Rhythmik steigert dies noch. Sie spricht mehr, als dass sie singt, und durch ihre französisch geprägte Aussprache dehnt sie die erste Silbe des Daktylus über das Metrum hinaus aus (Bsp.: „Sie h a t keine Hüften – sie h a t keine Lust“ I, V. 7 u. 8). Nur an wenigen Stellen wie „Es hat zum Kostüm ihr der Stoff nicht gereicht“ (I, V. 3) und „dieser Restbestand eines Weibes“ (I, 8) bricht das Metrum, den Erfordernissen der Sprache entsprechend. Lions Stimme drängt die Harmlosigkeit der Begleitung schnell in den Hintergrund und es fällt schwer, dieser noch Aufmerksamkeit zu schenken. Ihre schwere und tiefe Stimme sowie ihre gedehnte Aussprache verleihen dem Chanson einen zwielichtigen Charakter. Der Kontrast zwischen der plaudernd perlenden Begleitung und ihrer Stimme wird besonders dadurch erzeugt, dass die Klavierbegleitung die Melodiestimme nicht nur doppelt, beziehungsweise allein übernimmt, sondern diese eine Oktave höher als Lions Stimme spielt. Dies erklärt auch den Befund aus der Werteanalyse, dass ihre Altstimme immer wieder als besonders tief oder gar als Bassstimme wahrgenommen wurde. Ihre Stimme mag darüber hinaus für große Überraschungen gesorgt haben, denn ihr magerer Körper und vielleicht auch das Wissen über ihre französische Herkunft lassen eher eine gehauchte und schwächliche Stimme vermuten. Schon allein dieser Überraschungseffekt oder zumindest diese Spezialität sorgte für die Unverwechselbarkeit Lions und ging in ihr Image ein. Der erste Vers macht aus dem Chanson „Die Linie der Mode“ eine Parabel: Aus dem Schaufenster eines Kaufhauses wird hier das „Fenster der Menschheit“. Die laut Anekdoten selbst im Modesalon entdeckte Diseuse Lion stellt nicht die neuste Mode zur Schau, sondern den neuesten Typ der Frau. Es wurde bereits ausgeführt, wie Lion mit einem Kreisel aus Weiblichkeitsbildern zu spielen vermochte. In ihrem Vortrag des Chansons „Die Linie der Mode“ stellt sie nun förmlich den Kreisel-Mittelpunkt dar, in dem sie sowohl auf textlicher Ebene ihrer Chanson-Protagonistin als auch in ihrer Performance der Bühnen-Persona die neueste Kreation der Frau – diesen „Restbestand eines Weibes“ (I, 8) – zur Schau stellt, um ihn dann zum Absturz zu bringen. So heißt es im Pre-Chorus, der am Ende jeder der drei Strophen in den Refrain überleitet: „Sie spreizt ihre Arme – sie dreht sich im Kreis. Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß?“ – die letzte Frage melodisch mit einer Fermate retardierend, lang gezogen, abgesetzt und mit Dominantwirkung offen (T. 21–24). Erwartet man nun eindeutige Antworten, so werden die Hörer und Hörerinnen in ihrer Erwartungshaltung enttäuscht. Denn es folgen erneut vier Fragen im Refrain, deren letzten beiden das
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Publikum vor zwei Alternativen stellen. Gleich bleibt die morbide Konnotation „Wer ist dieses Ausrufungszeichen der Not? Welch Abgesandter vom Tode?“. Im ersten Refrain folgt dann die Wahl zwischen dem „Hungertod“ oder der „neueste[n] Linie der Mode“. Im zweiten steht die zur Wahl der Geistestod und die Muse der Mode. Mit Bezug auf die Dame aus der zweiten Strophe bekommt die Aussage hier sogar eine Schärfe, die die anderen Refrains nicht enthalten, denn anstelle einer Frage steht dort der Ausruf: „Die Dame – das ist der Geistestod!“ (II, 8). Im letzten Refrain schwankt die beschriebene Frau in ihrer mangelnden Erotik und Romantik zwischen den Alternativen Liebestod und der schickesten „Schickse der Mode“. Auffällig an dieser Passage ist die Betonung des Hunger-, Geistes- oder Liebestods durch eine Fermate auf der letzten Silbe. So wird nicht nur der Tod hervorgehoben, die auf die Frage der Todesart folgende Alternative wirkt darüber hinaus durch die Achteltriole zunächst temperamentvoller und lebendiger. Die sich anschließenden Vierteltriolen beenden den Refrain durch die zugespitzte Hervorhebung des Begriffs „Mode“. Die modische Körperlichkeit der Neuen Frau zieht sich so durch das gesamte Chanson, sowohl im Kehrreim als verkörperlichtes „Ausrufungszeichen der Not“ als auch in den Refrains, in denen die Mode mit der Neuen Frau in Verbindung gebracht wird. Abbildung 15: Margo Lion singt das Couplet „Die Linie der Mode“
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Laut Rezensionen, Rollenbildern und Erinnerungen, wie die eingangs von PEM und Trude Hesterberg zitierten, nimmt Lion in ihrer Bühnen-Persona mit abgespreizten Armen genau diese Pose der Chanson-Protagonistin ein, so als würde sie die im Text gestellten Fragen und damit diesen Weiblichkeitstyp zur Diskussion in den Publikumsraum stellen. Trotz identischer Pose von Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona sind beide nicht deckungsgleich. Liest oder hört man allein den Text des Chansons, so tritt zunächst unweigerlich der schillernde und zugleich sachliche Weiblichkeitstyp der Neuen Frau mit androgynem Körper und knapper Bekleidung in dieses Schaufenster der Menschheit. Doch bei genauer Betrachtung wird die neusachliche Beschreibung dieses Weiblichkeitstypen ironisch gebrochen. Die gerade geschnittenen Kleider bis zum Knie der Neuen Frauen werden zu einem Kostüm, für das der Stoff nicht gereicht habe (Vgl. I, 3), die androgyne Körperform der Garçonne wird zum Symbol für fehlende Durchsetzungskraft: „Sie kann sich nicht brüsten – sie hat keine Brust“ (I, 5), und schließlich macht ihre Magerkeit sie zum „Restbestand eines Weibes“ (I, 8). Lions Bühnen-Persona in diesem Chanson ist selbst „eine magere Frau unbeweglich“ (I, 2). Auch ihr ging der Stoff für ein Kostüm aus und die Rollenfotos belegen Lions androgyne Körperlichkeit. Die Erzählung vom seidenen Schal, der als Kostüm benutzt wurde, bekommt nun eine weitere Bedeutung. Lion wird damit nicht nur als individuelle und originelle Marke charakterisiert, sondern zugleich als Karikatur der ChansonProtagonistin identifizierbar. Obwohl das Chanson, der Form nach ein Couplet, (gleichbleibender Refrain, der seine [humoristische] Bedeutung durch die Vorstrophen bekommt)14 aus der Erzählperspektive einer dritten Person Singular erzählt ist, ist es in gewisser Weise auch ein Selbstdarstellungschanson, ohne dass Bühnen-Persona und Chanson-Protagonistin bruchlos, weder in der ersten Person Singular noch ihrer Erscheinungsform nach, ineinander übergehen.15 Erst mithilfe der spezifischen Körperlichkeit Lions und ihrer frechen Gossenstimme, wie es Hesterberg formulierte,16 erhält das Chanson seine parodistische Bedeutung. Lion tritt nämlich nicht mit Bubikopf, Minirock und Zigarettenspitze auf, sondern im bereits ausführlich dargelegten schwarz-morbiden Stil. Sie nimmt der Neuen Frau ihre modische Inszenierung, indem sie diese überspitzt und anstelle dessen das
14 Vgl. Wolfgang Ruttkowski: Chanson – Couplet – Song, Versuch einer semantischen Abgrenzung, München u. Ravensburg: GRIN Verlag 1993, S. 5f. und Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett, S. 238. 15 Zu den Begriffen Couplet und Selbstdarstellungschanson vgl. neben Wolfgang Victor Ruttkowski: Chanson – Couplet – Song, Ders.: Das literarische Chanson in Deutschland, S. 12f. 16 Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollte…, S. 116.
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„Ausrufungszeichen der Not“ des Refrains verkörpert.17 Lion stellt nicht die Neue Frau, sondern die Kritik an ihr dar. So spricht die Berliner Börsenzeitung von „von modernster Degenerations-Kultur beleckten Darbietungen“18. An dieser Stelle vollzieht sich der narrative Bruch zwischen Chanson-Protagonistin und BühnenPersona, ohne dass dadurch deren assoziative Beziehung zueinander verloren ginge. Die semantische Bedeutung des Chansons entsteht in der Performance durch die Körperlichkeit Lions. Simon Frith stellt die Bedeutung des Körpers für eine musikalische Performance wie folgt heraus: „Performance art is a form of rhetoric, a rhetoric of gestures in which, by and large, bodily movements and signs (which is obviously the use of the voice) dominant other forms of communicative signs, such as language and iconography. And such a use of the body (which is obviously central to what’s meant here by performance art) depends on the audience’s ability to understand it both as an object (an erotic object, an attractive object, a repulsive object, a social object) and as a subject, that is, as a willed or shaped object, an object with meaning.“19
Lions Körper war für das Publikum gleichermaßen ein faszinierendes, zugleich anziehendes als auch abstoßendes Objekt wie auch ein bewusst eingesetztes Mittel, um einem Chanson seine Bedeutung zu verleihen.20 Im Chanson „Die Linie der Mode“ geht die Körperlichkeit der Bühnen-Persona eine besonders enge Verbindung mit der Körperlichkeit der Chanson-Protagonistin ein. Denn das körperliche Motiv der ersten Strophe wird im ersten Vers der zweiten Strophe übernommen und mit einem hier neu eingeführten typischen Attribut der Neuen Frau verknüpft: „Es raset ein Auto durch Dick und durch Dünn!“ Mit dem Tempo des Textinhalts zieht auch das Tempo der Melodie an. Mit dem Auto rase die Neue Frau zum Saisonbeginn vom „Theater, dem modischen Haus“ (II, 5), wobei sie selbst ebenso wenig Spuren wie die Saisonerscheinungen der Massenmedien und der neueste Körperkult (ob dick oder dünn) hinterlasse. Der Herrenführerschein
17 Ein Rezensent der Vossischen Zeitung erinnert sich sogar daran, dass sich Lion selbst „Ausrufungszeichen der Not“ nannte. Vielleicht hat er aber auch einfach unwillkürlich die Bühnen-Persona mit der Chanson-Protagonistin gleichgesetzt (Rezension Nr. 19). 18 Rezension Nr. 20. 19 Simon Frith: Performing Rites, S. 205. 20 Vgl. im Anhang vor allem die Rezensionen Nr. 15–48.
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(den auch Lion besaß)21 war ebenso Ausdruck eines neuen Freizeitvergnügens außerhalb des Büros wie die neuesten Ausstattungsrevuen von Erik Charell und Herman Haller. Im Chanson „Die Linie der Mode“ wird auf diese Ausstattungsrevuen angespielt, insofern, als dass sie lediglich modischer Ausdruck der Massen- und Unterhaltungskultur anstelle von künstlerischer Ästhetik seien – „man wittert schon rings die Reklame!“ (II, 6).22 Im Auto „sitzet kein Fahrgast“ (II, 4), oder wie es im siebten Vers heißt: „Ein Fahrgast so gut als wie nichts steigt heraus“. Diese Verse können ebenso wie die erste Strophe als ein Verweis auf den androgynen Körperkult der Neuen Frau wie auch auf deren Vergänglichkeit und Bedeutungslosigkeit verstanden werden. So wie sich die Neue Frau in der Mode und den Medien inszeniere beziehungsweise dort inszeniert werde, so habe sie auch deren Verfallszeit. Sie sei wie die aktuelle Revue eine Saisonerscheinung, die nur kurzfristig hohe Aufmerksamkeit garantiere, bis sie von einem neuen Typ abgelöst werde – in diesem Fall direkt im nächsten Vers: „Dieses Nichts – das war eine Dame!“ (II, 8). Dieser Weiblichkeitstyp wird im Chanson durch Lion angekündigt, indem die vorigen zwei Verse retardierend ihren Auftritt vorbereiten und das Wort „Dame“ lang gedehnt wird, ebenso wie im sich anschließenden Refrain (V. 5 beziehungsweise T. 29). Die Dame23 ist ein weiterer Weiblichkeitstyp der Weimarer Republik, der auf den Bühnen vor
21 Lions Führerscheine befinden sich in der AdK S/L, Sig. 933. Dennoch blieb es eher eine Ausnahme, dass Frauen den Führerschein erwarben – gleichermaßen aus finanziellen Gründen wie aus Gründen ihres sozialen Status, da sie noch bis 1958 ihrem Vormund (Vater oder Ehemann) unterworfen waren. Erst ab 1935 war auf den amtlichen Führerscheinformularen berücksichtigt beziehungsweise überhaupt erst vorgesehen, dass auch Frauen die Fahrerlaubnis erwarben. 22 Wolfgang Jansens Begriff der Glanzrevue für solche Ausstattungsrevuen zeigt deren Zugehörigkeit zur Unterhaltungskultur, die für das „Gold dieser Jahre“ verantwortlich gewesen sei: „Die vielfältigen Unterhaltungsangebote und ihr massenhafter Konsum sorgten vielmehr für das Blendende, ja Strahlende des Jahrzehnts, in dem die theatralische Bühnenshow ihre Blüte erlebte. Eine der bevorzugtesten Gattungen war die große Ausstattungsrevue, die in ihrem Aufwand an Licht, Kostümen und Darstellern alles bisher Dagewesene und gleichzeitig Stattfindende weit übertraf“ (Wolfgang Jansen: Glanzrevuen der Zwanziger Jahre (= Stätten der Geschichte Berlins 25), Berlin: Edition Hentrich 1987, S. 8). 23 Eine der führenden Illustrierten des Ullstein-Verlags – Die Dame – war nach diesem Weiblichkeitstyp benannt. Vgl. außerdem auch gängige Ratgeberliteratur, wie Paula von Reznicek: Die perfekte Dame, Stuttgart: Dick & Co. Verlag 1928, Repr.: Bindlach: Gondrom Verlag 1997.
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allem durch Fritzi Massary,24 die Operetten-Soubrette, verkörpert wurde. Auch er wurde medial begleitet und konstruiert, wobei, wie das Chanson exemplarisch zeigt, die Übergänge zwischen den einzelnen Typen gewiss fließend waren, gerade weil sie auf dem gleichen imaginierenden Potential beruhten.25 Durch die neue Vielfalt und Präsenz der Massenmedien wie dem Film wurde es zum Traum vieler jungen Frauen, zu einem „Glanz“26 – einem Star – zu werden und wie eine Dame den roten Teppich entlang zu schreiten. Neben dem Film27 boten die Ausstattungsrevuen den idealen Identifikationsrahmen für solche Phantasien.28 In der dritten Strophe scheint das Bild der Dame in der ersten Hälfte des ersten Verses zunächst weitergeführt zu werden: „Eine vornehme Frau trägt zu Markt ihre Haut“, doch wird ihre Idealisierung hier krass verkehrt und zu einem weiteren Weiblichkeitstyp gewandelt: zur Dirne. Die Chanson-Protagonistin changiert nun
24 Literatur zu Fritzi Massary: Otto Schneidereit: Fritzi Massary. Versuch eines Porträts, Berlin: VEB Musikverlag 1970; Carola Stern: Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary (= rororo 22962), einmalige Sonderausg., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag GmbH 2000; Stefan Frey: „‚Ein bißchen Trallala…‘. Fritzi Massary oder Die Operetten-Diva“, in: Rebecca Grotjahn, Dörte Schmidt u. Thomas Seedorf (Hrsg.): Diva – Die Inszenierung der übermenschlichen Frau, S. 184–194. 25 Melanie Unselds treffende Aussage zur Durchlässigkeit und Überschneidung der Begriffsinhalte von Femme fragile, Femme fatale und angrenzenden Femme-Typen kann für ihre modernisierten Typen in diesem Sinne übernommen werden: „In diesen sich überschneidenden Definitionen ist dennoch kein Widerspruch zu sehen. Vielmehr ist die unterschiedliche Einordnung ein Beweis dafür, wie durchlässig die Definitionen der Femme-Typen generell sind. Dieses Phänomen spricht nicht gegen die Definitionsstärke der Begriffe Femme fragile und Femme fatale, sondern spiegelt gerade eine ihrer wesentlichen, immer wieder aber vernachlässigten Facetten wider: ihre Ungreifbarkeit und Unbegreiflichkeit, ihre Vieldimensionalität“ (Melanie Unseld: „Man töte dieses Weib!“. Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende, S. 70). 26 Vgl. als literarisches Vorbild dazu Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen (1932). 27 Vgl. zur Rolle der Neuen Frau im Film und zu den Filmdiven: Gabriele Jatho u. Rainer Rother (Hrsg.): City Girls. 28 Vgl. dazu Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien. 1900–1938. Typen, Inhalte, Funktionen (Taschenbücher zur Musikwissenschaft 29), Wilhelmshaven: Heinrichshofen 1977, S. 63: „In der Ausstattungsrevue wurde der Star, mehr noch als in der Operette, zum Produkt einer Traumwelt, womit er der Rolle des Filmstars entsprach“.
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zwischen einer Prostituierten der Halbwelt und dem traditionellen Weiblichkeitsbild mit „häuslichem Geist“ (III, 4 und 6). Die Mode ist dabei der führende Topos, der die Spannungssteigerung des Chansons vom Allgemeinen über das Zeitgeschehen zum Pikanten trägt: Während sie in der ersten Strophe allgemein für die Körperlichkeit der Neuen Frau und in der zweiten für die Vergänglichkeit der Unterhaltungsformen stand, erhält die Mode nun die zwielichtige Bedeutung der Halbwelt. Doch auch die Körperlichkeit der Neuen Frau wird erneut zur Metapher: Die magere Frau, die durch dick und durch dünn rast, hat hier nicht viel „zu vermieten“ (III, 4). Diesmal steht die fehlende Brust nicht für mangelnden Mut oder saisonale Bedeutungslosigkeit, sondern für den Mangel an erotischem Reiz, was Lion im sechsten Vers ungewohnt süßlich säuselt. Damit wird in der dritten Strophe das wohl am kontroversesten besprochene Thema im Diskurs um die Neue Frau zum Gegenstand. Die neusachliche Liebe, wie sie beispielhaft auch in Mascha Kalékos Gedicht „Großstadtliebe“29 poetisch-neusachlich beschrieben wird, ist Thema nicht nur in Gedichten und Romanen, sondern auch in soziologischen Erörterungen. Die neu frei gelebte Sexualität wird wahlweise zur Ursache von Verbrechen30 oder zur Chance für eine bessere, kameradschaftliche Ehe31 erklärt. Bezeichnenderweise nehmen die letzten zwei Verse der letzten Strophe auch dem angeblichen sexuellen Selbstbewusstsein der Neuen Frauen seine Schlagkraft: „Man hat dieses Vorrecht – damit man beweist, daß selbst jede Vornehmheit Grenzen“ (III, 7 und 8) hat. Diese Grenzen werden zu Grenzen der Freiheit und der Emanzipation, wenn ein letztes Mal in den Pre-Chorus übergeleitet wird, der die Neue Frau erneut zum Ausstattungsobjekt macht. Dieses Chanson, das für den Durchbruch von Lion verantwortlich war, weist bereits das typische Merkmal ihres Gesamtrepertoires auf. Von der Neuen Frau über die Dame zur Dirne zeigt Lion einerseits die Vergänglichkeit und die Austauschbarkeit, aber auch denselben Charakter dieser Weiblichkeitstypen, die allesamt als Projektionsfläche dienen. Außerdem findet sich auch hier die immer wieder zu beobachtende Steigerung vom Harmlosen ins Grotesk-Brüchige. Der ge-
29 Abgedruckt bspw. in: Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft. Kleines Lesebuch für Große, 28. Aufl., Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2004, S. 20. 30 Vgl. bspw. Dr. Erich Wulffen: Das Weib als Sexualverbrecherin. Ein Handbuch für Juristen, Verwaltungsbeamte und Ärzte, Berlin: Dr. P. Langenscheidt 1923. 31 Vor allem Dr. Elsa Herrmann bemüht sich um die Legitimation des Lebenswandels junger Frauen, indem sie in ihrem Buch So ist die Neue Frau (Hellerau: Avalun-Verlag 1929) zeigt, welche Vorteile ihre neuen Lebensvorstellungen auch für den Mann haben. Zur kameradschaftlichen Ehe vgl. vor allem S. 147–153.
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läufige, dem Publikum gegenwärtige Frauentypus wird in seiner Historizität gezeigt, indem von der ersten Strophe zur zweiten ein Bogen zur Dame geschlagen wird. Diese wird dann wiederum im Übergang von zweiter zur dritten Strophe ins Gegenteil, in die Dirne verkehrt. Die Neue Frau wird so zum Versatzstück alter Weiblichkeitsbilder. Sie bleibt – „Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß?“ – ein oberflächliches Phänomen. Mit dem „Ausrufungszeichen der Not“ im Refrain und den vielen Ausrufen und Behauptungen der Strophen werden um die Neue Frau Invarianzen und stereotypisierte Klischees errichtet, welche wiederum durch die vielen Fragezeichen im Pre-Chorus und Refrain in Frage gestellt werden. Das Chanson gibt mit dieser Struktur dennoch eine Antwort auf die Frage, die einige Jahre zuvor Alexandra Kollontai stellte: „Wer ist das, die neue Frau? Existiert sie überhaupt? Ist sie nicht das Produkt der schöpferischen Phantasie moderner Belletristen, die nach sensationellen Neuheiten suchen? Schauen Sie um sich, sehen Sie scharf, überlegen Sie, und Sie werden sich überzeugen: die neue Frau ist da – sie existiert.“32
Kollontai reflektiert bereits in diesen wenigen Fragen das Naturell der Neuen Frau, indem sie ein Kontinuum von Fiktionalität und Realität öffnet. Die Neue Frau schwankt ganz offensichtlich zwischen Ideal und Wirklichkeit und ist ebenso Vorbild wie Abbild.33 Das Chanson „Die Linie der Mode“ ist nicht nur Teil des Diskurses um die Neue Frau nach dem Ersten Weltkrieg, sondern reflektiert ihn zugleich vor dem Hintergrund seiner potentiellen Fiktionalität. Das Chanson greift die einzelnen Bestandteile des Typs der Neuen Frau auf und parodiert sie auf subversive, teils auch makabre Weise. Es zeigt auf, dass das revolutionäre modische Erscheinungsbild aus den Frauen noch keine Feministinnen macht und die Neue Frau als Protagonistin dieses Chansons noch keine neue Heldin ist, wie sie noch Kollontai gewünscht und erwartet hatte.34 Sie ist vielmehr eine Puppe, die nach Herzenslust ausstaffiert werden kann:
32 Alexandra Kollontai: Die neue Moral und die Arbeiterklasse, 2. Aufl. Münster: Verlag Frauenpolitik 1987, S. 7. Das Buch ist in Deutschland erstmals 1920 erschienen. 33 Vgl. Sigrid Nieberle: „Weiblichkeitsbilder“, in: Annette Kreutziger-Herr u. Melanie Unseld (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, S. 515–517, hier S. 516. 34 Vgl. Alexandra Kollontai: Die neue Moral und die Arbeiterklasse, S. 9.
158 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Und so wird die neue Frau entworfen, verworfen, neu konzipiert, alt beschworen, segmentiert und komplementiert, bald hierhin, bald dorthin kommandiert, in den Himmel gezeichnet, in die Erde gestampft, fließend gedacht, zur Beständigkeit verdonnert, mit alten Wünschen beschwert, mit neuen Hoffnungen garniert, mit Sehnsucht gesucht… gefunden aber werden die alten Entwürfe, die bekannten Bilder, allenfalls ergänzt und variiert durch einige neue Spielarten.35
Die Neue Frau ist lediglich der neueste Trend, der auf die Femme fatale gefolgt ist und auf den bald der Vamp, beispielsweise in Form von Marlene Dietrichs Bühnen-Persona, folgen wird. Lion ist gewiss Teil dieses Weiblichkeitsdiskurses und wurde von ihren Hörern ganz unwillkürlich innerhalb dessen rezipiert – die Anekdote um ihr Treffen mit Marcellus Schiffer im Modesalon steuerte dieses Verständnis wahrscheinlich bewusst an. Der zeitliche und örtliche Kontext, also ihre Zugehörigkeit zu der Generation junger Frauen, die um 1900 vornehmlich in der Unterhaltungsmetropole Berlin geboren wurden, sowie die Themenwahl des Chansons lassen den Typ der Neuen Frau unvermeidlich zum Teil ihres Images werden. Lion setzt sich jedoch mit ihrer reflexiven und distanzierten Groteske von der Masse der vielen Neuen Frauen ab. Sie erreicht so ein breites Publikum, das in ihr Bekanntes und Aktuelles sieht, und sorgt zugleich für die nötige Individualität und Originalität.
D IE (K ABARETT -)R EVUE : I HRE F UNKTION FÜR DIE I MAGEKONSTRUKTION M ARGO L IONS „Hier wäre nun der Ort für geistvolle Untersuchung, warum und zu welchem Zweck es Revuen gibt, inwiefern sie für unsere Zeit geeignet oder zu verdammen sind, warum sie der Ausdruck unserer Zeit oder warum sie es nicht sind, wie sie sein dürfen und wie sie nicht sein dürfen, kurzum für Ueberlegenheit wäre hier das geeignete Gelände.“36
Anstatt sich der Debatte in der Weimarer Republik um den Wert und Unwert der Gattung Revue anzuschließen oder eine allgemeine Einführung in die Gattungsgeschichte der Revue zu geben, sollen hier solche Aspekte beleuchtet werden,
35 Sylvia Bovenschen: „Krieg und Schneiderkunst oder Wie sich die Männer von gestern die Frau von morgen vorstellten“, S. 17. 36 A. Ho.: „Es liegt in der Luft. Revuegastspiel im Erfurter Stadttheater“, in: Thüringer Allgemeine Zeitung, Erfurt (25.11.1928), AdK S/L, Sig. 2.4.
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welche es Lion erlaubten, ihr Image der grotesken Neuen Frau in ihren Revuerollen auszubauen. Inwiefern war die Gattung Revue ein prädestiniertes Medium zum Imageaufbau der Diseusen in der Weimarer Republik? Eine erste Antwort ist beim Kabarettkenner Max Herrmann-Neiße zu finden. In Bezug auf die Revuen von Rudolph Nelson schreibt er nämlich, dass diese meist so gehalten seien, „daß sie die wichtigen Kabarettspezialitäten in ihrer Besonderheit herausstellen“37, indem sie den „jungen Originalkräften des Kabaretts wie der Blandine Ebinger oder dem Curt Bois Gelegenheit geben, sich wesentlich zu zeigen, und den aktuellen Coupletdichter Theobald Tiger [Kurt Tucholsky, Anm. S. D.] oder den Komponisten Friedrich Hollaender wirksam hinzuziehen. Das ergibt heute, wie vor sechzehn, siebzehn Jahren, Schlager, die man überall kennt, […].“38
Wie zu zeigen sein wird, ist die spezielle Dramaturgie der Kabarettrevuen – die Kabarettnummern und Chansons durch einen konzeptionellen Rahmen verband und die angewiesen war auf den Einsatz von Stereotypen – ideal dafür geeignet, die Invarianzen eines Images herauszukristallisieren und zu schärfen. Ohne die Popularität der Revue und ihrer Schlager ab Mitte der 1920er Jahre hätte ihrer Dramaturgie jedoch gewiss nicht eine solche Bedeutung für den Imageaufbau zukommen können. Ausgehend von dem enormen Erfolg der Ausstattungsrevuen und den Bedürfnissen nach Unterhaltung wie auch nach satirischer Kritik entwickelte sich in der Weimarer Republik die Gattung der Kabarettrevue, welche das Divertissement der großen Revuen mit den einzelnen Vortragsnummern des Kabaretts verband. Ohne die Popularität der Revue, im großen wie im kleinen Rahmen, wäre auch die Popularität ihrer Darsteller und Darstellerinnen nicht möglich gewesen, wie im Umkehrschluss aber auch deren Starstatus den anhaltenden Erfolg der einzelnen Revuen sicherte. Die Revue entwickelte so ihr eigenes Starsystem, das, wie zu zeigen sein wird, gemeinsam mit den Ausprägungen als Ausstattungsrevue und als Kabarettrevue unterschiedlich bestimmt war. Ausgehend von solch idealen Bedingungen hat Lion in den Kabarettrevuen Chansons kreiert, die mit ihren Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae an ihrem individuellen Eigenimage anknüpften, dieses jedoch gleichzeitig verdichteten und verschärften. Am Beispiel der Erfolgsrevue Es liegt in der Luft
37 Max Herrmann Neiße: „Kleine Geschichte des deutschen Kabaretts“ [1924], in: ders.: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst, S. 7–105, hier S. 27. 38 Ebd.
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(1928) lassen sich idealtypisch die imagekonstituierenden Eigenschaften der Kabarettrevue belegen. Das betrifft sowohl deren Erfolg als auch deren dramaturgische Konzeption. Eine Analyse der dort integrierten Chansons zeigt, wie zusätzlich zum Erfolg der Revue und ihrer dramaturgischen Eigenschaften Lion in ihren Performances das in „Die Linie der Mode“ angelegte Image aufgriff, vertiefte und erweiterte. Die Voraussetzung: Zur Popularität der Revue Um zu verstehen, warum die Kabarettrevue, deren Erfolgsgeschichte auf wenige Jahre in der Weimarer Republik begrenzt war, eine so wichtige Rolle beim Imageaufbau beispielsweise von Lion einnehmen konnte, ist es notwendig, sie in Verbindung zu ihrer großen „Nähr- und Ziehmutter“39, der Ausstattungsrevue, zu setzen. Erst durch ihre Zugehörigkeit zu dieser Tradition auf der einen Seite, vor allem aber auch durch ihre Abgrenzung auf der anderen Seite konnte die Kabarettrevue die Popularität erlangen, die nötig war, um die Revuedarsteller und -darstellerinnen zu Berliner Stars zu machen. Die Revue muss als Genre verstanden werden, „das sich im Zuge der entstehenden Unterhaltungsindustrie entwickelte“40 und deshalb in seinen formalen und inhaltlichen Gegebenheiten immer vom Maßstab der eigenen Popularität abhängig war. So war die Revue von Anbeginn an, also seitdem sie sich ca. Mitte des 19. Jahrhunderts aus der französischen Tradition des Varietés und den englischen Vorläufern der Music Halls entwickelte, mit einem großstädtischen Massenpublikum und dessen Bedürfnissen nach Zerstreuung und Unterhaltung verknüpft. Nachdem sich die Jahresrevuen des Metropoltheaters aus den Ausstattungspossen des Victoria-Theaters und des Central-Theaters zum „Gipfel großstädtischen Vergnügens“41 vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin entwickelt hatten, nahm die Revue schließlich auch in der Weimarer Republik „eine Hegemoniestellung im Unterhaltungsgeschäft“42 ein. Wolfgang Jansen zeichnet in seinem materialreichen Buch Glanzrevuen der Zwanziger Jahre die Geschichte der deutschen Revue nach.43 Es ist eine Geschichte, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert geprägt
39 RM: „‚Es liegt in der Luft.‘ Gastspiel im Deutschen Theater. Eine spritzige, leicht schäumende Sache“, in: Volkswille, Hannover (02.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4). 40 Wolfgang Jansen: Glanzrevuen der Zwanziger Jahre, S. 13. 41 Ebd., S. 27f. 42 Walter Rösler: Das Chanson, S. 176. 43 Als weitere Bücher, die sich dem Genre der Revue widmen, sei an erster Stelle FranzPeter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien, vor allem aber auch dessen
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war von einem „enormen Aufwand an Kosten, Material, Menschen und Effekten“44. Während sich der Erfolg der Ausstattungsrevuen von James Klein, Eric Charell und Hermann Haller aus einem solchen Maß an Dekor, Personal (vor allem zu nennen: die Girls) und Pomp speiste – Wolfgang Jansen betitelt sie passenderweise als ‚Glanzrevuen‘45 –, setzten die Macher und Macherinnen der Kabarettrevuen auf Inhalte und erklärten sie zum Antipoden der Ausstattungsrevue: „Literatur, Politik und Satire in eine Form gegossen? Wie hieße die Form? Revue? Dann müßte es aber eine sein, in der das Fleisch nicht so willig, der Geist nicht so schwach ist. Zum Beispiel? Zum Beispiel: nimm die große Metropoltheater-Revue und mach’ sie klein. Nimm die tausend süßen Beinchen und laß sie weg. Und tausend ist keins. Ausstattung und Bauchnabel, Orchester und Straußenfedern, die vier Rauschmittel brauchst du nicht. Verlier die vier. Aus fünf und sechs gesellschaftskritischen Seitenhieben, so sagt die Hex’, mach sieben und acht. Erweitern, verkleinern. Hier aufpumpen, dort Luft auslassen [Hervorheb. orig.].“46
ausführlichere Dissertation Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue. Strukturen und Funktionen, Diss. Univ., Wien 1972 sowie die Dissertation von Jens-Uwe Völmecke: Die Berliner Jahresrevuen 1903–1913 und ihre Weiterführung in den Revue-Operetten des ersten Weltkrieges, Diss. Univ., Köln 1996 genannt. 44 Wolfgang Jansen: Glanzrevuen der Zwanziger Jahre, S. 16. 45 Wie sehr ein solches Erfolgskonzept die Revueproduzenten unter Druck setzte und letztlich auch zu ihrem Untergang führte, beschreibt Jansen mithilfe anschaulicher Beispiele. Um mit den neuesten Produktionen weiterhin ein Massenpublikum anzuziehen, waren die Theaterhäuser und deren Direktoren darauf angewiesen, einander mit jeder neuen Revue zu übertrumpfen: „Sowohl die Einzelrevue als auch die Folge der Produktionen waren mit unerbittlicher Notwendigkeit zur Effektmaximierung genötigt. Eine Revue mußte in der Abfolge der Bilder die Ausstattung steigern, genauso wie jede Inszenierung ausstattungsreicher und aufsehenerregender sein mußte als die vorangegangene“ (Wolfgang Jansen: Glanzrevuen der Zwanziger Jahre, S. 66). 46 Friedrich Hollaender: Von Kopf bis Fuß. Revue meines Lebens, S. 118f. Hollaender bezieht sich mit dieser Form der Aufzählung auf Johann Wolfgang von Goethes Szene „Hexenküche“ aus seinem Faust I („Mit einem gewissen Lächeln für die Gläubiger und den [sic!] dazugehörigen Reichsmark – nun stabil – kann man sich wieder dem alleswissenden Faust zuwenden“, ebd. S. 118). In raffinierter Umkehrung von Goethes Hexenspruch geht es Hollaender jedoch nicht um die Verführung zu Gunsten irdischer Vergnügungen und die Abkehr vom Streben nach Wissen, sondern gerade um einen gewissen Bildungsanspruch der Kabarettrevue.
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Das, was Friedrich Hollaender hier in seinem feuilletonistisch-literarischen Stil aus der Distanz der Erinnerung beschreibt, liest sich bereits im zeitgenössischen Diskurs ganz ähnlich: „Wie es die großen und die kleinen Propheten gibt, so entwickelt sich in Berlin neben den großen Revuen der Fleischparaden und des Seidenprunks die Gattung der kleinen Revue. Sie muß von der Kritik mit besonderer Liebe beobachtet werden. Denn es ist entschieden ein gutes Zeichen für den Geschmack unserer Theaterstadt, daß dieses Genre sich bereits ein festes Publikum gewonnen hat. […] Sie [die Zuschauer; Anm. S. D.] beschränken ihre Ansprüche auf Ausstattung, Massenaufgebot, auf das, was in der berlinerischen Muttersprache Klimbim heißt. Dafür spitzen sie die Ohren im Lauschen auf gute Couplettexte und auf eine Musik, die der Masse gefällt, ohne auf künstlerischen Rang zu verzichten. Die kleine Revue ist ein Symptom der Gesundung vom Amerikanismus, Vivat die kleine Revue!“47
Wie in diesen zwei exemplarischen Beschreibungen wurde die Kabarettrevue im breiten Presse-echo der Weimarer Republik als neue Mode gefeiert und immer wieder als bessere Alternative zur Ausstattungsrevue genannt. Von ihr wurden Geist und Witz in Abgrenzung zu Masse und Erotik gefordert. In ihren Gegebenheiten des intimen Rahmens sollten solche Erwartungen zu erfüllen sein. Zwar blieben die Inhalte, vornehmlich die Zurschaustellung von Berliner Typen und Berliner Klischees, gleich, es änderten sich jedoch Zielrichtung und Mittel dieser Darstellung. Während die Ausstattungsrevue größtenteils darauf ausgelegt war, zu illustrieren und zu amüsieren, wurde an die Kabarettrevue auch die Erwartung herangetragen, zu kritisieren und zu parodieren.48 Zusätzlich zur Verwendung von kabarettistischen Darstellungsmitteln wie dem satirischen Witz und dem Einsatz von Couplets ist auch die Einschränkung des Zuschauerraums zu nennen.49 Dass die kleine und die große Revue keine grundlegend unterschiedlichen Konzepte
47 M. J.: „Das tanzende Warenhaus. Von unserem Korrespondenten“, in: Neues Wiener Journal, o. D, AdK S/L, Sig. 2.4. 48 Vgl. zu diesem Aspekt bspw.: „Denn wenn der Luxus der Revue sich aus den Dekorationen und der Statisterie in den Geist flüchtet, dann muß dieser Geist auch wirklich da sein. Kammerrevue ohne Geist ist hölzernes Holz“ (Friedrich Kummer: „‚Es liegt in der Luft‘. Berliner Revue-Gastspiel in der Komödie“, in: Dresdner Anzeiger [15.01.1929], AdK S/L, Sig. 2.4). 49 Vgl. hierzu beispielsweise den Zuschauerraum der Komödie, wie er im Abschnitt „Der Theaterraum Die Komödie“ des Kapitels „Imagekonstruierende Faktoren in Es liegt in der Luft“ noch vorgestellt wird.
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vertraten, sondern eher ein Netz der gegenseitigen Bezugnahmen bildeten, bestätigt sich im Laufe der Zeit beziehungsweise im Laufe der einzelnen Inszenierungen immer wieder. Zur Revue Es liegt in der Luft heißt es beispielsweise im Berliner Tageblatt: Der Aufführungsabend „nähert sich mit Ausstattung, mit Kostüm und Lichtzauber der grossen Revue an Hallers Stätte, aber er bleibt immer im rein Spielerischen und Parodistischen, und der kleinere Raum der Bühne und des Zuschauerraums erlaubt höchst liebenswürdige intime Wirkungen.“50
Dass sich auf der anderen Seite auch die Produzenten der Ausstattungsrevuen Inspirationen von den kleinen Bühnen holten, zeigen etwa die Beispiele Marcellus Schiffer, der als Texter auch für Ausstattungsrevuen engagiert wurde, und Walter Trier, der nicht nur für die Kabarettrevue Es liegt in der Luft das Bühnenbild gestaltete, sondern auch an Ausstattungsrevuen beteiligt war.51 Und auch die Darsteller und Darstellerinnen traten, zwar meist mit deutlicher Präferenz für die eine oder die andere, sowohl in den kleinen wie auch in den großen Revuen auf.52 In ein solches Koordinatensystem von Ausstattung und Größe, Inhalt und Reduktion, ordnen sich die unterschiedlichen Ausprägungen von Star-Typen der Ausstattungs- und Kabarettrevue ein. Zwar wies die Ausstattungsrevue noch kein explizites Starwesen wie der Film auf, sodass über die Revue hinaus bekannt gewordene Stars wie die Mistinguette oder Josephine Baker eher Ausnahmen blieben. Und dennoch war die dramaturgische Gestaltung der Ausstattungsrevue auf
50 F. E.: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der ‚Komödie‘“, in: Berliner Tageblatt (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. Vgl. in eine ähnliche Richtung zielend, jedoch polemischer formuliert: Herbert Ihering: „Eine neue Kurfürstendamm-Revue“, AdK S/L, Sig. 2.5: „Aber nun zeigt sich, daß fast alle Monsterrevuen bei Haller oder Charell auch Warenhausbilder waren, mit ihren Federn und Perlen und Kleidern und Spielzeugschachteln, daß also die geistreichere, feinere, kultiviertere Arbeit von Schiffer auf der Bühne, im Sichtbaren sich von diesen höchstens im Niveau, nicht in der Art unterscheidet“. 51 Schiffer schrieb bspw. das Textbuch zu Hermann Hallers Revue Schön und Schick. Vgl. dazu auch Das neue Wiener Journal: „Er [Marcellus Schiffer; Anm. S. D.] stammt aus dem Reiche Charells, also aus der großen Revue, und es ist ein hübsches Zeichen, daß in seiner Person die große Revue der kleinen Revue huldigt.“ Trier entwarf bspw. das Bühnenbild für die Charell-Revue An Alle (1924). 52 Hier ist allen voran Claire Waldoff zu nennen, die sowohl in Kabaretts, Operetten, Kabarettrevuen und Ausstattungsrevuen auftrat.
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das Hervorheben einer spezifischen Persönlichkeit ausgerichtet, die dadurch zumindest als Star inszeniert wurde. Franz Peter Kothes hält in seiner Arbeit zur Ausstattungsrevue fest, dass so ernannte Stars „die imaginäre Huldigung der Statistenmassen“53 ebenso entgegen nahmen wie diejenige der Zuschauer, für die sie Projektionsfläche eigener Identifikationswünsche waren. Die Revuestars seien „Anlaß und Ziel allen Spektakels“ gewesen und die übrigen Nummern zu notwendigen Zugaben geworden.54 In der Ausstattungsrevue seien vor allem weibliche Stars inszeniert worden, da sich in ihnen eher die durch die Gattung propagierten physischen und materiellen Qualitäten manifestierten. In ihr habe sich das patriarchal strukturierte Gesellschaftssystem zu einem Extrem gesteigert, in dem die Frau „bis zur Puppe denaturiert“ habe werden können. Der weibliche Star habe als Identifikationsobjekt der erotischen Stimulation gedient und sei als lebender Kostümständer ausgestellt worden.55 Als solche Stars seien aus der Operette bekannte Soubretten, wie Trude Hesterberg, Alice Hechy oder Rita Georg, inszeniert worden. Wie Kothes weiter ausführt, seien es jedoch vor allem international bekannte Tänzerinnen gewesen, die diese Starfunktion übernahmen. Das Publikum sollte mit ihren internationalen Namen Erfolg und Qualität verbinden: „Vor allem hat er [Erik Charell; Anm. S. D.] ein Gefühl dafür, daß solch eine große Schau international sein muß; und holt sich seine Leute aus den verschiedensten Weltgegenden, aus Rußland, Skandinavien, England, Frankreich und Amerika. Und aus Berlin. Es entsteht auf jeden Fall ein anheimelndes Durcheinander von Sprachen, das dem staunenden Zuschauer den Eindruck (oder die Illusion, ich weiß nicht genau) vermittelt, daß wir in einer Weltstadt leben.“56
Wolfgang Jansen führt ferner aus, wie in den 1920er Jahren zunehmend eine internationale Vereinheitlichung der Revue vonstatten gegangen sei, die global verständliche und vor allem verkäufliche Themen, konkrete Szenen und Szenenaufbauten ebenso betroffen habe wie die handelnden Akteure von Komponisten über Bühnenbildner bis hin zu den einzelnen Schauspielern und Schauspielerinnen,
53 Franz-Peter Kothe: Die theatralische Revue in Berlin und Wien, S. 63 54 Franz-Peter Kothe: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue, S. 107f. 55 Ebd., S. 111. 56 Frank Warschauer: „Berliner Revuen“, in: Die Weltbühne, Nr. 51 (1924), S. 920f., zit. nach: Bärbel Schrader u. Jürgen Schebera (Hrsg.): Kunstmetropole Berlin 1918–1933, S. 113f. Vgl. dazu auch Franz-Peter Kothe: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue, S. 108f.
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Sängern und Sängerinnen. Vor diesem Hintergrund sei es zu verstehen, dass sich lokalbezogene Revueschauspieler und -schauspielerinnen nicht auf dem internationalen Revue-Markt als Revue-Stars etablieren konnten.57 Da, wo die Ausstattungsrevue mit ihren großen Ambitionen auf internationale Stars und ein entsprechendes Image setzte, war der Star der Kabarettrevue ein regionaler beziehungsweise lokaler Star. Dieser bezog sein Renommee nicht aus einem internationalen Namen und einer durch Bühnenbild und Statistinnen dekorierten Ausstattung, sondern aus seinem Ruf, den er sich durch Kabarettauftritte und zunehmend auch durch die Kabarettrevuen selbst erwarb. Sein Image war unmittelbar an seine (Berliner) Umwelt gebunden. Nicht nur, weil er bis auf Gastreisen ausschließlich dort rezipiert wurde, sondern auch, weil sein Darstellungsstil direkt aus dem Berliner Milieu resultierte. Da die Darsteller und Darstellerinnen der Kabarettrevue fast ausschließlich aus dem Kabarett stammten und eben nicht aus den Ausstattungsrevuen, lief die Kabarettrevue nicht nur ihren großen Schwestern den Rang ab,58 sondern machte auch dem bisherigen Konzept des Kabaretts Konkurrenz. So schreibt Erich Kästner in der Neuen Leipziger Zeitung: Die Mode der literarischen Revue ist dabei, sich in Berlin durchzusetzen. Das literarische Kabarett ist tot; es lebe die literarische Revue! Die neue Gattung führt neue Leute hoch; Autoren wie Schiffer, Seeler, Hollaender, Arendt und Komponisten wie Nelson, Stransky, Hollaender, Spoliansky haben die richtige Aufgabe für ihr Talent gefunden. Jedes Theater sucht sich eine Revue zu sichern. […] Revue an allen Enden! Doch es ist eine löbliche Mode. Sie aktualisiert das Theater. Sie interessiert das Publikum wieder für die Bühne. Sie demonstriert Talente, die sonst verborgen blieben.59
57 Vgl. Wolfgang Jansen: Glanzrevuen der Zwanziger Jahre, S. 64. 58 Vgl. dazu etwa Peter Sachse: „Wie sieht es in den Theatern aus? Von den neuen Bühnenleitern. Dr. Klein kommt – James Klein geht – Liquidation der Revuedirektoren“, in: Das kleine Journal (15.02.1929), Sig. AdK S/L, Sig. 2.5. Sachse thematisiert die Aktualität bzw. die Darbietung in den unterschiedlichen Formen der Revue, wobei er den Aufstieg der Kabarettrevue (er bezieht sich hier auf die Kabarettrevue Es liegt in der Luft) beobachtet: „Denn die Revue wird niemals tot sein. Die Lust, in knappen, bunten Bildern die Zeit zu spiegeln und gespiegelt zu sehen, wird immer lebendig sein. Nur im zerbrochenen Spiegel dieser alten Herren wollen wir sie nicht mehr sehen. […] Wenn morgen Marzellus [sic!] Schiffer und Forster Larrinaga wieder eine so lustige Sache wie „Es schwebt in der Luft“ machen, haben sie abermals hundert ausverkaufte Häuser. Sie werden’s machen“. 59 Erich Kästner: „Es liegt in der Luft!“, in: Neue Leipziger Zeitung (30.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. Zur Sorge um das Aussterben des deutschen Kabaretts, seine Fortführung
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Es etablierte sich nicht nur eine Riege von Autoren und Komponisten, sondern auch von Schauspielern und Schauspielerinnen, die der neuen Gattung der Kabarettrevue ihr Gesicht gaben. Lion war eine davon und wurde zu einem Star der Kabarettrevue. Fehlte sie einmal in einer Produktion, so wurde sie vermisst: „Auch diese neue Gattung der prunklosen Revue hat schon ihre Stars. Zwei wurden gestern vermißt: Margo Lion und Blandine Ebinger“60. Doch scheint Kästner fast einen Trend verpasst zu haben, wenn er erst 1928 den Aufstieg der literarischen Kabarettrevue beobachtet. Schon ab 1914 inszenierte Rudolph Nelson seine ersten Kabarettrevuen, feierte seine großen Erfolge jedoch vor allem in der Weimarer Republik (Total Manoli war 1920 seine erste Kabarettrevue nach dem Krieg). Spätestens seit Friedrich Hollaenders Laterna Magica und Marcellus Schiffers Die fleißige Leserin, die beide 1926 Premiere feierten, hat sich die Kabarettrevue als satirisch-unterhaltendes Genre in Berlin durchgesetzt. Es folgten bis zum Ende der Weimarer Republik zahlreiche weitere Produktionen dieser drei Produzenten, Komponisten und Texter. Die Kabarettrevue als Zwitter zwischen Ausstattungsrevue und Kabarettperformances kreierte ihre eigenen Gegebenheiten und Bedingungen, aus denen sich wiederum eigene Startypen mit ihren spezifischen Images entwickelten. Zum einen ermöglichte erst die Popularität der Revue, dass die Diseusen rezipiert und auch in den Medien breitenwirksamer wahrgenommen wurden. Zum anderen brachten die meisten Darsteller und Darstellerinnen, wie Lion und auch Ebinger, ein bereits im Kabarett etabliertes Image mit, das ihnen nun die Grundlage für ihre Typendarstellung in der spezifischen Dramaturgie der Kabarettrevue lieferte. Die imagekonstituierenden Eigenschaften: Zur Dramaturgie der Kabarettrevue Neben ihrem populären Status in der Unterhaltungskultur sind die Gründe dafür, dass sich gerade die Kabarettrevue dafür eignete, ein Image wie etwa das von Lion zu konstruieren, vor allem auch in ihrer besonderen Erzählweise zu suchen, die sie von anderen Formen des Musiktheaters wie der Oper oder der Operette unterscheidet. Sie ersetzt, wie auch die Ausstattungsrevue, deren entwicklungsorientierte Erzählweise von Exposition, Spannungsaufbau, Höhepunkt und Auflösung
in den kleinen Revuen oder gar seine Verdrängung durch Schallplatten vgl. auch: Karl Wilczsynski: „Das Chanson. Fast ein Nachruf für das sterbende Brettl“, in: Münchner Illustrierte Presse, Nr. 36 (1928), S. 1166–1168, AdK S/L, Sig. 909). 60 M[onty] J[acobs] [?]: „‚Bei uns – um die Gedächtniskirche rum‘. Theater am Kurfürstendamm“, in: Vossische Zeitung 613, Abend-Ausg. (28.12.1927), S. 2.
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durch ein serielles Prinzip von nebeneinanderstehenden und aufeinanderfolgenden Szenen, bestehend aus Sketchen, Chansons, Conférencen, Tänzen oder auch Filmen. Während in der Ausstattungsrevue die Szenen jedoch meist nur lose aufeinanderfolgen, basiert die Kabarettrevue auf einem nonlinearen Konzept, das den einzelnen Szenen durch „ein assoziierendes Element“61 Kohärenz verleiht. So wurde Der rote Faden nicht nur in der gleichnamigen Kabarettrevue von 1930 in Gemeinschaftsproduktion von Rudolf Nelson, Friedrich Hollaender und Mischa Spoliansky quer durch den Zuschauerraum und die gesamte Aufführung gesucht: Während der kurzen, aber äußerst intensiven Phase der Kabarettrevue zwischen 1926 und 1932 wurden die verschiedensten Knäule gewickelt, zerrissen, verknotet und entwirrt. Der rote Faden als das die Szenen verbindende, assoziierende Element war in den meisten Kabarettrevuen jedoch durchaus konkret fassbar. Meist war er verdinglicht in einem einheitlichen Handlungsort, der eine feste Klammer für das lose Szenengefüge bot. So waren die einzelnen Szenen wahlweise in das illustrierte Magazin (Die fleißige Leserin), den (Menschen-)Zoo (Das bist Du), das Warenhaus (Es liegt in der Luft), den Rummelplatz (Es kommt jeder dran), das Restaurant (Was sie wollen) oder ganz konkret in einen Berliner Schauplatz (Bei uns um die Gedächtniskirche rum) eingebunden. Im Fall von Es hat geklingelt stimmten fiktionaler Handlungsort und Aufführungsort – ein Hotel – sogar überein. Auffällig ist, dass all diese Orte ein und demselben Sujet entsprungen zu sein scheinen: Sie alle sind ‚moderne‘ Orte, Orte der Begegnungen, der Dynamik und
61 Nils Grosch: „‚Bilder, Radio, Telephon‘“, S. 162. Vgl. Nils Grosch: „Lieder vom Fahrstuhl, Automobil und anderen Nicht-Orten“, S. 190 u. Andrew Lamb, Deane L. Root u. Patrick O’Connor: Art. „Revue“, in: New Grove, Bd. 21, 2002, S. 242–244, hier S. 242: „usually having a central theme but not a dramatic plot“. Eine Verbindung der einzelnen Szenen war also durchaus gegeben, weshalb der Unterscheidung zwischen den Wortkomposita von Revue als Suffix bzw. als Präfix und der damit zusammenhängenden Gattungsunterscheidung von Franz-Peter Kothes zu widersprechen ist: „Die Suffixposition [Ballett-Revue, Kabarett-Revue usw.] bezeichnet eine potpourrimäßige Reihung von Einzelszenen aus Exemplaren der verschiedenen Gattungen und nicht eine eigene Revueform. Dagegen kennzeichnet der Gebrauch des Wortes Revue als Präfix, z. B. in Revue-Operette, Revue-Film, eine der Ausstattungsrevue entsprechende Inszenierung der ursprünglichen Theaterform“ (Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien, S. 13). Entgegen Kothes Deutung entsprach die Kabarettrevue nämlich durchaus der Inszenierungsform der Ausstattungsrevuen. Eine bloße Aneinanderreihung einzelner Kabarettnummern würde der Stilistik der Kabarettrevue nicht gerecht werden, zumal eine Unterscheidung zu der Darbietungsform einzelner Nummern im Kabarett dann nicht mehr auszumachen wäre.
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der Schnelligkeit. Hinter dem fassbaren roten Faden solcher Durchgangsorte stand die Idee, einen großstädtischen, neusachlichen Zeitgeist einzufangen, ihn darzustellen, zu kritisieren und zu parodieren. Der Kabarettrevue kommt dabei als Gattung jedoch weniger die Funktion eines bloßen Spiegels zu, sie ist vielmehr als ein kommunizierender Transformationskanal62 dieses Sujets zu verstehen: „[S]ie teilt mit, hinterfragt, greift Stereotype, Moden, Klischees etc. auf, bricht, verstärkt, kommentiert, also: transformiert diese und speist sie wieder in die soziale und kulturelle Kommunikation ein, ist also selbst treffender als Medium charakterisiert denn als ‚Spiegel‘.“63
Die Revue als zeitkritisches Medium64 eignete sich im besonderen Maße dafür, Kollektivimages aufzugreifen und diese im kommunikativen Prozess der mimetischen Identifikation den Darstellern und Darstellerinnen für ihre Imagekonstruktion zur Verfügung zu stellen – im Fall von Lion die Neue Frau Berlins. Doch nicht nur die Aktualität der Handlungsorte und Themen der Revuen wirkte sich auf die Imagekonstruktion der Darsteller und der Darstellerinnen aus. Die Dramaturgie als solche war Reaktion auf gesellschaftliche oder – spezifischer – auf mediale Entwicklungen und stellte ihrerseits ideale Bedingungen für die Imagekonstruktion bereit. Durch die rasante Etablierung von Berliner Privattheatern zwischen 1869 (gesetzlich verankerte Gewerbefreiheit) und 1933 (Gleichschaltung des Theaterwesens durch die Nationalsozialisten) wurden Formen des populären Musiktheaters zu einem wichtigen Bestandteil der Musikindustrie. Die Spielpläne setzten sich vermehrt aus Operetten, Varietés und Revuen zusammen, und deren Programm war wesentlich stärker auf den Erfolg im Publikum, also
62 Grosch greift mit diesem Begriff auf ein Konzept von Werner Faulstich (Einführung in die Medienwissenschaft: Probleme, Methoden, Domänen [= UTB Medien- und Kommunikationswissenschaft], München: Fink 2002, S. 23f.) zurück; bei Grosch in: „‚Bilder, Radio, Telephon‘: Revue und Medien in der Weimarer Republik“, S. 165. 63 Ebd. 64 Auch Christa Hasche kommt in ihrer Dissertation zu dem Schluss, dass gerade im „Vermögen der Korrespondenz mit anderen, nicht durchgängig ästhetisch-künstlerisch geprägten Gesellungsformen und -anlässen“ ein wesentliches Strukturmerkmal der Revue liege und sie damit dort zu verankert sei, „wo Theater im weitesten Sinne in engem Zusammenhang mit anderen Formen öffentlicher Kommunikation über aktuelle Gehalte und Themen sich verwirklicht“ habe (Christa Hasche: Bürgerliche Revue und „Roter Rummel“. Studien zur Entwicklung massenwirksamen Theaters in den Formen der Revue in Berlin 1903–1925, Diss., Humboldt-Univ. Berlin 1980, S. 4).
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ihren wirtschaftlichen Erfolg, ausgerichtet als deren staatliche Konkurrenzunternehmen, weshalb sie „populäre Musik als distinkt wahrgenommenen Bestandteil in ihre Struktur“65 integrierten. Populäre Musikformen innerhalb des Theaters seien nach Nils Grosch in ihren Produktions- und Rezeptionsformen und damit in ihrer Ästhetik abhängig von zeitgenössischen Massenmedien. Grosch beobachtet entsprechend eine „Vernetzung kommerzieller Theaterformen mit anderen industriellen Medienformaten wie mit dem Verlagswesen für Unterhaltungsmusik, alsbald auch [mit] dem Tanzmusikwesen und der Schallplattenindustrie“66. Durch ein solches „Mediendispositiv“ konnten sich wiederum komplexe VermarktungsStrategien etablieren.67 Hier bildete die musikalische Einzelnummer eine wichtige Gelenkstelle: „Je selbstständiger sich die musikalische Einzelnummer durch Radio und Schallplatte innerhalb der Musikindustrie behaupten konnte, umso klarer trat sie auch im Musiktheater als eigenständiges Element hervor – eine für die Auffassung der Theaterdramaturgie folgenreiche Entwicklung, die in der Konsequenz die seriellen Theaterformen beförderte.“68
Die kalkulierten Auskoppelungen von Schlagern aus Revuen, wie sie auch noch anhand der Kabarettrevue Es liegt in der Luft nachzuweisen ist, spielte eine große Rolle für Imagekonstruktion der Darstellenden. Auf der einen Seite spielten die „gezielte Vermarktung und Zuordnung zu Interpreten, die schon vor der Theaterproduktion in einer spezifischen Wahrnehmungskonfiguration der Bekanntheit von künstlerischer Qualität, Rolle und medial geprägtem Image als Star stehen, eine wesentliche Rolle für die Wirkung und den potenziellen Erfolg des Theaterwerkes.“69
Auf der anderen Seite ist eine solche Symbiose jedoch vor allem auch wechselseitig zu verstehen. Der Star stand mit seinem spezifischen Image nämlich nicht nur für den Erfolg einer Revueproduktion ein, durch deren inhaltliche Ausrichtung unterstützte diese auch die Stabilität seines Images.
65 Nils Grosch: „Zur medialen Dramaturgie des populären Musiktheaters in der Weimarer Republik“, S. 241. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Nils Grosch: „Revue und Medien in der Weimarer Republik“, S. 161. 69 Nils Grosch: „Populäres Musiktheater als dramaturgische Koordination populärer Musik“, S. 89.
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Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass die musikalische Einzelnummer aus Revuen auf zwei Ebenen für die Imagekonstruktion der Interpreten und Interpretinnen relevant war. Zum einen trug die prominente Platzierung eines Chansons innerhalb einer Revue sowie seine Präsenz auch außerhalb des Liveerlebnisses zur Popularität der Interpreten und Interpretinnen bei, zum anderen musste das Chanson durch seine Unabhängigkeit vom Aufführungsort in kürzester Zeit eine verständliche Geschichte oder eine prägnante Person darstellen, wofür ein spezifisches Image unabdingbar war. Diese Feststellungen gelten für die Ausstattungsrevue wie für die Kabarettrevue gleichermaßen. Die Bedeutung der Einzelnummer im Revue-Gefüge hatte jedoch für die Kabarettrevue besondere Relevanz. Mit der Reduktion des Bühnenbildes vollzog sich auch eine Zentrierung auf das Chanson, das sowohl die Typisierung seiner Vortragenden auf die Spitze trieb als auch nicht selten inhaltliche Aspekte der Kabarettrevuen pointierte. Die der Revue eigenen „Methoden der Verknappung und Verkürzung“70 betreffen jedoch nicht allein die Chansons, sondern sind als ihr dominierendes Strukturmerkmal auch relevant für die Rollenzeichnung der Figuren insgesamt, womit ich auf einen weiteren Punkt kommen möchte, der die Konstruktion eines Images, wie das von Lion, durch die serielle Dramaturgie begünstigt. Mit dieser konnte die Kabarettrevue nämlich nicht nur Einzelnummern beziehungsweise Schlager in Szene setzen. Mit der Fokussierung auf einzelne Szenen ging auch eine Ablösung von der Zuschauer-Identifikation mit einer bestimmten fiktionalen Rolle, also im konkreten Fall einer Chanson-Protagonistin, zu Gunsten der Wahrnehmung eines Schauspielers oder einer Schauspielerin in deren Bühnen-Personae einher. Da der Revue keine strikt durchkomponierte Dramaturgie, abgesehen von dem losen Handlungsfaden beziehungsweise dem Motto, das ihr zur Seite gestellt wurde, zu Grunde liegt, sind die Figuren beziehungsweise ihre Rollenstrukturen entsprechend nur ansatzweise kohärent und entwicklungsfähig.71 Anstelle von Personen mit charakterlicher Tiefe stehen Figuren im Vordergrund, die sich durch stereotype Merkmale auszeichnen.72 In der Revue ist mit einer solchen Erzähl- und Personenkonstellation keine tiefenpsychologische Zeichnung der Figuren mit einem
70 Christa Hasche: Bürgerliche Revue und „Roter Rummel“, S. 18. 71 Vgl. dazu auch: Alan Lareau: „Großstadträume, Großstadtreime: Die Kabarettrevuen von Friedrich Hollaender“, in: Stefan Weiss u. Jürgen Schebera (Hrsg.): Street scene, S. 199–217, hier S. 200. 72 Besonders augenscheinlich wird das in Friedrich Hollaenders Kabarettrevue Das bist Du! (1927), in der er typische Berliner als hysterische Ziege, Salon-Löwen, Journalisten-Schakale etc. zeichnet.
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breiten Entwicklungsgrad intendiert, sondern eine kurzweilige Zuspitzung für eine prägnante Szene. Ein solches Szenengefüge war prädestiniert, das Image der einzelnen Darsteller, Darstellerinnen, Sänger und Diseusen zu vertiefen oder zu schärfen. Innerhalb der Revue und innerhalb eines jeden Chansons reagierten die Darsteller und Darstellerinnen auf Kollektivimages und soziale beziehungsweise kulturelle Typen, nicht zuletzt, um die Aktualität der Revue zu gewährleisten und Erkennen und Verständnis im Publikum zu erreichen. Durch die Invarianzen ihrer Eigenimages wurden solche stereotypisierten Charaktere zu individualisierten Typen innerhalb der Revue stilisiert.73 Die Revue zeigt sich damit als ideale Gattung für die mimetische Identifikation, indem fiktionaler Charakter, kollektive Vorstellungsbilder und konkrete Personen in einen konstruktiven Kreislauf eintreten. Genau auf dieses Konglomerat aus Eigenimage, Kollektivimage, virulenten Weiblichkeitstypen und bereits etabliertem und erfolgreichem Fremdimage, das die Diseusen in die Szenen einbrachten, war die Revue angewiesen. Ohne ihre eigene Charakteristik, ebenso tagesaktuell wie die bewitzelten Ereignisse, hätten die Revuen an Zugkraft und Sensationspotential verloren. Die Zuschauer und Zuschauerinnen sahen in einer Szene nicht nur eine werkimmanente (Chanson-)Protagonistin, sondern zugleich eine Bühnen-Persona, die unmittelbar geprägt war von einem Image, das sie kannten und liebten.74 Rezensionen zu den Kabarettrevuen zeigen, dass weniger die authentische Darstellung einer fiktionalen Figur gefordert wurde, sondern eine originelle Präsentation des beliebten und bekannten Kabarettkünstlers oder der Diseuse.75 Der konzeptionelle Aufbau der Revuen, der
73 Vgl. in diesem Sinne auch Christa Hasche: „Es wird angeknüpft an den vorhandenen Fonds sozialer, politischer, kultureller Kenntnisse, Erfahrungen und Interessen: Sie sind der Stoff des Revuetheaters“ (Christa Hasche: Bürgerliche Revue und „Roter Rummel“, S. 7). 74 Erinnert sei hier an die Definition des Stars von Hans-Otto Hügel, der gerade die Verschmelzung von Werk und Image als konstitutiv für den Star erachtet (vgl. Kapitel „Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona: Die fiktionale Kabarettsituation“, S. 41). 75 Vgl. bspw. folgende Rezensionsausschnitte: „[…] diese jungen Leute, ohne Dekorationen, ohne Kostüme, müssen alle Wirkungen aus sich selbst ziehen, ganz auf sich gestellt, ganz auf ihre Schnelligkeit, Wandlungsfähigkeit, Spaßigkeit, Geistesgegenwart. […] Trotz der Komik dieses in den Körperlichkeiten und Mitteln der Einzelgestalten wachsfigurenhaft kontrastrierenden Ensembles war jede dieses Einzelgestalten eine Nummer für sich“ (Kurt Pinthus: „‚Die fleißige Leserin.‘ Renaissance-Theater, in: 8UA [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2); „Schließlich läßt sich wohl auch mit einem halben Dutzend Darstellern, die kaum zum Viertel interessieren, nicht stundenlang Komödie spielen, und sei es die bescheidenste. […] Kurt Wolowsky kann hier seine Fähigkeiten
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ganz ähnlich dem des antiillusionistischen beziehungsweise des epischen Theater ist, stärkt eine solche Imagekonstruktion im besonderen Maße. Wie im epischen Theater wird durch die serielle Aneinanderreihung einzelner Szenen, der Stereotypisierung der Figuren und der Distanz zwischen fiktionaler Bühnenfigur beziehungsweise Chanson-Protagonistin und darstellender Bühnen-Persona die Aufmerksamkeit weg vom narrativen Bühnengeschehen und hin zur Wahrnehmung des metafiktionalen Kontextes – und damit auch auf das Image – gelenkt. Analog zur Performance-Struktur im Kabarett mussten die Diseusen innerhalb weniger Minuten Charakteristik und ‚Schmiss‘ entwickeln und zu diesem Zweck an ihr bereits entwickeltes Image, zumindest aber an die bereits etablierte eigene Charakteristik, anknüpfen. Die sich entwickelnde Tiefenzeichnung einer Person, wie etwa im Sprechtheater oder der Oper, wurde in der Revue ersetzt durch ein stereotypes Image. Auf eine spezielle Form des Einsatzes von stereotypen Figuren soll schließlich noch hingewiesen werden: Um die Dominanz der handlungstragenden Konzepte gegenüber narrativer, sich entwickelnder und spannungssteigernder Dramaturgie wirksam und verständlich zu machen, wurde nicht selten auf die Personalisierung solcher konzeptioneller Rahmen gesetzt. Neben den einheitlichen Schauplätzen als örtlicher Klammer einer Revue und den narrativen Handlungssträngen dienten Compères beziehungsweise Commères als ‚lebendiger‘ roter Faden, die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen erzählerisch schufen.76 So wie in den Jahresrevuen des Metropol-Theaters die Commères und Compères meist als allegorische Figuren (wie als Venus, die Zeit, die Sünde von Berlin) durch das vergangene Jahr in Berlin mit seinen Schlagzeilen und Prominenten führten77, wurde
als berüchtigter Parodist schlecht entfalten. Auch Kurt Gerron kennt man von schärferen Tonarten her […]. An der eigenen Entweiblichung aber, an den verzerrten Linien, die Margo Lions Dürre verfolgt, mögen andere Gefallen finden [Hervorheb. orig.]“ (– ner.: „‚Hetärengespräche.‘ Die Revue des Kleinen-Theaters“, in: Der Tag, Nachtausgabe [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4); „Sonst sieht man gut Bekannte und gern Gesehene, […]“ (Kurt Pinthus: „Schiffer und Hollaender: ‚Was Sie wollen!“, in: 8UA, AdK S/L, Sig. 16.2), „Nicht nur die Musik – auch das süsse Gezwitscher der kleinen Dolly Haas und ihre reizvolle Beweglichkeit hilft über die zeitweilige Unerheblichkeit der Texte hinweg. Alexa von Poremsky sieht wie immer reizend aus, und man freut sich, sie wieder einmal zu sehen“ (–d–: „Quick! Quick! Revue im Nelson-Theater“, in: BV, Morgen-Ausg. [24.09.1930], AdK S/L, Sig. 9). 76 Vgl. Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien, S. 31. 77 Vgl. Wolfgang Jansen: Glanzrevuen der Zwanziger Jahre, S. 23–35 u. Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien, S. 30f.
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diese französische Tradition auch in den Kabarettrevuen der Weimarer Republik vereinzelt aufgegriffen, um das Motto der Revue zu visualisieren beziehungsweise den Szenen Stringenz zu verleihen. So wurde beispielsweise Lion in der Revue Die fleißige Leserin als Commère begriffen, indem sie die erste Szene mit ihrem gleichnamigen Chanson gestaltete und damit in das Motto der Revue einführte.78 In Es liegt in der Luft jagt Lion als Commère permanent durch ein Kaufhaus auf der Suche nach einem Knopf und schafft so eine formale Verbindung zwischen den Szenen. Wie wichtig die Funktion der Commère-/Compère-Figur für die Inszenierung eines Stars und dessen Etablierung eines Images ist, liegt auf der Hand. Zum einen trat diese Figur nicht nur mehrmals, sondern auch an exponierten Stellen in den Revuen auf. Zum anderen personalisierte sie das Thema der Revue, wodurch sie auf der einen Seite vom Erfolg der Revue profitierte, dieser aber auf der anderen Seite auch eine spezifische, nämlich ihre individualisierte, Bedeutung verlieh. Letztlich funktioniert die Inszenierung des Stars als Commère-/CompèreFigur ähnlich wie ein gut platzierter und stets wiederholter Schlager.79 Die Schritte von der Popularität der Revue und ihren dramaturgischen Entwicklungen hin zu deren Bedeutung für die Imagekonstruktion sind also nicht groß. Denn damit die Revuestars für den Erfolg der Gattung bürgen konnten, benötigten sie die dargestellten Gegebenheiten, die es ermöglichten, ein publikumswirksames Image ausbilden und vermarkten zu können. Die seriellen Theaterformen, zu denen die Revue zu zählen ist, sind damit nicht nur als Konsequenz aus den marktstrategischen Bedürfnissen, Schlager zu produzieren, zu verstehen. Sie sind vielmehr unmittelbarer Bestandteil der Unterhaltungskultur in der Weimarer Republik und bedeutungsvoll für die Entwicklung ihres Starsystems. Die Einordnung der Diseusen in ein Starsystem ergibt sich nicht nur durch ihre Positionierung in der Revue selbst, sondern auch durch ihre Vermarktung innerhalb eines Mediendispositivs, bestehend aus Tonträgern, Werbeanzeigen, Artikeln in Printmedien und der Verbreitung ihrer Chansons als Noteneditionen.
78 Vgl. Rezension Nr. 50. 79 Diese These wird übrigens bei einem Blick in diverse Zeitungsartikel bestätigt, in denen Margo Lion immer wieder zur fleißigen Leserin in Persona wird. Selbst in einem ganz anderen Kontext, nämlich der Beschreibung des „Ball der Reklamefachleute“, fühlt sich der Autor der Vossischen Zeitung bei einer Statue an Margo Lion bzw. die fleißige Leserin erinnert: „In der Mitte des großen Konzertsaales eine moderne Frauengestalt aus Papiermaché inmitten einer silberglitzernden Leuchtfontäne – das Konterfei von Marga Lion aus der ‚Fleißigen Leserin‘ scheint es zu sein. Reklamestandbild einer Zigarettenfirma“ („Ballrausch“, darin der Abschnitt „Ball der Reklamefachleute“, in: Vossische Zeitung, Nr. 40, Morgen-Ausg., Beilage (25.01.1927), S. 1f., hier: S. 1).
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Die Diseusen der Kabarettrevuen sind damit geprägt sowohl durch ein Eigenimage, das sie in ihrer Performance einer Revue entwickelten und darstellten, ihre Parodie von sozialen und kutlurellen Typen (wie der Neuen Frau), die ihnen Angriffsfläche boten, aber auch Normen und Erwartungen an sie herantrug, sowie einem Fremdimage, das beispielsweise durch Kritiker in Zeitungsrezensionen aufgegriffen und konstruiert wurde. Eine Revue hinsichtlich ihrer Bedeutung für ein Image von Diseusen zu untersuchen, bedeutet also, den werkimmanenten Textund Musikrahmen mit der jeweiligen Protagonistin eines einzelnen Chansons zu verlassen und den weiteren Rahmen zu untersuchen, in dem sich ihre BühnenPersonae bewegen. Dabei sind sowohl die Performance, die Kulisse als auch die Handlung der Revue von Bedeutung, aber auch die über die Einzelrevue hinausgehenden Aspekte, die sowohl allgemeine Diskurse wie die Neue Sachlichkeit und die dort integrierten Weiblichkeitsbilder als auch spezifische Rezipientenwahrnehmungen betreffen können. Ein solcher Versuch der kulturwissenschaftlichen Imageanalyse von Lion soll am Beispiel der Revue Es liegt in der Luft unternommen werden. Beispielanalyse: Imagebildende Aspekte in der Kabarettrevue Es liegt in der Luft Die Kabarettrevue Es liegt in der Luft lässt sich als idealtypisches Beispiel für die Imagekonstruktion von Lion heranziehen, weil sie unter der Regie von Robert Forster-Larrinaga, mit dem Drehbuch und den Chansontexten von Marcellus Schiffer und der Musik von Mischa Spoliansky eine der erfolgreichsten Kabarettrevuen in der Weimarer Republik war. Damit bot sie die erforderliche öffentliche Aufmerksamkeit, in der sich ein Image erst konstituieren kann, sowie ein Mediendispositiv, bestehend aus den Aufführungen selbst, Zeitungsinterviews, -berichten und -rezensionen, Notenausgaben und Schallplattenveröffentlichungen, mit denen auch Lions Image vermarktet wurde. Am 15. Mai 1928 feierte Es liegt in der Luft im Theaterhaus Die Komödie am Kurfürstendamm, welches zu Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin gehörte, ihre Premiere. Obwohl laut Vertrag mit dem Drei-Masken-Verlag80 zunächst nur eine Spielzeit von knapp einem Monat für die Kabarettrevue angesetzt
80 Vgl. AdK S/L, Sig. 831.
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wurde, lief sie letztlich bis zum 11. Oktober 1928 121 Mal81, teilweise sogar täglich82. Anschließend ging die Revue auf eine Gastspieltournee durch ganz Deutschland und die deutschsprachigen Länder: „Die Revue der Komödie ‚Es liegt in der Luft‘ geht in der nächsten Zeit auf Gastspielreisen. Die Tournee führt durch die großen Städte Deutschlands, dann in die S c h w e i z (Zürich, Basel), nach U n g a r n (Budapest) und die T s c h e c h o s l o w a k e i (Prag) [Hervorheb. orig].“83 Neben Lion traten weitere in Berlin bereits etablierte Schauspieler und Schauspielerinnen auf: Oskar Karlweis, Käte Lenz, Hubert von Meyerinck, Marlene Dietrich, Willi Prager, Leni Sponholz, Otto Wallburg, Ida Wüst und Charlotte Ziegler. Das Warenhaus auf der Bühne wurde mit Requisiten des berühmten Berliner Kaufhauses A. Wertheim, die Schauspieler und Schauspielerinnen mit Kos-
81 In der AdK findet sich ein nicht datierter Zeitungsausschnitt, in dem die letzte Aufführung der Revue für den 11. Oktober 1928 angekündigt wird (AdK S/L, Sig. 2.5). Daneben findet sich eine handschriftliche Notiz: „121 Mal“. Dass dieser Zahl durchaus Glauben zu schenken ist, legt der Spielplan der Bühnen des Deutschen Theaters für die Spielzeit 1928/1929 nahe, denn in einer tabellarischen Übersicht zu den einzelnen Inszenierungen in der Komödie findet sich die Information, dass die Revue bis zum 31.08.1928 110 Mal gelaufen ist und noch läuft (AdK S/L, Sig. 2.3). Zudem wurden die jeweiligen Aufführungsjubiläen der Revue zum 25. (08.06.1928), 50. (04.07.1928), 75. (27.07.1928) und 100. Mal (21.08.1928) in den Zeitungen angekündigt. 82 Dies lässt sich aus dem Wochenspielplan der Reinhardt-Bühnen aus dem Programmheft der Komödie (Jg. 15, Nr. 5) ableiten, aus dem hervorgeht, dass die Revue zwischen Dienstag, den 19. Juni und Montag, den 25. Juni täglich gespielt wurde (Vgl. AdK S/L, Sig. 2.5). 83 Vgl.: „‚Es liegt in der Luft‘ auf Reisen“, in: BBK, Morgen-Ausg. (05.09.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. Aus den gesammelten Zeitungsrezensionen in der AdK (S/L, Sig. 2.4) lässt sich folgender Tournee-Plan rekonstruieren: Hannover (01.–03.10.1928), Bremen (04.10.1928), Frankfurt (Anfang Oktober), Wiesbaden (13. u. 14.10.1928), Mannheim (15.–21.10.1928), Düsseldorf (22.–26.10.1928), Dortmund (Ende Oktober), Krefeld (29.10.1928), Köln (30.10–04.11.1928), Wiesbaden (09.11.1929), Saarbrücken (Anfang November), Mainz (Anfang November), Zürich (13. u. 14.11.1928), Augsburg (14.11.1928), Stuttgart (Mitte November), Nürnberg (21.–23.11.1928), Merseburg (26.11.1928), Halle (26.11.1928), Erfurt (Ende November), Leipzig (drei Aufführungen Ende November), München (mehrere Aufführungen im Dezember 1928), Stuttgart (Silvester 1928/1929), Dresden (15.01.1929), außerdem im Januar 1929: Magdeburg, Chemnitz, Prag, Wien und Dessau (01.02.1929).
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tümen von dem ebenso etablierten Herrmann Gerson ausgestattet. Das kleine Orchester war besetzt mit dem Komponisten der Revue Mischa Spoliansky am Steinway-Flügel, Max Heuserer (Sopransaxofon, Klarinette, Geige), Charles Herstoff (Posaune, Schlagzeug mit Glockenspiel), Harald Kirschstein (Banjo, Bandoneon, Gitarre), Arno Olewsky (Geige, Trompete), Fritz Freed (Bariton-, Alt- und Sopransaxofon, Geige, Klarinette) und Kurt Arlt (Bass-, Alt-, Tenor-, Sopransaxofon, Klarinette, Trompete).84 Während der Gastspielreisen wurden außer in München und Wien, wo Lion selbst spielte, ihre Rollen von Blandine Ebinger übernommen. Das restliche Gastspielensemble bestand aus Tala Birell, Oskar Karlweis, Alexa von Poremsky, Renate Rosner, Leni Sponholz, Traute Tinius, Hans Waßmann und Kurt von Wolowsky.85 Bereits die zahlreichen Aufführungen der Kabarettrevue86 und auch ihre Beachtung in der deutschen Presse in und außerhalb Berlins und Deutschlands sprechen für ihren Erfolg. Hinzu kommen die Auskopplung der Schlager auf Schallplatte sowie das Erscheinen von Noteneditionen. Bei Electrola erschienen ein Potpourri der Revue (das Ensemble und das Orchester unter der Leitung von Mischa Spoliansky)87, „Die Braut“ (Margo Lion) und „Es liegt in der Luft“ (Margo Lion und Oskar Karlweis)88, „Ich weiß, das ist nicht so“ (Willy Prager) und „L’heure
84 Alle Angaben zur Premierenbesetzung lassen sich aus dem Programmheft entnehmen, wie es unter anderem abgedruckt wurde in: Deutsches Theater (Hrsg.): Blätter des Deutschen Theaters. Ausgabe für die „Komödie“ 15, Nr. 5 (1928), AdK S/L, Sig. 707. 85 Vgl. zur Gastreisenbesetzung z. B. das Programm des Schauspielhauses Stuttgart für das Spieljahr 1928–1929 (AdK S/L, Sig. 707) oder das Programm des Deutschen Theaters München (AdK S/L, Sig. 2.5). 86 Nur wenige Inszenierungen an den Bühnen des Deutschen Theaters konnten in der Spielzeit 1928/1929 mit den Aufführungszahlen der Revue mithalten: In den Kammerspielen lief W. S. Maughams Finden Sie daß Constance sich richtig verhält 152 Mal, in der Komödie liefen Zinsen von Bernhard Shaw und Marcel Fradelin von Henri Duvernois und André Birabeau 83 bzw. 82 Mal. 84 Mal lief das Stück Artisten am Deutschen Theater von George Watters und Arthur Hopkins. Alle anderen Stücke zählten weitaus weniger Aufführungen (vgl. Deutsches Theater [Hrsg.]: Blätter des Deutschen Theaters, Anhang, AdK S/L, Sig. 707). 87 EG 146, Mk. 5.50. Wiederveröffentlicht auf Marlene Dietrich. Ich bin die fesche Lola, Membran Music Ltd. 2005. 88 EG 890, Mk. 3.75. „Es liegt in der Luft“ wiederveröffentlich auf Mischa Spoliansky. Musikalische Stationen zwischen Morphium und Wiederstand u. Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt.
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bleu“ (Margo Lion)89 sowie „Der flüsternde Bariton“ (Oskar Karlweis) und „Wenn die beste Freundin“ (Marlene Dietrich, Margo Lion und Oskar Karlweis)90.
89 EG 891, Mk. 3.75, wiederveröffentlicht auf Mischa Spoliansky. Musikalische Stationen zwischen Morphium und Wiederstand, „L’heure bleu“ außerdem auf Margo Lion. Die Linie der Mode. 90 EG 892, Mk. 3.75. Wiederveröffentlicht auf Margo Lion. Die Linie der Mode. Zu all diesen Electrola-Produktionen findet sich in der Adk S/L, Sig. 707 eine aufklappbare Din A4 Hochglanzwerbung, die für „alle Schlager aus der Revue ‚Es liegt in der Luft‘ in der Originalbesetzung der ‚Komödie‘ auf Electrola Musikplatten“ wirbt.
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Abbildung 16: Werbung für die Electrola-Platte Es liegt in der Luft, Vorderseite
Abbildung 17: Werbung für die Electrola-Platte Es liegt in der Luft, Innenteil
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Nach der Premiere wurden im Drei Masken-Verlag zwei Noteneditionen mit Chansons aus der Revue publiziert. Im Juni 1928 kamen die Chansons „Es liegt in der Luft“ und „L’heure bleu“ gemeinsam in einem Heft, arrangiert für Salonorchester von Franz Grothe, auf den Markt sowie die als fünf Hauptschlager vermarkteten Chansons „Es liegt in der Luft“, „L’heure bleu“, „Ping Pong“, „Wenn die beste Freundin“, „Ich weiß, das ist nicht so“ in einer Ausgabe für Gesang und Klavier.91 „Wenn die beste Freundin“ wurde wenig später zusätzlich als Einzelausgabe für Salonorchester verkauft.92 Außer dass, wie in der Zeit durchaus üblich, Texte der Schlager in einzelnen Tageszeitungen und Illustrierten veröffentlicht wurden, wurden im Berliner Tageblatt darüber hinaus auch die Noten des Chansons „Der Pudel“ publiziert.93 Außer wegen der Popularität der Kabarettrevue ist auch auf Grund ihrer inhaltlichen Ausrichtung auf die Neue Sachlichkeit von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für die Imagekonstruktion Lions auszugehen. In der Revue wird das Zwillingspaar Peter und Petersilie noch im Säuglingsalter durch seine kaufwütigen Eltern im Resteverkauf eines Warenhauses vergessen. Nachdem den beiden nach Geschäftsschluss ihr rechtmäßiger Platz im Fundbüro zugeteilt wird94, wachsen sie im Kaufhaus auf, beziehungsweise – wie es im fünften Bild
91 Eintrag „Spoliansky. Mischa“, in: Hofmeisters Musikalisch-literarischer Monatsbericht über neue Musikalien, musikalische Schriften und Abbildungen erschienen im deutschen Reiche, Österreich und in den Ländern deutschen Sprachgebietes, sowie der für den Vertrieb im deutschen Reiche wichtigen im Auslande erschienenen Musikalien 100, Nr. 6 (Juni 1928), Leipzig: Verlag von Friedrich Hofmeister, S. 151: „Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus. Daraus Es liegt in der Luft. Foxtr., zus. mit: L’heure bleu. Tango f. Salonorch. M. Jazz-St. bearb. v. F. Grothe M 2. Die 5 Hauptschlager f. Ges. m. Pfte. 1928 (11 S.). Es liegt in der Luft. Foxtr. – L’heure bleu: Nur ein Tropfen v. L’heure bleu. – Ping Pong: Komm, spiel doch Ping-Pong. – Wenn die beste Freundin. – Ich weiß, das ist nicht so. Slow Fox. M 2,50. Berlin, Drei Masken-Verlag“. 92 Eintrag „Spoliansky. Mischa“, in: Hofmeisters Musikalisch-literarischer Monatsbericht 100, Nr. 8/9 (August/September 1928), S. 214, Nr.: „Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus. Daraus: Wenn die beste Freundin. Slow Fox f. Salonorchester m. JazzSt. Bearb. V. F. Ralph. Berlin, Drei Masken-Verlag. M 2“. 93 Vgl. „Der Pudel“; in: Jede Woche Musik. Illustrierte Wochenschrift des Berliner Tageblatts 5, Nr. 25 (30.06.1928), AdK S/L 715. 94 „Vorsteherin: Liegengebliebenes: Fundbüro! Tun Sie es zu dem Übrigen, Fach 67! […] Liegengebliebenes wird im Fundbüro abgeliefert! Wird Liegengebliebenes nicht innerhalb eines Jahres abgeholt, so verfällt Liegengebliebenes dem Warenhaus!“ (Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 14).
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heißt – „[…] wachsen langsam aber sicher durch die ersten Abteilungen durch!“95. Sie werden im Konsumrausch sozialisiert und dienen zugleich als ideale Werbung für das Kaufhaus.96 Während sie sich nicht nur gegenseitig im Verlauf der Kaufhausszenen verlieren, sondern auch in der dramaturgischen Erzählung immer wieder verloren gehen, finden sie sich im vorletzten Bild wieder („Petersilie: Das Warenhaus ist ja so groß, daß man sich jahrelang nicht trifft. Mannequin geworden. – Peter: Chef geworden!“97). Beide haben nun ihrerseits Babys (Peter und Petersilie) bekommen und mit ihren Berufen ihren geschlechtsrollenspezifisch angemessen Platz in der Konsumkultur eingenommen. Für den Bedeutungsrahmen der Revue ist dieser lose Handlungsfaden jedoch weniger relevant als das Warenhaus selbst: „Er [Marcellus Schiffer; Anm. S. D.] überanstrengt sein Gehirn freilich nicht mit der Erfindung einer Handlung. Denn daß im Anfang der Revue ein Zwillingspaar verloren, im Fundbuero abgegeben und am Ende der Revue an der Umtauschkasse wiedergefunden wird – das will wirklich keinen Anspruch auf den berühmten roten Faden erheben.“98
Während die Geschichte um Peter und Petersilie als „Relikt linearer Revuedramaturgien“99 verstanden werden kann, ist der Ort des Bühnengeschehens sowohl für den Handlungsablauf als auch für Lions Image wesentlich. Das Warenhaus ist als diskursiver Bestandteil der Großstadt und als Heterotopie ein zeitlich begrenzter Lebens- beziehungsweise Konsumraum einer flüchtigen Masse und dient in dieser Durchlässigkeit und dem permanenten Wandel „als Basis für vielfältige Projektionen“100. Der Text- und Drehbuchautor Schiffer nutzte das Warenhaus als Miniaturspiegel für einen neusachlichen Zeitgeist, der laut Titelschlager in der Luft liege:
95 Ebd., S. 15. 96 Vgl. Dialog im fünften Bild, ebd., S. 16. 97 23. Bild, ebd., S. 53. 98 „Das tanzende Warenhaus“, in: Wiener Journal (22.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 99 Nils Grosch: „Lieder vom Fahrstuhl, Automobil und anderen Nicht-Orten“, S. 190. 100 Ebd.
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„Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit Es liegt in der Luft eine Stachlichkeit Es liegt in der Luft, Es liegt in der Luft Es liegt in der Luft was Idiotisches Es liegt in der Luft was Hypnotisches Es liegt in der Luft und es liegt in der Luft und es geht nicht mehr raus aus der Luft.“101
Das Warenhaus als narratives Konzept der Revue illustriert diesen Zeit- und Kulturgeist der Neuen Sachlichkeit durch seine Umsetzung in den Bühnenbildern, den Girls und Figurinen als Konsumentinnen sowie durch die Szenen- und Chansontexte von Schiffer, seine Illustrierung und Kommentierung durch die Musik von Mischa Spoliansky und die dargestellten Stereotype von der hysterischen Großstädterin über den flüsternden Bariton bis hin zum melancholischen Portier. Aufgrund dieser Konzeption rief die Revue ein breites Presseecho hervor. Denn obwohl bereits Rudolf Nelson Revuen in kleinerem Format inszenierte und Friedrich Hollaender mit seiner Laterna Magica zeitgleich zu Schiffer mit seiner Revue Die fleißige Leserin (beide 1926) erfolgreich war, schien aus der Perspektive der Presse erst Es liegt in der Luft der Ausstattungsrevue ein attraktives Gegenstück zu liefern. Gerade weil die Reduktion der theatralischen Mittel jedoch nicht neu war, wurde Es liegt in der Luft immer wieder an dem Maßstab gemessen, inwieweit es hier glückte Ausstattung durch bissige, politische und aktuelle Satire zu ersetzen. Zwar konnte die Kabarettrevue solche Erwartungen nicht immer erfüllen,102 dennoch bezog sie einen besonderen Reiz aus dem Gegensatz zwischen
101 Refrain aus dem Chanson „Es liegt in der Luft“, Text: Marcellus Schiffer, Musik: Mischa Spoliansky aus der gleichnamigen Revue: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 31. Als Notenedition erhältlich im Dreiklang-Dreimasken Bühnenund Musik-Verlag, Berlin. 102 Vgl. bspw. F. E.: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der ‚Komödie‘“: „Die Politisierung des eigentlichen Theaters, nun gar von Parteiwegen, hat sich selber durch ihre Kunstfremdheit entkräftet. Aber die Revue, von jeher das gesprochene und in plastische Aktivität umgesetzte Witzblatt, könnte den Mund auftun. Sie hat es ehedem getan. So wenigstens lese ich jetzt oft genug. Unter uns, das stimmt nicht, es ist nur die übliche Verklärung des Vergangenen. Auch in Julius Freunds Tagen wurde gesagt, dass die Revue sich nicht scharf genug zur Zeit und gegen die Zeit bekenne. Damals freilich war die Faust der Zensur geballt und hochgereckt. Aber jetzt, wir sind doch frei, wir
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ihrer reduzierten Darstellung und dem von ihr dargestellten handlungstragenden Symbol für Massenkultur – dem Warenhaus. Das Konzept dieser Revue forderte Darsteller und Darstellerinnen mit einem Image, wie es von Lion mitgebracht wurde. Als „Revue der Typen“103 basiert der Erfolg von Es liegt in der Luft auf Kollektivimages und bereits bekannten und beliebten Eigenimages wie dem von Lion. Zum anderen prägte das auf der Bühne dargestellte neusachliche Milieu wiederum Lions Image und lieferte ihr auch inhaltlich und dramaturgisch die idealen Bedingungen, um an ihr Erfolgschanson
dürfen sagen und wagen, wir dürfen den Eros von vorn und von allen Seiten zeigen, dürfen Lesbos an die Spree verpflanzen, wir verheimlichen nicht und exhibieren alles – warum nun ist eine Revue, die in der Woche der schicksalsbedeutenden Wahlen beginnt, im Politischen so schal und platt? Warum? Weil man, wie im Warenhaus, das die Hintergründe dieses Spiels abgibt, um Gotteswillen neutral sein will, auf dass kein Kunde fortgehe, ohne zu kaufen und zu bezahlen. Marcellus Schiffer, Verfasser des Textes, der früher Ansätze zur politischen Revue gemacht hat, hat die Konjunktur als offenbar ungünstig aufgegeben. Lust und Kraft zur Attacke bleiben verborgen. Wenn Willi Prager in einem sonst brillanten Couplet auch von der glücklichen Zukunft der Republik träumt und den Kehrreim hinzufügt: ‚Ich weiss, das ist nicht so! Ich weiss, das kommt nicht so!‘, so mag der Wunsch sein, schwache Republikaner anzufeuern. Aber das Ergebnis? Jedes Gemüt aus der guten und besseren alten Zeit wird frohlockend nicken“. Außerdem Herbert Ihering: „Eine neue KurfürstendammRevue“, AdK S/L, Sig. 2.5: „Vom Gegenstand, vom Inhalt aus betrachtet, ist die Revue etwas dünn, etwas einseitig, etwas snobistisch. Das Warenhaus: nur in den Luxusartikeln dargestellt, nur als Zeitvertreib gesehen, nur vom Ueberfluß aus geschildert. An den Gegenständen, die verkauft werden, an den verschiedenen Warenlagern entwickeln sich nicht die verschiedenen Menschenschichten, die verschiedenen Berufsklassen, die kaufen. Weder die Käufer noch die Verkäufer werden in ihrer Existenz, in ihrer Weise geschildert. Wenn das Warenhaus, wie hier, Abbild des ‚Lebens‘ sein soll, dann ist es ein verzuckertes Abbild. Ob Reste, ob Weiße Woche – alles scheint vom Parfümerie- oder Galanteriewarenlager zu sein“. Diese und weitere Rezensionen zeigen, dass Es liegt in der Luft keinesfalls unumstritten „sowohl wegen seiner treffenden Realitätsskizze als auch seiner gelungenen kabarettistischen Sozialkritik […] als Richtung weisend für das gesamte Revuegenre“ verstanden wurde, wie Nils Grosch behauptet („Lieder vom Fahrstuhl, Automobil und anderen Nicht-Orten“, S. 190). Vielmehr wurde sie an eben dieser Erwartung gemessen, ohne diese gänzlich erfüllen zu können. 103 Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5.
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„Die Linie der Mode“ anzuknüpfen und die diachrone Kontinuität ihres Images einer grotesken Neuen Frau zu gewährleisten. Während es die Chanson-Protagonistinnen nicht vermögen, den Rahmen ihrer einzelnen Chansons zu verlassen, so ist anhand der Kabarettrevue Es liegt in der Luft zu beobachten, wie sich über die Chansons hinweg Lions Bühnen-Persona etablieren und diese schließlich über die Grenzen der Kabarettrevue hinaus ihr Image prägen konnte. Neben den marktstrategischen und inhaltlichen Voraussetzungen ist im Folgenden daher vor allem von inszenatorischen Aspekten der Revue zu sprechen, um zu verdeutlichen, wie hier das spezifische Image von Lion gestärkt werden konnte. In einer zusammenführenden Analyse des Chansons „Die Braut“ können abschließend diese Faktoren an einem konkreten Beispiel veranschaulicht werden. Stephen Lowry beobachtet bei Filmstars vor allem im Hollywood-Starsystem einen Unterschied zwischen einem innerfilmischen und einem außerfilmischen Image. Während sich das außerfilmische Image auf die Person selbst beziehe, werde das innerfilmische Image „sowohl von der schauspielerischen Leistung des Stars als auch von der filmischen Inszenierung und der Gestaltung der Bilder geprägt. Man denke etwa daran, wie sehr Kostüme, Beleuchtung, Kamerastil und die Inszenierung Marlene Dietrichs glamouröse Erscheinung herausstellten.“104 Eine solche These zur Einflussnahme von inszenatorischen Mitteln lässt sich durchaus auch schon auf Produktionen der 1920er Jahre nicht nur im (Stumm-)Film, sondern auch im populären Musiktheater anwenden (wie schon immer die Gesamtgestaltung einer Bühne konstitutiv für Bedeutungszuschreibungen war). Neben Stimme, Mimik, Gestik, Repertoire, der Darstellung der Diseusen in der Presse durch Bild und Text spielen also auch das Bühnenbild, die Kostüme, der szenische Ablauf, das die eigene Performance umgebende Programm und Personen etc. eine Rolle für die Imagekonstruktion. Aber auch weiter gefasste Kontexte sind für der komplexen Imagekonstruktion bedeutsam. So ist auch der Ort, an und in dem ein Image konstruiert wird, in die Analyse mit einzubeziehen, ebenso wie die Zeit und die Zeitbezüge, die das Image prägen und die damit zusammenhängenden Inhalte, die mittels eines bestimmten Images präsentiert werden. Es reicht damit nicht aus, lediglich den Träger eines Images und seine Dispositionen in den Fokus einer Analyse zu stellen: „Die Zeichensysteme, auf die das Starimage aufbaut, sind also praktisch unendlich und stellen eher offene Strukturen dar“105.
104 Stephen Lowry: Art. „Starimage“, in: Hans-Otto Hügel (Hrsg.): Handbuch Populäre Kultur, S. 441–445, hier S. 441. Vgl. weiterführend dazu Ders.: „Stars und Images“, S. 16ff. 105 Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 20.
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Wie zu zeigen sein wird, kommt dem roten Faden beziehungsweise dem Handlungsort des Warenhauses bei Lions Imagekonstruktion im Akt der mimetischen Identifikation in dieser Revue eine besondere Rolle zu. Einerseits gibt er als Transitraum die Inszenierungsfläche für kurzweilige Auftritte von Stereotypen, und zum anderen erfüllt er als heterotope Projektionsfläche für urbane Phänomene die gleiche Funktion wie der durch Lion grotesk parodierte Weiblichkeitstyp der Neuen Frau. Doch auch das Theater selbst sowie die Stilistik von Bühnenbild und Kostüm prägten die Imagekonstitution von Lion. Ein detaillierter Blick auf diese Rahmenbedingungen lohnt, da sie zusammengenommen in der Dramaturgie der Revue Erwartungen und Bedeutungen verdichteten, aufgrund derer Lion ihr Image im Akt der mimetischen Identifikation etablieren konnte. Margo Lions Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae Die bereits referierte Vermarktung der Noten und Schallplatten zeigt, welch zentrale Position die zu Schlager gemachten Chansons in der Revue Es liegt in der Luft und ihrer erfolgreichen Vermarktung einnahmen: „Der führende Artikel dieses Warenhauses ist indessen das Couplet. Manchmal marschiert es in straffer energischer Haltung zum flinken Angriff; manchmal galoppiert es sprungfest gegen den Zuschauerraum; und manchmal entschließt es sich zum genießerischen Schlenderschritt des Ironikers Willi Prager, der gelegentlich selbst stehen bleiben darf, um geruhsam die Angelhaken seiner witzigen Silben ins Parkett hinunterzuwerfen.“106
Nicht nur in dieser Rezension, sondern auch in allen anderen, die sich der Musik widmen (und dies taten viele, da sie als außergewöhnlich gelungen galt), wird deutlich, dass die Chansons pointierter Ausdruck von „Witz, Tempo, Schlagkraft“ gewesen seien und aus dem „Schaustück“ ein „Geiststück“ gemacht hätten.107 Durch „das schmissige Tempo und die Präzision des Vortrags“ habe diese Kabarettrevue gewirkt.108 „Die bloßen Paraden von ‚Tausend süßen Beinchen‘“ seien allmählich langweilig geworden, sodass Es liegt in der Luft zurückgehe
106 H. Hosenthal: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der Komödie“, in: Tägliche Rundschau (16.05.1928), Adk S/L, Sig. 2.5. 107 RM: „‚Es liegt in der Luft.‘ Gastspiel im Deutschen Theater. Eine spritzige, leicht schäumende Sache“, in: Volkswille, Hannover (02.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 108 Wilhelm Frerking: „Es liegt in der Luft. Revuegastspiel im Deutschen Theater“, in: Hannoversches Tageblatt (03.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4.
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„bis an die Quellen, aus denen heraus g u t e s K a b a r e t t entsteht, aus denen einst das Ueberbrettl geboren wurde. Wir hören nicht zu Brei gewalzte blöde Schlager, sondern echte Chansons, heiter oder gallig, immer aber sprühend von ihrer geistreichen Satire auf Zeiterscheinungen [Hervorheb. orig.].“109
Das bei Electrola veröffentlichte Potpourri der Schlager macht das Tempo der Revue, welches aus all diesen Rezensionen spricht und welches das Tempo der Großstadt und des Warenhauses aufzunehmen hatte, deutlich. Dabei wechseln sich Foxtrotts, Märsche und synkopierte Swingtitel ab, in denen die Streicher- und Bläserstimmen gleichwertig besetzt sind. Auch der Kritiker Kurt Pinthus nahm die Musik als „pausenlos strömendes, singendes, kicherndes, höhnendes Getön“110 wahr, sie sei „Trumpf des Abends“ gewesen – „die witzigst, sogar geistreichst instrumentierte Musik“, die Pinthus je in einer Revue vernommen habe, und sie sei nicht nur Untermalung gewesen, sondern habe die Pointen der Texte verschärft und „das Gezeigte zur Parodie“ verschoben.111 Diese kommentierende, parodierende und vor allem illustrierende112 Funktion belegt Nils Grosch an dem Titelchanson „Es liegt in der Luft“ und Oskar Karlweis’ „Der flüsternde Bariton“.
109 Schndr.: „Es liegt in der Luft. Reinhardt-Revue im Schauspielhaus“, in: Düsseldorfer Nachrichten (23.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 110 Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5., vgl. zum in der Revue erzeugten Tempo in Bezug auf die Regie auch H. Hosenthal: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der Komödie“, in: Tägliche Rundschau (16.05.1928), Adk S/L, Sig. 2.5: „Die locker geschnörkelten Linien des Spiels wirbeln zu einem lustigen Tumult zusammen; und das fast pausenlose Ineinander von Licht, Musik, schauspielerischem Vortrag und tänzerischer Bewegung weist auf den Regisseur Forster Larrinaga, dessen Hand hier in jeder Halbsekunde zügelt oder treibt“. 111 Ebd. Vgl. dazu auch: –hn: „‚Es liegt in der Luft‘. Die Komödie“, in: Der Tag (17.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5.: „Spoliansky ist ein fesselnder Plauderer am Klavier, seine musikalischen Einfälle haben Zeitnerv und verraten ein durchgebildetes, kultiviertes Handwerk. Viel Witz verwendet er auf die Instrumentation“ u. m: „Komödie: ‚Es liegt in der Luft‘“, in: BMo (21.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5: „Mitreißend im Rhythmus, den Mischa Spolianski [sic!] mit einer Fülle von Einfall, Farbe, Wohlklang und Humor aus der Mitte einer famosen Jazzband in die Ohren schickt“. 112 Vgl. dazu bspw.: Erich Krafft: „Die Warenhaus-Revue. ‚Es liegt in der Luft‘, in: DTZ (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5): „Was aber wäre das alles ohne die Musik Mischa Spolianskys! Er gibt dem Ganzen erst den richtigen Schmiß, elektrisiert durch fabel-
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Grosch misst Spolianskys Musik insofern eine wichtige Rolle zu, als dass die „gekonnt eingesetzten Parodien populärer Musikstile (mit einem ganz wesentlichen Anteil an Jazzelementen) […] als dramaturgische Projektionsflächen gesellschaftlicher Stereotype“113 fungierten. So sei die von Tonwiederholungen geprägte Gesangslinie in „Es liegt in der Luft“ als Symbol für die Neue Sachlichkeit114 zu verstehen, die im Chansontext behandelt werde. Das Beispiel des Chansons „Der flüsternde Bariton“ zeige, wie Spoliansky und Schiffer einerseits „den gesamten Bereich des Amerikanismus zu evozieren“115 vermochten und den Crooner Jack Smith parodierten, wie aber auch andererseits die Wirkung des Chansons von seinem Interpreten Oskar Karlweis abhängig gewesen sei. Denn dieser habe eine verblüffende Ähnlichkeit zum Vorbild aufgewiesen und habe allgemein durch sein Äußeres den Stereotyp des sentimentalen Crooners verkörpert, schließlich habe er die passende Stimme gehabt, um dieses Phänomen zu parodieren.116
haften Rhythmus, illustriert witzig die Bühnengeschehnisse und kommt darüber hinaus zu variationsreichen Melodien, die bald überall in der Luft liegen werden!“; Ernst Degner: „Die spritzigste Revue. Erstaufführung in der Komödie“, in: Vorwärts (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5: „Der Komponist malt mit seinen Tönen. Beim Hundebild jault die Musik, die Baßstimmen verüben einen zum Quietschen komischen Ulk“; Dr. Erich Urban: „Es liegt in der Luft. Revue in der Komödie“, in: BZaM (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5: „Das alles […] umkleidet Mischa Spolianski mit Musik. Was heißt umkleidet? Er setzt es auf die Federn seiner quicklebendigen, vibrierenden, aus dem Rhythmus geborenen Musik. Und nun schnellt es hoch, hüpft dahin, überschlägt sich, bekullert sich. Seine Melodie ist geboren aus dem Rhythmus, aus dem Rhythmus der Zeit. Nicht nur in dem Ensemblemarsch ‚Es liegt in der Luft‘, wo sie direkt Melodie gewordener Rhythmus ist. Sie ist erfunden, hindurchgeschrieben durch die Farbe und die Harmonie dieser Zeit. Sie parodiert, sie illustriert – die blödsinnige Lache in dem Couplet ‚Lächle!‘ –, sie hat alle Mysterien und Mixturen zeitlichen Gefühls, und dann wächst sie zum Selbstzweck empor, zur Melodie an sich in dem chinesischen Ping-Pong-Marsch.“ Hörbar wird Spolianskys Lautmalerei außerdem sehr schön im Auftaktchanson „Fahrstuhl“ des Revue-Potpourris, wie auch Grosch anhand der Noten zeigt („Lieder vom Fahrstuhl, Automobil und anderen Nicht-Orten“, S. 190–193). 113 Nils Grosch: „‚Bilder, Radio, Telephon‘: Revue und Medien in der Weimarer Republik“, S. 167f.. 114 Ebd, S. 168. 115 Ebd., S. 170. 116 Vgl. ebd., S. 172f.
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Während Grosch also mit diesen Beispielen zu Recht darauf hinweist, wie sehr Spolianskys Musik virulente Diskurse der Weimarer Republik aufgreift und illustriert, so lassen sich seine Kompositionen auch auf die Imagekonstruktion der Vortragenden hin analysieren, die freilich wiederum selbst Teil dieser Diskurse sind. Nicht nur „Der flüsternde Bariton“ war auf Oskar Karlweis zugeschnitten wie dieser den Typus des Crooners aufgreift, auch die für Lion komponierten und getexteten Chansons waren auf ihr Image angelegt. Die Chansons „Es liegt in der Luft“ und „L’heure bleu“ dienten bereits als Idealbeispiele dafür, wie auch in der Musik das Image Lions konstruiert wurde (Kapitel „Die parodistische Funktion der Musik: Bruch mit einer heteronormativen Weiblichkeit“). Im Dienste der „Revue der Typen“117 greifen diese sowie vor allem auch „Die Braut“, „Der Pudel“ und „Wenn die beste Freundin“ die als typisch charakterisierten Merkmale von Lions Gesamtrepertoire auf und sorgen als Teil ihres Repertoires für ihre Verstetigung. So lassen sich die gleichen Brüche in der Charakterisierung der Chanson-Protagonistinnen und deren Parodie in Lions Bühnen-Personae beobachten wie in ihren Kabarettprogrammen und vorangegangenen Kabarettrevuen. Lion stellt auf den ersten Blick zierliche, zarte, zerbrechliche, edle, elegante und doch temperamentvolle Frauentypen dar. Laut Bühnenmanuskript war Lion in neun118 der 24 Bilder präsent, wobei davon wiederum drei Auftritte ausschließlich ihrem Solo-Chansonvortrag119 dienten und auch die Bilder „Es liegt in der Luft“ und „Sisters“120 sie neben Oskar Karlweis und Marlene Dietrich in den Mittelpunkt der Inszenierung stellten. Vor allem Lions Solo-Auftritte sind auf ihr Image der grotesken Neuen Frau angelegt, wobei in dieser Revue ebenso wie bei ihrer Performance von „Die Linie der Mode“ die Historizität ihrer Frauenfiguren deutlich wird. Bereits dort zeigte sie die Vergänglichkeit der Typen der Neuen Frau, der Dame und der Dirne und knüpfte darüber hinaus an reale Vorbilder – Yvette Guilbert und Mary Delvard – an. Nun greift sie auf Weiblichkeitsstereotype um die Jahrhundertwende zurück, also aus der Zeit, in der auch der erste Boom der Warenkaufhäuser und der Jahresrevuen zu verorten ist. Deutlich wird
117 Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. 118 4. „Abgegebene Hunde“, 7. „Parfümerielager“, 11. „Weiße Woche“, 13. „Es liegt in der Luft“, 14. „Nippes“, 19. „Sisters“, 20. „Paßfoto“, 22. „Sportabteilung“, 24. „Umtauschkasse“. 119 4. „Abgegebene Hunde“ mit „Der Pudel“, 7. „Parfümerielager“ mit „L’heure bleu“, 11. „Weiße Woche“ mit „Die Braut“. 120 Die Szenen enthalten die Chansons „Es liegt in der Luft“ und „Wenn die beste Freundin“.
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dieser Rückgriff zum Beispiel am Kostüm, welches sie und Marlene Dietrich im Bild „Sisters“ tragen: das Reformkleid (in Mode zwischen ca. 1898 und 1910).121 Aber auch die Dame mit ihrem schwerblumigen Parfum „L’heure bleu“, das vor dem Ersten Weltkrieg von Guerlain erfunden wurde und für lange Zeit zum Modeparfum avancierte, entspringt den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts und den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. So übernimmt Lion in ihre Performance zunächst solche Charakteristika, die den Frauen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert zugeschrieben wurden: Sie ist der elegante, schöne, kluge, zahme Pudel im gleichnamigen Chanson. In „L’heure bleu“ ist sie die zerbrechliche Dame, die Wert auf einen guten Duft legt, in der Szene „Die weiße Woche“ die reine und keusche Braut oder die moderne Frau im Reformkleid bei einem Plausch mit ihrer besten Freundin (in „Wenn die beste Freundin“). Doch bricht Lion im Verlauf ihrer Performances mit diesen Idealvorstellungen von Weiblichkeit. Sie versetzt ihre Frauenfiguren in die Großstadt ihrer Gegenwart, „wenn sie aus dem Gezierten ganz plötzlich ins Ordinäre oder Pseudopathetische umschlägt“122 und sie in ihrem hysterisch-grotesken Duktus verzerrt. Denn trotz dieser so offensichtlichen Anleihen aus dem beginnenden neuen Jahrhundert wurde als „idée fixe“123 das Berlin der Gegenwart benannt. Die Revue habe den „bewußt snobistischen, saloppen, pomadigen Ton und Gestus des heutigen Berlins, wohinter sich die Primitivität eines rasch Emporgekommenen birgt“, getroffen.124 Und so wird im Verlauf der Chansons aus dem Hündchen eine arrogante, snobistische und pseudopathetische Besserwisserin. Aus der schönen Dame wird eine dekadente Süchtige, aus der Braut eine ordinäre Umkehrung des Reinen und Schönen, und die beste Freundin überschlägt sich (stimmlich) geradezu in ihrer Naivität und wird darüber hinaus durch ihre Ménage à trois aus den rigiden Moralvorstellungen über die bürgerliche Dame gelöst. Nachdem im Folgenden auf Besonderheiten des Raums und der Kostümgestaltung für Lions Imagekonstruktion eingegangen wurde, wird schließlich die
121 Zur Funktion des Kostüms vgl. den Abschnitt „Die Kostümgestaltung“, S. 211–218. 122 Rezension Nr. 152. 123 Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. Nicht nur Pinthus bezieht die Warenhaushandlung auf das Berlin seiner Gegenwart, auch Monty Jacobs (M. J.: „Theater und Kunst. Das tanzende Warenhaus. Von unserem Korrespondenten“, in: Neues Wiener Journal, AdK S/L, Sig. 2.5), Dr. Erich Urban („Es liegt in der Luft. Revue in der Komödie“, in: BZaM (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5) und viele weitere ziehen diese Parallele. 124 Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5.
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Analyse des Chansons „Die Braut“ im Detail zeigen können, wie hier Musik, dramaturgische Entscheidungen und räumliche Gegebenheiten Einfluss auf Lions Image nahmen und wie auch dieses die Bühnenkonzeption beeinflusste. Der Theaterraum Die Komödie „Die gleichzeitige Anwesenheit von Akteuren und Zuschauern impliziert einen Ort, an dem die Aufführung stattfindet und durch dessen Disposition sie mitbestimmt wird. […] Raum ist sowohl Voraussetzung für Aufführungen als auch Produkt theatraler Vorgänge“125. In den folgenden Abschnitten erweist sich die Analysekategorie des Raumes, wie sie bereits im späten 19. Jahrhundert durch Philosophen wie Georg Simmel, Émile Durkheim und Henri Lefebvre entdeckt, von anderen wie Michel Foucault, Pierre Bourdieu, Bruno Latour und Marc Augé fortgeführt und seit dem so genannten spatial turn in den späten 1980er Jahren aus den Sozial- und Kulturwissenschaften126 nicht mehr wegzudenken ist, als nicht zu vernachlässigender Faktor in der Aufführungsanalyse und damit auch in der Imagekonstruktion von Diseusen. Er spielt als relationaler Raum (der durch die in ihm agierenden Akteure bestimmt wird) eine Rolle, wie er auch selbst durch seine Dispositionen nicht nur eine Theateraufführung, sondern auch die wahrnehmbare Präsenz der Akteure mitsteuert. Das heißt nicht, dass hier davon ausgegangen
125 Jens Roselt: Art. „Raum“, in: Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch u. Matthias Warstat (Hrsg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2005, S. 260– 267, hier S. 260. 126 Vgl. dazu bspw. die einschlägigen Artikel in Ansgar Nünning (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 4., aktual. u. erw. Aufl., Stuttgart u. Weimar: Metzler 2008, dort: Ders.: „Raum / Raumdarstellung, literarische(r)“, S. 604–607; Jörg Dünne: „Raumtheorien, kulturwissenschaftliche“, S. 607f.; Michael C. Frank: „Heterotopie“, S. 286f.; Doris Bachmann-Medick: „Spatial turn“, S. 664f. sowie bspw. Jörg Dünne u. Stephan Günzel (Hrsg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1800), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006; Martina Löw, Silke Steets u. Sergej Stoetzer: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie (= UTB Soziologie 8348), Opladen: Budrich 2007, S. 63–66; Martina Löw: Raumsoziologie (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1506), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001; Gabriele Sturm: Wege zum Raum. Methodologische Annäherungen an ein Basiskonzept raumbezogener Wissenschaften, Opladen: Leske + Budrich 2000; Andreas Pott: Ethnizität und Raum im Aufstiegsprozeß, Opladen: Leske + Budrich 2002; Fabian Kessl u.a. (Hrsg.): Handbuch Sozialraum, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005.
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wird, dass die Räume der Revueaufführung, also das Theater als Gebäude mit seinen architektonischen Räumen, das Bühnenbild sowie der fiktionale Handlungsort speziell für die Inszenierung von Lion ausgewählt beziehungsweise auf ihr Image ausgerichtet wurden. Vielmehr lässt sich vom Erfolg der Revue sowie deren Bedeutung in der Wahrnehmung von Lions Bühnenpräsenz darauf schließen, dass auch die Disposition der Räume einen Kontext mit positivem, bestärkendem Einfluss auf Lions Imagekonstruktion der grotesken Neuen Frau bildete. Bevor auf diese Bedeutung des theatralen Raums in Form der Bühnen- und Kostümgestaltung sowie als fiktionaler Handlungsort des Warenhauses eingegangen wird, sollen hier eben jene Dispositionen, die Voraussetzungen, die die Komödie als Theaterraum geschaffen hat, beschrieben werden. Die Theaterarchitektur war schon immer von dem Zweck der auf ihrer Bühne stattfindenden schauspielerischen Aktion abhängig. Dies lässt sich bereits anhand der frühesten Theaterformen belegen. Solange im antiken Theater der Chor im Zentrum der Handlung stand, fand eine Bespielung auf einer Ebene statt. Erst mit „dem allmählichen Heraustreten der Schauspieler aus der Gruppe der Choreuten (Hypokrites) differenzieren sich die Sphären: Die Bauentwicklung des Athener Dyonysos-Theaters zeigt, wie sich allmählich eine klare Scheidung zwischen den Bereichen der Akteure (Skene) als der eigentlichen Bühne, der weiterhin dem Chor vorbehaltenen Orchestra und dem als Theatron bezeichneten Zuschauerraum herausbildet.“127
Auch an anderen Formen des Theaterbaus lässt sich die Abhängigkeit der Architektur vom schauspielerischen Zweck ablesen. Um einen groben historischen Überblick zu geben: Den Bänkelsängern des Mittelalters bis zum 19. Jahrhundert diente ein einfaches Holzpodest (das Bänkel), um ihre Moritaten aus dem Stegreif direkt aus dem Volk für das Volk vorzutragen. Die Guckkastenbühne der späten Renaissance und des Barocks und der nach Rängen gestaffelte Zuschauerraum sind auch als Ausdruck von Machtdemonstration und Repräsentation von Herrschern und Adel, die diese Theater bauen ließen, zu sehen. Das dadaistische Theater, die Piscatorbühne und die Performances des 20. und 21. Jahrhunderts rissen hingegen solche Barrieren zwischen Publikum und Bühne durch experimentelle Bühnenformen und indem sie Zuschauerraum und Bühne ineinander übergingen ließen, nieder. Und es mag auch kein Zufall sein, dass Rockkonzerte das besondere Flair von Freiheit auf der Open-Air-Bühne nutzen. Schließlich, um die Reihe
127 Art. „Bühne“, in: Theo Girshausen u. C. Bernd Sucher: Theaterlexikon (= dtv 3326), Bd. 2. Epochen, Ensembles, Figuren, Spielformen, Begriffe, Theorien, München: dtv 1996, S. 75–77, hier S. 75.
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der Beispiele zu beenden, korreliert mit der Ausstattungsrevue ein sehr großer Saal, um, selbst als Massenattraktion inszeniert, auch ein Massenpublikum ansprechen zu können. So wie die Kabarettrevue ihre inszenatorischen Mittel einschränkt, um dieser Prunkschau eine Absage zu erteilen, so fanden die jeweiligen Stücke in kleineren Sälen wie dem Nelson-Theater, dem Renaissance-Theater, dem Kleinen Theater oder wie im Fall von Es liegt in der Luft in der Komödie statt. Aus solchen Vorüberlegungen geht hervor, dass nicht nur die Gestaltung des Bühnenbilds und der narrativ-theatrale Raum eine Funktion in der Imagekonstruktion hat, sondern auch der architektonische Bau eines Theaters für die Wirkung und Wahrnehmung der in ihm Agierenden relevant ist. Da Lions Image, wie gezeigt werden konnte, eng mit der Atmosphäre und der Tradition des Kabaretts verbunden war, konnte ihrem Image als Diseuse in der französischen Tradition am besten auch ein intimer Raum Authentizität und Glaubwürdigkeit verleihen. Wolfgang Victor Ruttkowski hat die besondere Rolle des Raumes für den Chansonnier und die Diseuse beschrieben. Die „melodramatische Rezitation“ des Chansonniers und der Diseuse ersetze die Stimmfülle eines ausgebildeten Sängers oder einer ausgebildeten Sängerin, weshalb der Vortrag „in besonderem Maß von akustischen Verhältnissen des RAUMES abhängig [Hervorheb. orig.]“128 sei: „Das Chanson entwickelte sich in den Kneipen des Montmartre und dessen deutschen Imitationen, das heißt in kleinen bis mittelgroßen Räumen mit intimer Atmosphäre. […] Der normale – und wie vielfach erwiesen – dem Chanson günstigste Raum ist jedoch das Podium eines Nachtlokals oder Kabaretts mit nicht mehr als 200 Zuhörern. Das bedeutet, daß der Vortragende nicht sehr laut zu singen braucht und daß jeder die Mimik seines Gesichtes noch ohne Opernglas erkennen kann.“129
Der Zeitungsartikel „Moderne Kabarettypen“ von 1923 beschreibt, dass Kabarettprogramme zwar ursprünglich „von Dilettanten beherrscht“ wurden und dies „lange Jahre das unterscheidende Werkzeichen dieser Vergnügungsstätte war“,130 dass mit der Zeit jedoch eine Professionalisierung stattfand, die der Autor oder die Autorin auch mit dem Aufführungsraum in Zusammenhang bringt:
128 Wolfgang Victor Ruttkowski: Das literarische Chanson in Deutschland, S. 9. 129 Ebd., S. 9f. 130 „Moderne Berliner Kabarettypen“, S. 890.
192 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK „Früher ein einfaches Kaffeehauszimmer oder eine primitive Wirtsstube mit einem Podium, das der Vortragende vom Zuschauerraum aus betrat, ist es heute häufig schon eine raffinierte Kleinkunstbühne geworden, die mit allem technischen Behelf der Neuzeit ausgestattet ist, eine komplizierte Lichtanlage besitzt und für die der ausstattende Maler, der die Kostüme und Dekorationen entwirft, ebenso wichtig ist wie der vortragende Künstler.“131
Man muss die Entwicklung der Kabarettrevue nun nicht als Fortschritt gegenüber dem frühen Kabarett betrachten, es ist jedoch festzustellen, dass (auch aufgrund ihrer Verwandtschaft zur Ausstattungsrevue) hier eine Vergrößerung des Bühnenund Publikumraumes aus inszenatorischen Bedürfnissen, aber auch aus Gründen der Kommerzialisierung stattfand und damit eine neue Reichweite erzielt wurde. Es liegt in der Luft fand in einem Raum statt, der zwar noch der Intimität des Kabaretts entgegenkam132, jedoch bereits für ein etwas größeres Publikum ausgestattet war. Damit wurde dem Image von Lion eine ideale Inszenierungsfläche geboten. Zugleich konnte ein größeres Publikum als im Kabarett erreicht werden, wodurch ihr Image einem potentiell größeren Adressatenkreis vermittelt wurde und so nicht nur an Popularität, sondern auch an Stabilität gewann. Denn ein größeres Publikum bedeutet für die Rollenkonstruktion auch die Anforderung, eine breiter angelegte Identifikationsfläche zu schaffen, die sich durch eine mit dem Publikum wachsende Aufmerksamkeit der Presse auf ein einfaches Label reduzieren lässt. Dieses war bereits durch Lions vergangene Performances angelegt und wurde nun weiter konsolidiert. Bespielt wurde die Bühne der Komödie am Kurfürstendamm 206-207 in Berlin-Charlottenburg. Oskar Kaufmann, unter anderem auch Architekt der Volksbühne und des Renaissance-Theaters in Berlin, baute „sein kleinstes Berliner Theater“133 im Auftrag des Pächters Max Reinhardt und der Tattersall Aktiengesellschaft zwischen 1922 und 1924 in ein Gebäude, das von ihm zunächst als Kombination aus Geschäftshaus und Kino gedacht war. Ein Jahr nach Baubeginn wurde anstelle des Kinos und an dem Ort des einst an dieser Stelle konzipierten Cafés die Komödie zwischen Erdgeschoss und Souterrain erbaut. Das Parkett wurde zur
131 Ebd. 132 Vgl. dazu bspw. F. E.: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der ‚Komödie‘“, in: BT, AbendAusg. (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5: „[…] und der kleinere Raum der Bühne und des Zuschauerraumes erlaubt höchst liebenswürdige intime Wirkungen.“ 133 Myra Warhaftig: „Monumental – expressiv – theatralisch. Zur Architektur Oskar Kaufmanns“, in: Oskar Kaufmann. Mit einer Einleitung von Dr. Max Osborn, repr. von 1928 mit einem Nachwort zur Neuausg. von Myra Warhaftig (= Neue Werkkunst), Berlin: Gebr. Mann Verlag 1996, im Nachwort: S. I–XII, hier S. V.
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Bühne hin abfallend, 2,10m unter Hofniveau, gebaut, um die fehlende Deckenhöhe des Erdgeschosses auszugleichen.134 Abbildung 18: Zuschauerraum der Komödie, Mitte der 1920er Jahre
134 Die meisten folgenden Informationen sind der detaillierten Arbeit Oskar Kaufmann. Ein Theaterarchitekt zwischen Tradition und Moderne (= Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin 28), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2001 von Antje Hansen entnommen. Da im Rahmen des vorliegenden Buches nur die für die Forschungsfrage relevanten Merkmale der Komödie referiert werden können, sei den interessierten Lesern und Leserinnen Hansens Arbeit mit ihren plastischen und umfangreichen Beschreibungen sehr empfohlen. Für einen vertieften Einblick in Geschichte und Architektur der Komödie seit ihrem Beginn bis in die heutige Zeit sei Dietrich Worbs: ›Komödie‹ und ›Theater am Kurfürstendamm‹. Das Erbe von Oskar Kaufmann und Max Reinhardt, München u. Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007 auch aufgrund der zahlreichen Abbildungen empfohlen.
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Der Architekt Paul Zucker stellte dennoch „auffallend bescheidene Höhenmaße“135 fest. Zucker beschreibt weiter, dass die Komödie im Gegensatz zum Theater am Kurfürstendamm mit „reinsten und einfachsten Mitteln“136 auskam. Sie sei „saalartig zusammengefaßt, die Wände durch zwei Reihen von Logen aufgeteilt, die in ihrer Gesamtheit doch eine einheitliche Rückwand ergeben. Bei aller festlichen Bewegtheit doch viel strenger und architektonisch struktiver als das Theater am Kurfürstendamm. Ausgesprochen festlicher Charakter, unterstützt durch die lockeren impressionistischen Fresken Hans Meids (Anklänge an Festdekorationen des 18. Jahrhunderts), durch starke Verwendung von Glas bei den Beleuchtungskörpern und reiches Schmiedewerk. Wände und Decke in leichtem zitronengelb-crême, Vorhang, Dekorationen und Sitze bordeauxrot, Malerei hell weinrot.“137
Wie die eingangs angebrachten Beispiele, ist auch Die Komödie bautypologisch ihrem Verwendungszweck nach zu kategorisieren. Die Kunshistorikerin Susanne Höper138 macht darauf aufmerksam, wie Max Reinhardt, unter dessen Name auch die Produktion von Es liegt in der Luft lief, „für die von ihm entwickelten unterschiedlichen Regiekonzepte jeweils spezifische ‚Theater-Gehäuse‘ geschaffen“139 habe. Er habe „sich um die für die bewußte Erfassung des Spielvorganges wesentliche Einstimmung des Instrumentes Raum“ bemüht und so „Kleinsttheater mit der Atmosphäre privater Geselligkeit, Kammerspiele, Massentheater in Groß-
135 Paul Zucker: „Oskar Kaufmann. Komödie, Berlin 1925“, in: Ders.: Theater und Lichtspielhäuser, Berlin: Wasmuth 1926, zit. nach: Knut Boeser u. Renata Vatková (Hrsg.): Max Reinhardt in Berlin (= Stätten der Geschichte Berlins 6), Berlin: Edition Hentrich im Verl. Frölich & Kaufmann 1984, S. 301f., hier S. 301. 136 Ebd. Im Kontrast zur Komödie zeichnete sich das Theater am Kurfürstendamm, ebenfalls unter engsten Raumverhältnissen entstanden, durch „überreiche Ornamentik“ und „starkes plastisches Dekor“ in den Farben „zartes lachsrosa, blauviolett, bleu und crême, reiche Versilberungen gegen diese zarten Hintergründe. Vorhang silbergraufraise“ aus (ebd.). 137 Ebd., S. 301f. 138 Susanne Höper: Max Reinhardt: Theater – Bauten und Projekte. Ein Beitrag zur Architektur- und Theatergeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Diss. Univ., Göttingen 1994. 139 Ebd., Vorwort, unpaginiert.
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raumhallen, Arena und Raumbühne, Saaltheater, Theaterlandschaft und Freiräume wie Zirkusmanegen oder die Architektur ganzer Stadtplätze“ geschaffen.140 Das von Reinhardt in Auftrag gegebene Theater am Kurfürstendamm und die benachbarte Komödie wurden ihrerseits durch ihre Architektur „zum Inbegriff des Boulevardtheaters der zwanziger Jahre“141. Diese Gattung erfreute sich in Berlin unter Reinhardts Leitung „in Form von Gesellschaftskomödien und Konversationsstücken“142 großer Beliebtheit. Entsprechend dem französischen Vorbild zeichnete sich die „Boulevardtheater-Dramatik […] durch einen Wandel vom Öffentlichen zum Privaten, vom unübersehbaren Personenaufgebot zu Zwei- und Dreipersonen-Stücken und von der Handlungsvielfalt zu einer einfachen Linie aus“143. Es liegt in der Luft fügte sich mit der bewussten Reduzierung des Personals, des Kostüms und des Bühnenbilds sowie mit seinem aus dem großstädtischen Alltagsleben entnommenen Plot ideal in einen solchen Spielplan von Boulevardstücken ein. Dass auch die Architektur auf dieses Programm hin konstruiert wurde, beschreibt Antje Hansen weiter: „Für die Gebäude der Boulevardtheater ergaben sich besondere Bedingungen. Da sie in der Regel nur eine geringe Anzahl von Besuchern fassen mussten, waren sie relativ klein dimensioniert, wurden meist als reine Logentheater konzipiert und verzichteten auf den Einbau von Rängen. Die Bühne hatte nur geringe Abmessungen und verfügte weder über eine aufwendige technische Ausstattung noch über zahlreiche Nebenräume.“144
Der hufeisenförmige Zuschauerraum der Komödie spiegelte eine solch intime, bewusst kleingehaltene Atmosphäre mit seinen 469 Plätzen wider.145 Kaufmann verzichtete bei seinen Boulevardtheatern am Kurfürstendamm auf „störende Rangbalkone“, beschränkte sich „auf den Einbau von Logen in die Saalrückwand“, ließ den Innenraum jedoch, dem Wunsch nach „einer heiteren Atmosphäre folgend“, in einem hellen Grundton streichen und mit dem Charakter eines „barock inspirierten Festraums“ stärker gerundet ausrichten.146
140 Ebd., S. 1. 141 Antje Hansen: Oskar Kaufmann, S. 103. 142 Ebd., S. 102. 143 Ebd. 144 Ebd., S. 103. 145 Ebd., S. 321. 146 Ebd., S. 106.
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Abbildung 19: Logen in der Komödie, Mitte der 1920er Jahre
Einer Theaterauffassung entsprechend, die den theatralischen Rahmen nicht auf die Bühne beschränkt, sondern auch den Zuschauerraum mit einbezieht, lässt sich die überschaubare Bühne (6,95m Tiefe, 14,50m Breite, 5,65m Höhe) ohne technische Raffinessen147 mit der Intention der Boulevardtheaterstücke erklären: In der Komödie stand das Publikum im Zentrum, das in den aufgeführten Stücken seine Unterhaltung, aber auch seine Entsprechung fand. Joseph Roth schrieb 1924 im Prager Tageblatt: „Denn in einem Theater, in dem das Publikum spielt und die Bühne ein geschmackvoller Vorwand ist, wird der Erbauer ein Schöpfer und ein Regisseur“148. Und auch der Berliner Börsen Courier sieht in der Komödie eher einen eleganten Gesellschaftssalon verwirklicht, „auf dessen Bühne auch ein wenig Theater gespielt werden kann“149. Die Eignung der Komödie als Spielort für die Kabarettrevue Es liegt in der Luft drängt sich geradezu auf. Sie kam mit ihren kleinen Abmessungen und der damit erzeugten Intimität sowie ihrer gleichzeitigen Festlichkeit dem ambivalenten Charakter der Gattung Kabarettrevue perfekt entgegen. Gleichzeitig konstituierte ein so angelegter Theaterraum auch den passenden Rahmen für Lions ambi-
147 Ebd., S. 321. Vgl. auch Susanne Höper: Max Reinhardt: Theater – Bauten und Projekte, S. 143. 148 Zit. nach: Myra Warhaftig: „Monumental – expressiv – theatralisch“, S. I. 149 Artikel aus BBC 57, Nr. 515/26 (01.11.1924), zit. nach: Susanne Höper: Max Reinhardt. Theater – Bauten und Projekte, S. 143.
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valentes Image: „Margo Lion ist eine echte Überbretteel-Erscheinung, ins moderne übertragen.“150 Die Komödie übernahm als Institution des Boulevardtheaters die schlichte Intimität des Kabaretts (des Überbrettls), von dem das Kollektivimage der Diseuse nicht zu lösen ist und an das auch Lions Image gebunden ist. Gleichzeitig erweiterte Kaufmann diesen Kabarettraum für ein größeres Publikum und auch für ‚moderne‘, großstädtische Themen. Der Theaterraum der Komödie ist eine Art Zwischenraum: ein Raum, an dem „an sich unvereinbare Platzierungen“151 zusammenlaufen können, da der theatralische Raum „niemals oder doch kaum je identisch mit dem realen Raum, der auf der Bühne existiert [ist], ebenso wie die reale Zeit der Aufführung nur sehr selten mit der im theatralischen Kunstwerk erlebten Zeit zusammenfällt [Hervorheb. orig.]“152. In diesem Zwischenraum werden Projektionen und Normen einer Gesellschaft ausgehandelt. In Es liegt in der Luft ist es das Warenhaus und die mit ihm einhergehenden Sphären des Konsums, der Mode und der Unterhaltung, die so sehr dem Typus der Neuen Frau zugeschrieben wurden. Abbildung 20: Bildpostkarte: Berlin-Charlottenburg, Die Komödie, Kurfürstendamm 206/207
150 Rezension Nr. 2. 151 Michael C. Frank: „Heterotopie“, S. 287. 152 Max Herrmann: „Das theatralische Raumerlebnis“ [1931], in: Stefan Corssen: Max Herrmann und die Anfänge der Theaterwissenschaft. Mit teilweise unveröffentlichten Materialien (= Theatron. Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste 24), Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1998, S. 270–281, hier S. 271.
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Doch Die Komödie ist auf einer noch existentielleren und spezifischeren Ebene Zwischenraum, der wiederum das Geschehen der fiktionalen Revue und die Herkunft von Lions Image als groteske Neue Frau verdinglicht. Das Theaterhaus ist in eine Häuserfront mitten auf dem Kurfürstendamm, einer der Kultur- und Vergnügungsmeilen Berlins, eingepasst: „Ein reizendes Kunststück für sich, wie das ganze Theater in das niedrige Erdgeschoß, ja zum Teil in den Souterrain eines Bürohauses eingebaut, fast hineingeschmuggelt wurde. Der von der Straße Eintretende, von interessanten Systemen leuchtender Röhren empfangen, merkt kaum, daß er sanft mehrmals einige Stufen heruntergeführt wird, während er sonst zum Theater hinaufzusteigen pflegt.“153
Einst als Bürohaus in Kombination mit einem Kino und Café geplant, nimmt die Komödie nun deren Raum als großstädtische Vergnügungsstätte ein. Der Raum der Großstadt scheint durch die architektonische Führung direkt in seine Darstellung auf der Bühne zu münden.154 So findet nicht nur auf der Spielfläche eine Auseinandersetzung mit der Alltags- und Unterhaltungskultur der Weimarer Republik zwischen Angestelltenwesen und Freizeitvergnügen statt, Die Komödie ist architektonisch selbst Teil einer solchen Kultur. Zwischen Institution, Bühnenwerk und Darstellerimage ergibt sich ein Spannungsfeld von Realität, Fiktion, Projektionen und Imaginationen, das sich auch in der Bühnen- und Kostümgestaltung widerspiegelt.
153 Max Osborn: „Einleitung“, in: Oskar Kaufmann, S. VII–XVII, hier S. XIV. 154 Zur Bedeutung des Standortes eines Theaters vgl. Elmar Buck: „Der Ort des Theaters“, in: Renate Möhrmann u. Matthias Müller (Hrsg.): Theaterwissenschaft heute. Eine Einführung, Berlin: Reimer 1990, S. 187–215, hier S. 189: „Seit dem Entstehen eigentlicher Theater, d. h. von Gebäuden, die für Theaterspiel gebaut oder für dieses genutzt wurden, kam ihrem Standort immer mehr Bedeutung zu, denn dieser trug mit zur Definierung des Theaters bei, gerade dadurch, daß die einmal getroffenen Entscheidungen für den Platz so leicht nicht rückgängig zu machen war. Sei es, daß der Standtort des Theaters durch administrative Vorgaben bestimmt oder aufgrund freier Entscheidung – welcher Motivation auch immer – gewählt wurde, das Theater steht mit ihm in einem urbanen Kontext. […] Darüber hinaus lassen sich, was die Einbindung des Theaters in das übrige Stadtgefüge anbelangt, immer wieder eigentümliche Wahlnachbarschaften zu anderen Einrichtungen des kulturellen Lebens bzw. des Entertainments beobachten; sei es, daß das Theater deren Nähe sucht oder diese den Theatern folgen.“
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Das Bühnenbild „Bühnenkunst ist Raumkunst“ schreibt der Theaterwissenschaftler Max Herrmann in seinem 1931 erschienenen Aufsatz „Das theatralische Raumerlebnis“155 und stellt wie viele andere fest, dass das Bühnenbild dennoch nie Selbstzweck, sondern abhängig von den Akteuren und Akteurinnen der Bühne sei.156 Die Bühnengestaltung diene nicht ausschließlich der mimetischen Darstellung eines Raumes, sondern der „Vorführung menschlicher Bewegung i m theatralischen Raum [Hervorheb. orig.]“157. Diese Bedeutung beziehungsweise gar die einzige Funktion des Bühnenbilds führt Ottmar Schuberth weiter aus: „All dies, was wir unter dem Begriff ‚Bühnenbild‘ zusammenfassen, kommt erst voll zur Geltung, wenn der Mensch als Schauspieler darin agiert. Mag für das Leben der Satz gelten: ‚Der Mensch ist das Maß aller Dinge‘, so gilt hier: ‚Der Schauspieler ist das Maß aller Bühnen-Dinge.‘ Auf ihn muß das Bühnenbild bezogen sein, wobei es entscheidend ist, ob er allein, zu zweit oder im Chor auftritt. Ihn sollte der Bühnenbildner schon beim Entwurf vor Augen haben, vollends bei stark mit Beleuchtungseffekten arbeitenden Inszenierungen, bei denen mitunter der Darsteller, im Lichtkegel des Verfolgungsscheinwerfers stehend, den Hauptteil des Bühnenbildes selbst ausmacht. […] Damit ist klar gesagt: Mittelpunkt ist stets der Schauspieler; die szenische Ausstattung, das Bühnenbild soll mit sparsamsten Mitteln das Wesentlichste möglichst nur andeuten. Es soll nur das sichtbar machen, was für das Drama sinnbildhaften Wert hat. Alles andere, Überflüssige sollte wegbleiben.“158
Wenn auch das Bühnenbild der Oper, des Schauspiels, der Operette oder der Revue jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten und Notwendigkeiten folgt (die Präsenz und Dominanz des Bühnenbilds steht in der Operette und erst recht in den ausstattungsreichen Formen der Revue deutlich mehr im Vordergrund als in Oper und
155 Max Herrmann: „Das theatralische Raumerlebnis“, S. 270. 156 Vgl. dazu auch die hierarchische Anordnung von Elementen einer Inszenierung, an deren erster Stelle die Darstellenden stehen und an zweiter der Raum: Adolphe Appia: „Acteur, espace, lumière, peinture“ [postum 1954], abgedruckt und ins Deutsche übersetzt in: Denis Bablet u. Marie-Louise Bablet (Hrsg.) Adolphe Apia. 1862–1928. Darsteller – Raum – Licht. Eine Ausstellung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, übers. von Guido Meister, neue, rev. Aufl., Zürich: Atlantis-Musikbuch-Verlag 1982; Vgl. zudem Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild. Geschichte. Gestalt. Technik, München: Verlag Georg D.W.Callwey 1955, S. 134. 157 Max Herrmann: „Das theatralische Raumerlebnis“, S. 271. 158 Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild, S. 134f.
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Schauspiel),159 so kann wohl dennoch festgehalten werden, dass die Konzeption des Bühnenbildes in jeglicher Hinsicht auf die Inszenierung der Darstellenden ausgerichtet ist. Dabei tritt es in Wechselwirkung zum Text, zur Performance und zu den Kostümen, „denn der schönste Bühnenbildentwurf kann in der Praxis scheitern, wenn er nicht mit der darin agierenden Figurine ein harmonisches Ganzes bildet, da er nur mit ihr zusammen bestehen kann.“160 Das Bühnenbild der Revue Es liegt in der Luft ist ausgehend von diesen Annahmen nicht nur als isolierter Teil eines Gesamtkunstwerkes zu verstehen. Vielmehr kann es auch als konstitutiver Anteil in Lions Image gesehen werden. Lion bewegt sich hier in einem dramaturgischen und architektonischen Raum, der um sie herum das Sujet der Neuen Sachlichkeit entstehen lässt, in dem sie ihre groteske Version der Neuen Frau und damit sowohl ihre Chanson-Protagonistinnen als auch ihre Bühnen-Persona lebendig werden lässt und schließlich ihr Image konsolidieren kann, weil diesem ein authentischer Rahmen geboten wird. Das bedeutet, dass die Analyse des Bühnenbildes für sich allein genommen zunächst nur begrenzten Wert hat. Es ist nötig, seine Gestaltung in den Zusammenhang der Performance einzubetten.161 Dennoch können dem Bühnenbild vor dieser Detailanalyse Indizien zur Imagekonstruktion Lions entnommen werden, gerade weil sie eine zentrale Rolle in der Aufführung spielt. Die Raum- und Bühnengestaltung verrät etwas über schöpferische Eigenleistungen ebenso wie über Kollektivvorstellungen, Erwartungen und Bedeutungszuschreibungen an eine Inszenierung. Und so wie die handelnden Personen im Sinne einer relationalen Raumtheorie den Raum beziehungsweise hier die Bühne konstituieren, so hat die Bühne Einfluss auf den „ganzen Habitus“162 der Schauspieler.
159 Vgl. ebd., S. 135–138. 160 Ebd., S. 147. Ein solches Konzept zur Funktion des Bühnenbildes entspricht letztlich den Auffassungen der Theatersemiotik, indem nicht nur einzelne Zeichensysteme innerhalb der Theateraufführung erkannt und analysiert werden, sondern vor allem zueinander in Bezug gesetzt werden, um so deren Bedeutung erfassen zu können: „Denn die Bedeutung szenischer Zeichen läßt sich nicht als Summe der je bestimmten sprachlichen, körpersprachlichen, bildlichen, musikalischen Ebenen und Elemente analysieren, sondern als deren gemeinsamer Nenner“ (Guido Hiß: „Zur Aufführungsanalyse“, in: Renate Möhrmann [Hrsg.]: Theaterwissenschaft heute, S. 65–80, hier S. 68). 161 Vgl. das Kapitel „Zusammenführende Chansonanalyse: ‚Die Braut‘“. 162 Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild, S. 274.
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Bei der Analyse des Bühnenbilds und der Kostümgestaltung in der Revue Es liegt in der Luft sieht man sich einem wesentlichen methodischen Problem gegenüber gestellt, nämlich dem, dass die Aufführungen in der Vergangenheit liegen, der Raum also nicht mehr direkt erfahrbar ist und dass darüber hinaus neben wenigen Aufnahmen der Chansons und dem Textbuch nur noch einzelne Szenenfotografien erhalten sind. Die folgenden Ausführungen müssen sich auf diese wenigen Quellen stützen. Sie haben jedoch insofern ihren Wert, als dass sie der einzig adäquate Weg einer Aufführungsanalyse sind. „Aufführungsanalyse ist mit der Dokumentation der Aufführung untrennbar verbunden; und in der Analyse selbst rettet sich zwar nicht der ‚Theaterabend‘ über die Zeiten; er geht aber auch nicht ganz verloren; zumindest erhält sich ein wichtiger Aspekt: sein Eindruck im Kopf des Analysierenden.“163
Gerade weil sich die Analyse nicht mehr auf ein Live-Erlebnis beziehen kann, ist umso mehr eine gewisse methodische Reflexion des subjektiven Interpretierens, des Umgangs mit fremden Erinnerungen, also die „Historisierung und Relativierung der eigenen Untersuchungsergebnisse durch Einbeziehung fremder Rezeptionszeugnisse“164, sowie die Offenlegung der Fragestellung, hinsichtlich der die Aufführung analysiert wird, notwendige Voraussetzung für eine solche Analyse. Die folgenden Analysen und Beschreibungen dienen der Frage, inwiefern die Bühnengestaltung als Stütze für Lions Image dienen konnte. Die Bedeutung des Bühnenbildes sollte jedoch insofern eingeschränkt werden, als dass es nur ansatzweise ihr Image der grotesken Neuen Frau inhaltlich stützen kann, indem es etwa stilistisch der Neuen Sachlichkeit entspricht. Wichtiger ist jedoch die strukturelle Funktion des Bühnenbildes. Es wurde bereits erläutert, dass Größe und Ausstattung der Komödie der Popularität und der Verbreitung von Lions Image dienten. In Hinblick auf das Bühnenbild ist dieser Aspekt nun zu erweitern: Welche Gegebenheiten des Bühnenbildes führten dazu, das Image Lions ‚in Szene zu setzen‘, also die Aufmerksamkeit des Publikums auf sie zu lenken? In die folgenden Interpretationen fließen Resultate aus der vergleichenden Analyse von stilistischen Merkmalen der Ausstattungsrevue mit dem programmatischen Anspruch der Kabarettrevue ein. Zudem können Tendenzen des Theaters in der Weimarer Republik, insbesondere in Bezug auf die Gestalter Emil Pirchan, Walter Trier und Dodo Wolff, einbezogen werden. Denn der österreichischen Kostümhistorikerin Annemarie Bönsch folgend, werden „speziell Maler oder
163 Guido Hiß: „Zur Aufführungsanalyse“, S. 66. 164 Ebd., S. 78.
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Bildhauer dann als Ausstatter herangezogen […], wenn sie in das Konzept der Inszenierung passen“165. Es lässt sich demnach zu einem gewissen Grad von den anderen Arbeiten Pirchans, Triers und Wolffs auch auf die Wirkungsintentionen der Kabarettrevue Es liegt in der Luft schließen. Zum anderen stellt die Theaterfotografie ein Medium dar, das erlaubt, ausgehend von den abgelichteten Motiven auf Regiekonzepte rückzuschließen, ohne dass dabei die dokumentatorischen Einschränkungen sowie der konstruktivistische und subjektivistische Eigenwert der Fotografie übersehen werden dürfen.166 Schließlich sind einige Bedeutungszuschreibungen aus der zeitgenössischen Presse zu entnehmen, um die Deutungen zu ergänzen, zu stützen oder auch zu relativieren.
165 Annemarie Bönsch: „Bühnenkostüm und Mode. Die ‚Unzertrennlichen‘“, in: Andrea Amort u. Ulrike Dembski (Hrsg.): Verkleiden. Verwandeln. Verführen. Bühnenkostüme aus der Sammlung des Österreichischen Theatermuseums (anlässlich der gleichnamigen Ausstellung, 25.11.2010–31.10.2011), Wien: Brandstätter 2010, S. 61–67, hier S. 64. 166 Anke Spötter verdeutlicht in ihrer Arbeit die Bedeutung der Theaterfotografie als eigenständiges Medium und zeigt gleichzeitig, wie sich die zugrundeliegenden Regiekonzepte auch in der Komposition der Fotografien wiederfinden lassen: Anke Spötter: Theaterfotografie der Zwanziger Jahre an Berliner Bühnen. Gestaltung und Gebrauch eines Mediums (= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte e.V. 76), Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte e.V. 2003, bspw. in ihrer Einleitung S. 5– 9, 29 u. 51ff.
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Abbildung 21: Es liegt in der Luft, Erstes Finale, 13. Bild, hier in einer Aufführung mit Blandine Ebinger (1. Reihe, 3. v. li.)
Abbildung 22: Es liegt in der Luft, 22. Bild mit dem Chanson „Ping-Pong“ (4. v. li.: Margo Lion)
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Der Eindruck eines kleinen, überschaubaren Spielraums, wie er mit der Beschreibung der Komödie bereits geliefert wurde, bestätigt sich beim Blick auf die erhalten gebliebenen Szenenfotos der Revue. Sie zeigen, dass sie auf einer schmalen Reliefbühne gespielt wurde, die durch zwei mittig angebrachte Pfeiler, einen beidseitigen Zwischenvorhang, einen Prospekt sowie eine dreistufige, über die ganze Breite der Bühnenfläche reichende Treppe strukturiert wurde. Es lässt sich weiter vermuten, dass Emil Pirchan eine Stilbühne mit fließendem Bühnenbild schuf, das sich auf die wesentlichsten Dekorationselemente beschränkte. Bereits die Einteilung der Revue in einzelne Bilder anstelle von größeren Zusammenhängen legt dies nahe.167 Gemeint ist sowohl die Gattung Revue mit ihrer losen Szenenfolge als auch die vorliegende Inszenierung mit ihrer szenischen Einteilung in einzelne Warenhausabteilungen. Bestätigung findet dieser Eindruck in der vergleichenden Betrachtung einzelner Szenenfotos. Der durch Treppe und Pfeiler strukturierte Raum blieb erhalten, er wurde lediglich den Szenen beziehungsweise den Warenhausräumen durch Vorhänge und Prospekte angeglichen, sodass die Bühne aus einer feststehenden Grunddekoration bestand, die dann durch auswechselbare Teile modifiziert wurde. Die zwei Pfeiler in der Mitte der Bühne wurden zu verschiedenen Zwecken eingesetzt. In der ersten Szene dienten sie laut Textbuch zum Beispiel Lichtprojektionen, um den durch die Abteilungen des Warenhauses sausenden Fahrstuhl darzustellen; in der Szene „Weiße Woche“ waren sie sakrales Element eines Kirchenraums und im ersten Finale mit dem Titelschlager „Es liegt in der Luft“ integrierter Bestandteil des Warenhausraums. Während die Bühne in der Szene „Weiße Woche“, in der Lion (auf der Gastreise Ebinger) das Chanson „Die Braut“ kreierte, allein aus der leeren Bühne mit den Pfeilern und der Treppe sowie dem Zwischenvorhang bestand, wurde in der Szene „Es liegt in der Luft“ auf Vorhänge gänzlich verzichtet. Den Hintergrund dafür bildete ein Prospekt, für den Walter Trier mit dem Warenhaus, der Großstadt und der Revue mehr oder weniger assoziierbare Gegenstände gemalt hat (z. B. eine Geige und ein Saxophon, eine Rose, das Zwillingspaar im Babybett, einen Kaktus und eine Wurst).
167 Vgl. dazu Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild, S. 135. Vgl. dazu auch Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue, S. 135: „Für die allgemeine Gestaltung des Bühnenbildes in der Revue war neben oft unzureichenden räumlichen und bühnentechnischen Verhältnissen die rasche Umbaumöglichkeit der Vielzahl von Bildern bestimmend. Da die Drehbühne noch keine allgemeine Verbreitung gefunden hatte, bestand die Szenendekoration selbst für Ausstattungsbilder meist aus einer konventionellen Kulissenbühne mit wenigen bemalten Seitenkulissen, praktikablen Versatzstücken und einem bemalten Hintergrundprospekt. Vorhänge bildeten die Sofitten“.
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Trier gestaltete laut Programmheft außerdem die Bühnenbilder der Szenen „Abgegebene Hunde“, „Spielwaren“ und „Nippes“. Leider existieren von diesen keine Fotografien. Einzig die Regieanweisungen im Bühnenmanuskript von „Abgegebene Hunde“168 und „Nippes“169 erlauben die Vermutung, dass Trier für die harmlos-karikaturistischen, verspielten, „puppigen“170 Elemente der Revue zuständig war.171
168 Die Regieanweisung sieht für diese Szene folgenden Aufbau vor: „In der Mitte sieht man den riesigen, überlebensgroßen Unterteil des Portiers, bei dem die Hunde abgegeben werden. An langen Hundeleinen hält er die überlebensgroßen gemalten, parodierten Modehunde (Versatzstücke), teilweise mit Augen zum Rollen und Schnauzen und Ohren zum Wackeln.“ (Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 14). 169 Auch diese Szene basiert auf fantastischen, märchenhaften Elementen: „Es schlägt dumpf 12 Uhr, Vorhang auf. Zwischen den Bogenpfeilern der Hintergrunddekoration stehen 5 Nippesfiguren, ganz in weiß, in bläulichem Mondlicht. Mitte: Tänzerin als Aschenbecher; rechts und links: Traubenesser, Amor, Wasserträgerin, Kugelspielerin. Sie stehen als Gruppe unbeweglich“ (ebd., S. 33). 170 „Unter der Regie von Forster-Larrinaga, mit den Bildern von Walter Trier und Emil Pirchan, steht etwas Puppiges, kaum irgendwo Ruppiges auf, das man mit kindlicher Freude geniesst“ („‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der ‚Komödie‘“, in: BT, AbendAusg. (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.4). 171 Vgl. dazu Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5: „Die Bilder, sämtliche Abteilungen des Warenhauses enthüllend, spielen sich vor einem architektonischen Rahmen von Pirchan ab, in dem öfters gemalte Geschöpfe aus Tier- und Menschenreich sichtbar werden mit der humorvollen Phantasie oder dem phantasievollen Humor, durch den Walter Trier zu unserem lustigsten Zeichner ward.“ Einen weiteren Eindruck von Triers Stil kann man durch seine Illustrationen für Erich Kästners Kinderbücher und auf den Titelblättern des UHUs aus dem Ullstein-Verlag gewinnen. Aufschlussreich ist darüber hinaus seine eigene Beschreibung der Szene „Kindertraum“, die er für Charells Revue An Alle… (1924) gestaltete: „… Für einen alten Sammler solcher Dinge [Spielzeug] wie mich mußte es reizvoll sein, Figuren und Dekorationen für ein Spielzeugballett zu erfinden. […] Sogleich fing meine Phantasie an zu arbeiten: das Militär drängte sich vor, das Trommler-Regiment wurde hingezeichnet, die Reiterei, die Matrosen, die Fahnenkompanie, die Riesengarde. – Und kaum war dies zu Papier gebracht, kam ein Einfall nach dem anderen! Es ging nicht anders: Eine Eisenbahn mußte mit exotischen Passagieren herangerollt kommen, ein Luftballon mußte landen, Harlekine ihm entsteigen und mit ihren grotesken Sprüngen
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Für Lions Image bedeutsamer erscheinen jedoch Pirchans bühnengestalterische Elemente. Hier ist ein bestimmtes architektonisches Detail der Bühne in ganz besonderem Maße für die Inszenierung von Lion wesentlich, für das Pirchan bereits Spezialist war: die Treppe. Sie ist zunächst zeitgeschichtlich zu deuten. Der Architekt und vor allem als expressionistischer Bühnenbildner172 berühmt gewordene Pirchan entwickelte gemeinsam mit Leopold Jessner am Deutschen Staatstheater Berlin die so genannte Stufenbühne, auch Jessner-Bühne genannt.173 In Jessners Theaterkonzept, das sich gegen Max Reinhardts Realismus wendete, bildet die Treppe das Zentrum des Bühnenbildes und löst die Dekorationsmalerei weitestgehend ab. Sie wirkt sowohl „raumsymbolisch als auch raumgliedernd“174. Wie „kaum ein Theater in Deutschland, das ‚Zeitgemäßes‘ geben will, ohne die berüchtigte Treppe“ 175 auskam, stellt auch in der Revue Es liegt in der Luft die über den gesamten Bühnenraum angelegte, dreistufige Treppe das Zentrum des Bühnenbildes dar. Sie symbolisiert zum einen die verschiedenen Ebenen des Warenhauses und wird zum anderen zum sakralen Motiv in der Szene „Weiße Woche“. Wie in Jessners Inszenierungen kann vermutet werden, dass sie auch in Es liegt in der Luft dem raschen Szenenwechsel diente, um dem spezifischen Tempo der Revue, aber auch dem dargestellten Milieu entgegenzukommen. Gleichzeitig strukturiert sie die Bühne, indem sie die aus der Ausstattungsrevue bekannten
helfen, damit das militärische Gespränge ein wenig ironisiert würde und damit kein allzu kriegerischer Eindruck aufkäme. […] Und nun kamen die Beleuchtungswunder der modernen Bühne hinzu und zauberten in dem ‚Kindertraum‘ der Revue wirklich etwas von den Reizen vor, die wir beim Durchblättern alter, lieber Bilderbücher empfinden“ (Walter Trier in: Die Dame, Nr. 6, zweites Weihnachtsheft [1924], zit. nach: Antje Neuner-Warthorst [Hrsg.]: „Da bin ich wieder!“ Walter Trier. Die Berliner Jahre, Berlin: SMPK 1999, S. 24). 172 Vgl. Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild, S. 110. 173 Vgl. hierzu mit Bildern von Pirchans Bühnengestaltungen: Felix Ziege (Hrsg.): Leopold Jeßner und das Zeit-Theater, Berlin: Eigenbrödler Verlag 1928 u. Julius Bab: Das Theater der Gegenwart. Geschichte der dramatischen Bühne seit 1870 (= Illustrierte theatergeschichtliche Monographien 1), Leipzig: Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber 1928, S. 181–183. 174 Anke Spötter: Theaterfotografie der Zwanziger Jahre an Berliner Bühnen, S. 38. Zur Jessner-Treppe vgl. außerdem: Leopold Jessner: „Die Treppe – eine neue Dimension“ [1922] und „Die Stufenbühne“ [1924], in: Hugo Fetting (Hrsg.): Leopold Jessner. Schriften. Theater der zwanziger Jahre, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1979, S. 154f. u. 155–157 175 Leopold Jessner: „Die Treppe – eine neue Dimension“, S. 154.
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Girl- und Tanzformationen ermöglicht und die „Hierarchien zwischen den Personen einer Inszenierung […] durch die höhere und tiefere Anordnung der Schauspieler auf den Stufen“176 symbolisiert. Damit kommt die Treppe nicht nur einem ästhetischen Bedürfnis entgegen, sondern erhält auch die Funktion der Starinszenierung. Auch wenn die Revuetreppe nicht uneingeschränkt mit der JessnerTreppe zu vergleichen ist (die eine zielt auf die Inszenierung eines Körpers und einer Ausstattung und damit auf den Effekt ab, während die andere inhaltliche und dramaturgische Aussagen symbolisch darstellen soll), so strukturieren sie doch beide das Verhältnis der Darsteller und Darstellerinnen zueinander und damit vor allem auch im Unterhaltungstheater das Verhältnis vom Star zum Statisten: „Das Requisit der Treppe muß im Zusammenhang mit dem Phänomen des Stars gesehen werden. Denn die in die Ausstattungsrevue aus technischen Erwägungen heraus eingeführte Treppe diente sehr bald der Steigerung der emotionellen Wirkung des Stars.“177
In der Szenenanalyse „Die weiße Woche“ mit Lions Chanson „Die Braut“ wird zum Beispiel noch im Detail zu zeigen sein, wie hier Lion im Changieren zwischen den Idealbildern der Braut, der weißen Primadonna und der Diva von den sie umgebenen Girls abgesetzt und als Star inszeniert wird, wie sie aber auch gleichzeitig auf parodierende Weise mit solchen Inszenierungen bricht. Die Treppe dient dort nicht nur als Symbol für die Überhöhung des Stars, durch ihre auffällige Reduzierung auf drei niedrige Stufen ist sie Teil von Lions parodierender Performance. Insgesamt passt die Beschaffenheit der Treppe in das reduktionistische Bühnenbild von Es liegt in der Luft, das im schroffen Gegensatz zum Prinzip des ‚Immer Höher – Immer Größer‘ der Ausstattungsrevue stand und mitunter aus genau diesem Grund auch kritisiert wurde: „Hinter dem Aushängeschild ‚Groteske‘ versteckt sich nur die Billigkeit der Ausstattung. Ohne einen gewissen Glanz der Ausstattung lässt sich der Begriff der Revue nicht denken. Diese Kunstgattung ist nun einmal unter dem Stern des Überflusses und des Glanzes geboren. Wenn hier eine ‚Kammerrevue‘ antreten soll, so ist das meiner Meinung nach abermals eine Flucht aus notwendigen Verpflichtungen. Denn wenn der Luxus der Revue sich aus den Dekorationen und der Statisterie in den Geist flüchtet, dann muß dieser G e i s t auch wirklich da sein. Kammerrevue o h n e Geist ist hölzernes Holz. Ich verstehe sehr gut, daß
176 Anke Spötter: Theaterfotografie der Zwanziger Jahre an Berliner Bühnen, S. 39. 177 Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue, S. 138.
208 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK ein Meister wie Reinhardt die Revue aus den Niederungen, in denen sie jetzt liegt und an denen sie schon zugrunde gegangen ist, herausführen will. Aber dann darf er nicht so ärmliche Dinge zur Schau stellen wie in diesem Fall [Hervorheb. orig.].“.178
Im Gegensatz zum hier zitierten Literaturwissenschaftler und Kritiker Friedrich Kummer wurde von den meisten Rezensenten hinter der „Billigkeit der Ausstattung“ aber gerade der geforderte kommentierende und ironisierende Geist der Revue herausgearbeitet: „Die Lächerlichkeiten und Laster unserer Warenhauszivilisation werden hier nicht von einem satirischen Dichter gebrandmarkt, sondern von einem Theaterroutinier, unter Beihilfe wirkungskundiger, in ihrer Art sicherlich bedeutender Bühnenbildner wie W a l t e r T r i e r und E m i l P i r c h a n , geflissentlich ausgebreitet und in zahmen Couplets gestreichelt. […] Daß ein Regisseur wie F o r s t e r L a r r i n a g a , wenn ihm ein Reinhardt-Ensemble, zwei exzellente Bühnenmaler und die humorreiche, charakteristische Musik M i s c h a S p o l i a n s k y s zur Seite stehen, aus diesem Zwitter von Textbuch ein restlos zusammengestimmtes Ganzes von einprägsamer Bildhaftigkeit und wirbelnder Luftigkeit zu gestalten vermag, ist von vornherein klar. Der gestrige starke Premierenerfolg der Berliner Gäste war im wesentlichen ein Triumph dieser exakten und zielbewußten Bühnentechnik [Hervorheb. Orig.].“179
Die reduktionistische Bühnenausstattung ist nicht nur der kleinen Bühne der Komödie oder gar den Umständen der Gastreise geschuldet, wie manch ein Rezensent vermutete.180 Sie entspricht vielmehr dem programmatischen Anspruch der
178 Friedrich Kummer: „‚Es liegt in der Luft‘. Berliner Revue-Gastspiel in der Komödie“, in: Dresdner Anzeiger (15.01.1929), AdK S/L, Sig. 2.4). 179 Dr. Max Adler: „‚Es liegt in der Luft.‘ Max-Reinhardt-Revue in der Komödie“, in: Sächsische Staatszeitung, (15.01.1929), AdK S/L, Sig. 2.4). Vgl. dazu auch: „In Reinhardts ‚Komödie‘ am Kurfürstendamm erhält die Revue von Walter Trier und Emil Pirchan eine parodistisch witzige Stilisierung“ (Ismar Lachmann: „Berliner Theater. Drei aktuelle Revuen: ‚Es liegt in der Luft‘ – ‚Tempo Tausend‘ – ‚O Kurfürstendamm‘“, in: Breslauer Zeitung (19.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5). 180 Vgl. bspw. „Friedrich-Theater. Revue-Gastspielabend der Komödie Berlin“; in: Anhalter Anzeiger, Dessau (01.02.1929), AdK S/L, Sig. 2.4: „Was es [das Ensemble] bot, war recht nett und unterhaltsam. Aber man kann sich glanzvollere Revuen denken. […] Auch Aufmachung ließ hier und da zu wünschen übrig, was allerdings damit
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Kabarettrevue, die Ausstattung der großen Revuen durch Betonung von Inhalt, Text, Musik und Performance ersetzen zu wollen: „Daß nicht mit Hilfe der vom Warenhaus billig gebotenen Requisiten, sondern fast unter Verzicht auf Dekoration, Requisit und Ausstattung, lediglich durch Einfall, Musik und Darstellung der große Publikumserfolg erzielt ward, ist der, wenn man will, künstlerische Erfolg dieser Revue.“181
Das Bühnenbild von Es liegt in der Luft entspricht mit diesem künstlerischen Anspruch der Abkehr von einer bloß mimetischen und plastischen Konzeption im Sinne eines Hintergrundgemäldes, das „perspektivistisch und illusionistisch […] den szenischen Raum auf ein bestimmtes Milieu fixiert“:182 „Seit Beginn des 20. Jh. ist im Bereich der Bühnenbild-Gestaltung eine deutliche Reaktion gegen diese Tradition erkennbar. Das Bühnenbild löst sich von seiner mimetischen Funktion und wird zum inneren Antrieb des Gesamtschauspiels. Es gestaltet den gesamten szenischen Raum in seiner Dreidimensionalität, aber auch durch die leeren Stellen, die es bewußt freiläßt. Es wird beweglich, vermag sich auszudehnen[…], fügt sich dem Spiel der Akteure, zwingt diese aber auch in spezifische Bewegungsrhythmen.“183
Pavis‘ und Schneilins Einschätzung zur bedeutungstragenden Rolle des Bühnenbildes findet in einem Dokument Bestätigung, das für diesen Kontext vor allem deshalb wertvoll ist, weil daraus Pirchans Standpunkt zur Funktion des Bühnenbildes hervorgeht. In einer Umfrage zum aktuellen Stand des Bühnenbilds in der Zeitschrift Die Scene von 1928 äußerte Pirchan, dass die beste Theaterdekoration diejenige sei, „die keine Theater-‚Dekoration‘“ und die beste Bühnenausstattung
entschuldigt sei, daß bei einem einmaligen Gastspiel natürlich nicht Requisiten, Toiletten und alles das andere mitgeführt werden können, was man bei dauerndem Spiel an einem Orte zur Verfügung hat.“ 181 Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.5.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 182 Patrice Pavis u. Gérard Schneilin: Art. „Bühnenbild“, in: Manfred Brauneck u. Gérard Schneilin (Hrsg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, übers. von Horst Schumacher (= Rowohlts Enzyklopädie 417), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1986, S. 160–165, hier S. 160. 183 Ebd., S. 161.
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diejenige, „die keine Bühnen-‚Ausstattung‘“ sei; das beste Bühnenbild sei dasjenige, „das kein Bühnen-‚Bild‘“ sei und schließlich der beste Bühnenraum derjenige, „der kein Bühnen-‚Raum‘“ sei. Pirchan forderte „ein selbstständiges Theater des Auges / Schau-Spiel!!!/ als Schwester des Theaters des Geistes, des Theaters des Ohres, alle mitdienend am Gesamtkunstwerk der Bühne, – also… Theater des Gefühls, das auch hier alles ist!“184
Auch für Pirchan ist das Bühnenbild nicht nur Dekoration, Bild oder Ausstattung zum Zweck der Illustration. Es ist gleichrangiger Bedeutungsträger neben Text, Schauspiel etc. In Es liegt in der Luft ist auf das Bühnenbild als Zeichen (um einen Begriff aus der Theatersemiotik zu verwenden) gar nicht zu verzichten, da es in seiner Reduktion erst die Parodie der Ausstattungsrevue, die auf einem pompösen Bühnenbild basiert, verständlich macht. Abbildung 23: Margo Lion gemeinsam mit Oskar Karlweis, lebendigen und Pappgirls
184 Emil Pirchan in Die Scene XVIII (1928), zit. nach: Heinz Kindermann: „Bühnenbild 1928. Eine Frage und zwanzig Antworten“, in: Rolf Badenhausen u. Harald Zielske (Hrsg.): Bühnenformen – Bühnenräume. Bühnendekorationen. Beiträge zur Entwicklung des Spielorts. Herbert A. Frenzel zum 65. Geb., von Freunden und wissenschaftlichen Mitstreitern, Berlin: Erich Schmidt Verlag 1974, S. 187–198, hier S. 196.
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Pirchan, Trier und Wolff haben die typischen Elemente der Ausstattungsrevuen übernommen (Vorhänge, Girls, Treppe, Kostüme und sonstiges Dekor wie Pfeiler), diese jedoch, von einer tiefen Ausstattungsbühne kommend, einer flachen Reliefbühne, „ohne Drehbühne, ohne Hinterbühne, ohne nennenswerte Seitenbühnen und ohne auch nur einen Ansatz eines Schnürbodens“185 der Komödie angepasst. Auch die von Wolff kreierten Figurinen186 aus Pappe sind dieser Intention ‚entsprungen‘. Sie dienen in ihrer Pose mit gehobenem Bein als leblose Ergänzung der acht lebenden Girls zu einer Chorusline und symbolisieren in ihrer Beschaffenheit aus Pappe die Billigkeit, Oberflächlichkeit und Anonymität der in der Masse auftretenden Girls in der Ausstattungsrevue. Dass Dodo Wolff den Auftrag erhielt, diese Figurinen zu kreieren, mag kein Zufall sein. 1928 war sie bereits ein Jahr lang eine etablierte Modegraphikerin für die erfolgreiche und berühmte Illustrierte ULK.
185 Susanne Höper: Max Reinhardt: Theater – Bauten und Projekte, S. 143. 186 Es ist nicht mit letzter Sicherheit zu rekonstruieren, ob Wolff die Pappfiguren gezeichnet oder die Kostümentwürfe gestaltet hat – der Begriff der „Figurine“, wie er im Programm genannt wird, würde auf beides zutreffen. Da dort jedoch ebenfalls der Hinweis zu finden ist, dass die Damenkostüme von Herrmann Gerson seien (die Requisiten von A. Wertheim), außerdem die Nennung Wolffs als Gestalterin der Figurinen direkt unter der Nennung von Walter Trier und Emil Pirchan folgt und schließlich die Figurinen stilistisch eine überzeugende Ähnlichkeit zu Dodos ULK-Illustrationen aufweisen, kann davon ausgegangen werden, dass sie für die Pappfiguren verantwortlich zeichnet (mehrere Original-Programmhefte finden sich in AdK S/L, Sig. 707 u. 2.5).
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Abbildung 24: Dodo Wolff: „Rationalisierung“, ,für die Zeitschrift ULK (1928)
Die von Dodo Wolff entworfenen mondänen und neusachlichen Sujets passten programmatisch genau in das urbane Bild, das auch Es liegt in der Luft entwerfen wollte. Sie charakterisierten und karikierten eben jene bürgerlichen Großstädter und Großstädterinnen, die auch Lion zur Hauptangriffsfläche ihrer Parodien machte. Dabei sind sowohl in der körperlichen Haltung von Dodo Wolffs weiblichen Figuren als auch in ihrer Mimik auffällige Parallelen zu Lions Bühnen-Persona zu ziehen: „Ihre mondänen Sujets reflektieren treffsicher einzelne Situationen aus dem Leben der wohlhabenden Großstädter, ihre Wahrnehmungsperspektive entspricht einem teilweise beobachtenden, teilweise beteiligten Standpunkt mit fragmentarischen, fast fotografischen Momentaufnahmen. Sie kombinierte gerne große Eleganz mit humoristischen Bildelementen, erfreute sich an der differenzierten Ausarbeitung der Gesichtszüge, legte viel Wert auf die Gestaltung ausdrucksstarker Hände und auf entsprechende Körperposen – Elemente, die viel über die Grundstimmung der jeweiligen Szene aussagen. Die Mienen der Frauen drücken oft Langeweile aus, sie wirkten trotz der neu gewonnenen Freiheiten nicht zufrieden,
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sondern eher gleichgültig, teilweise einsam. Dodos Männer sind arrivierte Herren oder matte Jünglinge, sie leben in ihrem eigenen Universum, das mit dem der sie begleitenden Frauen augenscheinlich nur wenige Berührungspunkte hat. Der Glanz der sogenannten ‚Goldenen Zwanziger‘ ist in Dodos ULK-Blättern nicht ungebrochen, immer wieder spürt man die Schwierigkeiten im zwischen-menschlichen Umgang, das fragile Gleichgewicht zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Besonders intensiv ist Dodos Auseinandersetzung mit dem Idealbild der ‚Neuen Frau‘, wie es durch Bildmedien in Form von Zeitschriften oder Filmen, aber auch durch reale Vorbilder vermittelt wurde.“187
Die gelangweilten Papp-Girls von Wolff, die Karikaturen und das reduzierte Bühnenbild von Trier und Pirchan bildeten den Kontext einer Großstadt- und Revueparodie, wie sie Es liegt in der Luft darstellte. Sie gaben so auch Lions Parodien der grotesken Neuen Frau einen authentischen Rahmen, in den sich ihre gebrochenen Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae einfügen konnten.
187 Adelheid Rasche: „Dodo. Ein Leben in Bildern“, in: Renate Kümmer (Hrsg.): Dodo. Leben und Werk. Life and Work. 1907–1998, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2012, S. 9–16, hier S. 13. Vgl. außerdem im selben Ausstellungskatalog: Miriam-Esther Owesle: „Embleme des Zeitgeists. Dodos Illustrationen für das Unterhaltungsblatt ULK“, S. 33–34. Der Ausstellungskatalog zur gelungenen Ausstellung „DODO (1907–1998) – ein Leben in Bildern“, die vom 1. März bis zum 29. Mai 2012 in der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin stattfand, sei wegen dem umfassenden bildlichen und auch kommentierten Einblick in das Werk von Dodo Wolff und weil er bisher die einzige Publikation zu dieser interessanten Künstlerin ist, wärmstens empfohlen.
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Die Kostümgestaltung Wie das Bühnenbild unterstützt auch das Kostüm „– aus dem Verständnis der Zeitläufte gesehen – Geist und Ziel der Inszenierung“: „Es beeinflußt die Darstellungskraft des Schauspielers und trägt zur Wirkung auf das Publikum bei. Zeitgeist, Lebensverständnis und Weltkenntnis entscheiden weitgehend die Form des Bühnenkostüms; in diesem Zusammenhang macht das Bühnenkostüm durch Schnitt, Farbe, Dekor und Attribute dem Zuschauer den Dargestellten verständlich und erkennbar.“188
Wie bereits an Lions Bühnen-Persona in „Die Linie der Mode“ gezeigt wurde, ist das äußere Erscheinungsbild wesentlich für die Interpretation und das Verständnis des Chansons. Das Kostüm „macht Verborgenes sichtbar“189, indem es an Konventionen anknüpft, mit ihnen spielt oder sie parodiert. Dadurch beeinflusst es die Wahrnehmung des Bühnengeschehens insgesamt, verrät aber vor allem etwas „über Charakter, Geschlecht, Alter und Milieu einer Bühnenrolle.“190 Kothes zeigt in seiner profunden Dissertation zur Ausstattungsrevue darüber hinaus, inwiefern das Kostüm zum Instrument der Star-Inszenierung wird, da es „die Funktion der Überhöhung äußerlich“191 leiste. In den extrem aufwendigen Phantasiekostümen der Ausstattungsrevue verschmolzen „aktuelle Modetendenzen mit Rückgriffen auf historische Kostümformen, wie besonders dem Reifrock“192.
188 Dorothea Dieren: „Bühnenkostüm“, in: Manfred Brauneck u. Gérard Schneilin (Hrsg.): Theaterlexikon, S. 168–174, hier S. 168. 189 Ulrike Dembski: „Vorwort“, in: Andrea Amort u. Dies. (Hrsg.): Verkleiden. Verwandeln. Verführen, S. 11f., hier S. 11. 190 Ebd. 191 Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue, S. 129. 192 Ebd., S. 128. Vgl. zum Einfluss der Mode auf das Bühnenkostüm auch: Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild, S. 149f. und insbesondere Annemarie Bönsch: „Bühnenkostüm und Mode. Die ‚Unzertrennlichen‘“.
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Abbildungen 25 und 26: Margo Lion, Marlene Dietrich und Oskar Karlweis in der Szene „Sisters“
Die Kostüme von Marlene Dietrich und Lion in „Sisters“ (Abb. 25 u. 26) zeigen eine, wenn auch zur Zeit der Aufführung nicht allzu lang zurückreichende, historische Kostümform. Dort tragen sie die um 1900 modernen Reformkleider. Diese machen im Chanson-Text so nicht offensichtliche Konventionen und Kontexte sichtbar. Die besten Freundinnen werden zu zeitlosen Stereotypen, indem sie nicht nur, wie zunächst zu vermuten, Freundinnen im gegenwärtigen Warenhaus darstellen, sondern historisch in die Zeit um die Jahrhundertwende versetzt werden und damit auch den Kult um die weiblichen Varieté-Ensembles der Sisters evozieren. Anschaulich wird hier, dass auch die modische Revolution der 1920er Jahre Vorbilder und Vorläufer hat, ohne die die neusachliche Entwicklung des Kleidungsstils nicht zu denken gewesen wäre. Ganz aktuelle Modetendenzen zeigen sich in Es liegt in der Luft hingegen vor allem in der Alltagskleidung des Ensembles, wie auf den Szenefotos (Abb. 21 u. 22) zu sehen ist. Den modischen Richtlinien war im besonderen Maße das „elegante Abendkleid etwa der Commère“ unterworfen, welches zugleich „Themen der Ausstattungsbilder“193 aufzunehmen hatte.
193 Franz-Peter Kothes: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue, S. 128.
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Abbildung 27: Blandine Ebinger im Brautkleid in der Szene „Weiße Woche“
Lions und Ebingers sachlich geschnittenes Brautkleid ist dafür ein gutes Beispiel (Abb. 27 u. 29), wohingegen die in der gleichen Szene auftretenden Girls aus dem Rokoko stammende Reifröcke tragen. Genau an diesem Punkt findet eine interessante Verkehrung der aus der Ausstattungsrevue bekannten Hierarchisierung statt. Die Kostüme der Girls sind dort nämlich „weniger auf Pracht als auf Funktionalität ausgerichtet“194 und überließen der Diva den Starauftritt im prunkvollen Kleid. In der Kabarettrevue Es liegt in der Luft erscheinen die Brautjungfern-Girls in ihren Reifrock-Kostümen nun rückwärtsgewandt, wohingegen Lion und Ebinger als Braut dem sachlichen Kleidungsstil der aktuellen Mode in ihrer Schlichtheit folgen. Die Detailanalyse von „Die Braut“ wird zeigen, wie hier auf verschiedenen Ebenen Idealvorstellungen von Frauen, wie der Diva, stilisiert und zugleich dekonstruiert werden. Bereits an dieser Stelle lässt sich jedoch festhalten, dass eine Hierarchisierung der darstellenden Personen nicht nur im Bühnenbild, beispielsweise durch die Treppe, stattfindet, sondern auch durch das Kostüm hergestellt wird. Diese beiden gestalterischen Ebenen stehen dabei nicht unvermittelt nebeneinander oder ergänzen einander. Schubert zeigt vielmehr, wie sie miteinander korrelieren. Wenn das 194 Ebd., S. 132.
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Bühnenbild farbig sei, habe das Kostüm beispielsweise in den Hintergrund zu treten und umgekehrt.195 Der Kontrast zwischen der dekorationsreichen Szene „Es liegt in der Luft“ mit den schlichten Kostümen des Solisten und der Solistin gegenüber dem schlichten Bühnenbild und den eher aufwendigen Kostümen in „Weiße Woche“ machen dieses Verhältnis deutlich. Der Zusammenhang zwischen Bühnenbild und Kostüm und der damit einhergehenden Charakterisierung der Bühnen-Persona wird auch in der Szene „Abgegebene Hunde“ deutlich. Lions Chanson-Pudel wird dort in ihrem ersten Auftritt der Revue als verborgene Diva mit Starallüren inszeniert. Laut Regieanweisung thront sie als Pudel in der Mitte der Bühne auf einem großen Kissenlager: „Er [der Pudel] liegt, den Rücken zum Publikum, und dreht sich während der einleitenden Musik langsam dem Publikum zu“196. Das Bühnenbild steht hier nicht im Mittelpunkt, sondern dient dazu, den Pudel ins Rampenlicht zu stellen. Besonders interessant ist, dass der Bühnenaufbau sowie die Regieanweisungen zu Lions Bewegungen eine auffallende Ähnlichkeit zu den Anweisungen für die Szene „Parfümerielager“ mit Lions Chanson „L’heure bleu“ haben: „Im Dunkel ist die Chaiselongue mit der darauf liegenden Dame in der Mitte hinter dem Zwischenvorhang gestellt worden. Jetzt wird der Zwischenvorhang rechts und links von hinten zurückgenommen, so daß die Chaiselongue sichtbar wird. Der Zwischenvorhang fällt hinter der Chaiselongue wieder zusammen. Das Bild nur vom Scheinwerfer aus beleuchtet. Wenn die Dame sich gegen Schluß der ersten Vorverse erhebt und an der Rampe auf und ab geht, folgt ihr der Scheinwerfer. Auf einer Chaiselongue liegt ‚die Dame‘, umgeben von Parfümflaschen, Schminken, Puder, Cremes etc.“197
Zwar lassen sich keine Aussagen zum Kostüm der hier beschriebenen Dame machen, doch wird durch den Vergleich der Regieanweisungen die Vermenschlichung des Pudels deutlich. Das Kissenlager steht im Mittelpunkt wie die Chaiselongue, und der Pudel wendet sich dem Publikum so zu, wie sich die Dame erhebt. Zwischen Lions Pudel und ihrer dekadenten Dame besteht die Gemeinsamkeit ihres Snobismus, der vor allem auch über die Kostüme und die Bühnengestaltung hergestellt wird. Beide Bühnenaufbauten und im Fall von „Der Pudel“ auch das Kostüm nehmen wie auch Lions langsame, gedehnte Bewegungen bereits den
195 Ottmar Schuberth: Das Bühnenbild, S. 147f. 196 Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 14. 197 Ebd., S. 21.
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Duktus ihrer Chansons vorweg. Darüber hinaus lässt Lions Kostüm des Pudels einen offensichtlichen, wenn auch parodistischen, Bezug zu den Ausstattungsrevuen erkennbar werden. Als Karikaturkostüm greift es einerseits die so bevorzugte Nacktheit der Ausstattungsrevuen auf und karikiert zum anderen mit Perücke, Schleife auf dem Kopf, knappem puscheligem Oberteil und ebenso kurzem Puschel-Röckchen die Chanson-Protagonistin. Darüber hinaus erinnert Lions Pose an die ab dem 19. Jahrhundert vermarkteten Fotografien verschiedener Diven.198
Abbildung 28: Margo Lion als Pudel in der Szene „Abgegebene Hunde“
198 Vgl. eingehend dazu Barbara Straumann: „Queen, Dandy, Diva. Eine Geschichte der theatralischen Selbstentwürfe vom höfischen Schauspiel bis zur Photographie“, in: Elisabeth Bronfen. u. dies. (Hrsg.): Die Diva, S. 69–87.
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Der stolze, kluge und „neurasthenische“199 Pudel des Chanson-Textes wird jedoch durch die blasierte Mimik, wie sie auf dem Szenenfoto zu erkennen ist, und das sich durch aufreizende Nacktheit und Albernheit gleichermaßen auszeichnende Kostüm der Bühnen-Persona als ebenso dummes Hündchen wie das verblödete Frauchen200 zurückgesetzt. So wie Lions Bühnen-Persona des Chansons „Die Linie der Mode“ den Hungertod im schwarzen Wickelkleid illustriert und damit die Neue Frau karikiert, so entblößt Lion zum einen die Dummheit des kaufsüchtigen Frauchens, indem sie aus Perspektive eines Pudels darüber urteilt. Zum anderen wird der Typus der Diva durch die Inszenierung des Pudels parodiert und karikiert, weil er über seinen Status als Schoßhündchen nicht hinauskommt. Es lässt sich zunächst zusammenfassen, dass in Es liegt in der Luft die Requisiten zu Gunsten von Sachlichkeit und auch Verhältnismäßigkeit des kleinen kabarettistischen Bühnenrahmens zurückgenommen wurden, ohne dabei auf einen gewissen parodistischen Bezug zur Ausstattungsrevue zu verzichten. Für Lion bedeutet dies, dass sie die Stilistik ihrer Solo-Kabarettauftritte, die bereits von ihren Parodien des großstädtisch-bürgerlichen Stereotyps der Neuen Frau geprägt waren, in einem komplexeren narrativen Rahmen fortsetzen konnte. Mit Es liegt in der Luft fanden ihre Performances nun einen umfassenden Kontext, der es ihr ermöglichte, sowohl in den wenigen Minuten eines Chansons ihre groteske Neue Frau darzustellen, als sie auch durch die unterschiedlichen Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae in einer über zweistündigen Vorstellung zu etablieren. So bilden ihr Pudel, die Braut und die Dame gleichermaßen starke Stereotype wie auch verschiedene Facetten des großstädtischen Frauentypus ab, wodurch Lions Image der grotesken Neuen Frau an Stabilität, Tiefe und Vielschichtigkeit gewann. Und auch die Funktion des Bühnenbildes und des Kostüms, die Ausstattungsrevue zu parodieren, hatte unmittelbar Einfluss auf Lions Imagekonstruktion. Denn die Ausstattungsrevue stammt aus eben jener Vergnügungswelt der Neuen Frauen, die die Angriffsfläche für Lions Parodien boten, aber auch die
199 Lions Chansonansage in einer Aufnahme von 1977: „Der Pudel oder die philosophischen Gedanken eines neurasthenischen Hundes, der auf Frauchen wartet, während sie im Warenhaus herumwühlt, denn es ist gerade Ausverkauf“ (Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt). Ausgedrückt wird dieser Charakter z. B. in der dritten Strophe: „Stellt ein Interview die Frage / Was ich so zum Beispiel sage, / zu der Lage heutzutage?! / Was ich zu den Menschen sage / Und worüber ich sonst klage?? / Sage ich auf seine Frage: / Ich könnt klagen stundenlang, / doch dann käm der Maulkorbzwang!“. 200 Vgl. 1. Strophe, 5.–7. Vers: Halb verblödet, sprach mein Frauchen: „Artig sein das brave Hündchen! / Setz dich, leg dich! Schlaf dich! Pfui!“
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Grundlage für ihr Image darstellten. Darüber hinaus symbolisiert das Bühnenbild das Warenhaus, das seinerseits als Heterotopie nicht zu unterschätzende Möglichkeiten für die Imagekonstruktion Lions übernimmt. Der Handlungsort ‚Warenhaus‘ „Zola hat den Roman, Marcellus S c h i f f e r die Revue des Warenhauses geschrieben. Verabschieden wir den Vergleich. In einer Zeit, da die Leute das Lesen verlernen, verständigt man sich mit ihnen am besten durch Bilder. Greift nur hinein bei Wertheim, Jandorf, Tietzen… Man darf natürlich keine Soziologie des Warenhauses erwarten, nur feine Kabarettisierung (Hervorheb. orig.).“201
Um die Bedeutung des narrativen Handlungsortes der Kabarettrevue für Lions Imagekonstruktion herauszustellen, ist zum einen auf die Popularität und Bedeutung des Warenhauses in den 1920er Jahren hinzuweisen. Es soll aber auch gezeigt werden, wie sehr mit dem Phänomen des Warenhauses die Themen verbunden sind, die sich als Invarianzen in Lions Image eingeschrieben haben: Modernität, Urbanität und eine im Wandel begriffene Weiblichkeit. Durch die spezifische Beschaffenheit des Warenhauses als Heterotopie geht dieses mit den Chanson-Protagonistinnen und den Bühnen-Personae von Lion in der Kabarettrevue eine enge Symbiose ein, die durch ihre synchrone Kontinuität das Image von Lion stark geprägt hat. Das Warenhaus ist ein Ort der flüchtigen Begegnungen, ein offener Ort des Durchgangs – oder wie Stefan Weiss, Jürgen Schebera u. a. formulieren: ein „Transitraum“202. Damit hat Schiffer ein populäres Milieu ausgewählt, das einerseits Anknüpfungspunkte und Projektionsangebote für ein vielschichtiges Publikum gab und damit den Erfolg der Kabarettrevue gewährleistete, das andererseits in seiner Beschaffenheit als Ort aber auch bedeutsam für die Dramaturgie der Revue ist: „Kreuz und quer, hin und her, auf und ab, Schritt und Trab, rein und raus –, im Warenhaus… ist Inhalt dieser geschäftig im Doppelsinn des Wortes abrollenden Revue, die also nicht
201 H. N.: „Revue des Warenhauses. ‚Es liegt in der Luft‘. – Schauspielhaus“, in: Neue Leipziger Zeitung (29.11.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 202 Burghard Duhm, Andreas Eichhorn, Laura Frahm, et. al: Call for Papers für die Tagung „Street Scene und der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts: Großstadt als Heterotopie / Großstadt als Transitraum“ (4. bis 6. März 2005, Dessau), zit. nach: Jürgen Schebera u. Stefan Weiss: „Vorwort“, in: Dies. (Hrsg.): Street Scene, S. 7–9, hier S. 8.
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durch den berüchtigten roten fadenscheinigen Faden, sondern mittels der alten klassischen Einheit des Orts zusammengehalten wird.“203
Diese Einheit des Ortes, wie sie hier vom Theaterkritiker Kurt Pinthus herausgestellt wird, ist ebenso wenig wie eine Einheit der Zeit oder der Handlung im aristotelischen Sinne des klassischen Dramas zu verstehen. Die erzählte Zeit verfolgt das Zwillingspaar von ihren ersten Tagen bis hin zu ihren Hochzeiten, während die Erzählzeit 2 ½ Stunden betragen und vor allem durch Kleidung und Darstellung eine zeitliche Einheit gebildet habe.204 Die Einheit der Handlung ist durch die Vielzahl unzusammenhängender Geschichten, die sich in den einzelnen, szenisch dargestellten Kaufhausabteilungen ergeben, aufgebrochen. Schließlich ist auch der Ort der Revue, das Warenhaus, auf den zweiten Blick alles andere als in sich geschlossen.205 So wie in der „Warenhausdebatte ganz grundlegend gesellschaftliche Normvorstellungen berührt und verhandelt wurden“206, so werden in dem Warenhaus von Marcellus Schiffer die Phänomene des Großstadtdiskurses aufgegriffen: Massenkonsum (prägnant im 2. Bild „Resteverkauf“), die Entwicklung neuer Technologien und populärer Medien (z. B. das Chanson vom flüsternden Bariton im 16. Bild), geistesgeschichtliche Themen wie die Sexualität (berühmt die Szene der „Sisters“ im 19. Bild mit dem Chanson „Wenn die beste Freundin“), Nervosität und Sachlichkeit (vgl. hier allen voran den Titelschlager „Es liegt in der Luft“ aus dem 13. Bild), Geschlechterzuschreibungen (vgl. hierzu u. a. die Chansons „L’heure bleu“ und „Die Braut“) sowie politische Aktualitäten (wenn gleich nur oberflächlich, aber angedeutet im zum Gassenhauer gewordenen „Ich weiß, das ist nicht so“ und selbstreferentiell im 9. Bild „Politische Abteilung“). Das Warenhaus wird zum pars pro toto der Großstadt:
203 Kurth Pinthus: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. 204 Vgl. weiter Pinthus: „Nicht so durch die [Einheit] der Zeit. Denn vom ersten bis zum letzten Bild sind in zweieinhalb Stündlein eigentlich zwanzig Jahre abgeflossen, die dennoch, dem Stil der Kostüme (von Dodo Wolff), der Darstellung und der Musik nach, in einen einzigen Tag zusammengerafft sind“ (ebd.). 205 Zur Auflösung der Einheit von Zeit, Ort und Handlung im aristotelischen Sinne vgl. auch Hans Heinz Stuckenschmidt: „Lob der Revue“, in: Anbruch 8 (1926), S. 170– 173. Die Revue sei „das polare Extrem zum klassischen Drama. Die antiken Dogmen: Einheit der Zeit, des Ortes, der Handlung, leugnet sie mit Radikalität, und überlegen lächelnd führt sie die theatralische Logik ad absurdum“. 206 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung. Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne, Bielefeld: transcript 2011, S. 138.
222 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK „Eine Menge netter Anregungen ergeben sich dabei, die Marcellus Schiffer in seinen Couplets geschickt aufgreift, um sub specie des Warenhauses das Leben da draußen zu ironisieren. Das Auf und Nieder des Fahrstuhls, die Philosophie der Drehtür, die Griffreudigkeit [sic!] der Warenhaus-Kleptomanen, das dauernde Lächelnmüssen beim Photographieren, die Umtauschsehnsucht derer, die falsch eingekauft haben – in scharf pointierten Worten und Versen, die sich erfreulich anspruchslos geben, werden die alltäglichen Vorgänge des Warenhausbetriebes symbolhaft für das Leben überhaupt [Hervorheb. Orig.].“207
Dass Schiffer das Warenhaus als Symbol für urbane Phänomene nutzt, ist kein origineller, neuer Einfall, sondern als Bestandteil eines in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts virulenten Diskurses einzuordnen. In seiner Dissertation zeigt der Soziologe Thomas Lenz, dass das Warenhaus um 1900 immer wieder „zum Symbol für die Veränderungen im Konsumbereich – und für den sozialen Wandel insgesamt“208 und damit als Symbol für Urbanität im Modernitätsdiskurs begriffen wurde: „Die Debatten um das Warenhaus können als Selbstverständigungsdiskurs der deutschen Öffentlichkeit verstanden werden, als eine Bühne, auf der der Kampf um die Modernisierung ausgetragen wurde, denn in der Diskussion um das Warenhaus treffen ökonomische Interessen, kulturelle (Vor-)Urteile und politische Einstellungen aufeinander.“209
Lenz’ Feststellungen zur diskursiven Rolle des Warenhauses als „Brennglas“, in dem die „Auseinandersetzung um ‚die Moderne an sich‘“ beobachtbar sei,210 können als Hintergrund für das Wissen des Berliner Revue-Publikums durchaus auch
207 Erich Krafft: „Die Warenhaus-Revue. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: Deutsche Tageszeitung, Abend-Ausg. (16.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5. 208 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 10. 209 Ebd., S. 10 u. 129. Vgl. die in die gleiche Richtung zielende Feststellung von Detlef Briesen: „Auf das ‚Warenhaus‘ wurden alle Erwartungen und Befürchtungen projiziert, die eine in Kulturpessimisten und Fortschrittsgläubige geteilte Gesellschaft mit dem sich andeutenden Massenkonsum um die Jahrhundertwende verbinden konnte. Daher war mit der Warenhausfrage ein ganzes Bündel von gesellschaftlichen Problemlagen angesprochen: Konsumenten- und Frauenrollen, Wirtschafts- und Marktordnungen, Mittelstandsfragen, Mode, soziale Zeichensysteme usw.“ (Detlef Briesen: Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral. Zur Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2001, S. 9; vgl. zudem ebd., S. 14f.). 210 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 10.
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noch für die Weimarer Republik in den 1920er Jahren gelten. Das zeigt sowohl die anhaltende Verbreitung des Diskurses in weiteren populären Medien wie Filmen211 und Romanen212 als auch die Diskussion um die Konsumkultur in Feuilletonbeiträgen der Tageszeitungen und in soziologischer Forschungsliteratur213. Dass der Diskurs um das Warenhaus so lange mit gleicher Intensität geführt wurde, kann aus seiner internationalen Entwicklung heraus erklärt werden. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden in Frankreich und den USA die ersten Warenhäuser. Durch den industrialisierten Ausbau der Infrastruktur entwickelten und vergrößerten sie sich seit Mitte des Jahrhunderts vor allem in Paris. Ihre bis heute bekannte Architektur erhielten sie jedoch erst nach der Weltausstellung 1867, seit der sie zu den „repräsentativen, durch transparente Lichthallen und Galerien in ganzer Tiefe erschlossenen Warenpaläste[n]“214 wurden. Auch in Großbritannien ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: von der Existenz „warenhausartiger Sortimentsbreite“ bereits seit den 1820er Jahren bis hin zur Ex-
211 Hervorgehoben sei vor allem Julien Duviviers französische Stummfilmadaption von Emile Zols Roman Au bonheur des dames [1883] aus dem Jahr 1930. Während Zolas Roman immer wieder als Urtext für die Warenhausdebatte betitelt wird (Vgl. bspw. Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 148 u. Detlef Briesen: Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral, S. 12), was sich auch in seiner Bezugsrelevanz für soziologische, juristische, medizinische und psychoanalytische Untersuchungen äußert, zeigt diese späte Verfilmung die langanhaltende Relevanz des Warenhausdiskurses. 212 Vgl. bspw. Ernst Georgy: Der Konfektionsbaron. Ein Zeitbild aus der Konfektion, Stuttgart: Union [1923]; Georg Manfred: Aufruhr im Warenhaus, Berlin-Friedenau: Weltbücher-Verlag 1928; Werner Türk: Konfektion, Berlin: Agis-Verlag 1932 und viele mehr. Einen sehr hilfreichen und umfassenden Überblick über Prosatexte zum Themengebiet Warenhaus gibt Albert Di Gallos Bibliographie Kaufmann und Contor in der deutschsprachigen Prosaliteratur seit 1750 (= Schriften der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen 6), Bremen: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Die Bibliographie gehört zur gleichnamigen Sammlung, die der SuUB Bremen 2005 geschenkt wurde und die ca. 2500 Titel von 1750 bis 1950 und damit rund 90% der Literatur dieses Zeitraums zu diesem Themengebiet umfasst. 213 Einen guten Überblick gibt Thomas Lenz in seinem Kapitel „Modernisierung und Konsum“, in: Konsum und Modernisierung, S. 53–126, wo er die Theorien von Max Weber, Thorstein Veblen und Georg Simmel vorstellt. 214 Helga Behn: Die Architektur des deutschen Warenhauses von ihren Anfängen bis 1933, Diss., Univ. Köln 1984, S. 5.
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pansion in Architektur und Angebot in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts.215 In Berlin wurden durch die im Vergleich zu Großbritannien verzögert einsetzende Industrialisierung erst Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Textilwarenläden mit neuesten Geschäftsmethoden von Hermann und Leonhard Tietz, Georg Wertheim, Rudolf Karstadt und Theodor Althoff gegründet.216 Zum „Mekka des Warenhauses“217 wurde Berlin jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg, in der Zeit der relativen Stabilisierung ab ca. 1924.218 So wie die Warenhäuser Symbol der Modernität waren, so konnten sie „auch nur unter ‚modernen‘ Bedingungen entstehen und wachsen“219: Erst die industrialisierten, realwirtschaftlichen Produktionsbedingungen ermöglichten einen Vertrieb von Massenprodukten. Und erst die sich im Umbruch befindlichen, vor allem urbanen Einstellungen, die allen voran Georg Simmel in den Blick genommen hat220, führten zur Popularität der Warenhäuser. Schiffers Warenhaus war Abbild eines Ortes, der nicht nur Kaufanreize bot und damit schlichter Konsumort war. Wie seine realen Pendants war es vielmehr auch „durch Reise- und Lichtbildvorträge, Klubs, Schreibräume, Restaurants und vieles mehr“ ein Ort des kulturellen Austauschs.221 Das Warenhaus als paradigmatischer Ort einer auf diese Weise abgebildeten städtischen Konsumkultur222 hat im Diskurs um Moderne, Modernität und Urbanität die Funktion einer Heterotopie – eines ‚anderen Ortes‘ (Michel Foucault) oder eines Nicht-Ortes (Marc Augé), der sich durch sein immenses „Imaginationsarsenal“223 auszeichnet. Heterotopien sind in der Definition von Foucault
215 Vgl. ebd. 216 Vgl. ebd., S. 6. 217 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 134f. 218 Vgl. Detlef Briesen: Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral, S. 61f. 219 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 129. 220 Vgl. z. B. Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben [1903], Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006. 221 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 135. 222 Vgl. ebd. 223 Michel Foucault: „Andere Räume“ [1967], in: Karlheinz Barck u.a. (Hrsg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam 1992, S. 34–46, hier S. 46. Vgl. auch die Transkription eines Radiovortrags (France Culture, 07.12.1966) „Die Heterotopien“, in: Ders.: Die Heterotopien. Les hétérotopies. Der utopische Körper. Le corps utopique. Zwei Radiovorträge, zweisprachige Ausg., übers. von Michael Bischoff, mit einem Nachw. von Daniel Defert, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 7–22.
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„wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien [Hervorheb. orig.].“224
Das Warenhaus ist als eine so definierte Heterotopie zu verstehen, weil es, wie vor allem Lenz gezeigt hat, nicht die bloße Funktion hatte, als neutraler Konsumort zu dienen, sondern Projektionsfläche für Diskurse der modernen Großstadt war. Jede Heterotopie habe laut Foucault eine ganz bestimmte Funktion innerhalb der Gesellschaft, die sich „je nach der Synchronie der Kultur“ wandeln könne.225 Eine Heterotopie ist damit auch als Nicht-Ort beziehungsweise als Transit-Ort im Sinne Marc Augés226 zu bezeichnen, weil sie anthropologisch nicht gewachsen ist, sondern aus je gegenwärtigen Bedürfnissen entsteht.227 Das Warenhaus unterliegt „kulturellen Rahmungen“228, die ihm zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bedeu-
224 Ebd., S. 39. 225 Ebd., S. 41. 226 Marc Augé: Nicht-Orte, 3. Aufl., München: Verlag C.H. Beck oHG 2012. Im Original ist das Buch unter dem Titel Non-Lieux. Introduction à unie anthropologie de la surmodernité 1992 in Frankreich erschienen. 227 Helga Behn bezieht eine solch getroffene Momentaufnahme interessanterweise auch auf die architektonische Bauform des Warenhauses: „In seiner unverwechselbaren, vom Zweck definierten Gestalt ist der Bautypus Warenhaus in die Reihe der für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts charakteristischen großstädtischen Bauaufgaben einzuordnen, die ohne direktes Vorbild in der Geschichte, allein von den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen der Industriellen Revolution geprägt worden sind. Maschinelle Massenproduktion, Steigerung der Kaufkraft, Städtewachstum und neue Möglichkeiten des Verkehrs- und Transportwesens bilden den Rahmen für die Entfaltung eines Bautyps, der das Bild der Innenstädte so entscheidend geformt hat“ (Helga Behn: Die Architektur des deutschen Warenhauses von ihren Anfängen bis 1933, S. 4). 228 Rainer Warning: Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, München: Wilhelm Fink Verlag 2009, S. 13.
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tung eines Konsumtempels der Moderne zukommen lassen, ihn zum Ort der Dekadenz und der Nervosität229 beziehungsweise in den 1920er Jahren, wie in dieser Revue, zum Ausdruck der Sachlichkeit oder auch zum Handlungsraum für Frauen (als Käuferinnen, Verkäuferinnen, Models, Diebinnen etc.) werden lässt. Das Warenhaus ist ferner als Heterotopie zu verstehen, weil es als Mikrokosmos der Großstadt „an einen einzigen Ort mehrere Räume, mehrere Platzierungen zusammenzulegen [vermag], die an sich unvereinbar sind“230. Das Warenhaus dient als Marktplatz für existentielle wie für Luxusgüter gleichermaßen. Es ist Ort der Berufstätigkeit, des Konsums, der Unterhaltung und der sozialen Interaktionen – mit seinen unterschiedlichsten Abteilungen bildet es eine komplette innenstädtische Struktur ab. Das Warenhaus ist abhängig von „scharfen Diskontinuitätserfahrungen“ und als „chronische Heterotopie[…]“ ein Ort einer „geradezu festlich begangenen flüchtigen Zeit“.231 Es ist nicht allzeit verfügbar, sondern unterliegt Öffnungszeiten, die die Konsumzeit zu einer besonderen, geregelten Zeit machen. Seine Abschirmung in Form eines geschlossenen, exklusiven Raums, den man durch die Schwelle des Foyers betritt, stärkt seine Aus- und Eingrenzungfunktion und macht ihn zugleich zu einer „Abweichungsheterotopie[…]“232. Denn das Warenhaus wurde als neue institutionalisierte Form des Massenkonsums spätestens seit 1900 erbittert kritisiert, aber auch hymnisch gelobt. Es bildete einen Bruch in der großstädtischen Gesellschaft ab, die sich sowohl zur Jahrhundertwende als auch nach dem Ersten Weltkrieg an einem rasanten Modernisierungsprozess abarbeiten musste. In einem Zeitalter der Umbrüche, Krisen und revolutionären Umwälzungen diente das Warenhaus als Projektions- und Reflexionsfläche für die Aushandlung ins Wanken geratener Normen – Normen, die besonders auch von Lion in ihren Chansons aufgegriffen und gebrochen wurden. Denn das Warenhaus wird in diesem dynamischen Prozess auch zu einem von der diskursiv erzeugten männlichen Norm abgespaltenen Handlungsraum für Frauen: „Wer morgens kurz vor 8 Uhr oder abends nach Büro- oder Geschäftsschluß durch das Geschäftsviertel einer Großstadt geht, dem begegnet als charakteristischer Eindruck ein Heer von jungen Mädchen und Frauen, die eilig zur Arbeit in die großen Geschäftshäuser streben
229 Zur geistesgeschichtlichen Bedeutung der Nervosität vgl. Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München: Hanser Verlag 1998. 230 Michel Foucault: „Andere Räume“, S. 42. 231 Rainer Warning: Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, S. 13 u. Michel Foucault: „Andere Räume“, S. 43f. 232 Michel Foucault: „Andere Räume“, S. 40.
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oder müde von der Arbeit kommen – es sind die Massen der weiblichen Angestellten. Sie geben der Großstadtstraße das beherrschende Bild, sie geben dem Warenhaus, dem Schreibbüro des Betriebes die charakteristische Prägung – mehr noch: sie sind heute eigentlich zum Typus der berufstätigen Frau geworden; die weibliche Angestellte ist die typische erwerbstätige Frau der Masse.“233
In diesem einleitenden Teil einer Umfrage, die im Auftrag des Zentralverbandes der Angestellten 1930 durchgeführt wurde, wird ein enges Verhältnis zwischen Großstadt und Warenhaus entworfen, das durch die „Massen der weiblichen Angestellten“ erzeugt wurde. Diese prägten nicht nur die moderne Großstadt, wie vor allem Siegfried Kracauer publik gemacht hat234, sondern auch großstädtische Räume wie das Warenhaus und das Schreibbüro. Die Masse der jungen Mädchen wurde zum charakteristischen und öffentlich wahrgenommenen Bild der Großstadt. Großstadt und Warenhaus waren und sind „Ergebnis der in ihnen stattfindenden Interaktionen“ und damit unter anderem auch geschlechtsspezifisch konstituiert.235 Das Warenhaus als frauenbestimmter Ort ist deshalb ein besonderes Phänomen, weil es als öffentlicher Raum traditionell eigentlich in die Sphäre der Männer fallen müsste.236 Der These folgend, dass es sich beim Warenhaus jedoch um eine
233 Susanne Suhr (Bearb.): „Die weiblichen Angestellten. Arbeits- und Lebensverhältnisse. Eine Umfrage des Zentralverbandes der Angestellten“, Berlin 1930, S. 3f., zit. nach: Jens Flemming: „‚Neue Frau‘?“, S. 61. 234 Vgl. vor allem Siegfried Kracauer: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland [1929] (= Suhrkamp-Taschenbuch 13), 13. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013. 235 Susanne Rode-Breymann: „Orte und Räume kulturellen Handelns von Frauen“, in: Annette Kreutziger-Herr u. Katrin Losleben (Hrsg.): History. Herstory. Alternative Musikgeschichten (= Musik – Kultur – Gender 5), Köln, Weimar u. Wien: Böhlau 2009, S. 186–197, hier S. 190, vgl. außerdem S. 192. Vgl. zum Aspekt der geschlechtsspezifischen Bestimmung von Raum auch Anthony Giddens: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung (= Theorie und Gesellschaft 1), Frankfurt am Main u. New York: Campus-Verlag 1992, S. 170; Martina Löw: Raumsoziologie, S. 43; u. vor allem Susanne Frank: Stadtplanung im Geschlechterkampf, Opladen: Leske + Budrich 2003. 236 Vgl. u.a. Susanne Rode-Breymann: „Orte und Räume kulturellen Handelns von Frauen“, S. 192f.; Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1761), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 82; u. Martina Löw: „Die Konstituierung sozialer Räume
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Abweichungsheterotopie handelt, wird es zum optimalen, weil abgegrenzten und gesonderten Raum für weibliches Handeln, das im Modernitätsdiskurs im Rahmen des Massenkonsums pathologisiert wurde. Als Beispiel dafür, wie die Revue Es liegt in der Luft Teil solcher Diskurse war, lässt sich das achte Bild „Kleptomanen“ anführen. Hubert von Meyerinck und Marlene Dietrich spielen in dieser Szene ein kleptomanisches Pärchen, das die Gründe für ihre Klausucht in einem Chanson erörtert. Nachdem die beiden Kleptomanen ihr Handeln in der ersten Strophe zunächst im Raum des Warenhauses verorten, rufen sie in der zweiten Strophe andere großstädtische Plätze, beziehungsweise vor allem großstädtisch geprägte technologische Entwicklungen auf: In der Straßenbahn bereite es „voll Tücken“ Genuss, „vor dem Fahrschein :/: dich zu drücken!“ (S. 23), und beim Telefonieren spare man sich „einen Groschen :/: als Gebühren“ (ebd.). In der Überleitung zum letzten Refrain heißt es dann: „Sie: Sowas zieht uns an hypnotisch / Beide: und befriedigt fast erotisch!“. Damit wird die Kleptomanie in ein großstädtisches Umfeld eingeordnet, in dem das kleptomanische Handeln als moderne sexuelle Krankheit einer bürgerlichen Schicht pathologisiert wird.237 Dies wird schließlich im Refrain (ebd.) auf den Punkt gebracht: „Beide: Wir haben einen kleinen Stich Und stehlen wie die Raben, trotzdem wir es ja eigentlich gar nicht nötig haben! Uns treibt nicht finanzielle Not, nein – ein ganz andrer Grund! Wir tun’s aus sexueller Not! :/: Aber sonst fühln wir uns gesund :/:“238
im Geschlechterverhältnis“, in: Stefan Hradil et. al. (Hrsg.): Differenz und Integration. Die Zukunft moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Dresden 1996, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 1997, S. 451–463, hier S. 453. 237 Interessant ist, dass auch Friedrich Hollaenders Chanson „Die Kleptomanin“ aus der Revue Spuk in der Villa Stern von 1931 in diese Richtung zielt. 238 Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 23.
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Die Kleptomanie wird im Textbuch und dem Chanson von Schiffer in ihre quasi natürliche Umgebung gesetzt und eröffnet von dort aus ein an sie geknüpftes diskursives Umfeld. Das Warenhaus wird durch diese Szene deutlich als Abweichungsheterotopie inszeniert, indem die Kleptomanie als pathologisches Phänomen einer Zeit der Nervosität und Hysterie an diesen Handlungsort gebunden wird. Das Schlagwort „hypnotisch“ ist ein Topos dieses (psychoanalytischen) Diskurses um die ‚Modekrankheiten‘ der modernen Großstadt,239 das auch im Titelschlager „Es liegt in der Luft“ im Zentrum steht. Schiffers Warenhausszene ist im Umfeld einer Kritik an der krankenden modernen Konsumgesellschaft zu verstehen, mit der eine Pathologisierung vor allem weiblicher Diebstahlsdelikte einher ging, wie an dieser Stelle stellvertretend für einen komplexen Diskurs anhand eines Ausschnitts aus Dr. Erich Wulffens Das Weib als Sexualverbrecherin (1923) veranschaulicht werden kann: „Die Warenhausdiebstähle haben seit dem Kriege und der Revolution in außerordentlicher Weise zugenommen. Sie sind geradezu Mode geworden und an der Tagesordnung. Ausschließlich sind es fast nur weibliche Verurteilte aller Stände, die in Frage kommen. Die mit der Erschütterung der staatlichen Ordnung verknüpfte Rechtsverwirrung trägt ganz bestimmt zu dem unerfreulichen Ergebnis bei, ebenso die Teuerung und Not der Zeit sowie die gesteigerte Genußsucht. Aber ganz allgemein möchte behauptet werden, daß die Revolution mit ihren Umwälzungen den weiblichen Bewegungsdrang – wahrscheinlich nur vorübergehend – verstärkt hat, so daß er nun auch leichter zum Verbrechen, zumal zum Diebstahl, führt. Ja, darüber hinaus scheint kein Zweifel zu bestehen, daß die politischen Zeitereignisse auch die weiblichen sexuellen Energien erregt und verstärkt haben.“240
239 Vgl. dazu auch Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 144. 240 Dr. Erich Wulffen: Das Weib als Sexualverbrecherin. Ein Handbuch für Juristen, Verwaltungsbeamte und Ärzte. Mit kriminalistischen Originalaufnahmen (erschienen als Teil der Reihe „Enzyklopädie der modernen Kriminalistik. Sammlung von Einzelwerken berufener Fachmänner“), Berlin: Dr. Paul Langenscheidt 1923, S. 76. Ganz ähnlich zu Wullfens Handbuch ist Wilhelm Stekels psychoanalytische Untersuchung Impulshandlungen (= Störungen des Trieb- und Affektlebens [Die parapathischen Erkrankungen] 6), Berlin u. Wien: Urban & Schwarzenberg 1922, gelagert. Von einem allgemeinen Kapitel zum Diebstahl ausgehend, untersucht Stekel „Die sexuelle Wurzel der Kleptomanie“ (S. 207–251), bei der auch der Warenhausdiebstahl eine Rolle spielt. Vgl. als ein weiteres Beispiel auch Cesare Lombrosos u. Guglielmo Ferreros bereits 1894 erschienenes Das Weib als Verbrecherin und Prostituirte. Anthropologische Studien gegründet auf einer Darstellung von Biologie und Psychologie des nor-
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Dieses Zitat zeigt neben den Bestrebungen, durch Pathologisierung und Kriminalisierung Frauen in ihre alten Tätigkeitskreise, wie sie im 19. Jahrhundert diskursiv festgelegt wurden, zurückzudrängen, wie sehr das Warenhaus als Heterotopie gekennzeichnet ist. Es wird zu einem Ort in einem zeitlichen Umbruch, der besetzt ist mit kulturellen Zuschreibungen und der damit zu einem Raum der Imaginationen wird, in dem aus politischen, sozialen und gesellschaftlichen Brüchen resultierende Ängste und Wünsche gleichermaßen ausgehandelt werden. Das Warenhaus und die damit verbundene Kleptomanie werden als Modephänomene und als Resultate gesellschaftlicher Veränderungen erfahren. Inflation („Teuerung und Not der Zeit“), relative Stabilisierung mit all ihren Auswirkungen im kulturellen und unterhaltenden Sektor („gesteigerte Genußsucht“), verfassungsrechtliche Gleichstellung („Rechtsverwirrung“) und die mit all dem verknüpfte öffentliche Präsenz der Frauen („weiblicher Bewegungsdrang“) fänden ihren Niederschlag im dekadenten Kulturverfall, symbolisiert durch das Warenhaus. Die Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae von Lion sind in diesen Kontext einzuordnen. Die Pathologisierung Frauen zugeschriebenen Verhaltens spiegelt sich in mehreren Szenen der Revue wider und wird von Lion auch in ihren Performances aufgegriffen. Ihr Image der grotesken Neuen Frau geht wesentlich auf einen solchen Diskurs zurück, der sich als Invarianzen des Ordinären, des Grotesken und des Hässlichen in ihr Image einspeist. In ihren Performances entlarvt sie die von ihr dargestellten Weiblichkeitstypen ihrerseits immer wieder als Projektionsfläche für Phantasien, Idealbilder und Angstvorstellungen (vgl. dazu auch die folgende Analyse von „Die Braut“), womit Handlungsort und handelndes Subjekt miteinander in ihrer Funktion verbunden werden. Der wechselseitige Verweisungszusammenhang, den die Soziologin Susanne Frank zwischen Städtemythen und Geschlechterbildern beobachtet,241 besteht auch in deren kleinteiligen Topoi des Warenhauses und der Neuen Frau. In ihrer Verortung (symbolisch wie auch wörtlich zu nehmen) innerhalb der modernen Großstadt nehmen die Warenhäuser als Heterotopie urbane Diskurse auf, in denen auch das Image von Lion als grotesker Neuer Frau konstituiert wird. Beide sind als imaginative und gleichzeitig
malen Weibes, Hamburg: Verlag-Anstalt und Druckerei A.-G- 1894 (neu herausgegeben von Esther von Krosigk [Hrsg.]: Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte. Anthropologische Studien gegründet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes, Saarbrücken: Vdm Verlag Müller 2008). Umfassende Einblicke in den Kleptomanie-Diskurs mit seinen Forschungsbeiträgen geben Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 144–152 u. vor allem Detlef Briesen: Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral, S. 83–150. 241 Susanne Frank: Stadtplanung im Geschlechterkampf, S. 23.
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real vorhandene Phänomene zu verstehen, es sind (körperliche) Transiträume, in die Ängste, Wünsche, Erwartungen und Bedeutungen einer Zeit projiziert werden, die von sozialen, moralischen, gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen der Jahrhundertwende und nach dem Ersten Weltkrieg geprägt ist. Gut zwanzig Jahre nach der erfolgreichen Einführung der Warenhäuser in Berlin sind diese in der Gesellschaft zunehmend zur akzeptierten Realität und Normalität geworden. Weil sie sich aber gerade als Abweichungsheterotopie der weiblichen Alltagskultur, ob noch im Diskurs um die Nervosität zu Beginn des Jahrhunderts oder der Neuen Sachlichkeit während der 1920er Jahre, etabliert haben, haben sie ihre Eignung zur Projektionsfläche nicht eingebüßt. Bezeichnenderweise wird das Warenhaus in nicht wenigen Rezensionen zur Revue Es liegt in der Luft immer wieder als Spiegel der Großstadt wahrgenommen.242 Es lohnt dieser Metapher näher nachzugehen: Der Spiegel schwankt bei Foucault zwischen Utopie und Heterotopie, ist gleichzeitig virtueller, unwirklicher Raum und durch seine fassbare Existenz Heterotopie, indem er den realen Standort der Betrachtenden reflektiert.243 Die Imagination einer Spiegelung zwischen Fiktion und Realität ist als eine „Identitätsmediation, die zwischen den Bildern zirkuliert, stets neue schafft und alte zerstört“244, zu verstehen. Die Revue Es liegt in der Luft erfüllt mit ihrem fiktionalen Ort des dargestellten Warenhauses und ihrer zugleich nicht zu leugnenden Referenz auf reale Pendants eine solche Funktion des Spiegels zwischen Utopie und Heterotopie. Die Revue hat eine ähnliche Funktion, wie sie von Lenz für die Warenhausromane um 1900 konstatiert wird: „Romane können demnach als ‚social documents‘ angesehen werden, da hinter der Fiktion ein Geflecht von Bedeutungen verborgen ist, das – gewollt und ungewollt – Einblicke in
242 Vgl. bspw. Mysing: „Es liegt in der Luft…“, in: Kölnische Zeitung (23.05.1928): „Aber im Symbol dieses Warenhauses versucht der Verfasser das ganze zeitgenössische Leben zu fassen“; oder Julius Bab: „Revue bei Reinhardt. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: Neue Badische Landeszeitung (21.05.1928): „[…] aber das Leben im Warenhaus und all seine Kanons – das ergibt leicht genug Einkleidungen für satyrische Scherze auf jedem Gebiet“ und – el.: „Es liegt in der Luft. Eine neue Marcellus-Schiffer-Revue“, in: Berliner Volkszeitung, Morgen-Ausg. (17.05.1928): „Schließlich ist das Leben ja auch nichts anderes, als ein Gang durch ein Warenhaus mit Fahrstuhl und Umtauschkasse“, alle in AdK S/L, Sig. 2.5. 243 Vgl. Michel Foucault: „Andere Räume“, S. 39. 244 Ebd., S. 18.
232 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK das Bewusstsein einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes und einer bestimmten Schicht ermöglicht.“245
Es ist also keine Überraschung, dass das Warenhaus idealer Schauplatz und Anknüpfungspunkt für Realsatire in der Revue Es liegt in der Luft ist und gleichzeitig eine besondere Eignung dafür hat, speziell Lions Image in dieser Revue in Szene zu setzen. Lenz’ Verständnis von der Diskursivität fiktionaler Texte (zu denen hier im Sinne eines erweiterten Textbegriffs auch die Revue zählen soll) und Foucaults Verständnis vom Imaginationspotential einer Heterotopie decken sich mit den in dieser Arbeit getroffenen Grundannahmen zur Imagekonstruktion durch den Akt der mimetischen Identifikation. Das Warenhaus war eine der Bühnen zur Inszenierung des Kollektivimages der Neuen Frau, in der Revue Es liegt in der Luft wird es zur Bühne für Lions Eigenimage. Die urbanen Weiblichkeitstypen der Neuen Frau, der Angestellten, der kleptomanisch veranlagten Konsumentin, der hysterischen und nervösen Großstädterin schreiben sich als Vorbilder in ihre Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae ein und werden durch ihre künstlerische Performance gedeutet, umgeschrieben und neu bewertet. Aus dem engen Bezug zwischen dem Image der grotesken Neuen Frau von Lion und der Darstellung eines Warenhauses treten die integralen sozialen und historischen Dimensionen ihres Images klar hervor.246 Lions Rollendarstellung innerhalb dieser Revue wie auch allgemein ihres Images lässt sich nur „im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Definitionen von Individuum, Persönlichkeit, Geschlechterrolle, Liebe und Sexualität, Arbeit und Freizeit, moralischen und politischen Werten, Ideologien usw. verstehen“247. Das Warenhaus als Heterotopie bietet Lion ein semantisches Feld, auf dem sich Assoziationen zu ihrem Image knüpfen lassen. Gleichzeitig erhält dieses so weit konstruierte Image der grotesken Neuen Frau auch eine Bedeutung für das Publikum, „das mit dem Image des Stars relevante Fragen durchspielen kann und es als eine symbolische Artikulierung der ideologischen Problembereiche und insgesamt der gesellschaftlichen Definition der Persönlichkeit oder des Individuums nutzen kann“248. Durch Prozesse der Identifikation und Abgrenzung, die das Fremdimage hervorruft, wird innerhalb der mimetischen Identifikation an bestehenden Bildern von Weiblichkeit in der Konsumkultur gearbeitet.
245 Thomas Lenz: Konsum und Modernisierung, S. 133. 246 Vgl. Stephen Lowry: „Stars und Images“, S. 24. 247 Ebd. 248 Ebd.
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Zusammenführende Chansonanalyse: „Die Braut“ Die bisher analysierten inszenatorischen Mittel von Es liegt in der Luft tragen bereits imagekonstituierende Funktionen in sich. So unterstützt Die Komödie auf Grund ihres intimen architektonischen Baus Lions aus der Diseusenkultur stammenden Stil des Parlando einerseits, andererseits gibt sie Lions urbanem, berlinerischem Image durch die direkte Anbindung an den Kurfürstendamm den passenden Raum. Inhaltlich wird Lions Image der grotesken Neuen Frau vor allem auch durch das Motto der Revue, das Warenhaus, unterstützt, indem dieses als Heterotopie Räume für Weiblichkeits-Phantasmen aus eben jenem Urbanitätsdiskurs eröffnet. Lions einzelne Auftritte in ihren neusachlichen und zugleich herausstechenden Kostümen inszenieren sie ebenso wie Emil Pirchans Treppe als Star der Revue. Mit ihren Rollen und Chansons in Es liegt in der Luft knüpft Lion in der mimetische Identifikation an den Weiblichkeitstyp der dekadenten, urbanen und neusachlichen Frau an. Ihr Image findet hier einen Kontext, der ihm Authentizität verleiht. Gleichzeitig konstruiert Lion den Typus der Neuen Frau insofern neu, als dass er als vergängliches Stereotyp einerseits gezeigt wird und andererseits an historische Weiblichkeitsphantasmen angebunden wird. In Lions mimetischer Identifikation entsteht so eine groteske Version der Neuen Frau, wobei die bisher besprochenen Spezifika der Revue Es liegt in der Luft eine Rolle spielen. Ihre volle Wirksamkeit erhalten sie in ihrem Zusammenspiel miteinander und mit der jeweiligen Einzelperformance. Ihre Funktionen lassen sich deshalb am besten in einer Szene analysieren, wobei sich die 11. Szene „Weiße Woche“ beziehungsweise das Chanson „Die Braut“ besonders anbietet. Während Lion auch in ihren Chansons „L’heure bleu“ und „Der Pudel“ ins Rampenlicht des Stars gerückt wird, wird sie in „Die Braut“ szenisch explizit in den Mittelpunkt der Bühne gestellt. Sie steht nun nicht ‚nur‘ solistisch im Zentrum der Bühne, ihre Position wird durch ein aufwendiges und zugleich sachliches Kostüm, die Treppe als Szenenaufbau sowie die acht sie umgebenden Girls sogar noch überhöht. Die Szene erscheint durch das Brautkleid und das Kostüm der Girls so prunkvoll und herausstechend, dass sie mitunter sogar als Hauptszene der Revue betrachtet wurde. Die Text- und Musikanalyse werden zudem zeigen, inwiefern hier bekannte Topoi aus Lions Image, wie sie sich auch in ihrem restlichen Repertoire wiederholen, aufgegriffen werden.249 Auch aus methodischen Gründen bietet sich diese Szene zur Analyse an. Zwar gibt es keine Videoaufnahmen, die eine genaue Rekonstruktion der Aufführung
249 Vgl. das Kapitel „Margo Lions Repertoire: Das Eigenimage der grotesken Neuen Frau“, und „Die parodistische Funktion der Musik: Bruch mit der heteronormativen Weiblichkeit“.
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ermöglichen würden. Doch ist hier die Quellenlage günstiger als bei anderen Szenen. Mehrere Rezensionen beziehen sich auf Lions Auftritt mit diesem Chanson, es gibt Szenenfotos mit ihr, beziehungsweise mit Blandine Ebinger und darüber hinaus auch eine Original-Studioaufnahme des Chansons, die bei Electrola offiziell vermarktet wurde. So bietet die Szene „Weiße Woche“ mit dem Chanson „Die Braut“ die Möglichkeit, zu analysieren, inwiefern Lions Image in der Revue aufgegriffen und durch ihre Performance verstetigt wurde. Geht man von einer gewissen Kontinuität von Eigenschaften in einer Imagekonstruktion aus, so mag es zunächst erstaunen, dass Lion hier im Kostüm einer klassischen Braut auftritt – ein Bild, das nicht konträrer zu ihrem Kostüm zum Chanson „Die Linie der Mode“ sein könnte. Auf den ersten Blick lässt sich keine Parallele von der schwarzen, morbiden Figur zur weißen, schönen Braut herstellen. Wie zu zeigen sein wird, sorgt aber gerade diese nur auf den ersten Blick vorhandene Diskrepanz für die Prägnanz im Image Lions. Prägnanz meint nämlich keineswegs, „dass spezifische inhaltliche Elemente eindimensional belegt werden, vielmehr lebt die Marke ebenso durch interne Kontraste, die Interesse aufrechterhalten, da sie einer Auflösung bedürfen bzw. ein vielschichtig-komplexes Bild bedingen, das weitergehende mediale Präsenz wahrscheinlich macht.“250
In der Tat erzielte Lions Performance als Braut eine erhöhte Aufmerksamkeit. So lässt sich feststellen, dass das „Braut“-Foto neben der Fotografie der „Sisters“ mit Lion, Dietrich und Karlweis eines der meistpublizierten aus der Revue ist. Es erschien in Zeitungen und Illustrierten und wurde auf die Werbung für die ElectrolaPlatten (vgl. Abb. 17) gedruckt. Lions Bühnen-Persona der Braut erlangte also eine gewisse Popularität, auch weil sie die äußere Erscheinung von Es liegt in der Luft unmittelbar geprägt hat. Deshalb ist von einer gewissen Durchdringung von Image und dieser spezifischen Rolle auszugehen. Bei einem näheren Blick auf die Konstruktion von Bühnen-Persona und Chanson-Protagonistin zeigt sich dann auch tatsächlich, wie hier mit den genannten internen Kontrasten in Lions Image gespielt, über die mehr oder minder subversiven Brüche wiederum eine Kontinuität zu ihrem ersten erfolgreichen Auftritt hergestellt und damit Lions Image der grotesken Neuen Frau gestärkt wurde.
250 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, S. 98.
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Musik- und Textanalyse Die Braut 1. Es tritt die Braut zu dem Altar so voll Sehnsucht, so voll Bleichsucht, es soll anders werden als es war mit der Sehnsucht, mit der Bleichsucht. Sie möchte gern vermeiden, dass man merkt, was sie will, sie tritt so bescheiden, sie tritt, ach, so still und außerdem vornehm, wie lieblich sie tritt. 1. Refrain Sie tritt und sie tritt. Sie tritt Schritt für Schritt. Alle Onkel, alle Tanten, alle Eltern und Verwandten treten hinten mit. Bis sie mit ihm getraut wird, und so das Eis getaut ist; dann tanzt man hinterher und die holde Braut wird ganz langsam ordinär! 2. Sie hat den Brautkranz noch im Haar Alles munkelt, alles flüstert und einer sagt es laut sogar, was man munkelt, was man flüstert. Man denkt den Gedanken, was kommt hinterher?
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236 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Und dieser Gedanke schwebt lieblich umher, er schwebt und er klebt und wie vornehm er klebt. 2. Refrain Er schwebt und er klebt Bis man’s dann erlebt, alle Onkel, alle Tanten, alle Eltern und Verwandten, sind wie neu belebt, weil sie mit Recht getraut ist, weil sie gesetzlich Braut ist, und alles wird umher weil es so schön laut ist, gesetzlich ordinär.251
Das Chanson „Die Braut“ zeigt im Gegensatz zum vertikal strukturierten „Die Linie der Mode“ eher einen horizontalen252 Spannungsaufbau: Zwar handelt es sich auch hier um ein strophisches Chanson (zweimal 16 Takte), doch ist nicht nur der Text der Strophen, sondern auch der der beiden Refrains (ebenfalls 16 Takte) unterschiedlich. Zwar werden bereits mit dem achttaktigen Intro Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona charakterisiert, diese durchlaufen dann jedoch strukturell, textlich und musikalisch eine Entwicklung, in der ihre Positionen konterkariert werden. In den viertaktigen Übergängen zwischen den Refrains und den Strophen findet diese Entwicklung ihren Höhepunkt.
251 Mit freundlicher Druckgenehmigung – auch der Notentranskription im Anhang – von Chris Kelly und Andreas Seeber. Ebenfalls abgedruckt in: Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 28f. 252 Vgl. Victor Ruttkowski: Das literarische Chanson in Deutschland, S. 13: „Es lassen sich also zwei BAUFORMEN des Chansons unterscheiden: die horizontal (auf das Liedende hin) und die vertikal (auf das Strophenende hin) orientierte. Die erste ähnelt dem Bau des Dramas mit seiner Konzentration auf einen Höhepunkt. Die zweite dem der Revue mit ihren aneinandergereihten Sketchen, die jeder eine eigene Schlußpointe haben und nur durch den roten Faden des Themas zusammengehalten werden [Hervorheb. orig.]“ sowie ebd., S. 172: „Wir finden die doppelte Spannung zum Refrain und (schwächer) zum Gedichtende besonders häufig im Chanon und Couplet. Die Spannung auf einen Höhepunkt oder das Ende hin ist hier unbedeutend geworden, weil sie zu der (letztlich distanziert) betrachtenden Haltung des Sprechers nicht paßt“.
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Auch inhaltlich scheint die dargestellte Szenerie wenig mit der großstädtischen Unterhaltungskultur der Neuen Frau aus „Die Linie der Mode“ gemein zu haben. Dargestellt werden eine Hochzeitszeremonie sowie die sich anschließende Feier mit der Hochzeitsgesellschaft, in deren Mittelpunkt die Braut steht. Die Chanson-Protagonistinnen könnten scheinbar unterschiedlicher nicht sein. Doch wie in „Die Linie der Mode“ ist auch „Die Braut“ in der dritten Person Singular erzählt, und auch hier ist ein Bruch zwischen Chanson-Protagonistin und Performance-Persona zu beobachten. In „Die Linie der Mode“ steht Lion durch ihr schwarzes Kostüm in Diskrepanz zum Weiblichkeitstyp der Neuen Frau und verkörpert deren parodistische Dekonstruktion. In „Die Braut“ nimmt sie das Äußere einer klassischen weißen Braut an, während die Dekonstruktion eines solchen Idealbildes zunächst ausschließlich auf Text- und Musikebene stattfindet, wobei zu letzteren auch die Stimme von Lion als Teil ihrer Bühnen-Persona zu zählen ist. Wie in „Die Linie der Mode“ die Neue Frau als Restbestand eines Weibes durch Lions Körper und Kostüm dargestellt wird, so wird die Braut hier neben der allmählichen Entwicklung in Text und musikalischem Gestus des Marsches sofort durch ihre Stimme dekonstruiert. Diese vermag beim besten Willen nicht zu ihrem Kostüm passen, denn Lions Sprechgesang „im gedämpften Gröhlen“253 zerstört die Ästhetik eines schönen Brautlieds und sprengt sein Idealbild.254 Ihre Stimme ist weder melodiös noch getragen, sondern passt sich dem stampfenden Metrum der Musik an. Lion vermeidet geradezu die Melodiestimme, die durch Klavier und Bläser gedoppelt beziehungsweise allein gespielt wird und übernimmt eher die Rolle eines Rhythmusinstruments.255 Lions Stimme ist die der Chanson-Protagonistin („und die holde Braut wird ganz langsam ordinär“ [Refrain I, V. 9]). Sie konterkariert gemeinsam mit Mischa Spolianskys Komposition von Anfang an das Idealbild der Braut, wie sie es zunächst als Bühnen-Persona mit ihrem Kostüm darstellt: „Ihr müßt sie in weißem Gewande sehen, keusches Myrtenkränzchen auf
253 Rezension Nr. 152. 254 Nur wenige Monate später nutzt Lotte Lenya das typische Parlando der Diseuse, um ein ganz anderes Brautlied in der Dreigroschenoper vorzutragen („Die Seeräuberjenny“). In beiden Beispielen steht die Stimme im Kontrast zum Image der dargestellten Weiblichkeitsrolle (die reine und unschuldige Braut und das harmlose, machtlose Abwaschmädchen). 255 Bezeichnend ist, dass in der zweiten Version des Chansons, wie es im Klavierauszug des Verlags Felix Bloch Erben notiert ist, die Sängerin die Möglichkeit der Improvisation habe. Bei Unklarheiten solle sich diese aber an der alten Fassung orientieren.
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dem Haupte, und hören, wie sie ihr keckes Lied singt, das aus der braven Bürgerlichkeit unversehens ins Ordinäre umschlägt.“256 Im Sinne dieser Ambivalenz lässt sich gleich der erste Vers des Chansons doppelt deuten: „Es tritt die Braut zu dem Altar / so voll Sehnsucht, so voll Bleichsucht“. Die Sehnsucht mag hier rollenkonform gedeutet werden, also dem zukünftigen Ehemann und einer glücklichen Ehe gewidmet sein. Und auch die Bleichsucht kann als Schönheitsideal der alabasternen Haut der weißen, schlanken Braut gedeutet werden. Doch zugleich ist die Bleichsucht hier auch als pathologisches Symptom im Diskurs um die hysterische Frau der Großstadt zu deuten. Das heißt, die Braut wird hier auch zu jener Symbolfigur der Moderne, wie sie bereits mehrfach angesprochen wurde. Ihre Bleichsucht gehört zu jenem körperlichen Inszenierungsfeld, das die Frau zur destruktiven Ursache der Entwicklung von Technologie und Geschlechterbeziehungen wie auch zu deren Objekt und Ausdruck werden lässt.257 Abbildung 29: Margo Lion als Braut in der Szene „Weiße Woche“
So wie Lions Bühnen-Personae in „L’heure bleu“ und „Wenn die beste Freundin“ aktuelle Weiblichkeitsentwürfe und historische Idealvorstellungen gleichzeitig
256 Rezension Nr. 152. 257 Vgl. ebd.
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parodieren, so werden auch im Chanson „Die Braut“ Konstruktionen klassischer weiblicher Idealbilder mit modernen Vorstellung in Verbindung gebracht und gleichermaßen verzerrt und gebrochen. Auf den ersten Blick jedoch gibt das Szenenbild „Weiße Woche“ (vgl. Abb. 29), in die das Chanson integriert ist, ein widerspruchsfreies Bild von Lions Bühnen-Persona als keusche und reine Braut wieder. In der Regieanweisung des Bühnenmanuskripts heißt es: „(sehr elegantes Brautkleid mit Schleier und Lilien-Strauß, kommt von hinten links, langsam, zu den Takten der Musik. 8 weiß gekleidete Brautjungfern folgen ihr. Girls, 2 tragen den Schleier, 2 tragen die Schleppenenden. Die Braut steigt langsam die Stufen hinunter, bleibt dann stehen. Die Brautjungfern gruppieren sich um sie, legen vorsichtig Schleier und Schleppenenden nieder)“258
Betrachtet man den Szenenaufbau in der Regieanweisung und auf dem überlieferten Szenenfoto, so erwartet man einen grazil-schreitenden Auftritt zur getragenen Musik zum Beispiel von Felix Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch aus Ein Sommernachtstraum (op. 61). Man ist umso überraschter, wenn man die Originalaufnahme des Chansons „Die Braut“259 hört. Zwar erklingt dort tatsächlich Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch, jedoch als Zitat in den zwei Überleitungen zwischen Refrain und Strophe, darüber hinaus dem Marschtempo und -gestus des Chansons im alla breve angepasst. Bevor das Publikum diesen vielleicht eher erwarteten Hochzeitsmarsch zu hören bekommt und ihn dann durch den musikalischen Kontext doch ganz anders hören wird, wird es durch das achttaktige Intro im treibenden Metrum ( = ca. 120 bpm) in das Chanson hinein geleitet. Das Metrum wird durch den staccato gespielten Wechselbass von Tonika und Dominante des in C-Dur stehenden Chansons unterstützt, der dann auch in den ersten acht Takten der Strophe fortgeführt wird. Ein synchroner Schritt einer langsam schreitenden Braut zu diesen hart angeschlagenen Akkorden in solch treibendem Metrum ist unmöglich. Was wir heute nicht mehr rekonstruieren können, ist, ob zum Auftritt Lions und ihrer Brautjungfern ein Vorspiel vor dem eigentlichen Chanson erklang, sie in einer Musikpause vor Beginn des Chansons auf der Bühne erschien, von der Regieanweisung abwich und dem Tempo gemäß eher stampfend als schreitend auftrat, oder ob gerade durch einen schreitenden Auftritt von ihr ein
258 Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 28. 259 Electrola, EG 890. Wiederveröffentlicht und digital überarbeitet auf: Margo Lion. Die Linie der Mode.
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Kontrast zur Musik gesetzt wurde. Der Bruch zwischen der Bühnen-Persona, wie sie mit ihrem Auftritt in der Regieanweisung beschrieben und im Szenenfoto festgehalten ist, und der Chanson-Protagonistin wird aber spätestens in der ersten Strophe vollzogen. Dem horizontalen Spannungsaufbau durch das ganze Chanson hindurch steht eine Zuspitzung in Form eines Dreischritts innerhalb der Strophen gegenüber. Zunächst fällt in den ersten vier Takten die monotone Melodie- und Harmoniegestaltung auf. In der ersten Takthälfte hat Lion laut Spolianskys Komposition stets Terz und Quinte (e‘ und g‘) der C-Dur-Tonika im Wechsel zu singen, in der zweiten Takthälfte ist die Melodieführung durch den Wechsel von Quinte und Septime (d‘ und f‘) des Dominantklangs bestimmt. Die Aufnahme macht jedoch hörbar, dass Lion diese Monotonie noch zu übertrumpfen wusste, indem sie auf eine notengetreue Melodiegestaltung zu Gunsten ihres Parlandostils fast ganz verzichtet. Der Text ist in diesen Takten noch eine schlichte Beschreibung: „Es tritt die Braut zu dem Altar / so voll Sehnsucht, / so voll Bleichsucht“ (I, V. 1–3). Auch die zweite Strophe setzt mit einer zunächst ‚harmlosen‘ Beschreibung der äußeren Erscheinung der Braut ein, lässt dann aber schon eine gewisse Doppelbödigkeit deutlicher hervortreten: „Sie hat den Brautkranz noch im Haar, / alles munkelt, / alles flüstert“ (II, V. 1–3). Die letzten Worte der Verse werden durch die Komposition und durch Lions stimmliche Ausgestaltung besonders betont. Wie von Lion bekannt, tritt ihr gutturales ‚r‘ deutlich hervor, wodurch die Worte „Altar“ (V. I, 4) und „Haar“ (V. II, 4) betont werden. Durch die ungewöhnliche Betonung des letzten Buchstabens wird zusammen mit einem vokal-betonten Stimmideal auch die sakrale und ästhetische Bedeutung des Altars und des Haars negiert. In den nächsten zwei Takten sind die vokalen Silben der Substantive auf die betonte erste Zählzeit gelegt und wirken als Viertelnote gegenüber den Achteln und den Vierteln im Staccato der ersten beiden Takte lang gedehnt. Die „Sehnsucht“ (T. 5) und die „Bleichsucht“ (T. 6) sowie die Worte „munkelt“ (T. 5) und „flüstert“ (T. 6) der zweiten Strophe werden damit zu Bedeutungsträgern. Durch ihre deutliche Hervorhebung werden sie doppeldeutig. Bereits vor dem ersten Refrain können die Hörer ahnen, dass es mit den sakralen und romantischen Attributen dieser Braut nicht weit her ist. In der zweiten Strophe dienen die gedehnten Vokale nun zur Illustrierung des Munkelns und des Flüsterns. Spoliansky hat in den nächsten vier Takten eine Rückung in die Tonart e-Moll komponiert, die er mit der Zwischendominante H7 als Auftakt zu Takt 7 einleitet. Die gleiche Melodie erklingt nun eine große Terz höher, die auf Viertel-Schläge gesetzten Akkorde wechseln zwischen e und H7 (in T. 7 fehlt im Originalmanuskript das Vorzeichen für Dis, dieses wurde im Notenanhang in Klammern er-
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gänzt). Auch textlich kündigt sich hier ein Wandel an, der mit der Hochzeit vollzogen werden soll: „Es soll anders werden als es war / mit der Sehnsucht, / mit der Bleichsucht“ (I, V. 4–6). In der zweiten Strophe wird der gemunkelte und geflüsterte Gedanke fassbarer, die Rückung vollzieht sich mit der Transformation eines Gedanken zum Gesagten: „und einer sagt es laut sogar, / was man munkelt, / was man flüstert“ (II, V. 4–6). Die aus den ersten vier Takten bekannten, gedehnten Silben auf „Sehnsucht“, „Bleichsucht“, „munkelt“ und „flüstert“ bleiben erhalten. Ihre zwiespältige Bedeutung wird nun jedoch durch die textliche Umgebung sowie den Wechsel in die Moll-Tonart verschärft. Die letzten acht Takte der Strophen (T. 11–18) setzen sich zunächst deutlich ab, indem sie harmonisch viel offener komponiert sind. Zum Text passend lässt Spoliansky die Harmonie, beziehungsweise ihre Zugehörigkeit zu C-Dur oder eMoll, unklar, wechselt in Takt 13 sogar kurz zu d-Moll: „Sie möcht‘ gern vermeiden, / dass man merkt, was man will“ (I, V. 7 u. 8); beziehungsweise in der zweiten Strophe: „Man denkt den Gedanken / Was kommt hinterher?“ (II, V. 7 u. 8). Der Wechsel der Tonart scheint mit einer Parenthese der erlebten Rede einherzugehen. Anstelle des durch die Zwischendominante E7 (mit Sexte) erwarteten a-Moll (also der Tonikaparallele von C-Dur beziehungsweise der Subdominanten von eMoll) erklingt in Takt 11 d-Moll. Dies ließe sich als Subdominantparallele von CDur lesen, ist in Voraussicht auf die nächsten Takte jedoch ein Vorgriff auf die Modulation in Takt 13. Erst dann erklingt auf der zweiten Zählzeit das erwartete a-Moll. Hier ist die Begleitung so sehr ausgedünnt, dass sie lediglich ein angedeutetes harmonisches Gerüst bietet: Allein der Saxofonsatz doppelt die Melodie (T. 10f.). Im Klavierauszug wird dies durch die pausierende linke Hand und die Melodieübernahme in der rechten Hand ersichtlich. In Takt 12, also der Musik zum zweiten Vers, der sowohl in der ersten als auch in der zweiten Strophe von Ungewissheit geprägt ist, changiert Spoliansky erneut zwischen den Tonarten. Es erklingt wieder d-Moll, also die Subdominantparallele von C-Dur beziehungsweise eine neue Tonika, dann erklingt auf der letzten Zählzeit dieses Taktes die Dominante von e-Moll (H7), die dann schließlich auch wieder zu ihrer vermeintlichen Tonika in Takt 13 führt. Doch ist Spoliansky auch hier noch nicht angekommen. Die Harmonik zu den Versen „sie tritt so bescheiden, / sie tritt, ach so still / und ausserdem vornehm, / wie lieblich sie tritt“ (I, V. 13–17) beziehungsweise „und dieser Gedanke / schwebt lieblich umher, / er schwebt und er klebt / und wie vornehm er klebt“ (II, V. 13–17) ist vielmehr eine beliebte Kadenz im Jazz. Denn in Takt 13 befindet sich Spoliansky nun in dem bereits angekündigten d-Moll, der e-Moll-Klang (auf der zweiten Zählzeit mit der kleinen Septime) bildet hier die zweite Stufe. Auch
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die Dominante erklingt als verkürzter Dominantseptnonakkord in Takt 14, führt dann jedoch nicht zur erwarteten neuen Tonika d-Moll, sondern wird in fis7 umgedeutet, und zusammen mit der folgenden Zwischendominante E7 leitet Spoliansky zurück zu e-Moll. Im Takt 15 finden sich erneut das ambivalent zwischen e-Moll und C-Dur stehende a-Moll und die Tonika von e-Moll. In Takt 16 erklingt ganz konträr zum Text „lieblich“ bzw. „vornehm“ ein herausstechendes Fis7, gefolgt von G. Spoliansky verhindert jedoch eine folgerichtige Modulation zur Ausgangstonart C-Dur. Es folgt vielmehr zunächst der durch Fis7 eingeleitete Klang H7, auf den erst dann nun endlich die Tonika der Ausgangstonart C-Dur folgt. Diese harmonisch so fragile Phrase illustriert die in den Versen ausgedrückte Leichtigkeit, Ungewissheit und Unsicherheit – sowohl die Chanson-Protagonistin als auch die Musik befinden sich auf (harmonischen) Abwegen. Auch die Melodie zu dieser textlich und harmonisch so offenen Passage ist ambivalent. Einerseits tritt hier Lions Gesang vor die Begleitung in den Vordergrund und nimmt mit dem sich bis Takt 17 steigernden ritardando den Charakter einer Kantilene an. Diese dreht sich melodisch jedoch im Kreis und bleibt ebenso ziellos wie die Begleitung (vor allem T. 11f.). Wie der Gedanke der zweiten Strophe schwebt auch Lions stimmlicher Wille in der Luft, aus der trittfesten Artikulation im Staccato der ersten Phrase wird hier eine wabernde Tonfolge. Auch die Posaune, die bis dahin wie in einer Polka die Grundtöne auf der ersten und dritten Zählzeit laut und portato mitgespielt hat, begleitet nun zurückgenommener, ebenso wie der Saxofonsatz, im Legato. Die erste Zählzeit mit dem sich in den Takten 13, 14 und 17 wiederholenden Wort ‚tritt‘ wird durch das ritardando zunächst verschleiert. Diese Verschleierung passt wiederum ideal auch zur zweiten Strophe, um den nicht recht fassbaren Gedanken zu illustrieren. Gemeinsam mit dem ritardando tritt das bereits bekannte Stilmittel der Silbendehnung auf. Nun werden die Wörter „bescheiden“ (T. 13), „still“ (T. 14) und „lieblich“ (T. 16) herausgestellt. Dies hat denselben Effekt wie an der kongruenten Stelle von T. 4 und 5 beziehungsweise 9 und 10: Gerade durch Lions Überspitzung wirken diese Tugenden der idealen Braut unglaubwürdig. Bemerkenswert ist auch, wie Lion das „still“ spitz nach oben aus der Melodielinie herausdrückt. In der zweiten Strophe wird an diesen Stellen erneut der „Gedanke“ hervorgehoben – auch er ist wie die Braut nur vermeintlich „lieblich“ und „vornehm“. Durch Lions sarkastischen Stil, in dem ihre Stimme nie vokal schön, sondern guttural verzerrt oder übertrieben näselnd klingt, erhält diese Kantilene keinen erhabenen Charakter, sondern lässt an der Trittfestigkeit der Braut zweifeln, sodass sie ins Straucheln gerät. Umso gewaltiger wirkt dann der beschriebene harmonische Effekt, wenn mit dem letzten „sie tritt“ beziehungsweise „er klebt“ (I/II, V. 12) die Grundtonart C-
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Dur so plötzlich erreicht wird, Tempo, Betonung der ersten Zählzeit und stampfende Begleitung wieder einsetzen (T. 16/17): „Der Moment, wo diese Groteskkünstlerin aus der gezierten Steifheit einer Braut plötzlich temperamentvolle Gemeinheit ausbrechen läßt, hatte beinahe etwas Unheimliches.“260 Sicherlich bezieht sich der Mannheimer Rezensent oder die Rezensentin auf diesen Moment zwischen Strophe und Refrain. Der grobe, stampfende Klangeindruck des Intros wird nun durch die durchgängige Betonung der ersten Zählzeit durch Einwürfe der Bläser verstärkt sowie der Wechsel zwischen Tonika und Dominante nun nicht mehr halbtaktig, sondern mit dem Taktwechsel vollzogen. Vermittelt wird eher der Eindruck einer hinkenden und groben Erscheinung als der einer schreitenden Braut. Das Ideal der grazilen Braut wird spätestens hier sowohl musikalisch als auch textlich durchbrochen. Der strukturelle Ablauf der Strophen wird in den Refrains wieder aufgenommen. Der Wechselbass setzt nach vorangegangener harmonischer Verwirrung wieder zuverlässig, diesmal im ganztaktigen Wechsel, ein, und auch hier komponiert Spoliansky nach den ersten vier Takten in C-Dur eine Rückung um eine große Terz nach oben (T. 23). Ebenfalls wird die dreiteilige Form der Strophen aufgegriffen. Ein verkürzter Dominantsept(non)akkord leitet den ersten Teil in CDur (T. 19–22) sowie den zweiten Teil in e-Moll (T. 23–26) ein. Jedoch führt der verkürzte A-Dur-Klang an diesen beiden Stellen wie auch in der Steigerung im zweiten Teil (Auftakt zu T. 25) in die Irre. Auf der jeweiligen Eins der Takte beharrt Spoliansky durch die Dominante auf den bereits etablierten Tonarten, anstatt das nach der Zwischendominante erwartete d-Moll erklingen zu lassen. Durch die so prominent platzierte harmonische Verwirrung auf der ersten Zählzeit erhalten die Tritte der Braut, der Onkel und Tanten sowie der Eltern und Verwandten einen groben, schwerfälligen Charakter. Der letzte Teil des Refrains ist acht Takte lang (T. 27–34), die Spoliansky erneut für eine eigenwillige Modulation nutzt. In Takt 27 erklingt ein E/ 7, der eigentlich zu a-Moll führen würde. Es folgt jedoch F-Dur, und das sich anschließende F7 wird geradezu mit Gewalt zu C-Dur gebogen. Passend zu dem verheißungsvollen und erwartungsweckenden Text „Bis sie mit ihm getraut ist“, beziehungsweise „Weil sie mit Recht getraut ist“ (I, II, V. 6) sind die nächsten Takte 28–30 tatsächlich auch von der Ausgangstonart des Stückes geprägt. Umso ambivalenter sind nun die letzten vier Takte des Refrains (T. 31–34). Die gesetzlich legitimierte Ehe liest sich hier harmonisch nämlich doppeldeutig. Die Akkordfolge C/7 – F – C – C lässt sich sowohl in C-Dur als auch in F-Dur
260 „Revue bei Reinhardt. ‚Es liegt in der Luft.‘, in: Neue Badische Landeszeitung (21.05.1928).
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hören. Wie bereits in der Strophe führt Spoliansky auch hier über die Subdominantparallele in die letzten sieben Takte ein, die wiederum zwischen den beiden Tonarten des Stücks changieren (T. 29–34). Diese Doppeldeutigkeit in der Harmonik entspricht dem Text und deutet zugleich auf die noch zugespitzte Bigotterie im sich anschließenden Übergang voraus. Auch textlich sind also parallele Entwicklungen von Strophe und Refrain zu entdecken. Die Tautologie zu Beginn der Strophen, die durch die Wiederholung der Worte „Sehnsucht“ und „Bleichsucht“ erreicht wird, erhält in der ersten Hälfte des ersten Refrains eine neue Dimension. Der Text dreht sich hier im Kreis, zielt nur noch auf den Marsch ab: „Sie tritt und sie tritt. / Sie tritt Schritt für Schritt“ (Refrain I, V. 1 u. 2). Auch die weiteren Verse bilden das Hochzeitzeremoniell als Marsch ab, wobei dieser durch das Wortspiel mit ‚treten‘ ins Grotesk-Komische verzerrt wird: „Alle Onkel, / alle Tanten, / alle Eltern und Verwandten / treten hinten mit / Bis sie mit ihm getraut wird, / und so das Eis getaut wird; / dann tanzt man hinterher“ (Refrain I, V. 3–7). So wenig wie das „treten hinten mit“ lediglich sprachliche Ungeschicklichkeit ist (was nicht zuletzt auch der ‚schräge‘ verkürzte Dominantseptakkord hörbar macht), so wenig ist auch der zehnte Vers „dann tanzt man hinterher“ nur Beschreibung der feiernden Hochzeitsgesellschaft. Was hier auf den ersten Blick nämlich nur die Beschreibung der Hochzeitsgesellschaft ist, entpuppt sich auch als Drängeln, Schieben und Schubsen der Braut vor den Altar. Es ist der Ruf nach gesetzlicher Legitimität der Ehe, um wie in den letzten vier Takten des Refrains vorausgedeutet, und im Übergang eingelöst, ordinär werden zu können. Seinen Höhepunkt findet das Chanson sowohl musikalisch als auch textlich in diesem Übergang zwischen Refrain und Strophe (T. 25–38/39): „und die holde Braut / wird ganz langsam ordinär“ (Übergang I, V. 1 u. 2); beziehungsweise „und alles wird umher, / weil es so schön laut ist, / gesetzlich ordinär“ (Übergang II, V. 1 u. 2). Dabei ist dieses Wort durchaus in seiner Doppeldeutigkeit zu lesen. Auf der einen Seite beschreibt es einen normalen, gewöhnlichen Zustand, nämlich hier den der Ehe. Auf der anderen Seite ist es durchaus auch alltagssprachlich synonym zu vulgär zu lesen, was letztlich auch musikalisch ausgedrückt wird, denn hier hat Spoliansky ein besonderes parodistisches Moment eingebaut: Während bis dahin das ganze Chanson vom stampfenden Marschrhythmus geprägt war und damit dem Idealbild der Braut und der Zeremonie zuwiderlief, zitiert Spoliansky genau an dieser Stelle, an der die Braut und ihre Hochzeitsgesellschaft nun einerseits den heiligen Stand der Ehe erreicht haben und andererseits jegliche Vorbehalte fallen lassen, Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch. Nun kann dieser allerdings nicht mehr vertraut und unbefangen rezipiert werden, sondern erhält durch die textlich-musikalische Ausgestaltung der vorangegangenen Strophen und Refrains
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parodistisches Potential. Darüber hinaus baut Spoliansky auch hier einen kleinen ‚Stolperstein‘ ein. Die durchgängigen Viertel des Originals im zweiten Takt ersetzt Spoliansky in Takt 36 durch eine Synkopisierung der zweiten Zählzeit, die darüber hinaus durch die Halbe Note auch die dritte Zählzeit noch verschleiert. Erneut lässt Spoliansky also die Braut ins Straucheln geraten. Die Performance von Lion geht noch weiter: Bei der instrumentalen Wiederholung des Hochzeitmarsches schwingt Lion laut Notiz im Notentext ihr Bein hoch, das Glissando der Bläser in Kasten 1 (T. 38) begleitet diese Bewegung und bestätigt damit die über das ganze Chanson hinweg aufgebaut subversive Spannung. Im gesamten Chanson hat Spolianskys Musik dem Text bereits einen doppelten Boden verliehen. Hier nun konterkariert seine Version des Hochzeitsmarsches zeitgleich mit dem Ausbruch von Lions Bühnen-Persona aus der aufgesetzten Rolle der reinen, unschuldigen Braut ganz offen eben jenes Idealbild der Braut, ihrer Hochzeitsgesellschaft und die an sie geknüpften bürgerlichen Werte und Normen. Das Chanson gibt musikalisch, stimmlich und textlich kein klassisches Idealbild der Braut wieder. Im Verlauf wird immer deutlicher, dass Spoliansky mit seinen ständig changierenden Harmonien nicht nur mit den Hörerwartungen, sondern auch mit den durch Lions Bühnen-Persona evozierten Erwartungen bricht. Bühnenbild und Kostüm Während der Typus der reinen Braut auf Text-, Musik- und stimmlicher Ebene dekonstruiert wird, wird er auf den ersten Blick durch Lions Bühnen-Persona im weißen Brautkleid mit Lilien und Brautjungfern bestätigt. Auf der anderen Seite hatte Lion ihr Image der grotesken Neuen Frau bis 1928 bereits so sehr etabliert, dass ihr Auftritt im Kostüm der Braut so extraordinär anmuten musste, dass hier kein unschuldiger, braver Auftritt zu erwarten war. Bei genauer Betrachtung spiegelt sich die moralische Doppelbödigkeit des Chansons tatsächlich auch im Kostüm wider. So lassen sich bei einem zweiten Blick auf das Szenenfoto (Abb. 29) Bedeutungsschichten herausarbeiten, auf denen weibliche Idealbilder nur vordergründig konstruiert, aber zugleich im Sinne von Lions grotesker Parodie dekonstruiert werden: erstens die Braut; zweitens die weiße Primadonna; drittens die Revue-Diva.
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Die Braut Laut Regieanweisung betritt Lion als Braut mit Brautjungfern die Szenerie von „Weiße Woche“ „von hinten links. Die Braut steigt langsam die Stufen hinunter“, bleibt dann stehen, während die Brautjungfern sich um sie gruppieren und Schleier und Schleppe niederlegen.261 Auf dem Szenenfoto ist Lion zu sehen, wie sie im Zentrum zwischen den zwei Mittelpfeilern, die von Vorhängen umrahmt sind, auf der obersten Stufe der breiten Treppe steht. Die Girls bilden in zwei symmetrischen, aufeinander zulaufenden Reihen die Brautjungfrauen und Schleppenträgerinnen. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Szenenfotografie um keine Livesituation handelt, sondern dass sie zu Werbezwecken gestellt wurde. So ist nicht zu rekonstruieren, was genau mit „hinten links“ gemeint ist, ob Lion wirklich alle Stufen herabstieg, um ihr Chanson vorzutragen, oder ob sie, wie auf dem Foto zu sehen, auf der obersten Stufe stehen blieb. Deutlich wird aber in jedem Fall die Hierarchisierung sowie die für Revuen typische bühnenbildnerische Symmetrie, die mittels der Treppe und den Kostümen zwischen Lion und den Girls hergestellt wird. Deutlich wird auch die Symbolkraft der Kleidung. Alle tragen weiße Kleider, Lion darüber hinaus den weiten weißen Schleier. Diese Hochzeitskleidung stand seit dem bürgerlichen 19. Jahrhundert für Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit der Braut.262 Die weißen Lilien, die sowohl die Braut als auch die Girls in den Händen halten, haben die gleiche Symbolik. Der Regisseur Forster-Larrinaga, der Bühnenbildner Pirchan und der Kostümhersteller und -lieferant Herrmann Gerson stellen die Braut als „Wesen besonders angezogener Art“263 und zugleich als „Wesen geheimnisvoll anziehender Art“264 in den Mittelpunkt der Szenerie. Lion trägt ein hochgeschlossenes, keusches Brautkleid und wird dadurch von den Girls unterschieden, die mit ihren RokokoKleidern deutlich mehr Bein und Haut zeigen. Zugleich wird Lion durch den Schnitt des Kleides in ihrer modischen Gegenwart und der Ästhetik der Neuen
261 Vgl. Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 28. 262 Vgl. zur Genese und Symbolik des weißen Brautkleides Edith Hörander: „‚Ganz in Weiß‘ – Anmerkungen zur Entwicklung des weißen Hochzeitskleides“, in: Gisela Völger u. Karin v. Welck (Hrsg.): Die Braut. Geliebt, verkauft, getauscht, geraubt. Zur Rolle der Frau im Kulturvergleich, Bd. 1, Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum 1985, S. 330–335. 263 Ebd., S. 331. 264 Ebd.
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Sachlichkeit verortet.265 Ihr Kleid ist eng an ihre Silhouette angepasst, schlicht und hat tatsächlich einen ähnlichen Schnitt wie ihr schwarzes Kostüm aus der Wilden Bühne. Dennoch ist sie vor allem durch den weit ausladenden, auf zwei Seiten niederfallenden Schleier, der an ihrem Käppchen befestigt ist, sofort als Braut und damit als Protagonistin der Szene und des Chansons identifizierbar. „Die Phänomenologie der Braut beginnt mit dem schönen Äußeren der Erscheinung; mit dem, was vor aller Augen ist am Hochzeitstage: mit dem Ästhetischen im engsten Sinne. Ist dieses Äußere ein Ausdruck inneren Wesens? Drückt sich das Wesen in der Erscheinung aus, Inneres, Sinnhaftes im Sinnlich-Äußeren? Oder finden hier schöne Täuschungen statt? Zu Fest und Feierlichkeit der Eheschließung, zum Ritual der Hochzeit gehört es auf jeden Fall. Aber könnte es sein, daß eine Braut aus sieben Metern Tüll und Taft besteht – und weiter nichts?“266
Diese Fragen nach Schein und Sein, nach Bedeutung der Normen und Werte scheint Lions Performance der Braut beantworten zu wollen, indem sie durch ihren Körper beziehungsweise großen Schritt und Hochschleudern des Beines sowie durch ihre Stimme den ganzen Tüll fortschleudert.267 Es ist jedoch auch davon
265 Dass Lions Kostüm auch unter modischen Aspekten rezipiert wurde, macht bspw. eine Fotostrecke in dem Modemagazin Elegante Welt deutlich (AdK S/L, Sig. 700). Unter dem Titel „Prinzenbraut und Theaterbraut“ findet sich dort das Braut-Foto von Zander & Labisch mit folgender Bildunterschrift: „Die untere Aufnahme gibt Margo Lion in großer Brauttoilette in der Kurfürstendamm-Revue von Marcellus Schiffer und Mischa Spoliansky ‚Es liegt in der Luft‘ wieder. Dieses Bühnenbild stellt die Hauptszene in der Revue dar. Die weiße Seidencrepe-Toilette mit dem doppelseitigen Schleier ist ein Modell des Hauses Gerson. Phot.: Zander & Labisch.“ Vgl. zum modischen Aspekt in Es liegt in der Luft außerdem Dr. Artur Landsberger: „Berliner Feuilleton“, in: Der Konfektionär (23.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5): „Das ganze ist abgerundeter – mehr Theater, weniger Kabarett. Dazu trugen neben Walter Triers und Emil Pirchans Bildern und den Figurinen Dudo [sic!] Wolffs vor allem die Kostüme der Damen bei, die Herrmann Gerson geliefert hatte. Eine Augenweide, dabei ein vollendetes Sicheinfühlen in die Materie. Ein individuell den Trägern angepaßter Geschmack, der höchstes Lob verdient. Hat man Marlene Dietrich je so schön gesehen? Und hat Marga Lion je so kapriziös-damenhaft gewirkt?“ 266 Henriette Caloy: Die Braut. Das fesselnde Ritual des Eros (= Heyne Sachbuch 443), Stuttgart: Kreuz Verlag 1989, S. 32. 267 Vgl. Rezension Nr. 179: „[…] im Hochzeitskleid, mit Schleppe und Lilien, unter plötzlichem Hochschleudern des Beines […].“
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auszugehen, dass Lions Kostüm gleich zu Beginn ihres Auftritts für Skepsis im Publikum sorgte. Denn ihr Image, das so sehr von ihren grotesken Parodien von Weiblichkeitsstereotypen gesättigt war, wird für eine gewisse Neugier gesorgt haben, was hinter diesem Gewand stecke – eine Erwartungshaltung, die, wie gezeigt wurde, durch das Chanson sofort eingelöst wurde. Denn die Figur der Braut ist bei Lion nicht ungebrochen. Wenn auch ihre Bühnen-Persona im Moment des Auftritts im blendenden Weiß erscheint, so bricht spätestens die Chanson-Protagonistin mit dieser Unschuld und macht aus der Kontrastfarbe zu Lions bekanntem schwarzem Kostüm lediglich eine neue Facette ihres Images. So versteht auch der bereits zitierte Hans Heinz Stuckenschmidt Lions Bühnen-Persona nicht als klassische Braut, sondern im Gegenteil als Patin des neuen Typus der „Venus vulgivaga“, die eine neue Form des Couplets „mit geschlechtliche[m] Endziel“ inspiriert habe.268 Lions Braut sei weder keusch noch rein, sondern furienhaft und ordinär: „[In der] Kammerrevue „Es liegt in der Luft“ stand plötzlich Margo Lion auf der Bühne, giraffenhaft geschmeidig, in Bewegung und Stimme das Gegenbild allen weiblichen Charmes. Sie sang eine Szene von brutaler Eindringlichkeit, einen Brautmonolog, in dessen Verlauf alle Masken der Keuschheit, der hochzeitlichen Reserve, des feierlichen Gestus mit einer furienhaften Vehemenz abgestreift wurden. Es war ein Augenblick, so eindeutig ordinär, so bewußt geschlechtlich, daß dagegen die lüsterne Kindlichkeit der Blandine Ebinger wirkt wie Teegeplauder eines Backfischs aus den 90er Jahren.“269
Indem Lion die zwei noch im 19. Jahrhundert strikt voneinander getrennten Lebensbereiche der häuslichen Ehefrau und der öffentlichen Frau miteinander verbindet, sprengt sie, wie es Fred Hildebrand bereits 1925 für ihren Stil formulierte, „die Grenzen der bürgerlichen Normen“ und wird zum „Bürgerschreck, ertappte[n]“270. Und so stellt die Hochzeitszeremonie in diesem Chanson beziehungsweise dieser Szene der Revue Es liegt in der Luft auch ein spezielles „Ritual des Übergangs“271 dar. Schiffer deutet mit seinem Text den Übergang in eine gesetzlich legitimierte Partnerschaft eigenwillig um, denn bei ihm wird diese nicht
268 Hans Heinz Stuckenschmidt: „So wird heute gesungen“, S. 128. 269 Ebd., S. 128f. Die Rezeption von Blandine Ebingers „Die Braut“ und ihren Rollen in der Revue Es liegt in der Luft ist Gegenstand des Abschnitts „Die Kabarettrevue Es liegt in der Luft“ im Kapitel „Blandine Ebingers Image eines Armen Mädchens: Ein Vergleich“. 270 Vgl. Rezension Nr. 36. 271 Henriette Caloy: Die Braut, S. 143ff.
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zum moralisch vertretbaren Zustand, sondern zu dessen Gegenteil. „Weil sie mit Recht getraut ist, weil sie gesetzlich Braut ist“ (Refrain II, V. 6 u. 7), darf die Chanson-Protagonistin nun endlich ordinär sein und die Bühnen-Persona sich von der weißen Ummantelung der Jungfräulichkeit mit hochgeschleudertem Bein befreien. Zwei letzte Gedanken zu Lions Schein und Sein der Braut: Bisher ist unbemerkt geblieben, dass ein wesentliches Detail für eine authentische Hochzeitsszene fehlt – der Bräutigam. Das Bild „Weiße Woche“ ist allein weiblich geprägt. Die Eheschließung wird hier nicht als „patriarchales Symbol“272 verstanden, als Akt, in dem der Mann die Frau zu seiner Frau macht. Hier dient sie ganz im Gegenteil der Selbstfindung und der Emanzipation der Braut. Abbildungen 30 und 31: Die Weiße Woche im Kaufhaus J. W. Sältzer, Hannover und in Essen
Mit dem Fehlen des Bräutigams hängt auch der letzte Gedanke zusammen, beziehungsweise eine Frage: Was hat eine Hochzeit in einem Warenhaus zu suchen? Nichts, beziehungsweise relativ wenig. Und erst im finalen Bild der ersten Hälfte „Es liegt in der Luft“ findet sich statt eines chronologischen Erzählfadens die Auflösung. Was in der Szene selbst als Hochzeitszeremonie wirkt, scheint letztlich
272 Ebd., S. 238ff.
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nur der Kauf beziehungsweise die Anprobe eines Brautkleides gewesen zu sein. Und so erklärt sich auch der Titel der Szene. Die ‚weiße Woche‘ ist zum einen die Woche nach Ostern, an der neu getaufte Christen eine Woche lang ihr weißes Taufkleid tragen mussten. Im vorliegenden Kontext wird die ‚weiße Woche‘ jedoch als kaufmännischer Begriff verwendet. Sie bezeichnet eine Art Schlussverkauf – meist nach dem Weihnachtsfest –, in dem besonders Weißwaren in Warenhäusern günstig angeboten wurden.273 Wie populär diese Angebotswoche war, beweisen Bildpostkarten aus den unterschiedlichen Städten (vgl. Abb. 30 und 31) ebenso wie beispielsweise das Chanson „Weisse Woche. Wir treffen uns im KaDeWe“ von Artur Rebner (Text) und Rudolph Nelson (Musik), das als Notendruck vom Kaufhaus des Westens herausgegeben wurde (Abb. 32). Abbildung 32: Titelblatt des Notendrucks „Weisse Woche“
Die Dame, die während der ganzen Revue Es liegt in der Luft auf der Suche nach einem Knopf gewesen ist, ist dem Sog der Angebote dieser weißen Woche erlegen. Ein Dialog zwischen der von Lion dargestellten Dame und einem anderen Kunden (Oskar Karlweis) leiten in das titelgebende Chanson ein:
273 Vgl. GfdS. Gesellschaft für deutsche Sprache, http://gfds.de/weisse-woche/ (06.12.2016).
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„(Dame und Jüngling kommen von links seitlich im Gespräch) Dame:
Nein, mein lieber Baron, ich kann nicht mit ins Wellenbad kommen, ich muß ins Kaufhaus gehen!
Er: Dame:
Warum müssen Sie denn? Weil weiße Woche ist, lieber Baron! Ich kann an keiner weißen Woche vorbeigehen! Ich kann und ich kann nicht!
Er: Sie:
Warum können Sie denn nicht? Weiße Woche macht mich wild, lieber Baron! Weiße Woche ist ein rotes Tuch für mich! Wenn weiße Woche ist, muß ich mir was kaufen, selbst wenn ich nichts brauche! Aber ich brauche immer!
Er:
Was brauchen Sie?
Sie:
Einen Knopf.
Er:
Warum ausgerechnet einen Knopf?
Sie:
Ich brauche einen Knopf.
Er:
Einen weißen Knopf?
Sie:
Warum ausgerechnet einen weißen Knopf? Habe ich gesagt, daß ich einen weißen Knopf brauche? Ich brauche seit 6 Monaten einen Knopf. Jeden Tag frage ich die Auskunft nach dem Posamentierlager, aber ich kann das Posamentierlager nicht finden.“274
In diesem Dialog wird die Zeremonie der Eheschließung zum Irrwitz. Sie wird nicht nur vom Brautkleid auf einen weißen Knopf reduziert, sondern komplett negiert: Denn wer rede denn von einem weißen Knopf? Die Dame in dieser Szene benötigt eigentlich gar kein Brautkleid. In der letzten Szene der Revue wird der Ehe dann der letzte Stoß gegeben. An der Umtauschkasse versucht nun die Dame ihr Brautkleid umzutauschen. Sie habe es schließlich nur auf Grund ihrer Suche nach einem Knopf erstanden und nur einmal getragen: „So gut wie fast noch gar nicht!“275 Durch diese Dialoge an so prominenten Stellen der Revue wird der Akt der Eheschließung ins Profane, hier in den Alltag des Konsums, gezogen. Das symbolisch so aufgeladene Brautkleid dient hier schlicht der Bekleidung zur Hochzeit, die jedoch gar nicht benötigt wird. Es ist eine Bewegung des Erhabenen zum Irdischen, sogar zum Dekadenten, zu beobachten, die sich auch auf einer anderen Ebene der Inszenierung erkennen lässt.
274 Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 30f. 275 Ebd., S. 54f.
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Die weiße Primadonna Die Inszenierung von Lions Bühnen-Persona rekurriert nicht nur auf die im Allgemeinen verständliche Symbolik von weißen Lilien und unschuldiger, reiner Braut. Sie verweist gleichzeitig auf zwei Elemente des Startums: auf die weißen Primadonnen der Opernszene und die Star-Diven der Ausstattungsrevuen. Die Musikwissenschaftlerin und Dramaturgin Barbara Zuber beschreibt, wie sehr „Perlencolliers, Blumen, üppige Pelze, weiße Garderobe, mal zart und schlicht, mal elegant und luxuriös“ das mediatisierte Bild der Operndiva im 19. und frühen 20. Jahrhundert prägten, das für „Reinheit, Göttlichkeit, für Reichtum und gesellschaftliches Ansehen, mit einem Wort: für die Sphäre des Unerreichbaren“ stand.276 Zuber begreift die weiße Hülle der so inszenierten Diven als Allegorie und stellt das konstruierte Image einzelner Künstlerinnen in den Prozess, den ich als mimetische Identifikation beschrieben habe: „Die zeitgebundenen Qualitäten ihrer Kostümierungen gehören zwar in den Kontext einer Modekultur, als Mittel einer imaginären Repräsentation jedoch dienen sie in erster Linie der Selbstdarstellung. Doch nicht etwa für ein Theater des authentischen Selbst, sondern für Inszenierungen, die in einem intermedialen Spiel mit Vorbildern, die zu Nachbildern und wieder zu Vorbildern werden können, sich wie identische Morpheme in Bildspeichern festsetzen und ablagern, bis sie erneut reproduziert werden. Weitaus dominanter als ihre Einzigartigkeit und unverwechselbare Identität scheinen vielmehr lang anhaltende Imaginationen und bestimmte Formen der Idealisierung.“277
Zubers Einordnung der modischen Inszenierung der weißen Primadonna in einen zirkulären Prozess von Modekultur, Selbstdarstellung, Vorbildern, Nachbildern und deren gegenseitige Verstetigung hebt die Rolle des Kostüms für die Imagegestaltung der Darstellenden hervor, wie sie auch in der vorliegenden Arbeit bereits benannt wurde. Zuber folgert mit Verweis auf Geneviève Fraisse, dass durch eine solche Inszenierung die übermenschliche Frau, in diesem Fall die Operndiva, zurück in das den irdischen Frauen zugeschriebene Milieu geholt werde: in die Mode beziehungsweise in die Sphäre des Schönen.278
276 Barbara Zuber: „Die inszenierte Diva. Zur Ikonographie der weißen Primadonna im 19. und frühen 20. Jahrhundert“, in: Rebecca Grotjahn u.a.: Diva – Die Inszenierung der übermenschlichen Frau, S. 147–157, hier S. 147. 277 Ebd., S. 147f. 278 Vgl. ebd., S. 148f. bzw.: Geneviève Fraisse: Geschlechterdifferenz, übers. aus dem Franz. von Monika Noll, Tübingen: Edition diskord 1996, S. 9.
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Überträgt man diese Schlüsse auf Lions Bühnen-Persona der Braut, bedeutet dies, dass ihr zunächst Ernsthaftigkeit, Erhabenheit und Schönheit zugeschrieben werden. Sie wird durch ihr Kostüm von den Tingel-Tangel- beziehungsweise Revue-Girls abgegrenzt und im Sinne des Wortes in Szene gesetzt. Ähnlich wie bereits in dem Chanson „Die Linie der Mode“ geschieht in der Performance von Lion jedoch genau an dieser Stelle ein Bruch, indem sie das Kollektivimage der schönen, makellosen, weißen Braut nicht einfach reproduziert, sondern es aufnimmt, um dann mit ihm zu brechen und die Braut zurück ins Ordinäre holt. Diese Bruchstelle ist gleichzeitig die Verbindungsstelle von Bühnen-Persona und Chanson-Protagonistin. Das Idealbild der Braut in Form der Bühnen-Persona wird während des Hochzeitsmarsches in der Überleitung zur Chanson-Protagonistin und mittels Lions Stimme und ihrem hochgeworfenen Bein zur grotesken Parodie ihrer selbst. Das Chanson ist damit nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Kollektivimage der reinen unschuldigen Braut, der übermenschlichen Primadonna und der sexualisierten Neuen Frauen und Girls, sondern auch eine Kritik an den damit verbundenen Idealvorstellungen. Die Revue-Diva Die Braut beziehungsweise die weiße Primadonna ist eingebettet in eine Szene und nicht losgelöst von diesem Kontext zu sehen. Die Verkörperung von Reinheit und Unschuld im Zentrum des Bildes wird nur vordergründig in einem sakralen Ort inszeniert: Eigentlich befindet sich Lion inmitten eines Vergnügungsortes, und aus ihrer „züchtige[n] Zimperlichkeit [springt] plötzlich verzerrten Mundes und geschwungenen Beins das ordinäre Amüsement“279. Sie hat ihren Auftritt über eine Treppe, die an diejenige des Revuestars angelehnt sein mag. Von den stereotypisierten Girls wird sie durch ihr Kostüm und ihre Positionierung als Diva abgesetzt, und das Kostüm der Girls ist nicht nur einheitliche Kleidung der Brautjungfern, sondern verweist durch ihre Reifröcke und den eher schlecht als recht verhüllenden Tüll auf die Girls des Tingel-Tangels (wie sie beispielsweise auch im Film der Der blaue Engel zu sehen sind) und der Ausstattungsrevue. Dass Lion nicht nur als Braut inszeniert wird, sondern dass mit der Szene „Weiße Woche“ auch die Konnotation zur Diva eröffnet wird, ist also nicht allein durch ihre Bühnen-Persona und ihren Körper zu erklären. Wesentlich erscheint auch der Szenenaufbau um sie herum. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass ein direkter Zugriff auf die Inszenierung Lions in der Revue Es liegt in
279 Rezension Nr. 173.
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der Luft heute nicht mehr möglich ist. Und dennoch liefert uns das erhalten gebliebene Szenenfoto wertvolle Auskünfte über ihre Stellung in dieser Szene und auch in der Revue, insofern, als es als Werbematerial ein Image der Revue nach außen vermitteln sollte – ein Image, das unmittelbar an das der Ausstattungsrevuen erinnert. Das Szenenbild der „Weißen Woche“ ist ein Idealbeispiel für eine in den 1920er Jahren gängige Theaterfotografie, für die der Szenenaufbau der Ausstattungsrevue prädestiniert war: „Die Revue, weniger die Revue-Operette oder Operettenrevue, ist die ideale Vorlage für eine Bildreportage. Der Reporter findet bei frontaler Bildsicht meist nur eine Hintergrundansicht und die Girltruppe mit dem Star im Zentrum vor. Die Bühnengestaltung folgt meist einem Schema: große breite Mitteltreppe als Auftritt für den/die Star/s.“280
Der breite Szenenaufbau, der eine komplette fotografische Übersicht über das Bühnenbild sowie über die Hierarchie der in ihm agierenden Personen erlaubt, ist also zugleich wesentlich für die Inszenierung der Diva selbst: Die Szene „Weiße Woche“, wie sie auf dem offiziellen Foto abgelichtet ist, übernimmt den Szenenaufbau der Ausstattungsrevue, indem sie die Girls einsetzt, um dem Star, hier Lion, „die imaginäre Huldigung der Statistenmasse“281 zukommen zu lassen, wie Kothe bemerkt. Lion wird durch ihr Brautkleid als weiblicher Star im luxuriösen Kostüm als Mittelpunkt der Szenerie inszeniert. Mit dieser Darstellung knüpften Forster-Larrinaga, Emil Pirchan und Herman Gerson an das Starsystem der Ausstattungsrevue an. Ähnlich wie die Schaufensterpuppen der Brautläden sollte hier Lion das Idol sein, auf das die Zuschauer ihre Wünsche projizieren konnten. Erst durch diese Stilisierung zum Idol „inmitten einer großen Statistenschar“282 wird der Chanson-Protagonistin eine äquivalente Bühnen-Persona an die Seite gestellt. Wichtig zu bemerken ist, dass die Inszenierung des Idols beziehungsweise der
280 Dagmar Saval: „Ersatz für Träume. Einige Aspekte der Revue/Revue-Operette“, in: Barbara Lesák (Hrsg.): Von der Pose zum Ausdruck. Theaterfotografie 1900–1930, Österreichisches Theatermuseum, Wien: Christian Brandstätter Verlag 2003, S. 124– 131, hier: S. 128. Nebenbei: Das Szenenfoto scheint auch ein Musterbeispiel für den Stil des Fotostudios Zander & Labisch zu sein. Anke Spötter beobachtet, dass sowohl in den frühen als auch in den späten Aufnahmen des Studios ein statuarischer Bildaufbau überwogen habe und die Darsteller für den Lichtbildner zu posieren scheinen (Anke Spötter: Theaterfotografie der Zwanziger Jahre an Berliner Bühnen, S. 107). 281 Franz-Peter Kothe: Die theatralische Revue in Berlin und Wien. 1900–1938, S. 63. 282 Ebd.
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Diva nicht mit der Zurschaustellung von Nackttänzerinnen, die ebenfalls von Girls in der Ausstattungsrevue umgeben waren, zu verwechseln ist.283 Um die Inszenierung Lions als Diva zu verstehen, ist es also an dieser Stelle notwendig, einen Blick auch auf die Funktion der Girls zu werfen. Während bereits in Die fleißige Leserin neben dem Tänzer (Karl Janeke), dem Automobilkönig (H. H. von Twardowski), der fleißigen Leserin (Margo Lion) und der Filmdiva (Colete Corder) als Statthalter der Neuen Sachlichkeit Berlins ein Girl (Stefa Kraljewa) auftrat, bleibt es in der Revue Es liegt in der Luft nicht bei einem Girl. Acht Girls fungieren als Parodie auf die meist über ein Dutzend Köpfe zählenden Choruslines der großen Ausstattungsrevuen. Die Girls sind in Es liegt in der Luft jedoch keine anonyme Masse, sondern werden stets szenisch inhaltstragend eingesetzt. Sie spielen beispielsweise im zweiten Bild „Reste“ die Käuferinnen, „gleichmäßig in elegantem Straßenkostüm“284, und verweisen damit direkt auf das Idealbild beziehungsweise den Typus der großstädtischen Frau. Beim Auftritt einer einzelnen Käuferin bilden die Girls ein „lebendes Bild“285, das den Chanson-Auftritt von Marlene Dietrich einrahmt. Die Girls sind das erste Personal, das inhaltlich im Kaufhaus auftritt, ihnen voran geht lediglich der Prolog, dargestellt durch den Fahrstuhlführer (Hubert von Meyerinck). Durch diese dramaturgische Positionierung werden sie, wie es zuvor Lion in Die fleißige Leserin war, zum Symbol der Revue und des Konsums schlechthin und tragen von Anfang an die Idee des Warenhauses. Durch ihre Reduktion auf acht Girls und ihren Einsatz in der kleinen Kulisse der Kabarettrevue dienen sie allerdings nicht als Identifikationsfläche für Wunschprojektionen wie in den Ausstattungsrevuen, sondern als komisches Element, das es zu verlachen gilt und das den Szenen, vor allem dem Bild „Weiße Woche“, eine weitere Bedeutungsschicht verleiht. Die Parodie funktioniert hier im Prinzip ähnlich wie Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch in „Die Braut“. Ein vertrautes Element wird in einen neuen Kontext gesetzt, irritiert, erhält so seine Komik und sein subversiv kritisches Potential.
283 Vgl. zum Zusammenhang der Girls und der Nacktheit in Ausstattungsrevuen: Anne Fleig: „Tanzmaschinen. Die Girls im Revuetheater der Weimarer Republik“, in: Sabine Meine u. Katharina Hottmann (Hrsg.): Puppen. Huren. Roboter, S. 102–117, hier insbesondere S. 110f. 284 Marcellus Schiffer u. Mischa Spoliansky: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus, S. 10. 285 Ebd.
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Die Girls sind Bestandteil einer neusachlichen Ästhetik, für die Siegfried Kracauer den Terminus „Ornament der Masse“286 geprägt hat. Auf der Revuebühne symbolisierten sie einerseits urbane und amerikanisierte technologische Entwicklungen, präsentierten andererseits vor allem aber auch das Schönheitsideal der Neuen Sachlichkeit. Sie verkörperten im wörtlichen Sinne das Kollektiv der Neuen Frau. Dass dieses Kollektivimage immer auch durch Oberflächlichkeit gekennzeichnet war, wurde bereits am Beispiel der Mode dargestellt. Thomas Hecken hat darüber hinaus eine Parallele in der diskursiven Bestimmung des Phänomens der Girls und der Popkultur aufgedeckt. Beide seien laut ihren Verächtern „oberflächlich und standardisiert, […] ihre verführerischen Schlüsselreize zielten auf schnelle, körperlich spürbare Wirkungen“287. Eine solche Verbindung sieht Hecken erstmals und vorrangig in den 1920er Jahren verdichtet, wobei er darauf hinweist, wie sich der Begriff des Girls als Mädchenformationen der Revuen mit der Generalisierung und Übertragung auf moderne Frauentypen vermische.288 Das
286 Vgl. Kracauers prominente Übertragung auf das Phänomen der Girls: „An das regelmäßige Spiel ihrer Kolben [von Schiffsmaschinen] erinnern die Posen der Girls. Sie sind nicht von militärischer Exaktheit, sie entsprechen dem Ideal der Maschine. Drückt man auf einen Knopf, so wird die Mädchenvorrichtung angekurbelt und leistet die gewaltige Arbeit von 32 PS. Alle Glieder rollen, alle Wellen geraten in Umlauf. Und während der Mechanismus stampft, zittert und dröhnt wie ein Sägewerk oder eine Lokomotive, trieft fortwährend das Öl des Lächelns in die Gelenke, damit nicht plötzlich ein Rädchen versagt. Zuletzt wird auf ein unhörbares Sirenenzeichen hin die maschinelle Tätigkeit gestoppt, und das tote Ganze zerlegt sich automatisch in seine lebendigen Teile. Ein Zerstörungsprozeß, der das traurige Gefühl hinterläßt, daß diese Teile gar nicht selbstständig weiterzuexistieren vermögen“ (Siegfried Kracauer: „Girls und Krise“, in Ders.: Straßen in Berlin und anderswo (= Bibliothek Suhrkamp 1449), erw. Ausg., mit einem Nachwort von Reimar Klein, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 202–204, hier S. 202 (Original abgedruckt in Frankfurter Zeitung, 28. April 1925). 287 Thomas Hecken: Populäre Kultur, S. 141f. Interessant ist, dass Hecken die Zuschreibung der Oberflächlichkeit hinsichtlich ihrer Folgen für die einzelnen Mädchen weiterverfolgt. So beschreibt er, wie sie dieses (Fremd-)Image für die eigene Selbstdarstellung nutzen, um sich von der „braven Mutter“ abzugrenzen und ihrer „traditionellen Bestimmung“ zu entfliehen. Die Folge sei jedoch auch, dass sie nicht nur körperlich und sexuell als oberflächlich abgetan würden, sondern auch an ihrer Intelligenz gezweifelt würde, wodurch ihnen Bereiche außerhalb der Mode, wie „Universitäten, Parlamente und Vorstandsbüros“ verschlossen blieben (ebd). 288 Vgl. ebd., S. 152.
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Girl in seiner doppelten Definition als neusachliches Arsenal der Revuen und als neusachlicher Frauentypus in der Alltagswelt Berlins ist als Massenphänomen ebenso Teil des zirkulären Prozesses der mimetischen Identifikation wie die Neue Frau, wie die Diseuse, wie Lion etc. und hat damit jene Invarianz der Oberflächlichkeit, der Anonymität, der Masse und der billigen Unterhaltung ausgebildet. Diese Wahrnehmung des Weiblichkeitstyps beeinflusst auch die Wahrnehmung der Szene „Weiße Woche“, indem sie aus der Braut Lion auch die Revuediva Lion macht. Durch die Anwesenheit, die Positionierung sowie durch die an die Ausstattungsrevue anknüpfenden Kostüme der Girls wird Lion in ihrem Brautkostüm als Einzelstar von dem Klischee der ‚billigen‘ Unterhaltung abgesetzt, ohne sie indes von der Sphäre dieser Unterhaltungskultur komplett zu lösen. Die acht Girls spiegeln den im Chanson getexteten und komponierten Wandel wider, denn hier sind die Girls lediglich als Brautjungfern kostümiert. So wie die Braut und die Hochzeitsgesellschaft des Chansons nur auf einer äußerlichen Ebene von Werten und Normen geprägt sind, so ist auch die Hülle der Girls in weißen Kleidern mit Lilien bloße Hülle. Durch ihre Körper färben sie die dargestellte Hochzeitszeremonie parodistisch ein. Lions Braut als Diva zu inszenieren, bedeutet, sie zu profanieren. Die Diva und die Braut haben als Stereotypen und Weiblichkeitsideale gemeinsam, dass sie Modellcharakter haben.289 Sie werden beide als überirdisch, erhaben und zugleich als fragil, zerbrechlich figuriert.290 Gleichzeitig könnte ihr Kontrast nicht größer sein. Dort, wo die Braut unschuldig und rein ist, ist die Diva sündig und hat eine gewisse Nähe zum Typus der Femme fatale. Aus der Kreuzung von metaphysischer Braut und göttlicher Diva entsteht eine Fallhöhe, die Lion für ihre Dekonstruktion dieser Idealbilder benötigt. Aus der sakralen Umgebung wird ein Vergnügungsort und aus der fast körperlosen, verhüllten Braut wird eine Diva, die ohne ihre körperliche Substanz nicht denkbar ist.291 Der Ausbruch
289 Elisabeth Bronfen bezieht sich hier auf Roland Barthes‘ Mythenbegriff (Elisabeth Bronfen: „Zwischen Himmel und Hölle. Maria Callas und Marilyn Monroe“, in: Dies. u. Barbara Straumann [Hrsg.]: Die Diva, S. 43–67, hier S. 46). 290 Zur Fragilität der Diva vgl. ebd., S. 44–46. 291 Vgl. zu einer solchen Fallhöhe Elisabeth Bronfen: „Vorwort“, in: Dies. u. Barbara Straumann (Hrsg.): Die Diva, S. 7, außerdem: Dies.: „Zwischen Himmel und Hölle“, S. 47 u. 50. Bronfen unterscheidet dort zwischen der offscreen personality des privaten Körpers und dem Image, das durch Rollen und inszenierte öffentliche Auftritt hergestellt werde. Damit argumentiert sie in die gleiche Richtung wie der bereits zitierte Stephen Lowry (Stephen Lowry: Art. „Starimage“).
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von Lions grotesk gestimmtem Körper aus dem Brautkostüm verkörpert wortwörtlich die Aussage des Chansons. Sowenig wie der Hochzeitsmarsch in „Die Braut“ unbelastet rezipiert werden kann, sowenig stehen die Girls in dieser Szene nur für sich. So wie die Strophen und die Refrains dem Hochzeitsmarsch seine Unschuld genommen haben, so nehmen nun die Girls der Braut ihre Unschuld. Zusammenführung Das Spannungsfeld zwischen Göttlichkeit und Sünde, das durch die Konnotationen von Braut und Diva in der Szene „Weiße Woche“ aufgebaut wird, ist unmittelbar in das Image von Lion integriert und verleiht der Szene mit dem Chanson „Die Braut“ ihre Brisanz. Bronfen definiert die Diva als „Unfall im Mythensystem des Stars“, weil sie durch ihre Versehrtheit auf der Grenze zwischen dem unerreichbaren Star und dem verletzbaren Privatmenschen stehe. Diven kämen demnach „meist von den Rändern der Gesellschaft, lassen ihren Starköper wie aus dem Nichts entstehen und wirken daher, als hätten sie keinen festen Boden unter den Füßen“292. Ihre psychische Verletztheit, so Bronfen weiter, zeige darüber hinaus auch den brüchigen Boden der Normalität.293 Auch Lions Bühnen-Personae befinden sich, wie an vielen Stellen gezeigt wurde, stets an der Grenze – an der Grenze zwischen dem der Identifikation dienenden Weiblichkeitstyp der Neuen Frau und ihrer grotesken Brechung. Die göttliche Diva fällt tief, und ebenso tief ist in diesem Beispiel der Fall der idealisierten Braut auf die Füße einer neusachlichen, ordinären Frau. Der Bruch mit den bürgerlichen Attributen Reinheit und Unschuld, der im Chanson vollzogen wird, findet im Szenenaufbau seine Entsprechung. Und auch wenn Lions Kostüm der Braut scheinbar diametral zu ihrem schwarzen Seidenschal-Kostüm steht, so birgt es das gleiche grotesk-parodierende Potential und stützt die gleichen Invarianzen ihres Images. Eine kleine Entdeckung mag die diachrone Kontinuität, die zwischen „Die Linie der Mode“ und „Der Braut“ besteht, veranschaulichen. Während das von Felix Bloch Erben herausgegebene Textmanuskript auf der Berliner Uraufführung von 1928 basiert, sind im Klavierauszug die im Drei Masken-Verlag publizierten Noten, neben Manuskripten und Klavierauszügen von Steven Edis für eine Dresdner Aufführung von 1994, zusammengefasst. Bei eben jener Aufführung wurde offensichtlich zwischen dem Bild „Sisters“ und dem 20. Bild „Paßfoto“ mit dem Chanson „Bitte lächeln“ Lions Chanson „Die Linie der Mode“ von 1923 eingefügt. Dies mag verdeutlich, wie sehr „Die Linie der Mode“ erstens für Lions Image 292 Ebd., S. 46f. 293 Vgl. ebd., S. 49.
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prägend war, zweitens, wie ideal dieses Image in die Warenhausrevue Es liegt in der Luft passte, und drittens, wie stringent durch Lions Chansons bewusst oder unbewusst an einem einheitlichen Image gearbeitet wurde. Schließlich lässt sich offensichtlich ein fünf Jahre älteres Chanson ohne Widersprüche in ein bestehendes Werk einfügen. „Die Linie der Mode“ und „Die Braut“ sind zwei Beispiele dafür, wie Lions Chansons und Performances eine relevante Rolle in ihrem Akt der mimetischen Identifikation eingenommen haben. Sie basieren auf dem Spiel mit Brüchen, die sowohl innerhalb der Chanson-Protagonistinnen passieren als auch durch Lions Bühnen-Personae dargestellt werden. Auf dieser Ebene kreierte Lion den Weiblichkeitstyp der Neuen Frau neu, indem sie ihn in die Ästhetik der Diseuse einpasste. Während bereits der pointierte Auftritt in der auf Unterhaltung und Kritik gleichermaßen ausgelegten Wilden Bühne eine prägnante, auffällige Performance forderte, erlaubte die lockere, auf Stereotype und Parodie ausgelegte Dramaturgie der Kabarettrevue Lion, ihr Image zu fundieren. Innerhalb einer Revue wie Es liegt in der Luft war es Lion möglich, in voneinander unabhängigen Szenen den immer gleichen Typus der grotesken Neuen Frau darzustellen, sei es in der Figur des Pudels, der besten Freundin, der dekadenten Dame oder eben der Braut. Weil diese Rollen jedoch nicht nur innerhalb dieser Revue eine Kontingenz in ihrem Charakter aufweisen, sondern auch in Lions anderen Revuerollen immer wieder bestätigt wurden (wie als Nofretete und als Autofahrerin in Quick, als fleißige Leserin in der gleichnamigen Revue, als Gigolette in Was Sie wollen etc.), ist auch die Konsolidierung eines Fremdimages in den Rezensionen zu beobachten. Deren immerfort wiederholte Zuschreibungen an Lion schufen wiederum eine Erwartungshaltung, die es zu bedienen galt. In diesem zirkulären Prozess wurde Lion auf ihr Image festgelegt, das bis in die heutigen Kabarettanthologien überdauert hat.
Blandine Ebingers Image eines armen Mädchens: Ein Vergleich
Eine andere Diseuse, Blandine Ebinger, nicht minder erfolgreich, hat ein anderes Image ausgebildet, das ebenso populär und langanhaltend war und ist. Es stellt die ideale Gegenlektüre dar, um sowohl auf die individuellen Charakteristika der beiden Diseusen zu verweisen als auch gemeinsame Konstruktionsmechanismen offen zu legen. Wenn darüber hinaus davon ausgegangen wurde, dass Lions Image eine ideale Symbiose mit der Kabarettrevue Es liegt in der Luft einging, so ist es interessant zu beobachten, welche Wechselwirkungen aus Blandine Ebingers Image eines armen Mädchens mit den gleichen Rollen entstanden. Blandine Ebinger (04.11.1899–25.12.1993) arbeitete zeitlebens an ihrem Image des armen Mädchens, mit dem sie in der Weimarer Republik berühmt wurde und durch das sie bis zu ihrem Tod als Berliner Spezialität berühmt blieb. Der Ursprung dieses Images liegt in jenem Hauptteil von Ebingers Repertoire, den sie gemeinsam mit dem Komponisten und Texter Friedrich Hollaender in den 1920er Jahren schuf (siehe Tabelle 5). Obwohl Ebinger in ihren 94 Lebensjahren durchaus die unterschiedlichsten Rollen nicht nur im Kabarett, sondern auch in Theater-, Film- und Fernsehproduktionen darstellte und schließlich auch selbst textete und komponierte1, wurde sie stets mit der charakteristischen Symbiose ihrer Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona Lieschen Puderbach aus den Liedern eines armen Mädchens identifiziert und an ihr gemessen. Wie stark dieses
1
Ihre Werke liegen in der AdK E, z. B. Sig. 50, 54, 100, 329, 466, 759, 997, 1313 u. 1315. Helwig Hassenpflug gibt auf der von ihm verwalteten Homepage von Blandine Ebinger (http://www.blandine-ebinger.de, 06.12.2016) sowie auf der MUGI-Seite (Helwig Hassenpflug: „Blandine Ebinger“, in: Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=ebin1899, die Information, dass sie in über 90 Filmen mitgewirkt habe.
06.12.2016)
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Image, dessen Konstruktion vergleichend zur Imagekonstruktion Lions im Folgenden näher zu beleuchten ist, Ebinger in ihrer Leistungsvielfalt auch eingeschränkt haben mag, zeigt eine kurze Reportage in der illustrierten Zeitschrift Die Dame2. Abbildung 33: Blandine Ebinger während ihrer Chanson-Performance „Starker Tobak“
2
Die illustrierte Modezeitschrift Die Dame erschien in zehntausender Auflage in den Jahren 1912 bis 1943 wöchentlich im Ullsteinverlag. Mit diesem Titel wurde die Illustrierte Frauen-Zeitung mit der Nummer 7 im Jahrgang 39 abgelöst. Christian Ferber beschreibt den durch die Söhne des Zeitungsgründers Leopold Ullstein eingeleiteten Image- und Generationswandel wie folgt: „Als die Abonnentinnen der ‚Illustrierten Frauen-Zeitung‘ in diesem Jahr ihre Nummer 7 bekamen, waren sie ohne Arg: das Magazinchen sah so aus wie immer. Aber unter dem gewohnten Titelblatt fanden sie ein zweites – anspruchsvoll, modern, gemäßigt keß, sehr sehr vornehm: ‚Die Dame‘. Und im Inneren roch es nicht mehr so stark nach Küche und Nähzimmer, sondern nach Parfum, Salon-Bohnerwachs und etwas großer Welt“ (Christian Ferber: „Eine Dame mit drei Gesichtern“, in: Ders. [Hrsg.]: Die Dame. Ein deutsches Journal für den verwöhnten Geschmack. 1912–1943, Frankfurt am Main u. Berlin: Verlag Ullstein GmbH 1980, S. 8–14, hier S. 8). Die Hauptadressatinnen verortet Ferber, soweit rekonstruierbar, im aufsteigenden Bürgertum und im Adel.
B LANDINE E BINGERS I MAGE EINES ARMEN M ÄDCHENS – E IN V ERGLEICH
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Gemeinsam mit sechs Rollenbildern von Ebinger, die sie damenhaft in verrückten, beschämten, kokettierenden, erstaunten, leidenden und übermütigen Posen mit lockigem Bubihaarschnitt, über die Ellbogen reichenden weißen Handschuhen, schwarzem Kleidchen, das mit locker fallenden Perlenketten gehalten wird, zeigt, wird dort über Ebingers Versuch, ihrem Image zu entfliehen, berichtet: „Augenblick, – ich muß mich erst mal erholen! Wie, die Frau, die eben auf der Bühne stand, diese strahlende Frau mit den großen Augen, diese höchst mondäne, sehr freche, ganz weibliche Person – das war die Ebinger? Ja, was ist denn da geschehen? Da ist ein begabtes Menschenkind mit jähem Ruck dem furchtbarsten, unerbittlichsten Fluch Berlins entronnen: dem Fluch des ewigen Spezialistentums. Weiß man, was das bedeutet: seinem eigenen ‚Typ‘ entkommen zu sein, dem entsetzlich engen ‚Fach‘, das einen gefangen hatte wie eine Falle, für Jahre und Jahre, zur gnadenlosen Freude der Mitmenschen? Der Ebinger ist ein großer Streich geglückt. Sie hat sich ein wundervolles Abendkleid angezogen, und sie hat einen Anlauf genommen, bis auf die Bühne von Holländers „Tingel Tangel“, und was sie da allabendlich treibt, ist Ausdruck ihrer kannibalischen Freude darüber, daß sie endlich so weit ist; daß sie endlich einmal nicht das frierende Waisenkind aus der Müllerstraße zu sein braucht, um zu gefallen; daß man ihr endlich erlaubt, eine Frau zu sein – ein glanzvolles Solo, und nicht immer weiter ein Häuflein Unglück. Die Freude darüber macht sie sehr schön, bringt sie in ausgezeichnete Laune. Und in dieser Laune führt sie allabendlich den messerscharfen Spott von Hollaenders Lied ‚Starker Tobak‘ vor. […] So ist allen geholfen. Blandine und uns. Die Freude ist groß. Heimlich aber hat Blandine noch eine kleine Bitte: daß man sie jetzt nicht etwa für zehn Jahre auf das ‚Perverse‘ festlegt. Es gibt nämlich, meint sie, auch noch andere Leidenschaften, und die will sie spielen. Alle, alle, alle.“3
Der Rezensent H. G. Lustig führt seine Leser und Leserinnen mitten in den Vortrag Ebingers hinein, indem er zunächst schildert, wie strahlend, mondän, frech und ganz weiblich Ebinger gewesen sei – eben, wie er schreibt, gar nicht die typische Ebinger, die sonst dem spezifischen Berliner Fluch erlegen sei, auf ein bestimmtes Rollenfach, einen bestimmten Typ festgelegt zu sein. Demzufolge teilt Ebinger ihr Schicksal mit Lion, die, wie bereits wiedergegeben, in der Berliner Illustrirten zu einem jener Kabarettttypen gezählt wurde. Als „Häuflein Unglück“,
3
H.G. Lustig: „Blandine Ebinger trägt ein Lied vor“, in: Die Dame, Nr. 13 (März 1931), S. 12–14, AdK E, Sig. 63.
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wie Lustig weiter formuliert, wurde Ebinger bekannt und dafür geliebt. Nun, in einer Kabarettrevue; sei sie diesem Image entflohen. Auch der Kabarettkenner und -kritiker Max Herrmann-Neiße erkennt das offensichtliche Bedürfnis, Diseusen in der Berliner Kabarettkultur auf Typen festzulegen. Entsprechend habe auch Ebinger ein spezifisches Image und zwar von Anbeginn ihrer Karriere im Kabarett Größenwahn. Die Festlegung auf ein starres Image beklagt er ebenso wie Lustig und betont gerade Ebingers Variationsvielfalt innerhalb ihrer kurzen Chansons: „Um die Gestaltung der Holl ist immer etwas Damenhaftes, um die der Valetti immer etwas Revolutionäres, um die der Hesterberg immer etwas Soubrettiges; das traditionslos Eigenwillige der Blandine Ebinger ist der Radikalismus ihres ausdruckshaften Stilisierens. Jede ihrer Vorführungen ist eigentlich im Grunde ein Linienspiel, dennoch kein bloßes Ornament, sondern aus dem Körperakzent geschöpfte Suggestivkraft erfüllt es, das Persönliche eines spezifischen Kabarettinstinktes belebt es. Dieses körperhafte Ausdrucksgenie ist an der Ebinger das Wesentliche, und es scheint mir grundfalsch, sie auf den zuerst von ihr gezeigten Typ des Berliner halbwüchsigen Mädels festzulegen, als wäre ihre Stilisierungskraft bloß an die eine Proletariermädchenfigur gebunden. Aus der Eigenart ihres gebrechlichen, kindlichen Körpers vermag sie ebenso gut die subtile Lüsternheit des Fox erotic zu entwickeln, wie die kesse Abgebrühtheit von ‚Liedern aus dem Berliner Norden‘. Und auch tragische, mit Schwermut oder Bitternis belastete Lieder erhalten von ihr vollkommene, deckende Verkörperung (Oh Mond, Wenn ich mal tot bin, Das Groschenlied), werden schließlich in einen kurzen Chansonauftritt gepreßte Anklagedramen von einer Wahrheitswucht, wie sie langwierigen Schauspielen selten eignet [Hervorheb. Orig.].“4
Ähnlich äußert sich Herrmann-Neiße nocheinmal in Bezug auf die Kabarettmatineen von Ebinger, die sie mehrfach während der 1920er gab. Hier könne sie nun ihre ganze Kunst entfalten, wohingegen im üblichen Betrieb der „Klamaukstadt Berlin“ das Publikum darauf aus sei, „die Schaffenden auf eine bestimmte Spezialität festzulegen und die Kategorie, mit der einer mehr oder minder zufällig einmal einen Erfolg hatte, ihm bis ans Lebensende als nie zu überschreitenden Rayon aufnötigen. Für diese Leute ist die Ebinger die Darstellerin der halbwüchsigen Spreejöhre und Mehring der kaltschnäuzige Satiriker des Gegenwartsrummels, und wehe, wenn eins wagen sollte, einmal anders als erwartet zu kommen!“5
4
Max Herrmann-Neiße: „Kleine Geschichte des deutschen Kabaretts“, S. 51.
5
Ebd., S. 64.
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Folgt man solchen Linien von Zu- und vor allem Festschreibungen, begonnen bei der zeitgenössischen Rezeption bis hinein in die retrospektiven Betrachtungen der Kabarettgeschichten6, so zeigt sich, dass Ebinger nicht nur als jene ausdrucksstarke, radikale, übertalentierte Diseuse charakterisiert und erinnert wird, sondern auch, dass sie ihrem Image des armen Mädchens nie entfliehen konnte und wollte, sondern sogar noch über ihren Tod hinaus mit diesem verbunden blieb. So ist auch Ebingers Imagekonstruktion ein guter Beleg für die in dieser Untersuchung einleitend vorgestellte These, dass ein Image gleichzeitig für „Individualisierung, Differenzierung, Identität und Identifizierbarkeit“7 und damit für seine Originalität und Erinnerbarkeit, aber auch für eine gewisse Starrheit sorgt. Im Vergleich zu Lion liegt hier jedoch ein noch extremerer Fall vor. Denn während sich Lions Image vor allem durch ihren parodierenden Stil der grotesken Neuen Frau und der Dialektik zwischen ihrer Bühnen-Persona und der ChansonProtagonistin auszeichnet, ist Ebingers Image nicht nur auf sie als Interpretin, die mit einem bestimmten, festgelegten Frauentypus spielt, bezogen. Ihr Image setzt ihre Bühnen-Persona vielmehr mit ihrer Chanson-Protagonistin der Lieschen Puderbach gleich und schafft damit eine noch engere Beziehung zwischen ihrem allgemeinen Image und ihrer Bühnenfigur.
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Vgl. etwa die Ausführungen über Ebinger in: Art. „Ebinger, Blandine“, in: Klaus Budzinski u. Reinhardt Hippen: Metzler Kabarett Lexikon, S. 80; Heinz Greul: Bretter, die die Zeit bedeuten, Bd. 1, S. 200–202; Rudolf Hösch: Kabarett von gestern, S. 187; Rainer Otto u. Walter Rösler: Kabarettgeschichte, S. 87 u. 95; Rainer Otto u. Walter Rösler: Kabarettgeschichte, S. 87 u. 95; Helga Bemmann: Berliner Musenkinder-Memoiren, S. 82f.; Klaus Budzinski: Die Muse mit der scharfen Zunge, S. 155–160.
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Stephen Lowry: „Image“, S. 269.
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Abbildung 34: Blandine Ebingers Bühnen-Persona des armen Mädchens
Die Lieder eines armen Mädchens bilden einen Komplex8 um die „Variation einer Grundfigur“9. Während Lions Chanson-Protagonistinnen aus dem großstädtischen Milieu des Berliner Westens, des Bürgertums und der Angestellten stammen, ist Ebingers Chanson-Protagonistin dem Hinterhofmilieu des Berliner Nordens entsprungen. In der Berliner Zeitschrift Roland werden Lion und Ebinger beide, neben Claire Waldoff und Senta Söneland, als Vertreterinnen des drastischen Liedes vorgestellt, wobei sie dieses in unterschiedlichen Milieus verorten: „Die Waldoff auf das Komisch-Gefühlige dieses Milieus hin, die Söneland auf das Derbe, die Ebinger auf das komisch-tragisch Verkommene hin. Das sind die drei Meisterinnen des Genres. In ihnen, ihrer Mimik, ihren Texten, ihrer Musik und Stimme ist das Leben des unteren Berlin zum stärksten künstlerischen Ausdruck gebracht. Dem hat die Lion, exzellent
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Ich lehne mich hier an den Begriff von Alan Lareau an. Demnach sei es verfehlt, die Lieder als ‚Liederzyklus‘ zu beschreiben, da sie kein festes Gefüge bildeten, nicht als Einheit von Ebinger vorgetragen, sondern „in ständig neuer Auswahl und Zusammenstellung dargeboten“ wurden (vgl. Alan Lareau: „Wenn ick mal tot bin. Blandine Ebingers Lieder eines armen Mädchens [von Friedrich Hollaender]“, S. 120)
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Ebd., S. 119.
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von ihrem Textdichter Schiffer unterstützt, die Note der ‚oberen‘ Klasse gegeben: den Kurfürstendamm, den Verfallstypus, die höchste Blüte der Ackerstraße, wenn die da wild wachsende Pflanze in einen Topf gesetzt und kultiviert wird.“10
Doch nicht nur in ihrer Milieu-Darstellung unterscheiden sich Lion und Ebinger. Auch das Verhältnis zwischen ihren Chanson-Protagonistinnen und ihrer BühnenPersonae und damit die Konstruktion ihrer Images gestalten sie völlig unterschiedlich. Während sich nämlich Lions Figuren zum einen hinsichtlich ihrer fiktionalen ‚Biografien‘ unterscheiden und in ihren dargestellten Situationen relativ anonym, typisiert bleiben, stellt Ebingers Chanson-Protagonistin eine sich stets gleich bleibende Figur dar. Diese gibt in den einzelnen Chansons darüber hinaus so viel von ihrem Leben und ihrer Gefühlswelt preis, dass sie die typenhafte Anonymität der meisten Chanson-Protagonisten und -Protagonistinnen aufbricht und zusätzlich durch die Bühnen-Persona Ebingers eine greifbare Gestalt annimmt. Zwar erhält, wie der Titel des Chanson-Komplexes bereits verrät, das arme Mädchen so gut wie nie einen Namen (Ausnahmen bilden die Chansons „Das Wunderkind“ – hier heißt die Chanson-Protagonistin La belle Elmira, zweitens „Wenn ick mal tot bin“ – hier ist es Lieschen Puderbach und drittens „Die Hungerkünstlerin“ Fakira), in ihren Erinnerungen spricht Ebinger jedoch davon, dass jedes dieser Lieder von Lieschen Puderbach handle, eine Figur, die letztlich sie selbst gewesen sei. Diese von Ebinger in allen Interviews immer wieder getätigte Aussage betont zum einen das enge Verhältnis zwischen Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona, sie ist aber vor allem auch aufschlussreich für die Konstruktionsstrategien Ebingers. Ganz bewusst stellt sie eine synchrone und diachrone stabile Kontinuität ihres Images her. So liest sich dieses Verhältnis bei Ebinger folgendermaßen: „Aber meine Lieder eines armen Mädchens – Sie wissen, sie hieß ‚Lieschen Puderbach‘, nach der Figur aus Else Lasker-Schülers Wupper – das war ich ja auch. Wir waren arm, meinen ersten Pelzmantel kaufte ich per Abstottern, wir lebten zugleich frei, wir wollten ein bißchen Farbe, Glück, Schönheit in die Welt kriegen, ein Lachen und ein Weinen. Hollaender hat mal über diese Figur, wie ich sie entwickelte, geschrieben: ‚Wie gleichst du, Blandine, dem Bild, das mir vorschwebte! Oder sollte ich sagen: Wie schwebtest du mir vor, daß ich es nachzeichnen konnte? Wie warst du, was du spieltest! Wie spieltest du, was du warst! Und das ist die lautere Wahrheit. Amen.‘ Und das stimmt [Hervorheb. orig.].“11
10 Fred Sohm: „Das drastische Lied“, in: Roland 23, Nr. 10 (04.03.1925), S. 13f. 11 Blandine Ebinger im Interview mit Fritz J. Raddatz, in: Sabine Renken: Chanteusen, S. 27–38, hier S. 32.
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So, wie um Lion die Anekdote ihrer Entdeckung in einem Modesalon geschmiedet wurde, um ihre persönliche Nähe zu ihren Chansons zu betonen und damit eine synchrone Kontinuität beziehungsweise Authentizität herzustellen, so setzt sich auch Ebinger hier betont in Zusammenhang mit ihrer Chanson-Protagonistin. Denn diese wurde eben nicht allein vom Texter und Komponisten Hollaender erdacht, sondern entstand erst durch Ebingers Erfahrungen außerhalb der Bühne und ihrer Performance auf der Bühne. Die Protagonistin aus Else Lasker-Schülers Die Wupper (1909) wird nicht einfach illustriert oder aus einem Roman für einen Bühnenkontext adaptiert. Bei Ebinger und Hollaender wurde aus der Wuppertalerin Lieschen Puderbach die arme, infantile, lispelnde, kränkliche Berliner Jöhre „Liesken“ – wie sie unter anderem in „Wenn ick mal tot bin“ im Berliner Dialekt genannt wurde. Am schönsten beschreibt Ebinger ihr inniges Verhältnis zu ihrer Bühnenfigur wohl in ihren Memoiren: „Hier [im Café Größenwahn, Anm. S. D.] trat ich nun jeden Abend auf. Hier wurden – wie man so schön sagt – viele der Lieder eines Armen Mädchens ‚aus der Taufe gehoben‘. Das Wort Taufe erinnert mich daran, daß die Lieder so etwas wie meine Geschwister waren. Sie wurden allmählich so vertraut, daß sie in unsere Wohnung einzogen, und wenn man von Lieschen Puderbach sprach oder von dem kleinen Mondmädchen, sie gehörten einfach dazu. Sie bemächtigten sich meiner oder ich mich ihrer. Kurzum, wir führten ein künstlerisches Familienleben [Hervorheb. orig.].“12
12 Blandine Ebinger: ‚Blandine…‘, S. 91.
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In der 1957 von Friedrich Hollaender herausgegebenen Liedtextsammlung Lieder und Chansons für Blandine Ebinger13 umfasst die Rubrik „Lieder eines armen Mädchens“ – die in der Tabelle 514 mittig aufgeführten 14 Titel – ebenso viele Stücke wie die anderen drei Rubriken, „Balladen und Lieder“, „Chansons“ und „Märchenlieder“ zusammen. Dies mag den Stellenwert dieser Chansons im Schaffen von Ebinger verdeutlichen. Tabelle 5: Blandine Ebingers Repertoire der Lieder eines armen Mädchens Titel Berlin, der Tänzer ist dein Tod (Fox macabre) In der Bar (Pijetät) Ich baumle mit de Beene Wo andere gehen, da muss ich fliegen Dornröschen aus’m Wedding Mignon vom Kietz
Texter
Komponist
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Walter Mehrin
Friedrich Hollaender
Klabund
Friedrich Hollaender
Hermann Vallentin
Friedrich Hollaender
Hermann Vallentin
Friedrich Hollaender
Ein Volkslied
nach Uhlan
Friedrich Hollaender
Kinderlied
Walter Mehring
Friedrich Hollaender
Vor Ebingers Durchbruch von ihr an Kabaretts aufgeführte Chansons im ähnlichen Stil der Lieder eines armen Mädchens
13 Friedrich Hollaender: Lieder und Chansons für Blandine Ebinger, mit Zeichnungen von Claus Arnold, Freiburg im Breisgau: Hermann Klemm 1957. 14 Die Tabelle leitet sich aus eigenen Recherchen in Archivalien der StKA sowie der AdK, den Angaben von Max Herrmann-Neiße in: „Kleine Geschichte des deutschen Kabaretts“ und seinen sonstigen Schriften, beide erschienen in seinen Gesammelten Werken, Bd. 8: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst sowie aus der Zusammenstellung von Alan Lareau in seinem Aufsatz: „Wenn ick mal tot bin. Blandine Ebingers Lieder eines armen Mädchens (von Friedrich Hollaender)“ ab.
270 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Titel Abzählen Currende (Currendemädchen) Drei Wünsche Das Groschenlied (Jroschenlied) Die Hungerkünstlerin In den Abendwind geflüstert Jeheimnis der Blumen Mit einer scheußlichen Puppe Nachtgebet O Mond Wenn ick mal tot bin Wiegenlied einer Mutter Das Wunderkind Bolle
Texter Friedrich Hollaender
Komponist Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaende
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Friedrich Hollaender
Die roten Schuhe
Walter Mehring
Friedrich Hollaender
Ein Volkslied Kinderlied
nach Uhland Walter Mehring
Friedrich Hollaender Friedrich Hollaender
Der engere Kreis der Lieder eines armen Mädchens, in der Textausgabe von 1957 erschienen
Weitere Chansons im gleichen Stil, von anderen Autoren
Alan Lareau weist darauf hin, dass 1924 bereits zehn Texte der Lieder eines armen Mädchen als Privatdruck erschienen und dass eine weitere geplante Buchveröffentlichung mit Zeichnungen von Käthe Kollwitz nicht mehr zustande gekommen sei.15 Das Chanson „Bolle“ wurde nie gedruckt und gilt als verschollen. Während 15 Hinweise auf eine solche Veröffentlichung geben sowohl eine Ankündigung auf dem Programmzettel eines Soloabends Ebingers im Bechsteinsaal Berlin („Die Lieder eines armen Mädchens erscheinen im Wege der Subscription im Elena Gotschalk-Verlag mit einer Original-Lithografie von Käthe Kollwitz“), der als Kopie in der StKA (Ordner LK/D/77,7 Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger) vorhanden ist, als auch der Hinweis auf den „demnächst im Elena-Gotschalk-Verlag erscheinenden Band: ‚Lieder eines armen Mädchens‘ von Friedrich Hollaender“, der gemeinsam mit dem Chansontext „Kurrende-Mädchen“ der von Franz Blei herausgegebenen Zeitschrift Roland 23, Nr. 10 (Berlin, 4. März 1925), S. 16, erschienen ist.
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die Sammlung von 1957 eine relativ zuverlässige und vollständige Quelle für Ebingers und Hollaenders Texte darstellt, ist die Quellenlage zu den dazugehörigen Kompositionen problematischer. Da die Lieder eines armen Mädchen von Hollaender allein für und auch mit Ebinger komponiert wurden, blieben die Noten zum größten Teil unveröffentlicht.16 Viele Manuskripte sind verschollen, und Ebinger beauftragte für ihr Comeback in Ostberlin 1974 den Comedian Harmonists-Pianisten Erwin Bootz, der sie bereits vor 1933 bei einigen Auftritten begleitet hatte, die Musik aus dem Gedächtnis beziehungsweise nach Aufnahmen zu rekonstruieren.17 Auch in Bezug auf Originalaufnahmen ist die Quellensituation ähnlich einzustufen wie bei den Chansons von Lion. Neben einigen Aufnahmen von Ebingers anderen Chansons existieren nur wenige Originalaufnahmen von den Liedern eines armen Mädchens aus den 1920er Jahren.18 Die neben den aufgeführten Quellen über die Jahrzehnte hinweg zahlreich erschienenen Rezensionen und Programmzettel sowie die Tatsache, dass Ebinger bis ins hohe Alter vielfach in Interviews zu ihrem Leben und zu ihren Liedern eines armen Mädchens (sowohl schriftlich als auch für Radio- und Fernsehproduktionen) befragt wurde, zeigt deren hohe Popularität sowie die damit im Zusammenhang stehende Bedeutung für Ebingers Image.
16 Ausnahme bilden die Chansons „Pijetät“, „Das Groschenlied“, „Dornröschen vom Wedding“, „Mignon vom Kietz“, „Ich baumle mit de Beene“ und „Da muss ich fliegen“, wobei bis auf die beiden Erstgenannten diese Chansons zwar dem Duktus der Lieder eines armen Mädchens entsprechen, aber nicht originär zum engen Kreis gehören, da sie auf Texte von Klabund und Hermann Vallentin zurückgehen. Handschriftliche Noten, zum Teil von Friedrich Hollaender, zum Teil von Erwin Bootz, sind als Kopie in der StKA (Ordner LK/T/36,1 – Deutschland/Kabarett/Texte – Friedrich Hollaender) sowie im Archiv Ebinger der AdK einzusehen. 17 Lareau berichtet davon, dass weitere Manuskripte im Wäscheschrank von Ebingers Mutter den Krieg überlebt hätten (Alan Lareau: „Wenn ick mal tot bin. Blandine Ebingers Lieder eines armen Mädchens [von Friedrich Hollaender]“, S. 132, Endnote 14). 18 Helwig Hassenpflug nennt auf seiner Blandine-Ebinger-Homepage folgende: „Der Groschen“ (P 1300 1) u. „Wenn ick mal tot bin“ (P 1300 11), Berlin: Parlophon, 23.11.1921; „Das Currendemädchen“ (EG 220), „Das Wunderkind“ (EG 281), „O Mond“ (EG 220) u. „Die Hungerkünstlerin“ (EG 281), Berlin: Electrola 1926; „Der Taler“ (EG 1346), „Die Trommlerin als Schießbudenfigur“ (EG 1345), „Das Groschenlied“ (EG 1345) u. „Wenn ick mal tot bin“ (EG 1346), Berlin: Electrola ca. 1929. Gesammelt unter anderem auf der CD: Friedrich Hollaender u. Blandine Ebinger: Vaführe mir liebers nicht. Lieder, Chansons, BMG 1996.
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Zwar hatte Ebinger auch mit anderen Chansons in ihren späteren Engagements in Kabarettrevuen Erfolg, doch wurde ihre Karriere, die 1919 im Eröffnungsprogramm von Max Reinhardts zweitem Schall und Rauch begann, von Anfang an durch diese eine Figur bestimmt. So umschreibt folgender Programmhefteintrag des genannten Kabaretts bereits pointiert Ebingers Chanson-Protagonistin und Bühnen-Persona und lässt erahnen, aus welchem Stoff ihr Image genäht ist: „Und die E B I N G E R ! Spielt das Lasterblümchen, die Barkokotte, flötet mit wundervollfalscher Sentimentalität von ihren schönen Gefühlen, dem Weiterleben nach dem Tode – und den Volants an ihrem Taftkleid… Ein halber Junge, mit verschmitzten Augen, kurzem Haar, zartestem Körperchen; bunte Schmetterlingsblüte der Sünde – und im Gemeinsten noch – edel! …. Rasse, ihr Herrschaften! Singt: ‚Unterscheide Dir … von’s Tier!‘ [Hervorheb. orig.]“19
In dieser Beschreibung ihres ersten Auftritts auf einer Kabarettbühne mit der Szene „In der Bar“ und dem Chanson „Tritt mir bloß nich auf die Schuh“20 finden sich bereits die grundlegenden Invarianzen beschrieben, die Ebingers Image ausmachten: Ihr armes Mädchen ist die Verniedlichungsform in Person, sie hat keine starke, derbe Stimme, sondern lispelt und flötet. Ihre Sprache wird bestimmt von dem Berliner Dialekt des Proletariats. Das Milieu ihrer Lieder ist das der Berliner Hinterhöfe, und die Atmosphäre schwankt stets zwischen Tragik und Komik. Ihre Lieschen Puderbach zeichnet sich durch eine spezifische Naivität aus, die sich im Verlauf der Chansons in eine morbide Lebensklugheit wandelt.
19 Christian Bouchholtz: „Rauch Silhouetten“, in: Heinz Herald (Schriftleitung): Schall und Rauch, Nr. 1 (Dezember 1919), S. 4, Repr.: Berlin: Buchverlag Der Morgen 1985. Ebinger trat außerdem in der Parodie „Einfach klassisch“ von Walter Mehring auf (vgl. den in das Heft eingeschossenen Programmzettel). In ihren Memoiren nennt Ebinger im Zusammenhang mit ihren ersten Auftritten zudem das Chanson „Berlin, dein Tänzer ist der Tod“ (Blandine Ebinger: ‚Blandine…‘, S. 71). 20 Lareau nennt neben dem Chanson „Tritt mir bloß nicht auf die Schuh“ das Chanson „Die Pijetät“ als Bestandteil von Ebingers Szene „In der Bar“ (Alan Lareau: An unhappy love, S. 439).
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Abbildung 35: Blandine Ebinger in ihrer ChansonPerformance von „Das Groschenlied“
Nach ihrer Entdeckung an Reinhardts Kabarett durch Hollaender feierte Ebinger 1921 mit drei Chansons unter dem Programmpunkt „Lieder aus dem Norden Berlins“ in Rosa Valettis Café Größenwahn21 ihren eigentlichen Durchbruch mit den Chansons „Dornröschen aus’m Wedding“, „Mignon vom Kietz“ und dem „Groschenlied“. Außerdem wird sowohl von Ebinger selbst als auch von HerrmannNeiße und Alan Lareau „Ick baumle mit de Beene“ als frühes Erfolgschanson an dieser Bühne genannt. Später kamen weitere hinzu, wie beispielsweise „Oh Mond“. Hollaender komponierte die Musik aller Chansons, mit denen Ebinger den Grundstein für ihr Image und ihren Erfolg als armes Mädchen legte: „Blandine Ebinger, köstlich, eine Jöhre vom Wedding, mimt ihre Erlebnisse – nein, berichtet sie. Wer glaubt ihr nicht jeden Ton, der spitz ist wie ihre Ellbogen, jede schlaksige Geste, die ihr angewachsen ist. Gleichgültig, was sie sagt und singt. Ein lebendes Bild, großstädtisch, verwahrlost, Kind in Not! Und dann die Verwandlung, älter geworden, nicht mehr Jöhre, das Weddingkind im Abendpelz – rauf- oder runterentwickelt – als Bargast. Keine Zähnefletschende Erotik, kein Kulissenzauber, sondern wirklicher nur fühlbarer Atem –
21 Vgl. den achten Eintrag „Blandine Ebinger: ‚Lieder aus dem Norden Berlins‘“, in: Größenwahn, April 1921. Bänkel & Bühne im Alten Café des Westens, 1. Stock. Künstler. Leitung: Rosa Valetti (Programmzettel), AdK, Kabarettsammlung, Sig. 67.
274 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Worte, Worte! Geht selber hin!! Musik von Friedrich Hollaender, musikalischer Illustrator, charakteristisch, geschmackvoll.“22
In allen vier Chansons berichtet die junge Chanson-Protagonistin aus der Ich-Perspektive von ihrem Alltag, der geprägt ist von einem beengten familiären Umfeld, Armut und Tristesse. Die Chansons sind von der sprachlichen Schlichtheit in Bezug auf Grammatik, Ausdruck und Aussprache des Berliner Arbeitermilieus sowie von dem bereits beschriebenen spezifischen Wandel von komischer Naivität zu morbider, tragischer Lebensklugheit geprägt. So wird beispielsweise in „Dornröschen aus’m Wedding“ zunächst ein Montag, „trüb und klar, weil nebelichtes Wetter war!“ (I, 1f.), beschrieben und weiter: „Die Tante fuhr zu’n Kirchhof raus, mit einen wachsnern Blumenstraß, strauß, strauß, strauß! Zu ihren allerersten Mann, weil der doch aus’n Sarg nich kann“ (I, 3–6). Auch die aus diesem Ereignis resultierende, durchaus positiv geschilderte Folge für die Chanson-Protagonistin mag in ihrer Groteskheit das Publikum zunächst zum Schmunzeln gebracht haben: „Da war ick janz allein zu Haus, und brauchte nich aus Bette raus. Und schmierte auf mein Brot mit Fett, und blieb ’ne Stunde aufs Klosett! Jawoll“ (I, 8–11). Doch gerade diese unbedarfte Sichtweise auf den prekären Alltag bereitet das Abrutschen aus dem Komischen ins Tragische am Ende dieses sowie der meisten Chansons vor. Denn strophenweise wird von Mittwoch über Freitag zu Samstag das Ausmaß der Armut – Kriminalität, Prostitution, Gewalt – immer deutlicher, welche die Chanson-Protagonistin jedoch ganz neutral ohne Selbstmitleid, sondern eher altklug beschreibt. Ihr Optimismus bleibt bis zum letzten Vers ungebrochen, unbedarft und bescheiden: „Au! Meine Zukunft is bewegt. Ein Graf biet mir Hund und Haus, und holt mir aus Klosette raus! Jawoll!“ (IV, 9–11). In den Folgejahren trat Ebinger mit weiteren Chansons im gleichen Stil auf den unterschiedlichsten Kabarettbühnen23 sowie auch mit eigenen Soloabenden beziehungsweise Kabarettmatineen24 auf, wobei sich mit ihrem Engagement an
22 „Bühne und Film“, in: Der Premierentiger 3, Nr. 1 (1921), StKA, Ordner LK/C/233 – Deutschland/Kabarett/Anthologien – Grössenwahn. 23 Z. B. im Cabaret-Pavillon Wien (01.–31.10.1924), bei den Nelson Künstlerspielen (1924/25), am Weidenhof-Casino, im Kabarett der Komiker (01.–15.06.1926 u. 30.10.1930; vgl. hier das archivierte Programm in AdK E, Sig. 793), im russischen Berliner Kabarett Der Blaue Vogel (Oktober 1929), in Hollaenders Tingel Tangel Theater, dessen Leitung sie kurzfristig sogar übernahm (1930), im Tempo-Variété (21. April 1930). 24 Belegen lassen sich anhand von Programmzetteln in der AdK E, Sig. 794 und der StKA (Ordner LK/D/77,7 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger) etwa die
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Hesterbergs Wilder Bühne 192225 die Chansons unter dem Sammeltitel Lieder eines armen Mädchens durchsetzten. Die unter diesem Titel entstandenen Chansons greifen alle jene Charakteristik der ersten Chansons aus dem Café Größenwahn auf. Die Chanson-Protagonistinnen berichten von ihrem Alltag in ihren Familien („Nachtgebet“, „Mit einer scheusslichen Puppe“, „Wiegenlied einer Mutter“) und deren obskuren Wegen, Geld zu verdienen („Das Wunderkind“, „Die Hungerkünstlerin“). Sie handeln von den Träumen der Protagonistin: von Liebe („Das Wunderkind“), einer vermeintlich besseren Zukunft („Drei Wünsche“, „Die Hungerkünstlerin“, „Abzählen“) und vor allem von Frieden und Erlösung im Tod („In den Abendwind jeflüstert“, „Wenn ick mal tot bin“, „Oh Mond“). „Currende“ und „Jeheimnis der Blumen“ stellen insofern eine Ausnahme dar, als dass hier aus einer kollektiven Perspektive von Waisenmädchen erzählt wird, wonach sie sich sehnen und wem sie die Schuld an ihrer Lage geben, nämlich der feineren Gesellschaft, für die sie singen oder der sie Blumen anbieten, um zu überleben. Während der Charakter der Chanson-Protagonistin, die dargebotenen Sujets und Milieus und damit einhergehend die Sprache den Chanson-Komplex bereits zu einer Einheit machen, wird deren Zusammenhalt eigentlich erst durch Ebingers Bühnen-Persona erreicht. Während bereits der Text der Chansons Tragik und Komik innerhalb weniger Strophen miteinander verbindet, legen Rezensionen ihrer Performances nahe, dass erst Ebingers eigentümliche Bühnen-Persona es schaffte, die Dialektik der Chansons in vollem Maße zu entfalten. Sie verkörperte jenes arme Mädchen, indem sie bleich, klein und dürr, mit gekrümmter Körperhaltung, piepsigem Stimmchen und lispelnder Aussprache ihre Geschichte erzählte. Dabei imitierte sie die Stimmen ihrer Tante, ihres Vaters, ihres Lehrers oder auch der Freier in ihrer Rolle als „Liesken“ und kommentierte deren Handlungen wahlweise mit subtilem, verschmitztem Lächeln oder mit weinerlichem, verzweifeltem, vor so viel Tragik staunendem Ton. Hollaenders Klavierbegleitung verstärkte
Kabarettmatinee von Ebinger, Hollaender und Mehring bei den Berliner Kammerspielen im Frühling 1922 sowie Chanson-Abende im Bechsteinsaal und im KlindworthScharwenka-Saal, beide 1925 in Berlin, sowie ein Soloabend am Schauspielhaus München (hier ist das Datum nicht rekonstruierbar). Bei allen Soloauftritten, auch bei ihren späteren Abenden zwischen den 1960er und 1980er Jahren, liegt eine Zweiteilung des Programms in Chansons unterschiedlichen Charakters, unter anderem auch auf verschiedenen Textgrundlagen wie bspw. „Die roten Schuhe“ (Walter Mehring) und „Volkslied“ (Ludwig Uhland) basierend und den Liedern eines armen Mädchens vor. 25 Lareau zählt im Programm April 1922 Hollaenders und Ebingers Chansons „Das Jroschenlied“, „Oh Mond“ und „Wenn ick mal tot bin“ auf (Alan Lareau: An unhappy love, S. 460).
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und kommentierte diese Gefühlsregungen. Einen umfassenden Eindruck von Ebingers Facetten ihrer Bühnen-Persona sowie ihrer Festlegung auf die Rolle des armen Mädchens liefert Hans Reimann: „Auf dem Podium stellt Blandine die Jöhre dar; die leicht angebuffte, wurmstichige Jöhre. Wenn sie das „Groschenlied“ singt (singt? Du bis varrickt!), vereint sie in ihrer minderjährigen, sehr zur Notzucht geneigten Brust das Elend und den Kotz von tausend armseligen Existenzen, die nie die Sonne und dafür desto öfter die elektrischen Bogenlampen erblicken; meist aber das Dunkel. Blandine Ebinger mimt Jöhren, die im Kintopp geboren wurden – bei Kitschmusik und Mief. Wer sie genossen hat, darf sich einen Begriff von der sozialen Frage machen. Blandine ist die soziale Frage, Blandine ist allerletztes, vertiertes Hinterhaus. Blandine ist nicht von Käte Kollwitz, deren kranke Menschen eine Portion Kraft und Energie auf ihren Backenknochen spiegeln. Blandine ist von Zille entworfen und von Marquis de Bayros ausgeführt. Es lebe die Dekadenz! Blandine Ebinger (um es noch ein wenig schärfer zu formulieren) ist die gewordene Tochter des Freiherrn von Sade. Manchmal markiert sie ein illegitimes Erzeugnis der Lotte Pritzel. Aber das mißlingt ihr. Sobald ihre Kurve in ‚grande dame‘ umbiegt, hört Blandine Ebingers Echtheit auf, und gewöhnliche Pose lagert sich hernieder. Oder sie singt (gewissermaßen; denn Blandines Zuckerstimmchen tummelt sich auf dem Grad, wo die Stimme aufhört, Stimme zu sein) das berühmte Chanson ‚Und ich baumle mit de Beene…‘, was ihr Gelegenheit gibt, zuguterletzt richtig und wahrhaftig in Mondsucht hineinzufallen. […] Kaum ist der Vorhang unten, hoppelt die Ebinger wie eine meschuggene Gazelle auf der Bühne umher und herum. Und bevor der Vorhang aufgeht, hat sie Herzklopfen, daß die Bühnenarbeiter hinschmelzen. Auf dem Podium das inkarnierte Lampenfieber, im Leben die personifizierte Unnahbarkeit. In beiden Fällen jedoch nur so lange, bis der Vorhang hochrauscht. Übrigens trägt sie als Berliner Jöhre die Unterhosen ihrer Großmutter, ein Paar sehr sentimentale Röhren. Denn es wohnet der Blandine ein Mordstrumm Komik inne, und diesem Talent zur Komik laufen die großmütterlichen Unnerbuxen gewissermaßen parallel.“26
Interessant ist dieser Text nicht nur, weil er den heutigen Lesern und Leserinnen unter anderem durch die Vergleiche aus der bildenden Kunst einen plastischen und nachvollziehbaren Eindruck von Ebingers Bühnenkunst vermitteln kann, sondern auch, weil er sich mit der dem Image immer nahestehenden Frage nach Authentizität beschäftigt. Zunächst einmal charakterisiert Reimann Ebinger als eine
26 Hans Reimann: „Blandine Ebinger“, in: Monumenta Germaniae, zit. nach: Blandine Ebinger: ‚Blandine…‘, S. 85.
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Kunstfigur, die zwischen den sozialen Anklagen einer Käthe Kollwitz und den mit Augenzwinkern gezeichneten Milieustudien Zilles einerseits und einer erotischen Ästhetik (Freiherr Sade und Marquis de Bayros) andererseits steht. Reimann empfindet Ebingers Performance nur dann als authentisch und damit gelungen, wenn sie in die so charakterisierte Rolle des armen Mädchens schlüpft – sein ablehnender Vergleich mit Lotte Pritzel – die Puppenkünstlerin trug als eine der Ersten einen Bubikopf – macht dies deutlich. Aber was meint ‚authentisch‘ hier? Es meint eben jene synchrone Kontinuität zwischen der Bühnenrolle und Ebingers vermeintlich privater Person. Damit sind Reimanns Ausführungen über Ebingers Verhalten vor ihren Auftritten nicht als Aus- oder gar Abschweifungen zu lesen, sie konstruieren vielmehr ihre persönliche Nähe zu ihrer Figur. Auch hinter der Bühne wird Ebinger mit Verniedlichungsformen beschrieben, gleichzeitig wird ihr hintersinniger Intellekt hervorgehoben, der auch aus den Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae ihrer Chansons spricht. Auch andere Rezensionen, die sich, häufig leider undatiert und ohne Quellenangabe, als Ausschnitte in einem privaten Album Ebingers in der Akademie der Künste befinden, zeugen von dieser Authentizität schaffenden Verknüpfung zwischen Chanson-Protagonistin, Bühnen-Persona und Image. So steht in folgender Rezension Ebingers vollständiger Name ausschließlich für die Lieder eines armen Mädchens ein: „Auf der Bühne (im Schauspielhaus) steht eine schwarze Gestalt, nicht eben groß, mit schmächtigen Gliedern, blassem Gesicht und brünettem Haar. Die Gestalt heißt Blandine Ebinger. Das heißt, diese Chansonette, heißt eigentlich nur Blandine, denn die Ebinger tritt erst im zweiten Teil auf. Blandine singt Chansons, was weiß ich, traurige, zugespitzte, sentimentale Chansons. Sie singt sie eigentlich auch nicht, sondern agiert sie mit einem dünnen Stimmchen. Und doch, es ist stark und packend. Zwei schmale bleiche Gelenkdinger, greifen die Arme und Hände ins Leere, und packen da irgendetwas, etwas Trauriges, Spitziges und Rosadünnes, das sie den Hörern ins Gesicht werfen. Sie ist eine große Chansonette, wenn man das sagen kann, sogar eine klassische. Aber ähnliches sah man doch schon bisweilen. So ist die schwarzgekleidete Blandine. Aber dann kommt der zweite Teil, und die richtige Ebinger tritt auf. Das Vorstadtmädel, das frühreife, unschuldig-kesse Ding. Ein billiges Fähnchen um die schmalen Hüften, ein schäbiges Blüschen und die Kinderbeinchen in unwahrscheinlichen Ringelstrümpfen: die Portiersgöhre aus Berlin-N. Und dieses windige Vorstadtmädel B. Ebinger ist uns doch noch lieber. Sie ist ein Typ, eine lebendige Figur, eine neue Gestalt, geboren aus der Misere unserer Zeit, gewachsen auf dem Dreck der Großstädte. Aber ganz erfüllt von der heimlich-unheimlichen Poesie dieser Zeit und auch dieser Städte. Die Ebinger hat diese Figur für die Bühne geschaffen und wird in
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Während hier, wie auch bei Reimann, Ebingers Authentizität auf der Bühne und die Originalität ihrer Bühnen-Persona und Chanson-Protagonistin beschrieben wird, wird in der folgenden, dieses Kapitel abschließenden Rezension deutlich, wie sehr die Sphäre der Bühne auch auf die Wahrnehmung der ‚privaten‘ Ebinger ausstrahlt und damit letztlich ihr Image begründet. Dieses ergibt sich gerade aus dem medialen Wechsel von Bühne zu Zeitung und alltäglicher Kommunikation. Es ist die Kombination ihres Eigenimages, welches Ebinger vordergründig auf der Bühne kreiert, ihres Fremdimages, das aus jenen Wahrnehmungen und Zuschreibungen resultiert, und einem Bezug auf den Prototyp des Proletariermädchens. Mit diesem Wissen im Hintergrund ist folgendes Zitat zu bewerten, in dem Ebinger als erwachsene Frau und etablierte Künstlerin als Interviewpartnerin den Leserinnen und Lesern vorgestellt wird: „Blandine Ebinger, das grazile, zerbrechliche Geschöpf mit den Kinderaugen, mit den Kinderhänden, ist furchtbar hungrig. Halb Schelm, halb Kind, sitzt es da und ‚ißt zu Mittag‘. – Können Sie sich Blandine Ebinger ‚zu Mittag essend‘ vorstellen?! – Nein! – Trösten Sie sich, sie ißt ein viertel Schinkenbrötchen und trinkt eine Nußschale Cherry. Wie die Prinzessin auf der Erbse. Und plaudert unentwegt mit ihrer zarten Stimme, die ein ganz klein wenig die Berliner Schneidigkeit hat.“28
Schließlich konnte Ebinger aber mit der Etablierung von Hollaenders Kabarettrevuen vorrangig in seinen Produktionen ihr Repertoire erweitern: Zwischen 1921
27 F.: „Blandine Ebinger“, AdK E, Sig. 464. 28 E. L.: „Eine Künstlerin über sich und die anderen“, AdK E, Sig. 464.
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und 1930 nahm sie an 12 Produktionen teil29, in denen sie nur teilweise ihre Lieschen Puderbach30 kreierte, aber nun auch zu dieser Figur zunächst in starke Distanz tretende Rollen übernahm. Bei diesem kursorischen Überblick zeigt sich, wie intensiv und stringent Ebinger ihr Image des armen Mädchens im Kabarett31 konstruierte. Ebingers Erfolg hing nicht allein von ihrem Talent, weniger noch von ihrer Vielfalt ab, sondern von ihrem beliebten, individuellen und originellen Image des armen Mädchens.
„W ENN ICK
MAL TOT BIN “:
E INE B EISPIELANALYSE
In dem fünfstrophigen Chanson „Wenn ick mal tot bin“32 mit horizontalem Aufbau fantasiert die Chanson-Protagonistin Lieschen Puderbach, in der zweiten Strophe im Berliner Dialekt „Liesken“ genannt, ihre Wunschbeerdigung zusammen, wobei die Einfachheit der Form der Einfachheit des Inhalts, beide Ausdruck des Wahrnehmungshorizonts von Lieschen Puderbach, entspricht. Die Hörer erfahren nicht viel über sie – eigentlich nur, dass sie ein Schulmädchen aus armen Verhältnissen sei, die sich ein schöneres Leben beziehungsweise den Tod wünsche. Aber in der Kombination mit Ebingers eindrucksvoller Bühnen-Persona reichen diese wenigen Eckdaten aus, um sich Lieschen Puderbach vorzustellen.
29 Premieren: Bitte zahlen! (Oktober 1921), Wir steh’n verkehrt (10.10.1922), Der Harem auf Reisen (Dezember 1924), Laterna Magica (19. Februar 1926), Das bist du! (01.04.1926), Es kommt jeder dran! (07.07.1928), Es liegt in der Luft (Gastspielreise 1928/29), Das spricht Bände (1929), Lexikon in 10 Bänden (1929), Revue der Hollaender-Revuen (1929), Wie werde ich reich und glücklich? (13.06.1930), Spuk in der Villa Stern (15.09.1931). 30 So z. B. in der frühen Nelson-Revue Bitte zahlen! von 1921: „In der Kahlbaum-Diele verkörpert Blandine Ebinger als Lieschen aus der Mulackstraße die ergreifende Großstadttype“ (M.H. in: Der Artist (20.10.1921), AdK E, Sig. 882) oder auch in Es liegt in der Luft, wie noch im Detail zu zeigen ist. 31 Zu beachten bleibt, dass ihre Rollen am Theater und im Film hier keine Beachtung gefunden haben, die durchaus eine Vielfalt an Rollen darstellen. 32 Aus urheberrechtlichen Gründen kann der Text an dieser Stelle nicht vollständig abgedruckt werden. Veröffentlicht wurde er u.a. in: Heinz Greul: Chansons der Zwanziger Jahre, S. 51f. und in: Friedrich Hollaender: Lieder und Chansons für Blandine Ebinger, S. 18f. Die hier herangezogenen Zitate beziehen sich auf diese Textausgaben.
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Aus den Kehrreimen wird deutlich, dass sich Liesken mit dem Tod all das herbeisehnt, über das sie momentan nicht verfügt – Anerkennung, Freiheit, Essen. Im letzten Refrain heißt es zusammenfassend: „Wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, Is mein schönster Tach!“
Die Chanson-Protagonistin stammt aus einem Milieu, das auf den Hinterhöfen Berlins zur Zeit der Inflation alltäglich war und das das immer wiederkehrende Sujet in Ebingers Chansons darstellt. So kann „Wenn ick mal tot bin“ durchaus auch als Musterbeispiel für Ebingers subversiv gestalteten Wandel von einer komischen Geschichte in die Tragik eines armen Mädchens gelesen werden, wobei hier ein besonderer Spannungsverlauf vorliegt. Lieskens Vorstellungen der eigenen Beerdigung zu Beginn des Chansons sind so makaber und abstrus gleichermaßen, dass sie nicht ernst genommen werden wollen und zwangsläufig als komisch aufgefasst werden: „Wenn ick mal tot bin und in weißen Seidenkleid In meinen Sarje lieje mit Bescheidenheit, Dann fällt die Schule aus, Dann jeht’s zum Kirchhof raus, Die janze Klasse kommt bei mir ins Trauerhaus, Die wolln mir alle sehn, Wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, Ach, det wird zu scheen!“
Die Chanson-Protagonistin scheint in ihren Vorstellungen ewig jung zu bleiben, ewig zur Schule zu gehen, eben bis zu dem Tag, an dem sie mal sterben wird. Der einzige Grund für diesen Wunsch scheint in der ersten Strophe die Aufmerksamkeit ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler zu sein. In der zweiten Strophe gerät diese naive und doch in Lieskens Sinne so heile Welt bereits ins Wanken, wenn nicht nur sprichwörtlich der erste Stein geworfen wird, sondern dieser eben dem lieben Engelein Liesken direkt gilt („Wer ohne Schuld tut sein, / Der schmeiß den ersten Stein / Uff Liesken Puderbach, det liebe Engelein“). Es ist nun durchaus als Besonderheit zu werten, dass zumindest die textliche Klimax des Chansons nicht in der letzten Strophe, sondern in der dritten Strophe liegt. Während in der vierten
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Strophe die kindlichen Überlegungen, wem Liesken ihr spärliches Hab und Gut hinterlassen möchte, geschildert werden und sie in der letzten Strophe staunend und ganz benommen von ihren eigenen Vorstellungen ihren Empfang im Himmel beobachtet („Wenn zum Empfang von Liesken alle aufmarschieren. / Mensch! Machen die een Krach“), bekommt vor allem die dritte Strophe einen bitteren Beigeschmack. Denn hier geht es direkt um ihren prekären Alltag und wie in so manchem Chanson tritt hier die Tante (nicht die Mutter) auf, welche für die Armut und die zerrütteten Familienverhältnisse in allen Chansons steht. Denn anstatt zu trauern, freut sich diese, nun kein weiteres Kind durchfüttern zu müssen: „Nur Tante freut sich sehr, Wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, Eß’ ick doch nischt mehr!“
Und hört man sich die Aufnahme33 des Chansons an, so nimmt Ebingers BühnenPersona Liesken hier ebenso traurig wie durchaus verständnisvoll Anteil an dieser Freude. Abbildung 36: Auszug aus „Wenn ick mal tot bin“, transkribiert von Erwin Bootz
Überhaupt verleiht erst der Stil, in dem Ebinger das Chanson vorträgt, diesem seine besondere Stimmung. Und so ermöglichen der erste Höreindruck und der erste Blick in die Noten (vgl. Abb. 37) vor allem zwei Erkenntnisse: Erstens singt
33 Ich beziehe mich hier auf die Aufnahme von 1929 mit Friedrich Hollaender am Klavier, welche bei Electrola auf Schellack-Platte erschien und unter anderem auf der CDKompilation Vaführ mir liebers nicht, erneut veröffentlicht wurde.
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hier anscheinend ein kleines Mädchen, und zweitens singt sie nicht wirklich. Jedenfalls nicht, beziehungsweise nur sporadisch, nach Noten. Dieses Mädchen erzählt ihre Geschichte, denn allein ihr Text ist in das Notensystem für die Melodiestimme eingetragen. Die recht einfache, hörbare Melodie in C-Dur (nicht a-Moll) stellt die höchsten Noten in den Akkorden der Klavierbegleitung dar. Doch nur die ersten Verse singt Ebinger brav zur notierten Klaviermelodie, dann folgt sie dieser nur sporadisch. Sie spricht, träumt und wimmert mehr als dass sie singt. Sie weicht immer wieder vom Metrum ab, und das Klavier folgt ihr mit stetigen Retardierungen. Trotz strophischer Wiederholung variiert die pianissimo gespielte Begleitung zudem durch Triller oder andere Verzierungen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Klavierbegleitung eher die Erzählung der Lieschen Puderbach illustriert, als dass sie einer vorgegebenen Komposition folgt. Erst am Ende jeder Strophe finden Gesang und Klavier zusammen, ganz brav, wie es sich für einen Vortrag eines Kindes gehört. Und so, wie das Chanson zwischen bravem Gesang und lispelndem Erzählgestus schwankt, so schwankt es auch zwischen Tragik und Komik. Jedem einzelnen Vers verleiht Ebinger eine andere Nuance, sodass durch kleine Feinheiten in ihrer Aussprache und Betonung das Komische sekündlich ins Tragische und zurück kippt. Der Betroffenheit, die durch die Sprache Ebingers, ihr Schlucken und Stocken, ausgedrückt wird, etwa dann, wenn sie von der Grabrede ihres Lehrers spricht („Und unser Lehrer, der fängt furchtbar an zu wein!“, II, 5) oder ihr Resümee „Wenn ick mal tot bin, is mein schönster Tach!“ (Refrain V, 4f.) zieht, stehen die kindlichen Vorstellungen und das freudige Kichern Ebingers gegenüber, etwa wenn sie sich über das „tiriliern“ der Engel und das „jubiliern“ der „Geijen“ (V, 3f.) freut. Letztlich werden die Zuhörer allein gelassen mit der Frage, ob sie Zeugen einer bedeutungslosen Phantasterei eines jungen Mädchens wurden oder ob es sich bei dem Chanson um eine subversive soziale Anklage handelt. Auf diese Weise ist Ebinger selbst jedenfalls schnell vergessen. Sie hätte auch die Geschichte des armen Mädchens aus der Distanz einer kühlen, erwachsenen Frau berichten können, doch auf ihre Weise ist die Bühnen-Persona nicht bloßes Kostüm, sondern geht vollkommen in dem Charakter und der Perspektive der Chanson-Protagonistin auf. Hier sind keine polemischen und beißenden Vorwürfe zu finden wie etwa in Kurt Tucholskys „Rote Melodie“, welche Rosa Valetti von der Rampe geschmettert hat. Vielmehr werden in den Rahmen eines braven, einfach gegliederten, fünfstrophigen Chansons jene „Anklagedramen von einer Wahrheitswucht“ gepresst – im wahrsten Sinne des Wortes –, wie sie in keinem Schauspiel zu finden sind, so der bereits zitierte Kabarettkritiker Max Herrmann-Neiße.
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Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Diseuse Ebinger als wohl erhellendstes Beispiel für eine Symbiose einer fiktionalen Chanson-Protagonistin mit ihrer Bühnen-Persona und deren Rückwirken auf ihr Künstlerinnen-Image gelten kann. Umso spannender ist es, zu verfolgen, wie dieses durch synchrone und diachrone Kontinuität geschaffene Image in dem dramaturgischen Komplex der Revue Es liegt in der Luft aufging, welche Wechselwirkungen die beiden Konstruktionen eingingen und wie dies vom Publikum wahrgenommen wurde. Denn es liegt der glückliche Fall vor, dass Ebinger in den Gastspielen der großstädtischbürgerlichen Revue des Berliner Kurfürstendamms auch jene dekadent-grotesken Rollen von Lion dargestellt hat.
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Wie bereits beschrieben, ging die Revue Es liegt in der Luft nach einer äußerst erfolgreichen Saison 1928 auf eine Gastspielreise quer durch Deutschland und die deutschsprachigen Länder. Der Kabarettist Willy Prager, der in der Revue unter anderem den Portier spielte, erinnert sich an diese Zeit in seinen Memoiren34. Zu Ebingers Rollen während der Tournee schreibt er folgendes: „Für die Dauer unserer Tournee hatte Blandine Ebinger die Rolle von Marga Lion übernommen. Sicherlich werden sich die meisten von Ihnen an Blandine Ebinger erinnern. Sie hatte eine ganz besondere Art, Chansons vorzutragen, und ihre Spezialität ist es immer gewesen, kleine Mädchen aus Berlin N auf der Bühne darzustellen. Damit hat sie ungewöhnliche Erfolge in Berlin gehabt. In unserer Revue aber spielte sie eine mondäne und kapriziöse Frau.“35
Wie auch ein Programmheft des Kölner Schauspielhauses Oktober 192836 belegt, spielte Ebinger den Pudel, die hysterische Dame mit ihrem Chanson „L’heure bleu“, sie war die Braut und trat gemeinsam mit Tala Birell, die Marlene Dietrich ersetzte, und Oskar Karlweis in der Szene „Sisters“ sowie in allen weiteren Ensembleszenen auf. Prager erinnert sich zwar, dass Ebinger jene kapriziösen Frauenfiguren gespielt habe, mehrere Rezensionen aus den unterschiedlichen Städten
34 Willy Prager: Sie werden lachen, nichts erfunden – alles erlebt, mit einem Nachwort von Wilhelm Ehlers, Hamburg: Capriccio Musik-Verlag 1948, S. 58–67. 35 Ebd., S. 63. 36 Einzusehen in der StKA (Ordner LK/EG/8,3 – Deutschland/Kabarett/Biografien – Text und Musik – Mischa Spoliansky).
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belegen jedoch, dass es falsch ist, immer noch von den gleichen Rollen zu sprechen. Zwar sind die Chanson-Protagonistinnen gleich geblieben, gemeinsam mit der Diseuse und ihrem Image haben sich die Bühnen-Personae jedoch eindeutig verändert. So ziehen zwei Rezensenten der Kölner und der Stuttgarter Aufführung einen direkten Vergleich zwischen Ebinger und Lion: Denn, oh Wunder: man spielt das Stück tatsächlich so wie in Berlin – spielt auch die Szene der Braut, in der allerdings Marga Lion einen viel ordinäreren Sprung machte als heute die kleine, zerbrechliche B l a n d i n e
E b i n g e r . […] Aber gerecht wollen wir sein:
B l a n d i n e E b i n g e r ist da, dieses Geschöpf irgendwoher vom Wedding, die holde, ärmliche, engelgleiche Kreatur, Kind mit unendlich viel Wissen vom Leben, mit der tiefen Trauer und den seltsam schimmernden Augen. Leider ist sie sehr sparsam und singt nur eines ihrer ergreifenden Kinderlieder.37 „In den Figuren, die beim ersten Gastspiel Blandine Ebinger spielte, sieht man diesmal M a r g a L i o n , die vom Erfolg der Berliner Premiere bekannt ist. Sie ist in der Gebärde kühler, schärfer, unbedingter, als Blandine Ebinger. Was bei dieser als bewußte Persiflage ausgespielt wird, wirkt bei Marga Lion wie eine Selbstverständlichkeit. Sie steht dem Zeitwitz dieser Revue näher. Sie ist ausgezeichnet [Hervorheb. orig.].“38
In beiden Rezensionen schwingen die Invarianzen der Images von Ebinger – ärmlich, engelgleich, tieftraurig – und Lion – ordinär, kühl, scharf, unbedingt, modern – mit, die ihre Bühnen-Personae eindeutig prägten. Die Braut der Gastspielreise war nicht mehr die Braut der Berliner Aufführungen. So wich etwa die ordinäre Wendung des Chansons „Die Braut“ einer Zerbrechlichkeit, die Blandine Ebinger und ihrer Bühnen-Persona so eigen war. Ebingers Stil war so sehr mit ihren Liedern eines armen Mädchens verknüpft, dass man ihr die authentische Darstellung der ordinären Braut anscheinend nicht abnehmen konnte. Und so sie spielte sie diese Figur offensichtlich mit persiflierender Distanz. Tatsächlich kommt kaum eine Rezension ohne die Bezugnahme auf Ebingers typisches Repertoire aus, sodass die Braut in der Revue Es liegt in der Luft plötzlich nicht mehr aus dem Erhabenen, Reinen ins Ordinäre und Ausgelassene sprang, nicht mehr durch ihr hochgeschwungenes Bein und den deftigen, selbstbewussten Tritt auffiel, sondern, ganz ähnlich wie bei Ebingers armen Mädchen, eine wie auch immer geartete soziale Anklage mit sich brachte, sich durch ihre Schwäche und Traurigkeit
37 „‚Es liegt in der Luft‘. Gastspiel der Berliner ‚Komödie‘ im Schauspielhaus“, in: Kölner Tageblatt (01.11.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 38 d.: „Im Stuttgarter Schauspielhaus“, in: Neues Tageblatt (02.01.1929), AdK S/L, Sig. 2.4.
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auszeichnete und die für Ebinger typische Mischung aus Tragik und Komik bestätigte: „Blandine Ebinger führt, sehr grazil und biegsam. Sie singt mit blecherner, schwacher Stimme Mondänes und Soziales (hier sehr wenig), sehr zerbrechlich, dahinhuschend und vorüberwischend, und dabei ein ganzer Mensch, echt und wahr, der in vollster Luftigkeit jenen Schimmer der Trauer nicht verliert. Und dabei eine Künstlerin zähester Vitalität und sehr widerstandsfähiger Energie. Ihre ‚Braut‘ ist die stärkste Szene, Tragik und Komik hält sich hier die Wage.“39
Es wäre jedoch verengend und falsch, zu sagen, dass Ebinger in der Revue sämtliche Rollen in ihren Stil zwängte und nicht darüber hinausreichte. Die Konfrontation zwischen der aus der bürgerlichen Konsumwelt entspringenden Heterotopie des Warenhauses und Ebingers Image des proletarischen Hinterhofmädchens rief in den Rezensenten offensichtlich ein Erklärungsbedürfnis hervor, das durchaus auf vielfältige Art gelöst wurde. So lassen sich neben der Wahrnehmung, dass Ebinger die Braut der Revue zu ihrer eigenen Version verarbeitet habe, zwei weitere Deutungen finden. Zum einen ist es spannend, dass eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den Chanson-Protagonistinnen der Revue, die sich durch bürgerliche, moderne, konsumorientierte Lebensstile auszeichnen, und Ebingers Bühnen-Persona, die unmittelbar von Ebingers Image des armen Hinterhof-Mädchens geprägt ist, geglättet und erklärbar wird, indem deren Unvereinbarkeit zum Stilkriterium erhoben wird. Durch das Image Ebingers wird in den Chansons eine verschärfte Sozialkritik artikuliert: „Und Blandine Ebinger singt ein Lied vom Parfümerielager, wo in alle Raffinessen chemischer Duftherstellung auch ein Schuß Himbeersaft gegossen wird. Dies alles tüchtig ‚gerüttelt und geschüttelt‘ – und am Ende ‚gießt man’s weg‘. […] Schauspielerisches Symbol für diese gebrochene Selbstbespiegelung um sechs Ecken herum: die E b i n g e r . Ein schmales Körperchen mit großem Kopf und den Augen rührender Unschuld singt Liedchen von einer so direkten und raffiniert schamlosen Sentimentalität (das Lied als Pudel oder die Szene mit dem Taler), daß man schaudert, wie Leben so bis in die Knochen verlogen sein kann [Hervorheb. Orig.].“40
39 RM: „‚Es liegt in der Luft.‘. Gastspiel im Deutschen Theater. Eine spritzige, leicht schäumende Sache“, in: Volkswille Hannover (03.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 40 Werner Deubel: „‚Es liegt in der Luft…‘. Gastspiel von Reinhardts Komödie Berlin“, in: Frankfurter Nachrichten (10.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4.
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Andere Rezensenten beobachten einen Wandel in Ebingers Stil und heben ihre „etwas hypermoderne[…] Vortragskunst“41 hervor, die durchaus mit den Figuren im Warenhaus einhergehe: „Vor allen: B l a n d i n e E b i n g e r . Einst Spezialistin für rachitisch-kesse Großstadt-Jöhren. Jetzt eine der vielseitigsten und farbigsten und charmantesten Kabarett-Schauspielerinnen. Reizend: die leise, fast melancholische Szene im Erfrischungsraum und der Parfümerielager-Monolog. Am schönsten: die Brautausstattungs-Nummer; eine fromme – Rüdigkeit [Hervorheb. Orig.].“42
Ebingers Image wird aber nicht nur mit den Chansons der Revue verglichen. Auf der Gastspielreise wurde nach der Szene „Scherzartikel“ die Szene „Erfrischungsraum“ speziell für Ebinger hinzugefügt. So spielen einige Rezensenten darauf an, dass ihr Stil aus den Liedern eines armen Mädchens in Reinform in der Revue nur an dieser einen Stelle erschien. Hier spielte Ebinger ihr armes Mädchen, das Leni Sponholz anbettelt, ihr etwas für einen Groschen zu verkaufen, und trug in diesem neuen Kontext ihr altbekanntes „Groschenlied“ vor: „(Übrigens haben auch die Berwohner [sic!] von Berlin W soziale Gefühle; sie lassen sich gerne rühren, wenn ihnen Blandine Ebinger ein Proletariermädel mit schwacher Lunge mimt und singt.) […] Da ist die schon erwähnte B l a n d i n e E b i n g e r , schön, überzart in Körper und Stimme, die so unvergleichlich, beinahe sachlich-elegisch Arme zustellen und dabei ganz überraschen, aber immer verhalten einen Blick in das wogende Seeleninnere zu geben weiß. Ihr war es zu danken, daß auch in diesem Bürgerspiegel für einen Augenblick ein Bild aus der Schattenseite des Lebens auftauchte: das arme Mädel, dem der Einkauf für den einzigen Taler nicht gelingt. Unübertreffliche Ausbrüche, während sie die verschämte Braut im Schleier mimet und ebenso die Dame im Parfümerielager, deren einziger Lebensinhalt die Anwendung von Spezereien ist [Hervorheb. Orig.].“43
Dieser dramaturgische Eingriff in die Szenenfolge der Revue mag die Bedeutung des Diseusen-Images verdeutlichen. Ebinger tritt nicht als neutrale Schauspielerin in ein beliebiges künstlerisches Gefüge ein und reproduziert nicht die festgeschriebene Rollen. Die Chansons einer Revue unterstützen die Imagekonstruktion ihrer
41 Rn.: „Deutsches Theater. Gastspiel der Max Reinhardt Bühnen: ‚Es liegt in der Luft‘“, AdK E, Sig. 464. 42 Ludwig Marcuse: „Es liegt in der Luft. Gastspiel der Komödie-Berlin im Revuen Theater“, in: Frankfurter Generalanzeiger (09.10.1928), AdK S/L, Sig. 2.4. 43 „‚Es liegt in der Luft‘. Die Reinhardt-Revue im Künstlertheater ‚Apollo‘“, in: Volksstimme, Beilage (16.10.1928), AdK E, Sig. 464.
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Darsteller und Darstellerinnen ebenso, wie diese mit ihrem Image für den Erfolg der Revue bürgen sollen, aber auch deren Narration beeinflussen. Man kennt Ebinger als armes Mädchen und man will sie als armes Mädchen. Ebingers Bühnen-Personae in der Revue Es liegt in der Luft stellen einen Versuch dar, sich von ihrem Image des armen Mädchens zu lösen, ohne dies jedoch vollends aufzugeben, sondern es vielmehr gewinnbringend einzusetzen. Die Chansons mögen als aufgeschriebener Text und notierte Musik bereits ihren Witz oder auch ihre Kritik entfalten. Jeder Leser und jede Leserin wird für sich sofort ein Bild der Chanson-Protagonistin entwickeln, lebendig wird diese jedoch erst durch die Performance auf der Bühne. Dass eine Rolle durch unterschiedliche Schauspieler und Schauspielerinnen unterschiedliche Persönlichkeitszüge erhält, ist keine neue Erkenntnis. Der Vergleich der Bühnen-Personae von Lion und Ebinger in der Revue Es liegt in der Luft zeigt jedoch unmittelbar, wie wichtig das Image der Diseusen ist. Die festgeschriebenen Chanson-Protagonistinnen werden nicht auf eine beliebige Art und Weise zu unterschiedlichen Bühnen-Personae. So, wie die Chanson-Protagonistinnen durch die Performance von den Bühnen-Personae abhängig sind, so sind diese Resultat eines etablierten Images. Ebingers Braut ist nicht eine beliebige Variation von Lions Braut. Und schon gar nicht ist die Braut der Revue Es liegt in der Luft immer die gleiche. Ebingers Braut ist ihre Braut, die die Charakterzüge des armen Mädchens trägt, ihr Image verkörpert und zugleich als Bühnen-Persona neu in das dramaturgische Gesamtkonzept eingeht.
Schluss
Margo Lion und Blandine Ebinger machten aus der Projektionsfläche des Weiblichen einen Restbestand, indem sie aus Idealbildern ihre eigenen grotesken Versionen entwickelten, die sich im Zusammenspiel ihrer Chanson-Protagonistinnen und Bühnen-Personae entfalteten und durch ihre Kontinuität ihre individuellen Images schufen. Lion griff den Weiblichkeitstyp der Neuen Frau auf, ordnete sich durch die Charakteristik ihrer Chanson-Protagonistinnen und der schlagertauglichen Musik ihrer Chansons auf den ersten Blick diesem zu, um diesen dann mithilfe ihrer Bühnen-Persona in seiner Brüchigkeit grotesk zu dekonstruieren – und gewann dabei an Unterhaltungswert. Ebinger wiederum schuf sich ihre eigene, ganz individuelle Kunstfigur, die sie auf der Bühne lebendig werden ließ und darüber hinaus so eng an die eigene Person knüpfte, dass Lieschen Puderbach unwiderruflich ihr Image prägte. Mithilfe einer Imageanalyse gelang es, die flüchtigen Chanson-Performances von Lion und Ebinger in einen Wirkungskontext von diskursiven Bedeutungszuschreibungen um Weiblichkeit, Modernität und Urbanität, Anforderungen der Popkultur und eigenen künstlerischen Ausdruck zu stellen und damit die Diseusen nicht als Statistinnen der Kabarettgeschichtsschreibung, sondern als aktive Gestalterinnen zu verstehen. Die Imageanalyse hat sich damit als ergiebiger Zugang zu kulturwissenschaftlichen und auch dezidiert musikwissenschaftlichen Fragestellungen rund um das Kabarett erwiesen, indem sie es ermöglicht, über den bisher gesteckten Forschungsrahmen vorrangiger Textanalyse und anekdotischer Erzählungen über Diseusen hinauszukommen. Dabei spielten bereits etablierte Analysekategorien der Kabarett- und Popularmusikforschung (vor allem in Bezug auf die Performanz des Chansons) ebenso eine Rolle wie soziologische und kulturwissenschaftliche Ansätze (etwa in Bezug auf das Konzept der Heterotopien, die Stadtarchitektur oder die Weiterentwicklung des Begriffs ‚mimetische Identifika-
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tion‘ und die Anwendung von Aspekten aus der Theaterwissenschaft). Musikanalytische Zugänge konnten daraus gewonnene Erkenntnisse in den Chansons „Die Linie der Mode“, „Die Braut“ und „Wenn ick mal tot bin“ fassbar machen. In solchen Analysen, die weite Diskurse und komplexe Imagekonstruktionen anhand eines konkreten Chansons fassbar machen, waren die Konzepte einer Bühnen-Persona und Chanson-Protagonistin immer wieder zentrale Bezugspunkte für Herangehensweise, Fragestellung und Erkenntnisinteresse. Der Frage „To whom am I listening?“1 – wem höre ich zu, wen nehme ich als Teil eines Publikums auf einer Bühne eigentlich wahr – sind vornehmlich Simon Frith, Philip Auslander und Allan Moore nachgegangen und differenzierten damit Performancestrategien der Popularmusik des ausgehenden 20. Jahrhunderts bis heute. Die Anwendung auf die Chanson-Performance der Diseusen zeigt die Historizität solcher Strategien, die im jeweiligen kulturellen und zeitlichen Kontext zu verorten sind. Frith, Auslander und Moore betonten mit ihren Studien bereits die Diskursivität jeglicher Performances. In der vorliegenden Studie wurde eine solche Prämisse nun mit Gabriele Kleins Konzept der mimetischen Identifikation greifbar gemacht. Dies konnte zeigen, dass Images kein linearer Akt der Nachahmung sind, in dem beliebte Muster, Typen oder Vorbilder immer wieder reproduziert werden. In Wechselwirkung zwischen dem Geschehen auf der Kabarettbühne und den Bedürfnissen des Publikums, das wiederum eingebunden ist in eine konkrete Zeit mit ihren Diskursen, schaffen die Diseusen etwas Individuelles und Originelles – was in ihrem Image verdichtet wird. Dieser aktive und individuelle Akt ist es, der die Definition des Images in der vorliegenden Untersuchung bestimmt. Der hier dargelegte und angewendete Begriff geht über das Verständnis einer imaginierten Weiblichkeit hinaus und verweist auf das handelnde Subjekt innerhalb der überindividuellen Diskurse. Dass das Zusammenspiel von stereotypen Weiblichkeitsbildern und deren aktiver Aushandlung auf der Bühne vor allem in der Popkultur der Gegenwart nach wie vor nicht an Brisanz und Interesse verloren hat, zeigen Imagekonstruktionen von Sängerinnen wie Lady Gaga oder Helene Fischer. Dass Imageanalysen von beispielsweise Rammstein oder Andreas Gabalier in Abgleich mit Vorstellungen von Männlichkeit mindestens genauso ergiebig sind, liegt auf der Hand.2 Images
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Allan Moore: „Adressing the Persona“, S. 134. Dass das Wechselspiel von Geschlecht und Image von aktuellem Interesse in der Musikwissenschaft ist, zeigt beispielsweise die Tagung „Girls just want to have fun (?) Weibliche Starinszenierungen in der populären Musik“, veranstaltet von Michael Fischer und Christopher Jost vom 4.–5. Juli 2014 oder der von Christa Brüstle herausge-
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gibt es, seitdem Menschen in der Öffentlichkeit stehen und sich mit ihren Produkten und Handlungen in den ihre Zeit bestimmenden Diskursen bewegen. Während die Funktionen solcher Images weitestgehend gleich bleiben – Leitbilder, Wahrnehmungsentlastung, Identifikationsmöglichkeit, Vermarktung, aber auch künstlerischer Ausdruck –, verändern sich die Imagekonstruktionen mit ihren Trägern und der Zeit, in der sie leben. Eine Imageanalyse muss also wie ihr Gegenstand selbst variabel und prozessual bleiben, weshalb es gilt, diese an konkreten Beispielen stets neu zu erfinden. Dabei können neben einem eher breit angelegten Zugang wie in dieser Arbeit stets auch neue Aspekte gefunden werden, die in Abstimmung mit dem jeweiligen Image vertieft betrachtet werden können. Verbinden ließe sich in diesem Sinne die Imageanalyse mit der Suche Carolin Stahrenbergs nach kulturellen Handlungsorten in der Weimarer Republik. Sie hat mit ihrer Dissertation Hot Spots von Café bis Kabarett eine Studie vorgelegt, die an den Berliner Beispielen Café Schön, der Kakadu-Bar, dem Kabarett Wilde Bühne und dem Kabarett der Komiker in der Weimarer Republik die Bedeutsamkeit von Orten in einer kulturellen Szene und deren Wechselspiel mit den in ihnen stattfindenden kulturellen Handlungen deutlich gemacht. Hier den Blick für die einzelnen Akteure, Akteurinnen und ihr Zusammenspiel im Kristallisationspunkt Image zu schärfen, wäre eine denkbare Fortsetzung der hier vorgelegten Untersuchungen. Um die in diesem Buch angefertigten Musikanalysen weiter zu untermauern, wäre es reizvoll, daraus eine Vergleichsstudie zum Zusammenhang der Stimmen einzelner Diseusen mit ihren Images zu entwickeln. Anwendung könnte dabei die von dem Forschungsprojekt Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (1900-1960) um Martin Pfleiderer in Weimar entwickelte computergestützte Methode der Stimmanalyse finden. Inwiefern unterscheiden sich Margo Lion, Blandine Ebinger oder auch Annemarie Haase, Claire Waldoff, Trude Hesterberg etc. in ihren Stimmen und wie spiegeln sich ihre Charakteristika und Eigenheiten in dem viel weiteren Feld des Images wider? Neben solchen Abgrenzungsversuchen könnte eine Vergleichsstudie aber auch zeigen, wie sich die unterschiedlichen Diseusen in der Weimarer Republik ganz ähnlicher narrativer Muster bedienten, was sich wiederum auf soziologische Fragestellungen zu Mentalitäten und Diskursen beziehen ließe. Am 21.10.2014 erinnerten die Landesrundfunkanstalten in ihrem vom Westdeutschen Rundfunk
gebene Sammelband Pop-Frauen der Gegenwart. Körper – Stimme – Image. Vermarktungsstrategien zwischen Selbstinszenierung und Fremdbestimmung, Bielefeld: transcript 2015.
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initiierten Sendeformat ZeitZeichen an den 140. Geburtstag von Claire Waldoff.3 Den Einblicken in die Biografie und die Karriere der Diseuse stellt die Autorin des ZeitZeichens einen Ausschnitt des Chansons „Hermann heeßt er“ voran, gefolgt von einem O-Ton Waldoffs, in dem es um die berühmte ‚Berliner Schnauze‘ der Westfälin geht sowie den folgenden Worten: „Kess war sie und unübersehbar, die rothaarige Claire Waldoff. Bubikopf, Baskenmütze, Hemd und Krawatte. Und zwischen den Lippen oft eine Zigarre“. Auch die Inhaltsangabe der Homepage zum Podcast des ZeitZeichens verzichtet nicht auf Typisierungen und Narrationsmuster, die im Fall von Lion und Ebinger ganz ähnlich verwendet wurden: „Mit ‚Hermann heeßt er!‘ machte sie sich unvergessen. Claire Waldoff kam aus dem Ruhrpott, aus Gelsenkirchen, und stand 1903 zum ersten Mal auf einer Bühne, zunächst als jugendliche Liebhaberin und als Naive in der Provinz. Vier Jahre später eroberte sie mit einfachen Couplets Berlin, im Anzug mit Fliege und rotem Bubikopf. Sie wirkte stilbildend in den zwanziger Jahren und repräsentierte den Typ der Garçonne.“4
Wie Lion sei Waldoff fast aus dem Nichts in Berlin erschienen; wie bei Lion und Ebinger sind es ihre „einfachen“ Chansons, die eine solche Durchschlagskraft besitzen, dass Waldoff zur Berliner Berühmtheit wurde, und die noch heute für die Erinnerung an sie sorgen. Wie Lion und Ebinger musste und muss sich auch Waldoff an dem Weiblichkeitstyp der Neuen Frau messen lassen, und wie die beiden anderen Diseusen fand sie ihre eigene Antwort darauf, was auch Birgit Haustedt, Autorin des Buches Die Wilden Jahre in Berlin. Eine Klatsch- und Kulturgeschichte der Frauen5, in der ZeitZeichen-Sendung deutlich macht: „Claire Waldoff war keine schöne Frau, also keine attraktive Frau. Eigentlich das Pfund, mit dem Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts und auch in den Zwanziger Jahren Karriere machten. Das hatte sie nicht. Aber sie hatte eine freche Schnauze und sie hatte Witz. Und genau damit begann sie dann ja auch ihre Karriere.“6
3
Heide Soltau: „1884 – der Geburtstag von Claire Waldoff“, WDR 5, ZeitZeichen, vom 21.10.2014, abrufbar als Podcast unter http://www.wdr5.de/sendungen/zeitzeichen/ waldoff104.html (14.11.2016).
4
Ebd.
5
Birgit Haustedt: Die wilden Jahre in Berlin.
6
Birgit Haustedt, in: Heide Soltau: „1884 – der Geburtstag von Claire Waldoff“.
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Und auch in Bezug auf das Repertoire und die wichtige Rolle der Bühnen-Persona lassen sich Parallelen ziehen. So bestünde, laut der Sprecherin des ZeitZeichens das Repertoire Waldoffs „aus leichten, unterhaltsamen Liedern, die sie mehr krähte als sang. Sie handeln vom Alltag der kleinen Leute aus der Perspektive einer Frau, von der Lust und der Liebe und all ihren Verwicklungen. Nichts Besonderes – eigentlich. Aber so wie Claire Waldoff sie vortrug, klangen selbst die einfachsten Gassenhauer komisch.“7
Trotz dieser auffälligen Parallelen ist es unmöglich, Claire Waldoff, Margo Lion und Blandine Ebinger als austauschbare Modeerscheinungen abzutun – zu individuell, originell und einprägsam sind sie, ihre Chansons, ihre Bühnen-Personae und damit auch ihre Images. Aber die inhaltliche Auswahl und die Dramaturgie der ZeitZeichen-Sendung macht es deutlich: Ohne das Image der Diseusen würde sich heute kaum noch jemand an sie erinnern. Und ohne ihre Chansons würde ihr Image nicht funktionieren. Durch den in dieser Studie gewählten breiten und stets offen gehaltenen Zugang wurden solche ständig weitererzählten Typisierungen und Anekdoten rund um die Diseusen nicht als bloße Erfindungen entlarvt und an deren Stelle neue gesetzt. Stattdessen wurden die vielschichtigen Konstruktionen der Images und deren Bedeutung für den Erfolg der Diseusen offengelegt. Die Images etwa von Yvette Guilbert, Marya Delvard, Claire Waldoff, Margo Lion und Blandine Ebinger sorgten nicht nur in ihrer Zeit für ihre Bekanntheit, sondern sichern die Erinnerung an sie bis heute. Auch für die Geschichtsschreibung und ihre Leser und Leserinnen, Weiterschreiber und -schreiberinnen sind sie unverzichtbar.
7 Ebd.
Ps.: Zur Tradierung der Images
Mit der Rückkehr von Lion nach Paris 1932 nach dem Freitod ihres Ehemanns Marcellus Schiffer und der Emigration Ebingers vor dem Nationalsozialismus 1937 in die USA endeten deren Karrieren als Diseusen in Deutschland abrupt. Beide verfolgten zwar auch im Ausland eine Karriere weiter, nun jedoch hauptsächlich als Schauspielerinnen. Umso beeindruckender ist es, dass Lion bis zu ihrem Tod in Deutschland mit ihrem Image der grotesken Neuen Frau verbunden blieb und Ebinger noch Jahrzehnte lang aktiv ihr Image, das sie in den 1920er Jahren berühmt machte, pflegte. Von 1921 bis 1989 scheinen Lions dekadente Chansons der grotesken Neuen Frau und die Lieder des armen Mädchens konstant das Publikum begeistert zu haben. Überschlugen sich bereits die Rezensenten in der Weimarer Republik vor Lob, so liest es sich 1948, 1962, 1974 und 1983 kaum anders. Dass sich Blandine Ebinger auch noch über 50 Jahre nach ihrem Erfolg mit den Liedern eines armen Mädchens am ehesten mit diesem Repertoire identifizierte, beweist ein in der Akademie der Künste aufbewahrter Briefwechsel von 1977/78 zwischen ihr und Mischa Spoliansky. Es geht dabei um die von Spoliansky initiierte Planung von drei Konzertabenden im Rahmen der Berliner Festwochen und des dort angegliederten Theatertreffens 1978, bei dem Ebinger, Spoliansky und Lion „die Großen auf dem Gebiet“1 präsentieren sollten. Während Ebinger zunächst mit Spoliansky vereinbart hatte, neben „Wenn die beste Freundin“ mit Lion, zudem unter anderem die Nummern „Die Landstreicher“ (T.: Friedrich Hollaender; M.: Mischa Spoliansky), „Es kommt alles wie es muss“ (Felix Joachimson), „Wenn es so wäre wenn“, „Auf Wiedersehen“ und „Das Eselchen“ zu bringen,2 also Kompositionen von Friedrich Hollaender außen vor zu lassen,
1 2
Brief von Ebinger an Spoliansky vom 04.03.1978 (AdK Spoliansky, Sig. 208). Geht aus den Briefen von Ebinger an Spoliansky vom 01.02.1978, 12.02.1978 und dem 04.03.1978 hervor (AdK Spoliansky, Sig. 208).
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äußert sie am 4. März 1978 ernste Bedenken, sich mit einem solchen Repertoire nicht hinreichend repräsentiert zu sehen. Die Leute würden denken, „wozu macht die Ebinger das!?“3. Sie schreibt: „Meine Vortragsabende, die ich in den letzten Jahren hier gehabt habe, waren mit ‚meinen‘ Sachen jeweils besondere Erfolge, beim Publikum ebenso wie bei der Kritik. Man kennt mein Repertoire, damit aber auch meinen künstlerischen Stil. Ich will damit nur sagen, daß ich davon ausgehen muß, daß man hier durchweg an meine Mitwirkung bei einem derartigen Abend besondere Erwartungen knüpft.“4
Sie bittet Spoliansky, sich „doch zu zwei Hollaenders [zu] entschließen“, dann sei auch die Ur-Idee sichtbar, „die Großen zu präsentieren“.5 Auch in ihrem nächsten Brief vom 27. März 1978 wird deutlich, wie sehr Ebinger darauf bedacht ist, sich mit ihrem Image gegen das von Lion abzugrenzen und ein Repertoire zu wählen, das ihr eigenes, etabliertes Image stützt: „Ich habe bei meinem Vorschlag versucht, die Gewichte einigermaßen gleich zu verteilen. Du weißt, daß Margos Sachen sehr stark sind, so wie es jetzt ist, scheint es mir wirksam. Ich glaube auch nicht, daß es gut wäre, wenn ich erst nach der Pause auftrete. Daß ich die Landstreicher nicht machen kann, schrieb ich Dir ja schon. Ich hatte sie nicht mehr so genau in Erinnerung, sie sind zu derb für mich. Ich finde aber, Du kannst sie wunderbar mit Margo zusammen machen, da sie ja auch eine sehr kräftige, tiefere Stimme hat. So habe ich sie nun auch in meinem Programmentwurf eingebaut. Es gibt doch von Dir eine Musik zu Mehrings Kartenhexe; ich habe sie mir einmal aufschreiben lassen für einen Mehring-abend [sic!]. Ich brauche diese starke Sache von Dir, da ich sonst gegen die Schiffer-Sachen ‚abstinke‘.“6
Aus diesen Briefen Ebingers ist deutlich herauszulesen, wie bewusst sie sich auch nach gut vierzig Jahren immer noch ihres Images, dessen Wirkung auf das Publikum und seiner Bedeutung für ihren Erfolg ist – und auch wie sehr sie Lion und
3
Brief von Ebinger an Spoliansky vom 04.03.1978, AdK Spoliansky, Sig. 208.
4
Ebd.
5
Ebd.
6
Brief von Ebinger an Spoliansky, 27.03.1978 (AdK Spoliansky, Sig. 208).
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ihre Stimme typisiert. Entsprechend findet sich in allen dokumentierten Bühnenprogrammen Ebingers seit 1948 bis zu ihrem letzten Auftritt am 1. Oktober 1982 mindestens ein Teil mit den Liedern eines armen Mädchens.7 Abbildung 37: Autogrammkarte von Blandine Ebinger
7
Ein Beispiel hierfür ist Ebingers erster Soloabend „Eine Stunde Blandine Ebinger“ nach ihrer Rückkehr aus Amerika im Renaissance Theater (06.03.1948), vgl. dazu Walter Kaul: „Eine Stunde Blandine Ebinger“, in: Roland von Berlin, Nr. 12 (21.03.1948), StKA, Ordner LK/D/77,2 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger, und J. K.: „Wie vor 16 Jahren. Ein Abend mit Blandine Ebinger“, in: Berliner Zeitung (09.03.1948), AdK E, Sig. 890). Noch pointierter inszenierte Ebinger ihre Lieder eines armen Mädchens am 3. Januar 1975 im Kleinen Theater am Südwestkorso in Berlin, in dem sie insgesamt sechs Chansonabende gab, vgl. hierzu Wolfgang Sinemus: „Bonbons für die Dame. Eleganz mit Schnauze: Blandine Ebingers Chansons-Eskapaden“, in: Der Abend (02.01.1975), AdK E, Sig. 1488 sowie Hellmut Kotschenreuther: „Hinterhof und Märchenland. Blandine Ebinger singt Hollaender im Kleinen Theater“, in: Der Tagesspiegel (05.01.1975), AdK E, Sig. 724. Eine Auswahl weiterer Auftritte, in denen Ebinger stets Die Lieder eines armen Mädchens in Zentrum ihres Programms setzte: ihr Mitwirken an den Berliner Festwochen in der Akademie der Künste 1974, 1977, 1978, 1982; ihre Konzertabende, beispielsweise am 14. September 1977 mit dem Titel „Blandine Ebinger. Chansons von Friedrich Hollaender und Juan Allende-Blin; mit Ernst-August Quelle und Juan Allende-Blin“ im Renaissance-Theater (Programm siehe AdK E, Sig. 896); am 11. Juni 1978 im Gropius-Haus, Selb; am 21. Juli 1978 mit dem Titel „In den Abendwind geflüstert. Chansons von Friedrich Hollaender und Frank Wedekind“, am Klavier Wilhelm von Grunelius.
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Auch mit ihren Memoiren sowie mit zahlreichen Rundfunkinterviews und Fernsehbeiträgen8 trug sie zu ihrer anhaltenden Popularität und der Tradierung ihres Images bei. In der NDR-Produktion Blandine. Eine Lebensmusik9 schlüpft eine 89jährige, zierliche Dame in pastellfarbenen, wallenden Kleidern – schließlich sei es peinlich, in ihrem Alter noch in schwarzweißen Ringelstrümpfen aufzutreten10 – und mit blondierter Dauerwellenfrisur immer wieder in die Rolle der Lieschen Puderbach, lispelnd und in zusammengekauerter Körperhaltung. Auch die Rezensionen zu ihren späteren Auftritten und vielfach erschienene Reportagen zu ihrer Person beschreiben erstaunlich einhellig das arme Mädchen der 1920er Jahre, das nun mit dem Habitus einer gereiften Dame ihre Besucher in ihrer Wohnung empfängt: „Wenn man an ihrer Dahlemer Wohnungstür klingelt und einem die Dame des Hauses selbst die Tür öffnet, dann glaubt man unvermutet dem jungen Mädchen gegenüberzustehen, auf dessen Ehre ein Groschen liegt oder das von dem schönsten Tag in seinem Leben singt, dem Tag, an dem es tot sein wird. Blandine Ebinger auf der Bühne und Blandine Ebinger privat – da entsteht eine sonderbare Deckungsgleichheit, die Verschmelzung einer Identität, die im Grenzbereich der Zauberei angesiedelt zu sein scheint. […]
8
Beispiele hierfür sind: Karl Schönbock: „Chansons mit Geschichte“, 1. Programm, 21.00 Uhr (24.07.1963), gem. mit Beiträgen von Helen Vita, Edith Hancke, Tatjana Sais, Ingr. v. Bergen, Hub. v. Meyerinck, K. Fuss u.a.; „Kabarett am Nachmittag“, SFB I, 16.05 Uhr (Hörzu vom 25.04.1964); Karl Schönbeck: „Unartige Lieder“, 1. Programm (16.11.1964), gem. mit Ursula Herking, Ursula Noack, Mady Rahl, Ruth Stephan, Hanne Wieder, Iska Geri; „Kompliment, meine Damen“, ZDF, 22.35 Uhr (10.02.1975), Moderation von Charles Regnier, mit Fifi Brix, Blandine Ebinger, Joana, Greta Keller, Margo Lion, Gisela May, Marianne Mendt und Helen Vita; Rainer Bertram: „Ein Lächeln geht durch die Stube“, Studienprogramm / 3. Programm, 21.55 Uhr (03.01.1977); „Café im Takt“, 1. Programm/ARD, 21.45 Uhr (09.08.1983) bei Peter Horton sowie die vom 26. bis 29. 1989 Dezember ausgestrahlte vierteilige Sendung „Blandine. Eine Lebensmusik“ im 3. Programm, NDR Media GmbH mit Horst Königstein.
9
„Blandine. Eine Lebensmusik“, NDR Media GmbH, Folgen 1–4 vom 26.12.– 29.12.1988.
10 Ebinger äußerte dies u. a. in dem Artikel von Wolfgang Sinemus: „Bonbons für die Dame. Eleganz mit Schnauze: Blandine Ebingers Chansons-Eskapaden“, in: Der Abend (02.01.1975), AdK E, Sig. 1488.
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Wer die Ebinger in den letzten Jahren mit ihrem Lieder-Repertoire auf einer Berliner Bühne erlebte, wer sie da, zart und gefährdet, am Mikrophon stehen sah, der wird es kaum für möglich halten, daß es jene Blandine Ebinger der zwanziger Jahre war, die heute ihr Publikum ebenso verzauberte wie damals. Ihre Leichtigkeit, ihre kindhafte Ausstrahlung, ihre zarte Koketterie, ihre sanfte Ironie und ihr leiser Witz sind die gleichen geblieben.“11
Obwohl zwischen der Bühnen-Persona der Blandine Ebinger im Jahr 1979 und der Ebinger der 1920er Jahre ein erheblicher Unterschied zu liegen scheint, besteht laut Bernd Lubowski in ihrer Art des Auftretens ebenso Deckungsgleichheit wie zwischen ihrem Privatleben und dieser Bühnen-Persona. In Lubowskis ‚Homestory‘ wird deutlich, wie stark Ebinger sowohl die synchrone als auch die diachrone Kontinuität ihres Images des armen Mädchens bis ins hohe Lebensalter weitertrug und prägte. Diese und andere Reportagen berichten aus dem privaten Umfeld der Rentnerin Ebinger und wollen hinter die Kulissen blicken. Was den Reportern und Reporterinnen und mit ihnen den Lesern und Leserinnen jedoch begegnet, ist die Bühnen-Persona Ebinger von einst. Die von Anfang an konstruierte Verbindung zwischen Ebingers Chanson-Protagonistin, ihrer Bühnen-Persona und ihrer vermeintlichen Privatperson hat zu einem so prägnanten Image geführt, dass es die vielen Jahre eines Weltkrieges und der Emigration überbrücken konnte. Dass Ebinger mit diesem Konzept Erfolg hatte, zeigt auch ihr letzter Auftritt am 1. Oktober 1982 bei den 32. Berliner Festwochen. Der Studiosaal mit etwa 500 Plätzen war ausverkauft. Frank M. Ssérvas, Journalist der Zeitschrift Madame, verbindet mit dem Abschied Ebingers von der Bühne sogar das Ende der „Epoche des literarischen Chansons der zwanziger Jahre in authentischer Interpretation“12. Ein letztes Mal habe sie „eine ganze Welt kindlicher Seele erstehen lassen, als
11 Bernd Lubowski: „In Berlin begann ihr Stern zu strahlen“, in: Berliner Morgenpost (26.08.1979). Vgl. ganz Ähnliches beschreibend auch: Gisela Huwe: „Blandine Ebinger – Eine große Künstlerin des ‚kleinen Chansons‘“, in: Lady (Januar 1984), S.14 u. Fritz J. Raddatz u. Wilfried Krüger: „Blandine“, in: Zeit-Magazin, Nr. 47 (13.11.1987), alle einzusehen in der StKA, Ordner LK/D/77,2 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger. 12 Frank M. Ssérvas: „Chansonabend mit Blandine Ebinger. Auf Nimmerwiedersehen, verehrtes Publikum“, in: Madame (Februar 1983), Nr. 2, LK/D/77,2 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger.
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stünde dort ein kleines, blasses, verhärmtes, sonnenloses Geschöpf Berliner Hinterhöfe […].“13 Und tatsächlich war der gesamte Abend geprägt von ihren und Hollaenders Liedern eines armen Mädchens: Abbildung 38: Blandine Ebingers letztes Bühnenprogramm bei den 32. Berliner Festwochen 1982
13 Ebd.
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Die Lieder eines armen Mädchens und ihr Image begleiteten Ebinger ihr Leben lang. Noch zu ihrem 90. Geburtstag erinnern unzählige Zeitungsartikel in Gesamtdeutschland an ihre Erfolge mit diesem Repertoire in der Weimarer Republik und darüber hinaus.14 Auch Margo Lion konnte an ihre alten Erfolge mit ihren Chansons anknüpfen. Am 7. September 1977 trat sie im Rahmen der 27. Berliner Festwochen mit dem Programm „‚Es liegt in der Luft‘ ein Abend mit Margo Lion und Mischa Spoliansky“ im Renaissance Theater15 auf und reiste mit diesem Programm auch in andere deutsche Städte. Bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit Ebinger und Spoliansky bei den 28. Berliner Festwochen 1987 kreierte sie die Chansons „Die Linie der Mode“, „Zeit-Rumba“ (aus dem Volksstück Das Haus dazwischen), „L’heure bleu“ und „Tempo, Tempo“ aus dem UFA-Tonfilm Das Lied einer Nacht, „Die Kaffeemühle“ (aus Katharina Knie), „Der Pudel“ und „Die Braut“ (aus Es liegt in der Luft) und „Das Gesellschafts-Chanson“ (aus Alles Schwindel)16. Weitere Kabarettabende gab Lion in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit dem Kabarettisten Robert T. Odemann und der Pianistin Ursula Harnisch.17 Zeitungsartikel, die über Lions schauspielerische Engagements in der Bundesrepublik, Rundfunk- und Fernsehaufnahmen sowie ihre Auftritte bei den Berliner Festwochen berichten, knüpfen ähnlich nahtlos an ihre Figur der grotesken Neuen
14 Vgl. bspw. „Blandine Ebinger: Die große Berliner Interpretin der Kleinkunst wird 90. Die Frau, der immer fünf Jahre fehlten“, in: Berliner Zeitung (01.11.1989); Wilfried Mommert: „Die Berliner Diseuse Blandine Ebinger wird 90 Jahre alt. Immer wieder neu entdeckt“, in: Hamburger Abendblatt (02.11.1989); Eberhard Straub: „Jetroffen bis ins tiefste Element. Die große Diseuse Blandine Ebinger wird neunzig“, in: Die Welt 258 (04.11.1989); Manuel Brug: „Immer noch das Kind. Blandine Ebinger zum Geburtstag“, in: Süddeutsche Zeitung (04./05.11.1989), Nr. 254, S. 15; Friedrich Luft: „Die unvergleichliche Blandine Ebinger wird 90 Jahr jung. Zerbrechlicher Star aus der Cabaret-Zeit Berlins“, in: Berliner Morgenpost (04.11.1989); und viele weitere, alle als Kopie einsehbar in: StKA, Ordner LK/D/77,2 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger. 15 Das Programmheft ist in der AdK S/L, Sig. 869 archiviert. 16 Das komplette Programmheft, siehe Adk S/L, Sig. 868. 17 Vgl. zu diesen Auftritten bspw. Ri.: „Urania: Margo Lion – Robert T. Odemann. Spötteleien von Niveau“, in: Die Welt (03.09.1979) u. „Margos Lieder begeistern seit 50 Jahren“, in: Bild, Berliner Ausg. (01.09.1979), beide in StKA, Ordner LK/D/77,2 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger.
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Frau aus ihrem Chanson „Die Linie der Mode“ und ihre Entdeckung in der Wilden Bühne wie an die Lieder eines armen Mädchens Ebingers an: „Dann: Auftritt der Margo Lion. Alterslos steht sie da, einst so dünn und lang wie ein FaberBleistift, ist sie heute körperlich kompakter – und gleich macht sie selber souverän ihre Späße darüber. Sie legt los, schwarzgewandet wie einst. Ein roter Schal liegt ihr wie eine leuchtende Schlange um die Schultern, Schmuck und gleichzeitig Requisit dieser unverdrossenen Chansoneuse [sic!]. Und nun singt sie. Sie plärrt, krächzt. Sie trompetet intelligent wie einst. Die familiären Texte (Frau Lion war mit Marcellus Schiffer verheiratet) treffen selig ins Schwarze. Immer noch der zauberisch welsche Sprachklang dieser Berlinerin aus Paris. Sie ulkt, sie parodiert, sie schwingt den Text hin und wieder mühelos ins Absurde. Sie gibt eine Lektion, wie man ganz Leichtes ohne Leichtsinn, aber doch zärtlich, frech, ernsthaft und mit verhaltenem Jubel intonieren kann. Und die Texte sind nicht alt geworden. Sie passen wie einst, wenn es um den Modefimmel geht, um die Allüren der feinen Leute und Schieber, um den Schwachsinn des Berliner Tempos, um Leid und Lüsternheit einer Braut, um die bis heute nicht ausgestorbene Hundenarrheit der Großstädter oder auch nur um den Quatsch hirnverbrannter Schlager – nun aber intelligent parodiert, alles freiweg zeitbeständig zur Schnecke gemacht. Wie ist das alles hübsch dargeboten, hochintelligent, textlich und musikalisch aus einem schicken Guß – und wie wunderbar beständig ist der holde Leichtsinn seiner Autoren geblieben! Die Lion wird wehleidig keinen Augenblick. Keine falsche Träne gerät ihr nach schier fünfzig Jahren in die alten Texte oder Melodien.“18
Einhergehend mit dem Willen, eine Verbindung zu der Bühnen-Persona Lions von vor rund fünfzig Jahren zu ziehen, bleibt es nicht aus, dass ihre Körperlichkeit auch nun – wenig charmant – an erster Stelle beleuchtet wird,19 gefolgt von den
18 F. L.: „Margo Lion und Mischa Spoliansky im Renaissance-Theater. Leichtes ohne Leichtsinn“, in: Die Welt (09.09.1977), Adk S/L, Sig. 869. 19 Dass dies hier kein Einzelfall ist, zeigen auch folgende Rezensionen: Berndt W. Wessling: „Das Portrait: Die Diseuse Margo Lion“, in: Chic (November 1978), AdK S/L, Sig. 674: „Aus der femme fatale der Twenties und Thirties ist eine femme distinguée geworden“ oder: –pitz: „Seide im Herzen. Charmante Evergreens: Abend mit Spoliansky & Co.“, in: Der Abend (27.05.1979), AdK S/L, Sig. 868: „Ist auch aus dem satinumwickelten Fragezeichen Margo Lion der Zwanziger inzwischen ein Doppelpunkt der Siebziger geworden, so bringt sie dennoch den letzten Schrei der Mooooode so, als träte sie zum ersten Mal in der Keimzelle ihrer Karriere der ‚Wilden Bühne‘ von Trude Hesterberg auf“.
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bekannten Attributen der plärrenden und krächzenden Stimme und der Verortung ihres Sujets im lasterhaften, konsumorientierten Berlin. Doch Lion selbst verstärkt diese für Kohärenz sorgende Tendenz nicht. Während sie in Frankreich eher dramatische Rollen annahm, ist sie nur in Deutschland als Diseuse bekannt geblieben. Und so greifen ihre Konzerte zwar das alte Repertoire wieder auf, doch anstatt eine neue Karriere mit dem alten Image zu verfolgen, ging es ihr anscheinend eher darum, „alte Erinnerungen aufzufrischen“20. Sie nimmt nicht wie Ebinger ihr Image erneut an, holt es nicht aus der Vergangenheit auf ihre Bühne der Gegenwart, sondern lässt es Erinnerung und ihre Auftritte Nostalgie sein.21 So wie Ebinger bis zu ihrem Tod ein inniges Verhältnis zu ihren Chansons inszenierte – sie nannte sie ihre Kinder –, so blickt Margo Lion 1982 ganz sachlich auf ihre Imagekonstruktion zurück und behält ihre damalige Distanz zu ihren Chanson-Protagonistinnen bei. Auf die in einem Zeitungsinterview gestellte Frage, ob die Attribute ihrer Kritiker in den 1920er Jahren – kalt, zynisch, morbide, lasterhaft und mondän – auch auf die private Lion zugetroffen hätten, antwortet sie: „Ach! Natürlich nicht! Wir haben Satire gemacht – Gesellschaftssatire!“22 Ihre Images, die gleichermaßen von den Chanson-Protagonistinnen, von Lions und Ebingers Bühnen-Personae und – wie gezeigt – nicht zuletzt vom Umgang mit ihnen bestimmt wurden, reichten auch über den Tod der beiden Diseusen hinaus, wie die Nachrufe auf sie eindrücklich zeigen: „Ihr Bubikopf, auf dem ein Käppchen steckte, ihre hagere Gestalt im langen schwarzen Kleid und die Spinnenwebenarme in halblangen Handschuhen, die Augen ebenso schwarz umrundet wie die Lippen schwarz nachgezogen – so wurde sie zum Synonym der zwanziger
20 Bernd Lubowski: „Zu Besuch in Berlin: Margo Lion. Auf der Suche nach der Welt von gestern“, in: Berliner Morgenpost (18.05.1973), StKA, Ordner LK/D/125 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Margo Lion. 21 Vgl. ebd.; Zum Wert der Erinnerung und der Nostalgie vgl. außerdem: Irene Sieben: „Arbeitsbesuch in der Stadt ihrer Erfolge: Margo Lion“, in: Berliner Morgenpost (07.08.1974); Bernd W. Wessling: „Chanson-Sängerin Margo Lion machte Station an der Elbe. Die ist nicht von gestern“, in: Die Welt (27.07.1978); „Vergessen in Paris“, in: Weltwoche (30.04.1980), alle in: StKA, Ordner LK/D/125 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Margo Lion. 22 Angelika Grunenberg: „Als Parodie auf die moderne Frau wurde sie berühmt: Margo Lion, Kabarettistin und Schauspielerin. Geplärre von der Schlange. Ein Leben in den Zentren der Moderne“, in: Kölner Stadtanzeiger (21.01.1982), StKA, Ordner LK/D/125 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Margo Lion.
304 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK Jahre. Wie keine andere Berühmtheit entsprach Margo Lion dem Frauentyp jenes Jahrzehnts zwischen den beiden Weltkriegen. Fotos und Zeichnungen der Chansonette und Schauspielerin zeigten ihre ranke Silhouette, die wie eine Hungerharke auch die Schattenseiten jener Jahre symbolisierte. Jetzt ist die Künstlerin im Alter von 90 Jahren in Frankreich gestorben.“23 „Sie war die ‚Königin des lyrischen Berliner Hinterhofchansons‘ und eine gefeierte Künstlerin nicht nur in den 20er Jahren: die Schauspielerin und Sängerin Blandine Ebinger. Sie starb am Sonnabend, dem 1. Weihnachtsfeiertag, im Alter von 94 Jahren in ihrer Geburtsstadt Berlin. Blandine Ebinger verlieh ihren Rollen auf der Bühne und vor der Kamera einen unvergleichlichen Charakter. Sie galt als die letzte Vertreterin der großen Zeit des literarischen Chansons. Noch im hohen Alter hatte sie in einer Fernsehdokumentation ihre Kunst unverwechselbar vorgestellt. Erich Kästner bezeichnete ‚diese lispelnde, magere Person mit den strengen großen Augen‘ einmal als die ‚Meisterin der Tragigroteske‘. […] Geschichte schrieb sie mit den ‚Liedern eines armen Mädchen‘ – der Autor dieser Stücke, Friedrich Hollaender, war ihr erster Ehemann.24
23 Undatierter Ausschnitt: Bernd Lubowski: „Trauer um Margo Lion“, aufbewahrt in StKA, Ordner LK/D/125 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Margo Lion. 24 Die dpa-Mitteilung „Königin des literarischen Chansons. Blandine Ebinger starb im Alter von 94 Jahren“ von Wilfried Mommert erschien u.a. in: Hamburger Abendblatt (27.12.1993), aufbewahrt in StKA, Ordner LK/D/77,2 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Blandine Ebinger.
D ANKE ! „It’s oh so quiet. Exilkomponisten in Hollywood“ – mit dieser Revue, einer studentischen Produktion an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, entdeckte ich 2006/07 meine Faszination für die Kultur der Weimarer Republik. Den Leitern dieses Projekts, Prof. Dr. Fred Ritzel und Peter Vollhardt, ihrem Engagement, dem Interesse, auch dem Witz und der musikalischen Kreativität sind die Ideen und Gedanken, die zu der vorliegenden Arbeit Jahre später geführt haben, zu verdanken. Prof. Dr. Dietrich Helms und Prof. Dr. Melanie Unseld danke ich dafür, dass Sie es mir ermöglicht haben, dieses Interesse wieder aufzugreifen. Ihre Impulse aus der Popularmusikforschung und der musikwissenschaftlichen Genderforschung sowie ihr Zutrauen haben wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Durch das niedersächsische Promotionsprogramm „Erinnerung – Wahrnehmung – Bedeutung. Musikwissenschaft als Geisteswissenschaft“ wurde ich nicht nur finanziell durch ein Georg-Christoph-Lichtenberg-Stipendium gefördert. Der kritische Austausch, die Herausforderungen und die vielen Erfahrungen waren vor allem auch eine persönliche Bereicherung. Auch den Mitgliedern des Unabhängigen Forschungskolloquiums für Frauenund Geschlechterforschung in der Musikwissenschaft (Ufo) möchte ich für die zahlreichen Treffen danken, die mir nicht nur wegen des wissenschaftlichen Austauschs in positiver Erinnerung bleiben werden. Außerdem danke ich Prof. Dr. Mechthild von Schoenebeck für Ihr Interesse an meiner Arbeit und dafür, dass Sie diese in die Reihe „texte zur populären musik“ aufgenommen hat. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung möchte ich mich außerdem bei der Mariann-Steegmann-Foundation und der Gesellschaft für Popularmusikforschung e.V. (GfPM) bedanken.
ANHANG
Noten der analysierten Chansons
310 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
N OTEN
DER ANALYSIERTEN
C HANSONS
ǀ 311
312 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
N OTEN
DER ANALYSIERTEN
C HANSONS
ǀ 313
314 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
Abkürzungsverzeichnis für Zeitungen und Zeitschriften
12UM 8UA BaM BBK BBZ BC BeZaM BH BIN BIZ BLA BMo BMZ BN BT BVZ BZaM DAZ DBW DKJ QS DTZ DWaA DWaM DZ MM NBZ NZ TR
12Uhr Mittag Acht-Uhr-Abendblatt Berlin am Morgen Berliner Börsen Kurier Berliner Börsenzeitung Börsen-Courier Berliner Zeitung am Mittag Berliner Herold Berliner Illustrierte Nachtausgabe Berliner Illustrirte Zeitung Berliner Lokal-Anzeiger Berliner Morgenpost Berliner Morgenzeitung Berliner Nachtausgabe Berliner Tageblatt Berliner Volkszeitung B.Z. am Mittag Deutsche Allgemeine Zeitung Der Berliner Westen Das kleine Journal Der Querschnitt Deutsche Tageszeitung Die Welt am Abend Die Welt am Montag Deutsche Zeitung Montag Morgen Neue Berliner Zeitung, das 12 Uhr Blatt Neue Zeit Tägliche Rundschau
316 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
VZ WaA
Vossische Zeitung Welt am Abend
Chronologisch sortierte Rezensionen der Themen- und Werteanalyse
318 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
1.
Rezension undatiert „Margo Lion verdient die fetten Lettern, mit denen das Programm sie ankündigt. Sie ist echtes Kabarett. Die Kabarettastronomen können einen neuen Stern registrieren.“ („Wien. Simplizissimus-Kabarett“, in: 8-Uhr-Blatt Wien, AdK S/L, Sig. 646.2)
Themen
angekündigt mit fetten Lettern echtes Kabarett Stern
authentisch Star
echte Überbrettl-Erscheinung modern stärkster Eindruck des Abends großer Beifall
authentisch erstklassig
Authentizität Kabarett Repertoire/Chansons Vortrag Leistung/Können
bezaubernd herrlich echtes Kabarett rhythmisches Gefühl großes Können
authentisch gefühlvoll hinreißend rhythmisch erstklassig souverän
Authentizität Bühnen-Persona Diseuse Karriere/Entwicklung Körperlichkeit Originalität Vortrag Leistung/Können Originalität Körperlichkeit Diseuse Vortrag
fesselnde Erscheinung fesselnde Art des Vortrags stark persönlicher Stil Vortragskünstlerin
mitreißend individuell künstlerisch
eigene Klasse
erstklassig individuell
in der bildlichen Wirkung frappierend originell Vortragskünstlerin
ausdrucksstark künstlerisch originell
„Margo Lion ist eine echte Überbrettel-Erscheinung, ins moderne übertragen. Der stärkste Eindruck des Abends.“ (Münchener Zeitung, AdK S/L, Sig. 646.2)
Authentizität Erfolg Kabarett Leistung/Können Zeitkritik
3.
„Margo Lion erntete mit Ihren Chansons wie immer grossen Beifall.“ (BC, AdK S/L, Sig. 646.2) „Wie die Lion Ihre Chansons mit rhythmischem Gefühl erfüllt, das ist bezaubernd, das ist herrlich echtes Kabarett.“ (BT, AdK S/L, Sig. 646.2) „Ein Lustspielfragment: ‚Ja, ja die Liebe…‘ gibt vor allem Margo Lion Gelegenheit, ihr grosses Können zu zeigen.“ (BC, AdK S/L, Sig. 646.2) „Margo Lion entwickelt sich immer mehr zu einer Vortragskünstlerin von stark persönlichem Stil und fesselt ebenso durch ihre Erscheinung wie durch die Art ihres Vortrages.“ (8UA, AdK S/L, Sig. 646.2)
Erfolg Publikum
5.
6.
7. 8.
„Eine eigene Klasse stellt Margo Lion dar.“ (Züricher Post, AdK S/L, Sig. 646.2) „Als originelle Vortragskünstlerin stellt sich Margo Lions aufs Podium. Allein schon in der bildlichen Wirkung frappierend.“ (Neue Züricher Zeitung, AdK S/L, Sig. 646.2)
Werte
Authentizität Erfolg Kabarett
2.
4.
Attribute
erfolgreich
C HRONOLOGISCH
SORTIERTE
R EZENSIONEN
9.
„Margo Lion präsentiert ihre angenehme Körperlichkeit in ihrer starken Eigenart ihrer guten Texte.“ (8UA, AdK S/L, Sig. 646.2)
10.
„Über Claire Waldoff und die originelle Margo Lion erübrigt es sich zu schreiben. Sie sind Fixsterne am Berliner Kabaretthimmel.“ (BT, AdK S/L, Sig. 646.2) „Der Rest des großen Erfolges in dessen Zeichen der ganze Abend stand, verteilte sich auf Margo Lion, die in der Art ihres Vortrags einen völlig neuen Kabarettyp geschaffen hat.“ (8UA, AdK S/L, Sig. 646.2) „Um gleich das Beste vorweg zu nehmen, sei gesagt, dass Margo Lion das Premierenpublikum zu stürmischem Beifall hinriss. Sie ist auf dem besten Wege, ein Star ersten Ranges auf dem Kabaretthimmel zu werden.“ (VZ, AdK S/L, Sig. 646.2) „Margo Lion. Diese originelle Frau besitzt Humor und Eigenart, sodass ihr jedes Publikum Interesse entgegenbringen muss.“ (Die Stunde, AdK S/L, Sig. 646.2) „und M a r g o L i o n , d i e Erfinderin des Ged a n k e n s t r i c h s “ (Hans Reimann: „Berliner Theaterbrief“, StKA, Ordner LK/D/125 – Deutschland/Kabarett/Biographien – Margo Lion)
11.
12.
13.
14.
DER
T HEMEN -
Bühnen-Persona Körperlichkeit Originalität Repertoire/Chansons Berlin Erfolg Kabarett
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 319
angenehme Körperlichkeit starke Eigenart gute Texte
individuell sympathisch
Fixsterne am Berliner Kabaretthimmel
originell Star
Bühnen-Persona Erfolg Kabarett Vortrag
großer Erfolg völlig neuer Kabaretttyp
erfolgreich originell Typ
Erfolg Kabarett Karriere/Entwicklung Publikum
Star ersten Ranges am Kabaretthimmel stürmischer Beifall
erfolgreich erstklassig Star
Bühnen-Persona Publikum Originalität
Eigenart originell Humor interessant für jedes Publikum Erfinderin des Gedankenstrichs
erfolgreich interessant komisch originell
Körperlichkeit Originalität
dünn intelligent
320 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
15.
16.
17.
1923 (Die Wilde Bühne) „Ihm [Frank Günther] zunächst steht an Können M a r g o L i o n , eine Diseuse, die Chansons spricht, schnattert, hinknallt. Unerhört gut ist sie, eine Mischung von Individualität und Nachahmung, begabt mit einer fabelhaften Präzision des Tones – und mit einer eingedrillten Zungenläufigkeit, an der das Piano Claus Claubergs scheitert.“ (J–s.: „Wilde Bühne“, in: Film-Kurier [05.09.1923], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul) „Der bisweilen die Grenzen des Geschmackvollen überschreitende Conferencier Frank Günther kündet Margo L i o n als die ‚blonde Asta Nielsen‘ an; ein billiger Vergleich, immerhin, die Frau hat unbedingt eine eigene, höchst individuelle Note, es liegt etwas darin, wie sie ohne Stimme in ausgesprochener Dissonanz pseudomondäne Frechheiten vorträgt; warten wir ab, wie sie sich weiter entwickelt.“ (Oly.: „Wilde Bühne“, in: Börsen Zeitung [20.09.1920 (sic! 1923)], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul) „Mayo L i o n ist von geradezu vernichtender Schlankheit. Ihre Liedervorträge und ihr Auftreten erinnern ein wenig an Yvette Guilbert. Sie hat Temperament und Rasse gemischt mit einem Schuß Zynismus. Ihr Können ist unbestritten beachtlich.“ (kun.: „Berliner Kleinkunst. Wilde Bühne.“, in: DA [07.10.1923], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul)
Bühnen-Persona Diseuse Leistung/Können Originalität Stimme Vortrag
begabt eingedrillte Zungenläufigkeit fabelhafte Präzision des Tones knallt die Chansons hin Mischung aus Individualität und Nachahmung schnattert spricht unerhört gut
erstklassig individuell präzise schmetternd souverän talentiert
Bühnen-Persona Karriere/Entwicklung Repertoire/Chansons Originalität Stimme Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
ausgesprochene Dissonanz blonde Asta Nielsen eigene, höchst individuelle Note ohne Stimme pseudomondäne Frechheiten
frech hässlich heiser individuell mondän
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Leistung/Können Körperlichkeit Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
beachtliches Können Rasse Temperament vernichtende Schlankheit Yvette Guilbert Zynismus
dünn erstklassig französisch rassig temperamentvoll zynisch
C HRONOLOGISCH
18.
19.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Weiß-gepudert mit schwarzen Lippen, schwarz und geschmeidig-schlank: Margo L i o n . Ihre Art ist messerscharf, herausfordernd und kalt. Aber ihr Körper vereint sich in (unwesentlichen) Shansons [sic!] mit Stimme und Dichtungsgehalt zu meisterhafter Präzision. Parodie nicht als Selbstzweck, sondern als Erlebnis.“ (Felix Joachimson: „Theater und Musik. Drei Frauen und Ringelnatz. Wilde Bühne“, in: BBC [07.10.(1923)], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul; abgedruckt auch in: Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett, S. 367, Endnote 71) „Hoffnungen auf eine sich entwickelnde Wildheit voll innerer Schrecken machte uns das unglaublich spindeldünne Fräulein Margot L i o n . Sie ist wirklich so dürr, denn sie hatte sozusagen nichts an, und man konnte trotzdem nichts sehen. Wie Theobald Tiger […] es fertig brachte, auch dieser Dame zwei Couplets auf diesen Leib zu schreiben, ist ein technisches Wunder, das ihm niemand (freiwillig) nachmachen möchte. Immerhin, dieses ‚Ausrufungszeichen der Not‘, wie sich die Dame nannte, war eine ganz richtige, vollgütige Interpunktion“ (Sling.: „Wilde Bühne“, in: VZ, MorgenAusg., Nr. 479 [10.10.1923], S. 3)
DER
T HEMEN -
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 321
Bühnen-Persona Körperlichkeit Kostüm Leistung/Können Repertoire/Chansons Stimme
geschmeidigschlank meisterhafte Präzision messerscharf Parodie weißgepudert
bleich dünn parodistisch präzise scharf
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Geschlecht Körperlichkeit Kostüm Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
Ausrufungszeichen der Not Dame dürr Fräulein ganz richtige, vollgütige Interpunktion hat nichts an innerer Schrecken sich entwickelnde Wildheit unglaublich spindeldünn
Dame dünn erstklassig frivol kreatürlich temperamentvoll unheimlich
322 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 20.
21.
22.
„ […] im wirkungsvollsten Gegensatze zu den von modernster Degenerations-Kultur beleckten Darbietungen einer M a r g o t L i o n […].“ (–en.: „Vom Brettl. Wilde Bühne“, in: BZ [13.10.1923], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul) „Dann noch M a r g o L i o n , die Interpretin ihres Freundes Marcellus Schiffer; eine ganz eigenartige Frau; eine ganz eigenartige Kunst für ganz eigenartige Geschmäcker, die, wenn sie auch nicht immer gefällt, so doch lebhaft interessiert. Eine ganz dünne, schmächtige Frau – fast möchte man meinen – zu dünn; im schwarzen Kleid und schwarzer Kappe, das Gesicht gespenstisch weiß geschminkt.“ (–r.: „Wilde Bühne“, in: NZ [14.10.1923], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul)
Bühnen-Persona Vortrag
von modernster Degenerations-Kultur beleckt
dekadent modern
Bühnen-Persona Geschlecht Körperlichkeit Kostüm Kunst Marcellus Schiffer Publikum
bleich dünn eigenartig interessant künstlerisch unheimlich
„Vollends oder vielmehr schlankstens aber Margo Lion: die letzte Creation dieses Hauses, spindeldürr, wie ein endloses Gerippe, in wattierte schwarze Seide eingenäht, das Gesicht kalkweiß, dennoch aber keineswegs preußisch, sondern entfesselte Lasterhaftigkeit, gebändigt zu statuarischen Bewegungen der gespreizten Arme und Beine, sie plärrt mit hohler Stimme wüste Gassenhauer.“ (K.P.: „Kabarett. Beispiel: Wilde Bühne“, in: 8UA [18.10.1923], StKA, Ordner LK/C/77,1 – Wilde Bühne/Programme, Nachlass Heinz Greul)
Bühnen-Persona Körperlichkeit Kostüm Repertoire/Chansons Stimme
(zu) dünn eigenartige Frau eigenartige Kunst für eigenartige Geschmäcker gespenstisch weiß geschminktes Gesicht interessiert lebhaft Interpretin ihres Freundes Schiffer schmächtig schwarzes Kleid, schwarze Kappe endloses Gerippe entfesselte Lasterhaftigkeit hohle Stimme kalkweißes Gesicht keineswegs preußisch schlankstens spindeldürr vollends
antibürgerlich bleich dünn fesselnd frivol hohl temperamentvoll perfekt
C HRONOLOGISCH
23.
24.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
1924 (Die Wilde Bühne) „Entdeckt wurde hier [in der Wilden Bühne] auch Margo Lion, eine Parodistin mit einer ganz subjektiven Note, eine Künstlerin, die aus ihrer besonderen Körperlichkeit ihre Wirkungsmöglichkeiten entwickelt, und zwar, was Frauen selten liegt, groteske Wirkungsmöglichkeiten.“ (Max Herrmann Neiße: „Kleine Geschichte des deutschen Kabaretts“ [1924], in: ders.: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 7–105, hier S. 41.) „Dort wurde zum ersten Mal eine Doppelnummer gebracht, die einen köstlichen Einfall spezifisch kabarettistischen Geistes bedeutet: die Gegenüberstellung Margo Lion – Adolphe Engers. Margo Lion, die von Trude Hesterbergs ‚Wilder Bühne‘ entdeckt worden war, benutzte ja ihre Körperhaftigkeit zu einem charakteristisch bizarren Auftritt. Sie trug also in der ‚Rampe‘ zunächst einmal dieselben drei Couplets vor, die sie in der ‚Wilden Bühne‘ gebracht hatte. Aber wenn sie abgetreten war, kam nun gleich der Schauspieler Engers, schon in der Aufmachung das Kostümliche der Lion verulkend, und sang Parodien auf die drei Chansons der Lion.“ (Max Herrmann Neiße: „Kleine Geschichte des deutschen Kabaretts“ [1924], in: ders.: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 7–105, hier S. 94f.)
DER
T HEMEN -
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 323
Authentizität Bühnen-Persona Geschlecht Körperlichkeit Kunst Leistung/Können Originalität
besondere Körperlichkeit für Frauen ungewöhnlich groteske Wirkungsmöglichkeiten Künstlerin Parodistin subjektive Note
grotesk individuell künstlerisch originell parodistisch
Bühnen-Persona Kabarett Körperlichkeit Kostüm Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
bizarrer Auftritt charakteristisch kostümlich
grotesk inidividuell parodistisch
324 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
25.
26.
1924 (Die Rampe) „Ein köstlicher Einfall, wirklich aus dem Geist spezifisch kabarettistischer Kunst heraus, ist die Gegenüberstellung Margo Lion – Adolfe Engers. So kabarettistisch originell, ganz auf sich gestellt und sich selbst preisgebend Margo Lions eigenartige Chansonettenkunst ist, so genial parodiert hinterher Engers die drei Arbeiten der Lion und in solchem auf den Kopf stellen, eines durchs andere negieren, scheint mir eine großartige, bei uns bisher noch nicht genutzte Chance des Kabaretts zu liegen.“ (Max Herrmann Neiße: „Kabarett“, in: Der Kritiker 6, [März 1924], S. 8f. hier S. 9; abgedruckt in: Max HerrmannNeiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 140–142, hier S. 141f.) 1924 (Tü-Tü) „Sensationell auch dieser wieder die Durchschlagskraft M a r g o L i o n s , dieser einzig dastehenden kabarettistischen Parodistin. Sie singt ihre Skandallieder. Wie sie ihre grellen, kurzen Mißtöne mit ihren kurzen, abgehackten Bewegungen in Einklang bringt, das ist überwältigend.“ („TüTü“, in: Neue Berliner 12Uhr-Zeitung [29.03.1924], StKA, Ordner LK/Cc/1,19 – Anthologien/TüTü)
Authentizität Bühnen-Persona Diseuse Kabarett Kunst Originalität
auf sich gestellt und sich selbst preisgebend eigenartige Chansonettenkunst kabarettistisch originell
authentisch eigenartig genial künstlerisch originell selbstständig
Bühnen-Persona Kabarett Leistung/Können Repertoire/Chansons Stimme Originalität Vortrag
Durchschlagskraft einzig dastehend grelle, kurze Misstöne kabarettistische Parodistin kurze, abgehackte Bewegungen sensationell Skandallieder überwältigend
ausdrucksstark beweglich einzigartig erstklassig frivol grell hässlich parodistisch sachlich überwältigend
C HRONOLOGISCH
27.
28.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„M a r g o L i o n und A d o l f e E n g e r s treten nun bei ihm [Bendow] auf, und das sind immer noch zwei der besten Sachen auf dem heutigen Kabarett, weil sie wirklich aus spezifisch kabarettistischem Geiste stammen, die Lion, die ihre Körperhaftigkeit benutzt zur Unterlage einer bizarren Phantasie. Und dann ironisiert noch Engers ihre Gebärden, zerparodiert in vernichtender Übertreibung die Parodien der Lion. Die Lion bekam diesmal von Schiffer weniger starke Texte (die Alan Grey gut vertonte), so daß auch im Wortlaut die Engerschen Grotesken Sieger bleiben.“ (Max Herrmann [Neiße]: „Kabarett“, in: Der Kritiker 6, Nr. 7 [April 1924]) 1924 (Karussel) „Margo Lion ist in neuen Grotesken von Marcellus Schiffer (deren feinste, weil radikal burleske, für mich Die Mondsüchtige war), weiter die originelle Kabarettgestalterin, die den phantastisch ulkigen, tragikomischen Bänkelsang unserer Zeit mit durchaus eigener Nuancierung vertritt und mit einer Einheitlichkeit des Körperausdrucks und der sprachlichen Mittel, der mimischen und der Vortragstechnik wirklich beherrscht [sic!].“ (Max Herrmann Neiße: „Berliner Kabaretts“, in: Der Kritiker 6 [September/Oktober 1924], abgedruckt in: Max HerrmannNeiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 149–155, hier S. 152)
DER
T HEMEN -
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 325
Kabarett Körperlichkeit Leistung/Können Marcellus Schiffer Repertoire/Chansons
bizarr nutzt ihre Körperhaftigkeit spezifisch kabarettistischer Geist zwei der besten Sachen auf dem heutigen Kabarett
grotesk erstklassig parodistisch
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Kabarett Körperlichkeit Leistung/Können Marcellus Schiffer Originalität Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
Ausdruck der Zeit Beherrschung von mimischem und sprachlichen Ausdruck die Mondsüchtige einheitlicher Körperausdruck, sprachliche Mittel, Mimik und Vortragstechnik Grotesken eigene Nuancierung originelle Kabarettgestalterin phantastisch ulkiger, tragikomischer Bänkelsang unserer Zeit radikal burlesk
ausdrucksstark grotesk individuell komisch künstlerisch modern originell phantastisch souverän
326 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 29.
30.
31.
32.
„Zuvor grölt die eckigschmale Margo Lion ein geschmackvolles Repertoire herunter als zu ihrem Berliner Beginn, […].“ („Aus den Kabaretts“, in: BZaM [04.09.1924], AdK S/L, Sig. 8) „Bestes Kabarett gibt Margo Lion, eine der wenigen Frauen, die eine Note haben. Sie muß sich hüten, allzu überlegen zu sprechen, man darf es sein, aber nicht zeigen.“ („Kleinkunst. Karussel“, in: MM [08.09.1924], AdK S/L, Sig. 8) 1924 (Schall und Rauch) „Aus dem Programm des vorigen Monats ist Margo Lion übernommen worden, die interessanteste Neuerscheinung des Kabaretts. Sie ist eine nicht minder grosse Nummer [als Willi Prager].“ (12UM, AdK S/L, Sig. 646.2) „Neuestes Berlin glossieren dann Margo Lion und Kurt Gerron. Ich sehe die Lion oft in den verschiedenen Kabaretts, in denen sie auftritt, und immer mit der gleichen Freude an der exzentrischen, barocken Form, die sie so sympathisch rücksichtslos bis in die letzte Konsequenz verfolgt, […].“ (Max Herrmann Neiße: „Berliner Kabaretts“, in: Der Kritiker 6 [September/Oktober 1924], abgedruckt in: Max Herrmann-Neiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 149–155, hier S. 154)
Karriere/EntwicklungKörperlichkeit Repertoire/Chansons Stimme Vortrag Bühnen-Persona Geschlecht Kabarett Originalität Vortrag
eckig-schmal geschmackvolles Repertoire grölt
anspruchsvoll dünn grölend
bestes Kabarett eine der wenigen Frauen mit eigener Note überlegener Sprechstil
erstklassig individuell souverän
Bühnen-Persona Erfolg Kabarett Vergleich mit anderen KünstlerInnen
große Nummer interessante Neuerscheinung des Kabaretts
erstklassig interessant originell
Berlin Bühnen-Persona Kabarett Karriere/Entwicklung Zeitkritik
barock exzentrisch glossiert neuestes Berlin sympathisch rücksichtslos
ausdrucksstark exzentrisch modern satirisch sympathisch
C HRONOLOGISCH
33.
34.
35.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Margo Lion karikiert die männliche Linie der Frau, aber der Eindruck geht weniger von ihrer Kunst aus als von der Intelligenz, mit der sie es versteht, Zuschauer über ihre Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht im unklaren zu lassen.“ (H.F.: „Varieté und Kino. Septemberprogramm in ‚Schall und Rauch‘“, in: VZ, MorgenAusg., Sonnabend, Erste Beilage, Nr. 424 [06.09.1924], S. 2) „ […] Margo Lion, eine elegante Claire Waldorf [sic!], mit Blechstimme, silbern schillernden Kleid und schönen Beinen allerhand verführerische Perversitäten bietet.“ (Emo.: „Aus Varieté und Kino. Schall und Rauch“, in: VZ, Morgen-Ausg., Sonnabend, Neuer Tagesdienst, Nr. 484 [11.10.1924], S. 2.) 1924 (An Alle…!) „[…] auch müßten einer so interessanten, originellen Phantastikkünstlerin wie Margo Lion im guten Sinne sensationellere, ihrer würdigere Gestaltungsmöglichkeiten gegeben werden.“ (Max HerrmannNeiße, in: Der Vorhang [16.11.1924], abgedruckt in: Ders.: Panoptikum. Stücke und Schriften zum Theater [= Gesammelte Werke 3], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 585–594, hier S. 593)
DER
T HEMEN -
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 327
Bühnen-Persona Geschlecht Kunst Publikum
intelligent karikiert die männliche Linie der Frau lässt Publikum in Unklarheit über ihr Geschlecht
androgyn intelligent karikaturistisch künstlerisch
Körperlichkeit Kostüm Repertoire/Chansons Stimme Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
Blechstimme elegante Claire Waldoff schöne Beine silbern schillerndes Kleid verführerische Perversitäten
elegant frivol schön tiefe Stimme
Kunst Originalität
interessant originell Phantastikkünstlerin
interessant künstlerisch originell phantastisch
328 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
36.
37.
1925 (Roland von Berlin) „Dieses eminente Scheusal hat nicht seinesgleichen im deutschen Kabarett, aus diesem bleichen Kamin schwelt der Dampf dieser Zeit: grauenvoll, verwesend, in todsicherer Färbung. Manchmal rutscht dir aber doch, Jettatore, der böse Blick aus, dann weht über dein Trümmergesicht, ob du willst oder nicht, etwas Rührendes, Anmutiges und Frauliches. Bürgerschreck, ertappter.“ (Fred Hildebrand: „Sonnabend“, in: BT [26.01.1925], AdK S/L, Sig. 10)
„[…] Margo Lion wirkt immer wieder einmalig, und etwas wie Die Mondsüchtige kann ihr niemand nachmachen.“ (Max Herrmann Neiße: „Triumph des heiteren Genres“ und „Kabarett“, in: Der Kritiker 7 [Januar/Februar 1925], abgedruckt in: Max HerrmannNeiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 163–167, hier S. 165.)
Bühnen-Persona Geschlecht Kabarett Körperlichkeit Leistung/Können Originalität Vortrag Zeitkritik
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Originalität Repertoire/Chansons
anmutig bleicher Kamin, aus dem Dampf der Zeit schwelt böser Blick eminentes Scheusal ertappter Bürgerschreck fraulich grauenvoll hat nicht seinesgleichen im deutschen Kabarett in todsicherer Färbung Jettatore rührend Trümmergesicht verwesend die Mondsüchtige einmalig
anti-bürgerlich bleich boshaft einzigartig elegant gefühlvoll hässlich kreatürlich modern souverän unheimlich
einzigartig
C HRONOLOGISCH
SORTIERTE
R EZENSIONEN
DER
T HEMEN -
38.
„Das Gegenstück der Hesterberg. Margo Lion. Schwarz wie Haß und Nacht und bleich wiederum zum Entsetzen. Ihre Paradestücke predigen Widernatürliches. Aber die schwarzweiße Margo persifliert. Sie parodiert das Laster, macht es auf heitere Art. Mit vollendetem jugendlichen Scharm. Darum ist ihre Leistung heute so groß; hat sie kaum ihresgleichen.“ („Roland von Berlin“, in: Der Tag [09.01.1925], AdK S/L, Sig. 10)
Bühnen-Persona Körperlichkeit Leistung/Können Repertoire/Chansons Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
39.
„[…] daneben Margo Lion, von bizarrer Linie und skurriler Mundakrobatik, als Parodistin von ureigenstem, schöpferischem Können in Auffassung und Pointierung.“ („Roland von Berlin. Das JanuarProgramm“, in: 12UA [09.01.1925], AdK S/L, Sig. 10) „Margo Lion präsentiert ‚kaläglich‘ ihre angenehme Körperlichkeit (wie ein erotisches Ausrufezeichen) und ‚balökt‘ in ihrer starken Eigenart ihre guten Texte von Schiffer.“ (Peter Eik: „Roland von Berlin“, in: 8UA [09.01.1925], AdK S/L, Sig. 10)
Bühnen-Persona Leistung/Können Originalität Stimme Vortrag
40.
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Marcellus Schiffer Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
UND
W ERTEANALYSE
bleich zum Entsetzen Gegenstück der Hesterberg große Leistung hat kaum ihresgleichen heitere Art ihre Paradestücke predigen Widernatürliches vollendet jugendlicher Charme parodiert das Laster persifliert predigt Widernatürliches schwarz wie Hass und Nacht schwarz-weiß bizarre Linie Parodistin schöpferisches Können in Auffassung und Pointierung skurrile Mundakrobatik ureigen angenehme Körperlichkeit blökt erotisches Ausrufezeichen gute Texte kläglich starke Eigenart
ǀ 329
bleich boshaft charmant einmalig erstklassig hässlich heiter kreatürlich parodistisch perfekt
eigenartig grotesk individuell künstlerisch parodistisch pointiert souverän frivol individuell kreatürlich sympathisch
330 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 41.
„Margo Lion, das Exentrikmädel (comme il faut) mit seiner hinreißenden parodistischen Laune. Die schlanke Frau ist ein ganz eigenartiger Typ der Kleinkunst.“ (Februar 1925, AdK S/L, Sig. 646.2)
Aussehen Bühnen-Persona Geschlecht Kabarett Körperlichkeit Kunst
42.
„Und endlich gibt es hier wieder das groteske, geistig und exotisch persiflierende Kabarett durch Margo Lion, die heutigen Rhythmus und heutigen Zustand stark ausdrückt und gleichzeitig schon schlagend parodiert. Sie trägt sicher, mit Körper und Intelligenz beherrschend, neue Chansons von Schiffer vor und spielt (mit dem Schauspieler Behrendt als trefflichem Partner) glänzend burlesk, ganz heutigen Karikaturzeichnern entsprechend, eine herrliche Literaturparodie von Schiffer, die den Jungfrau von OrléansStoff frei nach Strindberg, Wedekind und der landläufigen Operette behandelt und entzückende stilistische und menschliche Pointen hat.“ (Max Herrmann-Neiße: Berliner Kabaretts im Dezember“, in: BT, Nr. 586 [11.12.1925], abgedruckt in: Max HerrmannNeiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 187–191, hier S. 191.)
Bühnen-Persona Kabarett Körperlichkeit Leistung/Können Marcellus Schiffer Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
eigenartiger Typ der Kleinkunst Exzentrikmädel hinreißend parodistische Laune schlanke Frau exotisch geistig glänzend burlesk grotesk heutigen Karikaturzeichnern entsprechend Körper und Intelligenz beherrschend persiflierend schlagend parodierend starker Ausdruck von heutigem Rhythmus und Zustand
dünn eigenartig exzentrisch hinreißend parodistisch Typ ausdrucksstark entzückend grotesk intelligent karikaturistisch modern parodistisch souverän
C HRONOLOGISCH
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R EZENSIONEN
1925 (Die Rakete) „Sooft ich die Lion jetzt schon in den verschiedenen Kabaretts erlebte, immer wieder war ich von dieser einzigartigen, die bizarre Persiflierung, die unsere Zeit verlangt, am selbstständigsten treffenden Kraft mitgerissen; ihre Novität Die Vogelscheuche ist eine ebenso vollkommene Leistung des Autors Marcellus Schiffer als der reproduzierenden, mit ihren mimischen, gestaltenden Energien schöpferischen Natur Margo Lions.“ (Max Herrmann Neiße: „Kabarett“, in: Der Kritiker 7 [März 1925], S. 44f. hier S. 44; abgedruckt in: Max Herrmann-Neiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 167–169, hier S. 168.) 1925 (Bonbonnière, München) „Margo Lion, die wandelnde Parodie auf die moderne Frau.“ (Neuste Nachrichten, München [April 1925], AdK S/L, Sig. 646.2) „Margo Lion, der originellste Bretteltyp, den wir seit Jahren gesehen. Urwüchsiges Kabarett.“ (A.Z. [Oktober 1925], AdK S/L, Sig. 646.2) 1925 (Mascotte, Zürich) „Das Parodistische als Prinzip und zur höchsten Mondänität gesteigert findet man bei Margo Lion. Eine große Nummer.“ (Estrade [Mai 1925], AdK S/L, Sig. 646.2)
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Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Kabarett Karriere/Entwicklung Körperlichkeit Leistung/Können Marcellus Schiffer Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
bizarre Persiflierung, die unsere Zeit verlangt Die Vogelscheuche mimisch gestaltende Energien schöpferische Natur selbstständige, treffende Kraft vollkommene Leistung
ausdrucksstark einzigartig grotesk kreatürlich künstlerisch parodistisch perfekt selbstständig
Bühnen-Persona Geschlecht
moderne Frau wandelnde Parodie
modern parodistisch
Bühnen-Persona Kabarett Originalität
originellster Brettltyp urwüchsiges Kabarett
ordinär originell Typ
Bühnen-Persona Erfolg
eine große Nummer höchste Mondänität Parodistisches als Prinzip
erstklassig mondän parodistisch
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50.
1925 (Größenwahn) „Der durchschlagende Erfolg ist nicht zuletzt auf das Konto der rassigen Margo Lion zu buchen, die mit erstaunlicher Wandlungsfähigkeit in Spiel und Vortrag alle Wirkungsmöglichkeiten restlos erschöpft!“ (VZ [August/September 1925], AdK S/L, Sig. 646.2) „Margo Lion erscheint in einigen neuen, mit Pointierungskraft gestalteten Chansons. Sie ist geschlossener, konzentrierter und auch dezenter geworden, vermeidet all zu krasse Töne, verzichtet auf das absolut nicht nötige Hilfsmittel einer stylisierten Toilette, und bietet eine bis zur geringsten Bewegung abgezirkelte, durchdachte Leistung.“ („Größenwahn. Das Septemberprogramm“, in: 12UM [09.09.1925], AdK S/L, Sig. 8, u.: „Größenwahn. Das Septemberprogramm“, in: BZaM [09.09.1925], AdK S/L, Sig. 8) 1926 (Die fleißige Leserin) „Hinreißend Margo Lion in einem französischen Chanson.“ (Herbert Ihering: „Die fleißige Leserin. Renaissance-Theater“, in: BC, AdK S/L, Sig. 3.2) „Die ‚fleißige Leserin‘, die Commère der Magazinrevue, war Margo Lion, die wir vom Kabarett her schätzen und die auch mit dem feinnuancierten Vortrag eines Pariser Chansons stärksten Beifall fand.“ (m.m.: „‚Die fleißige Leserin‘. Magazin-Revue im Renaissance-Theater, in: BZaM, AdK S/L, Sig. 3.2)
Bühnen-Persona Erfolg Vortrag
durchschlagender Erfolg erschöpft alle Wirkungsmöglichkeiten restlos erstaunliche Wandlungsfähigkeit in Spiel und Vortrag rassig dezenter durchdachte, bis zur geringsten Bewegung abgezirkelte Leistung geschlossener konzentrierter mit Pointierungskraft gestaltete Chansons vermeidet allzu krasse Töne verzichtet auf unnötige Hilfsmittel und Kostüme
ausdrucksstark erfolgreich erstklassig rassig vielfältig
Frankreich/Paris Repertoire/Chansons
hinreißend französisches Chanson
hinreißend französisch
Chanson-Protagonistin Erfolg Frankreich/Paris Kabarett Karriere/Entwicklung Publikum Repertoire/Chansons Vortrag
Commère die fleißige Leserin feinnuancierter Vortrag Pariser Chansons stärkster Beifall vom Kabarett geschätzt
erfolgreich französisch souverän
Bühnen-Persona Karriere/Entwicklung Kostüm Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
pointiert sachlich souverän
C HRONOLOGISCH
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R EZENSIONEN
„[…] nicht so sehr die ‚auf Bohème‘ spielende Margo Lion, […]“ (J.G.: „‚MagazinRevue‘. Renaissance-Theater“, in: Deutsche Tageszeitung, AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] und Margo Lion schmettert die prickelnden Chansons heraus, ein Genuß.“ (Rolf Nürnberg: „Hier wird man gesund. Im Lustspielhaus“, in: NBZ [14.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Auch Margo Lion als französische Chansonette und sonst.“ (W–g.: „‚Die fleißige Leserin‘ – 50. Auflage“, AdK S/L, Sig. 3.2) „Da trägt Margo Lion aktuelle, mondäne, internationale Chansons mit der ihr eigenen, ganz einzigartigen Zeichenkraft vor.“ (Max Herrmann Neiße: „Lustiges Theater“, in: Der Kritiker 8 [Juli 1926], abgedruckt in: Max HerrmannNeiße: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst [= Gesammelte Werke 8], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 236f., hier S. 236) „[…] bald die M. Lion, deren Pariser Chansons Furore machen.“ (–or.: „Die fleißige Leserin“, in: BBK [06.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Von den Damen trat besonders Margo Lion mit ihrer körperlichen Elastizität als Karikaturistin hervor.“ (R–e.: „Renaissance-Theater. ‚Die fleißige Leserin‘“, in: DBW [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
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Bühnen-Persona
auf Bohème spielend
antibürgerlich
Repertoire/Chansons Vortrag
prickelnde Chansons schmettert
frivol schmetternd
Chanson-Protagonistin Diseuse Frankreich/Paris Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Originalität Vortrag
französische Chansonette
französisch
aktuelle, mondäne, internationale Chansons die ihr eigene, ganz einzigartige Zeichenkraft
ausdrucksstark einzigartig individuell modern mondän
Frankreich/Paris/ Repertoire/Chansons
Pariser Chansons
französisch
Bühnen-Persona Körperlichkeit Vortrag
Karikaturistin körperliche Elastizität
beweglich karikaturistisch
334 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 57.
„Allen voran M a r g o L i o n , die sicher Pointierende, Vortragsstarke, Famose, die mitreißt. Wundervoll ihre Szene ‚Was ganz Paris heut singt’, von bezaubernder Komik ihr ‚Rheinisches Mädel‘.“ (Li.: „Die fleißige Leserin. Im Renaissance-Theater“, in: BBZ [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
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„Trotz der Komik dieses in den Körperlichkeiten und Mitteln der Einzelgestalten wachsfigurenhaft kontrastrierenden Ensembles war jede dieser Einzelgestalten eine Nummer für sich: die Chanteuse M a r g o L i o n , mit komischen Beinen, die ganz falsch unter der schlanksten Taille Berlins stehen, während aus der Suppenterrine ihres Mundes, unter rührenden Riesenaugen und zwischen bezaubernden Armen, ihre zarte Stimme gröhlt, als Gesamterscheinung dennoch von spitziger Grazie; […].“ (Kurt Pinthus: „‚Die fleißige Leserin.‘ RenaissanceTheater, in: 8UA [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Und dazu Gassenhauer, für deren Vortrag die stockmagere und stockheisere Dame Margo Lion dressiert ist.“ (m.h.: „Hundstagsrevue“, in: Vorwärts [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Sehr hübsch Margo Lion mit lebendigem Kabarettstil und fast französisch geschulter Grazie und Frechheit; […]“ (F.: „‚Die fleißige Leserin‘. Revue im Renaissancetheater“, in: DAZ [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Berlin Bühnen-Persona Diseuse Körperlichkeit Stimme Vortrag
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allen voran bezaubernde Komik Famose Mitreißende sicher Pointierende Rheinisches Mädel Vortragsstarke Was ganz Paris heut singt wundervoll bezaubernde Arme Chanteuse eine Nummer für sich Gestalt mit komischen Beinen rührende Riesenaugen schlankeste Taille Berlins spritzige Grazie Suppenterrine ihres Mundes zarte Stimme grölt
ausdrucksstark charmant erstklassig famos französisch komisch mitreißend pointiert souverän
Geschlecht Körperlichkeit Repertoire/Chansons Vortrag
Dame dressiert Gassenhauer stockheiser stockmager
Dame dünn heiser kreatürlich
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Kabarett Vortrag
fast französisch geschulte Grazie und Frechheit lebendiger Kabarettstil sehr hübsch
elegant französisch frech schön souverän temperamentvoll
berlinerisch charmant dünn erstklassig gefühlvoll grölend komisch kreatürlich naiv spitz
C HRONOLOGISCH
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„M a r g a L i o n , die einzige wirklich große Kabarettistin, die wir zurzeit haben, ist eigentlich zu schade für solches Geschäft.“ (–e.: „‚Die fleißige Leserin‘. Renaissancetheater“, in: Der Tag [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Mit Margo Lion, dieser kunstvoll heiseren, monotonen, in die Länge gezogenen, prachtvollen Person.“ („‚Die fleißige Leserin‘, in: BT [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] und dem Gassenjungentum Margo Lions, die mit einem scharmant vorgetragenen, französischen Chanson sich den stärksten Beifall eroberte.“ (Julius Knopf: „Kabarett im Renaissance-Theater. Magazin-Revue ‚Die fleißige Leserin‘“, in: BBZ, Abend-Ausg. [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Die Groteskkomik liegt ja der jungen Berliner Literatur und Schauspielschaft. Margo Lion, H. H. v. Twardowski, Leonhard Steckel waren wirklich ausgezeichnete Parodisten.“ (H. M. G.: „‚Die fleißige Leserin“, in: TR [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Marga Lion, in dem französischen Chanson ‚Seit ich mir meine Haare abgeschnitten‘ durchaus den kessen, etwas rauhen Akzent des Montmartre wahrend, schmetterte auch sonst sieghaft und sehr unbekümmert ihre Schlager“ (–g.: „Die fleißige Leserin‘. Eine Magazin-Parodie im Renaissancetheater‚ in: BVZ, Morgen-Ausg. [13.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
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Diseuse Leistung/Können Originalität
einzig wirklich große Kabarettistin
einzigartig erstklassig
Bühnen-Persona Körperlichkeit Stimme
in die Länge gezogen kunstvoll heiser monoton prachtvoll
elegant heiser lang künstlerisch monoton
Bühnen-Persona Erfolg Publikum Repertoire/Chansons Vortrag
charmant vorgetragen Gassenjungentum stärkster Beifall
charmant erfolgreich französisch grotesk
Bühnen-Persona
ausgezeichnete Parodistin Groteskkomik
ausgezeichnet grotesk komisch parodistisch
Frankreich/Paris Repertoire/Chansons Vortrag
kesser, rauher Akzent des Montmartre Schlager schmettert sieghaft unbekümmert
erfolgreich französisch frech naiv schmetternd
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„Man hatte sich M a r g o L i o n verschrieben und sie beherrschte die paar Quadratmeter Bühne vollständig. Diese Frau, durch und durch Originalität, Fluidum und Können ausstrahlend, hat die große Linie, die den wirklichen Künstler kennzeichnet. Es wird Zeit, daß sie für größere Aufgaben entdeckt wird.“ (v. Eschwege: „Die kleinen Demokritosse“, in: Der Tag [13.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Und nun muß man von Margo Lion reden, die in vielen dieser Nummern auftritt, immer wieder Neues, Ueberraschendes bringt, immer wieder fesselt mit ihrer sicheren, ausgezeichnet entwickelten kultivierten Vortragskunst. Der Höhepunkt ihrer Darbietungen ist zweifelslos die französische Parodie ‚Was ganz Paris heut singt‘, die sie mit glänzendem Schmiß und Charme hinlegt, wie es wirklich in Berlin und Paris heute selten besser, liebenswürdiger und lustiger gemacht werden kann.“ (Anneliese Schütz: „RenaissanceTheater. ‚Die fleißige Leserin‘. Von Marcellus Schiffer, Musik von Paul Strasser“, in: NZ [13.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] durch Margo Lions kaltschnäuzige Drastik […]“ (A.M.: „‚Die fleißige Leserin‘. Revue im Renaissance-Theater“, in: VZ, Morgen-Ausg. [13.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] vor allem aber Margo Lions schlank-schneidige souveräne Eleganz und Laune erregten immer neue Beifallsstürme.“ (Hans W. Fischer, in: DWaM [14.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Bühnen-Persona Karriere/Entwicklung Kunst Leistung/Können Originalität Vortrag
beherrscht die Bühne vollständig Fluidum große Linie Können Künstlerin Originalität
erstklassig künstlerisch originell souverän temperamentvoll
Berlin Bühnen-Persona Frankreich/Paris Kunst Repertoire/Chansons Vortrag
ausgezeichnet entwickelte, kultivierte Vortragskunst Charme fesselnd immer wieder Neues in Paris und Berlin selten besser liebenswürdig lustig Schmiß sicher Überraschendes
ausgezeichnet charmant erfolgreich erstklassig mitreißend französisch komisch künstlerisch originell parodistisch schmissig souverän sympathisch
Bühnen-Persona
kaltschnäuzige Drastik
kühl drastisch
Bühnen-Persona Erfolg Körperlichkeit Publikum
schlankschneidig souveräne Eleganz Beifallsstürme
dünn elegant erfolgreich scharf souverän
C HRONOLOGISCH
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R EZENSIONEN
„Einige köstliche Momente: der Beginn der Novelle, der ‚traurige Weinberg‘, ‚Was ganz Paris heut singt‘ (Marga Lion ist hier als Midinguette [sic!] unübertrefflich) […]“ (– r.: „Theater. Renaissance-Theater. ‚D i e f l e i ß i g e L e s e r i n ‘“, in: Berlin-Schöneberger Tageblatt [15.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] und Margo Lion, die allerdings viele Vorgängerinnen hat.“ (Erwin Gepard: „Die Stadt am Abend. Die fleißige Leserin. Renaissance-Theater“, in: Der Deutsche [16.06.1926]) „[…] während mit Marga Lion eine werdende Kabarettdiva uns vorgestellt wurde.“ (G-o.: „‚Die Fleißige Leserin‘. Magazin-Revue. Renaissance-Theater“, in: DWaA [16.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Ihr Glanzpunkt M a r g a L i o n s groteske Schlankheit und straff geschulte mondäne Brettlkunst“ (I.L.: „Theater. Musik. Berliner Theater. Literarische Revue“, in: Breslauer Zeitung [17.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
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Frankreich/Paris Leistung/Können Repertoire/Chansons Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
Mistinguette unübertrefflich
französisch unübertrefflich
Vergleich mit anderen KünstlerInnen
hat viele Vorgängerinnen
/
Bühnen-Persona Karriere/Entwicklung
werdende Kabarettdiva
Diva
Bühnen-Persona Erfolg Kabarett Körperlichkeit Kunst Leistung/Können
Glanzpunkt groteske Schlankheit straf geschulte mondäne Brettlkunst
dünn erstklassig grotesk künstlerisch mondän souverän
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„Wenn der Vorhang aufgeht, singt Margo Lion ein bestes Couplet. Sie singt dann noch zwei oder drei. Sie singt einzig. Mit einem verblüffenden Stilempfinden. Ein französisches ‚Lied‘ unter anderm – Elegie auf den Bubenkopf –. Man stöbert nach einer Analogie. Man findet sie endlich: Toulouse-Lautrec. Die Lion ist Schiffers stärkste Helferin.“ (I.V.: Fritz Schwiefert: „Kunst und Wissenschaft. Renaissance-Theater. Die fleißige Leserin“, in: Steglitzer Anzeiger [12.06.1926], AdK S/L, Sig. 2.3 u.: B.: „Marcellus Schiffer: ‚Die fleißige Leserin‘, in: Leipziger Neueste Nachrichten [18.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] M a r g a L i o n mit pariserischem Timbre, […]“ (Oscar Bie: „Eine Zeitrevue“, in: Breslauer Neueste Nachrichten [22.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Gewiß – es gab auch Gelungenes, es gab vor allem eine wirkliche Künstlerin in diesem Ensemble, Margo Lion, eine Kabarettistin, wie wir sie schon lange nicht besessen haben.“ (E.U., in: Halberstädter Zeitung [30.06.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Unvergleichlich ist Marga Lion. Sie singt Couplets wie kaum eine in Deutschland. Sie hat die Linie – in jeder Hinsicht.“ („Revue im Renaissance-Theater“, in: Neue Badische Landes-Zeitung [01.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Frankreich/Paris Geschlecht Leistung/Können Marcellus Schiffer Originalität Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
bestes Couplet Elegie auf den Bubenkopf singt einzig Schiffers stärkste Helferin ToulouseLautrec verblüffendes Stilempfinden
einzigartig erstklassig französisch souverän
Frankreich/Paris Stimme Vortrag
pariserisches Timbre
französisch
Diseuse Originalität Kunst
Kabarettistin, wie wir sie schon lange nicht besessen haben wirkliche Künstlerin
einzigartig erstklassig künstlerisch
Bühnen-Persona Originalität Vortrag
Sie hat die Linie in jeder Hinsicht singt Couplets wie kaum eine in Deutschland unvergleichlich
einzigartig
C HRONOLOGISCH
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„[…] Marga Lion als fleißige Leserin des Magazins und als Pariser Chanteuse, […]“ („Renaissance-Theater“, in: Das blaue Heft Berlin [01.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „[…] M a r g o L i o n s schmächtiger Charme, […].“ (–l.: „Fünfundzwanzigmal ‚Fleißige Leserin‘. Der Revue-Erfolg im Renaissancetheater“, in: NBZ [06.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Chanson-Protagonistin Diseuse Repertoire/Chansons
fleißige Leserin Pariser Chanteuse
französisch
Bühnen-Persona Körperlichkeit
schmächtiger Charme
charmant dünn
„Die Lion hat Schmiß, eigene Note und ist schon starke Gegenwart.“ („Theater. Renaissance-Theater. ‚Die fleißige Leserin‘“, in: DWaA [08.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „‚Die fleißige Leserin‘ ist wirklich eine fleißige Person. Schon mehr als 25 Mal hat sie uns Berlinern die ‚Leviten‘ gelesen, hat sie, nämlich ‚Die fleißige Leserin‘ oder M a r g o L i o n , gespielt, gesungen und getanzt; aber nein, zur fünfundzwanzigsten hat sie sich noch einmal mehr umzuziehen; und das wird ihr nicht geschenkt bleiben, denn das Bild, das hinzugekommen, ‚Er oder Sie‘, eine entzückende Persiflage auf Bubikopf und Jungenschnitt, wird nicht wieder aus dem Repertoire verschwinden; denn der zündende Rhythmus, die mitreißende Melodie und das charmante Spiel von ihr – ich spreche noch immer von Margo Lion – […] wird immer seine Wirkung haben, […].“ („‚Die fleißige Leserin‘. 25. Aufführung im Renaissance-Theater“, in: NZ [11.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Bühnen-Persona Originalität
eigene Note Schmiß starke Gegenwart
ausdrucksstark individuell modern schmissig
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Kostüm Musik Repertoire/Chansons Vortrag
charmantes Spiel die fleißige Leserin entzückende Persiflage auf Bubikopf mitreißende Melodie wirkungsvoll zündender Rhythmus
charmant entzückend rhythmisch temperamentvoll
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„M. Lion singt sieghaft in französischer Sprache den heutigen Pariser Modeschlager.“ (Die Volksbühne [15.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Oder Margo Lion. Ihr französisches Chanson. Auch wer’s nicht versteht, ihr Körper singt, jede Bewegung interpretiert.“ (–r: „Kunst und Wissenschaft. RenaissanceTheater. ‚Die fleißige Leserin‘, in: Steglitzer Anzeiger [06.07.1926] und Grunewald Echo (18.07.1926), AdK S/L, Sig. 3.2) „Da ist die schöne Margo Lion mit der heiseren Stimme […]“ („Sommer in der Revue“, in: Frankfurter Zeitung [18.07.1926], AdK S/L, Sig. 3.2) „Neunundvierzigmal ist sie dort über die Bretter getippelt, die schlanke, elegante, kluge, süffisante, als Tänzerin rasante, als Frau charmante, Margo Lion, die ‚Die fleißige Leserin‘ verkörpert.“ (–P.: „‚Die fleißige Leserin‘“, in: NZ [08.08.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Frankreich/Paris Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik Körperlichkeit Repertoire/Chansons Vortrag
„Marga Lion, eine der interessantesten, begabtesten Bühnenerscheinungen, tritt in einer Revue und beim Brettl auf. Sie singt originell und herzzerreißend. Schon ihr stummes Auftreten, ihr bloßes Dasein wirkt. (Doch ist sie apart bekleidet.)“ (Allgem. Thüringer Landeszeitung [22.08.1926], u. Hannoverscher Anzeiger [01.09.1926], AdK S/L, Sig. 3.2)
Bühnen-Persona Kabarett Leistung/Können Originalität Vortrag
heutiger Pariser Modeschlager singt sieghaft
erfolgreich französisch modern
ihr Körper singt jede Bewegung interpretiert
ausdrucksstark beweglich französisch
Körperlichkeit Stimme Vortrag
heisere Stimme schön
heiser schön
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Geschlecht Körperlichkeit intelligent
als Tänzerin rasant als Frau charmant die fleißige Leserin elegant getippelt klug schlank süffisant eine der interessantesten und begabtesten Bühnenerscheinungen bloßes Dasein wirkt herzzerreißend originell stummes Auftreten
charmant dünn elegant intelligent süffisant temperamentvoll
gefühlvoll interessant leise originell talentiert
C HRONOLOGISCH
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1926 (Hetärengespräche) „Die Souveränität von Margo Lion, das wunderbar frische Barbarentum von Curt Gerron und die Leichtigkeit der Musik des Herrn Holländer, der allmählich das Talmudische vergißt, sind durchaus einzig in Berlin und werden dementsprechend übersehen.“ (H. v. Wedderkop: „Zwei Revuen und ein Stück“, in: QS 7, Bd. 6/2, Nr. 12, S. 962f., hier S. 962.) „Man höre M a r g a L i o n und Fräulein Brock und Landshoff singen, obwohl sie nicht singen können“ (m.h.: „‚Hetärengespräche im Kleinen Theater“, in: BC [30.10.1926], StKA, Ordner LK/EG/2,6 - Friedrich Hollaender/ Revuen) „[…] von der ausgezeichneten Vortragskünstlerin M a r g o L i o n , die mit außerordentlich sparsamer Präzision ihre Akzente setzt und echt groteske Wirkungen erzielt.“ (J. Bab.: „Hetärengespräche. Kleines Theater“, in: BVZ, AbendAusg. [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „Der Beifall feiert Margo Lion als Star […]“ (M. J.: „‚Hetärengespräche‘ im Kleinen Theater“, in: VZ, Morgen-Ausg. [31.10.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „Marga L i a , die spitze Karikaturistin, wird immer wieder gerufen.“ (d.: „Hetärengespräche. Kleines Theater“, in: MM [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
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Berlin Leistung/Können Originalität
einzig in Berlin Souveränität
berlinerisch einzigartig souverän
Stimme Vortrag
kann nicht singen
hässlich
Bühnen-Persona Diseuse Leistung/Können Vortrag
ausgezeichnete Vortragskünstlerin Akzente mit sparsamer Präzision echt groteske Wirkung
ausgezeichnet authentisch grotesk künstlerisch präzise sachlich
Erfolg Publikum
Beifall feiert Lion als Star
erfolgreich Star
Bühnen-Persona Erfolg Körperlichkeit Publikum
spitze Karikaturistin wird immer wieder gerufen
erfolgreich karikaturistisch spitz
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„Als Star: Margo Lion. Voll boshafter Karikatur und geschliffenem Hohn. An den äußersten Grenzen eines unverhüllten Zynismus. Oder darüber?“ (H. Rosenthal: „‚Hetärengespräche.‘ Kleines Theater“, in: TG [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „Grotesk und unfehlbar in allen Verwandlungen: Margo L i o n . Sie ist in Geste und Vortrag die personifizierte Parodie, deutlich und graziös zugleich, auf eine ganz eigene schlenkernd-bewegliche Art.“ (Felix Joachimson: „‚Hetärengespräche.‘ Kleines Theater“, in: BBK [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
Bühnen-Persona Erfolg
„Margo L i o n trägt ihre Chansons meisterlich durchdringend, nuancenreich, luftig vor. Sie muß sich nur davor hüten, monoton zu werden.“ (R. Nbg.: „Hetärengespräche. Im kleinen Theater“, in: NBZ [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „An der eigenen Entweiblichung aber, an den verzerrten Linien, die M a r g o L i o n s Dürre verfolgt, mögen andere Gefallen finden.“ (–ner.: „‚Hetärengespräche.‘ Die Revue des Kleinen-Theaters“, in: Der Tag, Nachtausgabe [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
Leistung/Können Vortrag
Bühnen-Persona Körperlichkeit Leistung/Können Originalität Vortrag
Geschlecht Körperlichkeit
äußere Grenzen eines unverhüllten Zynismus geschliffener Hohn Star voll boshafter Karikatur deutlich ganz eigene schlenkerndbewegliche Art graziös grotesk in Geste und Vortrag die personifizierte Parodie unfehlbar in allen Verwandlungen luftig meisterlich durchdringend monoton nuancenreich
boshaft karikaturistisch Star zynisch
Dürre eigene Entweiblichung verzerrte Linien
androgyn dünn hässlich
beweglich direkt elegant grotesk individuell parodistisch perfekt vielfältig
ausdrucksstark leicht meisterhaft monoton vielfältig
C HRONOLOGISCH
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97.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Klein und mollig, dient sie der interessanten Schönheit M a r g o L i o n zum Gegenspiel, dieser Claire Waldoff mit anderen Vorzeichen, an der alles spitz ist und die sich einen persönlichen Ton geschaffen hat: Berliner Range an der Grenze des Unheimlichen.“ (M. J.: „‚Hetärengespräche‘. Schiffers Revue im Kleinen Theater“, in: VZ, Abendausgabe [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „Margo L i o n gröhlt mit wundervollem Elan ihre Lieder.“ (Bur.: „Schiffer und Hollaender: ‚Hetärengespräche.‘ Kleines Theater“, in: BT, Abendausgabe [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
DER
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UND
W ERTEANALYSE
ǀ 343
Berlin Bühnen-Persona Körperlichkeit Originalität Vergleich mit anderen KünstlerInnen
alles spitz an der Grenze des Unheimlichen Berliner Rang Claire Waldoff mit anderen Vorzeichen interessante Schönheit persönlicher Ton
berlinerisch individuell interessant schön spitz unheimlich
Stimme Vortrag
grölt wundervoller Elan
grölend temperamentvoll
98.
„Dazu einige reizende Couplets: Das Lied der Pompadour (‚Mir ist so mies, so mies vor mir…‘) von M a r g o L i o n hingelegt, mit groteskem Schmiß, von Liebenswürdigkeit umsonnt; […]. Außer Twardowski und der Lion, deren näselnder Humor so kräftig ist, wie ihre Linie schlank […].“ (Julius Knopf: „Revue im Kleinen Theater. Marcellus Schiffers ‚Hetärengespräche‘“, in: BBZ, Abend-Ausgabe [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Repertoire/Chansons
grotesker Schmiss näselnder, kräftiger Humor Pompadour reizende Couplets schlanke Linie von Liebenswürdigkeit umsonnt
dünn grotesk komisch kräftig näselnd schmissig sympathisch
99.
„Da ist an erster Stelle M a r g o L i o n zu nennen, die mit ihrem grotesken Charme die Herzen der Zuschauer im Sturm erobert.“ (Wolfgang v. Lengerke: „‚Hetärengespräche‘. Kleines Theater“, in: 8UA [01.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
Bühnen-Persona Publikum
erobert die Herzen der Zuschauer im Sturm grotesker Charme
charmant erfolgreich grotesk
344 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 100.
101.
102.
103.
„M a r g o L i o n , voll Schmiß und sublimer Frechheit.“ (F.: „Hetärengespräche. (kleines Theater.)“, in: WaM [01.11.1927], AdK S/L, Sig. 2.5) „Oder Marga L i o n , die ihre lange, spitze Nase schnüffelnd in alles steckt. Wie eine Französin anzusehen, von allerlei Lasterchen umkichert.“ (Dr. Erich Urban: „‚Hetärengespräche‘. Revue im Kleinen Theater“, in: BeZaM [01.11.1926], StKA, Ordner LK/EG/2,6 – Friedrich Hollaender/ Revuen, Nachlass Heinz Greul) „Von den Darstellern ragt M a r g o L i o n als einzige wirkliche Karikaturistin hervor.“ (–u –: „‚Hetärengespräche‘ im Kleinen Theater“, in: DTZ [02.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „Es gibt – hauptsächlich am Schluß – manches, worüber man lachen muß. Und das weiß die Hauptdarstellerin M a r g o L i o n auszunutzen. Schon als ‚fleißige Leserin‘ hat sie sich beliebt gemacht und kann hier ihr Talent von neuem hervortreten lassen. Sie stellt sich in den Mittelpunkt der Darstellung und macht vieles wieder gut, was der Regisseur verpaßt hat. Sie weiß stets den Banalitäten der Revue einen künstlerischen Wert beizumessen, wodurch sie sich von den anderen wesentlich unterscheidet. Margo Lion rettet dem Verfasser (Marcellus Schiffer) die ‚Hetärengespräche‘, die gar keine sind, dem Regisseur die Darstellung, die zu zerflattern droht, und dem Direktor Theodor Tagger die ganze Aufführung, die man ohne Margo kaum erwähnen würde. Mögen es ihr alle drei zu danken wissen! […] Das
Bühnen-Persona
Schmiss sublime Frechheit
frech schmissig
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Körperlichkeit
Französin steckt ihre lange, spitze Nase in alles von Lasterchen umkichert
französisch frivol lang spitz
Bühnen-Persona Originalität
einzig wirkliche Karikaturistin
authentisch einzigartig karikaturistisch
Chanson-Protagonistin Erfolg Karriere/Entwicklung Kunst Leistung/Können Marcellus Schiffer Originalität Vergleich mit anderen KünstlerInnen
beliebt fleißige Leserin Hauptdarstellerin misst Banalitäten künstlerischen Wert bei, unterscheidet sich dadurch von anderen Mittelpunkt der Darstellung Talent zugkräftige Figur
anspruchsvoll erfolgreich individuell künstlerisch mitreißend talentiert typisch
C HRONOLOGISCH
104.
105.
106.
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108.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
macht Herr Gerron alles mit viel echtem Humor und witziger Laune; neben Margo Lion die ‚zugkräftige Figur.“ (R–e.: „Kleines Theater. ‚Hetärengespräche‘, in: DBW (02.11.1926), AdK S/L, Sig. 6.4) „Von den Darstellern haben den Vortritt Marga Lion, eine Chansonniere von meisterlicher Vortragskunst, […].“ („‚Hetärengespräche‘ im Kleinen Theater“, in: BMZ [02.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „[…] und M a r g o L i o n , an sich ein erhebliches Talent wird hier gewaltsam auf eine falsche verflachende Bahn gezogen.“ (–ege.: „‚Hetärengespräche‘, in: Der Tag [02.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „[…] Margo L i o n , zerbrochene Stimme, pervers […].“ (Peter Bamm: „‚Hetärengespräche‘. Revue im Kleinen Theater“, in: DAZ [02.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „[…] Margo Lion ist eine Vortragskünstlerin von sehr sicherer und reifer Wirkung.“ (Julius Bab: „Berliner Theater. Marcellus Schiffer“, in: Ostsee Zeitung, Stettin [02.11.1927], AdK S/L, Sig. 6.4) „[…] da ist vor allem M a r g a L i o n , die etwas wie eine deutsche Mistinguette werden kann – erstmalig, schneidig, unerhört verwegen, offensiv; […].“ (K. Kn.: „‚Hetärengespräche‘. Kleines Theater“, in: WaA [04.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4)
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W ERTEANALYSE
ǀ 345
Diseuse Kunst Leistung/Können Vortrag
Chansonniere von meisterlicher Vortragskunst
künstlerisch meisterhaft
Leistung/Können
Anspruch erhebliches Talent
anspruchsvoll talentiert
Bühnen-Persona Stimme Vortrag
pervers zerbrochene Stimme
frivol hässlich ordinär
Kunst Leistung/Können Vortrag
Vortragskünstlerin sichere und reife Wirkung
künstlerisch souverän
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Originalität Vergleich mit anderen KünstlerInnen
deutsche Mistinguette erstmalig offensiv schneidig unerhört verwegen
direkt einzigartig französisch frivol scharf
346 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 109.
110.
111.
112.
„Die Hauptdarsteller: die kesse und schlanke Margo L i o n , bald komisch und mit düsterer Grabesstimme, bald süß mit französisch nasalem Klang sprechend und singend, mit groteskem Charme; […].“ (Leo Rein.: „‚Hetärengespräche‘. Von unserem Korrespondenten. Berlin, 4. November“, in: Hamburger Acht Uhr Abendblatt [05.11.1927], dK S/L, Sig. 2.5 u. Sig. 6.4) „Auch ein Revuestar ist auf seiner Bühne zu entdecken, die hochbeinige Schönheit M a r g o L i o n . Sie schnuppert mit einer spitzen Nase pariserisch in eine Welt hinein, in der man sich nicht langweilt.“ (M. J.: „Reform der Revue? Von unserem Berliner Korrespondenten. Berlin, 3. November“, in: Neues Wiener Journal [07.11.1927], AdK S/L, Sig. 6.4) „M a r g a L i o n und K u r t G e r r o n singen und agieren mit Humor und Verwandlungsfähigkeit allerlei amüsante Liederscherze.“ (Max Osborn: „‚Hetärengespräche‘. Revue im Kleinen Theater“, in: BMo [12.11.1926], AdK S/L, Sig. 6.4) „Großartig Margo L i o n in ihren verschiedenen Verwandlungen. Manchmal von fast gespenstischer Eindringlichkeit.“ (Herbert Ihering: „Berliner Novemberpremieren“ [16.11.1926], StKA, Ordner LK/EG/2,6 – Friedrich Hollaender/ Revuen, Nachlass Heinz Greul)
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Körperlichkeit Stimme Vortrag
düstere Grabesstimme grotesker Charme kess komisch nasaler Klang schlank süß
charmant dünn französisch frech grotesk komisch näselnd unheimlich
Bühnen-Persona Erfolg Frankreich/Paris Kabarett Körperlichkeit
hochbeinige Schönheit pariserisch Revuestar spitze Nase
lang pariserisch schön spitz Star
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
amüsante Liederscherze Humor Verwandlungsfähigkeit
komisch vielfältig
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin
gespenstische Eindringlichkeit verschiedene Verwandlungen
unheimlich vielfältig
C HRONOLOGISCH
113.
114.
115.
116.
117.
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R EZENSIONEN
1927 (Hetärengespräche) „[…] Margo Lion, aus der, wäre sie in Paris, mindestens eine Mistinguette gemacht worden wäre.“ (Meyer: „Querschnitt.-Kabarett“, in: QS 7, Bd. 7/1, Nr. 1, S. 63f., hier S. 64.) „Als Haupt-Mittäterin kommt ein Fräulein Margo L i o n in Frage; Haarfarbe: wechselnd, Nase: ungewöhnlich, besondere Kennzeichen: reich an Charme, Witz und Geist.“ (F.W.: „Nächtliche ‚Hetärengespräche‘“, in: BeZaM [04.02.1927], AdK S/L, Sig. 6.4) „Nach wie vor heimst M a r g o L i o n als Hauptinterpretin unverblümter Sinnenschlemmerei den Hauptteil des Beifalls ein. Ihr Pompadourlied: ‚Mir ist so mies vor mir‘, hätte man gern Dacapo gehört, […]“ (B–I.: „‚Hetärengespräche‘, in: DWaM [14.02.1927], AdK S/L, Sig. 6.4) „Auch hier blieb die Wirkung nicht aus, die, getragen von der typisch modernen Kabarettistin Margo Lion, […].“ („‚Hetärengespräche‘ im Renaissance-Theater“, in: BMZ [15.02.1927], AdK S/L, Sig. 6.4) „Aber Margo L i o n s vollkommen präziser und persönlicher Groteskstil ist wieder unmittelbar durchschlagend […].“ (F.W.: „Hetärengespräche. Nachtvorstellung im Renaissance-Theater“, in: BBK [15.02.1927], AdK S/L, Sig. 6.4)
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ǀ 347
Frankreich/Paris Vergleich mit anderen KünstlerInnen
Mistinguette
französisch
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit
Haupt-Mittäterin reich an Charme, Witz und Geist ungewöhnliche Nase wechselnde Haarfarbe
charmant intelligent komisch originell vielfältig
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Publikum Repertoire/Chansons
Hauptinterpretin Hauptteil des Beifalls unverblümte Sinnenschlemmerei
erfolgreich frivol
Bühnen-Persona Diseuse
typisch moderne Kabarettistin
modern Typ
Bühnen-Persona Erfolg Leistung/Können Originalität
unmittelbar durchschlagend vollkommen präziser und persönlicher Groteskstil
erfolgreich grotesk individuell perfekt präzise
348 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 118.
„Wenn dabei mehr schauspielerische Kräfte von der Art der Margo L i o n mitwirken würden, könnte das Stück die reine Satire werden, denn die Lion nimmt den Couplets jede Spur der üblichen Wirkungsweise. Sie reißt sie auseinander, verzerrt sie, verlegt die Betonungen, und es kommt etwas völlig Neues zustande, das das Vorgetragene mit einem unerbittlichen Spott übergießt und den Worten einen neuen Sinn verleibt. Ihr Vortrag, ihr Spiel ist allmählich wirkliche, wenn auch zersetzende, beißende Kunst geworden.“ (M. Ch.: „Marcellus Schiffers ‚Hetärengespräche‘, RenaissanceTheater, in: BBZ, MorgenAusg. [15.02.1927], AdK S/L, Sig. 6.4)
Kunst Leistung/Können Umgang mit Text/Musik Vortrag
satirisch schauspielerisch nimmt Couplets jede Spur der üblichen Wirkungsweise, reißt sie auseinander, verzerrt sie, verlegt Betonungen Entstehung von Neuem unerbittlicher Spott wirkliche, zersetzende, beißende Kunst gibt Worten neuen Sinn
authentisch boshaft künstlerisch originell satirisch scharf zynisch
119.
„Margo Lion entzückte wieder durch ihre lässig-frivole Art […]“ (m–: „50 mal ‚Hetärengespräche‘ im ‚RenaissanceTheater‘“, in: DTZ [14.03.1927], AdK S/L, Sig. 6.4) „‚Nuttengemeckere‘ verdeutscht Marga Lion den aus dem Griechischen kommenden Titel der Revue. Ihre starke künstlerische Wandlungsfähigkeit, ihre mimische Ausdrucksgabe und Vitalität entscheiden den Erfolg des Abends“ („‚Hetärengespräche‘ [Renaissancetheater]“, in: Der Kritiker 9, Nr. 3 [25.03.1927], S. 45)
Bühnen-Persona
entzückt lässig-frivol
frivol leicht
Bühnen-Persona Erfolg Kunst Vortrag
künstlerische Wandlungsfähigkeit mimische Ausdrucksgabe Vitalität Erfolg des Abends
ausdrucksstark erfolgreich künstlerisch temperamentvoll vielfältig
120.
C HRONOLOGISCH
121.
122.
123.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
1927 (Was Sie wollen) „Aber der Star der Truppe bleibt Margo Lion, das lebendige Ausrufungszeichen, an dem alles lang ist, Beine, Arme, Nase, lang und doch so wohlgefällig in der Proportion.“ (M.J.: „‚Was Sie wollen!‘ Schiffer-Holländers Nachtrevue in der ‚Komödie‘, in: VZ, AdK S/L, Sig. 16.2) „Sonst sieht man gut Bekannte und gern Gesehene, wie die komischste aller Primadonnen Margo Lion, Karikatur gemixt aus der Guilbert und der Holl, nicht nur dadurch bemerkenswert, wie sie trotz grotesk langgedrehten Körpers, trotz hohler Stimme graziös und bestrickend wirkt, nicht nur bemerkenswert, wie Leib, Mund und Auge genau harmonisch mit der Disharmonie des Tons funktionieren, sondern auch vorbildlich: mit welcher speziellen Delikatesse sie sich für jedes Bild kleidet, schminkt, frisiert.“ (Kurt Pinthus: „Schiffer und Hollaender: ‚Was Sie wollen!“, in: 8UA, AdK S/L, Sig. 16.2) „[…] und es gab als reizendes hors d’oueuvre M a r g a L i o n , scharf wie Worcestersauce, doch höchst charmant in der geistreich überlegenen Art, mit der sie ihre witzigen Couplets durch das Haus knattern ließ.“ (schr.: „Revue in der Komödie“, in: DAZ, AdK S/L, Sig. 16.2)
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Bühnen-Persona Erfolg Körperlichkeit
Bühnen-Persona Körperlichkeit Kostüm Vergleich mit anderen KünstlerInnen Stimme Vortrag
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Vortrag
UND
W ERTEANALYSE
alles ist lang: Beine, Arme, Nase lebendiges Ausrufezeichen Star der Truppe wohlgefällige Proportionen bestrickend gemixt aus der Guilbert und der Holl graziös grotesk langgedrehter Körper harmonisch funktionieren disharmonischer Ton und Leib, Mund und Auge zusammen hohle Stimme Karikatur komischste Primadonna spezielle Delikatesse: Kleidung, Maske und Frisur geistreich überlegene Art höchst charmant lässt Couplets durch das Haus knattern scharf wie Worcestersauce witzige Couplets
ǀ 349
kreatürlich lang schön Star
charmant Diva elegant französisch grotesk hässlich hohl karikaturistisch komisch lang Spezialität
charmant intelligent komisch scharf schmetternd souverän
350 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 124.
125.
„Und dennoch; so gut sie alle sind, die Leistung des Abends heißt doch: Margo Lion; wenn sie auf der Bühne steht, ist Leben; wenn die anderen toll sind, ist sie toller; und wenn sie ruhig besinnlich, dann ist sie bestimmt die Zarteste, die Leiseste. Es ist ganz fabelhaft, fast unbewertbar, wie unerhört sich diese Frau entwickelt hat; wenn man immer an das ‚Obstgeschäft‘ in der ‚Wilden Bühne‘ zurückdenkt, so muß man gestehen, daß Margo Lion im letzten Jahrkünst dank ihrer eigenen Begabung, dank der Zähigkeit Schiffers ein Star, eine Persönlichkeit geworden ist.“ (–Y: „Revue am Kurfürstendamm. Der Schiffer und der ‚fliegende‘ Holländer. In der Komödie“, in: NZ, AdK S/L, Sig. 16.2) „Die Margo Lion hat eine – ich möchte fast sagen: niederträchtige Art, einem, auch wenn man sich wehrt, den Glauben zu suggerieren, daß ihre Speisen ganz raffinierte Kompositionen seien. Sie gießt immer eine Tunke darüber, daß man glaubt: Donnerwetter, das ist doch etwas!“ (Kpn.: „Nachtvorstellung. ‚Was Sie wollen!‘ in der Komödie“, in: BBZ, AdK S/L, Sig. 16.2)
Bühnen-Persona Erfolg Geschlecht Karriere/Entwicklung Leistung/Können Marcellus Schiffer Originalität Vortrag
eigene Begabung Entwicklung dieser Frau ist fabelhaft und fast unbewertbar Leben auf der Bühne Leiseste Leistung des Abends Persönlichkeit Zarteste
erstklassig gefühlvoll individuell leise Star talentiert temperamentvoll
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Vortrag
niederträchtige Art raffinierte Kompositionen Sie gießt immer eine Tunke darüber, daß man glaubt: Donnerwetter, das ist doch etwas!
boshaft künstlerisch souverän
C HRONOLOGISCH
126.
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SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Sehr amüsant eine Parodie auf die ‚G e f a n g e n e ‘. Gefangen ist Frau Willi Bendow, beherrscht von dem energischen Herrn Margo L i o n , drollig im Einfall, im Detail kaum ausgeführt. Die Scherze wurden von B e n d o w , dem Meister der schüchternen Schamlosigkeit, von Margo L i o n , die noch immer ein zu starkes Parfüm hat, und von dem erfreulich sicheren Hubert von M e y e r i n c k getragen.“ (St. Gr.: „Revue in der Komödie“, in: MM [11.04.1927], AdK S/L, Sig. 16.2) „[…] die prachtvolle Margo L i o n , […].“ (Li.: „Was Sie wollen. Nachtrevue der Komödie“, in: 12UA, AdK S/L, Sig. 16.2) „Die Aufführung hat (und verströmt) gute Laune: mit der aus- und losgelassenen Margo Lion, […].“ (m.: „Komödie“, in: Berliner Montagspost [01.04.1927], AdK S/L, Sig. 16.2) „[…] und Margo Lion, eine wirkliche Chansonette, ätzend parodistisch.“ (Herbert Ihering: „Zwei Nachtrevuen. Was Sie wollen. Komödie“, in: BBK, Abend-Ausg. [08.04.1927], AdK S/L, Sig. 16.2) „Dann werden auch die frischen sprudelnden Temperamente von Margo Lion, Bendows Wilhelm, Hans Brauswetter und Hubert v. Meyerinck sich noch freier tummeln können.“ (–pp: „Was Sie wollen! Nachts 11 Uhr in der Komödie“, in: BVZ [08.04.1927], AdK S/L, Sig. 16.2)
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W ERTEANALYSE
ǀ 351
Bühnen-Persona Geschlecht Originalität
drollig im Einfall Herr Margo Lion zu starkes Parfum
ausdrucksstark originell temperamentvoll
Bühnen-Persona
prachtvoll
elegant
Bühnen-Persona
aus- und losgelassen
temperamentvoll
Bühnen-Persona Diseuse
ätzend parodistisch eine wirkliche Chansonette
authentisch parodistisch scharf
Bühnen-Persona
frisches, sprudelndes Temperament
temperamentvoll
352 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 131.
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134.
„[…] und die wirklich komisch, in ihrer knappen Charakterisierungskunst nicht alltägliche Margo Lion […]“ (Moritz Loeb: „‚Was Sie wollen.‘ Nächtliche Revue in der Komödie“, in: BMo [09.04.197], AdK S/L, Sig. 16.2) „Marga Lion, frech und kühl, […]“ („Aus dem Berliner Leben“, in: BBK [12.04.1927], AdK S/L, Sig. 16) „Wegen Margo Lion ferner, der rassig-echten Zeittempotochter.“ (–le.: „Fünfundzwanzigmal ‚Was Sie wollen‘. Komödie“, in: 8UA [04.05.1927], AdK S/L, Sig. 16) „Lieber weggucken, stillschweigen und nur wieder zu reden beginnen, um die Frau zu preisen, die auf der Bühne im Kostüm und Kleid, grotesk und modisch, als garçonne und als Dame, in jeder Situation und in jeder Rolle die Inkarnation des vollkommenen Geschmacks im Anzug ist – Margo Lion! Als ich sie das erste Mal sah, stand sie unwahrscheinlich schlank ganz in schwarz eingepreßt auf dem Podium der seligen ‚Wilden Bühne‘. Inzwischen hat sie hundertfache Wandlung mit der Mode und dem Tagesstil mitgemacht, immer blieb der Eindruck einer Frau, die sich so genau kennt und das, was ihr steht, daß sie eben nie völlig daneben greifen kann. Wer sie in der ‚Fleißigen Leserin‘ im ersten Bild gesehen hat, oder in der selben Revuette in dem Couplet vom Nordpolflug im Perlfransenkleid – (Und in dem Chanson ‚Depuis qu’ j’ai fait couper mes cheveux‘, das vergessen Sie, gnädige Frau!‘ – ‚Nein, Herr Doktor, aber ich habe schrecklich Angst, daß
Bühnen-Persona Kunst Vortrag Originalität
knappe Charakterisierungskunst komisch nicht alltäglich
komisch künstlerisch originell pointiert
Bühnen-Persona
frech kühl
frech kühl
Authentizität Bühnen-Persona Zeitkritik
echt rassig Zeittempotochter
modern rassig temperamentvoll
Bühnen-Persona Geschlecht Karriere/Entwicklung Körperlichkeit Kostüm Repertoire/Chansons
Dame garçonne greift nie völlig daneben grotesk hundertfache Wandlung kennt sich genau modisch unwahrscheinlich schlank
androgyn Dame dünn grotesk modern vielfältig souverän
C HRONOLOGISCH
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136.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
die stattliche Dame, dritte Reihe, fünfter Platz von der Ecke links, sich ebenfalls so eine ausgeschnittene Weste anzieht!‘) – wer das auf den Tanz nur mit dem Oberkörper berechnete Kleid genossen hat, das sie in der Nachtrevue der ‚Komödie‘ ‚Was Sie wollen‘ zu dem köstlichen Lied vom ‚gesunden Quatsch‘ trägt, der wünscht den Berliner Bühnenkünstlerinnen und sich selbst, daß Margo Lion Schule mache.“ (Gabriele Eckehard: „Die andern und Margo Lion“ [15.05.1927], StKA, Ordner Margo Lion / Zur Person – LK/D/125) „Da ist wieder Margo Lion, eine tolle Originaltype mit einer ganz selbstständigen Groteskekunst [sic!], die manchen Dix-Bildern verwandt ist und ihre Mittel sicher beherrscht, […].“ (Max Herrmann Neiße, in: Das Stachelschwein [Juni1927], abgedruckt in: Ders.: Panoptikum. Stücke und Schriften zum Theater [= Gesammelte Werke 3], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 622–626, hier S. 622f.) 1927 (Die fleißige Hetäre) „M a r g o L i o n (diese Art Revue schon fast undenkbar ohne sie) […].“ (v.L.: „Die fleißige Hetäre. Theater am Kurfürstendamm“, in: 8UA, AdK S/L, Sig. 4)
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Bühnen-Persona Kunst Leistung/Können Originalität
beherrscht ihre Mittel sicher mit Dix-Bildern verwandt Originaltype selbstständige Groteskkunst
dekadent grotesk künstlerisch originell selbstständig souverän Typ
Kabarett
Revue undenkbar ohne sie
erfolgreich
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„[…] und das französische Couplet von Margo L i o n hätte nur dann einen Sinn, wenn es parodistisch gemeint wäre. Der Vortragenden sei aber gern attestiert, daß sie ihre Sache nicht schlechter gemacht hat, als eine Vorstadtsoubrette, wie wir sie uns früher im Varieté gefallen lassen mußten.“ (-nk: „‚Die fleißige Hetäre‘“, in: BLA, AdK S/L, Sig. 4) „Was aber wäre diese Doppelrevue ohne M a r g o L i o n ? Lebte diese entzückende, kluge, im Gewagten noch elegante Diseuse in Paris, sie hätte nur einen Vornamen noch, und ihr nachdenkliches Lied ‚Mir ist so mies vor mir…‘ wäre zur Hymne einer internationalen Gefühlsgemeinschaft geworden.“ (H.L – g.: „Kunst, Wissenschaft, Literatur. ‚Die fleißige Hetäre‘ im Theater am Kurfürstendamm“, in: VZ, AdK S/L, Sig. 4) „Marga L i o n hat eine groteske Komik des Spitzen. Alles an ihr ist spitz – die Nase, der Akzent, die Geste. […] Marga Lion spitzt, spritzt Säuren.“ (Max Freyhan: „‚Die fleißige Hetäre‘. Theater am Kurfürstendamm“, in: DAZ, AdK S/L, Sig. 4) „M a r g o L i o n bleibt sich zwar stets gleich, aber ist doch entschieden eine Persönlichkeit.“ (–el.: „‚Die fleißige Hetäre‘. Theater am Kurfürstendamm“, in: BVZ, AdK S/L, Sig. 4) „Famos ist Margo Lion, echtes Kabarett; […].“ (– r.: „‚Die fleißige Hetäre“, in: VZ, AdK S/L, Sig. 4)
Diseuse Frankreich/Paris Repertoire/Chansons Vortrag
französisches Couplet Vorstadtsoubrette
französisch
Bühnen-Persona Diseuse Erfolg Frankreich/Paris Repertoire/Chansons
Diseuse entzückend im Gewagten noch elegant in Paris hätte sie nur noch einen Vornamen klug
elegant entzückend französisch gefühlvoll intelligent
Bühnen-Persona Körperlichkeit
alles an ihr ist spitz, Nase, Akzent, Geste groteske Komik spitzt, spritzt Säuren
grotesk komisch scharf spitz
Authentizität Originalität
bleibt sich stets gleich entschieden eine Persönlichkeit
authentisch individuell
Erfolg Leistung/Können Kabarett
echtes Kabarett famos
authentisch famos
C HRONOLOGISCH
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SORTIERTE
R EZENSIONEN
„[…] hin und wieder erweckte Marga Lion die Lebensgeister durch das rasende Tempo ihrer Schnapprigkeit. – Ihr Vortrag eines französischen Chansons war eine Geschmacklosigkeit, die aber wohl auf Kosten der von Direktor Tagger bewußt betriebenen Ausländerei kommt.“ (C.M.K.: „‚Die fleißige Hetäre‘. Revue im Theater am Kurfürstendamm“, in: VZ [09.06.1927], AdK S/L, Sig. 4) „Margo Lion ist farbiger geworden, ohne damit irgendwie ihre Eigenart, penetrante Herbheit, zu verlieren.“ (R. Nbg.: „Die fleißige Hetäre. Im Theater am Kurfürstendamm“, in: 12UM [09.06.1927], AdK S/L, Sig. 4) „Die persönlichste Leistung: Margo Lion. Hier ist zwischen Körper und Sprache völliger Einklang. Harmlose Bemerkungen werden bei ihr aggressiv und scharf. […] Sie ist die verkörperte Parodie, auf ihrem Gebiet unübertrefflich.“ (Felix Joachimson: „‚Die fleißige Hetäre‘. Theater am Kurfürstendamm“, in: BC [09.06.1927], AdK S/L, Sig. 4) „Erst hier, in würdigem Rahmen, kommt sie ganz zur Geltung. Und sie hat sogar noch zugelernt, ist eine Klasse für sich, ist die erste deutsche Diseuse.“ (Moritz Loeb, in: BMo [10.06.1927], AdK S/L, Sig. 4) „[…] von der herrlich bizarren Lion, […].“ (Max HerrmannNeiße, in Das Stachelschwein [Juli 1927], abgedruckt in: Ders.: Panoptikum. Stücke und Schriften zum Theater [= Gesammelte Werke 3], Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 626–632, hier S. 631)
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Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Vortrag
geschmackloses französisches Chanson rasendes Tempo Schnapprigkeit
französisch hässlich scharf temperamentvoll
Bühnen-Persona Originalität
Eigenart farbiger geworden penetrante Herbheit
individuell ordinär vielfältig
Körperlichkeit Leistung/Können Originalität Vortrag
Einklang zwischen Körper und Sprache harmlose Bemerkungen werden aggressiv und scharf persönlichste Leistung unübertrefflich verkörperte Parodie eine Klasse für sich erste deutsche Diseuse
boshaft erstklassig harmonisch individuell parodistisch scharf unübertrefflich
bizarr
grotesk
Diseuse Erfolg Karriere/Entwicklung Originalität Bühnen-Persona
erstklassig
356 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
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1928 (Es liegt in der Luft) „Zwei Frauen erscheinen auf der Bühne, die pikante Marga Lion, Berlinerin mit pariserischer Keckheit […]. […] Doch, da liegt schon Marga Lion auf einer Chaiselongue und windet sich in den Zuckungen eines Rausches, in dessen Parfüms und Mixturen sie getaucht.“ (Dr. Erich Urban: „Der Komponist des Kurfürstendamm“, in: Skizzen, Nr. 7 [1928], AdK S/L, Sig. 707 u. in: Bärbel Schrader u. Jürgen Schebera [Hrsg.]: Kunstmetropole Berlin 1918– 1933. Dokumente und Selbstzeugnisse, Berlin u. Weimar: Aufbau-Verlag 1987, S. 127f.) „Die süffisante M a r g a L i o n , […].“ (dd.: „Es liegt in der Luft [Komödie]“, in: MM, AdK S/L, Sig. 2.5) „Margo Lion, überschlank, mit streng stilisierten Gesicht und verwunderten Augen, ist bei den ‚abgegebenen Hunden‘ des Warenhauses ein weißer Pudel von phantastisch-grotesker Erscheinung, ist eine Hypermondäne, die sich auf der Chaiselongue herumflezt, hat noch ein halbes Dutzend anderer Röllchen. Ihr müßt sie als Braut in weißem Gewande sehen, keusches Myrtenkränzchen auf dem Haupte, und hören, wie sie ihr keckes Lied singt, das aus der braven Bürgerlichkeit unversehens ins Ordinäre umschlägt.“ (Max Osborn: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der ‚Komödie‘, in: BMo [17.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.3) [enthält zudem das Szenenfoto „Die Braut“ mit Margo Lion])
Berlin Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Frankreich/Paris
pariserische Keckheit pikant rauschhaft
berlinerisch französisch frech dekadent
Bühnen-Persona
süffisant
süffisant
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
Braut Hypermondäne keckes Lied keusch phantastischgroteske Erscheinung schlägt aus braver Bürgerlichkeit ins Ordinäre um streng stilisiertes Gesicht überschlank verwunderte Augen weißer Pudel
antibürgerlich brav dünn frivol grotesk mondän naiv ordinär phantastisch pointiert streng
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„Margo ist klassisch. Jedesmal denkt man, das ist ihr Höhepunkt. Jedesmal ist sie besser. Weder in London noch – erst recht nicht – in Paris gibt es etwas derart Vollkommenes, hat irgend jemand einen derartigen Revuestil. Niemand, weder hier noch dort, macht ihr das Brautlied nach. […] Aber Margo, Margo über alles!“ (H.v.W.: „Drei Revuen“, in: QS 8 [1928], Bd. 8/2, Nr. 8, S. 582f.) „Da ist M a r g o L i o n – dünner ward kein Weib gesehen; – sie kommt uns dekadent und komisch und ist so lang wie gut.“ (K.: „‚Es liegt in der Luft.‘ / Komödie“, in: BN [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Statt eine Revue der Nummern also eine Revue der Typen: Die in Exzentrizität des Körpers und im gedämpften Gröhlen der Stimme immer graziöse Schlaksigkeit der langen, flatternden Margo Lion, als Pudel, als Braut, als affektierte Dekadente eine Sehenswürdigkeit, besonders wenn sie aus dem Gezierten ganz plötzlich ins Ordinäre oder Pseudopathetische umschlägt.“ (Kurt Pinthus: „‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der Komödie“, in: 8UA [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Karriere/Entwicklung Leistung/Können Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
Brautlied eigener Revuestil Höhepunkt Fortschritt vollkommen
einzigartig erstklassig individuell perfekt
Bühnen-Persona Geschlecht Körperlichkeit Leistung/Können
dekadent dünner ward kein Weib gesehen komisch so lang wie gut
dekadent dünn erstklassig komisch lang
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Originalität Stimme Vortrag
brav dekadent dünn elegant exzentrisch gefühlvoll gröhlend heiser lang ordinär originell temperamentvoll Typ
„Margo Lion entzückend vernunftlos und boshaft in jeder Bewegung; […].“ („‚Es liegt in der Luft.‘ Revue in der ‚Komödie‘“, in: BT [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Bühnen-Persona Körperlichkeit Vortrag
affektierte Dekadente Braut Exzentrizität des Körpers flatternd gedämpftes Gröhlen der Stimme geziert graziöse Schlaksigkeit lang ordinär pseudopathetisch Pudel Sehenswürdigkeit boshaft in jeder Bewegung entzückend vernunftlos
beweglich boshaft entzückend
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„Das Wiedererscheinen von Margo L i o n , die den ganzen Winter lang auf dem Theater nicht zu sehen war, wurde vom Publikum mit Freude begrüßt. Margo Lion ist eine Diseuse, die den französischen Meisterinnen in dieser Kunst nahekommt, und ihr ‚Brautlied‘ ist einer der großen ‚Schlager‘ des Abends. Sie spielt zuerst einen im Vorraum angebundenen Pudel, später eine Braut, die ins Warenhaus kam, um einen Knopf zu kaufen, aber mit einer ganzen Brautausstattung weggeht, weil das Brautkleid so billig war, […].“ („‚Es liegt in der Luft.‘ Berliner ‚Komödie‘“, in: Neue freie Presse [16.06.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Aber auf der Erde, auf eine Chaiselongue, da schmilzt Marga Lion hin, als jolie parfumeuse, eine wahrhaft pariserische Diseuse, die grotesk die Laute durch ihre lange Nase quetscht und plötzlich in den Baß herunterrutscht.“ (Dr. Erich Urban: „Es liegt in der Luft. Revue in der Komödie“, in: BZaM [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Unter den Mitwirkenden Margo Lion, souverän, schmissig, grell, wie stets.“ (nbg.: „Es liegt in der Luft. In der Komödie“, in: NB [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Chanson-Protagonistin Diseuse Frankreich/Paris Repertoire/Chansons Publikum
Braut Diseuse, die den französischen Meisterinnen nahekommt Pudel Schlager des Abends vom Publikum mit Freude begrüßt
erfolgreich französisch künstlerisch meisterhaft
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Diseuse Frankreich/Paris Körperlichkeit Stimme Vortrag
grotesk jolie parfumeuse lange Nase quetscht Laute rutscht in den Bass schmilzt hin wahrhaft pariserische Diseuse
dekadent französisch grotesk lang näselnd tiefe Stimme
Bühnen-Persona
grell schmissig souverän
grell schmissig souverän
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„Mit der Wüst wetteiferte ulkend das groteske Phlegmagenie Margo Lion. Famos als weißer Pudel mit rotem Schleifchen (in dem Bild ‚Abgegebene Hunde‘) und von ausgefallenster Ausgelassenheit als Hopfenstangenbraut mit Kranz und Schleier. Eine wilde Sache!“ (Julius Knopf: „Die Revue der ‚Komödie‘. Marcellus Schiffers: ‚Es liegt in der Luft‘, in: BBZ, AbendAusg. [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Besonderen Beifall findet in dem Kunterbunt dieses Warenhausrummels die Szene der zur Aufbewahrung abgegebenen und sich darum beleidigt fühlenden Hunde, die Karikatur eines Karnevals mit WeinZwang (man darf also nicht lachen!), die duftige Weiße Woche aus Papier und der Mitternachtstanz der Nippes mit Otto Wallburg als dickem TrikotAmor. Sehr vielfältig in ihrer grotesken Pointierung Marga L i o n , […].“ (Erich Krafft: „Die Warenhaus-Revue. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: DTZ, Abend-Ausg. [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Man kommt mit ein paar Personen aus, unter denen wieder M a r g o L i o n s modern schlanke Linie aufragt.“ (M.O.: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der ‚Komödie‘“, in: BMo [16.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
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Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin
famos Genie phlegmatisch ulkend wild
famos genial grotesk komisch phlegmatisch temperamentvoll
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Publikum
groteske Pointierung sehr vielfältig
grotesk karikaturistisch pointiert vielfältig
Körperlichkeit
aufragende modern schlanke Linie
dünn lang modern
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„Aber man sollte M a r g o L i o n nicht zu einem Pudel machen, die doch eher zum Windspiel geboren ist. Mit ihrer schmissigen Schlankheit durchschneidet sie die Luft in noch vielen Verkleidungen, aber ihre Länge steht ihr, und sie trägt sie mit dem Phlegma, das irgendwie Temperament vermuten läßt.“ (Arthur Eloesser: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der ‚Komödie‘“, in: VZ, Abend-Ausg., Nr. 230 [16.05.1928], S. 3) „Von überwältigend schmissiger Komik Margo Lion, […].“ (B.P.: „‚Es liegt in der Luft.‘ Schiffer-Spoliansky-Revue in der Komödie“, in: BMZ [17.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Marlene Dietrichs sympathische Weiblichkeit mit Leuchteblick und Margo Lions Dekadenzgerüst brachten Stimmung ins Haus.“ (– h n.: „‚Es liegt in der Luft‘. Die Komödie“, in: Der Tag [17.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „M a r g o L i o n näselt amüsante Lautenlieder, grell schmissig und frech, aber mit Scharm.“ (– el.: „Es liegt in der Luft. Eine neue MarcellusSchiffer-Revue“, in: BVZ [17.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Kostüm
durchschneidet die Luft mit ihrer schmissigen Schlankheit ihre Länge steht ihr kein Pudel phlegmatisch temperamentvoll viele Verkleidungen Windspiel
dünn lang phlegmatisch scharf schmissig temperamentvoll vielfältig
Bühnen-Persona
überwältigend schmissige Komik
erstklassig komisch schmissig überwältigend
Bühnen-Persona
Dekadenzgerüst
dekadent mitreißend
Repertoire/Chansons Vortrag
amüsante Lautenlieder frech grell mit Charme näselt schmissig
frech grell komisch näselnd schmissig
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„Was ist allein aus Margo Lion geworden! Als man sie das letzte Mal vor ein paar Monaten im Boulevardtheater als Solistin sah, hielt man sie für erledigt, für ausgegeben, für vorgestrig. Sogar ihr Material war verschüttet. Aber wie hat es der Regisseur Forster Laringa wieder hervorgeholt, geputzt, gesteigert!“ (O.D.: „Es liegt in der Luft. Komödie“, in: BH [17.06.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Margo Lion, die langhalsige Meckerziege, […].“ (Sx.: „Es liegt in der Luft. Komödie“, in: WaA [18.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Die Hauptattraktion ist die in ihrer grotesken Art einzig dastehende Margo Lion. Man muß sie gesehen haben, in ihrer Länge, in ihrer Fleischlosigkeit, dieses Weib, das nur aus Haut, Knochen, Rhythmus und Fratzen besteht und dazwischen einige Couplets improvisierend herunterkrächzt. Ein paar Worte, eine Biegung ihrer körperlosen Glieder genügen, um ein großes Auditorium suggestiv zu Lachkrämpfen zu zwingen.“ (R–e.: „‚Es liegt in der Luft. MarcellusSchiffer-Revue in der Komödie“, in: DBW [18.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Karriere/Entwicklung Repertoire/Chansons
geputzt gesteigert man hielt sie für erledigt, vorgestrig
Bühnen-Persona Körperlichkeit Stimme
langhalsige Meckerziege
lang
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Geschlecht Körperlichkeit Originalität Publikum Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
beweglich dünn einzigartig grotesk hässlich komisch krächzend lang mitreißend rhythmisch
„Die Parodistin und der Diseur Willy Prager marschierten unangefochten an der Spitze, […].“ (W.B.: „Komödie. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: Steglitzer Anzeiger (18.05.1928), AdK S/L, Sig. 2.5)
Bühnen-Persona Erfolg
besteht nur aus Haut, Knochen, Rhythmus und Fratzen bewegt das Publikum zu Lachkrämpfen Biegung ihrer körperlosen Glieder einzig dastehend Fleischlosigkeit groteske Art Hauptattraktion krächzt einige Couplets improvisierend Länge Weib Parodistin unangefochten an der Spitze
erstklassig parodistisch
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„Da ist Margo L i o n , eine Diseuse von höchster Vollendung, seit langer Zeit nicht so wirkungssicher wie hier, […].“ (B–dt.: „Es liegt in der Luft. [Komödie]“, in: FilmKurier [19.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Die pomadig groteske Marga Lion, […].“ (Ismar Lachmann: „Berliner Theater. Drei aktuelle Revuen: ‚Es liegt in der Luft‘ – ‚Tempo Tausend‘ – ‚O Kurfürstendamm‘“, in: Breslauer Zeitung [19.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5.) „[…] die Versorgungsehe: feierlich zieht die geschmückte Braut mit ihren Kranzfreundinnen ein, um als Furie der Ehe aus diesem stilisierten Rahmen auszubrechen in derselben halben Stunde, da sie ihr Ziel gerafft hat; die müßiggängerische Dame: die alle Wohlgerüche Arabiens durchduftet als tänzelnder Leichnam; […] Scharf zeichnet die mondäne Margo Lion, die als weißer Spitz (im Hundebild) verloren war, die verirrten Großstadtpflanzen des zweiten und dritten Geschlechts.“ (Theodor Kappstein: „Berliner Kabarettglossen“, in: Königsberger Hartungsche Zeitung [20.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Da ist zunächst Marga L i o n , die immer mehr zur künstlerischen Reife kommt, die sie sowohl in verschiedenen Einzelchansons wie im Ensemblespiel zeigt.“ (–n.: „‚Es liegt in der Luft‘. Komödie“, in: NZ [20.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Diseuse Karriere/Entwicklung Leistung/Können
Diseuse höchste Vollendung wirkungssicher
ausdrucksstark perfekt souverän
Bühnen-Persona
pomadig grotesk
grotesk
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Geschlecht Vortrag Zeitkritik
Furie der Ehe geschmückte Braut mondän müßiggängerische Dame tänzelnder Leichnam verirrte Großstadtpflanzen des zweiten und dritten Geschlechts weißer Spitz zeichnet scharf
androgyn beweglich boshaft Dame kreatürlich mondän pointiert satirisch scharf
Karriere/Entwicklung Repertoire/Chansons
Entwicklung in künstlerischer Reife
künstlerisch
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„Von schlanker, lachender Anmut Margo Lion, […].“ (m.: „Komödie“, in: Berliner Montagspost [21.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Der Genius des Ganzen ist wieder Margo L i o n ; köstlich als in der Garderobe aufbewahrter Pudel, als parfümgetränkte Dame, als Braut, aus deren züchtiger Zimperlichkeit plötzlich verzerrten Munds und geschwungenen Beins das ordinäre Amüsement springt; prachtvoll ihre Zusammenstellung (in den ‚Sisters‘) mit Marlene D i e t r i c h , deren fröhliche Frische überhaupt eine famose Ergänzung zu dem grotesk überzüchteten Typ der Lion bildet.“ (H.W.F.: „Theater und Musik. ‚Es liegt in der Luft‘ [Komödie]“, in: WaM [21.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Und wenn die Damen Marlene D i e t r i c h und Käte L e n z nett und lustig waren, so war die in diesem Fach ja schon berühmte Margot L i o n noch mehr. Der Moment, wo diese Groteskkünstlerin aus der gezierten Steifheit einer Braut plötzlich temperamentvolle Gemeinheit ausbrechen läßt, hatte beinahe etwas Unheimliches. Hier streifte die Satyre des Abends einmal das Gebiet großer Kunst.“ (Julius Bab.: „Revue bei Reinhardt. ‚Es liegt in der Luft.‘“, in: Weser Zeitung [20.05.1928] u. Neue Badische Landeszeitung [21.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
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Bühnen-Persona Körperlichkeit
Anmut lachend schlank
dünn elegant heiter
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
Braut famos Genius geschwungenes Bein grotesk überzüchteter Typ köstlich als Pudel ordinäres Amüsement parfümgetränkte Dame prachtvoll verzerrter Mund züchtige Zimperlichkeit
beweglich brav Dame elegant famos grotesk hässlich komisch kreatürlich ordinär Typ
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Karriere/Entwicklung Kunst Zeitkritik
berühmt gezierte Steifheit einer Braut große Kunst Groteskkünstlerin Satire des Abends temperamentvolle Gemeinheit Unheimlich
brav erfolgreich erstklassig grotesk künstlerisch satirisch temperamentvoll unheimlich
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„Und hat Marga Lion je so kapriziös-damenhaft gewirkt? Die Lion schießt auch darstellerisch den Vogel ab. Sie wird mit dieser Revue endlich als Extraklasse ihrer Gattung (so wie es die Massary für die Operette, die Bergner für die Bühne ist) gewertet werden. Sie steht jetzt da, wo Gussy Holl, die uns Jannings leider viel zu früh entführte, in ihrer allerbesten Zeit gestanden hat.“ (Dr. Artur Landsberger: „Berliner Feuilleton. I.“, in: Der Konfektionär [23.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „M a r g o L i o n als Braut auf der Weißen Woche, im Parfümerielager, als Freundin: eine unnachahmliche Mischung von Mondänität und ordinärem Schmiß, von Darstellung und Parodie, von saloppen Nebenbei und böser Schärfe.“ (Herbert Ihering: „Eine neue Kurfürstendamm-Revue“, in: BC [26.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.5) „Die geistvoll ordinäre Margo Lion […].“ (Erich Kästner: „Es liegt in der Luft!“, in: Neue Leipziger Zeitung [30.05.1928], abgedruckt in: Ders.: Gemischte Gefühle. Literarische Publizistik aus der ‚Neuen Leipziger Zeitung‘ 1923 – 1933, Bd. 2, hrsg. von Alfred Klein, Zürich: Atrium 1989, S. 91f.) „[…] die exzentrisch-graziöse, schlaksig-groteske Margo Lion […].“ („‚Es liegt in der Luft‘“, in: Vogue Berlin [20.06.1928], AdK S/L, Sig. 2.5)
Bühnen-Persona Erfolg Kabarett Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
Extraklasse ihrer Gattung (Revue) kapriziös-damenhaft schießt darstellerisch den Vogel ab so wie Massary, Bergner, Gussy Holl
Dame elegant erstklassig
Bühnen-Persona Chanson-Protagoinistin Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
böse Schärfe Braut Freundin Mondänität ordinärer Schmiss Parodie saloppes Nebenbei unnachahmlich
boshaft einzigartig leicht mondän ordinär parodistisch scharf schmissig
Bühnen-Persona
geistvoll ordinär
intelligent ordinär
Bühnen-Persona Körperlichkeit
exzentrischgraziös schlaksig-grotesk
dünn elegant exzentrisch grotesk
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„Dafür macht es […] entsetzlich viel Wesens von einem sattsam kommentierten, ehelich-programmäßigen Unternehmen, das in seinem ganzen zarten Reiz auf einer anderen Bühne von Margo Lion (im Hochzeitskleid, mit Schleppe und Lilien, unter plötzlichem Hochschleudern des Beines) hinreißend gemalt wird mit dem Verslein: ‚Und dann wird es gesetzlich ordinär…‘“ (H. L.–g.: „‚Das Sprungbrett der Liebe‘ im Kleinen Theater“, in: VZ, Abend-Ausg., Nr. 322 [10.07.1928], S. 3) „Von den Darstellern seien u.a. erwähnt die grotesk-sentimentale M a r g a L y o n , […].“ (ham.: „Berliner Revue und Grock. Im Deutschen Theater“, in: Münch. Augsburger Abendzeitung [05.12.1928], AdK S/L, Sig. 2.4) „Denn, oh Wunder: man spielt das Stück tatsächlich so wie in Berlin – spielt auch die Szene der Braut, in der allerdings Marga Lion einen viel ordinäreren Sprung machte als heut die kleine, zerbrechliche B l a n d i n e E b i n g e r .“, in: Kölner Tageblatt [01.11.1928], AdK S/L, Sig. 2.4) „Die Kultur des Ordinären bei Marga Lion, […].“ (Oscar Bie: „Theater und Musik. Berliner Theater“, in: Neue Mannheimer Zeitung [22.05.1928], AdK S/L, Sig. 2.4)
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Chanson-Protagonistin Kostüm Repertoire/Chansons Vortrag
hinreißend gemalt Hochschleudern des Beines im Hochzeitskleid
frivol hinreißend ordinär
Bühnen-Persona
grotesk-sentimental
gefühlvoll grotesk
Bühnen-Persona Vortrag
ordinärer Sprung
beweglich ordinär
Bühnen-Persona
Kultur des Ordinären
ordinär
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1929 (Es liegt in der Luft) „Aber M a r g o L i o n , diese rassige, hochbeinige Schönheit, an der alles ist, das Bein wie die Nase, eine Künstlerin, die das Gefühl mit den Fingerspitzen der Ironie anpackt, einer Ironie ohne Kälte, einer Ironie voll Geist und Grazie – Margo Lion läßt keine Rivalin vermissen. Sie erscheint zuerst in die Abteilung ‚Abgegebene Hunde‘ als ein weißer Pudel. Ihre stärkste Nummer aber ist die Warenhausverkäuferin, die ein Brautkleid ersteht und nun den Sprung von der weißgekleideten Züchtigkeit in einen ordinären Tanzschritt wagt. Man muß schon Margo Lions Geschmack haben, um bei diesem Schritt nicht zu straucheln.“ (M.J.: „Theater und Kunst. Das tanzende Warenhaus. Von unserem Korrespondenten“, in: Neues Wiener Journal, AdK S/L, Sig. 2.5) „Von den Damen ist Marga Lion entschieden die aparteste Erscheinung; sie erinnert gleichzeitig an die fromme Helene und die Henny Porten, (dies vor allem der Stimme wegen), […].“ (Paul Frank: „Theater der W.M.Z. Berliner Revue in der Josefstadt“, in: Wiener Mittags-Zeitung, AdK S/L, Sig. 2.4)
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Körperlichkeit Kunst Leistung/Können Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
an der alles lang ist, Bein wie Nase hochbeinige Schönheit kalt Künstlerin lässt keine Rivalin vermissen ohne Kälte packt das Gefühl mit Fingerspitzen der Ironie Pudel rassig voll Geist und Grazie Warenhausverkäuferin
elegant gefühlvoll intelligent künstlerisch lang ordinär rassig satirisch schön
Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
aparte Erscheinung erinnert an die fromme Helene Stimme von Henny Porten
boshaft exzentrisch
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„In den Figuren, die beim ersten Gastspiel Blandine Ebinger spielte, sieht man diesmal M a r g a L i o n , die vom Erfolg der Berliner Premiere bekannt ist. Sie ist in der Gebärde kühler, schärfer, unbedingter als Blandine Ebinger. Was bei dieser als bewußte Persiflage ausgespielt wird, wirkt bei Marga Lion wie eine Selbstverständlichkeit. Sie steht dem Zeitwitz dieser Revue näher. Sie ist ausgezeichnet.“ (d.: „Im Stuttgarter Schauspielhaus“, in: Neues Tageblatt [02.01.1929], AdK S/L, Sig. 2.4) „Der weibliche Star heißt Marga Lion. Diese Frau ist in Berlin eine Sache, eine große Sache. Geniale Begabung für die intellektuelle Parodie. Schlanke, unsentimentale Berliner Linie, viel Ausdruck, viel Schmiß, viel Hirn.“ (Siegfried Geyer: „Theater. ‚Es liegt in der Luft‘ im Theater in der Josefstadt“, in: Die Stunde [05.01.1929], AdK S/L, Sig. 2.4)
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Leistung/Können Vortrag Zeitkritik
Erfolg ausgezeichnet kühl scharf selbstverständlich unbedingt
authentisch erstklassig kühl scharf
Berlin Bühnen-Persona Erfolg Geschlecht Leistung/Können
Berliner Linie geniale Begabung in Berlin eine große Sache intellektuelle Parodie schlank unsentimental viel Ausdruck viel Hirn viel Schmiss weiblicher Star
„Marga Lion ist eine sogenannte Nummer in Berlin; man sagt, daß sie die ‚Linie‘ hat. Wo der Punkt ist, wurde jedenfalls nicht klar.“ (–bs–: „Theater und Kunst. ‚Es liegt in der Luft‘. Revue-Gastspiel im Theater in der Josefstadt“, in: Neues Wiener Journal [05.01.1929], S. 11, AdK S/L, Sig. 2.4)
Berlin Bühnen-Persona
Nummer in Berlin ohne Punkt sie hat Linie
ausdrucksstark berlinerisch dünn erfolgreich genial intelligent parodistisch sachlich schmissig Star talentiert berlinerisch erstklassig
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„Als Star dieses Ensembles gilt Margo Lion. Sie ist sehr, sehr schlank, sehr hübsch und sicherlich auch geschickt.“ (f. s.: „Nachtvorstellung in der Josefstadt. ‚Es liegt in der Luft‘, Revue von Marcellus Schiffer, Musik von Mischa Spoliansky. Ensemblegastspiel der ‚Komödie‘ Berlin“, in: Neue freie Presse [05.01.1929], AdK S/L, Sig. 2.4) „Auch die Diseuse Margo Lion, ein ‚Linie‘-Traum, mit herben Hauchtönen und sich lispelnd, mit sinnlicher Leidenschaft unsüß, ein ätzend schmaler Protest gegen alle Soubrettentraditionen.“ (Ludwig Ullmann: „Theater. Kleine Berliner Revue in der Josefstadt“, in: Wiener Allgemeine Zeitung [05.01.1929], StKA, Ordner LK/EG/8,3 – Mischa Spoliansky/Es liegt in der Luft) „Die famose Diseuse Margo Lion hatte gleich in der ‚Hundeszene‘ (witziges Bühnenbild von Walter Trier!) das Publikum für sich und nun steigerte sich der Applaus von Bild zu Bild, von Couplet zu Couplet.“ („Bühne und Musik. ‚Es liegt in der Luft‘. Revue-Gastspiel im Neuen Deutschen Theater“, in: Prager Presse [13.01.1929], AdK S/L, Sig. 2.4) „[…] die graziöse und sehr intelligent agierende Margo Lion; […].“ (M.B.: „‚Es liegt in der Luft‘“, in: Prager Tageblatt [12.01.1929], AdK S/L, Sig. 2.4)
Erfolg Körperlichkeit Leistung/Können
geschickt sehr hübsch sehr, sehr schlank Star
dünn schön souverän Star
Bühnen-Persona Diseuse Körperlichkeit Stimme Vortrag
ätzend Diseuse gegen alle Soubrettentraditionen herbe Hauchtöne ‚Linie‘-Traum lispelnd schmaler Protest sinnliche Leidenschaft unsüß Applaus Diseuse famos
dünn frivol gefühlvoll heiser lang ordinär sachlich scharf
gräziös intelligent agierend
elegant intelligent
Diseuse Erfolg Leistung/Können Publikum Repertoire/Chansons
Bühnen-Persona Leistung/Können Vortrag
erfolgreich famos
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1930 (Der rote Faden) „Dann: die L i o n , wundervoll in ihren halb gekrähten, halb geträllerten Chansons. Moment mal, Atempause! So! Weiter! Wer ist da noch?“ (Arnold Lippschitz: „Der rote Faden. Die neue Nelson-Revue“, in: NBZ [08.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Und nach der Pause kommen noch Marga Lion, auf französisch und deutsch die beste Chanteuse auf den grossen und kleinen Brettern Berlin; […].“ (A. E.: „‚Der rote Faden.‘ Nelson-Revue“, in: BT, MorgenAusg. [08.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Marja L i o n in einigen fein geschliffenen Pariser Chansons.“ (Bie: „Wieder Nelson“, in: BBK, Abend-Ausg. [08.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Margo L i o n s famoser Besonderheit sind Text und Musik steil auf den steilen Leib geschrieben.“ (N. F.: „Der rote Faden. Großer Erfolg der neuen Nelson-Revue“, in: BZaM [08.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Margo L i o n darf sich französisch und deutsch austoben.“ (M. G.-Il.: „Der rote Faden. Die neue Revue im Nelson-Theater“, in: VZ, AbendAusg. [08.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „M a r g o t L i o n kommt uns ziemlich kräftig französisch.“ (Lbg: „‚Der rote Faden.‘ Uraufführung bei Nelson“, in: BLA, Abend-Ausg. [08.03.1930], AdK S/L, Sig. 11)
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Repertoire/Chansons Leistung/Können Stimme Vortrag
halb gekrähte, halb geträllerte Chansons wundervoll
erstklassig krächzend trällernd
Berlin Diseuse Erfolg Frankreich/Paris Kabarett
auf französisch und deutsch auf großen und kleinen Brettern in Berlin beste Chanteuse
berlinerisch erfolgreich erstklassig französisch
Frankreich/Paris Repertoire/Chansons
feingeschliffene Pariser Chansons
französisch pointiert
Bühnen-Persona Körperlichkeit Repertoire/Chansons
famos besonders steiler Leib
famos lang originell
Frankreich/Paris Vortrag
französisch austoben
französisch temperamentvoll
Frankreich/Paris
kräftig französisch
französisch
370 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 198.
199.
200.
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202.
„Überschlank, biegsam, tritt Marga Lion auf, und singt. Wenn man sich bei ihr zu dem selten anzuwendenden Adjektiv ‚genial‘ versteigt, so weiß man, was man tut.“ (E. M.: „‚Der rote Faden‘. Man lacht Tränen bei Nelson“, in: BMo [09.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „[…] Margo L i o n , diese komische Seltsamkeit […].“ (Peter Eik: „‚Der rote Faden.‘ Nelson-Revue im Blauen Vogel“, in: 8UA [09.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Sonderklasse: M a r g o L i o n in zwei Kuplets, die sie so völlig in faszinierende Bewegung, stimmlich und körperlich auflöst, daß der Applaus zum Jubel anschwillt.“ (M.G.: „‚Der rote Faden‘. Nelson-Erfolg im Nelson-Theater“, in: Tempo [09.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Schlangendame Margo L i o n , Schlange und Dame zugleich, […].“ (m.: „Nelson kehrt zur Revue – Haller zur Operette zurück. ‚Der rote Faden‘ im ‚Blauen Vogel‘“, in: BMo [10.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Käte E r l h o l z kommt uns berlinisch, wie die rassige Marga L i o n französisch.“ (E. K.: „Die neue Nelson-Revue. ‚Der rote Faden‘“, in: DTZ [10.03.1930], AdK S/L, Sig. 11)
Körperlichkeit Leistung/Können Vortrag
biegsam genial überschlank singt
beweglich dünn genial
Bühnen-Persona
komische Seltsamkeit
komisch
Körperlichkeit Leistung/Können Publikum Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
Applaus u. Jubel löst Couplets in faszinierende Bewegung, stimmlich u. körperlich auf Sonderklasse
beweglich erfolgreich erstklassig faszinierend
Bühnen-Persona Körperlichkeit
Schlangendame
beweglich Dame dünn elegant kreatürlich
Bühnen-Persona Frankreich/Paris
französisch rassig
französisch rassig
C HRONOLOGISCH
203.
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SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Aus der Fülle der Namen greife ich nur die rassig ihre Chansons vortragende Käte E r l h o l z und die lange Margo L i o n heraus. Köstlich, wenn sie ein Couplet zerkrächzt und mimisch unterstreicht. Großer Erfolg!“ (Hzg.: „Der rote Faden. Uraufführung der Neuen Nelson-Revue“, in: Essener Anzeiger [13.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „Margo L i o n s raffinierte Kleinkunst feiert Triumphe in einem französischen Chanson.“ (E. Ta.: „Der rote Faden. Nelsons neue Revue“, in: BN [15.03.1930], AdK S/L, Sig. 11) „[…] M a r g o L i o n in unnachahmlich frechen Chansons.“ (st.: „Der rote Faden. Nelson-Revue“, in: BaM [16.03.1920], AdK S/L, Sig. 11) „Wenn, in der Nelson-Revue, Margo Lion zum Gesang ihrer bedenkenlosen Stimme (‚il m’a vu toute nue‘) die Bühne durchkreuzend im leisen Takt ihre Hüften wiegt, dann gibt ganz nebenbei diese kaum sichtbare, diese faszinierende Musik der Hüften das Erlebnis ‚Tanz‘.“ (Artur Michel: „Tanz-Impressionen. Auf der Bühne und im Film“, in: Vossische Zeitung, Morgen-Ausg., Das Unterhaltungsblatt, Nr. 156 [02.04.1930], S. 1) „[…] Margo Lion mit ihrem kapriziösen Jargon, aus dem heraus sie einige ihrer gespritzten Couplets dazwischenstreut.“ (shw.: „Die neue Klein-Revue bei Nelson“, in: Königsberger Allgemeine Zeitung [04.04.1930], AdK S/L, Sig. 11)
DER
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UND
W ERTEANALYSE
ǀ 371
Bühnen-Persona Erfolg Körperlichkeit Stimme Vortrag
großer Erfolg lang unterstreicht Couplets mimisch zerkrächzt Couplets
ausdrucksstark erfolgreich krächzend lang
Erfolg Kunst Repertoire/Chansons
feiert Triumphe raffinierte Kleinkunst
erfolgreich französisch künstlerisch
Bühnen-Persona Originalität Repertoire/Chansons
freche Chansons unnachahmlich
einzigartig frech
Körperlichkeit Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
bedenkenlose Stimme faszinierende Musik der Hüften wiegt ihre Hüften im leisen Takt
ausdrucksstark beweglich faszinierend naiv
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
kapriziöser Jargon gespritzte Couplets
elegant scharf
372 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 208.
209.
„[…] in preziöser Grazie Bühnen-PerMargo Lion, […].“ („‚Der rote sona Faden‘: 50 Mal“, in: 8UA, AdK S/L, Sig. 11) 1930 (Ich tanze um die Welt mit Dir) Bühnen-Per„Sie stellt ihre Grotesken völsona lig abgelöst von Bühne und Körperlichkeit Stück hin. Bei ihr sitzt jedes Leistung/KönWort wie aufgemalt auf den nen Körper, mit dem sie singt. Die Plastik ihrer Chansons ist voll- Originalität Publikum endet. Da splittert nicht ein ReperTönchen ins Leere, da flattert keine Geste auch nur eine Spur toire/Chansons Stimme daneben. Die Lion gewinnt im Vortrag Sturm die Zuhörer. Weil in ihr eine völlige Harmonie ist, die in ihrer Art erlöst.“ („Deutsches Künstler-Theater. ‚Ich tanze um die Welt mit Dir‘. 15 Bilder von Marcellus Schiffer. Musik von Friedrich Holländer“, StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater)
preziöse Grazie
elegant
gewinnt im Sturm die Zuhörer erlöst in ihrer Art flattert keine Geste auch nur eine Spur daneben Grotesken abgelöst von Bühne und Stück splittert nicht ein Tönchen ins Leere singt mit ihrem Körper vollendete Plastik ihrer Chansons völlige Harmonie Worte wie aufgemalt auf ihrem Körper
ausdrucksstark erfolgreich grotesk harmonisch individuell mitreißend perfekt souverän
C HRONOLOGISCH
SORTIERTE
R EZENSIONEN
DER
T HEMEN -
210.
„Ein durchgehender Stilwille für die hier angestrebte RevueForm (und nur für sie) lebt allein in Margo Lion, dieser lebenden Schaufensterpuppe mit den langen Gliedmaßen und dem klaffenden Mund unter der langen Nase – dies ‚Sex-, Sieben-, Achtappeal‘ hat freilich in Bewegung und Stimme die verteufelte Grazie eines Asphaltgeschöpfs, wo sie hintritt, wächst kein Gras, aber sprühen bunte Lichter einer Kurfürstendamm-Welt.“ (H.W.F.: „‚Ich tanze um die Welt mit dir.‘ [Deutsches Künstlertheater.]“, StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater)
Berlin Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Kabarett Körperlichkeit Leistung/Können Repertoire/Chansons Stimme
211.
„Im Mittelpunkt steht Marga Lion, das graziöseste, witzigste und frechste Revue-Gespenst, das wir haben. Nicht weit von der großen Yvette entfernt; ich meine: die Yvette vor dreißig Jahren, wie wir sie von Toulouse Lautrecs Lithos kennen.“ (h.: „HolländerSchiffer. Ich tanze um die Welt mit Dir. Deutsches Künstlertheater“, StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) „Ein Typ wie M a r g o L i o n , menschliche Gliederpuppe mit grotesken Bewegungen und nicht minder ergötzlicher Vortragsmanier, findet man nicht zum zweiten Male.“ (Schliepe: „‚Ich tanze um die Welt…‘ Revue im Künstlertheater“, StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater)
Bühnen-Persona Frankreich/Paris Vergleich mit anderen KünstlerInnen
212.
Bühnen-Persona Körperlichkeit Originalität Vortrag
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 373
durchgehender Stilwille für die RevueForm klaffender Mund lange Gliedmaßen lange Nase lebende Schaufensterpuppe verteufelte Grazie eines Asphaltgeschöpfs wo sie hintritt, wächst kein Gras, aber sprühen bunte Lichter einer Kurfürstendamm-Welt frech graziös im Mittelpunkt nicht weit von der großen Yvette entfernt Revue-Gespenst ToulouseLautrec witzig
berlinerisch beweglich boshaft elegant komisch kreatürlich lang souverän Star
ergötzliche Vortragsmanier findet man nicht zum zweiten Male groteske Bewegungen menschliche Gliederpuppe Typ
beweglich einzigartig grotesk kreatürlich Typ
elegant französisch frech komisch unheimlich
374 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 213.
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215.
„Die Lion – von unheimlicher, beängstigender Komik, wenn sie sich auf Worte wirft wie ‚Daffke‘ und dieses Wort moduliert, färbt, streichelt, höhnisch aufrichtet, verächtlich wegwirft, eine ganze rüde Geistesrichtung gleichzeitig verkörpert und erledigt. Oder wenn sie mit der Vokabel ‚Sex Appeal‘ spielt, sie auseinandernimmt, sieben appeal, acht appeal, neun appeal, sich verwandelt in ein neues Wesen, schaurig, grotesk, morgensternisch: in das ‚Sex Appeal‘.“ (Herbert Ihering: „Im Deutschen Künstlertheater. Ich tanze um die Welt mit dir“, in: BKK [05.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) „Kostbarer Gegensatz ist Margo Lion in ihrer eleganten Schlacksigkeit, ihrer überschlanken Körperlichkeit, aus der diese hinreißende Groteskkomik erwächst.“ (Richard Wilde: „‚Ich tanze um die Welt mit dir.‘ Deutsches Künstlertheater“ [05.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) „[…] die lange, dünne Lion, die ihren Vornamen Marga jetzt umtauft in Margo. Wenn sie sich einst ein Schloß zusammenspielt, mit ihrer geistreichen Kunst, ist’s ein Château Margo. Die deutsche Diseuse, die an vollkommensten den Ton trifft der Pariser Kabarettistin. Dem Humor ihrer lustigen Augen, der Komik, ihrer langen Nase, ihrer heiseren Stimme wiedersteht niemand.“ (Dr. Erich Urban: „‚Ich tanze um die Welt mit dir‘. Revue im Deutschen Künstlertheater“, in: BZaM [05.06.1930], StKA, Ordner
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
Daffke grotesk moduliert, färbt, streichelt, richtet Worte höhnisch auf, wirft sie verächtlich weg morgensternisch rüde schaurig Sex-Appeal unheimliche, beängstigende Komik
frivol grotesk komisch künstlerisch ordinär unheimlich
Bühnen-Persona Körperlichkeit
elegante Schlaksigkeit hinreißende Groteskkomik überschlanke Körperlichkeit
dünn elegant grotesk hinreißend komisch
Diseuse Frankreich/Paris Körperlichkeit Kunst Stimme Vortrag
Château Margo deutsche Diseuse dünn geistreiche Kunst heisere Stimme Humor ihrer lustigen Augen Komik ihrer langer Nase lang Pariser Kabarettistin von Marga zu Margo
dünn französisch heiser intelligent komisch lang perfekt
C HRONOLOGISCH
216.
217.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) „Er [Der Abend] muß deshalb auf den Namen M a r g o L i o n getauft werden. Sie singt ein Chanson ‚Aus Daffke‘, ein Fremdwort, das man sich von ihr erklären lasse und ein Lied vom Sex Appeal, das ist alles. Aber wie hat sich diese immer schon erregende, immer ins Zentrum schießende Künstlerin entwickelt! Wie nutzt sie einen Körper aus, dessen Ebenmaß darin besteht, daß alles an ihm zu lang geraten ist! Wie schmettert sie die fingierte Garbo als eine vor ihr kniende Rivalin mit einem Baßton ins Nichts hinab! Wie bricht sie alten und neuen Konventionen, dem Vorurteil so gut wie bei dem Sex Appeal, jäh das Genick! Auch wer nicht um die Welt tanzen will, wird sich von dieser einmaligen, ungewöhnlichen Kunst gern zeigen lassen, welch eine Welt um Margo Lion tanzt, gepackt, umschlungen und festgehalten von der Macht der Groteske.“ (Monty Jacobs: „‚Ich tanze um die Welt mit Dir‘. Deutsches Künstlertheater“, in: VZ, Nr. 262, Abend-Ausg. [05.06.1930], S. 3) „M a r g a L i o n , das Gegenstück, derber und massiver, schmettert mit mächtigem Temperament den Gassenhauer vom Sexappeal ins Parkett.“ (Bur.: „Schiffer – Hollaender. ‚Ich tanze um die Welt mit Dir‘. Deutsches Künstlertheater“ [05.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater)
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W ERTEANALYSE
ǀ 375
Bühnen-Persona Karriere/Entwicklung Körperlichkeit Kunst Originalität Repertoire/Chansons Stimme Vortrag Zeitkritik
Basston bricht Konventionen das Genick einmalige, ungewöhnliche Kunst erregend ins Zentrum schießend Körper zu lang geraten Macht der Groteske parodiert die Zeit schmettert
einzigartig frivol grotesk künstlerisch lang mächtig modern originell parodistisch pointiert satirisch schmetternd tiefe Stimme
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Vortrag
derb Gassenhauer vom Sexappeal mächtiges Temperament massiv schmettert
direkt mächtig ordinär schmetternd temperamentvoll
376 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 218.
219.
„Als besonderes Verdienst mag da zuerst angemerkt werden, daß er M a r g o L i o n so glänzend herausgestellt hat, wie es seit langem nicht geschehen ist. Sie wird geradezu die Sensation des Abends, weil sie ihre besondere Linie in einer Weise entwickeln kann, wie ihr das bisher noch kaum vergönnt gewesen ist. Sie erweist sich als eine Diseuse, die durchaus eine eigene Persönlichkeit ist und in dieser Prägung auf der deutschen Bühne keine Nebenbuhlerin hat. Mit unheimlicher Prägnanz trifft sie jede Pointe, und wie sie die Refrains mit feinsten Unterscheidungen zu variieren versteht, das grenzt ans Wunderbare.“ (Franz Köppen: „Die neue Schiffer-Hollaender-Revue. ‚Ich tanze um die Welt mit Dir.‘ Deutsches Künstlertheater“ [05.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) „Aus herberem Holz ist M a r g o L i o n geschnitzt, aber sie redet den Leuten im Parkett nach dem Schnabel und reißt sie mit, Chansonette von internationalem Format, wie sie auf der Varietébühne längst ausgestorben ist.“ (–nk.: „Posse oder Kabarett? ‚Ich tanze um die Welt mit dir.‘ [05.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater)
Bühnen-Persona Diseuse Erfolg Karriere/Entwicklung Leistung/Können Originalität Vortrag
besondere Linie Diseuse eigene Persönlichkeit grenzt ans Wunderbare hat auf der deutschen Bühne keine Nebenbuhlerin Sensation des Abends trifft jede Pointe unheimliche Prägnanz variiert Refrains mit feinsten Unterscheidungen
einzigartig erstklassig individuell künstlerisch originell pointiert prägnant souverän unheimlich
Bühnen-Persona Diseuse Kabarett Originalität Publikum
auf der Varietébühne längst ausgestorben aus herbem Holz geschnitzt Chansonette von internationalem Format redet den Leuten nach dem Schnabel reißt das Publikum mit
erstklassig mitreißend ordinär
C HRONOLOGISCH
220.
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222.
223.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Dann M a r g o L i o n , oft hinreißend, wenn sie mit heiserer Stimme, bedeutungslose Texte trällert.“ (E. Kr.: „Anfang gut, Ende schwach! ‚Ich tanze um die Welt mit Dir…‘ Revue von Schiffer und Holländer im Deutschen KünstlerTheater“, in: BN [06.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) „M a r g o L i o n setzt ihre parodistischen Gaben ein, sehr intelligent, mit erstaunlicher Ausdrucksfähigkeit des Gesichts und der Glieder.“ („‚Ich tanze um die Welt mit Dir“ [17.06.1930], StKA, Ordner LK/EG/2,5 – Friedrich Hollaender/Theater) 1930 (Quick) „M a r g o L i o n , stark in Dressur, singt das Chanson vom Autokauf und von der Nefretete – sie müßte sich bei Rolf Gero bedanken, dessen Ausstattung auch ihr den Sockel stellte.“ (Otto Dubro: „Der quicke Nelson. Die neue Revue im ‚Blauen Vogel‘“, in: BH, AdK S/L, Sig. 9) „Margo L i o n hat in dem ‚Auto-Kursus‘ und als Nefretete zwei besondere Schlager, die sie mit ihrem virtuosen Mundwerk zu bejubelten Erfolg führt, […].“ (Hermann Pfaender: „Leuchtende Sterne am pikanten Revuehimmel. ‚Quick‘ im Nelson-Theater“, in: DKJ, AdK S/L, Sig. 9)
DER
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W ERTEANALYSE
ǀ 377
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
bedeutungslose Texte heisere Stimme hinreißend trällert
heiser hinreißend trällernd
Bühnen-Persona Körperlichkeit Vortrag
erstaunlich ausdrucksfähiges Gesicht und Glieder parodistische Gaben sehr intelligent
ausdrucksstark intelligent parodistisch talentiert
Bühnen-Persona Kostüm Repertoire/Chansons
stark in Dressur
kreatürlich
Chanson-Protagonistin Erfolg Leistung/Können Publikum Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
bejubelter Erfolg Nofretete Schlager virtuoses Mundwerk
erfolgreich erstklassig meisterlich
378 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 224.
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„Ganz auf die Höhen ihrer schwingenden Vortragskunst reißt dann wieder Margo Lion den bunten Abend. Sie bringt ‚Autokursus‘ und ‚Nefretete‘. Die harmlose Autostudie Schiffers macht sie zu einer vieldeutigen Erlebnisschilderung und Hollaenders ‚Nefretete‘ – auch im szenischen Witz meisterhaft, ist ein Gipfel an Spaß, leichtfertigem Gereim, Zeitglosse – von der Lion zum letztmöglichen Ausdruck gebraucht.“ (Ernst Jäger: „Quick die neue Nelson Revue. Texte von F. Holländer und M. Schiffer“, in: Film-Kurier, AdK S/L, Sig. 9) „Den Vogel schießt Margo Lion mit ihrem Autolied und ihrer Nefretete ab.“ (Lbg.: „Satire und Weltschmerz. ‚Quick‘. Revue im NelsonTheater“, in: BLA, AbendAusg. [20.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „M a r g o L i o n muß der Abend heißen! Zuerst in einem Schiffer-Chanson ‚Auto-Kursus‘. Ein kleines Augenblinzeln, und wir sind im Bilde. Da sitzt jede Bewegung, da ist ganz Berlin drin; viel Skepsis, ein wenig Husch-Husch und Neurasthenie ist dabei. ‚Nofretete‘ und unsere ganze flatterhafte Untreue, Sensationssucht. Wichtigtuerei und Meschuggität ist entlarvt.“ (P.M.: „Quick. Nelson-Theater am Kurfürstendamm“, in: NBZ [20.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „[…] und die schlenkrige Margo Lion schießt den Vogel ab, wenn sie ihr ägyptisches Profil täuschend echt in die Maske der Nofretete steckt.“ (Ismar Lachmann: „Berliner Theater“, in: Cottbusser Anzeiger, AdK S/L, Sig. 9)
Können/Leistung Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
letztmöglicher Ausdruck meisterhaft szenischer Witz schwingende Vortragskunst
ausdrucksstark komisch leicht meisterhaft satirisch
Erfolg Repertoire/Chansons
schießt den Vogel ab
erstklassig
Berlin Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Marcellus Schiffer Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
da ist ganz Berlin drin da sitzt jede Bewegung Husch-husch Kritik an flatterhafter Untreue, Sensationssucht, Wichtigtuerei kleines Augenblinzeln Meschuggität Nofretete Neurasthenie viel Skepsis ägyptisches Profil Nofretete schießt den Vogel ab schlenkrig täuschend echt
berlinerisch beweglich erfolgreich satirisch souverän temperamentvoll verrückt
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Körperlichkeit
authentisch erstklassig schlenkrig
C HRONOLOGISCH
228.
229.
230.
231.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Was wollen wir hören? Die Chansons von Margo L i o n . Autokurs von Schiffer und Nelson. Von Hanomag bis Rolls Royce fährt Margo Lion alle Autos und Männer. Margo Lion als Nofretete (von Holländer und Nelson) – der Snobismus einer ganzen Stadt wird erledigt. Bald sieht Margo Lion aus wie die ägyptische Königin, bald wie der alte Fritz. Außerordentlich ist die nüchterne Phantastik, die schnoddrigen Tonlosigkeit ihres Vortrags. Margo Lion ist eine Klasse für sich. […] Die Lion bleibt immer Diseuse, immer Kabarett, immer stilbewußt, immer kühl.“ (Herbert Ihering: „Die neue Nelsonrevue: Quick“, in: BBK (20.09.1930), AdK S/L, Sig. 9) „[…] die große Margo Lion, die Frau mit der herrlichen Witzbesessenheit, mit dem eindringlichen Rhythmus der Bewegung.“ (H.G. Lustig: „Quick. Revue im NelsonTheater“, in: Tempo [20.09.1930], AdK S/L, Sig. 2.5) „[…] M a r g o L i o n , in ihrer Gemeinde bekannt als die Vertreterin der modernen Linie.“ (Max Hochdorf: „Nelson-Revue. ‚Quick‘“, in: Vorwärts [20.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „[…] der Star der Stars Margo L i o n ; […]. […] der AutoKursus der M a r g o L i o n , an deren ulkiger Schnute man sich nicht satt sehen kann, […] Nefretete, die Königin von Ägypten, die in der groteskschlanken Margo Lion fröhliche Auferstehung feiert, […].“ (Dr. Erich Urban: „‚Quick‘. Neue Revue im Nelson-Theater“, in: BZaM, Nr. 257, erstes Beiblatt [20.9.1930], AdK S/L, Sig. 9)
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W ERTEANALYSE
ǀ 379
Authentizität Berlin Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Diseuse Kabarett Leistung/Können Originalität Repertoire/Chansons Stimme Vortrag Zeitkritik
ägyptische Königin der alte Fritz fährt alle Autos und Männer echte Klasse für sich immer Diseuse immer Kabarett immer stilbewusst immer kühl Nofretete nüchterne Phantastik schnoddrige Tonlosigkeit Snobismus der Stadt wird erledigt
authentisch elegant erstklassig frech kühl ordinär phantastisch sachlich satirisch
Bühnen-Persona Geschlecht Körperlichkeit
eindringlicher Rhythmus in der Bewegung Frau mit herrlicher Witzbesessenheit groß
ausdrucksstark beweglich komisch lang rhythmisch
Bühnen-Persona Publikum
ihre Gemeinde Vertreterin der modernen Linie
modern
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Körperlichkeit Repertoire/Chansons
groteskschlank Nofretete Star ulkige Schnute
dünn grotesk komisch Star
380 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 232.
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234.
„Aber das Leise wirkt in dieser quicken Revue stärker als das Laute. M a r g o L i o n singt zwei Lieder vom Autofahren und von der Nofretete, die Nelson mit musikalischer Behendigkeit illustriert.“ („Die Revue ‚Quick‘. Nelson-Theater“, in: VZ, Abend-Ausg. [20.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „[…] M a r g o L i o n in einem glänzend gefahrenen Autokursus und einer überwältigenden Nefretete-Szene, […].“ (E. K.: „‚Quick.‘ Die neue Nelson-Revue“, in: DTZ, Abend-Ausg. [20.09.1030], AdK S/L, Sig. 9) „Einmal, wenn der Vorhang aufgeht, sieht man auf der Bühne den Kopf der Nofretete. Es ist aber nicht Nofretete, sondern M a r g o L i o n , die in dieser Maske auf vollendete, mitreißende Art gegen berlinische Sensationssucht und Schnupprigkeit scharf ins Zeug geht. Auch ihre AutoNummer, in der sie einen rapiden Kursus absolviert, ist unübertreffliches Kabarett. Der Erfolg von ‚Quick‘ ist der Erfolg von Margo Lion.“ (E. Ta: „‚Quick.‘ Die neue Revue im Nelson-Theater“, in: BIN [20.09.1930], AdK S/L, Sig. 9)
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Repertoire/Chansons Vortrag
leise Nofretete singt
leise
Chanson-Protagonistin Leistung/Können Repertoire/Chansons
glänzend Nofretete überwältigend
erstklassig überwältigend
Berlin Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Kabarett Kostüm Leistung/Können Repertoire/Chansons Zeitkritik
Erfolg gegen berlinische Sensationssucht und Schnupprigkeit mitreißend Nofretete scharf unübertreffliches Kabarett vollendet
erfolgreich erstklassig mitreißend perfekt scharf temperamentvoll
C HRONOLOGISCH
235.
236.
237.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„[…] und die alle überragende Margo L i o n , die einzige ganz große deutsche Vortragskünstlerin. Sie kommt nur zweimal, in Schiffers ‚AutoKursus‘ und in Hollaenders ‚Nefretete‘, museumsecht, mit der Nefre-Tüte auf dem fein modellierten Kopf der schönen Ägypterkönigin. Und wie sie sich in diesem von Friedrich Hollaenders schlagkräftigem Witz geschickt gedrechselten Song über die sie besichtigenden Nefre-Tanten und NefreTunten mokiert, das versöhnt mit mancher schwächeren Nummern der Revue und ist wieder schlechthin meisterhaft.“ (Moritz Loeb: „‚Quick‘, in: BMo [21.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „[…] Margo L i o n , in ihrer scharfen Berliner Linie […].“ (–s–: „Die Nelson-Revue am Kurfürstendamm“, in: DZ, Morgen-Ausg. [23.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „Es sollte Fräulein Haas darum wenig Kummer bereiten, wenn ihr in M a r g o L i o n bei dieser Revue eine der Begabung nach überlegene Rivalin, ersteht. Mit ihrem ‚Autokursus‘ und vor allem mit ihrer sich textlich ausgezeichneten ‚Nefretete‘, wirft sie den ganzen Saal um. Und wenn auf nichts anderes, so könnte die ‚Quick‘-Revue ihren Erfolg getrost auf die spöttische Altstimme und den grotesken Witz dieser Frau bauen.“ (M….: „Quick. Die neue Nelson-Revue“, in: BaM [24.09.1930], StKA, Ordner LK/EG/1,6 – Rudolf Nelson/Revuen, Nachlass Heinz Greul)
DER
T HEMEN -
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 381
Authentizität Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Diseuse Körperlichkeit Kostüm Kunst Leistung/Können Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
Ägypterin alle überragend einzig ganz große deutsche Vortragskünstlerin feinmodellierter Kopf meisterhaft museumsecht Nofretete schön
authentisch einzigartig erstklassig künstlerisch lang meisterhaft schön
Berlin Bühnen-Persona
Berliner Linie scharf
berlinerisch scharf
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Geschlecht Erfolg Leistung/Können Publikum Repertoire/Chansons Stimme Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
Begabung Erfolg grotesker Witz dieser Frau spöttische Altstimme Nofretete überlegene Rivalin wirft den ganzen Saal um
erfolgreich erstklassig grotesk intelligent komisch talentiert tiefe Stimme zynisch
382 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 238.
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240.
„Die wunderbarste KabarettRevue – Leistung des Abends war natürlich Margo Lion im Auto-Kursus und als Nefretete – tute, tüte, toi, toi, toi. Nie weiss man, aus welchen Tiefen sie ihre Töne und Nüancen holt und wie es ihr gelingt, so unheimlich viel schneller (und doch verständlich) zu sprechen als andere Sterbliche. Als Nefretete ist ihre überschlanke Linie in einen engen Brokatschlauch gewickelt und stakst ägyptisch eckig hinter ihrem Podest hervor.“ (–d–: „Quick! Quick! Revue im Nelson-Theater“, in: BV, Morgen-Ausg. [24.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „Uebersprühend vor Witz präsentierte sich Margo Lion als Nofretete und in einem AutoKursus.“ (F.W. Herzog: „Theater in Berlin. ‚Quick‘ – Revue-Aufführung“, in: Magdeburger General Anzeiger [27.09.1930], AdK S/L, Sig. 9) „M a r g o L i o n s ‚Nefretete‘ (Text von Holländer) ist in jeder Hinsicht eine unerhörte Glanzleistung.“ (H.Ba.: „Die neue Nelsonrevue ‚Quick‘, in: Germania, Abend-Ausg. [27.09.1930], StKA, Ordner LK/EG/1,6 - Rudolf Nelson/Revuen, Nachlass Werner Fink)
Chanson-Protagonistin Erfolg Körperlichkeit Kostüm Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
im engen Brokatschlauch Leistung des Abends Nofretete schnelle Sprache stakst ägyptisch eckig tiefe Töne und Nuancen überschlanke Linie
dünn erfolgreich erstklassig temperamentvoll tiefe Stimme unheimlich
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Chanson-Protagonistin
Nofretete übersprühend vor Witz
komisch temperamentvoll
Chanson-Protagonistin Leistung/Können Repertoire/Chansons
Nofretete unerhörte Glanzleistung
erstklassig
C HRONOLOGISCH
241.
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243.
244.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Höhepunkt dieser Revue aber ist M a r g o L i o n als Nefretete. Der Snobismus einer ganzen Stadt wird lebendig, wenn sie, von Kopf bis Fuß auf ägyptisch eingestellt, mit ironischer Gemessenheit über die Bühne schlenkert, wenn sie, im Auto-Lied, spitznäsig und blasiert, die verschiedenen Wagen-Typen, vom Hanomag bis zum Rolls-Royce durchhechelt. Von den Restbeständen der ersten Schiffer- und Holländer-Revue ist Margo Lion die einzige, die den Wechsel der Moden und Richtungen überdauert hat, und der Beifall, der sie immer wieder vor den Vorhang rief, feierte eine Künstlerin, die nunmehr auf dem besten Wege ist, über Berlin hinaus eine internationale Erscheinung zu werden.“ (H.S.: „Nachtvorstellung bei Nelson“, in: MM [29.09.1930], Ordner LK/EG/1,6 – Rudolf Nelson/Revuen) „[…] ‚Nofretete‘, mit großer Kunst von Margo Lion vorgetragen.“ (Dr. K. L.: „NelsonTheater. Quick“, in: Der Film [05.10.1930], AdK S/L, Sig. 9) „Margo Lion hatte wiederum das vergnügte Hurra des Publikums für sich.“ (P.G.: „Fünfzigmal ‚Quick‘“, in: 8UA [31.10.1930], AdK S/L, Sig. 9) 1931 (Kabarett der Komiker) „Margo L i o n trägt ‚Verrückte Lieder einer mondänen Frau‘, Texte von Marcellus Schiffer, Musik meist von Mischa Spoliansky, mit der grotesken Drastik vor, die sie seit Jahren zu einem Stern der Kleinkunstbühne gemacht hat.“ (L.: „Der bunter Spiegel. Was Kabaretts und Variété im Monat Januar zeigen. ‚K.d.K.‘“, in: 8UA, AdK S/L, Sig. 61.3)
DER
T HEMEN -
UND
W ERTEANALYSE
ǀ 383
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Erfolg Karriere/Entwicklung Kunst Publikum
Beifall blasiert Höhepunkt ironische Gemessenheit Künstlerin schlenkert spitznäsig
erfolgreich erstklassig künstlerisch satirisch schlenkernd spitz
Kunst Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag Erfolg Publikum
mit großer Kunst vorgetragen Nofretete
erstklassig künstlerisch
das vergnügte Hurra das Publikums
erfolgreich
Bühnen-Persona Erfolg Kabarett Repertoire/Chansons Vortrag
groteske Drastik Stern der Kleinkunstbühne
direkt grotesk Star
384 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 245. „[…] auch seit langer Zeit wieder einmal Margo L i o n , die vor allem durch den überzeugenden Vortrag des Schifferschen Chansons ‚Der Vamp‘, das man vor einigen Tagen in der Metropoltheater-Operette verhunzt hörte, zeigte, wie man aus diesem Chanson heraus die ganze Rolle hätte bezwingend darstellen können.“ (–g.: „Januar im Kabarett der Komiker“, in: 12UM, AdK S/L, Sig. 61.3) 246. „Wenn man Margo Lions technisch vollendete Vortragskunst erwähnt, […].“ (W. J.: „Kabarett der Komiker“; in: BLA, AdK S/L, Sig. 61.3) 1931 (Sie werden von uns hören) 247. „Margo L i o n mit ihrem ‚Sex appeal‘ ist nie zuviel – im Gegentiel [angelehnt an das Chanson, Anm. S. D.] – man hat immer wieder seine Freude an dieser einzigartigen Frau voll Laune und Witz.“ (v. J.: „‚Sie werden von uns hören!‘ Das Nelsonprogramm im Februar“, in: Tempo, MorgenAusg. [06.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) 248. „Und die hinreißende M a r g o L i o n mit ihren ebenfalls bekannten Holländer-Liedern von ‚Sex-appeal‘, von ‚Daffke‘ und von der nackt überraschten Dame, die sich französisch darüber freut.“ (H.K.: „‚Sie werden von uns hören‘. Notenköpfe aus der neuen Nelson-Revue“, in: BZaM [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2)
Bühnen-Persona Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
bezwingend überzeugender Vortrag
ausdrucksstark souverän
Kunst Leistung/Können Vortrag
vollendete Vortragskunst
künstlerisch perfekt
Bühnen-Persona Geschlecht Originalität Publikum Repertoire/Chansons
Laune und Witz
einzigartig komisch
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Frankreich/Paris Repertoire/Chansons
hinreißend nackt überraschte Dame, die sich französisch freut
Dame französisch frivol hinreißend
C HRONOLOGISCH
249.
250.
251.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„An der Spitze M a r g o L i o n . Zwei Chansons, zwei Treffer. ‚Sex appeal‘ möchte sie haben und, wenn ihr die Garbo zu Füßen liegt, ‚nie‘ sagen. Da sitzt jeder Ton, jede Variation, jede Zeile.“ (P. M.: „Sie werden von Nelson hören! Neues Programm im Nelson-Theater“, in: NBZ [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Ergänzt durch Chansons von Holländer, die Margo Lion brachte, zwar alte, die aber dennoch ihre Durchschlagskraft nicht eingebüßt haben. Hier allein war das, was heutige Kabarettkunst ist, zu spüren. Hier, in ‚Daffke‘, ‚Sex appeal‘ und einem französischen Chanson wurden Persönlichkeiten und Stil, die Phantastik des Vortrags deutlich. Hier allein […] war auch der Kontakt zum Publikum gegeben.“ (P. J. B.: „Zwischenspiel bei Nelson“, in: BBK, Abend-Ausg. [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Das beste an der Revue sind zwei Nummern, die M a r g o L i o n , die unvergleichliche, das linke Auge halb geschlossen und dadurch an Marlene Dietrich erinnernd, mit unerhörtem Schmiß vorträgt: ‚Aus Daffke‘, ‚Sex appeal‘. Aber diese beiden Nummern gehören gar nicht zu dieser Revue; sie sind nicht neu, sondern seit langem bewährt.“ (Ernst Degner: „Marcellus Schiffers Schnell-Revue. Nelson-Theater“, in: Der Abend [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2)
DER
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UND
W ERTEANALYSE
ǀ 385
Chanson-Protagonistin Erfolg Leistung/Können Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
an der Spitze da sitzt jeder Ton / Variation / Zeile
erstklassig souverän
Chanson-Protagonistin Kabarett Kunst Publikum Repertoire/Chansons Vortrag
Durchschlagskraft der Chansons heutige Kabarettkunst Kontakt zum Publikum Persönlichkeiten der Chansons werden deutlich Phantastik des Vortrags
ausdrucksstark französisch individuell künstlerisch mitreißend modern phantastisch
Bühnen-Persona Körperlichkeit Repertoire/Chansons Vergleich zu anderen KünstlerInnen Originalität Vortrag
an Marlene Dietrich erinnernd das linke Auge halb geschlossen mit unerhörtem Schmiss unvergleichlich
einzigartig schmissig
386 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 252.
253.
254.
„Volle Zündung haben nur zwei Länder [sic!], die Margo Lion singt, ‚Aus Daffke‘ und ‚Sex Appeal‘. Bekannte Texte mit der glänzenden Musik von Friedrich Hollaender. Wie die Lion das hinlegt, jedes Wort und Bewegung ein Treffer, auch das ist bekannt.“ (Bur.–: „‚Sie werden von uns hören!‘“ [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Am stärksten natürlich M a r g o L i o n , deren zwei Chansons von Friedrich H o l l ä n d e r vertont sind […]. Aber diese Holländerschen Chansons haben es in sich. Ausgezeichnet gemacht mit schmissiger, direkt auf die Lion eingestellter Musik und von ihr m e i s t e r h a f t v o r g e t r a g e n , sowohl das populäre ‚A u s D a f f k e ‘ wie das mitreißend temperamentvolle ‚S e x - a p p e a l ‘, das wohl die Krone des ganzen Abends darstellt und ihn darum auch beschließen sollte. Dazwischen bringt sie das schon einmal von ihr kreierte französische Lied ‚I l m ’ a v u n u e … ‘, das eine erste französische Kabarettistin nicht besser bringen könnte als sie.“ (–n.: „‚Lion und Ehrlich‘ in der SchifferRevue wieder bei Nelson“, in: Charlottenburger Neue Zeit [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Und dann kommt sie. Die Künstlerin, deren Name ins Theater lockt: M a r g o L i o n . Sie tritt nur dreimal auf. Obendrein mit Chansons, die wir schon kennen, mit einem französischen Liede Il’a vue toute nue und mit den beiden Schlagern einer Revue des KünstlerTheaters: ‚Aus Daffke‘ und ‚Sex-Appeal‘. Jeder Ton, jede Geste ist mir bekannt, und ich
Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
jedes Wort, jede Bewegung ein Treffer volle Zündung
souverän temperamentvoll
Diseuse Erfolg Frankreich/Paris Leistung/Können Musik Repertoire/Chansons Vortrag
am stärksten ausgezeichnet Krone des Abends meisterhaft vorgetragen Musik auf Lion eingestellt nicht schlechter als eine erste französische Kabarettistin schmissig
ausgezeichnet erstklassig französisch individuell meisterhaft mitreißend schmissig temperamentvoll
Bühnen-Persona Erfolg Frankreich/Paris Karriere/Entwicklung Körperlichkeit Kunst Leistung/Können
alles an ihr, Hals, Beine, Nase ist zu lang bekannte Töne und Gesten edel eine Natur entfesselt Erfolg französisch
elegant erfolgreich fesselnd französisch harmonisch kreatürlich künstlerisch lang mächtig
C HRONOLOGISCH
SORTIERTE
R EZENSIONEN
könnte sie trotzdem Abend für Abend hören, ohne Überdruß. Denn von dieser Frau geht das Geheimnis aus, von ihr strömt die Macht, die überrumpelt. Weil alles an ihr, Hals, Beine, Nase, zu lang ist, so klingt alles in Harmonie zusammen. Wenn sie sich entfesselt, Frau Uebermut in Person, so steckt sie den Nüchternsten mit einem Schwips an, mit einem Schwips aus der edelsten Traube. Sie pfeffert uns, im französischen Text, ein stummes E, gespenstisch laut geworden, an die Ohren. Sie läßt das Erwartete, den Refrain als Ueberraschung aufblitzen: das Schlagwort ‚Daffke‘, den Kehrreim von Sex-Appeal, den sie durch das kleine Einmaleins Spießruten laufen läßt. Margo Lion ist mehr als eine Spezialität. Sie ist eine Natur. Ihren Marcellus Schiffer, den gefälligen Reimer, haben wir vergebens zum Zupacken aufgerufen. Aber der Appell an die Direktoren muß endlich gelingen: gebt diesem Talent Rollen! Wir haben einen tänzerischen Geist wie Curt Bois aus der Operette in die Komödie steigen lassen. Jetzt fordern wir die gleiche Leiter für Margo Lion. Sie wird aufsteigen, von Grazie gesegnet, im Takte des Frohsinns, und sie wird in große Häuser mitbringen, was sie in Nelsons Saal umrauscht: Erfolg!“ (Monty Jacobs: „Margo Lion bei Nelson. ‚Sie werden von uns hören‘, in: VZ, AbendAusg., Nr. 61 [05.02. 1931], S. 3)
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Marcellus Schiffer Originalität Repertoire/Chansons Vergleich mit anderen KünstlerInnen Stimme Vortrag
UND
W ERTEANALYSE
Frau Übermut in Person geheimnisvoll gespenstisch im Takte des Frohsinns klingt harmonisch zusammen Künstlerin laut mächtig Schwips Spezialität Talent von Grazie gesegnet
ǀ 387
mitreißend Spezialität talentiert temperamentvoll unheimlich
388 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 255.
256.
257.
258.
„Die L i o n ist mitunter dabei, singt ihre unverwüstlichen Schlager aus Holländers letzter Sommer-Revue. Vor allem das Sex-appeal-Chanson zündet auch hier.“ (E. J.: „Berliner Bühnen. Bunte NelsonBühne“, in: Film-Kurier [05.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „M a r g o L i o n , deren Eigenart hier besonders goutiert wird, schoß in einem aktuellen Friedrich-Hollaender-Couplet ‚Aus Daffke‘ wohl den Vogel ab; schwächer waren das französische Chanson und die etwas abgestandene Sex-appealAngelegenheit.“ (Hermann Pfaender: „Zwischenakt bei Nelson. Kabarett und Revue“, in: DKJ [06.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Margo Lion mit ihrem berühmt gewordenen DaffkeLied, ihrem Sex-appeal- und ihrem französischen Chanson, unvergleichlich in ihrer grotesken Pointiertheit.“ (DTZ, Abend-Ausg. [06.02.1931], AdK S/L, Sig. 11 u. AdK S/L, Sig. 15.2) „Wirklich herrlich Margo Lion mit einem Couplet Sex-appeal, in dem sie dies Modeschlagwort k. o. haut. Diese Frau, in ihrer Figur schon Karikatur, biegt selbst zahme Texte um und flößt ihnen bissige Schärfe ein. So wird Margo Lion wieder das Ereignis des Abends.“ (–o.: „‚Sie werden von uns hören‘. Nelson-Theater, in: BVZ, Morgen-Ausg. [06.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2)
Erfolg Repertoire/Chansons
unverwüstliche Schlager zündet
erfolgreich
Erfolg Originalität Repertoire/Chansons Vortrag
Eigenart schoss den Vogel ab
erstklassig französisch individuell
Bühnen-Persona Originalität Repertoire/Chansons
grotesk pointiert unvergleichlich
einzigartig französisch grotesk pointiert
Chanson-Protagonistin Erfolg Körperlichkeit Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
biegt selbst zahme Texte um flößt Texten bissige Schärfe ein Ereignis des Abends herrlich in ihrer Figur schon Karikatur
erstklassig frivol karikaturistisch satirisch scharf
C HRONOLOGISCH
259.
260.
261.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Neben dem allem hören wir noch eine; eine die eine Klasse für sich ist, und noch dazu nur die drei Chansons singt, die man schon kennt. Aber man ist beglückt, sie wieder zu hören: ihre Glanznummern ‚Aus Daffke‘, ‚Sex Appeal‘ und das französische ‚Il m’a vu nue‘; denn wer kann in Deutschland so Chansons bringen, wer ist die deutsche Yvette Guilbert? Es ist Margo Lion.“ (M.L.: „Zwischenspiel im NelsonTheater. Marcellus SchifferSchnell-Revue“, in: BMo [07.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Hier endlich kommt neben Ehrlich auch die phänomenale, in der letzten Zeit über sich selbst hinausgewachsene M a r g a L i o n zu vollster Geltung. Friedrich H o l l ä n d e r s ‚Sex appeal‘ kam in ihrer Interpretation zu einem beispiellosen Erfolge. Und ihr französisches Chanson könnte Lyon anstatt Lion sein. Auch ‚Aus Daffke‘, ebenfalls Friedrich Holländer, brachte ihr brausenden Beifall.“ (Fewo: „Bei Rudolf Nelson. Ehrlich gesagt – Ehrlich!“, in: BH [08.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Im zweiten Teil der Clou: Margo Lion. Auch sie bringt bekannte Sachen; aber man kann sie immer wieder hören, immer wieder ihr ‚Daffke‘, ‚Sex appeallied‘ (von Holländer) und ihr französisches Lied ‚Il m’a vue nue‘, sind herrlich.“ („‚Sie werden von uns hören‘. Nelson im Februar“, in: Anzeiger für den Berliner Norden [09.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2)
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W ERTEANALYSE
ǀ 389
Repertoire/Chansons Vergleich mit anderen KünstlerInnen Originalität Vergleich mit anderen KünstlerInnen
die deutsche Yvette Guilbert eine Klasse für sich
erstklassig französisch
Frankreich/Paris Karriere/Entwicklung Leistung/Können Publikum Repertoire/Chansons Vortrag
beispielloser Erfolg brausender Beifall Lyon anstelle von Lion phänomenal über sich selbst hinausgewachsene
erfolgreich erstklassig französisch
Erfolg Frankreich/Paris Leistung/Können Repertoire/Chansons
der Clou herrlich
erstklassig französisch
390 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 262.
263.
264.
„Zwischendurch singt Margo Lion mit ihrem unnachahmlichen Schmiß ihre HolländerChansons ‚Daffke‘ und ‚Sex Appeal‘, […].“ (Ismar Lachmann: „Berliner Theater. Skandal um Brecht im Staatstheater. – Zwischenspiel bei Nelson“, in: Breslauer Zeitung [10.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) „Margo Lion, schlechthin die Dame mit dem Schwanenhals, parodiert in’s eigene Zentrum: Als ihr eigener Exzentrik zeigt sie die Dame in der Dämlichkeit; setzt sich auf’s Spiel – und gewinnt. Ein Schwan darf ruhig sich einmal zur Gans machen; die Gans hüte sich zu schwanen. Die Lion ist Schwan vom Schnabel bis zur Flosse. Ein heiterer Schwan. Ein Gelächter Stefan Georges – das es nicht gibt…“ (Dbd.: „Nelson und Dante“, in: Frankfurter Zeitung u. Handelsblatt, Abend-Ausg. [12.02.1931], AdK S/L, Sig. 15.2) 1931 (Alles Schwindel) „[…] Margo Lion, wundervoll echt und unbeschwert, oft von einer köstlichen Kaltschnäuzigkeit. Ihre Stärke wiederum die Chansons – der Textdichter Marcellus Schiffer ist dem Librettisten Schiffer um Längen voraus –, die sie mit einer zauberhaften Leichtigkeit bringt.“ (Arnold Lippschitz: „Die neue Spoliansky-Schiffer-Revue. Alles Schwindel. Im Kurfürstendamm-Theater“, in: 12UM, AdK S/L, Sig. 11)
Bühnen-Persona Originalität Repertoire/Chansons
unnachahmlicher Schmiss
einzigartig schmissig
Bühnen-Persona Chanson-Protagonistin Geschlecht Körperlichkeit Vortrag Zeitkritik
Dame der Dämlichkeit Dame mit dem Schwanenhals exzentrisch Gans heiter parodiert ins eigene Zentrum Schwan vom Schnabel bis zur Flosse setzt sich auf’s Spiel
Dame elegant exzentrisch heiter lang naiv parodistisch schön
Authentizität Bühnen-Persona Marcellus Schiffer Repertoire/Chansons Vortrag
ihre Stärke sind die Chansons köstliche Kaltschnäuzigkeit unbeschwert wundervoll echt mit zauberhafter Leichtigkeit
authentisch erstklassig kühl leicht
C HRONOLOGISCH
265.
266.
267.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Den Löwenanteil holt sich die Diseuse Margo Lion, mit phantastisch kühnem Schmiß; man braucht aber kein grämlicher Sittenrichter zu sein, wenn man es nicht als Gipfel der Theaterkultur empfindet, daß sie ein mit Sch. anfangendes Wort durch dreimalige Wiederholung salonfähig machen will.“(Lutz Weltmann: „‚Alles Schwindel‘. Im Kurfürstendamm-Theater“, in: BVZ, Morgen-Ausg., AdK S/L, Sig. 22.4) „Margo Lion vermag es, durch verschiedene Nüancierung zu variieren, und auch ihr gelingt es nicht immer, mit den gleichen Worten Doppelsinn vorzutäuschen. […] Sie ist die einzige, die Abgestandenes oder Geschmackloses schmackhaft bringen kann.“ (Johannes Brandt: „Reinhardt-Revue. Alles Schwindel“, in: Film-Kurier, AdK S/L, Sig. 22.4) „M a r g o L i o n ist seine [Gustav Gründgens, Anm. S. D.] Partnerin; selten hat sie Witz und Frechheit, gute Laune und Ironie so gut verschmolzen. Der Schlager ‚Mir ist so nach dir‘ wird von Gründgens und der Lion ‚gemacht‘.“ (Hugo Kubsch: „‚Alles Schwindel.‘ Im Kurfürstedammtheater“, in: Deutsche Tageszeitung, AdK S/L, Sig. 22.4)
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W ERTEANALYSE
ǀ 391
Bühnen-Persona Diseuse Repertoire/Chansons
kühn phantastisch Schmiss
phantastisch schmissig
Bühnen-Persona Leistung/Können Vortrag
variiert mit verschiedenen Nuancierungen
einzigartig vielfältig
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons
frech gute Laune ironisch witzig
frech heiter komisch satirisch
392 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 268.
269.
„Auf sie [die Gesellschaft, Anm. S. D.] singt Margo L i o n ein Chanson, dessen vernichtendes Werturteil an einem einzigen, zwar nicht salonfähigen, aber in keinem modernen deutschen Bühnenstück fehlenden Wort gipfelt. Sie darf es als Refrain in drei Strophen wiederholen (was zweimal zuviel ist), und da ihre blendende Vortragskunst dieses mit einem Zischlaut beginnende, despektierliche Wort wagt, so wird nicht gezischt, sondern geklatscht. Selbsterkenntnis unter den steifen Hemdbrüsten und kolliergeschmückten Ausschnitten?“ (Moritz Loeb: „‚Alles Schwindel!‘ KurfürstendammTheater“, in: BMo, AdK S/L, Sig. 22.4) „Zusammen mit der grotesken M a r g a L i o n hat er [Gustav Gründgens, Anm. S. D.] gewissermaßen die Hauptkosten des Abends zu bestreiten. In der großen Gesellschaftsszene triumphiert die Lion, wenn sie mit ihrem parodistischen Chansons der Gesellschaftsschicht einen Spiegel vorhält, dessen ungewohnter Anblick alle betreten macht.“ (R–e: „‚Alles Schwindel‘. SchifferSpoliansky-Revue am Kurfürstendamm“, in: Der Berliner Westen, AdK S/L, Sig. 22.4)
Erfolg Kunst Publikum Repertoire/Chansons Vortrag Zeitkritik
blendende Vortragskunst modern nicht salonfähig vernichtend
erfolgreich erstklassig künstlerisch modern ordinär satirisch
Bühnen-Persona Erfolg Repertoire/Chansons Zeitkritik
grotesk parodistisch
erfolgreich grotesk parodistisch satirisch
C HRONOLOGISCH
270.
271.
272.
273.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„[…] dem aber auch Margo Lions scharmante Art die eigene, bezwingende Nuance verleiht. Wie sie ihre Sache hervorbringt, selbst der alten ‚Wenn die Elisabeth‘-Parodie Reize abgewinnt oder das Chanson auf die Gesellschaft mit dem urkräftigen Schlußwort singt, das entschädigt im Kleinen für den im Großen enttäuschenden Abend.“ („‚Alles Schwindel!‘ im Kurfürstendamm-Theater!“, in: BMZ, AdK S/L, 22.4) „Eine Kurfüstendamm-Revue von Marcellus S c h i f f e r , in den gepfefferten Partien von seiner Gattin Margo L i o n gesungen.“ (Dr. B.: „‚Alles Schwindel!‘ Theater am Kurfürstendamm“, in: DZ, AdK S/L, Sig. 22.4) „[…] der souveränen Kabarettbegabung einer Margo Lion […].“ (M…s: „Alles Schwindel im Kurfürstendamm-Theater“, in: Berlin am Morgen, AdK S/L, Sig. 22.4) „Bleibt als Gewinn die immer rassige, schmissige Margo L i o n mit ihrer scharfen und doch immer liebenswürdigen Diktion […].“ (Rudolf Lothar: „Berliner Theater. ‚Natalie.‘ – ‚Alles Schwindel.‘ – ‚Deserteure.‘ – ‚Die Sache, die sich Liebe nennt.‘ – ‚Der lustige Krieg.‘“, in: Neues Wiener Journal, AdK S/L, Sig. 22.4)
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W ERTEANALYSE
ǀ 393
Bühnen-Persona Repertoire/Chansons Originalität Vortrag
charmante Art eigene, bezwingende Nuance urkräftig
charmant individuell mitreißend
Marcellus Schiffer Vortrag
gepfeffert
scharf
Kabarett Leistung/Können
Kabarettbegabung souverän
talentiert souverän
Bühnen-Persona
liebenswürdig rassig scharf schmissig
rassig scharf schmissig sympathisch
394 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 274.
275.
276.
„Da seine [Gustav Gründgens, Anm. S. D.] Partnerin, die hinreißende, die einzigartige Diseuse Margo L i o n ist, kann man mir aufs Wort glauben, daß sich hier ein Revuepaar vorstellt, das an Eindringlichkeit und Schwung seinesgleichen nicht hat. Eine besondere Ueberraschung ist die unverkitschte Schmiegsamkeit, mit der die beiden das Chanson ‚Mir ist heute so nach Dir‘ zwischen Lyrik und Spott gleiten lassen.“ (H. G. Lustig: „‚Alles Schwindel‘. Revue im Kurfürstendamm-Theater“, in: BMo [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Er [Gustav Gründgens, Anm. S. D.] und Margo L i o n haben ihren großen Abend – die Lion eine einzige, schlenkrige, amüsante Frechheit, Mittelding zwischen großer Dame (sowohl mit, als ohne Kleid) und Gassenbub.“ (Lbg.: „‚Alles Schwindel.‘ Kurfürstendamm-Theater“, in: BLA [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „An der Spitze der Damen M a r g o L i o n , die Chansonette des Kurfürstendamms. Frechheit und Anmut meisterhaft verbindend.“ („Revue am Kurfürstendamm: ‚Alles Schwindel‘. Von Marcellus Schiffer und Mischa Spoliansky“, in: Deutsche Zeitung [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
Diseuse Repertoire/Chansons Vortrag
einzigartig eindringlich schwungvoll zwischen Lyrik und Spott
ausdrucksstark einzigartig sachlich satirisch temperamentvoll zynisch
Bühnen-Persona Erfolg Körperlichkeit
amüsant Dame Gassenbub schlenkrig
Dame frech komisch schlenkrig
Berlin Bühnen-Persona Diseuse
anmutig Chansonette des Kurfürstendamms frech
elegant frech meisterhaft
C HRONOLOGISCH
277.
278.
279.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Neben ihm M a r g o L i o n , mit einem erstaunlich beherrschten und geschulten Körper, ihrer großen Vortragskunst, ihrer seltsamen Stimme und ihrem grotesken Sinn, eine Partnerin von Format.“ (Dr. Paul Adam: „Schiffer-Spolansky: ‚Alles Schwindel‘. Kurfürstendammtheater. Uraufführung“, in: Germania, Abend-Ausg. [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Die besten Gesangsnummern hat Margo L i o n – oder sie werden es dank ihrem suggestiven Talent der anmutigfrechen Pointierung.“ (Klaus Pringsheim: „‚Alles Schwindel.‘ Kurfürstendamm-Theater“, in: Der Abend [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Den Erfolg des Abends hat Margo Lion. Lang und dürr und schmiegsam, fast mehr Ornament als Frau, hingezeichnet von Beardsley oder von Toulouse-Lautrec als Kabarettplakat, in langem, gelben Kleid und schwarzem Umhang, mit großen schlenkrigen Bewegungen, starker Ausdrucksfähigkeit des Vortrags und einer Singstimme, die von einem leichten hellen Vogelton, der das Saxophon begleitete, bis zu ihr gemäßen rauheren Burschikosität variiert.“ (B. E. Werner: „Die Hochstapelrevue. ‚Alles Schwindel‘ – Kurfürstendammtheater“, in: DAZ [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
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W ERTEANALYSE
ǀ 395
Kunst Körperlichkeit Leistung/Können Stimme Vortrag
beherrscht und geschulter Körper große Vortragskunst grotesker Sinn seltsame Stimme
grotesk komisch künstlerisch souverän
Repertoire/Chansons Vortrag
anmutig frech pointiert
elegant frech pointiert talentiert
Bühnen-Persona Erfolg Geschlecht Frankreich/Paris Körperlichkeit Kostüm Stimme Vortrag
ausdrucksstarker Vortrag burschikos dünn lang mehr Ornament als Frau schlenkrige Bewegungen Toulouse Lautrec
ausdrucksstark dünn erfolgreich krächzend kreatürlich lang leicht schlenkrig
396 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 280.
281.
282.
„Margo L i o n (Evelyne, die Commère) und G r ü n d g e n s (Tonio, der Compère) ergänzten einander in Temperament und Laune. Margo Lions Kurfürstendammkomik ist runder geworden, ohne die aparte Note zu verlieren […].“ („Die Schiffer-Spoliansky-Revue im Kurfürstendamm-Theater“, in: 8UA [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „[…] die L i o n ist nun eine große Nummer und sie hat nun einen einmaligen Typ geschaffen.“ (Kn.: „Alles Schwindel. Klein-Revue im Theater am Kurfürstendamm“, in: WaA [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Aber wirklich durchschlagend ist nur Margo L i o n . Sie hat eine Nummer, eine doppelte Parodie, auf den Schlager ‚Wenn die Elisabeth…‘ und auf Bruckners ‚Elisabeth von England‘. Wie Margo Lion diese Nummer mimisch durchkomponiert, wie sie jede Note in den Beinen, in den Armen, im ganzen Körper hat – das ist wieder das Zeichen der geborenen Chansonette.“ (Herbert Ihering: „Kurfürstendammtheater: Alles Schwindel“, in: BBK [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
Bühnen-Persona Karriere/Entwicklung Leistung/Können Repertoire/Chansons
apart komisch temperamentvoll
grotesk heiter komisch temperamentvoll
Bühnen-Persona Erfolg Karriere/Entwicklung
einmaliger Typ große Nummer
einzigartig erstklassig Typ
Diseuse Erfolg Körperlichkeit Repertoire/Chansons Vortrag
durchschlagend
erfolgreich talentiert
C HRONOLOGISCH
283.
284.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„[…] vor allem Margo Lion. Frech und voller Grazie legt sie wieder ein Chanson hin, da sitzt zuckend jedes Wort, da klappt noch der kleinste Schritt; grossartig. […] Die Hauptnoten ziehen abwärts, aber die raschen Nebennoten bleiben zart widerstrebend auf ihrem Platze. Es ist eine männlich-weibliche Melodie, wie gemacht für ein Duett zwischen der jungenhaften Margo Lion und dem damenhaften Gustaf Gründgens; […].“ (Bur. u. A. E.: „‚Alles Schwindel!‘ Kurfürstendamm-Theater“; in: BT [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Hier war Margo L i o n die große Siegerin. Mit genialer Leichtigkeit strafte sie den Titel der Revue, der wohl das künftige Modewort am Kurfürstendamm sein dürfte, Lügen und zeigte sich eben als jene überkluge, stets graziöse, immer heitere Primadonna, die es seit den Glanzzeiten der Massary in Berlin nicht mehr gab.“ (–s.: „‚Alles Schwindel‘. Die neue Revue im Kurfürstendamm-Theater“, in BIN [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
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W ERTEANALYSE
ǀ 397
Geschlecht Leistung/Können Stimme Vortrag
jungenhaft frech voller Grazie
androgyn elegant frech souverän
Bühnen-Persona Erfolg Leistung/Können Vergleich mit anderen KünstlerInnen
genial graziös heiter überklug Primadonna Siegerin
Diva elegant erfolgreich erstklassig genial heiter intelligent leicht
398 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 285.
286.
„Das zentrale Paar paßt ausgezeichnet zusammen, sie haben beide, Margo Lion und Gründgens, die spielerische Eleganz, die die betroffene Gesellschaftsschicht gleichzeitig charakterisiert und verulkt. Am köstlichsten ist die Lion freilich, wenn sie in der Gesellschaftsszene ganz aus der Tüte springt und mit delikater Frechheit Dinge ins Parkett schmettert, die man von der Bühne aus nicht oft zu hören bekommt.“ (H. W. F.: „Theater und Musik. ‚Alle Schwindel‘. [Kurfürstendammtheater]“, in: DWaM [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Und die M a r g o L i o n ist noch immer eine Königin in ihrem Reich, welches das Reich des Spleen, der Ironie, des Snobismus und der süßesten, grotesken Anmut ist, ein Reich, über das der große Meister der ‚Großherzogin von Gerolstein‘ sich sicherlich gefreut hätte.“ (Willy Haas: „Spoliansky-Schiffer-Revue ‚Alles Schwindel‘. Kurfürstendamm-Theater“; in: MM [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
Bühnen-Persona Vortrag Zeitkritik
delikate Frechheit spielerische Eleganz verulkt
elegant frech leicht satirisch schmetternd
Bühnen-Persona
grotesk ironisch snobistisch Spleens süß
elegant grotesk satirisch
C HRONOLOGISCH
287.
288.
SORTIERTE
R EZENSIONEN
„Und das Publikum von Berlin W applaudiert stürmisch, wenn die Margo L i o n , deren Mund zu schade ist, um sich ein Blatt vorzunehmen, dieses Treiben refrainfest mit einem einzigen Wort erledigt: einem Wort, das sich, in Leipzig, auf Pleiße reimen würde. […] Das Mir-Dir-Duett vereinigt LionGründgens: Margo singt den Bariton, Gustav den Alt – sehr reizvoll und eine verkehrte Welt mit natürlichen Mitteln (Stimmmitteln) bezeichnend. Die langbeinige, langköpfige, langnasige Lion, die ein Auge zudrückt, wenn es scharf wird, ist die Löwin des Abends.“ (V. Wittner: „Die Revue ‚Alles Schwindel‘. Schiffer-Spoliansky im KurfürstendammTheater“, in: BZaM (13.04.1931), AdK S/L, Sig. 22.4) „Margo Lion triumphiert wie immer mit dem Volltemperament der Wurstigkeit, mit ihrer witzigen Schlankheit, mit ihrer überkühnen Länge, die mit der Gewohnheit zu einer grotesken Schönheit geworden ist. Mit dieser furiosen Grazie macht sie noch ein Wort unschuldig, das mit Sch anfängt, und von dem ich nicht sagen werde, wie es weiter geht.“ (Arthur Eloesser: „‚Alles Schwindel‘. Kurfürstendamm-Theater“, in: VZ, Abend-Ausg., Nr. 173 [13.04.1931], S. 3)
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ǀ 399
Geschlecht Körperlichkeit Publikum Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
langbeinig langköpfig langnasig
androgyn erfolgreich intelligent lang scharf tiefe Stimme
Bühnen-Persona Erfolg Körperlichkeit Vortrag
furiose Grazie groteske Schönheit macht Worte wie Sch… unschuldig triumphiert überkühne Länge Volltemperament der Wurstigkeit witzige Schlankheit
dünn elegant erfolgreich grotesk komisch lang mitreißend schön temperamentvoll
400 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 289.
290.
291.
„Unter den Mitwirkenden steht M a r g o L i o n beherrschend im Vordergrunde. Von einer kabarettistischen Spezialität, als die wir sie schon lange schätzen, hat sie sich zu einer Darstellerin besonderen Formates entwickelt, die ihre persönliche Note so vielfach zu variieren vermag, daß sie einen ganzen Abend lang das Interesse immer wieder neu zu beleben versteht. Nicht nur, daß sie jede Pointe treffsicher und doch ohne Aufdringlichkeit herausarbeitet, sie weiß sie zu einem geschlossenen Bilde zusammenzufassen, so daß eine lebensechte Type entsteht und die Totalität einer einheitlichen schauspielerischen Gestaltung erreicht wird.“ (Franz Köppen: „Die neue Kurfürstendamm-Revue. ‚Alles Schwindel!‘ Kurfürstendamm-Theater“, in: BBZ, Nr. 170 [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Bezaubernd jedoch M a r g o L i o n , voll grotesker Anmut, mit jener zynischen Grazie, die sie allen Situationen überlegen zeigt, hinreißend im Vortrag der gewagtesten Lieder. Wenn Paris auf seine Mistinguette stolz ist, so darf der Kurfürstendamm von Margo Lion ebenso begeistert sein.“ (Erik Krünes: „‚Alles Schwindel‘. Die neue Schiffer-Spoliansky-Revue im Kurfürstendammtehater“, in: Der Montag [13.04.1931], AdK S/L, Sig. 2.5 u. 22.4) „[…] und das große KabarettTalent Margo Lion derb-drastische Chansons hinlegt, […].“ (Richard Riedel: „‚Alles Schwindel‘. Kurfürstendammtheater“, in: Der Tag [14.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
Bühnen-Persona Erfolg Kabarett Karriere/Entwicklung Leistung/Können Originalität Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
Darstellerin besonderen Formats kabarettistische Spezialität kann eigene persönliche Note vielfach variieren lebensechte Type ohne Aufdringlichkeit steht beherrschend im Vordergrund Totalität einer einheitlichen schauspielerischen Gestaltung treffsichere Pointen
ausdrucksstark authentisch erstklassig individuell interessant pointiert Spezialität Typ vielfältig
Berlin Bühnen-Persona Frankreich/Paris Repertoire/Chansons Vergleich mit anderen KünstlerInnen Vortrag
bezaubernd groteske Anmut hinreißend mit gewagten Liedern Mistinguette des Kurfürstendamms überlegen zynische Grazie
berlinerisch charmant elegant französisch grotesk hinreißend souverän zynisch
Kabarett Leistung/Können Repertoire/Chansons
derb-drastische Chansons Kabaretttalent
direkt ordinär talentiert
C HRONOLOGISCH
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293.
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296.
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R EZENSIONEN
„Margo Lion singt ihn [den Tango ‚Mir ist so nach dir‘, Anm. S. D.] hinreißend und schießt den Vogel ab mit der Exzentrizität ihrer Glieder.“ (Ismar Lachmann: „Berliner Theater“, in: Cottbusser Anzeiger (14.04.1931) u. Breslauer Zeitung [23.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Margo Lions groteskkomischen Humor […].“ (Friedrich Marker: „Berliner Theaterbrief. Von unserem Berliner Theaterkorrespondenten), in: Münchener Zeitung [14.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Margo Lion schlenkrige Bewegungen unterstreichen die amüsante Plakathaftigkeit ihrer starken Kabarettbegabung.“ (Friedrich Märker, in: Danziger Neueste Nachrichten [16.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „Die L i o n ist seine [Gustav Gründgens, Anm. S. D.] energiegeladene Gegenpartnerin.“ (S.: „Alles Schwindel. Theater am Kurfürstendamm“, in: BH [19.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „[…] aber die ganz große Sache des Abends ist doch wieder einmal Marga Lion; ihre ganz ausgezeichnete Vortragskunst entzückt und reißt mit.“ (E.: „Berliner Theater“, in: Badische Presse, Karlsruhe [19.04.1931], Adk S/L, Sig. 22.4)
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ǀ 401
Erfolg Körperlichkeit Repertoire/Chansons Stimme Vortrag
exzentrisch schießt den Vogel ab
erstklassig exzentrisch hinreißend
Bühnen-Persona
groteskkomischer Humor
grotesk komisch
Kabarett Leistung/Können Vortrag
amüsant schlenkrig starke Kabarettbegabung
komisch talentiert schlenkrig
Bühnen-Persona
energiegeladen
temperamentvoll
Erfolg Kunst Vortrag
ausgezeichnete Vortragskunst entzückt reißt mit
ausgezeichnet erstklassig künstlerisch mitreißend
402 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK 297.
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„Auch diese Schiffer-Revue ist auf Couplets gestellt. Was davon einigermaßen Niveau hat, singen und sprechen Margo L i o n und Gustaf G r ü n d g e n s , der auch die Regie führt. Hier liegt schon der Grundfehler des Ganzen. Die Lion ist ein Unikum, ein in ihrer Art geniale Einmaligkeit; aber gerade darum darf sie nicht eine tragende Rolle spielen. Sie ist dazu geschaffen, zwei, drei Nummern aus ihrer grotesken Geschmeidigkeit herauszuschießen. Dann wirkt sie, dann ist sie ein Phänomen. Sobald sie eine ‚Rolle‘ spielt, hört der Zauber ihrer Eigenart auf, sie wird eine mittelmäßige Schauspielerin, die sich zwischen den Couplets auf der Bühne unglücklich fühlt. Man hätte diesen Fehler einigermaßen gutmachen können, indem man ihr eine Gegenspielerin gestellt hätte, die den Gegentypus der ungrotesken, liebenswürdigen Frau oder des hübschen, kleinen Mädels hätte darstellen müssen. Aber auf diesen naheliegenden Einfall kam man nicht.“ (Otto Ernst Hesse: „Theater in Berlin. ‚Alles Schwindel!‘“, in: Magdeburger General Anzeiger [24.04.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) „[…] worin die Diva in einem gesellschaftskritischen Chanson einmal das Wort ‚Scheiße‘ von den lieblichen Lippen springt. Allein dieser Sprung erfolgt mit Musikbegleitung, und zudem bilden die Lippen der Diva das Sprungbrett.“ (Tr. u. M. Nagler: „Berliner Theater“, in: Grazer Tagespost [08.05.1931], AdK S/L, Sig. 22.4)
Bühnen-Persona Leistung/Können Repertoire/Chansons Originalität
genial grotesk Unikum
einzigartig genial grotesk
Bühnen-Persona Körperlichkeit Repertoire/Chansons Vortrag
Diva
Diva satirisch
C HRONOLOGISCH
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R EZENSIONEN
„[…] und M a r g o L i o n s graziös-freche Beweglichkeit, ihre unnachahmliche echte Berliner Schnauze und ihren meisterhaften, hinsichtlich nicht stubenreiner Worte direkt mutigen Vortrag. Ihr tadelloser Wuchs hat durch einige Kilo Zunahme an geeigneten Stellen entschieden noch gewonnen und ihre geschmeidigen Bewegungen bringen ihre geschmackvollen, von Bild zu Bild wechselnden Toiletten voll zur Geltung.“ (Lell.: „Berliner Theater“, in: Passauer Tageblatt [25.05.1931], AdK S/L, Sig. 22.4) 1933 „Den musikalischen Teil bestreiten Willi Kollo, der Schlager-Dichter und -Komponist, und Margo Lion. Den ‚verrückten Liedern einer mondänen Frau‘ bleibt die Parodistin nichts schuldig, weder was das Mondäne, noch was die Verrücktheit angeht. Mit der ihr eigenen Souveränität demonstriert sie die Lüge der großen Gesten und der großen Worte.“ (V.M.: „Kabarett der Komiker“, in: VZ, AbendAusg., Das Unterhaltungsblatt, Nr. 8 [05.01.1933], S. 4)
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ǀ 403
Authentizität Berlin Körperlichkeit Kostüm Vortrag
Berliner Schnauze echt frech graziös meisterhaft unnachahmlich
authentisch berlinerisch beweglich direkt einzigartig elegant frech meisterhaft
Bühnen-Persona Leistung/Können Repertoire/Chansons Vortrag
keine großen Gesten und keine großen Worte mondän Parodistin Souveränität verrückt
mondän parodistisch sachlich souverän verrückt
Quellen- und Literaturverzeichnis
ARCHIVE (Signaturen und Titel von Archivalien sind den Fußnoten zu entnehmen) AdK E
Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Archiv Blandine Ebinger AdK Nelson Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Archiv Rudolph Nelson AdK S/L Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion AdK Spoliansky Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Archiv Mischa Spoliansky StKA Stiftung Deutsches Kabarettarchiv Mainz
Künste, Künste, Künste, Künste,
R EZENSIONEN , DIE NICHT IN DER CHRONOLOGISCHEN AUFFÜHRUNG DER T HEMEN - UND W ERTEANALYSE NACHGEWIESEN SIND „Ballrausch“, in: Vossische Zeitung, Nr. 40 (25.01.1927), S. 1f. „Blandine Ebinger: Die große Interpretin der Kleinkunst wird 90. Die Frau, der immer fünf Jahre fehlten“, in: Berliner Zeitung (01.11.1989) „Bühne und Film“, in: Der Premierentiger 3, Nr. 1 (1921) „Das tanzende Warenhaus“, in: Wiener Journal (22.05.1928) „Der Pudel“, in: Jede Woche Musik. Illustrierte Wochenschrift des Berliner Tageblatts 5, Nr. 25 (30.06.1928) „Diseusen“, in: Das Magazin 7, Nr. 81 (Mai 1931), S. 55882–55888 „‚Es liegt in der Luft‘. Gastspiel der Berliner ‚Komödie‘ im Schauspielhaus“, in: Kölner Tageblatt (01.11.1928)
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„Friedrich-Theater. Revue-Gastspiel der Komödie Berlin“, in: Anhalter Anzeiger (01.02.1929) „Margos Lieder begeistern seit 50 Jahren“, in: Bild, Berliner Ausg., Nr. 01.09.1979 „Moderne Berliner Kabarettypen“, in: Berliner Illustrirte Zeitung 32, Nr. 44 (04.11.1923), S. 890 „Revue bei Reinhardt. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: Badische Landeszeitung (21.05.1928) „Vergessen in Paris“, in: Weltwoche (30.04.1980) Adler, Max: „‚Es liegt in der Luft‘. Max-Reinhardt-Ensemble in der Komödie“, in: Sächsische Staatszeitung (15.01.1929) Bab, Julius: „Revue bei Reinhardt. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: Neue Badische Landeszeitung (21.05.1928) Brug, Manuel: „Immer noch das Kind. Blandine Ebinger wird neunzig“, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 254 (04./05.1989), S. 15 d.: „Im Stuttgarter Schauspielhaus“, in: Neues Tageblatt (02.01.1929) Degner, Ernst: „Die spritzigste Revue. Erstaufführung in der Komödie“, in: Vorwärts (16.05.1928) Deubel, Werner: „‚Es liegt in der Luft…‘. Gastspiel von Reinhardts Komödie Berlin“, in: Frankfurter Nachrichten (10.10.1928) –el.: „Es liegt in der Luft. Eine neue Marcellus-Schiffer-Revue“, in: Berliner Volkszeitung, Morgen-Ausg. (17.05.1928) F. E.: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der ‚Komödie‘“, in: Berliner Tageblatt (16.05.1928) F. L.: „Margo Lion und Mischa Spoliansky im Renaissance-Theater. Leichtes ohne Leichtsinn“, in: Die Welt (09.09.1977) Frerkring, Wilhelm: „Es liegt in der Luft. Revuegastspiel im Deutschen Theater“, in: Hannoversches Tageblatt (03.10.1928) Grunenberg, Angelika: „Als Parodie auf die moderne Frau wurde sie berühmt: Margo Lion, Kabarettistin und Schauspielerin. Geplärre von der Schlange. Ein Leben in den Zentren der Modern“, in: Kölner Stadtanzeiger (21.01.1982) –hn: „‚Es liegt in der Luft‘. Die Komödie“, in: Der Tag (17.05.1928) Ho, A.: „Es liegt in der Luft. Revuegastspiel im Erfurter Stadttheater“, in: Thüringer Allgemeine Zeitung (25.11.1928) Hosenthal, H.: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: Tägliche Rundschau (16.05.1928) Huwe, Gisela: „Blandine Ebinger – Eine große Künstlerin des ‚kleinen Chansons‘“, in: Lady (Januar 1981)
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L ITERATURVERZEICHNIS
ǀ 407
K., J.: „Wie vor 16 Jahren. Ein Abend mit Blandine Ebinger“, in: Berliner Zeitung (09.03.1948) Kästner, Erich: „Es liegt in der Luft!“, in: Neue Leipziger Zeitung (30.05.1928) Kaul, Walter: „Eine Stunde Blandine Ebinger“, in: Roland von Berlin, Nr. 12 (21.03.1948) Kotschenreuther, Hellmut: „Hinterhof und Märchenland. Blandine Ebinger singt Hollaender im Kleinen Theater“, in: Der Tagesspiegel (05.01.1975) Krafft, Erich: „Die Warenhaus-Revue. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: DTZ (16.05.1928) Kummer, Friedrich: „‚Es liegt in der Luft‘. Berliner Revue-Gastspiel in der Komödie“, in: Dresdner Anzeiger (15.01.1929) Lachmann, Ismar: „Berliner Theater. Drei aktuelle Revuen: ‚Es liegt in der Luft‘ – ‚Tempo Tausend‘ – ‚O Kurfürstendamm‘“, in: Breslauer Zeitung (19.05.1928) Landsberger, Artur: „Berliner Feuilleton“, in: Der Konfektionär (23.05.1928) Lubowski, Bernd: „Zu Besuch in Berlin: Margo Lion. Auf der Suche nach der Welt von gestern“, in: Berliner Morgenpost (18.05.1973) Lubowski, Bernd: „In Berlin begann ihr Stern zu strahlen“, in: Berliner Morgenpost (26.08.1979) Luft, Friedrich: „Die unvergleichliche Blandine Ebinger wird 90 Jahr jung. Zerbrechlicher Star aus der Cabaret-Zeit Berlins“, in: Berliner Morgenpost (04.11.1989) Lustig, H. G.: „Blandine Ebinger trägt ein Lied vor“, in: Die Dame, Nr. 13 (März 1931), S. 12–14 m: „Komödie. ‚Es liegt in der Luft‘“, in: BMo (21.05.1928) M. J.: „Das tanzende Warenhaus. Von unserem Korrespondenten“, in: Neues Wiener Journal (o.D.) M. J.: „‚Bei uns – um die Gedächtniskirche rum‘. Theater am Kurfürstendamm“, in: Vossische Zeitung 613, Abend-Ausg. (28.12.1927), S. 2 Marcuse, Ludwig: „Es liegt in der Luft. Gastspiel der Komödie-Berlin im Revuen Theater“, in: Frankfurter Generalanzeiger (09.10.1928) Mommert, Wilfried: „Die Berliner Diseuse Blandine Ebinger wird 90 Jahre alt. Immer wieder neu entdeckt“, in: Hamburger Abendblatt (02.11.1989) Mommert, Wilfried: „Königin des literarischen Chansons. Blandine Ebinger starb im Alter von 94 Jahren“, in: Hamburger Abendblatt (27.12.1993) Mysing: „Es liegt in der Luft…“, in: Kölnische Zeitung (23.05.1928) Pinthus, Kurt: „‚Es liegt in der Luft‘. Revue in der Komödie“, in: 8UA (16.05.1928)
408 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
–pitz: „Seide im Herzen. Charmante Evergreens: Abend mit Spoliansky & Co.“, in: Der Abend (27.05.1979) Raddatz, Fritz J. u. Krüger, Wilfried: „Blandine“, in: Zeit-Magazin, Nr. 47 (13.11.1977) Ri.: „Urania: Margo Lion – Robert T. Odemann. Spötteleien von Niveau“, in: Die Welt (03.09.1979) RM: „‚Es liegt in der Luft‘. Gastspiel im Deutschen Theater. Eine spritzige, leicht schäumende Sache“, in: Volkswille (02.10.1928) Sachse, Peter: „Wie sieht es in den Theatern aus? Von den neuen Bühnenleitern. Dr. Klein kommt – James Klein geht – Liquidation der Revuedirektoren“, in: Das kleine Journal (15.02.1929) Schndr.: „Es liegt in der Luft. Reinhardt-Revue im Schauspielhaus Düsseldorfer Nachrichten (23.10.1928) Sieben, Irene: „Arbeitsbesuch in der Stadt ihrer Erfolge: Margo Lion“, in: Berliner Morgenpost (07.08.1974) Sinemus, Wolfgang: „Bonbons für die Dame. Eleganz mit Schnauze: Blandine Ebingers Chansons-Eskapaden“, in: Der Abend (02.01.1975) Sohm, Fred: „Das drastische Lied“, in: Roland 23, Nr. 10 (04.03.1925) Ssérvas, Frank M.: „Chansonabend mit Blandine Ebinger. Auf Nimmerwiedersehen, verehrtes Publikum“, in: Madame, Nr. 2 (Februar 1983) Straub, Eberhard: „Jetroffen bis ins tiefste Element. Die große Diseuse Blandine Ebinger wird neunzig“, in: Die Welt 258 (01.11.1989) Urban, Erich: „Es liegt in der Luft. Revue in der Komödie“, in: BZaM (16.05.1928) Wessling, Berndt W.: „Chanson-Sängerin Margo Lion machte Station an der Elbe. Die ist nicht von gestern“, in: Die Welt (27.07.1978) Wessling, Berndt W.: „Das Portrait: Die Diseuse Margo Lion“, in: Chic (November 1978) Wilczsynski, Karl: „Das Chanson. Fast ein Nachruf für das sterbende Brettl“, in: Münchner Illustrierte Presse, Nr. 36 (1928), S. 1166–1168
CD S
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P ODCAST
Ebinger, Blandine u. Hollaender, Friedrich: Vaführe mir liebers nicht. Lieder, Chansons, Bmg Aris (Sony Music) 1996 Kühn, Volker u. Crasse, Jürgen: 100 Jahre Kabarett. Da machste was mit… Texte und Chansons. 1901–1933, Bear Family Records 2006 Margo Lion. Die Linie der Mode. Ein musikalisches Porträt, Edel Classics 2005
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Marlene Dietrich. Ich bin die fesche Lola, Membran Music Ltd. 2005 Marlene Dietrich sings Friedrich Hollaender, Maching: Edition DUX 2011 Soltau, Heide: 1884 – Der Geburtstag von Claire Waldoff. WDR 5, ZeitZeichen, vom 21.10.2014, abrufbar als Podcast unter http://www.wdr5.de/sendungen/zeitzeichen/waldoff104.html (12.09.2016)
N OTENAUSGABEN , N OTEN - UND T EXTMANUSKRIPTE Schiffer, Marcellus u. Spoliansky, Mischa: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus. Revue in 24 Bildern, unverk. Text-Manuskript, Berlin: Felix Bloch Erben o. J. [1928] Schiffer, Marcellus; Spoliansky, Mischa u. Edis, Steven: Es liegt in der Luft. Ein Spiel im Warenhaus. Revue in 24 Bildern, Klavierauszug, unverk. Manuskript, Berlin: Felix Bloch Erben o. J. Sexappeal. Lieder und Chansons von Friedrich Hollaender, Mainz: Schott 1999
L ITERATUR Art. „Bühne“, in: Girshausen, Theo u. Sucher, Curt Bernd (Hrsg.): Theaterlexikon, München: dtv 1996, S. 75–77 Ackermann, Gregor u. Delabar, Walter (Hrsg.): Schreibende Frauen. Ein Schaubild im frühen 20. Jahrhundert (= Juni. Magazin für Literatur und Politik 45/46), Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2011 Ackermann, Gregor; Delabar, Walter u. Würmann, Carsten (Hrsg.): Deutsches Lied. Von den Hymnen bis zum Baum der Schmerzen (= Juni. Magazin für Literatur und Politik 39/40), Bielefeld: Aisthesis Verlag 2007 Adorno, Theodor W.: Musikalische Schriften IV (= Gesammelte Schriften 17), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982 Adorno, Theodor W.: „Über Jazz [1936]“, in: Adorno, Theodor W.: Musikalische Schriften IV, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, S. 74–108. Adriani, Götz: Toulouse-Lautrec. Das gesamte graphische Werk (= Sammlung Gerstenberg), unveränd. Studienausg. des 1986 ersch. Buches, Köln: DuMont 2002 Adriani, Götz: Toulouse-Lautrec. Gemälde und Bildstudien (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung), unveränd. Studienausg. des 1986 ersch. Katalogbuches, Köln: DuMont 2002
410 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
Amort, Andrea u. Dembski, Ulrike (Hrsg.): Verkleiden. Verwandeln. Verführen. Bühnenkostüme aus der Sammlung des Österreichischen Theatermuseums (anlässlich der gleichnamigen Ausstellung, 25.11.2010–31.10.2011), Wien: Brandstätter 2010 Ankum, Katharina von (Hrsg.): Women in the metropolis. Gender and modernity in Weimar culture (= Weimar and now 11), Berkeley: Univ. of California Press 1997 Anselm, Sigrun: „Emanzipation und Tradition in den 20er Jahren“, in: Anselm, Sigrun u. Beck, Barbara (Hrsg.): Triumph und Scheitern in der Metropole. Zur Rolle der Weiblichkeit in der Geschichte Berlins, Berlin: Reimer 1987, S. 253–274 Anselm, Sigrun u. Beck, Barbara (Hrsg.): Triumph und Scheitern in der Metropole. Zur Rolle der Weiblichkeit in der Geschichte Berlins, Berlin: Reimer 1987 Antonoff, Roman: Methoden der Image-Gestaltung für Unternehmen und Organisationen. Eine Einführung (= Girardet-Taschenbücher 25), Essen: Girardet 1975 Appen, Ralf von; Doehring, André u. Phleps, Thomas (Hrsg.): Samples. OnlinePublikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung / German Society for Popular Music Studies e.V., abrufbar unter http://www.gfpm-samples.de (06.12.2016) Appen, Ralf von u. Frei-Hausschild, Markus: „AABA, Refrain, Chorus, Bridge, Pre-Chorus. Songformen und ihre historische Entwicklung“, in: Helms, Dietrich u. Phleps, Thomas (Hrsg.): Black Box Pop. Analysen populärer Musik, Bielefeld: transcript 2012, S. 57–124 Appignanesi, Lisa: Das Kabarett, Stuttgart: Belser 1976 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik (= Schriftenreihe / Bundeszentrale für Politische Bildung 633), Lizenzausg., Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 2007 Assmann, Jan u. Hölscher, Tonio: Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988 Aumüller, Matthias: „Narrativität“, in: Klein, Christian (Hrsg.): Handbuch Biographie Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart: Metzler 2009, S. 17–20 Auslander, Philip: Liveness. Performance in a mediatized culture, London u. New York: Routledge 1999 Auslander, Philip: Performing glam rock. Gender and theatricality in popular music, Ann Arbor, Mich.: University of Michigan Press 2006
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ǀ 411
Bab, Julius: Das Theater der Gegenwart. Geschichte der dramatischen Bühne seit 1870 (= Illustrierte theatergeschichtliche Monographien 1), Leipzig: Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber 1928 Bablet, Denis u. Bablet, Marie-Louise: Adolphe Appia. 1862–1928. Darsteller – Raum – Licht. Eine Ausstellung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, übers. von Guido Meister, neue, rev. Aufl., Zürich: Atlantis-Musikbuch-Verlag 1982 Bachmann-Medick, Doris: „Spatial turn“, in: Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 4., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart: Metzler 2008, S. 664f. Badenhausen, Rolf u. Zielske, Harald (Hrsg.): Bühnenformen – Bühnenräume – Bühnendekorationen. Beiträge zur Entwicklung des Spielorts. Herbert A. Frenzel zum 65. Geb., von Freunden und wissenschaftlichen Mitstreitern, Berlin: Erich Schmidt Verlag 1974 Barck, Karlheinz (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 2, Studienausg., Stuttgart: Metzler 2010 Baudrillard, Jean: „The Ecstasy of Communication“, in: Foster, Hal (Hrsg.): The Anti-Aesthetic. Essays on postmodern culture, Port Townsend: Bay Press 1983, S. 126–134 Baudrillard, Jean: „The Masses: The Implosion of the Social in the Media“, in: Thornham, Sue; Basset, Caroline u. Marris, Paul (Hrsg.): Media studies. A reader, Edinburgh: University Press 1996, S. 98–108 Becker, Friederike: „Kabarett“, in: MGG2, Sachteil, Bd. 4, Kassel u. Stuttgart: Bärenreiter u. Metzler 1996, Sp. 1601–1609 Behn, Helga: Die Architektur des deutschen Warenhauses von ihren Anfängen bis 1933, Diss. Univ. Köln, 1984 Bemmann, Helga: Berliner Musenkinder-Memoiren. Eine heitere Chronik von 1900–1930, Berlin: Lied der Zeit Musikverlag 1981 Bergius, Hanne: „Berlin als Hure Babylon“, in: Boberg, Jochen u. Fichter, Tilman (Hrsg.): Die Metropole, München: Beck Verlag 1986, S. 102–119 Bergius, Hanne u. Kort, Pamela (Hrsg.): Grotesk! 130 Jahre Kunst der Frechheit (anläßlich der gleichnamigen Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 27. März bis 9. Juni 2003 und im Haus der Kunst, München, vom 27. Juni bis 14. September 2003), München: Prestel-Verlag 2003 Bergmann, Jens u. Pörksen, Bernhard: „Einleitung. Die Inszenierungsgesellschaft“, in: Dies. (Hrsg.): Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert, Münster: Solibro-Verlag 2007, S. 10–19 Bergmann, Jens u. Pörksen, Bernhard (Hrsg.): Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert (= defacto 1), Münster: Solibro-Verlag 2007
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Bier, Marcus: Schauspielerportraits. 24 Schauspieler um Max Reinhardt (= Beiträge zu Theater, Film und Fernsehen aus dem Institut für Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin 2), Berlin: Edition Hentrich 1989 Bloch, Ernst: „Lied der Seeräuberjenny in der ‚Dreigroschenoper‘“, in: Ders.: Literarische Aufsätze (= Gesamtausgabe 9), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 392–396 Bloch, Ernst: Literarische Aufsätze (= Gesamtausgabe 9), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979 Boberg, Jochen u. Fichter, Tilman (Hrsg.): Die Metropole (= Industriekultur deutscher Städte und RegionenIndustriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert 2), München: Beck Verlag 1986 Bock, Petra: „Zwischen den Zeiten – Neue Frauen und die Weimarer Republik“, in: Dies. u. Koblitz, Katja (Hrsg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin: Edition Hentrich 1995, S. 14–37 Bock, Petra u. Koblitz, Katja (Hrsg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin: Edition Hentrich 1995 Boeser, Knut u. Vatková, Renata: Max Reinhardt in Berlin (= Stätten der Geschichte Berlins 6), Berlin: Edition Hentrich im Verl. Frölich & Kaufmann 1984 Bois, Curt: Zu wahr, um schön zu sein, Mitarb. v. Gerold Ducke, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1982 Bönsch, Annemarie: „Bühnenkostüm und Mode. Die ‚Unzertrennlichen‘“, in: Amort, Andrea u. Dembski, Ulrike (Hrsg.): Verkleiden, Verwandeln, Verführen. Bühnenkostüme aus der Sammlung des Österreichischen Theatermuseums, Wien: Brandstätter 2010, S. 61–67 Boorstin, Daniel J.: Das Image. Der amerikanische Traum, übers. von Mandred Delling u. Renate Voretzsch, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-TaschenbuchVerlag 1987 Boorstin, Daniel J.: The image. A guide to pseudo-events in America, New York: Atheneum 1987 Borgstedt, Silke: Der Musik-Star. Vergleichende Imageanalysen von Alfred Brendel, Stefanie Hertel und Robbie Williams (= Studien zur Popularmusik), Bielefeld: transcript 2008 Borgstedt, Silke: „Star“, in: Kreutziger-Herr, Annette u. Unseld, Melanie (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Stuttgart: Bärenreiter; Metzler 2010, S. 518f. Bork, Camilla: „Zwischen Literarisierung und Reklame: Paganini im Spiegel der Anekdote“, in: Unseld, Melanie u. Zimmermann, Christian von (Hrsg.): Anekdote – Biographie – Kanon. Zur Geschichtsschreibung in den schönen Künsten, Köln u.a.: Böhlau 2013, S. 105–124
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Bouchholtz, Christian: „Rauch Silhouetten“, in: Herald, Heinz (Schriftleitung): Schall und Rauch, Nr. 1 (Dezember 1919), S. 4, Repr.: Berlin: Buchverlag Der Morgen 1985 Bovenschen, Silvia: „Krieg und Schneiderkunst oder Wie sich Männer von gestern die Frau von morgen vorstellten. Vorwort zur Neuausgabe“, in: Huebner, Friedrich Markus (Hrsg.): Die Frau von morgen, wie wir sie wünschen, Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 9–21 Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen (= Edition Suhrkamp 2431), Sonderausg. zum 40jährigen Bestehen der Edition Suhrkamp 2003, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003 Braun, Christina von: „Gender, Geschlecht und Geschichte“, in: Dies. u. Stephan, Inge (Hrsg.): Gender-Studien. Eine Einführung, 2., aktual. Aufl., Stuttgart: Metzler 2006, S. 10–51 Braun, Christina von u. Stephan, Inge (Hrsg.): Gender-Studien. Eine Einführung, 2., aktual. Aufl., Stuttgart: Metzler 2006 Brauneck, Manfred u. Schneilin, Gerard (Hrsg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, übers. von Horst Schumacher (= Rowohlts Enzyklopädie 417), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1986 Briesen, Detlef: Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral. Zur Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2001 Bronfen, Elisabeth: „Vorwort“, in: Dies. u. Gaugler-Straumann, Barbara (Hrsg.): Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer-Mosel 2002, S. 7 Bronfen, Elisabeth: „Zwischen Himmel und Hölle. Maria Callas und Marilyn Monroe“, in: Dies. u. Gaugler-Straumann, Barbara (Hrsg.): Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer-Mosel 2002, S. 43–67 Bronfen, Elisabeth. u. Gaugler-Straumann, Barbara (Hrsg.): Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer-Mosel 2002 Brüstle, Christa (Hrsg.): Pop-Frauen der Gegenwart. Körper – Stimme – Image. Vermarktungsstrategien zwischen Selbstinszenierung und Fremdbestimmung, Bielefeld: transcript 2015. Buck, Elmar: „Der Ort des Theaters“, in: Möhrmann, Renate u. Müller, Matthias (Hrsg.): Theaterwissenschaft heute. Eine Einführung, Berlin: Reimer 1990, S. 187–215 Budzinski, Klaus: Die Muse mit der scharfen Zunge. Vom Cabaret zum Kabarett, München: List 1961
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Budzinski, Klaus: Pfeffer ins Getriebe. So ist und wurde das Kabarett, München: Universitas-Verl. 1982 Budzinski, Klaus u. Hippen, Reinhard: Metzler Kabarett Lexikon, in Verbindung mit dem deutschen Kabarettarchiv, Stuttgart u. Weimar: Metzler 1996 Bullerjahn, Claudia u. Löffler, Wolfgang (Hrsg.): Musikermythen. Alltagstheorien, Legenden und Medieninszenierungen (= Musik – Kultur – Wissenschaft 2), Hildesheim: Georg Olms Verlag 2004 Butler, Jeremy G. (Hrsg.): Star texts. Image and performance in film and television (= Contemporary film and television series), Detroit, Mich.: Wayne State University Press 1991 Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, übers. von Karin Wördemann (= Gender studies 1737), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997 Caloy, Henriette: Die Braut. Das fesselnde Ritual des Eros, Stuttgart: Kreuz Verlag 1989 Chajet, Clive; Shachtman, Tom u. Lauerbach, Johanna: Image-Design. Corporate Identity für Firmen, Marken und Produkte, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 1995 Corssen, Stefan: Max Herrmann und die Anfänge der Theaterwissenschaft. Mit teilweise unveröffentlichten Materialien (= Theatron. Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste 24), Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1998 Dahrendorf, Ralf u. Abels, Heinz: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, 16. Aufl., Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2006 Danielczyk, Sandra: „‚Was will sie? Was hat sie? Was kann sie? – Wer weiß?‘“, in: Ackermann, Gregor u. Delabar, Walter (Hrsg.): Schreibende Frauen. Ein Schaubild im frühen 20. Jahrhundert, Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2011, S. 199–211 Danielczyk, Sandra; Dennerlein, Christoph; Freydank, Sylvia; et. al. (Hrsg.): Konstruktivität von Musikgeschichtsschreibung. Zur Formation musikbezogenen Wissens, Hildesheim: Georg Olms Verlag 2012, S. 141–156, hier S. 151 Debord, Guy: Die Gesellschaft des Spektakels und andere Texte, übers. von JeanJacques Raspaud und Wolfgang Kukulies (= Critica Diabolis 65), Berlin: Ed. Tiamat 1996 Demuth, Alexander: Image und Wirkung. Corporate communications: Erfolg durch strategische Unternehmenskommunikation (= GWP-Schriftenreihe 2), Düsseldorf: GWP 1987
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Faulstich, Werner (Hrsg.): Image, Imageanalyse, Imagegestaltung. 2. Lüneburger Kolloquium zur Medienwissenschaft (= IfAM-Arbeitsberichte 7), Bardowick: Wissenschaftler-Verlag 1992 Faulstich, Werner: Einführung in die Medienwissenschaft. Probleme, Methoden, Domänen (= UTB Medien- und Kommunikationswissenschaft 2407), München: Fink 2002 Faulstich, Werner (Hrsg.): Die Kultur der zwanziger Jahre (= Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts), Paderborn: Fink 2008 Faulstich, Werner u. Korte, Helmut (Hrsg.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung, München: Fink 1997 Faulstich, Werner; Korte, Helmut; Lowry, Stephen u. Strobel, Ricarda: „‚Kontinuität‘ – zur Imagefundierung des Film- und Fernsehstars“, in: Faulstich, Werner u. Korte, Helmut (Hrsg.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung, München: Fink 1997, S. 11–28 Ferber, Christian (Hrsg.): Die Dame. Ein deutsches Journal für den verwöhnten Geschmack. 1912–1943, Frankfurt am Main u. Berlin: Ullstein 1980 Ferber, Christian: „Eine Dame mit drei Gesichtern“, in: Ferber, Christian (Hrsg.): Die Dame. Ein deutsches Journal für den verwöhnten Geschmack. 1912– 1943, Frankfurt am Main u. Berlin: Ullstein 1980, S. 8–14 Fetting, Hugo (Hrsg.): Leopold Jessner. Schriften. Theater der zwanziger Jahre, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 197 Fetz, Bernhard: „Schreiben wie die Götter. Über Wahrheit und Lüge im Biographischen“, in: Ders. u. Schweiger, Hannes (Hrsg.): Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit, Wien: Zsolnay 2006, S. 7–20 Fetz, Bernhard: „Biographisches Erzählen zwischen Wahrheit und Lüge, Inszenierung und Authentizität“, in: Klein, Christian (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart: Metzler 2009, S. 54–60. Fetz, Bernhard u. Schweiger, Hannes (Hrsg.): Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit (= Profile 13), Wien: Zsolnay 2006 Fischer, Michael u. Jost, Christopher: Girls just want to have fun (?) Weibliche Starinszenierungen in der populären Musik, Münster: Waxmann [in Dr.] Fischer-Lichte, Erika; Horn, Christian; Umathum, Sandra u. Warstat, Matthias: Performativität und Ereignis (= Theatralität 4), Tübingen u. Basel: A. Francke Verlag 2003 Fischer-Lichte, Erika; Horn, Christian; Umathum, Sandra u. Warstat, Matthias: Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften (= Theatralität 6), Tübingen u, Basel: A. Francke Verlag 2004 Fischer-Lichte, Erika; Kolesch, Doris u. Warstat, Matthias (Hrsg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2005
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Fleig, Anne: „Tanzmaschinen. Die Girls im Revuetheater der Weimarer Republik“, in: Grotjahn, Rebecca; Schmidt, Dörte u. Seedorf, Thomas (Hrsg.): Diva – die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, Schliengen: Ed. Argus 2011, S. 102–117 Flemming, Jens: „‚Neue Frau‘? Bilder, Projektionen, Realitäten“, in: Faulstich, Werner (Hrsg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, Paderborn: Fink 2008, S. 55–70 Foster, Hal (Hrsg.): The Anti-Aesthetic. Essays on postmodern culture, Port Townsend: Bay Press 1983 Fraisse, Geneviève: Geschlechterdifferenz, übers. aus dem Franz. von Monika Noll, Tübingen: edition diskord 1996 Frank, Michael C.: „Heterotopie“, in: Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 4., aktual. u. erw. Aufl., Stuttgart: Metzler 2008, S. 286f. Frank, Susanne: Stadtplanung im Geschlechterkampf. Stadt und Geschlecht in der Großstadtentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts (= Stadt, Raum und Gesellschaft 20), Opladen: Leske + Budrich 2003 Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit (= Edition Suhrkamp / Neue historische Bibliothek 1284), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986 Frey, Stefan: „‚Ein bisschen Trallala…‘. Fritzi Massary oder Die OperettenDiva“, in: Grotjahn, Rebecca; Schmidt, Dörte u. Seedorf, Thomas (Hrsg.): Diva – die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, Schliengen: Ed. Argus 2011, S. 184–194 Freytag, Julia u. Tacke, Alexandra (Hrsg.): City Girls. Bubiköpfe & Blaustrümpfe in den 1920er Jahren (= Literatur, Kultur, Geschlecht. Studien zur Literaturund Kulturgeschichte. Kleine Reihe 29), Köln, Weimar u. Wien: Böhlau 2011 Freytag, Julia u. Tacke, Alexandra: „Einleitung“, in: Freytag, Julia u. Tacke, Alexandra (Hrsg.): City Girls. Bubiköpfe & Blaustrümpfe in den 1920er Jahren, Köln, Weimar u. Wien: Böhlau 2011, S. 9–19 Frith, Simon: Performing Rites. Evaluating Popular Music, Oxford: Oxford University Press 1996 Gebauer, Gunter u. Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft (= Rowohlts Enzyklopädie 497), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1992
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Gerold-Tucholsky, Mary u. Heepe, Hans Georg (Hrsg.): Das Kurt Tucholsky Chanson Buch. Texte und Noten, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1983 Giddens, Anthony: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung (= Theorie und Gesellschaft 1), Frankfurt am Main u. New York: Campus-Verlag 1992 Girshausen, Theo u. Sucher, Curt Bernd (Hrsg.): Theaterlexikon, Bd. 2, Epochen, Ensembles, Figuren, Spielformen, Begriffe, Theorien (= dtv 3323), München: dtv 1996 Goertz, Hans-Jürgen: Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität (= Universal-Bibliothek 17035), Stuttgart: Reclam 2001 Gold, Helmut u. Barnekow, Rolf (Hrsg.): Fräulein vom Amt, München: PrestelVerlag 1993 Göttlich, Udo; Albrecht, Clemens u. Gebhardt, Winfried (Hrsg.): Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies, 2., durchges., erw. u. aktual. Aufl. (= Fiktion und Fiktionalisierung 6), Köln: Halem 2010 Greul, Heinz (Hrsg.): Chansons der Zwanziger Jahre (= Galerie Sanssouci), Zürich: Sanssouci 1962 Greul, Heinz: Bretter, die die Zeit bedeuten. Die Kulturgeschichte des Kabaretts, Bd.1 u.2, durchges. u. erw. Aufl., München: dtv 1971 Grosch, Nils: „‚Bilder Radio, Telephon‘: Revue und Medien in der Weimarer Republik“, in: Ders. (Hrsg.): Aspekte des modernen Musiktheaters in der Weimarer Republik, Münster: Waxmann 2004, S. 159–174 Grosch, Nils (Hrsg.): Aspekte des modernen Musiktheaters in der Weimarer Republik, Münster: Waxmann 2004 Grosch, Nils: „Lieder vom Fahrstuhl, Automobil und anderen Nicht-Orten: Zur Konstruktion des urbanen Raums in Berliner Revueschlagern der 1920er Jahre“, in: Weiss, Stefan u. Schebera, Jürgen (Hrsg.): Street scene. Der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts, Münster: Waxmann 2006, S. 189–198 Grosch, Nils: „Populäres Musiktheater als dramaturgische Koordination populärer Musik“, in: Jost, Christofer; Neumann-Braun, Klaus; Klug, Daniel u. Schmidt, Axel (Hrsg.): Die Bedeutung populärer Musik in audiovisuellen Formaten, Baden-Baden: Nomos 2009, S. 85–101 Grosch, Nils: „Zur medialen Dramaturgie des populären Musiktheaters in der Weimarer Republik“, in: Nitsche, Jessica u. Werner, Nadine (Hrsg.): Populärkultur, Massenmedien, Avantgarde. 1919–1933, München: Fink 2012, S. 239– 250
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Grossmann, Atina: „Eine ‚neue Frau‘ im Deutschland der Weimarer Republik?“, in: Gold, Helmut u. Barnekow, Rolf (Hrsg.): Fräulein vom Amt, München: Prestel-Verlag 1993, S. 136–161 Grotjahn, Rebecca; Schmidt, Dörte u. Seedorf, Thomas (Hrsg.): Diva – die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts (= Forum Musikwissenschaft 7), Schliengen: Ed. Argus 2011 Guilbert, Yvette: Die Kunst, ein Chanson zu singen (L'art de chanter une chanson), hrsg. von Walter Rösler, übers. von Thomas Dobberkau, Berlin: Henschelverlag 1981 Hähnel, Tilo: „Vokale Ausdrucksmuster im Kontext von Star-Images und kulturellen Stereotypen. Eine exemplarische Analyse der Vokalstile von Bert Williams und Bing Crosby“, in: Appen, Ralf von; Doehring, André u. Phleps, Thomas (Hrsg.): Samples. Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung / German Society for Popular Music Studies e.V., abrufbar unter http://www.gfpm-samples.de/ (06.12.2016) Hähnel, Tilo; Marx, Tobias u. Pfleiderer, Martin: „Methoden zur Analyse der vokalen Gestaltung Populärer Musik“, in: Appen, Ralf von; Doehring, André u. Phleps, Thomas (Hrsg.): Samples. Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung / German Society for Popular Music Studies e.V., abrufbar unter http://www.gfpm-samples.de/ (06.12.2016) Hansen, Antje: Oskar Kaufmann. Ein Theaterarchitekt zwischen Tradition und Moderne (= Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin 28), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2001 Hanuschek, Sven: „Wirklichkeit als Konstruktion. Der radikale Konstruktivismus“, in: Klein, Christian (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart: Metzler 2009, S. 15f. Hasche, Christa: Bürgerliche Revue und „Roter Rummel“. Studien zur Entwicklung massenwirksamen Theaters in den Formen der Revue in Berlin 1903– 1925, Diss., Humboldtuniv. Berlin, Berlin: 1980 Haustedt, Birgit: Die wilden Jahre in Berlin. Eine Klatsch- und Kulturgeschichte der Frauen, 2. Aufl., Dortmund: Ed. Ebersbach 2002 Hecken, Thomas: Populäre Kultur. Mit einem Anhang „Girl und Popkultur“ (= Schriften zur Popkultur 1), Bochum: Posth Verlag 2006 Helms, Dietrich u. Phleps, Thomas (Hrsg.): Black Box Pop. Analysen populärer Musik (= Beiträge zur Popularmusikforschung 38), Bielefeld: transcript 2012 Henningsen, Jürgen: Theorie des Kabaretts, Ratingen: Henn 1967 Herbst, Dieter: Der Mensch als Marke. Konzepte – Beispiele – Experteninterviews, 2., ungek. Aufl., Göttingen: BusinessVillage 2011
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Herrmann, Elsa: So ist die Neue Frau, Hellerau: Avalun-Verlag 1929 Herrmann-Neiße, Max: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst (= Gesammelte Werke 8), Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988 Herrmann-Neiße, Max: „Kleine Geschichte des deutschen Kabaretts [1924]“, in: Ders.: Kabarett. Schriften zum Kabarett und zur bildenden Kunst, Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988, S. 7–105 Herrmann-Neiße, Max: Panoptikum. Stücke und Schriften zum Theater (= Gesammelte Werke 3), Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1988 Hesterberg, Trude: Was ich noch sagen wollte…, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1971 Hillmann, Karl-Heinz (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie, 5. vollständig überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2007 Hippen, Reinhard (Hrsg.): „Sich fügen – heißt lügen“. 80 Jahre deutsches Kabarett, Mainz: Druckhaus Schmidt & Bödige 1981 Hippen, Reinhard (Hrsg.): Das Kabarett-Chanson. Typen – Themen – Temperamente (= Kabarettgeschichte-n 10), Zürich: pendo-Verlag 1986 Hiß, Guido: „Zur Aufführungsanalyse“, in: Möhrmann, Renate u. Müller, Matthias (Hrsg.): Theaterwissenschaft heute. Eine Einführung, Berlin: Reimer 1990, S. 65–80 Hofmeisters Musikalisch-literarischer Monatsbericht über neue Musikalien, musikalische Schriften und Abbildungen erschienen im deutschen Reiche, Österreich und in den Ländern deutschen Sprachgebietes, sowie der für den Vertreib im deutschen Reiche wichtigen im Auslande erschienenen Musikalien 100, Nr. 6, Juni 1928 Hofmeisters Musikalisch-literarischer Monatsbericht über neue Musikalien, musikalische Schriften und Abbildungen erschienen im deutschen Reiche, Österreich und in den Ländern deutschen Sprachgebietes, sowie der für den Vertreib im deutschen Reiche wichtigen im Auslande erschienenen Musikalien 100, Nr. 8/9, August / September 1928. Hollaender, Friedrich: Lieder und Chansons für Blandine Ebinger, Freiburg: Klemm 1957 Hollaender, Friedrich: Von Kopf bis Fuß. Revue meines Lebens, hrsg. u. kommentiert v. Volker Kühn, Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag 2001 Höper, Susanne: Max Reinhardt: Theater – Bauten und Projekte. Ein Beitrag zur Architektur- und Theatergeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Diss. Univ., Göttingen 1994 Hösch, Rudolf: Kabarett von gestern. Nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Bd.1: 1900–1933, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1969
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Hradil, Stefan et al: Differenz und Integration. Die Zukunft moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Dresden 1996, Frankfurt am Main: Campus-Verlag 1997 Huber, Kurt: Image. Global-Image, Corporate-Image, Marken-Image, ProduktImage, 2. Aufl., Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie 1990 Huebner, Friedrich Markus (Hrsg.): Die Frau von morgen, wie wir sie wünschen (= Insel-Taschenbuch 1194), Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990 Hügel, Hans-Otto (Hrsg.): Handbuch populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2003 Hügel, Hans-Otto: „‚Weißt Du wieviel Sterne stehen?‘“, in: Bullerjahn, Claudia u. Löffler, Wolfgang (Hrsg.): Musikermythen. Alltagstheorien, Legenden und Medieninszenierungen, Hildesheim: Georg Olms Verlag 2004, S. 265–293 Hügel, Hans-Otto: „Das selbstentworfene Bild der Diva. Erzählstrategien in der Autobiographie von Sarah Bernhardt“, in: Grotjahn, Rebecca; Schmidt, Dörte u. Seedorf, Thomas (Hrsg.): Diva – die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, Schliengen: Ed. Argus 2011, S. 37–57 Jansen, Wolfgang: Glanzrevuen der zwanziger Jahre (= Stätten der Geschichte Berlins 25), Berlin: Edition Hentrich 1987 Jatho, Gabriele u. Rother, Rainer: City Girls. Frauenbilder im Stummfilm, Berlin: Bertz + Fischer 2007 Jessner, Leopold: „Die Stufenbühne [1924]“, in: Fetting, Hugo (Hrsg.): Leopold Jessner. Schriften. Theater der zwanziger Jahre, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1979, S. 155–157 Jessner, Leopold: „Die Treppe – eine neue Dimension [1922]“, in: Fetting, Hugo (Hrsg.): Leopold Jessner. Schriften. Theater der zwanziger Jahre, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1979, S. 154f. Jochens, Birgit u. Schoppmann, Claudia: Zwischen Rebellion und Reform. Frauen im Berliner Westen, Berlin: Jaron-Verlag 1999 Jost, Christofer; Neumann-Braun, Klaus; Klug, Daniel u. Schmidt, Axel (Hrsg.): Die Bedeutung populärer Musik in audiovisuellen Formaten (= Short Cuts / Cross Media 1), Baden-Baden: Nomos 2009 Kaléko, Mascha: Das lyrische Stenogrammheft. Kleines Lesebuch für Große, 24. Aufl., Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2004 Kayser, Wolfgang u. Oesterle, Günter: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung (= Stauffenburg-Bibliothek 1), Tübingen: Stauffenburg 2004 Kessemeier, Gesa: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ‚Neuen Frau‘ in den Zwanziger Jahre. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929, Dortmund: Ed. Ebersbach 2000
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Kessl, Fabian: Handbuch Sozialraum, Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss. 2005 Kindermann, Heinz: „Bühnenbild 1928. Eine Frage und zwanzig Antworten“, in: Badenhausen, Rolf u. Zielske, Harald (Hrsg.): Bühnenformen – Bühnenräume – Bühnendekorationen. Beiträge zur Entwicklung des Spielorts. Herbert A. Frenzel zum 65. Geb., von Freunden und wissenschaftlichen Mitstreitern, Berlin: Erich Schmidt Verlag 1974, S. 187–198 Klapp, Orrin Edgar: Heroes, villains and fools. The changing American character, Englewood Cliffs: Prentice-Hall 1962 Klassen, Janina: Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit (= Europäische Komponistinnen 3), Köln u.a.: Böhlau 2009 Klein, Christian (Hrsg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart: Metzler 2009 Klein, Gabriele: „Die Aura des Ereignisses. Körperkonzepte im Tanz der Moderne“, in: Meine, Sabine u. Hottmann, Katharina (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen: Edition Argus 2005, S. 136–147 Klein, Gabriele: „Popkulturen als performative Kulturen. Zum Verhältnis von globaler Imageproduktion und lokaler Praxis“, in: Göttlich, Udo; Albrecht, Clemens u. Gebhardt, Winfried (Hrsg.): Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies, 2., durchges., erw. u. aktual. Aufl., Köln: Halem 2010, S. 192–213 Klossowski, Erich: Die Maler von Montmartre. Willette, Steinlen, T.-Lautrec, Léandre (= Die Kunst 15), Berlin: Julius Bard 1903 Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik (= Oldenbourg-Grundriss der Geschichte 16), 3., durchges. Aufl., München: Oldenbourg 1993 Kolesch, Doris; Pinto, Vito u. Schrödl, Jenny (Hrsg.): Stimm-Welten. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven (= Kultur- und Medientheorie), Bielefeld: transcript 2009 Kollontai, Alexandra: Die neue Moral und die Arbeiterklasse, 2. Aufl., Münster: Verlag Frauenpolitik 1987 Kothes, Franz-Peter: Die theatralische Revue in Berlin und Wien 1900–1940 unter besonderer Berücksichtigung der Ausstattungsrevue. Strukturen und Funktionen, Diss. Univ., Wien 1972 Kothes, Franz-Peter: Die theatralische Revue in Berlin und Wien. 1900–1938. Typen, Inhalte, Funktionen (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft 29), Wilhelmshaven: Heinrichshofen 1977 Kracauer, Siegfried: „Girls und Krise“, in: Ders. (Hrsg.): Straßen in Berlin und anderswo, erw. Ausg., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 202–204
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Kracauer, Siegfried (Hrsg.): Straßen in Berlin und anderswo (= Bibliothek Suhrkamp 1449), mit einem Nachwort von Reimar Klein, erw. Ausg., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009 Kracauer, Siegfried: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland (= Suhrkamp-Taschenbuch 13), 13. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013 Kreisler, Sandra: Das Chansonbuch. Interpretation und Bühnenpräsentation, Leipzig: Henschel 2012 Kreutziger-Herr, Annette u. Losleben, Katrin (Hrsg.): History. Herstory. Alternative Musikgeschichten (= Musik – Kultur – Gender 5), Köln, Weimar u. Wien: Böhlau 2009 Kreutziger-Herr, Annette u. Unseld, Melanie (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Stuttgart: Bärenreiter; Metzler 2010 Krosigk von, Esther: Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte. Anthropologische Studien gegründet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes, Saarbrücken: Vdm Verlag Müller 2008 Kühn, Volker: Die zehnte Muse. 111 Jahre Kabarett, Köln: vgs stein 1987 Kühn, Volker (Hrsg.): Hoppla, wir beben. Kabarett einer gewissen Republik 1918–1933 (= Kleinkunststücke 2), Berlin: Quadriga 1988 Kümmer, Renate (Hrsg.): Dodo. Leben und Werk. Life and Work. 1907–1998, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2012 Kurth, Ulrich: „‚Ich pfeif' auf Tugend und Moral‘. Zum Foxtrott in den zwanziger Jahren“, in: Schutte, Sabine (Hrsg.): Ich will aber gerade vom Leben singen … Über populäre Musik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1987, S. 365–406 Lamb, Andrew; Root, Deane L. u. O'Connor, Patrick: „Revue“, in: New Grove, Bd. 21, 2001, Sp. 242–244 Lareau, Alan: An unhappy love. The struggle for a literary cabaret in Berlin. 19191935, Ann Arbor, Mich.: UMI 1990 Lareau, Alan: „‚Ich wär so gern ein Sex-Appeal‘: Images of Femininity on the Weimar Cabaret Stage“, in: Schulman, Peter u. Lubich, Frederick A. (Hrsg.): The marketing of eros. Performance, sexuality, consumer culture, Essen: Die Blaue Eule 2003, S. 78–96 Lareau, Alan: „Lavender Songs: Undermining Gender in Weimar Cabaret and Beyond“, in: Popular Music and Society 28, Nr. 1 (2005), S. 15–33 Lareau, Alan: „Großstadträume, Großstadtreime: Die Kabarettrevuen von Friedrich Hollaender, 1926-1967“, in: Weiss, Stefan u. Schebera, Jürgen (Hrsg.): Street scene. Der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts, Münster: Waxmann 2006, S. 199–218
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Lareau, Alan: „The Blonde Lady Sings: Women in Weimar Cabaret“, in: Schönfeld, Christiane u. Finnan, Carmel (Hrsg.): Practicing modernity. Female creativity in the Weimar Republic, Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 191–217 Lareau, Alan: „‚Wenn ick mal tot bin‘. Blandine Ebingers ‚Lieder eines armen Mädchens‘ (von Friedrich Hollaender)“, in: Ackermann, Gregor; Delabar, Walter u. Würmann, Carsten (Hrsg.): Deutsches Lied. Von den Hymnen bis zum Baum der Schmerzen, Bielefeld: Aisthesis Verlag 2007, S. 118–134 Leidinger, Armin: Hure Babylon, Großstadtsymphonie oder Angriff auf die Landschaft? Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz und die Großstadt Berlin: eine Annäherung aus kulturgeschichtlicher Perspektive (= EpistemataReihe Literaturwissenschaft 689), Würzburg: Königshausen & Neumann 2010 Lesák, Barbara (Hrsg.): Von der Pose zum Ausdruck. Theaterphotographie 1900– 1930, Österreichisches Theatermuseum, Wien: Christian Brandstätter Verlag 2003 Lessing, Theodor: „Die Entwicklung zum Irrsinn“, in: Das Tagebuch 5, Nr. 30 (26.07.1924), S. 1030–1034 Löw, Martina: Raumsoziologie (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1506), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001 Löw, Martina; Steets, Silke u. Stoetzer, Sergej: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie (= UTB Soziologie 8348), Opladen: Budrich 2007 Lowry, Stephen: „Stars und Images. Theoretische Perspektiven auf Filmstars“, in: montage/av 6, Nr. 2 (1997), S. 10–35 Lowry, Stephen: „Image“, in: Hügel, Hans-Otto (Hrsg.): Handbuch populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2003, S. 259–262 Lowry, Stephen: „Starimage“, in: Hügel, Hans-Otto (Hrsg.): Handbuch populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2003, S. 441–445 Mann, Thomas: Reden und Aufsätze 2 (= Gesammelte Werke 10), Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1960 Mann, Thomas: „Vorwort zu Joseph Conrads ‚Der Geheimagent (1926)‘“, in: Mann, Thomas: Reden und Aufsätze 2, Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1960, S. 651 Meine, Sabine: „Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930. Einführende Bemerkungen“, in: Dies. u. Hottmann, Katharina (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen: Edition Argus 2005, S. 12–33
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Meine, Sabine u. Hottmann, Katharina (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen: Edition Argus 2005 Meskimmon, Marsha: We weren't modern enough. Women artists and the limits of German modernism, London: Tauris 1999 Meyerinck von, Hubert: Meine berühmten Freundinnen. Erinnerungen, 9. Aufl., München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1979 Möhrmann, Renate u. Müller, Matthias (Hrsg.): Theaterwissenschaft heute. Eine Einführung, Berlin: Reimer 1990 Moore, Allan: „Adressing the Persona“, in: Helms, Dietrich u. Phleps, Thomas (Hrsg.): Black Box Pop. Analysen populärer Musik, Bielefeld: transcript 2012, S. 125–134 Müller, Jürgen: „Image“, in: Pflaum, Dieter u. Pieper, Wolfgang (Hrsg.): Lexikon der Public Relations, 2., überarb. und erw. Aufl., Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie 1993, S. 251–254 Mungen, Anno: „Gesang / Stimme. 1. Gesang / Stimme / Stimmfächer“, in: Kreutziger-Herr, Annette u. Unseld, Melanie (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Stuttgart: Bärenreiter; Metzler 2010, S. 245–247 Münz, Lori (Hrsg.): Cabaret Berlin. Revue, Kabarett and Film Music between the Wars, Hamburg: Edel Classics 2005 Neuner-Warthorst, Antje: „Da bin ich wieder!“. Walter Trier. Die Berliner Jahre, Berlin: SMPK 1999 Nick, Edmund: „Musik im Kabarett“, in: Musica. Zweimonatsschrift für alle Gebiete des Musiklebens 1, Nr. 2 (April 1947), S. 10f. Nieberle, Sigrid: „Weiblichkeitsbilder“, in: Kreutziger-Herr, Annette u. Unseld, Melanie (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Stuttgart: Bärenreiter; Metzler 2010, S. 515–517 Niedlich, Florian (Hrsg.): Facetten der Popkultur. Über die ästhetische und politische Kraft des Populären, Bielefeld: transcript 2012 Nitsche, Jessica u. Werner, Nadine (Hrsg.): Populärkultur, Massenmedien, Avantgarde. 1919–1933, München: Fink 2012. Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 4., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart: Metzler 2008 Nünning, Ansgar: „Raum / Raumdarstellung, literarische(r)“, in: Ders. (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 4., aktual. und erw. Aufl., Stuttgart: Metzler 2008, S. 604–607 Nünning, Vera u. Nünning, Ansgar: Erzähltextanalyse und Gender studies (= Sammlung Metzler 344), Stuttgart u. Weimar: Metzler 2004
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Obert, Simon: „Wen kümmert's, ob Keith Richards schnarcht? ‚(I Can't Get No) Satisfaction‘ und die Pophistoriographie“, in: Musiktheorie. Zeitschrift für Musikwissenschaft 24, Nr. 1 (2009), S. 113–136 Obert, Simon: „Hinter verschlossenen Türen. Anmerkungen zu einer Künstleranekdote im Pop“, in: Danielczyk, Sandra; Dennerlein, Christoph; Sylvia Freydank, et. al. (Hrsg.): Konstruktivität von Musikgeschichtsschreibung. Zur Formation musikbezogenen Wissens, Hildesheim: Georg Olms Verlag 2012, S. 141–156 Oskar Kaufmann. Mit einer Einleitung von Dr. Max Osborn, repr. von 1928 mit einem Nachwort zur Neuausg. von Myra Warhaftig (= Neue Werkkunst), Berlin: Gebr. Mann Verlag 1996 Otto, Rainer u. Rösler, Walter: Kabarettgeschichte. Abriß des deutschsprachigen Kabaretts, 2. Aufl., Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1981 Owesle, Miriam-Esther: „Embleme des Zeitgeists. Dodos Illustrationen für das Unterhaltungsblatt ULK“, in: Kümmer, Renate (Hrsg.): Dodo. Leben und Werk. Life and Work. 1907–1998, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2012, S. 33f. Pacher, Maurus: Sehn Sie, das war Berlin. Weltstadt nach Noten, Frankfurt am Main u. Berlin: Ullstein 1987 Pavis, Patrice u. Schneilin, Gerard: „Bühnenbild“, in: Brauneck, Manfred u. Schneilin, Gerard (Hrsg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 1986, S. 160–165 PEM (Paul Erich Marcus): Heimweh nach dem Kurfürstendamm. Aus Berlins glanzvollsten Tagen und Nächsten, Berlin: Lothar Blanvalet 1962 Pfitzner, Hans: Die neue Aesthetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom?, München: Süddeutsche Monatshefte GmbH 1920 Pfitzner, Hans: Gesammelte Schriften 2, Augsburg: Filser 1926 Pflaum, Dieter u. Pieper, Wolfgang (Hrsg.): Lexikon der Public Relations, 2., überarb. u. erw. Aufl., Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie 1993 Portenlänger, Monika: Kokettes Mädchen und mondäner Vamp. Die Darstellung der Frau auf Umschlagillustrationen und in Schlagertexten der 1920er und frühen 30er Jahre, Marburg: Jonas Verlag 2006 Postman, Neil u. Kaiser, Reinhard: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, übers. von Reinhard Kaiser (= FischerTaschenbücher 4285), 18. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer-TaschenbuchVerlag 2008 Pott, Andreas: Ethnizität und Raum im Aufstiegsprozeß, Opladen: Leske + Budrich 2002
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Prager, Willy: Sie werden lachen, nichts erfunden – alles erlebt, Hamburg: Capriccio Musik-Verlag 1948 Pschibl, Kerstin: Das Interaktionssystem des Kabaretts. Versuch einer Soziologie des Kabaretts, Diss., Univ. Augsburg 1999, verfügbar unter http://epub.uniregensburg.de/9858/ (20.01.2013) Rasche, Adelheid: „Dodo. Ein Leben in Bildern“, in: Kümmer, Renate (Hrsg.): Dodo. Leben und Werk. Life and Work. 1907–1998, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2012, S. 9–16 Renken, Sabine (Hrsg.): Chanteusen. Stimmen der Großstadt (= Frei und Frau), Mannheim: Bollmann 1997 Reznicek, Paula: Die perfekte Dame, Stuttgart: Dick & Co. Verlag 1928, Repr.: Bindlach: Gondrom Verlag 1997 Rode-Breymann, Susanne: „Orte und Räume kulturellen Handelns von Frauen“, in: Kreutziger-Herr, Annette u. Losleben, Katrin (Hrsg.): History. Herstory. Alternative Musikgeschichten, Köln, Weimar u. Wien: Böhlau 2009, S. 186– 197 Roselt, Jens: „Raum“, in: Fischer-Lichte, Erika; Kolesch, Doris u. Warstat, Matthias (Hrsg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart u. Weimar: Metzler 2005, S. 260–267 Rosen, Elisheva: Art. „Grotesk“, übers. von Jörg W. Rademacher u. Maria Kopp, in: Karlheinz Barck u. a. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 2, Studienausg., Stuttgart: Metzler 2010, S. 876–900 Rosenberg, Tina: „Stimmen der Queer-Diven. Hosenrollen in der Oper und Zarah Leander auf der Schlagerbühne“, in: Kolesch, Doris; Pinto, Vito u. Schrödl, Jenny (Hrsg.): Stimm-Welten. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven, Bielefeld: transcript 2009, S. 189–220 Rösing, Helmuth (Hrsg.): „Es liegt in der Luft was Idiotisches…“ Populäre Musik zur Zeit der Weimarer Republik (= Beiträge zur Popularmusikforschung 15/16), Karben: CODA-Verlag 1995 Rösler, Walter: Das Chanson im deutschen Kabarett. 1901–1933, Berlin: Henschelverlag 1980 Rotthaler, Viktor (Hrsg.): Marcellus Schiffer. Heute nacht oder nie. Tagebücher, Erzählungen, Gedichte, Zeichnungen, Bonn: Weidle Verlag 2003 Ruttkowski, Wolfgang Victor: Das literarische Chanson in Deutschland (= Sammlung Dalp 99), Berlin, München: A. Francke Verlag 1966 Ruttkowski, Wolfgang Victor: Chanson – Couplet – Song. Versuch einer semantischen Abgrenzung, München, Ravensburg: GRIN Verlag 1993
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Saval, Dagmar: „Ersatz für Träume. Einige Aspekte der Revue/Revue-Operette“, in: Lesák, Barbara (Hrsg.): Von der Pose zum Ausdruck. Theaterphotographie 1900–1930, Österreichisches Theatermuseum, Wien: Christian Brandstätter Verlag 2003, S. 124–131 Schneidereit, Otto: Fritzi Massary. Versuch eines Porträts, Berlin: VEB Musikverlag 1970 Schönfeld, Christiane u. Finnan, Carmel (Hrsg.): Practicing modernity. Female creativity in the Weimar Republic, Würzburg: Königshausen & Neumann 2006 Schrader, Bärbel u. Schebera, Jürgen: Kunstmetropole Berlin 1918–1933. Dokumente und Selbstzeugnisse, Berlin u. Weimar: Aufbau-Verlag 1987 Schroer, Markus: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1761), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006 Schuberth, Ottmar: Das Bühnenbild. Geschichte, Gestalt, Technik, München: Verlag Georg D.W. Callwey 1955 Schulman, Peter u. Lubich, Frederick A. (Hrsg.): The marketing of eros. Performance, sexuality, consumer culture, Essen: Die Blaue Eule 2003 Schutte, Sabine (Hrsg.): Ich will aber gerade vom Leben singen … Über populäre Musik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik (= Geschichte der Musik in Deutschland), Reinbek bei Hamburg: RowohltTaschenbuch-Verlag 1987 Seelen, Manja: Das Bild der Frau in Werken deutscher Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit (= Kunstgeschichte 49), Münster: LIT Verl. 1995 Soden, Kristine von (Hrsg.): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre (= ElefantenPress BilderLeseBuch 262), Berlin: Elefanten-Press 1988 Spötter, Anke: Theaterfotografie der Zwanziger Jahre an Berliner Bühnen. Gestaltung und Gebrauch eines Mediums (= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte e.V. 76), Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte e.V. 2003 Stahrenberg, Carolin: „Diseuse“, in: Kreutziger-Herr, Annette u. Unseld, Melanie (Hrsg.): Lexikon Musik und Gender, Stuttgart: Bärenreiter; Metzler 2010, S. 381f. Stahrenberg, Carolin: Hot Spots von Café bis Kabarett. Musikalische Handlungsräume im Berlin Mischa Spolianskys 1918–1933 (= Populäre Kultur und Musik 4), Münster: Waxmann 2012 Stein, Roger: Das deutsche Dirnenlied. Literarisches Kabarett von Bruant bis Brecht (= Literatur und Leben 67), Köln: Böhlau 2006
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Stekel, Wilhelm: Impulshandlungen (= Störungen des Trieb- und Affektlebens [Die parapathischen Erkrankungen] 6), Berlin u. Wien: Urban & Schwarzenberg 1922 Stern, Carola: Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary (= rororo 22962), einmalige Sonderausg, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2001 Straumann, Barbara: „Queen, Dandy, Diva. Eine Geschichte der theatralischen Selbstentwürfe vom höfischen Schauspiel bis zur Photographie“, in: Bronfen, Elisabeth u. Gaugler-Straumann, Barbara (Hrsg.): Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer-Mosel 2002, S. 69–87 Sturm, Gabriele: Wege zum Raum. Methodologische Annäherungen an ein Basiskonzept raumbezogener Wissenschaften, Opladen: Leske + Budrich 2000 Sykora, Katharina: „Die ‚Hure Babylon‘ und die ‚Mädchen mit dem eiligen Gang‘. Zum Verhältnis ‚Weiblichkeit und Metropole‘ im Straßenfilm der Zwanziger Jahre“, in: Sykora, Katharina; Dorgerloh, Annette; Noell-Rumpeltes, Doris u. Raev, Ada (Hrsg.): Die neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg: Jonas 1993, S. 119–140 Sykora, Katharina: „Die neue Frau. Ein Alltagsmythos der Zwanziger Jahre“, in: Sykora, Katharina; Dorgerloh, Annette; Noell-Rumpeltes, Doris u. Raev, Ada (Hrsg.): Die neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg: Jonas 1993, S. 9–24 Sykora, Katharina; Dorgerloh, Annette; Noell-Rumpeltes, Doris u. Raev, Ada (Hrsg.): Die neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg: Jonas 1993 Thornham, Sue; Basset, Caroline u. Marris, Paul (Hrsg.): Media studies. A reader, Edinburgh: University Press 1996 Trageser, Martin: „Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit“. Die zwanziger Jahre im Spiegel des Werks von Marcellus Schiffer (1892–1932), Berlin: Logos Verlag 2007 Unseld, Melanie: „Man töte dieses Weib!“. Weiblichkeit und Tod in der Musik der Jahrhundertwende, Stuttgart: Metzler 2001 Unseld, Melanie u. Zimmermann, Christian von (Hrsg.): Anekdote – Biographie – Kanon. Zur Geschichtsschreibung in den schönen Künsten (= Biographik 1), Köln u.a.: Böhlau 2013 Vicendeau, Ginette: „The ‚mise-en-scene‘ of Suffering. French ‚Chanteuses Réalistes‘“, in: New Formations, Nr. 3 (1987), S. 107–128 Vogel, Benedikt: Fiktionskulisse. Poetik und Geschichte des Kabaretts (= Explicatio), Paderborn u.a.: Schöningh 1993
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Völger, Gisela u. Welck, Karin von (Hrsg.): Die Braut. Geliebt, verkauft, getauscht, geraubt. Zur Rolle der Frau im Kulturvergleich, Bd. 1, Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum 1985 Vollmer-Heitmann, Hanna: Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Die zwanziger Jahre (= Frauenleben), Hamburg: Kabel 1993 Völmecke, Jens-Uwe: Die Berliner Jahresrevuen 1903–1913 und ihre Weiterführung in den Revue-Operetten des ersten Weltkrieges, Diss.-Univ., Köln 1996 Warhaftig, Myra: „Monumental – expressiv – theatralisch. Zur Architektur Oskar Kaufmanns“, in: Oskar Kaufmann. Mit einer Einleitung von Dr. Max Osborn, repr. von 1928 mit einem Nachwort zur Neuausg. von Myra Warhaftig (= Neue Werkkunst), Berlin: Gebr. Mann Verlag 1996, im Nachwort: S. I–XII, hier S. V. Weiss, Stefan u. Schebera, Jürgen (Hrsg.): Street scene. Der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen der Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau 6), Münster: Waxmann 2006 Wicke, Peter; Ziegenrücker, Kai-Erik u. Ziegenrücker, Wieland: Handbuch der populären Musik. Geschichte – Stile – Praxis – Industrie, erw. Neuaufl., Mainz: Schott 2007 Widmaier, Tobias: „Diagnose ‚musikalische Impotenz‘. Antimoderne Affekte am Beispiel Hans Pfitzner“, in: Meine, Sabine u. Hottmann, Katharina (Hrsg.): Puppen, Huren, Roboter. Körper der Moderne in der Musik zwischen 1900 und 1930, Schliengen: Edition Argus 2005, S. 82–101 Worbs, Dietrich: „Komödie“ und „Theater am Kurfürstendamm“. Das Erbe von Oskar Kaufmann und Max Reinhardt, München u. Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007 Wulffen, Erich: Das Weib als Sexualverbrecherin. Ein Handbuch für Juristen, Verwaltungsbeamte und Ärzte (= Enzyklopädie der modernen Kriminalistik. Sammlung von Einzelwerken berufener Fachmänner), Berlin: Dr. P. Langenscheidt 1923 Ziege, Felix (Hrsg.): Leopold Jeßner und das Zeit-Theater, Berlin: Eigenbrödler Verlag 1928 Ziegenmeyer, Annette: Yvette Guilbert. Pionierin einer musikalischen Mediävistik zum Hören (= musicolonia 11), Köln: Verlag Dohr 2013 Zuber, Barbara: „Die inszenierte Diva. Zur Ikonographie der weißen Primadonna im 19. und frühen 20. Jahrhundert“, in: Grotjahn, Rebecca; Schmidt, Dörte u. Seedorf, Thomas (Hrsg.): Diva – die Inszenierung der übermenschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, Schliengen: Ed. Argus 2011, S. 147–157
Abbildungsverzeichnis
T ABELLEN Tabelle 1, S. 68–71: Margo Lions Auftritte in Kabaretts, Sandra Danielczyk Tabelle 2, S. 72–74: Margo Lions Auftritte in (Kabarett-)Revuen, Sandra Danielczyk Tabelle 3, S. 114: Themenanalyse, Sandra Danielczyk Tabelle 4, S. 116117: Werteanalyse, Sandra Danielczyk Tabelle 5, S. 269–270: Blandine Ebingers Repertoire der Lieder eines armen Mädchens, Sandra Danielczyk
N OTENBEISPIELE Notenbeispiel 1, S. 135: „Es liegt in der Luft“, Musik: Mischa Spoliansky, Text: Marcellus Schiffer, Transkription Sandra Danielczyk Notenbeispiel 2, S. 137: „Die fleißige Leserin“, Musik: Mischa Spoliansky, Text: Marcellus Schiffer, Transkription Sandra Danielczyk Notenbeispiel 3, S. 137: „Wenn die beste Freundin“, Musik: Mischa Spoliansky, Text: Marcellus Schiffer, Transkription Sandra Danielczyk Notenbeispiel 4, S.137: „L’heure bleu“, Musik: Mischa Spoliansky, Text: Marcellus Schiffer, Transkription Sandra Danielczyk Notenbeispiel 5, S. 137: „Mir ist so nach Dir!“, Musik: Mischa Spoliansky, Text: Marcellus Schiffer, Transkription Sandra Danielczyk Notenbeispiel 6, S. 139: „L’heure bleu“ – Refrain, Musik: Mischa Spoliansky, Text: Marcellus Schiffer, Transkription Sandra Danielczyk
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B ILDER Abb. 1, S. 76: Margo Lion, Autogrammkarte, Verlag Harlip, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 958_1 Abb. 2, S. 95: Porträts von Margo Lion in der Ullstein-Presse, veröffentlicht in UHU, Nr. 9 (1930) und UHU, Nr. 3 (1933), Atelier Binder, ullstein bild Abb. 3, S. 95: Porträts von Margo Lion in der Ullstein-Presse, veröffentlicht in UHU, Nr. 3 (1931/1932), Atelier Binder, ullstein bild Abb. 4, S. 95: Porträts von Margo Lion in der Ullstein-Presse, veröffentlicht in Der Querschnitt, Nr. 2 (1928), ullstein bild Abb. 5, S. 98: Margo Lions typische Posen, veröffentlicht in Tempo (03.06.1930), ullstein bild Abb. 6, S. 98: Margo Lions typische Posen, veröffentlich in: Der Querschnitt, Nr. 8 (1927), Rolf Mahrenholz, ullstein bild Abb. 7, S. 99: Karikatur des Ensembles aus der Kabarettrevue Was ihr wollt, 2. v. li. Margo Lion, in: 8-Uhr-Abendblatt (02.04.1927), Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 16.2_1 Abb. 8, S. 99: Karikatur von Margo Lion in Alles Schwindel!, in: 12-Uhr-Mittag, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 2.5_1 Abb. 9, S. 99: Karikatur von Margo Lion (rechts) in Sie werden von uns hören, in: Berliner Morgenpost (07.02.1931), Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 15.2_1 Abb. 10, S. 102: Yvette Guilbert, gemalt von Henri Toulouse-Lautrec, 1894, Creative Commons Abb. 11, S. 106: Marya Delvard, Plakat von Th. Th. Heine, 1911, Creative Commons Abb. 12, S. 109: Margo Lion, Karikatur von Godot, Privatbesitz Alan Lareau, zit. nach Alan Lareau: The Wild Stage. Literary Cabarets of the Weimar Republic, Columbia: Camden House 1995, S. 124, Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Alan Lareau Abb. 13, S. 118: Beispiel zur Auswertung von Rezensionen, Herbert Ihering: „Eine neue Kurfürstendamm-Revue“, in: BC (26.05.1928), Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 2.5, Sandra Danielczyk Abb. 14, S. 122: Ergebnisse der Themen- und Werteanalyse, Sandra Danielczyk
A BBILDUNGSVERZEICHNIS
ǀ 433
Abb. 15, S. 151: Margo Lion singt das Couplet „Die Linie der Mode“, Frieda Riess, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 687_002 Abb. 16, S. 178: Werbung für die Electrola-Platte Es liegt in der Luft, Vorderseite, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 707 Abb. 17, S. 178: Werbung für die Electrola-Platte Es liegt in der Luft, Innenteil, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 707 Abb. 18, S. 193: Zuschauerraum der Komödie, Mitte der 1920er Jahre, Komödie Berliner Privattheater GmbH Abb. 19, S. 196: Logen in der Komödie, Mitte der 1920er Jahre, Komödie Berliner Privattheater GmbH Abb. 20, S. 197: Bildpostkarte: Berlin-Charlottenburg, Die Komödie, Kurfürstendamm 206/207, Berlin, 1920-1927, Unbekannter Fotograf, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.-Nr.: SM 2016-10117, Reproduktion: Friedhelm Hoffmann Abb. 21, S. 203 Es liegt in der Luft, Erstes Finale, 13. Bild, hier in einer Aufführung mit Blandine Ebinger, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 726 Abb. 22, S. 203: Es liegt in der Luft, 22. Bild mit dem Chanson „Ping-Pong“ (4. v. li.: Margo Lion), Berlin, 1928, Unbekannter Fotograf, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.-Nr.: SM 2015-0773, Reproduktion: Friedhelm Hoffmann Abb. 23, S. 210: Margo Lion gemeinsam mit Oskar Karlweis, lebendigen und Pappgirls, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 729 Abb. 24, S. 212: Dodo Wolff: „Rationalisierung“, für die Zeitschrift ULK (1928), mit freundlicher Druckgenehmigung von Clare Amsel, Reproduktion: Renate Krümmer Abb. 25, S. 215: Margo Lion, Marlene Dietrich und Oskar Karlweis in der Szene „Sisters“, Zander & Labisch, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 725 Abb. 26, S. 215: Margo Lion und Marlene Dietrich in Es liegt in der Luft, Berlin, 1928, unbekannter Fotograf, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.-Nr.: SM 2015-0735, Reproduktion: Friedhelm Hoffmann, Berlin Abb. 27, S. 216: Blandine Ebinger im Brautkleid in der Szene „Weiße Woche“, zit. nach: Blandine Ebinger: „Blandine…“ Von und mit Blandine Ebinger, der großen Diseuse der Zwanziger Jahre, der kongenialen Muse von Friedrich Hollaender, Zürich: Arche Verlag, Raabe + Vitali 1985, S. 148, mit freundlicher Druckgenehmigung von Helwig Hassenpflug
434 ǀ D ISEUSEN IN DER W EIMARER R EPUBLIK
Abb. 28, S. 218: Margo Lion als Pudel in der Szene „Abgegebene Hunde“, veröffentlicht in Berliner Illustrirte Zeitung, Nr. 22 (1928), Wolff von Gudenberg, ullstein bild Abb. 29, S. 238: Margo Lion als Braut in der Szene „Weiße Woche“, Zander & Labisch, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 930_019 Abb. 30: S. 249: Die Weiße Woche im Kaufhaus J. W. Sältzer, Hannover (1925), Postkarte, Hannoversche Lichtdruckanstalt, Privatbesitz Sandra Danielczyk Abb. 31, S. 249: Die Weiße Woche in Essen (1930), Privatbesitz Sandra Danielczyk Abb. 32, S. 250: Titelblatt des Notendrucks „Weisse Woche“, Musik: Rudolph Nelson, Text: Artur Rebner, Kaufhaus des Westens GmbH, Privatbesitz Sandra Danielczyk Abb. 33, S. 262: Blandine Ebinger während ihrer Chanson-Performance „Starker Tobak“, veröffentlich zusammen mit dem Artikel von H.G. Lustig: „Blandine Ebinger trägt ein Lied vor“, in: Die Dame (März 1931), Nr. 13, S. 12–14, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 63 Abb. 34, S. 266 Blandine Ebingers Bühnen-Persona des armen Mädchens, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 552_002 Abb. 35, S. 273: Blandine Ebinger in ihrer Chanson-Performance von „Das Groschenlied“, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 552_003 Abb. 36, S. 281: Auszug aus „Wenn ick mal tot bin“, transkribiert von Erwin Bootz, Musik und Text von Friedrich Hollaender, mit freundlicher Druckgenehmigung von Helwig Hassenpflug Abb. 37, S. 297: Autogrammkarte von Blandine Ebinger, Ilse Buhs, Deutsches Theatermuseum München, Privatbesitz Sandra Danielczyk Abb. 38, S. 300: Blandine Ebingers letztes Bühnenprogramm bei den 32. Berliner Festwochen 1982, Akademie der Künste Berlin, Abteilung darstellende Künste, Archiv Marcellus Schiffer / Margo Lion, Sig. 17 Es wurde jeder Versuch unternommen, die Urheberrechtsinhaber des nachgedruckten Materials in diesem Buch ausfindig zu machen. Trotz intensiver Nachforschungen konnten vereinzelt die Rechte leider nicht ermittelt werden. Die Rechteinhaber werden gebeten, sich ggf. mit der Autorin in Verbindung zu setzen.
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