Staat und Staatsangehörigkeit: Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit [1 ed.] 9783428428779, 9783428028771


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German Pages 277 [278] Year 1973

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Staat und Staatsangehörigkeit: Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit [1 ed.]
 9783428428779, 9783428028771

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ROLF GRA WERT

Staat und Staatsangehörigkeit

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 17

Staat und Staatsangehörigkeit Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit

Von

Rolf Grawert

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten

© 1973 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1973 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02877 5

Meinem Lehrer Ernst -Wolfgang Böckenförde

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 1972 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld als Habilitationsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet. Die Anregung zu dem Thema gab Herr Professor Dr. Dr. ErnstWolfgang Böckenförde. Ihm weiß ich mich für seine stete Förderung, für seinen Rat und die hilfreiche Ermunterung bei der Abfassung dieser Untersuchung in tiefem Dank verbunden. Dank schulde ich zudem Herrn Professor Dr. Jochen Abr. Frowein für die übernahme des Zweitgutachtens und für weiterführende Hinweise. Schließlich habe ich Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme auch dieier Arbeit in sein Verlagsprogramm zu danken. Bielefeld, im Januar 1973

Rolf Grawert

Inhallsverzeichnis 19

Einleitung Erster Teil

Die Angehörigkeitsbeziehungen im Alten Reich Die Staatsangehörigkeit setzt den Staat voraus (21) - "Staat" und "Staatsangehörigkeit" als historische Kategorien (22) 1. Kapitel Pluralität und Verdichtung der Angehörigkeitsbeziehungen § 1 Die Angehörigkeitspluratität nach Reichs- und Landesrecht ........

1. Wortgeschichtliche Periodisierung .............................. "Staatsangehöriger", "Staatsbürger", "Staat" (22) - Grenzen dogmatischer Parallelen (23)

21

22 22 22

2. Waldecks Statusstreit als Beispiel .............................. 25 Herrschaftsbeweise (25) Gemengelage verschiedenartiger Rechtsbeziehungen (26) 3. Landesherrliche Angehörigkeitsklassen ........................ 26 Im Reichsrecht (26) - im Landesrecht (28) 4. "Untertan" als Genusbegriff .................................. 28 Untertänigkeitsvielfalt (28) - Konzentrationstendenz (29) § 2 Landesherrschaft und Ständeordnung ............................

1. Herrschaftspluralität im Land.... . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. Landesherr, Herrschaftsstände (30)

30 30

2. Herrschaftskonzentration ...................................... 32 Grundlagen und Instrumente (32) 3. Schwerpunkte der Konzentration .............................. 33 jurisdictio territorialis (33) - Gesetzgebung (34) - Einordnung der Stände (35) 4. Konsolidierung im Westfälischen Frieden 36 Landesoberkeit, Landeshoheit (36) § 3 Die Zuordnung der Untertänigkeit auf den Landesherrn ..........

1. Abgrenzung zur Reichsuntertänigkeit .......................... Französisches Vorbild (37) - Bedeutung der Reichsuntertänigkeit (38) - Reichsmittelbarkeit (39)

2. Vereinheitlichung und Differenzierung der landesherrlichen Untertänigkeit ................................................... Vorrang der Untertänigkeitsbeziehungen zum Landesherrn (40) Ständegliederung als Binnengliederung (40) - Grunduntertänigkeit (41) - Mehrländerherrschaft und Indigenate (42)

37 37

39

Inhaltsverzeichnis

10

3. Zwischenstaatsrechtliche Eingrenzung .......................... 43 "Untertan" in Verträgen (43) - Bündnishoheit (44) - Landesherrliches Bündnismonopol als Inlandsvoraussetzung (44) § 4 Vasall, Schutzgenosse, Untertan ..................................

1. Lehnsbeziehungen ........ ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

45 45

Der Vasall als Untertan (45) - Lehnsstrukturen und Landesherrschaft (46) 2. Statusangleichungen ...... ,.................................... 47 Personalität und Verdinglichung (48) - Außenlehen (49) - Kompatibilität von Landes- und Lehnsangehörigkeit (49) - landsässige Lehen (50) 3. Allegiance in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 50 subject als homo ligius (51) - Personale Bindung an den König (51) - Effektivität des Königsschutzes (52) 4. Schutzangehörigkeit ........................................... 53 "Schutz und Schirm gibt keine Obrigkeit" (53) - Schutznahmeverbote (53) - Ambivalente Auswirkungen der Schutzangehörigkeit (54) § 5 Stadtangehörigkeit und Landesuntertänigkeit ....................

1. Strukturen der Stadtangehörigkeit ............................

2. 3. 4. 5. 6.

56 56

Verhältnis von Stadt- und Landesangehörigkeit (56) - Bürgerverband (57) - Rat, Angehörigkeitsklassen (57) - Einbürgerungspolitik (58) Landesherrliche Angehörigkeitsreglementierung ................ 58 Mißverhältnis von Bürgern und Beisassen (58) - Bettel- und Armenproblem (59) - Landesausbau (59) Angehörigkeitsbestimmungen in Württemberg .................. 60 Einbürgerungskompetenz ...................................... 61 Stadtautonomie (61) - Landesherrliche Intervention (61) Mehrfachbürgerschaften ....................................... 62 Inkompatibilitätsgründe (62) - Landesherrschaft als Angehörigkeitsrahmen (63) Armenheimat ................................................. 63 Ortsdomizil (63) - Landesdomizil ? (64) 2. Kapitel

Begründung, Beendigung und Ausformung der Landesuntertänigkeit

65

§ 6 Eingeborene und eingesessene Landesuntertanen im Landesrecht

65 65

1. Grundzüge der nichtständischen Angehörigkeitsmaßstäbe .;....

Vorüberlegung (65) - Ansässigkeit und Bevölkerungsfluktuation (65) - Peuplierung, Einbürgerung (66) - überfremdung (67) - Vagabunden (68) 2. Die Landeseingeborenen ...................................... 69 Indigenatsberechtigte in Mecklenburg-Schwerin (69) - in Preußen-eleve (69) - Militär- und Gerichtspflicht (70) - Funktionelle Begriffsunterschiede (71) 3. Untertänigkeit und Nachsteuerpflicht .......................... 71

Inhaltsverzeichnis

11

4. Untertänigkeit und armenrechtliche Zuordnungen. . . . .. .. . . . . .. 73 Bayerische Bettelmandate (73) - Geburtsort (74) - Inländer und Ausländer (74) 5. Zusammenfassung ............................................ Punktualität und Unvollkommenheit der Angehörigkeitsmaßstäbe (75) - Ergänzung der Ständeordnung (76)

75

6. Franzoseneigenschaft beim droit d'aubaine Funktion (76) - ius soli und sanguinis (77)

76

§ 7 Die Funktion des Landes als Angehörigkeitsrahmen ..............

1. Vorüberlegung ................................................

78 78

Vordringen territorialstaatlicher Angehörigkeitskriterien (78) Landeshuldigung (78) - domicilium facit subditum (79) 2. Territorialherrschaft .......................................... 79 Territorium (79) - jurisdictio (80) - Tendenz zum territorium clausum (81) 3. Eingrenzungen ................................................ 81 Eingeschlossene Herrschaften (81) - Französische Randprovinzen (82) - Das "Land" als Realitäts- und Effektivitätsnachweis der Herrschaft und des Gehorsams (83) 4. Domizil ....................................................... 83 Domizilskriterien (83) - Landsässigkeit (85) 5. Der Angehörigkeitsgrund der Domizilierung .................... 86 Freiwilligkeit und Individualität (86) - Unterwerfungsvertrag (87) - Okkupation und Angehörigkeit (87) - Untertänigkeitsbegründung bei Kindern (88) - domicilium originis (88) - Abstammungsprinzip (89) - Zusammenfassung (90) § 8 Auswanderung und Staats austritt ................................

1. Hobbes' Lehre ................................................

Grenzübertritt als "natürliche" Herrschaftsentbindung (90) Angehörigkeitswechsel oder Suspendierung der Herrschaftsausübung? (91) - Untertänigkeit als Gegenseitigkeitsbeziehung auf Dauer (91) - Vergleich mit den Domizilslehren (92)

90 90

2; Zugfreiheit .................................................... 94 Reichs- und Landesrecht (94) - Natur- und Vertragsrecht (95) Absolute Auswanderungsgründe: Vattel (96) 3. Auswanderungsgrenzen ........................................ 98 Vertragsbindungen (98) - Staatsidentität und Bevölkerungsfluktuation (98) - Verteidigungskraft (98) - Unzeitgemäße und massenhafte Auswanderungen (99) 4. Nachsteuer .................................................... 99 Auswanderungsregulativ (100) - Rechtfertigungen des Instituts (100) - Bedeutung für den Ausbau der Landeseinheit (101) § 9 Die landesunmittelbaren Untertanenpositionen von Treue, Gehorsam und Schutz .................................................. 102

1. Vorbemerkung ................................................ 102

Zusammenhang von Status und Rechtspositionen (102) - Treue, Gehorsam und Schutz als archetypische Strukturmerkmale (103) - Historisches Differenzierungsgebot (103)

12

Inhaltsverzeichnis 2. Ständisch und vertraglich gebundene, konkrete und überständisch-allgemeine Ausformungen von Treue und Gehorsam ...... 3. Treuepflicht ................................................... Bindungsintensität (105) - Schadensabwendung und Hilfe (105) - Hilfe im Krieg (106) - Befohlene Treue (106) 4. Gehorsamspflicht .............................................. Gehorsam als typische Untertanenpflicht (107) - Hierarchiemodell (107) - Gehorsam und Widerstand (108) - Arnisaeus (108) - Herrschaftsschranken (109) - Ungemessener Gehorsam (109) 5. Der Schutz der Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Wechselseitigkeit von Schutz und Gehorsam (110) - Schutzumfang (111) - Gericht und Gerechtigkeit (112) - Daseinsvorsorge (112) - Verteidigung (113) - Grenzen der Schutzpflicht (113)

104 105 107

110

§ 10 Zusammenfassende und abgrenzende Bemerkungen zum !rühneuzeitlichen Untertanenstatus ...................................... 114 1. Bodins Angehörigkeitslehre .................................... 114

Angehörigkeitsskala (114) - citoyen (115) - subiect (116) 2. Zusammenfassung der Strukturmerkmale des "eigentlichen" landesherrlichen Untertans .................................... 117 3. Gebietsuntertänigkeit ......................................... 119 Altenburger Verfassung (119) - subditus temporarius (120) eigentliche, zeitliche, quantitative Untertänigkeit (121) - Schlußbemerkung (121) Zweiter Teil

Die Grundlegung der modernen staatsangehörigkeit

123

1. Kapitel Die Staatsangehörigkeit im Zusammenhang der Standes-, Rechts- und Staatsvereinheitlichung

124

§ 11 Der Preußische Staatsuntertan im Allgemeinen Landrecht ........ 124

1. Begriffsparallelen im ALR und im Westgalizischen Gesetzbuch .. 124

Staatsbürger (124) - Einwohner (126) - Antiständische Tendenz (127) - Untertan im Völkerrechtsverkehr (128) 2. Angehörigkeitseinheit und Staatseinheit ........................ 128 Einheit der Herrschaft im Mehrländerstaat (128) - Rechtsvereinheitlichung (129) - Staatsschutz (130) - Innerstaatliche Freizügigkeit (130) 3. Grundsätze für Erwerb und Verlust der Untertänigkeit im ALR 131

§ 12 Vorn armenrechtlichen Staatsheimatsrecht zur politischen Staatsangehörigkeit .................................................... 133

1. Der Staat als Heimat .......................................... 133

Bevölkerungsbewegung (133) - Auflösung der ständischen Sozialordnung (134) - Organisation der Armenpflege (135) 2. Zwischenstaatliche "Staatsangehörigkeit" ...................... 135 Verteilung der Heimatlosen aufgrund zwischenstaatlicher Verträge (135) - Begriffsbestimmungen der "Staatsangehörigen" (136) - Heimatrecht der Staatsuntertanen (137) - Rangfolge der

Inhaltsverzeichnis

13

Heimatberechtigten (137) - Nebeneinander von Untertänigkeit und Staatsangehörigkeit (138) 3. Entwicklung in Preußen ...................................... 140 Anstöße zur Präzisierung der Angehörigkeit (140) - Staatsvertragspraxis (140) - Kommunale und staatliche Heimat (141) Unterstützungswohnsitz (142) - Der Preußische Untertan von 1842 (142) 4. Vergleich mit der Schweizer Entwicklung ...................... 143 Verfassung von 1798 (144) - Reföderalisierung und Kommunalisierung (144) - Interkantonale Maßnahmen gegen die Heimatlosigkeit (145) - Verfassung von 1848 (145) § 13 Die allgemeine Staatsbürgerschaft in Östen·eich .................. 146

1. Der private Staatsbürger ...................................... 146 Rechtsgleichheit (146) - Leibeigene (146) - Staatsbürgergesellschaft (147) 2. Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft .................... 143 Erwerb (148) - Fremdenrechtliche Gleichstellungen (149) Verlust (149)

3. Generalisierung und Unitarisierung der Staatsbürgerschaft ...... 150 Monarchischer Untertan (150) - Partikularistische Widerstände (150) Innerstaatliches Retorsionsrecht und Gesetzgebungshoheit (150) - Inkraftsetzung des ABGB (151) - ÖsterreichUngarische Angehörigkeit (152) 4. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153 Internationalprivatrechtliches staatsangehörigkeitsprinzip: Entstehung der §§ 4, 34 ABGB (153) - Bedeutung des Wohnsitzes: Domizilprinzip oder Verweis auf die Staatsangehörigkeit (154) § 14 "Francais", "citoyen" und die Entstehung des doppelten Staatsbürgerbegriffs .................................................... 156

1. Die Franzoseneigenschaft in den Konstitutionen ................ 156 "Fran~ais" als Ausdruck der Nationaleinheit (156) Angehörigkeitskriterien der Konstitution von 1791 (156) - Funktionen der Franzoseneigenschaft (157) Doppelbedeutung des "citoyen Fran~ais" (158)

2. Die Franzoseneigenschaft im Code Civil ........................ 159 droit civil (159) - ius soli und sanguinis als bevölkerungspolitische Instrumente (159) - Grundzüge der Angehörigkeitsnormen (160) - Ausblick (161) 3. Der "citoyen" ................................................ 162 Der citoyen actif (162) - Erwerbs- und Verlustregeln (163) Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft; Internationalismus (163) 2. Kapitel Die Entwicklung in Deutschland 164 § 15 Staatstheoretische und -rechtliche Entfaltung des staatsbürgerlichen Angehörigkeitsverbandes .................................. 164

1. Staatsbürger-Rezeption in Deutschland ........................ 164 Vorbilder (164) - Begriffsvarianten (165) - Kants Staatsbürgerbegriff (165) Die angehörigkeitsrechtliche Auffassung: Der Staatsbürger als Verbandsangehöriger (166) - Vergleichsüberblick (168)

14

Inhaltsverzeichnis 2. Staatstheoretische Folgerungen ................................ 168 Vom Räsonnement zur Mitwirkung (168) - Zeitgebundene Kompromisse (169) - Verbreiterung und Generalisierung der Mitgliedschaft (170) 3. Anlässe und Motive der Umsetzung in den Verfassungskontext 172

§ 16 Staatsangehörigkeitsverhältnisse in den deutschen Bundesstaaten 174 1. Die Angehörigkeits- und Status regeln der Bundesstaatsverfas-

sungen ........................................................ 174 Vorbemerkung (174) - Der nassauische staatsangehörige (175) Bayern (175) - Hessen, Kurhes;en, Altenburg (176) - Braunschweig, Hannover, Coburg-Gotha (177) - Staatsbürger und Untertanen (177)

2. Staatsangehörigkeit und Indigenat ............................ 178 "Staatsangehöriger" (178) - Indigenat (179) - Zweigleisigkeit des Angehörigkeitsrechts (181) - Die Staatsangehörigkeit als Voraussetzung der Wahlberechtigung zur Nationalversammlung (181) 3. Erwerbs- und Verlustregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183 Gegenstandsbereich (183) - Erwerbsgründe (184) - Verlustgründe (186) 4. Leitgedanken der Angehörigkeitsregeln ........................ 187 Angehörigkeitseinheitlichkeit (187) - Angehörigkeitswille (188) Vertragskonzept und Staatsräson (188) - Schutz und Treue (189) - Bedeutung des Landes (189) - Gebietsabtretung (190) - iussoli-Prinzip (190) - ius-sanguinis-Prinzip (191) - Natürliche und dekretierte Angehörigkeitsmaßstäbe (191) 5. Schlußbemerkung .............................. . .............. 192 § 17 Vom Bundesindigenat zur Reichs- und Staatsangehörigkeit . ....... 193 1. Das "Bundesindigenat" im Deutschen Bund .................... 193

Abgrenzung zum Alten Reich (193) - Art. 18 der Bundesakte (194)

2. Die Deutscheneigenschaft in den Beratungen der Nationalversammlung .................................................... 195 Der "Deutsche" als Grundrechtsträger (195) - Zusammenhang mit der Struktur des Reiches (195) - Föderalistische Lösung (196) - Unitarische Lösung (197) - Deutschland (198) - Kultur- und Staatsnation (198) 3. Die Rechtslage im Norddeutschen Bund ........................ 199 Bundesindigenat und gemeinsames Indigenat (200) - Rechtseinheit im Bund (202) 4. Das Bundes- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1870 .......... 202 Normative Angehörigkeitsvereinheitlichung (202) - Erwerbs- und Verlustregeln (203) - Partielle Leitfunktion der Bundesangehörigkeit (204) 5. Die Staatsangehörigkeit im Bundesstaat ...................... 205 Unteilbarkeit und Ungemessenheit von Treuepflicht und Angehörigkeit (205) - v. Seydel und Zorn (206) - Zweifache Staatsangehörigkeit (208) - G. Jellinek, Haenel, Hatschek (209) Laband (210)

Inhaltsverzeichnis

15

6. Zusammenfassende überlegungen .............................. 211 Kritik der bundesstaatlichen Angehörigkeitslehren (211) Staatsangehörigkeit und Nationaleinheit (212) - Die Frage der Staatskontinuität (212) Dritter Teil

Strukturen des Staatsangehörigkeitsverhältnisses

213

§ 18 Entwicklungsgeschichtliche und strukturelle Leitlinien ............ 213

1. Strukturmerkmale ............................................ 213 2. Maßstäbe der Angehörigkeit ................... ,.............. 215 § 19 Unmittelbarkeit und Personalität ................................ 216

1. Die Staatsunmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 216

Bedeutung und Auswirkung (216) hörigkeit im Bundesstaat (217)

Mediatisierte Staatsange-

2. Die Person als Subjekt und Objekt der Staatsangehörigkeit .... 218 Personalhoheit (218) - Staatsangehörigkeitswechsel infolge Gebietswechsel (219) - Plebiszit. Option (221) - Staatsangehörige als Bestandteile der Herrschaftsgewalt (222) 3. Die Totalität der Einbindung .................................. 222 Intensitätsstufen (223) - Anknüpfungen (223) - Insbesondere: Geburt im Land; Domizilierung (224) - Religion, Nation u. ä. (224) - Staatliche Regelungshoheit (225) 4. Die Gegenseitigkeit des Angehörigkeitsverhältnisses ............ 225 Verhältnis zwischen Personen (226) - Das Angehörigkeitsverhältnis als "Rechtsverhältnis" (227) - Das Angehörigkeitsverhält- . nis als "Gewaltverhältnis" (228) - Umdeutung der Angehörigkeitsrechte in Staatsaufgaben (229) - Abstraktheit der Untertänigkeit (229) - Staatsangehörigkeit als Mantelverhältnis (231) § 20 Beständigkeit, Ausschließlichkeit und Effektivität ................ 232

1. Beständigkeit ................................................. 232

Lehnsrecht (232) - Englisch-amerikanischer Angehörigkeitskonflikt (233) - Auswanderungsfreiheit und Entlassung aus der Staatsangehörigkeit (234) - Dauerverhältnis (235) 2. Ausschließlichkeit ............................................. 235 Vorbemerkung (235) - Das Reich (236) - Domizilslehren (237) -'civitas (237) - Römisches Vorbild (238) Vertikale Stufung (239) 3. Mehrfache Staatsangehörigkeiten ............................. 239 Absolutheit des Staates (239) - Staatliches Gewaltmonopol (240) - Individuelle Treuekonflikte (240) - Metaphysische Schranken (241) - Krieg und Militärpflicht (241) - Unbedenkliche Mehrfachangehörigkeiten (242) - Globale und funktionale Betrachtung (243) 4. Effektivität ................................................... 244 Fall Nottebohm (245) - Schutzrecht und Staatsangehörigkeit (245) § 21 Ausblick ......................................................... 246

Literaturverzeichnis ..................... . ................. . ........... 250 Sachverzeichnis ....................................................... 273

Abkürzungsverzeichnis ABGB A.C. add. AGO ALR AöR BGBL c. C.C. C.C.M. chap. C.I.J.Rec.

cl. Cod. Dek1. Dig. Diss. DJZ ed. GBL GS GVBl. GVS HZ IPM IPO JRA Jb. Jg. JZ 1. m. MdI MinBl. n.

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie The Law Reports, Appeal Cases additio Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Archiv des öffentlichen Rechts Bundesgesetzblatt capitulum Code Civil Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum chapter, chapitre Recueil des arrets, avis consultatifs et ordonnances de la Cour internationale de Justice classis Codex Deklaration Digesten Dissertatio Deutsche Juristen-Zeitung editio(n) Gesetzblatt Gesetz-Sammlung Gesetz- und Verordnungs-Blatt Gesetz- und Verordnung-Sammlung Historische Zeitschrift Instrumentum Pacis Monasteriense Instrumentum Pa cis Osnabrugense Jüngster Reichsabschied Jahrbuch Jahrgang Juristen-Zeitung liber, livre membrum Minister des Innern Ministerialblatt nota

Abkürzungsverzeichnis N.C.C. N.F. NJW N.StR. obs. p. qu. RA Rec. RegBl. Reskr. RGBL sect. Slg. Sp. StRegBl. Suppl. th. Tit.

v.

VO

WK

ZaöRVR

17

Mylius, Novum Corpus Constitutionum Prussico - Brandenburgensium praecipue Marchicarum Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Neues Staatsrecht (von Johann Jacob Moser) observatio pars, pagina quaestio Reichsabschied Recueil Regierungs-Blatt Reskript Reichsgesetzblatt sectio Sammlung Spalte Staats- und Regierungs-Blatt Supplement thesis Titel versus, von Verordnung Wahlkapitulation Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Einleitung Die gegenwärtige Rechtslage Deutschlands hat die Bedeutung der Staatsangehörigkeit wieder in das allgemeine, auch in das allgemeine rechtswissenschaftliche Bewußtsein rücken lassen. Die Irregularität dieser Lage entzieht sich schematischen Deutungen und der Technizität jener Erwerbs- und Verlustregeln, die in zahlreichen Darstellungen die Materie des Staatsangehörigkeitsrechts ausmachen. Infolgedessen ist es erforderlich, die Grundlagen neu zu überdenken, die die Angehörigkeitsbeziehungen eines Menschen zu einem Staat bestimmen, nach den Funktionen der Staatsangehörigkeit zu fragen sowie ihre sozialen und politischen Prämissen und Konsequenzen aufzudecken. Ein solches Unternehmen führt sehr bald zu der Einsicht, daß das Staats angehörigkeitsrecht in besonderem Maße der Tradition verhaftet und von ihr nach Form und Inhalt geprägt ist. Es bezieht seine Maßstäbe im Wesentlichen aus den Strukturen des Staates und der Staatengesellschaft, die Ergebnis einer langen Geschichte sind, und ist ohne diesen historischen Zusammenhang nur verkürzt zu verstehen. Ihn aufzuzeigen, ist die Aufgabe dieser Untersuchung. Nach der heutigen Rechtssystematik ressortiert das Staatsangehörigkeitsrecht im Staatsrecht, im Völkerrecht und im Internationalen Privatrecht, die es aus je spezifischen Interessengesichtspunkten behandeln. Entwicklungsgeschichtlich ist diese Aufschlüsselung ein relativ später Vorgang, kann also nicht als Untersuchungsmaxime dienen. Als das Völkerrecht und das Internationale Privatrecht die Staatsangehörigkeit übernehmen, ist sie als Institution der Staatsordnung bereits ausgebildet. Auf welche Weise die Entwicklung der Staatsangehörigkeit mit der des Staates überhaupt verknüpft ist, wird näherhin darzustellen sein. Der Untersuchung liegt also eine verfassungsgeschichtliche Fragestellung zugrunde; sie betrifft die staatsrechtliche Seite der Staatsangehörigkeit, der gegenüber ihre völker- und internationalprivatrechtliche Relevanz zurücktri tt. Wenn damit die Beurteilung der Gegenwartsprobleme des Staatsangehörigkeitsrechts sachgemäß vorbereitet und gefördert werden soll, hilft es wenig, die heutigen Fragestellungen und systematischen Maßstäbe vorauszusetzen; die Gefahr, auch die heutigen Antworten zu erhalten, liegt auf der Hand. Vielmehr soll versucht werden, Bedeutung und Funktion der Staatsangehörigkeit aus dem jeweiligen zeitgenös2·

20

Einleitung

sischen Kontext zu begreifen. Dazu genügt es nicht, die die Angehörigkeit betreffenden Rechtsformen zu erfassen und aneinanderzureihen; insoweit strebt diese Untersuchung keinerlei Vollständigkeit an, weil sie keinen Gesichtspunkt aufzeigen könnte, der eine derartige Statistik sinnvoll erscheinen ließe. Statt dessen soll strukturgeschichtlich vorgegangen werden, damit der jeweils adäquate Stellenwert der Staatsangehörigkeit im politischen System und sozialen Gefüge faßbar wird. Um die zeitgenössischen Vorstellungen über die Staatsangehörigkeit bzw. ihre Vorläufer aufzuzeigen, die eher auf eine "moderne" Ausprägung zulaufen als die Rechtspraxis, werden bewußt Literaturnachweise kumuliert; insbesondere sollen Schulliteratur und Epigonenmeinungen die Häufigkeit und Verbreitung von Ansichten belegen. Dieses Programm macht es erforderlich, regionale Schwerpunkte zu setzen; im europäischen Rahmen steht Deutschland auch thematisch im Mittelpunkt; damit soll zugleich dem von Makarov1 festgestellten Desiderat einer Geschichte des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts entgegengekommen werden. Die Darstellung, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt und Staaten unterschiedlicher Rechtsstruktur umfaßt, begegnet von vornherein Schwierigkeiten der Nomenklatur, die in der Sache selbst liegen: Vielfalt der Rechtsbeziehung, Vielfalt der Statusbezeichnungen. über den verschiedenen Quellenbegriffen sei deshalb der neutrale Oberbegriff "Angehöriger" bzw. "Angehörigkeit" eingeführt. Er hat mit dem im Reichsrecht zuweilen anzutreffenden Begriff nichts gemein. In der modernen Wissenschaftssprache hat vor allem Lorenz v. Stein2 "Angehörigkeit" benutzt, um ein auf Dauer angelegtes Zuordnungsverhältnis einer Person zu Staat, Kirche, Gemeinde u. ä. m. zu bezeichnen. Eine weitere terminologische KlarsteIlung ist erforderlich: Das Ende der Monarchie hat den Streit überliefert, ob die Angehörigkeit ein Status oder ein Rechtsverhältnis ist. Juristisch ergeben sich aus der Alternative keine Folgerungen; für den verfassungsgeschichtlichen Untersuchungszeitraum ist sie unfruchtbar. Um dennoch Mißverständnissen zu entgehen, sei der allgemeinere Statusbegriff der Soziologie3 benutzt, der die - näher zu beschreibende - Stellung eines Individuums in einem sozialen System bezeichnet; im gleichen Sinne wird der Begriff "Position" verwendet. Im folgenden werden zunächst die Angehörigkeitsbeziehungen im Alten Reich erörtert (Teill); sodann wird die Grundlegung der modernen Staatsangehörigkeit verfolgt (Teil 2); schließlich sind die wesentlichen Strukturen der Staatsangehörigkeit systematisch darzustellen (Teil 3). 1 2 3

Makarov, Kommentar, S. 17. L. v. Stein, Handbuch (1. Auf!.), S.63; ders., Handbuch II, 3. Auf!., S.43. Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 60 ff.; Claessens, Rolle, S. 15 ff., 46 ff.

Erster Teil

Die Angehörigkeitsbeziehungen im Alten Reich Die Staatsangehörigkeit setzt den Staat voraus. Dieser Satz steht am Anfang jeder systematischen Erörterung der Staatsangehörigkeit. Er trägt die moderne Staatsangehörigkeitslehre in doppelter Hinsicht, nämlich insoweit er davon ausgeht, daß ein Staats gebilde vorhanden ist, auf das sich die Angehörigkeit beziehen kann, und insoweit er ausdrückt, daß der Staat die Bedingungen der Angehörigkeit an sich festlegt. Infolgedessen hat jede Erörterung der Staatsangehörigkeit vorab zu klären, ob ein Gebilde, das jemanden als einen Staatsangehörigen beansprucht und zu dem jemand Staatsangehörigkeitsbeziehungen behauptet, ein Staat ist, ob es die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kriterien der Staatlichkeit erfüllt. Diese Ausgangsfrage führt auch im modernen Völkerrecht keineswegs auf allseits gesicherten Boden, weil insbesondere föderierte Gebietskörperschaften, kolonialisierte und protektionierte Länder sowie Staats sezessionen, Gebilde mithin in den Grauzonen zwischen Staatlichkeit und Nichtstaatlichkeit, Völkerrechtsunmittelbarkeit und -mittelbarkeit, Stabilität und Zerfall, die Problematik ihrer Rechtslage auf die Angehörigkeitsverhältnisse übertragen1 . Doch sind gerade diese atypischen Fälle geeignet, das Verständnis für die Entstehungsgeschichte der Staatsangehörigkeit zu schärfen. Denn sobald man die Ordnung der modernen Staatenwelt verläßt, verliert jener Satz, daß die Staatsangehörigkeit den Staat voraussetzt, seine unmittelbare Evidenz und muß sich aus der Entwicklungsgeschichte des Staates selbst rechtfertigen. Als heuristisches Prinzip der Verfassungsgeschichte der Staatsangehörigkeit ist er nämlich insoweit zu kurz, als er die Möglichkeit einer gleichzeitigen Entstehung von Staatlichkeit und Staatsangehörigkeit außer acht läßt und von vornherein den Blick dafür verstellt, die Staatsangehörigkeit als Integrationsmittel des Staates anzusehen. 1 Vgl. die übersicht bei Makarov, Allg. Lehren, S. 31 ff. Zum Beispiel Danzig nach 1919 u. zur Kondominiumsangehörigkeit seiner Bewohner vgl. Hansjörg JeHinek, Erwerb, S.227 m. w. Nachw.

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1. Teil, 1. ~ap.: Im Alten Reich: Pluralität u. Verdichtung

Diese Fragestellungen erübrigen sich freilich, wenn man den Staat als geschichtslose, apriorische Ordnung des menschlichen Zusammenlebens betrachtet. Davon gehen sowohl Rehm, von dem die erste geschichtliche Darstellung der Staatsangehörigkeit in Deutschland stammt, wie Makarov aus, der seine "Allgemeinen Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts" mit der Feststellung einleitet2 : "Die Staatsangehörigkeit besteht so lange wie der Staat selbst, denn in allen Zeitabschnitten der Geschichte der Menschheit haben die Staaten, welche auch ihre Form gewesen sein mag, ein persönliches Substrat gehabt". Anstatt demgegenüber erneut3 den modernen Staat als spezifische Hervorbringung der Neuzeit zu entfalten und von vorhergehenden politischen Ordnungsstrukturen abzuheben, anstatt einen wissenschaftstheoretischen und einen verfassungsgeschichtlichen Begriff des Staates zu diskutieren, sei auf die folgenden Darstellungen der Angehörigkeitsbeziehungen im Alten Reich verwiesen, die über die Aussagekraft einer apriorischen Staatsangehörigkeit entscheiden mögen. Dort ist zunächst die Angehörigkeitspluralität im Reichs- und Landesrecht darzustellen, die von nichts weiter entfernt ist als von der Staatsangehörigkeit im heute verstandenen Sinne. Danach ist das Verhältnis der Standesangehörigkeit und der Untertänigkeit zur Landesherrschaft zu klären, die das Zentrum der entstehenden staatlichen Ordnung bildet und im Hinblick darauf auch lehnsrechtliche und schutzherrliche Angehörigkeitsbeziehungen verdichtet. Endlich sind die systematischen Strukturen des landesherrlichen Untertanenstatus als Vorstadien der Staatsangehörigkeit aufzuzeigen.

1. Kapitel Pluralität und Verdichtung der Angehörigkeitsbeziehungen § 1 Die Angehörigkeitspluralität nach

Reichs- und Landesrecht

1. Erst um 1800 taucht der Ausdruck "Staatsangehörigkeit" in der deutschen Rechtssprache auf, ohne allerdings sogleich eine abstrakt formulierte, grundlegende, umfassende oder dauernde Angehörigkeitsbeziehung der einzelnen an den Staat zu bezeichnen1 • Nicht viel älter ist der Ausdruck "Staatsbürger", der erstmals 1770 amtlich verwendet

S.138. die Frühgeschichte verfolgt dagegen den Staat Berber, Staatlichkeit, pass. Zur Frage der Staatlichkeit von Entwicklungsländern vgl. Krüger, Verfassungsbildung, S.311. 1 s. § 12/2. 2

3

Makarov, Allg. Lehren, S.5; Rehm, Erwerb, Zuletzt Forsthoff, Der staat, S. 11 ff. Bis in

§ 1 Angehörigkeitspluralität

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wird2 • Mindestens ein Vierteljahrtausend haben also diese Ausdrücke Abstand zu der Zeit, in der die moderne Verfassungsgeschichte die Entstehung des Staates ansetzt, und mehr als ein Jahrhundert Abstand zu der Zeit, als der Begriff "Staat" in verbreitetem Sprachgebrauch Land als Herrschaftsorganisation wie auch als Ständeordnung meint3 • Die wortgeschichtliche Periodisierung wird von der positiven Rechtsentwicklung insofern bestätigt, als der Landesherr zwar schon vor 1800 obrigkeitliche Angehörigkeitsreglementierungen in seinem Herrschaftsgebiet trifft4, aber erst nach 1800, nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches und im Zuge der Auflösung der politischen Ständeordnung, allgemeine und staatsweit geltende Staatsangehörigkeitsnormen erlassen werden. Die Zeit um 1800 bildet deshalb eine Grenzscheide. Die neuen Angehörigkeitsgesetze deutscher Sprache halten sich freilich nicht an den Begriff des "Staatsangehörigen", der gemeinhin nur Randbedeutungen abdeckt, sondern an den geläufigeren Begriff "Unterthan", präziser: Landes- und Staatsuntertan, der sich als Ergebnis der Verfassungsentwicklung anbietet und deshalb für die Geschichte der Staatsangehörigkeit in Deutschland eine wichtige Leitfunktion hat. Auch die nunmehr positivierten Regeln über den Erwerb und Verlust der Untertänigkeit folgen häufig überlieferten Vorbildern; für sich genommen, weisen sie einen im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten erstaunlichen Traditionszusammenhang mit antiken und mittelalterlichen Regeln, Formeln und Begriffen auf, der leicht dazu verleitet, sachliche Zusammenhänge ungeachtet politisch-institutioneller Unterschiede und Veränderungen anzunehmen. Die staatsangehörigkeitsgeschichtlichen Darstellungen von Rehm für Deutschland und von Vanel für Frankreich - um zwei gründliche, materialreiche und durchaus anerkennenswerte Literaturbeispiele zu nennen - sind von diesem Fehlansatz nicht frei. Sachlich trifft der Einwand insbesondere die Ableitung der Staatsangehörigkeit aus der Stadtangehörigkeit5 . Zwar läßt sich ein gewisser Modellcharakter der mittelalterlichen Städte für die Vorstellungen über den modernen Staat niCht leugnen; zudem werden die Angehörigkeitsregeln des römischen Rechts zuerst auf die Städte angewendet. Dennoch beruht die - neutral formuliert - "Stadtangehörigkeit" auf ganz anderen Strukturprinzipien. Zusammen mit zahlreichen anderen nebengeordneten Angehörigkeitsbeziehungen wird sie schließlich in die 2 Weinacht, STAAT, S. 193; ders., Staatsbürger, S. 47; ferner Kier, DJZ 1936, Sp. 237 ff., der sich jedoch nur auf Kant u. die österr. Gesetzgebung beschränkt, die preuß. aber übersieht: vgl. u. § 11/l. 3 Nachweise bei Weinacht, STAAT, S. 235 f. 4 s. §§ 6, 8. 5 So bes. Rehm, Erwerb, S. 137 ff.; v. Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 270 ff., 320 ff.; krit. dazu E.- W. Böcken!örde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 173 f.

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1. Teil, 1. Kap.: Im Alten Reich: Pluralität u. Verdichtung

allgemeine Staatsangehörigkeit integriert; selbst dort, wo sie die Angehörigkeit an den übergreifenden Verband vermittelt, hat sie sich, wie zu zeigen sein wird, in ihren Voraussetzungen an dessen herrschaftsund personalpolitische Erfordernisse anpassen müssen6 • Die gleiche Skepsis ist angebracht, wenn besondere Rechtsbeziehungen des einzelnen zur politischen Herrschaftsinstanz als Vorläufer der Staatsangehörigkeit erklärt werden, weil sie auf gleichen oder ähnlichen Begründungsregeln wie die spätere Staatsangehörigkeit beruhen. Der Einwand gilt etwa gegenüber der armenrechtlichen Heimatangehörigkeit, auf die Rehm sich stützt, aber ebenso gegenüber Vanels Geschichte des Begriffs "Fran2 Jordan, Versuche, S.66, 112. 53 Schmitthenner, Grundlinien, S.5, 207 ff. Perthes, Staatsleben, S.24, betrachtet die Sittlichkeit als mit dem Lehnsrecht verschwunden. 54 Schulze, Staatsrecht I, S. 354 f. Ebenso vorher v. Aretin, Staatsrecht I, S.233, u. Pözl, Bayer. Verfassungsrecht, S. 121 ff., die sich beide auf den Verfassungseid der bayer. Konstitution v. 1808 stützen: Treue dem Monarchen, Gehorsam den Gesetzen; Jordan, Lehrbuch, § 65. 55 Von dem Verfasser der Ideen über das Gleichgewicht von Europa (Gentz?, W. Butte?), Ideen, S.8. Ferner Maurenbrecher (oben § 17 FN.72).

§

19 Unmittelbarkeit u. Personalität

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die Staatsangehörigkeit als "besonderes persönliches Verhältnis zwischen dem Staate und seinen Unterthanen" bezeichnet wird56 , bleibt das weithin ohne Konsequenz und steht im Gegensatz zu jenen Widerständen gegen die Selbständigkeit und Staatlichkeit des Bundesstaates57, die sich eine Angehörigkeit von Personen an ein Abstraktum nicht vorstellen können. Seit der Einbeziehung des "abstracten Begriff des Staates"58 in das Angehörigkeitsverhältnis scheint der Zweifel an der Gegenseitigkeit berechtigt. Der Grund dafür liegt nicht darin, daß Abhängigkeitsverhältnis und Reziprozität sich überhaupt ausschließen; das "Schutz-gegenTreue-Verhältnis" bildete sich in den Beziehungen zwischen Herr und Gefolge aus59 • Der Grund liegt darin, daß es für den einzelnen wohl eine Alternative zum Fürsten, nicht jedoch zum Staat gibt, der die individuellen Rechtspositionen, die ihm entgegengehalten werden, durch seine Rechtsordnung definiert. Das gilt ungeachtet der Regierungsform, kann auf dieser Ebene allenfalls ausgewogen werden60 • Die Auswanderung, in Einzelfällen ein tatsächlicher Ausweg61 , sofern sie der Staat nicht verbietet, versagt, wenn es der Staat in der Hand behält, Emigranten in der Angehörigkeitsbindung festzuhalten. In der ersten Hälfte des 19. Jh. entwickelt die Staatsangehörigkeitslehre gegen eine solche Entwicklung mancherlei Vorkehrungen unter dem Thema "Rechtsverhältnis". Die Ungemessenheit der Staatsgewalt veranlaßt eine Diskussion über ihre immanenten Grenzen und über die ihr durch Natur- und Grundrechte vorgegebenen Schranken. Die Bedingungen der "constitutionellen Monarchie" werden angerufen. Die württembergischen Stände wollen dem König nur den "verfassungsmäßigen Gehorsam" zu fordern gestatten und die Staatsbürger nur auf ihn verpflichten, der durch das - allerdings vom König initiierte Gesetz definiert wird62 • Robert v. Mohl 63 streitet dafür, daß im Rechtsstaat die Staatsangehörigkeit nur als Rechtsverhältnis bestehen könne. Positivrechtlich läßt sich auf die Verfassungen verweisen. Unter ihrem 56 Bornhak, Staatsrecht I, S. 238. 57 s. § 17/4. Ende. 58 So betont bereits v. Rotteck, Lehrbuch II, S.69, obwohl er Staat u. Fürst identifiziert u. deshalb die Staatsgewalt als "heilig" ausgeben kann (S. 102 f.). 59 Thurnwald, Gesellschaft V, S.5. 60 Soziolog. zur Reziprozität als Legitimität Schelsky, Rechtssoziologie, S. 70 f., m. w. Nachw. 61 v. Gagern, Critik, S.128; Bluntschli, Naturalisation, S.13, kennt ein intern. Recht, die Nationalität zu wechseln. 62 Ständischer Verf.-Entw. v. 1816, IV. Cap. § 3, dazu die krit. Beratungen in der Ständeversammlung v. 1819 (Fricker, Verfassungs-Urkunde, S.14/17, 232 ff.). 63 R. v. Mohl, Württ. Staatsrecht I, S. 316,323; ders., Encyklopädie, S. 124 ff., 222.

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3. Teil: Strukturen des Staatsangehörigkeitsverhältnisses

Eindruck werden häufig die Grundrechte gegen den Staat als Hauptinhalt des Angehörigkeitsverhältnisses ausgegeben; dazu treten die gesetzlich gewährten Rechte; in den meisten Staatsrechtslehrbüchern bilden die staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbs- und Verlustregeln die Einleitung zur Darstellung der individuellen Rechtspositionen im Staat64 • Erst die ansteigende Gesetzesproduktion zwingt zur Abstraktion, ohne daß man aufhört, prinzipiell nach dem positiven Inhalt des Staatsangehörigkeitsverhältnisses zu fragen. Läßt man das dabei anfallende "Recht" darauf außer acht, daß der Staat seine Zwecke erfüllt, ein Recht, das Maurenbrecher in die Sphäre der bloßen Moralität verwiesen hat65 , so schälen sich in positiver Hinsicht die Rechte auf Wohnung und Aufnahme sowie auf Schutz im In- und Ausland66 als wesentliche Inhalte heraus. Daneben werden die politischen Staatsbürgerrechte genannt 67 • Sie haben allerdings, abgesehen davon, daß sie nicht den Jedermann-Staatsangehörigen betreffen, eine andere Qualität, weil sie Teilhabepositionen an der Staatsgewalt begründen, deren Souveränität als grundlegender Einwand gegen jeglichen "Rechts"-inhalt der Staatsangehörigkeit angeführt wird. Wortführer dieses Einwandes ist Gerber 6B , indem er den Staatsangehörigen als Gegenstand der Staatsgewalt in ein "organisches Gewaltverhältnis" einordnet, das die "Rechts"-positionen des Angehörigen als bloße "Refiexwirkungen" des Gewaltrechts erscheinen läßt; auch der Schutz im In- und Ausland besteht nur als Genuß, nicht als Recht69 ; wer anderes meine - wie v. Rönne -, dem wird eine "vulgäre Anschauung" vom Staat vorgeworfen, wenn er nicht gar als Anhänger des Vertragsstaats, der Volkssouveränität7° oder, wie Maurenbrecher 71 aus seinem 64 Auch bei den Schriftstellern, die sie aus dem Inhalt der Staatsangehörigkeit ausscheiden wollen: vgl. z. B. Bornhak, Staatsrecht I, S. 268 ff.; Hatschek, Staatsrecht I, S. 169 ff.; Sarwey, Staatsrecht I, S. 141 ff. 65 Ulbrich, Österr. Staatsrecht, S. 82 f.; Stahl, Philosophie II, S. 131 ff.; a. A. Maurenbrecher, Staatsrecht, S. 82 f. 66 v. Aretin - v. Rotteck, Staatsrecht II, S.25; G. Meyer, Staatsrecht, S.167; Schulze, Staatsrecht I, S.346; Ulbrich, Osterr. Staatsrecht, S. 86 f.; v. Martitz, Staatsangehörigkeit, S. 798 ff.; Bähr, Rechtsstaat, S.176 ff.; Bluntschli, Allg. Staatsrecht, S.102; auf letzteren sich berufend, bejaht de Leval, Protection, S. 15 f., ein Recht auf diplomat. Schutz; wegen Art. 112 II WRV (= Art. 3 VI RV 1871) ebenso v. Liszt-Fleischmann, Völkerrecht, S. 166, u. Meyer-Anschiltz, Lehrbuch, S.952; Koessler, Subject, S.68, vermerkt Art. 112 II WRV als "an aparent exception"; zur heutigen Rechtslage Geck, Schutz, S. 508 ff.; gegen ein Schutzrecht Borchard, Protection, S. 29, u. Weis, Nationality, S. 36 ff. 67 v. Mohl, Württ. Staatsrecht I, S.316; ders., Encyklopädie, S. 124 ff.; dagegen Bornhak, Staatsrecht, S.241. 6B Zuerst in: Gerber, Off. Rechte, 1852, S. 62 ff.; ders., Grundzüge, S. 44 f., 47, 50 (hier bes. gegen die genossenschaftl. Deutung von Bähr, Rechtsstaat, S.42). 69 Ebenso Opitz, Staatsrecht, S. 82 ff.; Zorn, Reichsstaatsrecht (1. Aufl.) I, S. 272 ff.; Bornhak, Staatsrecht I, S. 268 f. 70 Gerber, Grundzüge, S. 47; Bornhak, Staatsrecht I, S.243, gegen v. Rönne, Staats-Recht I 2, S. 3.

§ 19 Unmittelbarkeit u. Personalität

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Erlebnishorizont sagt, des Revolutionsrechts angeprangert wird. Was diese Argumentation für die - staatszweckentleerte - Staatsauffassung und für die Entwicklung der Grundrechte sowie des Rechtsschutzes bedeutet, kann hier nur als Problemhinweis formuliert werden. Für die Interpretation des Staatsangehörigkeitsverhältnisses impliziert sie Gehorsam und Untertänigkeit. Der Staat ist vorgegeben; der Untertanengehorsam folgt aus seiner Existenz, nicht als freiwilliger, sondern als ein notwendiger 72 • Zahlreiche Staatsrechtslehrer in Deutschland bemühen sich, die Grund-, Wohn- und Schutzrechte ihrer Staatsangehörigkeitsrelevanz zu entkleiden und auf die Ebene der anspruchs freien Staatsaufgaben zu heben. Dabei spielen mehrere, heterogene Gründe eine Rolle. An erster Stelle steht die überzeugung vom Zu-Höchst-Sein des Staates, der "Herr" des Rechts ist. Eine Pflicht des Staates wird für unvereinbar mit der - monarchisch geprägten - Souveränität gehalten. Politische Bedenken gegen eine Anbindung des Staates an das Volk äußern sich in dogmatischen Fragen. Man bezweifelt die "Rechte", weil sie den Staat in einen mit seinem Wesen nicht übereinstimmenden Leistungsdruck bringen würden - ein Argument, das sich heute gegen soziale Grundrechte richtet, wie es sich seinerzeit gegen den Rechts- und diplomatischen Schutz gerichtet hat73 - , und weil sie sein Regierungsermessen unzulässig beschnitten; es könne keinen Anspruch auf die Absendung eines Kriegsschiffes geben74 • Keine namhafte Rolle spielt das Argument, das heute die Lehre abhält, vom "Inhalt" des Staatsangehörigkeitsverhältnisses zu sprechen, das Argument nämlich, daß es die Rechtsvergleichung nicht erlaube, "den" Inhalt eines auch völkerrechtlich akzeptablen Staatsangehörigkeitsbegriff zu benennen75 • Unter diesem Blickwinkel ist die Feststellung Zorns und anderer 76 zu verstehen, daß sich die Aufzählung von (Grund-) Rechten als Inhalt der Staatsangehörigkeit "als juristisch wertlos" erwiesen habe. Sie meint zunächst die Ungemessenheit. Sie meint aber vor allem, daß das Staatsangehörigkeitsverhältnis ein Subjektionsverhältnis, ein "allgemeines Gewaltverhältnis" ist, das statt eines "Inbegriffs" von Rechten des Individuums die "allumfassende Verpflichtung der Untertänigkeit" darstellt77 • Selten wird so eindringlich wie hier der Staatsangehörige als Untertan geschildert, wo die Alternative des Rechtsinhabers zur DisMaurenbrecher, Staatsrecht, S. 82 f. v. Stahl, Philosophie H, S. 171. v. Haller, Restauration H, S. 131 f. v. Seydel, Staatsrecht (1. Aufl.) I, S. 572. Vgl. G. Jellinek, System, S.117. Wengler, Völkerrecht H, S. 986; Koessler, Subject, S. 62 ff.; zust. Hansjörg Jellinek, Staatsangehörigkeit, S. 36 ff. 71 72 73 74 75

76 77

Zorn, Art. Reichsangehörigkeit, S. 265.

Bornhak, Staatsrecht I, S. 240.

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3. Teil: Strukturen des Staa tsangehörigkeitsverhältnisses

kuss ion steht. Da die Pflichten sich ebensowenig wie die Rechte konkretisieren lassen - v. SeydeFB prägt hier die geflügelte Bemerkung, daß ein solcher Versuch der "Rundreise durch das gesamte Bereich des Staatsrechts" gleichkäme, - pendelt sich eine verbreitete Meinung79 auf den Satz ein, daß die Staatsangehörigkeit ein Verhältnis eines ungemessenen, abstrakten Gehorsams ist. Für die Legitimierung der Steuerpflicht hat das zur Folge, daß das auf Leistung und Gegenleistung aufgebaute Äquivalenzverhältnis durch die hoheitlich allgemein angeordnete Beitrags- und Opferpflicht abgelöst wirdBo . Neben dem Gehorsam steht zwar häufig noch die Treue, doch weiß mit ihr niemand etwas anzufangen; es ist nur konsequent, wenn ihr juristischer Gehalt - nach traditioneller Ansicht Unterlassungspflichten, die die Landesverratsbestimmungen legitimieren, - in eine Folge von Gebot und Gehorsam umgedeutet wird B1 . Von den führenden Staatsrechtslehrern halten jedoch LabandB2 und Georg Jellinek83 daran fest, daß mit der Staatsangehörigkeit notwendigerweiser auch Rechte verbunden seien. Allerdings bezeichnen sie die Staatsangehörigkeit als einen Zustand bzw. Status, an den die Rechte anknüpfen; sie gelten deshalb als Hauptvertreter der Lehre, die die Staatsangehörigkeit nicht als Rechtsverhältnis, sondern als Eigenschaft, als Status interpretiert84 • Welche Kennzeichnung zutrifft, mag hier dahinstehen, da die Entscheidung ohne jede rechtliche Konsequenz ist. Wesentlich bleibt, daß die Angehörigkeit hier ihrem Wesen nach mehr als Untertänigkeit sein soll. über Laband hinaus geht vor allem Otto v. Gierke, für den es selbstverständlich ist, daß die Staatsangehörigkeit ein "Rechtsverhältnis" , und zwar ein "gegenseitiges", zwischen dem Staat und dem einzelnen Staatsangehörigen istB5 , das in der Mitgliedschaft besteht. Es wäre jedoch irrig, wollte man im Gegensatz dazu v. Seydel, Staatsrecht (1. Auf!.) I, S.558. v. Rotteck, Vernunftrecht II, S.104; Ulbrich, Österr. Staatsrecht, s. 82 f.; v. SeydeZ, Staatsrecht (1. Auf!.) I, S. 558 ff.; v. Sarwey, Staatsrecht I, S.142; Bornhak, Staatsrecht I, S.240; Zorn, Art. Reichsangehörigkeit, S.265; ders., 78

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Reichsstaatsrecht (1. Auf!.) I, S. 272 ff. 80 Schmölders, Steuerzahler, S. 125 ff. 81 Bornhak, Staatsrecht I, S.240. 82 Vg!. oben § 9/1.; gegen ihn argumentiert v. Seydel, Staatsrecht (1. Auf!.) I, S.571. B3 G. Jellinek, System, S. 82 ff., 116 ff.; ders., Staatslehre, S. 418 ff.; ihm zust. Grabowsky, Verlust, S. 14 H. 84 Vgl. die Nachw. insbes. aus dem französ. Recht - bei Makarov, Allg. Lehren, S. 24 ff., der selbst (S. 28) eine Kombination vorschlägt. Zum angloamerik. Recht Weis, Nationality, S. 32 ff. Ergänzend aus dem älteren dt. völkerrecht!. Schrifttum Hartmann, Institutionen, S.235: "unterthäniges Verhältniß", "Band"; Stoerk, Staatsunterthanen, S.589: "Mitgliedschaftsverhältniß in einem staatlichen Verbande." 85 o. v. Gierke, Labands Staatsrecht, S. 36 f.

§ 19 Unmittelbarkeit u. Personalität

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Bornhak, v. Seydel usw. mit dem Vorwurf belasten, sie redeten einer absolutistischen Willkür das Wort. Sie vertrauen vielmehr die Wahrung von Recht und Rechten anderen Institutionen als der Staatsangehörigkeit und den Grundrechten86 an. Zwar besteht das Bewußtsein, daß die Reduktion der Staatsangehörigkeit auf den abstrakten Gehorsam als Verfügungsschleuse etwas mit der Staatsform zu tun hat, da man den Unterschied zu Republiken und Genossenschaften betont87 . Aber man stellt den Staatsangehörigen auch im monarchischen Staat nicht rechtlos; mit einem Unterschied: Rechte gegen den Staat könne es nicht geben, weil die Partner nicht gleichgeordnet sind, weil der Staat jedes Recht aufheben kann und weil infolgedessen ein "bindendes Rechtsverhältnis"88 nicht zustande kommen kann. Damit ist die Gegenseitigkeit erledigt. überblickt man das Meinungsspektrum insgesamt, so erweisen sich im Ergebnis die Unterschiede nicht so scharf, wie die jeweilige Begriffswahl und die zeitgenössischen Frontstellungen vermuten lassen. Wer nicht naturrechtlich oder vertragstheoretisch ansetzt - solche Stimmen verstummen -, kann nicht übersehen, daß die Staatsangehörigkeit in Voraussetzungen und Inhalt bzw. Konsequenzen vom staatlich gesetzten Recht bestimmt wird. So besehen, ist der Staatsangehörige rundum rechtsnormativer Untertan 89 • Andererseits wird von niemand in Frage gestellt, daß das Staatsangehörigkeitsverhältnis ein rechtlich geordnetes Lebensverhältnis ist, wie die gängige Definition des Rechtsverhältnisses lautet9o . Fraglich ist vielmehr, ob der Staat nach seiner Verfassung, nach seinen Konstitutionsbedingungen und nach seinem Telos ein "Rechte" umfassendes Angehörigkeitsverhältnis begründen kann oder muß. Ohne die Unterschiede zu verwischen, läßt sich festhalten, daß der Angehörige, habe er nun einen Status im oder ein Verhältnis zum Staat, dessen Rechtgebungen schlechthin unterliegt. Nach Maßgabe jener Rechtsetzungen ist der Status bzw. das Verhältnis inhaltlich variabel; die "Substanz" besteht deshalb in der Verfügbarkeit und Ausfüllbarkeit; insoweit kann man von einem Mantelverhältnis sprechen. 86 87

v. Seydel, Staatsrecht (1. Aufl.) I, S. 571. Zoepfl, Grundsätze 11, S. 2 f.; Bornhak, Staatsrecht I, S.243; G. Jellinek,

System, S. 115 f. 88 Bornhak, Staatsrecht I, S. 268 f. Unmittelbare Konsequenz dieser Auffassung ist, daß die Naturalisation ein einseitiger Hoheitsakt u. kein "zweiseitiges Rechtsgeschäft" ist: Bornhak, Staatsrecht I, S.251; v. Seydel, Staatsrecht (1. Aufl.) I, S. 526 f.; Zorn, Staatsrecht (1. Aufl.) I, S. 262 f.; Hatschek, Staatsrecht I, S. 150 f.; gegen v. Sarwey, Staatsrecht I, S.166. 89 G. Jellinek, System, S.82: "Der Staat schafft daher die Persönlichkeit"; ferner S. 116 f. Heute betont bes. Krüger, Staatslehre, S. 490 ff., diese Art der Untertänigkeit. 90 So heute Makarov, Allg. Lehren, S.27.

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3. Teil: Strukturen des Staatsangehörigkeitsverhältnisses

Mit dieser Abstraktion kann die Staatsangehörigkeit dem Völkerrechtsverkehr als Begriff präsentiert werden, der von nationalen Rechtseigenheiten absieht und als staats- und völkerrechtsrelevanter Begriff91 Verwendung finden kann. Ob dieser Begriff allerdings dem jeweiligen Staatsrecht genügt, ist eine andere, nur aus der konkreten Verfassungslage heraus zu beantwortende Frage. Allgemein läßt sich nur sagen, daß die Offenheit des Staatsangehörigkeitsverhältnisses ihre Grenzen in den Grenzen der Staatsgewalt findet 92 • Ob dazu auch die Gegenseitigkeit von Schutz und Gehorsam gehört, kann erst eine gegenwartsbezogene, staatszweckorientierte Staatsdeutung ergeben, die über die im 19. Jh. überstrapazierte Souveränitätsdogmatik zu einer Lösung vordringt, die zuletzt im Kontext der Staatsvertragstheorien einleuchtete. § 20 Beständigkeit, Ausschließlichkeit und Effektivität

Die inhaltliche Abstraktion des Staatsangehörigkeitsverhältnisses ist paradoxerweise Ausdruck der immensen Intensitätssteigerung, die die Bindung des einzelnen erfahren hat, seitdem der Staat die Rolle des Grund- und Landesherrn übernommen hat. Um so eher ist zu vermuten, daß dieser "Herr" keinen zweiten "Herrn" neben sich dulden kann, und daß er seine Herrschaft über Personen auch in der Dimension der Zeit intensiviert. Damit stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Staatsangehörigkeit ein beständiges, um nicht zu sagen: ewiges und ein exklusives, mit anderen Bindungen inkompatibles Verhältnis ist. 1. Die Beständigkeit der Angehörigkeit ist ein vor allem aus dem Lehnsrecht tradierter Topos, der im Common Law Großbritanniens bis 1870 eine höchst aktuelle Bedeutung hat!: no mo potest exuere patria, jus originis nemo mutare potest. Blackstone 2 begründet diesen Satz 91 Zum "einheitlichen" staatsangehörigkeitsbegriff Makarov, Art. staatsangehörigkeit, S. 324, m. abw. Lit.; vgl. ferner Batiffol, Traite, S. 63; a. A. Hansjörg JeHinek, Staatsangehörigkeit, s. 35 ff. 92 An diesem Punkt setzt nach einer langen Zeit der Formalisierung erst wieder E.- W. Böckenförde, Staatsangehörigkeit, S. 431 f., mit einer inhaltlich-substantiellen Deutung der Staatsangehörigkeit an. Krüger, Staatslehre, S.943, setzt der "Unbeschriebenheit der Unterworfenheit" des "Untertans" zwar ebenfalls die Staatszweckgrenze - die allerdings den "wechselnden Lagen" beliebig angepaßt werden kann -, kennt aber keine Zweck-Eigenständigkeit des einzelnen. 1 Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Kieje, L'allegeance, S. 54 ff.; ders., Nationalite, S. 11 ff.; Cockburn, Nationality, 1869, also kurz vor der Abschaffung des Perpetuitätsprinzips erschienen, stand nicht zur Verfügung. In Frankreich gilt der Satz seit der Ordonnance v. 5.5. 1669, aufgehoben durch Art. 17 I C.C.: Caleb, Perte, S. 276 f.; zur "Unverlierbarkeit" in der Schweiz seit 1848 vgl. His, Geschichte UI, S. 270 f. 2 Blackstone, Commentaries I, S.357.

§ 20 Beständigkeit u. Ausschließlichkeit

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damit, daß jene Bindung der alligeance gnadenweise verliehen werde und deshalb nicht einseitig, d. h. ohne Zustimmung des Fürsten, aufgelöst werden könne. Sie gilt demnach nicht aus sich heraus, etwa aufgrund einer religiösen Befestigung, als unauflöslich. Sie wirkt jedoch unabhängig vom Aufenthaltswechsel und von nachfolgenden Bindungen; sie löst sich nicht ipso facto auf, außer mit der Existenz der Person. Bevor man in das aufklärerisch-liberale Urteil einstimmt, hier werde eine Leibknechtschaft errichtet, muß man die Ambivalenz der Dauerbindung mitbedenken. Die vom Aufenthaltsort unabhängige alligeance sicherte dem einzelnen im internationalen Verkehr den Schutz der Krone, so daß eine wichtige Voraussetzung für einen Welthandel erfüllt ist. Unzuträglich wird erst der unerwünschte Schutz, für den einzelnen schlechthin, für die gesamte Sozialordnung, seitdem es massenweise Auswanderungen bei einer gleichzeitigen Intensivierung der Staatenbeziehungen gibt. Das ist die Situation des englisch-amerikanischen Angehörigkeitskonflikts, eines nahezu hundertjährigen "Krieges"3 um die Zugehörigkeit der in die Staaten ausgewanderten und dort naturalisierten Engländer und Iren. Großbritannien erkennt nämlich die neuerworbene Angehörigkeit nicht an; es fordert seine Untertanen bei Strafe zur Heimkehr auf und holt sie zwangsweise von den seinerzeit nicht-feindlichen amerikanischen Schiffen herunter, deren Territorialität es nicht anerkennt. Dieser Standpunkt relativiert sich mit der Vorherrschaft der englischen Flotte. Im Naturalizations Act von 1870 wird schließlich die freiwillige Naturalisation eines im Aufnahmeland domizilierten Angehörigen anerkannt 4 • Damit werden die Bancroft-Verträge von 1868/1870 legalisiert, die, wie erwähnt, auch im Verhältnis zu den deutschen Staaten die amerikanische Staatsangehörigkeit als völkerrechtlich wirksame und effektive Angehörigkeit durchsetzen5 und dabei zur Anerkennung einer Staatenpflicht führen, Angehörige unter bestimmten Umständen aus der Angehörigkeitsbindung zu entlassen. Dennoch hält sich selbst im amerikanischen Recht der Begriff "permanent alligeance", allerdings in keiner absoluten, sondern in einer 3 Der Beginn liegt am Ende der Franz. Revolution, als zahlreiche Engländer sich dem strengen engl. Militär- u. Marinedienst dadurch entziehen, daß sie zur amerik. Marine u. Handelsflotte wechseln u. sich in den Staaten naturalisieren lassen. 1796 erfolgt der erste Protest der USA, 1812 die Kriegserklärung, 1870 schränkt Großbritannien das Perpetuitätsprinzip ein: Act. v. 12.5. 1870 sect. 6. 4 Vgl. zum Inhalt ParTY, Nationality I, S~ 78, 126. 5 Vgl. die bei v. Martitz, Staatsangehörigkeit, S. 793 f., zit. Depesche des US-Staatssekretärs Lewis Cass v. 8.7.1859: "The moment a foreigner comes naturalized, his allegiance to his native country is severed for ever. He experiences a new political birth." Der Satz entspricht einer franz. Äußerung an Lord Brougham, 1848, u. ist historisch wohl am ehesten dahin zu verstehen, daß auch die USA ein derartig integrativer Staat seien.

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3. Teil: Strukturen des Staatsangehörigkeitsverhältnisse·s

relativen Bedeutung. Denn er besagt nicht mehr, als daß die Angehörigkeit, solange sie besteht, ortsungebunden ist6 , ohne daß dem Staat die Kompetenz zugestanden wird, den Angehörigen nach Belieben festhalten zu können1 • In diesem Sinne meint "permanent" also die räumliche, nicht die zeitliche Dimension. Fraglich bleibt allerdings, ob und inwieweit der Staat nach allgemeinem Völkerrecht und nach seinem Staatsrecht gehalten ist, dem Entlassungswunsch stattzugeben. Seit dem Mittelalter bemüht sich eine breite Literatur. die Auswanderungsfreiheit zu begründen als "Freiheit", als vorstaatliches Menschenrecht, als Weltbürgerrecht oder als Grundrecht; diese Bemühungen reichen bis in die Zeit der spätkonstitutionellen Lehre von der staatlichen Souveränitäts. Allerdings läßt sich diese Kontinuität nur so lange für ein Recht auf Entlassung aus der Staatsangehörigkeit fruchtbar machen, als mit dem Domizilprinzip angenommen werden kann, daß die Ausreise bzw. Auswanderung und Niederlassung in einer anderen Herrschaft zum Staatsangehörigkeitsverlust bzw. -wechsel führt9 • Im modernen Recht der Staaten ist diese Konsequenz jedoch nur selten anzutreffen. Die großen Auswanderungsbewegungen des 19. Jh. haben zudem gelehrt, daß sie gemeinhin sogar unerwünscht ist, weil sie zu Staaten-, also Schutzlosigkeit führen kann: deshalb ist es umgekehrt das Bestreben, völkerrechtlich eine Art "permanent alligeance" insoweit zu begründen, als der durch die Auswanderung staatenlos Gewordene von dem Staat wieder aufgenommen werden muß, dem er zuletzt angehört hati°. Der Entlassungsanspruch muß also selbständig und unabhängig von der Auswanderungsfreiheit begründet werden. Da das Völkerrecht ihn nicht stützt1t, ist auf das konkrete Staatsrecht zu verweisen. So schon Bodin, Republique, S. 68. Vgl. die Nachw. bei Koessler, Subject, S. 67 f. Ausführlich Scheuner, Auswanderungsfreiheit, S.203, 208 ff.; Belege bei Hartmann, Ausreisefreiheit, S. 449 ff. u. - rechtsvergleichend - S. 443 ff. g Das übersieht Hartmann (FN.8), indem er den "fryen Zug" alten württ. Rechts mit den Bancroft-Verträgen - die ja erst an die Situation nach erfolgter Auswanderung anschließen - u. mit der Ausreisefreiheit des GG - Art. 2 I oder Art. 11 II GG - in eine Linie setzt. - Dagegen Martens, Precis, S.I71: "l'emigration perpetuelle"; v. Rotteck, Art. Auswanderung, S.793: Auswanderung sei "das Verlassen eines Staates, welchem man angehört, in der Absicht, sich vom Verbande desselben zu trennen"; ebenso noch Bluntschli, Völkerrecht, S.216; für die Schweiz vgI. Pestalozzi, Historisches, S. 317 f. 10 Vgl. oben § 12 FN.40; ferner Art. 1 des nicht in Kraft getretenen Special Protocoll concerning Statelessness, Haag 1930 (Law concern. Nationality, S.577); ferner Art. 2 (ii) des Europ. Fürsorgeabkommens v. 11. 12. 1953 (BGBI. 1956 II S.564) betr. Fürsorge. 11 Einige verstreute positive Belege bei Makarov, Allg. Lehren, S. 73 f., die wohl kaum ein Völkergewohnheitsrecht begründen; abI. OppenheimLauterpacht, Int. Law I, S. 647 f.: "moralisches Recht"; ferner Makarov, Art. Staatsangehörigkeit, S.325. 6 1 S

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Unabhängig davon, ob der Staat aufgrund seiner Souveränität, näherhin seiner Personalhoheit, in der Lage ist, das Staatsangehörigkeitsverhältnis als ein "ewiges" zu normieren, wird es als eine ihrem Wesen nach dauernde Beziehung angesehen, weil es in seinen Auswirkungen umfassend ist. Seit jeher wird deshalb der "eigentliche" Untertan als beständiger Untertan angesehen, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Der Angehörige ist im Land ansässig und hat sein Domizil auf Dauer zumindest angelegt; er ist in das Sozial- und Wirtschaftsgefüge integriert und einer effektiven Herrschaft unterworfen; er steht ihr ständig zur Verfügung, ist "gewärtig" im Sinne der alten Eide; er gehört ihr unverbrüchlich derart an, daß er ihre Interessen loyal zu unterstützen verpflichtet ist12 • Soziale Fakten, Rechtsanspruche und ethische Postulate treffen sich hier und tragen das Modell des ständigen Untertanen über die Zeiten hinweg, als die These, daß der Staat bzw. das politische Gemeinwesen durch bestimmte Menschen gegründet wird und auf ihrer Existenz beruht13 , in der sozialen Wirklichkeit kleinräumiger, mitgliederschwacher und wirtschaftlich unentwickelter Herrschaften einen Rückhalt hatte. Doch auch als die "Ewigkeit" des Staates von der "Ewigkeit" der Angehörigkeitsdauer theoretisch abgelöst ist, prägt sie deren Maß. Noch Robert v. Mohl ist sich über die Bewertung der Liberalisierung des Angehörigkeitsrechts nicht schlüssig, wenn er einerseits die "unlösbare Staatleibeigenschaft" des englischen Rechts verwirft, andererseits aber das dahinterstehende "große staatliche Selbstgefühl" anerkennt und "im Zweifel" das Untertansverhältnis für das ganze Leben andauern läßt14 • Inwieweit dieses Urteil auf sozialer Beobachtung beruht oder inwieweit es ein Nachhall der Säkularisation ist, kann nicht gesagt werden. Seit der Zeit der Französischen Revolution darf man jedenfalls weitgehend davon ausgehen, daß aufgrund biologischer Analogien die Organismuslehre und das Nationalitätsdenken die Vorstellungsgrundlagen bilden15• Daß die Angehörigkeit beständig ist, wird damit im Prinzip, nicht als Norm angenommen und für legitim gehalten. 2. Solange die Staatsangehörigkeit besteht - gelegentliche Inpflichtnahmen über die Zeit der Angehörigkeit hinaus 16 fallen beim grund12 Vgl. noch Bornhak, staatsrecht I, S.238: der Staat beruhe auf der dauernden Hingabe seiner Untertanen. 13 s. o. § 8/3. 14 R. v. Mohl, Encyklopädie, S.123, 233; ferner ders., Württ. Staatsrecht I, S.312. 15 Vgl. z. B. Schulze, Staatsrecht I, S.344: Staat als Organismus; Held, System II, S. 577: die Auswanderung widerspreche an sich dem Prinzip, daß Treue u. Nationalität ewige Bänder sind; sie seien jedoch, weil im Widerstreit von Gesetz u. Gewissen nicht erzwingbar, zu moralischen Werten geworden (!). 16 s. o. § 16/4.

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sätzlichen Rückblick nicht ins Gewicht -, beansprucht sie die umfassende Personalhoheit unter Ausschluß anderer Hoheitsträger. Im Unterschied zu anderen Verbandszugehörigkeiten zeichnet sie sich dem rechtlichen Anspruch nach durch ihre Ausschließlichkeit oder Einzigkeit1 7 aus. Auch insoweit übernimmt das Institut der Staatsangehörigkeit ein Merkmal aus vorausliegenden Verfassungsepochen als Antwort auf ein Problem, das so alt wie jede Art der Angehörigkeit zu sein scheint: Man kann nicht 'Diener zweier Herrn zugleich sein. überblickt man den historischen Anschauungsbereich, in dem die grundlegenden Maßstäbe des Angehörigkeitsrechts noch der Gegenwart wurzeln, so findet man seit jeher einträchtig nebeneinander die Feststellung, daß ein Zwei-Herren-Dienen dem Wesen der Angehörigkeit widerspricht, und die Feststellung, daß es dem jeweils geltenden Recht gemäß immer wieder vorkommt. Deshalb gehört zum Fundus jeder Angehörigkeitsdiskussion die Frage, wie die These der Inkompatibilität mit der Rechtswirklichkeit kompatibel gemacht werden kann. Sie wird zuweilen aus der Perspektive des Angehörigen, gewöhnlich aus der Perspektive der Herrschaft zu beantworten versucht. Ihr sachlicher Ursprung liegt in dem Nebeneinander einer Vielheit von Herrschaftsträgern, die sich jeweils absolut setzen und Herrschaft wie Angehörigkeit als Ganzheit und Wesenheit verstehen. Sie erhält, zumindest teilweise, Antworten, insoweit die Angehörigkeitsbeziehungen vergegenständlicht und funktionalisiert werden, ferner insoweit die Beziehungen der Herrschaften zueinander in eine übergreifende Ordnung gebracht werden. Als Bodin 18 die Einzigkeit der angehörigkeitsrechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses begründet, argumentiert er mit der Wechselseitigkeit der Pflichten und der Funktion des unbedingten Gehorsams, nicht wie Vitoria19 existentiell aus dem Wesen des Menschen als staatsbürgerlichem Wesen; aber er bemerkt zugleich, daß unterschiedliche Arten der Angehörigkeitsbegründung zu Mehrfachangehörigkeiten führen können. Seine Kollisionsregel für den Fall der Naturalisation setzt individuell an, indem sie dem alten Herrscher den strafenden Zugriff auf den treulosen Untertan und - vor allem - auf sein im Inland belegenes Vermögen vorbehält. Vitoria hingegen folgert aus der Unmöglichkeit der Mehrfachangehörigkeit das Territorialitätsprinzip: Beide setzen im Grunde etwas voraus, das im Reich erst entsteht: die gebietsmäßig abgrenzbare und geschlossene Herrschaft. Hier gehören Mehrfachangehörigkeiten vielmehr zum Wesen der Verfassungsstruktur, hervorgerufen durch das verschachtelte Neben-, In- und übereinander von Herrschaften und Gemeinwesen, von Real17 18 19

So Krüger, Staatslehre, S.954. Bodin, Republique, S.58, 67. Vitoria, Völkerrecht, S.34, 64.

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und Personalunion, von Städten, Territorien und Reich mit den mannigfach verschränkten Lehens-, Schutz- und Untertansbeziehungen, in vielen Fällen hier vorausgesetzt. Daß es sich bei diesem komplizierten System nicht um ein System ausgewogener Harmonie handelt, wie heutige verfassungsgeschichtliche Darstellungen zuweilen glauben machen, beweist der Prozeß der Angehörigkeitskonzentration20 • Zwar reduziert er die Pluralität der Angehörigkeitsbeziehungen, aber er beseitigt sie nicht. Infolgedessen kann sich die zeitgenössische Rechtswissenschaft nicht damit begnügen, die Mehrfachangehörigkeit radikal aufzulösen, sondern sie muß mittlere Kompatibilitätslösungen anbieten, die mit der "Irregularität" des Reichs und seiner Glieder vereinbar sind. In der gemeinrechtlichen Domizilslehre wird das Problem in der Hauptsache horizontal und individuell, d. h. nicht im Hinblick auf das Verhältnis der beteiligten Gemeinwesen zueinander, zumal hierarchisch gegliederter, betrachtet; ein irgendwie völkerrechtlicher Maßstab wird nicht angelegt. In der Regel wird in unkritischer Anlehnung an das römische Recht die Möglichkeit bejaht, an mehreren Orten ein Domizil zu haben. Soweit man dabei nur den Gerichtsstand des Aufenthaltsortes, des Vertrages, des Deliktes usw. meint21 und an ihn funktional aufgeschlüsselte Untertanenbegriffe anknüpft, rechnet man mit keinerlei rechtlichen Widersprüchen. Soweit hingegen das Domizil als Lebensmittelpunkt verstanden wird, löst man die Kollision durch ihre Negation: man könne sich nicht an zwei Orten zugleich niederlassen22 • Ansonsten differenziert man bereichsweise ein persönliches Hauptdomiziel und daneben "pro rata"-Domizile 23 mit der Folge differenzierter "pro rata"-Angehörigkeiten. Das ist eine technische, im Wesentlichen auf Gesetzes- und Rechtskollisionen zugeschnittene Lösung, die alle politischen Aspekte ausspart. Sie werden erst unter dem Stichwort "civitas" und am Beispiel der Städte ins Spiel gebracht. Der Vollbürgerstatus, der die Person sowie ihr Vermögen insgesamt betrifft und in die Stadtrechtsordnung einbindet, gilt als unteilbar wie die Person selbst und die Leistung, die sie durch Rat und Tat - im Kriegsfall - schuldet24 • Mit dieser Begründung, die auf der Einschätzung des Angehörigen als eines aktiv Vg1. oben §§ 3-5. Gaill, Observationes, obs. XXXVI n. 12 ff. (S.351); Carpzov, Processus, Tit. III § IV n. 49 ff. (S. 81). Obgleich er den gemeinrechtL Domizilsbegriff nicht mehr zugrundelegt, ebenso J. J. Moser, N.StR. Bd.17, S.3. 22 Wideburg (-Emminghaus), De adquisitione § XXVII (S.27); Knipschildt, Tractatus, 1. II c. IX n. 38 (S. 355). 23 Bes. Knipschildt, Tractatus, 1. II c. IX n. 38 u. c. XXIX n. 138 (S. 355, 532): "subditus diverso respectu duo rum dominorum esse." 24 So die eindrucksvolle Zusammenfassung einer verbreiteten Ansicht bei Knipschildt, Tractatus, 1. II c. XXIX n. 144 ff. (S. 532 f.); mehrfacher incola könne man sein. 20 21

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handelnden Subjekts beruht, ist die schlicht passive Zuordnungsfunktion des Domizils verlassen. Die Legitimität dieser Ausschließlichkeit wird zweifach beschworen durch die Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit der Bindung selbst und durch ihren Vergleich mit der "natura immutabilis"25. Aufschlußreicher sind die rechtshistorischen Begründungen der Ausschließlichkeit: Man beruft sich auf die dem römischen Recht entgegenstehende deutsche Sitte des Pfahlbürgerschaftsverbotes. Was den ersten Teil der Begründung anbetrifft, so häuften sich in der Tat seit Caracallas Constitutio Antoniana die Fälle der Mehrfachzugehörigkeit zu zwei oder mehreren Städten und der römischen civitas. In der Republik galt demgegenüber ein Inkompatibilitätsprinzip, wie der in der frühen Neuzeit oft zitierte Brief Ciceros an Balbo bezeugt. Daß es in der Prinzipatszeit aufgegeben wird, hat besondere strukturpolitische Gründe. Die Reichsbürgergemeinden waren zu dieser Zeit nämlich bereits weitgehend zu politischer Bedeutungslosigkeit herabgesunken; die Angehörigkeit an sie war deshalb entpolitisiert. Aus diesem Grunde war eine politische Statuskonkurrenz und -kollision mit der Zugehörigkeit zur civitas Romana gegenstandslos; die Doppelangehörigkeit war keine Doppelcivität26 ; sie war sozusagen keine echte "Staatsangehörigkeit". Die Pfahlbürgerschaftsverbote sollen hingegen die personale und herrschaftliche Geschlossenheit und Impermeabilität von selbständigen oder sich verselbständigenden Gemeinwesen sichern oder herstellen, die sich trotz Reichsrahmen als ausschließlich, gleichgeordnet und gleichgeartet verstehen und die deshalb den Angehörigen total und exklusiv beanspruchen. Bezeichnenderweise spielt der tatsächlich im Reich kaum heimische ligische Vasall argumentativ hier eine leitende Rolle. Erst innerhalb der politischen Einheit des Landes erscheint die Kompatibilität erträglich27, wendet sich dann aber im Verhältnis zu anderen Landesangehörigen nach außen in eine neue Inkompatibilität28• Als Neutralisierungsinstrument, wie einst im personal überschaubaren Lehnsrechtsverkehr, hat die Mehrfachangehörigkeit ausgedient29 , seitdem der 25 Knipschildt (FN.24), aaO., n.146; Wideburg (-Emminghaus), De adquisitione, § XXVI (S. 26 f.). 26 Nörr, Origo, S.531, 535, 560 ff., mit weiteren Gründen; ders., Imperium, S. 55 f.; v. Lübtow, Das röm. Volk, S. 656 f. 27 s. O. § 5/5. 28 Vgl. u. a. Huber, Institutiones, sect. II c. III n. 8 (S.79), mit dem organologischen Argument, eine Person könne nicht Glied mehrerer Körper sein. 29 a. A. Stoltzer, Discursus, in: Arumaeus, Discursuum vol. sec., § VI (S. 853 f.); die Neutralisierungsfunktion kehrt sich gegenüber Drittstaaten geradezu um: Grotius (Schätzel), De jure belli, 3. Buch 2. Kap. §§ I f., VII (S. 434 f., 438), 4. Kap. § VIII (S.451). Soziologisch zur Neutralisierungsfunktion der "multiple group membership" Scott, Funktionen, S. 145, 151 f. Eine andere Art der Neutralisierung ist gemeint, wenn der Angehörige die beteiligten Staaten nicht gegeneinander um Schutz angehen kann: Art. 4 der

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gemeine Mann als Untertan in den Blick genommen ist. Nur scheinbar urteilt Johann Jacob Moser anders; er bejaht lediglich das Nebeneinander funktionsbeschränkter, territorialer Untertänigkeiten und meint nicht den personalen Status30 • Neben der Frage nach der Kompatibilität nebengeordneter Mehrfachangehörigkeiten steht im Reich die Frage nach der Kompatibilität der Angehörigen zu Stadt, Land und Reich in ihrer vertikalen Stufung. Sie ist unbestritten gleichzeitig zulässig und wirkt jeweils "respectu" der jeweiligen Zuständigkeit31 , Modell einer förderativ gegliederten Angehörigkeit. Daß die Gleichzeitigkeit unschädlich ist, wird mit der "gemeinschaftlichen systematischen Verbindung"32 aller Angehörigen und Herren im Reich begründet, dem durch eine schiefe Analogie zu Rom die Rolle der communis patria33 zugeschrieben wird, während gleichzeitig im angehörigkeitsrechtlichen Kollisionsfall ein landesherrlicher Vorrang gilt 34 . Die Tendenz zur Verselbständigung und Exklusivität der Landesangehörigkeit ist schließlich, wie dargelegt, derart und so lange erfolgreich, daß die spätkonstitutionelle Lehre die Dogmatik gegliederter und verbundener Angehörigkeitsbeziehungen im Bundesstaat erst erfinden muß. 3. Der systematische Ertrag, den die spätkonstitutionelle Lehre aus dieser Entwicklung zieht, läßt sich in dem einprägsamen und anspruchsvollen Satz komprimieren: "Das in seiner Art Absolute duldet seinem Wesen nach nicht ein Zweites neben sich"35. Der Staat wird in diesem Sinne als ein Absolutes dargestellt, das die Konkurrenz mit dem Totalitätsanspruch der Kirche 36 ebenso überwunden hat wie die funktional begrenzter Körperschaften. Daß Mehrfachstaatsangehörigkeiten begrifflich unmöglich sind - wenn auch nicht völkerrechtlich unmöglich, wie Zorn37 ebenso treffend wie vieldeutig differenziert -, daß sie "dem ausgebildeten modernen Staatsbegriffen" widersprechen3B , wird in der Haager Konvention v. 12.4. 1930 über Fragen der Kollision von Staatsangehörigkeitsgesetzen (Laws concern. Nationality, S.567). 30 So explizit Ludewig, Erläuterungen, S.150; dagegen J. J. Moser, N.StR. Bd. 19, S. 513. 31 BesoZd, Synopsis, c. XV n. 7 (S.167); Lauterbach, Domicilio, c. VIII § XLVII n. 161 ff. (S. 38 f.). 32 v. Günderode, Staats-Recht, S. 1215 f. 33 Zum röm. Begriff vg1. Mommsen, Staatsrecht III 1, S. 780 f., 787 ff.; zur gemeinrechtL Rezeption Harnisch, De subditis, n. 37 (S. 788). 34 Harnisch, De subditis, n. 37 (S. 788); Limnaeus, Juris publici, 1. IV c. VIII n. 9; v. Günderode, Staats-Recht, S. 1215 f. 35 K. S. Zachariä, Vierzig Bücher Bd. 5, 30. Buch 2. Hauptst., S. 268 f. 36 Das Thema dieser Trennung bedürfte einer gesonderten Untersuchung. Hier sei nur auf die Beobachtung von Weinacht, STAAT, S. 193, hingewiesen, daß sich seit 1770 das staatsbürgerliche Prinzip gegen die Zugehörigkeit zu Welt u. Kirche durchsetzt. 37 Zorn, Art. Reichsangehörigkeit, S. 261, 263 f. 3B Schulze, Staatsrecht I, S. 344 f.

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Staatsrechtsliteratur des 19. Jh. zu einem gängigen, aber ausweglosen Gemeinplatz. Zwar wird auf das dem älteren Stadtrecht und dem frühneuzeitlichen Landesstaatsrecht nachgebildete Prinzip hingewiesen, Kollisionen durch entsprechende Erwerbs- und Verlustregeln radikal zu verhindern, statt durch Ausgleichsgrundsätze abzubauen. Während allerdings seinerzeit das Bemühen im Vordergrund stand, die Angehörigkeit zum bisherigen Herrn bzw. zur bisherigen Gemeinde gegen einen Treuebruch abzuschirmen39 , wird jetzt immer stärker die Regel beobachtet, den Neuerwerb einer Angehörigkeit als Beendigungsgrund für die bisherige Angehörigkeit anzunehmen 40 • Ansonsten aber verbleibt es bei der Unmöglichkeitsfeststellung, ohne daß man, soweit ersichtlich, zu der Einsicht vordringt, es könne sich hier um die Frage der Anerkennung der zusätzlichen Staatsangehörigkeit mit all ihrer Problematik handeln. Diese Einstellung zeugt sicherlich von einer gewissen Völkerrechtsblindheit der Staatsrechtswissenschaft und von einer offenbar zu eindimensionalen Betrachtung der Staatsangehörigkeit als einer Angelegenheit des internen Staatsrechts. Um jedoch die zeitgenössischen Vorstellungen vom "Wesen" der Staatsangehörigkeit zu erkennen, genügt es nicht, darüber zu räsonnieren und die genannte Inkompatibilitätsregel mit anderen, abstrakt denkbaren und vom zeitgenössischen Kontext gelösten Kollisionstopoi zu konfrontieren. Es erscheint wichtiger, die Gründe für die absolut gesetzte Unvereinbarkeit aufzuspüren. Sie sind mehrschichtig. Am direktesten sind die Folgerungen aus dem absoluten, "alles beherrschenden" Gewaltmonopol41 des Staates, das die ganze Person des Menschen mit Beschlag belegt. Natürlich werden nicht die Lockerungen übersehen, die durch den Auslandsaufenthalt des Angehörigen und der damit verbundenen Territorialuntertänigkeit unter fremde Gewalt bedingt sind. Aber das Monopolargument gestattet, solche Lockerungen in die Entscheidungskompetenz des Staates selbst zu legen. Daneben oder dazu tritt das aus der Individualsituation gefolgerte Argument, daß man nicht in zwei Staaten zugleich potentiell ungemessene Pflichten erfüllen kann, ohne permanent den Konsequenzen der Pflichtverletzung ausgesetzt zu sein. Es ist ein funktionales Argument, insoweit es eine Regel begründet, die beim Staatsdiener eine Ausnahme zuläßt, weil dieser nur gemessene Dienste bei Auswärtigen Statt vieler Knipschildt, Tractatus, 1. II c. XXIX n. 144 (S.532). Aus der Lit. z. B. v. Mohl, Staatsrecht I, S. 314 f.; Zoepfl, Grundsätze II, S. 60; v. Bahr, Theorie I, S. 257 H., der den Vorrang der "tatsächlich näheren", d. h. hier: letzterworbenen Staatsangehörigkeit mit der Auswanderungsfreiheit begründet; zudem FoHeviHe, Traite, S. 275 H.; neuere Lit. bei Makarov, Allg. Lehren, S. 311 f. 41 Statt vieler Schulze (FN.38). 39 40

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leistet42 ; es ist ein diskutables Argument, weil es Differenzierungen nach Art und Folgen der Pflichten gestattet. Dagegen ist der dritte tragende Grund überhaupt einer Rationalisierung unzugänglich, der Grund, daß das Staatsangehörigkeitsverhältnis als Treueverhältnis infolge seiner ethischen Rückbindung eine Parzellierung verbiete. Um die bisher angeführten deutschen Stimmen in einen größeren Zusammenhang zu stellen, sei noch auf das Bekenntnis von Folleville43 hingewiesen, daß schon das Wort "patrie" die Idee "d'une fidelite complete, d'un attachement absolu aux interets du pays dont on est le sujet" assoziiere, und auf His' Einsicht aufmerksam gemacht, daß ein Doppelbürgerrecht "moralisch anfechtbar" sei und der "Heiligkeit" der Angehörigkeitsbindung nicht entspreche 44 ; sie qualifiziert, ernst gemeint, den Doppelstaater, auch den wider Willen, als ständigen Treubrecher oder Lügner und unterstellt ihn einer anscheinend schwerwiegender gemeinten Sanktion als der welt-rechtlichen. Die Betrachtung der Staatsangehörigkeit stößt hier auch im "modernen" Staat wieder an eine Grenze, die als Spätfolge der unvollendeten Säkularisation oder als unverrückbar hergestellte Legitimation gedeutet werden kann. Der rechtswissenschaftlichen Argumentation ist sie nur als Faktum zugänglich, seitdem nicht nur die von Gentilis angesprochenen "theologi", sondern auch ihre Lehren - um im Zitat zu bleiben: extra "muneros suos" geblieben sind. Weniger metajuristisch, doch ebenso unausweichlich und existentiell wirkt der Hinweis darauf, daß der Staatsangehörige im Kriegsfall den Einsatz seines Lebens schuldet. Er vergegenwärtigt, daß die Angehörigkeit die Person auch physisch total umfaßt und daß sie als Gesamtstatus mehr als die Summe einzelner Rechte und Pflichten ist. Die Kollision wird nicht nur bei Auseinandersetzungen der beteiligten Staaten aktuell; bei ihnen wird den Angehörigen zuweilen, durchaus auch im Interesse des Aufenthaltsstaates, dem sie angehören, die Pflicht erlassen, gegen das andere Heimatland zu kämpfen45 • Die Kollision wirkt sich auf Staatenebene auch aufgrund von Auseinandersetzungen eines der beteiligten mit dritten Staaten aus. Der Hinweis auf den Kriegsfall durchzieht deshalb seit der frühen Neuzeit die Literatur 46 • Nicht weniger evident sind die Konsequenzen der Mehrfachangehörig42 Vgl. v. Moht, Staatsrecht I, S. 314 f. Zum positiven württ. Staatsrecht, auf das v. Mohl reflektiert, vgl. o. § 16/1. Ende. 43 FolteviHe, Traite, S. XVII; v. Martitz, Staatsangehörigkeit, S.793: "Wer ein guter Deutscher ist, kann nicht zugleich Franzose sein." 44 His, Geschichte III, S. 270 f.; vgl. auch Frhr. v. u. zu Bodmann, Sujets mixtes, S. 205. 45 z. B. Verf. v. 1. 3.1946, Tit. II Art. 17 (Laws concern. Nationality, S.371): Der naturalisierte Panamaer braucht nicht gegen sein Geburtsland zu kämpfen. 46 Ältere Nachw. bei Frhr. von u. zu Bodmann, Sujets mixtes, S. 222 ff.

16 Grawert

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keit im Hinblick auf den Militärdienst in Friedenszeiten. Hier zeigen die Bancroft-Verträge, daß die Lösung nur auf völkerrechtlichem Wege perfekt gefunden werden kann und die Einschränkung des unbedingten, absoluten Souveränitätsanspruches des Staates voraussetzt. Die Lösung wird andererseits als eine totale, die Angehörigkeit insgesamt betreffende gesucht, weil das hier im Vordergrund stehende Sachproblem von vornherein existentiell angesetzt ist. Akzeptiert man diesen traditionellen Aspekt, so erweisen sich umgekehrt Mehrfachangehörigkeiten in Rechtssystemen als unbedenklich, die den Krieg als Mittel der Auseinandersetzung nicht zulassen. Allgemeiner gesagt: Mehrfachangehörigkeiten sind in Rechtssystemen unbedenklich, die organisatorisch und kompetenziell in der Lage sind, die Kollisionsfälle zu entschärfen oder abzubauen. Im Laufe der Geschichte hat sich der Staat als ein solches System erwiesen. Dem Reich traute man die erforderliche Kraft - weithin zu Recht - nicht mehr zu. Im deutschen Bundesstaat47 des 19. Jh. ist sie unstreitig vorhanden, so daß Mehrfachstaatsangehörigkeiten innerhalb des Bundes allgemein für zulässig gehalten werden48 • Ausnahmsweise ließ es auch die besondere Rechtslage der Mediatisierten im Deutschen Bund zu, ihnen die infolge der Mediatisierung angefallenen mehrfachen Angehörigkeiten von Staats wegen zu belassen, jedoch wurde ihnen in bestimmten Fällen eine Optionspflicht auferlegt49 , um sie "persönlich" an nur einen Staat zu binden. Andererseits wurden Mehrfachangehörigkeiten bzw. Mehrfachindigenate angestrebt, um eine staatsinstitutionelle Integration herzustellen oder zu bestärken; Preußen und Österreich bieten insoweit Anschauungsmaterial bis in die nähere Gegenwart. 1926 taucht nämlich in Österreich der Gedanke auf, die in den Verträgen von St. Germain und Versailles ausgeschlossene Vereinigung von Österreich mit dem Deutschen Reich ersatzweise durch eine "gemeinsame", d. h. gedoppelte Staatsangehörigkeit einzuleiten, um von dort aus zur Rechtsvereinheitlichung als Vorstufe der Staatseinheit vorzudringen, ein Gedanke, der von renommierten Juristen begeistert protegiert wird50 • Vorgänge dieser Art führen generell zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Mehrfachangehörigkeit ihre existentiellen Schrek47 Zum Bundesstaat als System der Kriegshegung vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 368 f. 48 Vgl. u. a.pözl, Art. Staatsangehörigkeit, S.650, u. oben § 17/4. 49 Bad. VO v. 22. 4. 1824 Nr. 5 (RegBl. S. 71); Württ. Deklaration v. 8. 12. 1821 §§ 4 f. (RegBl. S. 880). 50 So Adolf Merkl u., Hans Gmelin, ferner Gottfried Hugelmann: vgl. die im "Verlag Deutsche Einheit" erschienene Schrift der Österreich-Deutschen Arbeitsgemeinschaft, Doppelte Staatsbürgerschaft, Wien 1928. Zur staatsangehörigkeitsrechtlichen Assoziation von Kongreßpolen u. Rußland seit 1832, vgl. Makarov, Rechtsbeziehungen, S. 355 ff.

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ken verliert, und ab welcher Assoziationsintensität und -art Staatenverbindungen den Kollisionsproblemen die Spitze nehmen. Sie führt zu überlegungen, die nicht am Globalstatus der Staatsangehörigkeit, sondern funktional ansetzen, indem sie bei der Frage beginnen, in welcher Hinsicht Kollisionen außerhalb des erwähnten "Ernstfalles" regelmäßig, wahrscheinlich und dann unzuträglich sind, für den Angehörigen oder für den Staat. Dieser Ansatz übersieht nicht, daß die Staatsangehörigkeit die Person potentiell total - im Rahmen des Verfassungsrechts - umfaßt; aber er geht davon aus, daß die mögliche Kollision nicht jeden Aspekt der potentiellen Inanspruchnahme zugleich und zur gleichen Zeit betrifft und daß manche effektiven Doppelbeanspruchungen um möglicher Vorteile der Mehrfachangehörigkeit willen in Kauf genommen werden. Wenn demgegenüber das Staatsangehörigkeitsverhältnis in seiner abstrakten Totalität und Ausschließlichkeit dem Kompatibilitätsurteil unterstellt wird51 , scheidet die differenzierende Betrachtung von vornherein aus. Man ist dann gezwungen, Mehrfachangehörigkeiten schlechthin als "Spaltung der Einen Person"52 und als irregulär zu behandeln, während sie nicht nur aufgrund der zählebigen These von der Staatssouveränität in Staatsangehörigkeitsfragen, sondern vor allem tatsächlich infolge der Zunahme der internationalen Verflechtungen an Häufigkeit zunehmen werden. Bei der Abwägung der verschiedenen Frageansätze ist zu bedenken, daß es in erster Linie der Staat ist, der in der Regel Mehrfachangehörigkeiten ver anlaßt und der zugleich die Grenzen der ihm genehmen Kompatibilität setzt. Lehrreich ist insoweit das Auslegungsschicksal des Art. 17 Code Civil zur Zeit Napoleons53 • Er richtete sich in der Hauptsache gegen den Erwerb einer zusätzlichen fremden Vollbürgerschaft, sparte hingegen den Erwerb eines Wohnrechts oder bestimmter Zivilrechte aus, ebenso die Partialeinbürgerung der "denization"54 im englischen Recht. Im Prinzip entsprach diese Haltung einem bereits 1664 ergangenen arret des Parlaments von Rouen. Napoleon jedoch engte den Bereich aus naheliegenden Gründen ein, indem er die Zulässigkeit der Annahme fremder Dienste einschränkte und jeder nicht autorisierten Naturalisation im Ausland die Anerkennung in Frankreich mit allen Konsequenzen beim Zuwiderhandeln versagte. Das Beispiel zeigt, wie die Kollisionsfragen durchaus aus ihren umfassenden Bezügen herausgelöst werden können oder aktualisiert, erweitert, jedenfalls aber funktional differenziert betrachtet werden können. Die Methode der funktionellen Differenzierung, deren Anwendungsbereich durch genaue rechtsvergleichende und völkerrechtliche Unter51 So Schulze, Staatsrecht I, S. 344 f.; v. Martitz, Staatsangehörigkeitsrecht, S.806. 52 BLuntschH, Völkerrecht, S.218. 53 Vgl. FoHeviHe, Traite, S. 275 ff., 281 ff., 304 ff. M Vgl. Parry, Nationality I, S. 39 ff. 16"

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suchungen noch abzugreifen ist, erlaubt nicht nur, die bei Mehrfachangehörigkeiten auftretenden Kollisionsprobleme zu spezifizieren, sondern läßt auch Erwägungen darüber zu, welche einzelnen Kollisionslagen durch andere als angehörigkeitsrechtliche, auf staatlichem oder völkervertraglichem Recht beruhende funktional äquivalente Lösungen abgeräumt werden können. Dazu sind etwa zu zählen die Gründung supranationaler Organisationen mit integrierten Kompetenzen, die Ablösung des Staatsangehörigkeits- durch das Territorialprinzip, wie sie im Steuerrecht weitgehend erfolgt ist, bzw. durch das Wohnsitzprinzip, das im Internationalen Privatrecht immer mehr Befürworter findet, ferner durch die Ersetzung des Volksheeres mit allgemeiner Wehrpflicht durch ein Berufsheer und dergleichen mehr. Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht kennt eine ganze Anzahl solcher Problemreduktionen, die den im 19. Jh. noch vorherrschenden Gesichtspunkt überholt haben, daß die Staatsangehörigkeit wie die Souveränität des Staates als unteilbar, unbeschränkbar, einmalig und in toto ausschließlich zu gelten habe und dementsprechend zu behandeln sei. Die bisherige Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts in seiner Relevanz für den internationalen Privat- und Staatenverkehr hat jedenfalls gezeigt, daß man mit der Mehrfachangehörigkeit nicht mehr nur als Irregularität rechnen kann. Daraus hat die Lehre zu Recht die Konsequenz gezogen, indem sie den staatsangehörigkeitsrechtlichen Ausschließlichkeitsanspruch problembezogen relativiert und für den Kollisionsfall Vor- und Nachzugsregeln nicht mehr - um eine scholastische Distinktion aufzunehmen - "quoad substantiam", sondern "quoad usum" anzuwenden vorschlägt55 • 4. Die vorgeschlagenen, vereinbarten und praktizierten Vor- und Nachzugsregeln sind verschiedener Art und führen zu unterschiedlichen Konsequenzen56 , die hier nicht ausgebreitet zu werden brauchen. Von besonderer Bedeutung ist jedoch der Gesichtspunkt der Effektivität, weil er nicht nur die gegenwärtigen Auffassungen über die Staatsangehörigkeit maßgeblich berührt, sondern auch im Laufe der Entstehungsgeschichte der Staatsangehörigkeit eine entscheidende Rolle gespielt hat. Was die gegenwärtige Rechtslage betrifft, so muß aus der Vielzahl der Entscheidungen, Gesetze und Stellungnahmen insbesondere auf Art. 5 der Haager Staatsangehörigkeitskonvention von 193057 und auf den Fall Nottebohm hingewiesen werden, der vom Haager Internationalen Gerichtshof am 6. 4. 195558 entschieden wurde. In diesem Fall wurde der Effektivitätsgrundsatz aus dem üblichen Konkurrenzfeld zweier oder Programmatisch so noch Triepel, Staatsangehörigkeit, S. 197 f. Vgl. das Spezialschrifttum; übersicht bei Makarov, Allg. Lehren, S. 305 ff.; Weis, Nationality, S. 172 ff.; Batiffol, Traite, S. 80 ff. 57 Vgl. FN.29. 58 C.I.J. Rec. 1955, S.4ff. 55 56

§ 20 Beständigkeit u. Ausschließlichkeit

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mehrerer rechtmäßig bestehender Staatsangehörigkeiten gelöst und im Verhältnis einer rechtlich bestehenden Staatsuntertänigkeit zu einer sozialökonomischen Verbundenheit mit dem Staat, einer tatsächlichen Angehörigkeit angewendet. Nottebohm, ehemals Deutscher, der von 1905 bis 1943 in Guatemala lebt und dort beträchtlichen Grundbesitz erwirbt, wird 1939 kurz nach Kriegseinbruch formal gesetzesmäßig in Liechtenstein naturalisiert; er verliert infolgedessen die deutsche Staatsangehörigkeit, wird aber dennoch von Guatemala als feindlicher Ausländer behandelt. Den Schutzanspruch Liechtensteins weist der Gerichtshof u. a. mit der Begründung zurück, eine Staatsangehörigkeit könne nur dann mit Anerkennung rechnen, wenn die Rechtsbeziehung durch eine tatsächlich bestehende soziale, existentielle und bewußtseinsmäßige Verbundenheit realisiert sei. Von der Kritik59 an diesem Urteil trifft der Vorwurf, "effektiv" sei ein vager Begriff, zwar zu, stellt aber auch die Effektivität als Vorzugsregel bei Mehrfachangehörigkeiten in Zweifel. Schwerer wiegt, läßt man die prozessualen Probleme außer acht, der Einwand, daß Staatsangehörigkeit und Schutzrecht voneinander gelöst werden60 , zu Lasten des Angehörigkeitsstaates und zu Lasten vor allem des schutzlos gestellten Individuums. Unangebracht hingegen ist es, hier Klein- gegen Großstaaten auszuspielen, da sich "effektiv" ersichtlich auf die Intensität der Angehörigkeit und nicht auf die reale Schutzfähigkeit des betreffenden Staates bezieht, so daß Johann Jacob Mosers Rat, sich an den jeweils Stärkeren zu halten, insoweit zumindest nicht als Völkerrechtssatz überlebt hat. Dennoch schließt die Begründung des Gerichtshofes, in ihre strukturellen Konsequenzen ausgezogen, in mancherlei Hinsicht an ältere Angehörigkeitsvorstellungen an, deren Wurzeln vor das 19. Jh. reichen, in dem die Nottebohm-Literatur sporadische Präjudizien, jedoch keine Grundsätze zu finden vermocht hat. Das ältere Angehörigkeitsrecht knüpft weitgehend an die realen Sozial- und Herrschaftsbeziehungen an, wie sich insbesondere aus den an das Domizil oder die Auswanderung anschließenden Rechtsfolgen ergibt; die bisherige Untersuchung hat wiederholt Anlaß gegeben, darauf hinzuweisen. Aber jenes Recht beobachtet dabei immer den Zusammenhang mit dem Schutz; der Angehörige ist zugleich der Schutzbefohlene; daraus beziehen Herrschaft und Angehörigkeit ihre Legitimation; daraus definiert sich wesentlich die Effektivität. Dabei bleibt es auch, als die Angehörigkeit transterritorial ausgreift, als das ius-sanguinis-Prinzip Verbreitung findet und als auch die, wie Bodin sagt, jahrzehntelange 59 Vgl. statt vieler Grossen, Nationalite, pass., mit zahlreicher weit. Lit.; zust. Panhuys, Nationality, S. 95 ff. 60 Akzeptiert hingegen von WengIer, Völkerrecht II, S. 986 f., allerdings ohne ein Kriterium für die Abgrenzung von Staatsangehörigkeit u. Schutzberechtigung zu geben. Vgl. aber oben 19 FN.66.

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Niederlassung in fremden, entfernten Ländern das Angehörigkeitsband nicht notwendig zerschneidet. Im Zuge einer generalisierenden Verrechtlichung wird das Erfordernis der tatsächlich näheren Beziehung des Angehörigen zum Staat vom konkreten Fall auf die Begründungsregeln bezogen; die begründete Angehörigkeit wird als effektive akzeptiert, und zwar auch im Fall der innerstaatlich oft prekären Naturalisation. Der zweiseitig bekräftigte Angehörigkeitswille gilt als hinreichender Angehörigkeitsbeweis61 • Soweit dagegen die Perpetuität der Angehörigkeitsbindung behauptet wird, findet sich die These eher bestätigt, daß die fragliche Effektivität eine Rechts- und keine Faktenkategorie ist 62 • Ohne diese Prämisse wäre die Lage der im Ausland von Staatsangehörigen geborenen und dort lebenden Angehörigen nach den an Nottebohm angelegten Maßstäben völlig hoffnungslos. Seitdem der ausgebildete, souveräne Staat im Schnittpunkt von Staats- und Völkerrechtsordnung steht, kann ein Zweifel an der rechts erheblich "effektiven" Verbindung von Schutz und Angehörigkeit nur als Zweifel an der Staatsqualität der betreffenden Gebietskörperschaft formuliert werden. Eine andere Frage ist, ob der Staat seinen Schutz entziehen und dennoch die Angehörigkeit behaupten darf. Nur ausnahmsweise, aus Gründen der zwischenstaatlichen Friedenssicherung stellt das Völkerrecht die Frage, ob die Zugehörigkeit zum Staat auch durch die Zugehörigkeit zu dem in ihm verfaßten Sozialverband gedeckt ist. Ein solcher Durchgriff durch die Rechtsform ist angebracht, wenn diese ihre Zuordnungsfunktion nicht mehr hinreichend leistet; so im Fall der Mehrfachangehörigkeit. Der Gerichtshof scheint die in der bisherigen Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts zu beobachtende Tendenz der Faktenabstraktion und Rechtsformalisierung jedoch weitgehender zurückwenden zu wollen. Fraglich bleibt, inwieweit der dadurch bewirkte Ausfall an Zuordnungsleistungen, der ja nicht nur das Schutzrecht, sondern auch die Aufnahmepflicht und die transterritoriale Personalhoheit betrifft, ausgeglichen werden kann. § 21 Ausblick

Ein Gesamturteil über die Entstehung der personalen Angehörigkeit an den modernen Staat kann angesichts der nach Land, Zeit und politischer Lage unterschiedlich verlaufenen Entwicklungslinien nur aussagearm oder fragmentarisch ausfallen und bleibt deshalb wie alle Gesamturteile über komplexe Sachverhalte fragwürdig. Jeder Maßstab für Begriff, Inhalt und Funktion der Staatsangehörigkeit und ihrer 61 a. A. Leibholz, Willkür, S. 100, der eine "räumlich nahe Beziehung" verlangt. 62 Vgl. u. a. Kieje, L'allegeance, S. 51 f.

§ 21

Ausblick

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Vorläufer, der ein halbes Jahrtausend Verfassungs geschichte und auseinanderliegende Gemeinwesen mit je eigener Erfahrung und Struktur überspannen soll, ist notwendigerweise unangemessen, bestenfalls gegenwartsorientiert, schlimmstenfalls von selbsternannter Apriorität. Die Untersuchungsergebnisse lassen es unangebracht erscheinen, Urteile über "den" Begriff, "den" Inhalt oder "die" Funktion der Staatsangehörigkeit als einer geschichtlich gewachsenen Institution abzugeben, zumal sie leicht den Anschein erwecken könnten, Grundsatzqualität für die Dogmatik des geltenden positiven Rechts zu beanspruchen. Dagegen ist es sinnvoll und geboten, Entwicklungstrends und Entwicklungsschwerpunkte anzugeben, die die Lage des geltenden Rechts in einem weiteren Zusammenhang zu sehen erlauben. Insoweit läßt sich, vereinfacht, feststellen, daß die Zeit bis ungefähr 1800 der Vorbereitung der Staatsangehörigkeit dient, daß sich im 19. Jh. die Staatsangehörigkeit entfaltet und ausbreitet und daß ungefähr seit dem letzten Drittel des 19. Jh. eine zunehmende Internationalisierung der Staatsangehörigkeit stattfindet, die mit einer gewissen Funktionsreduzierung einherzugehen scheint. Die einleitende These, daß die Staatsangehörigkeit den Staat voraussetzt, betrifft zunächst nur dessen Binnenstruktur. So wie der Staat als territorium clausum, als Inland hergestellt wird, so erfolgen die Generalisierung und Zentralisierung der Angehörigkeit vornehmlich nach "innen" und im Hinblick auf die innerstaatliche Rechtsordnung; die Staatsangehörigkeit bildet sich in ihren einzelnen Funktionsbereichen primär als Inländerstatus aus; die Abgrenzung zum Ausländer geschieht um der Verteilung inländischer Rechtspositionen willen. Dieser Zusammenhang ist zwar auch heute noch gültig; aber er wird überlagert und relativiert vom völkerrechtlichen Aspekt der Staatsangehörigkeit. Die entscheidende Ausgangsfrage, welche politische Ordnung als Staat gelten und damit Staatsangehörige haben kann, ist in das Völkerrecht übergegangen, aus dessen Sicht das verfassungsrechtliche Verhältnis von Herrschaft und Angehörigkeit in der jeweils zeitgebundenen und landeseigenen Ausprägung vergleichsweise unerheblich erscheinen. Zwar taucht schon in den Anfangsjahrzehnten des 19. Jh. das Problem der Staatsqualität als Voraussetzung der völkerrechtlichen Funktionen der Staatsangehörigkeit sporadisch auf; thematisch wird es eigentlich jedoch erst infolge der Auflösung des Empire, infolge der Entkolonialisierung und, Deutschland betreffend, aufgrund des Versailler Vertrages aktuell, weil damit auf breiter Linie Prozesse der Staatsbildung und -auflösung erklärungsbedürftig werden. Die Internationalisierung der Staatsangehörigkeit, die den Maßstab für eine der tragenden Existenzbedingungen des Staates abgibt, hat

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keine eigene Geschichte, sondern nimmt Teil an der Intensivierung des Staatenverkehrs überhaupt; infolgedessen erhalten auch die bereits dem klassischen Völkerrecht bekannten staatsexternen Funktionen der Staatsangehörigkeit: Schutzkompetenzen und -rechte, Aufnahmepflichten und Haftungsobjekte zuzuordnen, eine stärkere Aktualität und Komplexität. Die Fragen der Staatenlosigkeit und Mehrfachangehörigkeit überschreiten mit zunehmender Regelmäßigkeit den europäischen Rahmen; ihre Problematik, traditionell in das Bezugsfeld zweier Herrschaften bzw. Staaten eingespannt, erstreckt sich auf Drittstaaten; sie erstreckt sich vor allem auf Staaten, die die politisch-soziale Homogenität der europäischen Staatenwelt ebensowenig kennen wie die Tradition der Fürstensouveränität samt der sie balancierenden Individual- und Gemeinschaftspositionen. Heffters "Europäisches Völkerrecht der Gegenwart" gibt eine Anschauung von diesem konkreten recht