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German Pages 241 Year 1998
Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte
BEIHEFTE ZU " DER STAAT" Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Winfried Brugger, Rolf Grawert, Johannes Kunisch, Fritz Ossenbühl, Helmut Quaritsch, Rainer Wahl
Heft 12
Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte
Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13. 3. - 15. 3. 1995 Für die Vereinigung herausgegeben von Wilhelm Brauneder
Duncker & Humblot · Berlin
Redaktion: Dr. Gerald Kohl, Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Der Staat / Beiheft] Der Staat: Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungs geschichte. - Berlin : Duncker und Humblot Teilw. mit Nebent.: Beihefte zu "Der Staat" Reihe Beiheft zu: Der Staat H. 12. Staatliche Vereinigung: fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte. - 1998 Staatliche Vereinigung: fdrdernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte : Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13. 3. - 15.3. 1995/ für die Vereinigung hrsg. von Wilhelm Brauneder. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Der Staat; H. 12) ISBN 3-428-09172-8
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6828 ISBN 3-428-09172-8
Inhaltsverzeichnis Peter Maraw: Zur staatlich-organisatorischen Integration des Reiches im Mittelalter......
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Aussprache.......................................................................
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Alfred Kohler: Zur Problematik dynastischer Integration am Beispiel der Habsburgermonarchie(15.-17.Jh.) .............................................................
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Walfgang Neugebauer: Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740 ........
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Aussprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Helmut Neuhaus: Auf dem Wege von "Unsern gesamten Staaten" zu "Unserm Reiche". Zur staatlichen Integration des Königreiches Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts .............................................................................. 107 Aussprache. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . .. . . . . .. . . ... . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . .. . . .. 127
Elmar Wadle: Staatenbund oder Bundesstaat? Ein Versuch über die alte Frage nach den föderalen Strukturen in der deutschen Verfassungsgeschichte zwischen 1815 und 1866 ......................................................................... 137
Alfred Kölz: Zur Staatenbildung im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz ...................................................................... 171 Aussprache .. . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. .. 178
Wilfried Fiedler: Die Bedeutung rechtlicher Faktoren bei den staatlichen (Wieder)Vereinigungen Deutschlands............................................................ 191 Aussprache ..................... '.. . . .. . . . . .. . . . .. . .. .... . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . .. 216
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Verzeichnis der Redner
Inhaltsverzeichnis 229
Satzung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte ............................... 230 Verzeichnis der Mitglieder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233
Zur staatlich-organisatorischen Integration des Reiches im Mittelalter Von Peter Moraw, Gießen
I.
Aus aktuellem Anlaß hat die Vereinigung für Verfassungsgeschichte das Tagungsthema gewählt: "Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte". Es besteht die Hoffnung, daß ein erster Schritt getan werden kann in Richtung auf das historisch-juristische Verstehen jener immer noch kaum glaublichen Ereignisse seit 1989. Es scheint klar, daß Juristen und Historiker, die sich mit dem 20. und auch noch mit dem 19. Jahrhundert befassen, dazu vieles zu sagen haben. Sodann könnte man, schon aus wissenschaftlicher Neugier, auch noch rückblickend wissen wollen, wie sich ein solches Rahmenthema auch jenseits des 19. / 20. Jahrhunderts ausnimmt. Ein einschlägiger Vortrag über ein Thema aus dem deutschen Mittelalter ist indessen nicht ganz einfach; denn die beiden Kernbegriffe der Tagung, "staatlich" und "Vereinigung", sind hierfür problematisch. Es gibt wohl zwei Möglichkeiten, sich der Herausforderung zu stellen: von Einzelakten "staatlicher Vereinigung" zu 'lYPenbildung und Verallgemeinerung fortzuschreiten oder grundsätzlicher vom Zusammenhalt und von der Integration im Gemeinwesen zu handeln - über Phänomene, die die ältere deutsche Geschichte vom Beginn an begleitet haben. Wir haben uns für die zweite Möglichkeit entschieden, auch weil es nützlich sein mag mitzuteilen, wie man inzwischen in der Mediävistik in etwas neuartig akzentuierter Weise mit der hauptsächlichen tragenden und formenden politischen Kraft der jüngeren europäischen Geschichte umgeht, mit dem Staat. Eine Anzahl dieser Neuerungen bezieht sich in der Tat auf die deutsche Geschichte. Aber auch die Kenner der französischen Geschichte mögen aufhorchen, wenn ganz im gleichen Sinn der Neuerung - entgegen dem großzügigen Patriotismus Fernand Braudels in seinem Alterswerk "Frankreich"! und entgegen seinen vielen Vorgängern - in einer kürzlich erschienenen 1
Fernand BraudeI,
Frankreich, 3 Bde, 1989 - 92.
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Darstellung dieser Geschichte der erste Satz lautet (von Bernd Schneidmüller): "Frankreich ist ein eher zufälliges Produkt der frühmittelalterlichen Geschichte". Oder auch: "Die Entstehung einer ,französischen' Nation im Mittelalter ist ... nicht als kontinuierlicher Vorgang zu begreifen".2 Bei uns liegen die landläufigen Verständnisverhältnisse gleichsam andersherum: Es wird ein hohes Maß von Diskontinuität einfach vorausgesetzt; unsere Neuerer müßten wohl in die gegenteilige Richtung als die Veränderer der französischen Geschichte blicken. Später könnte man sich irgendwo in der Mitte treffen und etwas erstaunt feststellen, daß die beiden großen Nationen im Zentrum Europas eine so verschiedene Vergangenheit gar nicht gehabt haben. Was sich sozusagen an der Front der Forschung bei uns derzeit verändert, wie das Thema "Integration" vielleicht den Kern dieses Problems trifft und was uns das womöglich heute zu sagen hat, darum geht es hier. Wir empfinden diese Aufgabe auch als darstellerisch schwierig, schon weil die ganze erste Hälfte der deutschen Geschichte zusammenfassend und zwar von ihrer Endphase her gerafft gedeutet werden soll. Wir sehen diesen Beitrag daher an als eine bescheidene Zwischenstation auf dem Weg zu immer mehr Klarheit über - sagen wir es ruhig - ein Grundproblem unserer älteren Geschichte und unseres langfristigen Geschichtsverständnisses. Es ist ein Gemisch aus Thesen und annähernden Gewißheiten, das wir bieten möchten, und vieles wird sehr kurz angesprochen werden, weil wir verhältnismäßig vieles ansprechen möchten. Die weit getriebene Spezialisierung gerade der Erforschung der älteren deutschen Geschichte ist ebenso notwendig wie bedenklich. Daß man den Wald vor lauter Bäumen kaum mehr sieht, ist auch unser Problem, und zusätzlich noch, daß erst vom Wald aus gesehen erkennbar wird, welche Bäume als die interessantesten gelten können, die vielleicht noch kaum ins Auge gefaßt worden sind. Daß es andererseits ohne Bäume keinen Wald geben würde, kann man als selbstverständlich voraussetzen. Wir formulieren zunächst thesenhaft drei hier nicht weiter diskutierte Voraussetzungen unseres Ansatzes, die stillschweigend schon in den Eingangsworten enthalten gewesen sind: 1. Das wissenschaftliche Umgehen mit unserem Thema ist unabtrennbar vom Umgehen der Historiker und Juristen mit ihrer jeweiligen Gegenwart, zum Beispiel mit unserer Gegenwart. Oder: Die Verständnisgeschichte ist ebenso wichtig wie die Geschehensgeschichte. 2. Die Deutschen sollten sich bis zur wissenschaftlichen (nicht andersartigen) Widerlegung dieser Auffassung das Recht nehmen, eine lange Geschichte zu haben, die inzwischen mehr als tausend Jahre währt. Nur unter dieser Voraussetzung kann man Frankreich und Deutschland historisch vergleichen. Dieser Anspruch auf eine lange Geschichte ist in vieler Hin2
Ernst Hinrichs (Hrsg.), Kleine Geschichte Frankreichs, 1994, S. 13.
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sicht als wissenschaftliches Problem zu verstehen, aber auch als politisches Problem, deshalb zum Beispiel, weil eine Anzahl heute benachbarter Nationen bei ihrer nationalen Wurzelsuche irgendwann einmal innerhalb einer solchen langen deutschen Geschichte ankommt und damit ihre Schwierigkeiten hat. Das natürliche Legitimierungsbedürfnis dieser Nachbarn führt zu mancherlei eigenartigen Einzelbehauptungen, was die jeweilige eigene Geschichte betrifft, und insgesamt zu einer gewissen Entstaatlichung oder gar Negierung der langen deutschen Geschichte, was sich in merkwürdiger Weise trifft mit mancherlei ähnlichen binnendeutschen politischen und bildungspolitischen Tatbeständen der Moderne. Daß man hier und dort die deutsche Teilung von 1948/49 bis 1989/90 schon in die ältere Geschichte zurückzuverlagern begonnen hatte, wird man sicherlich später einmal nachweisen. Erst eine noch fehlende Typologie der mittelalterlichen und neuzeitlichen Staatsentstehung in Europa mag Ruhe in das Problem bringen. 3. Das Gespräch oder wenigstens das Zuhören zwischen Fachleuten verschiedener historischer Perioden liegt bei uns im argen, aus ganz verschiedenen Gründen. Auch diese Verständniskrlse wirkt auf unser Wissen von den Tatsachen der langen deutschen Geschichte und erst recht auf unser Verstehen von deren Tatsachen zurück. Unbewußt oder kaum bewußt werden auch Orientierungs- und Kontinuitätsprobleme der Moderne in die ältere Geschichte zurückprojiziert. Daß grundlegende Fragen unserer älteren Verfassungsgeschichte kaum diskutiert wissenschaftlich strittig sind, tritt deshalb nicht so recht in das Bewußtsein. Es gibt eben eine "Rückwirkungsgeschichte" , insofern als man nahezu automatisch das Frühere so intensiv im Licht des Späteren sieht, daß man sich nur sehr mühsam von diesen Zwängen befreien kann.
ll. Wenn wir nun die erste Hälfte der deutschen Geschichte summarisch unter dem Aspekt des Themas "Staatliche Vereinigung: fördernde und hemmende Elemente" oder auch das Thema "staatliche Integration" betrachten, kommen wir zur Hauptfrage des Vortrags, die dann auszufalten und zu limitieren ist. Diese Hauptfrage ist wohl noch kaum je so zugespitzt oder vielleicht überhaupt noch nicht so gestellt worden, wie sie jetzt etwas provokativ dargelegt sei: Wie konnte Deutschland einst entstehen, obwohl so vieles dagegensprach? Und ferner: Wie konnte es während der älteren Zeit bestehen bleiben, da doch weiterhin so vieles dagegensprach? Anders formuliert: Entgegen zahlreichen einschlägigen Realitäten von damals haben "Deutsche" tatsächlich gelernt, Deutsche zu sein, und sie sind - zumindest im Mittelalter - auch schon darauf stolz gewesen. Mit dem Entgegenstehenden meinen
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wir nicht die vorhin erwähnten auseinanderreißenden Geschichtstraditionen (mit denen haben erst die modernen Historiker zu kämpfen), sondern die zeitgenössischen sachlichen Hemmnisse, beginnend mit einem von uns gern zitierten Tatbestand: Man hat noch im 15. Jahrhundert, bevor die Post eingerichtet worden war (am Ende des Jahrhunderts und zunächst nur für die "Herrschenden"), etwa einen Monat benötigt, um das nordalpine Reich zu durchqueren, und man hat auch keine Nachricht schneller übermitteln können. Wir erinnern uns an den Satz über die zufällige Entstehung Frankreichs. Wir wissen nicht genau, wie man Schicksalhaftes oder besser, was sich von später her gesehen als schicksalhaft herausstellt, am besten benennt: Zufall, Schicksal, Fügung oder anderswie. Das ist wohl auch nicht so wichtig. Wichtig, ja unverzichtbar ist das Akzeptieren des Tatbestandes, daß etwas zunächst Punktuelles bedeutende überpunktuelle Nachwirkungen zu entfalten imstande war, ohne daß wir jenen Ausgangspunkt mit dieser Nachwirkung argumentativ belasten müßten. Wirkungsgeschichte konnte sich in ganz anderer Richtung, Quantität und Qualität äußern, als der Punkt von einst den Punktformenden von einst versprochen hatte. Gleichwohl hätte es ohne diesen Punkt jene Nachwirkungsgeschichte nicht gegeben. So hat es sich bei der Entstehung dessen, was wir heute Staaten oder auch Nationen nennen, gern verhalten, auch bei uns. Sodann muß man sich mit dem Aufeinanderfolgen solcher punktueller Ereignisse abfinden, das man vielleicht am besten so versteht, daß die Zahl der Alternativen mit jedem neuen Punkt geringer wurde, bis die Geschichte schließlich in die Gegenwart einmündet. Auch wird man sich damit abfinden, daß breit fließende, seinerzeit kaum lenkbare, ja oft unbemerkt gebliebene Prozesse mit jenen Punkten auf geschichtsformende Weise kommunizierten. Elemente, die am Beginn des deutschen Mittelalters die Bildung und Fortexistenz ausgedehnter Gemeinwesen zu hemmen vermochten, gab es in sehr beträchtlicher Zahl. Deshalb war auch das karolingische Großreich kurzlebig. Spezifischer sind jene vier fördernden Elemente - heterogene Strukturen und Geschehenszusammenhänge -, die im nicht intendierten Zusammentreffen jene Konstellation schufen, aus der sich zu entfalten vermochte, was wir deutsche Geschichte nennen. Es handelte sich um folgende Elemente: 1. Ein Erbe germanischer Vergangenheit war im Milieu der Handelnden, auf die es in der älteren Geschichte regelmäßig so gut wie allein ankommt, deren aristokratisches Grundgefüge. 3 Es organisierte Regionen mittlerer 3 Johannes Fried, Der Weg in die Geschichte (Propyläen Geschichte Deutschlands, Bd. 1), 1994; Hagen Keller, Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont (Propyläen Geschichte Deutschlands, Bd. 2), 1986; Eckhard Müller-Mertens/
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Größe, von "gentes" (Völkern) bewohnt, friedlich oder gewaltsam und gab ihnen eine mehr oder weniger durchsetzungsfähige Spitze, die sich oft durch die Abwehr äußerer Feinde qualifiziert und legitimiert hatte. Das freiwillig-unfreiwillige Bündnis der Spitzen mehrerer "gentes", einigermaßen mitgetragen von den diesen Spitzen zugeordneten Adelsgruppen, hat für jenes vorerst noch namenlose Gebilde, das uns interessiert, die maßgebliche Machtstruktur gebildet. Die Lebensregeln dieser Kriegergesellschaft erscheinen uns heute fremdartiger als noch vor wenigen Jahren. Es scheinen sich im Hinblick darauf derzeit in der Hochmittelalter-Mediävistik geradezu zwei Lehrmeinungen gegenüberzustehen, eine "progressive" und eine " konservative " . Ungeklärt ist auch noch die Transformation dieser fremdartigen Regeln in jene, die die Mediävistik des späteren Mittelalters ungefähr analog zu frühneuzeitlichen Verhältnissen zu verstehen sucht. Jene hochmittelalterliche "Ungewißheit" hat auch den "Regnum" (Reich)-Begriff erfaßt. Es ist heute fraglich, ob damit etwas schon Institutionell-Verbandliches oder noch allein Königsherrschaft gemeint sei. 2. Das fränkisch-karolingische Reich bot das maßgebliche konkrete Modell für ein Königtum über mehreren "gentes", bot bei richtiger Auswahl des damaligen historischen Wissens eine politisch-militärische Erfolgsgeschichte, die fortzusetzen lohnend erschien, und bot in Gestalt einer der beiden karolingischen Kernbildungen, derjenigen zwischen Rhein und Maas, eine wesentliche Mitte des neuen Herrschaftsverbandes. Dieser Verband war in der Tat noch fränkisch im 10. und wohl auch noch im früheren 11. Jahrhundert. Die karolingische Grundstruktur, die wohl in Parallele zu sehen ist zu einem entwicklungsgeschichtlich vorgegebenen West-Ost-Gefälle 4 im lateinischen Europa und auch innerhalb von Ostfranken Deutschland, hat sich erhalten. Alternativen, etwa die Verbindung von Niedersachsen und Angelsachsen oder ein alpenübergreifendes Reich aus Oberitalien und Oberdeutschland, wurden rasch unwahrscheinlich und sind tatsächlich nicht verwirklicht worden. Die neue Erfolgsgeschichte setzte mit dem Sieg Ottos 1. über die Ungarn bei Augsburg von 955 ein. 3. Ein wahrhaft fundamentales Ereignis mit außerordentlicher Nachwirkung, genauso wie diese Schlacht ein punktuelles, war die Übernahme des römischen Kaisertums antik-karolingischer Tradition durch den ostfränkischen König Otto im Jahr 962. Obwohl damals innenpolitisch durchaus umstritten, wurde das Kaisertum von den Nachfolgern im Königsamt behauptet und wurde von den Nachbarkönigen allgemein anerkannt. Die Wege von Wolfgang Huschner, Reichsintegration im Spiegel der Herrschaftspraxis Kaiser Konrads 11., 1992; Gerd AlthofJ, Spielregeln der Politik im Mittelalter, 1997. 4 Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochfinanz. Wirtschaftsräume. Innovationen, Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2, 1987, S. 583 - 622.
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Deutschland und von Frankreich trennten sich. Ein Königtum schuf und formte Frankreich, das Kaisertum umhüllte Deutschland und hielt es damit zusammen. Davon ist noch zu sprechen. Die legitimierende Kraft des Kaisertums, von der ebenfalls gleich zu reden ist, wird man wohl stärker als bisher hervorheben. Seit der Stauferzeit vermochte sich das Kaisertum nach und nach von Rom zu lösen, ja es vermochte im topographischen Sinn geradezu ortlos zu werden. So war es bei uns ungeachtet der wechsenden politischen Zentren der Herrschermacht und bis in die entfernte Peripherie dauerhaft akzeptabel. Es wurde deutsch - vor allem weil man stolz darauf war. Auch die Erbschaft Karls des Großen, die schließlich der westliche König antrat, war auf den Platz Aachen nicht angewiesen und wurde französisch. 4. Die Christlichkeit des entstehenden und des entstandenen Reiches ist der hier zuletzt genannte, war aber ein - wenn eine Steigerung noch möglich ist - in besonderer Weise grundlegender Wesenszug. Königtum und Kaisertum, beide vorchristliches Erbe, sind tiefgreifend christlich überformt worden. Der Missionsbefehl der Evangelien legitimierte in der Nachfolge der Karolinger vorerst die Ausdehnung nach Osten. Die Reichsbewohner verstanden sich zuerst als Christen und dann als Deutsche. Der populärste Name ihres Landes am Ausgang des Mittelalters war "Heiliges Reich". Wir ziehen aus diesen Tatbeständen zwei Konsequenzen von Gewicht. Sie sollen als Hauptthesen des Vortrags gelten. Sie mögen mithelfen, die lange deutsche Geschichte als zusammenhängende Geschichte zu verstehen, wenn auch - wie unter Wissenschaftlern zu bekennen üblich - als problembehaftete zusammenhängende Geschichte. 1. Wir unterscheiden im Hinblick auf unser entstehendes und entstandenes Gemeinwesen sehr scharf legitimierende und ethnisch beschreibende Aussagereihen. Wie wichtig Legitimität war und ist, etwa auch im Hinblick auf die noch zu erwerbende Legitimität des politischen Europa der Gegenwart und Zukunft, dürfte heute unumstritten sein; um ethnische Fragen wurden und werden blutige Kriege geführt. Bei den meisten Gemeinwesen Europas fallen beide Aussagereihen im wesentlichen zusammen, seinerzeit und erst recht heute. Das den Fachleuten wohlbekannte Verschiedensein bei der Aussagereihen in unserer älteren Geschichte ist häufig gegen die Kompaktheit, ja gelegentlich gegen die Existenz unseres Gemeinwesens gewendet worden. Wir wenden uns gegen Zweifel dieser Art, nicht gegen anders begründete Zweifel. Wir sagen stattdessen: Am Anfang der deutschen Geschichte stand eine Legitimitätsfrage, nicht eine ethnische Frage. Anders formuliert: Um der Deutschen willen wäre Deutschland nie entstanden, oder noch schärfer: Das deutsche Volk ist jünger als das Gemeinwesen, das bald das seine wurde. Deutschland konnte - als Gemeinwesen über anderen (gentil-"regionalen") Gemeinwesen - entgegen zahlreichen aus den Lebens-
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umständen des Hochmittelalters erwachsenen Hemmnissen nur entstehen, weil eine andere, viel bessere als die ethnische Legitimierung vorlag. Es war diejenige mit dem höchsten Rang im lateinischen Europa, die Legitimierung durch die Nachfolge des Römischen Reiches der Antike. Dabei hat die stets allgemein bekannt gewesene Tatsache, daß Rom nicht in Deutschland lag, eine viel geringere Rolle gespielt als oft angenommen wird. Jene Legitimierung ließ sich im Sinne der Zeit biblisch stützen (Vier-Reiche-Lehre nach dem Buch Daniel des Alten Testaments; Lukas 2,1). Der Tatbestand war bis zum Ende des Mittelalters und darüber hinaus in Deutschland und Europa allgemein oder jedenfalls in ausreichendem Maß anerkannt. Vom Römischen Reich des Mittelalters sprechen heißt demnach dasselbe tun wie von Sachsen-Weimar-Eisenach oder von Sachsen-Coburg-Gotha als dynastisch legitimierten Wettinerstaaten reden, in dem Bewußtsein, daß diese Staaten - wie jeder wußte - in Thüringen, in einer Region mit vollentwickeltem Eigenbewußtsein, lagen und mit dem Land Sachsen oder gar mit den Sachsen nichts zu tun hatten. Auch als längst die zweite Aussagereihe, diejenige über das Deutschsein der Träger dieses Reiches, festgefügt war, vom 12. Jahrhundert an 5 , hat man vernünftigerweise - bis auf Einzelgänger des 15. Jahrhunderts - nicht daran gedacht, die antike Legitimierung des Gemeinwesens durch eine ethnisch"moderne" abzulösen, nur um die Historiker von gestern und von heute zufriedenzustellen. Denn man hätte sich legitimatorisch gewaltig verschlechtert. Auch Frankreich, der andere "Großstaat" Europas mit ebenfalls starker ethnischer Vielfalt, war anders und besser legitimiert als ethnisch, nämlich in Gestalt der Nachfolge des Frankenreiches und der Frankenkönige. Sonst müßte man heute von Gallien sprechen, oder eher noch: Sonst wäre Frankreich in der heutigen Art nicht entstanden. Schon im Investiturstreit vor 1100 hat König Heinrich IV. empört die kuriale Behauptung zurückgewiesen, er sei ein deutscher König - nicht deshalb, weil er zurückweisen oder bezweifeln wollte, was gerade damals im Heranwachsen begriffen war: das faktische Deutschwerden und Deutschsein der Handelnden seines Reiches, sondern weil dies eine Herabstufung seines Herrscherturns auf den Stand von Dänen oder Ungarn gewesen wäre. Die Frage, wieviele Leute damals Sprachen gesprochen haben, die die modernen Germanisten als deutsch qualifizieren, spielt dafür keine Rolle - weder pro noch contra. Im Hinblick auf die zweite Aussagereihe, die ethnische, ist es nochmals erwähnenswert, daß es nur auf die Handelnden ankam. Sie fühlten sich tatsächlich zusammengehörig und bemühten sich, füreinander verständlich zu reden. Das ist offenbar im wesentlichen auch gelungen und hat zu einer 5 Heinz Thomas, Das Identitätsproblem der Deutschen im Mittelalter, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43, 1992, S. 135 - 156.
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noch kaum erforschten Geschichte des politischen Deutsch der Handelnden geführt. Dieses Deutsch stand neben dem Latein der schriftlich Gebildeten unter diesen politisch Handelnden oder Mithandelnden; auch das Lateinische ist in diesem Sinn eine deutsche Sprache. Hingegen ist die ältere Begriffsgeschichte des Wortes "deutsch" für unsere Frage wenig bedeutsam. Im politisch maßgebenden Oberdeutschland hielt sich das entstehende nationale Bewußtsein der Deutschen an das Reich, mit seiner hergebrachten Legitimierung. Deutsches und "Reichisches" flossen ineinander. Das römisch legitimierende Reichsverständnis blieb bei uns - mit dem ethnischen Deutschsein des Reiches kaum problematisiert verbunden - das Mittelalter hindurch bestehen und wurde erst im 17. Jahrhundert partiell und im 18. Jahrhundert grundsätzlich bezweifelt, zunächst aus dem konfessionell-politischen Motiv neuartiger Kaiserfeindschaft und dann auch aus "wissenschaftlichen" Motiven. Kaiser Franz legte 1806, in der Abdankungsurkunde, die Krone des Deutschen Reiches nieder. Wir können heute, wenn wir die Prämissen korrekt erläutern, u. E. von deutscher Geschichte schon im hohen Mittelalter sprechen. 2. These: In anderer Weise, als wir uns wohl gegenwärtig die Entstehung von Gemeinwesen vorstellen, bestand bei uns in Gestalt der römisch-imperialen Idee eine Hülle, die das Gebilde umgab, bevor man wie sonst gewohnt ein die Hülle von innen kraftvoll stützendes Gerüst hat errichten können. Nicht einfach von innen nach außen ist Deutschland entstanden. Zwar bestand, wie wir hörten, ein urtümliches Binnengefüge, nämlich ein personalaristokratisches samt Ergänzungen durch kirchliche Elemente. Das antike Erbe hingegen ist über die abstrakte Legitimierung hinaus nur in der Person des Herrschers konkret geworden, nicht irgendwie institutionell. König und Kaiser waren dieselbe Person, so daß sich die Merkmale von Königtum und Kaisertum verschwisterten. Auch wer die Kaiserkrone nicht errang, nahm die meisten Kaiserrechte in Anspruch und wurde in deren Ausübung anerkannt. Im 13. Jahrhundert jedoch, in dem Zeitalter, in welchem die institutionelle Verspätung Deutschlands im Vergleich zum Westen und Süden Europas deutlich hervortrat, stellte sich das Fehlen eines zeitangemessenen - das hieß inzwischen stabilisierten und modernisierten - inneren Gerüsts als immer nachteiliger heraus. Das 13. Jahrhundert war im Westen des Kontinents die Höhe des Mittelalters. Bei uns war es eher ein Zeitalter verpaßter Gelegenheiten. Wenig nur wurde im 14. und 15. Jahrhundert bei uns aufgeholt. Die Hülle wirkte unterdessen bergend fort, in Verbindung mit dem Glückumstand, daß keine zergliedernde Herausforderung, kein ernsthafter Feind, zumal einer, der die Spielregeln christlicher Könige nicht geachtet hätte, das Reich bedroht hat. Die Mongolen kehrten 1241 um; sicherlich hätte man sie nicht aufhalten können. Einen Hundertjährigen Krieg, der die französi-
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sche und die englische Monarchie in schwere Krisen stürzte, zugleich aber intensive Beschleunigungsvorgänge der inneren Entwicklung auslöste, gab es bei uns nicht. Statt dessen leistete man sich nach dem Ende der Staufer im Interesse der Kurfürsten den "Luxus" eines fast regelmäßigen Dynastiewechsels von Herrscher zu Herrscher, so daß auch keine allgemein anerkannte Zentrallandschaft und keine politische Metropole, auch keine fachliche Elite ausreichenden Umfangs haben heranwachsen können. Es gab Kontinuitätsträger von Herrscher zu Herrscher, aber sie halten quantitativ und qualitativ den Vergleich mit dem Westen Europas nicht stand. Die Zeitgenossen wie die modernen Historiker hielten sich mit Kritik an diesem Zustand zurück, weil sie über Europa hinweg zu vergleichen kaum gewohnt waren (und sind), weil in der Ereignisgeschichte keine ernstliche Bestrafung eintrat und weil man schließlich das eine oder andere Element auch (häufig in sehr problematischer Weise) in die Vorgeschichte demokratisch-liberal-bürgerlicher Ideen des 19. Jahrhunderts einordnen zu können glaubte, wie das politische Städtewesen. Dazu trat ein weiterer Aspekt. Nach der Überwindung des archaischen Zeitalters fanden sich auf dem Kontinent ganz grob gesagt drei Entwicklungsstufen vor: Man zeigte sich modern im Westen und im Süden Europas, in einem mittleren Zustand in der Mitte, weiterhin altertümlich im Osten und Norden. Die modernste deutsche Landschaft, der Niederrhein im weitgespannten Sinn mit westlichem Entwicklungsstand, war in der Regel politischer Gegner des Königtums welcher Dynastie auch immer, personifiziert im Erzbischof von Köln. Das Königtum war, wo auch immer, in Landschaften zweiter Güte zu Hause. Währenddessen schritt die Entfaltung der Territorien, in denen die Staatlichkeit im neueren Sinn heranwuchs, zwar gewiß nicht gleichmäßig, aber im ganzen unaufhaltsam voran. 1lI.
Bisher haben wir vom Thema "Staatliche Vereinigung: fördernde und hemmende Elemente" in der Weise gesprochen, daß wir versucht haben, das Entstehen und die erste Lebensphase des Gemeinwesens, um das es uns geht, insgesamt oder an und für sich in einigen Hauptpunkten zu skizzieren. Auf dieser Basis nun können wir von den das Ganze betreffenden Elementen nach und nach zu solchen übergehen, die Teilräume angingen, und können damit dem Thema "Staatliche Vereinigung" im jüngerem Sinn immer näher kommen. 6 Es wird und soll sich zeigen, daß fördernde und hemmende 6 Vgl. Peter Moraw, Über Vereinigung und Teilung in der deutschen Geschichte, in: Historia docet [Festschrift Ivan HlavacekJ, 1992, S. 303 - 316.
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Elemente staatlicher Vereinigung vieles mit Teilräumen, aber weiterhin immer auch mit dem Ganzen zu tun haben. Chronologisch gesehen schreiten wir damit bis zum Ende des Mittelalters voran, dessen Schlußphase uns besonders beschäftigen wird. Dort nämlich hat das Thema der "staatlichen Vereinigung" oder auch dessen Gegenteil, das Thema "Teilung" oder "Trennung" , besonderes Gewicht gewonnen. Im Sinn unserer Gesamtthese von der langen deutschen Geschichte werden wir versuchen darzulegen, daß um 1500 gefallene, ihrerseits sehr tief im Mittelalter verwurzelte Entscheidungen bis in das 19. Jahrhundert fortgewirkt haben. Erst im Zeitalter des Imperialismus und der Ideologien ist anders geteilt und vereinigt worden als in der viel längeren Zeit davor. Bis dahin haben die mittelalterlichen Vorentscheidungen ihre Wirkung getan, ob man sich dessen bewußt war oder nicht. Wir stellen zunächst summarisch fest, daß eine besondere Art "staatlicher" Vereinigung, nämlich der auf der Geschichtskarte leicht ablesbare bedeutende Gebietszuwachs des mittelalterlichen Reiches seit der ottonischsalischen Frühzeit, sich im wesentlichen in zweierlei Form abgespielt hat. Diese beiden Wege legen das Besondere des Mittelalters dar und weisen damit die Unangemessenheit moderner Kategorien auf. Der erste 'J.Ypus war, zumal im Hinblick auf das mittlere und das nordöstliche Deutschland und besonders bis zum 13. Jahrhundert, die Ausführung des Missionsbefehls der Evangelien in der karolingischen Tradition, zwischen EIbe und Oder oder in Preußen. Diesem Befehl ist wohl jeder christliche König je nach seinen geographischen Vorgegebenheiten nachgekommen. Der zweite 'J.Ypus war zumal seit dem 13. Jahrhundert der Zuerwerb regionaler Dynastien, der dann sekundär und ohne aktive Beteiligung der zentralen Gewalt zum Zuerwerb des Reiches geführt hat. Die Zentralgewalt konnte danach um Legitimierung gebeten werden. Ein Beispiel ist Schlesien, das die böhmischen Könige des Hauses Luxemburg in Fortsetzung premyslidischer Politik an sich gezogen haben. Böhmen und Mähren gehörten seit karolingischer Zeit zum Reich, ihre Krieger hatten auch bei Augsburg mitgekämpft. Außerhalb des engeren Deutschland mag man die Teilwiedervereinigung karolingischer Regionalkönigtümer mit dem Ostreich als einen dritten 'J.Ypus benennen. Dies betraf (Nord-)Italien und Burgund. Burgund, das besonders im 14. Jahrhundert zugunsten von Deutschland und Frankreich zerfiel, ist ein merkwürdiger, gemäß unserer Fragestellung bisher kaum beachteter Fall, der die von der deutschen Verfassungshistorie nur selten konstatierte Flexibilität und damit, wenn man so will, Jugendlichkeit der Reichsverfassung aufzeigt: Bern konnte sich als Reichsstadt verstehen, obwohl es nicht auf dem Boden des (engeren) deutschen Reiches lag, sondern in Burgund. Die Beschaffenheit des Vereintseins oder auch des Beisammenbleibens des spätmittelalterlichen Reiches ist in den letzten Jahren vielfach neuartig beurteilt worden. Das hängt mit e.iner Neuorientierung der deutschen Medi-
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ävistik zusammen, deren Nachwuchs sich heute intensiv dieser Periode zuwendet, ganz anders als vor einer Generation. Die institutionellen Elemente, die normalerweise im Vordergrund der Verfassungsgeschichte stehen, werden nun für das Spätmittelalter wesentlich skeptischer beurteilt. 7 Daß es damals Reichsinstitutionen gegeben habe, wie durch eine allzu großzügige Terminologie der Historiker vorgespiegelt worden ist, meint beispielsweise heute kein Fachmann mehr. Reichsinstitutionen gab es erst seit etwa 1500'im Zug jener Veränderungen, von denen hier abschließend zu sprechen ist. Es gab (mit einer Ausnahme) nur königliche (= kaiserliche) Institutionen, also nur königliche Kanzleien, Gerichte, Landvogteien usw. Einen Reichstag gab es noch nicht. Jene Ausnahme war die Institution zur Erneuerung des Königtums, der entstehende und sich nach dem Entstehen weiterhin wandelnde Wahlkörper der Kurfürsten. Ergänzt wurde die Institution des Königtums bald durch die Quasi-Institution der Großdynastie. In Deutschland gab es mehrere Großdynastien nebeneinander, drei oder (seit 1437) zwei, anderswo normalerweise nur eine. Die Großdynastie entging vielfach der Aufmerksamkeit der Verfassungsgeschichte dadurch, daß sie primär durch die einfache Tatsache der Machtausübung charakterisiert scheint, die weiterer schriftlicher Begründung unter den Zeitgenossen kaum bedurfte. Umgekehrt sind einige Quasi-Institutionen daraufhin zu prüfen, ob es sich nicht um Surrogate handelte, die dann nicht überschätzt werden sollten - mögen sie auch dem Historiker einleuchtende oder sympathische Merkmale aufweisen, wie die Städtebünde. Ein wesentlicher, gerade auch unter unserem Hauptaspekt mitentscheidender, gleichwohl fast unbeachtet gebliebener Gesichtspunkt ist der, daß entgegen modernen Erwartungen die Akzeptanz der genannten Verfassungselemente, der institutionellen und der weniger institutionellen, regional verschieden war. Eine Verfassungsgeschichte aus der Vogelschau dürfte noch anachronistisch sein. Statt dessen muß man wohl geradezu Verfassungslandschaften unterscheiden, solche beispielsweise, in denen das Kurfürstentum voll angenommen war und wo man auf Institutionen "setzte", und solche Landschaften, wo die einfache Machtausübung der Großdynastie das Maßgebliche war. Ein Ausgleich oder weitgehender Ausgleich, der sich dann auch mit dem Phänomen deutscher Teilung verschwistert hat, hat - wie wir sehen werden - erst am Ende des Mittelalters stattgefunden. Man muß nur einmal die Geschichtsschreiber als Sprecher regionaler Interessen daraufhin untersuchen und nicht minder regional die (wenigen) Theoretiker, wie es wohl auch für diese noch in der frühen Neuzeit vonnöten ist. Es handelte sich also nicht um allgemein gültige oder rasch verallgemeinerbare 7 Ders., Organisation und Funktion von Verwaltung im ausgehenden Mittelalter (ca. 1350-1500), in: Kurt G.A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, 1983, S. 21- 65.
2 Der Staat, Beiheft 12
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Aussagen. Was wirklich allgemein gültig war, kann unter Beachtung der zeitgenössischen Kommunikationsverhältnisse erst der Historiker entscheiden. Wir betrachten jedenfalls die deutsche Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, ehe man irgendeine summarische Frage wie die unsrige stellen darf, als Feld divergenter, nämlich naturgegeben regionaler Elemente mit vorerst sehr langsamer Ausgleichstendenz, die sich dann am Ende des Mittelalters stark beschleunigte. Auch beim König (= Kaiser), der in der Mitte der Verfassung stand, ohne den das legitime Reich nicht denkbar war, ist sein grundsätzlich regionales konkretes Wirken von seiner überregionalen, soweit wir sehen, faktisch reichsweiten prinzipiellen Akzeptanz zu unterscheiden. Diese Akzeptanz befand sich in der Mitte dessen, was wir Grundkonsens nennen. Der Grundkonsens war, wie wohl heute noch bei Nationen intakten Selbstverständnisses, im Kern historisch begründet, präziser noch im Stolz auf die Taten der Vorfahren oder Vorgänger. Gerade die quantitative Dürftigkeit dessen, was damals aus der antiken und der hochmittelalterlichen Geschichte bekannt war, gestattete - in Parallele zu unseren Bemerkungen über die legitimierende Funktion des Römischen Reiches der Antike - als konkrete Ortlosigkeit die Annahme dieser Geschichte überall in Deutschland, so daß beispielsweise der Adler des Kaisers in das Berner Stadtwappen gelangte und die königlichen Urkunden auch weit weg vom konkreten Sanktionsbereich des Monarchen Wirkungschancen hatten. Der Grundkonsens war etwas Selbstverständliches und damit auch von beachtlicher "Jugendlichkeit" in dem Sinn, daß er neue situationsangepaßte Varianten oder Konkretionen hervorbrachte, an die vorher niemand gedacht hatte: Ein Beispiel ist das neue Postregal am Ende des Mittelalters. Es handelte sich - das sehen wir am besten aus größerer Distanz - im Bereich der Gedankenwelt um Altertümliches, wie es dem notwendigerweise rückwärts gewandten Verfassungsdenken des Reiches entsprach. Man beobachtet einerseits, wie Augustus, Konstantin, Karl der Große, Otto der Große und Friedrich Barbarossa dergestalt über Aristoteles obsiegten, daß sich das Papsttum um und nach 1300, als dies zum einzigen Mal im Mittelalter politisch möglich gewesen wäre, keineswegs der französischen Lesart von der Gleichartigkeit der Monarchien anschloß, sondern an der Unvergleichlichkeit des Imperiums festhielt. Andererseits möchte man feststellen, daß die Erfolge des Alten die Katastrophe nur hinausschoben, weil das Neue endlich doch obsiegen mußte. Die Endkatastrophe ist allerdings bis 1806, also in der Tat ziemlich lange, hinausgeschoben worden. Es handelte sich gleichsam um Stabilität der Schwäche, jedenfalls aus der Perspektive der gleichzeitigen westlichen Monarchien betrachtet, um eine Stabilität in Anführungszeichen also, deren Erprobung noch bevorstand. Diese wird um 1500 vor unseren Augen ablaufen.
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Die Integrationskraft des Königtums muß noch ein wenig unser Thema sein. Man kann sie anhand verschiedener Parameter zu messen suchen. Unter diesen sind Herrscheritinerar, räumliche Verteilung der Herrscherurkunden und Herkunft und Karriere sowie überhaupt die Beschaffenheit des königlichen Personals am wichtigsten. Faßt man das bisher einschlägig Erarbeitete zusammen, so ergibt sich ungefähr das folgende Bild: Die Geschichte des spätmittelalterlichen Königtums bis hin zum Ende der Periode war nicht die Geschichte der Gestaltung des Reiches, sondern die Geschichte der Selbstbehauptung im gleichsam vorausgesetzten Reich. Alle Emanationen des Königtums und umgekehrt das Interesse am Königtum sind regional klassifizierbar, das heißt auch von großen räumlichen Intensitätsunterschieden gekennzeichnet. Es gehört zu den bemerkenswerten Tatsachen der Verfassungsgeschichte, daß diese Unterschiede, die extreme Ausmaße annehmen konnten, offensichtlich nahezu keinen Einfluß auf den räumlichen Bestand des Reiches gehabt haben. Es ging eben gar nicht so sehr um ein zu verwaltendes Reich, solange man sich prinzipiell dessen sicher war, daß das Königtum Bestand hatte und eine zumindest ideelle Mitte gebildet hat - solange jedenfalls, als keine zergliedernden Herausforderungen auftraten. B•g Chronologisch betrachtet gab es dabei viel eher ein Auf und Ab als eine wenn vielleicht auch nur langsame Fortentwicklung zu gleichmäßigerer Erfassung des Reiches vom König aus. Den Höhepunkt wird man in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, in das Zeitalter Kaiser Karls IV. 10 , verlegen. Er hat das Reich besser erfaßt als irgendeiner seiner Vorgänger oder Nachfolger. Kurze Zeit, um 1360, blitzte unter ihm sogar die Möglichkeit einer "französischen" Lösung des Integrationsproblems auf. Daß heißt, daß nach und nach ganz Deutschland luxemburgisch geworden oder unter luxemburgische Hegemonie geraten wäre. Wäre dies so gekommen, hätte die deutsche Geschichte einen völlig anderen Verlauf genommen und wäre von Prag und Nürnberg aus gestaltet worden. So kam es aber nicht und so wirkten bei uns, wie überall in Europa, nur mit verschiedener Datierung und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, eher langfristige soziale Abläufe in der von den Historikern ungefähr erwarteten Richtung hin zu größerer Einheit. Am besten kennen wir bisher die Prozesse der Elitegeschichte. Dazu gehören die Zunahme der Anzahl gelehrter Juristen, der ersten nicht nur durch Geburt und Besitz hervorge8 Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung (Propyläen Geschichte Deutschlands, Bd. 3), 1985, S. 389ff. 9 Ders., Königliche Herrschaft und Verwaltung im spätmittelalterlichen Reich (ca. 1350 -1450), in: Reinhard Schneider (Hrsg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, 1987, S. 185 - 200 (Vorträge und Forschungen, Bd. 32). 10 Peter Moraw (wie Anm. 8), S. 240 ff.
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brachten Mitführungsgruppe, und die Vermehrung ihrer Positionen. 11 Man hat jüngst auf etwas annähernd Paralleles hingewiesen, auf die wenn auch landschaftlich gegliederte, jedoch flächenhaft bemerkenswerte Ausweitung städtischer Modernisierungserscheinigungen. 12 Trotzdem wird man in Deutschland bescheiden bleiben. Im Zusammenhang mit den großen Wandlungen der Reichsverfassung um 1500 tut man am besten daran, erst vom 16. Jahrhundert als einem ersten realgeschichtlich gesamtdeutschen Jahrhundert zu sprechen. Das ganze Mittelalter hindurch sollte man eine solche Feststellung besser nicht treffen. Das personale Gefüge, das primär mit Kategorien der Sozialgeschichte, ausgehend vom Königshof, erfaßt werden muß und der dringlich weiterer Untersuchung bedürfende Grundkonsens sind für dieses Urteil die wichtigsten Zeugen. Institutionengeschichte hat bei uns vorerst einen geringeren Rang. Wiederholt sei daher die Erkenntnis, daß das Gewicht der Verwaltungsgeschichte für Fragen wie die unsrige reduziert werden darf. Grundsätzlich galt dies für jede mittelalterliche Monarchie, jedoch unterschiedlich lange Zeit. Seit dem 13. Jahrhundert begann der französische König, einen verwalteten Staat zu schaffen; bei uns kann davon im Mittelalter keine Rede sein. Die geringe Gestaltungskraft des Königtums war - wie man betonen muß - gepaart mit legitimatorischer Überlegenheit und Unentbehrlichkeit und mit Popularität und mit Loyalität, die ihm erwiesen wurde - die nicht beurteilt werden dürfen gemäß der bald konfessionell zerklüfteten und dann nochmals zwischen Habsburg und Brandenburg-Preußen gespaltenen Meinungsbildung der Zukunft. Dies gilt für Zeitgenossen und für Historiker. Jene geringe Gestaltungskraft zwingt unseres Erachtens die Verfassungsgeschichte hinein in noch wenig beachtete Arbeitsfelder, die alle auch zur Grundlegung unseres Themas gehören: in Fragen nach der Kommunikation, nach dem Maß des Voneinanderwissens und Füreinandereinstehens - und in Konkurrenz dazu in die Frage nach dem Gewicht von Machtkernen, die desintegrativ wirkten. Die wenigen Bemerkungen, die wir hierzu machen möchten, seien zweigeteilt. Sie setzen ein bei der Werteskala der Zeitgenossen. Abgesehen vom christlichen Glauben, der, wie auch immer verstanden, ohne Zweifel den höchsten Wert gebildet hat, stellen wir das dynastische Interesse an die erste Stelle. Das hat Konsequenzen nicht nur im Hinblick auf die fast ganz vernachlässigten, aber beantwortbaren Fragen nach dem politischen und sozialen Rang der einzelnen Fürstenfamilien, 13 nach der zunehmenden 11 Ingrid Männl, Die gelehrten Juristen in den deutschen Territorien im späten Mittelalter, Diss. Gießen 1987. 12 Gerhard Dilcher, Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter, 1996,bes. S. 239-279.
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Reichweite ihrer Interessen, nach ihren Rivalitäten und Hoffnungen. Das heißt auch, daß wir einen der Hauptunterschiede zwischen älterer französischer und älterer deutscher Geschichte formulieren möchten im Hinblick darauf, wie weit dynastisches und staatliches Interesse hat zur Deckung gebracht werden können. Es gibt kaum einen Tatbestand, der wesentlicher war für die deutsche Verfassungsgeschichte des hier behandelten Zeitalters als die großdynastische Rivalität, überhaupt die Existenz mehrerer immer größer werdender Dynastien. Diese Rivalität, regional begreifbar, verflocht sich bei uns mit der schon erwähnten Regionalität der institutionellen Momente der Reichsverfassung. Die um 1500 einsetzende erste deutsche Teilung zwischen "Reichstagsdeutschland" einerseits und "Erbländischem Deutschland" andererseits, die 1866 exekutiert worden ist, bezeichnet diese Situation. Es wird künftig darauf ankommen zu klären, ob dies ein gleichsam unwiderstehlicher Vorgang gewesen ist oder ob die Kommunikationsund Handlungsstränge so beschaffen waren, daß Alternativen denkbar sind. Hierfür scheinen mehr terminologische Selbstkontrolle der Historiker und die Vermehrung der Aspekte ihres Tuns vonnöten. Es sollte beispielsweise nicht möglich sein, die sich stark steigende Diskussion um das deutsche Schicksal im späteren 18. Jahrhundert direkt argumentativ-verfassungsgeschichtlich zu verwerten, ohne zu fragen, ob nicht damals ganz im allgemeinen eine Kommunikationsvermehrung für alle möglichen Themen stattgefunden hat. Man hat die deutsche Reformation als Kommunikationsprozeß verstanden. 14 Luther sei der erste gewesen, dem die neuen Medien zugute kamen. Das trifft nach Quantitäten gemessen und in der Breite sicher zu. Aber schon 1501 lag nach handschriftlichen Vorläufern des 15. Jahrhunderts im Grunde jenes Corpus vor, das man später das Corpus der Reichsgrundgesetze nennen wird. Es mag einen neuen Kern des deutschen Selbstverstehens und der Verstehensveränderung gebildet haben, dessen vereinigenden Einfluß auf die politische Elite wir recht hoch veranschlagen möchten. Es war aber nicht ein Kern von vereinigender Wirkung an und für sich, wie man sich vorstellen könnte, sondern ein Kern, der "Reichstagsdeutschland" und bald die Protestanten eindeutig bevorzugte. Die 38 Auflagen bis in das 18. Jahrhundert hinein haben konsensverändernd gewirkt. Zum Beispiel hätte sich Kaiser Maximilian, Vorkämpfer natürlich des "Erbländischen Deutschland", sehr gewundert, wenn er die Auffassung seiner Person in jenem Corpus hätte zur Kenntnis nehmen können. Dort erschien er als Begründer des Reichstags, dem er in Wirklichkeit - wie mit ihm wohl die 13 Peter Moraw, Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus ca. 1300 bis ca. 1500 - auch vergleichend betrachtet, in: Walter Heinemeyer (Hrsg.), Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897 -1997, Bd. 1, 1997, S. 115 -140. 14 Bernd Moel].er, Die frühe Reformation als Kommunikationsprozeß, in: Hartmut Boockmann (Hrsg.), Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, 1994, S. 148 -164i.
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politische Elite des Kaisertums - sehr skeptisch gegenüberstand. 15 Wir kommen darauf noch einmal zurück. Im zweiten Teil unserer einschlägigen Bemerkungen folgen einige Worte über die Wirkungen der territorialen Struktur des Reiches auf das Fragenbündel "Vereinigung und Teilung". Für unser Problem, das nun dem Ende des Mittelalters immer näheITÜckt, sind die allermeisten Territorien nur Material in den Händen von immer weniger wirklich formenden Kräften gewesen. Dringlich scheint daher die Falsifizierung oder Bestätigung jenes bisher einzigen Versuchs, das Reich erstens mit Hilfe einer relativ dauerhaften Zonenstruktur, von der monarchischen Mitte her gesehen, zu ordnen, zweitens sein gesamtes Gebiet in politische Landschaften mittlerer Größe (wohl vierzehn an der Zahl) aufzuteilen, die sich in vieler Hinsicht selbst genügten, und drittens die zeitweilige Polarisierung des Reiches durch die großen Konflikte des Zeitalters systematisch zu betrachten. Die Kräfte, die letzteres allein vermochten, waren die Papstkirche oder deren Gegner (Hussiten) und die Großdynastien. Diese Dynastien erwiesen sich damit schon indirekt, wie das die frühe Neuzeit unmittelbar bestätigen wird, als Kräfte europäischen Ranges. Während jene ersterwähnten Gliederungen bestehen blieben zumindest bis zum großen Verfassungsumsturz am Ende des Mittelalters und diesen vielleicht periodisieren helfen, waren die an dritter Stelle erwähnten Polarisierungen im Reich von jeweils rasch vorübergehender N atur. Die .gleichsam natürliche Ordnung setzte sich wieder durch. Immerhin ist der Beginn dieses Phänomens von Interesse. Während der Endkampf der Staufer praktisch nur in Oberdeutschland ausgefochten wurde, hat erstmals der Konflikt zwischen Wittelsbachern und Luxemburgern um 1350 bis zu den Ostseeherzogtümern gereicht. 16 Aus dem Ganzen des Beitrags mag auch ohne Einzelbegrundung hervorgehen, daß die alte Vorstellung, die wohlbekannte Verfestigung und Vervollkommnung der Territorien sei zum Schaden des Reiches vonstatten gegangen, gleichsam seitwärts der Probleme steht, um die es hier geht. Im Kern befindet sich diese Vorstellung nur insofern, als wir in der Tat meinen, daß eine andere als die dualistische Lösung, wie sie dann um 1500 gefunden worden ist, realpolitisch nicht möglich war. Auch bei diesem Thema sollten ebenso " moderne " , das heißt von der neuzeitlichen Zukunft her interpretierbare Aspekte beachtet werden wie mittelalterliche - hier zum Beispiel die schlichte Tatsache, daß jüngere Söhne der Dynasten noch lange nicht bereit waren, auf eigene Herrenmacht zu verzichten, so daß geteilt oder ein 15
ren".
Forschungsprojekt im Gießener Sonderforschungsbereich "Erinnerungskultu-
16 Peter Moraw, Zentrale und dezentrale Machtgefüge im spätmittelalterlichen Reich, in: Bericht über den neunzehnten österreichischen Historikertag in Graz ... 1992, 1993, S. 117 -119.
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auswärtiges "Abenteuer" gesucht werden mußte, um die Familie ruhig zu stellen. Indem man weiterhin und von neuem solchen Fragen nachgeht, lernt man zu unterscheiden zwischen der prinzipiellen Begreifbarkeit des ganzen Systems und der Unmöglichkeit der Gewißheit oder Prognose im Einzelfall. Durch die Einmaligkeit des real Geschehenen wird man sich aber nicht entmutigen lassen bei der Analyse von dessen Regeln - eine Analyse, die immer noch nicht weit genug getrieben ist.
IV.
Der letzte Teil des Beitrags befaßt sich mit den Wandlungen um 1500. 17 Es hat wohl einen Umsturz des Verständnisses vom deutschen Mittelalter bedeutet, als man diese ganze etwa sechshundert jährige Periode - wie es auch hier versucht wird - auf ihr Ende hin und damit in gewisser Hinsicht auf einen Gipfelpunkt hin begriff, anstatt daß man an diesem Ende - wie vordem - eine ziemlich belanglose Phase des Niedergangs konstatierte. Man kann hier nur auf das Allerwesentlichste eingehen. Uns kommt es vor allem darauf an darzutun, daß offenbar ein notwendiger Zusammenhang besteht zwischen dem - jedenfalls von heute her geurteilt - unvermeidlichen Prozeß der Institutionalisierung und "Verdichtung" des Reiches einerseits (zur Sicherung seines Überlebens) und andererseits von Abläufen, die bald und später einsetzende Teilungen des Reiches zur Folge hatten. Unter den Rahmenbedingungen der älteren deutschen Geschichte scheinen Lockerheit des Reichssystems - das in dieser Beschaffenheit überlebensfähig freilich nur war unter günstigen auswärtigen Voraussetzungen - und große Ausdehnung des Reiches zusammenzugehören, wie umgekehrt höhere Effektivität des Reichskörpers und Verengung seines Gebiets. Es begann schon der vermutlich als "modern" zu klassifizierende Mechanismus erkennbar zu werden, der die Lockerheit des Konglomerats als zu wenig verteidigungsfähig zu bestrafen begann. Der Kern- und Wendepunkt der Situation war wohl seit etwa 1470 die große Herausforderung von außen, oder anders formuliert: der Abschied vom System christlicher Monarchien des Mittelalters, die einander möglicherweise mit Nadelstichtechnik, aber nicht einfach "imperialistisch" und im großen Stil weh zu tun imstande waren. Dieses alte System wurde abgeschlossen durch das "Modernwerden" einiger christlicher Könige (Hauptgründe dafür waren zum einen das Fehlen monarchischer Legitimität, die man aggressiv zu kompensieren trachtete, wie in Ungarn, und zum anderen neuartige Regungen säkularisierten Machtstrebens, wie in Frankreich) so17
Vgl. oben Anm. 8.
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wie vor allem durch das Einwirken nichtchristlicher Kräfte, die ohnehin anders dachten (die Türken). Ein weitausgreifender Wandel also stellte das altertümliche System des legitimen, aber wenig verbindlichen Zusammenhaltens, das wir spätmittelalterliches Reich nennen, sehr energisch auf die Probe. Es war eine Probe, wie sie seit dem Anfang der deutschen Geschichte im 10. Jahrhundert, seit der am Beginn des Beitrags erwähnten Lechfeldschlacht, nicht stattgefunden hatte. Auch insofern können wir, wie gerade festgestellt, von einer Gipfelphase der mittelalterlichen Geschichte sprechen. Der gebräuchliche Name "Reichsreform" ist dafür viel zu eng, ganz abgesehen davon, daß damit zu sehr auf den Gestaltungswillen eines Mannes oder von wenigen Leuten abgehoben wird, anstatt daß man, wie wir empfehlen, in Konstellationen denkt. Das Ergebnis war jedenfalls, daß ein politisches und verfassungstechnisches Nebeneinander zunehmend zu einem Mit- und Ineinander wurde - und zwar nicht eigentlich planvoll gewollt, da die Resultate am Ende den Interessen aller Beteiligten negativ zu nahe traten, jedenfalls in gewissem Maß. Vielmehr hat sich das Ergebnis als Folge einer größeren Anzahl kleiner Schritte eingestellt, deren Gesamtkonsequenz man sich ohne Eklat kaum mehr entziehen konnte. Nicht wahrscheinlich ist, daß eine identifizierbare Gruppe von Protagonisten, die "reichisch", deutsch oder national dachten, die Dinge vorangetrieben hat. Wichtiger war, besonders am maßgeblichen Wormser Reichstag von 1495,18 das EinandernäheITÜcken einer größeren Gruppe von politischen Fachleuten. Sie waren mehrere Monate lang in Worms beisammen und dünkten sich am Ende des Reichstags klüger als die daheim gebliebenen Auftraggeber. Jenes Einandernäherrücken kann man mit Hilfe von Konvergenzen der politischen Sprache einigermaßen nachzuweisen hoffen. Dreierlei Kräftebündel sehen wir zu etwa gleicher Zeit wirksam werden, die um 1470 jene Beschleunigung des Verfassungslebens einleiteten, die noch vor 1500 den erwähnten ersten Höhepunkt erreichte. Man kann diese Kräfte zumindest die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts hindurch, wohl bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 und darüber hinaus, weiterwirken sehen. Das waren, wie erwähnt, die militärischen Herausforderungen durch Burgunder, Ungarn, Türken und Franzosen, derer man mit den herkömmlichen Mitteln nicht mehr Herr wurde, sodann der unaufhaltsam erscheinende Aufstieg der Großdynastie Habsburg zu Dimensionen, die sich bisher niemand hatte vorstellen können, und zum dritten der Durchbruch 18 Karl-Friedrich Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, 1992 (Enzyklopädie deutscher Geschichte); Christina Göbel, Der Reichstag von Worms 1495, 1996 [Diss. Gießen 1993]; 1495 - Kaiser Reich Reformen. Der Reichstag von Worms, 1995; Georg Schmidt, Der Wormser Reichstag von 1495 und die Staatlichkeit im "hessischen" Raum, Hess. Jb. f. Landesgeschichte 46, 1996, S. 115 -136.
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wirtschaftlich-technischer und geistig-bewußtseinsmäßiger Veränderungen an die Oberfläche des Geschehens. Man kann hierfür an das Augsburger Kapital, an die Durchsetzung des Buchdrucks, an die Einrichtung der Post, an das Nationalbewußtsein der Humanisten denken. Manches davon war seit etwa 1450 vorbereitet. So war der Erfolg des gedruckten Buchs eingebettet in die allgemeine Vermehrung der Handschriften, die uns aus diesem Jahrhundert wohl mehr als doppelt so viel hinterlassen hat wie aus allen Jahrhunderten des Mittelalters zuvor zusammengenommen. Daß sich die Ergebnisse von 1495 auf die Dauer verfestigten, obwohl die damals Beteiligten darüber ganz anderer Meinung waren, hatte viel mit Langfristigem und mit der Geschichte der Folgezeit zu tun. Wir erwähnen dazu nur, daß der Wormser Reichstag von 1495 personalpolitisch betrachtet noch ein oberdeutsches, ein zur guten Hälfte herrscherliches und selbstverständliches ein gänzlich katholisches Ereignis gewesen ist. In der Zukunft verstand man ihn aber gesamtdeutsch, in hohem Maß protestantisch-gelehrt statt katholisch-machtbezogen, und vor allem rückte er, wie schon angedeutet, auf die dem Kaiser abgewandte Seite des Dualismus hinüber. Ganz ähnlich wie bei der schon erwähnten legitimierenden Tradition des antiken Römerreiches wurde beim Reichstag das Zeitgebunden-Konkrete abgestreift und etwas weithin oder überall passendes Abstraktes herausdestilliert. Ohne die allgemein bekannten Gesetzesergebnisse von 1495 aufzuzählen, erwähnen wir nur jenes Ereignis, das in unserer Interpretation in den Mittelpunkt rückt, während es bis dahin gern übergangen wurde. Als entscheidender Punkt erscheint die Festigung, ja das nun erst unbezweifelbare Inslebentreten des Reichstags 19 als einer zweiten, nach und nach legitim werdenden Bühne des politischen Geschehens im Reich, neben der ersten alten Bühne des Kaiserhofs. Die Tiefe dieses Einschnitts kann man U.E. schwerlich überschätzen. Der Vorgänger des Reichstags, der Hoftag, ist ein Instrument des Königs, ohne Kontinuität, ohne klare Abgrenzung vom Täglichen Hof, ohne feste Regeln und ohne stabilen Teilnehmerkreis gewesen. Fast dreißig Jahre lang hatte Kaiser Friedrich III., von den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts an, auf das Instrument des Tages verzichtet. Es ist heute klar, daß die mit dem Jahr 1376 ziemlich willkürlich einsetzenden "Deutschen Reichstagsakten" ein Phänomen ediert haben, das es zunächst fast ein Jahrhundert hindurch nicht gegeben hat. Die wirkliche Entstehung des Reichstags von etwa 1470 an war dann natürlich nicht "zielorientiert". Wer hätte das Ziel auch kennen und benennen sollen? Es war ein Tasten von Gelegenheit zu Gelegenheit und vor allem eine Reaktion auf die offenkundige Unfähigkeit der 19 Peter Moraw, Hoftag und Reichstag von den Anfängen im Mittelalter bis 1806, in: Hans-Peter Schneider /Wolfgang Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, 1989, S. 3 - 47.
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bis dahin einzigen maßgeblichen politischen Plattform im Reich, des Kaiserhofs,20 mit den neuen Problemen fertig zu werden. Darüber braucht man sich angesichts des Umfangs dieser Probleme nicht zu wundern. Erst der nachlebende Historiker sieht die Überlebensfrage des Reiches gestellt, zumal wenn er sich ausmalt, wie sich der politisch sichtbare Knoten hätte unter Umständen anders schürzen lassen, für den die Fäden schon bereitlagen. Daß es dann nicht ganz so dramatisch gekommen ist, hat wohl den mühsam und ohne Vorbild vor sich gehenden Anstrengungen um Interessenausgleich gerade noch jenen Spielraum gelassen, der zum erfolgreichen Komprorniß der Lastenträger vonnöten war. Die Zeitgenossen erlebten zweifellos primär das Kurzatmige, die kleinen Erfolge oder Mißerfolge ihrer Partei. Sie konnten nicht begreifen, daß allein schon die Begegnung so vieler Machtträger, ihr Miteinanderreden und ihre Kompromißfähigkeit im Licht der vorangegangenen Geschichte des Nebeneinanders etwas enorm Neues war, doch offenbar zustande gekommen aus Loyalität zum Ganzen des Reiches, gestützt auf einen zähen Grundkonsens. Das konkreteste Neue war die Teilhabe der Fürsten, die bisher weithin abstinent gewesen waren, auch der Freien Städte, nicht nur der Kurfürsten und der Reichsstädte wie bisher. Hier treffen wird endlich auf das Stichwort "staatliche Vereinigung" in jener spezifischen Form, von der in der langen mittelalterlichen Phase der deutschen Geschichte kaum hätte die Rede sein können. Leider haben wir große Schwierigkeiten, das langfristige Denken der Zeitgenossen zu dokumentieren. Auf die naheliegende Frage, ob sich das alles vor einem beachtenswerten konzeptionellen Hintergrund abgespielt hat, wird man vorerst die Antwort schuldig bleiben. Was man dazu gleichzeitig literarisch geäußert hat, stammte nicht von den unmittelbar Handelnden her. Es trat eine - wir müssen heute sagen: notwendige - Niederlage des Königs ein. Anders formuliert: Es wurde der Weg von der mittelalterlichen Hilfspflicht zur neuzeitlichen Teilhabe zunächst am Königtum zurückgelegt.21 Von dort war der Weg zur Teilhabe am Reich ganz kurz. Indessen wurde dieser Weg nicht ganz so rasch zurückgelegt, wie manche Historiker glaubten. Es hat kein Reichskammergericht, sondern ein Kaiserliches Kammergericht gegeben, sonst hätte es angesichts der unveränderbaren (es sei denn verändert durch eine Revolution, die es aber nie gegeben hat) obersten Richtergewalt des Herrschers nicht legitim Recht sprechen können. So gesehen ist die vielleicht wichtigste Feststellung zur damaligen inneren staatlichen Vereinigung unter hartem Druck diese: Es fand keine Revo20 Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440 -1993), Hof, Regierung und Politik, 3 Bde., 1997 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Bd.17). 21 Ders., Von der Hilfspflicht zur Teilhabe am Reich, Vortrag in Gießen 1996.
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lution statt. Alles blieb legitim, das heißt herrscherbezogen, wie es immer gewesen war. Es gab beispielsweise keine Reichstagsbeschlüsse im repräsentativen oder gar parlamentarischen Sinn gegenüber dem Reich, außer im Hinblick auf Selbstverpflichtungen. Stattdessen gab es Gutachten für den Kaiser, die dieser in Kraft setzen konnte oder auch nicht. Einseitige Akte des Kaisers, zumal Wahlkapitulationen, waren von exakt derselben Rechtmäßigkeit. Aber das Faktische wandelte sich unmerklich und ohne Aufsehen. So veränderte die Praxis die Reichsverfassung unterhalb der "Etage" der Legitimitätsfrage und machte sie nach und nach immer weniger mittelalterlich. Das "verdichtete" Reich trat in die Phase des "institutionalisierten Dualismus" ein, die nicht mehr unser Thema ist. Die Frage, unter welchen Umständen Neues legitim werden konnte, scheint eine wohl noch ungeklärte Grundfrage zu sein. Staatliche Integration unter den Rahmenbedingungen von damals hat so paradox muß man es sagen - auch zur Teilung führen können oder mußten sogar dahin gelangen. Deutschland war am größten nicht lange vor 1500, vor allem nach den Erfolgen König Maximilians in Flandern und gegen die Franzosen im Hinblick auf diese so wertvolle Provinz und überhaupt im Hinblick auf das kostbare burgundische Erbe. Zugleich begann der Umschwung. Es entstanden gemäß der Fortentwicklung der inneren Verfassung drei Deutschland: "Reichstagsdeutschland ", dessen Tradition im wesentlichen vom heutigen Deutschland fortgesetzt wird, das "Erbländische Deutschland", das der habsburgische Kaiser und Landesherr zunächst vom Reichstag fernzuhalten suchte, so gut es ging, und jenes "Dritte Deutschland", das an der" Verdichtung" weder in jenem noch in diesem Zustand teilhaben wollte oder konnte. Die Eidgenossen bieten das Hauptbeispiel für das Nichtwollen, Livland für das Nichtkönnen. Andere wurden früher oder später "zurück " geführt , spät Hamburg und Bremen nach "Reichstagsdeutschland" (im 18. Jahrhundert), früh Böhmen und Mähren in das "Erbländische Deutschland" (1526). Es ist nur konsequent, wenn man feststellt, daß die nicht "zurück"geführten Glieder des "Dritten Deutschland", selbst wenn das heute aus legitimatorischen Gründen behauptet wird, nicht einfach aus dem Reich ausscheiden, sondern im alten "unverdichteten" Reich des Mittelaltes verbleiben wollten. Nur ließ sich dies im Mächteeuropa der Neuzeit nicht durchhalten. Weiterhin wirkte auch das dynastische Prinzip aus mittelalterlichem Erbe gravierend fort. Die tiefgreifende, wenn man will verhängnisvolle Teilung des erbländischen Besitzes von 1557 zugunsten der spanischen Linie diente dem habsburgischen Familienfrieden, führte aber im Westen bald zu schwerwiegenden Verlusten, vor allem der protestantisch gewordenen Niederlande. Vielleicht ist es erstaunlich, daß man von allen diesen fundamentalen Vorgängen weniger hörte und hört im Vergleich etwa zu den nicht ganz so wichtigen Er-
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oberungen des französischen Königs von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an. Die Abstinenz hängt u.E. mit modernen partikularen Urteilskriterien zusammen, die heute noch, wie uns scheint, beträchtlichen Einfluß ausüben und den Blick auf das Ganze der deutschen Geschichte schwermachen. Es ist selbst für die engen innerdeutschen Verhältnisse von heute leicht zu erkennen, daß es schon im 14. und 15. Jahrhundert dieselben drei großen deutschen Bewußtseinslandschaften gab, die heute noch bestehen und beispielsweise virulent werden beim Wechsel der Hauptstadt aus der einen Landschaft zur anderen und die das Urteil der Historiker damals wie heute intensiv beeinflussen: das im weiteren Sinn rheinische Deutschland, das im weiteren Sinn obere Deutschland und das nördliche und östliche Deutschland.
Aussprache Blaschke: Herr Moraw - was die Gestaltungskraft des deutschen Königtums angeht: Wir befinden uns hier im Herrschaftsbereich der Ludowinger als Landgrafen von Thüringen. Die Neuschöpfung des landgräflichen Amtes in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts war doch wohl ein Versuch des deutschen Königtums unter Lothar, gegen die divergierenden Kräfte der Stammesherzöge, die es ja damals noch gab, etwas Gestaltendes entgegenzusetzen. Die Landgrafen von Thüringen waren doch wohl die ersten, die gegen die Macht des sächsischen Herzogtums hier eine Art Königslandschaft hätten aufbauen sollen. Daß das dann auf das hinausgelaufen ist, worauf alle derartigen Versuche hinausliefen, nämlich auf die Verselbständigung und Stärkung der Partikulargewalten, ist deutsches Schicksal, könnte man sagen. Sie haben das Wort Schicksal auch mit Recht gebraucht. Aber hier wäre doch einmal ein Befund, an dem deutlich wird, daß das Königtum sich der Gefahren bewußt ist, die aus der Struktur des Reiches herauskommen. Das zweite wäre ein halbes Jahrhundert später das Reichsterritorium Pleißenland. Ich komme aus dem sächsischen Bereich, und es ist sicher gut, daß bei uns gegenüber der früheren einseitigen Betonung der rein auf die Wettiner und die Markgrafschaft Meißen bezogenen geschichtlichen Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht zuletzt durch Walter Schlesinger gerade die reichsgeschichtliche Ebene der Landesgeschichte entdeckt worden ist. Es gibt heute eine ganze Reihe von Untersuchungen darüber, und ich versuche das auch in Dresden weiterzuführen. Dieses Reichsterritorium um Altenburg und im Westerzgebirge, das mit Vogtland und Egerland zusammengebunden worden ist, muß man als einen Versuch königlicher Gestaltung ansehen bis hin zu den Fragen der staufischen Städtegründungen. Man muß einmal die Dinge landesgeschichtlich sehen, um festzustellen, daß sich dieser Gestaltungswille lange über die Existenz der staufischen Dynastie hinaus erhalten hat. Die Staufer waren längst ausgestorben, als noch im frühen 14. Jahrhundert Reste dieses Reichsterritoriums lebendig gewesen sind, etwa in Gestalt der Reichsstädte Chemnitz, Zwickau und Altenburg. Wer denkt daran heute noch, daß das einmal Reichsstädte waren! Das Reichskloster Chemnitz hat formal seinen Reichsstand bis zur Reformation bewahrt. So sehen wir hier eben wieder einmal das Walten des Schicksals. Die Frage "was wäre geworden wenn" ist sinnlos, aber erhellend. Was wäre geworden, wenn die Staufer nicht ausge-
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storben wären? Hätte sich Altenburg zur Hauptstadt des deutschen Königtums entwickelt? Sie sprachen vorher mit gutem Recht von den Luxemburgern, die den französischen Weg zur modernen Staatsbildung versucht haben. Hätten nicht die Staufer ebenfalls diesen Weg mit dem Zentrum Altenburg begehen können? Das sind einige Bemerkungen von der landes geschichtlichen Ebene her zum Thema der Integration des Reiches. Und noch ein zweites: Jedesmal, wenn ich auf der Autobahn von Nordhessen nach Sachsen zurückfahre und die Burgen und Burgruinen unterwegs sehe, stelle ich mir die Frage, wie das wohl möglich gewesen ist, daß damals unter völlig anderen Verkehrs- und Kommunikationsverhältnissen alle diese Herrschaftsinhaber, die da entlang dieser heutigen Autobahn gesessen haben, zusammen in einem Reich, in einem politischen Verband, gewesen und geblieben sind. Mit einer Geschwindigkeit, die ein Zwanzigstel der heutigen war, also unter völlig anderen Bedingungen, sind diese Herrschaftsinhaber zusammengeführt worden. Hier muß man natürlich auf das hinweisen, worauf Sie im zweiten Teil Ihres Vortrages mit Recht eingegangen sind, eben dieses reichsständische Element, diese Hülle, von der Sie mit Recht sprachen, die noch offenbar eine starke Wirkung gehabt hat. Man wollte als Territorialfürst selbständig sein, aber man hat auch irgendwie empfunden, daß man zusammenbleiben muß. Moraw: Diese Fragen sind kompliziert, gleichwohl bitte ich um Verständnis dafür, daß ich mich bemühe, kürzer zu antworten, als gefragt worden ist.
Die erste Frage ist die Frage nach den Anläufen des Königtums, seine Macht auszugestalten. Diese Anläufe hat es natürlich gegeben. Der Blick auf die lange deutsche Geschichte, um den ich mich bemüht habe, hat demgegenüber den Nachteil, daß es in gewisser Weise ein Blick auf die Erfolgsgeschichte ist und daß das, was keinen Erfolg hatte, benachteiligt wird. Die Hauptfrage, vor die ich mich gestellt sehe, ist: Waren dies Konzepte, die sich auf das ganze Reich bezogen, oder waren dies punktuelle Lösungsversuche? Ich fürchte, daß wir darauf keine befriedigende Antwort bekommen können. Aus der Gesamttendenz meines Vortrags haben Sie vielleicht entnehmen können, daß ich eher skeptisch und zurückhaltend bin. Ich möchte also mit großen Reichskonzepten vorsichtig sein. Alle Einzelsituationen sind am Ende in die Feudalisierung der sozialen Kräfte, die damit beschäftigt waren, eingemündet. Verfassungsgeschichte heißt hier Sozialgeschichte, das kann man in dem Fall kaum anders sagen. Das gehört mit der agrarischen Grundstruktur zusammen, mit der Schwäche des Geldwesens, mit der Tatsache, daß man die Belohnung vorweg geben mußte, um eine möglicherweise später zu haltende Treue dafür einzutauschen. Mir scheint es so, daß alle Konzepte, die wir kennen, langfristig keinen Erfolg gehabt haben. Man muß da doch mit Westeuropa zu vergleichen wagen. Bei allen großen Unterschie-
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den, die wir natürlich einräumen, muß man eben sehen, daß von einer bestimmten Zeit an der französische König Erfolg hatte und der deutsche König jedenfalls mit klassischen Mitteln kaum noch Erfolg. Die zweite Frage ist die Frage, wie eigentlich man sich vorstellen muß, daß man so viele feudale Kräfte zusammenhalten könne. Auch das kann man in einer streng quellenbezogenen Weise schwerlich beantworten. Es gibt aber Teilantworten, wie ich denke. Ich glaube, daß die natürliche Lebenswelt bis zum Ende des Mittelalters regional beschaffen gewesen ist. Auch noch der Hof König Maximilians war eindeutig regional, das kann man nachzählen. Diese Situation führte dazu, daß bestimmte Erlebnislandschaften nach vorn traten, von denen man in der Tat etwas wußte. Was die Kräfte betrifft, die die vielen Burgen gebaut haben, so kann ich mir gut vorstellen, daß die jeweils stärkste Kraft der Region sehr früh diese Leute zur Räson gebracht hat, so daß also in Wirklichkeit die Zahl der Kraftzentren, um die es geht, gar nicht so groß gewesen ist. Wenn man als Graf seine Tochter verheiraten wollte, so war es wohl zweckmäßig, es am Ludowinger-Hof zu tun, so daß man sich auch eine Art von positiver Ausstrahlung der Machtzentren auf die vielen kleinen Schwachen vorstellen mag. Aber wir haben nur unzureichenden Zugang vor allem zur geistigen Welt dieser Leute. Gleichwohl stelle ich mir eine Gedankenwelt vor, die auch integrative Elemente enthält. Das Sprechen von gemeinsam erlebten Kriegen und Kreuzzügen gehört dazu, oder Adelsreisen nach Preußen. Auch die Kirche hat eine gewisse Rolle gespielt. Man muß eigentlich postulieren, daß hier überall etwas vorhanden war, wenn man schon diejenigen Bereiche, die man Staat und Verwaltung nennt, so schwach entwickelt vorfindet. Wenn man zugleich die Langlebigkeit des Reiches beobachtet, dann scheint es mir doch wichtig zu sein, in diesen "mentalen" Bereichen etwas zu forschen und zu sehen, wie weit man da kommt.
Willoweit: Herr Moraw, Sie haben von der römisch-imperialen Hülle und den noch fehlenden ethnisch-deutschen Strukturen gesprochen. Meine Frage ist, wie beurteilen Sie dann die Rolle der Fürsten? Um einen Satz zu zitieren, den ich vor einigen Monaten aus dem Munde von Karl Ferdinand Werner gehört habe: Die Fürsten waren das Reich. Diese Perspektive hebt die Dialektik zwischen königlicher Spitze und adeligen Dynastien auf. Mich selbst beschäftigen seit längerem ganz ähnliche Gedanken, und zwar deshalb, weil die zunehmenden Fürstenerhebungen seit dem 13. Jahrhundert deutlich erkennen lassen, daß man Fürsten quasi als Statthalter des Kaisers angesehen hat. Damit deckt sich auch die Bedeutung des Begriffs "princeps" in römischen Quellen. Fürsten werden daher auch gesetzgeberisch tätig, und zwar manchmal sofort nach der Aufnahme in den Fürstenstand. Vieles deutet darauf hin, daß die Legitimationsfunktion des römischen Kaisertums für die Fürsten von großer Bedeutung war. Ich kann mir schwer
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vorstellen, daß sie ohne diesen Background ihren Weg durch die deutsche Geschichte gemacht hätten. Das ist ein Aspekt, den ich in Ihrem Referat vermißt habe.
Moraw: Das Fürstenproblem ist in der Tat eines der großen Probleme, auf das ich auch vorhin angespielt habe, wenn ich sagte, wir wüßten so wenig voneinander und schrieben einfach über Perioden hinweg, ohne die Unterschiede zu beachten. Das Hochmittelalter ist eine solche Periode, das Spätmittelalter ist eine andere Periode. Wenn Karl Bosl nicht sein großes Werk über die Reichsministerialität der Salier und Staufer, d. h. über eher relativ belanglose Leute geschrieben hätte, anstatt über die Grafen, Herren und Fürsten der Staufer zu schreiben, würden wir das viel besser wissen. Die Stauferzeit ist ein großes Loch in diesem Zusammenhang. Ich kenne die Thesen von Herrn Werner, die ähnlich auch bei Hagen Keller in seiner Propyläengeschichte Deutschlands vorgetragen werden. Mit den Fürsten muß im Hinblick auf den Kaiser in der Stauferzeit etwas geschehen sein. Wir wissen nur nicht, was geschehen ist. In dem Moment, in dem die Könige nach dem Interregnum wieder zu regieren begannen, taten sie es faktisch ohne Fürsten. Die Fürsten, die sie hatten, waren Gefolgsleute, Abhängige, Schwache, jedenfalls nicht die, die wirklich Kraft und Macht besaßen. Diese müssen sich absentiert haben, und sie haben sich absentiert in dem Sinn, wie Sie es beschrieben haben, indem sie sich auf ihre eigenen Kräfte in der eigenen Region besonnen haben. Aber das war nicht mein Thema. Die Fürsten kehrten am Ende des Mittelalters wieder zurück, das ist ein statistischer Tatbestand. Die sogenannten Reichstage oder besser die Hoftage König Rudolfs fanden praktisch ohne Fürsten statt, sie waren einfach nicht da. Es kommen ein paar Bischöfe und ein paar Fürsten aus der Region vor, aber das ist nicht das, was man meint, wenn man von Fürsten beim König spricht. Das führt dazu, daß die Tatsache, daß die Fürsten das Reich sind, faktisch nicht mehr besteht. Als König Rudolf, um den Rechtsbrecher, den König von Böhmen, gewissermaßen zur Raison zu bringen, in den Krieg zog, da war nur der Erzbischof von Salzburg dabei, weil er sozusagen dabei sein mußte aus einer natürlichen Gegnerschaft, und ein oder zwei andere Bischöfe. Von den übrigen Fürsten sieht man nichts; sie schauten in Ruhe zu, wie die Dinge sich entwickelten. Heun: Ich habe eigentlich nur eine Frage an Sie, Herr Moraw. Sie haben von den wesentlichen integrativen Elementen hervorgehoben das Adelsgefüge einerseits, dann so etwas wie eine Art Grundkonsens und das Kaisertum als das Zentrum, um das sich alles herum bildet. Für mich als NichtMediävisten und Juristen hat eigentlich die ganze Zeit immer die Frage im Raum gestanden: Baut das Integrationsmoment auf der alten Lehensverpflichtung auf und inwieweit baut es auf dieser alten Lehensverpflichtung
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auf oder hat sich das davon völlig gelöst? Sie haben nämlich kein einziges Mal von der feudalrechtlichen Beziehung gesprochen, sodaß mir nicht ganz klar geworden ist, in welcher Relation die beiden Bereiche zueinander stehen. Kann man davon sprechen, daß Ihre Thesen dazu führen, daß diese lehensrechtliche Beziehung im Gegensatz zu früheren Thesen wieder aufgewertet werden muß? Ist das zunächst eine stärker noch persönliche Beziehung, die sich dann im Laufe des 14. / 15.Jahrhunderts zunehmend objektiviert, oder laufen diese Prozesse völlig unabhängig davon ab.
Moraw: Es ist eine Frage, die ich mir noch nicht gestellt habe. Das heißt auch, daß ich glaube, daß eine - sagen wir einmal: direkt proportionale Beziehung zwischen der Problematik, die ich darzulegen versucht habe, und der Problematik des Lehnswesens meines Erachtens nicht besteht. Das heißt nicht, daß das Lehenswesen nicht vorhanden war, selbstverständlich war es das. Aber es konnte in ganz unterschiedlicher Form wirksam werden oder eingesetzt werden oder eben gewissermaßen beiseite bleiben. Wenn ich den Juristen unter Ihnen nicht zu nahe trete, möchte ich behaupten, ein Lehensverhältnis sei zuerst ein Machtverhältnis. Das heißt, daß diese Rechtsbeziehung, die als solche nie vergessen worden ist im 15. und auch nicht im 16. Jahrhundert, ganz unterschiedliche Funktionen hat ausfüllen können. Man muß aber gewissermaßen von Jahrhundert zu Jahrhundert prüfen, welchen - wenn Sie das Wort gestatten - Stellenwert das Lehenswesen hatte. So hat es in der Tat einen Vortrag geben können, ohne daß das Lehenswesen ein einziges Mal hat erwähnt werden müssen. Es war kein aktiv gestaltendes Element mehr in jenem Geflecht, von dem ich hier gesprochen habe, auch wenn es zusammen mit anderen Elementen die - eher statische - Rechtsbasis abgegeben hat dafür, was wir das Reich nennen. Battenberg: Meine Wortmeldung zielt in ähnliche Richtung wie die von Herrn Willoweit. Sie hatten von den Reichsinstitutionen gesprochen, die sich erst im späten 15. Jahrhundert ausbildeten und die vorher eigentlich nur königliche Institutionen gewesen waren. Demgegenüber möchte ich behaupten, daß für die Zeit seit dem 13. Jahrhundert verstärkt auch auf Reichsebene Versuche existierten, ganz bestimmte Institutionen königsunabhängig zu installieren, auch wenn man sich dessen nicht immer bewußt war. Ich denke dabei etwa an das Hofgericht, das durch eigenständige Verfahrensmechanismen zu einem Körper wurde, der zwar bis zum Schluß auf den Hof zugeordnet blieb, der aber doch eine teilweise unabhängige Stellung erreichte, auch wenn dessen "Emanzipation" vom König ab einem bestimmten Zeitpunkt im 15. Jahrhundert verhindert wurde. Hier wurde offenbar eine Gefahr empfunden, daß etwas entstand, was sich unabhängig vom Königtum und unabhängig vom Hof oder aus dem Hof heraus entwickeln könnte. Ich denke, daß hier Abtrennungsversuche, die sukzessive 3 Der Staat, Beiheft 12
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verstärkt wurden und irgendwann im 15. Jahrhundert zum Ergebnis hatten, daß jetzt eine Reichsinstitution entstanden war. Ich denke, es war dies ein längerer Entwicklungsprozeß, der nicht von heute auf morgen im 15. Jahrhundert zutage trat.
Moraw: Meine Antwort darauf ist die, daß ich solche Spuren vor dem 15. Jahrhundert nur mit sehr großer Mühe auffinden könnte, obwohl ich natürlich weiß, daß das Hofgericht vorhanden war. Ich sehe dieses aber hochgradig als vorinstitutionell an. Im 15. Jahrhundert habe ich keine Probleme mit dem, was Sie sagen. In der Tat haben die Dinge, die sich im späten 15. Jahrhundert in einer aufregenden Weise zuspitzten, eine Vorgeschichte gehabt. Auch die zugehörigen Probleme hatten eine Vorgeschichte. Das ist vor allem die interessante Frage, was geschehen wäre, wenn die Hussitenfrage von größerem Gewicht gewesen wäre, als sie war. Dann hätten wir ein Problem gehabt, das schon in den 1420er Jahren sehr virulent gewesen wäre. Wie wir wissen, haben die Hussiten getan, was sie konnten, wenn ich das so sagen darf, aber es war nicht genug, um den Reichsmechanismus so herauszufordern, daß man das Geschehen um 1500 schon 1425 hätte ablaufen lassen können, noch gleichzeitig mit dem Hundertjährigen Krieg in Westeuropa. Es gab also solche Herausforderungen wie es auch Dinge gab im Verhältnis zwischen Hoftag und Reichstag, die reichstagsähnlich waren. König Ruprecht am Anfang des 15. Jahrhunderts hat seine Hoftage nicht mehr beherrscht, das war ein reichstagsartiger Wesenszug. Aber dies blieb ohne Kontinuität, worauf es mir immer ankommt. Ich nehme mir also ein gewisses Recht, auf Dinge hinzuweisen, die wirklich wirksam geworden sind, und will in der Tat das übrige in die Schublade "Vorgeschichte" tun. Wenn ich das tue, dann kann ich wohl bei meinen Behauptungen verbleiben. Indem ich auch sage, wer am Hof ist, kann sich unmöglich der Hofsituation sozial entziehen, bewerte ich die institutionelle Frage in bestimmter, reduzierender Weise. Das sieht der Historiker womöglich anders als der Jurist. So ist auch der Reichspfennigmeister in der frühen Neuzeit vom Wiener Hof unwiderstehlich angezogen worden, obwohl er ein Reichsamt im strengen Sinn innehatte und eigentlich mit dem Hof nichts Wesentliches hätte zu tun haben sollen. Aber so war es eben nicht. Barmeyer: Eine Grundaussage Ihrer Ausführungen war, glaube ich, daß das Reich aus einem Grundkonsens heraus gelebt habe. Dieser Grundkonsens wurde getragen von historischen Traditionen. Weiter haben Sie in einer Ihrer Antworten gesagt, Verfassungsgeschichte sei in dieser Zeit weithin Sozialgeschichte. Daraus könnte man folgern, Verfassungs- und Sozialgeschichte seien dann in weiten Teilen Mentalitätsgeschichte. Daraus ergibt sich - weniger als Frage, denn als Ergänzung und Konkretisierung: Wenn, wie Sie sagten, das Reich im Bewußtsein der Handelnden Realität besaß, so
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erhielt es auch von hier her seine Legitimität. Die andere Seite von Legitimität aber ist - wenn sie funktionieren soll - die Loyalität. Beim Stichwort Elitenforschung wurde deutlich, daß man diese nur in Beziehungen und Relationen fassen kann. Wie aber sieht es dann mit dem Reich als dem überwölbenden Gesamten aus? Es ist doch zweifellos sehr schwierig, das Rechtsbewußtsein mentalitätsmäßig zu erfassen. Moraw: Leider haben Sie vorerst - recht mit Ihrem letzten Satz. Es ist in der Tat sehr schwierig und es führt daran kein Weg vorbei, die wenigen Zeugen, die wir in diesem Milieu haben, also im wesentlichen diejenigen Autoren, die Zeitgeschichte, aber auch Vergangenheitsgeschichte geschrieben haben - auch das gibt ja indirekte Aussagen - sowie die ganz wenigen Leute, die wir Theoretiker nennen könnten, Alexander von Roes oder wen immer Sie erwähnen wollen, diese Leute zu befragen und auf die Antworten sorgfältig zu hören. Um beim Beispiel Alexanders von Roes zu bleiben: Er kann die Schwaben nicht leiden und sieht Gegenwart und Vergangenheit unter diesem partikularen Aspekt. Es sind also Dinge, die in einem schwierigen Wechselverhältnis zueinander stehen. Ich habe einmal auch oberdeutsche Geschichtsschreiber in solchen Fragen untersucht. Dann bleibt immer noch die Frage: Wieweit waren diese Leute von den Handelnden entfernt, und wieweit waren das einfach Privatmeinungen? Einer meiner Hauptgedanken ist in der Tat gewesen, daß man hier noch wesentlich mehr forschen muß, ich habe das - glaube ich - auch ausgedrückt. Andererseits stünde ich gewissermaßen vor einem Begründungsdefizit, wenn ich einen Grundkonsens nicht gleichsam postuliere, gerade bei der Antwort auf die Frage: Was hält das Reich überhaupt zusammen? Und daß es zusammengeblieben ist, stellt - abgesehen davon, daß kein ernstlicher Feind gekommen ist, was mir auch ein wichtiges Argument zu sein scheint - eben doch die Frage danach, was ich Loyalität in irgendeiner Form genannt habe. Gelegentlich blitzt das auf. Es gibt Reichsfürsten aus dem mir verhältnismäßig gut bekannten 15. Jahrhundert, die sich in der Tat für den Kaiser aufgerieben haben, ihr territoriales Gut sozusagen verschwendet haben, obwohl sie hätten wissen müssen, daß sie sich unklug verhielten. Ich weiß nicht, wie man das anders erklären soll. Es könnte auch sehr persönliche Loyalität gewesen sein; aber ein Blick auf Frankreich würde uns lehren, daß aus persönlichen Loyalitäten, wenn genügend Zeit abläuft, staatliche Loyalitäten werden können. Für jedes bessere Erklärungsmodell bin ich sehr dankbar. Ich gebe offen zu, daß es sich um ein Erklärungsmodell handelt, das ich nur punktuell stützen kann. Wir sind einfach noch nicht weit genug, um uns die Dinge in aller Breite klar zu machen. Daß die politische Elite partiell loyal gewesen ist, das ergibt sich in gewisser Weise schon aus ihren Interessen. Unser Problem ist in Deutschland, daß diese Elite zunächst winzig klein war, ganz im Unterschied zu Frankreich, wo die Konzentration auf das "Parlament" in Paris 3*
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schon im 14. Jahrhundert in dreistelligen Zahlen von Fachleuten gemessen werden kann, während wir damals, wenn wir Glück haben, ein Dutzend von dieser Sorte auftreiben können. Diese Leute nahmen bis 1500 an Zahl stark zu, aber es war dann auch schon spät im europäischen Vergleich. Die Tatsache schließlich, daß es einen humanistischen patriotischen Ausbruch am Ende des Mittelalters gab, mag auch eine Vorgeschichte gehabt haben.
Schneider: Sie haben wiederholt einen Zusammenhang angesprochen zwischen fehlender Bedrohung des Reiches von außen und der Nichtausbildung institutioneller Strukturen. Liegt letzteres wirklich nur daran, daß dem Reich ein Hundertjähriger Krieg erspart blieb? Oder lassen sich auch andere Gründe nennen? Moraw: Die Antwort in einer Minute ist schwierig. Zur ersten Frage kann man sagen, die allgemeine zivilisatorische Entwicklung Deutschlands war noch nicht weit genug gediehen. Die Urbanisierung war lange nicht so weit wie in Italien und die Kirche war nicht so beschaffen wie die französische Kirche, also im Prinzip noch eine feudale Kirche. Diese Defizite wirkten sich insgesamt deutlich aus. Den anderen Teil der Antwort, glaube ich, kann man punktuell um 1500 so formulieren: Es ging im Kern ums Geld. Das ist eine ganz harte Antwort. Es scheint sogar so, daß die ganze Ausformung des Reichstags, so auch die Frage, wie die Nicht-Anwesenden verpflichtet werden konnten (was uns heute ein abstrakt-parlamentarisches Problem zu sein scheint), ein Problem der "Zahlungspflichtigmachung" gewesen ist. Wenn ich mir den Reichstag von 1495, den ich ganz gut kenne, vor Augen führe, sehe ich: Die Frage der Mehrheitsbildung, die Frage des Abstimmungsmodus und die Frage nach der Verpflichtung der Abwesenden wurzeln alle in der Frage: Wie werden die Lasten verteilt? Das ist dann wieder auf die Bedrohung von außen zurückzuführen: Man muß die militärischen Dinge finanzieren. Auch der König von Frankreich machte dasselbe, nur ein wenig früher, man kann aber die Probleme auch bei ihm studieren.
Zur Problematik dynastischer Integration am Beispiel der Habsburgermonarchie (15. - 17 .Jh.)l Von Alfred Kohler, Wien
I. Einleitung Der Begriff Austria / Österreich steht für eine Herrscherfamilie wie für einen Länderkomplex: die Familie Habsburg spricht vom Haus Österreich, der Casa de Austria, in der italienisierten Form Casa d'Austria, der Name Österreich stand im 16. Jahrhundert für mehr als nur für Österreich im engeren, ursprünglichen Sinne. Schon früh wurde die Bezeichnung "Herrschaft zu Österreich" - "dominium Austriae" verwendet - sie taucht in den Quellen im ersten Jahrzehnt des 14. Jhs. auf. Schon damals galt das Herzogtum Österreich als Hauptsitz der Familie2 • Durch das Haus Habsburg erlangte der Name Austria seinen europäischen und sogar weltweiten Ruf. Diese "Namensverschiebung" signalisiert vor allem eine Schwerpunktverlagerung der habsburgischen Dynastie und ihrer Politik nach Westeuropa seit Friedrich IH. und Maximilian 1. Die Einbindung Österreichs in ein neues politisches und soziokulturelles Beziehungssystem begann. Seit Maximilian 1., Philipp dem Schönen, Karl V. und Ferdinand 1. faßte das Haus Österreich in den Niederlanden, in Spanien, Böhmen und Ungarn Fuß und betrachtete sich als Erbe dieser Länder. "Aus dieser patrimonialen Staatsauffassung heraus erklärt es sich, daß ,Haus Österreich' nicht bloß den Namen der Dynastie bedeutet, sondern auch in territorialem Sinn als Bezeichnung des gesamten Herrschaftsgebietes gebraucht wird 3 ." 1 Die vorgetragene Fassung wurde redigiert und nur mit wenigen Anmerkungen versehen. . 2 Vgl. zuletzt die ex:ze~ente begriffsgeschichtliche Studie von Grete Walter-Klingenstein, Was bedeutet "Osterreich" und "österreichisch" im 18. Jahrhundert? Eine begriffsges~hicht1iche Studie, in: R.G. Plaschka:, G. Staurzh, J.P. Niederkam (Hrsg.), Was heißt Osterreich? Inhalt und Umfang des Osterreichbegriffes vom 10. Jahrhundert bis heute .(= Archiv für österreichische Geschichte 136), 1995, S. 149 - 220; zum Begriff "Haus Osterreich" ,ebd., S. 171 ff. 3 Oswald Redlich, Weltmacht des Barock. Österreich in der Zeit Leopolds 1., 4. Aufl., 1961, S. 4.
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Alfred Kohler
Die Habsburger bemühten sich mit Erfolg, aus den beiden Wahlkönigreichen Böhmen und Ungarn Erbkönigreiche zu machen: In Böhmen gelang es 1627, nach der Niederschlagung des Böhmischen Aufstandes; in Ungarn 1687, nach der Befreiung Ungarns von den Osmanen. Während in Böhmen Individualsukzession, nämlich Primogenitur mit unbedingtem Vorzug des männlichen Stammes bestand, somit eine Teilung des Königreiches ausgeschlossen war, führte in den österreichischen Erblanden das Prinzip der Gesamtbelehnung zu hausgesetzlichen Verfügungen über die Erbfolge und zu Teilungen. Das Erzherzogtum Österreich unter und ob der Enns sollte nach dem Privilegium maius zwar nicht geteilt werden, aber die Habsburger hielten sich zur Teilung durchaus berechtigt. Ferdinand 1. sollte seine folgenreiche Teilung vornehmen und Ferdinand 11., der den Besitz der steirischen Linie wieder mit dem der Hauptlinie vereinte, sah sich gezwungen, Tirol und die Vorlande seinem Bruder Leopold zu überlassen. Nun gehörte die Herausbildung von Erbfolgeordnungen, die auf die Bevorzugung der Primogenitur hinausliefen, zu den Begleiterscheinungen des sich konsolidierenden frühmodernen Fürstenstaates. Die Befürworter des Primogeniturprinzips sahen in der gemeinschaftlichen Regierung nur eine Schwächung, schon wegen der Gefahr von Teilungen. Auch im Hause Habsburg hat sich das Primogeniturprinzip - und noch wichtiger, das Prinzip der Unteilbarkeit der Länder - nur langsam durchgesetzt, und zwar erst der nach Teilung der Länder unter die Söhne Ferdinands 1. (1564). Das "pactum mutuae successionis" (1703) und die Pragmatische Sanktion (1713) standen am Ende dieser Entwicklung. Stellte es für Erasmus von Rotterdam noch ein Problem dar, daß das Primogeniturrecht die Begabungen einer Fürstenfamilie erst gar nicht ins Spiel brachte, so meinte Christian August von Beck, der Erzieher Josephs 11., zweieinhalb Jahrhunderte später: "Der Ursprung des Erbrechts in Reichen und Staaten ist ohne Zweifel in den überwiegenden Verdiensten des ersten Bewerbers zu sehen. Ein Volk unterwarf sich den Nachkommen eines Fürsten in der billigen Zuversicht, daß diese nebst der Regierung auch die löblichen Eigenschaften und 'lUgenden ihres Vorfahrers erben würden4 ." Die Neufassung der "österreichischen Freiheiten" im Jahre 1530 hat vor allem durch die Bestimmungen über Primogenitur, Unteilbarkeit und subsidiäre Tochternachfolge einen maßgeblichen Einfluß auf die weitere Entwicklung bis zur Pragmatischen Sanktion ausgeübt 5 . In diesem Freiheits4 Vgl. Hermann Conrad (Hrsg.), Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph im Natur- und Völkerrecht sowie im Deutschen Staats- und Lehnrecht (= Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 28), 1964, S. 227. . 5 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1966, S. 329 f.
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brief vom 18. September 1530 heißt es u. a.: "Der Eltist undter den Hertzogen soll die Herrschafft des Lanndts haben und nach Ime sein eltister Sohn erblich, doch also, das es von dem Stammen des Bluets nit khome, und das die Ertzhertzogthumb nimmermer gethailt soll werden,,6. Schon im Privilegium minus, jener über den lehnsrechtlichen Akt vom 17. 9. 1156 ausgestellten Urkunde, war das Recht verbrieft, das Herzogtum Österreich auf männliche und weibliche Nachkommen zu vererben - damals eine Neuerung im Lehnsrecht des Reiches. Das Privilegium maius des 14. Jhs. zielte darauf ab, die Rechtsstellung der österreichischen Herzoge der der Kurfürsten anzugleichen, deren Rechte in der Goldenen Bulle von 1356 zugesichert worden waren. Während Kaiser Karl IV. dem gefälschten Privilegium maius die Anerkennung verweigerte, haben es die Kurfürsten 1453, unter Kaiser Friedrich III., anerkannt und ihm damit reichsrechtliche Kraft verliehen. 11. Die habsburgischen Erblande am Ende des Mittelalters Im 15. Jh. ging die Epoche der Herrschaftsteilungen der habsburgischen Länder zu Ende. So hatte Kaiser Friedrich III. lange Zeit nur Innerösterreich inne; 1485 machte ihm der ungarische König Matthias Corvinus Wien streitig, sein Bruder Albrecht VI. die Vorlande (1446), Oberösterreich (1458), Niederösterreich (1461). Albrecht starb 1463; Friedrich III. war der steirische Vetter aus der steirischen Linie von Sigismund von Tirol, der für Sigismund nach dem Tod von dessen Vater die Vormundschaft übernahm. Die Tiroler Stände setzten bei Friedrich im Jahr 1446 durch, daß der 16jährige Sigismund die Regierung in Tirol und in den Gebieten vor dem Arlberg antreten konnte 7 • Die Übernahme der Herrschaft in Tirol durch seine Linie hatte Kaiser Friedrich III. länger angestrebt, insbesondere als zeitweise die Gefahr bestand, daß sein Vetter Sigismund Tirol an die bayerischen Herzöge vererben oder verkaufen könnte. Das hatte das Mißtrauen und den Widerstand bei den Tiroler Landständen, das schon wegen der verschwenderischen Politik Sigismunds bestand, noch gesteigert. Mit Argwohn hatte der Kaiser die gegen seinen Willen von Sigismund vermittelte Verheiratung seiner Tochter Kunigunde mit Herzog Albrecht IV. von Bayern betrachtet, die 1487 in Innsbruck stattfand und Bayern eine Anwartschaft auf Tirol eröffnete. Maximilian trat damals gegen die bayerische Politik nicht auf, erst drei Jahre später nützte er in Absprache mit seinem Vater den Dauerkonflikt zwischen den Tiroler Ständen und Erzherzog Sigismund in raffinierter Weise, indem er in Innsbruck erschien und in, Absprache mit den Ständen und mit Unterstüt6 7
Haus-, Hof- und Staats archiv Wien, Allgemeine Urkundenreihe. Josef Riedmann, Geschichte Tirols. 1982, S. 72.
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zung einiger Räte, unter ihnen Waldauf von Waldenstein und Paul von Liechtenstein, Sigismund durch große Pensionsversprechen und die Absichtserklärung, seine etwa vierzig unehelichen Kinder zu versorgen, zum Verzicht auf die Herrschaft in Tirol bewog. Am 16. März 1490 übernahm Maximilian die Regierung, zumal sein Vater für seine Person verzichtete. Somit entschied sich in Tirol der Fortbestand der Einheit des habsburgischen Besitzes anstelle einer engeren herrschaftsrechtlichen Verbindung zwischen Tirol und Bayern 8 . Tirol und Innsbruck avancierten sehr rasch zum Mittelpunkt von Maximilians österreichischer Herrschaft, es sollte seine zentrale Funktion auch nach 1493 behalten, als Maximilian seinem Vater in allen österreichischen Herrschaftsgebieten und im Reich als Kaiser nachfolgte. Es war Tirols Westlage im Rahmen der österreichischen Länder und seine Brückenfunktion zwischen den oberdeutschen und den reichsitalienischen Gebieten, die Maximilians politischen Ambitionen entgegenkam. Aus verwaltungstechnischen Gründen richtete Maximilian 1. Ländergruppen ein: die Gruppe der niederösterreichischen und der oberösterreichischen Länder. Nach Wiesflecker war dies eine Verwaltungsreform, die zu einem staatlichen Einrichtungswerk wurde, das Jahrhunderte Bestand hatte, d. h. bis zu den theresianischen Reformen. "Ziel seiner Reformen war eine größere Einheit der österreichischen Länder, Steigerung ihrer Wirtschaftskraft, besseres Heerwesen und Stärkung der landesfürstlichen Macht. Er schuf einen leistungsfähigen neuen Regierungs- und Verwaltungsapparat, einen neuen Beamtenstand ... Das Regiment als oberste Regierungsstelle behielt stets auch eine gewisse Aufsicht über die Kammer und hatte bei allen wichtigen Finanzsachen mitzureden. Gewiß wurden manche ältere Verwaltungsformen - etwa das Kollegialsystem - beibehalten, aber doch mit ganz neuem Geist erfüllt. Die Landstände wurden aus Regiment und Kammer zunächst fast ganz verdrängt und durch Beamte des persönlichen Vertrauens ersetzt." Nach dem Tod Friedrichs III. (1493) erhielt die oberösterreichische Ländergruppe mit Regiment, Kammer und Kanzlei in Innsbruck und die niederösterreichische Ländergruppe ein Regiment, Kammer und Kanzlei in Linz, Enns oder Wien "oder wo der Herrscher sie eben brauchte9 ." Die von Maximilian 1. initiierte Behördenzentralisation - natürlich nur im relativen Sinne - schuf jedenfalls nicht nur die Grundlagen für eine effizientere fürstliche Verwaltung und Herrschaft in 8 Alfred Kohler, Zu Person, Herrschaft und Politik Maximilians 1., in: A. Kohler (Hrsg.), Tiroler Ausstellungsstraßen: Maximilian 1., 1996, S. 9 - 28. Wilhelm Baum, Sigmund der Münzreiche. Zur Geschichte Tirols und der habsburgischen Länder im Spätmittelalter, 1987, S. 495 ff. 9 Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. 5, 1986, S. 205 ff.
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den österreichischen Ländern, sondern auch günstigere Voraussetzungen bei künftigen Herrschaftserweiterungen. Von welcher zentralen Bedeutung diese gewesen sind, wird im folgenden aufzuzeigen sein.
m. Dynastie und Landerwerb Die Dynastien Burgunds, der spanischen Königreiche (Trastamara), Polens und Ungarns (Jagiellonen) und die Habsburger waren seit dem Spätmittelalter eng miteinander verwandt. Nutznießer dieser dynastischen Verwandtschaft war - wie die Jahre 1500 und 1526 zeigen - das Haus Habsburg. Sowohl in West- als auch in Mitteleuropa hat die Mortalität dieser Dynastien dem Haus Habsburg den Aufstieg zur führenden Dynastie Europas ermöglicht lO • Es gehörte zu den Grundprinzipien des fürstlichen Selbstverständnisses und der Politik, die dynastischen Möglichkeiten jederzeit in Erwägung zu ziehen. Mit den eigenen Kindern - gelegentlich auch mit denen anderer Dynastien - begann dies in der Regel schon im Säuglingsalter: Man überlegte sich die beste Aufteilung des eigenen ,dynastischen Potentials' und bevorzugte dynastische Kombinationen, die mit Rangerhöhungen verbunden waren. Die Kinder der europäischen Herrscherhäuser waren dabei der Willkür ihrer Eltern ausgesetzt: Partner, die sie nie zuvor gesehen hatten, wurden ohne Rücksicht auf Alter oder gar persönliche Zuneigung für sie ausgesucht. Der Einsatz dynastischer Mittel, d. h. die Einbringung des menschlichen Potentials einer Dynastie in Form der Kinder und Kindeskinder, im Grunde der gesamten Verwandtschaft, war ein Spezifikum der fürstlichen Politik in der Frühen Neuzeit. Dem Haus Habsburg wird - bis heute - das Bonmot "Tu felix Austria nube" zugeschrieben. Damit ist die über das übliche Maß der Zeit hinausgehende Intensität erfolgreicher dynastischer Politik gemeint. Darin wird aber auch die Glorifizierung, die in der dynastischen Politik eine echte Alternative zu gewaltsamer Besitzergreifung sehen möchte, deutlich. Schon Maximilians Vater Friedrich IH. hatte durch seine Heirat mit der portugiesischen Prinzessin Eleonore (1452) eine neue dynastische Dimension eingebracht, die in Maximilians Verheiratung mit der burgundischen Erbtochter Maria (1477) ihre Fortsetzung fand. Die mit diesen Eheschließungen verbundene politische Orientierung führte das Haus Habsburg aus der Enge der mitteleuropäischen Beziehungen heraus und eröffnete der Casa de Austria den Aufstieg zur führenden Dynastie Europas. Gleichzeitig 10 Vgl. Alfred Kohler, "Th felix Austria nube ... " Vom Klischee zur Neubewertung dynastischer Politik in der neueren Geschichte Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung 21, 1994, S. 461- 482.
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waren die östlichen Herrschaftsgebiete Friedrichs II!. durch den ungarischen König Matthias Corvinus, der 1485 einige Jahre sogar Wien besetzt hatte, bedroht. Erst 1490 gelang die dauerhafte Sicherung der östlichen Donau- und Alpenländer gegen die Ansprüche der ungarischen Könige. Seit der Regierung Wladislaw 11. in Ungarn besserte sich das Verhältnis Habsburgs zur jagellonischen Dynastie. Philipp der Schöne, der Sohn Maximilians 1., heiratete 1495 Johanna die Wahnsinnige, Margarete, die Tochter Maximilians, Juan, den Thronfolger der Katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon. Da Juan schon ein halbes Jahr nach seiner Hochzeit aus nicht völlig geklärten Umständen starb, hatten Philipp und Johanna gute Chancen auf eine Erbfolge in Spanien, die sich allerdings erst nach der durchschlagenden Mortalität unter Johannas Schwestern und deren Erben erhöhten. Seit dem Heranwachsen Karls in den Niederlanden wurde die habsburgische Thronfolge in den spanischen Königreichen immer wahrscheinlicher. Diese Entwicklung bildet die andere, zweite wichtige Erfahrung Maximilians, daß nämlich dynastische Verbindungen, zumal in doppelter Weise, sehr lohnend für die Zunkuft der eigenen Dynastie sein konnten. Es ist bezeichnend, daß der Kaiser die der "spanischen Ehe" Philipps und Johannas entsprungenen Kinder für die Verheiratung mit dem Haus Jagiello vorsah. Die Vorgeschichte der Wiener Doppelhochzeit von 1515 zwischen den Häusern Habsburg und Jagiello, die Erzherzog Ferdinand und Anna von Ungarn bzw. Ludwig von Ungarn und Erherzogin Maria betraf, reicht bis 1506/07 zurück l l . Von Anfang an wurde sie von einer ungarischen Ständepartei, die mit dem Namen der Familie Zapolya verbunden ist, bekämpft. Darüber hinaus existierte das grundsätzliche Problem, daß der Status Böhmens und Ungarns als Wahlkönigreiche Heirats- und Erbabsprachen erheblich relativieren konnte. Höhe- und Endpunkt der dynastischen Vereinbarungen zwischen den rivalisierenden Jagiellonen und Habsburgern im Jahre 1515 ist seit dem 19. Jh. als "Erster Wiener Kongreß", in Analogie zum Wiener Kongreß 1814 / 15, bezeichnet worden 12 . Bis heute findet sich diese Etikettierung für ein Ereignis, das eigentlich als ein Monarchentreffen zu bezeichnen ist, auf welchem dynastische Verträge abgeschlossen wurden, und eine Doppelhochzeit prokuratorisch vorgenommen wurde. Insgesamt gesehen begünstigten die Heirats- und Adoptionsverträge von 1515 beide Seiten gleichermaßen, zumal auch niemand wissen konnte, zu wessen Gunsten das dynastische Doppelprojekt letztlich ausgehen würde. 11 Vgl. zum folgenden Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian 1. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. 4, 1981, S. 154 - 204. 12 Vgl. vor allem F.x. Liske, Der Congreß zu Wien im Jahre 1515, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 18, 1867, S. 463 - 558.
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Daß das Jagiellonenprojekt ein großer Erfolg seines Hauses werden sollte, konnte Maximilian 1515 noch nicht wissen, er durfte vielleicht darauf hoffen, wenn er von der Annahme ausging, daß sich der dynastische Erfolg der spanischen Heirat mit dem Haus Jagiello wiederholte. Im frühneuzeitlichen Europa wurden dynastische Ehen in der Regel zur Bekräftigung des gegenseitigen Einvernehmens zwischen zwei Fürstenhäusern geschlossen, sie waren das sichtbare Zeichen für politische Konvergenz. Die Bedeutungssteigerung dynastischer Politik im 16. Jh. führte zu einer höheren Bewertung von Erbangelegenheiten überhaupt. Das Prekäre am dynastischen Prinzip lag an der Unberechenbarkeit menschlicher, physischer und psychischer Faktoren in diesem Zusammenhang. Fertilität, Sterilität und Mortalität gewannen in dynastischen Dimensionen an Bedeutung. Die Wahrung und der Schutz für die Dynastie, aber auch die Mehrung ihres Besitzes, standen an vorderster Stelle des dynastischen Wollens und Handeins. Iv. Ferdinand I. und Karl V. - Probleme der gemeinsamen Politik
Die Tatsache, daß die Herrschaftsbasis und Machtmittel Karls V. außerhalb des Heiligen Römischen Reiches lagen, hatte vielfältige Auswirkungen. In unserem Zusammenhang gilt es vor allem dynastiepolitische hervorzuheben. So mußten fortan die politischen Rollen der einzelnen Mitglieder Habsburgs aufeinander abgestimmt werden. Mehr denn je stellte sich dabei die Frage nach der Rolle des Familienoberhaupts und der Verwandten sowie der habsburgischen Politik überhaupt. Der Anspruch Karls V. auf die Position des Familienoberhaupts verdeutlicht die immer wichtiger werdende innerfamiliäre Hierarchie. So läßt sich etwa die politische Rolle Ferdinands I. ohne Berücksichtigung der Politik seines kaiserlichen Bruders nur sehr unzureichend erfassen. Die Mitwirkung beruhte auf der Fixierung Ferdinands auf seine Herrschaftsgebiete durch den Bruder, der jede persönliche Mitwirkung Ferdinands an seiner italienischen und französischen Politik blokkierte. Statt dessen hatte der jüngere Bruder seine militärischen Kräfte gegen die Osmanen zu organisieren. Die persönlichen Beziehungen der beiden Brüder erlebte Höhen und Tiefen: die römische Königswahlfrage (15191531), die Nachfolgediskussionen und Familienverträge (1550/51) und anderes mehr haben die innerfamiliären Beziehungen insgesamt sehr belastet. Denn auch als Ferdinand 1531 zum Römischen König gewählt worden war, war er in seinen Kompetenzen durch seinen kaiserlichen Bruder beschränkt und konnte keine wichtige Entscheidung im Reich ohne Rückfrage bei Karl fällen. In der Frage der Nachfolge Karls im Kaisertum hatte Ferdinand zeitweise hinter Philipp zurückstehen müssen. Doch bewahrte Ferdinand seine Loyalität gegenüber Karl stets, gerade auch in der Spätzeit der Regierung
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Karls, als das Reich (vergleicht man die Durchsetzung des kaiserlichen Sieges 1547 und den Augsburger Religionsfrieden von 1555) zum Angelpunkt der politischen Entscheidungen des Kaisers wurden, und die gegensätzlichen Auffassungen der beiden Brüder zeitweise stark divergierten. Ferdinand war immer sehr stark auf seine Länder und Stände zurückverwiesen. Es wurde für ihn deshalb eine entscheidende Frage, wie und in welcher Weise er die Ressourcen seiner Herrschaftsgebiete für eine habsburgische Gesamtpolitik unter der Leitung seines Bruders Karl mobilisieren konnte. Ferdinands Politik galt deshalb besonders Böhmen. Er nahm die königliche Gewalt voll in Anspruch und konsolidierte seine politische Herrschaft, was im Interesse der böhmischen Ständegemeinde war, weil die Abwesenheit der vormaligen jagielIonischen Könige der Integrität der böhmischen Krone zum Nachteil gereicht hatte. Der Kreis der mächtigen Adelsgeschlechter in Böhmen, Mähren und Schlesien war an einem "funktionierenden Königtum" interessiert. Das monarchische Herrschaftssystem der Jagiellonen war schwach gewesen. Ferdinand hingegen erweiterte die landesfürstlichen Kompetenzen, drängte die ständischen Rechte schrittweise zurück und baute eine landesherrliche Verwaltungsorganisation auf. Auch die außerhalb Böhmens gelegenen Zentralbehörden - der Geheime Rat und die Hofkammer - gewannen in den böhmischen Kronländern an Einfluß. 1527 richtete Ferdinand I. die böhmische Kammer als landesfürstliches Amt ein, die faktisch erst 1568 der Hofkammer in Wien untergeordnet wurde. Ferner ließ er 1527 an der Wiener Hofkanzlei eine eigene Expeditur für die Angelegenheiten der böhmischen Kronländer einrichten. Auf diese Weise untergrub er die Position des böhmischen Oberstkanzlers. Nach Protesten der böhmischen Stände wurde sie in eine selbständige Expeditur der böhmischen Kanzlei in Prag umgewandelt. Als Rudolf II. 1583 seine Residenz von Wien nach Prag verlegte, vereinigte er beide Behörden zu einer einzigen. Die böhmische Kanzlei bezog "als das zentrale Verwaltungs organ des böhmischen Staates zu allen inneren und auswärtigen, militärischen, konfessionellen und gerichtlichen Fragen Stellung 13 ." Auf dem Gebiet des Gerichtswesens scheiterte Ferdinand mit Neuregelungen.
v. Desintegration im Zuge der Herrschaftsteilung 1564? Ferdinand I. teilte die von ihm regierten Länder unter seine Söhne auf. Der älteste Sohn Maximilian (II.) erhielt die Länder ob und unter der Enns; überdies sicherte man ihm die Thronfolge in Böhmen und Ungarn zu. Der 13 Joachim Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft 15361619, 1994, S. 79.
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zweitälteste Sohn Ferdinand erhielt Tirol und die Vorlande. Der drittälteste Sohn Karl wurde mit den innerösterreichischen Ländern (Steiermark, Kärnten und Krain) ausgestattet. Oswald Redlich sah in dieser testamentarischen Verfügung Ferdinands 1. die zentralistischen Bestrebungen "unterbrochen und dauernd gestört 14 ." Nach Hermann Conrad bedeutete die Hausordnung Ferdinands von 1554 und die Besitzteilung von 1564 einen "Rückfall in patrimoniales Denken 15 ." Erich Zöllner meint dazu: "Die Erfahrungen aus der Geschichte des Hauses Österreich im späteren Mittelalter sprachen gegen eine Erneuerung des Teilungsprinzips; das Mißtrauen gegen den ältesten, zum Protestantismus neigenden Sohn, die Furcht vor gefährlichen Aktionen der zurückgesetzten jüngeren Angehörigen der Familie, vielleicht auch die Überlegung, daß in kleineren Herrschaftsbereichen der Macht der Stände leichter Widerstand geleistet werden könnte, mögen schließlich dem Teilungsgedanken noch einmal zum Sieg verholfen haben. Da die Söhne Ferdinands I. doch wesentlich besser zusammenarbeiteten als die Habsburger des späteren Mittelalters, hatte die Lösung von 1564 nicht die gleichen üblen Konsequenzen wie frühere Teilungsverträge 16 ." War dies ein Rückfall ins Spätmittelalter, in die Zeit der spätmittelalterlichen Teilungen? Zunächst konnte auf die behördengeschichtlichen Errungenschaften seitens der Herrscher in den Teilgebieten und Residenzen Graz und Innsbruck etc. zurückgegriffen werden. Außerdem saßen die einzelnen Familienmitglieder vor Ort in den Residenzen; d. h. die Durchführung von Landtagen war wesentlich leichter als in der Zeit Ferdinands 1., der mühsam von Landtag zu Landtag reisen mußte, und die Auseinandersetzung mit den Ständen fand konsequenter statt. Wie spürbar die Erfolge der Herrschaftsverdichtung nach 1564 waren, läßt sich anhand der gegenreformatorischen Erfolge der innerösterreichischen Linie unter Karl 11. und Ferdinand 11. veranschaulichen. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Sicherung des Katholizismus in Tirol unter Erzherzog Ferdinand. Die schärfsten Formen nahm der konfessionelle Konflikt in den innerösterreichischen Ländern an. Karl 11. war dem Katholizismus aus Überzeugung zugetan, seine Gemahlin Maria von Wittelsbach, die er 1571 geheiratet hatte, übertraf ihn noch an Entschiedenheit des Bekenntnisses und wohl auch an persönlicher Energie. Vorerst allerdings mußte der Erzherzog vor der Offensive der protestantischen Stände beträchtlich zurückweichen. Aufgrund der Osmanengefahr mußte Karl in seinen Ländern den Ständen gegenüber religionspolitisch nachgeben, um Steuern bewilligt zu bekommen. 14 15 16
Redlich (FN 3), S. 14. Conrad (FN 5), S. 321. Erich Zöllner, Geschichte Österreichs, 8. Aufl., 1990, S. 196.
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Natürlich nützten die Stände der habsburgischen Länder die Schwäche des Hauses Habsburg im Zuge des sogenannten Bruderzwistes aus, indem sie untereinander Konföderationen bildeten. Sie wurden für die Parteiungen innerhalb des Hauses Habsburg als Bundesgenossen unentbehrlich. Das ständische Modell war zeitweise eine echte Gefahr für den dynastischen habsburgischen Gesamtstaat. Darin bestanden die Nachteile der Teilung von 1564; doch waren die Vorteile insgesamt größer; denn Ferdinand 1. hatte noch Jahr für Jahr von Landtag zu Landtag reisen müssen. Hatte sogar schon Maximilian 1. 1518 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Generallandtag in Innsbruck abzuhalten, um über gemeinsame, alle Länder betreffende Angelegenheiten - Verteidigung nach außen - zu verhandeln, so blieb diese Form der Mobilisierung ständischer Finanzkraft auch in der Folgezeit aktuell: 1541 veranstaltete Ferdinand 1. in Prag einen solchen Generallandtag, 1614 Matthias in Linz. Waren die habsburgischen Länder also - so wie die Niederlande auf dem Weg zu Generalständen? Die Gefahr für den Landesfürsten lag letztlich in der Kumulation ständischer Macht und im Aufeinandertreffen divergierender Auffassungen in einer Epoche der konfessionellen Konflikte. Das konnte von großem Nachteil sein. Da war die Anwendung des Prinzips "Divide et impera" durch die habsburgischen Herrscher besser und zweckmäßiger, wenn auch die Gesamtheit der ständischen Steuerkraft umständlicher organisiert werden mußte 17 . Im Rahmen der österreichischen Geschichte sollte man jedenfalls eine deterministische Sicht vermeiden, die darin besteht, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit von der Entwicklung Wiens zur wichtigsten bzw. einzigen Residenz der Habsburger auszugehen. Vielmehr war bis zu Kaiser Leopold 1. die dauernde Benützung verschiedener Residenzen ein Ausdruck der territorialen Vielfalt der habsburgischen Länder. Prag, Wien, Graz und Innsbruck standen zur Verfügung. Prag wurde erst unter Rudolf II. und Matthias 1. Dauerresidenz. Seit 1526 waren die böhmischen Stände bestrebt, Prag zur Hauptresidenz der habsburgischen Herrscher zu machen. Sie waren nicht nur die reichsten Länder, sondern sie lagen auch näher zu Sachsen, Nürnberg, Frankfurt am Main als Wien, das 1582, als Rudolf mit seinem Hofstaat nach Prag zog, an Bedeutung verlor, auch wenn Erzherzog Ernst hier zeitweise residierte und auch einige Behörden, wie etwa der Hofkriegsrat, hier verblieben. Wenn 1620 Ferdinand 11. nicht in Prag seine Residenz nahm, so war diese Entscheidung mit der Niederwerfung des böhmischen Aufstandes begründet 18 . 17 Alfred Kahler, Ferdinand land the Estates. Between Confrontation and Cooperation, 1521- 64, in: R.J.W. Evans, T.v. Thomas (Hrsg.), Cro~, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth an Seventeenth Centuries, 1991, S. 48 - 57.
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VI. Fazit und Ausblick Im 16. Jh. konnten wir beobachten, daß das Haus Habsburg, der dynastische Konkurrent der Jagiellonen, als Sieger hervorging und seit 1526/27 die Grundlage für eine - übrigens auch schon von Matthias Corvinus betriebene - Donaumonarchie legte. Ferdinand 1. suchte im folgenden die einzelnen, in ihren Rechtstraditionen sehr verschiedenen Herrschaftsgebiete politisch und administrativ zu koordinieren, was zwischen den österreichischen Erbländern und den Ländern der böhmischen Krone gelang - ganz im Gegensatz zu den Ländern der ungarischen Krone, die ihre Selbständigkeit wahren konnten. Einem arrondierten Staatsgebiet stand die innere Vielfalt der Herrschaftsrechte und der regionalen Rechtstraditionen gegenüber, die auch durch gemeinsame Behörden nicht eingeebnet werden konnten. Im Gegenteil: Nach 1564 ist diese Vielfalt durch die Schaffung von Länderbehörden noch unterstrichen worden. Erst unter Ferdinand 11. ging die Entwicklung wieder in die andere Richtung, und zwar im Sinne des uniformen Herrscherwillens in allen habsburgischen Ländern, ebenso im Reich als Kaiser. Oswald Redlich sah das eigentliche Epochenjahr der neueren Geschichte Österreichs nach 1526 deshalb im Jahr 1620: "Mit dem Niederbruch der böhmisch-mährischen und der österreichischen ständisch-religiösen Opposition nach der Schlacht am Weißen Berge entstand bereits der deutliche Einschnitt zwischen dem alten Ständestaat, dessen Macht im 16. und in den ersten Dezennien des 17. Jhs. ihre Höhe erreicht hatte, und zwischen der Entfaltung des monarchisch-absoluten Staates, dessen Zeit nun unwiderstehlich herankam 19 ." Auch wird ersichtlich, daß unter Ferdinand 11. mehr und mehr nur österreichische, böhmische, gelegentlich auch ungarische Räte dem Geheimen Rat angehörten, und daß der Reichsvizekanzler vom österreichischen Hofkanzler verdrängt wurde20 . Die Schwerpunktverlagerung der Kaiserpolitik nach Ostmitteleuropa wurde allerdings erst deutlich sichtbar, als Leopold 1. seine Politik auf die Erweiterung und Sicherung Ungarns richtete und damit der späteren Donaumonarchie den Weg ebnete.
18 Zu Wien vgl. zuletzt Christiane Thomas, Die Geburtsstunde der Donaumonarchie. Wien, das Zentrum verschiebt sich nach Osten, in: U. Schultz (Hrsg.), Die Hauptstädte der Deutschen, 1993. 19 Redlich (FN 3), S. l. 20 Ebd. S. 13.
Staatliche Einheit und politischer Regionalismus Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740 Von Wolfgang Neugebauer, Berlin
Als Theodor Fontane vor jetzt einhundert Jahren in seinem großen Altersroman ein Bild der märkischen Adelswelt vor 1900 entwarf, schilderte er dabei einen gedämpften Familienkonflikt, in den Woldemar von Stechlin geraten war. Denn der nicht mehr ganz junge Gardeoffizier dachte nun an Heirat. Doch als er seiner Tante, der Domina von Kloster Wutz(-Lindow) davon Mitteilung machte, daß seine Wahl auf eine Gräfin Barby gefallen war und davon, daß die Mutter der Braut eine Schweizerin gewesen sei, kommentierte dies die Domina - "herbe wie'n Holzapfel" - nicht nur mit einem "Um Gottes Willen!" Sie ließ dem wenig später einen Brief an Woldemar folgen, der für unser Thema von Interesse ist. Denn ausgehend von dem für mittelmärkische Verhältnisse gewagten Heiratsplan und von dem Rat: "gib auch in dieser Frage die Heimat nicht auf, halte Dich, wenn es sein kann, an das Nächste", folgte eine lockere Skizze preußischer Adelslandschaften, wenn auch gewiß aus sehr spezifischer Perspektive. "Schon unsre Provinzen sind so sehr verschieden ... Was ich Adel nenne, das gibt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer alten Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch reiner als bei uns. Ich will nicht ausführen, wie's bei schärferem Zusehen auf dem adligen Gesamtgebiete steht, aber doch wenigstens ein paar Andeutungen will ich machen. Ich habe sie von allen Arten gesehen. Da sind zum Beispiel die rheinischen jungen Damen, also die von Köln und Aachen; nun ja, die mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn sie nicht katholisch sind, dann sind sie was andres, wo der Vater erst geadelt wurde. Neben den rheinischen haben wir dann die westfälischen. Über die ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen Herrschaften, die sich mitunter auch Magnaten nennen, sind alle so gut wie polnisch und leben von Jesu ... Und dann sind da noch weiterhin die preußischen, das heißt die ostpreußischen, wo schon alles aufhört. Nun die kenn' ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen und schlagen aus und beknabbern alles. Und je reicher sie sind, desto schlimmer. Und nun wirst Du fragen, warum ich gegen andre so streng und so sehr für unsre Mark bin, ja speziell 4 Der Staat, Beiheft 12
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für unsre Mittelmark. Deshalb, mein lieber Woldemar, weil wir in un~rer Mittelmark nicht bloß äußerlich in der Mitte liegen, sondern weil wir auch in allem die rechte Mitte haben und halten"l. In manchem erinnert dieser Text von ferne an die berühmten Überblicke zu den Landschaften und Provinzen Brandenburg-Preußens, die die Hohenzollern im 18. Jahrhundert in ihren politischen Testamenten gegeben haben2 • Zugleich wird aber selbst für die Zeit des späten Fontane schlaglichtartig deutlich, daß auch mehrere Jahrhunderte landesherrlicher bzw. verwaltungsstaatlicher Überformung die sehr viel älteren Regionalismen zwar abgeschwächt, aber nicht wirklich eingeebnet hatten. Ein Einheitsstaat ist Preußen nie gewesen, und es ließe sich angesichts von Industrialisierung, aufbrechendem Nationalismus und zugespitzten Konfessions- bzw. Kulturgegensätzen sehr wohl argumentieren, daß auch im 19. Jahrhundert die Geschichte Preußens nicht aus dem Paradigma linearer und unaufhaltsam fortschreitender Unifizierung geschrieben werden kann, daß vielmehr auch nach den Reformen von 1807 -1815 -1823 regionale Differenzierungen erneut, wenn auch in anderem Gewande und von moderneren Kräften getragen, große Bedeutung erlangen konnten 3 . In den folgenden Betrachtungen soll es nun um die Vorgeschichte des modernen preußischen Staates gehen, und zwar um die Jahrhunderte bis 1740 - so ist die Aufgabe gestellt. Diese Zäsur ist durch die vollkommen neuen Probleme von Expansion und Integration gegeben, die sich nach der Annexion von Schlesien und Westpreußen sowie mit der - in administrativer Hinsicht sehr viel vorsichtigeren - Eingliederung Ostfrieslands stellten4 . 1 Zit. nach der Hanser-Ausgabe von Theodor Fontane, Der Stechlin, in: Theodor Fontane, Sämtliche Werke, hrsg. von Walter Keitel, Abt. 1, Bd. 5, München 1966, S. 160 ff., vgl. Kenneth Attwood, Fontane und das Preußenturn, Berlin 1970, S. 264. 2 In der großen Ausgabe von Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 20), Köln/Wien 1986, etwa, S. 196ff. (1667, Brandenburg und Preußen), vor allem 1722 (S. 228 - 232, S. 232: "lender und Provincen"), 1752: S. 307 ff., 1768: S. 587 ff.; dazu Richard Dietrich, Der preußische Staat und seine Landesteile in den politischen Testamenten der Hohenzollern, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (= Neue Forschungen zur Brandenburg-preußischen Geschichte, Bd. 5), Köln/Wien 1984, S. 131, bes. S. 4ff., S. 13 -17, S. 21 ff., mit Lit., außerdem weitere Studien dieses Bandes. 3 Dazu Wolfgang Neugebauer, Brandenburg-Preußische Geschichte nach der deutschen Einheit. Voraussetzungen und Aufgaben, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 43 (1992), S. 154 -181, hier S. 172 ff.; ders., Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Ständen zum Konstitutionalismus (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, hrsg. vom Verband der Osteuropahistoriker, Bd. 36), passim, bes. S. 126 -151. . 4 Dazu jetzt der Band von Peter Baumgart (Hrsg.), Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen (= Schlesische Forschungen, Bd. 4), Sigmaringen 1990, darin bes. Analyse verschiedener Phasen: Harm Klueting, Die politischadministrative Integration Preußisch-Schlesiens unter Friedrich Ir., S. 41- 62, bes. S. 55 - 62; wichtig nach wie vor Colmar GTÜnhagen, Schlesien unter Friedrich dem
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Dabei ist es notwendig, bis in das späte Mittelalter zurückzugreifen und die (Verfassungs-)Geschichte Brandenburgs bzw. Brandenburg-Preußens vom Detail bisweilen notwendigerweise abstrahierend 5 - unter dem systematischen Aspekt der Integration zu verfolgen, mit Smend verstanden als "Herstellung oder Entstehung einer Einheit aus einzelnen Elementen" 6. Zunächst (1) wird die Entstehung der Mark Brandenburg als selbständige politische Einheit betrachtet werden, wobei dieser sich bis in das (frühe) 16. Jahrhundert erstreckende Prozeß gewissermaßen einen Vorgang der Desintegration voraussetzte, nämlich die Trennung von den fränkischen Gebieten der Hohenzollern und den sich daraus ergebenden Einflüssen personeller, politischer, materieller und kultureller Natur. Sodann ist (2) auf Großen, 1. Bd., Breslau 1890, bes. S. 313 - 422; Carl Hinrichs, Die ostfriesischen Landstände und der preußische Staat, 1. Tl., Emden 1927, bes. S. 136 ff., S. 157 ff.; zu den 3 neuen Provinzen im Überblick, Walther Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung (1. Aufl.), Köln/Berlin 1973, S. 70 -109, S. 180 -189; und als älterer Klassiker die Studie des Hintze-Schülers Ludwig Tümpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (16091806), Breslau 1915, ND Aalen 1965, S. 170 -183. 5 Deshalb sei außer auf Tümpel (FN 4), generell hingewiesen auf Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, 4. Aufl., Berlin 1915, und ders., Gesammelte Abhandlungen, 2. bzw. 3. Aufl., hrsg. von G. Oestreich, Göttingen 1962 -1970; vgl. ferner die Studien bei Peter Baumgart (Hrsg.), Ständetum und Staatsbildung in BrandenburgPreußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (= Veröff. Hist. Komm. Berlin, Bd. 55), Berlin/New York 1983; Dietrich (FN 2), und Hermann von Caemmerer (Hrsg.), Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg und der beiden ersten Könige von Preußen (Veröff. Verein. Gesch. der Mark Brandenburg), München/Leipzig 1915, darin die Einleitung (bes. zum Geraisehen Hausvertrag), S. 8*-87*; Wolfgang Neugebauer, Zur neueren Deutung der der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in vergleichender Sicht, zuerst 1977, erw. in: O. Büsch/W Neugebauer (Hrsg), Moderne Preußische Geschichte 1648 -1947. Eine Anthologie, Bd. 2 (= Veröff. Hist. Komm. Berlin, Bd. 52/2), Berlin/New-York 1981, S. 541- 597, bes. S. 543 - 561, mit weiterer Lit.; nur in einzelnen Beobachtungen hilfreich, schon zur Zeit der Publikation nicht auf der Höhe von Methoden- und Kenntnisstand, die erst im späten 17. Jh. einsetzende und bis in die Mitte des 19. Jh. führende juristische Studie von Eduard Hubrich, Zur Entstehung der preußischen Staatseinheit, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 20 (1907), S. 347 - 427, hier bes. S. 347 - 373, (diese Zf.: FBPG). Albert Werminghoff, Der Rechtsgedanke von der Unteilbarkeit des Staates in der deutschen und brandenburgisch-preußischen Geschichte. Rede, gehalten bei der Hohenzollernfeier am 21. Oktober 1915 (= Hallische Universitätsreden, 1), Halle (Saale) 1915, S. 10 -19; man vgl. noch Wilhelm Klank, Die Entwicklung des Grundsatzes der Unteilbarkeit und Primogenitur im Kurfürstentum Brandenburg, Jur. Diss. Erlangen 1908, Borna / Leipzig 1908, S. 11- 34. 6 Rudolf Smend, Integration, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3., erw. Aufl., Berlin 1994, S. 482, und andere Studien dieses Bandes; grundlegend (für die hier nicht zu skizzierende Diskussion); ders., Verfassung und Verfassungsrecht, München-Leipzig 1928, bes. S. 18 -74; dazu die sehr kritische Rez. von Otto Hintze, Soziologie und Geschichte (= Ges. Abh. II), 2. Aufl., Göttingen 1964, S. 232 - 238; Hermann Heller, Staatslehre, bearb. von G. Niemeyer, 6. Aufl., Tübingen 1983, S. 259 ff.; Carl J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin usw. 1953, S. 49 - 52; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl., Karlsruhe 1975, S. 4 ff., S. 9; für Preußen bisher explizit Rudolf von Thadden, Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates, München 1981, S. 43 f. 4*
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die Tatsache einzugehen, daß der Prozeß der Integration in der brandenburgischen Geschichte schon in diesem frühen Stadium nicht linear verlief, daß vielmehr dynastische Landesteilungen diese Entwicklung gefährdeten und auch desintegrative Erscheinungen daraus folgten. Wenn (3) im 17. Jahrhundert - in der Terminologie Otto Hintzes 7 - Staatsbildung und Integration sowohl der brandenburgischen Zentralprovinz als auch der neu hinzutretenden Länder ganz wesentliche Impulse aus dem Druck empfingen, dem der Staat im "Schieben und Drängen" der europäischen Mächte ausgesetzt war, so werden zugleich die geschichtlichen Gegenkräfte in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Es sind dies die Elemente des - mit Dietrich Gerhards - europäischen Regionalismus, der seine verfassungsgeschichtliche Relevanz auch in unserem Falle nicht verlor. Dies gilt - mutatis mutandis - auch für das Königreich Preußen in den vier Jahrzehnten bis zu Friedrich dem Großen (4). Nun flossen die Ressourcen des Staates nicht primär in die Mark und insbesondere in die Residenzlandschaft von Berlin-Potsdam9 , von wo aus diese Mittel in den Dienst der von hier aus geführten Politik gestellt wurden. Vielmehr wurden jetzt die Kräfte des Gesamtstaates und diejenigen der mittleren Provinzen in dessen Dienst gestellt und eine durchaus wirksame Infrastrukturpolitik betrieben, wofür die Verwaltungsorganisation in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaße vereinheitlicht worden ist. Gleichwohl ist auch unter Friedrich Wilhelm 1. nicht mehr als eine maximale, aber doch temporäre Abschwächung des Regionalismus und seiner Widerstandspotentiale erreicht worden - sie blieben latent erhalten und waren zumal nach 1740/56 sehr wohl reaktivierbar. Und schließlich ist zu fragen, ob nicht die regionalen Kräfte, die Stände zumal, auch ihrerseits Element und Träger der Integration waren, wofür manches spricht. Das alles deutet darauf hin, daß die Rolle der Dynastie als Movens dieses Prozesses in der brandenburg-preußischen Geschichte nicht überzeichnet werden darf und selbst für die Zeit des Hochabsolutismus der Unifizierungseffekt nicht überschätzt werden sollte. Im preußischen Falle sollte nicht von dynastischer Integration die Rede sein, wie näher zu begründen ist. Aber auch der Prozeß der Staatsbildung erfaßte durchaus nicht alle, im 7 Wolfgang Neugebauer, Otto Hintze und seine Konzeption der "Allgemeinen Verfassungsgeschichte der neueren Staaten", in: Zeitschrift für historische Forschung 20 (1993), S. 65 - 98, bes. S. 72 ff. S Vor allem seine Studie: Regionalismus und ständisches Wesen als ein Grundthema europäischer Geschichte, zuerst 1952, wieder in ders., Alte und neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 10), Göttingen 1962, S. 13 - 39, bes. S. 19,23 ff. 9 Vgl. z. B. Wolfgang Ribbe, Die Anfänge Charlottenburgs in der Residenzlandschaft um Berlin, in: ders. (Hrsg.), Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 11- 38, bes. S. 14 - 21; Wolfgang Neugebauer, Potsdam-Berlin. Zur Behördentopographie des preußischen Absolutismus, in: B. R. Kroener (Hrsg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, Frankfurt a.M. /Berlin 1993, S. 273 - 296, bes. S. 275 f., S. 278 - 286.
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19. Jahrhundert dann als öffentlich bezeichneten Bereiche staatlichen bzw. kommunalen Lebens gleichermaßen. So wie Preußen im 18. Jahrhundert in regionaler Hinsicht durch deutliche Unterschiede im Grad staatlicher Durchdringung gekennzeichnet war (man denke z. B. an die Adelslandschaften in der Altmark, im ostpreußischen Oberland und später besonders in Schlesien10) , so erfaßte die landesherrliche Politik auch durchaus nicht alle Sachbereiche gleichermaßen. Optimiert und modernisiert wurde zunächst all das, was zum Machtstaat in einer direkten Beziehung stand, vor allem natürlich Heer, Finanzen und auch die Bevölkerungspolitik; in anderen Bereichen erhielten sich erstaunliche, z. T. vorabsolutistische Traditionsbestände und Strukturen von wahrhaft langer Dauer. Vielleicht sollte in diesem Sinne dem österreichischen 'IYP dynastischer Integration der preußische als derjenige gegenübergestellt werden, den man mit dem Begriff der selektiven oder partiellen Staatsbildung umschreiben kann. In Preußen ist der Starke Staat erst ein Phänomen der beiden jüngeren Jahrhunderte. I. Integration und Desintegration Die Mark Brandenburg im 15. und 16. Jahrhundert "Ursprünglich war Brandenburg, auf welches die preußische Macht gegründet worden ist, überaus schwach; so schwach, daß die fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth für besser gehalten und Brandenburg vorgezogen wurden, wenn die Fürsten zu wählen hatten", so hat Leopold von Ranke im Jahre 1854 formuliert 11 , ein gutes Stück entfernt vom historiographischen Borussismus späterer Jahrhunderte 12 . Für den Burggraf-Kurfür10 Dabei sind u. a. die Größe des jeweiligen Verwaltungssprengels und die Lage einer Landschaft am Herrschaftszentrum bzw. an der Peripherie angesichts der begrenzten Möglichkeiten früh- bzw. vormoderner Verwaltungsintensität landesherrlicher Gewalt von großem Interesse; an einem Sektor untersucht von Wolfgang Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen (= Veröff. Hist. Komm. Berlin, Bd. 62), Berlin/New York 1985, S. 134 -155, und passim, Altmark: 141 ff.; jetzt für die frühere Zeit Peter-Michael Hahn, Fürstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt. Die herrschaftliche Durchdringung des ländlichen Raumes zwischen EIbe und Aller (1300 -1700) (= Veröff. His. Komm. Berlin, Bd. 72), Berlin/New York 1989, bes. S. 320; für die Neumark mit ihren spezifischen Traditionen und noch um 1800 sehr traditionalen Verhältnissen ders., Die Neumark als Beispiel für die Verwaltung Preußens vor 1815, in: G. Heinrich/F.-W. Henning/K.G.A. Jeserich (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815 -1945, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S. 681-707, bes. 684-698,701-703; Ostpreußen: Neugebauer, PolitischerWandel (FN 3), S. 38ff., S. 44- 51, U.ö. 11 Zit. nach der Erstausgabe in Leopold von Ranke, Weltgeschichte, 9. Tl., 2. Abt.: Ueber die Epochen der neueren Geschichte, hrsg. von A. Dove, Leipzig 1888, S. 194. 12 Vgl. etwa Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und der Adel in der Mark, in: HZ 88 (1902), S. 193 - 246, hier S. 240 zum "Haus Hohenzollern, das außerhalb Brandenburgs nicht viel besaß und deshalb die Mark nicht wie die Luxemburger und Wittelsbacher als ein bloßes Nebenland betrachten konnte".
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sten, in der Reichs- und der europäischen Politik sowie als Landesherr der fränkischen Gebiete vielbeschäftigt, blieb die Mark ein Nebenland. Friedrich I. hat sich hier in den Jahren 1415 bis 1440 insgesamt nur drei Jahre, zwei Monate und 19 Tage aufgehalten; nach 1426 hat er märkischen Boden nicht mehr betreten 13. Für Friedrich VI. / I. kam es nach der Übertragung der Hauptmannschaft bzw. nach der Belehnung mit der Kurmark entscheidend darauf an, einerseits seine Landesherrschaft in der Mark zu etablieren und zu stabilisieren sowie andererseits diejenigen Gefahren der Desintegration zu beseitigen, die darin bestanden, daß die Nachbarn Brandenburgs auf mehr als nur periphere Randlandschaften Anspruch erhoben. Den Folgen von einem Jahrhundert erst wittelsbachischer und dann luxemburgischer Herrschaft, unter der die Mark zuletzt als Nebenland inneren und äußeren Erosionserscheinungen ausgesetzt war 1\ mußten zunächst beseitigt werden. Die Kämpfe der ersten brandenburgischen Hohenzollern mit dem Adel der Mark sind häufig geschildert worden. Dabei ist nicht erst von der neueren Forschung dem beliebten Geschichtsklischee entgegengehalten worden, daß die brandenburgische Nobilität durchaus nicht nur fehdeführend und raubend die Mark destabilisierte, sondern daß die großen Familien der Zeit um 1400, die Bredows, die Rochows, die Putlitze und zumal die Quitzows das Machtvakuum in den Landschaften an EIbe und Oder zu füllen versuchten, wobei einheimische Landeshauptleute in den verschiedenen Landschaften die Ordnung zu sichern bemüht waren l5 . Insofern gingen der Phase der landesfürstlichen Landfriedenspolitik durchaus dezentrale Be13 Adolph Friedrich Riedel, Die letzten Jahre unmittelbarer Herrschaft des Kurfürsten Friedrich I. über die Mark Brandenburg 1420 -1426, in: Märkische Forschungen 5 (1857), S. 184 - 279, mit der Aufstellung der Aufenthalte S. 279 Anm. 1, außerdem vom Juni 1412 bis August 1414. Aus der fränkischen Lit. z. B. Günther Schuhmann, Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, Ansbach 1980, S. 29 f. 14 Aus der Lit. Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 2. Bd., Berlin 1961, S. 196 - 207, 210 - 222; Eckhard Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz in Berlin und Kölin 1280 -1486. Markgrafenhof, Herrschaftsschwerpunkt, Residenzstadt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 36 (1988), S. 138 -154, hier S. 198; Julius von Pflugk-Harttung, Die Erwerbung der Mark Brandenburg durch die Hohenzollern, in: FBPG 31 (1919), S. 307 - 344, hier S. 307 - 314, S. 323 - 328 zum Folgenden; zur finanziellen Lage der Mark vgl. Hans Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg im Mittelalter (= Veröff. Verein Gesch. Mark Brand.), Leipzig 1908, S. 447. 15 Willy Hoppe, Die Quitzows, zuerst 1930, zit. nach der Sammlung: ders., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von H. Ludat, Köln / Graz 1965, S. 265 - 287, bes. S. 273 - 278; vor Hoppe schon bemerkenswert moderne Einsichten in der Einleitung von Georg Wilhelm von Raumer, Codex Diplomaticus Brandenburgensis Continuatus. Sammlung ungedruckter Urkunden zur Brandenburgischen Geschichte, 1. Tl., Berlin/Stettin/Elbing 1831, S. 35 - 40, auch zum Folgenden. Vgl. die für diese Vorgänge stofflich nach wie vor wichtige Arbeit von Adolph Friedrich Riedel, Zehn Jahre aus der Geschichte der Ahnherren des Preußischen Königshauses, Berlin 1851, S. 52, S. 57 - 64, S. 70 -74, S. 84.
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strebungen mit dem gleichen Ziel voraus, was zur Erkenntnis des Frontverlaufs nach 1411 / 15 nicht unwichtig ist. Der Protege König Sigismunds stand einem differenzierten Landadel gegenüber, dessen führende Familien mit Ansätzen zu Hofhaltung und ostentativer Schaustellung ihrer finanziellen Potenzen ein dezentrales Ordnungskonzept verfolgten - das beliebte Bild vom ersten brandenburgischen Hohenzollern im Kampf um die Ordnung gegen die Masse eines marodierenden Raubadels greift zu kurz. Aber diese Lage machte die Durchsetzung des kurfürstlichen Herrschaftsanspruchs nicht eben leichter, und so mußte sich Friedrich 1. auch auf fränkische Ressourcen stützen, personelle und finanzielle 16 , was sein Regiment im Lande nicht eben populärer machte. Der Spott über den "tand von Nürenberg" ist chronikalisch belegt 17 und ebenso die Aussage von Quitzows aus dem Jahre 1414, sie würden ihre Schlösser halten, selbst wenn es "eyn ghantz iar nurenberger regende" 18. Vor allem in Altmark und Prignitz sowie in Teilen des Havellandes, auch in den folgenden Jahrhunderten durch massiven und z. T. gut durchorganisierten Adelsbesitz gekennzeichnet, war der Widerstand lebendig. Gewiß ist es zu Kämpfen (z. B. um das havelländische Friesack) gekommen, zu Strafaktionen und Fällen demonstrativen Durchgreifens, doch fehlten Friedrich 1. die Möglichkeiten, mehr als nur eine graduelle Befriedung der Mark zu erreichen. Das sog. Landfriedensgesetz des Jahres 1414 gehört sicherlich in diesen Zusammenhang 19 ; an die Stelle von "morde mit roube und brande" sollte nun der gerichtliche Austrag treten, was nicht zuletzt auf die Stärkung der landesherrlichen Gerichtsbarkeit zielte. Nicht erst die neuere Forschung hat betont, daß mit der spezifischen "Mischung von Nachgiebigkeit und Strenge"20 mehr als ein Kompromiß nicht zu erreichen 16 Zusammenfassend dazu Karl Hermann Zwanziger, Das fränkische Element in der Mark Brandenburg im 15. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken 20, 3 (1898), S. 65 - 95, bes. S. 67 -72, S. 85; Riedel (FN 15), S.66. 17 So die T~?rtstelle zu 1412 bei Wolfgang Ribbe, Die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz. Uberlieferung, Edition und Interpretation einer spätmittelalterlichen Quelle zur Geschichte der Mark Brandenburg (= Einzelveröff. d. Hist. Komm. zu Berlin, Bd. 12), Berlin 1973, S. 131; ebenso die Magdeburgische Schöppenchronik, bei Adolph Friedrich Riedei, Codex diplomaticus Brandenburgensis, 4. Hauptteil, Bd. 1, Berlin 1862, S. 193 (zit.: CDB, D, sonst Reihen 1- 4: A-D mit Nr. des Bandes). 18 Wiederum die Magdeburgische Schöppenchronik bei Riedel CDB, D, S. 194; vgl. auch schon Julius von Minutoli, Friedrich I. Kurfürst von Brandenburg ... aus den Quellen des Plassenburger Archivs, Berlin 1850, S. 25 f. 19 Druck bei Raumer CDB, Bd. 1, S. 82 f., Nr. 45; vgl. auch Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, 1. Bd., 2. Aufl., Stuttgart/Berlin 1913, S. 87. 20 So Georg Wilhelm von Raumer, Der 21. September 1440, Berlin 1840, S. 4; Komprorniß: Dtto Hintze, Die Hohenzollern und der Adel, zuerst 1914, wieder in ders.: Ges. Abh., Bd. 3 (FN 5), S. 30 - 55, hier S. 32 f.; Priebatsch, Adel (FN 12), S. 24lf.; Riedei, Zehn Jahre (FN 15), S. 119.
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war, ein fragiler zumal, wie die immer wieder aufflackernde Fehdeaktivität der Folgezeit belegt. Nur eben temporär scheint der Effekt bei den ersten Besuchen Friedrichs in der Mark seit 1412 gewesen sein, und noch seine Nachfolger bis hin zu Joachim I. im frühen 16. Jahrhundert wurden mit diesem Problem konfrontiert. Die Quitzows zogen sich in die "Peripherie der Mark"21, d. h. in die Prignitz zurück und führten das dortige adlige Oppositionspotential, unternahmen auch Einfälle nach Mecklenburg und Magdeburg; die Herrschaft der Hohenzollern in der Mark darf also nicht etwa so interpretiert werden, als würden alle brandenburgischen Landschaften gleichermaßen in sie einbezogen gewesen sein. Und auch die endgültige Befriedung sollte nicht allein, ja vielleicht nicht einmal primär als Werk des Landesherrn verstanden werden, denn die Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts, von der die Mark mit ihren Marktbeziehungen auf spezifische Weise betroffen war, bot dem Landadel nun ganz andere, gewissermaßen beuteunabhängige Einkommensquellen, so daß sich der Schwerpunkt junkerlicher Aktivität auf das Feld friedlicher Agrarproduktion verlagerte 22 . So erklärt sich auch die Unterstützung, die nun die fürstliche Landfriedenspolitik bei den Ständen selbst und gerade auch bei den großen Familien des Landes fand. Integration ist im späteren 15. und im 16. Jahrhundert eben auch von den Ständen selbst getragen worden, und auch die Entwicklung der Ständeorganisation in dieser Zeit kann unter einer solchen Perspektive interpretiert werden 23 . Nicht allein die trotz fränkischer Unterstützung (etwa in Form von Hilfstruppen) beschränkten Möglichkeiten Friedrichs VI. 11., der nach den 21 Priebatsch, Adel (FN 12), S. 205; Fehdetätigkeit brandenburgischen Adels seit den 1420er Jahren: Riedel, Die letzten Jahre (FN 13), S. 264 f; Riedel CDB, (FN 17), B 4, Nr. 1607, S. 218 f., für die 2. Hälfte des 15. Jh. und das 16. Jh. vgl. die Quellen bei Philipp Wilhelm Gercken (Hrsg.), Codex diplomaticus Brandenburgensis. Aus den Originalen und Copial=Büchern gesammlet, Bd. 8, Stendal 1785, S. 583 - 622, zum Adel besonders der westlichen Mark insgesamt Raumer CDB, (FN 15) Bd 2. S. 244246, S. 291; Felix Priebatsch, Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bd. 1 (= Publ. Preuß. Staatsarchive, Bd. 59), Leipzig 1894, S. 59 f.; Riedel CDB, C II, Nr. 64, S. 63 - 65 (1472, S. 64: "Röferey", Klagen "von dem Kopman"); Joachim 1.: Walther Schotte, Fürstentum und Stände in der Mark Brandenburg unter der Regierung Joachims I. (= Veröff. Verein Mark Brandenburg), Leipzig 1911, S. 52 f., 57 - 62, S. 94 f.: wenige Todesurteile; S. 100. 22 Schotte, wie FN 22; siehe schon Johann Carl Wilhelm Moehsen, Beschreibung einer Berlinischen Medaillen-Sammlung ... , 2. Tl., Berlin/Leipzig 1781, S. 545; Priebatsch, Adel (FN 12), S. 223 - 227; dann auch Hans Rosenberg, Die Ausprägung der Junkerherrschaft in Brandenburg-Preußen, 1410 -1618, in ders., Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen, Göttingen 1978, S. 24 - 82, S. 298 - 308, bes. S. 34, S. 36, S. 43, S. 69. 23 Schotte (FN 21), S. 11 ff., S. 31- 50; Bernhard Landmesser, Die Stände der Mark Brandenburg unter Joachim II. (1535 -1571), Jur. Diss. Kiel, Borna/Leipzig, 1929, S. 5 -74 (Lit.), und bes. Martin Hass, Die kurmärkischen Stände im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts (= Veröff. Verein Gesch. Mark Brand.), München/Leipzig 1913, S. 5 -73 und passim.
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Kämpfen und mehr oder weniger oberflächlicher Aussöhnung24 auch den Führern des Widerstandes eingezogenen Besitz zurückgab und andere Familien (etwa die Alvensleben in der Altmark) bewußt förderte 25 , begrenzten die auf die Stabilisierung der Landesherrschaft ausgerichtete Politik. Der Kurfürst brauchte auch z. B. die Quitzows etwa bei auswärtigen Feldzügen 26 . Und der erste brandenburgische Hohenzoller war um so mehr zu diplomatischer Aktivität und militärischer Aktion gezwungen, als er bei der zweiten großen Aufgabe brandenburgischer Integrationsstrategie im 15. Jahrhundert, nämlich die Territorialverluste des letzten Jahrhunderts wieder auszugleichen und aufzufangen, ohne die Unterstützung aus der Mark selbst schwerlich auskommen konnte. Bei dieser (mit Albert Werminghoff zu sprechen) territorialen "Revindikationspolitik"27 der ersten Kurfürsten aus fränkischem Hause ging es darum, gleichsam die Erosionserscheinungen an der Peripherie zu stoppen und die Ambitionen der Nachbarn auf brandenburgische Landschaften abzuwehren. So zeigten die Pommern hinsichtlich der Uckermark, Mecklenburg an Teilen der Prignitz und auch das Erzbistum Magdeburg wegen der Altmark bedenkliches Interesse, vom Deutschen Orden und der Neumark ganz zu schweigen. Hier sind unter den ersten Kurfürsten entscheidende militärische und diplomatische Erfolge errungen worden. Das Territorium wurde wieder komplettiert, so etwa mit dem Rückerwerb der Neumark im Jahre 1455 28 , was heftige Auseinandersetzungen etwa mit Pommern bis in die Zeit Albrecht Achills, bei denen es dann aber auch um brandenburgische Lehnsansprüche im Norden ging, nicht ausschloß 29 . 24 Kämpfe und Aussöhnung: die Details bei Riedel, Zehn Jahre (FN 15), S. 120, S. 136 - 153, S. 160 -163, Konfiskationen: S. 172, Rückgabe: S. 266 f., Hoppe, Quitzow (FN 15), S. 282 ff.; Ribbe, Wusterwitz (FN 17), S. 156 f. (Quelle). 25 Siegmund Wilhelm Wohlbrück, Geschichtliche Nachrichten von dem Geschlechte von Alvensleben und dessen Gütern, 1. Tl., Berlin 1819, S. 390 f., vgl. auch S. 396,398; Gercken, Codex (FN 21), Bd. 8, S. 468f., Nr. 43. 26 Riedel, Letzte Jahre (FN 13), S. 228 f. Vgl. allgemein S. 277. 27 Albert Werminghoff, Ludwig von Eyb der Ältere (1417 -1502). Ein Beitrag zur märkischen und deutschen Geschichte im 15. Jahrhundert, Halle a.S. 1919, S. 130f.; vgl. auch zur Lage um 1400 Erich Brandenburg, König Siegmund und Kurfürst Friedrich I., Berlin 1891, S. 22 f. 28 Z. B. F. Voigt, Einige Bemerkungen über die Wiedervereinigung der Neumark mit der Mark Brandenburg, in: Märkische Forschungen 6 (1858), S. 147 -164, bes. S. 152, S. 154, Wiederkaufsrecht des Ordens bis 1517: S. 155 ff., polnische Ambitionen: S. 161; Riedel CDB (FN 17) B 4, Nr. 1758, S. 495 ff. 29 Zu allen Einzelheiten und auch zu den Erwerbungen in der Neumark Ende 15. Jh. sowie zu dem Ausgreifen in die Lausitz sei nur verwiesen auf Raumer, 1440 (FN 20), S. 6; Riedel, 10 Jahre (FN 15), S. 95 -106; Minutoli, Friedrich I. (FN 18), S. 38f.; Adolph Friedrich Riedel, Ueber den Krankheitszustand des Kurfürsten Friedrich 1I. und seine Niederlegung der kurfürstlichen Würde in: Märkische Forschungen 6 (1858), S. 194 - 235, bes. S. 200 f.; Magdeburg: Brandenburg (FN 27), S. 70; Raumer CDB (FN 15), Bd. 1, S. 156; Johannes Schultze, Von der Mark zum Preußenstaat, in: R. Dietrich (Hrsg.), Preußen. Epochen und Probleme seiner Geschichte, Berlin 1964, S. 31- 56, hier S. 42 f.
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Nicht gleichen Schritt hielt die gewissermaßen innere Territorialisierung der Mark, und das lag auch daran, daß sie als Nebenland der fränkischen Hohenzollern dem einheimischen Adel Spielräume bot. Jedenfalls hat Johann Alchemist, der älteste Sohn Friedrichs 1. und 1426 bis 1437 Verweser in der Mark, die Zügel wieder lockerer gelassen 3o . Aber um die Mitte des 15. Jahrhunderts war noch in einer anderen Hinsicht der Integrations- und Territorialisierungsprozeß in Brandenburg alles andere als abgeschlossen. Was die Gebiete der drei märkischen Bistümer anbelangte, hatte er in den vierziger Jahren gerademal begonnen. Schon Ranke - um ihn noch einmal zu zitieren - hatte das erkannt, als er die Frage stellte: "Wodurch gelangte nun Brandenburg zuerst zu einer gewissen Consistenz in sich selbst? Hierauf haben wir zu antworten: durch die Reformation. Brandenburg war ungemein zersetzt durch eine Menge Bisthümer und andere geistliche Gerechtsame, welche durch die Reformation zwar nicht vernichtet, aber doch unterworfen wurden ,,31. In der Tat wird man, wie die neuere Forschung bestätigt hat, die 1447 vom Papst dem Kurfürsten gewährten Privilegien, voran das Nominationsrecht für die Bischöfe selbst32 und Befugnisse auf dem Felde der geistlichen Gerichtsbarkeit, nur als Durchgangspunkt einer noch rund ein Jahrhundert in Anspruch nehmenden Entwicklung anzusehen haben, bei der es darum ging, die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus der Landesherrschaft eindeutig unterzuordnen. Gerade in letzter Zeit ist dieser Problemkreis wieder intensiv diskutiert worden und ebenso die Frage, ob die Stifte noch im 15. Jahrhundert Positionen und Rechte zu wahren vermochten, die an die einmal behauptete Reichsunmittelbarkeit anknüpften 33 • So30 Priebatsch, Adel (FN 12), S. 208; positivere Sicht bei Reinhard Seyboth, Margraf Johann der Alchemist von Brandenburg (1409-1464), in: Jb. f. fränk. Landesforschung 51 (1991), S. 39 - 69, etwa S. 48, S. 51 f. 31 Ranke, Epochen (FN 11), S. 194; vgl. damit speziell zu 1447 ders., Zwölf Bücher Preussischer Geschichte, hrsg. v. G. Küntzel (= Gesamtausgabe der Dt. Akademie), 1. Bd., München 1930, S. 126f. 32 Zum Inhalt der Privilegien Bruno Hennig, Die Kirchenpolitik der älteren Hohenzollern in der Mark Brandenburg und die päpstlichen Privilegien des Jahres 1447 (= Veröff. Verein Gesch. Mark Brandenburg, [Bd. 5]), Berlin 1906, S. 24ff., wo S. 29 auf die Kontinuität zur Politik der älteren Kurfürsten hingewiesen wird (vgl. die Position von Ahrens, s. u.); geistl. Gerichtsbarkeit: S. 31 f., und Theodor Stempel, Die geistliche Gerichtsbarkeit und die Kirchenpolitik der Markgrafen von Brandenburg im 15. Jh., Jur. Diss. Köln, Emsdetten 1933, S. 15 ff., S. 22 ff. 33 Nach wie vor grundlegend: H. Hädicke, Reichsunmittelbarkeit und Landsässigkeit der Bistümer Brandenburg und Havelberg (= Abh. zum Jahresbericht der Kngl. Landesschule Pforta), Naumburg a.S. 1882, S. 14 (Luxemburger als Zäsur), und S. 15 - 20 (ehemalige Reichsunmittelbarkeit), ältere Bestrebungen der Markgrafen im 13./14. Jh.: S. 22, fortgesetzt durch die Hohenzollern: S. 48-59; Gustav Abb/Gott/ried Wentz, Das Bistum Brandenburg, 1. Teil (= Germania Sacra I, 1), Berlin 1929 (ND 1963), S. 11, S. 19 f. zum 16. Jh.; Gott/ried Wentz, Das Bistum Havelberg (= Germ. Sacra I, 2), Berlin 1933 (ND 1963), S. 19 ("zunächst reichsunmittelbare Stellung"); Peter Michael Hahn, Kirchenschutz und Landesherrschaft in der Mark Brandenburg im späten 15. und frühen 16. Jh., in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28 (1979), S. 179 - 220, hier S. 204 ff.
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viel aber scheint sicher, daß die Zäsurhaftigkeit des Jahres 1447 nachhaltig relativiert werden muß und daß der Prozeß der Unterordnung unter den Kurfürsten - auch das nicht ohne Rückschläge - ganz im Sinne Rankes erst in der Zeit der Reformation und letztlich erst um 1600 zum Abschluß gelangte. Jedenfalls erstreckte sich der Vorgang der Integration der Bistümer und ihrer Gebiete in den brandenburgischen Landesstaat bis weit in das 16. Jahrhundert 34 . Zur Sicherheit hatten die brandenburgischen Hohenzollern in der Zeit der Reformation eigene Familienangehörige und schließlich den künftigen Kurfürsten Joachim Friedrich von den Domkapiteln postulieren lassen. Für all das wurden im 15. Jahrhundert erst die Fundamente gelegt - vor einer allzu "modernen" Interpretation der brandenburgischen Verfassungsentwicklung im ersten Jahrhundert der neuen Kurfürstendynastie ist entschieden zu warnen. Zu den ganz wesentlichen Grundlagen weiterer Integrationspolitik der Markgrafen-Kurfürsten gehörte nun aber ohne Zweifel die Ausbildung und der Ausbau einer festen Residenz als Herrschafts- und angehender Verwaltungsmittelpunkt in der Mark selbst. Schon vor den Hohenzollern tritt Berlin als landesherrlicher Aufenthaltsort häufiger entgegen, schon in der späten Askanierzeit und dann verstärkt nach 1320, was mit einem Bedeutungsverlust Spandaus einherging, das dann nur noch einmal in einer besonderen Situation nach 1429 einen politischen Aufstieg erlebte 35 . Um 1411 waren es vor allem die "Herrschaftsschwerpunkte" Tangermünde 36 und Berlin, die die Hohenzollern in Fortführung älterer Landestraditionen übernahmen, wobei letzterer Ort schon damals entschieden dominierte. Was zunächst noch fehlte, das war eine wirklich ortsfeste Hofhaltung, was bei der noch untrennbaren Verbindung von Hof- und Landesverwaltung um so größere verfassungsgeschichtliche Bedeutung besaß. Der 34 Mit Hahn, Kirchenschutz (FN 33), S. 181 f., S. 194, 198f., S. 203, S. 216, zum Nominationsrecht abwertend S. 207f.; gegen Hahn: Karl Heinz Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung und politische Bedeutung der märkischen Bistümer im späten Mittelalter. Ein Beitrag zur Diskussion, in: R. Schmidt (Hrsg.), Mitteldeutsche Bistümer im Spätmittelalter, Lüneburg 1988, S. 19 - 52, bes. S. 22 f., S. 34 - 41; vgl. auch schon Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 3. Bd., Berlin 1963, S. 70 f. 35 Jetzt grundlegend Müller-Mertens, Residenz (FN 14), S. 143 -146, 149 f. zum Folgenden; vgl. die ältere Überschätzung Berlins für die frühe Zeit bei Johannes Schultze, Caput marchionatus Brandenburgensis, zuerst 1952, wieder in ders., Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (= Veröff. Hist. Komm. Berlin, Bd. 13), Berlin 1964, S. 155 -176, bes. S. 167 f. ("Hohes Haus"); vgl. jüngst Knut Schulz, Residenzstadt und Gesellschaft vom Hoch- zum Spätmittelalter, in: K. Flink/W Janssen (Hrsg.), Territorium und Residenz am Niederrhein (= Klever Archiv, 14), Kleve 1993, S. 211- 227, gegen die Überschätzung Tangermündes: S. 218f., auch zum Folgenden. 36 Zu den Tangermünder Plänen Karls IV. zuletzt Helmut Assing, Die Landesherrschaft der Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger (Mitte des 12. bis Anfang des 15. Jahrhunderts), in: J. Materna/W Ribbe (Hrsg.), Brandenburgische Geschichte, (Berlin 1995), S. 85 -168, hier S. 148; als Archivort des 14. Jh.: Meile Klinkenborg, Geschichte des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin, 1. Abt., Leipzig 1911, S. 3.
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Schloßbau zu Cölln an der Spree seit 1443 und seine Durchsetzung gegen Berliner Widerstände (Flutung der Baustelle im Jahre 1447) ist eng verknüpft mit der Städtepolitik der ersten brandenburgischen Hohenzollern, die mit dem Sieg über den "Berliner Unwillen" einen ersten Einbruch in die Autonomie brandenburgischer Städte überhaupt erreichte, zu der bis dahin auch das Bündnisrecht (Hanse!) gehörte. Darauf konnte dann im letzten Drittel des 15. und im frühen 16. Jahrhundert aufgebaut werden 37 . Erst damals schieden die letzten brandenburgischen Städte endgültig aus dem Hanseverband aus. In Cölln an der Spree war nunmehr seit Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem 1451 bezogenen und im 16. Jahrhundert unter Joachim 11. im Renaissancestil erweiterten Schloß, das wohl weniger als Zwingburg gegenüber der Stadt, als vielmehr aus administrativen Notwendigkeiten zu erklären ist 38 , die Grundlage für die feste Etablierung eines Herrschafts- und nicht zuletzt Gerichtsmittelpunktes gegeben. Das schloß eine gewisse Reisetätigkeit des Kurfürsten nicht aus, doch unterscheidet sich diese von der älteren Reiseherrschaft durch die vergleichsweise Kürze der Abwesenheit von Berlin-Cölln und dadurch, daß der Landesherr in der Regel zu diesem Ort auch wieder zurückkehrte. Allerdings sind auch in dieser Hinsicht längere Fristen und allmählichere Übergänge zu moderneren Formen von Hof-und Verwaltung zu erkennen. Wir haben es noch nicht mit der Residenzlandschaft um Berlin-Cölln im Radius von einigen Reiterstunden 39 zu tun. Vielmehr konnte noch bis in das frühe 16. Jahrhundert hinein Tangermünde eine, wenn auch nachrangige Position behaupten; dort fand auf dem Schloß um 1500 noch eine der jährlich vier Kammergerichtssessionen statt40 , dort 37 Wichtige Quellen bei Ferdinand Voigt (Hrsg.), Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik, Berlin 1869/1880, S. 378-383, 387, 389f., S. 396-409; aus der reichen Lit. nach wie vor wichtig Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und die Städte in der Mark im 15. Jahrhundert, Berlin 1892, S. 77 - 94,98 ff. und passim, 1488: 169 -174, Joachim I.: 185 -187, S. 194 f., 203 f.; Eckhard Müller-Mertens, Zur Städtepolitik der ersten märkischen Hohenzollern und zum Berliner Unwillen, zuerst 1956, wieder in ders., Berlin im Mittelalter. Aufsätze, Berlin 1987, S. 75-89, bes. S. 76, 80-84, S. 85: 1448 nur "Vergleich"; vgl. Francis L. Carsten, Die Entstehung Preußens, Köln-Berlin 1968, S. 113 -122 ("Unterwerfung"), und jetzt Karl-Heinz Ahrens, Residenz und Herrschaft. Studien zur Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im späten Mittelalter, Frankfurt a.M. usw. 1990, S. 65-67, S. 299f., S. 318-327. 38 Müller-Mertens, Residenz (FN 14), S. 151; auch Ahrens, Residenz (FN 37), S. 124, S. 168f., das Folgende: S. 67 - 69, S. 85 f. ("Kurzreisen"); Schulz (FN 35), S. 214 f; mit anderen Akzenten Spangenberg (FN 14), S. 13 -15. 39 Vgl. die Lit. FN 9. 40 Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 1. Tl., Berlin 1890, S. 111, S. 218, zum Hofgericht in Tangermünde 1429: S. 96f.; ders., Geschichte der Stadt Berlin, 'lübingen 1906, S. 25; längere Sommer- und Frühjahrsaufenthalte bis 1509: Gerhard Schapper, Die Hofordnung von 1470 und die Verwaltung am Berliner Hofe zur Zeit Kurfürst Albrechts (= Veröff. Verein Gesch. Mark Brandenburg), Leipzig 1912, S. 73 Anm. 1, S. 74f.
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wurden, da besonders sicher, noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wichtige Urkunden und Akten verwahrt 41 . Also wird man gut tun, die Integrationsfunktion von Kanzlei 42 und Hofverwaltung zu Cölln an der Spree nicht überzubetonen und schon gar nicht zu überschätzen. Hier lebten um 1450 vielleicht 50 bis 60, in den Jahren nach 1470 etwa 200 Personen. Vor allem: Trotz dieses Standes der Entwicklung und obwohl Friedrich 11. bis 1470, als er nach Franken zurückkehrte, sich ungleich stärker als sein Vater um die brandenburgischen Belange kümmerte, hatte die Mark doch noch nicht eigentlich die Selbständigkeit von den fränkischen Hohenzollern erlangt. Dies sollte sich unter Kurfürst Albrecht Achill seit 1470 zeigen. Wie sein Vater vor 1426/40 hat auch er, der selbst 1414 zu Tangermünde geboren worden war, die Mark nur für kurze Zeiten, zuletzt 1478/79, betreten; die fränkischen und die Reichsbelange hatten für ihn doch deutlich Priorität43 , und auch für den brandenburgischen Hof hatte das fränkische Vorbild große Bedeutung. Nach 1470 ist geradezu ein neuer Schub fränkischer Einflüsse in der Mark nachzuweisen, aber nicht mehr im Sinne finanzieller Ressourcentransfers, sondern auf dem Gebiete eines gezielten Ausgleichs derjenigen brandenburgischen Entwicklungsdefizite, die im Bereich der Verwaltungstechnik, vor allem auf dem Felde der Finanzadministration ganz offenbar waren. Albrecht hat dieses fränkisch-brandenburgische Rationalisierungsgefälle sogleich durch die temporäre Zuweisung von Führungskräften aus seinen Stammlanden auszugleichen gesucht; die Mission des Ritters von Eyb gehört in diesen Zusammenhang und die Entstehung der Hofordnung von 1470 wohl auch44 . Übrigens hielt sich die Begeisterung im Nordosten angesichts der fränkischen Akkulturationsbestrebungen in engen Grenzen, zumal die Begleitung, die "Manschop" des neuen Kurfürsten, bei dem Huldigungsumritt zu manchem Spott über "de verhungerden Francken" Anlaß gegeben zu haben scheint45 . Die Förderung von Personal dieser Herkunft 41 Ludwig Lewinski, Die Brandenburgische Kanzlei und das Urkundenwesen während der Regierung der beiden ersten Hohenzollerschen Markgrafen (14111470), Straßburg 1893, S. 126 f.; Ahrens, Residenz (FN 37), S. 346. 42 Zur Kanzlei außer Lewinski (FN 41) auch Werminghoff, Eyb (FN 27), S. 132; Hof: Ahrens, Residenz (FN 37), S. 202f., vgl. auch Hintze, Adel (FN 10), S. 33, auch zum Schwanenorden. 43 Werminghoff, Eyb (FN 27), S. 393 f., ferner S. 10. 44 Werminghoff (FN 27), S. 140 -148, weitere Aufenthalte Eybs in der Mark: S. 194, 205, 213; Schapper (FN 40), S. 4 f., S. 46; Priebatsch, Correspondenz I (FN 21), S. 24; Zwanziger (FN 16), S. 86 f., S. 89 f., und Albert Kotelmann, Die Finanzen Albrecht Achills, in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 3 (1866), S. 8, 11 f., 16, 307, 449. 45 Vgl. so die Schilderung aus Salzwedel von 1472 bei Philipp Wilhelm Gercken (Hrsg.), Diplomataria Veteris Marchiae Brandenburgensis. Aus den Archiven gesammlet, 1. Bd., Salzwedel 1765, S. 373; das Folgende: Georg Wilhelm von Raumer, Verhandlung Churfürst Albrecht Achills mit den märkischen Landständen, nach sei-
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machte im Lande ausgesprochen böses Blut, und der Markgraf Johann, der dann seit 1486 die Mark als Kurfürst regierte, hatte zuvor als Statthalter lange Zeit nur wenig Spielraum, wie auch der Inhalt der intensiven Korrespondenz mit dem Vater im Süden zeigt46. Das alles mag andeuten, daß bis in das späte 15. Jahrhundert der Prozeß der Konsolidierung in Brandenburg nicht nur aus endogenen Faktoren zu erklären ist. Franken war der gebende Teil und für Albrecht Achilles um einiges wichtiger als die Mark, deren Finanzerträge auch deutlich hinter denen zurückblieben, die aus der Gegend von Bayreuth und der Plassenburg, um Ansbach und der Cadolzburg zu erzielen waren. Allerdings hat Albrecht Achill dadurch, daß er seinen Sohn Johann weit mehr, als diesem lieb war, in der Mark allein und isoliert ließ, die Trennung der brandenburgischen und der fränkischen Gebiete indirekt gefördert. Der Versuch, nach dem Tode Kurfürst Johanns Anfang 1499 noch einmal die Verbindung zwischen Franken und der Mark dadurch herzustellen, daß die fränkischen Markgrafen eine Vormundschaft für den erst fünfzehnjährigen Joachim 1. übernahmen, wurde im Norden erfolgreich hintertrieben47 . Aber gleichwohl blieben noch über die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert hinaus eine ganze Weile fränkische Einflüsse präsent, und zwar in personeller Hinsicht. Gerade die brandenburgischen Kanzler, deren Bedeutung für Politik und Verwaltung angesichts der Funktionen der Kanzlei als Organ in dieser frühen Zeit schwerlich überschätzt werden kann, stammten alle aus Franken, über Friedrich Sesselmann, Sigismund Zerer bis hin zu Sebastian Stublinger, der erst 1529 starb 48 . Manche Gegensätze zwischen dem brannem Regierungsantritt; nebst einem eigenen Aufsatze des Churfürsten hieIiiber, in: Märkische Forschungen 1 (1841), S. 319 - 352, hier S. 321 f. 46 Außer der Edition von Priebatsch (FN 21) (zur Huldigung 1470: Bd. 1, Nr. 55, S. 136 f.) vgl. auch Julius von Minutoli, Das Kaiserliche Buch des Markgrafen Albrecht Achilles. Kurfürstliche Periode von 1470 -1486, Berlin 1850, S. 306 - 308; Gercken, Codex (FN 21), Bd. 8, "Vorbericht", S. 493 und überhaupt S. 491- 578 und Riedel CDB, C 2, (FN 17), S. 192 -198, S. 249 f., S. 255 H. u.ö.; für die Zeit nach 1479 Werminghoff (FN 27), S. 206; Finanzen: Kotelman (FN 44), S. 446; Koser (FN 19), S. 172 Anm. 2. 47 Reinhard Seyboth, Die Markgraftümer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung Markgraf Friedrichs des Älteren (1486 -1515), Göttingen 1985, S. 40 f. (vgl. S. 36 f.), S. 48 - 58, S. 389 f.; ders., Die Hohenzollern in Franken und in Brandenburg an der Wende zur Neuzeit, in: R. Schmidt (Hrsg.), Bayreuth und die Hohenzollern vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, Ebsdorfergrund 1992, S. 9 - 31, hier S. 23 - 26; Werminghoff (FN 27), S. 280 - 308. 48 Friedrich Holtze, Die ältesten märkischen Kanzler und ihre Familien, in: FBPG 7 (1894), S. 479 - 531, bes. S. 481, 486, 494, 502, S. 506: nach Stublinger der Leipziger Ketwig; zu Heintze von Kracht aus dem Spreewald, der 1440 - 44 noch nicht fortdauernde Kanzlerfunktionen wahrnahm: S. 482 - 486; vgl. Koser (FN 19), S. 186; Zwanziger (FN 16), S. 92 H.; Ahrens, Residenz (FN 37), S. 130, 134 f.; zum fränkischen Element unter dem Kanzleipersonal im weiteren Sinne: Kurt Wagner, Das brandenburgische Kanzlei- und Urkundenwesen zur Zeit des Kurfürsten Albrecht Achilles (1470 - 86), Phil. Diss. Berlin 1911, S. 7; Felix Priebatsch, Geistiges Leben in der Mark Brandenburg am Ende des Mittelalters, in: FBPG 12 (1899), S. 325 - 409, bes. S. 337 H., auch Lewinski (FN 41), S. 42 f., S. 47
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denburgischen und dem fränkischen Fümungspersonal sind denn auch überliefert 49 . Aber mochte auch, wie dargetan, aus dem Süden manch modernisierender Impuls für die Verfassungs- und Integrationsentwicklung der Mark ausgegangen sein, so zeigten doch die Stellung der Mark als Nebenland und schließlich der Vormundschaftsplan von 1499 Hindernisse auf, wenn es darum ging, die Mark als selbständiges Gebilde zu organisieren Hindernisse für die Integration5o . 11. Dynastie und Integration: Die Teilungsproblematik bis 1603 Noch in einer anderen Hinsicht zeigt der brandenburgische Fall, daß die Herrscher nicht nur Träger des Integrationsprozesses waren, sondern daß immer dann, wenn die Interessen der - modern gesprochen - Strukturpolitik mit dynastischen Motiven in Konflikt gerieten, daraus ernsthafte Gefahren für die Integration im Sinne von Einheitsstiftung erwachsen konnten und auch erwuchsen. Dies wurde sogleich unter Friedrich I. deutlich, als dieser im Jahre 1437 unter Anlehnung an ältere fränkische Observanzen 51 eine Verfügung darüber traf, welche Gebiete in der Mark und in Franken seine vier noch lebenden Söhne nach seinem Tode übernehmen sollten. Die fränkischen Bestimmungen haben hier nicht zu interessieren; wichtig für die brandenburgische Integrationsproblematik ist allein, daß Friedrich I. auch die Mark selbst geteilt wissen wollte, und zwar so, daß Friedrich (II., d.Ä.), obwohl nicht der älteste der Söhne, die Kurwürde erhalten sollte. Er hatte aber die brandenburgischen Lande nach einer bestimmteri Frist mit dem jüngsten der Brüder, ebenfalls Friedrich genannt, zu teilen, wobei über die jeweiligen Gebiete das Los entscheiden sollte. Allerdings hatten alle Teile in Franken und in der Mark allen vier Söhnen zu huldigen, und Friedrich I. hatte auch Bestim49 Georg Schuster / Friedrich Wagner, Die Jugend und Erziehung der Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen, 1. Bd., Berlin 1906, S. 452; vgl. auch Priebatsch, Adel (FN 12), S. 216. 50 Vgl. Zitat und Hinweise oben bei und mit FN 6. 51 Dazu Seyboth, Markgraftümer (FN 47), s. 31, s. 435, auch zum Folgenden; Druck der Teilungsdisposition bei Caemmerer (FN 5), S. 3 - 16, bes. S. 3 f., S. 10, dazu S. 34 ff.; eigentlich hätte nach der Goldenen Bulle der Älteste, also Johann Alchemist, die Kur erhalten müssen, offenbar hatte er aber darauf verzichtet und - bezeichnenderweise - fränkisches Land vorgezogen; vgl. auch Hermann Schulze (Hrsg.), Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, 3. Bd., Jena 1883, S. 563 f.; Minutoli, Fiiedrich I. (FN 18), S. 50, auch zur kaiserlichen Bestätigung; Adolph Friedrich Riedel, Geschichte des preußischen Königshauses, 2. Tl., Berlin 1861, S. 550ff.; Victor Meyer, Zur Entwicklung der Hausverfassung der Hohenzollerischen Burggrafen von Nürnberg und ersten Markgrafen von Brandenburg, Phil. Diss. Königsberg 1911, S. 67, S. 69 f. und S. 85, S. 128 -136; wichtig: Reinhard Härtel, Über Landesteilungen in deutschen Territorien des Spätmittelalters, in: H. Ebner (Hrsg.), FS Fiiedrich Hausmann, Graz 1977, S. 179 - 205, hier S. 197, S. 201 f.
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mungen über das gegenseitige Erbrecht getroffen. Tatsächlich ist es dann 1447 zu einer Landesteilung in der Mark gekommen, und zwar unter teilweisem Verstoß gegen die Disposition des ersten Kurfürsten. So wurde Friedrich d.J. ohne Losung mit Zustimmung aller Brüder schon 1447 in den Besitz von Altmark und Prignitz gesetzt, während Friedrich Ir. als Markgraf und Kurfürst Mittelmark, Uckermark, das Land Sternberg sowie Kottbus und Peitz zugesprochen erhielt 52. Die Risiken dieses Verfahrens dynastischer Versorgungspolitik liegen auf der Hand. Daß daraus nicht längerfristige Folgen (sieht man von der Unterstreichung der Residenzfunktionen Tangermündes einmal ab) entstanden, ist einerseits dem guten, auch politisch tragfähigen Einvernehmen unter den Brüdern, dann aber auch der Tatsache zu verdanken, daß diese ohne männliche Erben starben, so daß erst Friedrich Ir. 1463 wieder die ganze Mark und schließlich Albrecht Achill die sämtlichen fränkisch-brandenburgischen Gebiete in seiner Hand vereinigte 53 • Albrechts Disposition von 1473 sollte eine Landesteilung im Nordosten ausschließen, jedenfalls im Falle seines Todes. Die berühmte Dispositio Achillea sah vor, daß zwar die fränkischen Lande zweigeteilt werden konnten, der älteste Sohn Johann, den wir schon als Statthalter in der Mark kennengelernt haben, aber dermaleinst die Kur und Mark ungeteilt haben sollte 54 . Aber obwohl in der Dispositio ausdrücklich festgestellt worden war, daß sie nur für die Kinder Albrechts gelten sollte, ist diese Verfügung, wenn auch sehr viel später, geradezu als Hausgesetz interpretiert worden, mit der die Unteilbarkeit des brandenburgischen Territorialbestandes verbürgt worden sei 55 . Sicher hatte Johannes Schultze recht 56 , wenn er der Dispositio Achillea Bedeutung für die Verselbständigung der Mark von den fränkischen Hohenzollern zuwies, wiewohl wir gesehen haben, daß die Zäsur von 1473/86 auch nicht überzeichnet werden darf. Jedenfalls war diesem Dokument ursprünglich nicht eine für alle Zukunft gültige Wirkungskraft zugeschrieben worden. Künftige Teilungen waren nicht ausgeschlossen 57 , und so erlebte 52 Druck des Teilungsvertrages bei Schulze (FN 51), S. 667 - 678, bes. S. 668 f., S. 672; Meyer (FN 51), S. 128 - 136; Hans Hallmann, Die letztwillige Verfügung im Hause Brandenburg 1415 -1740, in: FBPG 37 (1925), S. 1- 30, hier S. 4. 53 Seyboth, Markgraftümer (FN 47), S. 32 - 34, auch zu 1473; Ernst Berner, Die Hausverfassung der Hohenzollern in: HZ 52 (1884), S. 78 -121, hier S. 83 f. 54 Bester Druck bei Caemmerer(FN 5), S. 29-43, bes. S. 31, Geltungsdauer: S. 42f.; Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 3. Bd., Berlin 1963, S. 121 f., S. 160; Carl Wilhelm von Lancizolle, Geschichte der Bildung des preußischen Staats, 1. Tl., Berlinl Stettin 1828, S. 530. 55 Vgl. aber Johann Wolfgang Rentsch, Brandenburgischer Ceder-Hein ... , Bayreuth 1682, der S. 408 sehr richtig den Bezug auf die Söhne Albrechts feststellt. 56 Schultze, Mark (FN 54), Bd. 3, S. 122, S. 160, zutreffend S. 161.
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dann die Mark in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine solche. Dies zeigt, daß die Integrationsentwicklung von seiten dynastischer Motive auch in der Praxis in erheblichem Maße gestört worden ist. Denn Kurfürst Joachim 1. hatte 1534 in einer Disposition zwar angeregt, daß seine Söhne Joachim und Johann nach seinem Tode "beieinander im regiment bleiben" sollten, er hatte aber ganz im Gegensatz zur Dispositio Achillea (und auch zum Unteilbarkeitsgebot der Goldenen Bulle) die Möglichkeit offengehalten, daß Hans die Neumark und einige weitere Gebiete im Osten und in der Lausitz ganz für sich haben sollte. Joachim würde dann zu seinen Ländern westlich der Oder auch die Kur erhalten, sonst aber sollten sie sich "eins titels gebrauchen". Die "erbhuldigung" müsse "in gesampter Hand" stattfinden 58 . Kurfürst Joachim 1. starb im Juli 1535. Seit dem November dieses Jahres ist dann diese Teilungsklausel, für die von Joachim 1. möglicherweise die Zustimmung der Stände eingeholt worden war 59 , in die Tat umgesetzt worden 6o . Für unsere Zwecke muß es genügen, darauf hinzuweisen, daß die Bemühungen des kurfürstlichen Bruders, den Hans von Küstrin auf die Stellung eines "ersten Vasallen herabzudrücken"61, sofort scheiterten, ferner daß Hans auch eine sehr selbständige reichspolitische Rolle spielte, auf dem Felde der Kirchenpolitik in den Jahren der Reformation als erster den Schritt tat - alles Beispiele für die Selbständigkeit der Neumark und ihres Regenten. Dieser, ganz zweifellos zu den Verwaltungstalenten ersten Ranges im Hause Hohenzollern gehörend, vermochte es auch, seine Finanzlage positiv zu stellen, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder in Cölln mit seiner chronischen Schuldenlast und den sich daraus ergebenden ständepolitischen Problemen und Konsequenzen. Die politische und finanzielle Unabhängigkeit des Küstriner Herrn hatte nun verfassungsgeschichtliche Folgen. 57 In der neueren Lit. zuerst richtig bei Schuster / Wagner (FN 49), S. 206, S. 458; sodann z. B. Caemmerer (FN 5), S. 43*-48*, S. 50*, auch gegen Droysen, ferner S. 52*, und Tümpel (FN 4), S. 4 f; irrig Schulze (FN 51), S. 565 f. 58 Text bei Caemmerer (FN 5), S. 55 -71, bes. S. 58 f., S. 6lf.; zu den möglichen (konfessionellen!) Motiven vgl. Julius Heidemann, Die Reformation in der Mark Brandenburg, Berlin 1889, S. 175 f.; vgl. Koser, Politik (FN 19), S. 229 f. 59 Wenn man den bei Leuthinger mitgeteilten Worten des Kurfürsten trauen darf: Nicolai Levtingeri Opera Omnia Ovotqvot Reperiri Potvervnt, hrsg. von G. G. Küster, Frankfurt 1729, S. 143. 60 Vgl. die Quellen bei Karl Kletke, Regesta Historiae Neomarchicae. Die Urkunden zur Geschichte der Neumark und des Landes Sternberg in Auszügen mitgeteilt, 3. Abt., Berlin 1876, S. 38 ff.; grundlegend: Ludwig Mollwo, Markgraf Hans von Küstrin, Hildesheim/Leipzig 1926, S. 10 -19, S. 73, Reformation: S. 103 -106, S. 110 f.; ferner S. 491- 509, zur Finanzpolitik: Gustav Berg, Beiträge zur Geschichte des Markgrafen Johann von Cüstrin, Landsberg a.w. 1903, S. Hf., S. 94f.; Heidemann (FN 58), S. 192f.; Rentsch (FN 55), S. 444-450; Willy Hoppe, Drei lutherische Landesfürsten, in: R. Dietrich/G. Oestreich (Hrsg.), Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe für Fritz Hartung, Berlin (1958), S. 91-112, hier S. 97 f., S. 10l. 61 Zitat: Holtze, Kanzler (FN 48), S. 499.
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Denn die seit 1535 in der Neumark betriebene Landes- und Infrastrukturpolitik hat dauerhafte Spuren in der Geschichte hinterlassen. Das gilt nicht nur in dem Sinne, daß der Markgraf gezielt die Autonomie geistlicher Korporationen, der brandenburgischen und der pommerschen Bistümer sowie die des Johanniter-Ordens bekämpfte und somit gezielte Integrationspolitik von Küstrin aus betrieb, die in die Zukunft wies 62 . Es gilt dies auch für die in der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandenen Institutionen63 am Hof zu Küstrin mit eigenem (Kammer-)Gericht, Rat und Rentei. Denn diese hatten zumindest in modifizierter Form nach dem erbenlosen Tode des neumärkischen Herrn und nach der Wiedervereinigung mit den anderen Teilen Brandenburgs Bestand. Dies gilt zu allererst für die bis in das frühe 19. Jahrhundert existierende Regierung Küstrin, es galt auch für die zwar mit den kurmärkischen kooperierenden, aber doch separierten neumärkischen Stände 64 und auch für vieles andere mehr. Noch lange waren "in der Chur= und Neumark ... die Kirchenzeremonien gänzlich unterschieden" (Moehsen). Zu einer besonderen politischen Landschaft hat erst die Landesteilung von 1535 die Neumark werden lassen. Darüberhinaus hatte die Landesteilung seit den dreißiger Jahren die Finanzlage der Kurmark (im engeren Sinne65 ) zusätzlich verschlechtert 66 , und es wäre reizvoll im Detail zu untersuchen, ob die gleichsam äußere Desintegration unter den Bedingungen des 16. Jahrhunderts gewissermaßen innere Desintegrationskonsequenzen hatte. Trotz all dieser Erfahrungen sollte es 1534 nicht das letzte Mal gewesen sein, daß in Brandenburg - und, wie wir sehen werden, auch in Brandenburg-Preußen - das dynastische Teilungsmotiv dasjenige einer einheits stiftenden (Struktur-)Politik fallweise überlagerte. Wie es scheint, hat auch Joachim 11. zeitweise Teilungspläne gehegt, die durch den vorzeitigen Tod der zu versorgenden Söhne dann doch Dazu Mollwo (FN 60), S. 113 - 126. Mollwo (FN 60), S. 86 -103, 360 ff., 369 f, 446 - 450; Kletke (FN 60), S. 485 f., auch S. 477, S. 483 f.; Berg (FN 60), S. 16 f., S. 92, S. 94; vgl. auch die Hofordnung Hans von Küstrins: Arthur Kern (Hrsg.), Deutsche Hofordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. I, Berlin 1905, S. 34 -78. 64 Martin Haß, Die kurmärkischen Stände im letzten Drittel des 16. Jh. (= Veröff. Verein Mark Br.), München/Leipzig 1913, S. 5; Helmuth Croon, Die kurmärkischen Landstände 1571-1616, Berlin 1938, S. 76; Dtto Hintze, Einleitende Darstellung der Behördenorganisation und allgemeinen Verwaltung in Preußen beim Regierungsantritt Friedrichs 11. (= Acta Borussica ... Behördenorganisation, Bd. 6, 1. Hälfte), Berlin 1901, ND Frankfurt a.M. 1986/87, S. 369ff.; Zitat: Moehsen (FN 22), S. 542; symptomatisch: W. von Kunow, Das jetzt bestehende Provinzialrecht der Neumark, 1. Abt., Berlin 1836, bes. S. III-VIII, zur Entstehung dieser Schrift. 65 Zum Problem von Kur- und Neumark muß verwiesen werden auf Hermann von Caemmerer, Der Begriff Kurmark im 17. und 18. Jahrhundert, in: FBPG 29 (1916), S.I-5. 66 So schon Friedrich Holtze, Geschichte der Mark Brandenburg, Thbingen 1912, S. 45; auch Hass (FN 64), S. 175. 62
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nicht realisiert worden sind 67 • Vor allem aber ist hier an das Testament Kurfürst Johann Georgs vom Januar 1596 zu erinnern, nach dem für den Sohn aus dritter Ehe, Christian, wiederum die Neumark mit Sternberg, Krossen, Züllichau und kleineren Lausitzer Teilen und an den folgenden Sohn Joachim Ernst die brandenburgischen Herrschaften Schwedt und Vierraden vergeben werden sollten. Ein weiterer Markgraf würde dann kleinere Teile altmärkischen Gebietes erlangen und zwar so, daß sie alle "außer den churfursten gleiche reichsfursten "sein sollten, ohne von diesem etwa lehnsrechtlich oder in anderer Hinsicht abhängig zu bleiben 68 • Der Kurprinz Joachim Friedrich hat diese Bestimmungen nie anerkannt, doch erst der Umstand, daß mit dem Tode Markgraf Georg Friedrichs die ältere fränkische Linie ausstarb und nunmehr Ansbach und Bayreuth als Kompromißmasse zur Verfügung standen, bewahrte die Mark vor einer neuerlichen und vielleicht noch folgenreicheren Landesteilung. Mit diesem Ergebnis, kodifiziert im Onolzbacher Vergleich vom Juli 1603 69 , war, wie wir noch abschließend sehen werden, die Gefahr territorialer Dismembration noch lange nicht gebannt, und das obwohl mit dem Geraisehen Hausvertrag von 1598 nun tatsächlich die Unteilbarkeit der Mark Brandenburg postuliert worden war. ill. Integration und Staatsbildung im 17. Jahrhundert
Mit den territorialen Akquisitionen der Kurfürsten von Brandenburg bald nach 1600, Resultat der weitausgreifenden dynastischen Aktivitäten des Gesamthauses im 16. Jahrhundert 70 , trat die Entwicklung von Integration und Staatsbildung in eine neue Phase. Dadurch ergaben sich für den Kurstaat ganz neue Probleme und Belastungen, zumal man im Nordosten zu Beginn des 17. Jahrhunderts in mancherlei Hinsicht bei der Entwicklung von Behördenbildung und Militärverfassung (im mitteleuropäischen Ver67 Vgl. Carl Friedrich Pauli, Allgemeine preußische Staatsgeschichte des dazu gehörigen Königreichs, Churfürstenthums und aller HerzogthÜIner, FürstenthÜIner, Graf- und Herrschaften aus bewährten Schriftstellern und Urkunden bis auf gegenwärtige Regierung, 3. Bd., Halle 1762, S. 368; vgl. auch Lancizolle (FN 54), S. 535; weitere Belege bei Tümpel (FN 4), S. 7. 68 Druck bei Caemmerer, Testamente (FN 5), S. 138 -165, bes. S. 143 f., Zitat: S. 152; Tümpel (FN 4), S. 7. 69 Druck bei Schulze (FN 51), S. 708 -723, bis S. 710 f., 715 f.; vgl. Theodor von Moerner, Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601 bis 1700, Berlin 1867, ND 1965, S. 29ff.; aus der Lit. z. B. noch Berner (FN 53), S. 86f.; Hans-Jörg Herold, Markgraf Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach als Reichsfürst, Göttingen 1973, S. 30 - 34; Johann Gustav Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 2. Tl., 2. Abt., 2. Aufl., Leipzig 1870, S. 380f. 70 Auf die wesentliche Rolle der fränkischen Hohenzollern weist zu Recht hin Jürgen Petersohn, Staatskunst und Politik des Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach und -Bayreuth 1539 -1603, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 24 (1961), S. 229 - 276, hier S. 254 f.
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gleich) zurückgeblieben war; das gilt etwa für die erst 1604 erfolgte Begründung des Geheimen Rates zu Cölln, womit zugleich eine "erste offizielle Trennung zwischen Hof- und Staatsverwaltung" (G. Oe streich) vorgenommen worden war, oder auch für die gescheiterten Bemühungen um ein Defensionswerk in den Jahren vor dem großen Kriege. Dabei läßt sich quellenmäßig sehr gut nachweisen, daß der Druck der neuen Aufgaben, die Sicherung der Ansprüche auf Preußen und auf die Gebiete am Niederrhein, ganz wesentlich auf die institutionelle Neubildung zu Beginn des 17. Jahrhunderts eingewirkt hat 71. Dies alles aber waren brandenburgische Institutionen, Rat, Amtskammer, Konsistorium und Kammergericht, und sie blieben es noch lange; der Geheime Rat war auf die Kurlande und die außenpolitischen Materien beschränkt. Neben der Mark, mit ihr nur durch den gemeinsamen Landesherrn verbunden, standen noch lange die anderen Territorien, die teils in den ersten beiden Jahrzehnten und zum Teil in Folge des Westfälischen Friedens erworben worden waren, sie alle auch ständisch gut durchorganisiert, wie auch die Kurmark selbst72. Der Forderung des Kurfürsten, daß seine verschiedenen Länder "gleichsam Membra unius capitis sein" sollten 73 , stand auch nach den großen Friedensrezessen der Jahre 1653 bis 1663 das verfassungsgeschichtlich bedeutsame Faktum eines erst dominanten und im 18. Jahrhundert allemal subdominanten Regionalismus gegenüber, den der absolutistische Staat allenfalls integrativ zu überformen vermochte. Und es ist noch sehr die Frage, ob denn je etwas anderes, Weitergehenderes vom Kurfürsten und seinem Führungspersonal intendiert worden ist. Jedenfalls galt z. B. den brandenburgischen Ständen noch nach Jahrzehnten Preußen und Kleve als Ausland, und das haben sie der kurfürstlichen Argumenta71 Druck der Geh. Ratsordnung vom 13. Dezember 1604 bei Meile Klinkenborg (Hrsg.), Acta Brandenburgica. Brandenburgische Regierungsakten seit der Begründung des Geheimen Rates, Bd. 1, Berlin 1927, Nr. 40, S. 91- 96, hier S. 91: da " ... wir ganz hoch angelegne beschwerliche Sachen uf uns liegen haben, besonderlich die Preusische, Gulische Straßburgk- und Jägerndorfische", wofür der neue Rat künftig zuständig sein soll; dazu mit weiterer Lit. Neugebauer, Deutung (FN 5), S. 543 f. und jetzt ders., Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert, in: J. Materna/W. Ribbe (Hrsg.), Brandenburgische Geschichte, (Berlin 1995), S. 291394, hier S. 295 - 298, und die Lit. S. 291 f.; das Zitat: Gerhard Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis zu der Neuordnung im Jahre 1651, Würzburg-Aumühle 1937, S. 26, vgl. noch S. 3. 72 Peter Baumgart, Zur Geschichte der kurmärkischen Stände im 17. und 18. Jahrhundert, in: D. Gerhard (Hrsg.), Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, 2. Aufl., Göttingen 1974, S. 131-161, bes. S. 136 ff. auch zu den Rezessen der Mitte 17. Jh., Kreditwerk (16. Jh. ff.), S. 152ff.; Neugebauer, Brandenburg (FN 71), S. 323 ff., Preußen: Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 54f. (Lit.); vgl. zum 16. Jh. FN23. 73 "Duplik der Geh. Räthe im Namen des Kurfürsten", Kölln a.S., 2. Dez. 1650, Druck: Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Ständische Verhandlungen, 10. Bd., hrsg. von S. Isaacsohn, Berlin 1880, S. 194.
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tion auch schroff entgegengehalten. "Wie nun Pommern, Preußen und die Clevische Lande wenn wegen der Chur Brandenburg ein Grenzstreit vorfiele, schwerlich uns zu Hülfe kommen oder unserthalben etwas auf sich nehmen würden, also wird man auch die Märkischen Lande mit der Ausländischen Provincien Streitigkeit nicht wol vermengen, oder ihrenthalten härter als sonst belegen können", hieß es in der "Triplik der Stände" vom 2. Dezember 1650 74 . Es handelte sich zunächst um eine reine Personalunion der Länder, die nur unter einem gemeinsamen Herrn standen, der z. B. als Kurfürst und Markgraf Brandenburg, als Herzog Preußen, Kleve und Pommern und seit 1680 auch Magdeburg sowie z. B. als Fürst Minden beherrschte. Auch die Regierungskollegien und z. T. eingerichteten Amtskammern standen zunächst nebeneinander, ohne eine "Centralstelle" (Breysig) in Berlin-Cölln. In allen diesen Landschaften waren die Stände schon durch ihr Wissen um die jeweiligen Landesverhältnisse dem Kurfürsten und der im späteren 17. Jahrhundert entstehenden gesamtstaatlichen Verwaltung um einiges überlegen, wobei sie aber nie zu einem koordinierten Handeln zusammenfanden 75, jedenfalls nicht im 17. und 18. Jahrhundert. In diesen individuellen Ständeverfassungen treten aber nicht, jedenfalls nicht nur, Elemente isolierter Partikularität entgegen, sondern zugleich auch weitere europäische Bezüge. Besonders deutlich ist das bei den niederrheinischen Gebieten mit ihren Städten und ihren engen Beziehungen zu den Niederlanden, verwaltet von einem Geheimen Regierungsrat, in dem der ständische Einfluß quellensicher zu fassen ist1 6 . In Kleve und Mark, die auch im 18. Jahrhundert mit eigenen Landtagen eine spezifische Verfassung und auch eine ökonomischwirtschaftspolitisch ausgeprägte Sonderstellung behielten, hatte der Große Kurfürst zwar mit der Verhaftung des Ständedeputierten Willich zu Winnenthal1654 ein Exempel statuiert, aber die Dauerwirkung blieb doch sehr begrenzt. Das Steuerbewilligungs- und das Selbstversammlungsrecht sowie das Ämterindigenat, Palladium ständischer Positionen, wurden auch nach
74 UA (FN 73), Bd. 10, S. 196; vgl. weitere Äußerungen in dem einen und dem anderen Sinne bei Tümpel (FN 4), S. 47 f.; s. auch Hubrich (FN 5), S. 352. 75 Soweit richtig Georg Küntzel, Über Ständeturn und Fürstentum, vornehmlich Preußens, im 17. Jahrhundert, in: Beiträge zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Fs. zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag, hrsg. vom Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, Leipzig 1908, S. 101-152, hier S. 147; vgl. auch Kurt Breysig, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640 bis 1697. Darstellung und Akten, 1. Bd., Leipzig 1895, S. 1 f., S. 8, S. 12, u.ö. 76 Vgl. Hubrich (FN 5), S. 349! Ferner die Einleitung von Dtto Meinardus, in der von ihm hrsg. Edition: Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, 2. Bd., Leipzig 1893, ND Dsnabrück 1965, S. XCVI f.; vgl. auch den Band von August von Haeften (Hrsg.), Urkunden und Actenstücke, Bd., 5, Ständische Verhandlungen, 1. Bd.: Cleve-Mark, Berlin 1869, in der Einleitung etwa S. 70 f. u.Ö.
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dem Rezeß von 1660 anerkannt 77 . - In Pommern mögen mancherlei strukturelle Verwandtschaften mit den Verhältnissen in Kur- und Neumark dazu beigetragen haben, daß die Stände von Prälaten, Ritterschaft und Städten ihre Spielräume dadurch zu wahren wußten, daß sie es nicht zu - auch sonst wohl überschätzten! - dramatischen Aktionen kommen ließen. Auch weiterhin gab es hier im 17. Jahrhundert Konvente, d. h. "Ausschuß-Landtage", was bekanntlich einer allgemeineren europäischen Entwicklung entspricht. Mehr als eine gewisse Reduktion ständischer Maximalpositionen hat es hier wie auch in Brandenburg im Endeffekt nicht gegeben; noch um 1700 sind Bewilligungen der brandenburgischen Stände nachzuweisen 78. Im Herzogtum Preußen mit seinen engen Beziehungen zur polnischen Adelsrepublik, aber auch zu den baltischen Landesstaaten, hielten die vier Oberräte so wie schon im 16. Jahrhundert 79 die Geschäfte von Regierung und Verwaltung in der Hand. Gerade die Souveränitätsfrage, d. h. der Versuch, das Herzogtum mit seinen traditionell starken Ständen ein wenig aus den ostmitteleuropäischen Verfassungs- und Libertastraditionen herauszulösen, führte hier nach 1660 zu heftigen, aber wiederum in ihrer wirkungsgeschichtlichen Bedeutung überschätzten Konflikten 80 • Denn nicht in deren Folge, sondern erst sehr viel später, erlebte an Weichsel und Memel die ständische Aktivität eine Reduktion, und das Aufhören der Landtage vier Jahr77 Zu Willich Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg, 1. Tl., Göttingen usw. 1971, S. 275ff.; ders., Stände im Spannungsfeld zwischen Brandenburg-Preußen, Pfalz-Neuburg und den niederländischen Generalstaaten. Cleve-Mark und Jülich-Berg im Vergleich, in: Baumgart, Ständeturn (FN 5), S. 243 - 262, bes. 244 f., S. 247 - 252, mit weiterer Lit.; Carsten (FN 37), S. 195, S. 198; der Rezeß v. 14.8.1660 bei J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und der Grafschaft Mark ... ergangen sind, 1. Tl., Düsseldorf 1826, S. 333 - 364, Indigenat: S. 337. 78 Gerd Heinrich, Ständische Korporationen und absolutistische Landesherrschaft in Preußisch-Hinterpommern und Schwedisch-Vorpommern (1637 -1816), in: Baumgart, Ständeturn (FN 5), S. 155 -169, bes. S. 156 f., S. 159 ff., ders., Der Adel in Brandenburg-Preussen, in: H. Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1555 -1740, Darmstadt 1965, S. 259-314, bes. S. 294ff.; Tümpel (FN 4), S. 60f. Grundsätzlich gegen die traditionelle Überschätzung der Härte ständepolitischer Konflikte treffend schon Opgenoorth, Friedrich Wilhelm (FN 77), S. 18; Bd. 2, S. 121 ff.; Bewilligungen um 1700: Neugebauer, Brandenburg (FN 71), S. 325. 79 Dazu bes. die "Regiments Nottel" vom 18. Nov. 1542, Druck: Privilegia Der Stände deß Hertzogthumbes Preussen / darauff das Landt fundiert vnd biß jtzo beruhen ... , Braunsberg 1616, BI. 51r-56 v, hier BI. 53 v; Felix Arndt, Die Oberräte in Preussen 1525 -1640, in: Altpreußische Monatsschrift 49 (1912), S. 1- 64, bes. S. 915; Stellung zwischen Fürst und Ständen: Hugo Rachel, Der Große Kurfürst und die ostpreußischen Stände 1640 -1688, Leipzig 1905, S. 58, auch S. 53; die Arbeit Rachels auch zur Struktur der Stände. 80 Treffend dazu Ernst Opgenoorth, Herzog Friedrich Wilhelm? Das Herzogtum Preußen unter dem Großen Kurfürsten, in: U. Arnold (Hrsg.), Preußen und Berlin, Lüneburg 1981, S. 83 - 97, bes. S. 84 f., 89 ff.; ders., Großer Kurfürst (FN 77), Bd. 1, S. 121; vgl. auch Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 54ff. (Lit.); Robert Bergmann, Geschichte der ostpreußischen Stände und Steuern von 1688 bis 1704, Leipzig 1901, S. 41 ff., S. 181 f.
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zehnte später ist so gar nicht zu erklären. Dabei würde es - das kann hier nur angedeutet werden - sehr lohnen, nach großregionalen Parallelen zu fragen. Und schließlich weisen auch diejenigen Gebiete, die nach oder doch in Folge des Westfälischen Friedens an Brandenburg-Preußen fielen, nicht nur entscheidende und typische Parallelen (vormals) geistlicher Territorien auf (Rolle des Prälatenstandes !); hier blieb auch bis zur Säkularisation in napoleonischen Tagen ein Stück Germania Sacra in Preußen lebendig. Diese Beziehungen zum Verfassungssystem des Alten Reiches waren nicht nur typologische, wie noch zu zeigen ist. Die Rolle etwa der Reichsgerichtsbarkeit für Magdeburg, Halberstadt und Minden 81 , wo man sich auch um 1700 gerne des Westfälischen Friedens und seiner proständischen Verfassungsgarantien82 erinnerte, zeigen erneut raumstrukturelle Verknüpfungen auf. Mit diesen Strukturen hatten es diejenigen zu tun, die im Übergang von der Personalunion zur Realunion Integrationspolitik in BrandenburgPreußen betrieben. Auf zwei Feldern vor allem ist dies in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Fall gewesen, auf demjenigen der administrativen Stärkung des Zusammenhalts der verschiedenen Territorien und auf dem der Militärverfassung, denn ganz so, wie hinsichtlich von Ständeorganisation und Regimentsverfassung jedes Gebiet besondere Strukturen und Institutionen aufwies, so galt dies auch für die jeweilige territoriale Wehrorganisaton. Insofern ist die Entstehung des Miles perpetuus seit 1644/55 als einer von der jeweiligen Territorialverfassung - relativ - unabhängigen Institution und die Ausweitung des landesherrlichen Dislokations- und Garnisonsrechtes gegen mancherlei ständische Vorbehalte für unsere Fragestellung von erheblicher Bedeutung83 . Zugleich ist damit ein neuerlicher Beleg gegeben für den Zusammenhang von äußerem Druck in der Zeit rasch wechselnder europäischer Konjunkturen und innerer Organbildung. Neben diesen noch recht bescheidenen und auch nicht kontinuierlich vermehrten Truppen blieben freilich territoriale Aufgebote und Milizen erhalten. 1688 machte das ausschließlich durch Werbung rekrutierte stehende Heer knapp 30 000 Mann aus 84 . 81 Vgl. mit der Lit. Wolfgang Neugebauer, Die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Baumgart, Ständetum (FN 5), S. 170 - 207
(Lit.).
82 Dazu z. B. Anton Schindling, Die Anfänge des immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westf. Frieden, Mainz 1991, S. 28. 83 Vgl. aus der Lit. die Arbeiten von C. Jany, zunächst: Die Anfänge der alten Armee, 1. Tl., Berlin 1901, S. 2 -15, S. 84 ff., vgl. auch ders., Lehndienst und Landfolge unter dem Großen Kurfürsten, in: FBPG 8 (1895), S. 101-149, etwa S. 434 f. (Preußen), Bd. 10 (1898), S. 1- 30, hier S. 25 - 29; nach Akten: Neugebauer, Brandenburg (FN 71), S. 322; vgl. auch Carl Hinrichs, Der Große Kurfürst, in: ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen (= Veröff. Hist. Komm. Berlin, Bd. 10), Berlin 1964, S. 227 - 252, hier S. 233; vgl. u. a. auch zum Dislokationsrecht, Carsten (FN 37), S. 194 - 198, ferner 217 f.
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Aber der Integrationseffekt des stehenden Heeres ging weit über den militärischen Bereich im engeren Sinne hinaus, denn nicht von der Schicht der älteren, um 1600 bestehenden Institutionen ging die Entwicklung zu intensiveren, die verschiedenen Länder umfassenden Institutionen dauerhaft aus, wiewohl der ehrwürdige Geheime Rat seit der Mitte der 1650er Jahre nun auch nichtbrandenburgische Interna systematischer und selbst dann bearbeitete, wenn der Kurfürst nicht persönlich anwesend war 85 . Immerhin wurde der Rat, der freilich den Höhepunkt seiner Entwicklung in dieser Zeit schon erreicht hatte, nun aus einer primär kurmärkischen zu einer gesamtstaatlichen Institution. Mit administrativen Provisorien war auf die Dauer jedenfalls nicht auszukommen. Dazu gehörte sowohl ein Rückfall in ältere Formen kurfürstlicher Reiseherrschaft zur Mitte des 17. Jahrhunderts, aus Königsberg und aus Kleve zumal86 , was zugleich zeigt, daß sich Cölln-Berlin seine Stellung als gesamtstaatliche Hauptstadt erst erobern mußte. Erfahrungen, die Friedrich Wilhelm in Kleve auf dem Felde der Finanzverwaltung sammelte, kamen so dem gesamtstaatlichen Integrationsprozeß zugute. Zu den Provisorien zählten aber auch die nun systematisch plazierten Statthalter in den Provinzen, die zumeist über persönliche Beziehungen zu den (Nachbar-)Regionen verfügten (wenn es sich nicht um Hohenzollernprinzen handelte) - bei allen Zentralisierungsbestrebungen also doch nicht eigentlich ganz landfremde Personen. Viel wichtiger auf lange Sicht waren jedoch die aus dem Kriegs-Kommissariatsinstitut erwachsenen neuen Behörden, die nun in der zweiten Jahrhunderthälfte zu neuen institutionellen Bildungen in den Provinzen führten. Entstanden aus solchen Amtsträgern, die zur Organisation von Truppenbewegungen und für die Heeresverwaltung mit begrenztem und genau definiertem Amtsbereich eingesetzt und dem Landesherrn subordiniert waren, entwickelte sich unter dem Generalkriegskommissar eine Hierarchie von provinzialen Oberkommissariaten bzw. Kriegskammern; z. T. ist dann sehr bald die Kollegialisierung dieser Institutionen eingetreten87 . Dabei 84 Vgl. Robert Freiherr von Schrötter, Die Ergänzung des preußischen Heeres unter dem ersten Könige, in: FBPG 23 (1910), S. 403 -467, hier S. 412f. 85 Tümpel (FN 4), S. 76, S. 79; vgl. Otto Hintze, Staat und Gesellschaft unter dem ersten König, zuerst 1900, wieder in ders.: Ges. Abh., Bd. 1 (FN 5), S. 313 - 418, hier S. 361 f.; Oestreich (FN 71), S. 107 -115 zur Bedeutung der Geheimen Ratsordnung von 1651 (PR [FN 76], Bd. 4, Nr. 351, S. 394 - 398). 86 Vgl. Tümpel (FN 4), S. 83; siehe auch die Einleitung von Meinardus zu PR Bd. 4 (FN 76), S. VIII f.; zum Folgenden Dietrich Kausche, Zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen Statthalter, in: FBPG 52 (1940), S. 1- 25, bes. S. 3 f.; Egloff von Tippelskirch, Die Statthalter des Großen Kurfürsten, Heide i. Holst. 1937, S. 33ff., Kompetenzen: S. 76ff., S. 83f., S. 9lf., S. 94, u.ö. 87 Kurt Breysig, Die Organisation der brandenburgischen Kommissariate in der Zeit von 1660 bis 1697, in: FBPG 5 (1892), S. 135 -156; passim, bes. S. 137, S. 139144 zu jeweils besonderen provinzialen Entwicklungen, worauf hier summarisch verwiesen werden muß; ferner S. 147; August Wilhelm Prinz von Preußen, Die Entwick-
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muß aber festgehalten werden, daß diese Organe, die auf längere Sicht den ständischen Einfluß auf die Landesverwaltung beschränken mußten, noch recht lange Erscheinungen doppelter Loyalität aufweisen, das heißt, daß landschaftliche Eigenheiten nicht gänzlich egalisiert wurden und daß der reine'IYP des allein dem Landesherrn verpflichteten und nur seiner Disziplin unterworfenen Kommissars noch sehr lange von der territorialen Tradition überlagert werden konnte 88 . Aber diese zunächst für die Militäradministration und die Militärsteuern (Kontribution!) tätigen Offizianten, die sehr bald für weite Bereiche der inneren Verwaltung überhaupt federführend waren und mit dem wachsenden Militärbedarf immer mächtiger wurden, standen - und darauf kommt es hier an - in einer gesamtstaatlichen Hierarchie. Gerade in den Außenprovinzen Kleve und Preußen ging die Ausbildung der Kommissariatsbehörden vergleichsweise schnell vonstatten. In den Städten des Gesamtstaats wurden die Commissarii locorum die unterste Instanz der Kommissariatshierarchie, zuständig bald für die städtische Hauptsteuer, die Akzise, und dann im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts für wichtige Bereiche der städtischen Polizei im zeitgenössischen Sinne. Die Einführung der Akzise und die Übernahme durch die Kommissare in den Provinzen erfolgte nach und nach, zuletzt in den westlichen Gebieten in den ersten Jahren Friedrich Wilhelms 1. 89 . Militärstaat und Integration gingen also zusammen, und sowohl intern hat der Große Kurfürst an dem Konnex von europäischem Machtdruck und innerer Staats-, insbesondere also der Verfassungsentwicklung keinen Zweifel gelassen, wie er dies auch z. B. in der "Steuer- und Accise Ordnung, in den Städten der Chur- und Marck Brandenburg, vom 27. Maji 1680", nach Jahren der Kämpfe, besonders gegen die Schweden, deutlichst ausgelung der Kommissariats-Behoerden in Brandenburg-Preußen bis zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms 1., Jur. Diss. Straßburg, Berlin 1908, S. 35-39; S. 38, S. 54f.: in Minden kein selbständiges Kommissariat; zu Ostpreußen und der dortigen durchaus nicht linearen Entwicklung s. Friedrich Wolters, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640-1697. Darstellung und Akten, 2. Bd., München/ Leipzig 1915, S. 167 -173. 88 Zur Tätigkeit der brandenburgischen Stände in Kommissariatsmaterien kurz vor 1700 vgl. die Akte im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep. 23A, Band B 60, zu 1696; zu den (Kriegs- und Kreis-) Kommissaren bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts und zum Wahl- bzw. Präsentationsrecht der Stände Dtto Hintze, Der Ursprung des preußischen Landratsamts in der Mark Brandenburg, in: FBPG 28 (1915), S. 357 -422, bes. S. 394 f., S. 401 f.; auch Prinz von Preußen (FN 87), S. 39 - 42; Wolters (FN 87), S. 155 ff. 89 Kleve und Dstpreußen: Breysig, Kommissare (FN 87), S. 142 ff.; Akzise und Steuerrat: zum ganzen Hugo Rachel, Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Brandenburg-Preußens 1713 -1740 (= Acta Borussica ... Die einzelnen Gebiete der Verwaltung, Handels-, Zoll= und Akzisepolitik, 2. Bd. 1. Hälfte), Berlin 1922, S. 210 - 226; und Band 1 der Reihe: bis 1713, Berlin 1911, bes. S. 551- 585; Willi A.Boelcke, "Die sanftmütige Accise" ... , in: JGMOD 21 (1972), S. 93 - 139, bes. S. 111 ff.; Wolters (FN 87), S. 159.
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sprochen hat 90 • Es deutet einiges darauf hin, daß der Kurfürst sehr viel weniger prinzipiell vorging, daß er zu einem guten Teil der Getriebene war, und als das Kommissariat zu Kleve - nicht untypisch für dieses Organ fortwährend seine Macht auszudehnen suchte, hat das der Große Kurfürst noch in seinen letzten Lebensjahren ausdrücklich mißbilligt 91 . Wie wir hörten, hat der Monarch da, wo er auf wenig Widerstand stieß, den Ständen eher mehr Spielraum gelassen als im Falle prononcierter Opposition. Das alles spricht gegen einen prinzipiellen Absolutismus, vielmehr für eine Praxis gestufter Integration - der Regionalismus behielt seine politische Relevanz. Sehr deutlich wird dies auch bei der behutsamen Integration der neuen Provinzen, etwa im Falle Magdeburgs, wo zwar ein Kondominat des Domkapitels fortan ausgeschlossen war, die Stände aber bis hinein in die Steuerverwaltung entscheidende Positionen in der Hand behielten 92 ; sie wurden auch zu wichtigen Konferenzen des Generalkriegskommissariats in Berlin zugezogen. In der Residenz war man sich noch lange dieses individualisierenden Verfahrens bewußt. "AlB der höchstsehlige Churfürst Friedrich Wilhelm glorwürdigsten andenkens, das Hertzogthum Magdeburg bekommen, nach absterben des Administratoris, undt aus einem Ertz Stifte, ein Hertzogthum geworden, so ist dahmahlen daßeibe gantz gelinde tractiret, undt ihnen viel eingewilliget worden, so bey andern Provincien nicht ist", heißt es in einem Gutachten des Jahres 1713 93 . Die ständische Beteiligung an und in der Steuerverwaltung war aber durchaus nicht ganz einzigartig. In Magdeburg, Halberstadt und auch in Minden fungierten halbständische (Ober-)Steuerdirektorien an Stelle kollegialisch entwickelter Kriegskommissariate; in einigen Fällen hatte der (Ober-)Kriegskommissar in diesen Kollegien Sitz und Stimme 94 , diese standen auch unter dem Generalkriegskommissar in der Residenz.
90 Druck bei Christian Otto Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum ... , Bd. 4, Berlin/Halle (1738), 3. Abt. 2. Kap., Nr. 9, Sp. 101-118, hier Sp. 101; siehe auch das Marginal von 1660: UA, Bd. 10 (FN 73), S. 390. 91 Otto Hötzsch, Stände und Verwaltung von Cleve und Mark in der Zeit von 1666 bis 1697 (= Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 2. Tl.,), Leipzig 1908, S. 875 f., Nr. 15 (26.2. / 8. 3. 1687); Carsten (FN 37), S. 20l. 92 So auch Neugebauer, Stände (FN 81), S. 180, auch zum Folgenden; ferner S. 175, S. 179 und passim; diese doch überdeutliche These und Argumentation gründlich mißverstanden von Andrzej Kamienski, Die Anfänge des Absolutismus in Brandenburg-Preußen um die Mitte des 17. Jahrhunderts, in: JGMOD 43 (1995), S. 25 - 44, hier S. 35 Anm. 4l. 93 Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz (GStAPK), II. HA., Generaldirektorium, Magdeburg, Tit. III, No. 4, Gutachten des Geh. Rates G. H. v. Borck vom 7. April 1713. 94 Hintze, Staat und Gesellschaft (FN 85), S. 347 f., 356; Tümpel (FN 4), S. 102104; Neugebauer, Stände (FN 81), S. 174, S. 176, 180.
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Dieses Faktum wirft ein bezeichnendes Licht auf Stand und Grenzen der Realunion, d. h. der institutionellen Integration in Brandenburg-Preußen um 1700/13. Deren Fortschreiten in hierarchischen, gesamtstaatlichen Strukturen schloß also starke ständische Positionen, d. h. einen politisch bedeutsamen Regionalismus nicht aus. Der Kurfürst respektierte dieses Faktum - bezeichnend für den preußischen "Absolutismus" des 17. Jahrhunderts. Seit 1655/60, also seit dem ersten nordischen Kriege mit seinen besonderen Belastungen für die brandenburg-preußische Monarchie, gab es an der Spitze der Kommissariatshierarchie Generalkriegskommissare übrigens waren dies seit 1669 Personen, die nicht aus Brandenburg stammten 95 . Die Domänenverwaltung erreichte diesen Grad der Hierarchisierung und Zentralisierung erst seit 1689, als eine über den Amtskammern Prüfungsbefugnisse ausübende Hofkammer eingerichtet wurde 96 • Aber auch auf diesem Sektor der Staats- und Provinzialverwaltung hat sich der Prozeß der Unterordnung, nach Regionen verschieden, bis in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. erstreckt. Daneben wird man die Rolle des Hofes, wie ich meine, für die Integrationsentwicklung nicht überschätzen dürfen. Seine Bedeutung lag doch mehr auf dem politischen Gebiet, d. h. als Demonstration von Rang und politischen Zielen. Unbeschadet der vor und nach 1688 platzgreifenden Ausweitung der Hofausgaben und auch der Entwicklung des kulturellen Niveaus 97 , wird man die Grenzen der Integrationskraft des Hofes einer seit 1613 reformierten Dynastie in einem lutherischen Lande beachten müssen 98 . Der Anteil von Landfremden, etwa Personen, die dem Reichsadel angehörten, konnte auch desintegrative Folgen haben. Die gezielte Förderung von Herren, die nicht aus den Landschaften Brandenburg-Preußens stammten, Wolters (FN 87), S. 82 - 92, 96 -105; A. W. Prinz von Preußen (FN 87), S. 30 - 38. Breysig, Finanzen (FN 75), S. 110 f., S. 414 (Instruktion); (Anton Balthasar König), Versuch einer Historischen Schilderung der Hauptveränderungen, der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Künste, Wissenschaften etc. der Residenzstadt Berlin, 3 Tl., Berlin 1795, S. 19 f.; vgl. unten FN 114. 97 Vgl. schon earl Hinrichs, Friedrich Wilhelm 1., König in Preußen, Eine Biographie, Jugend und Aufstieg, (2. Aufl. Hamburg 1943), S. 47 - 51, S. 154 -164, S. 262 f. (Schlüter), aus der neuesten Lit. bes. Peter Baumgart, Der deutsche Hof der Barockzeit als politische Institution, in: A. Buck, u. a. (Hrsg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jh., Bd. 1, Hamburg 1981, S. 25-43, bes. S. 27, 29ff.; in Bd. 3 dieser Reihe: Johannes Kunisch, Hofkultur und höfische Gesellschaft in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, S. 735 -744, bes. S. 737 -740; ders., Funktion und Ausbau der kurfürstlich-königlichen Residenzen in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, in: FBPG NF 3 (1993), S. 167 - 192, bes. S. 179 -182, und Heinz Duchhardt, Anspruch und Architektur: das Beispiel Berlin, in: FBPG NF 1 (1991), S. 3152, bes. S. 36 f., S. 51; die verjassungsgeschichtliche Funktion des Hofes bedarf weiterer Untersuchungen, bei denen u. a. nach der Verbindung von Adelslandschaften und Hof(-Fraktionen) zu fragen ist. 98 So Hahn, Territorialhoheit (FN 10), S. 377 f.; vgl. schon das Referat von Martin Hass, in: FBPG 23 (1910J, Sitzungsberichte, S. 16 f. 95 96
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scheint die Distanz zum Hof jedenfalls gesteigert zu haben. Getragen wurde die verfassungsgeschichtliche Entwicklung von anderen Faktoren. Schon vor 1700/1713 bestimmten machtstaatliche Zwänge die Entwicklung von der Personal- zur Realunion.
IV. Von der Stärkung des Gesamtstaats zur Strukturpolitik in der Peripherie Nicht eigentlich der Erwerb der preußischen Krone, sondern die Erweiterung des integrationspolitischen Instrumentariums kennzeichnet in verfassungsgeschichtlicher Hinsicht Brandenburg-Preußen um 1700. In einem umfassenderen verfassungsgeschichtlichen Verständnis wird man auch Instrumente wie die gezielte Förderung der pietistischen Aktivitätskonfession hallischer Prägung dazuzählen können, die, gegen Angriffe etwa von den lutherisch-orthodoxen Landständen aus Berlin-Cölln geschützt 99 , dann aus den mittleren Provinzen hinaus gesamtstaatliche Bedeutung und Wirkung erlangte. Die Universität Halle gewann dabei um und seit 1700, vor allem aber in der Zeit Friedrich Wilhelms 1. eine gesamtstaatliche Funktion. Aus ihren Absolventen wurden nicht zufällig wichtige PfaIT- und Schulstellen im ganzen Staat besetzt, und zwar in erstaunlich enger Abstimmung zwischen dem Monarchen in Potsdam-Berlin und den Häuptern des hallischen Pietismus, wie die Minüten des preußischen Kabinetts (seit 1728) zeigen lOO . Bekanntlich hatte auch die Siedlungspolitik unter Friedrich Wilhelm 1. nicht allein eine ökonomische und bevölkerungspolitische Motivation, sondern auch eine starke religiöse Komponente. Jedenfalls wird auch das berühmte ostpreußische Retablissement, das im Unterschied zu den Siedlungswellen von Hugenotten, Schweizern und Pfälzern nicht im wesentlichen auf die Städte und einige wenige ländliche Gegenden des Raumes Berlin-Brandenburg-Magdeburg beschränkt blieb, auch als ein Vorgang der Integrationspolitik zu betrachten sein. Denn dabei ging es auch darum, mit 99 Vgl. die Stücke der Akte im GStAPK, I. HA., Rep. 52 (Magdeburg), Nr. 130; aus der Lit. insbesondere Klaus Deppermann, Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (1.), Göttingen 1961, bes. S. 62 - 68, S. 119 -147, S. 172 ff., und natürlich Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung, Göttingen (1971), S. 59, 94 -119 und passim. 100 Vgl. im GStAPK, I. HA, Rep. 96 B, Bd. 1 (1728 - 30), zu 1729 und die folgenden Bände passim, dazu in Bd. 3 das Dekret an Cnyphausen, 3. Mai 1730 (Abschr.); zur Universität vgl. die Rezension von Dtto Hintze in: FBPG 14 (1910), S. 310; und mit weiterer Lit. zusammenfassend Walfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 2, hrsg. von D. Büsch, Berlin/New York 1992, S. 605 -798, bes. S. 620 - 627, S. 645. Beispiel: Götz van Seile, Geschichte der Albertus-Universität zu Königsberg in Preussen, 2. Aufl., Würzburg 1956, S. 140-144.
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Mitteln des Gesamtstaates, mit Geld (und Leitungspersonal) der mittleren Provinzen zumal, einer durch Hunger, Pest und materielle Ausplünderung zugunsten des Hofes zu Cölln in eine veritable Katastrophe gestürzten Provinz nicht nur wieder aufzuhelfen. Es ging zugleich um einen Versuch, den äußersten östlichen Außenposten strukturell - bis hin zu Konfession und Wirtschaftsstilen - an die mittleren Provinzen heranzuführen, und das mit Summen in Millionenhöhe 101 • Mit großem Engagement und einiger Härte 102 hat Friedrich Wilhelm I. diese - im Effekt natürlich begrenzte - Politik in seiner ganzen Regierungszeit betrieben, eine strukturstrategische Schwerpunktsetzung in der "Peripherie". Diese Retablissements- und insbesondere Siedlungspolitik wurde von Berlin aus gelenkt, erfolgreich insbesondere durch die Salzburgerkolonisation. Zu einer Zeit, in der auch ohne weitere künstliche (und künstlerische) Förderung der Residenzlandschaft um Potsdam, Berlin und ·Wusterhausen deren Sogwirkung auf die mittleren Provinzen integrationsrelevante Folgen zu zeigen begann, wurden diese trotz des begrenzten Instrumentariums der Merkantilpolitik und vielfältiger innerer Zollgrenzen zum integrationspolitischen Zentrum des Staates. Dabei müssen auch indirekte Folgen staatlicher Lenkung berücksichtigt werden. So berichtet der Akademiepräsident Gundling im Jahre 1730, daß der Getreideüberschuß aus dem Magdeburgischen "auf der EIbe nach der Havel und Spree ... verschiffet" werde, nicht das einzige Zeugnis für integrative Marktmechanismen in den mittleren Provinzen mit dem Residenzzentrum Berlin-Potsdam103 • Daß diese Ent101 Vgl. bes. Fritz Terveen, Gesamtstaat und Retablissement. Der Wiederaufbau des nördlichen Ostpreußen unter Friedrich Wilhelm 1., Göttingen/Frankfurt/Berlin 1954, passim, bes. S. 7, S. 18 - 23, S. 27 ff. (Lenkung durch Berlin), S. 39 - 44: Städtebau in Litauen, S. 55 ff.; Ausgaben und Ergebnisse: Max Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen ... , Leipzig 1874, S. 161 ff., Salzburger: S. 170 - 221; Rudolph Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. in seiner Tätigkeit für die Landescultur Preußens, Leipzig 1878, ND Osnabrück 1965, S. 35 - 41, S. 49, S. 141 f.; GStAPK, 11. HA, Generaldirektorium Ostpreußen II, Nr. 1861. Zur Veränderung der Schwerpunktsetzung 1740: Walter Mertineit, Die friderizianische Verwaltung in Ostpreußen. Ein Beitrag zur Geschichte der preußischen Staatsbildung, Heidelberg (1958), S. 31 f., S. 135 f. 102 Zur zunehmenden Verwendung von nicht aus der Provinz kommendem Personal unter Brechung des Indigenats schon Terveen (FN 101), S. 48 ff., S. 52, S. 81, S. 149; vgl. auch GStAPK, 11. HA, Gen. Dir. Ostpreußen II, Nr. 1849, Immediatbericht vom 22. März 1725; vgl. auch noch: Acta Borussica ... Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung (zit.: A.B.B.), Bd. 4, 1. Hälfte, Berlin 1908, S. 674. 103 Erst an zweiter Stelle nennt er noch Hamburg: Jacob Paul Freiherr von Gundling, Geographische Beschreibung des Hertzogthums Magdeburg ... , Leipzig/Frankfurt 1730, S. 102; vgl. auch z. B. den Immediatbericht Grumbkows vom 28. Mai 1713, A. B. B., Bd. 1, S. 468f.; zur "Zentralisierung des Heeresbekleidungswesens" durch die Lagerhausmanufaktur vgl. Carl Hinrichs, Das Königliche Lagerhaus in Berlin, in: FBPG 44 (1932), S. 46 - 69, hier S. 50; weitere Entwicklung: Neugebauer, Brandenburg (FN 71), S. 393. Merkantilpolitik und Zollgrenzen unter Friedrich Wilhelm 1.: Hugo Rachel, Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, in: FBPG 40 (1927), S. 221- 266, hier S. 237 f., S. 259.
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wicklung im weiteren 18. Jahrhundert noch ganz andere Dimensionen und Reichweiten bis hin nach Westpreußen und auch nach Pommern zeigte, kann hier nur angedeutet werden. Damit ist nun allerdings auch gesagt, daß der Integrationsprozeß, der vor 1740 eine letzte administrative Steigerung erreichte, nicht allein als verfassungs- und verwaltungsgeschichtlicher Vorgang im engeren Sinne aufgefaßt werden sollte. Was unter Friedrich Wilhelm I. bewußt bewirkt werden konnte, war vielleicht das nach den Möglichkeiten der Zeit erreichbare Maximum. Aber die Grenzen des Integrationsgrades dürfen keineswegs ausgeblendet werden, und manches war schon vorbereitet, was nun unter diesem Monarchen der innenpolitischen Askese zum preußischen 'lYPus gesteigert wurde. Dies gilt sogar für die Lieblingsmaterie Friedrich Wilhelms, natürlich für das Militär. Denn die Organisierung des Heeresersatzes in bestimmten geographischen Einheiten kannte man in Brandenburg-Preußen schon im 17. Jahrhundert und die Anfänge des Beurlaubungswesen sowie die Einrollierung, weitere wesentliche Charakteristika des preußischen Kantonsystems, gab es schon um 1700, bzw. sie haben sich dann sehr bald in der Praxis herausgebildet 104 . Friedrich Wilhelm I. verknüpfte 1733 diese Elemente zu einem System und übertrug es dann, wenn auch nicht ohne gewisse landschaftliche Modifikationen, auf die verschiedenen Provinzen, zuletzt 1735 auch auf diejenigen im äußersten Westen 105 • Bei all diesen Prozessen spielte die Zäsur des Kronerwerbs im Jahre 1701 keine Rolle. Dies gilt, wie zu zeigen ist, gleichfalls für die Verwaltungsentwicklung und auch ganz offenbar für die Zentralisierungsbestrebungen im Bereich der Gerichtsverfassung. Denn schon vor dem limitierten Appellati104 Meinardus (FN 76), Bd. 5, Nr. 222, S. 260 (1657, Enrollierung); Robert Freiherr von Schrötter, Die Ergänzung des preußischen Heeres unter dem ersten Könige, in: FBPG 23 (1910), S. 403-467, bes. S. 406f. ("Territorialsystem" Ende 17. Jh.), S. 420, 429; Hans Helfritz, Geschichte der Preußischen Heeresverwaltung, Berlin 1938, S. 151, S. 156 ff., S. 165 ff.; Curt Jany, Die Kantonverfassung Fhedrich Wilhelms I., in: FBPG 38 (1926), S. 225 - 272, bes. S. 225 - 228; ders., Geschichte der Königlich Preußischen Armee bis zum Jahre 1807, 1. Bd., Berlin 1928, S. 358, S. 679-714; Wolters (FN 87), S. 120; Darstellung und Quellen bei H. von Gansauge, Das brandenburgischpreußische Kriegswesen um die Jahre 1440,1640 und 1740, Berlin/Posen/Bromberg 1839, S. 96 - 99, S. 232 - 239. 105 Näheres bei Jany, Kantonverfassung, S. 244f., zu frühen Exemtionen in den Westprovinzen S. 248; zur nur kurzfristigen Geltung der Kantonverfassung in den Westprovinzen vgl. jetzt Jürgen Kloosterhuis, Bauern, Bürger und Soldaten. Quellen zur Sozialisation des Militärsystems im preußischen Westfalen 1713 - 1803. Regesten, Münster 1992, bes. S. XVI f., und danach Peter Burschel, Von Prügel und höherer Kultur. Über eine Quellensammlung zur Sozialgeschichte des preußischen Militärs, in: FBPG, NF 3 (1993), S. 251- 254, bes. S. 252; Ubersicht zum Jahrhundertende über die Kantone (einschließlich der Grafschaft Mark); Anton Friedrich Büsching, Zuverlässige Beyträge zu der Regierungs=Geschichte König Friedrich II. von Preußen ... , Hamburg 1790, S. 395 - 410.
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onsprivileg von 1702, dessen Vorgeschichte freilich weit in das 17. Jahrhundert zurückreicht, und vor der darauf folgenden Einrichtung des Oberappellationsgerichtes (1703)106 gab es ganz offenbar von Berlin-Cölln aus Versuche, die Autonomie der Rechtssprechung in den Territorien zu schwächen, d. h. auch in dieser Hinsicht Zentralisierung und Integration voranzutreiben. Damit gewann allerdings, wie sich zeigen läßt, gerade zur Zeit des Kronerwerbs die Reichsgerichtsbarkeit in den mittleren und westlichen Provinzen an neuerlicher Bedeutung. Denn in den "Landes Gravamina der Stände des Herzogthums Magdeburg" vom April 1701 wird schon über die Verletzung der "Reichs-Fundamental-Geseze" geklagt und das damit begründet, daß in die Justiz dieser Provinz mittels "Rescripte(n)" hemmend eingegriffen werde. Es wird die Praxis geschildert, daß Urteils akten aus Magdeburg "nach Cölln an der Spree abgefordert" und die Sprüche aufgehoben würden, ferner daß "die Sachen gewißen Commissarien untergeben, von Ihnen Sententien abgefaßet, und der Regierung zur Publication zugeschicket" worden wären, "undt auch Hiedurch veranlaßet wird, daß die Parteyen sich an des Reichs höheste Gerichte wenden und Hülffe suchen müßen. Wozu auch die Jenige genöthiget werden, welche ... Klare Judicata vor sich haben, solche aber von Commissarien unter dem praetext, alß wäre übel geurtheilet, aufgehoben werden, und also die Jenige, welche das schönste und begründeste Recht vor sich haben, daßeIbe ungekräncket nicht behalten können. Wodurch dann diese ebenfalls höchst gedrenget werden, die Manutention derer Judicatorum bey des Reichs höhesten Gerichten zu suchen". Gerade dieser Weg wurde aber, wie ebenfalls in diesem Stück geklagt wird, den "Ständen" nunmehr verweigert. Statt dessen werde versucht, diese Materien vor den "Königl. Geheimen Rath" zu ziehen 107 . Die Resolution aus Berlin, unterzeichnet von dem Geheimen Rat Paul von Fuchs, gab den Ständen Recht und bestätigte ausdrücklich den Magdeburgern die Möglichkeit, sich an die Reichsgerichte zu wenden 108 . Es ist deutlich: So wie vier Jahrzehnte zuvor der frühe "Absolutismus" im Osten das Herzogtum Preußen aus den ostmitteleuropäischen, nämlich polnischen (Lehns-)Beziehungen herauszutrennen bemüht gewesen war, so warf die Zentralisierungspolitik in denjenigen Landschaften, die zum Heiligen Reich 106 Aus der reichhaltigen Lit. vgl. insbes. Kurt Perels, Die allgemeinen Appellationsprivilegien für Brandenburg-Preußen, Weimar 1908, S. 39 - 54; Jürgen Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland, Köln/Wien 1976, S. 141 f.; Hubrich (FN 5), S. 359 f.; Jürgen Regge, Kabinettsjustiz in Brandenburg-Preußen. Eine Studie zur Geschichte des landesherrlichen Bestätigungsrechts in der Strafrechtspflege des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin 1977, S. 130, zur Gerichtsverfassung der verschiedenen Territorien: S. 98 -128. 107 GStAPK, 1. HA, Rep. 52, Nr. 175,1, Ausf., mit mehreren Privatsiegeln, dat. 11. April 1701. 108 Resolution vom 22. Juli 1701, GStAPK, 1. HA, Rep. 52, Nr. 175,1.
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gehörten, analoge Probleme auf. Innere Integration und Schärfung der preußischen Grenzen gingen Hand in Hand. Bekanntlich ist das aber nur sehr begrenzt gelungen. Mochte auch nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms 1., und übrigens nicht zum ersten Mal, den Ständen der betreffenden Gebiete ein Verzicht auf den Rekursweg zu den Reichsgerichten nahegelegt worden sein, so behielt dieser Rechtszug als Instrument gegen die Berliner Zentralisierungspolitik, wie auch Fälle der folgenden Jahrzehnte beweisen, zumindest bis zum Appellationsprivileg von 1746/50 noch potentielle und praktische, jedenfalls erhebliche politische Bedeutung 109 . Insofern ist auch diejenige Politik, die Friedrich Wilhelm seit seiner Kronprinzenzeit auf dem Gebiet der Verwaltungsorganisation betrieb, nicht (im Sinne des traditionellen Borussozentrismus) ohne großregionale, Verfassungslandschaften berücksichtigende Zusammenhänge zu erklären. Integration und Separation gehörten im 17. und im 18. Jahrhundert zusammen, und die Grenzen des staatlichen Integrationseffektes dürfen nicht übersehen werden. Soviel aber bleibt richtig: seit 1712, als mit Rückendekkung des Kronprinzen das Generalkriegskommissariat kollegialisch ausgebaut worden war 110 , trat die Integrationspolitik in den alten Provinzen in ihr letztes Stadium ein. Gleich 1713 schlug die vereinheitlichende Verwaltungspolitik auf die Ebene der Provinzen durch. So wie Ostpreußen für den König die Provinz der Siedlungspolitik war, so Magdeburg die Landschaft, bei der er den Hebel zur Unifizierung der Landesstellen ansetzte. Denn es heißt in den Akten ausdrücklich, daß bei der" Veränderung der Ober Steuer Directoriorum" in dieser Provinz "der Anfang gemacht" werden solle 111 . Hier wie auch in Halberstadt und in Minden wurden nun, analog zu den schon bestehenden Einrichtungen in anderen Provinzen 112, Kriegskommis109 J. Perels (FN 106), S. 57 - 61, S. 67, 105 -111; man vgl. (skeptischer) Rudolf Smend, Brandenburg-Preußen und das Reichskammergericht, in: FBPG 20 (1907), S. 465 - 501, hier S. 487 f.; A. B. B. (FN 102), Bd. 1, S. 537 ff., Bd. 2, S. 310; für die Folgezeit und zum Allodifikationsstreit Neugebauer, Stände (FN 81), S. 183 -186, (Lit.: S. 202 - 205). 110 A. B. B. (FN 102), Bd. 1, Nr. 61, S. 184ff. (Reglement vom 7. März 1712), vgl. auch S. 176ff., Nr. 60; dazu earl Hinrichs, Die preußische Zentralverwaltung in den Anfängen Friedrich Wilhelms 1., zuerst 1958, wieder in ders., Preußen (FN 83), S. 143; ders., Friedrich Wilhelm 1. (FN 97), S. 609 - 613, auch S. 520, S. 706; zum 1713 gegründeten Generalfinanzdirektorium, u. a. für die Domänensachen: A. B. B., Bd. 1 (FN 102), Nr. 123, S. 363 ff. 111 Z. B. im Immediatbericht des Generalkriegskommissariats vom 22. April 1713, GStAPK, 11. HA., Gen. Dir. Magdeburg, Tit. III, Nr. 4; den Ständen sollten dadurch ihre Rechte nicht bestritten werden; vgl. dazu auch zahlreiche Drucke: A. B. B. (FN 100), Bd. 1, Nr. 117, S. 358, ferner S. 368 - 376, S. 420 - 426; Protest der Stände: Nr. 150, S. 449ff., das Reglementfür das Magdeburger Kommissariat: Nr. 160, S. 474495, und Register S. 818 ff.; dazu und zum Folgenden Neugebauer, Stände (FN 81), S. 181, und S. 200 f. zu den damals dem Verf. zugänglichen Quellen, aus der Lit. bes. Hanns Gringmuth, Die Behördenorganisation im Herzogtum Magdeburg. Ihre Entwicklung und Eingliederung in den brandenburgisch-preußischen Staat, Phil. Diss. Halle-Wittenberg, Halle 1934, S. 36 ff.; zu den Obersteuerdirektorien FN 94.
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sariate gegründet. Aber der Bruch mit der ständischen Tradition war weniger tief, als es bisher schien. In Minden wird man eher von einer Umbenennung 113 des alten halb ständischen Obersteuerdirektoriums sprechen müssen; hier wie in Halberstadt haben noch in den folgenden Jahren Ständevertreter im Kommissariat mitgewirkt, und zwar in Magdeburg außer dem ehemaligen Oberempfänger Johann Ludwig Krautt auch die früheren Mitglieder des Engeren Landesausschusses Witte, von Förder und der von Dieskau, sie alle nun ordentliche Mitglieder des Magdeburger Kriegskommissariats 114 . Auch nach der Aufhebung des ständischen Kreditwerks - etwa gleichzeitig mit der Auflösung des ostpreußischen Landkastens als selbständiger ständischer Institution - waren also ausgerechnet in den Kriegskommissariaten der alten Stiftslande durchaus auch in der Verwaltungspraxis effiziente ständische Einflüsse vorhanden. Und wenigstens in Magdeburg blieben sie auch über die Zäsur von 1722/ 23 hinaus erhalten, als nach der Einsetzung des Generaldirektoriums als oberster preußischer Innen-, Finanz- und Militärverwaltungsbehörde nun auch in den Provinzen mit der Vereinigung der Kommissariats- und der Amtskammerkollegien ein letzter Schritt zur administrativen Vereinheitlichung auf der mittleren Instanzebene getan wurde. Das Muster der kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer stand dabei Pate 115 . Mochte der König auch grundsätzlich und in Königsberg auch in der Praxis darauf drängen, daß die Beamten des Kollegiums nicht in ihrer Heimatprovinz ange112 Zu den besonderen Verhältnissen in Kur- und Neumark vgl. Neugebauer, Brandenburg (FN 71), S. 328, S. 340; die Kurmark stand bis 1722/23 direkt unter dem Generalkriegskommissariat. 113 Vgl. A. B. B. (FN 102), Bd. 1, S. 369. Neugebauer, Stände (FN 81), S. 181; Tümpel (FN 4), S. 107. 114 GStAPK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175,1, etwa die Eingabe der Magdeburgischen Stände vom 9. Februar 1714, zu Witte und v. Förder, die Zahl drei im Protokollextrakt des Geh. Rates vom 7. Juni 1713: GStAPK, II. HA, Gen. Dir. Magdeburg, Tit. III, No. 4; darüberhinaus die Landräte bei Bedarf im Kommissariat mit Sitz und Stimme, schon Gringmuth (FN 111), S. 39 Anm. 90, S. 46, S. 48, wo auch "starke ständefreundliche Tendenzen" im Magdeburger Kommissariat konstatiert werden! Vgl. auch A. B. B. (FN 102), S. 328 Anm. 5, S. 421 f., Anmerkung 1; Gott/ried Wentz, Die Familie Krautt in Berlin und Magdeburg, in: FBPG 38 (1926), S. 1- 29, bes. S. 21 f.; zu Ostpreußen mit weiterer Lit. Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 70 f.; Ausschaltung ständischen Einflusses auf die Domänen um 1714: August Skalweit, Die ostpreußische Domänenverwaltung unter Friedrich Wilhelm I. und das Retablissement Litauens, Leipzig 1906, S. 38 ff. 115 Aus der Lit. z. B. Hans Haussherr, Verwaltungseinheit und Ressorttrennung vom Ende des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Berlin 1953, S. 7 -10; Hintze, Hohenzollern (FN 5), S. 289 f.; A. B. B. (FN 102), Bd. 3, S. 537 - 651; Reinhold August Dorwart, The Administrative Reforms of Frederick William I of Prussia, (2. Aufl.) Westport/ Connecticut (1971), S. 161 ff., S. 168; Kriegs- und Domänenkammern: A. B. B., Bd. 3, Nr. 295, S. 681-723, bes. S. 714, und Karl Heinrich Sieg/ried Rödenbeck, Beiträge zur Bereicherung und Erläuterung der Lebensbeschreibungen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen, Könige von Preußen, 1. Bd., Berlin 1836, S. 31-77; - zum Magdeburger Personal vgl. A. B. B., Bd. 4, 1. Hälfte S. 606, S. 803.
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stellt würden116 , so ist dieses Prinzip jedenfalls bei der Kriegs- und Domänenkammer in Wesel "nicht durchgeführt worden,,117. Auch in Gumbinnen herrschten nach 1723 alte Familien des Landes. Neben den Kammern standen in den Provinzen weiterhin die, freilich wichtiger Kompetenzen beraubten alten Regierungs- (und Konsistorial-) Kollegien, für geistliche, Hoheits- und Justizsachen zuständig. Insofern blieb hier eine traditionale Institutionenschicht auch in der Regierungszeit Friedrich Wilhelm 1. erhalten 118. Es spricht also einiges dafür, die hier nur in wesentlichen Umrissen geschilderte Politik administrativer Vereinheitlichung unter Zurückdrängung landständischer Institutionen nicht zu überzeichnen. Nicht nur das bis zur Jahrhundertmitte auch im Westen und in Ostpreußen eingeführte Landratsamt bot in seiner prinzipiell halbständischen Funktion Spielräume für die zudem bald wieder wachsende Einflußnahme der alten Landesfamilien 119 . In Pommern ist zwar eine neue Kreiseinteilung durchgeführt worden, sie schloß sich aber sehr eng an alte historische Territorialeinheiten an, so daß sogar "einige ganze adlige Kreisverbände ... bestehen blieben: der Borckesche, Dewitzsche, Ostensche und Flemmingsche Kreis"120; in ihnen waren die Landratsstellen erblich. Zuletzt sind Landräte in Kleve-Mark (1753) und 1752 in Ostpreußen eingeführt worden, aber gerade hier haben sich die alten ständischen Einheiten, die Hauptämter, trotzdem als Institutionen eines wieder virulent werdenden ständischen Lebens erhalten - und zwar bis in das 116 Dazu interessante Stücke in GStAPK, Ir. HA, Ostpreußen Nr. 1845, von 1723. 117 So mit weiteren interessanten Mitteilungen Ernst Bammel, Zur Geschichte der
Preußischen Verwaltung im Regierungsbezirk Düsseldorf, in: Festschrift zur Einweihung des neuen Regierungs-Gebäudes, Düsseldorf 19. Oktober 1911, (Düsseldorf 1911), S. 5 -77, hier S. 25f.; vgl. zur preußischen Kammer Eduard Rudolf Uderstädt, Die ostpreußische Kammerverwaltung ... , Teil 1, in: Altpreußische Monatsschrift 49 (1912), S. 586 - 597; Alexander Horn, Die Verwaltung Ostpreußens seit der Säcularisation 1525 -1875. Beiträge zur deutschen Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Königsberg 1890, S. 284 - 290; zur litauischen Kammer(-Deputation) die auf intensiven Aktenstudien beruhende Behördenpublikation: Festschrift zur Einweihung des Regierungsgebäudes zu Gumbinnen Mai 1911, (Berlin 1911), darin von KaZisch, Geschichte der Regierung und des Regierungsbezirks Gumbinnen, S. 5 -165, S.49f. . 118 Regierungen: Tümpel (FN 4), S. 100, S. 110f.; Hubatsch (FN 4), S. 29; zum ostpreußischen Fall Hintze, Erster König (FN 85), S. 332 - 334 (formale Verbindung mit dem Berliner Geh. Rat 1706/ 10!). 119 Tümpel (FN 4), S. 132ff.; aus den Arbeiten von Klaus Vetter z. B.: Kurmärkischer Adel und preussische Reformen, Weimar 1979, S. 82 - 85; Elsbeth Schwenke, Friedrich der Große und der Adel, Phil. Diss. Berlin 1911, S. 11 f.; zum Landrat in Ost- (und West-)Preußen Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 77 (Lit.), hier Wahl- und Präsentationnach 1786/87, S. 99. 120 Berthold Schulze, Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809 -1818, Berlin 1931, zum 18. Jh. S. 6f. (Lit.); Gerd Heinrich, Staatsdienst und Rittergut. Die Geschichte der Familie von Dewitz in Brandenburg, Mecklenburg und Pommern, Bonn 1990, S. 111.
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frühe 19. Jahrhundert 121 . Auch für den städtischen Bereich hat die neuere Forschung mit guten Gründen davor gewarnt, den Grad der durch Rathäusliche Reglements und Steuerräte bewirkten Vereinheitlichung zu überschätzen. In der Städtelandschaft an Weichsel und Pregel ist die Belebung kommunaler Partizipation lange vor dem Freiherrn von Stein eingetreten 122. Unter der Folie des Absolutismus lebte ein politisch bedeutsamer Regionalismus fort, temporär nur geschwächt durch die Zentralisierungs- und Integrationspolitik des zweiten Königs. In Pommern blieb es vor und nach 1740 bei der regelmäßigen Mitwirkung von Ständedeputierten an der "Festsetzung des Kontributionsquantums" 123, die Ständekonvente in Vorpommern traten als Ausschußlandtage an die Stelle der größeren Versammlungen; auch die hinterpommersche Landstube wurde nicht aufgehoben. In der Mark Brandenburg wurden die Kreise zum Rahmen des ständischen Lebens, und das Kreditwerk in der Spandauer Straße von Berlin hielt in der Jahrhundertmitte wieder "Landtage" ab, von denjenigen in Kleve-Mark, wenn auch von Friedrich Wilhelm 1. ein wenig diszipliniert, ganz zu schweigen 124. Das alles spricht dafür, daß selbst unter Friedrich Wilhelm 1. Inte121 Adolf Schill, Die Einführung des Landratsamtes in Cleve-Mark, in: FBPG 22 (1909), S. 321- 374, bes. S. 329 ff.; Bammel (FN 117), S. 24; Ostpreußen: Georg Christoph von Unruh, Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft, Köln/Berlin 1964, S. 67; aus der älteren Lit.: Franz Gelpke, Die geschichtliche Entwicklung des Landrathsamtes der preußischen Monarchie ... , Berlin 1902, S. 58; und die Diss. von Eduard Rudolf Uderstädt, Die ostpreußische Kammerverwaltung, ihre Unterbehörden und Lokalorgane ... , Phil. Diss. Königsberg 1911, S. 142 -150; Hannelore Juhr, Die Verwaltung des Hauptamtes Brandenburg / Ostpreußen von 1713 bis 1751, Phil. Diss. FU Berlin 1967, S. 159 f.; weitere Lit. bei Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 77 ff., S. 93. 122 Gerd Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preußen unter dem Absolutismus (1660 -1806), in: W. Rausch (Hrsg.), Die Städte Mitteleuropas im 17. und 18. Jahrhundert, Linz 1981, S. 155 -172, bes. S. 157, S. 160, S. 163 ff.; treffend schon Carl Wilhelm von Lancizolle, Grundzüge der Geschichte des deutschen Städtewesens mit besonderer Rücksicht auf die preußischen Staaten, Berlin/Stettin 1829, S. 99 -103; für die ausgeprägten und erhalten gebliebenen Eigentümlichkeiten der Stadtverfassung pommerseher Städte Otto Vanselow, Zur Geschichte der pommersehen Städte unter der Regierung Friedrich Wilhelms 1., Phil. Diss. Heidelberg 1903, S. 26 - 31; Magdeburg: Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, 2. Aufl., Frankfurt a.M. /Berlin/Wien 1984, S. 167 ff.; zur (relativ) geringen Tiefe staatlichen Durchgriffs im Westen vgl. Ilse Barleben, Die Entwicklung der städtischen Selbstverwaltung im Herzogtum Kleve während der Reform Friedrich Wilhelms 1., Phil. Diss. Bonn 1931, S. 42 - 47 (Einschränkung der Herrschaft der Magistratsfamilien). Zu den Steuerräten insgesamt: GStAPK, 11. HA., Generaldirektorium Ostpreußen, I, Nr. 86; Ostseeraum: Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 126 -151. 123 Schwenke (FN 119), S. 8; Otto Hintze, Zur Agrarpolitik Friedrichs des Großen, in: FBPG 10 (1898), S. 275 - 309, hier S. 280; Konvente: Martin Wehrmann, Geschichte von Pommern, 2. Bd., Gotha 1906, S. 202; G. Heinrich, Ständische Korporationen (FN 78), S. 163, S. 169 Anm. 18. 124 Baumgart, Kurmärkische Stände (FN 72), S. 134, S. 137, S. 144-160; nach Akten Neugebauer, Brandenburg (FN 71), S. 375 (Landtage!); earl Wilhelm von Lancizolle, Ueber Königthum und Landstände in Preußen, Berlin 1846, S. 90 -101, S. 105110 (Kreditwerk); ferner der Überblick von Klaus Vetter, Die Stände im absolutisti-
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gration auch modifizierte Assimilation von Traditionen gewesen ist, bezogen primär auf diejenigen Materien, die für den Machtstaat von vitaler Bedeutung waren, vor allem, wie gezeigt, auf Heeresverfassung und Finanzorganisation, vielleicht schon weniger auf die Wirtschaftsförderung. Nicht nur, daß der Begriff des "Einheitsstaates" (E. Schmidt)125 verfehlt sein dürfte. Ganz wesentlich ist überdies, daß bestimmte Materien, das (niedere) Schulwesen, das von ländlichen und städtischen Patronatsherren sehr effektiv regierte Kirchenwesen, ja sogar erstaunlich lange die Justizverfassung auf der provinzialen und erst recht auf der unteren, insbesondere gutsherrschaftlichen Ebene, von traditionalen Verhältnissen bestimmt blieben. Wir haben es hier mit Strukturen von langer Dauer zu tun, im geistlichen Bereich eindeutig in vorabsolutistische Zeiten verweisend l26 . Es würde lohnen danach zu fragen, ob diesem 'lYP selektiv-partieller Staatsbildung derjenige universeller, umfassenderer, vielleicht phasenverschoben "moderner" Staatsbildung gegenüberzustellen ist. Möglicherweise gehört dazu dann die theresianisch-josefinische Staatsreform, durch die, nicht ohne Vorbereitung durch den "Frühabsolutismus" des 17. Jahrhunderts, sehr viel umfassender und tiefgreifender Integrationspolitik betrieben wurde l27 . Ein Kreisamt kannte man jedenfalls in Preußen um 1740 nicht. Das schließt nicht aus, daß die Zusammenhänge der preußischen Länder und Provinzen zu den jeweiligen größeren Verfassungslandschaften geschwächt worden sind. Dies gilt für Ostpreußen sicherlich insofern, als die früheren guteJ;l Kontakte und willkommenen Möglichkeiten zur Anlehnung an Polen im 18. Jahrhundert nicht mehr genutzt werden konnten; allerdings sehen Preußen. Ein Beitrag zur Absolutismus-Diskussion, in: ZfG 24 (1976), S. 12901306, hier S. 1292ff.; Neugebauer, Stände (FN 81), S. 180ff.; ders., Wandel (FN 3); zu Kleve-Mark Leo Wollenhaupt, Die Kleve-Märkischen Landstände im 18. Jh., Berlin 1924, ND Vaduz 1965, S. 13 ff., Kämpfe unter Friedrich Wilhelm 1.: S. 53 - 65; Francis L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany. From the Fifteenth to the Eighteenth Century, Oxford 1959, S. 327 ff., S. 338 ff. 125 Eberhard Schmidt, Rechtsentwicklung in Preussen, Berlin 1929, ND Darmstadt 1961, S. 12 - 22. 126 Dazu Neugebauer, Absolutistischer Staat (FN 11), und ders., Bildung, Erziehung und Schule im alten Preußen. Ein Beitrag zum Thema: "Nichtabsolutistisches im Absolutismus", in: K.E. Jeismann (Hrsg.), Bildung, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1989, S. 25 - 43; ders., Brandenburg (FN 71), S. 371 ff., (Justiz) - jeweils mit umfangreicher Lit.; zum geistlichen Bereich vgl. bes. Gerd Heinrich, Amtsträgerschaft und Geistlichkeit. Zur Problematik der sekundären Führungsschichten in Brandenburg-Preußen 1450 -1786, in: G. Franz (Hrsg.), Beamtentum und Pfarrerstand 1400 -1800, Limburg-Lahn 1972, S. 179 - 238, etwa S. 212 f. 127 Aus der Lit. Friedrich Walter, Die Theresianische Staatsreform von 1749, Wien (1958), bes. S. 34 - 60, Kreisämter: S. 52 f.; vgl. auch Hans Sturmberger, Kaiser F.erdinand H. und das Problem des Absolutismus, in: ders., Land ob der Enns und Osterreich. Aufsätze und Vorträge, Linz 1979, S. 154 - 187, bes. S. 163 -177; vgl. statt weiterer Lit. Joseph Kropatschek, Buch für Kreisämter ... , 3 Bde. (in 4), Wien 1789/90, etwa Bd. 1, S. 7 - 34; vgl. Wolfgang Neugebauer, Staatswirksamkeit in Osterreich und Preußen im 18. Jahrhundert. Problemskizze am Beispiel des niederen Bildungswesens, in: Jeismann (FN 126), S. 103 -115.
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hat Friedrich Wilhelm I. beim Adel dieser Landschaften bezeichnenderweise immer noch ein starkes Interesse an den "Polnischen Privilegia" und insbesondere an dem Liberum veto konstatiert 128 ; und als die russische Besetzung im Siebenjährigen Kriege dazu Gelegenheit bot, wurden die Stände sofort wieder offen aktiv und arbeiteten, was ihnen Friedrich der Große nie verziehen hat, eng und gut mit der neuen Herrschaft zusammen - zumal auf Seiten beider Partner Angehörige derselben baltisch-preußischen Familien tätig waren 129 • Stärker war gewiß die Integration und Separation im Falle der mittleren Provinzen. Als gleich 1713 der neue König daran ging, die Landesstellen der mittleren Ebene zu vereinheitlichen und die alten Landräte, die als Landesräte Funktionen in der gesamtprovinzialen Ständeorganisation des Herzogtums Magdeburg wahrnahmen, nach brandenburgischem Muster zu Kreisoffizianten zu machen 130 , argumentierten die Stände einmal mehr 131 mit den Strukturen und Rechten des Alten Reiches. Dazu rechneten sie besonders den "Oßnabrüggischen Friedensschluß" , womit diese "Provinz auch sich dabey bis anhero wohl befunden". Bisher hatten die alten Landräte immer direkt unter dem Landesherrn gestanden, und sie wurden, wie sie mitteilten, als solche auch "in Nieder-Sächsischen Creyß Sachen gebrauchet". Nun sollten sie 132 nach brandenburgischem Muster diese Stellung verlieren - wenn sie unter das Kommissariat gestellt würden 133 . Wie es scheint, ging es den Ständen um 1713 nicht nur um ihre Stellung in ihrem Land, sondern auch um diejenige im Alten Reich. V. Fazit
Faßt man die Entwicklung vom 15. Jahrhundert bis 1740 zusammen, so wird trotz des dynastischen Momentes, wie es etwa auch in der Politik zugespitzter Zentralisierung mit der Handschrift Friedrich Wilhelms I. entge128 So 1722 bei Dietrich (Hrsg.), Testamente (FN 2), S. 229; zu den 1670er Jahren vgl. Rachel, Stände (FN 79), S. 39; Josef Paczkowski, Der Große Kurfürst und Christian Ludwig von Kalckstein, Tl. 1, in: FBPG 2 (1889), S. 407 - 513, hier S. 453 - 496. 129 Mit Nachweis der Archivalien Neugebauer, Wandel (FN 3), S. 81 f., S. 88. 130 Vgl. Harald Bielfeld, Geschichte des magdeburgischen Steuerwesens ... , Leipzig 1888, S. 57 f., S. 117, S. 139; Hintze, Einleitende Darstellung (FN 64), S. 421; ders., Landratsamt (FN 88), S. 386; ders., Staat und Gesellschaft (FN 85), S. 347 f. 131 Auf den Westfälischen Frieden beriefen sie sich auch wiederholt in den Verhandlungen um das Kreditwerk (1716): GStAPK, 1. HA., Rep. 52, Nr. 175,1, etwa die Eingabe der Stände vom 3. Okt. 1716 ("durch des Heyl. Röm. Reichs Grundt Gesätze, dem Oßnabrüg. Friedens Schluß ... "). 132 "Monita" und Anschreiben der magdeburgischen Landräte vom 27. Mai 1713, GStAPK, 11. HA., Gen. Dir. Magdeburg, Tit. III, No. 4. 133 Daß es darum ging, zeigt die Eingabe der "Stände des Hertzogthums Magdeburg von Dohm-Capitul, Praelaten, Ritterschaft und Städten", dat. Magdeburg, 26. Juni 1713, GStAPK, 11. HA., Gen. Dir. Magdeburg, Tit. III, No. 4; vgl. zur Sache A. B. B. (FN 100), Bd. 1, S. 629 ff.
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gentritt, davor gewarnt werden müssen, diesen Faktor in der brandenburgisch-preußischen Geschichte zu sehr zu betonen. Überhaupt ließe sich fragen, ob die bis weit in das 18. Jahrhundert wirksamen und nach 1749/56/ 86 noch sehr viel aktiveren ständisch-korporativen Elemente nicht auch als Träger der Integration verstanden werden müssen, wie die Befriedungspolitik in der Mark des 16. Jahrhunderts oder etwa die Strategie gestufter Integration unter dem Großen Kurfürsten in enger Kooperation mit den Ständen nahelegt. Jedenfalls sollte das herrschaftliche 134 , schon gar nicht das monarchische Element, unangemessen isoliert werden. Ja es ließe sich sogar argumentieren, daß die einzige wirkliche Gefahr für die Integration erst der brandenburgischen und dann der brandenburg-preußischen Gebiete von keinem anderen Faktor als von der Dynastie ausgegangen ist. Denn das gilt nicht nur für die wiederholten Teilungsprojekte des 15. und 16. Jahrhunderts; es gilt auch bekanntlich für die Regierungszeit des Großen Kurfürsten, der sich bis zu seinem Tode mit unterschiedlichen Plänen trug, nachgeborene Prinzen mit eigenen Territorien auszustatten. Es ist hier nicht mehr im einzelnen zu verfolgen, wie - von Testament zu Testament nicht einheitlich und zuletzt wieder ohne freies Bündnisrecht - der Grad landesherrlicher Selbständigkeit zugemessen werden sollte. Auf jeden Fall tritt hier aber ein dynastisches Denken entgegen, das eine mehr oder weniger vollständige Desintegration der eben erst zusammenwachsenden Territorien nicht nur zuließ, sondern wollte. Es ist das Verdienst des ersten KurfürstenKönigs, dies verhindert zu haben 135 • Das heißt nun natürlich nicht, daß die Integrationsentwicklung gleichsam ohne die Hohenzollern erfolgt wäre, aber die Grenzen dieses Zieles in der Politik noch des Großen Kurfürsten beleuchtet es doch. Immer dann, wenn bis zum späteren 17. Jahrhundert die Entscheidung für staatlichen Zusammenhalt oder für das dynastische (Versorgungs-)Motiv zu fällen war, konnte sehr wohl das letztere die Oberhand gewinnen. Erst 1710/13 ist dann auch hausgesetzlich diese Option beseitigt worden 136 . Man vgl. dazu grundsätzlich Smend, Verfassung (FN 6), S. 42 f., vgl. auch S. 20. Dazu sei verwiesen auf Heinrich, Preußen (FN 122), S. 125 f.; Tümpel (FN 4), S. 18 - 25, S. 27 f.; Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2. Tl., Göttingen-Frankfurt-Zürich 1978, S. 317 f., die Einleitung bei Caemmerer, Testamente (FN 5), S. 3* f., S. 195 - 209 (S. 202 jüngerer Sohn mit Halberstadt und Egeln "mit allen Pertinentien, fürstlicher Landeshoheit", mit Sitz und Stimme auf Reichs- und Kreistagen, S. 203: beschränktes Bündnisrecht, 1664), 1670: S. 224 ff.; 1676: S. 239 - 245 (S. 240: "Superiorität" behält Kurfürst), 1680: S. 249 - 261 (Separierung von Minden, Halberstadt, Ravensberg, Bütow u. a.m., S. 255: "Superiorität" des Kurfürsten); ferner Hallmann (FN 50), S. 1924; Schulze (FN 51), S. 580 f.; Bernhard Erdmannsdörffer, Das Testament des großen Kurfürsten, in: Preußische Jahrbücher 18 (1867), S. 429 - 441, bes. S. 434f., S. 437 f. 136 Schulze (FN 51), S. 591 f., S. 607 f., S. 738; Caemmerer, Testamente (FN 5), S. 5*, S. 436 - 444; Hintze, Hohenzollern (FN 5), S. 281. 134
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Aber wenn - mit Smend zu sprechen - das Element persönlicher Integration 137 im preußischen Falle nicht überschätzt werden darf, so treten, wie wir sahen, korporative, institutionelle, funktionale und sachliche Faktoren um so stärker in den Blick. Die Frage nach den Amtsträgern, unter denen auch nach dem 15. und frühen 16. Jahrhundert landfremde und in die Landeseliten nur schwach Integrierte, seit dem 17. Jahrhundert nicht zuletzt die Reformierten hervortreten, stellt sich in diesem Lichte neu 138 • Der staatsbildende Druck des "Schiebens und Drängens der Mächte", die Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Militärwesens und die aus ihm erwachsende Kommissariatsverwaltung transzendierten dynastische Zäsuren. Dabei geht es um die vorsichtige Gewichtung der verschiedenen Faktoren in der preußischen Verfassungsgeschichte, nicht um die Leugnung des Wirkungselements der Dynastie per se. Auf die Struktur der Personalunion noch im 17. Jahrhundert wurde ja nachdrücklich hingewiesen. Daß aber im preußischen Falle die Summe der Integrationseffekte nie ohne die Gegenrechnung des europäischen Regionalismus gezogen werden kann, das haben wir gesehen.
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In etwas anderem Sinne Smend, Verfassung (FN 6), S. 25 ff.
Reformierte: Martin Lackner, Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten, Witten 1973, S. 170, S. 188, S. 305 f.; Heinrich, Preußen (FN 122), S. 74, 124, und die Analyse: ders., Adel (FN 78), S. 300; ders., Amtsträgerschaft (FN 126), S. 200 f., vgl. z. B. die Eingabe brandenburgischer Ständedeputierter vom 10. Nov. 1696, Brandenburg LHA Potsdam, Pr. B. Rep. 23 A, B 60; vgl. für die brandenburgischen Verhältnisse die Phasenfolge von fränkischer, sächsischer und magdeburgischer Periode bei Friedrich Holtze, 500 Jahre Geschichte des Kammergerichts, Berlin 1913, S. 46, Anm. 2 (für die Zeit bis zum frühen 17. Jh.). 138
Aussprache Kunisch: Ich will es unternehmen, Sie beide in meine Fragen einzubeziehen, vielleicht mit unterschiedlicher Gewichtung. Ich habe in Ihren Ausführungen zwei Elemente, die in der ganzen Dynamik frühneuzeitlicher Staatsbildungsvorgänge meines Erachtens eine zentrale Rolle gespielt haben, vermißt. Das eine ist das in Österreich ausgeprägt hervortretende Konfessionalisierungsproblem, das in der jüngeren Forschung als ein ganz maßgeblicher Faktor der frühneuzeitlichen Staatsentwicklung eingeschätzt worden ist. Mir scheint gerade in der österreichischen Geschichte mit Händen zu greifen zu sein, welche Dynamik von den gegenreformatorischen Impulsen nach 1600 ausgegangen ist und wie diese Energien dann wirksam geblieben sind - zumindest bis in die Zeit der Inkorporierung Ungarns. Gerade die Konfessionalisierung scheint mir einen ganz starken Modernisierungsschub in den Staatsbildungsprozeß hineingebracht zu haben. Wie die Dinge in Brandenburg-Preußen aussehen - Herr Neugebauer hat auf den Pietismus hingewiesen -, kann hier am Rande stehenbleiben. Doch fehlte mir im Referat von Herrn Neugebauer völlig der außenpolitische Aspekt. Herr Neugebauer hat zwar mehrfach auf das berühmte Hintze-Zitat hingewiesen, es aber unterlassen, diesen Aspekt konkret zu belegen. Er hat immer nur von Ambitionen oder Prätentionen der Dynastie gesprochen, die dann in ihrer Wirksamkeit immer wieder stark auf den Prozeß der frühneuzeitlichen Staatsbildung eingeschränkt worden sind. Mir scheint, daß der außenpolitische Impuls gar nicht überschätzt werden kann. Wenn man sich etwa den Nordischen Krieg ansieht, ist in erster Linie große Mächtepolitik im Spiel, in der man sich zu behaupten versucht hat. Und eine letzte Frage zum Schluß, die ich gerne an Herrn Kohler richten würde. Sie betrifft die Rolle des Hofes im Prozeß der frühneuzeitlichen Staatsbildung. Auch hier tritt ein Element hervor, das am Wiener Hof eine große Bedeutung gehabt hat. Volker Press hat sich ja dazu geäußert und herausgearbeitet, welchen Einfluß der Kaiserhof auf den Staatsbildungsprozeß in Österreich ausgeübt hat.Aussprache Neugebauer: Zur Frage der außenpolitischen Faktoren: Es wäre gewiß ein mehrfaches an Zeit notwendig gewesen, wenn man jeweils im Detail die Einwirkungen mächtepolitischer Konstellationen auf die Verfassungsentwicklung hätte aufzeigen wollen. Ich mußte also exemplarisch vorgehen und habe es versucht etwa beim Jahre 1604, weil in der Geheimen Ratsordnung auf die außenpolitischen Ambitionen (Preußen, Jülich-Kleve) aus-
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drücklich abgehoben wird und man hier bei einer Behördenbildung ganz konkrete außenpolitische Impulse sehen kann. Ich habe ausdrücklich die außenpolitischen Einwirkungen beim Jahre 1680 angesprochen, weil die Einwirkung der Kriegsbelastungen aus den Jahren nach 1675 in der Akziseordnung für die Mark Brandenburg ja bezeugt wird. Man könnte das gewiß noch öfter tun, etwa in einer detaillierteren Schilderung der Umstände, wie es nach 1655 zu einem permanenten Generalkriegskommissar gekommen ist. Man könnte so weit gehen, das als eine Dauerwirkung des ersten Nordischen Krieges anzusprechen, allerdings nur im Sinne einer doch auch einseitigen Zuordnung der Kausalitäten, denn die Kriegskommissariatsverwaltung besaß in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine gewisse Eigendynamik der Entwicklung. Aber man kann die außen- und mächtepolitischen Einwirkungen sicher noch etwas stärker betonen, als ich es ohnehin getan habe - das gebe ich gerne zu. Zum Hof und seiner Bedeutung für unsere spezifische Fragestellung: Ich muß es dabei belassen, ganz summarisch auf die neuesten Studien dazu zu verweisen, aber es gibt ja jetzt auch neuere landesgeschichtliche Arbeiten zum Adel bestimmter brandenburgischer Landschaften, die sehr deutlich aussagen, daß der Hof zu Berlin-Kölln mit einer Distanz betrachtet worden ist, gleichsam als eine Welt, zu der man nicht gehörte und von der man sich auch recht betont absetzte. Um 1690/1700 scheint dieser Trend noch zuzunehmen, und wenn man sich die etwas spätere ostpreußische Historiographie ansieht, und zwar Stimmen durchaus adelsnaher Autoren wie etwa Ludwig von Baczko, kann man den Eindruck gewinnen, daß die als landfremd empfundene Dynastie in Berlin, die sich nun den preußischen Königstitel nahm, doch auch mit einer gewissen Skepsis und wiederum auch mit Distanz betrachtet wurde. Das gilt unbeschadet der Tatsache, auf die Sie in Ihren neuesten Arbeiten, wie ja auch Herr Duchhardt, überzeugend hingewiesen haben, daß der Hof zu Kölln an der Spree eine große politische und künstlerische Bedeutung und Wirkung besessen hat, auch eine gewisse Demonstrationsfunktion nach außen, kulturelle Anzeige politischer Ambitionen. Aber für unsere vorgegebene Fragestellung nach den Faktoren der Integration, also gleichsam in das Land und seine Regionen hinein, bleibt vorerst noch Vorsicht geboten und Forschungsbedarf bestehen. Das meine ich auch nach der Durchsicht der Listen des Hofpersonals, wie sie bei Anton Balthasar König zu finden sind.
Kohler: Ganz kurz zu Ihnen, Herr Kunisch. Ich habe die Problematik anhand der Residenzen aufgezogen. Es ist von Bedeutung, wo die Hauptresidenz gewesen ist, in Wien oder Prag etc. Was ich nicht in Betracht gezogen habe, ist die Entwicklung des Hofadels, sowohl in Prag als auch in Wien. Ich habe in meinem Vortrag dynastische Schneisen geschlagen und weniger über die Stände gesprochen. Es ist mir durchaus bewußt, daß die Konfessio-
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nalisierung den Antagonismus zwischen den überwiegend protestantischen Ständen und der katholisch gesinnten Dynastie dynamisiert hat. Man schätzt in den österreichischen Ländern für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts einen protestantischen Bevölkerungsanteil von 70 bis 80 Prozent; eingehende Untersuchungen dazu gibt es bis heute nicht. Ferdinand II. ist ein Kaiser, der sich meines Erachtens nicht in die Kaisertradition einreiht, sondern vielmehr den Katholizismus und die Vereinheitlichung des konfessionell geteilten Reichsrechts durchzusetzen versucht und auf diese Weise Konflikte provoziert, die seine Vorgänger in ihrer Funktion als Friedensund Rechtswahrer vermieden haben. Ich habe den Eindruck, Ferdinand II. legte seine Konflikte, die er in den österreichischen Erblanden ausgetragen hat, auf das Reich um (man vgl. das Restitutionsedikt von 1629). Ich halte es für sinnlos, ihn als Protestantenfresser oder gar als Hitler des 17. Jahrhunderts zu charakterisieren; sinnvoll scheint mir hingegen, seine Politik im Bezugsrahmen der Institution des Kaisertums zu erörtern.
Schmidt: Zunächst darf ich mich dafür bedanken, daß uns die beiden Referenten über die Schwierigkeiten aufgeklärt haben, die auch bei den beiden späteren deutschen Großmächten der staatlichen Integration im Wege standen. Ohne daß dieser Begriff gefallen ist, haben sich beide am Interpretationsmodell "zusammengesetzte Staaten" orientiert, das derzeit vor allem im angelsächsischen Bereich diskutiert wird. Etwas überrascht bin ich allerdings über die Planung dieser Tagung, die uns zunächst eine sehr konservative Sicht der deutschen Geschichte vorspiegelt: ein Referat zur staatlichorganisatorischen Integration des Reiches am Ende des Mittelalters, zwei Vorträge zu den deutschen Großmächten am Beginn der Neuzeit, einen weiteren zur bayerischen Staatsbildung um 1800 dann aber wieder ein Referat über Deutschland auf dem Weg zur Reichseinheit. Wird hier nicht die alte Sicht des Reiches - vom Staat des Mittelalters zum frühneuzeitlichen Partikularismus und Zerfall - neuerlich suggeriert? Vom Reich ist in den Referaten von Herrn Kohler und Herrn Neugebauer kaum die Rede gewesen. Und wenn doch - wie bei Herrn N eugebauer - dann eher als retardierendes Moment: Die Appellationen aus bestimmten Provinzen an das Reichskammergericht haben die Integration des Gesamtstaates Brandenburg-Preußen behindert. Meine Fragen: Ist Staatsbildung im Reich und unter den Bedingungen der Reichsverfassung nicht doch etwas anderes als Staatsbildung in England oder Frankreich? Welche Rolle spielt es für diesen Staatsbildungsprozeß, daß in den beiden hier angesprochenen Fällen Österreich und Preußen auch Teile integriert werden mußten, die außerhalb dieses Reichs angesiedelt waren? Baumgart: Ich vermute, Herrn Schmidt's Fragen können die Referenten nur partiell beantworten; wir könnten sie gleich in die Generaldiskussion
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übernehmen, wenn sie denn vorgesehen wäre. Im übrigen können wir uns auf die Reichsproblematik hier beschränken und gleichzeitig beide Referenten bitten, sich dazu zu äußern, bitte schön.
Kohler: Ich habe diese Reichsproblematik ganz bewußt zurückgenommen und an einer Stelle die Doppelfunktion der Habsburger als Kaiser und als Landesfürsten angedeutet - das gilt für Karl V. (siehe Burgundischer Vertrag 1548) in besonderer Weise, aber auch für Ferdinand 1. Deshalb auch meine Erwähnung der Reichsreligionsverfassung von 1555 (Augsburger Religionsfrieden), an deren Ausarbeitung Ferdinand 1. führend beteiligt war, die er für seine Erblande aber später auch nutzen konnte. Im Grunde saßen die österreichischen Stände auf dem kürzeren Ast; auch wenn es zu Absprachen mit dem Landesfürsten kam, konnten sie doch auf Dauer ihr evangelisches Bekenntnis nicht sichern. Dabei spielt auch die Frage nach der Instrumentalisierung der Osmanenfrage eine Rolle. Dabei ist seitens der österreichischen Historiographie lamentiert worden, die Reichsstände hätten den Habsburgern viel zu wenig Hilfe zur Abwehr der Osmanen geleistet. Es ist eine bis heute schwer zu beantwortende Frage, in welchem Verhältnis die aufgebrachten Hilfen der Reichsstände zur finanziellen Leistung der habsburgischen Länder im engeren Sinne standen. Ich meine, daß die Erblande letztlich die Hauptlast getragen haben. Neugebauer: Ich komme zu dem Stichwort "das Reich als retardierendes Moment", das heißt, die Frage von Herrn Schmidt. Wenn man die Politik und die Ziele Friedrich Wilhelms 1. zum Maßstab nimmt, war es das natürlich. Aber ich hätte trotzdem bei diesem Diktum meine Probleme, weil darin eine gefährliche Wertung läge und noch dazu eine spezifische kleindeutsche Perspektive deutlich würde, der ich ja gerade nicht folgen möchte. Ich habe ja die Kategorie des Alten Reiches hier eingeführt, nicht um zu zeigen, daß die magdeburgischen Stände gewissermaßen aus Prinzip eine retardierende Strategie verfolgten, sondern weil sie - wie mir scheint - dasjenige Stadium der Integration, das unter dem Großen Kurfürsten erreicht war, akzeptierten und als ausreichend ansahen, und eben dieses Stadium wollten sie bewahren und beibehalten, und zwar mit den sich aus diesem Zustand ergebenden Freiheitsräumen. Ich würde interpretieren: Rechtsschutz als Freiraum, nicht aber als ein Element, das Friedrlch Wilhelm 1. unrechtmäßig verkürzt habe; dabei würde sich ja sofort die Frage nach den Normen und Maßstäben des Urteils ergeben. Insofern möchte ich das Diktum "Reich als retardierendes Moment" für meine Sicht nicht übernehmen und eher in Klammern setzen. Ich kann mich dabei sicher Ihrer Interpretationsrichtung anschließen, will aber doch gerade nach den Aktenstudien der letzten Wochen deutlich hervorheben, d'aß auf diesem Felde noch einiger Forschungsbedarf besteht, etwa in Hinsicht der von mir angesprochenen Frage
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nach den bis 1750 appelationsfähigen Provinzen im System des alten Reiches, also der Problematik der Bedeutung der Reichsgerichtsbarkeit. Aber man sollte auch noch einmal die Stellung der Brandenburg betreffenden Reichskreise näher untersuchen, wenigstens was das 17. Jahrhundert anbetrifft, und vielleicht noch anderes mehr - ein Thema, dem ich vielleicht selbst noch einmal nähertreten werde.
Baumgart: Vielleicht darf ich mir als Diskussionsleiter doch eine Bemerkung zu dieser Fragestellung von Herrn Schmidt gestatten. Ich zweifele daran, Herr Schmidt, ob es denn richtig ist zu behaupten, daß die beiden Phänomene, die hier beschrieben worden sind, als Staatsbildung im Reich zu interpretieren seien. Denn im österreichischen Fall ganz eindeutig und im preußischen Fall wohl kaum weniger eindeutig war die Staatsbildung der gerade das Reich transzendierende Vorgang, ein Vorgang, der die Reichsgrenzen sprengte. Die wesentlichen Elemente etwa der österreichischen Staatsbildung seit dem späteren 17. Jahrhundert erfolgen in der Auseinandersetzung mit den Türken im Südosten außerhalb des Reiches, in Ungarn; und die preußische Staatsbildung gründete ja gerade auf einer Krone außerhalb des Reiches. Also insoferne wäre eine solche Fragestellung, streng genommen, nicht korrekt. Man sollte auch nicht, das möchte ich mir allerdings hier zu sagen erlauben, einen Reichsmythos kreieren, der gewissermaßen alles überdeckt und auf den alles bezogen werden müßte. Auch hinsichtlich der Politik des großen Kurfüsten im 17. Jahrhundert besteht dazu keine Veranlassung. Darüber könnten wir aber vielleicht parallel noch einmal diskutieren. In der Diskussionsfolge kommt nun Herr Schindling. Schindling: Ich kann an Herrn Schmidt und Herrn Baumgart unmittelbar anknüpfen. Also Staatsbildung im Reich, das trifft's in der Tat noch nicht ganz, aber trotzdem meine ich, man kann nicht, etwa wie Herr Kohler das gemacht hat, Österreich und das Reich so nebeneinander stellen. Das entspricht zwar einer ehrwürdigen Tradition österreichischer Historiographie genauso wie es analog einer Tradition preußischer Historiographie entspricht, aber in beiden Fällen würde ich doch eher im Sinne von Georg Schmidt Vorbehalte anmelden. Ich glaube, man muß vor allem von den Personen und ihren Rollen her denken. Österreich ist die Staatsbildung der Kaiserdynastie, also die Staatsbildung der Dynastie, die das Oberhaupt des Reiches stellt. Denn die Hauptfunktion in der Legitimität des österreichischen Landesherrn ist die des Kaisers, und die Legitimität des Erzherzogs von Österreich kommt ja letztlich vom Kaiser her. Die kaiserliche Würde ist immer der Hintergrund, auch für die Staatsbildung dann in Böhmen. Ungarn hat natürlich immer eine Sonderrolle, das haben Sie, Herr Kohler, ja sehr gut herausgearbeitet. Insoferne würde ich schon im Sinne von Herrn Moraw - man mag den Begriff erbländisches Deutschland mögen oder nicht
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- ich würde schon sagen, Österreich ist ein Sonderfall, das ist ganz klar, aber es ist eben der Sonderfall der Kaiserdynastie. Ich sage bewußt: der Kaiserdynastie, nicht des Kaisers. Die Nebenlinien gehören natürlich auch zur Kaiserdynastie, und was Brandenburg-Preußen angeht, würde ich sagen, das gehört in der Terminologie von Herrn Moraw, zu Reichstagsdeutschland; aber innerhalb von Reichstagsdeutschland ist Brandenburg natürlich auch etwas ganz Besonderes, nämlich ein Kurfürstentum, und man muß, glaube ich, hier vom Kurfürstentum und von der Kurfürstenrolle im Reich her argumentieren und muß deshalb Brandenburg auch mit den anderen Kurfürstentümern vergleichen, also zumindest bis ins spätere 17. Jahrhundert. Bis hin zum Großen Kurfürst halte ich den richtigen Vergleich nicht den zwischen Brandenburg-Preußen und Österreich, sondern der richtige Vergleich wäre Brandenburg und Bayern, Brandenburg und Sachsen usw. Übrigens, wenn ich das so marginal sagen darf, es ist mir schlagartig klar geworden, der Vergleich zwischen Joachim 11. und Hans von Küstrin, der ja von Wolfgang Neugebauer sehr pointiert akzentuiert war. Natürlich: Joachim 11. macht Kurfürstenpolitik, die auf das ganze Reich bezogen ist, die in der Nähe Karls V. sich abspielt, und deshalb auch seine Kirchenpolitik, und das bremst ihn in vielem; denn Hans von Küstrin ist von diesen Reichsverpflichtungen frei, er kann sehr früh protestantisieren, er kann Dinge machen, die dem Kaiser nicht gefallen, weil er keine Kurfürstenverpflichtung hat. Aus dem Kurfürstenamt sind Verpflichtungen für dessen Träger erwachsen, und das hat Rückwirkungen für die Territorialpolitik. Beim Kaiser ist es genauso, aus dem Kaiseramt erwachsen Verpflichtungen, sie haben Rückwirkung für die Territorialpolitik; etwa Maximilian 11. hat in seiner Kirchenpolitik entsprechende Konsequenzen gezogen. Ich würde Ihnen recht geben, Herr Kohler, Ferdinand 11. hat falsche Konsequenzen gezogen und deshalb hat er letztlich Schiffbruch erlitten im dreißigjährigen Krieg. Denn die forcierte Rekatholisierungspolitik des Restitutionsedikts widersprach dem Kaisertum und den Pflichten des Kaiseramtes, so wie es sich im 16.Jahrhundert geformt hatte. In beiden Fällen stehen Reichspolitik und Reichsposition in einem ganz engen Kausalverhältnis zur Territorialpolitik, und man muß sagen, aus den Verpflichtungen im Reich, aus der Wahrnehmung einer Rolle im Reich, geschieht etwas; man könnte hier geradezu mit Norbert Elias von der Kaiserposition oder der Kurfürstenposition sprechen. So wie bei Elias die Königsposition gewisse Konfigurationen auch sozialer Art und politischer Art nach sich zieht, so zieht - meine ich - die Kaiserposition im Reich und die Kurfürstenposition gewisse Konfigurationen nach sich, und das ist, glaube ich, in Österreich genauso wie in Brandenburg für die Territorialstaatsbildung, zumindest bis weit ins 17. Jahrhundert hinein ganz entscheidend wichtig. Dann allerdings im späteren 17. Jahrhundert kommen die europäischen großmächtlichen Aspekte hinzu, auf die Herr Kunisch Wert gelegt hat, da ist wohl der drei-
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ßigjährige Krieg mit dem Westfälischen Frieden eine wichtige Zäsur; jedenfalls bis zum Westfälischen Frieden glaube ich, daß man einerseits von der Kaiserposition der Habsburger-Dynastie und von der Kurfürstenposition der Hohenzollern-Dynastie her argumentieren sollte; und das ist nicht institutionengeschichtlich. Man darf da, glaube ich, nicht nur an die Institution denken, sondern man muß von solchen Positionen im Reich her denken. Der Kaiser als Reichsoberhaupt, der Kurfürst als Säule des Reiches, wie ja die Kurfürsten immer genannt wurden. Da ist noch ein kurzer zweiter Aspekt zum Konfessionalisierungsproblem. Also ich muß gestehen, das habe ich in beiden Vorträgen als zu kurz gekommen empfunden, denn die neuere Forschung hat die Konfessionalisierung ja sehr betont, und wenn man Herrn Schilling folgt, ist ja geradezu Konfessionalisierung ein zentrales Phänomen der frühneuzeitlichen Staatsbildung. Es wird da immer Preußen und Österreich so in einen Gegensatz gebracht. Ich sehe im Gegenteil Parallelen zwischen den Habsburgern und den Hohenzollern. Ich habe einmal einen Aufsatz über späte Konfessionalisierungen geschrieben, der ist bislang nur in englischer Sprache erschienen, noch nicht in Deutsch und da habe ich Ferdinand H. mit Johann Sigismund von Brandenburg verglichen. Es gibt durchaus Parallelen. Zunächst einmal, wenn man Herrn Schilling folgt, ist der Höhepunkt des Konfessionalisierungsprozesses noch im 16. Jahrhundert und diese späten Konfessionalisierungen erreichen ja nicht alles, was sie wollen. Ferdinand Ir. hat letztlich die geschlossene Katholizität im erbländischen Deutschland, sage ich mal, nicht durchsetzen können: Es hat die Geheimprotestanten in Böhmen und Mähren gegeben, es hat die schlesischen Protestanten gegeben, es hat aber auch in Ober- und Niederösterreich und Kärnten Geheimprotestanten gegeben. Dann waren die Grenzen für die Konfessionalisierung in Brandenburg ja noch viel deutlicher. Die Calvinisten sind auf den Hof begrenzt geblieben, und das ist vielleicht auch ein Grund, warum der Berliner Hof zwar ein gesamtdeutscher und europäischer Hof war, aber kein märkischer Hof. Die lutherischen Junker sind nicht an den calvinistischen Hof gegangen, aber umgekehrt waren die calvinistischen Adeligen und die calvinistischen Beamten des Berliner Hofes eine Stütze für den werdenden Gesamtstaat. Ich glaube schon, man kann hier gewisse interessante, zumindest Teilparallelen zwischen Österreich und Brandenburg sehen, da sie beide zu einem späten Zeitpunkt die wirklich totale Konfessionalisierung des Staates nicht geschafft haben, während Bayern, das sehr früh katholisch und im katholischen Sinne konfessionalisiert war, das war dann wirklich ein katholischer Staat, während die Habsburger Länder, die sind es erst spät und lückenhaft geworden. Die offizielle Katholizität hat man ja bekanntlich bis 1781 gewahrt, bis man dann gesehen hat, da hat es Preußen schlauer gemacht in diesem Feld. Und ich glaube, daß dann auch dieses Phänomen der Toleranz
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im 18.Jahrhundert eine ganz wichtige integrierende Wirkung gespielt hat, denn man hat andere konfessionelle Minderheiten an den Staat herangeführt und sie in den Staat eingebunden, und da waren in der Tat die Hohenzollern den Habsburgern um fast ein Jahrhundert voraus.
Kohler: Herr Schmidt, ich gebe Ihnen in vielem recht, etwa im Hinblick auf die Bedeutung des Kaisertums für die Politik der österreichischen Habsburger und auch für die Erweiterung des Staatsgefüges. Mit scheint Herrn Baumgarts Hinweis auf das Herauswachsen der Habsburgermonarchie - vergleichbar mit Preußen - von wesentlicher Bedeutung. Diese Entfaltungsmöglichkeit war durch die seit dem späten 17. Jahrhundert mögliche Rückeroberung Ungarns gegeben, und damit hat sich die Sonderrolle der Habsburgermonarchie im Rahmen des Reiches verstärkt. Bei der Konfessionalisierungsthese bin ich skeptisch, ob sie so umfassend tragfähig ist, wie das Heinz Schilling sehen möchte. Mir rückt diese Sichtweise zu sehr in die Nähe der Monokausalität. Denn gerade für die österreichischen Länder kann man fragen, ob die Rekatholisierung tatsächlich so effizient war. An der Oberfläche gewiß - innerhalb von zwei Generationen war die Bevölkerung wieder katholisch. Es gibt allerdings heute Einschätzungen auf protestantischer Seite, daß damit auch die Schädigung der "österreichischen Seele" verbunden gewesen ist, die manche Brüchigkeit von heute zu erklären scheint. Die Mehrheit der Bevölkerung machte diese Bewußtseinsveränderung - zwangsläufig - mit; doch das Zutagetreten des Geheimprotestantismus im Zuge der josefinischen Reformen ließ die Grenzen bzw. die Konsistenz des österreichischen Protestanismus schlagartig bewußt werden.
Neugebauer: Gestatten Sie bitte Bemerkungen zu zwei Punkten: Zum ersten zur Bedeutung der Kurwürde und zweitens die Frage der Konfessionalisierung für meine Fragestellung. Die Kurwürde machte in der Tat einen ganz wesentlichen Unterschied auch in der Belastung der Territorien aus, denn was etwa eine Reise zum Reichstag Joachim 11. gekostet hat, muß als sehr erheblich angesehen werden. Das hatte jeweils harte Konsequenzen für die Finanzlage des Monarchen, und zwar durchaus nicht nur kurzfristig. Am Küstriner Hof gab es immerhin 200 Personen, die verpflegt wurden, aber mit dieser Größenordnung kam man am Hofe des Kurfürsten schlechterdings nicht aus. Die Lasten nahmen zu, obwohl das Land nach 1535/36 geteilt war und insofern die finanzielle Belastungsfähigkeit nicht gesteigert worden ist. Ein weiteres Element ist aber ganz sicher die für diese Zeit unterdurchschnittliche Monetarisierung des Hofes und der Hofwirtschaft zu Kölln an der Spree und in der Mittelmark. Ich will dabei nur auf die Studie von Droege aus dem Jahre 1966 verweisen. Die Bedeutung der Kurwürde auch für unsere Fragestellung ist, dem stimme ich also zu, sehr viel größer,
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als man bisher angenommen hat. Das gilt aber nun noch in einer anderen Hinsicht, was nämlich den Kurtitel als ranghöheren im Verhältnis zu den anderen Territorien der Hohenzollern vor dem Jahre 1700 betrifft. Ich habe in den Akten gefunden, daß z. B. der Titel des Herzogtums Magdeburg schon vor 1700 extern überlagert wird von dem kurbrandenburgischen. Bisher wurde ja immer argumentiert, daß der preußische Königstitel doch wenigstens eine nominelle Einheit der Territorien bewirkt habe, daß also, um ein Beispiel zu geben, die Kriegs- und Domänenkammer in Königsberg nunmehr eine königlich preußische war und dieser Titel nunmehr für die kurmärkische auch Verwendung fand. Das ist gewiß richtig und wichtig. Aber schon vorher, schon vor 1701, war die Amtskammer in Magdeburg die kurfürstlich brandenburgische Amtskammer in Magdeburg, das heißt, daß der Kurtitel spätestens im ausgehenden 17. Jahrhundert eine nominelle Klammer für den Gesamtstaat zu werden scheint. Damit wird das Argument, daß 1701 der Königstitel eine neue, nämlich eine nominelle Einheit der Territorien geschaffen habe, in etwas anderem Lichte zu sehen sein. Zur zweiten Frage, nämlich derjenigen der Konfessionalisierung im Falle der brandenburg-preußischen Geschichte und nach der Rolle der Toleranzpolitik: Wenn ich etwas zuspitzen darf, so ließe sich fragen: Wer tolerierte in Brandenburg eigentlich wen? Die Arbeiten von Ulrich Stutz haben ja sehr deutlich gezeigt, wie die reichsrechtliche Lage im frühen 17. Jahrhundert beschaffen war, und so könnte man argumentieren, daß die brandenburgische Toleranzpolitik postulierte, daß das lutherische Land bitte den reformierten Hof tolerieren möge, und nicht eigentlich umgekehrt. Was König Friedrich Wilhelm I. angeht, so zeigt sich, daß er so tolerant nun doch nicht gewesen ist. Als er z. B. in einer Berliner Vorstadt um 1730 beobachtete, daß Kruzifixe in der Öffentlichkeit getragen wurden, hielt er dies für katholisch und ließ sofort einschreiten. Ich würde den Toleranzaspekt nicht leugnen, ihn aber auch nicht überinterpretieren wollen. Unter dem Großen Kurfürsten hieß Toleranz ja auch die bewußte Förderung und Importierung reformierter Gruppen, also eine Verstärkung desjenigen Konfessionselements im Lande, dem die Hofgesellschaft angehörte oder doch nahestand. Nehmen wir aber die Bedeutung der Konfessionswechsel im 16. Jahrhundert in ihrer Wirkung auf die Integrationsentwicklung, etwa im Herzogtum Preußen des Jahres 1525, so ließe sich zeigen, daß eine Verstärkung des landesstaatlichen Ausbaus dadurch nicht bewirkt worden ist. Auf der Ämterebene oder auch in Königsberg, wo die Oberräte ja an die ordenszeitlichen Funktionen anknüpfen, ließe sich das wunderschön zeigen. Die Amtsbücher gehen über das Jahr 1525 hinweg, ohne von der Säkularisation Notiz zu nehmen. Und ganz ähnlich scheint mir der Befund in der Mark Brandenburg zu sein. Die Hofordnung Joachims 11. ist so nicht zu erklären, und zwar in keiner ihrer Redaktionen, die Ämterentwicklung auch nicht, und die Entstehung der
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kurfürstlichen Kammer hat auch ganz andere Wurzeln; eS bliebe allein das Konsistorium. Was die Bedeutung des Jahres 1613 betrifft, gibt es ja seit Droysen und Hintze die These, daß damit gewissermaßen der Anfang für eine aktive politische Haltung der Kurfürsten gesetzt worden sei. Daraus hat sich dann eine dagegen argumentierende Literaturmeinung ergeben, für die ich nur auf die mir außerordentlich einleuchtend scheinenden, aus intensiven Aktenstudien schöpfenden Schriften des jungen Gerhard Oestreich verweisen will, vor allem auf seinen Aufsatz über Kurt Bertram von Pfuel, aber auch auf die späteren Arbeiten und Lipsius und den Neustoizismus. Oestreich hat gegen die älteren, den Konfessionswechsel des Jahres 1613 auch etwas religionssoziologisch stilisierenden Studien etwa Hintzes zeigen können, daß die Gleichsetzung von Kalvinismus und Aktivitätspolitik einerseits und Luthertum als Konfession politischer Passivität andererseits nicht haltbar ist, jedenfalls nicht, Wenn man die brandenburg-preußische Empirie daraufhin überprüft. Gerade Phuel, ein Mann mit guten schwedischen Kontakten und Erfahrungen, dachte sehr in die Zukunft. Ich würde jedenfalls mit dem Paradigma der Konfessionalisierung im Hinblick auf die Fragestellung nach den tragenden Faktoren der Integration im brandenburg-preußischen Falle eher vorsichtig umgehen. Blaschke: In beiden Referaten spielte die Dynastie eine Rolle als Faktor der Integration, aber auch der Desintegration. Im Anschluß an die berechtigten Forderungen von Herrn Moraw, saubere Begriffe zu verwenden, muß man sich einmal fragen, was heißt eigentlich Teilung, Landesteilung. Es gibt hier drei Möglichkeiten, die unterschiedlich in der Intensität gestaffelt sind. Das eine ist die Totteilung. Es hat Länder gegeben, die ein für allemal geteilt worden sind, so daß die Teilung heute noch anhält. Ein Beispiel ist die Leipziger Teilung der wettinischen Länder von 1485. Nicht nur bis zum Ende der Monarchie, sondern bis heute gibt es eben die beiden Länder Thüringen und Sachsen als Ergebnis dieser Totteilung von 1485. Die zweite Möglichkeit, die Mutschierung, wie man es damals genannt hat, heißt, daß innerhalb eines geschlossen bleibenden Territoriums ein Teil herausgelöst und mit einer gewissen Selbständigkeit versehen wird. Ich nehme das Beispiel wieder aus dem sächsischen Bereich: Kurfürst Friedrich der Weise gibt einen Teil Kursachsens an seinen Bruder Johann, nämlich den thüringischen Teil. Die dritte Möglichkeit, die schwächste, ist dann die Teilung der Einkünfte. Im Albertinischen Sachsen ist 1505 der jüngere Bruder Heinrich mit zwei Ämtern ausgestattet worden, Herzog Georg blieb Landesherr und der jüngere Bruder hatte nur die Verwaltung und Nutznießung. Nun müßte man sich fragen, welche der Möglichkeiten, abgesehen von der Totteilung, etwa bei Habsburg oder Küstrin genutzt worden ist. Was bedeutet Selbständigkeit etwa der Tiroler Habsburger im späten 16. Jahrhundert? Waren sie 7 Der Staat, Beiheft 12
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außenpolitisch handlungsfähig, hatten sie eine eigene Wehrverfassung, eine eigene Finanzverfassung? Wir haben gehört, daß dieser Hans von Küstrin offenbar ein eigenes Finanzwesen gehabt hat, das sich deutlich von dem Gesamtstaat unterschieden hat. Und das sind doch Unterschiede, die auch Desintegrationswirkungen haben können. Gegenüber dieser Desintegration der Dynastie muß man nun doch wohl die eine durchgehende Integrationswirkung der Bürokratie feststellen. Ich verwende das Wort Bürokratie hier im wertfreien Sinne. Man kann wohl sagen, es gibt die zwei großen B für die Integration des frühneuzeitlichen Staates: Bargeld und Beamte. Nicht umsonst hat gerade Gerhard Oestreich vom Finanzstaat als der frühesten Phase des frühneuzeitlichen Staates gesprochen, ohne Bargeld und die das Bargeld verwaltenden Beamten wäre doch der moderne Staat nicht möglich gewesen. Erst die Umwandlung von Naturaleinkünften in Geldeinkünfte schafft die Beweglichkeit, die notwendig war, um materielle Grundlagen der spätmittelalterlichen Landesherrschaft zu zentralisieren, eben an der Residenz. Hier sind einfach diese beiden B - entschuldigen Sie bitte diese etwas lockere Formulierung - ganz entscheidend für die Förderung der staatlichen Integration, die Institutionalisierung, die damit verbunden ist, und in beiden Vorträgen war es ja deutlich geworden, ohne die Behördenbildung und ohne die Reformen in Richtung auf Behördenbildung, kommt es nicht zu diesem modernen integrierten Staat.
Neugebauer: Einige Bemerkungen zu den drei Typen von Teilungen, wie sie Herr Blaschke vorgetragen hat: Daß es im 16. Jahrhundert nicht zu einer Totteilung kam, war in der Tat ein dynastischer Zufall. Denn wenn Hans von Küstrin erbfähige Söhne gehabt hätte, hätte nichts dagegen gestanden, daß diese Gebiete, über die er im wesentlichen ostwärts der Oder regierte, auch weiterhin selbständig geblieben wären. Zwar hat Joachim 11. anfangs versucht, Hans von Küstrin auf das Niveau eines ersten Vasallen herabzudrücken; das ist aber sofort gescheitert. Hans von Küstrin ist ein - auch politisch - vollkommen selbständiger Reichsfürst gewesen, der dann 1571 ohne Söhne starb. Beim Großen Kurfürsten heißt es im Teilungstestament von 1664 (das dann allerdings nicht Wirklichkeit geworden ist) hinsichtlich des Fürstentums Halberstadt ausdrücklich: "Mit allen Pertinentien, fürstlicher Landeshoheit, Landen und Leuten ... " usw. Das kommt einer vollkommenen Abteilung zumindest sehr nahe. Mit den späten Testamenten, demjenigen von 1680 samt Kodizil von 1686, ist auch der Typ der Mutschierung vertreten, d. h. die Einheit soll an sich erhalten bleiben, allerdings doch mit einer gewissen Tendenz zu dem von Herrn Blaschke angesprochenen ersten Typ. Denn es wird die Reichstagsstimme derjenigen Gebiete, die abgesondert werden, nicht mehr im Namen des Kurfürsten abgegeben. Sie wird allerdings von Kurbrandenburg instruiert, aber abgegeben wird sie dann im Namen desjenigen, der die Gebiete erhalten hat. Das bezieht sich auf die
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Reichsstandschaft, die die jüngeren Hohenzollern also formell behalten, wenn sie auch in der Ausübung durch das gebundene Votum eingeschränkt werden. Das ist der Stand von 1680/86. Es gibt also noch mancherlei Übergangsformen. Die spätere Lösung, wie sie tatsächlich praktisch wurde, sieht dann so aus, daß Besitz abgesondert worden ist, allerdings in einer wiederum recht weitgehenden Form mit den Herrschaften Schwedt und Vierraden, die natürlich keinerlei eigene Militärverfassung, Standschaft auf Reichsund Kreistagen oder Bündnisrecht besessen haben, allerdings doch auf der unteren Ebene eine recht selbständige Verwaltungsorganisation, vor allem die Schwedter Kammer; landesherrliche Rechte aber besaßen die Markgrafen dieser Schwedter Linie bis zu ihrem Aussterben im späten 18.Jahrhundertnicht.
Kohler: Herr Blaschke hat die Teilung der Einkünfte schon angedeutet. Die Teilung von 1564 war auch mit der Teilung der Einkünfte verbunden. Man muß dabei die dynastische Dimension bedenken. Dazu wäre es nicht gekommen, hätte Ferdinand 1. nicht so viele Söhne gehabt, die versorgt werden mußten. Weiters gab es die bürokratischen Möglichkeiten, und es war später für Leopold 1. ein schwieriges Problem, die Effizienz der Staatsfinanzen zu steigern, weil sozusagen viel Geld zwischen 1nnsbruck, Graz und Wien versickert ist. Herr Blaschke, die Gefahr der Totteilung würde ich bei Habsburg nicht ausschließen; denn wenn es nicht die dynastischen Zufälle gegeben hätte, das heißt hätte die Tiroler Linie im 17. Jahrhundert weiterbestanden, oder wäre wegen der Kinderlosigkeit von Kaiser Matthias 1. nicht die innerösterreichische Linie im Kaisertum mit Ferdinand 11. nachgerückt, so wäre die Geschichte der Teilungen anders verlaufen. Die Geschichte der habsburgischen Länder ist immer von einem Wechselspiel zwischen geteilter und gesamter Herrschaft gekennzeichnet gewesen. Dynastien waren ja zu allen Zeiten von Fertilität, Mortalität und Sterilität geprägt - deshalb auch die Bedenken des Erasmus von Rotterdam, der in der dynastischen Politik nur bedingt ein tragfähiges Konzept für die Zukunft Europas gesehen hat.
Ruppert: Meine Frage geht an beide Referenten aber vor allen Dingen an Herrn Kohler, weil mir die Frage bei Herrn Neugebauer teilweise beantwortet zu sein scheint. Und zwar ist ja diese Staatsbildung in der frühen Neuzeit ein Phänomen, das man auf die Formel bringen kann: Wechselspiel zwischen Fürst und Ständen. Wenn man die Literatur ansieht, und das ist in den beiden Vorträgen auch wieder sehr klar geworden, scheint es zunächst so, daß wir viel mehr darüber wissen, was die Fürsten getan haben, aber die Motive scheinen bei den Ständen wiederum klarer zu sein. Die Stände sind das regionale Selbstbehauptungselement und das ständische Selbstbehauptungselement ist der konservativere Teil dabei. Deswegen zielt meine Frage 7*
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jetzt dahin, was sind die Motive für die Integration bei den Fürsten? Und zwar unter der Fragestellung: Geht es ihnen eigentlich nur darum, mehr Geld zu bekommen, geht es ihnen darum, ihre persönliche Herrschaft zu effektivieren oder geht es ihnen sogar darum, das was wir von unserer heutigen Perspektive her sehen können, geht es ihnen um Staatsbildung. Das ist eigentlich meine Frage, und als kleine Unterfrage eingeschoben - hat man denn auch gesehen, das klang glaube ich bei Herrn Kohler noch einmal an, daß eben eine Staatsbildung letztlich auch tödlich für eine dynastische Herrschaft sein könnte. Die dynastische Herrschaft war ja auch eine Herrschaft, die nur unter bestimmten Umständen funktionierte. In dem Moment, wo die Staatsbildung zu weit fortschritt, bestand ja schließlich die Gefahr, daß das persönliche Element des Herrschens nämlich auch überflüssig war. Und so ist auch die historische Entwicklung gegangen. Hat man diese Gefahren, wenn man die Staatsbildung zu weit betreiben würde, hat man diese Gefahren im 17.Jahrhundert schon gesehen? Aber zunächst einmal die Frage, was waren die Motive der Fürsten für diese Integration? Wir nehmen das nämlich, finde ich, viel zu selbstverständlich, daß sie so handelten.
Kohler: Ich glaube alle Fürsten, die mehrere Herrschaften mit verschiedenen Rechtsgewohnheiten und landständischen Vertretungen besaßen, hatten Probleme der Präsenz und der Durchsetzung ihres politischen Willens. Es blieb ihnen nur die Möglichkeit herumzureisen, und das war allein in physischer Hinsicht schon eine anstrengende Sache. Ich denke etwa an Karl v., der sich, wenn Sie so wollen, zu Tode gereist hat. Mit dieser Grundproblematik war die Intention der Integration seitens der Fürsten verbunden. In der von mir ausgeklammerten Frage der Erbhuldigung war es schwer denkbar, daß die Stände diese verweigerten. Im Zusammenhang mit denselben wurden in der Regel ständische Beschwerden vorgebracht, aber erst nach der erfolgten Huldigung - wenn überhaupt - behandelt. Auch hierbei wird die weitaus bessere Position der Fürsten gegenüber den Ständen sichtbar. Neugebauer: Ich habe auf die Grenzen des Integrationswillens beim Großen Kurfürsten hingewiesen, wie man sie schon aus seiner Herrschaftspraxis ablesen kann. Ich kenne - etwa für den Magdeburger Fall - kein Selbstzeugnis zu diesem Thema von ihm. Das mag auch daran liegen, daß er sich in den letzten zehn Jahren seines Lebens um die Interna des Staates nicht mehr allzu intensiv kümmerte und sich ganz auf die mächtepolitischen Felder konzentriert hat. Aber der Befund aus der Praxis ist ja auch deutlich genug. In dem politischen Testament haben wir aber Aussagen zu seinem Staatsbegriff und seinem Staatsverständnis, und da finden wir noch manchen sehr altertümlichen Zug, er zitiert aus dem 16. Jahrhundert Melchior von Osse. Die Sicherung der Außenländer, also vor allem Kleve und Preußen, beide mit den Kernprovinzen nicht verbunden, war für ihn vielleicht
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auch ein Motiv für die Härte des temporären Zugreifens, daneben sicherlich auch der Widerstand, den er gerade dort gefunden hat. Man denke an den Fall Roth oder dann auch an die Causa Kalckstein, obwohl letztere nicht eigentlich ein klassischer Ständefall gewesen ist - dazu mischt sich in diesen Vorgang allzuviel Persönliches hinein. Aber ich möchte doch so weit gehen zu behaupten, daß beim Großen Kurfürsten sogar der Wille fehlte, den Staat unterhalb der Ebene der zentralen Kollegien und Organe in Berlin zu einem homogenen Gebilde zu machen. Baumgart: Ich möchte an Herrn Kunisch noch einmal anknüpfen. Ich hätte Zweifel, ob die Interpretation, die Herr Neugebauer hier vom Politischen Testament des Großen Kurfürsten von 1667 gegeben hat, korrekt ist. Dort ist durchaus von Ambition, von Ehrgeiz, von dynastischem Willen die Rede, von einem Expansions- und Arrondierungsstreben. Da ist auch deutlich, daß dieser Kurfürst ein Gesamtstaatsbewußtsein von seinen Landen hatte; daß er nicht jede Integrationsmaßnahme auf der Ebene der Ämter oder Kreise nunmehr in dieses Testament hineinschrieb, erscheint mir eigentlich selbstverständlich zu sein, zumal er zu den eher schreibfaulen Zeitgenossen gehörte, die wenig geschrieben haben, anders als sein Urenkel. Wir können durchaus diese persönlichen machtstaatlichen, durch Staatsräson bestimmten Motive des Kurfürsten einmal fixieren. Ich glaube, wir sollten die Probleme nicht immer minimaliseren und relativieren in der Weise, daß wir sie einschränken oder reduzieren. Die Vokabel Reduzierung ist ja heute Vormittag schon wiederholt gefallen. Ich meine, sie ist nicht immer berechtigt. Aber das überschreitet die Kompetenzen des Diskussionsleiters, wie mir sehr wohl bewußt ist.
Wolf: Ich möchte Herrn Neugebauer fragen: Sie nannten den kurbrandenburgischen Titel in Magdeburg eine Klammer des Gesamtstaates. Ich meine, daß man das gerade anders interpretieren müßte. Meines Erachtens bedeutet die Mehrzahl der Titel gerade, daß es sich um verschiedene Länder handelt, um das Fürstentum Magdeburg und um die Markgrafschaft Brandenburg. Jeder Amtsmann im Hannöverschen ist königlich großbritannischer, herzoglich Braunschweig-Lüneburgischer Amtsmann und das bedeutet gerade nicht, daß es einen Gesamtstaat Großbritannien-Braunschweig-Lüneburg-Hannover gab. Es ist einfach eine Frage des Ranges. Der höchste Titel kommt als erster und deshalb kommen eben der Kurfürst des Reiches und der Markgraf von Brandenburg als Titel vorweg. Auch Preußen ist ja noch bis 1806 etwas ganz anderes als danach; um es überspitzt zu sagen: Berlin war bis 1806 keine preußische Stadt. Als Beweis: noch in Berlin erscheint 1803 eine Landkarte vom Königreich Preußen. Die Landkarte umfaßt nur das Gebiet von West- und Ostpreußen, von Memel bis Danzig, Berlin ist nicht auf der Landkarte des Königreichs Preußen drauf (das kommt erst
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nach den Reformen)! Wo es eine Staatseinheit gibt, fielen die Einzeltitel jedoch weg, wie wir an Frankreich sehen. Als der König von Frankreich im Mittelalter das Herzogtum Normandie und die Grafschaft Provence übernahm oder in der Neuzeit die Freigrafschaft Burgund oder das Herzogtum Lothringen, fügte er diese Titel nicht seinem Königstitel hinzu, sondern beließ es bei "Roi de France", das bedeutet die Staatseinheit. Die Aufzählung der einzelnen Titel bedeutet gerade nicht die Einheit.
Neugebauer: Ich halte es für wichtig, zunächst noch einmal den Diskussionszusammenhang herzustellen, wobei es um die Frage ging, welche Rolle der Königskrönung von 1701 im Integrationsprozeß zuzubilligen ist. In diesem speziellen Kontext habe ich mein Argument angewendet, weil man ja sagen konnte und in der Literatur häufig auch so argumentiert hat, daß die Krone doch immerhin nominell die Einheit der verschiedenen Gebiete der Hohenzollern verstärkt hat. Wenn nun aber schon der kurfürstlich-brandenburgische Titel vor 1701 gewissermaßen über die Grenzen wandert, so bedeutet dies für diesen Zusammenhang, daß das Argument der nominellen Einheit durch die Krone - jedenfalls meines Erachtens - an Bedeutung verliert. Ich habe bei dieser Aktenstelle ein Weile überlegt, was denn das eigentlich heißen soll? Ich denke, diese Interpretation zeigt einmal mehr, daß man die Bedeutung des Jahres 1701 für die Integrationsentwicklung Preußens noch näher untersuchen muß. Übrigens ist der Name Preußen auch in den folgenden Jahrhunderten nun durchaus nicht eindeutig immer im gesamtstaatlichen Sinne verwendet worden. Im Jahre 1822 bzw. 1823, das heißt bei der Schaffung der im Osten ja nicht ganz traditionslosen Provinzialstände, wurde mit dem Namen "Königreich Preußen" nur die Provinz, das heißt Ost- und Westpreußen bezeichnet. Hier ist also noch immer und auch in den folgenden Jahrzehnten ein älterer Preußen-Begriff verwendet worden, und zwar auch in Gesetzen, die Friedrich Wilhelm III. selbst unterzeichnet hat. Übrigens ging der Traditionsbestand der damaligen Terminologie noch um einiges weiter: fast wäre noch in der Gesetzesform in halbpolnischer Diktion von Landboten und Landbotenmarschall die Rede gewesen, das hat aber der Monarch dann doch gestrichen. Willoweit: Ich möchte noch einmal beide Referenten nach dem Grund der Integration fragen. Es ist ja so, daß es Parallelen gibt zwischen dem habsburgischen Gesamtstaat und dem hohenzollerischen. Eine Parallele liegt vor allem darin, daß die Regionen von sich aus offensichtlich gar kein Bedürfnis verspüren, sich zu integrieren. Sie ruhen in sich und möchten ihre eigene Verfassung bewahren. Die Impulse zur Integration kommen offenbar immer von oben. Wenn es nur eine Generalständeversammlung gegeben hat, dann war es wohl ein Interesse des obersten Herrn und nicht gerade der Stände, sich mit allen anderen gemeinsam zu versammeln. Ist das aber
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wirklich so? Zu der Frage, was dahintersteht, entnahm ich aus bei den Referaten, es sei Machtpolitik, außenpolitische Notwendigkeit vielleicht bei Preußen, dynastisches Denken beim Hause Habsburg. Könnten auch andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen? Es gab ja auch im späten Mittelalter Bildung von Großräumen, zum Beispiel von Polen uhnd Litauen - und eigentlich sollte noch Ungarn hinzukommen - oder aller skandinavischer Staaten in der Union von Kalmar. Und für diese Zeit, also für das 14., 15. Jahrhundert, fällt es schwer, von dynastischer Machtpolitik in demselben Sinne zu reden, wie dies für das 17. Jahrhundert möglich ist. Ich habe den Eindruck, damals ging es darum, großflächige Friedensräume zu schaffen, um Gefahren weit entfernt zu halten. Das heißt, die Tendenz zur politischen Zusammenfassung ganz unterschiedlich strukturierter Gebiete ist also älter und es stellt sich die Frage, ob dahinter in verschiedenen Zeitaltern wirklich verschiedene Motive stehen: Friedensordnung und Fernhaltung äußerer Feinde im späten Mittelalter, dynastisches Machtinteresse im 16. / 17. Jahrhundert, Rechtsgleichheit etwa im Sinne Napoleons im 19. Jahrhundert, um ein weiteres Beispiel zu nennen.
Kohler: Herr Willoweit, Sie sagten, die Regionen hätten kein Bedürfnis zur Integration gehabt. Warum gab es dann etwa Generallandtage in den habsburgischen Ländern - stand dahinter ein ständisches oder ein fürstliches Interesse? Ich denke, daß die Stände nicht das gleiche integrative Interesse wie der Fürst hatten. Es mußte auf ständischer Seite ein beträchtliches Unzufriedenheitspotential gegeben sein (wie 1518) oder die Einsicht, die Verteidigung gegen die äußere Bedrohung sehr ernst nehmen zu müssen (wie 1542 in Prag). Grundsätzlich bedurfte es seitens der Dynastie einer integrativen Ambition, die einzelnen Herrschaftsgebiete für gemeinsame Ziele zu formieren; die Stände blickten in der Regel viel weniger über ihren eigenen Wirkungsbereich hinaus - oder wollten dies traditionellerweise nicht, wie etwa die böhmischen Stände. Baumgart: Können Sie vielleicht auf diesen Punkt Lebensraum noch eingehen? Hat er eine große Rolle gespielt oder nicht? Kohler: Mir ist nicht klar, warum man zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit unterscheiden sollte. Friedenssicherung, Abwehr von Feinden etc. waren Aufgaben, die ein Herrscher grundsätzlich erfüllen mußte. Brauneder: Ich versuche mich kurz zu fassen und es paßt ein bißchen, was gesagt worden ist. Was die Integration in der Habsburger Monarchie anlangt, so muß man einmal davon ausgehen, was Herr Kohler ja unterstrichen hat, daß es in der frühen Neuzeit drei Linien gibt mit getrennten Behörden, mit Hofkriegsrä-
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ten sogar, mit Hofkanzleien, und zwar 100 Jahre hindurch. Nachdem die Linien zum Teil erloschen sind, lebt das getrennte Behördenwesen weiter. Diese Teilung halte ich für ganz eminent wichtig. Wenn man also den terminus technicus Monarchische Union von Ständestaaten verwendet, dann gibt es nicht die eine Habsburger Monarchie, es gibt von ca. 1550 für über 100 Jahre drei Monarchische Unionen von Ständestaaten, es gibt sozusagen drei Habsburger Monarchien. Was macht in ihnen die Integration aus? Der Impuls, das würde ich schon sagen, kommt überwiegend vom Landesfürsten. Aber: Die Stände machen mit, das hat Herr Kohler eigentlich nur mit Ausnahme Böhmens bestätigt. Dazu kommen weitere Beobachtungen, die wir noch nicht erwähnt haben: Die Monarchische Union bzw. dann die drei Unionen bemühen sich um eine moderne Rechtsordnung via Gesetzgebung. Dafür steht ungefähr das folgende alte Bild: Hie der moderne Landesfürst, er will vereinheitlichen, dort die altmodischen Ständes die sind dem Land verhaftet, sie sind dagegen. Das ist nach Kenntnis der Aktenlage unrichtig. Die Stände machen sogar bei jenen Polizeiordnungen, die alle niederösterreichischen Länder betreffen, also einen ganz großen Komplex von der Adria bis zum Böhmerwald, mit. Die einzelnen Landstände sagen nicht, das Geltungsgebiet ist uns zu groß, die Landesrechte sind damit zu sehr vereinheitlicht - es ist vielmehr sogar so, daß die Stände eine einheitliche Regelung des Fürkaufs verlangen und in diese Regelung sollen Bayern und auch Polen miteinbezogen werden. Vielleicht sind das mangelnde Geographiekenntnisse der Stände, aber jedenfalls ist das ein Indiz dafür, daß auch sie großräumig denken und durchaus nicht dem Land verhaftet sind. Für mich war es sehr überraschend, das zu sehen. Sodann ist an dem, was zu Preußen gesagt worden ist, auch für die Habsburger Monarchie etwas Wahres, nämlich sozusagen Integration der Habsburger gegen die Habsburger. Die erwähnte Herrschaftsteilung durch die Habsburger - darum habe ich es hier unterstrichen - geht ja massiv in die gegenteilige Richtung als Integration. Wäre die donauösterreichische Linie nicht ausgestorben, wäre die Tiroler Linie nicht auch ausgestorben, könnte man begründet Spekulationen darüber anstellen - ich mache jetzt einen Riesensprung - ob es die heutige Republik Österreich gibt, denn vermutlich hätte es die Vorstufen dazu nicht gegeben. Es gibt ja das schöne Buch, "Landesdefension und Staatsbildung" von unserem Kollegen Schulze, das beschreibt, wie Innerösterreich sich als Staat zu konsolidieren beginnt. Und jetzt komme ich auf noch etwas im Zusammenhang damit zu sprechen, nämlich das sogenannte Herauswachsen aus dem Reich. Ich verstehe das einfach nicht. Was heißt herauswachsen? Auf der historischen Landkarte wächst sozusagen die orange eingefärbte Habsburgermonarchie hinaus aus dem Reich und umfaßt vorübergehend sogar Serbien, dann schrumpft sie usw. und schließlich bleibt das kleine Österreich übrig. Das ist eine
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simple und unrichtige Sicht. Heißt "Herauswachsen", dieser orange Block wachse so aus dem Reich heraus, daß der Römisch-Deutsche Kaiser im Ausland, in Wien, regiert und von hier das Römisch-Deutsche Reich als Ausland so regiert wie der König von England Hannover? So ist es nicht gewesen. Was kann dann Herauswachsen heißen? Ich will das jetzt nicht erschöpfend beantworten, aber ein Faktum feststellen: Die Staatsbildung in der Habsburger Monarchie ging nicht von Galizien außerhalb des Reiches aus, sie ging nicht von Ungarn außerhalb des Reiches aus, sie ging nicht von Kroatien-Slavonien außerhalb des Reiches aus, sondern sie ging von den Reichsterritorien aus und die ganzen Behördenreformen, letztendlich Maria Theresia und Joseph 11., haben Reichsterritorien reformiert. Da mag vielleicht Ungarn ein gewisser wirtschaftlicher Hintergrund gewesen sein, ich wage das aber sehr anzuweifeln, Ungarn war ja die längste Zeit sozusagen der Wilde Westen der Habsburger Monarchie, wo die Glücksritter hingehen, da gibt es Land etc., denn die Indianer sind sozusagen weg, nämlich die Osmanen. Tatsächlich, es ist erwähnt worden, war Ungarn nie vollständig integriert. Mir gefällt gut der Ausdruck "praxisgestufte Integration". Das trifft genau das Bild. In Böhmen haben die Habsburger Glück - Schlacht am Weißen Berg -, sie gewinnen, was wäre, wenn sie verloren hätten? Das wollen wir uns nicht überlegen. Aber hier gewinnen sie radikal, daher geht die gestufte Integration weiter als in Ungarn. In Ungarn war das ja wirklich das Phänomen, die kaiserlichen Truppen, nicht nur die erbländischen, treiben zwar die Osmanen weg, aber es gibt nur kurz den Versuch, Ungarn neu zu verwalten durch das Einrichtungswerk des Kolonitsch, denn man greift dann doch wiederum auf die alten Formen zurück und etabliert praktisch die ungarischen Stände. Das fügt sich, glaube ich, gut in dieses Erklärungsmodell. Ich würde dazu eine weitere These aufstellen, und der eine oder andere österreichische Historiker würde mich vermutlich steinigen, denn ich möchte sagen: Das Reich wächst mit der Habsburgermonarchie aus dem Reich hinaus. Dafür gibt es Indizien wie die Forderung unter Maximilian 1., Ungarn dem Heiligen Reiche einzuverleiben. Es gibt in den Türkenkriegen die Idee, Serbien zum Reiche zu bringen. Daran hat mich das Einführungsreferat von gestern erinnert, nämlich, daß die Idee des Reiches wörtlich nicht so fixiert ist. Und um sozusagen zur heiligen Kuh der Habsburger Monarchie zu kommen, zur Pragmatischen Sanktion. Die Initialzündung dazu geht mit zurück auf einen Beschluß des kroatischen Landtages, daß in Kroatien-Slavonien jene Dynastie regieren solle, die auch im benachbarten Innerösterreich regiert, im benachbarten Reichsgebiet. Das heißt, man lehnt sich dynastisch-thronfolgemäßig an das benachbarte Reichsgebiet an. Als die Pragmatische Sanktion in St.Veit/Pflaum - späterhin Fiume und heute Rijeka - angenommen wird, hat man von der Diktion dieser Annahme her den Eindruck, Rijeka sei eine Reichsstadt. Und auch die Osmanen hatten diese Sicht. Sie haben den habsburgischen Vertragspartner - da bin ich
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allerdings auf Tertiärliteratur angewiesen, weil ich weder arabisch noch türkisch kann - immer als Kaiser betrachtet, auch wenn er es nicht war. Und schließlich: Die Römische Kaiserkrone war für die Habsburger als Herrschaftssymbol immens wichtig. Sie hatten zwar viele Kronen, nur war jede auf ein Territorium fixiert, mit einer Ausnahme, der Römischen Kaiserkrone. Das war das überwölbende Symbol für die Habsburger Monarchie. Daß es offenbar für die Habsburger wichtig war, so ein überwölbendes Symbol zu haben, sieht man nicht nur an den Schmiergeldern, die den kurfürstlichen Räten neben den Reisegeldern bezahlt worden sind, sogar in zwei Münzsorten pro discretione und pro compensatione, sondern das sieht man dann 1804. Als die Habsburger nämlich merken, daß das Kurfürstenkollegium sich 1803 verändert hat und vermutlich kein Katholik, sprich Habsburger zum Römisch-Deutschen Kaiser gewählt werden wird, kommt es zur Annahme des österreichischen Kaisertitels. Bis dahin gibt es kein habsburgisch-österreichisches Einheitssymbol. Frankreich tut sich immens schwer vor der Kaiserkrönung des letzten Kaisers, diesem den Krieg zu erklären: Er ist ja nicht Kaiser, also wird Krieg erklärt dem König von Ungarn, König von Böhmen, Erzherzog von etc.etc. Baumgart: Vielen Dank, Herr Brauneder, ich glaube Sie haben jetzt weniger direkt über Vortrags inhalte gesprochen, insofern es ja auch noch einen früheren Diskussionsbeitrag dazu gibt, sondern Ihrerseits Anregungen für mögliche künftige Themen gegeben. Wir wollen uns, schon wegen der vorgerückten Zeit, jetzt nicht noch einmal um Antworten der Referenten bemühen. Ich denke, das war ja auch mehr auf Diskussionsbeiträge des heutigen Vormittags bezogen. Was die Grenzfrage betrifft, so hat sie 1512 bei der Bildung der Reichskreise eine gewisse Rolle gespielt, da wurde erwogen, das Ordensland Preußen und Livland einzubeziehen. Vielleicht sollte man die alte Frage "Verfassungsrecht und Grenzen" in eine künftige Veranstaltung einbeziehen.
Auf dem Wege von "Unsern gesamten Staaten" zu "Unserm Reiche" Zur staatlichen Integration des Königreiches Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts Von Helmut Neuhaus, Erlangen I. "Von der Überzeugung geleitet, daß der Staat, so lange er ein bloßes Aggregat verschiedenartiger Bestandteile bleibt, weder zur Erreichung der vollen Gesamtkraft, die in seinen Mitteln liegt, gelangen, noch den einzelnen Gliedern desselben alle Vortheile der bürgerlichen Vereinigung, in dem Maße, wie er diese bezwecket, gewähren kann, haben Wir bereits durch mehrere Verordnungen die Verschiedenheit der Verwaltungs formen in Unserm Reiche, so weit es vor der Hand möglich war, zu heben, für die direkten Auflagen sowohl, als für die indirekten ein gleichförmigeres Sistem zu gründen, und die wichtigsten öffentlichen Anstalten dem Gemeinsamen ihrer Bestimmung durch Einrichtungen, die zugleich ihre besondern sichern, entsprechender zu machen gesucht."l Dieser Satz, niedergeschrieben fast genau in der Mitte jener zwei Jahrzehnte bayerischer Geschichte, die aufs engste mit dem Namen Maximilian Josephs Graf von Montgelas (1759 -1838) verbunden sind, leitet die "Konstitution für das Königreich Baiern" vom 1. Mai 1808 ein, den "Höhepunkt 1 "Konstitution für das Königreich Baiern" vom 1. Mai 1808, Präambel, in: Peter Wegelin, Die Bayerische Konstitution von 1808, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 16 (1958), S. 142 - 206; der Text selber ebd., S. 143 -153, hier S. 143; der Text findet sich außerdem in: Karl Bosl (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abteilung II: Bayern im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 2: Die bayerische Staatlichkeit, unter Mitwirkung von Werner K. Blessing bearb. von Rolf Kiessling und Anton Schmid, München 1976, Nr. 24, S. 73 -79. - Zur Konstitution von 1808 zuletzt: Franz-Ludwig Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln, Berlin 1970, S. 118 -135; Karl Möckl, Die bayerische Konstitution von 1808, in: Eberhard Weis (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 4), München 1984, S. 151-167; siehe jetzt auch: Peter Claus Hartmann, Die bayerische Verfassung von 1946 im Kontext der bayerischen Verfassungsgeschichte seit 1808/1818, in: 50 Jahre Bayerische Verfassung. Entstehung, Bilanz, Perspektiven, München 1996, S. 139 -153, hier S. 141 f.
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der Montgelasschen Reformtätigkeit" , wie Eberhard Weis sie charakterisiert hat. 2 Dieser Einleitungssatz ist zugleich niedergeschrieben mitten in der Zeit, die Deutschland die umwälzendsten Veränderungen brachte, ausgelöst durch die Friedensschlüsse von Basel (1795), Campo Formio (1797) und Luneville (1801) sowie eingeleitet durch den Reichsdeputationshauptschluß vom 27. April 1803 und entschieden vorangetrieben durch die Trennung der im Rheinbund vom 12. Juli 1806 zusammengeschlossenen 16 deutschen Territorien vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, denen bis 1808 noch 23 weitere folgten. 3 Unterzeichnet ist die bayerische Mai-Verfassung von Max Joseph (17561825), dem vierten Maximilian - und letzten überhaupt - in der Abfolge der bayerischen Kurfürsten, dem ersten in der Reihe der bayerischen Könige, die er am 1. Januar 1806 begann. 4 Schon sein Titel "König von Baiern" macht im Vergleich zur Titulatur in der Herzogs- und Kurfürstenzeit eine enorme Veränderung deutlich, als dem Namen die Bezeichnungen aller Besitzungen und Ehrenämter folgten. 5 "Der Staat" sollte nicht länger "ein bloßes Aggregat verschiedenartiger Bestandteile" sein, er sollte von einem durch Säkularisationen und Mediatisierungen einerseits, Arrondierungen andererseits gekennzeichneten Aggregatzustand in einen weniger durch äußere Anhäufungen von Teilen als auch durch innere Gemeinsamkeiten fester werdenden hinüber geführt werden. "Der Staat" sollte ein "Ganze[s]" wer2 Eberhard Weis, Maximilian Joseph Graf von Montgelas (1759 -1838), in: Kurt G.A. Jeserich/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648 -1945, Stuttgart, Berlin, Köln 1991, S. 70 -74, hier S. 73; weitere Literatur ebd., S. 74. Zu Montgelas grundlegend: Eberhard Weis, Montgelas 1759 -1799. Zwischen Revolution und Reform, München 1971. 3 Zum historischen Hintergrund: Eberhard Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799 - 1825), in: Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 4.1: Das neue Bayern 1800-1970, München 1979, S. 3 - 86; Karl Möckl, Der moderne bayerische Staat. Eine Verfassungsgeschichte vom aufgeklärten Absolutismus bis zum Ende der Reformepoche (= Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abteilung IU: Bayern im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1), München 1979; Andreas Kraus, Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2 1988, S. 353 - 443; Helmut Neuhaus, Das Ende des Alten Reiches, in: Helmut Altrichter/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Das Ende von Großreichen (= Erlanger Studien zur Geschichte, Bd. 1), Erlangen, Jena 1996, S. 185 - 209 (mit weiterführender Literatur). 4 Zu Kurfürst Maximilian IV. Joseph bzw. König Maximilian I. Joseph vgl. Eberhard Weis, Maximilian 1., König von Bayern, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16, Berlin 1990, S. 487 - 490; siehe ferner vor allem auch: Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1986, S. 54 H. und öfter; Hubert Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1799 - 1825 (= Wittelsbach und Bayern, Bd. lU/I), München/Zürich 1980; siehe auch unter gleichem Titel: Katalog der Ausstellung im Völkerkundemuseum in München 11. Juni - 5. Oktober 1980 (= Wittelsbach und Bayern, Bd. III/2), München/ Zürich 1980. 5 Vgl. die Königstitulatur z. B. in der " Konstitution " vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 143; der Titel des Kurfürsten z. B. bei Paul Ernst Rattelmüller, Das Wappen von Bayern, München 1989, S. 45.
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den - wie es am Ende der Präambel der "Konstitution" vom 1. Mai 1808 heißt -, sollte als "ein Theil der rheinischen Föderation" ein "Reich" im Sinne von "Königreich" werden, wie König Max Joseph zweimal formulierte, formulieren konnte, nachdem das Heilige Römische Reich Deutscher Nation untergegangen war. Dem entsprachen nicht nur die Überlegungen zur Errichtung einer bayerischen Reichsuniversität, sondern auch die 1812 erfolgte Gründung des Münchener Reichsarchivs. 6 "Der Staat" sollte gleichsam ein neuer Stoff von eigener Beschaffenheit und Formbeständigkeit werden. Im 1809 erschienenen dritten Band des "Wörterbuchs der Deutschen Sprache" von Joachim Heinrich Campe galt "Reich" im engeren -lediglich auf "heilige[s] Römische[s] Reich Deutscher Nation" bezogenenSinne als "veraltend"7 und wurde breiter im Sinne von "Herrschaft" und "Regierung" verstanden, dann auch mit Blick auf die neuen Königreiche Westfalen, Württemberg und Bayern. 8 Diesen neuen Aggregatzustand des in einem "vollständigen Zusammenhang" gründenden Staates sollte die bayerische Mai-Konstitution des Jahres 1808 herbeiführen, nachdem - wie es König Maximilian 1. Joseph in seiner auch eine Zwischenbilanz darstellenden Präambel zusammengefaßt hat - Verordnungen und Gesetze nur einen unvollkommenen und lückenhaften Zustand geschaffen hatten. Was - so ist zu fragen - verbarg sich hinter der angesprochenen Aufhebung der "Verschiedenheit der Verwaltungs formen in U nserm Reiche [ ... ] durch mehrere Verordnungen", was hinter der Gründung "ein[es] gleichförmigere[n] Sistem[s]" für die direkten und indirekten Steuern, was hinter der Anpassung und Vereinheitlichung der "wichtigsten Anstalten", was hinter den - wie es weiter heißt - Anordnungen zu "nöthigen Vorarbeiten" auf den Gebieten der Zivil- und Strafgesetzgebung, die "zum Theil schon wirklich vollendet" waren? Was - so ist zu fragen - war in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Konstitution vom 1. Mai 1808, die am 25. Mai 1808 im Bayerischen Re6 Siehe dazu etwa Dieter J. Weiß, Das Problem des Fortbestandes der Universität beim Übergang an die Krone Bayern, in: Henning Kößler (Hrsg.), 250 Jahre Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Festschrift (= Erlanger Forschungen, Sonderreihe, Bd. 4), Erlangen 1993, S. 19 - 43, hier S. 22; Reinhard Heydenreuter, Archive zwischen Staatsräson und Geschichtswissenschaft: Zur bayerischen Archivgeschichte zwischen 1799 und 1824, in: Hermann RumschöttellErich Stahleder (Hrsg.), Bewahren und Umgestalten. Aus der Arbeit der Staatlichen Archive Bayerns. Walter Jaroschka zum 60. Geburtstag (= Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern, Sonderheft 9), München 1992, S. 20 - 33. 7 Joachim Heinrich Campe (Hrsg.), Wörterbuch der Deutschen: Sprache, Bd. 3, Braunschweig 1809, S. 793, s.v. Reich; insgesamt ist das Wörterbuch von 1807 bis 1811 in fünf Bänden erschienen. Siehe auch Wilhelm Mommsen, Zur Bedeutung des Reichsgedankens, in: Historische Zeitschrift 174 (1952), S. 385 - 415, hier vor allem S.386f. 8 Vgl. den Beitrag "Reich" in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 423 - 508, hier S. 488.
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gierungsblatt veröffentlicht wurde, auf dem Weg von "Unsern gesamten Staaten" zu "Unserm Reiche" an staatlicher Vereinigung und Integration erreicht?9
n. Bevor wir uns diesen Fragen im einzelnen zuwenden, gilt es, sich einen Überblick über die territorialen Veränderungen des Herrschaftsbereiches der bayerischen Kurfürsten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu verschaffen, sich den Raum und seine geographische Lage vorzustellen, der zu einem Staat zu vereinigen war. Als Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern am 30. Dezember 1777 fünfzigjährig kinderlos starb lO , da trat jene - im Wittelsbacher Hausvertrag von Pavia aus dem Jahre 1329 grundgelegte - Bestimmung des von ihm mit Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz (1724 -1799) im September 1766 vereinbarten Nymphenburger Vertrages in Kraft, wonach der gesamte Territorialbesitz des ganzen Hauses Wittelsbach geschlossen an das Oberhaupt der fortlebenden Linie kommen sollte. 11 Karl Theodor erbte also das Kurfürstentum Bayern und herrschte damit zusammen mit Pfalz-Sulzbach, PfalzNeuburg und der Kurpfalz sowie Jülich und Berg über einen beachtlichen Komplex von Fürstentümern. Sein Nachfolger wurde aufgrund Erbrechts9 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 143. - Zum Grundsätzlichen jetzt: Oliver Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession (= Schriften zum Völkerrecht, Bd. 120), Berlin 1995. 10 Zu Kurfürst Maximilian II!. Joseph vgl. Friedrich Prinz, Max II!. Joseph - ein glanzloser bayerischer Kurfürst? Nachruf auf ein modestes Jubiläum, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 595 - 606; Alois Schmid, Maximilian II!. Joseph, Kurfürst von Bayern, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16, Berlin 1990, S. 485 - 487; Hans Rall, Kurbayern in der letzten Epoche der alten Reichsverfassung 1745 -1801 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 45), München 1952; Alois Schmid, Max III. Joseph und die europäischen Mächte. Die Außenpolitik des Kurfürstentums Bayern von 1745 -1765, München 1987. 11 Der Nymphenburger Vertrag vom 5. bzw. 22. September 1766, in München und Schwetzingen unterzeichnet, ist abgedruckt in: Hermann Schulze (Hrsg.), Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, Bd. 1, Jena 1862, S. 284 - 289 (Nr. V). Er schloß an die Wittelsbacher Hausunion vom 15. Mai 1724 an (ebd., S. 279 - 283 [Nr. IV]) und dehnte die Sukzession auch auf die seit dem Hausvertrag von Pavia vom 4. August 1329 erworbenen Gebiete aus. Am 26. Februar 1771 wurden in einem weiteren Hausvertrag außerdem die Reichslehen, die seit 1568 den Pfälzer Wittelsbachern und seit 1578 den bayerischen zugewachsen waren, und am 19. Juni 1774 auch die Linie Pfalz-Zweibrücken in die Sukzessionsordnung einbezogen (ebd., S. 289 - 298 [Nr. VI] und S. 299f. [Nr. VII]). - Vgl. Hans Rall, Die Hausverträge der Wittelsbacher: Grundlagen der Erbfälle von 1777 und 1799, in: Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung, Beiträge (FN 4), S. 13 - 48; Hans Rall (Hrsg.), Wittelsbacher Hausverträge des späten Mittelalters. Die haus- und staatsrechtlichen Urkunden der Wittelsbacher von 1310, 1329, 1392/93, 1410 und 1472, bearb. von Rudolf Heinrich, Benedikt Mayer, Werner Gericke und Christa Fischer (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 71), München 1987, hier vor allem die Einführung des Herausgebers, S.1-40.
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aus der Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld stammend - Maximilian IV. Joseph, der 1799 in den Besitz dieses großen Herrschaftsgebietes kam, infolge der Bestimmungen der Friedensverträge von Campo Formio und Luneville aber alle linksrheinischen Besitzungen verlor und aufgrund der reichsrechtlichen Festlegungen im § 2 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 entschädigt wurde. 12 Zu diesen Entschädigungen gehörten - ohne daß hier Detailbestimmungen berücksichtigt werden - die sechs Hochstifte Würzburg (zu 80%), Bamberg, Freising, Augsburg und zu unterschiedlichen Teilen Pass au und Eichstätt, ferner zwölf Reichsabteien und -klöster wie Kempten, Irsee oder Sankt Ulrich und Afra zu Augsburg, von denen einige wie Ursberg schon 1806, Söflingen oder Elchingen im Jahre 1810 zum Königreich Württemberg kamen; außerdem gehörten dazu 15 Reichsstädte wie Rothenburg, Dinkelsbühl oder Kaufbeuren, von denen ebenfalls einige 1810 im Zuge einer Revision der Staatsgrenze an Württemberg fielen, nämlich Bopfingen, Buchhorn, Wangen, Ravensburg und Leutkirch, und außerdem die bei den Reichsdörfer Sennfeld, Gochsheim sowie die sog. "freien Leute auf der Leutkircher Haide" .13 Von den Reichsstädten blieben nach dem Reichsdeputationshauptschluß neben Lübeck, Frankfurt am Main, Bremen und Hamburg auch Augsburg und Nürnberg zunächst noch bestehen; während Augsburg durch "alle geistlichen Güter, Gebäude, Eigenthum und Einkünfte in ihrem Gebiete, sowohl in- als außerhalb der Ringmauern, nichts ausgenommen", entschädigt werden sollte, wurde "die nähere Bestimmung des Gebiets der Stadt Nürnberg [ ... ] auf weitere Vergleichshandlungen ausgesetzt" 14. Waren einzelne Territorialgewinne schon vor dem Reichsdeputationshauptschluß im Sommer 1802 an Bayern gefallen - wie etwa die Reichsstädte Rothenburg, Weißenburg und Windsheim -, bayerische Besitzergreifungen in Bamberg oder Würzburg bereits im November 1802 erfolgt15, so setzten sich die Vergrößerungen Bayerns nach 1803 fort: 1805 erhielt es Reichsstadt und gefürstetes Damenstift Lindau, die gemäß § 22 des Reichsdeputationshauptschlusses an den Fürsten von Bretzenheim gefallen und 1804 im Tausch gegen ungarische Güter an Österreich gekommen waren. 16 12 Die Friedensverträge von Campo Formio und Luneville in: Friedrich W Ghillany (Hrsg.), Diplomatisches Handbuch. Friedensschlüsse und Verträge vom Ausbruche der Französischen Revolution bis zur Restauration, Bd. 1, Nördlingen 1855, S. 272280 und S. 283 - 287. - Der Reichsdeputations-Hauptschluß vom 25. Februar 1803 in: Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Teil 2: Von Maximilian I. bis 1806 (= Quellensammlungen zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, Bd. 2.2), 'llibingen 21913, Nr. 212, S. 509528. 13 Vgl. ebd., § 2, S. 511. 14 Ebd.,§27,S.517f. 15 Vgl. Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates (FN 3), S. 11- 15. 16 Zeumer, Quellensammlung (FN 12), S. 515.
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Im Dezember desselben Jahres wurden ihm ferner die verstreuten Gebiete der fränkischen Reichsritterschaft unterstellt, nachdem diese auf Anordnung Napoleons unterworfen worden war; Bayern sollte sie gemäß Artikel 25 der "Conföderations-Acte der Rheinischen Bundesstaaten" vom 12. Juli 1806 wie alle "in seinen Besitzungen inklavirten ritterschaftlichen Güter mit voller Souveränität besitzen,,17. Fast gleichzeitig fiel im Schönbrunner Vertrag vom 15. Dezember 1805 zwischen Frankreich und Preußen die Entscheidung, daß Preußen die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach an Bayern abzutreten hatte, die mit dem Pariser Traktat vom 15. Februar 1806 unter Wegfall der Bestimmungen für einen Bayreuther Grenzausgleich bekräftigt wurde. 18 Gemäß Artikel 17 der' Rheinbundakte erhielt der König von Bayern zu "Besitz mit allen Eigenthums- und Souveränitäts-Rechten" die Reichsstadt Nürnberg mit ihrem Territorium sowie die schwäbische Kommende Rohr-Waldstetten des Deutschen Ordens und hatte gemäß Artikel 24 "alle Souveränetätsrechte [sie!] auszuüben [ ... ] über das Fürstenthum Schwarzenberg, die Grafschaft Kastell, die Herrschaften Speckfeld und Wiesentheid, die Dependenzen des Fürstenthums Hohenlohe, welche in der Markgrafschaft Ansbach und im Gebiete von Rothenburg liegen, namentlich das Oberamt Schillingsfürst und Kirchberg, die Grafschaft Sternstein, die Fürstenthümer Oettingen, die Besitzungen des Fürsten von Thurn und Taxis nördlich des Fürstenthums Neuburg, die Grafschaft Edelstetten, die Besitzungen des Fürsten und der Grafen Fugger, das Burggrafenthum Winterrieden, und endlich die Herrschaften Busheim und Tannhausen, so wie über die Totalität der Heerstraße von Memmingen nach Lindau" 19. Nach 1808 veränderten zunächst der Gewinn der Fürstpropstei Berchtesgaden im Jahre 1809 20 und dann die Regelungen des Pariser Vertrages zwischen Frankreich und Bayern vom 28. Februar 1810 abermals den Grenzverlauf des jungen Königreichs, als das Markgraftum Brandenburg-Bayreuth und das für den letzten Kurfürsten von Mainz, Karl Theodor von Dalberg (1744 -1817) in den Jahren 1802 bis 1804 aus dem Hochstift Regensburg, der Reichsstadt Regensburg und den Reichsstiften Sankt Emmeran, Obermünster und Niedermünster gebildete Fürstentum Regensburg bayerisch wurden. 21 Ein ebenfalls - am 18. Mai 1810 - in Paris geschlossener Vertrag zwi17 Die Rheinbund-Akte in: Hanns Hubert Hofmann (Hrsg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495 -1815 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom SteinGedächtnisausgabe, Bd. 13), Darmstadt 1976, Nr. 69, S. 374-393 (französisch und deutsch), hier S. 387. 18 Zum Schönbrunner Vertrag vom 15. Dezember 1805 und zum Pariser Traktat vom 15. Februar 1806: Friedrich W. Ghillany (Hrsg.), Europäische Chronik von 1492 bis Ende April 1877 , Bd. 1, Leipzig 1865, S. 445. 19 Hofmann (Hrsg.), Quellen (FN 17), S. 381 (§ 17) und S. 383 (§ 24). 20 Vgl. Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates (FN 3), S. 30,
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sehen Württemberg und Bayern legte eine neue Grenze zwischen bei den Königreichen fest, mit der für Bayern u. a. auch der Verlust Ulms verbunden war. 22 Schließlich kamen 1814 das Fürstentum Aschaffenburg und das Großherzogturn Würzburg an Bayern, nachdem es aufgrund der Bestimmungen des Preßburger Friedens vom 26. Dezember 1805 das ehemalige Hochstift Würzburg ein Jahrzehnt zuvor gegen die Grafschaft Tirol mit Brixen und Trient hatte tauschen müssen. 23 Nur für wenige Jahre gehörten von 1809 bzw. 1810 an auch das Inn- und Hausruckviertel (bis 1814) sowie das vormalige Erzstift und kurzzeitige Kurfürstentum Salzburg (bis 1816) dazu. 24 Insgesamt war in den ersten eineinhalb Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein geschlossenes Staatsgebiet des Königreichs Bayern entstanden, das von den Alpen bis zum Thüringer Wald und von einer von Salzach, Inn, Böhmer und Oberpfälzer Wald gebildeten Linie im Osten bis zum Bodensee, zur Iller, zur Hohenloher Ebene, zum Spessart und zur Rhön im Westen reichte. Es umfaßte damit ein Gebiet, das bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eine Vielzahl geistlicher und weltlicher Reichsfürstentümer, reichsprälatischer Besitzungen, Reichsgrafschaften, Reichsstädte, Reichsdörfer und reichsritterschaftlicher Güter bedeckt hatte und in dem Österreichischer und Schwäbischer, Fränkischer und Bayerischer Reichskreis aneinanderstießen. Es war bis 1803/1806 ein Gebiet außerordentlich verwickelter territorialer Gegebenheiten mit äußerst unterschiedlich ausgeprägten Herrschaftsverhältnissen und sehr verschiedenen Formen ständischer Partizipation - sofern diese überhaupt noch vorhanden war. In diesem Raum gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts weit über 200 politische Gebilde auf der Ebene reichsunmittelbarer Zugehörigkeit und noch sehr viel mehr auf der Ebene landständischer Einbindung wie z. B. die zahl21 Zum Pariser Vertrag vom 28. Februar 1810 vgl. ebd. sowie Bosl (Hrsg.), Dokumente (FN 1), S. 21 und 40f. (Nr. 12). Zum Dalbergischen Fürstentum Regensburg der Jahre 1803 bis 1810 vgl. zuletzt Alois Schmid, Regensburg. Reichsstadt - Fürstbischof - Reichsstifte - Herzogshof (= Historischer Atlas von Bayern, Teil Altbayern, Heft 60), München 1995, S. 439 - 445; zu Dalberg insgesamt zuletzt Karl Hausberger (Hrsg.), earl von Dalberg. Der letzte geistliche Reichsfürst (= Schriftenreihe der Universität Regensburg, Neue Folge, Bd. 22), Regensburg 1994; Konrad M. Färber I Albrecht Klose I Hermann Reidel (Hrsg.), earl von Dalberg. Erzbischof und Staatsmann (1744 -1817), Regensburg 1994; Hans-Bemd Spies (Hrsg.), earl von Dalberg. 1744 -1817. Beiträge zu seiner Biographie, Aschaffenburg 1994. 22 Vgl. dazu Bosl (Hrsg.), Dokumente (FN 1), Nr. 13, S. 41 f. 23 Der Preßburger Friede vom 26. Dezember 1805 in: Hofmann (Hrsg.), Quellen (FN 17), Nr. 68, S. 368 - 375 (französisch und deutsch), hier Artikel VIII, S. 369. Vgl. Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates (FN 3), S. 37 f.; Bosl (Hrsg.), Dokumente (FN 1), S. 22 und 45 f. (Nr. 16: Pariser Vertrag vom 3. Juni 1814 zwischen Österreich und Bayern über die Durchführung der Geheimbestimmungen des Rieder Vertrages vom 8. Oktober 1813 [ebd., Nr. 15, S. 43 - 45]). 24 Ebd., S. 22 un.d 45 - 49 (Nr. 16 und Nr. 17: Grenz- und Freundschaftsvertrag zwischen Bayern und Osterreich, München, 14. April 1816).
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reichen landsässigen Klöster. Wie in .einzelnen Teilen stellte er im Ganzen lediglich ein Konglomerat höchst verschiedenartiger herrschaftlicher, grundherrlicher, gerichtsherrlicher und anderer Rechte dar, einen Raum, in dem frühmoderne Staatlichkeit auf sehr verschiedenen Entwicklungsstufen begegnete: in den fränkischen Markgraftümern Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth in Verwaltung und Justiz nicht erst seit des brandenburgisch-preußischen Ministers und späteren Staatskanzlers Karl August Freiherr von Hardenberg (1750 -1822) Wirken wohl am weitesten fortgeschritten, im alten Herzogtum Bayern mit der Oberpfalz und PfalzNeuburg weiter als in den geistlichen Fürstentümern Bamberg und Würzburg, die noch weniger geschlossene Territorien bildeten, sondern vielfältig von Enklaven durchsetzt waren und mehr Streubesitz in vielfältig abgestuften Rechtslagen darstellten. 25 Und die vielen mindermächtigen Reichsstände der Reichsprälaten, Reichsgrafen und unter den Reichsstädten sowie die Reichsritterschaft verdankten ihre fortdauernde Existenz bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches nur dem kaiserlichen Schutz gegenüber den Arrondierungsgelüsten der mächtigeren Territorialstaaten und ihrer Funktion in den Bemühungen um die Erhaltung eines innerreichischen Gleichgewichts. 26
m. Angesichts dieser Gesamtsituation wäre zwar die Beteiligung der Stände in ihren jeweiligen landschaftlichen Zusammenhängen oder auch als erstmalig zu berufende Versammlung von "Generalständen" des beschriebenen und weiteren Veränderungen unterworfenen Raumes eine Möglichkeit gewesen, zu einer vereinheitlichenden Neuordnung zu kommen, aber ihre stets nur auf sich selbst bezogenen höchst unterschiedlichen Interessen standen dem entgegen. Nicht Aufrechterhaltung von Bevorrechtigungen im ständestaatlichen Sinne, sondern Einführung von Gleichberechtigung als Grundlage der staatsbürgerlichen Gesellschaft im neuen Königreich Bayern mußte die politische Aufgabe sein, weshalb es zwingend war, alle Reste ständischer Verfaßtheit auch in den Herzogtümern Bayern und Pfalz-Neuburg zu beseitigen. 27 War durch die Säkularisation die Geistlichkeit als politischer Stand 25 Vgl. dazu Rudolf Endres, Die preußische Ära in Franken, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (= Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, Bd. 5), Köln/Wien 1984, S. 169 -194; ders., Die Eingliederung Frankens in den neuen bayerischen Staat, in: Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung, Beiträge (FN 4), S. 83 - 94. 26 Vgl. dazu zusammenfassend Helmut Neuhaus, Das Reich in der Frühen Neuzeit (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 42), München 1997. 27 Zum Problem: Hanns Hubert Hofmann, Adelige Herrschaft und souveräner Staat. Studien über Staat und Gesellschaft in Franken und Bayern im 18. und 19.
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verschwunden, so der Adel durch die Edikte der Jahre 1807/08. 28 Trotz standesherrlicher Sonderrechte gehörte mit der bayerischen Mai~Konstitu~ tion von 1808 die Ständeverfassung der Vergan~enheit an. 29 Eine Grundvoraussetzung zur Erreichung von Einheitlichkeit und Über~ sichtlichkeit des Staatsgebietes, zu seiner staatlichen Erfassung, war eine weitgreifende Verwaltungsreform. Sich ihr zuerst zugewandt zu haben, be~ tont denn auch die Mai~Konstitution von 1808 gleich zu Beginn mit dem Hinweis auf "mehrere Verordnungen", mit denen begonnen wurde, "die Verschiedenheit der Verwaltungsformen in Unserm Reiche, so weit es vor der Hand möglich war, zu heben,,30. Möglich war seit dem Herrscherwechsel von 1799 in den ererbten Gebieten sehr rasch eine Vereinheitlichung durch Schaffung einer Generallandesdirektion für das alte Herzogtum Bayern mit Sitz in München - anstelle der vier alten Regierungen in Burghausen, Landshut, Straubing und München - und von einzelnen Landesdirektionen für die Oberpfalz einschließlich des Herzogtums Sulzbach und der Land~ grafschaft Leuchtenberg in Amberg sowie für das Herzogtum Neuburg mit Sitz in Neuburg an der Donau gewesen. 31 In den Erwerbungs~ und Anschlußgebieten folgten ab 1803 - konsequenterweise zunächst dem Ministerialdepartement des Äußeren unterstehend - Landesdirektionen für Franken in Bamberg und Würz burg und für Schwaben in Ulm; in Tirol und VorJahrhundert (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, Bd. 2), München 1962; Eberhard Weis, Kontinuität und Diskontinuität zwischen den Ständen des 18. Jahrhunderts und den frühkonstitutionellen Parlamenten von 1818/1819 in Bayern und Württemberg, in: Pankraz Fried/Walter Ziegler (Hrsg.), Festschrift für Andreas Kraus zum 60. Geburtstag (= Münchener Historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte, Bd. 10), Kal1münz 1982, S. 337 - 355; ders., Landschaft, Landschaftsverordnung und Landtag in Bayern. Zur Frage ihrer Kontinuität, in: Walter Ziegler (Hrsg.), Der Bayerische Landtag vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Probleme und Desiderate historischer Forschung (= Beiträge zum Parlamentarismus, Bd. 8), München 1995, S. 151-163; zum aktuellen Forschungsstand: Walter Demel, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 23), München 1993; Lothar GaU, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 25), München 1993. 28 Vgl. dazu Möckl, Der modeme bayerische Staat (FN 3), S. 102 -109; Weis, Die Begründung des modemen bayerischen Staates (FN 3), S. 38 - 48. 29 Vgl. dazu generell Heinz GoUwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 -1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, Stuttgart 1957; ferner auch Möckl, Der modeme bayerische Staat (FN 3), S. 103 u.ö.; Walter Demel, Der bayerische Staatsabsolutismus 1806/08 -1817. Staats- und gesellschaftspolitische Motivationen und Hintergründe der Reformära in der ersten Phase des Königreichs Bayern (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 76), München 1983, insbes. S. 277 - 306. 30 "Konstitution " vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 143. 31 Vgl. Wilhelm Volkert, Bayern, in: Kurt G.A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Stuttgart 1983, S. 503550, hier vor allem S. 513 f., 523 f. 8*
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arlberg übernahmen deren Funktion das Innsbrucker Gubernium und die dortigen Kreisämter, in Brandenburg-Ansbach die Ansbacher Kriegs- und Domänenkammer. 32 Mit der Instruktion vom 15. August 1803 wurde der Vereinheitlichungsprozeß zu einem ersten Abschluß gebracht, als die am brandenburgischpreußischen Generaldirektorium König Friedrich Wilhelms 1. von 1722 orientierte Münchener Generallandesdirektion die Aufgabenstellung einer Landesdirektion für Ober- und Niederbayern erhielt und damit den anderen Landesdirektionen gleichgestellt wurde. 33 Wurden so allmählich unter Vernachlässigung historischer Zusammenhänge überkommene administrative Besonderheiten in einzelnen Landesteilen und gewachsene wie neu entstandene Unübersichtlichkeiten durch weitere Erwerbungen (Passau, Eichstätt, reichsritterschaftliche Gebiete) beseitigt, so wurde mit Georg Friedrich von Zentners (1752 - 1835) Instruktion zugleich die Entwicklung zum Ausbau der mittleren Verwaltungsebene im neuen Bayern eingeleitet. 34 Sie mündete in § IV der Hauptbestimmungen der Konstitution von 1808: "Ohne Rücksicht auf die bis daher bestandene Eintheilung in Provinzen, wird das ganze Königreich in möglichst gleiche Kreise, und, so viel thunlich nach natürlichen Gränzen getheilt"35. Konkretisiert wurde dieses am französischen Vorbild orientierte Verfassungsgebot in der Verordnung vom 21. Juni 1808, mit der Bayern in 15 Kreise eingeteilt wurde, benannt nach den Flüssen Main, Pegnitz, Naab, Rezat, Altmühl, Donau (Ober- und Unter-) , Lech, Regen, Isar, Salzach, HIer, Inn, Eisack und Etsch; an der Spitze stand je ein königlicher Generalkommissär, der sein Generalkreiskommissariat als eine auf Verwaltungsaufgaben begrenzte Mittelbehörde zu leiten hatte. 36 Dieser Mittelteil einer rational gegliederten Verwaltungsorganisation unterstand einem von Montgelas bereits am 25. Februar 1799 neu geordneten "Ministerium", eingeteilt in vier Departements mit je eigenverantwortlichen Ministern an der Spitze und in der Konstitution von 1808 um das Kriegs-Departement auf fünf erweitert. 37 Für das Zusammenwachsen des 32
Ebd., S. 514.
33 Ebd., S. 515. 34 Zu Georg Friedrich von Zentner vgl. Franz Dobmann, Georg Friedrich Freiherr
von Zentner als bayerischer Staatsmann in den Jahren 1799 -1821 (= Münchener Historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte, Bd. 6), Kallmünz 1962; Joset Weiß-Cemus, Georg Friedrich von Zentner (1752 -1835), in: Jeserich/Neuhaus (Hrsg.), Persönlichkeiten der Verwaltung (FN 2), S. 57 - 60. 35 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 144. 36 Vgl. Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen (FN 1), S. 123 ff., insbes. S. 124f.; Volkert, Bayern (FN 31), S. 524 f. 37 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 146 ("Dritter Titel. Von der Verwaltung des Reichs", § I). Vgl. Volkert, Bayern (FN 31), S. 512.
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neuen Staates war das Innen-Departement von entscheidender Bedeutung, das neben dem für auswärtige Angelegenheiten, Finanzen, Justiz und geistliche Angelegenheiten zunächst nicht vorgesehen war, 1806 aber an die Stelle des letztgenannten trat und weitreichende Zuständigkeiten erhielt, u. a. für Polizei im umfassenden Sinne der Frühen Neuzeit, für Staatswirtschaft, das Schul- und Bildungswesen, das Gemeinde- und Stiftungswesen sowie das Medizinalwesen. Die Tatsache, daß Montgelas selbst an die Spitze des Innen-Departements trat, unterstreicht, welche zentrale Bedeutung er ihm beimaß. Von ihm aus wurde der Tätigkeitsbereich der Generalkreiskommissariate maßgeblich bestimmt, zunächst in einem strengen Zentralismus, von dem Montgelas aber schon ab 1811 mehr und mehr abwich, damit lokalen Besonderheiten mehr Rechnung getragen werden konnte. 38 Es ist nicht bekannt, ob auch der berühmt-berüchtigte Karl Heinrich Ritter von Lang (1764 -1835), seit 7. November 1806 Direktor der bayerischen Kriegs- und Domänenkammer in Ansbach und dann an der Spitze des Rezat-Kreises stehend, ab 26. Dezember 1810 Direktor des Landesarchivs und des neu einzurichtenden Reichsarchivs des Königreichs Bayern, mit seiner Kritik aus der Praxis dazu beigetragen hat. In seinen erstmals 1842 erschienenen "Memoiren" spricht er mit Blick auf "das neue Bild der baierischen Provinzialverwaltung nach Kreisen" von einer französischen "Nachbildung nicht halb, nicht ganz": "ohne Unterpräfecte, oder Landcommissaire, ohne Landräthe, aber mit Landrichtern, die zugleich die Justiz mit pflegen sollten, und mit Patrimonialgerichten; kurzum ein Gefühl des übelsten Geschmacks. ,,39 Damit sprach Lang die durch Verordnung vom 21. Juni 1808 verkündete Einteilung der 15 Kreise in 214 Landgerichtsbezirke an, in denen die Landgerichte sowohl Justiz- als auch Verwaltungsbehörden waren. Die Landrichter waren für alle erstinstanzlichen Zivilstreitigkeiten und die Untersuchung von Strafrechtsfällen zuständig und hatten als "Lokal-Polizei unter der Aufsicht der General-Kommissariate" als untere Verwaltungsbehörden tätig zu sein. 4o Abgesehen davon, daß die auf oberer - "Für das ganze Reich besteht eine einzige oberste Justiz-Stelle,,41 - und mittlerer Ebene strikt durchgeführte Trennung von Justiz und Verwaltung hier nicht eingehalten wurde, gestaltete sich eine Vereinheitlichung auch deshalb schwierig, weil z. B. die Mediatgerichte zahlreicher Standesherren in Schwaben und in Volkert, Bayern (FN 31), S. 512, 516 f. Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang. Skizzen aus meinem Leben und Wirken, meinen Reisen und meiner Zeit, 2 Teile, Braunschweig 1842 (FaksimileNachdruck: Erlangen 1984 [= Bibliotheca Franconica, Bd. 10]), hier 2. Teil, S. 112. 40 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 148 ("Dritter Titel. Von der Verwaltung des Reichs", § V). 41 Ebd., S. 149 ("Fünfter Titel. Von der Justiz", § I). 38
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Franken einzubeziehen waren, was nicht sofort gelang. 42 "Die Begründung dieser baierischen Verfassung" - so des Ritters von Lang Gesamturteil "nämlich die Vereinigung der Justiz- und Polizeigewalt in Distrikten von wenigstens 12,000 Seelen im Durchschnitt unter einem Landrichter und zwei Assessoren, ist aber jetzt wirklich weniger ersprießlich, als ich es selbst gehofft, ausgefallen. Der Grund davon ist in der allzugroßen Macht und Willkür, welche die im Grunde uncontrolirte Verbindung der Polizei und Justiz einem Landrichter an die Hand giebt, in dem Reiz zum übermäßigen Sportuliren, in der ärmlichen Stellung der Assessoren, und dem unaufhörlichen Regieren, Commandiren, Visitiren, Rescribiren, Excitiren und Inquiriren von oben herab zu suchen. ,,43 Aber genauso wichtig war dem Ritter von Lang seine Kritik an der Kompetenz der auf Kreisebene eingesetzten Staatsdiener, wenn er niederschrieb: "Man glaubte dem Grafen von Thürheim etwas Angenehmes zu erweisen, wenn man ihm seine Stelle in einer größern Stadt, zu Nürnberg, anwiese, als Haupt des Pegnitz-Kreises. Nach Ansbach kam ein Graf Lerchenfeld, damals etwas 36 Jahre alt, vorher Director in Ulm, ein langer, hagerer, bleicher Mann, mit singender Stimme, schmalbrüstig, die Augen immer mönchisch niedergeschlagen und träumerisch. Ich erhielt mein Decret (25. Aug. 1808.) als Director, Kanzleidirector, wie man es nun nannte, und konnte über die Anschauung meines neuen Herrn Präsidenten gar nicht mehr zur Besinnung kommen. Solche verkehrte Ansichten, solchen Mangel an eigentlicher Geschäftskenntnis, solche Unbeharrlichkeit, und dabei solche Eitelkeit, steife Hartnäckigkeit und Schulmeisterei hatte ich in meinem Leben noch nie getroffen, ja es gar nicht für möglich gehalten, daß es einen Staat geben könne, wo man sich nicht scheue, solche Leute an die Spitze zu stellen.,,44 Aber "solche Leute", die der Ritter von Lang in all ihrer Skurrilität und Unfähigkeit genüßlich beschrieben hat, waren nicht einfach austauschbar, vielmehr mußte erst eine der modernen Verwaltung entsprechende Beamtenschaft herangezogen werden, die über fachliche Kompetenz und persönliche Leistungsbereitschaft verfügte. "Nicht wenige der aus den fränkischen und schwäbischen Territorien übernommenen wie der alten kurbairischen Beamten waren intellektuell und habituell durch diesen Anspruch überfordert", hat Werner K. Blessing festgestellt, um fortzufahren: "Ohne ausreichende Ausbildung, an nun überholte Kenntnisse und Praktiken gewöhnt, zum Teil in Schlendrian, Patronage und Bestechlichkeit eingelebt und an die Verhaltensmuster einer traditionsbestimmten sozialen Umwelt gebun42 43 44
Möckl, Der moderne bayerische Staat (FN 3), S. 107 -109. Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang (FN 39), 2. Teil, S. 86. Ebd., 2. Teil, S. 112 f.
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den, fehlten ihnen Kondition und Motivation für diesen zugemuteten Lernprozeß." Und er hat mit Recht darauf verwiesen, daß der Austausch eine Generation benötigte. 45 Entscheidende Voraussetzung für die Schaffung eines Beamtenturns neuen 'lYPs, eines "konstitutionellen Berufsbeamtenturns in Bayern"46, war der Erlaß der maßgeblich von Nikolaus Thaddäus Gönner (1764 - 1827) ausgearbeiteten "Hauptlandespragmatik über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener, vorzüglich in Bezug auf ihren Stand und Gehalt" am 1. Januar 1805, in der die seit 1799 erlassenen Einzelgesetze zusammengefaßt waren. 47 Mit den wesentlichen Veränderungen vom 8. Juni 1807 wurde sie ein Jahr später in der ersten bayerischen Konstitution verankert. 48 Vorbildlich für andere deutsche Staaten wurden die Festsetzungen angemessener Besoldungen einschließlich Hinterbliebenenversorgung als Rechtsanspruch, Rechtssicherheit auch gegenüber dem Dienstherrn, Festlegungen von Einstellungsvoraussetzungen wie Vorbildung, Staatsprüfungen, Qualifikationen, von Visitations-, Auswahl- und Beförderungskriterien auf der Grundlage des Leistungsprinzips.49 IV.
Bisher war von den territorialen Veränderungen und den Verwaltungsreformen die Rede. Daß zwischen ihnen ein enger Zusammenhang besteht, ist unabweisbar für die staatliche Vereinheitlichung des Königreichs Bayern zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und die ihn begleitenden territorialen Ver45 Werner K. Blessing, Staatsintegration als soziale Integration. Zur Entstehung einer bayerischen Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 633 -700, hier S. 666. 46 Bernd Wunder, Privilegierung und Disziplinierung. Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg (1780 -1825) (= Studien zur modernen Geschichte, Bd. 21), München/Wien 1978, S. 119ff. 47 Vgl. die "Verordnung über Status und Gehalt der Staatsdiener" vom 1. Januar 1805, jetzt in: Karl Bosl (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abteilung III: Bayern im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 3: Regierungssystem und Finanzverfassung, unter Mitwirkung von Werner K. Blessing bearb. von Rolf Kiessling und Anton Schmid, München 1977, Nr. 19, S. 50-54. Siehe auch Wunder, Privilegierung und Disziplinierung (FN 46), S. 122. - Zu Gönner vgl. Luitpold Schaffner, Gönner, Nikolaus Thaddäus Ritter von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, Berlin 1964, S. 518f.; Michael Stolleis, Gönner, Nikolaus Thaddaeus (1764 - 1827), in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 242 f. 48 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 148 ("Dritter Titel. Von der Verwaltung des Reichs", § VII). Zu den Beschlüssen vom 8. Juni 1807: "Verordnung über die Beiträge zur Staatsdienerwitwen- und -waisenkasse" , in: Bosl (Hrsg.), Dokumente (FN 47), Nr. 20, S. 55. 49 Vgl. dazu Wunder, Privilegierung und Disziplinierung (FN 46), S. 321- 329; Blessing, Staatsintegration als soziale Integration (FN 45), S. 665.
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änderungen erlaubten es, auf dem Wege einer rationalen, zentralistischen Organisation der Verwaltung die Souveränität des Staates nach innen voll durchzusetzen. Widerstand der zahllosen mindermächtigen Reichsstände war in dem Augenblick zum Mißerfolg verdammt, in dem sie den Schutz des Reichsrechtes nicht mehr für sich reklamieren konnten. Aber das politische Ziel, den souveränen Staat zu einem innerlich verbundenen Ganzen zu machen, das politische Ziel der äußeren Geschlossenheit und der inneren Einheit sollte nicht nur über auf Effizienz ausgerichtete staatliche Verwaltung erreicht werden. "Ferner haben Wir" - heißt es in der Präambel der Mai-Konstitution von 1808 -, "um Unsern gesamten Staaten den Vortheil angemessener gleicher bürgerlicher und peinlicher Geseze zu verschaffen, auch die hiezu nöthigen Vorarbeiten angeordnet, die zum Theil schon wirklich vollendet sind. ,,50 Vollendet war die Reform der Gerichtsverfassung, mit der neben der Unabhängigkeit der Richter deren kollegiale Beratung und der dreigliedrige Instanzenzug eingeführt wurden, analog zur Verwaltungsgliederung in obere, mittlere und untere Ebene. 51 Verweisen konnte man auch auf die 1806 in Kraft getretene Verordnung über die endgültige Abschaffung der Folter52 , aber die Einführung eines "eigene[n] bürgerliche[n] und peinliche[n] Gesezbuch[es] [ ... ] für das ganze Reich" blieb gemäß § VII des Fünften Titels der Mai-Konstitution eine noch zu erledigende Aufgabe. 53 Noch 1808 erhielt Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 - 1833) den Auftrag, ein bayerisches Zivilgesetzbuch auf der Grundlage des französischen Code civil von 1804 auszuarbeiten, ebenso ein Handelsgesetzbuch für das Königreich auf der Grundlage des französischen Code de commerce von 1807. Er war der Überzeugung, daß "ein Staat [ ... ] solange noch nicht Ein Staat [ist], solange nicht seine einzelnen Bestandteile durch gemeinschaftliche Geseze verbunden sind. Nur unter der Gleichheit der Geseze kann Einheit des Geistes und der Kraft eines Volkes entstehen, nur durch diese Mittel können verschiedene, durch Nazional-Haß und Nazional-Vorurtheil ursprünglich getrennte Völkerschaften allmählig in eine Nazion zusammenwachsen,,54. Aber der Fortgang der Arbeiten stockte 50
"Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 143.
51 Vgl. Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates (FN 3), S. 49.
52 Walter Demel, Die Entwicklung der Gesetzgebung in Bayern unter Max 1. Joseph, in: Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung, Beiträge (FN 4), S. 72 - 82, hier S. 79. 53 " Konstitution " vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 149 ("Fünfter Titel. Von der Justiz", § VII). 54 Zitiert nach Demel, Der bayerische Staatsabsolutismus (FN 29), S. 124; vgl. generell ebd., S. 124 ff., sowie Demel, Die Entwicklung der Gesetzgebung (FN 52), S. 72 - 82. - Zu Feuerbach vgl. den Beitrag in: Gerd Kleinheyer / Jan Schräder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Ge-
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ab 1811 angesichts der großen Widerstände der adeligen Grundherren Bayerns gegen ein zu stark am Code Napoleon angelehntes Zivilrecht. 55 Ebenso blieben Nikolaus Thaddäus Gönners Bemühungen um ein kompiliertes Zivilgesetzbuch erfolglos, in dem der "Codex Maximilianus Bavaricus civilis" Wiguläus Franz Alois von Kreittmayrs (1705 -1790) aus dem Jahre 1756, die neuere bayerische Gesetzgebung, der Code Napoleon und andere Gesetzbücher vereinigt werden sollten. Die Folge war, daß im Königreich Bayern bis zur Einführung des "Bürgerlichen Gesetzbuches" (BGB) im Jahre 1900 kein einheitliches Zivilrecht bestand, sondern im alten Herzogtum weiterhin der Kreittmayrsche Codex galt, in den ehemaligen fränkischen Markgraftümern Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth preußisches Landrecht und in den übrigen Gebieten die vor 1800 jeweils gültigen Rechtsbücher. 56 Zu den großen gesetzgeberischen Errungenschaften für das Königreich Bayern gehörte allerdings das von Anselm Feuerbach ausgearbeitete bayerische Strafgesetzbuch, dem der Gedanke der Gleichbehandlung aller Straftäter zugrunde lag, der freilich etwa insofern verwässert wurde, daß mit der Festungsstrafe neben Gefängnis- oder Zuchthausstrafe ein Verwahrungsort "für den gebildeten Unterthan" im Unterschied zum "rohen Haufen" eingeführt wurde. 57 Dies entsprach einer auch sonst zu beobachtenden Tendenz, über eine Gleichbehandlung von Adel und gebildetem Bürgertum zu einer Bevorzugung der staatstragenden Schichten zu gelangen. Nachdem der materiell-rechtliche Teil bereits 1807 fertiggestellt war, konnte das Strafgesetzbuch am 1. Oktober 1813 in Kraft treten und blieb bis zur Einführung des Reichsstrafgesetzbuches (StGB) vom 15. Mai 1871 gültig, dessen § 1 mit jenem Satz überschrieben ist, wonach es ohne Gesetz keine Strafe geben kann, den schon Feuerbach in sein Lehrbuch von 1800 aufgenommen hatte. 58 Neben den Bemühungen um Verwaltungs- und Gesetzesvereinheitlichung waren es die um die Herstellung eines in sich geschlossenen Wirtschaftsraumes, die die staatliche Integration begleiteten, ja eigentlich wesentlich ausmachten. "Die gänzliche Absonderrung dieser neu erworbenen Provinzen, in kommerzieller Hinsicht, von Unseren älteren, durch die [ ... ] zwischen ihnen befindlichen Maut-Grenzen, und die daraus entsprungene Hemmung des wechselseitigen Verkehrs in dem Inneren Unseres Reiches selbst, dessen verschiedene Theile sich in diesem Betrachte größtentheils untereinander schichte der Rechtswissenschaft, Heidelberg 2 1983, S. 79- 85; Heinz Mohnhaupt, Feuerbach, Paul Johann Anselm von (1775 -1833), in: Stolleis (Hrsg.), Juristen (FN 47), S.201-204. 55 Demel, Die Entwicklung der Gesetzgebung (FN 52), S. 72 -76. 56 Kraus, Geschichte Bayerns (FN 3), S. 417 f. 57 Zitiert nach Demel, Die Entwicklung der Gesetzgebung (FN 52), S. 78. 58 Demel, Die Entwicklung der Gesetzgebung (FN 52), S. 78 f.
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noch als ausländisch behandelten, - haben Uns bewogen, dem Begriffe der Unser gesamtes Reich verbindenden Einheit gemäß, die dermaligen inneren Maut-Grenzen durchgängig aufzuheben, Unsere sämtliche Staaten in einen einzigen zusammenhangenden Mautverband zu ziehen, und die Grenzen der Maut überall bis an die Grenzen Unseres Reiches zu verlegen"59. So hieß es in der ersten Zollordnung eines deutschen Staates vom 1. Dezember 1807, die auf einer bereits drei Jahre älteren kurbayerischen Zollordnung vom 7. Dezember 1804 fußte und mit der Aufhebung aller Binnenzölle den einheitlichen Wirtschaftsraum des Königreiches Bayern konstituierte. 6o In dem zu etwa 90 % agrarisch strukturierten Land erleichterte diese so anschauliche Maßnahme die Entfaltung von Handel und Gewerbe über ihre angestammten regionalen Märkte hinaus. Der "erleichterte Verkehr zwischen Produzenten, Händlern und Konsumenten erhielt gerade in der Frühphase der wirtschaftlichen Integration Bayerns einen besonderen Stellenwert. ,,61 Zur "Beförderung aller Zweige des National-Kommerzes" und des "National-Wohlstandes" - wie es in einer Verordnung vom 16. August 1805 hieß 62 - wurde diese Entwicklung durch staatliche Verkehrs- und Straßenbaupolitik begleitet, die sich sehr früh daran machte, das Königreich verkehrsmäßig zu verklammern. Zwar war bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem Ausbau von Chausseen begonnen worden - zuerst in der 1806 an Bayern gekommenen Grafschaft Oettingen zwischen Nördlingen und Oettingen -, zwar hatte Johann Wolfgang von Goethe zu Beginn seiner "Italienischen Reise" unter dem Datum des 3. September 1786 die Straße durch das Naabtal von Tirschenreuth nach Regensburg als "treffliche Chaussee" gelobt, gar davon gesprochen, daß "sich keine vollkommenere denken [läßt] "63, zwar hatte der Berliner Schriftsteller und Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai (1733 -1811) in seiner "Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781" die "vortreffliche[n] Chausseen" u.a. in Franken und Bayern rühmlich erwähnt, "welche vor einigen Jahren statt der sonst ganz abscheulichen Wege gemacht worden sind", die "treflichsten gebahnten Straßendämme,,64 - aber im Sinne einer 59 "Zollordnung für das Königreich Bayern" vom 1. Dezember 1807, in: Bosl (Hrsg.), Dokumente (FN 47), Nr. 107, S. 335f. 60 Die "Zollordnung für Kurbayern" , in: ebd., Nr. 105, S. 333 f. 61 Blessing, Staatsintegration als soziale Integration (FN 45), S. 679. 62 Zitiert nach Blessing, Staats integration als soziale Integration (FN 45), S. 679, Anm.225. . 63 Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise, Teil I, hrsg. von Christoph Michel und Hans Georg Dewitz (= Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, 1. Abteilung, Bd. 15/1), Frankfurt am Main 1993, S. 12. 64 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und
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wirtschaftlichen Erschließung tat planende Verkehrspolitik Not, die durch neue oder veränderte Linienführungen der Straßen Räume neu erschloß und gestaltete, Verbindungen schuf, die nach dem Wegfall der politischen Binnengrenzen erst möglich geworden waren. In diesen Kontext gehören dann auch die Verstaatlichung und Neuorganisation des Postwesens durch die Verordnung vom 1. März 1808, nachdem die Thurn und Taxis-Post bereits ein halbes Jahr vor der definitiven Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation am 14. Februar 1806 der staatlichen Aufsicht des jungen Königreichs Bayern unterstellt worden war. 65 Aus dem im Alten Reich interterritorialen Kommunikationsmittel wurde ein innerstaatliches mit erheblicher integrativer Bedeutung. Derselbe Stellenwert ist der Verordnung zur Vereinheitlichung von Münzen, Maßen und Gewichten vom 28. Februar 1809 zuzumessen, "um" - wie es dort heißt - "die Hindernisse des in- und ausländischen Kommerzes, die aus der bisherigen Verschiedenheit hervorgehen, möglichst zu heben,,66. Der Silbergulden (24 fl.) wurde zur einheitlichen Münze, altbayerischer Fuß und Quadratfuß zum Längen- und Flächenmaß, altbayerische Metze zum Volumenmaß für Getreide, die Maßkanne zu dem für Flüssigkeiten, das Münchener Pfund zum Gewichtsmaß, das Nürnberger Medizinalgewicht zu dem für die Apotheken. 67 Und schließlich gehörte in diesen Kontext das Bemühen um eine einheitliche Finanz- und Steuerpolitik, denn es galt "für die direkten Auflagen sowohl, als für die indirekten ein gleichförmigeres Sistem zu gründen" , wie es in der Präambel der Konstitution von 1808 heißt. 68 Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits seit einem knappen Jahrzehnt dem Ständestaat eigene Steuerprivilegien abgebaut worden und z. B. eine allgemeine Familiensteuer an die Stelle von insgesamt 30 - meist territorial gebundene - Personalsteuern getreten. Das neue System direkter Steuern sollte "mit gleichheitlicher Anziehung aller einzelnen Unterthanen und aller Provinzen Unsers Reiches den Karakter der Einheit und Simplizität verbinde[n]", hieß es nur zwei Wochen nach Ausfertigung der Konstitution in der "Verordnung über das allgemeine Steuerprovisorium für die Provinz Baiern " wie für andere Teile des Königreiches vom 13. Mai 1808. 69 Sitten, Bd. 1, Berlin/Stettin 1783, S. 117. - Vgl. jetzt generell: Bernd Wunder, Der Kaiser, die Reichskreise und der Chausseebau im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 18 (1996), S. 1- 22. 65 Vgl. dazu Blessing, Staatsintegration als soziale Integration (FN 45), S. 677. 66 Zitiert nach Blessing, Staatsintegration als soziale Integration (FN 45), S. 678, Anm.216. 67 Siehe dazu auch Wolfgang Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1806 -1933 (= Bayerische Heimatforschung, Heft 14), München 1962, S. 93 ff. 68 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 143.
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Verlangte - eine Interdependenz unterstellend - die neue Staatsverfassung auch ein neues Steuersystem, so mußte damit eine Neuordnung der Staatsfinanzen überhaupt einhergehen. Zwar hatten Säkularisationen und Mediatisierungen zahlreiche Erwerbungen gebracht, aber mit ihnen waren mehr Schulden als Einnahmen verbunden, wenn man nur an bankrotte Reichsstädte wie Nürnberg denkt. Außerdem waren Folgekosten wie etwa Pensionsverpflichtungen zu übernehmen. Dies alles addierte sich zu dem von den Wittelsbachern im 18. Jahrhundert aufgetürmten Schuldenberg, den die abverlangten Kriegs- und Kontributionskosten ab 1805 und die hohen Forderungen Napoleons für die Erwerbungen der Fürstentümer Bayreuth und Regensburg 1810 noch weiter vergrößerten. 70
v. Unter der hier zu behandelnden Frage nach historischen Beispielen von staatlichen Vereinigungen markiert die Mai-Konstitution von 1808 in der Entwicklung Bayerns von 1799 bis zur Verfassung von 1818 eine wichtige Zwischenstufe, die Gelegenheit zu einer Zwischenbilanz in den mächtig in Gang gekommenen Reformbemühungen des Grafen Montgelas und seiner Mitstreiter gab und verstärkte weitere Anstrengungen auslöste. Das Programm dazu war seit der Fertigstellung des sog. "Ansbacher Memoires" vorhanden, das sein Autor Montgelas am 30. September 1796 dem damaligen Herzog Max Joseph als Programm für spätere innere Reformen in Bayern vorgelegt hatte. Es bot Neuorientierung in der allgemeinen Auflösung der Zeit und war auf staatliche Integration durch Zentralisation ausgerichtet. 71 In dieser bedeutenden Denkschrift, die uns Eberhard Weis erst zugänglich gemacht und weiter erschlossen hat, waren all die Reformbereiche angesprochen, von denen hier die Rede war: Zentralverwaltung und Zentralregierung, neues Beamtentum, Gleichheit der Besteuerung, Schaffung eines geschlossenen Wirtschaftsraumes durch Abschaffung der Binnenzölle, Justizreform, Reform des Zivilrechts, Humanisierung des Strafrechts und
69 Abgedruckt in: Bosl (Hrsg.), Dokumente (FN 47), Nr. 99, S. 324- 328, hier S. 324f.; ebd., Nr. 100-102, S. 328f., in Auszügen die entsprechenden Verordnungen für die Oberpfalz, Neuburg und Schwaben. - Die "Verordnung über die Aufhebung der Personalsteuern und die Einführung einer allgemeinen Familiensteuer" vom 25. November 1808, in: ebd., Nr. 103, S. 329 - 331. 70 Vgl. Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates (FN 3), S. 50; Demei, Die Entwicklung der Gesetzgebung (FN 52), S. 77, spricht von Staatsschulden in Höhe von 112 Millionen Gulden im Jahre 1811. 71 Vgl. dazu Weis, Montgelas (FN 2), S. 266 - 287.
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vieles mehr. 72 Die auf diesem "Ansbacher Memoire" beruhende, von seinem Geist geprägte Konstitution von 1808 und die sie unmittelbar ergänzenden Organischen Edikte stellten fraglos den Höhepunkt der Reformtätigkeit Montgelas' dar und lösten eine wahre Verordnungsflut aus, die auch etwa das Militär-, Presse- und Bildungswesen mit dem Ziel erreichte, einen neuen Untertanen heranzuziehen 73; sie brachte die bisherige "Revolution von oben" in ein System, starrer konzipiert als dann realisiert. Daß die vorgesehene Nationalrepräsentation ebensowenig wie die geplanten Kreisversammlungen eingerichtet wurden 74 , entsprach der Tendenz der Zeit der napoleonischen Vorherrschaft, in der auch anderswo die Bemühungen um Volksvertretungen scheiterten. Aber die Schaffung einer bayerischen Nation blieb auf der Tagesordnung der Reformer im "Reich Bayern". Wollte Montgelas mit der Mai-Konstitution von 1808 vor allem jenen Bestrebungen zuvorkommen, die auf die Schaffung einer Rheinbund-Verfassung hinausliefen, so ist ihm dies gelungen, indem er die königlich-bayerische Eigenständigkeit manifestierte und vor drohenden bündischen Eingrenzungen auf Kosten der noch jungen Souveränität bewahrte. Die Integration von "Unsern gesamten Staaten" zu "Unserm Reiche" war im Königreich Bayern weit auf den Weg gebracht - vielleicht nirgendwo so anschaulich gemacht wie im Wechsel der Wappen: An die Stelle des Wappens Kurfürst Maximilians IV. Joseph von 1804 mit 16 heraldischen Bildern um den kurbayerischen gevierten Löwen-Rauten-Schild mit Reichsapfel als Mittelschild trat am 1. Januar 1806 das erste Königswappen Maximilians 1. Joseph, das auf einem von 42 weiß-blauen Rauten gebildeten Grund einen Mittelschild mit Reichsapfel und Löwen zeigte, darüber einen als Krone gestalteten Kurhut, denn der König führte den Kurfürstentitel noch bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im August 1806. Diesem epochalen Ereignis Rechnung tragend, wurde im zweiten Königswappen Maximilians 1. Joseph vom 20. Dezember 1806 lediglich der Mittelschild in der Weise verändert, daß er auf rotem Grund mit Zepter und 72 Eberhard Weis, Montgelas' innenpolitisches Refonnprogramm. Das Ansbacher Memoire für den Herzog vom 30. 9. 1796, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 33 (1970), S. 219 - 256; auszugsweise deutsche Übersetzung bei Walter Demel! Uwe Puschner (Hrsg.), Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789 -1815 (= Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Bd. 6), Stuttgart 1995, Nr. 13, S. 79 - 86. 73 Hierauf kann an dieser Stelle ebensowenig eingegangen werden wie z. B. auf die Rolle der Kirchen bei der "Umwandlung Bayerns in einen paritätischen Staat" (so der Titel eines Aufsatzes von Gerhard Pfeiffer in: Bayern. Staat und Kirche, Land und Reich. Forschungen zur bayerischen Geschichte vornehmlich im 19. Jahrhundert. Wilhelm Winkler zum Gedächtnis, hrsg. von den staatlichen Archiven Bayerns [= Archiv und Wissenschaft. Schriftenreihe der Archivalischen Zeitschrift, Bd. 3], München o.J. [1961], S. 35 - 109), nach dem Religionsedikt vom 10. Januar 1803. 74 "Konstitution" vom 1. Mai 1808 (FN 1), S. 148 f. ("Vierter Titel. Von der National-Repräsentation").
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Helmut Neuhaus
Schwert gekreuzt unter eine Königskrone gestaltet wurde. Den Hintergrund bildeten weiter die 42 weiß-blauen Rauten, die zum Königreich Bayern vereinigten "Staaten" und Herrschaftsgebiete symbolisierend. 75
75 Zur Entwicklung der Wappen vgl. Wilhelm Volkert, Die Bilder in den Wappen der Wittelsbacher, in: Hubert Glaser (Hrsg.), Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto 1. zu Ludwig dem Bayern. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1180 -1350 (= Wittelsbach und Bayern, Bd. I/1), München/ Zürich 1980, S. 13 - 28; die hier angesprochenen Wappen sind abgebildet auf Tafel 3, Nr. 21- 23.
Aussprache Neugebauer: Gestatten Sie bitte eine Sachfrage zu den Vorbildern der geschilderten Modernisierung. Sie haben vom Muster des preußischen Generaldirektoriums gesprochen, und zwar hinsichtlich der Landesdirektion von Ober- und Niederbayern. Nun, es wäre ja nicht das erste Mal, daß dieses preußische Generaldirektorium Vorbildcharakter ausübte, denn abgesehen davon, daß es in gewisser Hinsicht eher das Normalmaß der Staatsentwicklung in dieser Zeit repräsentiert (was schon Hintze in seinem Staatsministerialaufsatz gezeigt hat und was man auch am kursächsischen Geheimen Rat ausführen könnte), hat es ja auch auf das österreichische Directorium in publicis et cameralibus bekanntermaßen eingewirkt. Nun ist es ja ganz wesentlich, daß bei dem Generaldirektorium insofern ein Stück 18. Jahrhundert entgegentritt, als es nämlich Realmaterien den Provinzialdepartements zuordnete, beide Gliederungsprinzipien also noch vermischte. Meine Frage ist nun, ob man dieses Charakteristikum noch mit rezipiert hat? Wie kam man eigentlich auf dieses preußische Generaldirektorium, das ja damals schon mehr als 80 Jahre alt war, und in welcher Hinsicht wurde es Vorbild für spätere Entwicklungen? In Preußen war man ja dabei, sich von diesem Teil verfassungsgeschichtlicher Tradition zu lösen. Neuhaus: Man hat innerhalb der (bayerischen) Landesdirektionen, von denen ich im Zusammenhang mit der Instruktion vom 15. August 1803 gesprochen habe, nicht jene Aufteilung in regionale und ressortmäßige Zuständigkeiten übernommen, die für das (brandenburgisch-preußische) Generaldirektorium charakteristisch ist. Willoweit: Herr Neuhaus, ich wollte Sie noch auf zwei Punkte hinweisen. Was bei Ihnen nicht vorkommt, ist die Beseitigung der kommunalen Autonomie. In Bayern ist das ein ganz krasser Vorgang. Die Verstaatlichung der Gemeinden ist nur langsam, schrittweise rückgängig gemacht worden. Der zweite Punkt betrifft die Rechtsungleichheit im Zivilrecht. Sie ist im Grunde genommen geringer als es äußerlich den Anschein hat, und deswegen konnte man auch damit leben. Denn der Codex Maximilianeus enthält weitgehend gemeines Recht, wenn auch mit landesüblichen Besonderheiten. Gegenden, die keine eigene Kodifikation hatten, z. B. die ehemals hochstiftischen Gebiete Frankens, kannten ihrerseits nur das gemeine Recht als Basis ihres Zivilrechtes. Unterschiede s'ind vorhanden in Sondermaterien
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wie im ehelichen Güterrecht und in anderen familienrechtlichen Fragen. Diese sind aber immer lokal plaziert - da ist es egal, daß in Hammelburg und in Wasserburg unterschiedliche Normen gelten. Die Differenzen sind aber nicht so groß wie die Zahl der 200 Sonderrechte vermuten läßt. Noch eine Frage zu den Landrichtern. Sie haben ganz treffend gesagt, daß es auf deren Ebene in der ersten Instanz keine Gewaltenteilung gegeben hat. Der Rechtszug in Justiz- und Verwaltungssachen ging aber verschiedene Wege, in Zivilsachen schließlich an das Oberappellationsgericht und in Verwaltungssachen an das Innenministerium. Und das hat dann die Notwendigkeit mit sich gebracht, die Materien zutreffend zu unterscheiden. Es gab einen Kompetenzkonfliktsenat, der von Richtern und Verwaltungsbeamten gemeinsam besetzt war. Und diese haben mit großem intellektuellen Einsatz und sehr prinzipientreu Privatrecht und öffentliches Recht zu trennen und zu entscheiden versucht, was vor die Gerichte und was vor die Verwaltungsbehörden gehört. Ich weiß daher nicht, warum man die Materien in der ersten Instanz eigentlich zusammengefaßt hat. Vielleicht ist es einfach das Bedürfnis gewesen, dieses heikle Problem, das ja neu war, auf der untersten Ebene auf sich beruhen zu lassen. Man brauchte erst einmal Beamte, welche die Differenzierung von "privat" und "öffentlich" durchführen konnten. Wie war das eigentlich in anderen deutschen Staaten? Neuhaus: Also, zu Ihrer mittleren Bemerkung, Herr Willoweit: Das nehme ich gerne so zur Kenntnis, daß die Differenzierung des Zivilrechtes bei fehlendem Gesamt-Zivilrecht für das Königreich nicht so groß war wie es formal den Anschein hat; das ist für mich neu so, ich danke für den Hinweis. Ihre erste Bemerkung und Ihre dritte Frage gehören ja zusammen. Es geht um die untere Ebene, auf die der Ritter von Lang blickt, und deswegen habe ich ihn zitiert, denn er ist da besonders anschaulich. Mein Eindruck ist, daß man sich in allen Verwaltungsreformbemühungen dieser Zeit um die unterste Ebene letztlich am allerwenigsten gekümmert hat. Große Anstrengungen - und deswegen habe ich das auch an den Anfang gestellt - hat man auf der mittleren Ebene, bei dieser Kreiseinteilung unternommen. Dort wurde gleichsam eine Ebene geschaffen, die sehr vieles korrigieren sollte, was und da würde ich Ihnen völlig zustimmen - auf der unteren Ebene schon mangels kompetenten Personals nicht möglich war zu entscheiden und im Sinne der Gesamtmonarchie durchzuführen. Die untere Ebene ist das Stiefkind dieser Verwaltungsreform, und dazu gehört eben auch das, was wir am Anfang gesagt haben: die völlig unverständliche Aufhebung kommunaler Selbstverwaltung. Sie hatte es ja gegeben; insofern stellt die Reform einen Rückschritt gegenüber dem dar, was im 18. Jahrhundert vorhanden gewesen war. Aber soweit ich sehe, wissen wir über diese unterste Ebene in der Tat am allerwenigsten, kaum etwas über die Personen der Landrichter - und da greift man dann zum "Ritter von Lang".
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Ruppert: Herr Neuhaus, wenn man Ihr Referat jetzt gehört hat und heute morgen die beiden anderen, dann ist mir zunächst eine sehr große Kontinuität aufgefallen, auf den ersten Blick. Und ich glaube, daß diese Sicht einfach entstehen konnte, als es ging um Arrondierung von Territorien, die Verwaltungsstruktur wurde effektiviert, man versuchte wieder Geld zu bekommen; da liegt, glaube ich, aber auch ein Ansatzpunkt zur Kritik. Denn ich finde, Sie hätten das Neuartige der Integration etwas stärker betonen müssen. Das Neuartige liegt doch ganz einfach darin, daß die Verfassung - die Sie zwar zitiert haben - jetzt eine Funktion für die Integration hat. Das haben Sie gar nicht unterstrichen, darin liegt doch das Neuartige. Das ist doch exakt das, was diese territoriale Integration der deutschen Staaten um 1819 von der, die wir im 17. und 16. Jahrhundert beobachten können, unterscheidet. Und zwar gerade der Punkt, daß die Staaten ja vor der neuen Aufgabe standen, die ehemaligen ganz unterschiedlichen Reichsterritorien zu integrieren. Und da war die Verfassung für die ehemaligen Landund Reichsstände natürlich eine völlig unzulängliche Kompensation. Jetzt geht es auch darum, den Staaten neue finanzielle Ressourcen zu erschließen. Das Domanium des Landesherren und die Kontributionen der Stände reichen nicht mehr aus für die modernen Staatsaufgaben. Und hier kommen wir zu einem Aspekt, den wir heute morgen angesprochen haben, nämlich die Eigenwirkung von äußeren Ereignissen. Man muß die Weltpolitik Napoleons als Hintergrund sehen. Da reicht das alte System nicht mehr aus, die finanziellen Leistungen, die Napoleon verlangt, kann Bayern nicht mehr bringen, also ist auch die Verfassung eine Kompensation. Und es geht ja nicht nur um das Verfassungsinstitut, sondern es kommt ja auch eine völlig neue Dimension in die staatliche Integration hinein, wenn zum ersten Mal in die staatliche Integration die Untertanen eingebaut werden; das ist doch ganz neu. Das, finde ich, hätten Sie mehr herausstellen müssen. Neuhaus: Ich kann Ihnen nur zustimmen, Herr Ruppert. Ich sehe die Funktion der Verfassung so, wie Sie sie sehen, und glaubte durch die Tatsache, daß ich die bayerische Mai-Konstitution von 1808 immer wieder ins Zentrum meiner Überlegungen rückte, sie als Ausgangs- und als Endpunkt betrachtete, dies im Vortrag unterstrichen zu haben. Aufgrund der umfassenden Gesetzesreformen, zu denen ich auch die Verfass'ungsgebung rechne, kann es an der epochalen Neuartigkeit der staatlichen Integration gar keinen Zweifel geben. Baumgart: Herr Neuhaus, ich frage mich, ob nicht eine wesentliche Komponente die Frage des säkularen Staates ist, den Sie als Thema eigentlich nicht angesprochen haben. Ist es nicht das Fundamentale an diesem Vorgang, der sich da in Bayern vollzieht, daß der Staat eine neue Haltung zu den in diesem Staat existierenden Konfessionen einnimmt und daß dies ge9 Der Staat, Beiheft 12
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wissermaßen eine neue Form der Wertneutralität gegenüber der Religion in diesem Staat konstitutiert? Als Komponente ist dies eigentlich unabdingbar für den Integrationsprozeß dieses bayerischen Staates, wenn er denn gelingen sollte, und er ist ja nur partiell gelungen, wie wir aus der weiteren Entwicklung wissen. Im Zusammenhang damit hätte wohl auch die Frage der Säkularisation von Ihnen angesprochen werden müssen, zumindest im Hinblick auf die Sanierung der Finanzverfassung; wie weit diese gelungen ist, müßte auch erörtert werden. Jedenfalls war es ein Fundamentalvorgang, der damit verbunden bleibt, und er hängt mit dem ersten Thema natürlich wiederum auf das engste zusammen. Eine dritte Frage möchte ich noch im Hinblick auf heute Vormittag gerne anschließen: Sie haben eine Formulierung immer wiederholt, die ja sehr treffend ist: "von den gesamten Staaten zu unserem Reich". Daran sehen wir die neue Bedeutung des Reichsbegriffs. Welche Bedeutung hat der alte Reichsbegriff, Herr Schmidt, am Ende des 18.Jahrhunderts denn noch besessen? Wir haben gerade das Dalberg-Jahr hinter uns, und earl Theodor von Dalberg als ein Verfechter dieses alten Reichsgedankens scheiterte insbesondere an dem bayerischen Souveränitätsstreben, an dem neuen bayerischen Reichsverständnis; ich frage mich, was von diesem alten Reich, das von Ihnen als Rahmenbedingung für alle staatliche Entwicklung im 18. Jahrhundert noch vorausgesetzt wurde, übriggeblieben ist, wenn wir sehen, was Monteglas und auch der erste bayerische König selbst in dieser Zeit von diesem Reiche dachten und wie sie ihn jetzt anwendeten. Das wäre eine Frage, die noch einmal auf den Gang der Diskussion von heute Vormittag eingeht. Aber die von Ihnen verwendeten sehr charakteristischen Formulierungen veranlassen mich dazu. Neuhaus: Also zunächst zu Ihrer letzten Frage, Herr Baumgart. Leider habe ich ja die Referate des heutigen Vormittags nicht hören, an den Diskussionen nicht teilnehmen können. Der Reichsbegriff, wie ich ihn hier verwende und wie er in den Quellen vorkommt, wird als Kurzform, als Ableitung von "Königreich", das viele Teile umfaßt, benutzt und ist keineswegs singulär für Bayern, sondern wir finden i~ z. B. auch in württembergischen Quellen, ebenso in sächsischen Quellen. Daß der Begriff in dieser Zeit nach dem Untergang des Alten Reiches weiterhin in der Diskussion ist, verwendet wird, ist zunächst einmal zu konstatieren, aber er ist mit einem ganz anderen Inhalt gefüllt. Ich denke, wir kommen in der Diskussion darauf noch einmal zurück. - Zu Ihren beiden ersten Fragen: Sie haben recht, Herr Baumgart, wenn Sie diese Aspekte vermissen. Ich habe lange überlegt, worauf ich mich in der doch kurzen Zeit für ein so umfassendes Thema beschränke, und bin auf die Fragen des säkularen Staates und der Säkularisation, auf die Kirche und das Nebeneinander von drei Konfessionen - wie es in den Texten immer wieder heißt - hier nicht mehr eingegangen. Es ist ja nicht zu übersehen, daß es zunächst - am 10. Januar 1803 - ein Toleranz-
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edikt gab, in dem festgestellt wurde, daß die drei christlichen Konfessionen nebeneinander gleichberechtigt unter staatlichem Schutz stehen sollten. Dies wurde dann verstärkt durch die Verordnung, in der von der Parität der Konfessionen in Bayern gesprochen wurde. - Sie haben damit zugleich die Frage angesprochen, was denn nun von all dem, was man gewollt habe, funktionierte. Das ist ein weites Feld. Ich habe ja meine Aufgabe zunächst einmal darin gesehen, einfach darzustellen und zu beschreiben, welche Fragen es zu lösen galt; deswegen auch die etwas längeren Ausführungen zur politischen Geographie, die mir notwendig erschienen, um die Dimensionen der Probleme zu verdeutlichen. Wie das Ganze realisiert worden ist, akzeptiert worden ist, ist einmal daran ablesbar, daß es nach 1808 eine solche Fülle von Einzelgesetzgebungen in allen Bereichen gegeben hat, die von der staatlichen Integration notwendig zu erfassen waren. Dies kann man wohl nur dahingehend interpretieren, daß hier viel revidiert wurde, daß hier das, was man erdacht hatte, auf seine Praktikabilität hin überprüft wurde. Es kam auf dem Gesetzgebungswege - gleichsam eine Stufe tiefer als das Verfassungsrecht angesiedelt - zu vielfältigen Modifikationen, und das Ganze mündete dann in die Verfassung von 1818 hinein. Wenn man etwa daran denkt, daß die protestantischen Teile Frankens nun in dieses Königreich Bayern integriert werden mußten, oder wenn man berücksichtigt, wie schwer sich katholische Gebiete in Oberbayern, aber auch in Franken wie etwa der Würzburger und der Bamberger Raum mit der neuen Situation getan haben, dann wird man feststellen, daß der Eingriff des Staates - etwa hinsichtlich der Abschaffung von kirchlichen Feiertagen oder von Wallfahrten - so enorm war, daß es natürlich lange einen inneren Widerstand gegen die Neuerungen gegeben hat; und genauso hat es einen Widerstand in den protestantischen Gebieten gegen einen dominierenden Katholizismus gegeben. Diese Widerstände sind - wenn ich es richtig sehe - im ganzen 19. Jahrhundert nicht ausgeräumt worden, sondern haben zum Teil bis heute Bestand. Dahinter verbergen sich ganz lange Prozesse. Ein anderes Beispiel bietet die Frage der Finanzreform, das Problem der Gleichheit im Steuersystem; gerade hier wurde ja ungemein viel gesetzgeberisch korrigiert. Aber ob die angestrebte Gerechtigkeit und die Gleichheit dann tatsächlich überall im Laufe des 19. Jahrhunderts eingetreten sind, ist ja sehr zu bezweifeln, wenn man bedenkt, daß in Bayern die finanziellen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten eigentlich im ganzen 19. Jahrhundert nicht aufhörten, und wenn man etwa die besondere Behandlung des grundbesitz enden Adels, aber auch des grundbesitzenden "Bildungsbürgertums" in den Blick nimmt. Auch hier sind ja dann in der Gesetzgebung erste Korrekturen vorgenommen worden, die dem Gleichheitserfordernis, das oben anstand, Rechnung trugen. Sie haben, Herr Baumgart, hier Themen angesprochen, die weiterer Ausführungen bedürften. Das ist mir völlig klar, und ich danke Ihnen für Ihre Hinweise. 9·
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Schindling: Zum Reich meinerseits ein kurzer Zwischenruf. Also ich glaube schon, daß das bayerische Reich das alte Heilige Römische Reich bewußt substituieren und verdrängen sollte. Ein kleiner Beleg dafür ist auch der, daß der Montgelas-Staat in Franken und in Schwaben serienweise die Reichsarchive der kleinen Reichsstände in die Papiermühle gegeben hat und das ist nicht nur Zweckrationalität, sondern das ist damnatio memoriae, wie man das in der Antike genannt hätte. Schmidt: Als die staatliche Integration in Bayern in der von Herrn Neuhaus geschilderten Form einsetzte, ist das Alte Reich nicht mehr existent. Was wir nun erleben, ist etwas ganz Neues und gerade keine späte Reichsreform, so daß jeder Vergleich mit den nicht ganz geglückten Staatsbildungen des 16. und 17. Jahrhunderts von vornherein fragwürdig erscheint. Wenn nun vom bayerischen Reich die Rede ist, so sucht man aber sicherlich auch die Kontinuität zum Alten Reich: Es ist nicht nur das Königreich, sondern die vom Begriff "Reich" ausgehende Vorstellung des Überwölbenden, unterschiedliche Staaten Integrierenden. Zudem taucht nun auch erstmals die Idee einer bayerischen Nation auf: Ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig das Reich selbst im ausgehenden 18. Jahrhundert noch gewesen ist. Blaschke: Es ist das Pech eines Teilnehmers, der ziemlich spät spricht, daß eben möglicherweise die inzwischen aufgetretenen Diskussionsredner etwas vorweggenommen haben. Herr Baumgart hat genau das gesagt, was ich auch sagen wollte, was im Anschluß an unsere heutige Vormittagsdiskussion unbedingt kommen mußte. Wir sprachen vormittags über die integrative Bedeutung der Konfessionen, und bei dem durch und durch katholischen Altbayern mußte es ja doch eine Art mentale Revolution bedeuten, daß dieses neue Bayern mit einem Male ein Staat war, der vielleicht zur Hälfte aus nichtkatholischer Bevölkerung bestanden hat. Wie ist das dann auch in der Staatsverwaltung reflektiert worden? Es mußten ja doch irgendwelche Behörden geschaffen werden, es mußten Organisationen für die nichtkatholische Bevölkerung geschaffen werden, Konsistorien oder wie auch immer. Und das zweite, auch diese Nation hat Herr Schmidt nun eben angesprochenen. Aber kommt das nicht doch aus diesem revolutionären Geist der französischen Revolution, daß sich jetzt ein solches neues Staatsgebilde mit einem ganz modernen revolutionären Inhalt füllen möchte und mit dem Anspruch auftritt, wir sind nicht nur ein Reich, wir sind auch Nation. Es gibt ja heute noch das bayerische Nationalmuseum. Also ein Rest dieser Gesinnung - wir sind Nation - ist heute noch vorhanden. Wadle: Ich wollte da eine kurze Bemerkung zum Reichsbegriff machen. Der deutsche Begriff ist vielschichtiger als der lateinische, wo zwischen regnum und imperium geschieden werden kann. Es scheint nicht ausgeschlos-
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sen zu sein, daß man die Unschärfe des deutschen Wortes benutzt hat, um Assoziationen zu bestimmten Legitimationssträngen zu schaffen. Eine zweite Bemerkung betrifft das Phänomen der Beseitigung der Kommunalverfassung. Ich halte es für möglich, daß es hier deshalb zur Beseitigung gekommen ist, weil die überkommene Kommunalverfassung sehr stark ständisch verstanden und modifiziert war. Nicht nur die Reichsstädte, sondern auch kleine Landstädte haben ihre tonangebenden Schichten, die am alten Regiment in besonderer Weise beteiligt waren. Mit der Forderung nach einer Gleichstellung der Staatsunterworfenen war dies nicht zu vereinbaren. Man mußte erst einmal "tabula rasa" machen und konnte dann auf einer neuen Basis eine neue Kommunalverfassung aufbauen. Dieses Phänomen ist aus Frankreich bekannt, wo man bis in die Kommunen hinein alles beseitigt hat und lange brauchte, um Neues aufzubauen. Gibt es Zusammenhänge mit der Erfahrung, die Montgelas mit der französischen Reorganisation von Staatlichkeit gemacht hat? Es sollte sicher vermieden werden, daß auf lokalen Ebenen Strukturen bestehen blieben, die nicht in das neue Staatskonzept paßten.
Neuhaus: Der anti ständische Affekt, der ist durchgängig da; aber es bleibt, Herr Wadle, die Frage, warum man dann nicht sofort die Neuordnung auf der kommunalen Selbstverwaltungsebene in Angriff nahm, sondern die überkommene Kommunalverfassung zunächst einmal völlig wegfallen ließ. Steiger: Ich habe nur eine kurze Frage. Im Zusammenhang mit der Festungshaft hatten Sie auf die staatstragenden Schichten hingewiesen. Mich würde interessieren, was in diesem neuen Gebilde nun die staatstragenden Schichten gewesen sind? Krüger: Ich teile in etwa das Schicksal wie Herr Blaschke. Ich möchte aber auf einen Punkt hinweisen, der sich aus der Wortmeldung von Herrn Ruppert ergibt. Ich habe das ganze Referat von Herrn Neuhaus verstanden als sozusagen in der Mitte einer Übergangsphase stehend. Das heißt, wir dürfen nicht zu weit in die Moderne gehen. Ich halte z. B. den modernen Verfassungsbegriff in diesem Zusammenhang gerade im Hinblick auf die bayerische Verfassung vom 1: Mai 1808 für problematisch, und es wäre eine viel wichtigere Frage zu sehen, welche Elemente moderner Verfassung oder grundgesetzlicher Ordnung übernommen worden sind. Ein weiterer Punkt, der vielleicht noch erwähnenswert ist, der ganz trivial ist und jedem geläufig - nur, um den Anschluß an die Diskussion von heute morgen noch einmal herzustellen -: Ich glaube, das immer wieder betonte Verschwinden des Reiches, was natürlich ganz neue Bedingungen schuf gerade auch für die Rheinbundstaaten, sollte um eine kleine Nuance erweitert werden, die sich
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aus den Vormittags-Diskussionen ergibt. Es ist ja nicht nur so, daß man nun praktisch sich auf die innerstaatliche Reform und die Durchorganisierung des Staates konzentrieren kann, weil man bestimmte Reichsbindungen in bezug auf die innere Gestaltung losgeworden ist oder das gesamte Gehäuse des Reiches, sondern es sind aber auch bestimmte Verpflichtungen der Trägerschaft des Reiches, der Reichskreise, der Verteidigung etc. weggefallen, die wir etwa bei den Kurfürsten gesehen haben und die wir in anderen Zusammenhängen auch sehen. Das heißt, diese Zweischichtigkeit der Verpflichtungen, die zum Teil auch eine Überlastung in der früheren Phase war, fällt weg, und man kann sich jetzt ganz auf die inneren Dinge konzentrieren.
Kohler: Ich möchte noch einmal das 18. Jahrhundert ins Spiel bringen, und zwar einen Vergleich zwischen den josefinischen Reformen und den unter der bayerischen Besatzung in Tirol durchgeführten Montegelas'schen Reformen, der erst noch im Detail erbracht werden müßte. Bekanntlich wurden die josefinischen Reformen in Tirol abgelehnt, vor allem wenn es um die kirchlichen Gebräuche ging: Die bayerischen Beamten wiederum sind sehr anmaßend vorgegangen und waren als Ausländer verhaßt. Vorsitzender: Herr Neuhaus, ich möchte Sie jetzt um ein Schlußwort bitten und Antwort auf die drei letzten Fragen, aber vielleicht möchten Sie noch einmal die Diskussion als Ganzes zusammenfassen? Neuhaus: Zunächst möchte ich das, was Herr Krüger zuerst gesagt hat, nachdrücklich unterstreichen: In der Tat, das Referat habe ich um die Konstitution von 1808 herum angelegt, um - wie ich es auch in meiner Zusammenfassung noch einmal gesagt habe - gleichsam eine Zwischenstation zu markieren, die sich - wenn dann schon die Weltgeschichte mit ins Spiel gebracht worden ist - natürlich auch von dort her erklärt. Die Bestrebungen, etwa eine einheitliche Verfassung aller Rheinbundstaaten zu machen, sind eine Triebfeder für die Münchener Reformer gewesen, nun einmal alles für das Königreich Bayern zusammenzufassen. Von da her habe ich von 1808 aus immer wieder zurückgeblickt und viel weniger nach vorne auf das Jahr 1818. Was Sie zum Verfassungsbegriff gesagt haben, Herr Krüger, kann ich bestätigen: Es ist in der Tat ganz auffällig, daß es wenig Literatur zum Text von 1808 gibt, die dann auch den Begriff " Verfassung " in diesem Zusammenhang meidet und immer nur von "Konstitution" spricht; so heißt das Dokument im übrigen auch selber. Nur in einer verallgemeinernden Verfassungsgeschichtsschreibung wird das Dokument von 1808 zur ersten bayerischen Verfassung; aber im Umkreis der Literatur zur 1818er Verfassung wird von der bayerischen Magna Charta gesprochen, und damit wird die 1818er zur ersten bayerischen Verfassung in dem Sinne, in dem es wohl auch Herr Ruppert gemeint hat.
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Herr Steiger, zu Ihrer Frage: Das, was ich ausgeführt habe, ist natürlich sehr verkürzt gewesen - notwendigerweise. Es ist Ziel der Reformpolitik in dem von mir behandelten Zeitraum, das gebildete Bürgertum - "Bildungsbürgertum" habe ich ja früher selber mit einem Fragezeichen versehen - in die Aufgaben der Staatsverwaltung hineinzuziehen. Gleichzeitig war die Stellung des als politischen Stand abgeschafften Adels zu berücksichtigen. Die Adeligen waren die großen Grundbesitzer gewesen und sind es geblieben, sie spielen als Grundbesitzerschicht auch im Blick auf die wirtschaftliche Gestaltung des Königreiches Bayern eine große Rolle. Man hat sehr schnell erkannt, daß man diesen grundbesitzenden Adel nicht gegenüber den Verwaltungsbeamten bevorzugen kann, die aus dieser bürgerlichen Schicht gekommen sind, und deswegen fand hier eine Angleichung statt; es entstand eine tiefe Kluft zu denjenigen, die da nicht dazugehörten. Im übrigen: Der Adel blieb im Besitz der Patrimonialgerichtsbarkeit in einer Weise, die auf dem ersten Blick zu dem Ergebnis kommen läßt, es hätte sich überhaupt nichts verändert. Nur wenn man dann genauer hinsieht, stellt sich heraus, daß der Adel die Patrimonialgerichtsbarkeit nicht mehr aus eigenem Recht ausübte, sondern im staatlichen Auftrag. Und zur Frage von Herrn Kohler: Mit dem Sonderfall Tirol- und das ist ein Sonderfall in dieser Zeit - habe ich mich in diesem Kontext nicht eigens beschäftigt, sondern ich habe mich in allen meinen Beispielen auf die Teile des Königreiches Bayern konzentriert, die dann auch auf Dauer dabei geblieben sind; deswegen muß ich hier eine Antwort schuldig bleiben.
Vorsitzender: Meine Damen und Herren, damit danke auch ich Herrn Neuhaus noch einmal für Vortrag und Diskussion.
Staatenbund oder Bundesstaat? Ein Versuch über die alte Frage nach den föderalen Strukturen in der deutschen Verfassungsgeschichte zwischen 1815 und 1866
Von Elmar Wadle, Saarbrücken I. Verfassungsgeschichte, also die Geschichte derjenigen "rechtlichen Regeln und Strukturen, die das Gemeinwesen und damit die politische Ordnung prägen" (Willoweit), ereignet sich immer in einem Spannungsfeld, dessen Pole durch gegensätzliche Ordnungsmodelle bestimmt sind. Für das Mittelalter dürften "Herrschaft" und "Genossenschaft" solche Pole bilden; für die späteren Jahrhunderte, in denen sich "Herrschaft" zum "Staat" verdichtet hat, erscheint es schwieriger, Ort und Bedeutung des Prinzips "Genossenschaft" genauer zu bezeichnen. Die Herausbildung des modernen Staatsgedankens geht einher mit der Ausbildung zweier Rechtssphären, der staatsrechtlichen einerseits, die das Verhältnis nach innen bestimmt, und der völkerrechtlichen andererseits, die das Verhältnis nach außen, also der Staaten untereinander, betrifft. Da im "Staat" die Herrschaft als Ordnungsmodell dominiert, scheint es, als würden die genossenschaftlichen Strukturen vor allem im Völkerrecht ihr Gewicht behalten, während sie im Staat mehr oder minder verschwinden, ja letztlich verschwinden müssen. Die deutsche Verfassungsgeschichte folgt diesen hier nur skizzenhaft beschriebenen Tendenzen bekanntlich nur zum Teil. Die komplexe Gestalt des Alten Reiches, aber auch zahlreicher unter seinem Dach versammelter Herrschaftsgebilde ist bis 1806 geprägt durch ein Mit- oder Nebeneinander von politischen Kräften und regionalen Einheiten, die dem Prinzip der Genossenschaft folgen, mithin einen Charakter tragen, der auf Kooperation und Bündnis angewiesen ist. Dieses "bündische" Element innerhalb der politischen Einheit des Reiches, der einzelnen Territorien oder Herrschaftsverbände ist schwer in Einklang zu bringen mit der klaren, am Staatsbegriff orientierten Unterscheidung von innen und außen, von Staatsrecht und Völkerrecht, einer Unterscheidung, die seit dem Westfälischen Frieden mehr
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ElmarWadle
und mehr zum Maßstab auch der deutschen Verfassungsverhältnisse geworden ist l . Wie in einem Brennpunkt haben sich diese Probleme in der Lehre vom Bundesstaat versammelt. Mit Recht konnte der Heidelberger Professor Siegfried Brie im Jahre 1874 formulieren 2 : "In der Geschichte der Lehre vom Bundesstaate spiegelt sich die Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit". Dieser Satz trifft auch heute noch zu und hat sogar neues Gewicht gewonnen: Die Lehre vom Bundesstaat beschäftigt sich längst nicht mehr nur mit dem nationalen Recht; durch die Debatte um die Verträge von Maastricht hat sie eine europäische Dimension hinzugewonnen 3 • Sie kehrt inso1 Der Beitrag wurde stark überarbeitet; er versucht, die Anregungen der in Hofgeismar geführten Diskussion zu berücksichtigen. Die Kernaussagen des Vortrags vom 14. März 1995 sind beibehalten worden. Das Manuskript wurde im Juni 1996 abgeschlossen. Nach Abschluß des Manuskripts ist erschienen: Bemd Grzeszick, Vom Reich zur Bundessstaatsidee .. Zur Herausbildung der Föderalismusidee als Element des modernen deutschen Staatsrechts (Schriften zum Öffentlichen Recht 705), Berlin 1!J96. - Das eingangs verwendete Zitat nach Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich zur Teilung Deutschlands, 2. Aufl., München 1992, S. 2. Im übrigen vgl. noch die Beiträge der Tagungen der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar am 3./4. Oktober 1977 ("Gesellschaftliche Strukturen als Verfassungsproblem") am 30./31. März 1981 ("Gegenstand und Begriff der Verfassungsgeschichtsschreibung"), erschienen als Beihefte 2 und 6 zu "Der Staat", Berlin 1978 und 1983 (darin bes. die Beiträge von Dietmar Willoweit/ Karl Kroeschell/ Rudolf Sprandel); sodann Ernst-Wolfgang Boeckenförde, Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1991. Zur Struktur des Alten Reiches und seiner Staatenwelt vgl. Albrecht Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1968, Berlin 1967; Thomas Fröschl (Hrsg.), Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der Frühen Neuzeit vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 21), Wien/München 1994 (darin bes. die Beiträge von Fröschl und Kohler). Die historische sowie die politikwissenschaftliche Literatur zum Themenkreis Föderalismus / Unitarismus und Partikularismus / Zentralismus in der deutschen Geschichte ist schwer zu überblicken; hier seien besonders hervorgehoben Bodo Dennewitz, Der Föderalismus. Sein Wesen und seine Geschichte, Hamburg 1947; Reinhard Koselleck, Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, in: Geschichtliche Grundbegriffe Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 582 - 671, bes. S. 649 ff.; Ernst Deuerlein, Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, München 1972, bes. S. 66 ff.; Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1984; Thomas Nipperdey, Der deutsche Föderalismus zwischen 1815 und 1866 im Rückblick, in: Andreas Kraus (Hrsg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Festgabe für Max Spindler, München 1984, III, S. 1-18; ders., Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte, 2. Aufl., München 1986, S. 60 -109 (mit hilfreichen Literaturhinweisen S. 108f.); Michael Dreyer, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip. Das föderative Denken der Deutschen im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1987. 2 Siegfried Brie, Der Bundesstaat. Eine historisch-dogmatische Untersuchung. Erste [und einzige] Abtheilung: Geschichte der Lehre vom Bundesstaate, Leipzig 1874, S. VI. - Zu Brie (1838 -1931); vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 11. Band: Staatsrechtslehre und Verwaltungsrechtswissenschaft 1800 -1914, München 1992, S. 366 Nr. 314.
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weit zu ihren Anfängen zurück, als nun abermals das Miteinander staatlich verfaßter poltischer Einheiten zur Diskussion steht. Dabei werden nicht nur neue Begriffe wie "Staatenverbund" verwendet; es kommen auch Bezeichnungen wie "Bundesstaat" und "Staatenbund" zur Sprache, Vorstellungen also, auf die in der Vergangenheit immer wieder zurückgegriffen worden ist, um die verfassungsrechtlichen Verhältnisse Deutschlands im 19. Jahrhundert zu beschreiben. Der Frage, ob solche Anleihen bei der Begriffswelt der Vergangenheit überhaupt sinnvoll sind, kann naturgemäß nur näher getreten werden, wenn eben diese Vergangenheit und die Versuche, sie theoretisch zu begreifen, hinreichend bekannt sind. Zu solcher Kenntnis möchte diese Untersuchung einen Beitrag leisten. Aus naheliegenden Gründen kann freilich nicht das gesamte 19. Jahrhundert in Augenschein genommen werden, sondern nur die Zeit des Deutschen Bundes4 . Daß dabei die Jahre 1815 und 1866 nicht als scharfe Eckdaten auf3 Zur Diskussion um Staatenbund/Bundesstaat in Bezug auf die EU und den Vertrag von Maastricht vgl. etwa Georg Ress (Hrsg.), Souveränitätsverständnis in den Europäischen Gemeinschaften (Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration 9), Baden-Baden 1980; Bruno Kahl, Europäische Union - Staatenbund Staatenverbund?, in: Der Staat 33 (1994), S. 241- 258; Stefan Oeter, Souveränität und Demokratie als Probleme in der "Verfassungsentwicklung" der Europäischen Union, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 55 (1995), S. 659712; Karl Albrecht Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union. Ein Beitrag zur Lehre vom Staat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag über die EU von Maastricht, in: Wolfgang Blomeyer / Karl Albrecht Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft (Beiträge zum europäischen Wirtschaftsrecht 1), Berlin 1995, S. 75 -139. 4 Das in den letzten Jahrzehnten gewachsene Interesse an der Geschichte des Deutschen Bundes hat die Literatur zur Verfassungs- und Sozialgeschichte sowie zur politischen Geschichte erheblich anschwellen lassen. Hier darf insgesamt verwiesen werden auf einerseits (jeweils mit umfänglichen Hinweisen): Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I: 2. Aufl., Stuttgart 1960, Bd. II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, 2. Aufl., Stuttgart 1960; Bd. III: Bismarck und das Reich, 2. Aufl., Stuttgart 1963; Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 4. Aufl., Berlin 1993, bes. S. 169 ff.; Willoweit, Verfassungsgeschichte (FN 1) §§ 28 - 34. Andererseits: Helmut Rumpler, Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (1815 -1871), in: Der Staat 16 (1977), S. 215228; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 - 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, bes. S. 92ff., 355ff.; Dieter Langewiesche, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815 -1849, 2. Aufl., München 1989; Peter Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom Alten Reich zum Deutschen Zollverein, Stuttgart 1989; Heinrich Lutz/ Helmut Rumpler (Hrsg.), Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 9), München 1982 (bes. Beitr. von Derndarsky und Glaser); Helmut Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815 - 1866 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 16/17), Wien/München 1990; Elisabeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815 -1871, München 1992; Anselm Doering-Manteuffel, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815 -1871, München 1993, bes. S. 19ff., 80ff. (mit reichen Literaturhinweisen); Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806 -1871, München 1995, bes. S. 297 ff. (2. Teil: Das Werden der Nation - Entscheidungen, Ereignisse und Umbrüche).
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gefaßt werden dürfen, versteht sich von selbst; doch können der Rheinbund als Vorläufer und der Norddeutsche Bund nebst umgestaltetem Zollverein als Nachfolger hier nur am Rande Berücksichtigung finden 5 • Auch wenn das Hauptaugenmerk auf die Zeit des Deutschen Bundes gerichtet bleibt, sind weitere Begrenzungen doch unausweichlich: Gegenstand soll vor allem die Verfassung des Deutschen Bundes sein, namentlich die beiden "Grundgesetze", die Bundesakte und die Wiener Schlußakte, ihre praktische Umsetzung und theoretische Bewertung; dabei soll auch, wenn auch wesentlich knapper, die "Verfassung" des Deutschen Zollvereins bis 1866 behandelt werden. Alternative Strukturen, die in reicher Zahl für beide Ebenen, die des Bundes wie die des Zollvereins, ausgedacht und angeboten worden sind, müssen weithin ausgeklammert bleiben 6 . Dies bedeutet insbesondere, daß die vielen Vorschläge, die vor dem Wiener Kongreß, im Vormärz, in der Paulskirche und danach in bisweilen sehr konkrete Verfassungsentwürfe eingeflossen sind, hier nicht näher behandelt werden können, es sei denn, der Blick auf sie wäre für das Verständnis der Verhältnisse des Deutschen Bundes und des Zollvereins besonders aufschlußreich. Das Problemfeld, das übrig bleibt, ist ohnehin weit genug; es soll in drei Schritten erschlossen werden. Als Eingang diene ein Blick auf die Geschichte der theoretischen Diskussion (II.); sie hat immer wieder auf den Deutschen Bund und den Zollverein Bezug genommen, ja sich letztlich in der Auseinandersetzung mit diesen historischen Gegebenheiten erst ausgebildet. Sodann sollen die Verfassungen des Deutschen Bundes und des Zollvereins und deren praktische Umsetzung näher behandelt werden, und 5 Zum Rheinbund vgl. etwa Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongreß, 3. Aufl., München 1993, bes. S. 68 f., 79 ff.; Gerhard Schuck, Rheinbund, Patriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik, Stuttgart 1994. Zum Norddeutschen Bund und zum umgestalteten Zollverein vgl. vor allem Huber, Verfassungsgeschichte III (IV) S. 615 ff., 643 ff.; Doehring-Manteuffel, Deutsche Frage (FN 4) S. 46 ff., 108 ff.; im übrigen s. noch Werner Ogris, Der Norddeutsche Bund, in: Juristische Schulung (1966), S. 306-310; Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 11 ff. u. 181 ff.; Frauke SchöneTt-Röhlk, Aufgaben des Zollvereins, in: Kurt G.A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte II, Stuttgart 1983, S. 286 - 300, bes. S. 299 f.; Elmar Wadle, Der Deutsche Zollverein, in: Juristische Schulung 1984, S. 586 - 592. 6 Zu den Reformprojekten zwischen 1815 und 1866 vgl. außer Fehrenbach, Verfassungsstaat (FN 4), S. 39 ff. und Huber, Verfassungsgeschichte II (FN 4), bes. S. 587 ff., III, S. 378 ff. noch Wolf D. Gruner, Die Würzburger Konferenzen der Mittelstaaten in den Jahren 1859 -1861 und die Beschreibungen zur Reform des Deutschen Bundes, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 36 (1973), S. 181- 253; Wolfram Siemann, Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 zwischen demokratischem Liberalismus und konservativer Reform. Die Bedeutung der Juristendominanz in den Verfassungsverhandlungen der Paulskirche, Bern/Frankfurt a.M. 1976, bes. S. 188 ff.; Harald Müller, Deutscher Bund und deutsche Nationalbewegung, in: HZ 248 (1989), S.51-78.
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zwar einerseits im Blick auf die Unterscheidung von Staatsrecht und Völkerrecht (III.) und andererseits hinsichtlich ihrer Strukturen und Kompetenzen (IV.). In einem letzten Abschnitt kehren wir dann zur Ebene der Reflexion zurück, allerdings in jene der Zeitgenossen, um den politischen Bedingtheiten der theoretischen Unterscheidung von Bundesstaat und Staatenbund anhand einiger Stimmen nachzuspüren (V.).
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Die verfassungsgeschichtlichen Gegebenheiten, die hinter Begriffspaaren wie "Bundesstaat" und "Staatenbund" stehen, haben schon in der Zeit des Alten Reiches das juristisch-dogmatische Denken herausgefordert; zur Ausbildung umfassenderer Theorien ist es indes erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gekommen. Siegfried Brie hat diese Entwicklung in seiner bereits zitierten "Geschichte der Lehre vom Bundesstaate" in einer bis heute nicht überholten Weise beschrieben und dadurch selbst einen wichtigen Beitrag zur Diskussion geleistet 7 . Als Bries Buch erschien, war der Deutsche Bund bereits Vergangenheit. Die Diskussion hatte vor allem die Probleme um das neu gegründete Deutsche Reich im Auge; der Deutsche Bund fungierte fortan als eines der wichtigsten Beispiele für einen "Staatenbund". Diese Einschätzung, die bis in die Geschichtsschreibung unserer Tage fortwirkt, zeichnete sich schon vor 1866 ab. Georg Waitz, dessen 1853 erschienene Untersuchung über "Das Wesen des Bundesstaates"S den ersten Höhepunkt der deutschen Diskussion bildete, entwickelte den Begriff des "Bundesstaates", indem er ihn vom "Staatenbund" einerseits und vom "Staatenreich" andererseits abzugrenzen suchte. Im Staatenbund schließen sich nach Waitz Staaten zu einer dauernden Gemeinschaft zusammen; die neue Gesamtheit ist ihrerseits aber nicht Staat, ihre staatenbundliche Gewalt beruht auf einer Delegation der Mitgliedsstaaten. Im Staatenreich hin7 Zu Brie vgl. FN 2 - zur Theorie des Bundesstaates und ihrer Geschichte vgl. außer Stolleis, Geschichte II (FN 2), S. 365 ff. noch Qtto Kimminich, Der Bundesstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Heidelberg 1987, S. 1113 -1150; Joachim Vetter, Die Bundesstaatlichkeit in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes der Weimarer Republik, Baden-Baden 1979, S. 17 - 37; Walter Schnabel, Die Kriegs- und Finanzverfassung des Deutschen Bundes, iur. Diss. Marburg 1966, S. 84 ff.; Ewald Wiederin, Bundesrecht und Landesrecht. Zugleich ein Beitrag zu Strukturproblemen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung in Österreich und Deutschland (Forschungen aus Staat und Recht 111), Wien 1995, bes. S. 3 ff. S Georg Waitz, Das Wesen des Bundesstaats, in: Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur 1853, S. 494 - 530, hier zit. nach: ders., Grundzüge der Politik, Kiel 1862, S. 153 - 218.
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gegen geht es nach Waitz um eine Vereinigung verschiedener, wenigstens staatenähnlicher Gebilde, die ihre Gewalt durch Delegation von einer obersten Reichsgewalt erhalten und dieser grundsätzlich untergeordnet sind. Im Staatenbund kann demnach nur den Einzelstaaten, nicht aber der Gesamtheit und im Staatenreich nur der Gesamtheit, nicht aber den Gliedern Staatsqualität zukommen. Im Bundesstaat schließlich sind nach Waitz sowohl die Glieder als auch die Gesamtheit wirkliche Staaten; beide besitzen Selbständigkeit, die Staatsgewalt und die Souveränität sind aber zwischen ihnen geteilt. Waitz hat aus diesem Ansatz zahlreiche Konsequenzen für die Organisation und die Kompetenz des Gesamtstaates wie der Gliedstaaten gezogen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Die Thesen, die Waitz, in vielerlei Hinsicht von Alexis de Toqueville inspiriert, formuliert hat, fanden im In- und Ausland viel Zustimmung. Selbst Heinrich von Treitschke meinte in einem 1864 publizierten Aufsatz 9 , der alte "Streit der Schule über die Begriffe Staatenbund und Bundesstaat" sei "durch diese meisterhafte Abhandlung von Waitz abgeschlossen". Daß Treitschke sich geirrt hat, zeigt schon ein Blick in Siegfried Bries ausführlichen Bericht. Zahlreichen Kritikern ging das Bundesstaatskonzept von Waitz nicht weit genug, anderen ging es zu weit. Die einen forderten eine stärkere Überordnung des Gesamtstaates, die anderen größere Selbständigkeit der Einzelstaaten. In diesem vielstimmigen Chor taucht immer wieder ein Moment auf, das nach der Gründung des Norddeutschen Bundes bzw. des Deutschen Reiches in den Vordergrund rückte, nämlich die Frage nach der Teilbarkeit der Souveränität. Diese Frage stand im Brennpunkt einer heftig ausgetragenen Debatte um den Rechtscharakter des neu gegründeten Deutschen Reiches lO • Sie gab sogar den Anstoß dazu, die Möglichkeit eines Bundesstaates prinzipiell zu verwerfen. Ist es begriffsnotwendig ausgeschlossen, Souveränität zu teilen, so liegt die Folgerung nahe, daß auch eine Aufteilung des Staatslebens und der Staatsgewalt ausgeschlossen ist. Ihre prägnanteste Form fand diese Sicht bei dem bayerischen Staatsrechtler Max von Seydel, der sie zu der Behauptung verdichtet hat, daß alle staatlichen Gebilde, die man bisher -als Bundesstaaten zu bezeichnen pflegte, entweder einfache Staaten oder Staatenbünde sein müßten l l . Auch das neuge9 Heinrich von Treitschke, Bundesstaat und Einheitstaat, 1864, abgedruckt in: Historische und politische Aufsätze Bd. 11, 5. Aufl., Leipzig 1886; vgl. im bes.: Freiheit, Einheit, Völkergemeinschaft. Eine Auswahl aus Reden und Schriften, München 1953, S. 77 - 290, hier S. 12l. 10 Näheres dazu bei Brie, Bundesstaat (FN 2), S. 55 ff., bes. S. 192 ff. Ausführlich zu den Theorien seit Waitz auch Jose! L. Kunz, Die Staatenverbindungen, in: Fritz Stier-Somlo (Hrsg.), Handbuch der Völkerrechte Bd. II, 4, Stuttgart 1929, bes. S. 61 ff. 11 Zu Seidel vgl. außer Brie, ebd., S. 199 noch Stolleis, Geschichte II (FN 2), S.287ff.
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gründete Deutsche Reich war für Seydel nur ein "constitutioneller Staatenbund", nur ein Vertragsverhältnis souveräner Staaten. Mit Seydels Thesen drohte die Lehre vom Bundesstaat in eine Sackgasse zu geraten. Daß sie doch noch vermieden werden konnte, ist vor allem zwei Männern zu verdanken, nämlich Paul Laband und Georg Jellinek. Betrachtet man ihre Thesen näher, so wird deutlich, daß sie sich von älteren Theorien insbesondere durch ein gewandeltes Verständnis von Staat und Souveränität und letztlich auch durch ein anderes, durch C.F. Gerber in das Staatsrecht transferiertes Rechtsverständnis unterscheiden. Laband 12 betrachtete die Souveränität nicht mehr als wesentliches Element des Staates. Staatsgewalt galt ihm als Recht der Erzwingbarkeit von Befehlen; eine solche Gewalt konnte auch einem nicht souveränen Staat zustehen. Für die Unterscheidung der Begriffe "Staatenbund" und "Bundesstaat" im Sinne eines Rechtsverständnisses, das einem willenstheoretischen Konzept folgt, setzte Laband die im zeitgenössischen Zivilrecht geläufige Differenzierung von Gesellschaft und Korporation ein; während im Staatenbund wie in einer Gesellschaft die unterschiedlichen Willen der Mitgliedsstaaten nur zusammenwirken, sollen die Gliedstaaten im Bundesstaat in einer Korporation an der Bildung eines selbständigen Gesamtwillens beteiligt und dieser Zentralgewalt untergeordnet sein. Entscheidend ist danach allein die Organisationsform der Teilhabe an der Willens bildung im Gesamtstaat. Eine korporative Organisation läßt einen Bundesstaat entstehen, eine gesellschaftliche nur einen Staatenbund. Auch Jellinek arbeitete in seinem 1882 erschienenen Werk über "Die Lehre von den Staatenverbindungen"13 heraus, daß es Staaten geben kann, die nicht souverän sind und gleichwohl originäre Staatsgewalt ausüben. Zu diesen Staaten rechnete er die Gliedstaaten innerhalb eines Bundesstaates. Die Grenzlinie zwischen Bundesstaat und Staatenbund will Jellinek danach ziehen, wo die Souveränität verortet ist: Im Staatenbund bei den Mitgliedsstaaten, im Bundesstaat beim Gesamtstaat. Im konkreten Fall soll die Souveränität allein danach beurteilt werden, ob ein Mitgliedsstaat durch einseitigen Rechtsakt aus einer Staatenverbindung ausscheiden kann oder 12 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, Tübingen 1876, 1878, hier bes. S. 70 ff. (§ 8). - Zu Laband mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen zur zeitgenössischen deutschen Staatsrechtswissenschaft jetzt noch Walter Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus. Ein Beitrag zur Entwicklung und Gestalt der Wissenschaft vom öffentlichen Recht im 19. Jahrhundert, Tübingen 1993, bes. S. 177 ff. 13 Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Berlin 1882; im übrigen ist noch heranzuziehen: derB., Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 1921 (ND Kronberg/Ts. 1976) bes. S. 737 ff. - Zu Jellinek bereits kritisch: Sieg/ried Brie, Zur Lehre von den Staatenverbindungen, in: Zeitschrift f. das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart XI (1984), S. 85 - 159.
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nicht. Ist dies möglich, so ist nach Jellinek der Mitgliedsstaat souverän, mithin liegt ein Staatenbund vor; ist dies nicht möglich, so ist nicht er, sondern der Gesamtstaat souverän, es handelt sich dann um einen Bundesstaat. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob man mit Laband den Korporationscharakter einer Staatenverbindung oder ob man mit Jellinek die Möglichkeit eines einseitig erklärten Austritts als Scheidewasser zwischen Bundesstaat und Staatenbund betrachten soll. Beide Thesen haben dazu beigetragen, daß die Diskussion um die Verteilung der Gewichte zwischen der Zentralgewalt und Gliedstaaten weitergeführt werden konnte, denn sie verlagerten die Differenzierung zwischen Bundesstaat und Staatenbund auf jeweils andere, gleichsam neutrale Ebenen, indem sich die Diskussion einerseits dem Begriff "Staat" und andererseits dem Begriff "Souveränität" zuwandte 14 • Für die Zwecke unserer Betrachtung der Verhältnisse im Deutschen Bund ist die theoretisch-dogmatische Debatte nach 1866, die anhand der Positionen Labands und Jellineks beispielhaft verdeutlicht werden sollte, nur bedingt fruchtbar. Über die in den Grundgesetzen des Deutschen Bundes intendierte Verteilung der Gewichte sagt die Unterscheidung von Bundesstaat und Staatenbund wenig. Sie kann es auch gar nicht, wenn man die Differenzierung im Sinne Jellinek's allein an der Souveränitätsfrage festmacht 15 . Die Verortung der Souveränität ist zwar unabdingbar für die systematische Einordnung einer 14 Die für Staatsrecht wie Völkerrecht grundlegenden Begriffe "Staat" und "Souveränität" haben, wie jeder Blick in moderne Hand- oder Lehrbücher zeigt, seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert erhebliche Erweiterungen und Verschiebungen erfahren. Auf diese Entwicklung kann hier nicht näher eingegangen werden. Man vgl. etwa die Lehrbücher von Knut Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., München 1990, bes. § 2 Rdnr. 63ff.; § 5 Rdnr. 6 f; Ignaz Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 8. Aufl., Köln 1994, Rdnr. 622ff.; Theodor Maunz/ Reinhold Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Aufl., München 1991, § 1I; Albrecht RandelzhoJer, Staatsgewalt und Souveränität, in: Handbuch (FN 7), S. 691-708. Aus der monographischen Literatur sei hier nochmals auf die Darstellungen von Stolleis (FN 2) und Pauly (FN 12) verwiesen. Im übrigen s. noch Kunz, Staatenverbindungen (FN 10), S. 11 ff.; Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. I: Die Grundlagen, Frankfurt a.M. 1970, bes. S. 408ff., 471ff.; Klaus-Ekkehard Bärsch, Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre und seine theoretischen Implikationen, Berlin 1974; Görg Haverkate, Staat und Souveränität. IV: Deutsche Staatslehre und Verfassungspolitik, in: Geschichtliche Grundbegriffe IV, Stuttgart 1990, S. 6498; Hans Boldt, Staat und Souveränität. IX: "Souveränität": 19. und 20. Jahrhundert, in: ebd., S. 129 -154; auch Oeter, Souveränität (FN 3), bes. S. 663 ff. 15 Jellinek, Staatenverbindungen, S. 291, betont selbst, daß die "Lehre, welche in dem verschiedenen Inhalte der Competenzen den specifischen Unterschied" sehe, unhaltbar sei: "Nicht der Unterschied der Zwecke kann einen Unterschied in der rechtlichen Structur der Staatenverbindungen hervorrufen, sondern nur der Unterschied in den Rechtsgründen. Vertragsmässige Gemeinschaft bei noch so weitgehender Centralisation bringt keinen Staat hervor, verfassungsmässige Stellung der Gliedstaaten zur Bundesgewalt verleiht bei der grössten Einschränkung der Competenz der Centralgewalt der Verbindung nicht den Charakter eines Bundes selbständiger Staaten".
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Staatenverbindung in das Völkerrecht oder das Staatsrecht, da nur souveräne Staaten originäre und unbeschränkte Völkerrechtssubjektivität genießen, während nichtsouveräne Staaten grundsätzlich keine Völkerrechtssubjekte sein können l6 . Diese Frage kann entscheidend sein für die Existenz einer Staatenverbindung, mithin für ihre Entstehung oder ihr Ende; sie gibt aber keine Auskunft über die Verteilung der Gewichte zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten oder für deren organisatorischen Zuschnitt: Für die Organisationsform wie für die Aufteilung der Kompetenzen, mithin für die Gewichtung im unitarischen oder im föderalen Sinne, setzen weder "Bundesstaat" noch "Staatenbund" Vorgaben, denn unitarische Elemente können in einem Staatenbund ebenso stark ausgebildet sein wie in einem Bundesstaat. Dasselbe gilt umgekehrt für föderale Elemente, die es in einem Staatenbund ebenso geben kann, wie in einem Bundesstaat. Die Lehren Labands können zwar für die Frage nach der Organisationsform fruchtbar gemacht werden; deshalb hat man Laband mit Recht als den "eigentlichen Begründer der Bundesstaatstheorie des zweiten Deutschen Reiches" bezeichnet, obgleich sich bald zeigen sollte, daß die von Laband "mit Hilfe des Willenscodes profilierte Begriffe Bundesstaat und Staatenbund" keineswegs "einen erschöpfenden begrifflichen Gegensatz" darstellen l7 . Labands Lehre hilft nur wenig, wenn es um Fragen der Verteilung staatlicher Aufgaben und Kompetenzen zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten geht; denn sowohl im Staatenbund wie im Bundesstaat ist eine höchst unterschiedliche Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen möglich. Nicht überzeugend ist vor allem die Zuweisung der Souveränität an die Zentralgewalt; denn aus der korporativen Verfassung der Staatenverbindung allein läßt sich weder die Souveränität der Zentralgewalt ableiten, noch das Fehlen jeder Souveränität bei den Gliedstaaten begründen l8 . Kimminich, Bundesstaat (FN 7) S. 1125. Vgl. einerseits Kimminich, Bundesstaat (FN 7) S. 1123, andererseits Pauly, Methodenwandel (FN 12) S. 192. 18 Nach Laband, Staatsrecht S. 72, entsteht durch die Korporation ein neues Subjekt, das als Ausdruck der "Gesammtheit der Gliedstaaten" als "begriffliche Einheit" gedacht, die Hoheits- und Herrschaftsrechte der Landes-Staatsgewalten" unter dem Namen "Reichsgewalt" zusammenfaßt. Warum das so hergestellte "Gemeinwesen" ein Gemeinwesen "höherer Ordnung" sein soll, dem die ungeteilte und unteilbare "Souveränität" zuzustehen hat, bleibt unerklärt; die nach Laband für jeden Staat wesentliche Herrschaft im Sinne des Rechts der Erzwingbarkeit von Befehlen, begründet als solche noch kein Rangverhältnis. Vgl. auch Pauly, Methodenwandel (FN 12) S. 193 mit Anm. 109, der den Rückgriff auf das Kriterium der Souveränität für erforderlich hält, um eine feste Abgrenzung von Bundesstaat und Staatenbund zu ermöglichen.- Daß seine Thesen keine Auskunft über die Verteilung der "Herrschafts- und Hoheitsrechte", der "Aufgaben" und "Machtmittel" geben, sagt Laband selbst (ebd., S. 93): "Den bisher unabhängigen Staaten kann eine solche Fülle ... verbleiben, die neu erschaffene höhere Gewalt kann sich auf ein so geringes Maaß von Herrschaftsrechten und staatlichen Aufgaben beschränken, die Glieder können das, was sie durch ihre Unterordnung unter die höhere Gewalt einbüßen, dadurch, daß sie 16
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Vorteile wie Defizite beider Theorien, der staatsrechtlich orientierten Lehre Labands, wie der völkerrechtlich orientierten Lehre Jellineks, sind verständlich, wenn man bedenkt, welche Funktion ihnen in der zeitgenössischen Diskussion zukam: Sie hatten beide die Rechtslage des Deutschen Reiches im Auge, die eine eher seine Binnenstruktur, die andere eher den Status des Reiches und seiner Gliedstaaten im Völkerrecht. Insoweit bleiben die Sätze beherzigenswert, mit denen Georg Jellinek sein Werk über die Staatenverbindungen eingeleitet hat 19 : "In wenigen Partien des öffentlichen Rechts herscht eine solche Unklarheit, wie in der Lehre von den Staatenverbindungen. Das Wesen des Staatenbundes und des Bundesstaates, die Natur der Realunion, der juristische Charakter des Protektorats und der Suzeränität usw. sind so weit von wissenschaftlicher Klärung entfernt, daß sich über manche dieser Begriffe nicht einmal eine herrschende Meinung herausgebildet hat und sogar die wissenschaftliche Berechtigung des ganzen Gebietes nicht außer Frage steht". Und später heißt es: "Dies ist umso befremdender, als die Fragen, um die es sich hier handelt, nicht etwa abstracte Schulfragen sind, sondern gegenwärtig zu den praktisch wichtigsten des Staats- und Völkerrechts zählen. Der Einheitsstaat, an dessen Betrachtung sich die Antike und moderne Staatswissenschaft fast ausschließlich großgezogen hat, bildet heute nicht die Regel im Völkerleben". Aus diesen Sätzen geht hervor, was die Debatte um den Bundesstaat immer gekennzeichnet hat: Die juristische Bewältigung ist nie reine Theorie geblieben, sie zielt immer zugleich auf die Praxis und ist deshalb mitbestimmt von politischen Gegebenheiten, Wünschen oder Visionen. Die in der deutschen Rechtswissenschaft der zweiten Jahrhunderthälfte geführte Debatte um den Bundesstaat ist geradezu ein Musterbeispiel für diese Verflochtenheit von Recht und Politik. Der Blick in die Diskussion während der Gründungsepoche des Deutschen Reiches ist für unsere Zwecke gleichwohl nicht umsonst. Hinter den Vokabeln "Staatenbund" und "Bundesstaat" verbergen sich immer zwei Fragen: Die Frage nach der Zugehörigkeit der Staatenverbindung zum Staats- oder zum Völkerrecht und die Frage nach der Verteilung der Gewichte zwischen Zentralorgan und Gliedstaaten, mithin die Organisationsform einerseits und die Kompetenzzuweisung andererseits. Beide Gesichtspunkte sollen im folgenden näher anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben und ihrer Praxis betrachtet werden. an der Ausübung dieser höheren Gewalt selbst Antheil erlangen, in so reichem Maaße ersetzt erhalten, daß es ... im allgemeinen Sprachgebrauch und den dem Volke geläufigen Anschauungen vollständig entspricht, die Gliederstaaten zu nennen". 19 Staatenverbindungen (FN 13), S. 3 f.
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Ein Versuch zur Einordnung nach den Kategorien im Völkerrecht und Staatsrecht hat von den Vertragswerken20 selbst auszugehen. (1) Die Bundesakte sagt in ihrer Einleitung:
"Die souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands den gemeinsamen Wunsch hegend den 6. Artikel des Pariser Friedens vom 30. May 1814 in Erfüllung zu setzen, und von den Vortheilen überzeugt, welche aus ihrer festen und dauerhaften Verbindung für die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands, und die Ruhe und das Gleichgewicht Europas hervorgehen würden, sind übereingekommen, sich zu einem beständigen Bunde zu vereinigen, und haben zu diesem Behuf ... " . Artikel I greift die zentrale Formel wieder auf, indem er sagt: "Die souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands mit Einschluß ... vereinigen sich zu einem beständigen Bunde, welcher der deutsche Bund heißen soll." Artikel II bestimmt den Zweck des Bundes, nämlich die "Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten". Artikel III legt fest, daß "alle Bundesglieder ... als solche gleiche Rechte" haben sollen. Beständigkeit und Sicherheit des Bundes einerseits, Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit, Gleichheit der Bundesglieder andererseits zeigen an, daß letztlich die eigenständige Staatlichkeit der einzelnen Bundesglieder herausgehoben werden soll; ihre Absicherung gegen Bedrohungen von innen und außen wird zum Bundeszweck erhoben, er steht im Zentrum des Vertragswerkes. Die Vorgeschichte der Bundesakte, der hier nicht im einzelnen nachgegangen werden kann 21, belegt dies eindeutig. Schon die Rheinbundakte 22 hat bekanntlich den deutschen Mitgliedsstaaten ausdrücklich Souveränität zuerkannt: Artikel 7 verankerte die äußere Souveränität und Artikel 26 definierte die innere Souveränität. Zahlreiche Verträge, in welchen die Befreiungskriege rechtlich abgesichert wurden, geben zu erkennen, daß "Deutschland aus souveränen, aber föderativ geeinten Gliedstaaten bestehen sollte"; vor allem der erste Pariser Frieden, auf den sich die Präambel der Bundesakte bezieht, legte in Artikel 6 Abs. 2 fest: "Les Etats de l'AIlemagne seront independants et unis par un lien federatif"23. Diese Formel, 20 Hier werden lediglich herangezogen die neueren Textausgaben von Ernst Rudol! Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, 3. Aufl., Stuttgart 1978, S. 84 ff., 91 ff.; Günter Dürig / Walter Rudol! (Hrsg.), Texte zur Deutschen Verfassungsgeschichte vornehmlich für den Studiengebrauch, 2. Aufl., München 1979, S. 11 ff., 65 ff. 21 Dazu ausführlich Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 3 ff. 2 22 Dürig / Rudol!, Texte (FN 20), S. 1 ff.; Huber, Dokumente I (FN 20), S. 28 ff. 23 Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 480 m. Anm. 1. 10'
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die letztlich wohl auf Metternichs Entwurf für die Konferenz von Longres zurückgeht, bestimmte den Gang der Diskussion zur deutschen Frage auf dem Wiener Kongreß. Vor allem die deutschen Mittelstaaten waren nicht bereit, die wenige Jahre zuvor gewonnene Souveränität aufzugeben. Es ist bekannt, daß alle Pläne, die eine andere Struktur des zu gründenden Bundes vorsahen, an der ablehnenden Haltung namentlich Württembergs und Bayerns gescheitert sind. Sollten nach dem Wortlaut der Bundesakte noch Zweifel möglich gewesen sein, ob die staatliche Eigenständigkeit und Gleichheit der Bundesglieder klar genug zum Ausdruck gekommen war, so beseitigte die Wiener Schlußakte jede Unsicherheit. Artikel 1 der Schlußakte sagt: "Der Deutsche Bund ist ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souverainen Fürsten und freien Städte ... "
Und Art. 2 erläutert dies folgendermaßen: "Dieser Verein besteht in seinem Innern aus einer Gemeinschaft selbständiger unter sich unabhängiger Staaten, mit wechselseitigen gleichen Vertrags-Rechten und Vertrags-Obliegenheiten, in seinen äußeren Verhältnissen aber als eine in politischer Einheit verbundene Gesammt-Macht".
Deutlicher konnte man kaum sagen, daß das Gemeinschaftliche als politische Einheit ("Gesammt-Macht") begriffen wurde, deren Basis ein völkerrechtlicher Vertrag bildete. Daß der "Gesamtverein" ein "beständiges Band" sein sollte, bekräftigt die Bundesakte auch dadurch, daß sie kein Sezessionsrecht eines Bundesgliedes vorsah. Die Wiener Schlußakte verdeutlichte den Grundsatz eigens in Artikel 5: "Der Bund ist als ein unauflöslicher Verein gegründet, und es kann daher der Austritt aus diesem Verein keinem Mitgliede desselben freistehen. " Mit dem Postulat der Souveränität aller Mitglieder ist dies aus völkerrechtlicher Sicht ohne Zweifel zu vereinbaren: Die Bundesglieder hätten in einem actus contrarius den Verein selbst beenden oder umgestalten oder auch die Mitgliedschaft eines Staates aufheben können. Selbst ein einseitiger Austritt war nach allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts nicht ausgeschlossen; diese Frage stellte sich allerdings in den ersten Jahrzehnten nur in der Theorie 24 • . Der völkerrechtlichen Qualität der Bundesverträge entspricht die Regelung der völkerrechtlichen Kompetenz der Gliedstaaten in den Grundgesetzen selbst. Nach der Bundesakte blieb das völkerrechtliche Bündnisrecht der Gliedstaaten unangetastet: Sie konnten "Bündnisse aller Art" (Art. XI Abs. 3) eingehen; diese Befugnis war nur durch einen wechselseitigen Ge24 Vgl. etwa bei Johann Ludwig Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt a. M. 1822, S. 133.
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waltverzicht und durch die vertraglich begründete Pflicht begrenzt, den Bundeszweck, mithin die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Glieder, nicht zu gefährden. Daß die Glieder untereinander und mit Drittstaaten diplomatische Beziehungen unterhalten konnten, setzt die Bundesakte offenbar als selbstverständlich voraus. Der Bund selbst besitzt in völkerrechtlicher Hinsicht nur eine auf den Bundeszweck beschränkte Kompetenz: Was nicht dem Bund zusteht, bleibt in der Kompetenz der Bundesglieder. Die Teilhabe des Bundes am diplomatischen Verkehr war dementsprechend möglich, in der Praxis aber nicht sehr ausgeprägt: Nur in passiver Hinsicht war die "Gesammt-Macht" auf Dauer präsent, während die aktive Vertretung nur im Ausnahmefall stattgefunden hat. Im Ergebnis ergab sich "das fragwürdige System einer vollentwickelten völkerrechtlichen DoppelsteIlung Deutschlands ,,25. Mit der Erkenntnis, daß es sich bei der Bundesakte um einen Vertrag völkerrechtlicher Qualität gehandelt hat, ist freilich noch nicht entschieden, ob auch der durch den Vertrag geschaffenen Institution eine rein völkerrechtliche Qualität zukommt oder ob sie bereits staatsrechtliche Bedeutung hat 26 . Hierfür ist eine genauere Betrachtung der Binnenstruktur erforderlich. (2) Bevor jedoch die innere Struktur des Bundes als "Gesammt-Verein" näher beleuchtet wird, bleibt festzuhalten, daß im Zusammenhang mit dem Deutschen Zollverein die Selbständigkeit der Mitgliedsstaaten nie zur Debatte stand. Der Zollverein beruhte auf einem Abkommen zwischen mehreren Staaten. Artikel 1 des Vertrages vom 20. März 1834 27 lautet: "Die dermalen zwischen den genannten Staaten bestehenden Zollvereine werden für die Zukunft durch einen durch ein gemeinsames Zoll- und Handelssystem verbundenen und alle darin begriffenen Länder umfassenden Gesammtverein bilden".
Dieser "Gesammtverein" war durch seinen Zweck inhaltlich begrenzt und überdies zeitlich limitiert, zunächst bis Januar 1842. Allerdings enthielt der Vertrag eine Fortsetzungsklausel, diese aber war durch das Kündigungsrecht eines jeden Mitglieds eingeschränkt (Art. 41). Da überdies die "Organe" keine nach außen gerichtete Kompetenz hatten, blieb die Zuständigkeit der Vertragsstaaten unbegrenzt; der Verkehr mit Drittstaaten war Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten, die konsequenterweise verpflichtet wurden, beim Abschluß von Handelsverträgen mit solchen Staaten die Interessen des Zollvereins zu berücksichtigen (Art. 39). Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 603 ff. (Zitat S. 604). Zur zeitgenössischen Diskussion um diese Frage vgl. unten Abschnitt IV, im übrigen immer noch hilfreich Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 663 ff. 27 Dürig / RudolJ, Texte (FN 20), S. 78 ff.; hier S. 79. 25
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Preußen hat es freilich verstanden, die Zollvereinsstaaten weithin für die eigene Handelspolitik zu gewinnen 28 , wobei hier unerörtert bleiben soll, ob und welche Druckmittel dazu eingesetzt worden sind. IV.
Die Frage nach dem Verhältnis von unitarischen und förderalen Elementen zielt letztlich auf die Binnenstruktur der Staatenvereinigung und die Kompetenzverteilung zwischen Zentrale und Gliedstaaten. Beide Aspekte bedürfen einer eingehenderen Prüfung, die sich nicht auf das Verfassungsrecht beschränken darf, sondern auch die Verfassungswirklichkeit erfassen muß. Dabei genügt es nicht, auf Stichworte wie das "System Metternich", den österreichisch-preußischen Gegensatz oder die Politik des "dritten Deutschlands" zu verweisen. Das Ziel, die Verfassungswirklichkeit näher zu erkunden, stößt allerdings auf erhebliche Probleme. Obgleich die Literatur über die Zeit des Deutschen Bundes nahezu unüberschaubar geworden ist, scheint es doch noch empfindliche Lücken zu geben, will man die Realität der Bundesverfassung genauer bestimmen29 . Unser Versuch, diese Thesen verständlich zu machen, beschränkt sich zunächst auf den Deutschen Bund und geht von seinen Verfassungstexten aus. (1) Die beiden Grundgesetze, die Bundesakte (BA) einerseits und die Wiener Schlußakte (WSA) andererseits, enthalten Vorschriften recht unterschiedlichen Zuschnitts. Im wesentlichen geht es wohl um drei Gruppen, wie ein genauerer Blick auf die Bundesakte zeigt. Eine erste Gruppe enthält Regeln über den Bund selbst und seine Ziele, also über die Bundesorgane und ihre Kompetenzen. Sie stehen durchweg im ersten Abschnitt der Bundesakte, die mit "Allgemeine Bestimmungen" überschrieben ist und solche "Puncte" enthält, die "auf die Feststellung des Bundes gerichtet(e)" sind3o . Im zweiten Teil ("Besondere Bestimmungen") finden wir vor allem Regeln, die einer zweiten oder einer dritten Gruppe zuzuordnen sind. Die zweite umfaßt Vorgaben für die Binnenstruktur der Bundesglieder; sie haben nur fragmentarischen Charakter und betreffen die Möglichkeit eines Dazu eingehend schon Huber, Verfassungsgeschichte 11 (FN 4), S. 27. Auf die Notwendigkeit, die konkrete Praxis der Bundesversammlung näher zu bestimmen, hat in jüngerer Zeit vor allem Wolfram Siemann hingewiesen, vgl. etwa: Wandel der Politik - Wandel der Staatsgewalt. Der Deutsche Bund in der Spannung zwischen dem "Gesammt-Macht" und "völkerrechtlichen Verein", in: Rumpier (Hrsg.), Der Deutsche Bund (FN 4) S. 59 -73. Die Darstellung von Karl Fischer, Die Nation und der Bundestag. Ein Beitrag zur deutschen Geschichte, Leipzig 1980, ist immer noch nicht durch eine neuere Übersicht ersetzt. 30 So die Präambel zu Teil 2 der Bundesakte. 28 29
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gemeinsamen Obergerichts für mehrere Bundesstaaten, die Verhältnisse der ehemaligen Reichsstände, eine Reihe von Folgeproblemen aus dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803, die Stellung der "christlichen Religionspartheien" und den berühmten Art. XIII über die "landständische Verfassung". Die dritte und letzte Gruppe von Bestimmungen betrifft die Stellung der "Unterthanen der deutschen Bundesstaaten" und sichert ihnen bestimmte persönliche Rechte zu oder stellt sie ihnen wenigstens in Aussicht, zum Teil auch nur in einer sehr allgemein gehaltenen Form. Dieses Regelwerk macht insoweit einen etwas inhomogenen Eindruck, als nur der erste Teil klar durchgebildet ist, während der zweite Teil eher als eine nicht sonderlich geordnete Sammlung einzelner Grundsätze gelten kann, deren Organisation nicht abschließend bedacht worden ist. Diese Schwächen sind gut mit dem etwas hektischen Abschluß der Wiener Beratungen zu erklären 31 . Insgesamt eröffneten die Grundgesetze dem Deutschen Bund einen vielfältigen Tätigkeitsbereich. Er reicht von der Kardinalaufgabe, der "Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der deutschen Staaten" (Art. II BA) über eine gewisse Kontrolle der Binnenstruktur der Bundesglieder bis hin zu den "gemeinnützigen Anordnungen sonstiger Art", die sich etwa aus den in Art. XX BA genannten Grundsätzen über Handel und Verkehr ableiten ließen. Die Bundesakte legt im übrigen Wert darauf, daß die Bestimmungen des zweiten Teils ("Besondere Bestimmungen"), die "gleiche Kraft" haben sollen wie jene des ersten Teils. Durch diese Betonung der Gleichwertigkeit wird der Hauptzweck des Bundes, die allgemeine Garantie der Existenz und Sicherheit, nicht geschmälert, wohl aber ergänzt um zusätzliche, genauer umschriebene Aufgaben, die vom Bund ebenfalls wahrzunehmen waren. An diesem grundsätzlichen Nebeneinander von "Hauptzweck" und "Nebenzweck" hat die Wiener Schlußakte zwar festgehalten, zugleich jedoch hat sie die Gewichte durch ihre restriktive Interpretation der Bundesakte deutlich verlagert. Sie hat die Instrumentarien zur Erreichung der Bundesziele im Geiste der Reaktionspolitik näher präzisiert; dabei wurde die Erreichung des Sicherheitszweckes in den Vordergrund gerückt, die spezielleren Bundeszwecke wurden zwar nicht aufgegeben, aber enger definiert und die Mittel und Wege zu ihrer Realisierung erschwert.
(2) Die Besorgung der "Angelegenheiten des Bundes" oblag der Bundesversammlung, die man auch Bundestag nannte. In ihr war jedes Bundesglied durch einen Bevollmächtigten vertreten. Sie stand unter dem Vorsitz Österreichs. 31
Einzelheiten bei Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 558 f.
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Für die Arbeit der Bundesversammlung gab es eine doppelt gestufte Verfahrensweise. Zum einen bestand eine Differenzierung in der Stimmenzahl. Für besonders wichtige Angelegenheiten trat die Bundesversammlung als "Plenum" zusammen, in welchem jedes der Bundesglieder mindestens eine Stimme führte. Im "Normalfall" jedoch agierte eine Versammlung mit 17 Stimmen, die z.T. als "Curiatstimmen" von mehreren Bundesgliedern gemeinsam geführt werden mußten. Zum anderen bestand eine Differenzierung bei der Beschlußfassung. Bestimmte Angelegenheiten konnten nur einstimmig, andere jedoch durch Mehrheitsbeschluß erledigt werden. Diese Verfahrensregeln, die hier nur in den wichtigsten Aspekten geschildert werden können, sollten sicherstellen, daß auch der kleinste Bundesstaat im Sinne des in Art. III BA niedergelegten Gleichheitsprinzips zur Geltung gelangen konnte. Über die Arbeitsweise der Bundesversammlung selbst sind wir noch nicht hinreichend genau unterrichtet 32 . Zwei Aspekte können jedoch schon jetzt hervorgehoben werden. Der erste betrifft die Frage, wie eng oder wie weit die Gesandten am Bundestag von ihren Regierungen geführt worden sind. Es ist zu vermuten, daß die Gesandten in der Anfangszeit größere Spielräume hatten als später; natürlich hing die Instruktion auch vom politischen Gewicht eines Gesandten ab oder von dem des zuständigen Ministers. Ohne Zweifel wirkte auch die Bedeutung der Traktanda auf die Bindung ein. Diese Vermutung stützt sich auf langjährige Beobachtungen zur Nachdrucksfrage, mit der sich die Bundesversammlung immer wieder beschäftigt hat 33 . Hierbei kann man feststellen, daß der einzelne Gesandte bisweilen sehr eng bemessene Möglichkeiten hatte. Geplante Äußerungen etwa des preußischen Gesandten wurden, wenn es wichtig wurde, bis in den genauen Wortlaut hinein mit dem Außenminister abgestimmt. Für andere Staaten dürfte ähnliches gegolten haben.
Siemann, Wandel (FN 29) S. 63. Vgl. etwa Elmar Wadle, Das deutsche Urheberrechtsgesetz von 1837 im Spiegel seiner Vorgeschichte, in: Dittrich (Hrsg.), Woher kommt das Urheberrecht und wohin geht es? Wurzeln, geschichtlicb-er Ursprung, geistesgeschichtlicher Hintergrund und Zukunft des Urheberrechts (Osterr. Zs f. Gewerbl. Rechtsschutz, Urheberrecht u. Musterschutz ÖSGRUM Bd. 7, (1988) S. 55 - 98; ders., Der Bundesbeschluß vom 9. November 1837 gegen den Nachdruck. Das Ergebnis einer Kontroverse aus preußischer Sicht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte ZRG GA Bd. 106 (1988), S. 189 - 237; ders., Die Berliner Grundzüge eines Gesetzentwurfes zum Urheberschutz. Ein gescheiterter Versuch im Deutschen Bund (1833/34), in: W. Ogris /W. H. Rechberger (Hrsg.), Gedächtnisschrift Herbert Hofmeister, Wien 1996, S. 673 - 693; Ludwig Gieseke, Vom Privileg zum Urheberrecht. Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bis 1845, Göttingen 1995, S. 203 ff. 32
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Bestätigt werden diese Beobachtungen nicht zuletzt durch die Untersuchungen Peter Burgs über die Triaspolitik der süddeutschen Staaten in der Anfangszeit des Bundes 34 : Ein Mann vom Range des württembergischen Gesandten Karl August Freiherr von Wangenheim genoß größere Gestaltungsmöglichkeiten als mancher seiner Kollegen; er wurde nicht zuletzt deshalb im Zuge der sog. Epuration des Jahres 1823 aus der Bundesversammlung verdrängt. Ähnliche Unsicherheiten, wie sie für die Rückbindung der Gesandten bestehen, gibt es auch für einen zweiten Aspekt, nämlich die zahlreichen Kommissionen, die die Bundesversammlung zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse oder zur Wahrnehmung anderer Aufgaben eingesetzt hae 5 • Im Jahre 1865 - also im Jahr vor dem Ende des Deutschen Bundes - gab es 26 Kommissionen, die sich allerdings mit Gegenständen höchst unterschiedlichen politischen Gewichts zu befassen hatten. Dabei können sieben Dauerfunktionen ausgemacht werden, die Kommissionen zugewiesen waren: Siemann nennt das Kassen- und Finanzwesen, die Überwachung des Vollzugs der Bundesbeschlüsse, die Militärangelegenheiten, das Petitionswesen, die Kontrolle der Presse, den Verfassungsschutz des Bundes und die Verfassungskontrolle in den Mitgliedsstaaten. Viele der Kommissionen, die mit solchen Aufgaben befaßt waren, sind noch nicht hinreichend untersucht. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, daß sie in vielerlei Varianten längerfristig zentrale Kompetenzen des Bundes zur Geltung gebracht haben. Die Kommissionen haben aber nicht nur Daueraufgaben wahrgenommen; sie waren vor allem auch dazu berufen, künftige Bundesbeschlüsse vorzubereiten. Hier mag abermals die Behandlung der Probleme um den Nachdruck als Beispiel angeführt werden; die zahlreichen Beschlüsse waren immer in der eigens eingesetzten Kommission beraten worden. Selbst wenn in einer Sache keine Aussicht auf allseitige Zustimmung bestand, hatte zunächst die Kommission zu befinden36 . War ein Beschluß gefaßt, so bedurfte er der Realisierung. Soweit sich die Erledigung nicht in bürokratischer Aktion am Sitz des Bundes erschöpfen konnte, waren andere Mittel erforderlich, um die Umsetzung zu bewerkstel34 Peter Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom alten Reich zum Deutschen Zollverein, Wiesbaden 1981, bes S. 90 ff. 35 Dazu eingehender Siemann, Wandel (FN 29), S. 63 ff.; im übrigen noch Gabriela Ensthaler, Aspekte des Deutschen Bundes im Vormärz (1840 -1848) unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen Standpunkts, masch. Hausarbeit, Salzburg 1977; Hans J. Schenk, Ansätze zu einer Verwaltung des Deutschen Bundes (bis 1866), in: Verwaltungsgeschichte 11 (FN 5), S. 155 -165. 36 Vgl. etwa Elmar Wadle, Der Schutz telegraphischer Depeschen, in: Archiv für das Urheber-, Film- und Theaterrecht, Bd. 131 (1996), S. 95 -114.
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ligen. Sie wurden durch die Exekutionsordnung vom 3. August 1820 37 zur Verfügung gestellt. Soweit unmittelbarer Zwang nach außen oder innen notwendig wurde, stand ein Bundesheer bereit, eine Armee aus unterschiedlichen Kontingenten verschiedener Staaten, die sich überdies auf Bundesfestungen stützen konnte. Daß außerdem für nicht vermittelbare Konflikte zwischen einzelnen Bundesstaaten eine Austrägalinstanz eingerichtet wurde, sei eher am Rande erwähnt38 . (3) Kompetenz, Struktur und Arbeitsweise der Bundesversammlung sollten mit diesen Andeutungen in Erinnerung gerufen werden. Die Frage, die sich daran anschließen muß, ist nicht weniger wichtig, nämlich die Doppelfrage, ob und wie der Bund von den gegebenen Zuständigkeiten und Instrumenten Gebrauch gemacht hat.
Dabei weichen die einzelnen Arbeitsperioden deutlich voneinander ab, da sie ganz unter dem Einfluß der politischen "Großwetterlage" standen. Für die Jahre vor den Karlsbader Beschlüssen darf als ausgemacht gelten, daß die Arbeit in der Bundesversammlung durch eine relative Offenheit gekennzeichnet ist. In dieser Zeit der "institutionellen und funktionellen Konstituierung"39 trafen die unterschiedlichsten politischen Strömungen aufeinander: Hegemonialistische Bundeskonzeptionen standen gegen staatenbündische, dualistische Bestrebungen der beiden Großmächte gegen den "Trialismus" der Mittelstaaten, zentralistische Politik stand gegen föderalistisch-partikularistische Ansätze - alle diese Tendenzen beherrschten in unterschiedlichen Kombinationen und Überschneidungen das politische Geschehen in der Bundesversammlung. Für die Jahrzehnte bis zur Revolutionszeit 1848/49 ist hingegen eine starke Abwertung der Bundesversammlung zu beobachten: Diese "Demontage der Kompetenzen"40 ist dadurch gekennzeichnet, daß die richtungweisenden Beschlüsse auf Ministerialkonferenzen gefaßt und, soweit erforderlich, in die Bundesversammlung eingebracht wurden, um ihnen eine alle Bundesstaaten erfassende Wirkung zu geben. Auf diesem Wege waren die auf den Konferenzen oft nur unzulänglich vertretenen Gliedstaaten weitgehend dem Willen der Großmächte unterworfen. Nach der Wiederbegründung des Deutschen Bundes im Jahre 1850 änderte sich die Situation inso:weit, als die Rivalität der deutschen Großmächte die Arbeit der Bundesversammlung stärker bestimmte als je zuvor. 37 Huber, Dokumente I (FN 20), S. 116 ff.; zur Sache Huber, Verfassungsgschichte I (FN 4), S. 634 ff. 38 Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 625 ff. 39 Burg, Trias (FN 4), S. 87. 40 Ebd., S. 70.
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Die politisch bedingte Periodenbildung, die mit diesen Sätzen mehr angedeutet als beschrieben ist, soll im folgenden etwas zurücktreten, um die Gewichtung der Bundeszwecke deutlicher werden zu lassen. (4) Im Vordergrund der Arbeit der Bundesversammlung stehen ohne Zweifel die Aktivitäten zur Gewährleistung der Sicherheit des Bundes und seiner Glieder41 . Eine zentrale Voraussetzung dafür war die militärische Macht des Bundes. Die Beratung der Bundeskriegsverfassung in den Anfangsjahren führte trotz der heftigen Gegensätze zwischen den Führungsrnächten und den Anhängern der Triasidee zu einem Kompromiß42 . Das Bundesheer kam indes nur gelegentlich als Mittel zur Erhaltung der äußeren Sicherheit in Betracht. Nach außen gerichtete Aktionen des Bundes kamen nur vereinzelt zustande 43 • Das wichtigste Beispiel bietet wohl die Intervention im Großherzogtum Luxemburg, dessen Regent, der niederländische König, 1830 den Bund um Hilfe anrief, als er befürchten mußte, daß Luxemburg von Belgien annektiert würde. Die zahlreichen Konflikte mit Dänemark wegen des "up ewig ungedeelt" der Herzogtümer Schleswig und Holstein waren immer zugleich Konflikte mit einem Bundeskrieg. Dies zeigt, daß vielen militärischen Maßnahmen zur Gewährung von Sicherheit und Ordnung auch dann, wenn ein auswärtiger Staat mitbetroffen war, ein Konflikt mit einem Bundesglied zugrundelag. Dies hat zur Folge, daß die Grenze zwischen Bundeskrieg einerseits und Bundesintervention und Bundesexekution andererseits nicht immer scharf zu ziehen ist 44 . Die Instrumente der Intervention und Exekution erhielten angesichts des Umstandes, daß die Grundgesetze keine allgemeine Verfassungsgerichtsbarkeit für bundesinterne Konflikte vorsahen45 , ein besonderes Gewicht. Als militärische Aktionen, die zum Teil mit und zum Teil gegen den Willen des betroffenen Bundesstaates geschahen, seien hier noch die Intervention nach dem Frankfurter Wachensturm (1833), die Einsätze während der Revo41 Zum Folgenden vgl. vor allem Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 606 H., 631 H. 42 Burg, Trias (FN 4), S. 95 H. Zur Bundeskriegsverfassung s. noch Schnabel, Kriegs- und Finanzverfassung (FN 7); Wolfgang Keul, Die Bundesmilitärkommission (1819 -1866) als politisches Gremium. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Bundes, Frankfurt a.M. 1977; Lothar Höbelt, Zur Militärpolitik des Deutschen Bundes. Corpseinteilung und Aufmarschpläne im Vormärz, in: Rumpier (Hrsg.), Deutscher Bund (FN 4), S. 94 -135. 43 Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 608, will den Feldzug gegen Dänemark 1848/50 als einzigen Bundeskrieg betrachten. 44 Anders wohl Huber, a.a.O. 45 Zur Austrägalordnung von 1817, zum Bundesschiedsverfahren von 1834 und zum 1842 geregelten Verfahren bei Streitigkeiten mit Mediatisierten Näheres bei Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 616 H.; II, S. 180 f. Im übrigen vgl. noch Hartmut Müller-Kinet, Die höchste Gerichtsbarkeit im deutschen Staatenbund 1806 -1866, Bem/Frankfurt a.M. 1976.
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lutionsjahre 1848/49 und die Eingriffe in Kurhessen und Schleswig-Holstein (1850/52) genannt. Wichtiger und nicht weniger intensiv waren allerdings jene Interventionen in Angelegenheiten einzelner Bundesstaaten, bei denen entsprechende Beschlüsse genügten, wenn sie auch gelegentlich mit der Drohung militärischer Gewalt verbunden waren. Auf diesen Bahnen vollzog sich vor allem der Kampf der politischen Reaktion. Er bestimmte über längere Perioden hinweg das Geschehen im Bund: nach 1819, nach 1830 und nach 1850. Alle diese Aktionswellen wurden vorbereitet durch Konferenzen, die außerhalb der Bundesversammlung stattfanden und vor allem dazu dienten, die Interessen der beiden Großmächte Österreich und Preußen abzugleichen. Positive Ergebnisse solcher Konferenzen wurden in der Regel in die Bundesversammlung hineingetragen. Dabei fällt auf, daß die Umsetzung auf Bundesebene nur bei der ersten Welle voll gelungen ist, nämlich bei der Vollstreckung der Karlsbader Beschlüsse (1819) durch die Regelwerke über die Universitäten, über die Presse und über die Mainzer Zentrale Untersuchungskommission. Nach den Unruh~.n im Gefolge der Juli-Revolution (1830) wurden im Bund Maßregeln ("Sechs Artikel") beschlossen, die wiederum Instrumente zum Kampf gegen die Presse, die politischen Vereine und die Forderung nach politischer Einheit bereitstellten. Bei der Realisierung der Ergebnisse der Wiener Ministerialkonferenz von 1834 hat man den Bund dann weniger konsequent eingesetzt: Nur ein Teil der Beschlüsse, die in den berüchtigten "Wiener geheimen 60 Artikeln" niedergelegt waren, wurden in Bundesrecht überführt; hier sei nur auf die "Frankfurter Zentraluntersuchungsbehörde" und ihr "schwarzes Buch" und das "Mainzer Informationsbüro" hingewiesen. Noch weniger erfolgreich war die Reaktionspolitik, die nach den gescheiterten Dresdner Konferenzen (1851) und der Wiederherstellung des Bundes einsetzte 46 . Zwar wurden die Grundrechte der Paulskirche, die in allen Staaten verbindliches Recht geworden waren, förmlich aufgehoben und ein sogenannter Bundesreaktionsbeschluß gefaßt, der die Bundesversammlung zur obersten Kontrollbehörde für die Verfassung der Gliedstaaten sowie für ihre Wahl-, Presse- und Vereinsgesetze erhob. Aufgrund dieser Bestimmung hat die Bundesversammlung durch ihren zuständigen Reaktionsausschuß auch zahlreiche Verfassungen und Gesetze einzelner Länder überprüft. Allerdings hatte diese Umsetzung auch Grenzen. Die Versuche der Großmächte, eine Bundeszentralpolizei zu errichten, scheiterte an der Furcht der Mittelstaaten vor einer partiellen Mediatisierung. Die eigentliche Arbeit der geheimen Polizei mußte deshalb in ein Gremium außerhalb der Bundesor46 Zum Folgenden vgl. vor allem Siemann, Staatenbund (FN 4), S. 395 ff. mit zahlr. weiterf. Hinw.
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ganisation verlegt werden. Man wählte diesen, übrigens recht effektiven, Ausweg, da die Bundesverfassung, die ja die Selbständigkeit der Einzelstaaten zu schützen hatte, eine andere Lösung nicht zuließ. Die von den beiden Großmächten angeführte Mehrheit der Bundesversammlung stützte ihre rigiden Eingriffe vor allem auf jene Normen, welche die Sicherheit und Existenz der Bundesstaaten im Sinne der Prinzipien der Wiener Schlußakte verbürgten. Ob auch Art. XIII BA, also die Garantie der landständischen Verfassung, eine gewisse Stütze geboten hat, muß nach neueren Forschungen47 eher bezweifelt werden; die Formeln der Wiener Schlußakte dienten wohl doch weniger dem Zweck, die Eingriffsmöglichkeit in die Länderangelegenheiten zu erweitern, als vielmehr dazu, die bereits eingeführten Repräsentativorgane abzusichern. Weniger geeignet war wohl auch Art. XVIII d, der die Kompetenz des Bundes zur Regelung des Pressewesens aussprach, indem er die "Fassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit" in Aussicht stellte.
An dem zentralen Befund ändert dies alles nichts: Der Bund hat, vor allem, wenn die Vormächte Österreich und Preußen ihre Politik gemeinsam betrieben, auf die inneren Verhältnisse anderer Bundesstaaten erheblichen Einfluß genommen. Die Bundesversammlung agierte insoweit eher als eine Art "Gesammtmacht" denn als "schwächlicher Verein". Bei der Wahrung der "inneren Sicherheit Deutschlands" und "der einzelnen deutschen Staaten", mithin im Rahmen seiner Hauptaufgabe (Art. II BA), handelte der Deutsche Bund "weniger staatenbündisch und mehr bundesstaatlich" (Nipperdey); er agierte durch sein Organ ebenso nachdrücklich wie ein "normaler", ein "einfacher" Staat. Daß sich eine solche "Bundesinnenpolitik" nur gegen Klein- und Mittelstaaten richten konnte, liegt auf der Hand. Als sich Baden 1831 über das Bundespressegesetz von 1819 hinwegsetzte und an seinem liberalen Presserecht festhalten wollte, wurde es zum Nachgeben gezwungen. In Kurhessen wurde nach der Jahrhundertmitte gar eine neue Verfassung durch Bundeskommissare entworfen und durch den Kurfürsten oktroyiert. Als aber eine der beiden Großmächte selbst, nämlich Preußen 1866, von der Bundesexekution bedroht war, zerbrach der Bund. (5) Trotz dieser Feststellung ginge es wohl zu weit, wollte man den Bund und sein zentrales Organ nur als ein Feld betrachten, auf dem die deutschen 47 Wolf D. Gruner, Die deutschen Einzelstaaten und der Deutsche Bund. Zum Problem der "nationalen" Integration in der Frühgeschichte des Deutschen Bundes am Beispiel Bayerns und der süddeutschen Staaten, in: Land und Reich (FN 1), S. 19 - 36, bes. S. 30 ff.; Wilhelm Mößle, Die Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes nach der Wiener Schlußakte. Zur Entstehungsgeschichte der Artikel 54 bis 61 der WSA, in: Der Staat 25 (1994), S. 373 - 394 mit weiterf. Hinweisen.
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Großmächte ihre Politik ausgetragen haben. Es gab auch andere Konstf!llationen. Sie kommen in den Blick, wenn man jene Kompetenzen des Bundes ins Auge faßt, die nichts mit der Sicherheit als erstem Bundeszweck und infolgedessen mit der Sicherheitspolitik der Großmächte zu tun haben. Hier ist vor allem auf das Feld der denkbaren "gemeinnützigen Anordnung" hinzuweisen; dieses Feld, von dem die beiden Grundgesetze sprechen, war letztlich unbegrenzt. Die Verfassungsdokumente lieferten darüber hinaus noch besondere Stichworte wie "Handel und Verkehr", "Pressewesen" und "Sicherung gegen Nachdruck". Zunächst ist freilich festzuhalten, daß die Wiener Schlußakte diese Möglichkeiten des Bundes im Rahmen ihrer "restriktiven Verfassungsinterpretation" (Langewiesche) nicht unerheblich eingeengt hat: Die Bundesakte wies "gemeinnützige Anordnungen sonstiger Art" (Art. VI BA) dem Plenum zu, unterwarf sie aber nicht dem Prinzip der Einstimmigkeit, ordnete also die in den "besonderen Bestimmungen" enthaltenen konkreten Bereiche verfahrensmäßig nicht näher ein und schloß damit letztlich Mehrheitsbeschlüsse nicht aus. Die Wiener Schlußakte bereinigte derartige Unklarheiten, indem sie die Angelegenheiten des Teiles II der Bundesakte, soweit sie nicht Teilbereiche der Sicherheit betrafen, generell als "gemeinnützige Anordnungen" betrachtete und nunmehr Einstimmigkeit forderte 48 . Trotz dieser Einengung bestanden die Betätigungsfelder fort. Es fällt jedoch auf, daß sie in höchst unterschiedlicher Weise wahrgenommen worden sind. Am Beispiel zweier Themenbereiche sei dies näher gezeigt: zum einen am Bereich Wirtschaft und Handel, zum anderen am Bereich des Schutzes gegen den Nachdruck. Beide kamen in der Bundesversammlung schon früh zur Sprache, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. In wirtschaftlicher Hinsicht ging es um die Beseitigung von Hemmnissen für den Warenaustausch, mithin vor allem um die Aufhebung der Zollschranken49 . Bevor man aber im Bund an diese Aufgabe herantreten konnte, mußten die Gliedstaaten ihr Zollwesen, das ja einen Großteil der Staatseinnahmen garantierte, modernisieren. Einige Staaten hatten damit schon vor 1815 begonnen, Preußen und eine Reihe anderer Staaten haben dies in den ersten Jahren des Bundes in Angriff genommen. Erst danach war es sinnvoll, mit den anderen Bundesstaaten über die Bildung eines ge48 Mit Recht betont schon Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 592, 598, 602, daß es sich insoweit um eine echte Verfassungsänderung gehandelt hat. 49 Zur Geschichte der Bemühungen um Zoll und Handel sind neben Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 787ff. vor allem heranzuziehen: Hans-Werner Hahn, Geschichte (FN 5), passim; ders., Hegemonie und Integration. Voraussetzungen und Folgen der preußischen Führungsrolle im Deutschen Zollverein, in: Berding, Integration (FN 4), S. 45 -70; ders., Mitteleuropäische oder kleindeutsche Wirtschaftsordnung in der Epoche des Deutschen Bundes, in: RumpIer (Hrsg.), Deutscher Bund (FN 4), S. 186 - 214.
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meinsamen Wirtschaftsraumes zu verhandeln. In den 20er Jahren kam es bekanntlich zu entsprechenden Vorstößen in der Bundesversammlung; sie blieben - auch dies ist bekannt - ohne durchschlagenden Erfolg, vor allem deshalb, weil sich Österreich versagte. Die Folgen sind geläufig. Es bildeten sich verschiedene Zollbünde heraus, bis es schließlich Preußen 1834 gelang, die meisten an einer Zoll- und Wirtschaftsunion interessierten deutschen Staaten im Zollverein zu versammeln. Damit war dem Bund ein wichtiges Betätigungsfeld entzogen. Späteren Versuchen Österreichs, in den Zollverein aufgenommen zu werden und dadurch den "Nebenbund"50 wieder an den Hauptbund heranzuführen, hat Preußen durch Hinhaltetaktik vereitelt. Nach 1858 wurde immer deutlicher, daß ein Beitritt Österreichs zum Zollverein nicht mehr in Betracht kam. Der berühmte, auf dem Gedanken des Freihandels fußende Vertrag Preußens mit Frankreich aus dem Jahre 1862, dem die Zollvereinsstaaten beigetreten sind, wird gern als "handelspolitisches Königgrätz" bezeichnet51 . So klar die Linie im Bereich der Zoll- und Wirtschaftspolitik gewesen sein mag, auf anderen Feldern gab es auch gegenläufige Tendenzen. Besonders markant sind die Verhandlungen um den Schutz gegen den Nachdruck und andere Projekte zur Vereinheitlichung des Privatrechts 52 . Soweit diese Angelegenheit bereits durch die Bundesakte (Art. XVIII d) selbst auf die Tagesordnung gesetzt worden war, hat sich die Bundesversammlung schon 1817 damit befaßt. Man bildete einen Ausschuß und bestellte Berichterstatter mit der Folge, daß 1819 ein umfangreicher Entwurf für eine gleichförmige Gesetzgebung vorlag. Daß die Sache dann nicht zum Abschluß kam, lag vor allem an der Verquickung des Nachdruckschutzes mit dem Pressewesen, dessen nachhaltige Gängelung man in Karlsbad gerade beschlossen hatte. Österreich wollte die Verbindung von Zensur und Urheberrecht beibehalten und blockierte; Preußen hingegen, das polizeiliches Vorgehen einerseits und Urheberrecht andererseits deutlich voneinander trennen wollte, ergriff neue Initiativen und erreichte schließlich 1837 einen Bundesbeschluß, der die Prinzipien des Autorenschutzes festlegte. Dies war möglich geworden, weil man sich zum einen auf Grundsätze beschränkt 50 Die Bezeichnung "Nebenbund" geht auf Metternich zurück, vgl. Hahn, Wirtschaftsordnung (FN 49), S. 194. 51 Hans Benedikt, Die wirtschaftliche Entwicklung in der Franz-Josef-Zeit, Wien/ München 1958. 52 Franz Laufke, Der Deutsche Bund und die Zivilgesetzgebung, in: Paul Mikat (Hrsg.), Festschrift für H. Nottarp, Karlsruhe 1961, S. 1- 97; Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen (FN 4), S. 195 ff.; Helmut RumpIer, Das "Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch" als Element der Bundesreform im Vorfeld der Krise von 1866, in: Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund (FN 4), S. 215 - 234; Wilhelm Mößle, Rechtsvereinheitlichung als Gegenstand der Verfassungspolitik im Deutschen Bund, in: Meinhard Heinze/Jochem Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, Wiesbaden 1995, S.669-688. .
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und weil man zum anderen das Junktim von Zensur und Urheberrecht auf den Wiener Konferenzen 1834 aufgegeben hatte. Unter diesen Voraussetzungen war es nicht .mehr möglich, Preußen und die übrigen Befürworter des Urheberrechts länger hinzuhalten. So kam der Beschluß von 1837 zustande, der in den meisten Staaten des Bundes eine entsprechende Gesetzgebung auslösen sollte. Preußen hat diese Methode später wiederholt angewendet und damit erreicht, daß die wichtigsten Regeln zum Schutz vor Urhebern in den deutschen Staaten allgemeine Anerkennung fanden. Als freilich Sachsen im Jahre 1862, diesmal im Einklang mit Österreich, versuchte, eine regelrechte Parallelgesetzgebung im Urheberrecht durchzusetzen, blockierte Preußen diese Initiative mit Erfolg. Ähnlich erging es anderen Vorschlägen, die von den Mittelstaaten in die Bundesversammlung getragen wurden, so etwa den Initiativen zum Obligationenrecht und zum Patentrecht, die sich auf Anträge der Staaten der Würzburger Konferenz (1859) stützten. Nur die Allgemeine Wechselordnung und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch konnten bis zum Erfolg geführt werden. Die Wechselordnung kam wohl nur deshalb zustande, weil sie, obgleich im Zollverein vorbereitet und von der Paulskirche verabschiedet, nach der Revolution vom Deutschen Bund nur bestätigt zu werden brauchte. Auch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch hatte eine ähnliche Vorgeschichte und traf, als Bayern die Sache in der Bundesversammlung wieder aufgriff, auf das Wohlwollen der Großmächte. Andere Anträge, die nach 1848 im Sinne einer Rechtsvereinheitlichung gestellt wurden, hat Preußen nicht mehr unterstützt und damit letztlich zu Fall gebracht. (6) Versuchen wir eine vorsichtige Bilanz. Erfolg und Mißerfolg stehen nebeneinander. Insgesamt wird man sagen können, daß die durch die Grundgesetze des Bundes eröffneten Möglichkeiten in vielen Bereichen ungenutzt geblieben sind; umso positiver, positiv jedenfalls im Sinne der Initiatoren, agierte der Bund bei der Domestizierung demokratischer und nationaler Kräfte: der "Fürstenbund" erwies sich als wahre "Löwengesellschaft,,53. Die Chancen, die die Bundesverfassung daneben noch bot, wurden nicht oder nur recht einseitig genutzt. Es ging immer mehr um die Sicherung des status quo, weniger um Planungen für die Zukunft; die Versuche, von Bundes wegen zur Modernisierung der Verhältnisse beizutragen, bildeten eher die Ausnahme. 53 Die Bezeichnung "Löwengesellschaft" hat Anselm von Feuerbach verwendet, vgl. Burg, Trias (FN 4), S. 77. - Die kritisch gemeinte Bezeichnung "Fürstenbund" ist häufig gebraucht worden; ein Beispiel bietet P/izer, vgl. das Zitat unten im Text nach FN72.
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(7) In dieser Hinsicht hat der Zollverein viel effektiver gearbeitet 54 . Der Wille, ein einheitliches Zoll- und Handelssystem zu schaffen, hatte Konsequenzen für alle Gebiete, die das Wirtschaften bestimmte: Zölle und Steuern, Münze, Maß und Gewicht wurden angepaßt; gemeinsame Regeln für Verkehr und Gewerbe, für Marken und Erfindungen wurden geschaffen.
Das Harmonisierungsbemühen, das für eine inhaltlich angeglichene oder gar übereinstimmende Gesetzgebung der Vereinsmitglieder sorgte, ist bemerkenswert. Die gemeinsame Administration blieb indes in den Anfängen stecken. Sie beschränkte sich auf ein gemeinsames Organ, nämlich die jährlich im Juni einzuberufende Konferenz und eine Verrechnungsstelle für die Zolleinnahmen. Die Konferenz wurde aus Delegierten der Mitgliedsstaaten gebildet und steuerte die Geschicke des Vereins. Insoweit weist der Zollverein eine ähnliche Struktur wie der Deutsche Bund auf, weshalb es auch gerechtfertigt erscheinen mag, von einem "Nebenbund" oder einem "Bund im Bunde" zu sprechen55 . Auf diese Weise entwickelte der Zollverein eine solide Basis, auf welche die Neugestaltung der deutschen Verhältnisse nach 1866 zurückgreifen konnte. Als Preußen die nationale Frage, die im Bund viel diSkutiert, aber nie gelöst worden war, im kleindeutschen Sinne entschied und den Norddeutschen Bund als Bundesstaat ins Leben treten ließ, waren die Bahnen vorgezeichnet für die Erweiterung; denn parallel zur Gründung des Norddeutschen Bundes waren die Strukturen des Zollvereins verändert worden. Man glich sie, über die bisherige Organisationsform weit hinausgreifend, an die Strukturen des Norddeutschen Bundes an. Das "Zollparlament" und der "Zollbundesrat" waren nichts anderes als Erweiterungen der entsprechenden Organe des Norddeutschen Bundes: der Zollverein wurde zum "Bestandteil eines politisch-staatlichen Systems"56. Der Schritt zur Umgründung des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reich, der sich selbst als "ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechts, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes"57 verstand, war nicht mehr weit.
54 Zusammenfassend: Elmar Wadle, Der Zollverein und die deutsche Rechtseinheit, in: ZRG GA 102 (1985), S. 99 -129. - Im übrigen vgl. etwa die oben FN 49 genannten Arbeiten von Hahn. 55 Doering-Manteuffel, Deutsche Frage (FN 4), S. 23. 56 Doering-Manteuffel, Deutsche Frage (FN 4), S. 48. 57 Dürig / Rudolj, Texte (FN 20), S. 154. 11 Der Staat, Beiheft 12
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v. Kehren wir zum Schluß zu unserer Ausgangsfrage nach "Staatenbund oder Bundestaat" zurück. Sie kann - wie die einleitenden Beobachtungen gezeigt haben dürften -letztlich nicht in allgemeiner Form und für alle Zeiten beantwortet werden. Für den historisch orientierten Juristen behält die Frage gleichwohl ihren Wert, wenn man versucht, die zeitgenössischen Ansichten zu dieser Alternative zu erfassen: Auf diese Weise kann neues Licht auf das Verhältnis von juristischer Theoriebildung und politischer Situation fallen. (1) Wenig ergiebig ist die Sichtung der älteren Literatur zum Deutschen Zollverein58 . Er wurde durchweg als völkerrechtliche Form einer Staatenverbindung erfaßt, deren nähere Qualifikation allenfalls insoweit unbestritten wurde, als eine Beschränkung auf die Verwaltungsebene oder seine Qualität als zwischenstaatliche Organisation in Rede standen. Für die erste Version sprach der nur geringfügige Organisationsgrad der Zentralinstanz; die wachsende Wirkungsbreite des Zollvereins, die sich insbesondere in den Beiträgen zur Rechtsvereinheitlichung niedergeschlagen hat, weist eher in eine andere Richtung. (2) Als wesentlich komplizierter erweist sich die zeitgenössische juristische Diskussion um den Deutschen Bund. Sie folgt einer gewissen Entwicklungslinie, die anhand einiger Zeugnisse aus dem umfangreichen theoretischen Schrifttum zwischen 1815 und 1866 mehr angedeutet als ausgezogen werden soll59. Bei alledem bleibt zu beherzigen, was Heinrich Albert Zachariae 1845 in einer Fußnote angemerkt hat 60 : "Die bekannten theoretischen Gnmdsätze von Bundesstaat und Staatenbund können zwar auch zur Erläutenmg der rechtlichen Natur des Deutschen Bundes gebraucht werden. Nur muß man sich davor hüten, die auf solche Schulbegriffe gezogenen Consequenzen an die Stelle der Wirklichkeit zu setzen und das aus dem Bedürfnis hervorgegangene, stets in seiner eigenthümlichen Gestaltung aufzufassende, Bundesverhältnis in der Form eines solchen Schulbegriffs hineinzuzwängen".
(3) In den Anfangsjahren des Deutschen Bundes, also vor der Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse, begegnen Stimmen, welche das Begriffspaar Dazu vor allem Huber, Verfassungsgeschichte II (FN 4), S. 300 ff. Zum Folgenden vgl. das oben (Text zu FN 2) hervorgehobene Buch von Brie, das allerdings keine erschöpfende Behandlung des Themas darstellen dürfte. 60 Heinrich Albert Zachariae, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 3. Abtheilung, Göttingen 1845, S. 210. - Zu Zachariae (1806 -1875) Näheres bei Stolleis, Geschichte II (FN 2), S. 94 f. 58 59
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"Staatenbund/Bundesstaat" verwenden, um die Offenheit der rechtlichen Situation nach der Deutschen Bundesakte zu kennzeichnen. Wilhelm von Humboldt, dessen im Dezember 1813 skizzierter Verfassungsplan "einen Komprorniß zwischen der Stein'schen Idee des nationalen Bundesstaates und dem Metternich'schen Plan des reinen Staatenbundes" anstrebte 61 , hielt auch das Ergebnis des Wiener Kongresses für eine "Kombination des staatenbündischen und des bundesstaatlichen Prinzips"62, indem er 1816 erklärte 63 : "Daß der Deutsche Bund, seiner ursprünglichen Bedingung und seinem politischen Dasein nach, (zwar) ein richtiger Staatenbund ist, der sich aber zur Erreichung seines inneren und äußeren Zwecks durch die (Bundes-)Akte bestimmten Beziehungen einer Einheit und einem Zusammenhang gegeben hat, welche ihm in diesen Beziehungen zu einem Bundesstaat machen; daß also bei Bestimmung aller künftigen Verhältnisse der Begriff einer Verbindung selbständiger Staaten als die Grundidee und der Zweck, die den Bund zu einem kollektiven Staat machende Einheit als Mittel zu diesem Zweck und als nur immer aus wirklichen und bestimmten Bedingungen des Grundvertrages und der ihm gesetzmäßig gegebenen Erweiterungen hervorgeht angesehen werden muß."
Eine ähnliche Haltung treffen wir bei Friedrich Wilhelm Tittmann an, der sich in seiner 1818 erschienenen "Darstellung der Verfassung des deutschen Bundes"64 ausführlich mit den bislang geäußerten Ansichten zur Frage "Bundesstaat" oder "Staatenbund" beschäftigt. Tittmann hält das Vorhandensein einer "zwingenden höchsten Gewalt" für entscheidend und diese Frage sei für die Situation des Deutschen Bundes noch nicht entschieden65 : "Ob zwingende Gewalt, ein Hauptpunkt in dem Charakter der Staatenvereine, in dem deutschen Bunde stattfinden solle, ist also noch nicht bestimmt. Und wenn das Daseyn einer zwingenden höchsten Gewalt über das Wesen des Bundesstaates entscheidet, so ist in diesem Augenblicke noch unentschieden, ob der deutsche Bund ein Bundesstaat oder ein Staatenbund sey."
Ansichten, wie sie Humboldt und Tittmann geäußert haben, spiegeln deutlich die Offenheit der Anfangsjahre wider. Praktische Relevanz konnte diese Unentschiedenheit insoweit gewinnen, als die Bundesversammlung zunächst geneigt war, in der Debatte um die Rechte der Mediatisierten unter Berufung auf Artikel XIV der Bundesakte eine besondere Kompetenz zu beanspruchen66 . So verwundert es nicht, daß im Schrifttum, das die RechtsHuber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 519. Huber, Verfassungsgeschichte I (FN 4), S. 563. 63 Zitat nach Huber (wie FN 62). 64 Friedrich Wilhelm Tittmann, Darstellung der Verfassung des Deutschen Bundes, Leipzig 1818. Zu Tittmann vgl. Stolleis, Geschichte 11, S. 88. 65 Ebd., S. 30f. 66 Zum Folgenden einerseits Heinz Gollwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 -1918, Stuttgart 1957, 61 62
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position der Mediatisierten unterstützen wollte, die Beziehung des Bundes zu den Gliedstaaten als "Obersthoheit" gedeutet wurde. Es mag mit solchen Bestrebungen zusammenhängen, daß sich die Verwendung der Begriffe "Bundesstaat/Staatenbund" zu wandeln begann. Schon 1816 konnte Tittmann unter Bezug auf Klüber feststellen 67 : "Man scheint allgemein dem deutschen Bund die Benennung Bundesstaat zu verweigern". Derartige Verweigerungen mehrten sich nach 1820. Für Johann Ludwig Klüber 68 war der Deutsche Bund ein "fortwährender freier Staatenbund, eine Vereinigung der unabhängigen Staaten Teutschlands, zu einer völkerrechtlich gleichen Gesellschaft, für gemeinschaftliche Zwecke,,69. In der Anmerkung dazu hebt er bekräftigend hervor: "eine völkerrechtliche Gesellschaft, für immer errichtet; keine Übergangsstufe zu einem künftigen Staatsgebilde, und keine vorübergehende Allianz für einen bestimmmten Fall oder Zeitraum". Klüber verwirft einerseits die Bezeichnung "Bundesstaat", den er versteht als "Gesammtstaat" oder "Staatenstaat" oder "Societäts- oder Völkerstaat unter einem Bundeshaupt oder einer Central-Regierung, welcher die besonderen Staatsregierungen nachgeordnet werden". Andererseits betont Klüber nochmals, der Deutsche Bund sei ein "fortwährender völkerrechtlicher Verein mehrerer Staaten, ein Staatenverein, Staatenbündnis, Staatensystem oder System vereinigter oder verbündeter Staaten, systema civitatum foederarum seu archaicarum, eine Staatensozietät" . Dieser Bundesstaat wird nach Klüber "völkerrechtlich und durch Gesellschaftsrecht, nicht durch Rechte einer Obergewalt vereinigt". Subjekt der Bundesgewalt, die für Klüber keine staatliche, wohl aber eine öffentliche Gewalt ist ("eine politische Social- oder Collegialgewalt"), bleibt demnach "die Gesammtheit der Bundesglieder"70. Klüber hat aus dieser theoretischen Einschätzung auch jede "Obersthoheit" abgelehnt, die zum Vorteil der Mediatisierten hätte eingesetzt werden können. Später gewann Klübers Sicht in einem neuen politischen Kontext eine andere Funktion.
s. 115 ff.; Wolfgang Hilger, Die Verhandlungen des Frankfurter Bundestages für die Mediatisierten von 1816 bis 1866, phil. Diss., München 1956; auch Burg, Trias (FN 4), S. 78ff. Zu "Obersthoheit" vgl. "Ueber die Obersthoheit des deutschen Bundes", in: Archiv für Standes- und Grundherrliche Rechte und Verhältnisse, Geschichte und Statistik alter und neuer Zeit, I, 2, Carlsruhe u. Baden 1822, S. 1- 22. 67 Tittmann, Darstellung (FN 64), S. 32. 68 Johann Ludwig Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt a.M. 1822. - Über ihn Stolleis, Geschichte II (FN 2), S. 71 ff. 69 Klüber, Öffentliches Recht, S. 133. 70 Klüber, Öffentliches Recht, S. 133 f., 330 f., 503 f.
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(4) Als sich die Reaktionspolitik der Großmächte mehr und mehr der Bundeskompetenz zur Garantie der Sicherheit bediente, um entsprechende restriktive Maßnahmen durchzusetzen, kam der Qualifizierung des Deutschen Bundes eine neue Bedeutung zu. Liberale Kritiker akzeptierten die gängig werdende Einschätzung des Deutschen Bundes als Staatenbund und setzten ihm ihr Gegenmodell eines national und demokratisch orientierten Bundesstaates entgegen. Bereits nach der Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse meldeten sich solche Stimmen zu Wort; nach der Juli-Revolution formulierten namentlich Friedrich von Gagern, Paul Achatius Pfizer und Karl Theodor Welcker derartige Positionen. In der zeitgenössischen Debatte fanden Pfizers und Welckers Beiträge besondere Beachtung71. Hatte Pfizer in seinem "Briefwechsel zweier Deutschen" noch stärker verfassungspolitisch argumentiert und seine Ziele in die Konzeption eines "republikanischen Föderativsystems" (Brie) einfließen lassen, so verknüpfte er in seinem vier Jahre später erschienenen Buch "Über die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Deutschland durch die Verfassung des Bundes" die idealtypische Differenzierung von "Staatenbund" und "Bundesstaat" mit einer bemerkenswerten Diagnose der gegenwärtigen Verfassung 72 . Der Deutsche Bund erschien ihm als ein Gebilde, das keinem der beiden Begriffe gerecht wurde: Die Bundesakte habe begründet "einen ... beständigen Bund, der, wenn gleich manches von den Eigenschaften eines Bundesstaats an sich tragen, doch im Wesentlichen den Charakter einer bloß völkerrechtlichen Vereinigung der Regierungen vorherrschen läßt, ja nicht einmal alle Bindungen eines wahren Staatenbundes erfüllt" (S. 63); und später spricht er von der "zwischen einem Staatenbund und einem Bundesstaat schwankenden Bundesakte" (S. 162). Pfizer unterschied bei den auf Dauer angelegten Völkerbündnissen oder Staatenbündnissen zwischen zwei Arten, den "auf die äußeren (völkerrechtlichen) Verhältnisse der Vereinsstaaten" beschränkten "Staatenbund" und den "auch auf die innern (staatsrechtlichen) Verhältnisse der Gliederstaaten " sich erstreckenden "Bundesstaat"; für letzteren war nach Pfizer entscheidend, daß er nicht bloß Staaten und Regierungen miteinander verbinden sollte, "sondern die Bürger aller einzelnen Staaten mit der Bundesgewalt unter sich in rechtliche Beziehung und Bindung" brachte; er sollte Ausdruck der Einheit der Nation sein (S. 45/46): "Der Bundesstaat soll für eine in verschiedene Staaten und Stämme getheilte Nation das seyn, was der eimelne Staat dem eimelnen Volk ist, und was bei'm Staatenbund als etwas Zufälliges oder gar als Ausnahme erscheint, die Ausdeh71 Zu Friedrich von Gagern, Pfizer und Welcker, vgl. Brie, Bundesstaat (FN 2), S. 57 ff., 61 ff,; Stolleis, Geschichte 11 (FN 2), S. 177 ff. 72 Einerseits: Briefwechsel zweier Deutschen, Stuttgart/Tübingen 1831, nach Brie, Bundesstaat, S. 58; andererseits: Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Deutschland durch die Verfassung des Bundes, Stuttgart 1835.
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ElmarWadle nung des Bundeszwecks auf Alles, was für die Gesammtheit wünschenswerth und mit getheilten Kräften nicht erreichbar ist, bildet hier die natürliche Regel. Sein Zweck ist, wie der Staatszweck selbst, das Wohl des ganzen, er ist, wie der Staat, von dem nicht einzelne Provinzen sich beliebig trennen dürfen, seiner Natur nach dauernd, unauflöslich, und beschränkt die Unabhängigkeit der Bundesglieder insofern, als diese den verfassungsmäßigen Beschlüssen der Bundesgewalt Gehorsam schuldig sind, ohne durch willkührlichen Austritt ihren Verpflichtungen sich entziehen zu können" .
Der Deutsche Bund war für Pfizer kein Bundesstaat, da er weder eine freiheitliche noch eine nationale Einheit stiftete, war aber auch kein rechter " Staatenbund " , da er sich zwar für unauflösbar erklärte, aber nicht ein "wahrhaftes bleibendes Bedürfniß" verkörperte (S. 78): "Soll ein Staatenbund nicht eine schnell vorübergehende Schöpfung des Augenblicks, sondern eine dauernde Vereinigung für alle Zukunft seyn, so muß er aus Staaten bestehen, die einander gegenseitig nicht entbehren können, weil sie die Macht und Größe zu einem selbständigen Leben außer dem Bunde nicht besitzen. Oder wenn bei Einzelnen das eigene Interesse oder Bedürfniß für die freiwillige Erfüllung der Bundespflicht keine hinreichende Bürgschaft gewährt, so muß solche wenigstens mit überlegender Macht erzwungen werden können. Weder das Eine noch das Andere gilt aber von den zwei Großmächten des Deutschen Bundes".
Deshalb ist es nach Pfizer nicht gelungen, die Ungewißheiten, die in der Bundesakte noch enthalten waren, zugunsten der Bundesstaatlichkeit zu entwickeln (S. 162 ff.): "Die Bundesakte nähert sich nämlich der Idee eines Bundesstaats in der ausgesprochenen Unauflöslichkeit des Bundes und der Unfreihwilligkeit der Theilnahme, in der Ausdehnung des Bundeszwecks auf Erhaltung der innern Sicherheit Deutschlands anstatt eines bloßen Friedensstandes unter den verbündeten Staaten, in den gemeinnützigen Anordnungen, welche für ganz Deutschland in Aussicht gestellt sind, noch mehr aber darin, daß fast der ganze zweite Abschnitt sich auf Rechte und Verhältnisse der Unterthanen in den einzelnen Bundesstaaten bezieht. Wollte man nun den Deutschen Bund auf den Charakter des reinen Staatenbunds, so weit es ohne Verletzung des Buchstabens der Bundesakte möglich war, zurückführen, so wäre erforderlich gewesen, den allerdings verschiedener Auslegungen fähigen Ausdruck ,innere Sicherheit Deutschlands' ausdrücklich auf die völkerrechtlichen Verhältnisse der einzelnen Bundesglieder gegen einander und zum Bunde zu beschränken und diejenigen Bestimmungen der Bundesakte, wodurch dieselbe in die staats- und privatrechtlichen Verhältnisse der Unterthanen deutscher Staaten eingreift, ausdrücklich für bloße, unter keinerlei Bedingung zu erweiternde Ausnahmen zu erklären. Sollte dagegen den gerechten Erwartungen der Nation entsprochen und der Deutsche Bund zu einem wahren Bundesstaat, zu einem Nationalbund ausgebildet werden: so war vor allen Dingen die ganz aufgehobene Verbindung zwischen der Centralgewalt des Bundes und den deutschen Völkern herzustellen und dabei das Hauptgebrechen der ehmaligen Reichsverbindung, die Mittelbarkeit der größtentheils dem Reiche gegenüber nur durch ihre Fürsten repräsentirter, nicht durch freigewählte Abgeordnete
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wirklich vertretenen, Reichsunterthanen durch Nationalvertretung zu beseitigen. Das Letztere würde den Bund zu dem, was er von Anfang an seyn sollte, gemacht, das erstere wenigstens die deutschen Landesverfassungen nicht gefährdet oder verletzt haben. Allein es geschah weder das ein, noch das andre". Letztlich habe die Bundesakte etwas "Unmögliches verlangt, nämlich volle Unabhängigkeit der Glieder eines unauflöslichen, zwischen Bundesstaat und Staatenbund schwankenden Staatenvereins" (S. 181). In Wahrheit sei statt eines "Nationalbundes" nur ein "Fürstenbund" zustande gekommen, der die Abwehr und Unterdrückung alles Nationalen und Demokratischen als "das einzige Gebiet entdeckt" habe, "auf dem einträchtiges Zusammenwirken aller Bundesglieder mit einiger Sicherheit erwartet und der Bund wenigstens den Fürsten nützlich werden konnte" (S. 152 f.). Bediente sich Pfizer der Begriffe "Bundesstaat" und "Staatenbund", um das Ziel einer nationalen und liberalen Verfassung für Deutschland herauszuarbeiten, so agierte Welcker in seinen juristischen Schriften eher defensiv; er wollte den Deutschen Bund als "Staatenbund" verstanden wissen, um die nach 1840 errungenen Freiheiten in einzelnen deutschen Staaten, namentlich im heimischen Baden, zu verteidigen. Welcker stützte sich vor allem auf Klübers Thesen, um im Interesse der liberalen Reformansätze die Selbständigkeit der Bundesglieder und die Unabhängigkeit von der Zentralgewalt zu untermauern. Am deutlichsten dürfte dies in den Erläuterungen zum Ausdruck kommen, mit denen er Klübers Anmerkungen zum "Rechtszustand der deutschen Nation" begleitet hat1 3 . Die Hauptergebnisse sind in folgenden Passagen zusammengefaßt: "I. Der deutsche Bund ist nach seiner grundvertragsmäßigen Zweck- und Gewaltbestimmung und nach seiner Organisation ein völkerrechtlicher Staatenbund aller deutschen Staaten für den gemeinschaftlichen völkerrechtlichen Schutz Deutschlands und der einzelnen deutschen Staaten. 11. In besonderen Zusatz- und Anhangsbestimmungen, die von jenem völkerrechtlichen Bundeszweck nicht ausgehen, aber seine Verwirklichung unterstützen, versprechen alle Bundesregierungen, und garantirt der Bund einige bestimmte Rechte für deutsche Bürger, einzelne für bestimmte Klassen von Personen - die andern für alle Deutschen; und zwar die letzteren, um dem deutschen Bunde eine nationale deutsche Grundlage zu erhalten und zugleich zur Befriedigung der wesentlichsten Rechtsforderungen aller deutschen Bürger und der ihnen in Beziehung auf dieselben beim Beginn der Freiheitskriege gemachten feierlichen fürstlichen Zusagen. 111. Keineswegs aber begründet der Bundesvertrag innere staatsrechtliche Verbindlichkeiten der Unterthanen, oder, außer jener Garantie der bestimmten 73 Welcker, in: Johann Ludwig Klüber, Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der Deutschen Nation mit eigenhändigen Anmerkungen. Aus seinen Papieren mitgeteilt und erläutert von Karl Theodor Welcker, 2. Aufl., Mannheim 1845 (ND Aalen
1977) S. 66.
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ElmarWadle Rechte, irgend eine gesetzgebende oder vollziehende Gewalt über die inneren staatsrechtlichen Verhältnisse und zur Beschränkung der Freiheit der Unterthanen, oder auch der Fürsten. In Beziehung auf die Vermehrung der Unterthanenrechte vielmehr erkannte, gerade um alle solche Beschränkungen der Fürsten und Bürger, welche ohne alle Nationalrepräsentation die Regierungen und Bürger gefährden, ja den Rechtszustand der Nation aufheben, gänzlich auszuschließen, der Bund die vollkommende Unabhängigkeit, oder Souveränität der Bundesstaaten, also ihrer Verfassungen, Regierungen und Verwaltungen als grundvertragsmäßiges Recht der Regierungen und Bürger an. Er nahm die Verbürgung dieser Unabhängigkeit der Staaten selbst ausdrücklich in den allgemeinen Bundeszweck auf."
Der politische Bezug zwischen der theoretischen Untersuchung der Frage Bundesstaat oder Staatenbund ist hier in geradezu klassischer Weise formuliert: Aus der Sicht des Altliberalen Welcker konnte der Deutsche Bund nur ein Staatenbund sein, der die Eigenständigkeit und Souveränität der Bundesglieder zu respektieren hatte. Daß es auch andere Stimmen gab, die gerade die Kompetenz der Zentralgewalt betonten, um die Politik der Reaktion zu stützen, sei eher der Vollständigkeit halber angemerkt: Ein bedeutendes Beispiel hierfür bietet die Politik des badischen Bundestagsgesandten und zeitweiligen Außenminister Freiherrn von Blittersdorff, der im Interesse der Klein- und Mittelstaaten einen Ausbau des Bundes forderte, um eine zugleich konservative und national orientierte Politik zu stärken74 . (5) Am Vorabend der Revolution von 1848 wurden "Bundesstaat" und "Staatenbund" zu Schlagworten, die dazu dienten, dem nationalen Gedanken neuen Spielraum zu geben. In der Verfassungsdiskussion wurde die Vokabel zum Symbol für den angestrebten gesamtdeutschen Staat. Heinrich Zöpfl meint in den neueren Auflagen seines " Staatsrechts ,,75: "Der sprechendste Beweis dafür aber, dass der deutsche Bund auf der Grundlage, welcher er durch die Bundesakte und die Wiener Schlussakte 1820 erhalten hat, kein Bundesstaat ist, liegt darin, daß die Bewegung im Jahre 1848 hauptsächlich dahin gerichtet war, den deutschen Staatenbund in einen Bundesstaat umzuwandeln. "
Dieser Satz ließe sich umfänglich belegen; hier mag ein Hinweis auf die Botschaften des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. vom März 1848 genügen: Nachdem er am 14. März eine "wirkliche Regeneration des deutschen Bundes" gefordert hatte, formulierte er am 18. März folgende Sätze76 : 74 Wolfgang von Hippel, Friedrich Landolin Karl von Blittersdorff (1792 -1861). Ein Beitrag zur badischen Landtags- und Bundespolitik im Vormärz, Stuttgart 1967, passim, bes. S. 17f., 68ff., 80I., 88, 129, 143. 75 Heinrich Zöpfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 1. Theil, Leipzig und Heidelberg 1863, S. 282. - Uber Zöpfl (1807 -1877): Stolleis, Geschichte II (FN 2), S. 92 ff. 76 Huber, Dokumente I (FN 20), S. 445 f.
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"Vor Allem verlangen Wir, daß Deutschland aus einem Staatenbunde in einen Bundesstaat verwandelt werde. Wir erkennen an, daß dieses eine Reorganisation der Bundesverfassung voraussetzt, welche nur im Vereine der Fürsten mit dem Volke ausgeführt werden kann, daß demnach eine vorläufige Bundesrepräsentation aus den Ständen aller deutschen Länder gebildet und unverzüglich berufen werden muß. Wir erkennen an, daß eine solche Bundesrepräsentation eine konstitutionelle Verfassung aller deutschen Länder nothwendig erheische, damit die Mitglieder jener Repräsentation ebenbürdig nebeneinander sitzen."
(6) Die Alternative Staatenbund/Bundesstaat erhielt im Gefolge der Reformprojekte der Jahre danach mehr und mehr jene Gestalt, die Georg Jellinek anhand des Austrittsrechts der souveränen Mitgliedsstaaten zum Ausdruck brachte. Im Vormärz war die Möglichkeit des Austritts eher am Rande erörtert worden; die "Beständigkeit", von welcher die Bundesakte (Einleitung Art. 1) spricht, wurde zwar durch die "Unauflöslichkeit" verschärft, die in der Wiener Schlußakte (Einleitung Art. 5) enthalten war. Die Ergänzung änderte aber grundsätzlich nichts an der Möglichkeit einer Beendigung des Bundes. Es galt als ausgemacht, daß Staaten das Band, das sie eingegangen sind, gemeinsam verändern oder auch wieder auflösen konnten. Die Frage einer einseitigen Kündigung stellte sich freilich nicht. Klüber etwa begnügte sich noch mit dem Satz: "Er ist unauflösbar; keinem Mitglied steht frei, sich von ihm zu trennen" und verweist in der zugehörigen Fußnote mittelbar auf die Möglichkeit verändernder gemeinsamer Beschlüsse 77. Es mag vor 1850 die eine oder andere Stimme gegeben haben 78, die trotz der "Beständigkeit" und der" Unauflöslichkeit" gemeint hat, eine Beendigung oder gar ein einseitiger Austritt seien unzulässig; der herrschenden Meinung entsprach das sicher nicht. Nach der Jahrhundertmitte änderten sich die Ansichten indes deutlich. Für Georg Waitz etwa steht außer Frage, daß das Postulat der Unauflöslichkeit nur in einem historisch-politischen Sinne zu verstehen ist. Er schreibt1 9 : "Nur wo jene tiefere historische und nationale Grundlage für die Verbindung vorhanden ist, wird die Einigung selbst nicht in Frage gestellt werden können. In diesem Sinne vorzüglich können die Urkunden des Deutschen Bundes ihn für unauflöslich erklären. Und auf diesem Standpunkt war es nicht so unrichtig, wie manche glauben machen wollten, wenn einmal preußische Staatsmänner, vor allen Radowitz, während sie die Beseitigung der Bundesverfassung behaupten mußten, die Fortdauer des Bundes zugestanden". Klüber, Öffentliches Recht (FN 68), S. 134f. So wohl Welcker, Artikel "Bund, Bundesverfassung, Staaten- oder Völkervereine ... ", in: Carl von Rotteck/ Carl Welcker (Hrsg.), Staats-Lexikon III, Altona 1836, S. 76 -166, hier S. 105. 79 Waitz, Wesen (FN 8), S. 159 f. 77 78
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Die Abwertung der Unauflöslichkeit, die hier zutage tritt, wird durch spätere, an der Souveränität festgemachte Differenzierungen zwischen Bundesstaat und Staatenbund fortgesetzt. Es sieht so aus, als hätten Autoren wie Laband oder Jellinek, die dem Deutschen Bund jede Souveränität absprachen, indem sie ihn zum Staatenbund erklärten, die Ereignisse des Jahres 1866 im Blick gehabt, vor allem die einseitige Aufkündigung des Bundes durch Preußen. In der Phase der Reichsgründung waren solche Folgerungen aus dem Staatenbundbegriff wohl noch keine Selbstverständlichkeit, denn selbst Preußen bemühte sich, den Bruch des Bundes in den Verträgen mit den einzelnen deutschen Bundesstaaten zu "heilen"ao.
VI.
Mit diesen Beobachtungen sind wir zum Ausgang unserer Überlegungen zurückgekehrt. Der Blick auf die Realitäten des Deutschen Bundes einerseits und des Deutschen Zollvereins andererseits und auf die sie begleitende theoretische Diskussion dürfte gezeigt haben, daß die Unterscheidung von Staatenbund und Bundesstaat keine Kategorien enthält, die durch eine allgemeine Staatslehre zeitlos fixiert werden könnten. Sie bleiben immer verwoben mit dem Fluß der Verfassungsgeschichte. Für alle, denen die künftige Gestalt der europäischen Union nicht gleichgültig sein kann, mag diese am historischen Material erneuerte Erkenntnis Trost und Ansporn zugleich sein.
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Näheres bei Laband, Staatsrecht I (FN 12), S. 3 H., bes. S. 6 f.
Zur Staatenbildung im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz Von Alfred Kölz, Zürich
Mein "privilegierter Diskussionsbeitrag" - wie Sie ihn nennen, Herr Vorsitzender, lautet "Zur Staatenbildung im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz". Ich werde im letzten Teil dieses Diskussionsbeitrages dann auf die Frage, die Herr Wadle soeben behandelt hat, näher eingehen. Die geschichtlichen Vorgänge des 19. Jahrhunderts prägen ja - wie Ihnen bekannt ist - viele Verfassungs- und Gebietsstrukturen in Europa noch heute, so auch bezüglich der Staatenbildung. Was war das Wesensmerkmal dieser Staatenbildung, dieser Frage möchte ich zunächst nachgehen. Hier ist zu sagen, daß es ja schon vorher, vor dem 19. Jahrhundert, in Europa Staaten gab, und zwar Staaten, die nach der heutigen Dogmatik charakterisiert werden mit den drei Elementen Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt. Ich vermeide hier mit Absicht, jetzt den Begriff der Souveränität zu verwenden, ich komme darauf noch zurück. Das Neue, das sich aber im 19. Jahrhundert herauskristallisiert hat, ist vor allem in zwei Teilaspekten zu sehen. Zunächst einmal: Es erfolgte eine Neugründung und eine teilweise gleichzeitige oder zeitlich verschobene Neubildung von Staaten. Als Beispiele wären die Auflösung des alten Deutschen Reiches 1806 und das Zerbrechen des Deutschen Bundes 1866 zu nennen. Als weiteres Beispiel der Beginn des Auseinanderbrechens von Österreich-Ungarn mit der Loslösung von Italien 1859. Als weiteres Beispiel ist Belgien zu nennen, das sich 1830 von den Niederlanden löste und einen neuen zweisprachigen Staat bildete. Betrachten wir diese Beispiele, so fällt im Fall von Italien und Belgien auf, daß sich Bevölkerungen oder Gebiete zu Staaten erklärten, die vorher keine eigene Staatlichkeit gekannt hatten, es waren untertänige Bevölkerungen, die sich befreiten und zu Staaten bildeten. Wie sah es diesbezüglich in der Schweiz aus, einem, man kann fast sagen, europäischen Mikrokosmos 1 : Die Schweiz vereinte beide Gruppen und Bei-
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spiele in sich, es lösten sich zwischen 1798 und 1803 kleine Nationen im Sinne von Bevölkerungen und Gebieten mit eigener Sprache, Geschichte und Kultur von ihren Beherrschern ab. So bildete sich etwa ein neuer Kanton Waadt, indem er sich loslöste von Bern, der im 16. Jahrhundert den Kanton Waadt erobert hatte, ein Kanton Tessin - Loslösung von den Innerschweizer Kantonen (Waldstättekantonen); es bildete sich ein Kanton Thurgau sowie ein Kanton Aargau, die beide ebenfalls Untertanengebiete gewesen waren. Der Vergleich dieser Sezessionen und Staatsbildungen mit den Fällen Italien und Belgien liegt nahe, wenngleich mit dem wichtigen Unterschied, daß sich die neuen Kantone nicht aus dem Staatsverband Staatsverbund-Eidgenossenschaft lösten, sondern dabei blieben. Ich springe nun beinahe 50 Jahre im 19. Jahrhundert weiter, bis zum Jahr 1847. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist ja 1847 beinahe zerbrochen, und zwar wegen des sogenannten Sonderbundes, einer Sezessionserklärung der katholischen Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Zug, Freiburg und Wallis. Die restliche Eidgenossenschaft, vor allem aus protestantischen, wirtschaftlich weit entwickelten Gebieten bestehend, besiegte 1847 den katholischen Sonderbund und band diese abtrünnigen Kantone in den Bundesstaat von 1848 ein, und zwar mit einer Bundesexekution militärischer Art. Es ist beizufügen, daß die Einbindung dieser Kantone 1848 bei der Schaffung des Bundesstaates mit Hilfe des Mehrheitsprinzipes erfolgte. Es wurde das Einstimmigkeitsprinzip des Staatenbundes aufgegeben, insofern lag ein Rechtsbruch vor, ein Kontinuitätsbruch, man kann von einer kleinen Revolution sprechen. 1847 und 1848 erfolgte also eine Sezession und dann ein Zusammenfügen der Teile in einen festeren staatlichen Verbund. Welches war die Struktur der Verbindung der Kantone vor 1848 gewesen? Ich kann hier mehr oder weniger auf das Referat meines Kollegen, Herrn Wadle, verweisen. Nach dem Bundesvertrag von 1815 wurden die Kantone in einen Staatenbund zusammengefaßt. Der Staatenbund dürfte etwa die gleiche Regelungsdichte gehabt haben wie der Deutsche Bund. Welches waren die tieferen Gründe für die Staatenneugruppierungen und Staatenneubildungen? Wiederum am Beispiel der Schweiz, das allein ich gut kenne. Ich nenne drei Gründe: 1. Mit der Französischen Revolution brach sich politisch das Gedankengut der Staats- und Gesellschaftstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts Bahn und mittelbar auch das politische Ideengut der Amerikanischen Revolution in Europa. Das bedeutete - Sie wissen es natürlich - das Wirksamwerden der Ideen von individuellen Freiheiten, der Gleichheit und der individuali1 Näheres dazu bei: Al/red Kölz, Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte, Bern 1992, mit umfassenden Literaturangaben, sowie der dazugehörige Quellenband, hrsg. v. A. Kölz, Bern 1992.
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stischen Demokratie. Die in der Schweiz bis 1848 noch größtenteils oppositionellen Liberalen und radikalen Kräfte forderten nun eine neue Legitimation des Gemeinwesens. Nicht mehr auf den überkommenen historischen Herrschaftsstrukturen, sondern auf den genannten neuen Werten der Selbstbestimmung, der Volkssouveränität, solle der Staat gegründet werden. Mit der Forderung nach individueller Selbstbestimmung verband sich jene nach kollektiver Selbstbestimmung, der nationalen Selbstbestimmung von historisch gewachsenen Gemeinschaften und sprachlich-kulturellen oder ethnischen Gruppierungen. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Völker, in der amerikanischen Revolution modellhaft vorgezeichnet, hat zu den erwähnten Abspaltungen und Staatenneugründungen in Italien, Belgien und den erwähnten Schweizer Kantonen geführt. Die Klammer der herzustellenden Nation im Jahre 1848 konnte in der Schweiz natürlich weder die Sprache noch die Ethnie noch die Kultur noch die Konfession sein. Denn diese Elemente waren in der Schweiz äußerst verschieden. Die Klammer war die jahrhundertelange gemeinsame Geschichte, ferner eine Art demokratische Kultur im Sinne des eidgenössischen Verständigungswillens bei Konflikten; diese demokratische Kultur war für die Abgrenzung der Eidgenossenschaft gegenüber den umliegenden Monarchien bedeutsam. Ich erinnere daran, daß 1847 die Eidgenossenschaft und San Marino die einzigen Nichtmonarchien in Europa waren. Aus diesen Ideen, vor allem aus dem Vorbild Frankreichs leiteten die schweizerischen radikalen Liberalen, in Deutschland im 19. Jahrhundert als "Demokraten" bezeichnet, zunächst in den Kantonen im kleinen, 1848 dann im großen die Forderung nach einem nationalen Einheitsstaat ab. Diese Forderung lag in der Schweiz deshalb nahe, weil die Schweiz ja zwischen 1798 und 1803 unter dem Druck Frankreichs in der Helvetischen Republik ja bereits als nationaler Einheitsstaat konzipiert war. Das hieß, die radikalen Liberalen wollten einen Staat errichten, der nach dem Verfassungsmodell der französischen MontagnardVerfassung, der Jakobiner-Verfassung von 1793, aufgebaut worden wäre. Das war das Modell, von dem sich die Linke innerhalb der Reformkräfte leiten ließ. Diese Idee ließ sich natürlich nicht verwirklichen, wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse, wegen der Stärke der gewachsenen Strukturen. Ich erinnere aber daran, daß die Reformkräfte in der Schweiz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts teilweise dieses Modell verwirklicht haben, und zwar in den Kantonen. Und hier kann ich an den Vortrag von Herrn Neuhaus anschließen - ich habe vorher mit Absicht aus Zeitgründen darauf verzichtet, etwas zu sagen. Was Herr Neuhaus für Bayern geschildert hat, ist sehr ähnlich zu dem, was in den reformerischen schweizerischen Kantonen, in den verhältnismäßig weit entwickelten und schon etwas industrialisierten Kantonen, geschehen ist. Es wurden ab 1806 Kodifikationen im Strafrecht, Zivilrecht und Prozeßrecht geschaffen, es wurden die Binnenzölle innerhalb der Kantone beseitigt, es wurden neue Steuern auf der Basis
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der Gleichheit eingeführt, es wurde das rationale französische Verwaltungsund Gerichtssystem mit drei Hierarchiestufen eingeführt, es wurde versucht, die neuen Maße und Gewichte nach dem französischen metrischen System einzuführen; man kämpfte von reformerischer Seite für die Abschaffung von Feiertagen usw. Diese Reformen standen alle im Zeichen der Schaffung der nationalen Einheit und sind meines Erachtens ganz entscheidend vom Gedankengut des französischen nationalen Einheitsstaates geprägt worden. Als Beispiel kann ich ebenfalls die weitgehende Beseitigung der kommunalen Autonomie nennen, die in den schweizerischen Kantonen erfolgte. Auch dieses Gedankengut der schwachen Stellung der Gemeinden innerhalb der Kantone ist natürlich aus Frankreich bezogen. Das nur eine Bemerkung zum Vortrag von Herrn Neuhaus. Ich habe bereits gesagt, daß die Radikalen mit dem Gedanken der Schaffung eines nationalen Einheitsstaates nicht durchgedrungen sind. Aber es gelang ihnen immerhin, eine direkte demokratische Repräsentation in der Form des nationalen Parlamentes, des Nationalrates, der ersten Kammer des Bundesparlamentes, zu schaffen. Die Kantone erhielten eine Vertretung in der Form des Ständerates, wie wir ihn heute nennen, historisch gesehen die Fortsetzung der früheren Tagsatzung. Dies bedeutete eine Übernahme des amerikanischen Bundesstaatsmodells in der Schweiz, und zwar ganz explizit erklärt. Man hat das nicht verborgen wie die zahlreichen Rezeptionen aus dem französischen Revolutionsrecht. Neben den unangenehmen Erfahrungen mit der Besetzung durch französische Heere gab es noch andere Gründe dafür, daß man zwar französische Institutionen im großen Stile in der Schweiz rezipierte, aber nie sagte, woher sie kamen. Ja, man hat sogar verschleiernd geltend gemacht, sie kämen aus "unverdächtigen" europäischen Staaten, um nicht das revolutionäre Frankreich nennen zu müssen. 2 2. Die zweite staatenbildende Kraft war das wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Fortschrittsdenken, das mit der Forderung nach dem Aufbau einer kapitalistisch organisierten Marktwirtschaft verbunden war, aber auch mit der Demokratie. Diese Kraft erklärt auch teilweise den Konflikt mit den katholischen Sonderbund-Kantonen, die sich von der Eidgenossenschaft lösen wollten. Damit wird ein weiteres Phänomen sichtbar. Es waren in der Schweiz im wesentlichen im Protestantismus verankerte Kräfte, welche den Staats- und Gesellschaftsaufbau in diesem Sinne vorantrieben. Weil aus ihrer Sicht die katholischen Sonderbundskantone diesem wirtschaftlich, wissenschaftlich, technischen, diesem dynamischen Denken grundsätzlich feindlich eingestellt waren, gingen die Liberalen mit aller Härte gegen die betreffenden Kantone vor. Die Jesuitengefahr lieferte ihnen den willkommenen Anlaß, das Volk zwecks Erreichung dieses Ziels zu mo2
Näheres in meiner Verfassungsgeschichte (FN 1), S. 615 ff.
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bilisieren. Indessen strebten die schweizerischen Liberalen und Radikalen 1848 noch keinen Staat mit einer durchorganisierten nationalen Volkswirtschaft an. Das wirtschaftliche Element spielte 1848 bei der Bundesstaatsgründung noch nicht die Hauptrolle. Dies im Gegensatz zur Verfassungstotalrevision von 1874, wo dann die Verfassung im Sinne einer starken Zentralisierung geändert wurde. 3. Damit komme ich zur dritten staatenbildenden Kraft in der Eidgenossenschaft. Der engere Zusammenschluß der Kantone in einen Bundesstaat drängte sich auch aus außenpolitischen Gründen auf. Die europäischen Mächte übten in verschiedenen Bereichen starken Druck auf den Kleinstaat aus und spielten dabei teilweise die kleinen Kantone gegenüber den größeren aus und umgekehrt. Zu erwähnen sind etwa Frankreich in wirtschaftlicher Hinsicht; aber auch der Deutsche Zollverein schuf eine Bedrohung für das lockere Gebilde der Eidgenossenschaft; Österreich und Preußen haben in der Flüchtlingsproblematik ständigen Druck auf das außenpolitisch wenig handlungsfähige Gemeinwesen ausgeübt - ich erwähne nur die Konflikte, die sich aus der Anwesenheit der Flüchtlinge Giuseppe Mazzini, dem späteren Napoleon IH. sowie deutschen geflohenen Demokraten in der Schweiz ergaben. Schließlich übte Rom in kirchlichen Fragen einen nach der Auffassung der Liberalen unerträglichen Druck auf die Eidgenossenschaft aus. Die Bundesorganisation, die 1848 neu geschaffen wurde, sollte also dazu dienen, der Schweiz eine kohärente Außenpolitik zu ermöglichen. Immer wieder waren die europäischen Mächte mit Forderungen an das fragile staatenbündige Gebilde herangetreten, auch noch 1848 während der Ausarbeitung der neuen Verfassung bestritten Österreich, Preußen, Rußland und Frankreich das Recht der Schweiz, ohne ihre Garantie eine neue Verfassung zu erlassen. Sie beriefen sich auf die Zustimmung der Mächte anläßlich des Wiener Kongresses von 1815. Es ist aber zu sagen, daß die Mächte 1815 nicht die Schweizerische Verfassung, also nicht den Bundesvertrag, sondern nur das Gebiet der Schweiz garantiert hatten. Nun komme ich zum dritten und letzten Teil: Wie löste die Schweiz die Souveränitätsfrage, die Herr Wadle natürlich im Rahmen eines Vollreferates sehr viel eingehender behandelt hat? Das Wichtigste meines Erachtens zuerst: Es gab in der Schweiz keine Monarchen oder Fürsten, sondern nur Aristokraten. Damit fiel der personalistische Prestigeaspekt weg, der die Souveränitätsfrage in Deutschland immer so belastet hat, nämlich die Frage, welche Person denn die höchste sei, Kaiser oder König. Die Souveränitätsfrage stellte sich aber in der Schweiz mit der Schaffung des Bundesstaates trotzdem: Vor 1848, also nach dem Bundesvertrag von 1815, galten die Kantone als souverän. Das konnte nun nicht mehr so bleiben mit der Bundesstaatsgründung von 1848. Wie hat man also das Problem gelöst? Die Schweiz hat sich 1848 nicht nur bezüglich des Zweikammersystems, son-
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dern auch bezüglich des Konzeptes des Bundesstaates nach dem amerikanischen Bundesstaatsmodell gerichtet. Es wurde daher die Lehre von der geteilten Souveränität rezipiert, die hier in der Schweiz und in Europa überhaupt durch das berühmte Werk "De la democratie en Amerique" von Tocqueville 1832 bekanntgeworden ist. Tocqueville schrieb in seinem Buch im ersten Band (achtes Kapitel) ausdrücklich, es sei von der "division de la souverainete" auszugehen, und das hat man sich in der Schweiz zu Herzen genommen. Man ging, gleich wie die Amerikaner, pragmatisch vor und hat nicht Sätze angewendet wie: die Souveränität ist unteilbar oder die Souveränität ist Ausdruck der "summa potestas", sondern man hat die Zuständigkeiten oder Kompetenzen von Bund und Kantonen einfach nach funktionalen und natürlich politischen Kriterien aufgeteilt. Wenn ich das sage, so wundert man sich allerdings, wenn man in der geltenden Verfassung den im Jahr 1848 entstandenen Artikel 3 liest. Dieser sagt nämlich, die "Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist, und üben als solche alle Rechte aus, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind". Das ist eine "schlaue" Formulierung: Die Verfassung wurde ja von den Liberalen geschaffen, diese wollten einen möglichst starken Bund, haben aber dennoch geschrieben, die Kantone seien "souverän"; dies aus dem alleinigen Grund, weil die siegreichen Bundesstaatsschöpfer zu verschleiern versucht haben, daß nun eben nach dem Konzept der geteilten Souveränität der Bund ebenso souverän wurde, wie es die Kantone bleiben sollten, denn der Bund erhielt nun zahlreiche wichtige Zuständigkeiten, unter anderem das Recht der weitgehenden Führung der Außenpolitik, nämlich das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und Staatsverträge, namentlich Zoll- und Handelsverträge mit dem Ausland, einzugehen. Man wollte die Gefühle der unterworfenen Kantone und Kantonsbevölkerungen schonen mit dieser Formulierung in Artikel 3. Man hat also das System der geteilten Souveränität übernommen. Unter dem Eindruck der deutschen Souveränitätsdiskussion des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde dann in der Schweiz durch die Lehre versucht, den Bund allein zum Souverän zu erklären und den Kantonen jede Souveränität abzusprechen. Es ist klar, daß alle diese Vertreter, welche die alleinige Souveränität des Bundes vertraten, dem liberal-radikalen Lager angehörten, und daß die Angehörigen der katholisch-konservativen politischen Gruppierungen natürlich das Gegenteil betonten, die Souveränität der Kantone. Zu diesem Zwecke, also um die Souveränität des Bundes zu begründen, arbeitete man mit dem Formalbegriff der sogenannten "Kompetenz-Kompetenz". Also wer Inhaber dieser "Kompetenz-Kompetenz" ist, ist souverän, wer also die Verteilung der Kompetenzen im Bundesstaat regeln kann, ist souverän. Dieser Begriff gibt jedoch nicht viel her, er ist wirklich
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eine formale Konstruktion, denn man kann sich einen Bundesstaat vorstellen, wo der Bund die Kompetenz-Kompetenz, aber nur minimale sachliche Kompetenzen hat. Dann ist der Bund zwar "kompetent-kompetent" und "souverän", hat aber praktisch keine materiellen Befugnisse. Man muß doch die tatsächlichen Befugnisse und Funktionen von Gliedstaaten und Bund betrachten, wenn man diese Frage beantworten soll. Und damit meine Auffassung zum Souveränitätsbegriff: Er ist nicht brauchbar, weil zu formal und weil eigentlich nur die Prestigefrage nach dem höchsten Organ oder nach der höchsten Person beantwortet wird. Er stiftet mehr Verwirrung als er weiter hilft und erlaubt auch nicht, die Frage nach der Staatlichkeit der Gliedstaaten im Bundesstaat zu beantworten. Die Lehre hat denn auch hier immer einen Bruch gekannt, und es gab Autoren, welche die Staatlichkeit bejahten, aber die Souveränität verneinten! Die Staatlichkeit bestimmt sich vielmehr nach differenzierten Kriterien, unter anderem nach dem Besitz einer originären realen Staatsgewalt, welche im Bundesstaat dem Bund und den Gliedstaaten zukommt. Herr Wadle hat es bereits gesagt. Damit wird erhellt, daß der Souveränitätsbegriff trotz gewaltiger Anstrengungen der formalen Staatsrechtslehre wenig Erkenntniswert hat, sowohl im Bundesstaat als auch im Staatenbund - oder im Staatenverbund nach der Terminologie von Herrn Wadle. Es kommt vielmehr auf die realen Zuständigkeiten von Bund und Gliedern an, sowohl Bundesstaat als auch Staatenbund lassen sich begrifflich klar definieren, dann handelt es sich aber um Idealtypen, die in der Wirklichkeit selten vorkommen. Auch bei dieser Einteilung kommt es entscheidend auf die realen Zuständigkeiten an. Der Begriff der Souveränität sollte meines Erachtens nur noch im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Fragestellungen verwendet werden.
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Aussprache Borck: Vielen Dank, Herr Kölz. Der letzte Teil Ihrer Ausführungen, in dem Sie diese Verbindung zwischen Souveränität als idealtypischem Begriff und der praktischen Ausformung der Souveränität in den existierenden Staaten hergestellt haben, erinnert mich ein bißehen an die Ausführungen, die Platon in den "Nomoi" zur Frage der Staatsverfassung macht. Während er in der "Politeia" sein Staatsideal als utopischen Entwurf entwickelt, berücksichtigt er in seinem Alterswerk, den Nomoi, die Erfahrungen seines Scheiterns mit den Verfassungsreformen auf Sizilien. Nun liefert er einen "relativierten", mehr den praktischen Durchsetzungsmöglichkeiten angepaßten Staatsgründungsplan. Hier hat er sich zu der Einsicht durchgerungen, daß in der Lebenswirklichkeit wohl niemand eine der idealen Verfassungsformen jemals wird durchsetzen können. So bleibt als verwirklichungsfähiges Ziel ein ausgewogenes Mischungsverhältnis der idealen Staatsformen in einer neu zu errichtenden Staatsverfassung übrig; dieses ermöglicht seiner Meinung nach die ideale Ausübung der Regierungsgewalt zum Wohle der Bürger. Vorbild ist Sparta, in dessen Verfassung er monarchische, aristokratische und demokratische Elemente verbunden sieht. Schon bei Platon begegnet uns also jener Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit, der letztlich die Existenzberechtigung unserer Vereinigung für Verfassungsgeschichte begründet. Wir haben jetzt, glaube ich, eine Fülle von Diskussionsstoff im umgekehrten Verhältnis zu der uns noch zur Verfügung stehenden Zeit.
Krüger: Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den wir vielleicht nachher noch mit Herrn Wadle vertiefen können. Aber nur ganz kurz zu der Frage der Grundlage des bundesstaatlichen Modells in der Schweiz 1848. Man wird ja wohl feststellen können, daß eben doch das Modell der Vereinigten Staaten in wesentlichen Punkten nicht voll übernommen worden ist. Ich weiß nicht, wie weit Sie da mit mir übereinstimmen, denn gerade die Kompetenz oder die Souveränitätsabgrenzung geschieht ja im amerikanischen Modell völlig anders, nämlich über die Volkssouveränität. Das Volk ist in der Lage, lokale, regionale, einzelstaatliche und bundes staatliche als gesamtstaatliche Kompetenzen zu delegieren, und von daher gesehen würde die Problematik, die Sie zuletzt geschildert haben, nämlich ob nun die Souveränität der Einzelstaaten als geteilte Souveränität im strengen Sinne zu
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verstehen ist, nicht auftreten. Daß es nun wieder in der Politik ganz anders aussieht, ist eine andere Frage, ich möchte mich wegen der Kürze der Zeit nicht weiter vertiefen. Im Vergleich möchte ich außerdem sagen, daß offensichtlich man für die Zeit vor 1847, also die staatenbündische Zeit der Schweiz, sagen kann, daß hier föderale Strukturen im eigentlichen Sinne durchaus vorhanden sind, die ich zum Teil beim Deutschen Bund in der Deutlichkeit nicht ohne weiteres unterschreiben würde, und zwar ganz vorsichtig ausgedrückt. Denn es ist eben doch ein Unterschied, ob man zwei Großmächte mit einer Reihe von Staaten, die nicht einmal einem Landkreis entsprechen, in einem Gebilde föderativ zusammenschließt oder nicht. Ich muß mich auf diese kurze Formel beschränken, das ist zu wenig, geschieht aber wegen der Zeit.
Brauneder: Hat man sich bei der Schweizer Staatenbund-Verfassung die deutsche Bundesakte zum Vorbild genommen? Oder hat man später einmal argumentiert: Im Deutschen Bund ist es so, das können wir adaptieren oder wir machen genau das Gegenteil? Gab es sozusagen ein bißchen Beeinflussung seitens der deutschen Bundesakte? Kölz: In Materialien, die ich durchforscht habe, sind keine Hinweise zu finden. Ich habe allerdings keine Zeitungsforschung betrieben, weil das zu aufwendig gewesen wäre. Man hat nach meinem Kenntnisstand aus der nicht kodifizierten Verfassung der Schweiz vor 1798 und aus der von Napoleon der Schweiz aufoktroyierten Mediationsverfassung von 1803 rezipiert.
Zu Herrn Krüger: Sie haben sicher recht, daß man nicht das gesamte amerikanische Bundesstaatsmodell der U.S.A. bei uns rezipiert hat, man hat in der Tendenz die Kantone eher schwächer ausgestaltet, als es der Stellung der amerikanischen Gliedstaaten entspricht. Auch im anderen Punkt kann ich Ihnen zustimmen. Ich hätte es beinahe noch gesagt, daß in der Schweiz von 1815 -1848 die föderativen Strukturen wohl stärker waren als im Deutschen Bund.
Willoweit: Eine Frage noch, die eigentlich den Rahmen Ihres Vortrages sprengt: Wie würden Sie das eidgenössische Staatsgebilde vor der Gründung des Bundesstaates charakterisieren? Da gibt es ja auch Integration: ist diese noch mittelalterlicher Art? Kölz: Herr Peyer hat das ja auch mit einem Stichwort begründet, und zwar mit dem "Bundesgeflecht" . Er hat gesagt, es sei eine Vielzahl wechselseitiger Verträge, zum Teil nur zwei Kantone / Orte, zum Teil kollektive Verträge umfassend. Das ganze war ein sehr unübersichtliches Bundesgeflecht mit einem Bundesorgan, das sehr deutlich schwächer war als das Bundesorgan von 1815. Die Tagsatzung vor 1798 hatte nur wenige Zuständigkeiten, 12*
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während ihre Zuständigkeit nach dem Bundesvertrag von 1815 doch erheblich größer war. Also ein nicht rational gestaltetes Vertragsgebilde, von dem nicht einmal alle Vertragselemente allen richtig bekannt waren, weil zum Teil gar nicht publiziert. Heun: Ich möchte eigentlich fast ganz im Sinne von Herrn Kölz doch noch mal etwas in Frage stellen - die Begrifflichkeit, mit der Sie ganz stark auch gearbeitet haben. Sie haben im Ergebnis versucht, den Deutschen Bund doch noch dem Staatenbundbegriff unterzuordnen, und ich möchte vielleicht, auch wenn Sie das mit einigem Bauchgrimmen getan haben, die Begrifflichkeit doch noch einmal etwas grundsätzlicher in Frage stellen. Die scharfe Dichotomie, der Sie sich im wesentlichen angeschlossen haben, zwischen dem Staatenbund und dem Bundesstaat, ist eine Entwicklung, die im wesentlichen - wenn man von Waitz vielleicht absieht - entstanden ist in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs, und zwar gerade auch im Hinblick darauf, um den Deutschen Bund deutlich gegen das Kaiserreich abzuheben, und die Frage ist eben doch, ob diese Begrifflichkeit, die historisch durchaus begründet ist, so ganz passend ist für die Phänomene des Deutschen Bundes. Wir haben durchaus ganz ähnliche Entwicklungen auch heute. Die Probleme der Einordnung etwa der Europäischen Union stellen uns wieder vor ähnliche Fragen, Sie haben das auch erwähnt. Das Heilige Römische Reich nach 1648 stellt uns immer wieder vor Probleme, die die herkömmliche Begrifflichkeit Staatenbund - Bundesstaat als nicht mehr ganz passend erscheinen lassen. Und muß man diese Erfahrung, die man damit gemacht hat, nicht auch sehr viel stärker noch auf den Deutschen Bund übertragen? Sie haben ja gesagt, die Austrittsfrage ist für Sie eine entscheidende Frage gewesen. Sie sagen, 1850 ist das nicht mehr angenommen worden; aber für die kleineren Staaten denke ich, stellte sich die Austrittsfrage eigentlich kaum und hätte sich für sie eigentlich auch kaum durchsetzen lassen. Sie haben die Bundesexekution angesprochen, die sicher über das hinausgeht, was ein normaler Staatenbund machen kann. Sie haben nicht erwähnt die Bindung an das monarchische Prinzip, die sehr stark in das Innerstaatliche hinein gewirkt hat, so daß sich die Frage stellt, ob man wirklich sinnvoll mit der Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts - um das einmal überspitzt zu sagen - an das Phänomen des Deutschen Bundes noch herangehen sollte oder ob man nicht die Begrifflichkeit noch stärker relativieren sollte, als Sie das jedenfalls getan haben, so wie es vielleicht Herr Kölz getan hat.
Wadle: Ich habe mich bemüht, die juristische Diskussion möglichst zeitnah am Deutschen Bund zu entwickeln; freilich habe ich erst mit Waitz eingesetzt. Man hätte auch früher anfangen können: Siegfried Brie hat die früheren Stimmen schön dargestellt. Ich habe auch eine ganze Reihe der dort Zitierten in den Originaltexten verfolgt. Ein typisches Beispiel etwa ist Welcker, der aus ganz bestimmten Gründen die Souveränität der Einzel-
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staaten hervorkehrt: Er will sie benutzen als Abwehrhilfe gegen die Einmischungspolitik, die am Bund unter dem Einfluß der deutschen Großmächte nach 1830 vorherrscht. In bezug auf die Frage "Bundesstaat oder Staatenbund", die später zugespitzt wird zur Frage nach der Souveränität (exemplifiziert an der Möglichkeit des Austritts), bin ich weitgehend Jellinek gefolgt. Sie spielt bei Welcker noch keine Rolle; insoweit gebe ich einen späteren Stand der Diskussion wieder. Es ist auch nicht bekannt, ob außer Preußen jemand ernsthaft an den Austritt aus dem Bund gedacht hat. Die kleineren Staaten haben dies sowieso nicht getan, denn für sie war der Bund die Existenzgrundlage. Für die größeren Staaten ist nicht auszuschließen, daß es solche Erwägungen gab, doch sind mir diese nicht bekannt. Ich habe versucht, mit Hilfe der terminologischen Bereinigung durch Jellinek die Unterscheidung Bundesstaat / Staatenbund zu neutralisieren. Ich halte es zwar für möglich, daß man die Frage "Bundesstaat oder Staatenbund?" aufwerfen kann: Wenn man sie aber nur unter dem Souveränitätsaspekt sieht, ist sie für die Frage nach dem Gewicht der unitarischen Elemente einerseits und der partikularistischen Elemente andererseits eigentlich belanglos. Denn es kann sowohl der Staatenbund zentralistisch organisiert sein, als auch sehr locker; aber auch der Bundesstaat kann sehr zentralistisch organisiert sein, er kann aber auch dezentral strukturiert werden. Die Frage Bundesstaat / Staatenbund kann man immer stellen, und sie ist mit unterschiedlichen Zielen gestellt worden. Ich meine, daß es besser ist, konkret zu fragen, wie der Bund tatsächlich agiert hat. Was waren seine Kompetenzen, was hat er daraus gemacht? Dabei ist die Souveränitätsfrage von eher untergeordneter Bedeutung.
Willoweit: Ich möchte in dieselbe Kerbe schlagen, nur anders formuliert: Herr Wadle, jetzt haben Sie mit Recht die historische Sicht sehr stark akzentuiert. Denn für die Frage, ob das nun ein Staatenbund war oder ein Bundesstaat, ist nach meinem Dafürhalten aus historischer Perspektive überhaupt kein Platz. Wadle: Das behaupte ich auch nicht .... Willoweit: Ja, aber Sie haben, wenn ich mich nicht irre, irgendwo so ähnlich Stellung bezogen. Als Juristen müssen wir mit diesen Begriffen arbeiten, weil sie zu unserem System gehören. Aber aus historischer Perspektive kann ich nur fragen: Warum kommt dieses Begriffspaar auf, wie entwickelt es sich, wozu dient es, worauf läuft es hinaus, welche Funktion hat das Ganze? Aber ob ein historisches Phänomen nun das eine oder das andere gewesen ist, das kann man eigentlich - da wir nicht Juristen des 19. Jahrhunderts sind - nicht mehr beantworten. Das ist meine dezidierte Position zu diesen Fragen. Ich kann juristische Fragen des 19. Jahrhunderts nicht mehr beant-
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worten, weil ich die Antwort geben würde unter meinem modernen Horizont, das heißt mit ganz anderen Verständnismöglichkeiten, Interpretationen, Wertvorstellungen usw. Ich kann die Situation einer juristischen Entscheidung um 1900 gar nicht mehr nachvollziehen. Da liegt für mich ein fundamentales Problem und insofern finden sich oft Mißverständnisse. Dies mein Credo dazu.
Wadle: Darf ich vielleicht eine Beobachtung hinzufügen: Ich habe den Eindruck gehabt, daß die Diskussion des späteren 19. Jahrhunderts als eine Art Rechtfertigungsstrategie für den preußischen Austritt gedient hat. Indem man den Bund als Staatenbund verstand, hatte man auch die Möglichkeit, die Souveränitätsfrage in diesem Sinne dann zu realisieren. Hinterher hat man versucht, dieses Vorgehen vertragsweise abzusichern: Im Zuge der Reichsgründung gibt es eine ganze Fülle von Verträgen mit den ehemaligen Bundesgliedern (mit Ausnahme Liechtensteins). Man hat nachträglich den Konsens gesucht mit all denjenigen, die im Deutschen Bund verknüpft waren. Man scheint der These vom "Staatenbund" und der daraus zu folgernden Souveränität der einzelnen Staaten nicht ganz getraut zu haben. Ob die Unterscheidung Bundesstaat! Staatenbund heute keine politische Bedeutung mehr hat, bin ich mir nicht so sicher. Wenn man die Diskussion um Europa betrachtet, um die Verträge von Maastricht und die Diskussion um die Souveränität im englischen Parlament usw. - ich habe meine Probleme, so schnell zu sagen, die Frage Staatenbund/Bundesstaat habe heute keine Aussagekraft mehr. Ich gebe zu, daß es für uns, die wir versuchen sollten, die historische, mithin die vergangene Wirklichkeit des Deutschen Bundes besser zu beschreiben, nicht viel mehr bringt, als eine sinnvolle Antwort auf die Austrittsfrage. Man kann das Leben im Deutschen Bund natürlich nur fassen, wenn man feststellt, was an Kompetenzen möglicherweise vorhanden war, was man daraus gemacht hat und welche Gelegenheit man versäumt hat. Als Versäumnis werte ich etwa die Tatsache, daß der ganze Bereich von Handel und Verkehr in den Zollverein "abgewandert" ist. Im Bund wird gemauert, wenn es um Handel und Verkehr geht; "gemeinnützige Anordnungen" sind einstimmig beschließbar, doch man will in Berlin und andernorts einen "Nebenbund" - und dort wird der wirtschaftliche Bereich auch festgehalten; alle Versuche, den Zollverein zugunsten einer Lösung auf Bundesebene aufzubrechen, mißlingen. Es wird oft so getan, als hätte sich der Bund mit den wirtschaftlichen Fragen nie so recht befaßt. Er hat es getan, doch der Erfolg ist ausgeblieben.
Brauneder: Ich würde meinen, das Credo von Herrn Willoweit ist richtig und nachvollziehbar, wenn die Worte und Begriffe Staatenbund und Bundesstaat moderne Worte oder Begriffe sind, die man zur Zeit des Deutschen Bundes nicht gekannt hat. Dann kann man wohl sagen, es erübrigt sich, mit
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dieser heutigen Wertigkeit an jenes historische Gebilde heranzugehen. So ist es aber nicht: Wiener Zeitung vom April 1848, aus dem Stegreif zitiert: "Druckfehlerberichtigung. Es wurde das Wort Bundesstaat mit Staatenbund verwechselt." Denn zwei, drei Tage vorher stand in der Wiener Zeitung: "Wenn die Entwicklung in Frankfurt eine Richtung auf einen Staatenbund nimmt, dann kann sich die österreichische Regierung mit einer Teilnahme dort nicht für einverstanden erklären. Wenn es aber eine Entwicklung ist, die auf dem Boden des Bundesstaates verbleibt, dann doch." Aber man hat die Worte verwechselt und daher dann die Druckfehlerberichtigung. Das heißt, diese Worte waren für die Zeitgenossen eminent wichtig. Und warum waren sie es? Weil sie alle aufmerksamste Leser des RotteckWelckerschen Staatslexikons waren. Das Rotteck-We1ckersche Staatslexikon galt als - ich weiß nicht genau, wann einmal diese Charakteristik fällt Verfassungsbibel der Liberalen, es gab, ich nehme an, nicht nur im österreichischen Reichstag, Szenen wie die, daß jemand sagt "Ich bin für das Grundrecht der Meinungsfreiheit", und jemand anderer sagt "Meinen Sie es wie Rotteck-We1cker", und darauf die Antwort "Ja, ich meine es wie Rotteck-Welcker". Staatenbund und Bundesstaat wußte man zu unterscheiden, vielleicht mit unscharfen Rändern. Aber es war nicht nur Theorie, das wollte ich mit der Druckfehlerberichtigung dartun, es war ein Begriffspaar, das in der Politik benutzt worden ist. Was war jetzt das Kriterium für Staatenbund und Bundesstaat für die Zeitgenossen? Das Kriterium ist der Normadressat eines Gesetzes. In beiden Fällen ist der Normadressat insoferne identisch, als er das Mitglied des Gemeinwesens ist. Im Staatenbund ist das Mitglied der Staat, da wendet sich eben das Gesetz des Deutschen Bundes an einen Bundesstaat. Für den Staatsbürger muß es transformiert werden. Im Bundesstaat wendet sich das Gesetz auch an das Mitglied, aber das ist der einzelne Staatsbürger. Keine Transformation. Und daß das nahezu schematisch abläuft, sieht man ja sozusagen bei der Fortsetzung des Deutschen Bundes durch den Norddeutschen Bund. Die ersten Gesetzblätter des Norddeutschen Bundes tragen die Überschrift "Gesetzblatt des Deutschen Bundes". Es ist dies der Deutsche Bund beschränkt auf den N orden, das sieht man klar an der Bundesversammlung. Man hat ja kein neues Organ gegründet beim Norddeutschen Bund, sondern es gingen die Stimmen der untergegangenen Staaten auf Preußen über. Das war dieselbe Bundesversammlung minus Süddeutschland, preußische Stimmen vermehrt um die Stimmen der untergegangenen norddeutschen Staaten. Was macht nun in den Augen der Zeitgenossen diesen Norddeutschen Bund zum Bundesstaat im Gegensatz zum bisherigen Deutschen Bund? Das neue Organ, das man zum bisher bestehenden System dazufügt, der Reichstag. Warum zum Bundesstaat? Weil der Reichstag Gesetze erläßt, die das Individuum, den einzelnen Staatsbürger binden. Der Norddeutsche Bund hat eben Staatsbürger, was der Deutsche Bund nicht hatte.
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Willoweit: Ich möchte nur ganz kurz dazu Stellung nehmen, Herr Brauneder, völlig d'accord, daß man im 19. Jahrhundert das Begriffspaar Bundesstaat - Staatenbund kannte. Nur wir heute können nicht gültig entscheiden, ob ein Gebilde im 19. Jahrhundert ein Staatenbund oder ein Bundesstaat war. Wir können nur sagen, da gab es die Meinung A, es gab die Meinung B, und die haben diese und diese Argumente gehabt. Also wir können nicht eine juristische Entscheidung heute treffen, die im 19. Jahrhundert gefällt hätte werden müssen. Das ist die Schwierigkeit. Noch deutlicher wird das, wenn wir für die ältere Geschichte Rechtsfragen entscheiden sollten. Was war Reichsrecht im 15. Jahrhundert? Ich weiß das nicht so genau; ich weiß nur, was die Zeitgenossen gesagt und was sie gemacht haben. Wir können mit unserer ganzen Geschichte im Kopf in methodisch vertretbarer Weise nicht eine Entscheidung als Juristen für das 15. Jahrhundert treffen. Und genauso wenig geht das für das 19. Jahrhundert. Ich gebe zu, es gibt da ganz einfache Fälle: A lauert dem B auf, schlägt ihn tot und raubt ihn aus. Das war nach damaliger Auffassung Mord und das würde man heute auch Mord nennen. In solch einfachen Konstellationen darf man sich als Jurist der Vergangenheit aufführen, nicht aber, wenn - wie meistens - Wertungen vorzunehmen sind. Krüger: Ich möchte mich auf ein paar Punkte, die ich vorhin schon kurz angedeutet habe, noch einmal beziehen. Einmal die Tatsache, daß der Deutsche Bund, sagen wir einmal unter historisch-politischen Gesichtspunkten, von den ganz formalen einmal abgesehen, eben doch auch die schwer zu beurteilenden föderalen Strukturen deswegen hat, da er eben doch Gebilde ganz unterschiedlicher Macht und unterschiedlichen Umfangs vereinigt. Auch das ist damals schon diskutiert worden, die mangelnde Homogenität des Bundes, genauso wie sogar schon vor dem Staatslexikon die Frage Staatenbund - Bundesstaat immer wieder eine Rolle gespielt hat, das ist ganz klar, aber der entscheidende Punkt ist vielleicht noch, daß 1819 und die folgenden Jahre wirklich eine entscheidende Wende waren. Die Blockierung bestimmter Möglichkeiten der Verfassung jetzt auch aus politischen Gründen durch Mettemich vor allem. Das Pikante ist ja an den Karlsbader Beschlüssen, daß Mettemich damals sogar, wenn er öffentlich über den Bundestag gegangen wäre, er sie auch durchgesetzt hätte. Warum er es dann taktisch nicht gemacht hat, ist nun eine andere Frage, aber die brauchen wir hier nicht zu erörtern. Der andere Punkt ist der, daß, um an Herrn Brauneder, Herrn Willoweit und an die kurze Diskussion eben noch einmal anzuschließen, es auch um die Bedeutung der Monarchie geht, das ist ja doch die Tatsache, die auch im Referat von Herrn Kölz eine Rolle spielt. Ich hatte auf den Unterschied zwischen der Schweiz und dem Deutschen Bund hingewiesen, das Monarchische hat er auch erwähnt, was in der Schweiz fehlt, und da würde ich sogar Waitz noch etwas anders interpretieren oder
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weitergehend vielleicht. Es besteht ja die Problematik, überhaupt einen Bundesstaat mit Monarchien herzustellen, und dafür ist der Waitzsche Beitrag, diese Riesenrezension der Radowitzschen Schriften von 1853, eben doch auch ein Hinweis, wie man das mit Monarchien machen kann, und die eigentliche Quintessenz ist im Grunde in der norddeutschen Bundes- und Reichsverfassung mit dem Bundesrat gezogen worden, diesem Gesamtmonarchen aus den Vertretern der einzelnen Monarchien und Fürstentümer und den drei Städten noch dazu. Aber dieser Punkt kommt deutlich schon in der öffentlichen Diskussion auch vorher zur Sprache, und deswegen tun sich auch Welcker und andere in ihren entsprechenden Artikeln im Staatslexikon, dann aber auch in der Paulskirchenversammlung sehr schwer, nun einen schlüssigen Bundesstaatstypus, ein Modell aufzustellen. Das scheint mir doch auch wichtig zu sein, daß man hier sieht, in welchem Maße eigentlich die spezifischen deutschen Verhältnisse eine starke Rolle spielen. Vielleicht noch ein letztes Wort zu Jellinek und Laband, womit Sie ja doch zwei Protagonisten unterschiedlicher Richtung ausgewählt haben, und das ist sehr überzeugend gewesen. Überhaupt, das ganze Referat hat mir sehr gefallen. Da kann man gerade bei Jellinek nämlich sehen, wie der von einem genaueren Studium wieder der amerikanischen Verhältnisse profitiert, indem er - im Gegensatz zu Laband, der dies als inakzeptabel, da der politischen Entscheidung übergeordnet, ablehnt - bis in die Grundrechtsdiskussion die Frage auch eines Verfassungsgerichts als Gewährleistung der Verfassung über das richterliche Prüfungsrecht der Gesetzgebung verfolgt.
Steiger: Ich wollte an den Anfang Ihres Referats anknüpfen. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, hatten Sie diese Gestaltungen eingeordnet zwischen Völkerrecht und Staatsrecht. Sie haben an und für sich eine sehr klare Unterscheidung zu treffen versucht zwischen Innen und Außen. Da möchte ich doch einige Zweifel anmelden, die mir so im Laufe der Zeit bei der Beschäftigung mit der Völkerrechtsgeschichte gekommen sind. Das Bündnisrecht der Reichsstände verbindet im Reich Innen- und Außenbereich. Ich glaube, die Entscheidung, daß Völkerrecht Recht zwischen Staaten ist, ist eine Sache, die erst im Laufe des 18. Jahrhunderts aufkommt, vorher ist es Recht zwischen Völkern, Recht zwischen Monarchen und den Führenden. Es kommt gar nicht darauf an, ob die außerdem auch noch in einem Innenverhältnis stehen oder nur in einem Außenverhältnis, also voll souverän sind. Aber selbst für das 19. Jahrhundert bin ich mir auch nicht so ganz sicher, ob diese Innen-Außenunterscheidung so ohne weiteres stimmt. Das stimmt sicher für die reinen Einheitsstaaten. Aber es ist im übrigen schwierig, das so zu unterscheiden. Es ist jedenfalls eine allenfalls historisch auf das 19. Jahrhundert eingeschränkte, schon nachher, wenn es um die Dominions und Protektorate und halb-souveränen Staaten am Ende des 19. Jahrhunderts geht, hat man große Schwierigkeiten, diese Innen-Außenunter-
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scheidung überall zu realisieren. Was nun das Reich angeht - und Herr Kölz hat das für die Schweiz gesagt -, gibt es durchaus Möglichkeiten, daß Glieder völkerrechtliche Positionen haben, das gilt ja auch für die deutschen Gliedstaaten bis auf den heutigen Tag. Was ich jedoch für wichtiger halte, ist, daß innerhalb der föderalen Staaten unter Umständen auch Völkerrecht angewendet wird, etwa wenn die Gliedstaaten untereinander Verträge außerhalb oder unterhalb der Verfassung schließen. In der Weimarer Republik hat das der Staatsgerichtshof gesagt in bezug auf bestimmte Probleme der Wasserversickerung der Donau zwischen Württemberg und Bayern oder in der Schweiz das Bundesgericht über Abirrungen von Kugeln beim MilizSamstagsschießen zwischen Aargau und Thurgau. Diese Entscheidungen sind heute für das Völkerumweltrecht zwischen Staaten von Bedeutung. Das heißt also, diese Innen-Außenunterscheidung ist mir sehr suspekt; das hat natürlich unter Umständen auch Konsequenzen um die Einordnung dieser Gestaltungen von Zusammenfassungen von Staaten, um mich vorsichtig auszudrücken. Wadle: Ich muß Ihnen recht geben. Natürlich muß man vorsichtig sein und genau unterscheiden, wovon man reden will. Die heutigen Vorstellungen kann man auf die Formel bringen: "Souveräne Staaten sind niemals partielle Völkerrechtssubjekte. Nichtsouveräne Staaten sind überhaupt keine Völkerrechtssubjekte" . Das würde darauf hinauslaufen, daß ein Staatenbund, der mit dem Ausland einen Vertrag schließt, nicht aus eigenem Recht handelt; er wäre nur durch die souveränen Gliedstaaten dazu ermächtigt, die Souveränitäten in einer gemeinsamen Weise wahrzunehmen. So würde vielleicht Jellinek konstruieren. Ist die Völkerrechtssubjektivität am "Bundesstaat" aufgehängt und wird sie von einem Organ dieses Bundesstaates wahrgenommen, so muß sich an der Souveränitätsfrage nichts ändern, da die Kompetenz nach außen nicht originär sein muß; sie kann auch als abgeleitet gedacht werden.
Für die Zeit des Deutschen Bundes bleibt noch zu beachten, was vielfach beschrieben worden ist: Die friedensstiftende Funktion im mitteleuropäischen Raum. Dadurch, daß am Wiener Kongreß auch alle europäischen Großmächte um den Deutschen Bund herum beteiligt sind und die Bundesakte in das Wiener Vertragswerk inkorporiert wird, ergibt sich eine Dimension des Deutschen Bundes, von der ich bislang nicht gesprochen habe. In manchen Situationen spielt sie denn auch eine besondere Rolle. Es gibt ein oder zwei englische Interventionsversuche in den dreißiger Jahren, gegen die sich die Bundesversammlung durch Beschluß ganz formal wendet und die englische Argumentation zurückweist, die sich auf die Wiener Verträge bezieht. Hier haben wir eine Außenbeziehung, die offenbar in den Augen der Akteure am Bundestag so verstanden worden ist, daß die Beteiligung anderer Mächte an den Wiener Verträgen kein Interventionsrecht begrün-
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den kann. Das heißt doch wohl, daß dem Binnenverhältnis eine Gestalt zugebilligt wird, die verbietet, daß ein Dritter als eine Art Garantiestaat hineinregiert. Dies bedeutet für meine Fragestellung nicht viel. Für die Fragestellung im Sinne Jellineks jedoch, die schon bei Waitz in wesentlichen Punkten formuliert worden ist, bedeutet dies, daß die versammelten Souveräne sich die Einmischung in ihre wechselseitigen Beziehungen verbieten, wie immer man diese qualifizieren mag. Das sagt aber noch nichts über die Qualität dieser Binnenbeziehungen aus; diese können staatenbündisch, aber auch bundesstaatlich gedeutet werden. Herr Willoweit, so viel Sympathie ich für Ihre strenge Methodik habe: wie weit dürfen wir damit gehen, ohne daß wir uns den Zugang zum Phänomen der Vergangenheit verschließen? Sie haben ja das Beispiel Mord gebracht. Dieses Beispiel ist nur dann so einleuchtend, wenn man sich auf die jüngere Zeit beschränkt. Wenn wir aber dem "Mord" irgendwo im Mittelalter begegnen, dann müssen wir mit einer Deutung sehr viel vorsichtiger sein. Beim Thema Bundesstaat / Staatenbund müssen wir uns meines Erachtens die zeitgenössische Diskussion anschauen; deshalb war der Hinweis von Herrn Brauneder so wichtig. Es kommt darauf an, welche Kriterien und Motive mit der Differenzierung von den Zeitgenossen verbunden werden. Innerhalb der Periode, in welcher die Austrittsfrage noch nicht aktuell war, spielten andere Vorstellungen wohl eine größere Rolle. Bei Welcker etwa ist dies ganz klar: Er will die Einmischung des Bundes in die originären, souveränen Rechte der Mitgliedstaaten verhindern und plädiert deshalb für Staatenbund. Ein kleiner Punkt noch: das monarchische Prinzip war sehr wichtig, aber vergessen wir nicht die Reichsstädte, die Hansestädte insbesondere, die ebenfalls Mitglieder des Deutschen Bundes waren. Die Städte hatten besondere Probleme. In Frankfurt etwa mußte bei der Umsetzung von Bundesbeschlüssen der Rat zustimmen; der hat sich manchmal auch quergestellt, was die Preußen verärgert hat. Ich verweise auf die preußische Intervention nach dem Wachensturm, die nach der Exekutionsordnung ablief, aber wohl einen Ausnahmefall darstellt.
Fiedler: Ich wollte anknüpfen an diese Innen-Außen-Problematik und ich möchte Herrn Schneider sehr darin zustimmen, daß klare Linien oft nicht vorhanden sind, daß es vielmehr Sondersituationen gibt, die aber an dem Grundsatz nichts ändern. So besteht etwa die Sondersituation, daß bestimmte Völkerrechtssubjektivitäten auf kleinere Einheiten, Gliedstaaten, ja sogar Kommunen übergehen, aber das ändert nichts an dem Grundsatz. Eingehen wollte ich eigentlich auf die Frage der Begrifflichkeit und Methode in dem Beitrag von Herrn Willoweit, die angeschnitten wurde. Ich bin sehr einverstanden damit, daß man die Begriffe Staatenbund und Bundesstaat ihrer Scheinwürde entkleidet, denn sie sind ausgesprochen aussage-
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arm und müssen ohnehin im jeweiligen historischen Umfeld konkretisiert werden. Wir haben ja bestimmte Hilfskonstruktionen, die wir als Modelle benutzen, und einer der bei den Referenten sagte, sie kämen in Reinkultur ohnehin nicht vor. Das ist in der Tat die Situation. Wo wir aber nicht spaßen sollten und in nicht allzu rigider Weise Begriffe abschaffen sollten, ist alles, was die Souveränität betrifft. Die Souveränität ist ein zentraler Begriff des geltenden internationalen Rechts. Wenn ich den Unterschied des geltenden Völkerrechts zum Völkerrecht des 19. Jahrhunderts feststellen will, muß ich auch in der Lage sein, den Unterschied des Souveränitätsbegriffes in der fraglichen Zeit festzustellen. Folglich habe ich es mit bestimmten Grundaussagen zu tun, die sich allerdings in der Zeit verändert haben. Wir kommen nicht über den Begriff der Souveränität hinweg, auch wenn man versucht hat, diesen Begriff, weil er oft geradezu verhaßt ist, sprachlich zu umkleiden. So ist gelegentlich nicht mehr von Souveränität, sondern von Unabhängigkeit gesprochen worden, doch hat dies nichts am Inhalt geändert. Man wollte auf diese Weise insbesondere den Kolonialvölkern entgegenkommen. An der Problematik selbst hat sich dadurch nichts geändert, etwa im Blick auf die Fülle von Problemen der Nichteinmischung oder des internationalen Vertragsschließungsrechts. Probleme, die auch in historischen Bezugsfeldern außerordentliche Bedeutung hatten. Um diese historischen Unterschiede feststellen zu können, benötigen wir eine Beurteilung des Souveränitätsbegriffes des 19. Jahrhunderts und der Zeit davor. Insofern sollten wir versuchen, eine zeitgerechte Bestimmung des Begriffes zustandezubringen, und zwar auf möglichst seriöse Weise, nämlich nicht mit unseren heutigen, sondern mit den zeitgerechten Maßstäben. Auf diesen Begriff aber ganz zu verzichten oder ihn für unbedeutend zu erklären, das würde nicht den Gegebenheiten der Gegenwart entsprechen. Wadle: Ich bedanke mich für diese Hinweise. Darüber, ob man Definitionen des 19. Jahrhunderts um 50, 60 oder 80 Jahre zurücktragen darf, will ich gerne noch einmal nachdenken und mich noch einmal vergewissern, was in theoretischen Schriften der Zeit steht. Neugebauer: Gestatten Sie bitte eine kurze Fußnote zum Problem der hier verwendeten Begriffe und Kategorien. Bismarck selbst hat in den Putbusser Diktaten, die ja für die Verfassung des Norddeutschen Bundes grundlegend waren, mit den beiden Begriffen gearbeitet und diktiert, es solle ein Bundesstaat werden, der sich aber in der Form mehr an den Staatenbund hält, und das "mit unscheinbaren, aber weitgreifenden Ausdrücken". Er hat dies also ganz bewußt ineinander geschoben, und insofern macht das möglicherweise heute analytisch umso mehr Schwierigkeiten. Eine Frage möchte ich anschließen, die vielleicht etwas am Rande liegt, obwohl sie hier in der Diskussion auftauchte: Bismarck hat zwar die Stim-
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men der untergegangenen Staaten, so wie sie bis dahin in der Bundesversammlung bemessen waren, dann Preußen zugeschlagen, um so die ZweiFünftel-Sperrminorität zu erreichen. Aber meines Wissens ist das doch nach dem alten Bundesrecht gar nicht zulässig gewesen. Er hat da doch im Grunde auch ein wenig an der Tradition manipuliert. Kann man das so sagen? Wadle: Ich möchte diese Kontinuitätsthese eher in einem allgemeineren, nicht in einem eher juristischen Sinne verstehen. Die alten Bundeskompetenzen sind nicht eigentlich in die neue Schöpfung Bismarcks übergeleitet worden. Bei der Vorlage der Vorentwürfe im Bundestag, als es zum Knall kam und Preußen bewußt das Ende des Deutschen Bundes provozierte, wollte man sicher etwas Neues schaffen. Ihr Zitat scheint mir übrigens die staatenbündische Sicht des Bundesrechts zu bestätigen.
Ein letztes Wort noch, was die Gesetzgebung angeht: Man muß immer sehen, daß in der Frankfurter Bundesversammlung die Gesetzgeber am Tisch saßen, soweit es um reine Monarchien ging; da ist natürlich nichts beschlossen worden, was man nicht nach innen umzusetzen bereit war. Wenn einmal ein Beschluß gefaßt, also das Wort der Souveräne gegeben war, dann mußte dieses Wort nur noch in der richtigen Form nach innen ausgesprochen werden. Diese Transformation nach innen wurde immer wichtiger, je mehr Mitspracherechte bei der Gesetzgebung in dem jeweiligen Staat gegeben waren. Deshalb finden wir ganze Bereiche, in denen die Regierungen versucht haben, das am Bund abgestimmte Handeln aus der Gesetzgebung und damit aus der Mitkompetenz irgendwelcher Vertretungen herauszuhalten. Für die Mecklenburger etwa war dies ein Argument zu sagen: Wir bleiben im Urheberrecht beim alten Privilegiensystem, denn die erteilten Privilegien sind für uns reine Verwaltungssache. Als Preußen eine konstitutionelle Verfassung erhalten hatte, hat man ebenfalls versucht, die Kammern herauszuhalten; da man indes die Privilegierung von Urhebern als einen Akt der Gesetzgebung und eben nicht als reines Verwaltungshandeln verstand, mußte man sich um ein Ermächtigungsgesetz bemühen, was allerdings gescheitert ist.
Die Bedeutung rechtlicher Faktoren bei den staatlichen (Wieder)Vereinigungen Deutschlands Von Wilfried Fiedler, Saarbrücken I. Thematische Eingrenzungen Das gewählte Thema enthält in mancherlei Hinsicht eine Fülle von Ungewißheiten, die nur zum Teil durch eine frühzeitige Eingrenzung ausgeräumt werden können. Einer Präzisierung zugänglich erscheint zunächst die Frage der (Wieder)Vereinigungen Deutschlands. Nicht gemeint sind damit territoriale Veränderungen des Gebietsbestandes seit 1871, mögen sie wegen ihrer politischen Brisanz auch über einen nicht unerheblichen Reiz verfügen. Probleme Elsaß-Lothringens, Österreichs, des Sudetenlandes oder auch des Saarlandes sollen im folgenden außer Betracht bleiben, auch wenn die Eingliederung etwa des Saarlandes den verfassungsrechtlichen Weg wies, der später im Jahre 1990 eingeschlagen wurde. 1 1. Wiedervereinigung oder Vereinigung?
Im Mittelpunkt werden stattdessen nur die Vereinigungen von 1870/71 und des Jahres 1990 stehen. Schon bei dieser Beschränkung tauchen Zweifel auf, ob die Begriffe "Wiedervereinigung" oder "Vereinigung" thematische Eindeutigkeit vermitteln. So angemessen die Bezeichnung "Wiedervereinigung" das Jahr 1990 zu umreißen scheint, so unklar bleibt die rechtliche Beziehung zu den früheren Erscheinungsformen des Staates. "Die Reichsgründung war keine Neuschöpfung, sondern die Reform des Norddeutschen Bundes, eine in der Verfassung des letzteren selbst vorgesehene Erweiterung und Umbildung desselben", schrieb etwa Paul Laband in seinem "Staatsrecht des Deutschen Reiches" und formulierte damit eine weit verbreitete, wenn auch nicht unbestrittene Auffassung. 2 Nach 1945 war es daher nur 1 Die entscheidende Formulierung des Art. 23, S. 2 a.F. GG lautete: "In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen". Näher zur Rückgliederung des Saarlandes Wilfried Fiedler, Die Rückgliederungen des Saarlandes an Deutschland - Erfahrungen für das Verhältnis zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR? JZ 1990, S. 668 ff.
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konsequent, daß die Annahme der fortbestehenden Staatsidentität zeitlich oft ganz selbstverständlich im Jahre 1866 oder 1867 ansetzte. 3 Könnten derartige Irritationen ohne weiteres mit einer kleinen zeitlichen Verschiebung ausgeglichen werden, so bleiben im Hintergrund ganz andere Zweifel. Denn mag sich in bezug auf den Deutschen Bund auch die Auffassung durchgesetzt haben, daß die Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches 1866 bis 1871 rechtlich einen staatlichen Neuanfang bedeuteten, so könnten Nachwirkungen des Jahres 1806 dennoch nahelegen, von einer "Wiedervereinigung" zu sprechen. Trotz aller Nuancierungsmöglichkeiten soll es für die Jahre 1866/71 hier bei der rechtlichen Einstufung als staatliche "Vereinigung" bleiben. Für das Jahr 1990 hat sich trotz anfänglicher Zweifel der Begriff der Wiedervereinigung durchgesetzt, und es besteht kein Anlaß, davon abzuweichen. Denn für sprachliche Abweichungen bleibt ohnehin genügend Raum, wenn es darauf aus Sachgründen überhaupt ankommen sollte. 2. "Rechtliche Faktoren"
Eine andere Eingrenzung betrifft die im Thema genannten "rechtlichen Faktoren". Es erschien zunächst nützlich, mit dieser recht unpräzisen Wortwahl keine Türen zu verschließen, doch es erscheint nunmehr dennoch eine ausdrückliche Weichenstellung am Platze, um den Stoff noch überblicken zu können. Nicht im Mittelpunkt wird daher die jeweilige Herstellung der inneren Einheit nach der nach außen hin wirksamen staatlichen Vereinigung stehen, denn dies wäre ein eigenes Thema. Es sei ein utopisches Verlangen, eine politische Neugründung ohne Schlacken- und Erdenreste auch nur zu denken, schrieb Thomas Nipperdey4 , aber nicht nur um derartige "Reste" geht es, sondern auch um die oft unübersehbare Fülle von Unitarisierungstendenzen, etwa in der Form der von Michael Stolleis beschriebenen Gesetzgebungsaktivitäten im Deutschen Reich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 5 Diese Fragen müssen für die Gegenwart außer Betracht 2 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 44. Zur kritischen Diskussion Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, 1963, S. 760 ff.; Rainer Wahl, Deutsche Einigung im Spiegel historischer Parallelen, Der Staat 30 (1991), S. 181 ff., 195 ff. 3 Konsequent formulierte etwa Jochen A. Frowein im April 1990: "Daß der vereinigte deutsche Staat als die Fortsetzung der deutschen Staatlichkeit seit 1867 angesehen werden wird, ist schon heute deutlich" (Die Verfassungslage Deutschlands im Rahmen des Völkerrechts, in: Deutschlands aktuelle Verfassungslage, VVDStRL 49 (1990), S. 7 ff., 25). 4 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 -1918,2. Bd., 1992, S. 79. 5 Michael Stolleis, "Innere Reichsgründung" durch Rechtsvereinheitlichung 18661880, in: Christian Starck (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze - Bedingungen, Ziele, Methoden -, 1992, S. 15 ff.
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bleiben, auch wenn sie wichtige rechtliche Faktoren der staatlichen Vereinigung darstellen. Ein Schwerpunkt soll vielmehr auf den rechtlichen Voraussetzungen der Entscheidung für die staatliche Vereinigung und ihrem äußeren Vollzug liegen, während die innerstaatliche Umsetzung ein gesondertes Thema darstellen würde. 6
11. Zeitliche Perspektiven Damit ist bereits eine nur scheinbar methodische, in Wirklichkeit bereits inhaltliche Problematik angeschnitten: die Frage nach der Position des Beurteilenden, der ex post Bewertungen vornimmt. In der erwähnten Schrift von Thomas Nipperdey ist in bezug auf die Reichsgründung von 1871 von der "puren Subjektivität der spätgeborenen Klügeren" die Rede 7 , damit zugleich vom Zeithorizont des Betrachters, der ein möglichst objektives, dabei aber notwendig subjektives Urteil abgeben möchte. Die historische Perspektive des Jahres 1918 schafft ein anderes Bild als diejenige von 1880, und für die Beurteilung des Jahres 1990 bietet die Perspektive des Jahres 1995 einen vergleichsweise geringen Spielraum für vertiefte Erkenntnisse. Und doch wird die Relativität der zeitlichen Distanz bewußt. Selbst das Jahr 1990 mit seinem kaum vorhandenen Abstand vom Umbruch des Jahres 1989 konnte von anderen Erkenntnissen ausgehen als die Diskussion der siebziger und achtziger Jahre dieses Jahrhunderts, als die näheren Lebensumstände in der früheren DDR noch in einem zum Teil gewollten Dunkel8 lagen. Die Rückwirkungen auf die Beurteilung rechtlicher Faktoren führen zu fast unvorstellbaren Diskrepanzen. Während die Reichsgründung des Jahres 1871 seit Jahrzehnten Gegenstand einer kaum überschaubaren intensiven Forschungsarbeit gewesen ist, liegt die Ermittlung der Voraussetzungen der Vereinigung von 1990 noch in den Anfängen, allein im Blick auf die Feststellung mancher historischer Tatsachen der letzten fünfzig Jahre, aber auch einzelne Umstände der politischen Verhandlungen von 1990 sind unklar, wie in bezug auf die Vorgeschichte des Art. 143 Abs. 3 GG und die Frage der Enteignungen zwischen 1945 und 1949. 9 Hiervon ist die Beurteilung 6 Zum Beitrag der Rechtsprechung des BVerfG zur Konsolidierung des Wiedervereinigungsprozesses seit 1990 vgl. Eckart Klein, Deutsche Einigung und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Verfassungsrecht im Wandel, Zum 180jährigen Bestehen des earl Heymanns Verlag KG, 1995, S. 91 ff. 7 Nipperdey (FN 4), S. 79. B Vgl. etwa Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, 3. Aufl. 1994, S. 252 ff. Zur "Kleingläubigkeit, die sich lange als Realpolitik gerierte", und zur "Bösgläubigkeit, die in der Teilung eine verdiente und willkommene Antwort der Geschichte auf deutsche Hybris sah", vgl. Klein (FN 6), S. 102. 9 Vgl. BVerfGE 84, 90ff., 118ff.
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rechtlicher Faktoren unmittelbar betroffen. Bernhard Diestelkamp hat 1985 die Abhängigkeit der Wissenschaft von dem politisch jeweils Erwünschten am Beispiel der Kontinuitätsfrage geschildert und dabei ein besonderes Licht auf die frühen Jahrzehnte nach 1945 geworfen. lO Die frühe Diskussion um die Rechtslage Deutschlands, etwa im Umfeld der Monographie von Rolf Stödterll , verlief anders als die Auseinandersetzungen nach 1949 und selbst nach 1989. Und dennoch erweisen sie sich als in manchem eher kurzatmig, verglichen mit der Position des Wissenden des Jahres 1995. Einer gesonderten Fragestellung bliebe es vorbehalten zu prüfen, ob die Diskussionen unmittelbar nach 1945 in vielem nicht dennoch weitsichtiger waren als die Auseinandersetzungen der Zeit nach 1949. Zwei Fragen drängen sich auf und betreffen jeweils die "rechtlichen Faktoren". Die erste betrifft die Verläßlichkeit wissen.schaftlicher Erkenntnisse in zeitlicher Nähe zum historischen Beurteilungsgegenstand. Diese Frage kehrt immer wieder, verliert dadurch aber nicht an Brisanz. Die zweite Frage erfaßt die "rechtlichen Faktoren" von ihrem Inhalt her und ist von systematischer und dogmatischer Art. Denn um welches Recht geht es bei diesen Faktoren, nicht nur im Blick auf das Zeit-Element, sondern zugleich in bezug auf ganz unterschiedliche rechtliche Ebenen, die möglicherweise in Frage kommen können? Schon bei einem ersten Hinsehen wird klar, daß beliebte Fragestellungen wie "Recht und Politik" oder "Recht und Geschichte" auch in rechts- und verfassungshistorischem Zusammenhang zum Teil von dem Charme höchst ungenauer Formulierungen leben und daher auch recht vielfältige, um nicht zu sagen: beliebige, Antworten ermöglichen. l2 1. Zur Erforderlichkeit eines zeitlichen Mindestabstandes
Bevor darauf zurückzukommen ist, sei zunächst die erste Frage behandelt: die Frage nach dem möglicherweise erforderlichen zeitlichen Mindestabstand zu dem historischen Ereignis selbst. Die Problematik der staatlichen Vereinigung bietet Beispiele für die naheliegende Scheu, allzu früh eine historische Bewertung vorzunehmen, zugleich aber auch Beispiele für die geradezu mutige Beendigung selbstauferlegter wissenschaftlicher Karenzjahre. In der Monographie von Wilhelm Maurenbrecher aus dem Jahre 1892 über die Gründung des Deutschen Reiches führt der Autor aus: 10 Bernhard Diestelkamp, Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte, Zeitschr.f. Neuere Rechtsgeschichte, 1985, S. 181 ff. 11 Rol! Städter, Deutschlands Rechtslage, 1948. 12 Bemerkenswert nach wie vor Dieter Grimm, Recht und Politik, JuS 1969, S. 501 ff. Vgl. nunmehr dens., Politik und Recht, in: Festschr. für Benda, 1995, S. 91 ff.
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"Es liegt im allgemeinen Interesse, daß von Zeit zu Zeit der Historiker, dessen Beruf und Gewohnheit die Durchforschung der Vergangenheit ist, auch einmal der jüngsten Vergangenheit seine Arbeit widmet und nicht ausschließlich Tagespolitikern ... , welche vorwiegend politische Absichten und Zwecke verfolgen, die Geschichte der jüngsten Zeit überläßt oder preisgibt."
"Auf unseren Universitäten pflegt neuerdings der akademische Vortrag auch auf dies Thema sich zu erstrecken. Ich habe es nicht verschmäht, mit dem Fortgang der Zeiten auch die Endgrenze meiner Vorlesungen schrittweise zu verlängern" führt der Autor aus, der zugleich beschreibt, daß das Kolleg über Neueste Geschichte allenfalls das Jahr 1850 erfaßt hatte. Aber in der letzten Zeit, seit dem Wintersemester 1888/89, habe er selbst vor den Studierenden "die große Zeit 1862 -1871 eingehend und ausführlich behandelt" .13 Die aus historischer Sicht verständliche Zurückhaltung läßt sich auf die Beurteilung rechtlicher Fragen nicht übertragen. Diese muß stets auf der Höhe des jeweils geltenden Rechts erfolgen, mag später auch eine Korrektur im Zeichen gewandelter Fakten und Maßstäbe erforderlich erscheinen. Eine geänderte Interessenlage mag ebenfalls zu anderen Ergebnissen führen und insoweit auch neue Tatsachen geschickt nutzen. 14 So war die lange Periode vor 1990 stets von der Möglichkeit des Wechsels der rechtlichen Perspektive begleitet, und die Abfolge der Ereignisse hätte durchaus massive Änderungen zugelassen, wenn die Akteure dies beabsichtigt hätten und nicht etwa durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wie 1973 15 , daran gehindert worden wären. 16 2. Die unterschiedlichen Rechtsebenen
Betrachten wir nunmehr die zweite Frage, nach der inhaltlichen Ausrichtung der "rechtlichen Faktoren", so tritt zu der zeitlichen Abfolge die Problematik der unterschiedlichen Rechtsebenen. Die wesentlichen Grundent13 Wilhelm Maurenbrecher, Gründung des Deutschen Reiches 1859 - 1871. 2. Aufl., 1892, S. XII f. 14 Zur Bedeutung des "Zeitgeistes" vor allem unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung vgl. Thomas Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Aufl., 1991, S. 213 ff. 15 Vgl. BVerfGE 36, S. 1 ff. (31. 7. 1973) über den Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR mit der weitreichenden Formulierung "Das Grundgesetz nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! - geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland ... untergegangen ist" (S. 15/16). Das Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG richtete sich gegen das Vertragsgesetz vom 6. 6. 1973. Der Vertrag selbst war am 21. 12. 1972 unterzeichnet worden. 16 Die Entscheidung war vom BVerfG ausnahmsweise in ihrer gesamten Begründung für verbindlich erklärt worden und enthielt neben allgemeinen auch detaillierte Folgerungen für die künftige Interpretation des GG (vgl. ebd., S. 24 ff.). 13"
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scheidungen in der Frage der Wiedervereinigung von 1990 fielen auf zwischenstaatlicher, also völkerrechtlicher Ebene. Wenn im Jahre 1990 der Blick in erster Linie auf die Entscheidungen des Jahres 1945 und weniger auf die Entwicklung seit 1949 fiel, so hat dies in erster Linie mit der Tragweite der 1945 getroffenen internationalen Entscheidungen für das rechtliche Schicksal des deutschen Staates zu tun. Auf der Ebene des Völkerrechts fielen die Grundentscheidungen der Vier Mächte, die durch die Einigung im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. Sept. 1990 17 erst eine verfassungsrechtliche Lösung ermöglichten. Zu diesen rechtlichen Ebenen traten die spezifischen Staatsverträge mit der DDR, wie insbesondere der Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990. 18 Rechtliche Ebenen anderer Art zeigten sich auch in verschiedenen internationalen Organisationen, wie insbesondere in den Europäischen Gemeinschaften und der KSZE sowie der NATO. Insgesamt wurde der internationale Bereich in besonderer Weise an dem Wiedervereinigungsvorgang in verschiedenen Phasen und mit unterschiedlichen Akteuren beteiligt.19 Die Ebene der Verfassung und der einfachen Gesetzgebung betrafen nicht untergeordnete, aber oft Einzelfragen, die historisch und im täglichen Leben der Betroffenen konkreter fühlbar wurden, gelegentlich aber auch Grundsatzfragen wie über den konkret einzuschlagenden verfassungsrechtlichen Weg der Wiedervereinigung über Art. 23 oder 146 GG. 20 Betrachtet man die Vielfalt möglicher Rechtsebenen, so wird deutlich, warum ein schlichtes Argumentieren mit dem "Recht" schnell an Grenzen stößt, wenn nicht die unterschiedlichen Funktionen des Rechts in den einzelnen Rechtssystemen berücksichtigt werden. Daher war der Ansatz von Bernhard Diestelkamp zutreffend, der die spezifischen Aktivitäten der Völkerrechtler nach 1945 - mit den Namen etwa von von Laun, Grewe, Kaufmann, Städter, um nur einige zu nennen - gesondert beschrieb. 21 Hinzuzunehmen ist nicht nur der Umstand, daß sich die verschiedenen Ebenen in Einzelbereichen überlagerten und folglich zu der zeitweise umstrittenen "Gemengelage" führten. 22 Kompliziert wurde die rechtliche Ausgangslage 17 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (BGBL II, S. 1317), für alle Parteien am 15. 3. 1991 in Kraft getreten. 18 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. 8. 1990 (BGBL II, S. 889). In Kraft getr. am 29.9. 1990. Erste Weichenstellungen erfolgten bereits im Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. 5. 1990 (BGBL II, S. 537). 19 Vgl. Wilfried Fiedler, Die Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands und die Einigung Europas, JZ 1991, S. 685 ff., 687 f. Eingehend Michael Schweitzer (§ 190), Ingalf Pernice (§ 191), Rüdiger Walfrum (§ 192), in: Isensee I Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts (HStR), Bd. VIII, 1995. 20 Vgl. die Nw. bei Kanrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rdnr. 95, 100. 21 Diestelkamp (FN 10), S. 191 ff.
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auch durch den aufgesplitterten Gegenstand der Beurteilung selbst, der sich zumindest in sieben rechtlich unterschiedlich zu beurteilende territoriale Einheiten aufgliedern ließ. 23 Die Einwirkung der jeweiligen Rechtsebene auf die spätere staatliche (Wieder)Vereinigung hat etwa staats- und verfassungsrechtlich notwendig die Funktion der Verfassung, ihr Verständnis in der Zeit und ihre politischen Spielräume zu berücksichtigen. Auf die verschiedenen Rechtsebenen, ihren funktionsangemessenen Beitrag zur staatlichen (Wieder)Vereinigung ist im folgenden einzugehen.
m. Völkerrechtliche Grundpositionen Sowohl in den Jahren vor der Reichsgründung von 1870/71 als auch nach 1945 bis zum Jahre 1990 spielt das Völkerrecht die erwähnte herausragende Rolle. Auch eine ganz auf die Person Bismarcks zugeschnittene Geschichtsschreibung könnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß die von ihm entwickelte politische Leistung nur möglich war, weil das bestehende Staatensystem entsprechende Gestaltungsräume zuließ. Würde man freilich nur einen bestimmten Passus der erwähnten Monographie von Maurenbrecher heranziehen, so wäre ein entscheidender Bereich der Reichsgründungsphase vor 1871 ausgeklammert: "Nachdem durch den österreichischen und deutschen Krieg 1866 der Grund zum Werke der deutschen Einheit gelegt worden, brachte der französische Krieg die Vollendung und Krönung. ,,24
Dieser Passus könnte in eine geradezu vollkommene Harmonie mit jener Politik von "Blut und Eisen" gebracht werden, die nicht selten als typisch für Bismarck angesehen wird. Aber gerade diese Linie wurde von Bismarck nicht verfolgt, sondern die Vorbereitung der staatlichen Einigung verlief von der Gründung des Norddeutschen Bundes bis zur Reichsgründung auf der Ebene der zwischenstaatlichen Verhandlungen, der einzelnen Vertragsabschlüsse im Zeichen militärischer Erfolge sowie des pragmatischen Aus22 Vgl. Jochen Abr. Frowein, Die Rechtslage Deutschlands und der Status Berlins, Handbuch des Verfassungsrechts, Bd. 1, 1984, S. 28ff., 39f.; Georg Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 1, 1987, S. 321ff., 449ff., Rdnr. 49; Matthias Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag 1991, S. 4. Zu den unterschiedlichen Rechtsebenen vgl. auch Wahl (FN 2), S. 183 f., 190 ff. 23 Neben der Bundesrepublik, der DDR, West- und Ostberlin mußten auch die Oder-Neiße-Gebiete, das nördliche Ostpreußen und das Saarland berücksichtigt werden. Zur territorialen Komponente vgl. auch Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl. 1994, S. 32 ff., 58 ff. 24 Maurenbrecher (FN 13), S. 222.
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handeIns vertraglicher Abmachungen bis zu der Gewährung etwa einzelner Reservat-Rechte für die süddeutschen Staaten. In Erinnerung geblieben sind auch die Annexionen, die Preußen vor 1871 unternahm25 und die dem späteren Vertragswerk eine militärisch-rigorose Note gaben. 1. Die Bedeutung völkerrechtlicher Verträge
Dennoch ist herauszuheben, daß die staatliche Vereinigung der Jahre 1866/1871 in erster Linie das kennzeichnende Element zwischenstaatlicher Beziehungen nutzte, den völkerrechtlichen Vertrag. Er bot auch im 19. Jahrhundert schon die wesentliche Quelle der Völkerrechtsordnung und wurde von Bismarck in intensiver Weise genutzt, um die politischen Interessen Preußens voranzutreiben. Diesen Aktivitäten moralische Vorhaltungen entgegenzusetzen, wird dem Völkerrecht der klassischen Periode nicht gerecht. Denn im Unterschied zu der Ausgangsposition nach 1945 befinden wir uns vor der Reichsgründung in der Periode des sog. klassischen Völkerrechtes, die bis zum Ende des Ersten Weltkrieges andauerte. Kennzeichen des klassischen Völkerrechts war die nach wie vor nicht diskriminierte Möglichkeit des ius ad bellum, ohne daß rechtliche Schranken in dieser Hinsicht errichtet waren. 26 Auch die Möglichkeit, durch geschickte Ausnutzung faktischer Verhältnisse rechtliche Lösungen durchzusetzen, entsprach der von Nationalstaaten geprägten Welt des 19. Jahrhunderts. 27 Ganz selbstverständlich war auch die Möglichkeit einer Annexion nicht mit jenem rechtlichen und moralischen Akzent versehen, der im 20. Jahrhundert hinzutreten sollte. 28 Eine ganz andere Frage ist wiederum gestellt, wenn es darum geht, ob die Akteure der Jahre 1866 ff. überhaupt das Recht als solches in ihr Kalkül einbezogen. Dies wird in maßgeblicher und gesonderter Weise nicht angenommen werden können. Stattdessen ist festzustellen, daß alle Möglichkeiten des geltenden Völkerrechtes genutzt wurden, um die aus politischen Gründen gewünschte staatliche Einheit herzustellen. Insofern war auch das geltende Völkerrecht des 19. Jahrhunderts die Grundlage spezifischer Wege der staatlichen Einigung. Vgl. Huber (FN 2), S. 578 ff. Näher, auch im Blick auf die Rechtsfigur des "bellum iustum" Dtto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 4. Aufl., 1990, S. 70 ff.; ders., Die Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechts, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, I. Fetscher / M. Münkler (Hrsg.), Bd. 3, 1985, S. 73 ff., 93; Knut Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., 1990, § 2, Rdnr. 39 ff.; Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, S. 728 ff. 27 Zutr. gesehen von Huber, der das Völkerrecht der Zeit einbezieht (FN 2), S. 581. 28 Von der "Wendung zu einem diskriminierenden Kriegsbegriff" spricht Grewe unter Wiederaufnahme einer Formulierung von earl Schmitt (1937), Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, S. 728. 25 26
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2. Das "klassische" Volkerrecht
Diese Feststellung könnte mißverstanden werden als eine unkritische Befürwortung entsprechender Maßnahmen. Doch gehen entsprechende Bewertungen an der Eigenart des jeweils geltenden Rechtes vorbei. Dieses war noch beherrscht von dem weitgehend unbegrenzten Souveränitätsdenken der Zeit, von dem auch die Akteure der staatlichen Vereinigung von 1866/ 71 erfaßt waren. Die Mitglieder des Deutschen Bundes blieben Völkerrechtssubjekte im Sinne des geltenden Völkerrechts 29 , und eine einseitig staatsrechtlich orientierte Sicht vermag diesem Umstand oft kaum Rechnung zu tragen. Gewiß enthielt die Mitgliedschaft im Deutschen Bund eine Begrenzung der Souveränität in Einzelbereichen, doch beruhte dies auf Freiwilligkeit bzw. auf vertraglich gewollter Einschränkung. Die November-Verträge waren daher in ihrer Substanz Verträge zwischen souveränen Staaten, mochten diese im Einzelfall auch nur über eine geringe staatliche Potenz verfügen. Maßgeblich war, daß bei allen vertraglichen Gestaltungen Völkerrechtssubjekte im Spiel waren, die letztlich jenen Fürstenbund schlossen, der die Grundlage für das Deutsche Reich werden sollte. Daß die völkerrechtliche Zweistufigkeit der Reichsgrülldung über den Norddeutschen Bund zum Deutschen Reich verlief, schloß nicht aus, daß etwa über den Norddeutschen Bund hinaus verschiedene staatlich-politische Bindungen nach Süddeutschland bestanden wie etwa im Rahmen des Zollvereins3o und anderer Verknüpfungen. Daß die Kriegssituation des Jahres 1870/71 die Bewegung zur Reichsgrundung beschleunigte, ändert nichts an dem völkerrechtlichen Charakter der maßgeblichen Gründungsakte. Ihre jeweils innerstaatliche Durchsetzung stellt nur eine Konsequenz aus der Praxis des geltenden Völkerrechts dar. 3. Das Volkerrecht der Zeit nach 1945
Vergleicht man diese völkerrechtliche Ausgangslage mit der Situation nach 1945, so kann zwar die Dominanz des geltenden Völkerrechtes ebenfalls festgestellt werden, doch in einer gänzlich verschiedenen politischen Situation. Während es 1866/71 um die Gründung eines neuen Gesamtstaates im Rahmen des klassischen Völkerrechtes ging, war zwar auch 1945 das Völkerrecht maßgeblich, doch nicht die Gründung eines neuen Staates war 29 Charakteristisch etwa August Wilhelm Heffter / Heinrich Geffcken, Europäisches Völkerrecht der Gegenwart, 8. Aufl. 1888, S. 53 über den Staatenbund: "Die einzelnen verbündeten Staaten bleiben hier in allen Beziehungen souverän und sind von dem gemeinsamen Willen des Vereins nur insoweit abhängig, als sie sich demselben vertragsweise untergeordnet haben". 30 Vgl. Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., 1992, S. 228.
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das Ziel, sondern die Erhaltung eines militärisch geschlagenen und politisch aufgeteilten Staatswesens. Die rechtlichen Instrumente des Völkerrechts griffen daher ganz anders und mußten eine völlig unvergleichbare Ausgangssituation bewältigen. Der Wechsel zum modernen Völkerrecht der Gegenwart seit 1918 hatte eine Beschränkung der staatlichen Souveränität mit sich gebracht, wie überhaupt der Völkerbund in jeder Hinsicht auf die Einengung einzelstaatlicher Souveränität einwirkte. 31 Spätestens seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 war der Angriffskrieg geächtet und das ius ad bellum entscheidend begrenzt. 32 Anders als im 19. Jahrhundert galt inzwischen das Annexionsverbot einschließlich aller damit verbundenen moralisch-politischen Bewertungen. Die rechtliche Möglichkeit einer völkerrechtsmäßigen Annexion war damit ausgeschlossen. Die staatliche Souveränität fand ihre Grenzen im geltenden Völkerrecht, was für die klassische Periode unvorstellbar gewesen wäre. Schon das Hineinwachsen der Haager Verträge von 1907 in das geltende Völkergewohnheitsrecht mußte landläufigen Vorstellungen der Zeit zuwiderlaufen. Iv. Die völkerrechtlichen Voraussetzungen
der Wiedervereinigung von 1990
Damit kommen wir aber zu der ersten maßgeblichen Voraussetzung der späteren Wiedervereinigung im Jahre 1990. Die erste entscheidende Weichenstellung erfolgte durch die rechtliche Deutung der bedingungslosen Kapitulation vom 7. und 8. Mai 1945 als einer auf militärische Auswirkungen beschränkten Maßnahme. 33 Nicht der Staat hatte kapituliert, sondern in erster Linie die Armee und das Militär insgesamt. Gewiß, es gab in der völkerrechtlichen Literatur gewichtige Gegenstimmen, die von einer völligen debellatio, einer militärischen Niederwerfung mit Annexion im Jahre 1945 ausgingen mit der Folge des Staatsunterganges. Die Diskussion um die Positionen von Kelsen und Nawiasky muß vorausgesetzt werden. 34 Sie wurden auf verschiedenen Ebenen erfolgreich bekämpft, auch wenn sie etwa in Frankreich noch lange Zeit vehement vertreten wurden. 31
32
88.
Vgl. Kimminich (FN 26), 1990, S. 84 ff. Alfred Verdross / Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, §§ 80,
33 So schon Stödter (FN 11), S. 27 ff.; später auch vom BVerfG übernommen (E 3, 288, 315 f.); vgl. auch Georg Ress, in: Isensee / Kirchhof, HStR, Bd. 1, 1987, § 11, Rdnr. 16; Diestelkamp, (FN 10), S. 185. 34 Vgl. Hans Kelsen, The Legal Status of Germany According to the Dec1aration of Berlin, AJIL 39 (1945), S. 518; Hans Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 7/8; zur entsprechenden, aber ideologisch und politisch begründeten Position in der DDR und der Sowjetunion ausführlich Jens Hacker, Der Rechtsstatus Deutschlands aus der Sicht der DDR, 1974, passim, m.w.Nw.
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Eng mit dieser völkerrechtlich bedingten Grundentscheidung hängt eine zweite des Jahres 1945 zusammen. Es ist die Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945, die nicht nur die Übernahme der höchsten Regierungsgewalt durch die Vier Mächte zum Ausdruck brachte, sondern den überaus wichtigen Annexionsverzicht der Vier Mächte. 35 Ein rechtlich untergegangener Staat, der zur Annexion freigegeben worden wäre, hätte im Jahre 1990 nicht wiedervereinigt werden können. Insofern war die Entscheidung gegen die Annexion des Staates oder einzelner seiner Teile im Jahre 1945 von grundlegender Bedeutung für den Fortbestand des Staatswesens. Um die Frage des Untergangs oder Nichtuntergangs des deutschen Staates im Jahre 1945 rankte sich jahrzehntelang eine lebhafte Diskussion, die durchaus zweckgerichtet schließlich zugunsten des Fortbestandes des deutschen Staates über 1945 hinaus entschieden wurde. Der Wortlaut des Potsdamer Abkommens sowie das Londoner Schuldenabkommen (1953) trug dazu bei, die These vom Fortbestand des deutschen Staates zu erhärten. Die Vier-Mächte-Erklärung vom Juni 1945 schuf die wohl entscheidende Klammer für die Annahme eines fortbestehenden einheitlichen Staates über die Zonengrenzen hinweg. Gewiß setzte die Sowjetunion der westlichen eine östliche Staatskonstituierung entgegen (DDR), doch wurden mit der "Souveränitäts"-Verleihung an die DDR keineswegs die Vier-Mächte-Rechte entsprechend aufgegeben. Diese überdauerten auch die Gründung von Bundesrepublik und DDR und wurden im Viermächte-Abkommen vom 3.9. 1971 über Berlin eindrucksvoll bestätigt.36 Auch die verspätete Annahme des Staatsuntergangs Deutschlands (im Jahre 1945) seit den frühen sechziger Jahren durch die Sowjetunion37 änderte nichts an den fortbestehenden Vier-Mächte-Rechten. 38 Die Vier-Mächte-Verantwortung wurde konkret verwirklicht 39 und erlebte vor allem in Berlin auch in der Form des "versteinerten Besatzungsrechts" eine besondere Regelungsdichte. 40 Sie hielt über einen historisch 35 Wortlaut abgedr. bei Ingo v. Münch (Hrsg.), Dokumente des geteilten Deutschland, 2. Aufl., 1976, S. 19 ff. Ausführl. Erörterung der Bedeutung und Wiedergabe der deutschen Fassung in Ratza (Bearb.), Die Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 zu Deutschland, 1985. 36 Mit der ohnehin fortbestehenden Besonderheit, "daß neben der Vier-MächteRechtsposition für Deutschland als Ganzes auch weiterhin ein besonderer VierMächte-Rechtsstatus für ganz Berlin" bestand, vgl. Frowein (FN 22), S. 56. 37 Näher Hacker (FN 34), S. 416 ff. 38 Vgl. Frowein (FN 22), S. 41 ff.; Ress (FN 22), S. 321 ff., 449 ff.; zu den praktischen Auswirkungen auf den Zwei-plus-Vier-Prozeß Jens Hacker, Integration und Verantwortung, 1995, S. 87 ff. 39 Vgl. die materialreiche Studie von Gott/ried Zieger, Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes, 1990. Zu den einzelnen Etappen der Entwicklung Geiger (FN 23), S. 36 ff. 40 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Dieter Schräder (Hrsg.), Das geltende Besatzungsrecht, 1990 (1063 S.).
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äußerst langen und ungewöhnlichen Zeitraum hinweg bis zum Jahre 1990 anY Auch wenn sie im täglichen Leben der späteren Bundesrepublik kaum mehr in Erscheinung trat, existierte sie gleichwohl in rechtlich beachtlicher Weise fort, so wie die Feindstaaten-Klauseln der Satzung der Vereinten Nationen nur sehr zögerlich ausgehöhlt und inhaltlich umgeformt wurden. 42 Sie bestanden in der Form eines nicht auszuschließenden Interventionsrechtes fort, und auch in dieser Hinsicht war die Vier-Mächte-Verantwortung von weitreichender, wenn auch im Westen von sanfter Effektivität. Als die Botschafter der Vier Mächte am 11. Dezember 1989 im ehemaligen Alliierten Kontrollratsgebäude in Berlin zusammenkamen43 , war es deutlich geworden, daß die nach wie vor fortbestehende Vier-Mächte-Verantwortung an die Grenzen ihrer politisch-rechtlichen Wirksamkeit gelangt war und gegenüber dem Druck der Bevölkerung, vor allem der früheren DDR, keinen Halt mehr bot. 44 Insbesondere der amerikanische Botschafter Walters hatte die Zeichen der Zeit erkannt45 , jedenfalls schneller als dies etwa von französischer Seite geschehen sollte. Hinter der harmlosen Thematik des Botschaftertreffens verbarg sich der Zusammenbruch einer völkerrechtlichen Konstruktion, die über mehr als vier Jahrzehnte hinweg eine Art Hegemonie oder Treuhandschaft besonderer Art in Mitteleuropa errichtet hatte. 46 V. Die Beschränkung der staatlichen Souveränität
Die Aufrechterhaltung der Vier-Mächte-Verantwortung lag im politischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, doch war sie gleichzeitig eine Beschränkung jener Souveränität, die die Bundesrepublik auch im Deutschlandvertrag der Jahre 1952/55 nicht in vollem Umfange erlangt hatte. 47 Aus deutscher Sicht war die Vier-Mächte-Verantwortung die 41 Was gelegentlich verdrängt wurde, vgl. Fiedler (FN 19), S. 686 f.; vgl. nunmehr Schweitzer (FN 19), Rdnr. 2 ff. m.w.Nw. 42 Vgl. Frowein (FN 22), S. 41 f. m.w.Nw. 43 Vgl. Wilfried Fiedler, Die deutsche Revolution von 1989: Ursachen, Verlauf, Folgen, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VIII, 1995, § 184, Rdnr. 58. 44 Zur veränderten Meinungslage in der UdSSR im Herbst 1989 vgl. Dietrich Rauschning, ebd., § 188, Rdnr. 24ff. 45 Vgl. Hacker (FN 38), S. 69 unter Hinweis auf Vernon A. Walters, Die Vereinigung war voraussehbar - Hinter den Kulissen eines entscheidenden Jahres, 1994. 46 Dabei kann fraglich sein, ob sich die Vier- oder Drei-Mächte-Rechte zuletzt nur auf ein "Mitwirkungsrecht" (Schweitzer) oder auf ein "Mitspracherecht" (Frowein) beschränkten, vgl. Schweitzer (FN 19), Rdnr. 4 f.; Frowein (FN 3), S. 11 f. Die feine Differenzierung zwische Hegemonie und Herrschaftssphäre müßte ohnehin die Unterschiede zum Ostblock einbeziehen, vgl. Jens Hacker, Der Ostblock, 1983, S. 914 ff. 47 Vgl. Fiedler (FN 19), S. 686f. m.w.Nw.
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Garantie jenes "Offenhaltens .. 48 , das die Lösung von 1990 erleichterte. Dies mag vermessen klingen und rechtlichen Faktoren eine allzu große Bedeutung für praktisch-politische Lösungen zuordnen. Dennoch war es die VierMächte-Verantwortung, die in ihrer spezifischen Klammerfunktion eine rechtliche Verfestigung der Zweistaatensituation verhinderte und insofern dem geltenden Völkerrecht entgegenkam. Denn dieses orientiert sich an endgültig gefestigten faktischen Situationen, nicht aber an Schwebesituationen, die die Gefahr des "Umkippens" in labile Zustände in sich bergen. Das geltende Völkerrecht ist auf stabile Ausgangspositionen angewiesen. Im Falle Deutschlands waren es keineswegs moralische Orientierungen, die die Vier-Mächte-Verantwortung am Leben erhielten, sondern in bezug auf das stets faktisch wieder zu errichtende einheitliche Deutschland durchaus handfeste Interessen, die hinter juristischen Formeln verborgen waren. Daß das Londoner Schuldenabkommen von 1953 49 die These von der Kontinuität im Sinne von Identität des deutschen Staates stützte, erklärt sich nicht zuletzt aus der Gläubiger-Schuldner-Situation der Beteiligten. 50 Kein Staat kann ein Interesse daran haben, daß ein Vertragspartner und Schuldner seine Existenz rechtlich verliert. Auch dies gehört zur Funktion des geltenden Völkerrechts und ist in vielem realistischer als manche Fiktion, die sich ebenfalls daran knüpft. Die Souveränität Deutschlands wurde nicht nur durch die Vier-MächteRechte eingeschränkt, sondern auch durch die spezifischen Drei-MächteRechte, die im Westen Deutschlands seit 1955 verbindlich waren. Die Interventionsrechte der Westmächte in allen Fragen, die die staatliche Wiedervereinigung betrafen, sicherte jenes Mitspracherecht, das in anderem Zusammenhang als eine Art von Hegemonie bezeichnet werden konnte. 51 Auf der anderen Seite lieferten die Formeln des Deutschlandvertrages zugleich den Nachweis der Nichtendgültigkeit der staatlichen Situation ohne die Existenz eines Friedensvertrages. 52 Der Deutschlandvertrag liefert ein ein48 Seine einzelnen Elemente auch in praktisch-politischer Sicht stellt Hacker im Zusammenhang dar: (FN 38), S. 41 ff.; vgl. auch Wilfried Fiedler, Die Kontinuität des deutschen Staatswesens im Jahre 1990, ArchVR 31 (1993), S. 333 ff., 341 f. 49 Näher Ress (FN 22), Rdnr. 14, 112. 50 Zutr. betont von Willoweit (FN 30), S. 334. 51 s.o. FN 46. 52 Die entsprechenden Bestimmungen des Generalvertrags Ld.F vom 23. Okt. 1954 lauten: Art. 2 Abs. 2: "Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands verhindert hat, behalten die Drei Mächte, die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung... ". Art. 7 Abs. 2: "Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert
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drucksvolles Beispiel für die Ergänzungsfunktionen von rechtlichen und politischen Kriterien. Als die Wirklichkeit des Deutschlandvertrages eine spezifische Rechtskonstruktion der Drei-Mächte-Rechte im Westen anzukündigen schien, unterstrich im Jahre 1971 die Vier-Mächte-Konferenz über Berlin die daneben fortbestehende Vier-Mächte-Verantwortung, rief sie auf geradezu abrupte Weise in Erinnerung und führte zu jenen Kontroversen, die in vielem als Formelkompromisse in Erinnerung geblieben sind. Betrachtet man die Souveränitätsdiskussion der sechziger und siebziger Jahre vor dem Hintergrund des Deutschlandvertrages von 1952/55 aus heutiger Sicht, so wird deutlich, wie weit die Bundesrepublik im Jahre 1955 von dem Status eines souveränen Staates in Wirklichkeit auch rechtlich noch entfernt war. Daß maßgebliche deutsche Interpreten zu ganz anderen Ergebnissen kamen 53 , ist in jener Zeitbedingtheit und Zweckorientierung zu sehen, die auch Diestelkamp für eine frühere Periode der Diskussion angemerkt hat. Die Bundesrepublik war trotz aller Beteuerungen kein voll souveräner Staat trotz und gerade wegen des Deutschlandvertrages von 1952/55, und ihr Mangel an Souveränität sollte erst im Jahre 1989 wieder in vollem Umfange bewußt werden. 54
VI. Staatliche Vereinigung und Selbstbestimmung Ob zu den rechtlichen Voraussetzungen der Wiedervereinigung von 1990 auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu zählen sein könnte, ist eine ausgesprochen schwierige Frage. Dies liegt einerseits an dem lange Zeit ungeklärten völkerrechtlichen Stellenwert des Selbstbestimmungsrechtes, andererseits an dem spezifischen Umgang mit diesem Recht, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland. 55 Deutsche Völkerrechtler taten sich sehr schwer mit der Anerkennung eines entsprechenden Rechtes, und zwar noch in einem Zeitpunkt, als weltweit das Selbstbestimmungsrecht der Völker längst über den Kreis der Kolonialvölker hinaus als Völkerrechtsprinzip anerkannt war. 56 Vor allem die Debatte um den Träger des Selbstbestimist". Art. 7 Abs. 4: "Die Drei Mächte werden die Bundesrepublik in allen Angelegenheiten konsultieren, welche die Ausübung ihrer Rechte in bezug auf Deutschland als Ganzes berühren". Text abgedr. bei v. Münch, (FN 35), S. 229 ff. 53 Vgl. statt anderer die Hinweise bei Fiedler (FN 19), S. 686 f. 54 Weitere Nachweise zur Souveränitätsproblematik bei Schweitzer (FN 19), bes. Rdnr. 39 ff.; Christoph-Matthias Brand, Souveränität für Deutschland. Grundlagen, Entstehung und Bedeutung des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990, 1993. 55 Ausführlich und problematisierend Helmut Quaritsch, Wiedervereinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VIII, 1995, § 193 m.w.Nw.
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mungsrechtes verhinderte eine eindeutige Meinung der Mehrheit der Völkerrechtler in Deutschland, doch war es das Jahr 1989, das das Fehlen der Ausübung eines entsprechenden Selbstbestimmungsrechtes schmerzlich bewußt machte. Man könnte die Vorgänge der Jahre 1989/90 als den Beginn einer Kontroverse zwischen den Vier-Mächte-Rechten der Alliierten und dem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes bezeichnen, doch wäre eine derartige Polarisierung sowohl rechtlich als auch historisch unangemessen. Eine entsprechende Konfrontation war von den Vier Mächten und ihren Vertretern möglicherweise vorausgesehen worden, doch wurden die Aktivitäten, die sich 1989 so unvermutet in Deutschland zeigten, im Rahmen des Zwei-plusVier-Prozesses umgeleitet in die europäische Bindung des vereinigten Deutschlands. Insofern kam es nicht zu einer offenen Konfrontation, und auch nicht zu jenem Gesichtsverlust, den eine entsprechende Auseinandersetzung für die vier Alliierten möglicherweise mit sich gebracht hätte. Nimmt man die verschiedenen Elemente und Stationen der Entwicklung der Deutschlandfrage zusammen, so zeigt das Ergebnis der Offenhaltung der Deutschlandfrage das Zusammenwirken verschiedener Kriterien, die auf unterschiedlichen Schauplätzen die Nichtendgültigkeit der Teilung Deutschlands bewirkten. Hinzu trat ganz selbstverständlich die faktische Existenz einer nach wie vor bestehenden Nation, deren innere Zerrissenheit erst nach der Wiedervereinigung deutlicher zutage treten sollte. Nur im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker wäre diese nationale Komponente näher zu erörtern, im übrigen aber blieb sie mehr im Hinter- als im Vordergrund. 57 Betrachtet man die völkerrechtlichen Grundentscheidungen der Nachkriegszeit im Zusammenhang, so wird deutlich, daß die hier zu erörternden rechtlichen Faktoren der Wiedervereinigung Deutschlands einen Prozeß bilden, der mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Zwischenlösungen einen rechtlichen Zustand in der Schwebe hielt, der andernfalls eine Verfestigung erfahren hätte, die nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes eine Wiedervereinigung nicht mehr zugelassen hätte. Es zählt zu den erstaunlichen Ereignissen dieses Jahrhunderts, daß nach einer Zeit der jahrzehntelangen Spaltung eines Staates die Wiedervereini56 Sein Stellenwert war vor allem durch Wilhelm WengIer erkannt worden: Das Offenhalten der Deutschen Frage, in: Gottfried Zieger (Hrsg.), Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S. 323 H. 57 Auch dies ein Ausdruck für das "ambivalente Verhältnis" der Vier-Mächte-Vorbehalte zum Selbstbestimmungsrecht, vgl. Quaritsch (FN 55), Rdnr. 75. Kennzeichnend auch Jochen A. Frowein, Self-Determination as a Limit to Obligations under International Law, in: C. Tomuschat (Hrsg.), Modern Law of Self-Determination, 1993, S. 211 H., 219 f.; Jörg Fisch, Selbstbestimmungsrecht - Opium für die Völker?, NZZ 9. / 10. Sept. 1995, Nr. 209, S. 41.
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gung der nahezu selbständig gewordenen zentralen Teile gelungen ist. Aus der Sicht des Völkerrechts stellt die Wiedervereinigung von 1990 einen der seltenen Fälle einer abgebrochenen bzw. mißlungenen Sezession dar, und insofern wurde die Staatenpraxis in einem Umfang erweitert, wie dies die Theoretiker des Völkerrechts bis vor kurzem nicht erwartet hatten. Denn es fehlte an Beispielen für die gelungene Vereinigung von Staaten bzw. für die erfolgreiche Eingliederung von Staatsteilen, die sich im Zustand der Abspaltung befanden. Daher sind auch der akademische Unterricht und die Forschung durch die Wiedervereinigung Deutschlands in bemerkenswerter Weise bereichert worden.
VII. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag Doch blicken wir schließlich auf den entscheidenden Vertrag, der am 12. September 1990 abgeschlossen werden konnte, den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der den Titel "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" trägt. 58 Er macht deutlich, daß der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR letztlich nur zweitrangige Bedeutung für die Frage der Wiedervereinigung gewinnen konnte. Denn die entscheidenden Aussagen sind im Zwei-plus-Vier-Vertrag getroffen worden, nicht aber in den deutsch-deutschen Einigungsdokumenten. Halten wir nochmals fest: Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ermöglichte die Einheit des deutschen Staates, und ohne ihn wäre der Prozeß der staatlichen Wiedervereinigung nicht möglich gewesen. Die Frage unseres Themas nach der Bedeutung rechtlicher Faktoren für die staatliche Wiedervereinigung ist aus der Gesamtheit der Elemente zu beantworten, die vor dem Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages anzusiedeln sind. Denn als am 12. September 1990 der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet wurde, waren die maßgeblichen Entscheidungen bereits gefallen. 59 Uns interessiert hier nur, ob sie aus rechtlichen oder aus politischen Gründen oder aus einer Mischung von bei den Elementen heraus so und nicht anders gefallen sind. Eine Antwort ergibt sich in erster Linie aus der Eigenart völkerrechtlicher Entscheidungen und der Funktion des Völkerrechtes im Hinblick auf die Endgültigkeit politisch-rechtlicher Situationen. 58 Gelegentlich auch "Deutschland-Vertrag", oder "Souveränitätsvertrag" genannt. 59 Über den konkreten Weg vor allem Horst Teltschik, 329 Tage. Innenansichten der Einigung, 1991; über einzelne Aspekte Heinrich Bortfeldt, Washington - BonnBerlin, Die USA und die deutsche Frage, 1993; Richard Kiesslerl Frank Eibe, Ein runder Tisch mit scharfen Ecken - Der diplomatische Weg zur deutschen Einheit, 1993; über den politisch-rechtlichen Zusammenhang Hacker (FN 38), S. 69 m. zahlr. Nw.
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Die rechtlichen Positionen, die hier nur angedeutet werden konnten und die seit 1945 zu Buche schlugen, trugen im wesentlichen dazu bei, einen Zustand der Nichtendgültigkeit in bezug auf den Untergang des deutschen Staates herbeizuführen und im Jahre 1990 ohne Gesichtsverlust für die beteiligten Parteien eine Lösung zu finden, die der von vielen umliegenden Staaten für selbstverständlich gehaltenen endgültigen Lösung entsprach. Daß es sich um einen außergewöhnlichen Fall historischer Dimension handelt, ist nach allem, was bekannt geworden ist, selbstverständlich. Aus diesem Grunde gewinnen die behandelten rechtlich bindenden Vorentscheidungen der Jahre seit 1945 ein besonderes Gewicht. Stellt man die Frage, ob die 1990 gefundene Lösung ohne entsprechende faktisch-politische Ereignisse möglich gewesen wäre, so würde mit einem klaren Nein geantwortet werden. Richtig dürfte sein, daß die vorhandenen völkerrechtlichen Instrumente keinen der schließlich 1990 beschrittenen Wege verschlossen. Insofern war von Bedeutung, daß die ständige Betonung rechtlicher Zielsetzungen durch die jeweilige Regierung der Bundesrepublik Deutschland Optionen für verschiedene völkerrechtliche Wege offenhielt und damit auch den speziellen Weg von 1990 vorzeichnete. An dieser Stelle fällt ein Blick zurück auf die Lösung von 1871. Auch für die Vorgeschichte der Reichsgründung trifft zu, daß das geltende Völkerrecht das Handlungsinstrumentarium zur Verfügung stellte, das letztlich die bekannte Lösung ins Werk setzen ließ. Trotzdem sind die historischen Unstände so unterschiedlich, daß ein direkter Vergleich nicht möglich erscheint. Aus der Sicht des Völkerrechts und seinen unterschiedlichen Funktionen aber lassen sich die einzelnen Elemente und Dokumente der Entwicklung nach 1945 erklären und erhalten von dort her eine spezielle Sinngebung. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ist hier nicht in seinen Einzelheiten zu behandeln. 6o Denn er stellt nur das Resultat jener internationalen Verflechtung dar, in der sich Deutschland seit 1945 befand und das sich nach der Volks erhebung des Jahres 1989 in einem Teil Deutschlands in entsprechender Weise instrumentalisieren ließ. Dennoch sind auch hier einige Aspekte der Zwei-plus-Vier-Lösung von besonderem Interesse. Der Zwei-plus-VierVertrag stellt eine Art Ersatz-Friedensvertrag dar, der viele klassische Elemente eines Friedensvertrages enthält. 61 Darüber hinaus liefert er Nachwei60 Zum Inhalt vgl. vor allem Schweitzer (FN 19), Rdnr. 23ff. m.w.Nw.; Walfrum (FN 19), Rdnr. 2ff. Vgl. neben den bereits erwähnten Arbeiten vor allem Dieter Blumenwitz, Der Vertrag vom 12. 9. 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, NJW 1990, S. 3041ff.; Gilbert Gamig, Der Zwei-plus-Vier-Vertrag unter besonderer Berücksichtigung grenzbezogener Regelungen, ROW 1991, S. 97 ff. 61 Dazu Gearg Ress, Die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland: Garantiefunktion der Vier Mächte?, in: Festschrift für Bernhardt, 1995, S. 825 ff., 829 ff.; Quaritsch (FN 55), Rdnr. 77 ff.
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se für die besondere Einwirkung völkerrechtlicher Regelungen auf verfassungsrechtliche Situationen. Soweit es um Art. 7 des Zwei-plus-Vier-Vertrages geht, stellt die Wiedererlangung der vollen Souveränität das oben über die Zwischenlösungen des Jahres 1955 Gesagte unter Beweis: "Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten". In Art. 7 Abs. 1 findet sich als scheinbar selbstverständliche Voraussetzung dieses Befundes der Hinweis, daß "die entsprechenden ... , vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst" seien. Was als klare Folgerung im Sinne der Souveränität gedeutet werden kann, bedarf einer Nuancierung. Aufgelöst wurden die Vier-Mächte-Rechte, nicht jedoch die Drei-Mächte-Rechte, die auf tieferer Ebene in einem bloßen Regierungsabkommen vom Sept. 1990 mit Übergangsregelungen bei teilweiser Beibehaltung von bestehendem "versteinertem" Besatzungsrecht geregelt wurden. 62 Die schwierig zu überblickende Gemengelage mit den Rechten und Pflichten, die sich konkret aus der NATO-Mitgliedschaft ergaben, kann nicht über den erheblichen Anteil der Verpflichtungen hinwegtäuschen, die ihren Ursprung in der ursprünglichen Besatzungssituation hatten. Daß die Stationierung von NATO-Truppen in Deutschland nach 1990 63 erhebliche Entflechtungs-Anstrengungen und Neuverhandlungen verlangten, kann als Selbstverständlichkeit festgehalten werden.
VIII. Verfassungsänderungen und der Weg des Art. 23 GG Was in diesem Punkte als besondere Eigenart des Vertragstextes gedeutet werden könnte, erscheint in Art. 1 wesentlich massiver und eigenwilliger, insgesamt aber auch charakteristischer. Denn der Zwei-plus-Vier-Vertrag legte bestimmte Verfassungsänderungen von vornherein fest, die im Einigungsvertrag nochmals umschrieben und schließlich in der Staatenpraxis der Bundesrepublik Deutschland vollzogen wurden. 64 Die Bestimmung der Außengrenzen, die Notwendigkeit der Bestätigung der Ostgrenzen in einem separaten Vertrag mit Polen65 , die Änderung entsprechender Verfassungs62 Regierungsabkornmen vom 27./28. Sept. 1990 (BGBl. 1990 II, S. 1386). Vgl. dazu Dieter Blumenwitz, Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrift für Lerche, 1993, S. 385 ff., 389 ff. 63 Näher Wolfrum (FN 19), Rdnr. 3 ff. 64 Vgl. Art. 4 und 5 des Einigungsvertrages. 65 Art. 1 Abs. 1 des Zwei-plus-Vier-Vertrages spricht von einer "Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen des vereinten Deutschland", Abs. 2 sieht einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag mit Polen vor. Der entsprechende Grenzvertrag mit Polen trat am 16. 1. 1992 in Kraft (BGBl. II, S. 118).
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bestimmungen, vor allem des Art. 23 des GG, dies alles sind Beispiele für die unmittelbare Einwirkung eines völkerrechtlichen Vertrages auf geltendes Verfassungsrecht, das seinerseits nicht unmittelbar vom Selbstbestimmungsrecht der Völker umgeformt wurde, sondern von einer mit den früheren Siegermächten einvernehmlich festgelegten Prozedur. 66 Diese Beobachtungen seien hier nur beispielhaft für das letztlich recht schwierige Verständnis der Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages erwähnt. Wichtig erscheint an dieser Stelle die Frage, welche rechtlichen Elemente für die Wiedervereinigung auf der staats- und verfassungsrechtlichen Ebene abzuleiten sind. Von herausragender Bedeutung war weniger die Tatsache, daß die Präambel des GG den Wiedervereinigungs- und Staatswahrungsauftrag enthielt67 , sondern daß in einem entscheidenden Moment der staatlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland das BVerfG bindende Grenzen für die Exekutive gesetzt hatte. Die Präambel des GG enthielt einen eigentlich nicht mißzuverstehenden Hinweis auf die rechtliche Notwendigkeit der Wiedervereinigung Deutschlands, doch war in den letzten Jahren vor 1989 in verstärkter Weise eine Uminterpretation der Präambel im Hinblick auf die Priorität europäischer Lösungen vorgenommen worden. 68 Mitten in diesen Prozeß, der von europäischer und deutscher Identität im Sinne einer normativen Gleichwertigkeit angetrieben wurde 69 , platzte die Revolution in der früheren DDR, die zwar aus dem Westen Deutschlands keine nennenswerte Unterstützung im Sinne unmittelbarer Einwirkung erhalten hatte, die zusammen mit anderen internationalen Veränderungen gleichwohl das gesamte Staatengefüge der Nachkriegszeit zu einem völligen Zusammenbruch trieb. War also die Präambel des GG interpretationsfähig, so hatte das BVerfG ganz im Sinne der Nichtendgültigkeit der Rechtslage Deutschlands im Jahre 1973 eine Grundentscheidung getroffen, deren besondere Bedeutung darin lag, daß die Exekutive in einem politisch entscheidenden Zeitraum in ihrer vorgesehenen Entfaltung entscheidend gehemmt wurde. Das BVerfG legte in einer bis da66 Vor allem die Rechtsnatur der Grenzbestätigung hat zu Kontroversen geführt, vgl. statt anderer Ress (FN 61), S. 833 ff. Ress spricht zutreffend von einem "Verzicht auf den Einwand der unzulässigen Rechts-(Souveränitäts)ausübung", ebd. Es handelt sich insbesondere nicht um eine rückwirkende Anerkennung einer von Polen versuchten Annexion oder anderer ins Gespräch gebrachter Rechtstitel. Dazu näher Schweitzer (FN 19), Rdnr. 23 ff. m.w.Nw. 67 " ... von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das deutsche Volk in den Ländern ... , um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben ... Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war ... ( Wortlaut der Präambel des GG a.F.) 68 Dazu etwa Eckart Klein, Deutschlandrechtliche Grenzen einer Integration der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft, DÖV 1989, S. 957 ff. 69 Nachwirkungen bei Pernice (FN 19), Rdnr. 3 f.
14 Der Staat, Beiheft 12
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hin nicht praktizierten Eindringlichkeit die Exekutive auf bestimmte Interpretationen des GG fest und sicherte auf diese Weise insbesondere die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit70 , die nach 1970 offenbar intern zur Diskussion stand. 71 Insofern hat das BVerfG entscheidende rechtliche Kriterien im Gesamtprozeß der Offenhaltung der deutschen Frage eingeführt und die Exekutive wesentlich festgelegt. Wenn von der Bedeutung rechtlicher Faktoren im Hinblick auf die staatliche Wiedervereinigung die Rede ist, so können auf Verfassungsebene diese Entscheidungen des BVerfG nicht deutlich genug genannt werden. Es bleibt in Erinnerung, daß die Entscheidung von 1973 in den Folgejahren Gegenstand massiver Kritik gewesen ist 72 , und im Hinblick auf abstrakt-rechtliche Brillanz und Widerspruchsfreiheit war sicherlich Kritik anzubringen. Erst im Jahre 1979 kam es zu einer ersten Beilegung der Auseinandersetzungen in der Wissenschaft 73 , wenn auch die grundsätzliche Distanz mancher Staats- und Völkerrechtler zur Rechtsprechung des BVerfG bestehen blieb. Dabei ging die Kritik häufig von Vertretern des Völkerrechts aus, die an den völkerrechtlichen Aussagen des Gerichts und dessen vermeintlicher Kompetenzüberschreitung Anstoß nahmen, während auf der anderen Seite Kritik aus den Reihen jener Staatsrechtler kam, denen die vorhandene internationalrechtliche Einbindung des Grundgesetzes nicht immer bewußt geblieben war. Auch in dieser Diskussion wurde deutlich, daß das notwendige Zusammenwirken von einzelstaatlichen und internationalrechtlichen Aspekten in dem zu entscheidenden Einzelfall die wohl größte und grundlegende Schwierigkeit bot. Entscheidend blieb trotz aller Kontroversen, daß das BVerfG im Hinblick auf die Offenheit der deutschen Frage einen wirksamen Bremsklotz einsetzte, der die Voraussetzung für spätere Regierungsaktivitäten mitenthielt. Die staats- und verfassungsrechtlichen Positionen, die seitdem von der jeweiligen Bundesregierung vertreten wurden, schlossen sich an die staatsund völkerrechtlichen Grundentscheidungen des BVerfG an, und die spätere Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1987 beschreibt die Konsequenzen aus der Entscheidung von 1973 aus der Position der zeitlichen Distanz. 74 Gewiß, die Entscheidungen des BVerfG vermochten nur staatsVgl. BVerfGE 36,1, 30ff.; bekräftigt in BVerfGE 77, S. 137 ff., 147 ff. Kennzeichnend die von Ulrich Scheuner unternommene deutliche Eingrenzung, vgl. Die deutsche einheitliche Staatsangehörigkeit: ein fortdauerndes Problem der deutschen Teilung, EA 1979, S. 345 ff. 72 In Erinnerung geblieben ist der Vorwurf eines "unbekömmlichen begriffiichen Breies" bei der Verbindung verschiedener Deutschlandtheorien durch Ulrich Scheuner, Die staatsrechtliche Stellung der Bundesrepublik, DÖV 1973, S. 581 ff., 583. 73 Dokumentiert in Gottfried Zieger (Hrsg.), Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, 1979. 74 BVerfGE 77, S. 137 ff. (Teso-Beschluß). 70 71
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rechtlich zu binden, nicht aber unmittelbar völkerrechtlich. Dennoch war die Festlegung der Exekutive der Bundesrepublik ein wesentliches Element auch der völkerrechtlichen Meinungsbildung. 75 Als im Jahre 1990 der konkrete Weg des Art. 23 GG zur Eingliederung der DDR bzw. der einzelnen wiedererstandenen Länder gewählt wurde, war auch diese Entscheidung rechtlich nicht unmaßgeblich vom BVerfG gesichert worden. Denn es hatte mit seiner Rechtsprechung alle Versuche blockiert, den als politisch "gefährlich" eingestuften Art. 23 a.F. GG 76 zu unterminieren. Was im Falle des Saarlandes noch ohne weiteres praktiziert worden war, geriet nicht nur in das Visier der Teilnehmer der Zwei-plusVier-Konferenzen, sondern parallel auch in die Schußlinie mancher Anhänger einer Lösung über Art. 146 GG. 77 Wenn gelegentlich sogar behauptet wurde, die Verfassungs bestimmung des Art. 23 a.F. GG habe sich von vornherein nur auf das Saarland bezogen, so zeigt sich auch darin eine Gefährdung geltender Verfassungsbestimmungen, sobald sie im internationalen Bereich zu Unbequemlichkeiten führen. Da Art. 23 a.F. GG als erhebliche Bedrohung der politischen Existenz vor allem der DDR empfunden wurde, wird verständlich, warum diese Bestimmung mit im Zentrum gegenläufiger Interpretationsbemühungen stand. Auch in dieser Hinsicht bot die Rechtsprechung des BVerfG Halt.
IX. Die Auswirkungen der "Deutschland-Theorien"
Ohne eine nennenswerte Auswirkung blieben demgegenüber die im Laufe der Zeit entwickelten zahlreichen Deutschland-Theorien, die im wesentlichen dazu dienten, komplexe juristische Konstruktionen bildhaft zu erläutern. 78 Es ist kein Zufall, daß im entscheidenden Jahr 1990 die politische Entscheidung nicht von rechtlichen Theorien ausging, sondern von vorgegebenen völkerrechtlichen und internationalrechtlichen Ausgangspositionen 75 Ganz in dem Bewußtsein, daß ein erheblicher Teil der Verantwortung für eine künftige Wiedervereinigung bei der jeweiligen Bundesregierung lag. Vgl. Eckart Klein, Die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für Deutschland als Ganzes, in: Gottfried Zieger/Boris Meissner/Dieter Blumenwitz (Hrsg.), Deutschland als Ganzes, 1984, S. 159 ff. Zur weitergehenden Problematik der völkerrechtlichen Vertragsinterpretation Jochen A. Frowein, Constitutional Law and International Law, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Bd. 7, 1994, S. 7 ff., 3lf. 76 Mit seiner Bezugnahme auf "andere Teile Deutschlands" vgl. oben FN l. 77 Ausführlich zur Kontroverse Peter Lerche, Der Beitritt der DDR - Voraussetzungen, Realisierung, Wirkungen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, VIII, 1995, § 194, Rdnr. 12 ff. m.w.Nw. 78 Charakteristisch etwa Richard Schuster, Deutschlands staatliche Existenz im Widerstreit politischer und rechtlicher Gesichtspunkte, 1963. Vgl. auch Georg Teyssen, Deutschlandtheorien auf der Grundlage der Ostvertragspolitik, 1987, S. 156ff. Vgl. dagegen die knappe Bestandsaufnahme bei Geiger (FN 23), S. 46 ff.
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und den politisch-pragmatischen Durchsetzungsmöglichkeiten. Die in langen Jahren der kunstvollen Erklärung der jeweiligen Deutschlandlage entwickelten Theorien hatten keinen wesentlichen Anteil an der Staatenpraxis 79, und ihre Bedeutung lag wohl in erster Linie auf didaktischem Gebiet. Sie hatten daneben aber auch die Funktion, die jeweilige politische Lage auf ihre Konsequenzen für den deutschen Staat bewußt werden zu lassen. Versuche, das Grundgesetz auf eine der propagierten Theorien festzulegen, sind immer wieder gescheitert, und auch das BVerfG tat gut daran, sich allenfalls auf bestimmte Annäherungen einzulassen, nicht aber auf eine "Theorie" zur Deutschlandfrage. Die Rechtsprechung blieb auf diese Weise wesentlich näher an den juristisch entscheidenden Ausgangspositionen, die ihrerseits einem politischen Wandel ausgesetzt waren. Es liegt auf der anderen Seite ganz auf der Linie didaktischer Wertschätzung, wenn die Lehrbuchliteratur zu bildhafter Umschreibung der Rechtslage Deutschlands neigte, mit mehr oder weniger juristischer Substanz. Trotz des gelegentlich fehlenden "Tiefgangs" des Theorienstreites, brachte dieser dennoch einen kennzeichnenden Umstand der Gesamtdiskussion zum Ausdruck, die letztlich die Lösung von 1990 mit vorbereitete. Die Deutschlandtheorien verknüpften häufig auf charakteristische Weise staats- mit völkerrechtlichen Überlegungen, kennzeichneten damit zugleich den juristischen Alltag der hier zu behandelnden Fragestellung. So war der Streit um die sog. "Drei-Staaten-Theorie" nichts anderes als ein Ausdruck des politischen Disputs um die Rechtslage Berlins im Rahmen des OstWest-Gegensatzes, und auch andere "Theorien", die etwa ein Konföderationsmodell zugrundelegten, erhielten Anstöße von aktuellen außenpolitischen Vorgängen. Solange der Streit darum ging, eine bildhafte Form für die Diskussion zu entwickeln, konnte diese angeregt und vorangetrieben werden. Sobald die wissenschaftliche Diskussion jedoch in den Versuch umschlug, einzelne Bestimmungen des Grundgesetzes unter Vermeidung einer formalen Verfassungsänderung umzudeuten, mußten sich Grenzen der Verfassungsinterpretation zeigen, die zugleich Beschränkungen der Annahme eines sog. Verfassungswandels Bo sein mußten. Der Streit um die normative Aussage der Präambel a.F. GG B1 kann als Beispiel dafür herangezogen werden, wie 79 Insofern hat sich eine Aussage von 1983 bestätigt: "Die Logizismen jahrzehntelangen Streites um die "richtige" Deutschlandtheorie haben übersehen lassen, daß derartige Hilfskonstruktionen allenfalls einen Orientierungswert besitzen, daß sie aber die Staatenpraxis nicht unbedingt positiv beeinflussen können", Wilfried Fiedler, Die Grenzen der "Deutschlandtheorien" und die Bedeutung der Staatenpraxis, ZfPo130 (1983), S. 366 ff., 375. BO Vgl. aus neuerer Zeit lediglich Ernst Wolfgang Böckenförde, Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche, 1993, S. 3 ff.
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schwierig die Grenze zwischen einem bloßen Theorien-Disput und ernsthafter Verfassungsinterpretation einerseits, zur erforderlichen Verfassungsänderung andererseits zu ziehen sind. Ähnliche Probleme tauchten vor 1989 auf, als die Präambel zugunsten einer europäischen Einigung gegen die Priorität der einzelstaatlichen Vereinigung umgewichtet werden sollte. Im übrigen kennt die deutsche Verfassungsgeschichte seit langem den jeweiligen Theorienstreit aus Anlaß staatlicher Umbrüche. Erwähnt wurde bereits das Problem des Verhältnisses zwischen dem Norddeutschen Bund und dem Deutschen Reich. Als nach dem Ersten Weltkrieg der Streit darüber ausbrach, ob die soeben gegründete Weimarer Republik als Staat identisch mit dem Kaiserreich sei B2 , verbanden zahlreiche Theorien ganz selbstverständlich das geltende Völkerrecht mit staatsrechtlichen Überlegungen, während nur wenige in einer eindimensionalen Beurteilung verharrten. Die ganz selbstverständliche Verknüpfung von staats- mit völkerrechtlichen Überlegungen ist im Laufe der Zeit in Deutschland, wie es scheint, jedoch verloren gegangen. Stattdessen obsiegten angesichts der dunklen Epochen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts politisch-moralische Überlegungen, die in unterschiedlicher Weise in die rechtliche Interpretation des Geschichtsverlaufs eingeflochten wurden. Die Deutschlandtheorien trugen immerhin dazu bei, daß am Beispiel ein und desselben Problemkomplexes beide Disziplinen wieder vereinigt wurden. Dennoch haben sie im Hinblick auf die Effizienz rechtlicher Faktoren für die Wiedervereinigung Deutschlands nicht verhindert, daß die typischen Funktionen der unterschiedlichen Rechtsebenen oft nicht mehr getrennt wurden. Die Beurteilung völkerrechtlicher Überlegungen aus rein staatsinterner Sicht ist nicht selten, und die Erschütterung über den Verlauf der staatlichen Periode zwischen 1933 bis 1945 hat in vielen Fällen alle Dämme der juristischen Orientierung brechen lassen. Die Verwechslung der Rechtsfigur der juristischen Person im Sinne einer Völkerrechtsperson mit der staatlich-praktisch-politischen Existenz desselben Staates stellt nur ein Beispiel für die Verkennung systematischer Unterschiede dar. B3 Die Unempfindlichkeit der Völkerrechtssubjektivität gegenüber selbst diktatorischen Verfassungsperioden wurde staatsrechtlich nur schwer akzeptiert und führte zu rechtlichen Verkrümmungen, die bis heute nachwirken. Es ist zu hoffen, daß die verspätet aufgenommene Diskussion über die Stellung der Mitgliedstaaten in einer Nur angedeutet in BVerfGE 36, S. 1 ff., 17 f, 25. Näher Wilfried Fiedler, Zur rechtlichen Bewältigung von Revolutionen und Umbrüchen in der staatlichen Entwicklung Deutschlands, Der Staat 31 (1992), S. 436 ff., 440 ff. 83 Zutr. daher Wahl (FN 2), S. 200 ff., der zwischen rechtlicher und politischer Identitität des Staates klar unterscheidet. 81 B2
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Europäischen Union 84 dazu beiträgt, eindimensional-beschränktes und daher provinzielles staatsrechtliches Denken auch gegenüber dem geltenden Völkerrecht abzubauen.
x. Zur Regelungsdichte unterschiedlicher rechtlicher Ebenen Die Erkenntnis, daß rechtliche Faktoren ganz unterschiedlicher Art auf verschiedenen Ebenen Elemente staatlicher (Wieder)Vereinigung darstellen konnten, zersplittert keineswegs die Autorität des Rechts 85 als Orientierung und Antrieb historisch-politischer Vorgänge. Sie erklärt vielmehr das ganz unterschiedliche Einwirken juristischer Elemente auf politische Konstellationen. Daß sich politisch-historische Umbrüche nicht selten aus der Per~pektivE.! verletzten Rechts speisen oder dem Vollzug einer für rechtmäßig gehaltenen Position dienen, ist geradezu selbstverständlich. Ebenso der Umstand, daß nach entsprechenden Veränderungen dem Recht auf verschiedenen Ebenen die Aufgabe zukommt, gestaltend, streitschlichtend und befriedend zu wirken. Hinzu kommt, daß nach der internationalen Entscheidung für die Ermöglichung der Einheit des deutschen Staates im engeren Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR eine juristisch-formalisierende Gestaltung einsetzte, wie sie die deutsche Geschichte kaum je erfahren haben dürfte. Von dieser Tendenz wurden nicht nur die deutsch-deutsche Beziehung, sondern alle Aspekte des Zwei-plus-Vier-Vertrages bis hin zum Abschluß des deutsch-polnischen Grenzvertrages betroffen. Die notwendigen juristischen Folgeschritte machten auch vor der Europäischen Gemeinschaft nicht halt, denn eine Voraussetzung für die möglichst komplikationslose Bewältigung der deutschen Einheit im Jahre 1990 bestand auch darin, daß die Europäischen Gründungsverträge im Sinne des völkerrechtlichen Grundsatzes der "beweglichen Vertragsgrenzen" interpretiert wurden. Danach blieb die Bundesrepublik Deutschland zwar unverändert Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, doch territorial vergrößert um die neuen Bundesländer auf dem Gebiet der früheren DDR. Auf diese Weise konnten umständliche Verfahren vermieden werden, die bei einer juristisch substantiellen Veränderung in der juristischen Person eines Mitgliedstaates erforderlich gewesen wären. 86 84 Ausführlich zuletzt Pernice (FN 19), Rdnr. 20 ff. m.w.Nw. Zu offenen Fragen Jose! Isensee, Integrationsziel Europa-Staat, in: Festschrift für Everling, 1995, S. 567 ff., 572 ff. 85 Vgl. die Beiträge in Torsten Stein (Hrsg.), Die Autorität des Rechts, Verfassungsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Heidelberger Forum, Bd. 29, 1985. 86 Zum großen Anteil der.EG ~n der Herstellung der Einheit Deutschland ausführlich Pernice (FN 19), Rdnr. 6 ff.
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Insgesamt ist eine intensive Einwirkung rechtlicher Faktoren in allen Stadien der staatlichen Wiedervereinigung von 1990 festzustellen. Das bei allen Beteiligten zu konstatierende Bemühen, möglichst alle politischen Schritte in ein juristisches Gewand zu kleiden, kann dabei allerdings zu einem Gegeneffekt führen. Er zeigte sich etwa bei der Orientierung des Vereinigungsvorganges an dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Daß diese selbstgewählte Bindung nicht zu dem Trugschluß führen sollte, auch eine Revolution oder ein sonstiger staatlicher Umbruch müsse letztlich auf rechtsstaatlich geordneten Wegen ablaufen, liegt auf der Hand. Sieht man von allen naheliegenden historisch belegbaren Versuchen ab, auch dem gröbsten Willkürakt den Anschein der Rechtmäßigkeit zu verleihen, so war es im Falle der deutschen Wiedervereinigung von 1990 die kanalisierende, befriedende und gestaltende Wirkung des Rechts, die konkrete Lösungen ermöglichte. Betrachtet man, wie hier vorgeschlagen, das "Recht" nicht als erratischen Block, sondern als Summe aller geltenden Rechtsregeln, so muß die weitere Frage beantwortet werden, welche Regelungsdichte den einzelnen Rechtsebenen für das konkrete Problem zuzuschreiben ist. Daß im Falle der Wiedervereinigung von 1990 eine klare Rangfolge zwischen internationaler und nationaler Rechtsebene besteht, wurde mehrfach betont. Dem entspricht die andere Folgerung, daß die Regelungsdichte zunimmt, je stärker das nationale Staats- und Verfassungsrecht bis hin zur Gesetzesgestaltung eingreift. Dies hat mit der spezifischen Eigenart der jeweiligen Rechtsebene zu tun, die sich im internationalen Bereich mit nur wenigen, aber meist hochrangigen Normierungen 87 begnügt. Pauschale Antworten sind daher für das Jahr 1990 in bezug auf die Einwirkung von rechtlichen Faktoren nicht möglich. Ebenso wäre eine nähere Behandlung der Reichsgründung von 1870/ 71 auf Differenzierungen angewiesen, die sich aus der Eigenart zeitgemäßer und in diesem Sinne historischer rechtlicher Elemente ergeben.
87 Zur notwendigen Differenzierung vgl. etwa Karl Doehring, Die undifferenzierte Berufung auf Menschenrechte, in: Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Bernhardt, 1995, S. 356ff., 357 ff.
Aussprache Schneider: Bei Ihrer Betrachtung der Verhältnisse haben Sie wenig oder gar nicht von Siegerrechten gesprochen. Nach meiner Erinnerung spielte aber gerade für Berlin die Berufung auf die originären Siegerrechte immer eine besondere Rolle. Haben Sie absichtlich von deren Nennung abgesehen? Fiedler: Ich gebe zu, daß dies eine gewisse terminologische Verharmlosung ist. Im Laufe der Zeit hat man nicht mehr von Siegerrechten gesprochen, sondern von den Rechten der Vier Mächte. Daß sie Sieger waren, war selbstverständlich, und insofern handelt es sich um dieselben Siegerrechte, die später als alliierte Rechte bezeichnet wurden. Ich sehe da also keinen sachlichen Unterschied, sondern nur einen der Bezeichnung. Die originären Siegerrechte waren nicht bestritten in ihrer Substanz, gleichgültig wie sie bezeichnet werden. Barmeyer-Hartlieb: Ich möchte nur kurz eine historische Ergänzung aus der Reichsgründungszeit 1866/70/71 geben. Sie haben dargestellt, daß die Bismarcksche Reichsgründung in der Periode des klassischen Völkerrechtes stattgefunden hat, in der Annexionen noch nicht mit starken politisch-moralischen Belastungen versehen waren. Als Historikerin aber fällt einem dann natürlich sogleich die danach in der Öffentlichkeit geführte, sehr heftige politische Diskussion ein; und diese war vor allem stark moralisch und weltanschaulich grundiert. Dies war nicht nur, wie zu erwarten, bei den Besiegten der Fall. Ich kenne die hannoversche Situation recht gut und weiß, in wie vielen Flugschriften immer wieder die Unterlegenen auf ihr angeblich besseres, moralisch begründetes Recht hinwiesen. Aber auch die andere Seite, die Sieger, hat ihren militärischen Erfolg durchaus unter moralischen Kategorien erörtert. Gerade die preußischen Konservativen wurden durch die militärischen Erfolge und ihre politischen Folgen, die Annexionen, vor politisch-moralische Probleme gestellt und einer parteipolitischen Zerreißprobe unterworfen. Auch der preußische König tat sich mit der Vollannexion Hannovers schwer, weil durch sie das Problem der Souveränität berührt wurde. Territoriale Eroberungen nach einem militärischen Sieg waren nicht ungewöhnlich. Den Gegner von gleicher Würde aber seiner Souveränität zu berauben - das warf auch für den Sieger von seinem eigenen Selbstverständnis her große moralische Probleme auf. Die Konservativen um den preußischen König und vor allem der Gerlach-Kreis haben sich über dieser Frage von Bismarck getrennt - aus Gründen von Recht und Moral.
Aussprache
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Fiedler: Das eine schließt das andere nicht aus, und das Völkerrecht hat in diesen Bereichen keine Weichenstellung vorgenommen, sondern dies in Kauf genommen. Es hat kein rechtliches Verdikt ausgesprochen, und das war ein Kennzeichen des damals geltenden Völkerrechts, das später verloren gegangen ist. Es fehlte an der rechtlichen Mißbilligung dieser Vorgänge. Manche sagen ja, das Völkerrecht sei eigentlich mehr ein "embryonales" Recht, weil es unvollkommen sei. Vielleicht zeigte sich in diesem Punkt gerade die wesentlich geringere Reichweite des Völkerrechtes im 19. Jahrhundert. Steiger: Herr Fiedler, Sie haben, und ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich das so sage, ja selbst am Anfang gesagt, aus dem Jahr 1995 sieht sich das, was 1945 und nach 1947 passiert ist, anders an, als im Jahr 1989. Unter diesem Gesichtspunkt haben Sie so ein bißchen die Erfolgsgeschichte der völkerrechtlichen Entwicklung oder deren positiver Elemente aufgezeigt, nämlich das Gelingen des völkerrechtlichen Offenhaltens, und haben gewiß auch aus Zeitgründen die vielfachen Versuche des Abschließens, des Zuendebringens nicht erwähnt bzw. nur angedeutet. Das fängt aber eigentlich schon 1945 an, zumindest in der Deutung der Ereignisse von 1945. Sie haben selber gesagt - wenn ich mich recht erinnere -, daß die bedingungslose Kapitulation auch anders gelesen worden ist und sie ist sehr intensiv anders gelesen worden, und zwar nicht nur von der Sowjetunion, sondern auch von Frankreich, auch von Kelsen, die vom Untergang Deutschlands ausgegangen sind. Wie interpretiert man aus dieser Sicht etwa die Ereignisse von 1990, insbesondere den 2+4-Vertrag seitens der Sowjetunion? Die Interpretation, die Sie gegeben haben ist die, die sich fast mühelos anschließt an die Interpretation, die insbesondere in der Bundesrepublik gerade auch vom Bundesverfassungsgericht vertreten worden ist und die ich auch für richtig gehalten habe. In Gießen war das immer ein bißchen schwierig mit dem Herrn Kollegen Ridder das auszufechten. Das haben wir auch in öffentlichen Diskussionen getan, aber es war dafür immer sehr reizvoll, mit ihm darum zu kämpfen. Für mich ist also die Frage, wie interpretiert man eigentlich diese Vorgänge von 1989/90 von dieser anderen Position her? Die Ridder'sche Interpretation kenne ich wohl, wie würde aber die Sowjetunion diese interpretieren? Das schließt dann an an Ihre Aussagen zur praktischen Irrelevanz der Deutschland-Theorien. Diese haben nicht den eigentlichen Übergang oder die eigentliche Durchführung der Wiederherstellung eines deutschen Staates bestimmen können, aber sie war meines Erachtens doch eine ganz erhebliche Voraussetzung für das, was Sie dargestellt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat ja insofern zwar eine Entscheidung getroffen, weil es das konnte zum Unterschied zu uns, die wir keine Entscheidung treffen, sondern nur Theorien aufstellen können. Aber es hat sich eben auf diese Theorien oder einige von ihnen berufen. Und
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wenn Sie gesagt haben, es wäre nicht so brillant gewesen, dann lag es eben daran, daß es einige Theorien miteinander verquickt hat und das nicht ganz deutlich wird. Aber ich würde meinen, daß diese Deutschland-Theorien eine ganz erhebliche politische Relevanz hatten, wenn man jetzt mal die beiden großen Theorien gegeneinanderhält: Untergang des deutschen Staates und Neugründung zweier deutscher Staaten einerseits, und andererseits kein Untergang Deutschland, sondern in irgend einer Weise Fortexistenz des deutschen Staates und besondere Beziehungen zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR auf dieser Basis. Ich meine daher, daß auch rückblickend historisch gesehen es auf diese Theorien ganz erheblich ankommt, so daß ich mich frage, welche Konsequenz das für die Interpretation der völkerrechtlichen Voraussetzungen des 2+4-Vertrages hat. Ich stimme Ihnen im übrigen völlig darin zu, daß diese ganzen verfassungsrechtlichen Ereignisse im Völkerrechtlichen vorgeformt werden mußten, sonst wäre das gar nicht gegangen.
Fiedler: Zwei hochinteressante Fragen, doch zunächst zur Interpretation dieser Vorgänge durch die UdSSR. Es ist nicht ganz einfach, den Standpunkt der UdSSR historisch klar einzugliedern. Wenn man allein schon die Auffassung vom Untergang Deutschlands im Jahr 1945 betrachtet, so haben wir es mit einer eigenartigen Rechtssituation zu tun, nämlich mit der historisch schwer nachzuvollziehenden Situation eines rückwirkenden Staatsuntergangs. Denn die UdSSR hatte bis Ende der fünfziger Jahre, sogar bis in die sechziger Jahre hinein vertreten, der deutsche Staat sei keineswegs untergegangen. Die DDR hat früher vom Untergang gesprochen als die UdSSR. Die UdSSR ist später auf diese Linie eingeschwenkt und hat dann seit Anfang der sechziger Jahre die Meinung vertreten, der deutsche Staat sei schon 1945 untergegangen. Dies ist eine zivilrechtlich durchaus im Sinne von Nichtigkeit verständliche Position, aber historisch-juristisch oder völkerrechtlich nachzuvollziehen. In diesem Punkte gibt es also Schwierigkeiten. In bezug auf die gegenwärtige Interpretation durch die Sowjetunion bzw. Rußland bin ich mir nicht im klaren, weil sie sich in einem Wandel befindet. Es taucht zur Zeit nämlich die Argumentation auf, die bedingungslose Kapitulation habe mehr enthalten als dies von der westlichen Auffassung angenommen werde. Zum Beispiel in bezug auf die Erbeutung von Kulturgütern. Es sei der Verzicht auf jegliche Rückforderung von beschlagnahmten Kunstwerken etc. nach dem Krieg ausgesprochen worden, wobei anzumerken ist, daß die bedingungslose Kapitulation ja vor diesen Beutevorgängen bis 1949 lag. Da muß man sich also noch überlegen, wie man alles historisch unterbringt. Ich möchte damit nur sagen, daß sich das Verständnis der bedingungslosen Kapitulation selbst in einem geschichtlichen Wandel befindet. Es gibt auch Stimmen, die sagen, es handle sich nur um eine abschließende Regelung über bestimmte Materien, andere seien
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friedensvertraglich noch nicht geregelt. Deshalb ist es bedeutsam, daß die Überschrift des 2 + 4 -Vertrages das Wort "abschließende" enthält, daß also keine weitere Regelungen hinzukommen sollen. Aber es ist nicht auszuschließen, daß sich hier die Sowjetunion in bestimmten Bereichen anders verhält. In Einzelbereichen wird jedenfalls versucht, eine Änderung der Interpretation durchzuführen. Die andere Frage betrifft die Relevanz der Deutschland-Theorien. Ich hatte gesagt, daß sie keinen Anteil an der Entscheidung des Jahres 1990 hatten, daß auf der anderen Seite, und zwar an einer anderen Stelle, sie aber die Problematik mit offenhielten und immer wieder in staats- und völkerrechtlichen Fragestellungen beeinflußten. Ich meine daher nicht, daß sie völlig irrelevant waren, sondern sie haben sogar die Funktion gehabt, durch die Kontroverse Fragen, die sonst eingeschlafen wären, immer wieder aktuell zu halten. Beispiel: Es gab ja nicht nur eine Zweistaatentheorie, sondern eine Dreistaatentheorie - Berlin als dritter Staat. Hier haben sich natürlich alle Theorienanhänger gegenseitig bekriegt und durch diesen Krieg in der Wissenschaft ist das Thema auch politisch offengeblieben. Es gab keine Entscheidung, auch keine Gerichtsentscheidung dazu. Nun, das Bundesverfassungsgericht hat keine der Theorien übernommen und entsprechend praktiziert. Ulrich Scheuner hat das bekannte Wort vom" unbekömmlichen Brei" geprägt, der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1973 zum Ausdruck komme. Der Berichterstatter und Schöpfer dieses "unbekömmlichen Breies" war vielmehr ein ganz souveräner Kenner der Theorien und ihrer rechtlichen Auswirkungen. Willi Geiger hat in der Tat einen juristischen Brei gekocht, es aber verstanden, fast alle juristischen Fettnäpfchen zu umgehen, die in verschiedenen Theorien, die erschienen, versteckt waren. Ich meine daher nicht, daß man sagen kann, diese Entscheidung sei sozusagen die Konkretisierung der einen oder anderen Theorie, sondern es fand 1973 die Sichtung aller Möglichkeiten statt, ohne eine bestimmte Theorie zu nennen. Es kann sein, daß manche Theorien jetzt wiederkehren im Zusammenhang mit der Interpretation der bestehenden Dokumente, aber die Entscheidungen sind gefallen, auch wenn die Anhänger von bestimmten Deutschland-Theorien und ihrer Abfolge im einzelnen auf diesem Gebiete wieder zuschlagen werden. Ich schätze die Fähigkeit der Theorienbildung sehr, aber es kommt letztlich auf die Theorien in der Praxis allein nicht an, sondern auf die entscheidenden historischen und juristischen Elemente. Vielleicht können Sie sagen - ich würde das nie daß man dankbar sein sollte, daß 1990 nicht zu viele Wissenschaftler beteiligt waren. Wadle: Ich -habe eine etwas naive Frage. Die völkerrechtliche Situation, wie sie eben beschrieben worden ist, veranlaßt darüber nachzudenken, welche Zuordnung und ob il."'berhaupt eine Zuordnung der verschiedenen Ver-
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tragspartner des 2+4-Vertrages möglich ist. Die vier Mächte sind sicher Völkerrechtssubjekte und deshalb kann ihr Produkt auch dem Völkerrecht zugeordnet werden; wie steht es aber mit den beiden deutschen Staaten, die sogar einen eigenen Vertrag geschlossen haben? Ist das ein völkerrechtlicher Vertrag gewesen oder war das nur eine Beitrittserklärung im Sinne des Art. 23 unter bestimmten Bedingungen? Läßt sich dies in die sauberen Kategorien Völkerrecht / Staatsrecht einordnen?
Fiedler: Bei dieser sauberen Trennung, wenn man sie weiterführt, ist die DDR in einer Schlußphase ihrer Existenz völkerrechtlich anerkannt worden, auch von der Bundesrepublik, und man hat mit ihr einen völkerrechtlichen Vertrag abgeschlossen, nur: es wurde dieser bezeichnet als Staatsvertrag, der auch in die Ebene unterhalb des Völkerrechtes reichte. Die DDR wurde auch nur insoweit anerkannt, als ihre Existenz juristisch sogleich wieder beendet werden sollte. Wadle: Könnte man diesen Vertrag jetzt noch ändern? Fiedler: Man kann einen Vertrag mit einem untergegangenen Staat nicht mehr ändern. Die Frage ist, und das ist auch meine Kritik an dem Verhalten des Parlaments der Bundesrepublik, daß man es nicht unternommen hat, den in vielen Bereichen unvollkommenen Vertrag kraft parlamentarischer Autorität zu ergänzen und Klarstellungen vorzunehmen, so etwa im Bereich des Strafrechtes oder in anderen Bereichen, in denen dieser Vertrag seltsam widersprüchlich blieb. Das Parlament hat insofern versagt: man hat sich herausgehalten. Man wollte wohl auch nicht in den spezifischen Vertragszusammenhang einbrechen. Die Frage ist auch, ob das Bundesverfassungsgericht Herr auch über diesen Vertrag ist, ob es nicht nur interpretieren darf, was es ja getan hat, sondern auch ergänzen. Das sind offene Fragen. Blaschke: Als ein Mensch, der die DDR vom Anfang bis zum Ende am eigenen Leibe erlebt hat, ist mir der Unterschied zwischen Macht und Recht sehr bewußt gemacht worden. Was Sie, Herr Fiedler, zum Thema der Offenhaltung der deutschen Frage gesagt haben, darüber gab es vor allen Dingen in den letzten Jahren überhaupt keine Diskussion mehr, denn es wurde der größte Wert darauf gelegt, daß diese Frage nicht mehr offen ist, sondern abgeschlossen. Erinnern Sie sich, daß es ja auch im Westen viele Leute gab, die diese Meinung teilten. Es war für mich jetzt äußerst erhellend, Ihre so schöne, schlüssige Darlegung zu hören, die von meinem Erlebnisbereich völlig überzeugend ist, daß es sich hier eben nicht um eine abschließende rechtliche Regelung gehandelt hat, sondern daß es immer offen geblieben ist. Das war auch meine persönliche Meinung, aber hier sehen wir eben doch den großen Unterschied zwischen Recht und Macht. Bedenken Sie, daß ja die Rechtstheorie, soweit es überhaupt in der DDR eine Rechtstheo-
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rie gegeben hat, immer der Macht untergeordnet war. Recht und Macht, Recht und Staat, die gehörten zusammen. Es ist verwunderlich, daß die Sowjetunion erst relativ spät diesen DDR-Standpunkt übernommen hat. Für die DDR war es offenbar eine Existenzfrage, daß diese Offenheit nicht mehr bestand. Die Sowjetunion mußte in ihrer Rolle als Supermacht Rücksicht nehmen auf das Völkerrecht, aber die Frage der Offenhaltung und alle die Erklärungen, die Sie gegeben haben, sind vom Recht her ein eindeutig westlicher Standpunkt. Dem stand eben der östliche, der kommunistische Standpunkt gegenüber. Es ist ein reines Glück, daß diese so schöne, schlüssige Darlegung tatsächlich durch die politischen Entscheidungen, letzten Endes durch Machtentscheidungen sich als richtig erwiesen hat. Es ist vielleicht eine abwegige Frage: wie würden Sie jetzt argumentieren, wenn das total anders gekommen wäre? Aber es ist doch überzeugend zu sehen, daß das Recht auch in entscheidenden Augenblicken, wenn die Macht entsprechende Voraussetzungen geschaffen hat, dann wieder aktiviert werden und zur Begründung von neuen Regelungen dienen kann. Auf diese Weise läßt sich die Vorgeschichte von 1990 ohne weiteres auf 1945 zurückführen, und darin liegt für mich als Historiker, der nun nicht mit diesen juristischen Kategorien vertraut ist, etwas sehr Überzeugendes. Das ist ja das Erfreuliche an diesem Kreis, daß wir uns zwischen Historikern und Juristen die nötigen Ergänzungskenntnisse verschaffen. Ich darf mich noch entschuldigen, daß ich Ihnen vorhin ins Wort gefallen bin. Als Sie zum ersten Mal vom "jus ad bellum" sprachen, gab es mir einen Stich gegen mein lateinisches Bewußtsein. Als Sie das zum zweiten Male sagten, konnte ich mich nicht mehr halten. Wenn man Hugo Grotius liest, dann ist das eben ein "jus belli ac pacis", und wenn Sie mir sagen, daß heute die Juristen sogar vom "jus ad bellum" sprechen, dann würde ich behaupten, so schlecht steht's um die Lateinkenntnisse der Juristen von heute, aber sicher nicht nur der Juristen. Fiedler: Das ist ein ganzes Bündel unterschiedlicher Fragen. Was das Latein anbelangt, so habe ich mich nur angeschlossen an einen Sprachgebrauch, der verbreitet ist. Es ist ja heute so, daß ich auch das Hauptwerk von Grotius nicht mehr mit dem Titel in der Vorlesung nennen kann, weil nicht mehr alle Hörer Latein verstehen. Für Studenten ist es nicht mehr Pflicht, und die Juristen sind im Umgang mit der Sprache manchmal eher brutal. Sie sprechen nach wie vor von Völkerrecht, obwohl es sich dabei um Staatenrecht handelt: Eine völlige Verfälschung des Inhalts. Trotzdem möchte ich mich entschuldigen für mögliche Sprachverkrümmungen, die sich eingebürgert haben. Doch am Inhalt ändert dies nichts, und ich bin vielleicht sprachlich nicht souverän genug, um mich nun ganz an den alten Quellen zu orientieren. Damit komme ich zur nächsten Frage: Macht und Recht. Es gab verschiedene Situationen, in denen das Offenhalten nicht mehr möglich schien. Es
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wäre durchaus denkbar gewesen, eine völlige Anerkennung der DDR, ihre völlige Verselbständigung und eine völlige Beseitigung der Rudimente der Vier-Mächte-Rechte vorzunehmen, wenn man sich in bestimmten Perioden juristisch anders verhalten hätte. Man hat das Recht benutzt, um politische Positionen so und nicht anders zu gestalten: das Recht ist genutzt worden. Andererseits hat das Recht auch, wie Sie gesagt haben, die Eigenschaft, daß man es wieder heranziehen kann, wenn sich die Zeiten ändern. Das Recht selbst ist geschichtlich, um einen Ausdruck von Bäumlin heranzuziehen. Die Geschichtlichkeit, der Einbruch der Zeit ist im Völkerrecht bedeutend, weil das Völkerrecht sich an der Staatenpraxis orientiert. Die Staatenpraxis ist die bedeutendste Quelle des Völkerrechts, Lehrbuchtheorien und Rechtsprechung sind bloße Hilfsquellen des Völkerrechts. Sie werden nicht so ernst genommen wie im Zivilrecht, im Strafrecht oder im Verwaltungsrecht. Ausdrücklich ist dies niedergelegt in Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes. Völkerrechtslehre und Rechtsprechung stellen heute nur mindere Quellen dar. Wichtig sind das Vertragsrecht, das Gewohnheitsrecht und die Völkerrechtsprinzipien. Weiter stellt sich in bezug auf das Verhältnis von Recht und Macht die Frage, warum zu einer bestimmten Zeit ein austariertes Verhältnis von Recht und Macht in einem Bereich, wie der DDR, plötzlich umkippt. Ich hatte für einen Kommentar über die Revolution in der DDR 1989 zu schreiben und die berühmten Ereignisse im Oktober zu behandeln, etwa die Frage, warum die bereitstehende sowjetische Armee und die DDR-Streitkräfte nicht eingegriffen haben. Das liegt bis heute im Dunkeln, und man weiß nicht genau, warum damals in Leipzig keine Entscheidung nach chinesischem Vorbild im Sinne eines furchtbaren Blutbades gefallen ist. Dies sind historische Situationen, die bis heute noch nicht aufgeklärt sind. Zum Thema Recht und Macht wäre auch hinzuzufügen, daß Gorbatschow im Jahre 1987 eine völlige Uminterpretation des Verhältnisses durchgesetzt hatte für eine Zeitspanne, die vielleicht bis 1992 reichte. Jetzt scheint das Verhältnis wieder umzukippen im Sinne des alten Verständnisses. Aber in der Zeit von 1987/88 bis 1990/92 war es möglich, das Recht voranzustellen, und davon haben wir Gott sei Dank in einem kurzen Augenblick der Geschichte profitiert.
Krüger: Einiges ist inzwischen schon gesagt worden, ich möchte deshalb direkt an die Bemerkungen von Herrn Fiedler anknüpfen. Die Situation, von der Sie sprachen, gerade auch diese Frage einer Umwertung ist als Rahmenbedingung für die Wiedervereinigung so zu interpretieren, daß eine international ungemein günstige Lage entscheidend gewesen ist und genutzt wurde; wie, könnte man im einzelnen ausführen, es konnte immer noch schiefgehen, wenn große Fehler gemacht worden wären, das hängt damit zusammen. Dahin geführt hat allerdings auch, wenn man die ganze Frage
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jetzt: politische Entwicklung, Staatenpraxis usw. sieht, diese rechtliche Positionsbesetzung, von der Sie sprachen und ich glaube, diese Schwebelage, von der Sie ebenfalls gesprochen haben, läßt sich auch historisch-politisch sozusagen weiter interpretieren. Sie bestand im Grunde in einer Art Gratwanderung, was die schließliche Wiedervereinigung anbelangt, nämlich daß die Situation insofern äußerst kompliziert war, als, wenn man über diese fundamentale, aber im Rechtlichen verbleibende Fixierung von Positionen, die immer wieder, manchmal fast routinemäßig, geschah - man hat jedenfalls diesen Eindruck aus der geschichtswissenschaftlichen Bewertung der politischen Entwicklung, der öffentlichen Diskussion, der Bewußtseinsbildung im Ausland - wenn man also darüber hinausgegangen wäre und tatsächliche nun eine forcierte Wiedervereinigungspolitik betrieben hätte, die Wiedervereinigung auf dieser Grundlage gerade nicht möglich geworden wäre. Diese Schwebesituation - rechtliche Positionen bieten im übrigen politisch aber auch eine zu nutzende Gelegenheit zu zielbewußtem Vorgehen unter günstigen Umständen, die schwer vorhersehbar sind -, ihre lange hingenommene Dauer und geringe Beachtung sowie der Wille, überhaupt die Sache nicht zu forcieren, hat mit beigetragen dazu, daß schließlich die Situation so günstig werden konnte und genutzt werden konnte, andernfalls hätte die Schwebelage zu Lasten der Wiedervereinigung ihr Ende gefunden. Eine andere Bemerkung noch, Herr Steiger hatte Kelsen erwähnt. In seinen Aufsätzen 1944/45 hat er scheinbar ganz eindeutig auf das Problem der debellatio hingewiesen, aber auch das ist nicht ganz eindeutig meiner Ansicht nach, denn er tut es, wenn ich mich recht entsinne, ich bitte mich zu korrigieren, mit einem Hintergedanken, nämlich er sagt, es geht auch darum, den Siegern völlige Handlungsfreiheit in Deutschland zu geben, damit nicht wieder wie nach 1918 das Thema Kriegsschuldfrage, Friedensvertrag usw. eine Belastung und über den Machtverfall eine Bedrohung des neu zu schaffenden republikanisch-demokratischen deutschen Staatswesens mit Hilfe der Vergangenheit oder mit Forderungen aus der Vergangenheit heraus und mit Interpretationen der Vergangenheit hervorruft wie in der Weimarer Republik. Das deutet dann doch wieder darauf hin, daß er eine längere Perspektive dabei sieht.
Fiedler: In dem ersten Punkt kann ich Ihnen nur zustimmen: Positionsbesetzung als Bereitstellung von Argumenten auch für eine politische Schwebelage. Auf diese Weise wurde die ganze Problematik eingefroren und der Versuch unternommen, sie ohne Vereinigung zu europäisieren, bis es dann doch in eine andere Richtung ging. Es wird oft die Frage gestellt, wer die Revolution in der DDR mehr unterstützt habe, eine CDU-geführte oder eine SPD-geführte Bundesregierung. Der Streit ist meines Erachtens wenig sinnvoll, denn man hatte sich jeweils darauf geeinigt, einen bestimmten
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Weg zu beschreiten, der möglichst vieloffenhalten sollte, ohne sich endgültig aufzugeben. Wie dann das innere Engagement aussah, ist wieder eine andere Frage; man könnte lange diskutieren. Zu Kelsen: Man müßte auch die Äußerung von Hans Nawiaski hinzunehmen, der von der Schweiz aus schon die ersten Verfassungsentwürfe für Bayern verfaßt hatte, und sicher gehen die beiden Autoren auch von den positiven Möglichkeiten einer debellatio aus, einer völligen Neuschaffung eines demokratischen Staatswesens. Das will ich ihnen nicht abstreiten, man sollte das auch sehen. Man sollte diese Auffassungen ohnehin moralisch nicht verdammen, es waren die Varianten eines breiten Handlungsfeldes.
Steiger: Ich darf noch einmal zu der Unterscheidung von ius belli, ius ad bellum und ius in bello zurückkehren. Es mag sein, daß dies nicht dem klassischen Latein entspricht. Jedoch hat sich der Sprachgebrauch in der Völkerrechtswissenschaft schon seit langer Zeit eingebürgert, wenn ich auch nicht sagen kann, wann das der Fall war. Ius belli hat zwei Bedeutungen: zum ersten umfaßt es das Kriegsrecht generell, zum anderen umfaßt es das subjektive Recht eines Herrschers etc., Krieg führen zu dürfen. Deshalb hat sich wohl für dieses der Begriff ius ad bellum für das Recht zur Kriegsführung eingebürgert; das ius in bello ist das Recht im Kriege. Diese präzisierenden Unterscheidungen sind schon deswegen erforderlich, weil das ius ad bellum an bestimmte Voraussetzungen sowohl formeller als auch materieller Art geknüpft war, die in engem Zusammenhang mit der Theorie des bellum justurn standen. Heute ist das ius ad bellum, insoweit es den Angriffskrieg betrifft, aufgehoben und nur noch für den Verteidigungskrieg gegeben. Das ius in bello betrifft die Kriegsführung auch und gerade in einem zulässigen Krieg. Darüber hat es schon zu Beginn der Völkerrechtswissenschaft erhebliche Auseinandersetzungen gegeben. Heute ist dieses ius in bello einerseits in Verträgen zusammengefaßt, andererseits aber in bezug auf ABC-Waffen noch sehr umstritten. So ist von den Erfordernissen einer klaren Begrifflichkeit her diese Unterscheidung notwendig; insofern ist auch Latein noch eine lebendige Sprache. Ich wollte noch mal auf den Vereinigungsvertrag von 1990 kommen. Ich war etwas überrascht Herr Fiedler, daß Sie jetzt auf einmal gesagt haben, der Vereinigungsvertrag - aber Sie haben es ja auch nur als Möglichkeit glaube ich angedeutet - könnte eine schlußendliche völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik sein. Die Situation war doch die, daß wir gesagt haben, 1972 der Grundlagenvertrag ist eine staatsrechtliche Anerkennung, wenn auch auf der Grenze zum Völkerrecht - wir haben es nie so genau gewußt -. Könnte man denn nicht in dieser Schwebelage auch für diesen Vereinigungsvertrag von 1990 bleiben müssen, so daß man auch da sagt, er ist innerhalb dieses Gesamtkontextes, der damals entwikkelt worden ist, eigentlich ein gemischt völkerrechtlich-staatsrechtlicher
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Vertrag. Daran würde man wieder sehen, daß die Entscheidung zwischen innen und außen die spezielle deutsche Situation jedenfalls nicht tragt, jedenfalls nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt. Verzichtet man auf die staatsrechtliche Seite des Vertrages im Rahmen dieses Gesamtkontextes der Wiederherstellung des einen deutschen Staates, wäre es unter Umständen keine Wiedervereinigung, sondern eine Vereinigung. Das führt dann natürlich auch zu der Frage, die jetzt durch Herrn Schäuble aktuell geworden ist, wie weit kann der deutsche Gesetzgeber diesen Vertrag eventuell mit verfassungs ändernder Mehrheit ändern. Dann müßte man aber behaupten, daß der Vertrag Bestandteil des deutschen Verfassungsrechts geworden sei, abgesehen von den sowieso verfassungsändernden Bestimmungen, was ich nicht glaube. Man müßte also weiter fragen, ob eine Verfügungsgewalt des deutschen Gesetzgebers über den Vereinigungsvertrag besteht. Es gibt da eine Vorgabe in bezug auf Coburg, wo durch die Kommunalreform in Bayern ein alter Vertrag über den Beitritt Coburgs zu Bayern aus den zwanziger Jahren verändert worden ist. Die Frage ist, ob so eine Verfügbarkeit besteht. Wenn man den Vereinigungsvertrag als staatsrechtlichen Vertrag ansieht, sehe ich keine allzu großen Schwierigkeiten, obwohl ich meine Zweifel auch daran hätte, aber bei einem völkerrechtlichen wäre das wahrscheinlich wegen des Untergangs der einen völkerrechtlichen Partei, die nicht durch den Vertrag aber im Vollzuge des Vertrages untergegangen ist, natürlich sehr schwierig. Fiedler: Ich muß meine Ausführungen etwas präzisieren. Ich habe diese völkerrechtliche Anerkennung nicht isoliert geschildert, sondern nur in dem konkreten historischen Zusammenhang der Beendigung der staatlichen Existenz der DDR in dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Denn parallel liefen ja die Verhandlungen über den Einigungsvertrag. Als der 2+4Vertrag geschlossen wurde, war schon klar, daß die DDR als Völkerrechtssubjekt aufhören würde, weiter zu existieren. Es sei denn, Herr Steiger, Sie wollten auf das Beispiel des völkerrechtlichen Scheintodes hinaus, und dafür gibt es ein durchaus naheliegendes Beispiel, nämlich Österreich zwischen 1938 und 1945. Die österreichische völkerrechtliche Staatsdoktrin behandelt diesen Fall im Sinne einer personalite dormante. Dies ist eine recht suspekte Kategorie, die aber aus praktischen Überlegungen resultierte: man mußte nicht einen Staat neu gründen, man konnte historisch anknüpfen. Es wurden dabei allerdings auch die Anerkennungen dieser Einverleibung durch viele andere Staaten negiert. Ich bin insgesamt dankbar, daß ich hier nicht über Österreich sprechen muß.
Diese Konstruktion scheint mir daher in bezug auf den Einigungsvertrag sehr gewagt zu sein. Denn notwendig taucht auch die Frage der Legitimität auf. Man muß sich da doch sehr überlegen, ob man mit derartigen Konstruktionen arbeiten soll, ich neige zur Skepsis. 15 Der Staat, Beiheft 12
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Brauneder: Kelsen hat, glaube ich, aus seinen Überlegungen um 1945 zu Deutschland Österreich auch ausgeklammert - interessanterweise, denn man könnte sich von Kelsen doch erwarten, daß ihm seine Heimat juristisch interessant gewesen wäre zu diesem Zeitpunkt. Willoweit: Ich wollte noch einmal auf das schöne Thema zurückkommen, das Herr Blaschke angesprochen hat. Ich glaube, wir müssen uns als historisch denkende Menschen jedenfalls vor dem Irrtum hüten, daß die Geschichte einen Rechtsstandpunkt bestätigt hat. Eine durch das Bundesverfassungsgericht innerstaatlich für die alte Bundesrepublik festgelegte Rechtsposition ist als historische Potenz existent gewesen, als ein Potential, das in einer geeigneten historischen Situation genutzt werden konnte, um eine Legitimitätskontinuität herzustellen. Bis zum Sommer 1989, als mit der ungarischen Grenzöffnung das ganze System im Osten ins Wanken geriet, hätten wir, wenn wir uns hier versammelt hätten, so wie wir heute gesprochen haben, nicht reden können. Ich war gerade im Sommer 1989 mit meinem Lehrbuch zur Deutschen Verfassungsgeschichte fertig und beim letzten Kapitel angekommen und stand vor der schwierigen Frage, wie ich die damals gegenwärtige Situation schildern sollte. Sie können in der 1. Auflage im letzten Absatz nachlesen, wie ich mit den Faktoren Recht und Macht, Geschichte und Veränderung jonglierte: Es gebe Rechtspositionen, über die das Gras der Geschichte wächst, weil vollkommen neue Formen, die vordem nicht denkbar waren, entstehen. Das war es, was sich abzeichnete. Daß es dann anders gekommen ist, daß man nun plötzlich diese Rechtsposition mit ihrem ganzen politischen Hintergrund reaktivieren konnte, war nicht Folge dieser Rechtsposition, sondern Folge geschichtlicher Veränderungen, vor allem der allmählichen Denaturierung des sozialistischen Systems mit einer inneren Legitimitätsschwäche, die in allen Ländern besonders auch außerhalb der DDR in Mittelosteuropa sehr stark spürbar war. Denn die Ideologie war seit längerem so gut wie tot. Dies zum Thema: Recht und Macht - man kann auch sagen: Recht und Geschichte. Das ist eine ganz schwierige Problematik und man muß sehen, daß man sich seine historische Perspektive dazu wahren kann.
Fiedler: Das ist ein Thema, das ich in dem Teil, den ich nicht vorgetragen habe, aufgegriffen habe. Man muß zwischen einzelnen Geschichtsepochen selbstverständlich unterscheiden. Wieweit die Geschichte durch das Recht beeinflußt wird, ist für das 19. Jahrhundert vielleicht anders zu sehen als für das 20. Im 20. Jahrhundert hat das Recht eine stärkere Wirkung als im 19. entfaltet, aber immer noch nicht die entscheidende, wenn es darum ging, historisch-politische Weichenstellungen vorzunehmen. Die Geschichte kann bestimmte Rechtspositionen nutzen, sie orientiert sich an bestimmten festgestellten Positionen, wie etwa der bedingungslosen Kapitulation 1945. Die
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maßgeblichen Entscheidungen werden auf einer anderen Ebene getroffen, da möchte ich Ihnen ganz zustimmen. Eigentlich kann ich nur bedauern, daß ich den Bereich der Verträge zwischen Bundesrepublik und DDR und der folgejuristischen Entscheidungen nicht weiter behandeln konnte, weil dies zeigen würde, daß wir uns eigentlich in einem juristischen Zeitalter befinden. Ein Zeitalter der Regelung durch juristische Normen, auch ihrer Verdrängung, wie ich schon an einer Stelle andeutete. Wir haben in kurzer Zeit eine Fülle von Gesetzen auf den Weg gebracht, die Aktivität der Volkskammer der DDR 1990 eingeschlossen. Das zeigt insgesamt, daß die juristische Seite der staatlichen Vereinigung stärker als früher zur Geltung kam. Ich kenne vielleicht zu wenig von den früheren Praktiken, aber eine vergleichbare Fülle des Ausstoßes von Normen ist vor 1989 kaum je erfolgt. Insofern haben wir es vielleicht doch mit einer historischen Umgewichtung im Verhältnis von Recht und Geschichte zu tun.
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Verzeichnis der Redner Barmeyer-Hartlieb 34f., 216 Battenberg 33 f. Baumgart 90 f., 92, 101, 103, 106, 129 f. Blaschke 29 f., 97 f., 132, 220 f. Borck 178 Brauneder 103 ff., 179, 182 f., 226 Fiedler 187f., 216, 217, 218f., 220, 22lf., 223 f., 225, 226 f. Heun 32 f., 180 Kohler 89f., 91, 95, 99, 100, 103, 134 Kölz 179f. Krüger 133 f., 178 f., 184 f., 222 f. Kunisch 88 Moraw 30 f., 32, 33, 34, 35 f., 36
Neugebauer 88f., 9lf., 95ff., 98f., 100f., 102, 127, 188 f. Neuhaus 127, 128, 129, 130 f., 133, 134 f. Ruppert 99f., 129 Schindling 92 ff., 132 Schmidt 90, 132 Schneider 36, 216 Steiger 133, 185 f., 217 f., 224f. Wadle 132f., 180f., 181, 182, 186f., 188, 189,219 f., 220 Willoweit 3lf., 102 f., 127 f., 179, 18lf., 184,226 Wolf 10lf.
Vereinigung für Verfassungsgeschichte Satzung § 1 1. Die Vereinigung für Verfassungsgeschichte stellt sich die Aufgabe:
a) Wissenschaftliche Fragen aus der Verfassungsgeschichte, einschließlich der Verwaltungsgeschichte, durch Referate und Aussprache in Versammlungen ihrer Mitglieder zu klären; b) Forschungen in diesem Bereich zu fördern; c) auf die ausreichende Berücksichtigung der Verfassungsgeschichte im Hochschulunterricht sowie bei staatlichen und akademischen Prüfungen hinzuwirken. 2. Sie verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung. 3. Sitz der Vereinigung ist Frankfurt am Main.
§ 2 Gründungsmitglieder der Vereinigung sind diejenigen Personen, die zur Gründungsversammlung am 4.10.1977 in Hofgeismar eingeladen worden sind und schriftlich ihren Beitritt erklärt haben.
§ 3 1. Mitglied der Vereinigung kann werden, wer
a) auf dem Gebiet der Verfassungsgeschichte, einschließlich der Verwaltungsgeschichte, seine Befähigung zu selbständiger Forschung durch entsprechende wissenschaftliche Veröffentlichungen nachgewiesen hat und b) an einer Universität bzw. gleichgestellten wissenschaftlichen Hochschule oder Hochschuleinrichtung als selbständiger Forscher und Lehrer, an einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut als selbständiger Forscher oder im Archivdienst tätig ist. 2. Das Aufnahmeverfahren wird durch schriftlichen Vorschlag von drei Mitgliedern der Vereinigung eingeleitet. Ist der Vorstand einstimmig der Auffassung, daß die Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft erfüllt sind, so verständigt er in einem Rundschreiben die Mitglieder von seiner Absicht, dem Vorgeschlagenen die Mitgliedschaft anzutragen. Erheben mindestens fünf Mitglieder binnen Monatsfrist gegen die Absicht des Vorstandes Einspruch oder beantragen sie münd-
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liche Erörterung, so beschließt die Mitgliederversammlung über die Aufnahme. Die Mitgliederversammlung beschließt ferner, wenn sich im Vorstand Zweifel erheben, ob die Voraussetzungen der Mitgliedschaft erfüllt sind. 3. In besonders begründeten Ausnahmefällen kann Mitglied der Vereinigung auch werden, wer die Voraussetzungen nach Abs. 1 lit. b nicht erfüllt. In diesem Falle wird das Aufnahmeverfahren durch näher begründeten schriftlichen Vorschlag von fünf Mitgliedern der Vereinigung eingeleitet. Über die Aufnahme entscheidet nach Stellungnahme des Vorstandes die Mitgliederversammlung mit 2/3 -Mehrheit der anwesenden Mitglieder.
§ 4 Die ordentliche Mitgliederversammlung soll regelmäßig alle zwei Jahre an einem vom Vorstand bestimmten Ort zusammentreten. In dringenden Fällen können außerordentliche Versammlungen einberufen werden. Auf Verlangen von 1/3 der Mitglieder ist der Vorstand verpflichtet, eine außerordentliche Mitgliederversammlung unverzüglich einzuberufen. Auf jeder ordentlichen Mitgliederversammlung muß mindestens ein wissenschaftlicher Vortrag mit anschließender Aussprache gehalten werden.
§ 5 Der Vorstand der Vereinigung besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern. Die Vorstandsmitglieder teilen die Geschäfte untereinander nach eigenem Ermessen. Der Vorstand wird am Schluß jeder ordentlichen Mitgliederversammlung neu gewählt; einmalige Wiederwahl ist zulässig. Der alte Vorstand bleibt bis zur Wahl eines neuen Vorstandes im Amt. Zur Vorbereitung der Mitgliederversammlung kann sich der Vorstand durch Zuwahl anderer Mitglieder verstärken. Auch ist Selbstergänzung zulässig, wenn ein Mitglied des Vorstandes in der Zeit zwischen zwei Mitgliederversammlungen ausscheidet.
§ 6 Der Beirat der Vereinigung besteht aus fünf Mitgliedern; die Mitgliederzahl kann erhöht werden. Der Beirat berät den Vorstand bei der Festlegung der Tagungsthemen und der Auswahl der Referenten. Die Mitglieder des Beirats werden von der Mitgliederversammlung auf vier Jahre gewählt.
§ 7 Zur Vorbereitung ihrer Beratungen kann die Mitgliederversammlung, in eiligen Fällen auch der Vorstand, besondere Ausschüsse bestellen.
§ 8 Zu Eingaben in den Fällen des § 1 Ziff. 2 und 3 und über öffentliche Kundgebungen kann nach Vorbereitung durch den Vorstand oder einen Ausschuß auch im Wege schriftlicher Abstimmung der Mitglieder beschlossen werden. Ein solcher Beschluß
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bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder; die Namen der Zustimmenden müssen unter das Schriftstück gesetzt werden.
§ 9 Der Mitgliedsbeitrag wird von der Mitgliederversammlung festgesetzt. Der Vorstand kann den Beitrag aus Billigkeitsgründen erlassen.
Verzeichnis der Mitglieder (Stand Ende Dezember 1997)
Vorstand 1. Barrneyer-Hartlieb, Dr. Heide, Professor, Historisches Seminar, Schneiderberg 50, D-30499 Hannover
2. Becker, Dr. Hans-Jürgen, Professor, Universität Regensburg, Universitätsstraße 31, D-93053 Regensburg 3. Schmidt, Dr. Georg, Professor, Universität Jena, Historisches Institut, D-07743 Jena
Beirat 1. Battenberg, Dr. Friedrich, Professor, Karolinenplatz 3, D-64289 Darmstadt
2. Borck, Dr. Heinz-Günther, Landeshauptarchiv Koblenz, Karmeliterstraße 1- 3, D-56068 Koblenz 3. Brauneder, Dr. Wilhelm, Professor, Institut für Österreichische u. Deutsche Rechtsgeschichte, Schottenbastei 10 -16, A-I0I0 Wien 4. Wadle, Dr. Elmar, Professor, Universität des Saarlandes, Im Stadtwald, D-66123 Saarbrücken 5. Wolf, Dr. Armin, Professor, MPI für europäische Rechtsgeschichte, Hausener Weg 120, D-60489 Frankfurt/Main
Mitglieder 1. Ableitinger, Dr. Alfred, Professor, Institut für Geschichte, Heinrichstraße 26, A-8010 Graz
2. Badura, Dr. Peter, Professor, Am Rothenberg Süd 4, D-82431 Kochel 3. Barrneyer-Hartlieb, Dr. Heide, Professor, Historisches Seminar, Schneiderberg 50, D-30499 Hannover 4. Battenberg, Dr. Friedrich, Professor, Karolinenplatz 3, D-64289 Darmstadt 5. Baumgart, Dr. Peter, Professor, Universität Würzburg, Am Hubland, D-97074 Würzburg 6. Becker, Dr. Hans-Jürgen, Professor, Universität Regensburg, Universitätsstraße 31, D-93053 Regensburg
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Verzeichnis der Mitglieder
7. Birke, Dr. Adolf M., Professor, 6 Westbourne Ferrace, W 26 QA GB-London 8. Birtsch, Dr. Günter, Professor, FB III Geschichte der Universität Trier, D-54286 Trier 9. Blaschke, Dr. Karlheinz, Professor, Am Park, D-01468 Friedewald 10. Blickle, Dr. Peter, Professor, Universität Bern, Engehaldenstraße 4, CH-3012 Bern 11. Blockmans, Dr. Wim, Professor, Rijksuniversiteit te Leiden, Postbus 9515, NL-2300 Leiden 12. Böckenförde, Dr. Ernst-Wolfgang, Professor, Türkheimstraße 1, D-79280 Au bei Freiburg 13. Boldt, Dr. Hans, Professor, Krafftgasse 1, D-79379 Müllheim 14. Borck, Dr. Heinz-Günther, Professor, Landeshauptarchiv Koblenz, Karmeliterstraße 1- 3, D-56068 Koblenz 15. Botzenhart, Dr. Manfred, Professor, Univ. Münster, Historisches Seminar, Domplatz 20 - 22, D-48143 Münster 16. Brandt, Dr. Harm-Hinrich, Professor, Institut für Geschichte der Universität Würzburg, Am Hubland, D-97074 Würzburg 17. Brandt, Dr. Hartwig, Priv.-Doz., Wilhelmstraße 19, D-35037 Marburg 18. Brauneder, Dr. Wilhelm, Professor, Institut für Österreichische u. Deutsche Rechtsgeschichte, Schottenbastei 10 -16, A-I0I0 Wien 19. Buschmann, Dr. Arno, Professor, Institut f. europ. u. vergl. Rechtsgeschichte, Churfürststraße 1, A-5020 Salzburg 20. Chittolini, Dr. Giorgio, Professor, Via Chiaravelle 7, 1-20122 Milano 21. Dann, Dr. Otto, Professor, Universität Köln, Hist. Seminar, Albertus-MagnusPlatz, D-50923 Köln 22. Dilcher, Dr. Gerhard, Professor, Kuckucksweg 18, D-61462 Königstein/Ts. 23. Dippel, Dr. Horst, Professor, Fachbereich 8 Anglistik/Romanistik, Georg-Forster-Straße 3, D-34127 Kassel 24. Dölemeyer, Dr. Barbara, Professor, MPI für europäische Rechtsgeschichte, HausenerWeg 120, D-60489 Frankfurt/Main 25. Duchhardt, Dr. Heinz, Professor, Alte Universitätsstr. 19, D-55116 Mainz 26. Eckert, Dr. Jörn, Professor, Universität Kiel, Juristisches Seminar, Olshausenstraße 40, D-24098 Kiel 27. Eisenhardt, Dr. Ulrich, Professor, Feithstraße 152, D-58097 Hagen 28. Endres, Dr. Rudolf, Professor, Universität Bayreuth, D-95440 Bayreuth 29. Fenske, Dr. Hans, Professor, Historisches Seminar, Werthmannplatz, D-79085 Freiburg 30. Fiedler, Dr. Wilfried, Professor, Universität Saarbrücken, D-66041 Saarbrücken 31. Fioravanti, Dr. Maurizio, Professor, Univ. degli Studi di Firenze, Piazza Indipendenza 9, 1-50129 Firenze 32. Frost, Dr. Herbert, Professor, Kringsweg 24, D-50931 Köln
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33. Frotscher, Dr. Werner, Professor, Institut f. Öffentliches Recht d. Philipps-Universität, Universitäts straße 6, D-35037 Marburg 34. Gall, Dr. Lothar, Professor, Universität Frankfurt FB 8, Senckenberganlage 31, D-60325 Frankfurt/M. 35. Gangl, Dr. Hans, Professor, Universitätsplatz 3, A-8010 Graz 36. Giesen, Dr. Dieter, Professor, FU Berlin, FB Rechtswissenschaften, Van't-HoffStraße 8, D-14195 Berlin 37. Grawert, Dr. Rolf, Professor, Universität Bochum, Fakultät f. Rechtswissenschaften, Universitätsstraße 150, D-44801 Bochum 38. Grimm, Dr. Dieter, Professor, Schloßbezirk 3, D-76131 Karlsruhe 39. Hamza, Dr. Gabor, Professor, Eötvös Lorand Universität, Egyetem ter 1- 3, H-1364 Budapest 40. Hartlieb v. Wallthor, Dr. Alfred, Professor, Auf den Bohnenkämpen 6, D-32756 Detmold 41. Hartmann, Dr. Peter Claus, Professor, Universität Mainz, FB Geschichtswiss., Saarstraße 21, D-55099 Mainz 42. Heckel, Dr. Martin, Professor, Lieschingstraße 3, D-72076 'lübingen 43. Heun, Dr. Werner, Professor, Universität Göttingen, Goßlerstraße 11, D-37073 Göttingen 44. Heyen, Dr. Erk Volkmar, Professor, Rechts- u. Staatswiss. Fakultät, Domstraße 20, D-17489 Greifswald 45. Höbelt, Dr. Lothar, Professor, Porzellangasse 19/4, A-I090 Wien 46. Hofmann, Dr. Hasso, Professor, Humboldt-Universität Berlin, D-I0099 Berlin 47. Hoke, DDr. Rudolf, Professor, Universität Wien, Schottenbastei 10 -16, A-I0I0 Wien 48. Isenmann, Dr. Eberhard, Professor, Universität Bochum, D-44780 Bochum 49. Ishibe, Dr. Masakuke, Professor, Sumiyoshiku Sugimotocho, Osaka, Japan 50. Ishikawa, Dr. Takeshi, Professor, Faculty of Law Hokaido- University Kita-ku, Kita 9, Nishi 7, Sapporo, Japan 51. Jahns, Dr. Sigrid, Priv.-Doz., Bommersheimer Weg 20, D-61348 Bad Homburg 52. Janssen, Dr. Wilhelm, Professor, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Kalkstraße 14, D-40489 Düsseldorf 53. Johanek, Dr. Peter, Professor, Universität Münster, Spiekerhofstraße 40/43, D-48143 Münster 54. Kern, Dr. Bernd-Rüdiger, Univ.-Prof., Universität Leipzig Juristenfakultät, OttoSchill-Str. 2, D-04109 Leipzig 55. Kleinheyer, Dr. Gerd, Professor, Universität Bonn, Adenauerallee 24 - 42, D-53113 Bonn 56. Klippel, Dr. Diethelm, Professor, Lehrstuhl f. Bürgerl. Recht u. Rechtsgeschichte, Universität Bayreuth, D-95440Bayreuth
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Verzeichnis der Mitglieder
57. Kohler, Dr. Alfred, Professor, Institut für Geschichte, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1, A-1010 Wien 58. Kölz, Dr. Alfred, Professor, Hirtenweg 20, CH-8053 Zürich 59. Koselleck, Dr. Reinhard, Professor, Universität Bielefeld, Postfach, D-33615 Bielefeld 60. Krieger, Dr. Karl-Friedrich, Professor, Universität Mannheim, Schloß M 404, D-68161 Mannheim 61. Kroeschell, Dr. Karl, Professor, Universität Freiburg, Alte Universität, Petershof, Schloßbergstraße 17, D-79085 Freiburg 62. Krüger, Dr. Peter, Professor, Universität Marburg, Wilhelm-Röpke-Straße 6 C, D-35039 Marburg 63. Kühne, Dr. Jörg-Detlef, Professor, Universität Hannover, Königswortherplatz 1, D-30167 Hannover 64. Kunisch, Dr. Johannes, Professor, Historisches Seminar Universität Köln, D-50923 Köln 65. Landwehr, Dr. Götz, Professor, Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 41, D-20148 Hamburg 66. Laufs, Dr. Adolf, Professor, Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft, Friedrich-Ebert-Platz 2, D-69117 Heidelberg 67. Lieberwirth, Dr. Rolf, Professor, Rainstraße 3 B, D-06114 Halle/Saale 68. Lingelbach, Dr. Gerhard, Professor, Friedrich-Schiller-Universität Jena, D-07740 Jena 69. Link, Dr. Christoph, Professor, Universität Erlangen, Katholischer Kirchenplatz 9, D-91054 Erlangen 70. Lottes, Dr. Günther, Professor, Justus-Liebig-Universität Gießen, Otto-BehaghelStraße 10, D-35394 Gießen 71. Luntowski, Dr. Gustav, Professor, Staatsarchiv Dortmund, Postfach 105053, D-44122 Dortmund 72. Mager, Dr. Wolfgang, Professor, Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, D33615 Bielefeld 73. Majer, Dr. Diemut, Professor, Welfenstraße 30, D-76137 Karlsruhe 74. Maleczek, Dr. Werner, Professor, Institut f. Österreichische Geschichtsforschung, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1, A-1010 Wien 75. Malettke, Dr. Dr. h.c. Klaus, Professor, Philipps-Universität Marburg, WilhelmRöpke-Straße 6 C, D-35032 Marburg 76. Mazzacane, Dr. Aldo, Professor, Ist. di storia dei diritto italiano, Mezzocannone 16,1-80133 Napoli 77. Menger, Dr. Christian-Friedrich, em. Professor, Pinsallee 109, D-48147 Münster 78. Modeer, Dr. Kjell A., Professor, Universität Lund, Juridicum, S-22105 Lund 1 79. Mohnhaupt, Dr. Heinz, Professor, MPI für europäische Rechtsgeschichte, HausenerWeg 120, D-60457 Frankfurt/Main
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80. Moormann van Kappen, Dr. Olav, Professor, Gerhard Noodt Instituut Faculteit der Rechtsgeleerdheid, Postbus 9049, NL-6500 KK Nijmegen 81. Moraw, Dr. Peter, Professor, Universität Gießen Historisches Institut, OttoBehaghel-Straße 10, Postfach 1114 40, D-35394 Gießen 82. Morsey, Dr. Rudolf, Professor, Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Postfach 1409, D-67324 Speyer 83. Mößle, Dr. Wilhelm, Professor, Heinrich-Heine-Str. 22, D-95447 Bayreuth 84. Murakami, Dr. Junichi, Professor, University of Tokyo, Faculty of Law, 7-3-1Hongo, Bunkyo-ku, 113 Tokyo, Japan 85. Mußgnug, Dr. Reinhard, Professor, Institut f. Finanz- u. Steuerrecht, FriedrichEbert-Anlage 6 - 10, D-69117 Heidelberg 86. Neschwara, Dr. Christian, Professor, Institut f. österreichische und deutsche Rechtsgeschichte, Schottenbastei 10 - 16, A-1010 Wien 87. Neugebauer, Dr. Wolfgang, Priv.-Doz., Woelckpromenade 2, D-13086 Berlin 88. Neuhaus, Dr. Helmut, Professor, Friedrich-Alexander-Universität, Kochstraße 4, D-91054 Erlangen 89. Oexle, Dr. Otto Gerhard, Professor, MPI für Geschichte, Hermann-Foege-Weg 11, D-37073 Göttingen 90. Pauly, Dr. Walter, Professor, Lehrstuhl f. Öffentliches Recht, Universtitätsplatz 10a, D-06108 Halle 91. Peterson, Dr. Claes, Professor, University of Stockholm, Faculty of Law, S-10691 Stockholm 92. Prodi, Dr. Paolo, Professor, Italienisch-deutsches historisches Institut, Via S. Croce 77, 1-38100 Trento 93. Putzer, Dr. Peter, Professor, Universität Salzburg, A-5101 Bergheim 311 94. Quaritsch, Dr. Helmut, Professor, Hochschule für Verwaltungswiss., Freiherrvom-Stein-Straße 2, D-67324 Speyer 95. Ranieri, Dr. Filippo, Professor, Lehrstuhl f. Europ. Privatrecht, Universität des Saarlandes, Postfach 15 1150, D-66041 Saarbrücken 96. Robbers, Dr. Gerhard, Professor, Universität Trier FB V, Rechtswissenschaften, Postfach 3825, D-54286 Trier 97. Rückert, Dr. Joachim, Professor, Lehrstuhl f. Jur. Zeitgeschichte u. Zivilrecht, Senckenberganlage 31, D-60054 Frankfurt/Main 98. Rudersdorf, Dr. Manfred, HDoz., Geschichte d. Frühen Neuzeit, FB 2, Universität Osnabrück, D-49069 Osnabrück 99. Ruppert, Dr. Karsten, Priv.-Doz., Am Unteren Schlittberg 19, D-67354 Römerberg 100. Russocki, Dr. Stanislaw, Professor, Uniwersytet Warszawski Instytut Historii Prawa ul. Krakowskie, Przedmiescie 26/28, PL-OO 927 Warszawa 101. Scheel, Dr. Günter, Professor, Am Okerufer 23, D-38302 Wolfenbüttel 102. Schiera, Dr. Pierangelo, Professor, Istituto Trentino Di Cultura, Via S. Croce 77, 1-38100 Trento
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Verzeichnis der Mitglieder
103. Schilling, Dr. Heinz, Professor, Humboldt Universität, Unter den Linden 6, D-10117 Berlin 104. Schindling, Dr. Anton, Professor, Eberhard-Karls-Universität Tiibingen, Wilhelmstraße 36, D-72074 Tiibingen 105. Schlaich, Dr. Klaus, Professor, Universität Bonn, Konrad-Adenauer-Allee 2442, D-53113 Bonn 106. Schlink, Dr. Bernhard, Professor, Endenicher Allee 16, D-53115 Bonn 107. Schmidt, Dr. Georg, Professor, Universität Jena, Historisches Institut, D-07743 Jena 108. Schneider, Dr. Hans, Professor, Ludolf-Krehl-Straße 44, D-69117 Heidelberg 109. Schneider, Dr. Dr. h.c. Hans-Peter, Professor, Universität Hannover, Königsworther Platz 1, D-30167 Hannover 110. Schneider, Dr. Reinhard, Professor, Univ. des Saarlandes FB 5, D-66041 Saarbrücken 111. Schott, Dr. Clausdieter, Professor, Dorfstraße 37, CH-8126 Zumikon 112. Schroeder, Dr. Klaus-Peter, Priv.-Doz., JuS Schriftleitung, Postfach 11 0241, D-60325 Frankfurt/Main 113. Schubert, Dr. Werner, Professor, Universität Kiel, Olshausener Straße 40, D-24118 Kiel 114. Schulze, Dr. Reiner, Professor, Universität Münster, Rechtswiss. Fakultät, Universitätsstraße 14-16, D-48143 Münster 115. Schütz, Dr. Rüdiger, Priv.-Doz., Historisches Institut, Kopernikusstraße 16, D-52074 Aachen 116. Spieß, Dr. Karl-Heinz, Univ.-Prof., Ernst Moritz Arndt Universität, Domstraße 9a, D-17487 Greifswald 117. Sprandel, Dr. Rolf, Professor, Institut für Geschichte, Am Hubland, D-97074 Würzburg 118. Stehkämer, Dr. Hugo, Ltd. Stadtarchivdirektor, Historisches Archiv der Stadt Köln, Severinstraße 222 - 228, D-50676 Köln 119. Steiger, Dr. Heinhard, Professor, Universität Gießen, Licherstraße 76, D-35394 Gießen 120. Stollberg-Rilinger, Dr. Barbara, Professor, Universität Münster, Domplatz 2022, D-48143 Münster 121. Stolleis, Dr. Michael, Professor, Universität Frankfurt, Senckenberganlage 31, D-60325 Frankfurt/Main 122. Ullmann, Dr. Hans-Peter, Professor, Wirtschaftswiss. Seminar d. Universität Tiibingen, Nauklerstraße 47, D-72074 Tiibingen 123. von Unruh, Dr. Georg-Christoph, Professor, Universität Kiel, D-24226 Heikendorf bei Kiel 124. Wadle, Dr. Elmar, Professor, Universität des Saarlandes, Im Stadtwald, D-66123 Saarbrücken
Verzeichnis der Mitglieder
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125. Wahl, Dr. Rainer, Professor, Institut für Öffentliches Recht, Werderring 10, D-79085 Freiburg i. Br. 126. Weis, Dr. Eberhard, Professor, Universität München, Geschwister-Scholl-Platz 1, D-80539 München 127. Weitzel, Dr. Jürgen, Professor, Universität Würzburg, Domerschulstraße 16, D-97070 Würzburg 128. Willoweit, Dr. Dietmar, Professor, Institut für Rechtsgeschichte, Domerschulstraße 16, D-97070 Würzburg 129. Wolf, Dr. Armin, Professor, MPI für europäische Rechtsgeschichte, Hausener Weg 120, D-60489 Frankfurt/Main 130. Würtenberger, Dr. Thomas, Professor, Institut für Öffentliches Recht, Postfach, D-79085 Freiburg 131. Wyduckel, Dr. Dieter, Professor, Technische Universität Dresden, Mommsenstraße 13, D-OI062 Dresden 132. Zlinsky, Dr. Janos, Professor, Verfassungsgericht der Republik Ungarn, Donati u. 35 - 45, H-1525 Budapest