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German Pages 292 Year 2022
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 196
Insiderinformationen im Aufsichtsrat Eine Untersuchung zur Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und ihres Aufschubs
Von
Max Malte Suchsland
Duncker & Humblot · Berlin
MAX MALTE SUCHSLAND
Insiderinformationen im Aufsichtsrat
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 196
Insiderinformationen im Aufsichtsrat Eine Untersuchung zur Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und ihres Aufschubs
Von
Max Malte Suchsland
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.
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D 29 Alle Rechte vorbehalten
© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18523-8 (Print) ISBN 978-3-428-58523-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Oma & Opa
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand von Oktober 2021; nachfolgende Veröffentlichungen konnten nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Zuvörderst gilt mein Dank meinem verehrten Doktorvater Herrn Professor Dr. Klaus Ulrich Schmolke LL. M. (NYU), der mir sämtliche für die Entstehung dieser Arbeit erforderlichen akademischen Freiheiten gelassen hat und mir zugleich jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stand. Ferner danke ich Herrn Professor Dr. Robert Freitag, Maître en droit (Bordeaux), für die Erstellung seines anregenden Zweitgutachtens und das angenehme Prüfungsgespräch. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts und viele spannende Diskussionen möchte ich Alexander Daber, Dr. Bernhard Gröhe, Hendrik Schlander und Dr. Yannick Witt, MJur (Oxon) meinen Dank aussprechen. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie, die mich während der Entstehung dieser Arbeit ebenso wie während meiner gesamten juristischen Laufbahn motiviert und gefördert hat. Mein größter Dank gilt schließlich meiner Freundin Franzi für ihre bedingungslose Liebe und Unterstützung während meiner Promotion und in allen anderen Lebenslagen. Düsseldorf, im Oktober 2021
Max Malte Suchsland
Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Grund und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . 25 I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Grundlagen der Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Wissenszurechnung im Rahmen der Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Wissensunabhängige Entstehung der Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Bloßes Entstehen der Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Möglichkeit der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bloßes Vorliegen einer Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfordernis des Emittentenwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendbarkeit der Wissenszurechnung im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 50 61 94 102
IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personalentscheidungen des Aufsichtsrats in Bezug auf den Vorstand . . . . . . . 2. Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Untersuchungen und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Personalfragen innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Investorenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 107 109 111 112
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . 1. Zurechnung im Rahmen der Wissensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Direkte Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurechnung von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 116 124 131 144
III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise . 1. Möglichkeit der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmte Insiderinformationen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 145 152 153
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Inhaltsübersicht IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . 155 I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . 1. Ad-hoc-Publizität als Vorstandsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Delegation der Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 155 163 177
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . 1. Bedürfnis für die Wahrung der Vertraulichkeit gegenüber dem Vorstand . . . . . 2. Dogmatische Verankerung der Selbstbefreiungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zu der Zuständigkeit des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit für die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178 179 186 200 204 210
III. Verfahren der Selbstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Pflichtenumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Möglichkeit der Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Börsennotierte Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Börsennotierte Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Börsennotierte Mutter- und Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insiderinformationen im Aufsichtsrat mit konzernübergreifender Bedeutung . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216 217 218 218 220 223
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Wissenszurechnung im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation im Konzern . . . . . . 238 III. Konzernbezogene Insiderinformationen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 F. Besonderheiten bei der Societas Europaea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Dualistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Monistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ad-hoc-Publizitätspflicht der monistischen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kenntnis der SE von einer Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation bei der monistischen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Selbstbefreiungskompetenz des Verwaltungsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250 250 258 261 264 265
Inhaltsübersicht
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III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 G. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Grund und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . 25 I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Grundlagen der Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Absolute Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Wertende Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Wissensorganisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 (1) Wissen von Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 (2) Wissensvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 bb) Grenzen der Wissensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (1) Zumutbarkeit der Wissensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (2) Verschwiegenheitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (3) Privates Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 cc) Dogmatische Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 (1) Gleichstellungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 (2) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (3) Verkehrsschutz- und Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Wissenszurechnung in anderen Normzusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Wissenszurechnung im Rahmen der Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Anwendung der Wissensorganisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Beschränkung auf Vorstandswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Zeitpunkt der Entstehung der Veröffentlichungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Wissensunabhängige Entstehung der Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Bloßes Entstehen der Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Möglichkeit der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
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Inhaltsverzeichnis III. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Bloßes Vorliegen einer Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Systematische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Unmittelbarer Emittentenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Vergleich mit Art. 8, 9 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 cc) Verhältnis zur Kapitalmarktinformationshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Verletzung des ultra posse-Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Sanktionsloser Verstoß? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Unternehmensinterne Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Unternehmensexterne Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Erfordernis des Emittentenwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Rechtsprechung und Aufsichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Auffassungen der ESMA und der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Vereinbarkeit mit dem ultra posse-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Normzweck der Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Zurechnung des Vorstandswissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (1) Verwirklichung des Normzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (2) Verhältnis zur Kapitalmarktinformationshaftung . . . . . . . . . . . . . . . 70 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 cc) Praktische Unterschiede zwischen Wissenszurechnung und Möglichkeit der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (1) Gleichlauf der Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (2) Zeitliche Parallelität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (3) Unterschiede der beiden Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (a) Unterschiede in Bezug auf unternehmensexterne Informationen 75 (b) Unterschiede in Bezug auf den Umfang der veröffentlichungspflichtigen Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (c) Pflichtencharakter der Wissensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) „inform“/„bekannt geben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) „as soon as possible“/„unverzüglich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (1) Subjektives Tatbestandsmerkmal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (2) Unverzüglichkeit als pflichtenbeschreibendes Merkmal . . . . . . . . . . 84
Inhaltsverzeichnis
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cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 e) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Binnensystematik von Art. 17 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Bewertung der Kurserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung . . . . . . . 88 bb) Vergleich mit der Beteiligungspublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Anwendbarkeit der Wissenszurechnung im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . 94 a) Sperrwirkung der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Vollharmonisierung und Regelungszweck der MAR . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Rückgriff auf nationale Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Übertragbarkeit der vertragsrechtlichen Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . 98 aa) Gleichstellungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Verkehrsschutz und Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Personalentscheidungen des Aufsichtsrats in Bezug auf den Vorstand . . . . . . . 105 2. Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Untersuchungen und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4. Personalfragen innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5. Investorenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . 114 1. Zurechnung im Rahmen der Wissensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Extern erlangtes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Verschwiegenheitspflicht innerhalb einer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Pflicht zur Informationsweitergabe an den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Direkte Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Anwendungsbereich der direkten Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
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Inhaltsverzeichnis b) Kenntnis des Gesamtorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Differenzierung nach Art der Wissenserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Zurechnung von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Personalentscheidungen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Compliance-Verstöße und Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Personalmaßnahmen innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Aufsichtsratsvorsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Niederlegung des gesamten Aufsichtsratsmandats . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Kapitalmarktkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Investorenkommunikation als Aufsichtsratsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Grundsätzliche Frage der Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Gegenstände des Investorendialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (3) Organinterne Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Zurechenbarkeit der durch Investorenkommunikation erlangten Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise
144
1. Möglichkeit der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Passive Organisationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Aktive Organisationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Faktische Möglichkeit der Verarbeitung von Insiderinformationen . . . . 148 bb) Rechtliche Möglichkeit der Verarbeitung von Insiderinformationen . . . 149 cc) Personelle Möglichkeit der Verarbeitung von Insiderinformationen . . . 150 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Bestimmte Insiderinformationen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . 155 I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Ad-hoc-Publizität als Vorstandsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Allzuständigkeit des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Ad-hoc-Publizität als Organisationsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Legalitäts- und Compliance-Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Kapitalmarkt-Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Inhaltsverzeichnis
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c) Ad-hoc-Publizität als Kommunikationsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Delegation der Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Horizontale Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Grundsätze der Delegierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Delegationsverbot kraft gesetzlicher Zuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Delegationsverbot von Leitungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Charakterisierung der Leitungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (2) Ad-hoc-Publizität als Leitungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (3) Ausnahme bei besonders bedeutsamen Insiderinformationen . . . . . . 169 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Vertikale Delegation der Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Gestaltung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Ansichten der ESMA und der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Rechtsnatur der Einschätzung der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 cc) Meinungsstand und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . 178 1. Bedürfnis für die Wahrung der Vertraulichkeit gegenüber dem Vorstand . . . . . 179 a) Personalentscheidungen in Bezug auf den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Weitergabe an das Ad-hoc-Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Ausschluss des Vorstandsmitglieds von der Beschlussfassung . . . . . . . . 182 b) Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Untersuchungen und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 d) Personalfragen innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 e) Kapitalmarktkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Dogmatische Verankerung der Selbstbefreiungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Delegierte Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Annexkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Die Annexkompetenz im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Die Annexkompetenz im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Übertragung auf die Selbstbefreiungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (1) Normativer Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (2) Notwendigkeit zur Wahrnehmung einer originären Kompetenz . . . . 193 (a) Wahrnehmung der aktienrechtlichen Kompetenzen . . . . . . . . . . 193 (b) Sachnähe des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (3) Punktuelle Kompetenzverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
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Inhaltsverzeichnis dd) Konflikt mit § 111 Abs. 4 S. 1 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Verhältnis zu der Zuständigkeit des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Wissensvorsprung als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Abschließende Zuständigkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Ausschluss des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Zuständigkeit für die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen . . . . . . . . . . . 204 a) Stellungnahmen zu dem Modul C-Entwurf des Emittentenleitfadens . . . . . . 205 b) Dogmatische Verankerung der Zuständigkeit für die Veröffentlichung . . . . 206 aa) Delegierte Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Annexkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (1) Wahrnehmung eigener Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Punktuelle Kompetenzverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Fehlende praktische Umsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 III. Verfahren der Selbstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Pflichtenumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Möglichkeit der Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Börsennotierte Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Börsennotierte Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Börsennotierte Mutter- und Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 4. Insiderinformationen im Aufsichtsrat mit konzernübergreifender Bedeutung 220 a) Personalfragen in Bezug auf den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Untersuchungen und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Personalfragen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Investorenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Wissenszurechnung im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Grundlagen der Wissenszurechnung im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Inhaltsverzeichnis
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b) Zurechnung von der Tochter- zur Muttergesellschaft („von unten nach oben“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Kapitalmarktrechtliche Verpflichtung zur Informationsweitergabe . . . . 226 bb) Gesellschaftsrechtliche Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (1) Wissenszurechnung im Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (2) Wissenszurechnung im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Zurechnung von der Mutter- zur Tochtergesellschaft („von oben nach unten“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Grenzen der Informationsweiterleitung im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 e) Konzernweite Zurechnung von Aufsichtsratswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Organschaftliche Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 bb) Zuständigkeit für die Informationsweiterleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Doppelorganmitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation im Konzern . . . . . . 238 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Emittentin als abhängige Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Emittentin als herrschende Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Besonderheiten bei Doppelorganmitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 e) Einbindung des Aufsichtsrats in die konzernweite Informationsorganisation 242 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III. Konzernbezogene Insiderinformationen im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 F. Besonderheiten bei der Societas Europaea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Dualistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Monistische SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Ad-hoc-Publizitätspflicht der monistischen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht . . . . . . . . . . 250 b) Zuständigkeit des Verwaltungsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Personalmaßnahmen in Bezug auf geschäftsführende Direktoren . . . . . 252 bb) Rücktrittsabsichten eines geschäftsführenden Direktors . . . . . . . . . . . . . 253 cc) Compliance-Verstöße und interne Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . 254 dd) Rücktrittsabsichten eines nicht-geschäftsführenden Mitglieds . . . . . . . . 255 ee) Kapitalmarktkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
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Inhaltsverzeichnis 2. Kenntnis der SE von einer Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Grundsätze der Wissenszurechnung bei der monistischen SE . . . . . . . . . . . . 258 b) Zurechnung von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation bei der monistischen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Inhaltliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Personelle Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 4. Selbstbefreiungskompetenz des Verwaltungsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
G. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
A. Einführung I. Grund und Gegenstand der Untersuchung „Ein Emittent gibt der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar diesen Emittenten betreffen, unverzüglich bekannt.“ So schlicht umschreibt Art. 17 Abs. 1 MAR die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen (Ad-hocPublizitätspflicht). Dabei handelt es sich um eines der wichtigsten Instrumente eines integren und funktionierenden Kapitalmarkts und eine der praktisch bedeutsamsten Folgepflichten einer Börsennotierung. In jüngster Zeit gerät immer wieder auch der Aufsichtsrat in das Blickfeld der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat sich in dem kürzlich erschienenen Modul C ihres Emittentenleitfadens erstmalig zu dem Umgang mit Insiderinformationen im Aufsichtsrat geäußert.1 Auch wenn zumeist der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft die Pflicht wahrnimmt, die Emittentin betreffende Insiderinformationen in Form von Ad-hocMitteilungen zu veröffentlichen, ist es darüber hinaus vorstellbar, dass auch im Aufsichtsrat Insidertatsachen entstehen oder bekannt werden können. Dies betrifft vor allem Personalmaßnahmen in Bezug auf den Vorstand oder den Aufsichtsrat selbst, sowie Untersuchungen und Schadensersatzforderungen gegen Vorstandsmitglieder. Auch Insiderinformationen, die der Aufsichtsrat im Rahmen seiner zulässigen Kommunikation mit anderen Kapitalmarktteilnehmern erlangt, können potentiell ad-hoc-pflichtig sein.2 Ziel dieser Arbeit ist es, zu erläutern, wie die Emittentin mit solchen Insiderinformationen im Aufsichtsrat umzugehen hat. Grundsätzlich spricht Art. 17 Abs. 1 MAR die Veröffentlichungspflicht allgemein der Emittentin zu, also der juristischen Person als solcher. Zu der innergesellschaftlichen Zuständigkeitsverteilung trifft die Norm keine Aussage. Insbesondere fragt sich, ob der Aufsichtsrat verpflichtet sein kann, über den Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 4 MAR zu entscheiden. Die Frage, ob der Aufsichtsrat bisweilen befugt oder verpflichtet sein kann, die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung zu treffen, stellt sich 1
BaFin, Emittentenleitfaden Modul C (Stand: 25. 03. 2020), I.3.3.1.1, S. 36; abrufbar unter: www.bafin.de/DE/Aufsicht/BoersenMaerkte/Emittentenleitfaden/emittentenleitfaden_node. html. 2 Siehe zu den Fallgruppen ausführlich: C.I.
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A. Einführung
jedoch nur, wenn in einer solchen Fallkonstellation überhaupt eine Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR besteht.3 Denn wenn Insiderinformationen, die im Aufsichtsrat auftreten, gar nicht veröffentlichungspflichtig wären, bedürfte auch die Selbstbefreiungskompetenz keiner Erörterung mehr. Somit ist Gegenstand dieser Untersuchung einerseits, ob eine Emittentin verpflichtet ist, Insiderinformationen zu veröffentlichen, die in ihrem Aufsichtsrat vorliegen und andererseits ob hieraus eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht resultiert.
II. Gang der Untersuchung Bevor die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht untersucht werden kann, ist zunächst zu klären, ob diese die Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation voraussetzt oder ob sie ohne jegliches kognitives Element auskommt. Dies soll im ersten Teil der Arbeit untersucht werden (unter B.). In der Literatur werden schon seit der Geltung von § 15 WpHG a. F. unterschiedliche Ansätze dazu vertreten, ob und welche ergänzenden Voraussetzungen vorliegen müssen, um eine Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin zu begründen. Eine Strömung sieht die Kenntnis der Emittentin von der jeweiligen Insiderinformation als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 17 Abs. 1 MAR an. Da die Emittentin notwendigerweise eine juristische Person ist, ergebe sich hieraus die Frage, welches Wissen einer natürlichen Person zugerechnet werden kann. Eine andere Strömung hingegen verneint dieses zusätzliche Erfordernis und geht im Grundsatz davon aus, dass die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bereits an dem objektiven Vorliegen einer Insiderinformation anknüpft. Innerhalb der ersten Auffassung ist zudem die Reichweite der Wissenszurechnung umstritten. Während der überwiegende Teil der Vertreter eine Pflicht zur Einrichtung einer unternehmensinternen Wissensorganisation annimmt, die auch das Wissen von Mitarbeitern unterhalb der Organebene erfasst, beschränkt eine zweite Spielart die Veröffentlichungspflicht auf solche Informationen, die dem Vorstand der Emittentin positiv bekannt sind. Auch die zweite Auffassung wird in zwei Varianten vertreten: Nach einem weiten Verständnis genügt bereits der objektive Eintritt eines kursrelevanten Ereignisses für das Bestehen einer Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR. Die zweite Lesart dieser Auffassung verlangt hingegen, dass eine Möglichkeit der Veröffentlichung bestehen muss, indem mindestens ein Unternehmensangehöriger von der Information Kenntnis hat oder haben könnte und sie daher intern weiterleiten kann.
3 Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 55.
II. Gang der Untersuchung
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Das erste Anliegen dieser Arbeit ist es, diese unterschiedlichen Ansätze gegenüberzustellen und kritisch zu würdigen. Dabei gilt besonderes Augenmerk der Frage, welche von ihnen dem Normzweck der Ad-hoc-Publizität gerecht werden. Im nächsten Schritt ist sodann zu prüfen, zu welchen Ergebnissen diese Ansichten in Bezug auf Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Emittentin kommen (unter C.). Denn die Frage nach der Selbstbefreiungszuständigkeit des Aufsichtsrats kann nur übereinstimmend mit der Frage nach der Entstehung der Veröffentlichungspflicht beantwortet werden. Für die Anwendung der Wissenszurechnung kommen grundsätzlich zwei Ansätze in Betracht: Zum einen ist es denkbar, das Wissen des Aufsichtsrats der Gesellschaft zuzurechnen, indem die Wissensorganisation des Vorstands auch den Aufsichtsrat erfasst. Zum anderen könnte das Wissen des Aufsichtsrats auch unmittelbar als das Wissen der Gesellschaft angesehen werden. Hierfür kommt es vor allem darauf an, ob die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats auch gegenüber dem Vorstand gilt. Weiterhin gilt es einige Folgefragen zu klären, etwa, ob schon die Kenntnis eines Mitglieds des Aufsichtsrats ausreicht oder ob das Gesamtorgan von einer Insiderinformation Kenntnis haben muss und ob zwischen dienstlich oder privat erlangtem Wissen differenziert werden muss. Die problematischste Frage ist jedoch, ob das von der deutschen Literatur und Rechtsprechung entwickelte Konzept der Wissenszurechnung auch im Kontext der europarechtlich fundierten MAR Anwendung finden kann. Zudem wurde vorgebracht, dass die Gleichstellung von juristischen und natürlichen Personen, die vor allem der BGH zur Begründung der Wissenszurechnung heranzieht, im Rahmen der Ad-hoc-Publizität von vorneherein nicht greife, weil nur eine juristische Person als Emittentin in Betracht kommt. Diese Diskussion ist vor allem durch Klöhn befeuert worden, der eine „Irrelevanz der Wissenszurechnung“ konstatiert.4 Ob ein solches Verständnis jedoch unionsrechtlich zwingend ist, soll einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Ferner sind auch die Folgen eines kenntnisunabhängigen Verständnisses der Adhoc-Publizitätspflicht für im Aufsichtsrat vorhandene Insiderinformationen aufzuzeigen. Soweit ersichtlich, hat sich jedoch noch kein Vertreter dieser Auffassung damit auseinandergesetzt, inwiefern die Möglichkeit der Veröffentlichung auch solche Insiderinformationen erfassen kann, die im Aufsichtsrat auftreten oder bekannt werden. Das Hauptaugenmerk soll daher darauf liegen, den kenntnisunabhängigen Ansatz derart weiterzuentwickeln, dass er die in Rede stehende Situation von Aufsichtsratswissen zufriedenstellend lösen kann. Nachdem geklärt wurde, ob und unter welchen Voraussetzungen Insiderinformationen im Aufsichtsrat veröffentlichungspflichtig sind, gilt es im nächsten Abschnitt der vorliegenden Arbeit, die organschaftliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den Aufschub von Ad-hoc-Mitteilungen zu beleuchten (unter D.). Denn eine 4
Klöhn, NZG 2017, 1285.
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A. Einführung
Selbstbefreiungskompetenz muss nicht nur in kapitalmarktrechtlicher Hinsicht erforderlich, sondern auch mit der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung der Emittentin vereinbar sein. Daher ist danach zu fragen, unter welchen Voraussetzungen sie in Betracht kommt und wie sie sich dogmatisch begründen lässt. Ferner soll erörtert werden, ob der Aufsichtsrat auch für die Veröffentlichung einer Insiderinformation in Form einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig ist. Da das Ziel dieser Arbeit eine ganzheitliche Untersuchung der mit Insiderinformationen im Aufsichtsrat in Verbindung stehenden Fragen ist, soll zum Abschluss noch gezeigt werden, inwiefern auch im Konzern auftretende Insiderinformationen eine Selbstbefreiungsentscheidung des Aufsichtsrats verlangen können (unter E.) und wie sich die Fragen der Entstehung der Veröffentlichungspflicht und der Selbstbefreiungszuständigkeit im Verwaltungsrat einer Societas Europaea stellen (unter F.). Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung und einem Fazit (unter G.).
B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht Bevor die Frage nach dem Umgang mit Insiderinformationen im Aufsichtsrat beantwortet werden kann, ist zu klären, ob in solchen Situationen, in denen eine Insiderinformation allein dem Aufsichtsrat bekannt ist, überhaupt eine Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR vorliegt. Denn nur wenn die Emittentin die Insiderinformation veröffentlichen muss, kann auch der Aufsichtsrat verpflichtet sein, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen oder über deren Aufschub zu beschließen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 MAR sind jedoch umstritten. Ein Teil der Literatur sieht eine der Emittentin zurechenbare Kenntnis von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal an (unter I.). Ein anderer Teil der Literatur hingegen verneint dieses zusätzliche Erfordernis und geht davon aus, dass die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bereits an dem objektiven Vorliegen einer Insiderinformation anknüpft (unter II.). Diese beiden Auffassungen werden im Folgenden gegenübergestellt und kritisch gewürdigt (unter III.). Dabei soll auch untersucht werden, zu welchen praktischen Unterschieden sie führen und ob diesbezüglich eine Entscheidung für eine der beiden Ansichten überhaupt erforderlich ist.
I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung Eine Ansicht in der Literatur sieht – und sah auch schon zu § 15 WpHG a. F. – die Kenntnis der Emittentin von der zu veröffentlichenden Insiderinformation als Voraussetzung dafür an, dass diese publizitätspflichtig wird.1 Ihr Ausgangspunkt ist, dass die Pflicht der Emittentin, eine Insiderinformation zu veröffentlichen, erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem sie von dieser Insiderinformation Kenntnis erlangt.2 Das bloß objektive Vorliegen einer Insiderinformation genüge nicht für das Ent-
1 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 34, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385), Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 80, 85, Koch, AG 2019, 273, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30; zu § 15 WpHG a. F.: Habersack, DB 2016, 1551, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 328, Sajnovits, WM 2016, 765, Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1085), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (76), Buck-Heeb, CCZ 2009, 18. 2 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385 f.), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 34, Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1085), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
stehen der Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR.3 Die Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation sei somit Teil des objektiven, pflichtenbegründenden Tatbestands4 und müsse als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in Art. 17 Abs. 1 MAR hineingelesen werden.5 Pflichtenadressat des Art. 17 Abs. 1 MAR ist jedoch die Emittentin, die in Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR als „juristische Person“ legaldefiniert ist. Hieraus ergibt sich zwangsläufig die Problematik, dass juristische Personen als solche nicht handlungsund wissensfähig sind.6 Sie bedienen sich zur Teilnahme am Rechtsverkehr natürlicher Personen, deren Wissen ihnen zugerechnet wird.7 Demzufolge müsste es auch im Recht der Ad-hoc-Publizität auf die Zurechenbarkeit von Wissen zur Emittentin ankommen. Im Folgenden werden daher zunächst die Grundlagen der Wissenszurechnung im Gesellschaftsrecht nachgezeichnet (unter 1.), bevor auf die Auffassung eingegangen wird, die diese auch für die Ad-hoc-Publizitätspflicht zur Anwendung bringen will (unter 2.).
1. Grundlagen der Wissenszurechnung Die Frage danach, wann eine juristische Person als wissend anzusehen ist, wird auch außerhalb des Kapitalmarktrechts virulent und ist dort unter dem Schlagwort der „Wissenszurechnung“ bereits intensiv diskutiert worden.8 Die folgende Darstellung soll keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern lediglich diejenigen Aspekte herausgreifen, die für die Frage nach dem Wissen der Emittentin von einer Insiderinformation von Belang sind. Unsere Rechtsordnung knüpft den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen vielfach an den Wissensstand der handelnden Person. Ein Paradebeispiel hierfür ist der gutgläubige Erwerb des Eigentums nach § 932 Abs. 2 BGB, aber beispielsweise auch 3 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385), Sajnovits, WM 2016, 765, Habersack, DB 2016, 1551 (1554), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30. 4 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (393), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 50; a. A. Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 41 ff. 5 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 50, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30. 6 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 9 f., Koch, AG 2019, 273 (277). 7 Baumann, ZGR 1973, 284 (289), Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (29), RömmerCollmann, Wissenszurechnung, S. 49, Waltermann, AcP 192 (1992), 181 (183 f., 218), Bohrer, DNotZ 1991, 124 (126). 8 Grundlegend: Bohrer, DNotZ 1991, 124, Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4, Buck, Wissen und juristische Person, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 ff.; aus dem jüngeren Schrifttum: Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, Spindler, ZHR 181 (2017), 311, Liebscher, ZIP 2019, 1837, Reuter, ZIP 2017, 310, zuletzt Guski, ZHR 184 (2020), 363, Armbrüster/Kosich, ZIP 2020, 1494.
I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung
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die Kenntnis eines Anfechtungsgrundes nach § 142 Abs. 2 BGB oder der Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.9 Diese Vorschriften sind jedoch auf natürliche Personen zugeschnitten. Da juristische Personen hingegen als solche nicht wissensfähig sind, muss ihnen das Wissen einer natürlichen Person zugerechnet werden.10 Unter welchen Voraussetzungen eine solche Wissenszurechnung vorgenommen werden darf, ist eine in Literatur und Rechtsprechung oft behandelte, aber immer noch nicht zufriedenstellend gelöste Frage. Auch wenn bisweilen von „allgemeinen Grundsätzen der Wissenszurechnung“ die Rede ist, sind trotz einer mittlerweile gefestigten BGH-Rechtsprechung und unzähliger Veröffentlichungen zu dieser Thematik zahlreiche Einzelfragen, vor allem aber die dogmatischen Grundlagen der Wissenszurechnung, immer noch nicht geklärt.11 a) Absolute Zurechnung Nach der früher herrschenden Meinung, die auf die sog. Organtheorie Otto von Gierkes zurückging, war das Wissen bereits eines Organvertreters einer juristischen Person eo ipso das Wissen der juristischen Person selbst.12 Der Organtheorie zufolge sind Organwalter keine Vertreter der Körperschaft, sondern handeln unmittelbar als diese „ebenso wie der Einzelmensch durch die Glieder seines Leibes“.13 Demnach musste sich eine juristische Person das sowohl privat als auch geschäftlich erlangte Wissen all ihrer vertretungsberechtigten Organpersonen zurechnen lassen, auch wenn das wissende Organmitglied an dem betreffenden Rechtsgeschäft nicht selbst mitgewirkt bzw. nichts davon gewusst hat, ja sogar unabhängig davon, ob es überhaupt noch Organmitglied war.14 Das Reichsgericht führte zur Begründung der Zurechnung lediglich aus, sie liege „in der Natur der Sache“.15 Diese Form der Wissenszurechnung vermochte das Problem des Wissens einer juristischen Person nicht zufriedenstellend zu lösen. Schon ihre gedankliche Grundlage, die Organtheorie, findet im Gesetz keinen Anhaltspunkt.16 Außerdem 9
Übersicht bei Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (4 f.). Bohrer, DNotZ 1991, 124 (126), Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (29), Koch, AG 2019, 273 (277). 11 Koch, AG 2019, 273 (277 f.), Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1845), Seidel, AG 2019, 492, Risse, NZG 2020, 856 (861 f.). 12 RG, JW 1935, 2044, BGHZ 41, 282 (287) juris-Rn. 20, RGRK-Steffen, BGB, § 166 Rn. 5, Richardi, AcP 169 (1969), 385 (388); allgemein zur historischen Entwicklung Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (126 ff.), Buck, Wissen und juristische Person, S. 221 ff. 13 v. Gierke, Wesen der menschlichen Verbände, S. 29; zitiert nach: Buck, Wissen und juristische Person, S. 216. 14 RG, JW 1935, 2044, BGHZ 20, 149 (153) juris-Rn. 9, BGHZ 41, 282 (287) juris-Rn. 20. 15 RG, JW 1935, 2044, dazu Baumann, ZGR 1973, 284 (287). 16 Baumann, ZGR 1973, 284 (290 f.), Waltermann, AcP 192 (1992), 181 (219 f.), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 10. 10
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
wurde die absolute Zurechnung als einerseits zu eng, da sie nur auf Organwissen abzielt, andererseits aber auch als zu weitgehend empfunden, weil es ihr an einer persönlichen und zeitlichen Begrenzung fehlt.17 Einer juristischen Person sei kein „Vergessen“ erlaubt, wenn das Wissen ihres Organmitglieds noch über dessen Ausscheiden und sogar dessen Tod hinaus zurechenbar ist.18 Vor allem aber erfolge die Zurechnung nach der Organtheorie unabhängig davon, ob überhaupt eine Möglichkeit der Wissensweitergabe bestanden hat.19 Insofern werde eine Rechtsfolge ausgelöst, ohne dass sie durch normgerechtes Verhalten vermieden werden könnte. b) Wertende Wissenszurechnung Daher hat sich der BGH von einer solchen absoluten Sichtweise gelöst. Die Leitentscheidungen betrafen dabei allesamt die Haftung einer Körperschaft aus einem Kaufvertrag wegen Sachmängeln, die zwar nicht dem vertragsschließenden Vertreter, wohl aber einer anderen Person in der Sphäre der Verkäuferin bekannt waren oder hätten bekannt sein können. Im „Schlachthaus-Urteil“ entschied der BGH, die Wissenszurechnung sei „nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz, sondern nur in wertender Beurteilung zu entscheiden“.20 Einer Körperschaft sei ein ihr durch einen Organvertreter einmal vermittelter Kenntnisstand nur dann zu einem späteren Zeitpunkt noch zurechenbar, wenn es sich um „typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen“ handelt.21 Dies war bei der Kenntnis eines stellvertretenden Bürgermeisters von einer Abrissverfügung zu bejahen. Auch das Wissen eines Organmitglieds muss der juristischen Person also zurechenbar sein und ist nicht unbesehen mit dem Wissen der juristischen Person gleichzusetzen.22 In Abgrenzung zum „Schlachthaus-Urteil“ verneinte der BGH in der „Knollenmergel-Entscheidung“ indes die Zurechnung von Wissen, das einer juristischen Person durch einen Sachbearbeiter unterhalb der Organebene vermittelt wurde.23 Zwar zeigte der V. Senat schon in dieser Entscheidung gewisse Sympathien für eine Wissenszurechnung, die nicht auf die Organstellung des Wissensträgers, sondern auf dessen organisatorische Verfügbarkeit abstellt, musste sich 17 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (14), Bohrer, DNotZ 1991, 124 (127), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (303 f.). 18 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (14), Flume, Juristische Person, S. 403. 19 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (14 f.), Buck, Wissen und juristische Person, S. 234, vgl. auch Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (18 f.). 20 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus. 21 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus. 22 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus, Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 30, Klöhn, NZG 2017, 1285 (1289), Baumann, ZGR 1973, 284 (289); a. A. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (395). 23 BGHZ 117, 104 juris-Rn. 9 ff. – Knollenmergel.
I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung
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aber mangels Entscheidungserheblichkeit diesbezüglich noch nicht festlegen.24 Im „Altlasten-Urteil“ schloss er sich schließlich der Literatur an und legte fest, dass die Wissenszurechnung in der Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation begründet ist.25 aa) Wissensorganisationspflichten Die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt für die Frage nach dem Wissen einer juristischen Person also darauf ab, ob eine Information bei ordnungsgemäßer Organisation auch für andere Personen als die konkret Wissenden verfügbar ist.26 Wird gegen die gesellschaftsinternen Wissensorganisationpflichten verstoßen, muss sich die Gesellschaft so behandeln lassen, als habe sie über das entsprechende Wissen verfügt, welches ihr wegen der mangelhaften Wissensorganisation nicht zur Verfügung steht.27 Infolge dieser Rechtsprechung ist mittlerweile eine allgemeine Pflicht zur ordnungsgemäßen Wissensorganisation für jede am Rechtsverkehr teilnehmende Körperschaft anerkannt.28 Diese besteht in drei Ausprägungen: Informationsweiterleitungs-, Informationsspeicherungs- und Informationsabfragepflicht.29 Dadurch kann einer Gesellschaft bei Anwendung der organisationsbasierten Wissenszurechnung auch dasjenige Mitarbeiterwissen zugerechnet werden, das durch die Organisationsstruktur verfügbar ist oder verfügbar sein könnte.30 Wenn für einen Unternehmensangehörigen erkennbar ist, dass die von ihm erlangte Kenntnis von einer Information auch für andere Personen im Unternehmen von Bedeutung ist, hat er diese Information an jene Personen weiterzuleiten.31 Ist sie möglicherweise erst für die Zukunft von Bedeutung, hat er sie so abzuspeichern, dass sichergestellt wird, dass sie nicht verloren geht und bei Bedarf abgerufen werden kann.
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BGHZ 117, 104 juris-Rn. 14 ff. – Knollenmergel. BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 f. – Altlasten. 26 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 – Altlasten, BGHZ 135, 202 juris-Rn. 17, BGHZ 140, 54 juris-Rn. 32, BGH, NJW 1999, 3777 juris-Rn. 10 ff., BGH, WM 2006, 194 juris-Rn. 13. 27 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (28), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (304), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), Koch, ZIP 2015, 1757 (1761), Verse, AG 2015, 413 (417), siehe auch LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 178. 28 KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 84, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 27, Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (152 f.), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 97 m. w. N. auch zum GmbHRecht. 29 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21, 26 – Altlasten, Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (24), Werner, WM 2016, 1474 (1475), Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540 (2541), Koch, ZIP 1757 (1760), Hauschka/Moosmayer/Lösler-Buck-Heeb, Corporate Compliance, § 2 Rn. 26. 30 Siehe dazu Seidel, ZIP 2020, 1506 (1509, 1512). 31 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 – Altlasten, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (12), Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 54. 25
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(1) Wissen von Vorstandsmitgliedern Somit ist die wertende Wissenszurechnung grundsätzlich unabhängig von der Position des Wissensträgers im Unternehmen.32 Potentiell kann das Wissen jeder Person in den Wissensspeicher der Gesellschaft aufgenommen und dadurch dieser zugerechnet werden. Andererseits kann nicht bestritten werden, dass die Mitglieder der Organe einer juristischen Person, namentlich die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, nach wie vor eine wichtige Funktion dabei innehaben, welches Wissen in den Wissensspeicher der Gesellschaft gelangt. Zum einen nehmen sie als organschaftliche Vertreter eine Scharnierfunktion für die Kommunikation der Gesellschaft ein. So führen Vorstandsmitglieder etwa Gespräche und Verhandlungen mit Abteilungsleitern, Betriebsräten, Branchenvertretern und Finanzanalysten oder schließen Verträge mit Geschäftspartnern und Banken ab. Hierbei nehmen sie zahlreiche Informationen entgegen, geben sie im Namen der Gesellschaft weiter und greifen im Rahmen der Entscheidungsfindung auf die ihnen zugänglichen Daten zu. Zum anderen steht der Vorstand an der Spitze der internen Unternehmensorganisation und koordiniert die Prozesse, die dafür verantwortlich sind, dass er das Unternehmen leiten und sich jederzeit einen Überblick über seine wirtschaftliche und finanzielle Situation verschaffen kann.33 Er ist also dafür verantwortlich, eine Infrastruktur für den Informationsaustausch zu schaffen, interne Regeln für ihre Nutzung aufzustellen, seine Mitarbeiter entsprechend zu schulen und die Einhaltung dieser Regeln und die generelle Funktionsweise der Wissensorganisation zu kontrollieren.34 Auch wenn das Konzept der wertenden Wissenszurechnung also – in Abgrenzung zu der früher vertretenen absoluten Zurechnung – in erster Linie nicht an dem Wissensträger und dessen Organstellung anknüpft, hängt die Zurechenbarkeit einer Information dennoch maßgeblich davon ab, ob es sich um eine Information handelt, die dem Vorstand bei Ausschöpfung seiner ihm im Rahmen der Leitungsbefugnisse zustehenden Organisationsherrschaft zugänglich gemacht werden kann.35
32 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (12, 14), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (306), Bohrer, DNotZ 1991, 124 (129 f.); instruktiv in diese Richtung auch Guski, ZHR 184 (2020), 363 (376 ff.). 33 GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 153, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 56, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 25 Rn. 9, Grunewald, ZGR 2020, 469 (473 ff.), Ihrig/ Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rn. 657, siehe auch MüKoAktG-Spindler, § 91 Rn. 18. 34 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (120), ausführlich: Hauschka/Moosmayer/LöslerBuck-Heeb, Corporate Compliance, § 2 Rn. 23 ff., Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 94 ff. 35 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (392).
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Somit kann festgehalten werden, dass einer juristischen Person das Wissen der Angehörigen ihres Vertretungsorgans in jedem Fall zugerechnet wird.36 Es kommt nicht darauf an, ob ein wissendes Organmitglied selbst an einem Rechtsgeschäft oder einer sonstigen Handlung für die Gesellschaft beteiligt ist. Denn es ist aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht dazu angehalten, ihm bekanntwerdende Informationen mit dem Gesamtvorstand zu teilen und von sich aus in die Wissensorganisation der Gesellschaft einzuspeisen, wenn ersichtlich ist, dass diese Information zu einem späteren Zeitpunkt für die Gesellschaft relevant werden kann.37 Auch wenn ein Organmitglied eine Information nicht in die Wissensorganisation eingespeist oder sogar vor anderen Organmitgliedern verheimlicht hat, muss sich die Gesellschaft als wissend behandeln lassen, wenn es sich dabei um solches Wissen handelt, das typischerweise aktenmäßig erfasst wird.38 Nach der überwiegenden Literaturansicht gilt dies sogar für das Wissen eines Organmitglieds um eigene Pflichtverletzungen, die es zum Nachteil der Gesellschaft begangen hat.39 Dies ist freilich insofern kritisch zu sehen, als dadurch bereits die Verjährung deliktischer Ansprüche in Gang gesetzt würde. Auch das Wissen bereits ausgeschiedener Organmitglieder muss sich die Gesellschaft zurechnen lassen, wenn erwartet werden konnte, dass diese es mit dem übrigen Vorstand teilen oder so speichern, dass es zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar ist.40 (2) Wissensvertreter Neben dem Wissen eines geschäftsführenden Organs rechnete die frühere Rechtsprechung einer juristischen Person auch die Kenntnisse eines „Wissensvertreters“ zu, auch wenn dieser kein organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Ver-
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BGHZ 109, 327 juris-Rn. 13 – Schlachthaus, BGH, WM 2006, 194 juris-Rn. 13, Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (25), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (119), MüKoBGBSchubert, § 166 Rn. 7, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 83, 86, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 25, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (302). 37 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (30), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (307 f.); siehe auch Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (15). 38 Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 55, MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 99, GKAktG-Habersack/Foerster, § 78 Rn. 42, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (309 ff.), Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 25. 39 Siehe nur Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (403 f.), Sajnovits, WM 2016, 765 (772 f.), jeweils m. w. N.; vgl. auch BGHZ 219, 356 Rn. 44 ff. 40 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus, BGHZ 140, 54 juris-Rn. 32, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (302), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 25, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 55, GK-AktG-Habersack/Foerster, § 78 Rn. 42, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (121); siehe auch Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (325).
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treter der Gesellschaft ist.41 Diese ursprünglich im Versicherungsrecht entwickelte Figur knüpft an den Rechtsgedanken des § 166 BGB an.42 Als Wissensvertreter ist jede Person anzusehen, die nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen, sowie ggf. weiterzuleiten.43 Es ist nicht erforderlich, dass er ausdrücklich zum Wissensvertreter bestellt wird.44 Der Wissensvertreter muss die Gesellschaft lediglich im Außenverhältnis mit einem gewissen Grad an Eigenständigkeit repräsentieren, sodass bei Dritten ein berechtigtes Vertrauen darauf entstehen kann, dass der Wissensvertreter wie ein Stellvertreter für die Gesellschaft Informationen entgegennimmt und verarbeitet.45 Dabei ist es unerheblich, ob der Wissensvertreter an dem konkreten Geschäft, für das es auf das zugerechnete Wissen ankommt, beteiligt ist.46 Ein bloß internes Tätigwerden reicht jedoch nicht aus.47 Die Rechtsfigur des Wissensvertreters dient also dazu, den Kreis derjenigen Personen, deren Wissen der juristischen Person zugerechnet werden kann, über ihre organschaftlichen Vertreter hinaus auszuweiten. Einer solchen Erweiterung bedurfte es jedoch lediglich nach der früher vertretenen absoluten Wissenszurechnung, die allein an der Organeigenschaft eines Wissensträgers anknüpfte. Nach den heute anerkannten Grundsätzen der Wissenszurechnung kann einer Gesellschaft potentiell jede Information, unabhängig von der Position desjenigen, der sie besitzt, zugerechnet werden, wenn sie bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation gespeichert und abrufbar wäre. Die Wissenszurechnung ist nicht auf die Kenntnis solcher Personen beschränkt, denen die Zuständigkeit für die Entgegennahme von Informationen zugewiesen wurde.48 Daher hat die Rechtsfigur des Wissensvertreters für die Zurechnung von Wissen innerhalb der Organisationsmacht des Vorstands keine eigenständige Bedeutung mehr. Die Rechtsprechung wendet sie aber weiterhin etwa zur Bestimmung der den Verjährungsbeginn auslösenden Kenntnis an, weil sie in 41
BGH, NJW 2016, 3445 Rn. 61, BGH, NJW 2014, 1294 Rn. 16, BGH, WM 2013, 155 Rn. 19, BGHZ 171, 1, BGHZ 117, 104 juris-Rn. 11 – Knollenmergel, BGHZ 83, 293 jurisRn. 12. 42 Richardi, AcP 169 (1969), 385 (397, 403), Erman-Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 166 Rn. 24 f., MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 28, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 302 (312). 43 BGH, WM 2013, 155 Rn. 19, BGHZ 117, 104 juris-Rn. 11 – Knollenmergel, Richardi, AcP 169 (1969), 385 (397), Erman-Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 166 Rn. 25, MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 28 m. w. N. 44 Richardi, AcP 169 (1969), 385 (398), MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 28, BGHZ 117, 104 juris-Rn. 11 – Knollenmergel. 45 Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (313). 46 MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 28, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (302). 47 BGHZ 117, 104 juris-Rn. 11 – Knollenmergel, BGH, WM 1964, 94 (97), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (312). 48 Vgl. Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (314).
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diesem Zusammenhang nicht auf die Grundsätze der Wissenszurechnung zurückgreift.49 bb) Grenzen der Wissensorganisation Die vorstehend beschriebenen Regeln der Wissensorganisation gelten nicht unbegrenzt. Zum einen erfassen sie von vorneherein nur solches Wissen, das durch eine ordnungsgemäße Wissensorganisation intern verfügbar gemacht werden kann (unter (1)). Zum anderen sind gewisse Informationen davon ausgenommen, die zwar grundsätzlich von der Wissensorganisation erfasst werden könnten, deren Weitergabe aber aufgrund ihres Ursprungs nicht erwartet werden kann (unter (2) und (3)). (1) Zumutbarkeit der Wissensorganisation Die bedeutsamste Einschränkung der Wissenszurechnung hat der BGH in der „Altlasten-Entscheidung“ vorgenommen: Der Wissenszurechnung sind persönliche und zeitliche Grenzen zu ziehen, damit die juristische Person nicht über jede menschliche Fähigkeit hinaus belastet und die Wissenszurechnung daher zur bloßen Fiktion wird.50 Denn die mit der Wissenszurechnung bezweckte Gleichstellung von juristischen mit natürlichen Personen darf nicht dazu führen, dass der Vertragspartner einer juristischen Person bessergestellt wird, als wenn er es mit einer natürlichen Person zu tun hätte.51 Daher beschränkt sich die Zurechnung auf solche Informationen, deren Organisation der juristischen Person auch zumutbar ist. Es muss wenigstens die reale Möglichkeit bestehen, das Wissen von einer bestimmten Tatsache zu beschaffen und innerhalb des Wissensspeichers der Gesellschaft vorzuhalten.52 Daraus folgt zum einen, dass nur dann die Pflicht besteht, eine Information zu speichern, wenn ex ante erkennbar war, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt rechterheblich werden könnte.53 Zum anderen kann es nicht allein genügen, wenn eine Information im Wissensspeicher einer Gesellschaft vorhanden ist, vielmehr muss auch ein konkreter Anlass bestehen, diesen zu konsultieren.54 In welchem
49 BGH, WM 2013, 155 Rn. 19, BGH, NJW 1996, 2508 (2510) juris-Rn. 26; siehe dazu B.I.1.c). 50 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 23 – Altlasten, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (16). 51 Vgl. BGHZ 117, 104 juris-Rn. 14 a. E. – Knollenmergel, BGHZ 135, 202 juris-Rn. 18. 52 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 23 – Altlasten, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (16); siehe auch BGHZ 117, 104 juris-Rn. 15 – Knollenmergel. 53 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 25 – Altlasten, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (12), Baumann, ZGR 1973, 284 (295), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (121 f.), GK-AktGHabersack/Foerster, § 78 Rn. 41, vgl. auch Bohrer, DNotZ 1991, 124 (128) Fn. 23. 54 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 26 – Altlasten, BGHZ 117, 104 juris-Rn. 15 – Knollenmergel, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (12), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (120); siehe auch BGH, NJW 1993, 2807.
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Umfang das Aktenwissen der Gesellschaft durchsucht werden muss, hängt von der Bedeutung des Anlasses und der Zumutbarkeit der Suche ab.55 Schließlich kommt auch eine zeitliche Schranke der Wissenszurechnung in Betracht.56 Denn es liegt in der Natur des Menschen, dass dieser weiter zurückliegende Geschehnisse im Laufe der Zeit vergisst. Daher ist etwa im Zivilprozess eine Erklärung mit Nichtwissen auch dann zulässig, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können.57 Dies muss auch einer juristischen Person zugestanden sein. Sie kann also Aktenwissen mit der Zeit verlieren, wobei die Dauer der Speicherung von der Bedeutung der Information abhängt.58 (2) Verschwiegenheitspflichten Ferner besteht die Wissensorganisationspflicht dann nicht, wenn die Weitergabe und Speicherung von Informationen aus rechtlichen Gründen, etwa aufgrund von Verschwiegenheitspflichten sowie datenschutz- oder insiderrechtlichen Bestimmungen, ausgeschlossen ist.59 Der Gesellschaft wird das Wissen zugerechnet, welches ihr aufgrund ihrer Wissensorganisation zugänglich oder infolge eines Verstoßes gegen die Wissensorganisationspflicht unbekannt geblieben ist.60 Es besteht jedoch von vorneherein kein Anspruch auf die Organisation von Wissen, das der Verschwiegenheit unterliegt.61 Wenn es dem entsprechenden Wissensträger aufgrund einer anderweitig bestehenden Verschwiegenheitspflicht nicht erlaubt ist, sein Wissen in den Informationsspeicher der Gesellschaft einzubringen, hat diese keinen Zugriff auf dieses Wissen und keine Möglichkeit, es ordnungsgemäß zu erfassen und weiterzuleiten.62 Die Rechtsordnung würde sich in einen Widerspruch zu sich selbst setzen, wenn sie einerseits die Nicht-Weitergabe von Wissen ahnden würde, das sie andererseits weiterzugeben verboten hat.63 Seit der „Prokuristen-Entscheidung“ des BGH ist daher nahezu einhellig anerkannt, dass die Wissenszurechnung dort ihre Grenze 55
BGHZ 132, 30 juris-Rn. 26 – Altlasten, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (15). MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 98, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (122); angedeutet auch in BGHZ 135, 202 juris-Rn. 18. 57 BGH, NJW 1995, 130 (131), MüKoZPO-Fritsche, § 138 Rn. 33, Stein/Jonas-Kern, ZPO, § 138 Rn. 42, Dölling, NJW 2013, 3121 (3125). 58 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 25 – Altlasten, GK-AktG-Habersack/Foerster, § 78 Rn. 41, Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (12), Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (130 f.), MüKoBGBSchubert, § 166 Rn. 77. 59 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (810), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 98. 60 Koch, ZIP 2015, 1757 (1761), Verse, AG 2015, 413 (417). 61 Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1471), Thomale, AG 2015, 641 (650). 62 Verse, AG 2015, 413 (417 f.), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (321 f.), Koch, ZIP 2015, 1757 (1762 f.). 63 Thomale, AG 2015, 641 (650), Sajnovits, WM 2016, 765 (772). 56
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findet, wo eine vertragliche oder gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Informationsweitergabe entgegensteht.64 In einem solchen Fall würde der Rechtsverkehr nicht erwarten, dass diese Information intern verfügbar gemacht wird.65 (3) Privates Wissen Im Übrigen wird diskutiert, ob auch solche Informationen Teil der Wissensorganisation und somit Gegenstand der Zurechnung sind, von denen ein Organmitglied im privaten Umfeld Kenntnis erlangt hat. Während die ältere Literatur auch die Zurechnung solcher Informationen pauschal befürwortete,66 scheint sich mittlerweile eine differenzierte Sichtweise durchgesetzt zu haben. Einigkeit besteht zumindest dahingehend, dass einer Gesellschaft das privat erlangte Wissen ihres Vorstandsmitglieds zuzurechnen ist, wenn dieses Vorstandsmitglied selbst an einem Rechtsgeschäft oder einer anderen Maßnahme beteiligt ist, bei der das privat erlangte Wissen relevant wird.67 Im Übrigen kommt es nach wohl überwiegender Ansicht darauf an, ob das im privaten Umfeld erlangte Wissen die Organtätigkeit berührt und somit für das Unternehmen relevant ist.68 Aufgrund der organschaftlichen Treuepflicht könne ein Vorstandsmitglied – in Anlehnung an die sog. Geschäftschancenlehre69 – als verpflichtet angesehen werden, ihm privat bekannt gewordene Informationen für die Gesellschaft nutzbar zu machen.70 Nur wenn Persönlichkeitsrechte oder andere schützenswerte Rechtsgüter des wissenden Organmitglieds der Weitergabe entgegenstehen, könnten diese die Zurechnung hindern.71
64 BGH, WM 2016, 1031 Rn. 32 – Prokurist; zustimmend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 28, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 55, Sajnovits, WM 2016, 765 (771 f.), Verse, AG 2015, 413 (417 f.), Koch, ZIP 2015, 1757 (1762 f.), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (810 f.); a. A. nur Schwintowski, ZIP 2015, 617. 65 Vgl. Verse, AG 2015, 413 (418). 66 Buck, Wissen und juristische Person, S. 244 f., Wiesner, BB 1981, 1533 (1536). 67 Sajnovits, WM 2016, 765 (771), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (326), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (306), Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 56, Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (376 f.). 68 BGH, BeckRS 2013, 14004 Rn. 31, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (397 ff.), Hüffer/KochKoch, AktG, § 78 Rn. 26, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 205, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 88, Sajnovits, WM 2016, 765 (770), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (326), MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 23 Rn. 32; a. A.: BGH, NJW 1990, 2544 (2545), Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (376 f.), Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 56, GK-AktG-Habersack/Foerster, § 78 Rn. 42, Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (28). 69 Siehe nur Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 136 ff. 70 Sajnovits, WM 2016, 765 (770), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 102. 71 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (326) m. w. N., Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (397 ff.).
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cc) Dogmatische Begründungsansätze Nachdem die Grundsätze der organisationsbasierten Wissenszurechnung beschrieben wurden, gilt es nun, auch deren dogmatisches Fundament zu durchleuchten. Dies ist jedoch – wie eingangs gesagt – eine der umstrittensten Fragen aus dem Themengebiet der Wissenszurechnung. Denn die heute vertretene Wissenszurechnung beruht, anders als die früheren Ansätze, nicht auf einem Analogieschluss zu § 31 BGB72 oder § 166 BGB73. Ihre Entwicklung durch die Rechtsprechung ist vielmehr als freie Rechtsfortbildung zu bezeichnen.74 Als Anknüpfungspunkte kommen hierfür verschiedene Topoi in Betracht, die im Folgenden nur schlaglichtartig beleuchtet werden. (1) Gleichstellungsargument Im Ausgangspunkt lässt sich die Rechtsprechung davon leiten, dass der Geschäftspartner einer juristischen Person nicht schlechter stehen soll, als wenn er einen Vertrag mit einer natürlichen Person geschlossen hätte.75 Dieser Gleichstellungsgedanke ist auch auf die Zustimmung des Schrifttums gestoßen.76 Der Aktionsradius einer juristischen Person werde dadurch beträchtlich erhöht, dass sie sich – anders als eine natürliche Person – mehrerer Organvertreter bedient, die in regelmäßigen Abständen wechseln.77 Hierdurch erhöhe sich auch die Anzahl der Personen, die für die Gesellschaft rechtserhebliche Tatsachen erfahren können und es besteht in erhöhtem Maße die Gefahr, dass durch die Arbeitsteilung Wissen aufgespalten wird oder verloren geht. Durch die Zurechnung des Wissens der Organmitglieder und ggf. auch weiterer Personen soll diese „Besonderheit der organisatorischen Aufspaltung“ ausgeglichen werden.78
72 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 V 2, S. 288, Raiser/Veil, § 9 Rn. 23, MüKoAktGSpindler, § 78 Rn. 94, GK-AktG-Habersack/Foerster, § 78 Rn. 38; siehe dazu Armbrüster/ Kosich, ZIP 2020, 1494 (1498). 73 So aber: BGHZ 135, 202 juris-Rn. 17, Baumann, ZGR 1973, 284 (291 ff.), StaudingerSchilken, BGB, § 166 Rn. 32, Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253 (1258). 74 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (803), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 11; siehe auch KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 84. 75 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus; BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 f. – Altlasten. 76 Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (11 f.), Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (133), Waltermann, AcP 192 (1992), 181 (224), Baum, Wissenszurechnung, S. 176 ff., Armbrüster/ Kosich, ZIP 2020, 1494 (1501); kritisch aber Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160 (190 ff.), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 97, Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1845). 77 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus. 78 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus.
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(2) Vertrauensschutz Neben dem „Gleichstellungsargument“ wird auch auf den Gedanken des Vertrauensschutzes zurückgegriffen, der im „Altlasten-Urteil“ des BGH anklingt.79 Die Wissenszurechnung sei nicht nur zur Verhinderung einer Schlechterstellung natürlicher Personen im Rechtsverkehr mit juristischen Personen erforderlich, sondern werde von diesen auch berechtigterweise erwartet.80 Jeder, der mit einem Unternehmen in geschäftlichen Kontakt tritt, gehe davon aus, dass dieses so organisiert ist, dass die ihm zugehenden Informationen von seinen Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen werden können oder für eine spätere Nutzung gespeichert werden.81 Auf die unternehmensinternen Informationsflüsse habe ein außenstehender Geschäftspartner oder sonstiger Dritter keinen Einfluss. Er müsse sich also darauf verlassen können, dass sein Gegenüber von allen erforderlichen Fakten in Kenntnis gesetzt wurde.82 (3) Verkehrsschutz- und Risikoverteilung Ferner stellt die Rechtsprechung vor allem auf Erwägungen des Verkehrsschutzes ab.83 Die Wissenszurechnung sei im Interesse des Rechtsverkehrs erforderlich, damit derjenige, der eine arbeitsteilige Organisation schafft, auch für die hierdurch entstehende Wissensverlagerung einstehen muss.84 Dieser Begründungsansatz ist in der Literatur ebenfalls positiv aufgenommen und vertieft worden. Die Pflicht zur Wissensorganisation resultiere insofern aus der Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereichs.85 Verkehrssicherungspflichten sind im Deliktsrecht ein allgemein anerkanntes Rechtsinstitut. Jedermann, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, ist verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, damit Verletzungen von Rechtsgütern Dritter möglichst vermieden werden.86 Zur Sicherung verpflichtet ist dabei derjenige, der für 79
BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 f. – Altlasten. Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (26); a. A. Seidel, AG 2019, 492 (494). 81 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (26), Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (153), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (304, 311), Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 87 f. 82 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (26), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (311); siehe auch BGHZ 135, 202 juris-Rn. 20. 83 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus, BGHZ 132, 30 juris-Rn. 22 – Altlasten; vgl. auch BGHZ 135, 202 juris-Rn. 17. 84 MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 63, Bohrer, DNotZ 1991, 124 (129), Baum, Wissenszurechnung, S. 249 ff. 85 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 f. – Altlasten, Guski, ZHR 184 (2020), 363 (372), Bohrer, DNotZ 1991, 124 (129), Scheuch, GmbHR 1996, 828 (832), Drexl, ZHR 161 (1997), 491 (503 f.), Sajnovits, WM 2016, 765 (768). 86 St. Rspr. seit BGHZ 5, 378 juris-Rn. 10; siehe nur BGH, NJW 2017, 2905 Rn. 6, BGHZ 195, 30 Rn. 6, BGH, NJW 2007, 762 Rn. 11; aus dem Schrifttum Palandt-Sprau, BGB, § 823 80
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
die Gefahrenquelle verantwortlich und in der Lage ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.87 Der Pflichtige muss nicht gegen alle denkbaren Schadenseintritte Vorkehrungen treffen, sondern nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die nach den konkreten Umständen erforderlich und zumutbar sind.88 Verkehrssicherungspflichten beruhen also auf dem Gedanken, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat. Ebenso habe jeder Teilnehmer des Rechtsverkehrs nicht nur für seine tatsächlichen Kenntnisse einzustehen, sondern auch bei der Entgegennahme und Verarbeitung von Informationen auf Dritte Rücksicht zu nehmen.89 Durch die Schaffung einer arbeitsteiligen Organisation eröffne die Gesellschaft einen Gefahrenbereich, in dem Wissen verloren gehen oder so aufgespalten werden kann, dass es nicht an der erforderlichen Stelle verfügbar ist. Dieses selbst geschaffene Risiko erfordere Vorkehrungen zum Schutze Dritter in Form einer Wissensorganisation.90 Schließlich wird die organisationspflichtbasierte Wissenszurechnung auch auf eine eng mit dem Gedanken des Verkehrsschutzes verknüpfte Abgrenzung der Risikosphären gestützt. Das Risiko der Wissensaufteilung soll derjenige tragen, der sie verursacht hat und durch organisatorische Maßnahmen beherrschen kann.91 Insofern wird die Gefahr des Wissensverlusts der Risikosphäre der Körperschaft zugewiesen.92 Da sie von den Vorteilen des arbeitsteiligen Wirtschaftens profitiere, dürfe sie sich nicht zum Nachteil eines Dritten auf Unwissenheit infolge von Wissensaufspaltung berufen.93 Die Wissenszurechnung sei also erforderlich, damit eine Gesellschaft die sich zwangläufig aus der Arbeitsteilung ergebende Gefahr der Aufspaltung des Wissens nicht auf den Rechtsverkehr abwälzen könne.94 Daraus resultiere ihre Pflicht, das unternehmensinterne Wissen so zu organisieren, dass es stets bei der entscheidenden Stelle verfügbar ist.
Rn. 45 ff., Jauernig-Teichmann, BGB, § 823 Rn. 35, MüKoBGB-Wagner, § 823 Rn. 398 ff., jeweils m. w. N. 87 BGH, NJW 2017, 2905 Rn. 7 f., Palandt-Sprau, BGB, § 823 Rn. 48, MüKoBGB-Wagner, § 823 Rn. 399. 88 BGHZ 195, 30 Rn. 7, Palandt-Sprau, BGB, § 823 Rn. 51. 89 Bohrer, DNotZ 1991, 124 (129), ausführlich Baum, Wissenszurechnung, S. 249 ff. 90 Scheuch, GmbHR 1996, 828 (832), Baum, Wissenszurechnung, S. 366. 91 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 25 – Altlasten, Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (134), Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (27), Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (11), Römmer-Collmann, Wissenszurechnung, S. 88 f., Scheuch, GmbHR 1996, 828 (830), Seidel, AG 2019, 492 (495), Sajnovits, WM 2016, 765 (768); vgl. auch BGHZ 32, 53 (58). 92 Vgl. Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (27). 93 MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 63, Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121 (134), Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (15 f.), Seidel, ZIP 2020, 1506 (1511). 94 Verse, AG 2015, 413 (416), MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 11.
I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung
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c) Wissenszurechnung in anderen Normzusammenhängen Das Prinzip der Wissenszurechnung als Folge einer Wissensorganisationspflicht wurde von der Rechtsprechung in vertragsrechtlichen Zusammenhängen entwickelt und angewandt. Es fragt sich jedoch, ob dieses auch auf andere Normen übertragbar ist. Im Zusammenhang mit dem Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bzw. § 852 BGB a. F. wird die Anwendung der auf Wissensorganisationspflichten beruhenden Zurechnung in ständiger Rechtsprechung verneint.95 Begründet hat der BGH die Unanwendbarkeit der von ihm entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung damit, dass diese ausschließlich für den rechtsgeschäftlichen Bereich gelten würden und nicht auf das Deliktsrecht übertragen werden könnten.96 Ebenso verneint der BGH die Anwendbarkeit der von ihm entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung auf § 826 BGB. Stattdessen muss ein Vorstandsmitglied oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter im Sinne des § 31 BGB persönlich die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen verwirklichen.97 Der für die Verwirklichung von § 826 BGB erforderliche Vorsatz könne nicht mithilfe der Zurechnung des Wissens von Mitarbeitern begründet werden.98 Das moralische Unwerturteil der Sittenwidrigkeit erfordere, dass der Tatbestand von einer natürlichen Person erfüllt und nicht nur „mosaikartig zusammengesetzt“ werde.99 Die vorgenannten Urteile belegen das Erfordernis, die Anwendung der Wissenszurechnung stets im Lichte der jeweiligen Norm vorzunehmen, die das Wissen der juristischen Person voraussetzt.100 Ob diese Normspezifität einer Anwendung im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizität entgegensteht, soll im Folgenden noch untersucht werden.101
95 BGHZ 193, 67 juris-Rn. 12 ff., BGH, NJW 2012, 1789 (1790) Rn. 14, BGH, NJW 2001, 2535 (2536) juris-Rn. 15, BGH, NJW 1996, 2508 (2510) juris-Rn. 26. 96 BGH, NJW 2012, 1789 (1790) Rn. 14, BGH, WM 2016, 1975 Rn. 23 – Fondsprospekt; zustimmend Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1846), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 18 f.; kritisch aber Seidel, AG 2019, 492 (496 ff.). 97 BGH, WM 2016, 1975 Rn. 27 – Fondsprospekt, bestätigt in BGH, WM 2020, 1078 Rn. 35 – Abgasmanipulation und BGH, NJW 2021, 1669 Rn. 23 – Audi. 98 BGH, WM 2016, 1975 Rn. 23 – Fondsprospekt; a. A. MüKoBGB-Wagner, § 826 Rn. 38, siehe auch Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160 (164 ff.). 99 BGH, WM 2016, 1975 Rn. 23, 26 – Fondsprospekt; zustimmend Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1846), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 15 f., siehe auch Seidel, AG 2019, 492 (500 f.). 100 Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160 (166), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 15, Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1846), Koch, AG 2019, 273 (278), Seidel, AG 2019, 492 (493), Reuter, ZIP 2017, 310 (313), Waltermann, AcP 192 (1992), 181 (186, 191 ff.), Assmann/ Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 53; kritisch hingegen Buck-Heeb, FS Grunewald (2021), S. 113 (116). 101 Siehe dazu B.III.3.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
d) Zwischenergebnis Nach dem derzeitigen Stand von Rechtsprechung und Wissenschaft bestimmt sich das Wissen einer juristischen Person nach einer wertenden Betrachtungsweise. Die Wissenszurechnung gründet demnach auf der Pflicht zur Einrichtung einer ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation für jede am Rechtsverkehr teilnehmende Körperschaft, die sich in eine Informationsweiterleitungs-, Informationsspeicherungs- und Informationsabfragepflicht aufgliedert. Neben der tatsächlichen Kenntnis eines für die Gesellschaft handelnden Vertreters wird ihr auch das Wissen anderer, unbeteiligter Organmitglieder zugerechnet. Darüber hinaus muss sich die Gesellschaft als wissend behandeln lassen in Bezug auf alle weiteren Informationen, von denen erwartet werden kann, dass sie in ihren internen Informationsspeicher aufgenommen werden, weil ex ante erkennbar war, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt rechtserheblich werden können, und für die ein konkreter Anlass bestand, sie aus dem Informationsspeicher abzurufen. Insofern findet also nur eine Wissenszurechnung statt, wenn der juristischen Person die Organisation einer Information auch zumutbar ist. Demnach sind Informationen, die einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen oder die Persönlichkeitsrechte des Wissensträgers berühren, ebenfalls nicht zurechenbar. Die Wissenszurechnung nach diesen Maßstäben stützt sich zum einen auf die Vorstellung, dass der Vertragspartner einer juristischen Person nicht schlechter stehen soll, als wenn er es mit einer natürlichen Person zu tun hätte. Zum anderen lassen sich die Wissensorganisationspflichten auf den Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs und auf den Rechtsgedanken zurückführen, dass ein Risiko stets demjenigen zuzuweisen ist, der es erschaffen hat und beherrschen kann.
2. Wissenszurechnung im Rahmen der Ad-hoc-Publizität Die vorstehend beschriebenen Grundsätze der Wissenszurechnung sollen nach der Auffassung eines Teils der Literatur auch im Rahmen der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zur Anwendung kommen. Ihnen zufolge besteht die Pflicht der Emittentin, eine Insiderinformation zu veröffentlichen nur, wenn ihr die Kenntnis von dieser Insiderinformation zugerechnet werden kann.102 Die Reichweite der Zurechnung ist jedoch innerhalb dieser Ansicht umstritten. Die beiden Spielarten differenzieren danach, auf welche natürlichen Personen es ankommt, deren Wissen der Emittentin zugerechnet werden kann.
102 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385 f.), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 34, Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1085), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30.
I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung
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a) Anwendung der Wissensorganisationspflichten Der überwiegende Teil der Vertreter einer kenntnisbasierten Ad-hoc-Publizitätspflicht nimmt die Wissenszurechnung nach denselben Regeln vor, die im Zivilrecht angewandt werden. Im Recht der Ad-hoc-Publizität kommt es jedoch noch stärker als im Vertragsrecht auf die Verfügbarkeit von Informationen für den Vorstand der Emittentin an, weil dieser die Kurserheblichkeit einer Insiderinformation einzuschätzen und das Vorliegen der Voraussetzungen für den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung zu prüfen hat.103 An diesen Handlungen muss nach Ansicht der BaFin mindestens ein Vorstandsmitglied mitwirken.104 Geht man von dem Erfordernis der Emittentin zurechenbaren Wissens von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation aus, besteht die Veröffentlichungspflicht jedenfalls dann, wenn das für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizität zuständige Vorstandsmitglied von der betreffenden Insiderinformation positiv weiß. Darüber hinaus müsse aber auch jedes andere Vorstandsmitglied ihm bekanntwerdende Insiderinformationen unverzüglich mit dem Gesamtvorstand teilen oder selbst die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung einleiten.105 Somit werde der Emittentin auch dieses Wissen im Falle einer unterlassenen Weiterleitung zugerechnet und sie könne bereits ad-hoc-pflichtig werden, wenn nur ein einzelnes Vorstandsmitglied von einer Insiderinformation weiß. Eine Ausnahme komme lediglich bei Kenntnissen in Betracht, die der Privatsphäre des Vorstandsmitglieds angehören oder durch deren Offenlegung das Vorstandsmitglied eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht brechen würde.106 Grundsätzlich würde dies auch für die Zurechnung des Wissens bereits aus der Gesellschaft ausgeschiedener Vorstandsmitglieder gelten: Nach den oben dargestellten Grundsätzen muss sich die Gesellschaft deren Kenntnisse zurechnen lassen, wenn erwartet werden kann, dass diese mit dem übrigen Vorstand geteilt oder gespeichert werden, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar sind.107 Freilich ist dieses Szenario praktisch kaum relevant, denn Insiderinformationen weisen das sie bestimmende Merkmal der Kursrelevanz typischerweise zu dem Zeitpunkt auf, zu dem das Ereignis eintritt, auf das sie sich beziehen. Es wird somit eher selten vorkommen, dass eine bestimmte Information zunächst gespeichert werden muss und 103
Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 329. Siehe dazu D.I.2.c). 105 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (396), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (323), Assmann/ Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 34, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (119 f.), Sajnovits, WM 2016, 765 (770); enger Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 31 f.: nur wenn das einzelne Vorstandsmitglied als „faktisches Wissensorgan“ angesehen werden könne. 106 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (396 ff.); zu den Grenzen der Wissenszurechnung: B.I.1.b) bb). 107 Siehe B.I.1.b)aa)(1). 104
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichungspflichtig wird, sodass ein Anlass besteht, in der Wissensorganisation der Emittentin nach ihr zu suchen. Darüber hinaus sei die Emittentin bei Anwendung dieser Grundsätze verpflichtet, auch das Wissen ihrer Mitarbeiter unterhalb der Organebene zu organisieren und für die Zwecke der Ad-hoc-Publizität nutzbar zu machen.108 Denn die Wissensorganisationspflichten erfassen nicht nur das Wissen innerhalb des Vorstands, sondern auch die in den verschiedenen Bereichen und auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen des Unternehmens vorhandenen Informationen. Somit können der Emittentin grundsätzlich alle Informationen zugerechnet werden, die für ihren Vorstand im Rahmen einer ordnungsgemäßen Organisation verfügbar sind. Unterlasse sie es, eine entsprechende Wissensorganisation aufzubauen, müsse sie sich so behandeln lassen, als besitze der Vorstand die Informationen, die ihm wegen der mangelhaften Wissensorganisation nicht zur Verfügung stehen.109 Demnach könne also nicht nur die positive Kenntnis der Emittentin, sondern auch ihre fahrlässige Unkenntnis von einer Insiderinformation die Ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen.110 Diesbezüglich ist lediglich umstritten, ob bereits einfache Fahrlässigkeit ausreicht111 oder grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf den Verstoß gegen die Wissensorganisationspflicht zu verlangen ist.112 Im Ergebnis entsteht nach dieser Sichtweise die Ad-hoc-Publizitätspflicht, wenn die veröffentlichungspflichtige Insiderinformation entweder einem Vorstandsmitglied bekannt ist oder es sich um eine Information handelt, deren Relevanz für die Ad-hoc-Publizitätspflicht bereits im Vorfeld erkennbar war, sodass sie an das zuständige Vorstandsmitglied hätte weitergeleitet werden müssen. b) Beschränkung auf Vorstandswissen Die zweite Variante der kenntnisabhängigen Ad-hoc-Publizitätspflicht wendet sich gegen die Zurechnung von Insiderinformationen aufgrund fahrlässiger Unkenntnis und damit auch gegen die Beachtlichkeit von Mitarbeiterwissen. Koch geht zwar ebenfalls von dem ungeschriebenen Erfordernis der Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation aus, beschränkt die Ad-hoc-Publizität aber auf die Veröffentlichung solcher Informationen, die dem Vorstand der Emittentin positiv 108
Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (391), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 34, 52, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 329, Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (24), Sajnovits, WM 2016, 765 (769), Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (70). 109 Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16 (28), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (304), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), Koch, ZIP 2015, 1757 (1761), Verse, AG 2015, 413 (417). 110 Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 17. 111 Sajnovits, WM 2016, 765 (766), Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (70); unklar Meyer/ Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 17. 112 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 328, Habersack, DB 2016, 1551 (1554 f.), Wagner, ZHR 181 (2017), 203 (270).
I. Wissen als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung
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bekannt sind.113 Geborener Wissensträger der Aktiengesellschaft sei nur der Vorstand als ihr verantwortliches Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan.114 Eine weitergehende Zurechnung nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung sei abzulehnen, da diese nur im Vertragsrecht anwendbar seien.115 Tatsachen, die nur Mitarbeitern unterhalb der Organebene bekannt sind, müssten somit auch dann nicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR veröffentlicht werden, wenn sie dem Vorstand bekannt sein könnten. Auf die Einrichtung einer Wissensorganisation kommt es nach dieser Ansicht also nicht an. Dies wirkt sich vor allem dann aus, wenn Insiderinformationen, die auf einer Hierarchieebene unterhalb des Vorstands entstanden sind, nicht zu diesem vordringen – sei es, weil er kein ausreichendes Informationssystem etabliert hat, sei es, weil sie bewusst vor ihm geheim gehalten werden. Zwar wird ohnehin in den häufigsten Fällen positive Kenntnis des Vorstands von einer Insiderinformation vorliegen, da die meisten ad-hoc-pflichtigen Vorgänge – etwa der Erwerb oder die Veräußerung von wesentlichen Beteiligungen, Übernahmeund Abfindungsangebote sowie Kapitalmaßnahmen116 – auf die Initiative des Vorstands zurückgehen. Die derzeit in der Literatur zu beobachtende Fokussierung der Diskussion auf ausschließlich bei Mitarbeitern der unteren Hierarchieebenen vorhandenes Insiderwissen beruht ersichtlich auf dem Sachverhalt des sog. Abgasskandals: Mitarbeiter des VW-Konzerns hatten eine unzulässige Abschalteinrichtung für Dieselmotoren entwickelt und diese – so zumindest die Darstellung der VW AG – vor dem Vorstand geheim gehalten.117 Derartige Vorkommnisse dürften jedoch die Ausnahme sein und sind nicht repräsentativ für im Unternehmen auftretende Insiderinformationen. Dennoch sind auch Insiderinformationen denkbar, die unterhalb der Organebene entstehen, etwa bedeutsame Erfindungen oder schwerwiegende Unfälle.118 Nach den allgemeinen Grundsätzen der Wissenszurechnung kann auch in diesen Fällen eine Publizitätspflicht bestehen. Nach der Ansicht von Koch hingegen entsteht diese erst, sobald die entsprechende Tatsache einem Vorstandsmitglied positiv bekannt wird, selbst wenn sie schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte bekannt gewesen sein können.
113
(76). 114
Koch, AG 2019, 273 (277), siehe auch Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72
Koch, AG 2019, 273 (277, 279), Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1847). Koch, AG 2019, 273 (277), ähnlich bereits Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (76). 116 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.13, S. 22. 117 Siehe dazu Thomale, NZG 2018, 1007 (1008). 118 Weitere Beispiele bei Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 96 f. 115
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
c) Zeitpunkt der Entstehung der Veröffentlichungspflicht Die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte der Zurechnung nach den beiden Varianten des kenntnisbasierten Verständnisses führen zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt der Entstehung der Veröffentlichungspflicht. Wäre beispielsweise eine Information durch eine ordnungsgemäße Informationsorganisation dem für die Veröffentlichung zuständigen Vorstandsmitglied schon einen Tag früher mitgeteilt worden, als dies tatsächlich der Fall ist, hat die Emittentin bei Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung durch die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung am zweiten Tag ihre Publizitätspflicht bereits verletzt, während sie nach der anderen Lesart erst mit der positiven Kenntnis des Vorstandsmitglieds entsteht. Zu beachten ist jedoch, dass nach beiden Varianten die Veröffentlichung einer Adhoc-Mitteilung nicht in dem Moment erfolgen muss, in dem die Emittentin aufgrund der Zurechnung als wissend gilt, sondern gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR erst „unverzüglich“. Ihr steht also eine gewisse Frist zur Analyse des Sachverhalts, zur Erstellung der Ad-hoc-Mitteilung und ggf. für eine Selbstbefreiungsentscheidung zu.119 Dazu gehört auch, zu untersuchen, ob die Information hinreichend präzise und geeignet ist, den Kurs der Aktien der Emittentin zu beeinflussen, also ob überhaupt eine Veröffentlichungspflicht besteht.120 Hierzu darf die Emittentin bei Bedarf externe Berater hinzuziehen, ohne dass dies eine unzulässige Verzögerung darstellen würde.121 Bei vorhersehbaren Insiderinformationen sind jedoch entsprechende Vorarbeiten zu leisten, die den Veröffentlichungszeitraum auf ein Minimum verkürzen.122 Diese mit dem Wort „unverzüglich“ umschriebene Zeitspanne beginnt mit der jeweils zugerechneten Kenntnis der Emittentin zu laufen. Für den praktischen Geschehensablauf bedeutet dies Folgendes: Zu einem gewissen Zeitpunkt erhält ein Vorstandsmitglied Kenntnis von einer potentiellen Insiderinformation oder es würde zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von ihr erhalten, wenn es von seinen Vorstandskollegen oder Mitarbeitern darüber pflichtgemäß in Kenntnis gesetzt würde. Ab diesem Zeitpunkt wird das Wissen bzw. Wissenmüssen des Vorstandsmitglieds der Gesellschaft zugerechnet, sodass diese als wissend gilt. Dann beginnt auch die Verarbeitungsfrist, innerhalb derer über die Veröffentlichungspflicht und deren Aufschub entschieden werden muss und die notwendigen Schritte 119 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 66, Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 107, Sajnovits, WM 2016, 765 (766), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30, Koch, AG 2019, 273 (276), Neumann, Wissenszurechnung, S. 171 ff.; siehe auch BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.4, S. 42, I.3.3.1 a. E., S. 36. 120 Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 107, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 150, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 335, siehe auch BGHZ 192, 90 Rn. 45 – IKB. 121 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 66, Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (22), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 335. 122 Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 107, siehe auch BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.4, S. 42.
II. Wissensunabhängige Entstehung der Ad-hoc-Publizität
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einzuleiten sind. Mit Ablauf dieser Frist muss die Emittentin entweder die Insiderinformation öffentlich bekannt gemacht oder einen Selbstbefreiungsbeschluss getroffen haben. Liegt weder das eine noch das andere vor, hat sie ihre Publizitätspflicht verletzt.
II. Wissensunabhängige Entstehung der Ad-hoc-Publizität Eine andere, vor allem in jüngerer Zeit im Vordringen befindliche Ansicht geht indes davon aus, dass es auf Fragen der Wissenszurechnung im Kontext von Art. 17 Abs. 1 MAR überhaupt nicht ankommt. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht setze keine zugerechnete Kenntnis oder zu vertretende Unkenntnis der Emittentin von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation voraus.123 Es sei also nicht erforderlich, dass der Vorstand zu einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis von einer adhoc-pflichtigen Information habe.124 Deshalb besteht nach dieser Ansicht von vorneherein kein Bedarf für die Anwendung der Wissenszurechnung. Zwar gehen die Vertreter dieser Ansicht – ebenso wie die der wissensbasierten Ad-hoc-Publizitätspflicht – davon aus, dass der Emittentin eine Analyse-, Prüf- und Verarbeitungsfrist der Insiderinformation zusteht.125 Sie gestatten ihr ebenfalls, bei Bedarf auch externe Berater hinzuziehen, ohne dass dies eine unzulässige Verzögerung darstellen würde.126 Allerdings betont auch diese Ansicht, dass diese Prozesse nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen dürfen als unbedingt notwendig und bei vorhersehbaren Insiderinformationen Vorarbeiten zu leisten sind.127 Der Beginn dieses Zeitraums richtet sich jedenfalls nicht nach der zugerechneten Kenntnis der Emittentin. Wann und unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen die Verarbeitungsfrist beginnt, darüber gehen die Standpunkte auch innerhalb der kenntnisunabhängigen Auffassung auseinander. 123 Klöhn, NZG 2017, 1285, Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 41 ff., 76 ff., Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1427), Neumann, Wissenszurechnung, S. 115 ff., Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (782), Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87, Thomale, NZG 2018, 1007 (1008 f.), Habersack/Mülbert/Schlitt-Schneider, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 2 Rn. 54; aus dem älteren Schrifttum: Möllers/Rotter-Braun, Ad-hoc-Publizität, § 8 Rn. 47, JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 93. 124 Klöhn, NZG 2017, 1285, Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.20, Möllers/Rotter-Braun, Ad-hoc-Publizität, § 8 Rn. 47. 125 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 122 ff., Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 105 ff., Neumann, Wissenszurechnung, S. 171 ff., Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.21, Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1426), Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (782), JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 97 ff.; siehe auch BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.4, S. 42, I.3.3.1 a. E., S. 36. 126 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 129, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 73. 127 Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1426), Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 88.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
1. Bloßes Entstehen der Insiderinformation Nach einem weiten Verständnis kommt es für das Bestehen einer Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR allein auf das objektive Vorliegen einer Insiderinformation an. Während Braun sich nur auf solche Tatsachen bezieht, die im Tätigkeitsbereich der Emittentin eingetreten sind,128 schließt Nietsch auch unternehmensexterne Informationen ein.129 Herkömmlich werden Insiderinformationen, die im Tätigkeitsbereich der Emittentin eingetreten sind (unternehmensinterne Insiderinformationen), von solchen unterschieden, die „von außen kommen“ (unternehmensexterne Insiderinformationen).130 Zu ersteren zählen etwa Geschäftsabschlüsse und Kapitalmaßnahmen sowie Vorstands- oder Aufsichtsratsbeschlüsse.131 Insiderinformationen außerhalb des Tätigkeitsbereichs der Emittentin sind hingegen beispielsweise der Erhalt eines Großauftrags, die negative Korrektur eines Ratings der Emittentin und die Entscheidung eines Investors, ein Übernahmeangebot abzugeben, sowie gerichtliche oder behördliche Entscheidungen.132 In der ursprünglichen Fassung von 1994 sah § 15 Abs. 1 WpHG nur vor, dass ein Emittent „eine neue Tatsache veröffentlichen [muss], die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten und nicht öffentlich bekannt ist“.133 Zweck dieser Einschränkung war es, die Emittentin vor einer Pflicht zur Veröffentlichung von Informationen zu schützen, von denen sie gar keine Kenntnis hat.134 Durch das AnSVG135 wurde das Tatbestandsmerkmal „in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten“ jedoch zu einem Regelbeispiel für die neue, weitere Formulierung des „unmittelbaren Betreffens“ der Emittentin herabgestuft (§ 15 Abs. 1 S. 3 WpHG a. F.).136 Art. 17 Abs. 1 MAR enthält schließlich keinen Hinweis mehr auf den Tätigkeitsbereich der Emittentin. Somit stellen nach geltendem Recht grundsätzlich auch solche Tatsachen, die außerhalb der Emittentensphäre entstanden sind, potentiell veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen dar.137 128
Möllers/Rotter-Braun, Ad-hoc-Publizität, § 8 Rn. 47. Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1427) Fn. 73. 130 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 35. 131 Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 140; weitere Beispiele bei Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 87. 132 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 33, Assmann/Schneider/MülbertAssmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 45 ff., Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 92, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (384). 133 WpHG i. d. F. vom 26. Juli 1994, BGBl. I S. 1749 (Hervorhebung durch den Verfasser). 134 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 161, ebenso JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 57. 135 Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes vom 28. Oktober 2004, BGBl. I S. 2630. 136 Siehe dazu Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 328. 137 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 32, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 92, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 140; a. A. Bekritsky, WM 2020, 1959 (1965). 129
II. Wissensunabhängige Entstehung der Ad-hoc-Publizität
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Nach der weiten kenntnisunabhängigen Auffassung bedarf es keiner weiteren Voraussetzung, um die Publizitätspflicht der Emittentin auszulösen. Sobald irgendein Ereignis eintritt, das Auswirkungen auf den Aktienkurs der Emittentin haben kann und diese unmittelbar betrifft, beginne der Prüfungszeitraum, nach dessen Ablauf die Emittentin entweder eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen oder einen Selbstbefreiungsbeschluss nach Art. 17 Abs. 4 MAR fassen muss. Geschieht dies nicht, verletze die Emittentin ihre Publizitätspflicht, ohne dass es darauf ankomme, ob die Insiderinformation einer der Unternehmensorganisation der Emittentin angehörigen Person bekannt sei oder zumindest die Möglichkeit bestehe, dass sie ihr bekannt wird. Auf eine Wissensorganisation kommt es nach dieser Ansicht folglich nicht an. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Thomale, der davon ausgeht, dass die Ad-hocPublizitätspflicht grundsätzlich kenntnisunabhängig zu verstehen sei und es auf die Wissenszurechnung nur im Kontext der Kapitalmarktinformationshaftung, also der §§ 97, 98 WpHG, ankomme.138 Obwohl im Grundsatz allein das Wissen des Gesamtvorstands als das Wissen der Emittentin anzusehen sei, könne ihr zwar das Wissen eines einzelnen Vorstandsmitglieds zugerechnet werden, wenn dieses aufgrund der Übertragung einer spezifischen Aufgabe als „faktischer Gesamtvorstand“ betrachtet werden kann.139 Wegen des deliktsrechtlichen Charakters der Schadensersatznormen komme darüber hinaus aber eine wissensorganisationsbasierte Zurechnung, die auch Mitarbeiterwissen einschließt, nicht in Betracht.140 Nach der Ansicht von Nietsch und Thomale ist die Emittentin also verpflichtet, auch solche Insiderinformationen zu veröffentlichen, die außerhalb ihrer Tätigkeitssphäre entstanden sind. Insbesondere ist ohne Belang, ob die veröffentlichungspflichtige Insiderinformation überhaupt einer Person, die für die Emittentin tätig ist, bekannt ist oder ob diesbezüglich Hinweise bestehen, sodass ein Unternehmensangehöriger von ihr Kenntnis nehmen könnte.
2. Möglichkeit der Veröffentlichung Die zweite Lesart der kenntnisunabhängigen Auffassung geht hingegen davon aus, dass die Veröffentlichung einer Insiderinformation – entsprechend dem englischen Wortlaut der MAR „as soon as possible“ – erst dann erfolgen muss, wenn die Möglichkeit hierzu besteht.141 Hierfür sei erforderlich, dass mindestens ein Unternehmensangehöriger von der Information Kenntnis hat oder haben könnte und diese 138 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 41 ff. auf Grundlage der §§ 15, 37b WpHG a. F.; zur MAR: S. 76 ff. 139 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 30. 140 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 56 ff. 141 Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87, Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287), Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 305, Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 111 f.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
intern weiterleiten könnte; die Veröffentlichung sei nur dann nicht möglich, wenn niemand bei der Emittentin von der Information Kenntnis haben kann und sie auch nicht durch die Emittentin beschafft werden kann.142 Somit enthalte Art. 17 Abs. 1 MAR Informationssuch-, -aufklärungs-, -weiterleitungs- und -analysepflichten, auch ohne dass auf die Kenntnis der Emittentin abzustellen wäre.143 Klöhn leitet diese aus dem Merkmal der Unverzüglichkeit ab. Die Emittentin müsse die Veröffentlichung „ohne schuldhaftes Zögern“ vornehmen und schuldhaft sei das Zögern ab dem Zeitpunkt, ab dem die Veröffentlichung möglich gewesen wäre, wenn die Emittentin alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen hätte, um ihrer Veröffentlichungspflicht nachzukommen.144 Neben der Organisation von Insiderinformationen auf der Ebene der Organe der Emittentin gehöre hierzu insbesondere, dass potentiell veröffentlichungspflichtige Informationen, die innerhalb der Sphäre der Emittentin entstehen, ohne zeitliche Verzögerung an die für die Ad-hoc-Publizität zuständige Stelle weitergeleitet werden. Dieser Ansicht ist auch das Verständnis von Kumpan/Grütze zuzuordnen, welches zwar expressis verbis von einem Wissenselement als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ausgeht, die Heranziehung der Grundsätze der Wissenszurechnung jedoch ablehnt.145 Stattdessen sei aus Art. 17 Abs. 1 MAR selbst die Pflicht zur Einrichtung eines internen Organisationssystems abzuleiten.146 Gaßner hingegen stellt auf die Möglichkeit der Bekanntgabe ab, ermittelt diese jedoch anhand der Grundsätze der Wissenszurechnung.147 Andere Autoren stellen schließlich darauf ab, dass es Teil der Leitungsaufgabe des Vorstands sei, das Unternehmen so zu organisieren, dass ihm die objektive Entstehung einer Insiderinformation bekannt wird, und die Schaffung organisatorischer Voraussetzungen hierfür somit in seinem „eigenen Interesse“ liege.148 Dabei könne auch auf das bereits aufgrund der allgemeinen Compliance-Pflicht des Vorstands bestehende Informationssystem zurückgegriffen werden.149
142
Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 106 f., 119 ff., Kumpan/Misterek, ZBB 2010, 10 (16), ebenso Neumann, Wissenszurechnung, S. 157 ff., JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 93. 144 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288 f.); ähnlich Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 91 ff. 145 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 85 und 79. 146 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 85 ff. 147 Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 248. 148 Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.20, Möllers/ Rotter-Braun, Ad-hoc-Publizität, § 8 Rn. 49, vgl. auch Habersack, DB 2016, 1551 (1555). 149 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 306 ff. 143
III. Kritische Würdigung
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III. Kritische Würdigung Nach dem oben Gesagten stellt sich das Meinungsspektrum wie folgt dar: - Eine Ansicht geht davon aus, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht keine Kenntnis der Emittentin voraussetzt, sondern bereits mit dem objektiven Eintritt der veröffentlichungspflichtigen Tatsache entsteht.150 - Eine Abwandlung dieser Ansicht wendet zwar keine Zurechnungsmaßstäbe an, stellt aber auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch eine Person innerhalb der Organisation der Emittentin ab.151 - Eine andere Ansicht verlangt, dass der Emittentin das Wissen um die betreffende Insiderinformation zurechenbar sein muss, und nimmt diese Zurechnung nach den Grundsätzen der zivilrechtlichen Wissensorganisation vor.152 - Schließlich geht eine vierte Ansicht ebenfalls von dem Erfordernis zurechenbarer Kenntnis von einer Insiderinformation aus, beschränkt diese aber auf positives Vorstandswissen und lässt Mitarbeiterwissen für die Zwecke der Ad-hoc-Publizität unbeachtet.153 Als Ausgangspunkt kann also festgehalten werden, dass positives Wissen auch nur eines Vorstandsmitglieds von einer Insiderinformation nach allen Ansichten die Pflicht der Emittentin zur Veröffentlichung dieser Insiderinformation auslöst. Zudem ist zu beachten, dass nach allen Ansichten Insiderinformationen nicht zeitgleich mit ihrem Entstehen der Öffentlichkeit mitzuteilen sind. Sowohl die Vertreter der Ad-hoc-Publizität als wissensunabhängige Pflicht als auch diejenigen, die ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Kenntnis annehmen, gehen davon aus, dass der Emittentin ein Beurteilungs- und Prüfungszeitraum zusteht.154 Dieser umfasst insbesondere die Analyse der tatsächlichen Umstände und die rechtliche Bewertung, ob eine Veröffentlichungspflicht oder die Möglichkeit eines Aufschubs der Ad-hoc-Mitteilung bestehen.155 Nach Ablauf dieser Frist muss die Emittentin entweder eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen oder einen Beschluss über den Aufschub der Offenlegung treffen. 150
Siehe dazu B.II.1. Siehe dazu B.II.2. 152 Siehe dazu B.I.2.a). 153 Siehe dazu B.I.2.b). 154 Siehe zum einen Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 122 ff., Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 105 ff., Neumann, Wissenszurechnung, S. 171 ff., Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.21, Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1426) und zum anderen Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 66, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30, Sajnovits, WM 2016, 765 (766), Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (22), FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 335. 155 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 66, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 122 ff., 129 ff., Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 105 ff. 151
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Darüber hinaus kommen die oben dargestellten Ansichten aber in ihrer praktischen Anwendung zu höchst verschiedenen Ergebnissen. Dies verdeutlicht, dass es sich bei der Frage nach dem Erfordernis des Emittentenwissens nicht um einen akademischen Streit handelt, sondern diese Problemstellung von großer Relevanz für alle börsennotierten Gesellschaften ist. Im Folgenden gilt es daher, die soeben dargestellten, widerstreitenden Positionen kritisch zu würdigen und die Stichhaltigkeit ihrer Argumente zu verproben. Dabei wird zuerst untersucht, ob das bloße Vorliegen einer Insiderinformation für die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht genügen kann oder ob es hierfür weiterer Voraussetzungen bedarf (unter 1.). In einem zweiten Schritt soll anschließend untersucht werden, ob Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis der Emittentin als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verlangt oder ob er die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation voraussetzt, um die Veröffentlichungspflicht der Emittentin zu begründen (unter 2.). Schließlich stellt sich die Frage, ob – sofern man von dem Erfordernis des Emittentenwissens ausgeht – dieses Wissen nach den von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Wissenszurechnung beurteilt werden kann (unter 3.).
1. Bloßes Vorliegen einer Insiderinformation Für börsennotierte Unternehmen ist es von großer praktischer Bedeutung, ob sie bereits mit dem objektiven Vorliegen einer Insiderinformation der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR unterliegen. Daher wird nun untersucht, ob der dahingehenden Ansicht von Nietsch und Thomale zuzustimmen ist oder ob weitere Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit eine Veröffentlichungspflicht überhaupt zur Entstehung gelangt. a) Systematische Argumente Für die kenntnisunabhängige Auffassung können zunächst systematische Argumente angeführt werden. Hierbei wird zuerst die innere Systematik von Art. 17 Abs. 1 MAR betrachtet, um zu sehen, ob aus dem Tatbestandsmerkmal des unmittelbaren Emittentenbezugs Rückschlüsse auf ein kenntnisunabhängiges Verständnis gezogen werden können (unter aa)). Im Anschluss wird die Ad-hoc-Publizität mit anderen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften (unter bb)) und der Schadensersatzhaftung für verspätete oder unterlassene Kapitalmarktinformation (unter cc)) verglichen.
III. Kritische Würdigung
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aa) Unmittelbarer Emittentenbezug Zunächst könnte sich aus dem Zusammenspiel mit den anderen Tatbestandsmerkmalen des Art. 17 Abs. 1 MAR ein Argument für eine kenntnisunabhängige Auslegung ergeben. Die Annahme eines ungeschriebenen subjektiven Tatbestandsmerkmals könnte nämlich in einem systematischen Widerspruch zu dem geschriebenen Tatbestandselement des „unmittelbaren Emittentenbezugs“ stehen. Nach der Ansicht von Klöhn beschränkt dieses Tatbestandsmerkmal den Kreis der potentiell veröffentlichungspflichtigen Informationen auf diejenigen, bei deren Suche oder Analyse die Emittentin im Rahmen ihrer Informationsbeschaffungspflicht einen komparativen Kostenvorteil gegenüber dem Markt hat.156 Hieraus folgert er, dass Art. 17 Abs. 1 MAR keine Kenntnis der Emittentin voraussetze, denn eine weitergehende Einschränkung der Veröffentlichungspflicht sei überflüssig.157 Im Schrifttum wird dem Merkmal des unmittelbaren Emittentenbezugs vor allem die Aufgabe zugemessen, allgemeine Marktinformationen aus dem Kreis der veröffentlichungspflichtigen Informationen herauszunehmen.158 Hierzu zählen etwa Konjunktur-, Markt- oder Branchendaten, Naturereignisse, politische Entscheidungen sowie Zinssatz- oder Wechselkursentwicklungen.159 Solche Daten erfüllen zwar, ebenso wie handelsbezogene Informationen in Form von Kauf- oder Verkaufsaufträgen in Bezug auf die Aktien der Emittentin, den Tatbestand einer Insiderinformation nach Art. 7 MAR, unterliegen aber keiner Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR.160 Denn die Publizitätspflicht besteht eben nicht in Bezug auf jede Information, die geeignet ist, den Kurs der Aktien der Emittentin erheblich zu beeinflussen, sondern nur auf solche, die die Emittentin auch unmittelbar betreffen. Das Tatbestandsmerkmal des unmittelbaren Emittentenbezugs begrenzt also den Umfang der Ad-hoc-Publizitätspflicht, indem es Informationen von der Veröffentlichung ausschließt, die die Emittentin lediglich mittelbar betreffen.161 Folglich ist der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft nicht verpflichtet, jede kursrelevante Insiderinformation zu veröffentlichen, von der er Kenntnis erhält. Er muss vielmehr prüfen, ob sie einen direkten Bezug zu seiner Gesellschaft aufweist. Wenn eine Information geeignet ist, den Kurs der Aktien mehrerer Emittentinnen zu beeinflussen, sind nur diejenigen von ihnen veröffentlichungspflichtig, die 156
Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 68 f.; ihm zustimmend zum alten Recht: JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 59 ff. 157 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1286 f.), ebenso Neumann, Wissenszurechnung, S. 126. 158 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 41 ff., Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 72, Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 12, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 161. 159 Siehe nur BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 33 f. 160 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 72, BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 34. 161 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 53, Meyer/Veil/RönnauVeil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 46.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
von der Information unmittelbar betroffen sind. Anders als bei allgemeinen Marktdaten, die keine Emittentin unmittelbar betreffen, kann es bei operativen Insiderinformationen durchaus vorkommen, dass sie nur einzelne Gesellschaften unmittelbar betreffen und andere wiederum nur mittelbar.162 So ist es beispielsweise im Falle einer M&A-Transaktion denkbar, dass der Verkauf einer Minderheitsbeteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft die Verkäuferin als Handelnde unmittelbar betrifft, die Zielgesellschaft aber nicht, weil damit keine strategische Neuausrichtung verbunden ist.163 Insofern beinhaltet das Tatbestandsmerkmal des unmittelbaren Emittentenbezugs keine Einschränkung auf Informationsebene, sondern dient vielmehr dazu, von mehreren Emittentinnen diejenigen zu identifizieren, die zur Veröffentlichung der Insiderinformation verpflichtet sind.164 Somit ist es zwar zutreffend, dass eine Emittentin von denjenigen Insiderinformationen unmittelbar betroffen ist, bei deren Veröffentlichung sie einen komparativen Kostenvorteil gegenüber dem Markt hat. Gerade aufgrund dieser ökonomisch orientierten Zuordnung sorgt das Erfordernis des unmittelbaren Emittentenbezugs jedoch dafür, die Verantwortungssphären mehrerer Emittentinnen voneinander abzugrenzen.165 Hierdurch wird nicht nur verhindert, dass der Markt mit Doppelmeldungen überschwemmt wird, sondern auch dass durch die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung die Selbstbefreiungsentscheidung einer anderen Emittentin unterlaufen wird.166 Somit sind also durchaus Fallkonstellationen vorstellbar, in denen trotz Kenntnis der Emittentin keine Ad-hoc-Publizitätspflicht besteht, weil es an dem unmittelbaren Emittentenbezug fehlt. Denn nicht jede Insiderinformation, die dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft bekannt ist, betrifft diese auch unmittelbar und nicht jede Insiderinformation, die eine Emittentin unmittelbar betrifft, ist ihrem Vorstand auch bekannt. In diesen Fällen hat das Tatbestandsmerkmal des unmittelbaren Emittentenbezugs – anders als von Klöhn attestiert – eine eigenständige, über ein Erfordernis der Kenntnis der Emittentin hinausgehende Bedeutung. Daher führt es nicht zu einem binnensystematischen Bruch, in Art. 17 Abs. 1 MAR ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Emittentenwissens hineinzulesen.
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Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 81 f. Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 407; ebenso BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 33. 164 Koch, AG 2019, 273 (277), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 39, siehe auch Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 30, Ekkenga, NZG 2013, 1082 (1085). 165 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 39. 166 Vgl. Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 30. 163
III. Kritische Würdigung
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bb) Vergleich mit Art. 8, 9 MAR Weiterhin könnte für ein kenntnisunabhängiges Verständnis jedoch ein Vergleich mit Art. 8, 9 MAR sprechen, die das Insiderhandelsverbot des Art. 14 MAR näher beschreiben. Art. 8 Abs. 1 MAR setzt für das Vorliegen eines Insidergeschäfts voraus, dass eine Person „über Insiderinformationen verfügt“. Dies ist so zu verstehen, dass die Person die Insiderinformationen kennen muss.167 Ähnlich formuliert Art. 9 Abs. 1 MAR, dass eine juristische Person, die „im Besitz von Insiderinformationen“ ist, dessen Erleichterungen in Anspruch nehmen kann. Im Falle von juristischen Personen ist diesen das Wissen ihrer Organe und Mitarbeiter zuzurechnen.168 Nur wenn die organisatorischen Vorgaben des Art. 9 Abs. 1 lit. a MAR getroffen wurden, wird eine Insiderinformation trotz der grundsätzlichen Zurechnung nicht als „im Besitz“ der juristischen Person angesehen. Aus dem Fehlen einer vergleichbaren, ausdrücklichen Formulierung in Art. 17 Abs. 1 MAR könnte man folgern, dass diese Vorschrift kein subjektives Element beinhalte.169 Zuzugeben ist dieser Ansicht, dass, wenn der europäische Normgeber ein entsprechendes Kenntniserfordernis für die Ad-hoc-Publizitätspflicht gewollt hätte, es konsistenter gewesen wäre, wenn er sich derselben Formulierungen wie in Art. 8, 9 MAR bedient hätte. Die Tatbestandsmerkmale „verfügen“ bzw. „im Besitz sein“ dienen jedoch einem anderen Zweck, als ein Wissenserfordernis in Art. 17 Abs. 1 MAR haben würde. Dort wird es befürwortet, damit die Emittentin nicht zu einem Zeitpunkt ad-hocpflichtig wird, zu dem sie mangels Kenntnis (noch) nicht in der Lage ist, ihrer Veröffentlichungspflicht nachzukommen.170 In Art. 8 Abs. 1 MAR hingegen begründet die Kenntnis einer Insiderinformation erst die Eignung einer Person als tauglicher Täter eines Insiderhandels. Während gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR jeder „Emittent“, also jede juristische Person, die Finanzinstrumente emittiert oder deren Emission vorschlägt, zur Veröffentlichung von diese betreffenden Insiderinformationen verpflichtet ist, gilt das Verbot des Insiderhandels grundsätzlich für jedermann, das heißt jede natürliche oder juristische Person. Es bedarf erst des Verfügens über und Nutzens von Insiderinformationen, um einen konkreten Pflichtadressaten auszumachen. 167 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.4.2.5.2.1.1, S. 56, siehe auch I.4.2.4, S. 55, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 8 Rn. 96 ff. m. w. N. zum alten Recht, Schimansky/Bunte/LwowskiHopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 68, Waschkowski, Insiderhandel, S. 211 f., Staub-Grundmann, HGB, Band 11/1, Rn. 383, Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (777), Poelzig, NZG 2016, 528 (531), wohl auch Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 8 MAR Rn. 10, 32. 168 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 8 Rn. 108 ff., Meyer/Veil/Rönnau-Veil, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 54, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 9 MAR Rn. 7. 169 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287), Neumann, Wissenszurechnung, S. 132. 170 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385 f.), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 34, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30.
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Dies zeigt auch ein Blick auf die Sanktionsmechanismen: Unterbleibt eine gebotene Ad-hoc-Mitteilung, verstößt die Emittentin selbst gegen eine ihr obliegende Pflicht. Das pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglied begeht hingegen grundsätzlich keine eigene Ordnungswidrigkeit.171 Anders verhält es sich nach Art. 14 i. V. m. Art. 8 MAR: Wenn ein Vorstandsmitglied gegen das Insiderhandelsverbot verstößt, macht es sich selbst gemäß § 119 Abs. 3 WpHG strafbar. Die Gesellschaft, für die es tätig ist, kann hingegen nur nach näherer Maßgabe von § 30 OWiG bußgeldpflichtig werden.172 Anknüpfungspunkt des Gesetzes ist also nicht die Emittentin als juristische Person, sondern der Informationsträger. Das „Verfügen“ über eine Insiderinformation erklärt sich also dadurch, dass es erforderlich ist, um den Normadressaten zu bestimmen. Für die Ad-hoc-Publizität bedarf es jedoch keines derartigen Merkmals, denn sie richtet sich an jede Emittentin. Somit hat das ausdrückliche subjektive Element in Art. 8, 9 MAR keine Aussagekraft darüber, ob ein solches auch in Art. 17 Abs. 1 MAR hineinzulesen ist. cc) Verhältnis zur Kapitalmarktinformationshaftung Schließlich könnte gegen die Ergänzung des Veröffentlichungstatbestands in Art. 17 Abs. 1 MAR um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Kenntnis sprechen, dass die Schadensersatzvorschriften der §§ 97, 98 WpHG, die die Haftung der Emittentin gegenüber Anlegern für unterlassene, verspätete und fehlerhafte Adhoc-Mitteilungen regeln, jeweils in ihrem Abs. 2 bereits einen subjektiven Tatbestand enthalten. Teilweise wird daher vertreten, dass von einem objektiven Entstehen der Ad-hocPublizitätspflicht auszugehen sei, deren Rechtsfolgen erst durch die subjektiven Tatbestandsmerkmale in §§ 120 Abs. 15, 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 WpHG begrenzt werden.173 Wenn schon Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Emittentin voraussetzen würde, werde ein weiteres subjektives Tatbestandsmerkmal in den §§ 97, 98 WpHG überflüssig.174 Ein systematischer Rückschluss von § 97 Abs. 2 WpHG auf die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR verbietet sich jedoch schon aufgrund des europarechtlichen Normgefüges. Denn Art. 17 MAR ist eine unmittelbar anwendbare, unionsrechtliche Vorschrift, die Anwendungsvorrang gegenüber den nationalen Rechtsvorschriften genießt.175 Im Falle eines Widerspruchs sind die §§ 97, 98 WpHG verordnungs171 Es besteht jedoch die Möglichkeit, ihm die Emittenteneigenschaft und damit auch die Ad-hoc-Publizitätspflicht gemäß § 9 OWiG zuzurechnen. 172 Vgl. Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1085). 173 Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1427). 174 Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 89. 175 Zum Anwendungsvorrang siehe nur: Calliess/Ruffert-Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 16 ff., Grabitz/Hilf/Nettesheim-Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 1 AEUV Rn. 71 ff., jeweils m. w. N.
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konform auszulegen und nicht Art. 17 MAR im Lichte des WpHG.176 Dadurch wäre eine vermeintliche Doppelung des subjektiven Tatbestandsmerkmals aufzulösen. Keinesfalls kann aber aus den subjektiven Tatbeständen in §§ 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 WPHG abgeleitet werden, dass es in Art. 17 Abs. 1 MAR kein Element der Kenntnis von einer Insiderinformation geben dürfe. Im Übrigen sehen die Art. 30 ff. MAR keine zivilrechtliche Haftung der Emittentin für Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht vor.177 Der Verordnungsgeber hat also gar keine Aussage zu möglichen subjektiven Elementen in den Rechtsfolgenormen getroffen. Daher darf es bei der Auslegung der MAR auch nicht auf eine etwaige Schlechterstellung der Emittentin durch die §§ 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 WpHG ankommen, denn die Beweislastumkehr ist eine eigenständige Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die bei der Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR nicht zu berücksichtigen ist.178 Mithin können aus dem systematischen Verhältnis zu den Vorschriften der Kapitalmarktinformationshaftung und dem dort vorhandenen subjektiven Tatbestandsmerkmal keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis der Emittentin voraussetzt. dd) Zwischenergebnis Weder die Binnensystematik der Tatbestandsmerkmale des Art. 17 Abs. 1 MAR noch ein Seitenblick auf das Recht des Insiderhandels enthalten überzeugende Argumente für die These, allein das Bestehen einer die Emittentin unmittelbar betreffenden Insiderinformation genüge, um die Ad-hoc-Publizitätspflicht dieser Emittentin zu begründen. Auch aus den Schadensersatztatbeständen der §§ 97, 98 WpHG können keine Rückschlüsse auf Art. 17 Abs. 1 MAR gezogen werden, da diese gegenüber dem Unionsrecht subsidiär sind und dessen Auslegung nicht beeinflussen können. b) Verletzung des ultra posse-Grundsatzes Von einem Teil der Literatur wird vertreten, eine kenntnisunabhängige Veröffentlichungspflicht sei von vorneherein abzulehnen, da sie der Emittentin etwas
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Engelhardt, Wissensverschulden, S. 119, Koch, AG 2019, 273 (279). Siehe aber zu der Frage, ob sich aus dem effet utile die Pflicht der Mitgliedsstaaten ergibt, eine zivilrechtliche Schadensersatzhaftung der Emittentin einzuführen: Hellgardt, AG 2012, 154 (156 f.), Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593 (607); ablehnend Thomale, NZG 2020, 328 (330 f.), vgl. auch Schmolke, NZG 2016, 721 (723 ff.). 178 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287). 177
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Unmögliches abverlange und daher gegen den Rechtsgrundsatz ultra posse nemo obligatur verstoße.179 Dieses im römischen Recht wurzelnde Prinzip besagt, dass das rechtliche Müssen des Einzelnen durch dessen tatsächliches Können begrenzt wird.180 So ist zum Beispiel nicht zu bestrafen, wer eine gebotene Handlung deshalb unterlässt, weil sie ihm nicht möglich ist.181 Dieser ultra posse-Grundsatz wurde bereits mehrfach von europäischen Gerichten zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogen und ist somit auch im Unionsrecht uneingeschränkt anwendbar.182 Nach der Ansicht mancher Autoren liegt eine solche Verpflichtung über das Können hinaus vor, wenn man die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR so auslegt, dass sie unabhängig davon besteht, ob eine Person im Unternehmen der Emittentin Kenntnis von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation hat oder haben kann.183 Wenn die Veröffentlichungspflicht bereits durch die bloße Existenz einer Insiderinformationen ausgelöst würde, würde die Emittentin pflichtwidrig handeln, ohne dass ihr ein pflichtgemäßes Verhalten möglich wäre.184 aa) Sanktionsloser Verstoß? Zunächst stellt sich die Frage, ob eine bereits an dem objektiven Entstehen einer Insiderinformation anknüpfende Publizitätspflicht überhaupt in Konflikt mit dem ultra posse-Grundsatz kommen kann. Dies wird teilweise mit dem Hinweis darauf bestritten, dass ein bloßer Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR noch keine Rechtsfolgen nach sich ziehe.185 Daher sei es hinnehmbar, wenn eine Emittentin im Einzelfall über ihr Können hinaus verpflichtet werde.186 Zutreffend ist zwar, dass gemäß Art. 31 Abs. 1 lit. b MAR bei den ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen einer Publizitätspflichtverletzung, wie Bußgeldern, der Grad der Verantwortung für den Verstoß, also ein Verschulden der verantwortlichen Person, zu berücksichtigen ist. Dies hat der nationale Gesetzgeber in § 120 Abs. 15 Nr. 6 – 11 WpHG umgesetzt. Demnach begeht eine Emittentin nur 179
Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 50 in Fn. 1; vgl. auch Koch, AG 2019, 273 (276), Leyendecker-Langner/ Kleinhenz, AG 2015, 72 (76). 180 Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753 (786), Hruschka, FS Larenz (1983), S. 257 (274); gesetzlich findet sich dieser Grundsatz unter anderem in § 275 Abs. 1 BGB und § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG. 181 MüKoStGB-Freund, § 13 Rn. 10, Fischer, StGB, § 13 Rn. 78. 182 Vgl. EuGH Rs. C-234/09 Rn. 34 – DSV Road = Slg. I 2010, 7335, EuG Rs. T-289/08 Rn. 25, GRUR Int. 2010, 520 – Deutsche BKK. 183 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385). 184 Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (76). 185 Engelhardt, Wissensverschulden, S. 121, Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1427). 186 Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1427).
III. Kritische Würdigung
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dann eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie vorsätzlich oder leichtfertig gegen Art. 17 Abs. 1 MAR verstößt. Ebenso ist sie Anlegern nur dann zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet, wenn sie nicht nachweisen kann, dass das Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht (§ 97 Abs. 2 WpHG). Hiergegen ist zunächst einzuwenden, dass selbst, wenn eine Verletzung von Art. 17 Abs. 1 MAR keine direkten Folgen hätte, die Emittentin dennoch verpflichtet („obligatur“) ist, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Inhalt des Rechtsgrundsatzes ultra posse nemo obligatur ist es jedoch nicht, dass ein Rechtsverstoß folgenlos bleiben soll, sondern dass der Rechtsunterworfene von vorneherein keinen Pflichten unterliegen soll, die er nicht erfüllen kann. Außerdem kann auch ein unverschuldeter Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 MAR bereits Konsequenzen für die Emittentin nach sich ziehen. Denn unbeschadet der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen kann die BaFin andere aufsichtsrechtliche Anordnungen treffen. Dies umfasst unter anderem Auskunftsverlangen, öffentliche Warnungen, Untersagungsverfügungen oder die Einstellung des Handels mit den Finanzinstrumenten der Emittentin.187 Art. 23 MAR, der in Deutschland durch § 6 WpHG umgesetzt wurde, sieht vor, dass die nationalen Aufsichtsbehörden über Ermittlungsbefugnisse verfügen müssen, die sich nicht nur gegen eingetretene, sondern auch gegen drohende Verstöße gegen das Marktmissbrauchsrecht richten können (vgl. § 6 Abs. 1 S. 3 WpHG). Besonders folgenreich für die Emittentin ist es, wenn die Aufsichtsbehörden die getroffenen Anordnungen gemäß Art. 34 MAR öffentlich bekannt machen müssen (sog. naming and shaming). Nach dieser Vorschrift sind von der zuständigen Behörde alle Entscheidungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen auf ihrer Website zu veröffentlichen. Dies umfasst vor allem die Ausübung der in Art. 30 Abs. 2 MAR aufgeführten Befugnisse.188 Nach Erwägungsgrund (73) der MAR dient diese Vorschrift der Förderung eines einwandfreien Verhaltens der Marktteilnehmer, indem die Veröffentlichung verhängter Sanktionen auf die allgemeine Öffentlichkeit abschreckend wirken soll. Dieser Abschreckungsgedanke spricht dafür, dass der Verordnungsgeber alle staatlichen Reaktionen auf Verstöße gegen die MAR erfassen wollte.189 Somit sind nicht nur repressive, sondern auch präventive Maßnahmen der jeweiligen Aufsichtsbehörde zu veröffentlichen.190 Lediglich Maßnahmen mit Ermittlungscharakter fallen gemäß Art. 34 Abs. 1 UAbs. 2 MAR nicht unter die Veröffentlichungspflicht. Verwaltungsrechtliche Anordnungen mit präventiver Funktion setzen jedoch – im Unterschied zu Sanktionen – in der Regel kein Verschulden oder auch nur Kenntnis 187 188 189 190
Überblick bei Assmann/Schneider/Mülbert-Döhmel, WpHR, § 6 WpHG Rn. 22 ff. Schwark/Zimmer-Kumpan/Misterek, KMRK, Art. 34 MAR Rn. 10. Assmann/Schneider/Mülbert-Spoerr, WpHR, Art. 34 MAR Rn. 6. Vgl. Assmann/Schneider/Mülbert-Spoerr, WpHR, Art. 34 MAR Rn. 2.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
des Betroffenen voraus. Dies zeigt einerseits, dass gerade das präventive Eingreifen der BaFin auch ohne Kenntnis der Emittentin von der MAR intendiert war, und andererseits, dass ein objektiver Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht ohne Folgen für die Emittentin ist. Ob es jedoch einen Verstoß gegen den ultra posse-Grundsatz darstellt, dass die Emittentin diesen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen auch ohne Kenntnis oder Möglichkeit der Kenntnisnahme von der betreffenden Insiderinformation ausgesetzt ist, soll im Folgenden untersucht werden, indem nach der Art der Insiderinformation differenziert wird. bb) Unternehmensinterne Insiderinformationen Vergleichsweise unproblematisch mit Blick auf den ultra posse-Grundsatz ist die Veröffentlichungspflicht in Bezug auf unternehmensinterne Entwicklungen. Der Großteil dieser Insiderinformationen beruht auf Maßnahmen des Vorstands, wie etwa der Veräußerung von Kerngeschäftsfeldern, dem Abschluss von Unternehmensverträgen, dem Erwerb bzw. der Veräußerung von wesentlichen Beteiligungen oder Übernahme- und Abfindungsangeboten.191 In diesen Fällen entsteht das kursrelevante Ereignis erst durch eine Entscheidung des Vorstands und ist diesem daher zwangsläufig bekannt. Diesbezüglich wird dem Vorstand also nichts Unmögliches abverlangt, wenn die Veröffentlichungspflicht bereits an der Entstehung der Insiderinformation anknüpft. Dasselbe gilt grundsätzlich für andere Insiderinformationen, die innerhalb des Unternehmens der Emittentin entstehen oder bekannt werden. Zu denken ist etwa an gravierende Umsatzrückgänge in einzelnen Abteilungen, bedeutsame Erfindungen oder schwerwiegende Unfälle.192 Diese sind dem Vorstand zwar nicht unmittelbar bekannt, ereignen sich jedoch innerhalb der von ihm geführten Unternehmensorganisation. Als Leitungsorgan der Aktiengesellschaft obliegt es dem Vorstand, Strukturen zu schaffen, mit denen er sich jederzeit einen Überblick über die Geschehnisse im Unternehmen verschaffen kann.193 Daher ist es dem Vorstand zumindest nicht unmöglich, von Insiderinformationen Kenntnis zu nehmen, die unterhalb der Organebene entstehen.194 Problematisch ist nur die Pflicht zur Veröffentlichung von Mitarbeiterwissen, das dem Vorstand nicht bekannt werden kann, weil es ihm bewusst vorenthalten wurde. Dies ist aber nicht der Regelfall von un191
Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.13, S. 22. Vgl. die Beispiele bei Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 96 f. 193 Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rn. 657, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 56, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 25 Rn. 10, GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 153, Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 55, Grunewald, ZGR 2020, 469 (473 ff.), Raiser/Veil, § 14 Rn. 86 ff., MüKoAktG-Spindler, § 91 Rn. 18 ff. 194 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (409 f.), Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. 192
III. Kritische Würdigung
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ternehmensinternem Wissen und soll daher an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Grundsätzlich steht die Ad-hoc-Publizitätspflicht in Bezug auf Insiderinformationen, die innerhalb des Herrschaftsbereichs der Emittentin vorliegen, also nicht im Konflikt mit dem ultra posse-Grundsatz. cc) Unternehmensexterne Insiderinformationen Problematischer mit Blick auf den ultra posse-Grundsatz sind indes Insiderinformationen, die außerhalb der Emittentensphäre entstehen. Nach der weiten Variante der kenntnisunabhängigen Auffassung der Ad-hocPublizität entsteht die Veröffentlichungspflicht bereits mit dem objektiven Vorliegen einer Insiderinformation, ohne dass es einer Möglichkeit zur Kenntnisnahme hiervon bedarf. Somit würde die Emittentin auch im Falle von unternehmensexternen Insiderinformationen unmittelbar ad-hoc-pflichtig werden. Wenn also beispielsweise das Geschäftsführungsorgan einer ausländischen Gesellschaft entscheidet, ein Übernahmeangebot auf die Aktien der Emittentin abzugeben oder die Europäische Kommission beschließt, die Emittentin wegen Kartellrechtsverstößen mit einem Bußgeld zu belegen, wäre sie verpflichtet, diese Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen. Es liegt auf der Hand, dass die Emittentin in solchen Fällen nicht dazu in der Lage sein wird, ihrer Publizitätspflicht fristgerecht nachzukommen. Unternehmensexterne Insiderinformationen entstehen nicht nur außerhalb des Einflussbereichs des Vorstands des Emittentin, sondern es handelt sich, wie in den oben genannten Beispielen, oftmals sogar um Tatsachen, die bis zu dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe vor der Emittentin geheim gehalten werden.195 Die Emittentin könnte sie also nur dann veröffentlichen, wenn sie sich auf inoffiziellem Wege Kenntnis über solche Tatsachen, wie beispielsweise die Beschlusslage eines Konkurrenten oder die Entscheidungen einer Behörde oder eines Gerichts, verschaffen würde oder wenn die jeweilige Insiderinformation zufälligerweise einem Unternehmensangehörigen bekannt wäre. Der Normzweck gebietet die Veröffentlichung solcher Insiderinformationen jedoch nicht. Die Ad-hoc-Publizität verfolgt bekanntermaßen zwei Ziele: Zum einen sollen durch die öffentliche Bekanntgabe von kursrelevanten Informationen Wissensvorsprünge einzelner Personen abgebaut und somit Insiderhandel vorgebeugt werden. Zum anderen dient die schnellstmögliche Veröffentlichung von Insiderinformationen der Erhöhung der Informationseffizienz und damit auch der Preiseffizienz des Markts.196
195 196
Vgl. Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 104. Ausführlich dazu: B.III.2.c)aa).
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Hinsichtlich der Prävention von Insiderhandel wird der Normzweck der Ad-hocPublizität durch unternehmensexterne Informationen schon nicht berührt, denn wenn keine Informationsasymmetrie besteht, können Insider keine kommerzielle Vorteile aufgrund eines Wissensvorsprungs erzielen. Wenn nicht mindestens eine Person von einem kurserheblichen Ereignis erfahren hat, besteht keine Informationsasymmetrie und es droht somit nicht die Gefahr des Insiderhandels.197 Mit Blick auf die Informationseffizienz hingegen können zwar sogar Informationen, die bislang noch niemandem bekannt sind, prinzipiell dazu beitragen, den Aktienkurs an den Fundamentalwert der Emittentin anzugleichen. Das Vorliegen einer Insiderinformation setzt nicht voraus, dass ein Ereignis oder eine Tatsache in den Kenntnisbereich mindestens einer Person gelangt ist.198 Die Informationseffizienz des Markts könnte also grundsätzlich dadurch gesteigert werden, dass die Emittentin dazu verpflichtet wird, auch solche Informationen zu suchen und zu verarbeiten, die sich außerhalb ihrer Sphäre befinden. Es kann jedoch ersichtlich nicht der Zweck der Ad-hoc-Publizität sein, dass sie von der zufälligen Bekanntheit einer Tatsache oder derartigen Formen der Informationsbeschaffung abhängt. Eine Veröffentlichungspflicht kann also nur dann angenommen werden, wenn mindestens eine Person aufseiten der Emittentin Kenntnis von der Insiderinformation nehmen kann. Des Weiteren besteht auch keine Informationsverantwortung der Emittentin für solche Insiderinformationen, die sich außerhalb ihrer Herrschaftssphäre befinden.199 Bisweilen wird argumentiert, ein Informationsungleichgewicht zwischen ihr und dem Markt könne nicht abgebaut werden, wenn aufseiten der Emittentin gar kein Wissensvorsprung bestehe, denn dann „wisse“ sie nicht mehr als der Markt.200 Dies ist jedoch nicht zwingend, denn unter Umständen kann – wie im Folgenden gezeigt wird – auch ein Kennenmüssen der Organe der Emittentin genügen. Richtigerweise ist also danach zu fragen, ob sie mehr wissen kann als der Markt. Nur in diesem Fall besteht ein Informationsgefälle, welches die Emittentin abzubauen verpflichtet ist. Das bloße Vorliegen einer unternehmensexternen Insiderinformation ohne Möglichkeit der Kenntniserlangung würde die Emittentin hingegen über ihr Können hinaus verpflichten. Auch bei einer ökonomischen Betrachtung obliegt es ihr nicht, Insiderinformationen zu veröffentlichen, die außerhalb der Emittentensphäre liegen. In Bezug auf solche Informationen besteht nämlich kein Kostenvorteil der Emittentin.201 Da sie sich nicht innerhalb des Einflussbereichs der Emittentin befinden, kann sie diese 197
Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (384), Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 87. A. A. offenbar Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 87 und Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (384), der das Beispiel einer unterirdischen Gasansammlung unter dem Fabrikgelände der Emittentin bildet. 199 Siehe zur Informationsverantwortung: B.III.2.c)aa). 200 Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1848), siehe auch Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 40 f. 201 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 121. 198
III. Kritische Würdigung
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nicht leichter und zu geringeren Kosten suchen, analysieren und veröffentlichen als andere Marktteilnehmer. Somit entspricht es auch der ökonomischen Zielsetzung der Ad-hoc-Publizität, dass unternehmensexterne Insiderinformationen nicht von der Veröffentlichungspflicht erfasst werden. dd) Zwischenergebnis Auch wenn der Bußgeld- und der Schadensersatztatbestand wegen unterlassener Kapitalmarktinformation nach nationalem Recht Vorsatz oder Leichtfertigkeit bzw. grobe Fahrlässigkeit der Emittentin voraussetzen, bleibt auch ein unverschuldeter Verstoß gegen die Publizitätspflicht nicht folgenlos, denn er dient als Grundlage für die gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörden. In Bezug auf unternehmensinterne Insiderinformationen verstößt es nicht gegen den Grundsatz ultra posse nemo obligatur, die Ad-hoc-Publizitätspflicht an das objektive Vorliegen einer Insiderinformation anzuknüpfen, denn diese Insiderinformation ist dem Vorstand entweder bekannt oder er kann sie sich im Rahmen seiner Leitungsfunktion beschaffen. Unternehmensexterne Insiderinformationen entstehen jedoch außerhalb des Zugriffsbereichs des Vorstands. Daher übersteigt eine voraussetzungslose Veröffentlichungspflicht das Können der Emittentin und ist mit dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur unvereinbar. c) Zwischenfazit Die für ein weites kenntnisunabhängiges Verständnis angeführten systematischen Argumente konnten nicht überzeugen. Überdies verpflichtet diese Auffassung die Emittentin im Falle unternehmensexterner Insiderinformationen zu einer Veröffentlichung von Insiderinformationen, die über ihr tatsächliches Können hinausgeht. Mithin genügt die bloße Entstehung einer Insiderinformation nicht, um die Ad-hocPublizitätspflicht zu begründen, sondern es bedarf hierfür weiterer Voraussetzungen. Welche dies sind, ist im Folgenden zu klären.
2. Erfordernis des Emittentenwissens Im Vorstehenden wurde bereits festgestellt, dass die bloße Entstehung einer Insiderinformation nicht genügt, um die Ad-hoc-Publizitätspflicht zu begründen, sondern es hierfür weiterer Voraussetzungen bedarf. Daher soll nun der Frage nachgegangen werden, ob Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis der Emittentin als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verlangt oder ob er die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation voraussetzt. Hierzu gilt es zunächst, die Standpunkte der Rechtsprechung und der Aufsichtsbehörden herauszuarbeiten. Im Anschluss werden die Argumente, die für und gegen die Kenntnis der Emittentin oder
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
die Möglichkeit der Veröffentlichung als maßgebliches Merkmal sprechen, kritisch gewürdigt. a) Rechtsprechung und Aufsichtspraxis Zunächst ist zu untersuchen, wie sich die Rechtsprechung und die aufsichtsrechtliche Praxis der ESMA und der BaFin zu der Frage nach der Kenntnis der Emittentin als Voraussetzung für die Ad-hoc-Publizität verhalten. aa) Rechtsprechung Soweit ersichtlich, hat sich noch kein Gericht ausdrücklich dazu positioniert, ob das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht ein subjektives Merkmal aufseiten der Emittentin voraussetzt und wie dieses zu bestimmen ist. Das LG Stuttgart äußert sich in seinem Vorlagebeschluss zur Einleitung eines KapMuG-Verfahrens gegen die Porsche SE ambivalent: Einerseits postuliert die Kammer, die Veröffentlichungspflicht (nach § 15 Abs. 1 WpHG a. F.) entstehe nicht erst mit Kenntniserlangung, sondern bereits mit Eintritt der Insiderinformation.202 Andererseits macht sie jedoch Ausführungen zur Wissenszurechnung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft.203 Hierauf käme es bei einer kenntnisunabhängigen Sichtweise gerade nicht an. Keinen Aussagewert hat ferner die Entscheidung des OLG Celle, die sich mit der Wissenszurechnung im Zusammenhang mit der gescheiterten Übernahme der Volkswagen AG durch die Porsche SE befasst.204 Anders als in der Literatur bisweilen behauptet wird,205 ging es nicht darum, ob das der Volkswagen AG zuzurechnende Wissen diese zu einer Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 Abs. 1 WpHG a. F. verpflichtete, sondern nur um die Richtigkeit einer im Rahmen ihrer Hauptversammlung erteilten Auskunft. Dem Urteil lässt sich somit nicht entnehmen, dass der Senat davon ausging, dass (zugerechnetes) Wissen der Emittentin von einer Insiderinformation eine Voraussetzung für das Entstehen der Publizitätspflicht ist. Zudem wird – mit unterschiedlichen Sichtweisen – auf das „IKB-Urteil“206 des BGH rekurriert. Teilweise wird der Senat so verstanden, dass schon die Investition der Emittentin in Subprimes als Insiderinformation ausreiche, um deren Ad-hocPublizitätspflicht zu begründen.207 Andere interpretieren die Entscheidung dahin202
LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 158. LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 177 ff. 204 OLG Celle, BeckRS 2011, 141384. 205 So Werner, WM 2016, 1474 (1474 f.), missverständlich auch Koch, ZIP 2015, 1757 (1758). 206 BGHZ 192, 90. 207 JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 93, Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. 203
III. Kritische Würdigung
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gehend, dass dem Vorstand die Kenntnis um das Subprime-Engagement der Emittentin zugerechnet werde.208 Richtigerweise war in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt dem Vorstand die Insiderinformation jedoch positiv bekannt; streitig war allein die Erkennbarkeit ihrer Kursrelevanz.209 Daher gibt die IKB-Entscheidung nichts für die Problematik der Wissenszurechnung im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizität her.210 Somit fehlt es bislang an einer eindeutigen Stellungnahme der Rechtsprechung zu der Frage, ob die Ad-hoc-Publizitätspflicht Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation voraussetzt. bb) Auffassungen der ESMA und der BaFin Auch die aufsichtsrechtlichen Veröffentlichungen der ESMA und der BaFin enthalten keine ausdrückliche Aussage dazu, ob die Aufsichtsbehörden die Kenntnis der Emittentin von einer Insiderinformation für die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht für erforderlich halten. Da das Konzept der Wissenszurechnung auf europäischer Ebene nahezu unbekannt ist,211 verhält sich die ESMA nachvollziehbarerweise nicht dazu. Auch zu dem Erfordernis einer Informationsorganisation äußert sie sich nur im Zusammenhang mit der Selbstbefreiung. Dort heißt es: „The issuers are therefore expected to have in place a minimum level of organisation and a process to conduct a prior assessment whether an information is an inside information […].“ 212 Dies ist wohl dahingehend zu verstehen, dass die ESMA von dem Erfordernis einer unternehmensinternen Organisation ausgeht, durch die potentielle Insiderinformationen erfasst, analysiert und auf ihre Veröffentlichungspflichtigkeit überprüft werden, wie es auch von der deutschen Literatur angenommen wird. Auch die BaFin fordert im Modul C ihres Emittentenleitfadens, die Emittentin habe „alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um dem Unverzüglichkeitsgebot Rechnung tragen zu können“.213 Zudem heißt es in Bezug auf unternehmensinterne Insiderinformationen: „Wenn die Insiderinformation an einer Stelle des Unternehmens entsteht, die nicht berechtigt ist, über die Veröffentlichung zu entscheiden, muss durch die unternehmensinterne Organisation sichergestellt sein, dass die Information unverzüglich der entscheidungsberechtigten Stelle zur Kenntnis gebracht und auf ihre Ad-hoc-Pflicht
208 209 210 211 212 213
Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (388) Fn. 31. BGHZ 192, 90 Rn. 32 f., 41 ff. – IKB. Thomale, AG 2019, 189 (190), Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1423) Fn. 29. Siehe dazu B.III.3.a)bb). Final Report ESMA/2015/1455, Nr. 7.3.1 Rn. 239. BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.4, S. 42.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
geprüft wird.“214 Hinsichtlich unternehmensexterner Insiderinformationen weist die BaFin nur darauf hin, dass diese ebenfalls veröffentlichungspflichtig sein können,215 äußert sich aber nicht zu einer darüber hinaus erforderlichen Kenntnis oder Möglichkeit zur Kenntnisnahme. In Bezug auf unternehmensintern entstehende Informationen verlangt die BaFin also von der Emittentin die Einrichtung einer Informationsorganisation, die die unternehmensweite Speicherung, Weiterleitung und Verfügbarkeit solcher Informationen sicherstellt, die für die Ad-hoc-Publizität relevant sein können. Dies könnte zunächst als Hinweis auf die Wissenszurechnung verstanden werden. Berücksichtigt man aber, dass auch die kenntnisunabhängige Sichtweise der Ad-hoc-Publizität eine gewisse Informationsorganisation voraussetzt, lässt sich diese Aussage weder der Wissenszurechnung noch der kenntnisunabhängigen Auffassung zuordnen. Indem die BaFin jedoch auf die Entstehung von Insiderinformationen bei einer nicht zur Veröffentlichung berechtigten Stelle des Unternehmens Bezug nimmt, wird deutlich, dass sie nicht davon ausgeht, dass allein dem Vorstand positiv bekannte Informationen ad-hoc-pflichtig sein können. Die Auswahl der von der BaFin aufgeführten Beispiele für veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen216 vermag hieran nichts zu ändern. Somit lehnt die BaFin also zumindest die strenge kenntnisbasierte Ansicht offenbar ab. Hinsichtlich der weiteren zu Art. 17 Abs. 1 MAR vertretenen Auffassungen stellen sich ihre aufsichtsrechtlichen Veröffentlichungen jedoch als uneindeutig dar. b) Vereinbarkeit mit dem ultra posse-Grundsatz Bevor nun die Argumente beleuchtet werden, die in der Literatur für und gegen ein subjektives Element in Art. 17 Abs. 1 MAR vorgebracht werden, stellt sich die Frage, ob auch die Wissenszurechnung und die Ansicht, die eine Möglichkeit der Veröffentlichung als erforderlich ansieht, um die Ad-hoc-Publizitätspflicht zu begründen, mit dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur vereinbar sind. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine Veröffentlichungspflicht, die lediglich das objektive Vorliegen der Insiderinformation voraussetzt, die Emittentin im Falle unternehmensexterner Insiderinformationen über ihr Können hinaus verpflichtet.217 In Bezug auf unternehmensinterne Insiderinformationen besteht hingegen kein Konflikt mit dem ultra posse-Grundsatz, denn diese Insiderinformationen sind dem
214 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.1.6, S. 33, so auch schon Emittentenleitfaden 2013, IV.6.3, S. 70. 215 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 33. 216 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.13, S. 22. 217 Siehe B.III.1.b).
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Vorstand entweder bekannt oder er kann sie sich im Rahmen seiner Leitungsfunktion zumindest beschaffen. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Wissenszurechnung können einer Gesellschaft alle Informationen zugerechnet werden, die von ihrer unternehmensinternen Wissensorganisation erfasst, weitergeleitet und gespeichert werden und sich somit in ihrem Zugriffsbereich befinden. Darüber hinaus können ihr aber auch Informationen zugerechnet werden, die außerhalb ihres unmittelbaren Einflussbereichs entstehen, wenn sie einem Unternehmensangehörigen bekannt sind und für ihn eine Veranlassung besteht, sie zu erfassen, intern weiterzuleiten und zu speichern.218 Hierfür kommt es darauf an, ob ihre Bedeutsamkeit für den Informationsempfänger ex ante erkennbar war.219 Somit ist gewährleistet, dass die Informationsverarbeitung auch zumutbar ist und die Emittentin nicht ultra posse in Anspruch genommen wird. Dies gilt erst recht, wenn man für die Zurechnung allein auf das positive Wissen des Vorstands abstellt. Nach der anderen Variante der kenntnisunabhängigen Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR muss zusätzlich zu dem objektiven Eintritt der veröffentlichungspflichtigen Tatsache eine theoretische Möglichkeit der Veröffentlichung bestehen.220 Hierfür kommt es darauf an, dass mindestens ein Unternehmensangehöriger von der Insiderinformation Kenntnis hat oder haben könnte und diese intern weiterleiten könnte.221 Eine Veröffentlichung ist nicht möglich, wenn keine Person innerhalb der Organisation der Emittentin von der Information weiß und es ihr auch nicht möglich ist, darauf zuzugreifen.222 Bei außerhalb der Sphäre der Emittentin entstehenden Insiderinformationen ist dies grundsätzlich der Fall. Wenn kein Unternehmensangehöriger Kenntnis von einer Insiderinformation hat und auch keine konkreten Hinweise auf sie gegeben sind, besteht keine Möglichkeit der Veröffentlichung und keine Publizitätspflicht. Somit wird der Emittentin nach dieser Ansicht auch im Falle von unternehmensextern entstehenden Insiderinformationen keine über die Grenzen des ihr Möglichen hinausgehende Veröffentlichungspflicht auferlegt. Anders als die weite Variante der kenntnisunabhängigen Lesart verstößt also ein Verständnis, das von einer Möglichkeit der Veröffentlichung ausgeht, nicht gegen den Grundsatz ultra posse nemo obligatur.
218
143. 219
Siehe dazu B.III.2.c)cc)(3)(a); a. A. offenbar Neumann, Wissenszurechnung, S. 139,
Siehe B.I.1.b)bb)(1). Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87; Marsch-Barner/ Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.20 bezieht sich nur auf unternehmensinterne Insiderinformationen. 221 Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87. 222 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 118, 121, Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 85. 220
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Demnach kommt sowohl die Kenntnis der Emittentin als auch die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation als ergänzende Voraussetzung für das Entstehen der Ad-hoc-Publizität in Frage. Im Folgenden werden die Argumente, die für und gegen diese beiden Sichtweisen sprechen, systematisiert, nachvollzogen und bewertet. c) Teleologische Auslegung Zunächst ist zu klären, ob teleologische Erwägungen Rückschlüsse darauf zulassen, ob die Entstehung der Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation oder der Emittentin zurechenbares Wissen von dieser Insiderinformation voraussetzt. Hierfür wird zuerst der Normzweck der Ad-hoc-Publizität herausgearbeitet (unter aa)). Anschließend wird untersucht, ob eine Reduzierung des zugerechneten Emittentenwissens auf die positiven Kenntnisse des Vorstands geeignet ist, diesen Normzweck zu verwirklichen (unter bb)). Zum Abschluss stellt sich die Frage, ob es dem telos der Ad-hoc-Publizität eher gerecht wird, für die Entstehung der Veröffentlichungspflicht auf die Möglichkeit der Veröffentlichung oder auf die Kenntnis der Emittentin abzustellen (unter cc)). aa) Normzweck der Ad-hoc-Publizität Die Ad-hoc-Publizität soll sicherstellen, dass, sofern keine berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Emittentin entgegenstehen, jede Insiderinformation ohne zeitliche Verzögerung veröffentlicht wird, sodass es im Idealfall keine diese Emittentin unmittelbar betreffenden präzisen und kursrelevanten Informationen gibt, die nicht öffentlich bekannt sind. Das telos der Ad-hoc-Publizität ist zweigeteilt: Einerseits sorgt die Veröffentlichung von Insiderinformationen für eine gleichmäßige Information des Markts. Dadurch beugt sie einem Wissensvorsprung einzelner Personen vor und trägt so zur Verhinderung von Insiderhandel bei.223 Durch die unverzügliche Veröffentlichung verlieren Tatsachen ihren Charakter als Insiderinformationen und der Zeitraum wird verkürzt, in dem Insider durch ihren Wissensvorsprung kommerzielle Vorteile erzielen können.224 Daher kann grundsätzlich jede Information potentiell ad-hocpflichtig sein, unabhängig davon, bei welchem Organ oder auf welcher Hierarchiestufe im Unternehmen sie entsteht oder bekannt wird.225 223 Erwägungsgrund (49) der MAR, BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.1, S. 25, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 8, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 14 ff., Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 55. 224 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 8, Staub-Grundmann, HGB, Band 11/1, Rn. 488, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 55. 225 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (388).
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Andererseits fördert die Ad-hoc-Publizität die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. Durch die Veröffentlichung von Insiderinformationen werden Informationsdefizite einzelner Marktteilnehmer abgebaut und dadurch eine größtmögliche Markteffizienz hergestellt.226 Zudem trägt die umfassende Unterrichtung des Markts zur korrekten Bildung des Börsenpreises bei, der sich aufgrund der erhöhten Anzahl der verwertbaren Informationen dem wahren Unternehmenswert annähert.227 Durch die erhöhte Markttransparenz werden Insiderinformationen schneller in den Aktienkurs eingepreist und sowohl bereits investierte als auch potentielle Anleger können auf dieser Grundlage fundierte Kauf- oder Verkaufsentscheidungen treffen.228 An dieser Stelle darf eine teleologische Betrachtung jedoch nicht stehen bleiben. Die Pflicht der Emittentin zur Veröffentlichung kursrelevanter Informationen beruht darauf, dass sie als „least cost information provider“ gewissen Informationen am nächsten steht und sie dem Markt am schnellsten und kostengünstigsten zur Verfügung stellen kann.229 Der Umfang der Ad-hoc-Publizität muss sich daher nach dem Grund der Verantwortlichkeit der Emittentin für die Informationslage im Markt und damit nach ihren Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung und -veröffentlichung richten. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht darf nur so weit reichen, wie eine Informationsverantwortung der Emittentin besteht. Wenn sie eine Information nicht einfacher und zu geringeren Kosten veröffentlichen kann als der Markt, fällt diese auch nicht in ihren Verantwortungsbereich.230 Hierzu können neben unternehmensexternen Insiderinformationen auch solche zählen, deren Bedeutsamkeit ex ante nicht erkennbar war oder die bewusst vor dem Vorstand verheimlicht wurden. Dies trägt der Stellung der Emittentin als Dritte am Sekundärmarkt Rechnung. Anders als bei Neuemissionen ist sie an dem Erwerb und der Veräußerung ihrer Aktien nicht unmittelbar beteiligt.231 Sie steht also nicht in einem direkten, Treuepflichten begründenden Vertragsverhältnis mit den Informationsempfängern der Ad-hoc-Publizität, den Anlegern. Die Herausforderung bei der Bestimmung der Voraussetzungen für die Veröffentlichungspflicht liegt also darin, einen Ausgleich zwischen der Sicherstellung einer effektiven Kapitalmarktpublizität einerseits und zumutbaren Anforderungen an 226 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.1, S. 25, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/ Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 133, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 15, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 53, JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 14; vgl. auch Erwägungsgrund (2) der MAR. 227 Klöhn-Klöhn, MAR, vor Art. 17 Rn. 51, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 54, Seibt, ZHR 177 (2013), 388 (393), Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 133, Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 3. 228 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 54, 50, Koch, AG 2019, 273 (280). 229 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 39 f., vgl. auch Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 69. 230 Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 70. 231 Thomale, NZG 2018, 1007 (1008).
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
die Organisation der Emittentin andererseits herzustellen. Mit Blick auf die Informationsbeschaffung darf dem Vorstand als Leitungsorgan zwar nichts Unerfüllbares abverlangt werden, aber er muss doch vertretbare Anstrengungen unternehmen, um sich über die Tatsachen in Kenntnis zu setzen, die er für eine verantwortungsbewusste Anlegerkommunikation benötigt. bb) Zurechnung des Vorstandswissens Fraglich ist nun, ob es dem so verstandenen Normzweck genügt, dass der Emittentin nur das positive Wissen ihres Vorstands zugerechnet wird und sie nur in diesem Fall verpflichtet ist, eine sie unmittelbar betreffende Insiderinformation zu veröffentlichen. Koch weist auf den gegenüber dem alten Recht erweiterten Tatbestand der Adhoc-Publizität, die damit verbundenen gestiegenen Compliance-Anforderungen an börsennotierte Unternehmen und die verschärften Rechtsfolgen hin, die wirtschaftlich vor allem die Altaktionäre träfen.232 Von der Emittentin seien zwar zumutbare Anstrengungen zu verlangen, um auf einen transparenten und effizienten Kapitalmarkt hinzuarbeiten und Insiderhandel einzudämmen, aber keine Kapitalmarkttransparenz „um jeden Preis“.233 Zudem sei es nicht die Aufgabe des Kapitalmarktrechts, den Vorstand zu einer ordnungsgemäßen Unternehmensorganisation anzuhalten.234 (1) Verwirklichung des Normzwecks Legt man die oben entwickelten Maßstäbe an, zeigt sich, dass diese Auslegung dem telos der Ad-hoc-Publizität nicht gerecht wird. Die Ausnahme sämtlicher Informationen von der Veröffentlichungspflicht, die dem Vorstand nicht bekannt sind, verengt den Anwendungsbereich der Ad-hoc-Publizität über Gebühr. Dem Transparenzziel der MAR kann praktisch nicht genützt werden, wenn nur solche Insiderinformationen für die Zwecke der Ad-hoc-Publizität beachtlich sind, die dem Vorstand positiv bekannt sind.235 Hierfür wird zum Teil das unionsrechtliche Prinzip des effet utile angeführt.236 Dieser Grundsatz wird aus Art. 4 Abs. 3 EUV abgeleitet und verlangt, dass jeder europarechtlichen Norm zur größtmöglichen Verwirklichung ihres Regelungsziels
232
Koch, AG 2019, 273 (281 ff.), siehe auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 32. Vgl. Koch, AG 2019, 273 (285). 234 Koch, AG 2019, 273 (284). 235 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (387 f.), Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 87. 236 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (387), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 50 in Fn. 1; a. A. aber Koch, AG 2019, 273 (285). 233
III. Kritische Würdigung
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zu verhelfen ist.237 Daran ist zutreffend, dass bei einer Auslegung, die nur positives Vorstandswissen berücksichtigt, eine Vielzahl von Informationen von der Ad-hocPublizität ausgenommen bleiben würde, die für die Anlegerschaft potentiell von Interesse sein könnte, unabhängig davon, ob es der Emittentin zumutbar wäre, sie zu erfassen und zu veröffentlichen. Dem Ziel der Ad-hoc-Publizität, zum Zwecke der Markteffizienz eine möglichst umfassende Markttransparenz herzustellen, würde damit nicht genügt werden. Dies kann freilich nicht mit dem effet utile begründet werden. Dieser Grundsatz gebietet lediglich dem Normunterworfenen, alles zur größtmöglichen Erfüllung des Regelungszwecks zu tun. Zur Ermittlung des entsprechenden Regelungszwecks aber kann der effet utile nicht herangezogen werden. Der Pflichtenumfang des Art. 17 Abs. 1 MAR ist hingegen allein anhand des soeben ausgemachten Normzwecks zu bestimmen. Demnach kommt es für die Eindämmung von Insiderhandel einerseits und die Herstellung der Markttransparenz zur Gewährleistung der Informationsgleichbehandlung und korrekten Preisbildung andererseits auf eine schnelle („as soon as possible“) und umfassende Veröffentlichung von Insiderinformationen an. Dieses telos verlangt, dass eine Emittentin alle ihr rechtlich und tatsächlich möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um die Veröffentlichung von diese Emittentin unmittelbar betreffenden Insiderinformationen sicherzustellen. Mit sämtlichen Unternehmensangehörigen unterhalb des Vorstands besteht eine große Zahl potentieller Insider, deren Informationsvorsprung zu verhindern ist.238 Es wäre nicht interessengerecht, wenn die Emittentin Insiderinformationen nicht veröffentlichen müsste, die ihrem Vorstand zwar nicht positiv bekannt sind, aber durchaus bekannt sein könnten. Dadurch würde es der Emittentin zu sehr erleichtert, sich auf das Nicht-Bestehen der Veröffentlichungspflicht zu berufen.239 Es darf ihr nicht zugutekommen, wenn im Unternehmen vorhandene relevante Informationen nicht an diejenigen Personen weitergegeben werden, die für die Veröffentlichung zuständig sind.240 Durch den Entfall der Veröffentlichungspflicht würde die Emittentin dafür belohnt werden, dass sie keine oder nur eine oberflächliche Informationsorganisation unterhält. Auf keinen Fall darf dem Vorstand aber ein Anreiz gegeben werden, gegenüber unliebsamen Informationen unwissend zu bleiben. Auch in ökonomischer Hinsicht sind Insiderinformationen, die im Unternehmen der Emittentin entstehen, ihrem Verantwortungsbereich zuzuordnen. Die Emittentin kann diese mit geringerem Aufwand und damit auch geringeren Kosten an den Markt kommunizieren, als dieser aufwenden müsste, um sich die Informationen selbst zu 237
Riesenhuber-Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 45, Grabitz/Hilf/ Nettesheim-Mayer, Recht der Europäischen Union, Art. 19 EUV Rn. 57 f., Calliess/RuffertWegener, EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rn. 16. 238 Neumann, Wissenszurechnung, S. 138 f. 239 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (22), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 329. 240 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 53.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
beschaffen.241 Daher leuchtet es nicht ein, diese von der Veröffentlichungspflicht der Emittentin auszunehmen und den Beschaffungsaufwand stattdessen dem Markt zuzuweisen, weil sie deren Vorstand nicht positiv bekannt sind. Sofern Koch weiterhin einwendet, für Unternehmen sei es nur attraktiv, am Kapitalmarkt teilzunehmen, wenn sie nicht durch übermäßige Rechtspflichten eingeengt würden,242 darf jedoch nicht übersehen werden, dass die an den genannten Zielen ausgerichtete Transparenzverpflichtung der Emittentin als Gegenleistung für die Marktteilnahme fungiert.243 Den Binnenkapitalmarkt als Quelle für Investitionskapital können Unternehmen nur in Anspruch nehmen, wenn sie entsprechend dazu beitragen, die Effizienz und Funktionsweise des Markts durch die Einspeisung von Informationen zu stärken. Dass aber eine umfassende und haftungsbewehrte Adhoc-Publizitätspflicht abschreckend wirken soll, ist empirisch nicht belegt. Insbesondere ist seit der teilweisen Verschärfung des Insiderrechts durch die MAR kein Rückzug vom Kapitalmarkt zu beobachten. (2) Verhältnis zur Kapitalmarktinformationshaftung Auch der Einwand, die Wissenszurechnung führe zu einer Wissensfiktion, aufgrund derer stets Vorsatz i. S. d. § 97 Abs. 2 WpHG gegeben wäre, greift nicht durch.244 Denn die Zurechnung von Wissen auf der objektiven, die Publizitätspflicht begründenden Tatbestandsebene bewirkt nur, dass eine Veröffentlichungspflicht entsteht. Damit ist nicht gleichbedeutend, dass durch das Unterlassen der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung die Emittentin ihre Veröffentlichungspflicht schuldhaft verletzt.245 Hierfür kommt es darauf an, ob das individuelle Fehlverhalten derjenigen Person, die eine ordnungsgemäße Erfassung, Weiterleitung oder Verarbeitung der Insiderinformation versäumt hat, der Emittentin nach allgemeinen Haftungsgrundsätzen zurechenbar ist.246 Diesbezüglich ist einerseits nach dem haftungsbegründenden Fehlverhalten zu differenzieren. Andererseits kommt es darauf an, ob Kenntnisse bloß zugerechnet sind oder auch tatsächlich vorlagen. Bei absichtlichem Unterlassen der Veröffentlichung einer bekannten Information oder der vollständigen Vernachlässigung des Aufbaus einer Informationsorganisation wäre etwa vorsätzliches Handeln gegeben. Anders verhält es sich beispielsweise bei dem Verkennen der Kursrelevanz einer 241
Siehe auch Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 86. Koch, AG 2019, 273 (285). 243 Vgl. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 224 f. und passim. 244 So aber Koch, AG 2019, 273 (284). 245 Vgl. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (393), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (805), Verse, AG 2015, 413 Fn. 39, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (121), Sajnovits, WM 2016, 765 (773). 246 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (393 f.), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (73 f.); siehe auch Sajnovits, WM 2016, 765 (770), der die §§ 31, 278, 831 BGB schon auf Ebene der Wissenszurechnung anwendet. 242
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Information und damit des Bestehens der Veröffentlichungspflicht. Wenn in diesem Fall positive Kenntnis der Information vorlag, ist hinsichtlich der Fehleinschätzung des Vorstands zwischen fahrlässigem und grob fahrlässigem Verhalten zu unterscheiden. Wird der Emittentin das Wissen von einer Insiderinformation jedoch infolge mangelnder Organisation zugerechnet, kommt es auf diese Unterscheidung nicht an, da bei dem verantwortlichen Organ keine tatsächliche Kenntnis bestand und daher auch keine aktive Entscheidung über den Umgang mit der Insiderinformation getroffen wurde. Die mindestens fahrlässige Unkenntnis von einer Insiderinformation führt also zunächst nur dazu, dass der Emittentin im Hinblick auf die Veröffentlichungspflicht das Wissen von der Insiderinformation zugerechnet wird und sie somit ad-hoc-pflichtig ist. Sie erfüllt aber nicht den Tatbestand des § 97 Abs. 2 WpHG, sofern das Informationsversäumnis lediglich auf einfacher Fahrlässigkeit beruht. In diesen Fällen ist danach zu fragen, ob die Unkenntnis trotz Kennenmüssen einer Insiderinformation vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Nur wenn die Unkenntnis durch ein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Versäumnis der Wissensorganisation verursacht wurde, ist die Emittentin schadensersatzpflichtig. Diese Unterscheidung würde freilich eingeebnet, wenn man den Maßstab der fahrlässigen Unkenntnis mit einem Teil der Literatur auf grobe Fahrlässigkeit anheben würde.247 Im Fall des bewussten Verheimlichens von Tatsachen gegenüber dem Vorstand etwa liegt zwar zurechenbare Kenntnis der Emittentin vor, aber kein schuldhaftes Versagen der Wissensorganisation. Nach der Ansicht von Koch hingegen würde diese Situation gleichbehandelt mit einem auf Pflichtvergessenheit beruhenden Unterbleiben der Informationsweiterleitung und es entsteht in beiden Fällen keine Veröffentlichungspflicht. Der subjektive Tatbestand des § 97 Abs. 2 WpHG hat also auch über die Bestimmung des Wissens der Emittentin hinaus eine eigenständige Bedeutung. Somit kann nicht davon gesprochen werden, dass durch die Wissenszurechnung die Entstehung der Veröffentlichungspflicht und die Kapitalmarktinformationshaftung gleichgeschaltet würden. (3) Zwischenergebnis Mithin ist die Ansicht abzulehnen, die das der Emittentin zurechenbare Wissen auf die positive Kenntnis des Vorstands reduziert und dabei fahrlässig unbekannt gebliebenes Wissen außer Betracht lässt.
247 So Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 328, Habersack, DB 2016, 1551 (1554 f.); dagegen scheinbar Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 51.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
cc) Praktische Unterschiede zwischen Wissenszurechnung und Möglichkeit der Veröffentlichung Fraglich ist nun, ob es dem telos der Ad-hoc-Publizität besser gerecht wird, für die Entstehung der Veröffentlichungspflicht die Möglichkeit der Veröffentlichung oder die Kenntnis der Emittentin vorauszusetzen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass ein hohes Maß an Kapitalmarktpublizität sichergestellt ist, sondern auch ein hinreichender Ausgleich mit den zumutbaren Organisationsanforderungen an die Emittentin geschaffen wird. Hierfür ist es zunächst hilfreich, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Ansichten in ihrer praktischen Anwendung herauszuarbeiten, um zu klären, ob eine Entscheidung für eine der beiden Ansichten überhaupt erforderlich ist. (1) Gleichlauf der Grundannahmen Nach der Ansicht, die die Kenntnis der Emittentin als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal betrachtet, ist das Transparenzziel der Ad-hoc-Publizität dadurch zu erfüllen, dass die Emittentin eine Informationsorganisation im Unternehmen etabliert, damit entstandene Insiderinformationen schnellstmöglich veröffentlicht werden.248 Zugleich wird das Erfordernis der Kenntnis der Emittentin auch als notwendiges Korrektiv empfunden, damit sie nicht zu frühzeitig mit der Veröffentlichungspflicht belastet wird.249 Daher greift diese Sichtweise auf die Wissenszurechnung zurück, denn mit den eingangs dargestellten Grundsätzen existieren im Allgemeinen anerkannte Prinzipien für die Organisation einer juristischen Person, die eine Richtschnur dafür geben, auf welche Art und Weise und anhand welcher Kriterien Informationen in einer arbeitsteiligen Struktur erfasst, gespeichert und zugänglich gemacht werden müssen. Zwar betonen die Vertreter der kenntnisunabhängigen Ansicht, nur eine extensive Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR werde dem Ziel der Prävention von Insiderhandel gerecht.250 Anders als die weite Variante des kenntnisunabhängigen Verständnisses, die allein das objektive Vorliegen einer Insiderinformation genügen lässt, berücksichtigt diese Lesart jedoch, dass die Emittentin nicht für sämtliche Insiderinformationen verantwortlich sein soll, unabhängig davon, wo sie entstehen. Sie verlangt, dass zusätzlich zu dem objektiven Eintritt der veröffentlichungspflichtigen Tatsache eine theoretische Möglichkeit der Veröffentlichung bestehen muss, indem ein Unternehmensangehöriger der Emittentin Zugang zu der Infor248 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385, 387), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 53 ff., Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (22). 249 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 328, Koch, AG 2019, 275 (275 f.), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (76), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (394 f.). 250 Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89, siehe auch Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287).
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mation hat und diese entlang der Unternehmenshierarchie an die für die Veröffentlichung zuständige Stelle weiterleiten kann.251 Bei Lichte betrachtet deckt sich diese Lesart mit den Grundsätzen der Wissenszurechnung. Indem sie nach der Verfügbarkeit von Informationen innerhalb der Organisation der Emittentin fragt, verlangt sie gleichermaßen, dass Strukturen zur Erfassung und Weiterleitung von Informationen eingerichtet und Mitarbeiter entsprechend instruiert werden müssen. Wenn die Emittentin dafür sorgen muss, dass Informationen intern erfasst, entlang der Unternehmenshierarchie weitergeleitet, analysiert und – wenn notwendig – gespeichert werden, so sind dies klassische Wissensorganisationspflichten.252 Der von Lebherz angelegte Maßstab einer durchschnittlichen, ordnungsgemäß organisierten Emittentin253 gleicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Organisation einer juristische Person stellt, um ihr die Kenntnisse zuzurechnen, die infolge einer mangelhaften Informationsorganisation tatsächlich nicht bestanden. Somit setzt auch dieses Verständnis voraus, dass es mindestens eine Person innerhalb der Organisation der Emittentin gibt, die von der betreffenden Insiderinformation weiß oder der es möglich ist, davon Kenntnis zu nehmen.254 Keine der beiden Ansichten geht jedoch davon aus, dass der Vorstand oder ein anderer Unternehmensangehöriger von einer Information tatsächlich Kenntnis genommen haben muss. Es genügt vielmehr, wenn sie bei einer sorgfältigen Vorgehensweise bekannt werden könnte. Somit gehen beide Ansätze von derselben Grundannahme aus, dass die Ad-hocPublizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR von der Emittentin die Einrichtung einer unternehmensinternen Informationsorganisation verlangt. (2) Zeitliche Parallelität Zudem ergibt sich ein zeitlicher Gleichlauf beider Sichtweisen in Bezug auf den Beurteilungs- und Prüfungszeitraum einer Insiderinformation und damit die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht. Bei Anwendung der Wissenszurechnung wird der Emittentin eine Insiderinformation grundsätzlich zu dem Zeitpunkt zugerechnet, in dem ein Vorstandsmitglied Kenntnis von ihr erlangt hat oder hätte erlangen können. Ist dies infolge einer Verletzung der Wissensorganisationspflicht nicht der Fall und erhält ein Vorstandsmitglied gar nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis von dieser 251 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288), Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87. 252 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288), Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87; ähnlicher Befund auch bei Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 120 ff. 253 Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 91. 254 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 118 ff., Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Insiderinformation, beginnt die Bearbeitungsfrist dennoch in dem Moment zu laufen, in dem eine Kenntnisnahme erstmals möglich gewesen wäre. Sie erstreckt sich dann auf die Analyse des Sachverhalts, die rechtliche Bewertung und die Verarbeitung der Insiderinformation in Form der Vorbereitung einer Ad-hoc-Mitteilung bzw. einer Selbstbefreiungsentscheidung. Nach der Auffassung, die die Entstehung der Ad-hoc-Publizität an einer theoretischen Kenntnisnahmemöglichkeit von einer Insiderinformation anknüpft, wird die Verarbeitungsfrist bereits dann ausgelöst, wenn ein Organmitglied oder sonstiger Unternehmensangehöriger Kenntnis von der Information erhält oder hätte erhalten können oder sie in seiner Person entsteht. Dies mag auf den ersten Blick für ein früheres Entstehen der Publizitätspflicht sprechen, da die Möglichkeit der Veröffentlichung unabhängig von dem Wissen eines Vorstandsmitglieds ist. Der frühere Fristbeginn nach der kenntnisunabhängigen Ansicht wird jedoch durch den divergierenden Umfang der Verarbeitungsfrist ausgeglichen. Wenn schon die objektive Möglichkeit der Informationsweiterleitung ausreicht, um den Fristbeginn auszulösen, erfasst der Bearbeitungszeitraum nicht nur die Analyse, Bewertung und Veröffentlichung der Insiderinformation, sondern auch ihre Weiterleitung an die zuständige Stelle.255 Nach den Wissensorganisationsregeln der kenntnisunabhängigen Ansicht liegt die betreffende Insiderinformation also zu demselben Zeitpunkt dem verantwortlichen Gremium vor, zu dem die Emittentin nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung als wissend gelten würde. Von dort an verläuft die weitere Analyse, Prüfung und Verarbeitung der Information nach beiden Ansichten parallel. Für jeden dieser Schritte billigt sowohl das Konzept der Wissenszurechnung als auch die kenntnisunabhängige Auffassung der Emittentin den Zeitraum zu, der hierfür im Falle einer ordnungsgemäß eingerichteten Organisationsstruktur benötigt wird. Im Ergebnis räumen also beide Auffassungen der Emittentin denselben Zeitraum für die Weiterleitung, Prüfung und Verarbeitung einer Insiderinformation ein. Der Unterschied besteht nur darin, welche dieser Phasen von dem Gebot der Unverzüglichkeit in Art. 17 Abs. 1 MAR umfasst werden. Während bei der kenntnisbasierten Sichtweise die interne Informationsweiterleitung vorgeschaltet ist und der Zeitraum der „Unverzüglichkeit“ nur die Prüfung und Verarbeitung der Insiderinformation beinhaltet, umfasst er nach der kenntnisunabhängigen Ansicht alle Schritte, die die Emittentin zur Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizität vornehmen muss. Demnach ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung bzw. der Entscheidung über die Selbstbefreiung, von der ersten Möglichkeit zur Erfassung der veröffentlichungspflichtigen Tatsache an gerechnet, nach beiden Ansichten identisch.256 Somit gehen die Wissenszurechnung und die Auffassung der Mög255
Siehe nur Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 91 f., der zwischen Meldezeitraum, Entscheidungszeitraum und Veröffentlichungszeitraum unterscheidet. 256 Ähnlich Koch, AG 2019, 273 (275), Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (229).
III. Kritische Würdigung
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lichkeit einer Veröffentlichung nicht nur von der gleichen Grundannahme einer unternehmensinternen Organisation des Informationsflusses aus, sondern gelangen überdies auch zu einem zeitlichen Gleichlauf der Ad-hoc-Publizität. (3) Unterschiede der beiden Ansätze Im Folgenden ist zu untersuchen, ob sich trotz der grundsätzlich übereinstimmenden Grundannahmen und des zeitlichen Gleichlaufs der beiden Ansätze dennoch Unterschiede in ihrer praktischen Anwendung zeigen. (a) Unterschiede in Bezug auf unternehmensexterne Informationen Zunächst ist zu klären, ob die beiden Ansichten zu differenzierenden Ergebnissen kommen hinsichtlich des Umfangs der Insiderinformationen, die von der Informationsorganisation der Emittentin erfasst werden und somit veröffentlichungspflichtig sein können. Koch sieht einen Unterschied darin, dass nach der kenntnisunabhängigen Auffassung auch Ereignisse außerhalb des Unternehmens die Ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen könnten, während bei einem wissensbasierten Verständnis von Art. 17 Abs. 1 MAR die Emittentin nur zur Veröffentlichung gesellschaftsintern bekannter Umstände verpflichtet sei.257 Die Annahme, auch unternehmensextern entstehende Insiderinformationen könnten ohne Weiteres ad-hoc-pflichtig sein, trifft indes nur für die weite Lesart der kenntnisunabhängigen Ansicht zu, die das bloße Bestehen einer Insiderinformation ausreichen lässt, um die Publizitätspflicht zu begründen. Im Regelfall ist eine unternehmensexterne Insiderinformation der Emittentin nicht zugänglich oder wird sogar vor dieser geheim gehalten, wie beispielsweise der Beschluss eines Konkurrenten, ein Übernahmeangebot abzugeben.258 Bei solchen Insiderinformationen besteht auch nach der Variante dieser Ansicht, die auf die Möglichkeit der Veröffentlichung abstellt, grundsätzlich keine Publizitätspflicht. Denn die Möglichkeit der Veröffentlichung setzt voraus, dass mindestens eine Person innerhalb der Organisation der Emittentin in der Lage ist, auf diese Information zuzugreifen. Die Veröffentlichungspflicht kann also nur ausnahmsweise bestehen, wenn die betreffende Insiderinformation trotz ihrer Entstehung außerhalb der Sphäre der Emittentin einem Unternehmensangehörigen bekannt ist oder wenn diesem konkrete Hinweise auf die Informationen vorliegen, sodass deren Aufklärung ohne Weiteres möglich ist.259
257
143. 258
Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30, ebenso Neumann, Wissenszurechnung, S. 139,
Weitere Beispiele bei Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (384) Fn. 13. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 121, Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 85. 259
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Es fragt sich aber, ob unter diesen Voraussetzungen nicht auch nach der kenntnisbasierten Ansicht eine Pflicht zur Erfassung und Weiterleitung der Insiderinformation gegeben wäre. Bei Organmitgliedern ist anerkannt, dass sie auch privat erlangtes Wissen für die Gesellschaft nutzbar machen müssen und dieses der Gesellschaft somit zurechenbar ist.260 Wenn ein Vorstandsmitglied also von einem Bekannten oder durch Zufall von einer unternehmensexternen Insiderinformation erfährt, wäre diese selbst nach der strengen, von Koch vertretenen Ansicht, die der Emittentin nur positives Wissen ihrer Vorstandsmitglieder zurechnet, veröffentlichungspflichtig, obwohl sie nicht aus der Sphäre der Emittentin stammt. Die Grundsätze der Wissenszurechnung differenzieren ohnehin nicht nach der Herkunft einer Information. Ihnen zufolge ist grundsätzlich jede Information in die Wissensorganisation der Gesellschaft einzuspeisen, unabhängig von der Quelle, aus der sie stammt. Sobald ein Unternehmensangehöriger von einer Tatsache Kenntnis erlangt und für ihn erkennbar ist, dass diese eine Insiderinformation darstellen kann, ist er verpflichtet, sie zu erfassen, aufzuklären und an die verantwortlichen Unternehmensangehörigen weiterzugeben. Somit wird man auch von Mitarbeitern unterhalb der Organebene aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht jedenfalls in Fällen, die so bedeutend sind, dass sie Insiderinformationen darstellen, eine Verpflichtung zur Informationsweitergabe annehmen können.261 Wenn beispielsweise einem Abteilungsleiter Andeutungen dahingehend zugespielt werden, dass die Produkte eines Zulieferers gesundheitsgefährdende Stoffe enthalten, muss er diesen Anhaltspunkten nachgehen und den Sachverhalt erforschen. Und kommt in den Betriebsferien ein Mitarbeiter am Werksgelände vorbei und bemerkt den Einsturz des Fabrikgebäudes, wird man von ihm erwarten können, dass er seine Vorgesetzten über diese Feststellung in Kenntnis setzt. In beiden Fällen handelt es sich um Informationen, deren Rechtserheblichkeit ex ante erkennbar ist. Somit kann die unternehmensinterne Wissensorganisation unter Umständen auch unternehmensexterne Informationen erfassen und diese können nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung zurechenbar sein. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht entsteht also dann, wenn eine unternehmensexterne Insiderinformation einem Unternehmensangehörigen bekannt ist oder wenn diesem konkrete Hinweise auf die Informationen vorliegen. Wenn die Emittentin eindeutigen Hinweisen auf eine unternehmensexterne Insiderinformation nicht nachgeht, ist sie dem Vorwurf der fahrlässigen Unkenntnis ausgesetzt. Mithin ist eine unternehmensexterne Insiderinformation der Emittentin grundsätzlich ebenso wenig zurechenbar, wie ihre Veröffentlichung nach der kenntnisunabhängigen Auffassung möglich ist. Wenn sie jedoch ausnahmsweise einem Unternehmensangehörigen der Emittentin bekannt ist oder Hinweise auf sie bestehen, wird dieses Wissen der Emittentin zugerechnet und es ist ihr gleichsam möglich, 260 261
Siehe dazu B.I.1.b)bb)(3). Seidel, ZIP 2020, 1506 (1514).
III. Kritische Würdigung
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die Insiderinformation zu veröffentlichen. Somit zeigt sich kein praktischer Unterschied zwischen den beiden Auffassungen. (b) Unterschiede in Bezug auf den Umfang der veröffentlichungspflichtigen Informationen Weiterhin könnte sich ein Unterschied in Bezug auf den zeitlichen Umfang der erfassten unternehmensinternen Insiderinformationen ergeben. Bei Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung können einer Gesellschaft nur Informationen zugerechnet werden, deren Bedeutsamkeit im Vorfeld erkennbar war, sodass ein Anlass zu ihrer Speicherung und Abfrage besteht.262 Solche Einschränkungen enthält die kenntnisunabhängige Ansicht grundsätzlich nicht. Das entscheidende Kriterium ist ihr zufolge allein die Möglichkeit der Veröffentlichung. Nimmt man dieses ernst und versteht es nicht nur im Sinne einer abstrakten Möglichkeit, sondern dahingehend, dass die Erfassung, Weiterleitung und Verarbeitung einer Insiderinformation dem Wissensträger in der konkreten Situation tatsächlich möglich sein müssen, lassen sich hiermit auch diejenigen Fälle bewältigen, in denen bei Anwendung der Wissenszurechnung kein Emittentenwissen besteht. Wenn beispielsweise die Veröffentlichungspflichtigkeit einer Tatsache ex ante derart unerkennbar ist, dass kein vernünftiger Grund zur Weiterleitung und Speicherung dieser Information besteht, ist auch zu einem späteren Zeitpunkt keine Möglichkeit zur Veröffentlichung gegeben. Denn in dem Moment, in dem die Kurserheblichkeit dieser Information offenbar wird, ist es der Emittentin nicht möglich, sie zu veröffentlichen, da keine entsprechenden Vorkehrungen dazu getroffen wurden. Zu dem Zeitpunkt des Eintritts des veröffentlichungspflichtigen Ereignisses hingegen, also bei der Entstehung der Insiderinformation, gab es zwar grundsätzlich – wie bei jeder beliebigen Tatsache – die abstrakte Möglichkeit, sie zu speichern. Würde man dies jedoch ausreichen lassen, um die Veröffentlichungspflicht zu begründen, müsste eine börsennotierte Gesellschaft jede noch so unwichtige Information abspeichern, da sie nicht ausschließen könnte, dass diese irgendwann einmal kurserheblich werden könnte.263 Dies kann mit der Möglichkeit der Veröffentlichung nicht gemeint sein. Es muss vielmehr derjenigen Person, die über eine Information verfügt, möglich sein, im entscheidungserheblichen Zeitpunkt zu erkennen, dass es sich um eine potentiell ad-hoc-pflichtige Insiderinformation handelt, und dementsprechend mit ihr zu verfahren. Nur dann besteht keine abstrakte, sondern eine konkrete Möglichkeit der Veröffentlichung. Mit anderen Worten ist es, wenn die Kurserheblichkeit eines Umstands im Vorfeld nicht vorhersehbar ist, auch nicht möglich, diesen Umstand zum Zwecke einer späteren Veröffentlichung abzuspeichern. Der zeitliche 262 263
Siehe dazu B.I.1.b)bb)(1). Vgl. Neumann, Wissenszurechnung, S. 166 f.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Umfang der Informationsorganisationspflichten ist also identisch mit dem der Wissenszurechnung. Ferner findet keine Wissenszurechnung statt, wenn einer Weitergabe von Informationen rechtliche Hindernisse, wie Verschwiegenheitspflichten, entgegenstehen.264 Wenn es einem Wissensträger aufgrund einer Verschwiegenheitspflicht nicht erlaubt ist, sein Wissen in den Informationsspeicher der Gesellschaft einzubringen, hat diese keinen Zugriff auf dieses Wissen und keine Möglichkeit, es ordnungsgemäß zu erfassen und weiterzuleiten. In solchen Situationen besteht auch keine Möglichkeit ihrer Veröffentlichung. Konsequenterweise ist die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation nicht nur im Sinne einer tatsächlichen, sondern auch im Sinne einer rechtlichen Möglichkeit zu verstehen. Wenn es einer Person aufgrund einer gesetzlichen oder vertraglichen Verschwiegenheitspflicht nicht erlaubt ist, ihr Wissen anderen mitzuteilen, darf sie dieses auch nicht in den Informationsspeicher der Gesellschaft einbringen. Dann kann abermals keine Rede davon sein, dass es der Emittentin möglich sei, diese Information intern zu organisieren, verfügbar zu machen und für die Zwecke der Ad-hoc-Publizität zu nutzen. Es besteht zwar eine abstrakte, aber erneut keine konkrete Möglichkeit, die jeweilige Insiderinformation zu veröffentlichen. Somit besteht auch in diesem Szenario keine Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR. (c) Pflichtencharakter der Wissensorganisation Einen weiteren Unterschied sieht Hellgardt darin, dass die Emittentin sich nach der kenntnisunabhängigen Ansicht nicht dadurch entlasten könne, dass sie eine sorgfältige, den branchenüblichen Maßstäben entsprechende Informationsorganisation eingerichtet hat, wenn eine Information trotzdem nicht weitergeleitet wurde.265 Somit enthalte Art. 17 Abs. 1 MAR keine Organisationspflicht.266 Hierzu ist anzumerken, dass auch im Rahmen der Wissenszurechnung die als „Wissensorganisationspflichten“ apostrophierten Handlungsanforderungen keine echten Pflichten im Rechtssinne sind. Denn das Unterlassen einer Informationsorganisation führt als solches noch nicht zu einer Schadensersatzpflicht, dies kann nur eine daraus resultierende Missachtung der Publizitätspflicht.267 Art. 17 Abs. 1 MAR enthält also keine aufsichtsrechtliche Pflicht, eine Compliance-Organisation zu etablieren, wie sie etwa gemäß § 80 WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen besteht.268 264
Siehe dazu B.I.1.b)bb)(2). Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. 266 Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. 267 Ebenso Neumann, Wissenszurechnung, S. 153 f.; vgl. auch Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (19 f.): „mittelbare Organisationspflichten“, Assmann/Schneider/Mülbert-Schneider, WpHR, § 33 WpHG Rn. 108, 137, KK-WpHG-Hirte, § 21 Rn. 175. 268 Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 25. 265
III. Kritische Würdigung
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Darüber hinaus sind auch nach der Wissenszurechnung nicht nur diejenigen Tatsachen als der Emittentin bekannt anzusehen, die in ihrem Wissensspeicher tatsächlich vorhanden sind, sondern auch solche, die weitergeleitet und veröffentlicht worden wären, wenn die Emittentin eine sorgfältige Wissensorganisation aufgebaut hätte. Ein Unterschied zu der kenntnisunabhängigen Ansicht ergibt sich also nur dann, wenn die Emittentin nachweisen kann, dass sie den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wissensorganisation genügende Strukturen aufgebaut und durch entsprechende Maßnahmen deren Funktionsfähigkeit sichergestellt hat. Nur wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann sie sich darauf berufen, dass keine Adhoc-Publizitätspflicht besteht. Dabei ist sie grundsätzlich der Gefahr des sog. hindsight bias ausgesetzt, also dass die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen im Nachhinein höher eingeschätzt wird und diese daher auch für vermeidbar gehalten werden.269 Vor dem Hintergrund des bereits eingetretenen Informationsverlusts wird es die Emittentin daher schwer haben, die Funktionsfähigkeit ihrer Wissensorganisation zu beweisen.270 Gelingt es ihr nicht, diesen Nachweis zu führen, muss sie sich das Wissen um eine Insiderinformation zurechnen lassen. Dementsprechend verletzt sie ihre Publizitätspflicht ebenso, wie wenn nach der kenntnisunabhängigen Ansicht auf die bloße Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation abgestellt würde. Zudem wurde soeben gezeigt, dass die Möglichkeit der Veröffentlichung nicht abstrakt zu verstehen ist, sondern eine konkrete Möglichkeit der Informationserfassung und Weitergabe im Einzelfall voraussetzt. Die Emittentin kann also auch nach dieser Ansicht beweisen, dass ihr die Veröffentlichung einer Insiderinformation nicht möglich ist, etwa weil eine Verschwiegenheitspflicht der Informationsverarbeitung entgegensteht oder weil ihre Relevanz ex ante nicht erkennbar war. Somit hat die Emittentin auch nach der kenntnisunabhängigen Ansicht gewisse Entlastungsmöglichkeiten. (4) Zwischenergebnis Zwar kann sich die Emittentin nach einem wissensunabhängigen Verständnis von dem Vorwurf einer unterlassenen Ad-hoc-Mitteilung nicht schon dadurch freizeichnen, dass sie nachweist, dass das Versäumnis nicht auf dem Fehlen einer umfassenden Wissensorganisation beruht. Im Übrigen aber greift die Ansicht, die auf die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation abstellt, auf dieselben Maßstäbe für die Weiterleitung und Speicherung unternehmensinterner Daten zurück wie die Grundsätze der Wissenszurechnung. Daher gelangt sie sowohl hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs der Veröffentlichung als auch der von der Veröffentlichungspflicht erfassten Informationen 269 Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1847), Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689 (695), siehe zu diesem Phänomen auch Ott/Klein, AG 2017, 209. 270 Koch, AG 2019, 273 (284).
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen wie die Anwendung der Wissenszurechnung. dd) Zwischenergebnis Die Ad-hoc-Publizitätspflicht bezweckt einerseits eine umfassende Offenlegung von Insiderinformationen, damit eine korrekte Preisbildung am Markt stattfinden kann und Insiderhandel erschwert wird. Andererseits steht die Veröffentlichungspflicht jedoch in einem Spannungsverhältnis dazu, welche Maßnahmen von der Emittentin vernünftigerweise verlangt werden können. Diesen Anforderungen wird eine auf Vorstandswissen limitierte Wissenszurechnung nicht gerecht. Sie reduziert den organisatorischen Aufwand der Emittentin auf Kosten des Umfangs der veröffentlichten Insiderinformationen und entlässt die Emittentin somit aus ihrer Verantwortung, obwohl ihr die Erfassung von Insiderinformationen innerhalb ihrer Organisation durchaus möglich und zumutbar ist. Anders verhält es sich sowohl bei der Wissenszurechnung als auch der kenntnisunabhängigen Ansicht, die eine Möglichkeit der Veröffentlichung verlangt. Beide Ansätze erfassen auch Insiderinformationen, die Mitarbeitern unterhalb der Organebene bekannt sind oder bekannt sein können. Hinsichtlich des Umfangs der veröffentlichungspflichtigen Informationen bestehen zwischen der Möglichkeit der Veröffentlichung und der Zurechenbarkeit einer Information nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung keine Unterschiede. Da beide Ansichten von der Emittentin die Einrichtung einer Wissensorganisation verlangen, sind sie gleichermaßen geeignet, der Verwirklichung des Normzwecks zu dienen. d) Wortlaut Nun soll der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 MAR in den Blick genommen werden. Anders als nach der deutschen Methodenlehre, die der Analyse des Wortlauts keine allzu große Bedeutung beimisst, hat diese nach der unionsrechtlichen Auslegung eine ungleich höhere Bedeutung. Dies rührt daher, dass die Rechtsakte der Europäischen Union in allen Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich sind.271 Somit stellt die Berücksichtigung der jeweiligen Formulierungen in anderen Vertragssprachen die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung in allen Mitgliedsstaaten sicher.272 Ausgangspunkt dieser Untersuchung soll jedoch die englische Fassung sein,
271 EuGH, WM 2012, 1807 Rn. 43 – Geltl/Daimler m. w. N., Calliess/Ruffert-Wichard, EUV/AEUV, Art. 342 AEUV Rn. 17, Streinz-Hermann, EUV/AEUV, Art. 342 AEUV Rn. 35, Veil-Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 5 Rn. 41, Schön, FS Canaris (2017), S. 147 (151) m. w. N., Riesenhuber-Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 14. 272 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1286).
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denn sie war Gegenstand der Verhandlungen im Rechtsetzungsverfahren, wie die Entwurfsfassungen im Trilog-Verfahren belegen.273 Der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 MAR enthält, ebenso wie § 15 Abs. 1 WpHG a. F., kein ausdrückliches subjektives Tatbestandsmerkmal. Die Veröffentlichungspflicht wird lediglich durch das Tatbestandselement des Zeitpunkts der Bekanntgabe („as soon as possible“) näher konkretisiert. Der englische Wortlaut stellt also, wie die meisten Sprachfassungen, wörtlich auf die Möglichkeit der Bekanntgabe ab.274 Auch Art. 6 Abs. 1 Marktmissbrauchsrichtlinie275, die Vorgängerin der MAR, sah eine Veröffentlichung „as soon as possible“ vor. Dementsprechend lautete auch die deutsche Fassung der MAR zunächst konsequenterweise „so bald wie möglich“, bevor sie zu ihrem jetzigen Wortlaut berichtigt wurde.276 Fraglich ist jedoch, ob sich dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR darüber hinaus ein ungeschriebenes Wissenserfordernis entnehmen lässt. Daraufhin sollen die einzelnen Elemente der Vorschrift im Folgenden untersucht werden. aa) „inform“/„bekannt geben“ Das erste Augenmerk gilt hierbei dem Verb des Art. 17 Abs. 1 MAR: „An issuer shall inform the public […]“, soll also die Öffentlichkeit über eine Insiderinformation informieren. „To inform somebody“ bedeutet, jemanden zu informieren, zu benachrichtigen oder über etwas in Kenntnis zu setzen.277 Nach allgemeinem Wortverständnis impliziert diese Formulierung, dass der Informierende selbst über diejenige Information verfügen muss oder es ihm jedenfalls möglich sein muss, sich diejenige Information zu verschaffen, über die er informieren soll. Dies stimmt auch mit dem deutschen Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 MAR überein. Zutreffend ist darauf hingewiesen worden, dass das Verb „bekannt geben“ impliziert, dass der Sender im Besitz der Information ist.278 Jemand kann nur etwas bekannt geben, wovon er selbst Kenntnis hat: „Informieren kann nur der Wissende“.279 Dieses Verständnis erhärtet sich durch einen Vergleich mit den weiteren Sprachfassungen der MAR. Auch 273 Klöhn-Klöhn, MAR, Einl. Rn. 57, siehe auch Klöhn-Schmolke, MAR, vor Art. 12 Rn. 87. 274 Französisch: „dès que possible“; italienisch: „quanto prima possibile“; spanisch: „tan pronto como sea posible“; portugiesisch: „o mais rapidamente possível“; niederländisch: „zo snel mogelijk“; dänisch: „hurtigst muligt“; schwedisch: „så snart som möjligt“. 275 Richtlinie 2003/6/EG. 276 ABl. EU Nr. L 348, S. 84 f. vom 21. 12. 2016; siehe dazu Neumann, Wissenszurechnung, S. 121. 277 Siehe etwa Dietl/Lorenz, Wörterbuch Recht, Wirtschaft & Politik, S. 422. 278 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 50, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 81, siehe auch Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (70). 279 Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1848).
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
„kommunizieren“ oder „publizieren“280 setzen voraus, dass derjenige, der kommuniziert oder publiziert, Kenntnis von der Information hat oder haben muss, die er dadurch öffentlich machen soll. Freilich ist damit noch nichts darüber gesagt, ob diese Fähigkeit zur Veröffentlichung bedeutet, dass der Informierende die Information auch kennen muss bzw. einer informationsverpflichteten juristischen Person das jeweilige Wissen zurechenbar sein muss. Sofern von einem Teil des deutschsprachigen Schrifttums angenommen wird, die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR setze denklogisch voraus, dass die Emittentin weiß, was sie zu veröffentlichen hat,281 kann dem nicht gefolgt werden. Denn der Wortlaut hat keine Aussagekraft darüber, wann von der Kenntnis „der Emittentin“ auszugehen ist. Es könnte positives Wissen von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation erforderlich sein oder auch fahrlässiges, d. h. pflichtwidriges, Nichtwissen ausreichen, um die Veröffentlichungspflicht zu begründen. Dabei ist auch zu beachten, dass Art. 17 Abs. 1 MAR einen Normbefehl enthält. Die Emittentin veröffentlicht nicht nur, sie soll veröffentlichen („shall inform“). Die deskriptive Formulierung in der deutschen und anderen Sprachfassungen kann nicht darüber hinweghelfen, dass die Emittentin nicht nur diejenigen Insiderinformationen bekannt zu geben hat, über die sie zufällig verfügt (vulgo: von denen sie „weiß“), sondern dass Art. 17 Abs. 1 MAR ihr darüber hinaus auferlegt, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, um die Veröffentlichung sie unmittelbar betreffender Insiderinformationen sicherzustellen. Welche Maßnahmen dies sind, ergibt sich jedoch erst aus einer teleologischen Betrachtung.282 Mithin deutet die Verwendung der Formulierung „inform“ bzw. „bekannt geben“ oder ihrer jeweiligen Entsprechungen in den anderen Sprachfassungen der MAR darauf hin, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht das Vorhandensein der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation in der Sphäre der Emittentin voraussetzt. Weder dem englischsprachigen noch dem deutschen Wortlaut lässt sich jedoch ein Hinweis auf ein kenntnisabhängiges Verständnis von Art. 17 Abs. 1 MAR entnehmen. bb) „as soon as possible“/„unverzüglich“ Darüber hinaus kommt in jüngerer Zeit einem anderen Teil des Normtexts, nämlich dem Wort „unverzüglich“, verstärkte Aufmerksamkeit zu.
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Italienisch: „comunica“; französisch: „rend publiques“; spanisch: „hará pública“. Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1085), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30, Neumann, Wissenszurechnung, S. 117. 282 Siehe dazu B.III.2.c). 281
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(1) Subjektives Tatbestandsmerkmal? Vor Inkrafttreten der MAR nahm die deutschsprachige Literatur wie selbstverständlich an, dass das Merkmal der Unverzüglichkeit so zu verstehen sei, wie in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB legaldefiniert, also als „ohne schuldhaftes Zögern“.283 Die BaFin und Teile der Literatur gehen auch heute noch von diesem Verständnis aus.284 Aus dem Kriterium des schuldhaften Zögerns wird abgeleitet, dass das Bestehen der Adhoc-Publizitätspflicht die Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation voraussetze.285 Hiergegen wendet sich ein anderer Teil der Literatur: „Unverzüglich“ sei im Sinne einer objektiven Frist auszulegen.286 Es komme nicht darauf an, wie schnell die konkrete Emittentin Insiderinformationen erkennen und veröffentlichen könne, sondern wie schnell dies üblicherweise bei einer durchschnittlichen, sorgfältig organisierten Emittentin möglich ist.287 Somit lasse dieses Wortlautelement keinen Rückschluss auf ein subjektives Tatbestandsmerkmal zu. Richtigerweise ist der Begriff „unverzüglich“ selbständig auszulegen, da dieser nicht durch den deutschen Gesetzgeber gewählt wurde, sondern unionsrechtlichen Ursprungs ist.288 Die Terminologien des europäischen Sekundärrechts sind grundsätzlich autonom und damit unabhängig von dem Wortlautverständnis der nationalen Rechtsordnungen zu beurteilen.289 Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Unionsgesetzgeber die spezifische Wortbedeutung von „unverzüglich“ im deutschen Zivilrecht zu eigen machen wollte.290 Daher verbietet sich der Rückgriff auf § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. 283
Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 327, KK-WpHG-Klöhn, § 15 Rn. 103, Schwark/Zimmer-Zimmer/Kruse, KMRK, 4. Auflage 2010, § 15 Rn. 49; weitere Nachweise bei Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 87. 284 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.4, S. 42, Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288), Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1848), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 105, Assmann/Schneider/ Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 63. 285 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (20), Sajnovits, WM 2016, 765 (765 f.), Habersack, DB 2016, 1551 (1554), Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 17. 286 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 72, Lebherz, EmittentenCompliance, S. 89, Thomale, NZG 2018, 1007 (1009), Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (782), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 77, Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87, Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.21. 287 Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 88. 288 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 72, Lebherz, EmittentenCompliance, S. 88, Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (781 f.), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 42, 77. 289 EuGH, Rs. C-75/63 = Slg. 10, 379 – Hoekstra, EuGH, Rs. C-33/78 – Somafer, Veil-Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 5 Rn. 41, 31 ff., Calliess/Ruffert-Wegener, EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rn. 13. 290 Thomale, NZG 2018, 1007 (1009).
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Schon dessen Maßstab passt nicht auf das Kapitalmarktrecht. Eine Ad-hocMitteilung ist keine zugangsbedürftige Willenserklärung und ihre Veröffentlichung muss deutlich zeitnaher erfolgen als eine Anfechtungserklärung.291 Zwar gilt die Definition des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich für das gesamte Privatrecht und auch das öffentliche Recht.292 Dabei wird dem Erklärenden jedoch eine Überlegungsfrist zugestanden, die im Einzelfall bis zu zwei Wochen betragen kann.293 Eine Ad-hoc-Mitteilung hingegen muss innerhalb weniger Stunden veröffentlicht werden. Daher sprechen trotz der Verwendung des identischen Wortes in beiden Vorschriften die unterschiedlichen Wertungen des § 121 BGB einerseits und des Art. 17 Abs. 1 MAR andererseits für eine differenzierende Auslegung. (2) Unverzüglichkeit als pflichtenbeschreibendes Merkmal Das Merkmal „unverzüglich“ enthält keinen Hinweis auf ein Erfordernis der Kenntnis der Emittentin, sondern ist objektiv zu verstehen. Der Vergleich mit den anderen Sprachfassungen der MAR hat gezeigt, dass diese keine mit dem „schuldhaften Zögern“ vergleichbaren Formulierungen beinhalten. Das Merkmal der Unverzüglichkeit beschreibt nicht den Tatbestand, der erfüllt sein muss, damit die Pflicht zur Veröffentlichung einer Insiderinformation entsteht, sondern nur ihren Pflichtenumfang.294 Die Kenntnis der Emittentin von einer Insiderinformation stellt also keinen notwendigen Anknüpfungspunkt dar.295 Somit ist der Terminus „unverzüglich“ im Sinne von „as soon as possible“, also „so schnell wie möglich“, zu verstehen. Dies bezeichnet in erster Linie die „Verarbeitungsfrist“ der Insiderinformation, die der Emittentin sowohl von den Vertretern der kenntnisunabhängigen Ansicht als auch von denjenigen, die ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Kenntnis annehmen, eingeräumt wird. Nach beiden Ansichten steht dem Vorstand oder sonstigen zuständigen Gremien ein gewisser Zeitraum zu, um die Umstände der Insiderinformation zu analysieren, ihre Veröffentlichungspflichtigkeit zu prüfen und eine Ad-hoc-Mitteilung zu erstellen bzw. einen Beschluss über den Aufschub der Offenlegung zu fassen.296 Diese Schritte müssen „so schnell wie möglich“ vorgenommen werden. 291
Möllers, FS Horn (2006), S. 473 (477 f.), JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 94. Staudinger-Singer, BGB, § 121 Rn. 8, Palandt-Ellenberger, BGB, § 121 Rn. 3, jeweils mit Beispielen. 293 OLG Oldenburg, NJW 2004, 168, Palandt-Ellenberger, BGB, § 121 Rn. 3, MüKoBGBArmbrüster, § 121 Rn. 7, Staudinger-Singer, BGB, § 121 Rn. 9. 294 Vgl. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (383), Neumann, Wissenszurechnung, S. 118. 295 Neumann, Wissenszurechnung, S. 122 f. 296 Einerseits Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 66, Sajnovits, WM 2016, 765 (766), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30, Koch, AG 2019, 273 (276), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 335; andererseits Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 122 ff., Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 105 ff., Neumann, Wissenszurechnung, S. 171 ff., Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 73, Marsch-Barner/Schäfer292
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Ein Teil der Literatur ist der Meinung, hierin erschöpfe sich die Aussage dieses Merkmals.297 Die Unverzüglichkeit beziehe sich nur auf die Prüfung der Veröffentlichungspflichtigkeit und die Durchführung der Veröffentlichung bzw. Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung, also auf die Phase der Verarbeitung einer Insiderinformation. Die Vertreter der Ansicht hingegen, die die Möglichkeit der Veröffentlichung als Voraussetzung für die Ad-hoc-Publizitätspflicht erachten, argumentieren, dass die Unverzüglichkeit darüber hinaus die Phase der Suche nach und der Erfassung und Weiterleitung von potentiell veröffentlichungspflichtigen Informationen im Vorfeld einer Veröffentlichungsentscheidung erfasse. Dementsprechend enthalte Art. 17 Abs. 1 MAR die Pflicht, potentiell veröffentlichungspflichtige Informationen zu suchen, aufzuklären, zu analysieren und weiterzuleiten.298 Diesem Merkmal seien für die Erfüllung der Veröffentlichungspflicht notwendige Organisationspflichten zu entnehmen, auch ohne auf die Kenntnis der Emittentin abzustellen.299 Hiergegen ist eingewandt worden, Art. 17 Abs. 1 MAR beschreibe nur eine Veröffentlichungspflicht, enthalte aber keinen Hinweis auf eine Organisationspflicht. Eine Verschiebung des Norminhalts von einer Veröffentlichungs- zu einer Organisationspflicht auf der Grundlage des Wortes „unverzüglich“ sei umständlich und überdehne den Wortlaut.300 Dem ist zuzugeben, dass nach dem allgemeinen Sprachverständnis „unverzüglich“ eine Zeitspanne beschreibt. Als Adverb bezieht es sich auf „veröffentlichen“, meint also die Art und Weise der Pflichterfüllung. Dem Erfordernis der unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation lässt sich zunächst nur entnehmen, wann diese zu erfolgen hat, nämlich „so schnell wie möglich“.301 Dennoch kann dieses Merkmal auch als Begründung für weitergehende Pflichten verstanden werden. Denn die schnellstmögliche Veröffentlichung einer Insiderinformation ist nur möglich, wenn im Vorfeld vorbereitende Maßnahmen getroffen werden, damit der Eintritt eines veröffentlichungspflichtigen Ereignisses reibungslos kommuniziert werden kann. Eine bloß im Falle des Bekanntwerdens einer Insiderinformation zügig durchgeführte Verarbeitung würde dem Bedürfnis des Kapitalmarkts nach schneller und umfangreicher Information nicht gerecht werden, wenn hinsichtlich des Bekanntwerdens der Insiderinformation keine Anstrengungen unSchäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.21, Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1426), JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 96. 297 Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1426), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (383). 298 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 106 f., 119 ff., ebenso JVRB-Voß, WpHG, § 15 Rn. 93. 299 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288), Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 86 f., wohl auch Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89, Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 306 ff., siehe auch Meyer/Veil/RönnauVeil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 15. 300 Koch, AG 2019, 273 (276 f.), siehe auch Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1426). 301 So auch Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 50.
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ternommen würden.302 Es kommt nicht nur darauf an, dass die zuständige Stelle Insiderinformationen so bald wie möglich veröffentlicht, sondern auch, dass ihm diese so bald wie möglich vorliegen. Somit impliziert das Merkmal „unverzüglich“, dass die Emittentin entsprechende Maßnahmen treffen muss, damit ihr die unverzügliche Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung überhaupt möglich ist. Man könnte sich zwar fragen, warum der Verordnungsgeber gerade einen Terminus gewählt hat, der eine Zeitspanne beschreibt, wenn er eine Pflicht zur Suche nach und Weiterleitung von potentiell veröffentlichungspflichtigen Informationen begründen wollte. Tatsächlich ist dies – abgesehen von den Sonderrechtsmaterien bestimmter regulierter Industrien303 – die typische Vorgehensweise des Gesetzgebers, um Unternehmen Organisationspflichten aufzuerlegen.304 Wenn dem Vorstand bewusst ist, dass die Emittentin für nicht offengelegte Informationen in Form von Bußgeldern und Schadensersatzhaftung zur Rechenschaft gezogen werden kann, wird er sich zwangsläufig stärker bemühen, eine effiziente Informationsorganisation aufzubauen.305 Mithin beschreibt das Merkmal der Unverzüglichkeit nicht nur den zeitlichen Maßstab der Ad-hoc-Publizitätspflicht, sondern kann auch herangezogen werden, um daraus die Pflicht der Emittentin zu einer ordnungsgemäßen Informationsorganisation abzuleiten.306 cc) Zwischenergebnis Der Formulierung „inform“ bzw. „bekannt geben“ lässt sich kein Hinweis auf ein kenntnisabhängiges Verständnis von Art. 17 Abs. 1 MAR entnehmen. Auch das Merkmal „unverzüglich“ enthält kein Erfordernis der Kenntnis der Emittentin von einer Insiderinformation, deutet aber auf das Bestehen von Informationsorganisationspflichten hin. e) Systematische Auslegung Als nächstes soll die Systematik der Regelungen zur Ad-hoc-Publizität darauf untersucht werden, ob sie für ein subjektives Tatbestandsmerkmal in Art. 17 Abs. 1 MAR spricht.
302
Siehe zum Normzweck der Ad-hoc-Publizität: B.III.2.c)aa). Siehe beispielsweise Art. 16 ff. der Richtlinie 2014/65/EU (MiFiD II) i. V. m. Art. 21 ff. DelVO (EU) 565/2017. 304 Schneider spricht insoweit von „Organisationsanreizen“, siehe Habersack/Mülbert/ Schlitt-Schneider, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 2 Rn. 53 ff. 305 Koch, AG 2019, 273 (280). 306 Siehe auch Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 15, Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 305. 303
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Im Zusammenhang mit dem grundsätzlichen Bedürfnis einer über das bloße Vorliegen einer Insiderinformation hinausgehenden Tatbestandsvoraussetzung wurde bereits gezeigt, dass das Tatbestandsmerkmal des „unmittelbaren Emittentenbezugs“ der Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des Emittentenwissens nicht entgegensteht. Andererseits hat das ausdrückliche subjektive Element in Art. 8, 9 MAR keine Aussagekraft darüber, ob ein solches in Art. 17 Abs. 1 MAR hineinzulesen ist. Auch aus den Vorschriften der Kapitalmarktinformationshaftung nach §§ 97, 98 WpHG können keine Rückschlüsse auf Art. 17 Abs. 1 MAR gezogen werden.307 Nun werden die innere Systematik der Ad-hoc-Publizitätspflicht (unter aa)) und ihr Verhältnis zu der Beteiligungspublizität (unter bb)) in den Blick genommen. aa) Binnensystematik von Art. 17 MAR Als Argument für ein subjektives Tatbestandsmerkmal von Art. 17 Abs. 1 MAR kann angeführt werden, dass das Recht der Ad-hoc-Publizität teilweise eine bewusste Entscheidung der Emittentin verlangt und daher implizit positives Wissen von der Insiderinformation voraussetzt. Dies gilt für die Bewertung der Kurserheblichkeit einer Insiderinformation und für die Entscheidung über den Aufschub ihrer Veröffentlichung. (1) Bewertung der Kurserheblichkeit Zum einen wird darauf hingewiesen, der Vorstand müsse prüfen, ob eine potentiell veröffentlichungspflichtige Information geeignet ist, den Kurs der Aktien der Emittentin erheblich zu beeinflussen, ob sie also kursrelevant ist.308 Sofern für diese Einschätzung eine aktive Handlung des Vorstands oder seines Ad-hoc-Komitees erforderlich sei, setze diese notwendigerweise auch positive Kenntnis von der Insiderinformation voraus. Daraus könne geschlussfolgert werden, dass auch die Entstehung der Veröffentlichungspflicht selbst die Kenntnis von der Insiderinformation verlange. Die Kursrelevanz ist jedoch Bestandteil der Definition der Insiderinformation nach Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR. Gemäß Art. 7 Abs. 4 MAR kommt es darauf an, ob ein „verständiger Anleger die Information wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde“ (sog. reasonable investor test). Die Kurserheblichkeit ist aus der ex ante-Sicht eines verständigen Anlegers zu beurteilen.309 Die Perspektive eines verständigen Anlegers ist diejenige eines durchschnittlich bör307
Siehe dazu B.III.1.a). Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1848), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 329. 309 BGHZ 192, 90 Rn. 41 – IKB, BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.4.1, S. 11, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 169, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, BankrechtsHandbuch, § 107 Rn. 54. 308
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senkundigen Anlegers, der seine Entscheidungen auf objektiv nachvollziehbarer Informationsgrundlage trifft.310 Es ist also danach zu fragen, ob ein vernünftiger Anleger die Information in Ansehung ihrer Verlässlichkeit und vor dem Hintergrund der Gesamtheit aller öffentlich bekannten Informationen und der Markterwartung in seine Anlageentscheidung einbeziehen würde.311 Ob ein so verstandener Anleger eine Information, wenn sie öffentlich bekannt wäre, berücksichtigen würde, hängt nicht von der Beurteilung der Kursrelevanz durch den Vorstand ab. Ihm steht hinsichtlich dieser Einschätzung kein Beurteilungsspielraum zu, sodass die Kursrelevanz einer Insiderinformation gerichtlich voll überprüfbar ist.312 Es handelt sich also um einen objektiven Maßstab.313 Ein Umstand oder eine Tatsache kann nicht dadurch kursrelevant werden, dass sie fälschlicherweise so eingeschätzt wird. Und sie verliert ihre Kursrelevanz auch nicht dadurch, dass ihr diese – und sei es anhand vertretbarer Erwägungen – abgesprochen wird. Andernfalls würde eine Information keine Kursrelevanz haben, wenn sich niemand darüber Gedanken machen würde. Ob eine Insiderinformation i. S. d. Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR vorliegt, darf jedoch nicht im Belieben der von ihr betroffenen Emittentin stehen. Die Kursrelevanz einer Information hängt somit nicht von einer diesbezüglichen Einschätzung durch den Vorstand ab. Dass oftmals eine solche Beurteilung vorgenommen wird, kann nicht als Argument dafür herangezogen werden, dass die Pflicht zur Veröffentlichung einer Insiderinformation die Kenntnis des Vorstands von dieser Insiderinformation erfordert. (2) Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung Ein weiteres systematisches Argument könnte sich hingegen aus der Möglichkeit des Aufschubs einer Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 Abs. 4 MAR ergeben. Mittlerweile ist geklärt, dass diese Selbstbefreiung nicht kraft Gesetzes eintritt, sondern die aktive Entscheidung eines Organs der Emittentin erfordert.314 Ein Beschluss über 310
BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.4.1, S. 11, Assmann/Schneider/MülbertAssmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 84, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 169, Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 116; vgl. auch Erwägungsgrund (14) der MAR. 311 Ausführlich zur Bestimmung der Kursrelevanz: Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 176 ff. 312 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 78. 313 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 281, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 88, Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 101, 114, Fuchs-Mennicke/Jakovou, WpHG, § 13 Rn. 139 f., JVRB-Ritz, WpHG, § 13 Rn. 126. 314 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36, Schwark/Zimmer-Kumpan/ Schmidt, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 180 f., Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 182, Habersack/ Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 57 f., Retsch, NZG 2016, 1201 (1205), Poelzig, NZG 2016, 761 (765) m. w. N.; so auch schon zum alten Recht: Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 345, Widder, BB 2009, 967, Mennicke, NZG 2009, 1059
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den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung setzt jedoch logisch voraus, dass die Insiderinformation, deren Veröffentlichung aufgeschoben werden soll, einem beschlussfähigen Gremium bekannt ist.315 Hiergegen ist eingewandt worden, dass die Selbstbefreiung keine gesetzliche Pflicht, sondern vielmehr eine Option zu Gunsten der Emittentin darstelle, die sich diese erst durch die Beschaffung der Kenntnis verdienen müsse.316 Hierfür spreche auch, dass der BGH grundsätzlich den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens anerkenne.317 Die Emittentin könne sich also darauf berufen, dass, wenn sie einen Selbstbefreiungsbeschluss gefasst hätte, die Insiderinformation ebenfalls nicht öffentlich bekannt geworden wäre. Dieser Verweis auf das rechtmäßige Alternativverhalten kann nicht überzeugen. Zum einen handelt es sich dabei um ein Rechtsinstitut, dass nur von der deutschen Rechtsprechung zugunsten einer Emittentin angewandt wird, die bereits die unverzügliche Veröffentlichung einer Insiderinformation versäumt hat. Daher kann es nicht zur Auslegung der Pflichtenbegründung nach der MAR herangezogen werden. Zum anderen kommt es nach der Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn alle weiteren Voraussetzungen für einen Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung vorlagen.318 Hierzu gehört insbesondere die Sicherstellung der Geheimhaltung der Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR. Der BGH weist in seiner zweiten „Daimler/Schrempp-Entscheidung“ ausdrücklich darauf hin, die Emittentin müsse „sicherstellen, dass nur Personen, die über ihre Insiderpflichten belehrt sind, im weiteren Ablauf von den Insiderinformationen erfahren und dass die Ad-Hoc-Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewahrt ist, um Insider-Handel zu verhindern. Das kann [die Emittentin] nur gewährleisten, wenn [sie] den weiteren Gang der Information im Unternehmen und den Markt beobachtet.“319 Der Senat geht also davon aus, dass die Emittentin Kenntnis von der Insiderinformation hat oder jedenfalls haben könnte, denn anderenfalls könnte sie kaum ihre Mitarbeiter über die Geheimhaltungspflicht informieren und die weitere Entwicklung der Umstände beobachten. Zudem handelt es sich bei dem Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung mitnichten nur um eine optionale Gestaltungsmöglichkeit der Emittentin, deren Verlust sie nur (1061), Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53 (55); a. A. OLG Stuttgart, NZG 2009, 624 (635), Ihrig/ Kranz, BB 2013, 451 (452), Steinrück, Kapitalmarktinteresse, S. 173 ff. 315 Koch, AG 2019, 273 (276), Liebscher, ZIP 2019, 1837 (1848), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 329. 316 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 43; vgl. auch Habersack/Mülbert/SchlittSchneider, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 2 Rn. 53, der insoweit von „Organisationsanreizen“ spricht. 317 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 43 unter Verweis auf BGH, ZIP 2013, 1165 – Daimler/Schrempp II; siehe auch Neumann, Wissenszurechnung, S. 142. 318 BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 33 – Daimler/Schrempp II. 319 BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 34 – Daimler/Schrempp II.
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unbedeutend beeinträchtigen würde. Der europäische Normgeber hat die Selbstbefreiung mit der Marktmissbrauchsrichtlinie320 bewusst als Gegenstück zu der gegenüber der vorherigen Rechtslage erweiterten Veröffentlichungspflicht eingeführt. Dies gilt unverändert seit Inkrafttreten der MAR, welche die Publizitätspflicht durch die Ad-hoc-Pflichtigkeit des Zwischenschritts weiter ausgedehnt und in ein früheres Stadium vorverlagert hat.321 Diesem Umstand trägt auch Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MAR Rechnung, wonach auch die Veröffentlichung einzelner Zwischenschritte aufgeschoben werden kann.322 De facto ist eine börsennotierte Gesellschaft also darauf angewiesen, die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung aufschieben zu können, was die stetig steigende Zahl von Selbstbefreiungsbeschlüssen beweist.323 Dies stellt auch Erwägungsgrund (49) der MAR klar, der betont, dass die berechtigten Interessen der Emittentin durch die Verpflichtung zur sofortigen Veröffentlichung einer Insiderinformation unter bestimmten Umständen beeinträchtigt werden. Die Möglichkeit des Aufschubs ist somit ein wichtiges Element, um einen Ausgleich zwischen dem Informationsinteresse des Markts einerseits und dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der Emittentin andererseits herzustellen. Hätte der Verordnungsgeber vorgesehen, dass bereits das Bestehen einer Insiderinformation ohne positive Kenntnis davon zur Veröffentlichungspflicht führt, würde die Selbstbefreiung als Institut zur Einschränkung der Veröffentlichungspflicht leerlaufen, denn in diesem Fall wäre es der Emittentin gar nicht möglich, eine Aufschubentscheidung zu treffen. Eine solche Diskrepanz kann auf den ersten Blick nicht gewollt sein. Vielmehr könnte man annehmen, dass zwischen Art. 17 Abs. 1 und Abs. 4 MAR ein Gleichlauf dergestalt bestehen muss, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht erst dann entsteht, wenn auch die Inanspruchnahme der Selbstbefreiung in Betracht kommt. Dass der Verordnungsgeber jedoch eine bewusste Entscheidung der Emittentin über die Veröffentlichung einer Insiderinformation vorgesehen hat, bedeutet noch nicht, dass es für die Begründung der Veröffentlichungspflicht einer zugerechneten Kenntnis von der betreffenden Insiderinformation bedarf. Zwar setzt eine Selbstbefreiungsentscheidung unstreitig die tatsächliche Kenntnis des entscheidenden Gremiums voraus. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass diese auch für die Entstehung der Publizitätspflicht vorliegen muss. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass sowohl die Wissenszurechnung nach deutschen Maßstäben als auch die Möglichkeit der Veröffentlichung die Einrichtung einer Informationsorganisation voraussetzen. Daher ist zwischen pflichtgemäßem und pflichtwidrigem Verhalten der Emittentin zu differenzieren. Die MAR geht von vorneherein von der rechtmäßig han320
Richtlinie 2003/6/EG. Koch, AG 2019, 273 (280). 322 Schwark/Zimmer-Kumpan/Schmidt, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 174. 323 Vgl. BaFin, Jahresbericht 2019, III.3.1.2.3.1, S. 96, abrufbar auf www.bafin.de unter „Publikationen & Daten“. 321
III. Kritische Würdigung
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delnden Emittentin aus, die in ihrem Unternehmen auftretende Informationen pflichtgemäß erfasst. Dann hat diese Emittentin auch stets die Möglichkeit, ein Aufschubentscheidung zu treffen. Wenn sie hingegen keine Informationsorganisation betreibt und sich dadurch potentiell veröffentlichungspflichtige Tatsachen gar nicht erst beschafft, steht ihr auch keine Möglichkeit zum Aufschub der Veröffentlichung offen, selbst wenn dessen Voraussetzungen hypothetisch vorlägen. Somit erfordert auch der Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung keine zurechenbare Kenntnis des beschlussfähigen Organs, sondern nur eine zumutbare Informationsverschaffung. Mithin spricht das Rechtsinstitut der Selbstbefreiung, dessen Beschlusserfordernis die positive Kenntnis eines beschlussfähigen Organs verlangt, nicht dafür, dass auch die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht das Wissen oder jedenfalls Wissenmüssen der Emittentin von der Insiderinformation voraussetzt. Zur Wahrung der Selbstbefreiung als Gegenstück zu einer erweiterten Veröffentlichungspflicht ist vielmehr auch das Tatbestandsmerkmal der Möglichkeit der Veröffentlichung geeignet, das nicht an ein Kenntniserfordernis anknüpft. bb) Vergleich mit der Beteiligungspublizität Ein ebenso wenig eindeutiges Bild zeigt sich bei einem Vergleich der Ad-hocPublizität mit der sog. Beteiligungspublizität nach der Transparenzrichtlinie (TRL)324. Gemäß Art. 9 Abs. 1 TRL ist ein Aktionär, der durch das Halten von Stimmrechten an einer börsennotierten Gesellschaft bestimmte Meldeschwellen erreicht, überschreitet oder unterschreitet, verpflichtet, dies der jeweiligen Emittentin mitzuteilen. Diese Mitteilung musste gemäß Art. 12 Abs. 2 TRL „as soon as possible, but not later than four trading days“ erfolgen. Durch Art. 1 Abs. 8 der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie325 wurde dieser Wortlaut zu „promptly, but not later than four trading days“ geändert. In der deutschen Textfassung wurde diese Änderung dergestalt nachvollzogen, dass der Wortlaut von „so rasch wie möglich“ zu „unverzüglich“ geändert wurde. Grundsätzlich kann zum Zwecke der systematischen Auslegung einer europäischen Verordnung auch auf andere Rechtsakte der EU zurückgegriffen werden (sog. inter-instrumentelle Auslegung). Denn es kann als gesichert angesehen werden, dass der – auch wechselnde – Normgeber beabsichtigt, durch verschiedene Rechtsnormen eine zusammenhängende Regelung zu schaffen.326 Diese Kohärenz des Systems gewährleistet Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz.327 Im Zweifel sind daher gleiche Begrifflichkeiten in Parallelrechtsakten auch gleich auszulegen. Diese Vermutung wirkt umso stärker, je näher sich die Rechtsakte von ihren Regelungs324 325 326 327
Richtlinie 2004/109/EG, zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/50/EU. Richtlinie 2013/50/EU. Siehe nur Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 (904 f.). Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 (907).
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gehalten her stehen.328 Anders als bei Berührungen mit dem Primärrecht der EU ist jedoch von zwei gleichrangigen Sekundärrechtsakten keiner im Lichte des anderen auszulegen. Die angestrebte Kohärenz kann keinesfalls zu einer Auslegung führen, die der Systematik und den Zielsetzungen einer Rechtsnorm fremd ist.329 Die Vorschrift des Art. 9 TRL ist sowohl im Aufbau ihres Tatbestands als auch anhand ihres Normzwecks mit der Ad-hoc-Publizität teilweise vergleichbar.330 Im Unterschied zu Art. 17 Abs. 1 MAR wird die Mitteilungsfrist jedoch nicht nur durch einen unbestimmten Rechtsbegriff umschrieben, sondern durch den Zusatz „spätestens innerhalb von vier Handelstagen“ konkretisiert. Gemäß Art. 12 Abs. 2 lit. a TRL beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Aktionär von dem Erwerb oder der Veräußerung der Stimmrechte Kenntnis erhält oder unter den gegebenen Umständen davon hätte Kenntnis erhalten müssen.331 Das Recht der Beteiligungspublizität stellt also ausdrücklich auf die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Meldepflichtigen ab. Teilweise wird angenommen, dieses Kenntniserfordernis spreche dafür, dass auch für die Veröffentlichung einer Insiderinformation ein Wissenserfordernis anzunehmen sei.332 Der Unterschied zu Art. 17 Abs. 1 MAR besteht jedoch nicht nur darin, dass für die Beteiligungspublizität eine Obergrenze von vier Handelstagen gilt, sondern auch, dass gemäß Art. 9 der Transparenzrichtlinie-Durchführungsrichtlinie333 davon ausgegangen wird, dass der Aktionär von dem Erwerb oder der Veräußerung der Stimmrechte spätestens zwei Handelstage nach der Ausführung des Geschäfts Kenntnis erhalten hat.334 Dies zeigt, dass es sich um ein objektiviertes Verständnis handelt. Es kommt nur scheinbar auf die Kenntnis des Meldepflichtigen an. De facto entsteht die Pflicht zur Abgabe einer Stimmrechtsmitteilung jedoch kenntnisunabhängig, nämlich nach Ablauf der vier Handelstage ab Schwellenberührung.335 Somit setzen auch Art. 9, 12 TRL keine Kenntnis des Veröffentlichungspflichtigen voraus, sodass hieraus auch kein Erfordernis eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Kenntnis für Art. 17 Abs. 1 MAR abgeleitet werden kann. Darüber hinaus lässt sich auch sprachlich kein Rückschluss von der Transparenzrichtlinie auf die Ad-hoc-Publizitätspflicht ziehen. Seit der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie von 2013 besteht keine Identität des Wortlauts mehr zwischen der Pflicht zur Beteiligungspublizität und der Ad-hoc-Publizitätspflicht. Die Entscheidung des EU-Normgebers, in Art. 17 Abs. 1 MAR nicht die Formu328
Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 (894). EuGH, NJW 2014, 1166 Rn. 20. 330 Siehe zur Umsetzung in das deutsche Recht: Habersack, DB 2016, 1551 (1556). 331 Dies hat der deutsche Gesetzgeber in § 33 Abs. 1 S. 3 WpHG umgesetzt. 332 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (385). 333 Richtlinie 2007/14/EG. 334 Zu der Umsetzung als unwiderlegliche Vermutung in § 33 Abs. 1 S. 4 WpHG: Schwark/ Zimmer-v. Hein, KMRK, § 33 WpHG Rn. 45. 335 Vgl. auch BaFin, Emittentenleitfaden Modul B (Stand: 30. 10. 2018), I.2.2.7.2, S. 10. 329
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lierung „promptly“, sondern „as soon as possible“ zu wählen, spricht dagegen, dass er eine einheitliche Regelung mit der Transparenzrichtlinie schaffen wollte. Dass der deutsche Gesetzgeber beide Wendungen mit „unverzüglich“ übersetzt hat, ist demgegenüber unschädlich. Stattdessen liegt es näher, aus dem Fehlen einer vergleichbaren Formulierung in Art. 17 Abs. 1 MAR zu folgern, dass dieser – auch aufgrund der oben genannten strukturellen und teleologischen Ähnlichkeiten mit der Beteiligungspublizität – gerade keine Kenntnis der Emittentin von dem Eintritt der Insiderinformation voraussetzt.336 Wenn der Verordnungsgeber die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Emittentin von einer Insiderinformation hätte voraussetzen wollen, hätte er wohl eine mit Art. 12 Abs. 2 lit. a TRL vergleichbare Regelung getroffen. Mithin spricht ein systematischer Seitenblick auf das Recht der Beteiligungspublizität gegen eine kenntnisbasierte Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR. cc) Zwischenergebnis Die systematische Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR spricht nicht für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Emittentenwissens. Weder der aktive Beschluss über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung noch ein systematischer Vergleich mit der Beteiligungspublizität implizieren Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation als Voraussetzung für das Entstehen der Veröffentlichungspflicht. f) Zwischenergebnis Weder die Rechtsprechung noch die ESMA oder die BaFin haben sich bislang eindeutig zu der Frage positioniert, ob die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR Kenntnis der Emittentin von der Insiderinformation voraussetzt. Grundsätzlich kommen sowohl die Kenntnis der Emittentin als auch die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation als ergänzende Voraussetzung für das Entstehen der Ad-hoc-Publizität in Frage. Beide Sichtweisen sind mit dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur vereinbar. Anders als die weite Variante der kenntnisunabhängigen Lesart legen sie der Emittentin auch im Falle von unternehmensextern entstehenden Insiderinformationen keine über die Grenzen des ihr Möglichen hinausgehende Veröffentlichungspflicht auf. Die Auslegung des Wortlauts und der Systematik von Art. 17 Abs. 1 MAR impliziert nicht, dass der Emittentin die veröffentlichungspflichtige Insiderinformation bekannt sein muss. In teleologischer Hinsicht sind jedoch beide Ansichten gleichermaßen geeignet, der Verwirklichung des Normzwecks zu dienen, also eine möglichst umfassende Offenlegung von Insiderinformationen sicherzustellen. Dabei steht dieser in einem Spannungsverhältnis mit der Angemessenheit der Informationsorganisation, zu der 336
So offenbar LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 158.
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die Emittentin verpflichtet wird, und ihrer Bedeutung als „least cost information provider“ am Sekundärmarkt. Da sowohl die Wissenszurechnung als auch die Möglichkeit der Veröffentlichung von der Emittentin jeweils die Einrichtung einer Informationsorganisation verlangen und hierbei zu weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen kommen, sind sie gleichermaßen geeignet, diesen Normzweck zu verwirklichen. Beide Ansätze erfassen auch Insiderinformationen unterhalb der Organebene, wenn sie dem Vorstand bekannt sein können.
3. Anwendbarkeit der Wissenszurechnung im Kapitalmarktrecht Wie bereits erwähnt, ist die Anwendung der von dem BGH und dem deutschen Schrifttum entwickelten Prinzipien der Wissenszurechnung zur Bestimmung des Emittentenwissens vielfältiger Kritik ausgesetzt. Daher ist nun zu klären, ob zur Bestimmung der Kenntnis der Emittentin von einer Insiderinformation diese Grundsätze überhaupt herangezogen werden können oder ob der Vorrang der unionsrechtlichen Ad-hoc-Publizität (unter a.) oder der vertragsrechtliche Hintergrund der Wissenszurechnung (unter b.) einer solchen Auffassung von vorneherein entgegenstehen. a) Sperrwirkung der MAR Der erste Einwand ist rechtstechnischer Natur. Die Unanwendbarkeit der Wissenszurechnung wird mit einer Sperrwirkung der unionsrechtlichen Ad-hoc-Publizität gegenüber dem nationalen Recht begründet. aa) Vollharmonisierung und Regelungszweck der MAR Die MAR beabsichtigt explizit, ein einheitliches Regelwerk für den Kapitalmarkt in der Europäischen Union zu formen. So heißt es in Erwägungsgrund (5) der MAR: „Durch [die Verordnung wird] eine einheitlichere Auslegung des Regelwerks der Union zum Marktmissbrauch erreicht […] und [die] in allen Mitgliedstaaten geltende[n] Regeln [werden] klarer definiert. […] Dadurch werden […] voneinander abweichende nationale Vorschriften verhindert, so dass einheitliche Bedingungen gewährleistet sind. Diese Verordnung wird zur Folge haben, dass in der gesamten Union alle natürlichen und juristischen Personen die gleichen Regeln zu befolgen haben.“
Bisweilen wird argumentiert, dieses Ziel erlaube es grundsätzlich nicht, den Tatbestand von Art. 17 Abs. 1 MAR durch ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu erweitern.337 Die Schaffung eines europaweit einheitlichen Rechtsrahmens würde erheblich beeinträchtigt werden, wenn in Deutschland die Grundsätze der Wis337 Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1425), Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 79.
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senszurechnung, in anderen Staaten jedoch nicht vergleichbare oder gar keine Standards bezüglich des Wissens einer juristischen Person zu Anwendung kommen würden.338 Hinzu kommt, dass die MAR – anders als ihre Rechtsvorgängerin, die Marktmissbrauchsrichtlinie339 – unstreitig vollharmonisierende Wirkung hat.340 Bei diesem Harmonisierungsgrad ist der europäische Rechtsakt inhaltlich abschließend und vollumfänglich verbindlich, sodass keine überschießenden oder abweichenden Regelungen durch die Mitgliedsstaaten zulässig sind.341 Daher sei es unzulässig, den Tatbestand der Ad-hoc-Publizität durch die Heranziehung nationaler Rechtsfiguren zu definieren oder zu konkretisieren.342 Der Hinweis auf die Vollharmonisierung und das mit der Einführung der Verordnung verfolgte Ziel der Rechtsvereinheitlichung trifft grundsätzlich zu. Inwiefern die Annahme der Voraussetzung von Emittentenwissen für das Entstehen der Adhoc-Publizitätspflicht in Konflikt mit der Vollharmonisierungswirkung der MAR kommen kann, bleibt indes fraglich. Klöhn geht davon aus, dass nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung die Veröffentlichungspflicht früher entstehen könne als bei einem kenntnisunabhängigen Verständnis.343 Dies führt er insbesondere darauf zurück, dass eine Phase der Sachverhaltsermittlung entfalle, wenn die Adhoc-Publizitätspflicht erst mit dem Eintritt des Emittentenwissens entstehe.344 Diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Auch bei einem kenntnisabhängigen Verständnis des Art. 17 Abs. 1 MAR steht der Emittentin eine gewisse Frist zur Analyse des Sachverhalts zu.345 Wenn die Emittentin Kenntnis von einer Tatsache hat oder haben müsste, die potentiell ad-hoc-pflichtig sein kann, bedeutet dies auch bei Anwendung der Wissenszurechnung noch nicht, dass sie ohne Weiteres verpflichtet ist, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Stattdessen steht ihr ein Beurtei338
Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 113. Richtlinie 2003/6/EG. 340 Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 20, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 112, Meyer/Veil/Rönnau-Veil, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 3 Rn. 26, Poelzig, NZG 2016, 528 (529), Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593 (595, 600), Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1425) m. w. N., Neumann, Wissenszurechnung, S. 108 ff., siehe auch Klöhn-Schmolke, MAR, vor Art. 12 Rn. 82. 341 Von der Groeben/Schwarze/Hatje-Classen, Europäisches Unionsrecht, Art. 114 AEUV Rn. 16, Streinz-Schröder, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 46, Riesenhuber-Möslein/Röthel, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn. 23. 342 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288), Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1424 f.), Koch, AG 2019, 273 (278), Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 79. 343 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288). 344 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1285 f.). 345 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 66, Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 107, Sajnovits, WM 2016, 765 (766), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rn. 30, Koch, AG 2019, 273 (276), Neumann, Wissenszurechnung, S. 171 ff.; siehe auch BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.4, S. 42, I.3.3.1 a. E., S. 36. 339
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lungs- und Prüfungszeitraum zu, welcher in Art. 17 Abs. 1 MAR mit dem Wort „unverzüglich“ umschrieben wird.346 Somit ist nach dieser Ansicht die Ad-hocPublizitätspflicht nicht früher gegeben als bei einem kenntnisunabhängigen Verständnis. Aufgrund dessen ist nicht ohne Weiteres von einer der Vollharmonisierung zuwiderlaufenden Über- oder Unterschreitung der unionsrechtlichen Vorgaben durch die Anwendung der deutschen Wissenszurechnungsregeln auszugehen. bb) Rückgriff auf nationale Rechtsregeln Geht man davon aus, dass Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis der Emittentin von einer Insiderinformation voraussetzt, steht man unweigerlich vor dem Problem, dass die MAR selbst keine Regelungen dazu enthält, wie ein solches Wissen zu bestimmen wäre. Ebenso fehlt es an einem europaweit gleichermaßen anerkannten Verständnis der Wissenszurechnung. In anderen Rechtsordnungen der Europäischen Union gibt es keine mit der deutschen Wissenszurechnung vergleichbaren Prinzipien zur Bestimmung des Wissens einer juristischen Person, auf die bei der Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR zugegriffen werden könnte.347 Zwar handelt es sich bei den Fragen, die sich in Bezug auf die Entstehung der Adhoc-Publizitätspflicht ergeben, keineswegs um spezifisch deutsche Problemstellungen. Schließlich ist es auch bei börsennotierten Gesellschaften anderer Rechtsordnungen durchaus denkbar, dass veröffentlichungspflichtige Informationen nur einem von mehreren Mitgliedern eines geschäftsführenden Organs oder nur einem Mitarbeiter unterhalb der Organebene vorliegen. Anstelle einer Wissenszurechnung findet jedoch bei unseren europäischen Nachbarn zumeist eine Handlungszurechnung statt. Im französischen Recht ist eine juristische Person für alle Handlungen ihrer Mitarbeiter verantwortlich, unabhängig davon, auf welcher Hierarchiestufe sie tätig sind.348 Ähnlich verhält es sich zum Beispiel im Vereinigten Königreich: Nach dem Prinzip respondeat superior werden einer Körperschaft alle deliktischen Handlungen zugerechnet, die ihre Geschäftsführer oder Angestellten in Ausführung der ihnen übertragenen Verrichtungen begehen.349 Auf das Wissen einer juristischen Person, jedenfalls in der Form einer organisationsbasierten Zurechnung, kommt es dabei in der Regel nicht an.350 Auch wenn sich in anderen Ländern dieselben Fragen stellen mögen, werden sie dort auf völlig andere Weise beantwortet. Somit kann zur Bestimmung des Wissens der Emittentin von einer Insiderinformation weder auf unionsrechtliche Vorgaben noch
346
Siehe dazu B.III.2.d)bb)(2). Wagner, ZHR 181 (2017), 203 (205), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (390), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 108 f. 348 Siehe nur Wagner, ZHR 181 (2017), 203 (210 f.) m. w. N. 349 Wagner, ZHR 181 (2017), 203 (214 ff.) m. w. N. 350 Siehe Neumann, Wissenszurechnung, S. 68 ff., Wagner, ZHR 181 (2017), 203 (217). 347
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auf eine unionsweit einheitliche Dogmatik der Wissenszurechnung zugegriffen werden. Das Fehlen gesicherter Grundsätze der Wissenszurechnung auf unionsrechtlicher Ebene könnte dafürsprechen, dass ein Rückgriff auf die nationalen Regelungen zur Wissenszurechnung erforderlich ist.351 Wenn der Verordnungsgeber ein Erfordernis des Emittentenwissens gewollt hätte, ohne hierfür eigene Maßstäbe vorzugeben, wäre a priori keine andere Lösung denkbar als der Rückgriff auf mitgliedsstaatliche Regelungen. Es bleibt jedoch dabei, dass die Bestimmung des Wissens einer juristischen Person mithilfe der organisationsbasierten Wissenszurechnung in Europa ein Sonderweg ist. Auf die Frage der Kenntnis der Emittentin von einer Insiderinformation kommt es nur dann an, wenn man nach deutschem Vorbild davon ausgeht, dass es das Konzept des Wissens der juristischen Person überhaupt gibt und dass dieses im Rahmen des Art. 17 Abs. 1 MAR einschlägig ist. Ob der Verordnungsgeber tatsächlich einen derartigen Rückgriff auf das nationale Recht, welches nur in Deutschland entsprechend ausgestaltet ist, intendiert hat, ist zumindest fraglich.352 Dadurch würde er selbst die von ihm beabsichtigte Rechtsvereinheitlichung wieder ein Stück weit auflösen. Dennoch ist ein solcher Rückgriff trotz der vollharmonisierenden Wirkung der MAR zulässig. Denn es ist in rechtstechnischer Hinsicht zu beachten, dass eine Verordnung nur insoweit vollharmonisierende Wirkung entfalten kann, wie ihr Regelungsbereich gilt. Das Kapitalmarktrecht umfasst die Organisation der Kapitalmärkte sowie die Regulierung des Handels von Wertpapieren und des Verhaltens der Marktteilnehmer.353 Auf diesem Gebiet verfolgt der europäische Gesetzgeber das Konzept einer umfassenden und detaillierten Rechtsvereinheitlichung.354 Gesellschaftsinterne Strukturen hingegen sind nicht Teil des Kapitalmarktrechts, sondern des Gesellschaftsrechts.355 In Bezug auf dieses Rechtsgebiet beschränkt sich die Angleichung jedoch auf einige, grundlegende Regelungsmaterien (sog. Kernbereichsharmonisierung).356 Hierzu gehören etwa die Unternehmenspublizität, EinPersonen-Gesellschaften, die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften, Aspekte der Bilanzierung und Abschlussprüfung, sowie einzelne Aktionärsrechte.357 351
So Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 133 ff., Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (235), siehe auch Staub-Grundmann, HGB, Band 11/1, Rn. 520. 352 Vgl. Engelhardt, Wissensverschulden, S. 121. 353 Veil-Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 2 Rn. 1, Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.10. 354 Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.30, Veil-Walla, Europäisches Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 38. 355 Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rn. 14.55. 356 GK-AktG-Kort, vor § 76 Rn. 75, Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 5, 17 m. w. N. 357 Überblick bei Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, §§ 5 ff.
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B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Europaweit einheitliche Vorgaben hinsichtlich der Organisationsverfassung einer Aktiengesellschaft sucht man jedoch vergebens. Die Frage, wann eine Information einer juristischen Person zugerechnet werden kann, ist also nicht Teil des Kapitalmarktrechts, sondern des von der Vollharmonisierung unbeeinflussten, jeweiligen nationalen Gesellschaftsrechts.358 Daher geht ein Teil der Literatur zu Recht davon aus, dass im Rahmen des Art. 17 Abs. 1 MAR auf die Grundsätze der Wissenszurechnung wenigstens insofern zurückgegriffen werden kann, als sich diese in den Normzweck der MAR stimmig einfügen oder entsprechend unionsrechtskonform auslegen lassen.359 Dies ist dann der Fall, wenn man die Wissenszurechnung nicht auf Vorstandswissen beschränkt, sondern – wie es der Normzweck des Art. 17 Abs. 1 MAR verlangt – als eine das ganze Unternehmen der Emittentin umfassende Organisationspflicht versteht. Auch wenn der europarechtliche Normursprung der Ad-hoc-Publizitätspflicht Zweifel daran lässt, ob ein solcher Rückgriff intendiert war, weil in anderen europäischen Jurisdiktionen der Gedanke der Wissenszurechnung nicht vergleichbar ausgeprägt ist, verbietet das vollharmonisierende Konzept der MAR nicht die Anwendung der deutschen Wissenszurechnung im Kontext der Ad-hoc-Publizitätspflicht. cc) Zwischenergebnis Geht man von dem Erfordernis der Kenntnis der Emittentin als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aus, stellt es keinen Verstoß gegen das vollharmonisierende Konzept der MAR dar, zur Bestimmung dieses Wissens der juristischen Person auf die Grundsätze der Wissenszurechnung zurückzugreifen, wie sie im deutschen Recht entwickelt wurden. b) Übertragbarkeit der vertragsrechtlichen Wissenszurechnung Der zweite Einwand stellt auf die Vergleichbarkeit der Ad-hoc-Publizitätspflicht mit denjenigen Fallkonstellationen ab, anhand derer die Wissenszurechnung in Deutschland grundsätzlich entwickelt wurde und in denen sie hauptsächlich zur Anwendung kommt. Das Prinzip der Wissenszurechnung basiert im Wesentlichen auf drei argumentativen Gesichtspunkten, die im Folgenden einzeln daraufhin überprüft werden, ob sie eine Wissenszurechnung auch im Falle der Ad-hoc-Publizität tragen können. 358
Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 17, Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1085); vgl. auch Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 51: „verbandsrechtliche Frage“, Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1425): „Recht der körperschaftlich verfassten Verbände“. 359 Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (229), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (390, 423), Nietsch, ZIP 2018, 1421 (1425).
III. Kritische Würdigung
99
aa) Gleichstellungsargument Wie oben dargestellt, beruht die Wissenszurechnung im Zivilrecht auf dem Gedanken, dass der Geschäftspartner einer juristischen Person nicht schlechter stehen soll, als wenn er einen Vertrag mit einer natürlichen Person schließen würde.360 Dieses Gleichstellungsargument wird teilweise als Grund dafür angesehen, dass die organisationsbasierte Wissenszurechnung im Recht der Ad-hoc-Publizität nicht zur Anwendung kommen dürfe. Denn anders als die Vorschriften des bürgerlichen Rechts ist das Kapitalmarktrecht nicht auf das Handeln natürlicher Personen angelegt. Von vorneherein kommen nur Körperschaften als Emittentinnen in Frage.361 Daher könne ein Anleger bei dem Kontakt mit einer Emittentin nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es mit einer natürlichen Person zu tun hätte. Somit bedürfe es auch keiner Gleichstellung, also des Ausgleichs von Nachteilen, die dadurch entstehen, dass der Anleger einer arbeitsteiligen Organisation gegenübersteht. Dies ist jedoch ein Missverständnis des Gleichstellungsarguments. Dessen Grundansatz ist es nicht, die Vorstellung eines Menschen zu schützen, er kontrahiere mit einer natürlichen Person.362 Durch die Zurechnung des Wissens zu der juristischen Person soll lediglich die „strukturelle Besonderheit der organisatorischen Aufspaltung“ ausgeglichen werden.363 Sie fragt also nicht danach, ob in concreto Nachteile aus der Arbeitsteilung in Bezug auf das bei Einzelpersonen vorhandene Wissen entstehen, sondern will im Allgemeinen Wissensverluste zum Nachteil des Vertragspartners ausgleichen, die aus der Wissensaufspaltung auf einzelne Personen entstehen können. Daher geht auch der Verweis darauf fehl, dass im Kapitalmarktrecht nur juristische Personen als Gegenüber in Betracht kommen. Denn es kommt nicht darauf an, ob an ihrer Stelle eine natürliche Person stehen könnte, sondern nur darauf, ob aus der Tatsache, dass die Emittentin keine natürliche Person ist, eine Schlechterstellung des Vertragspartners erwachsen kann, die durch eine Wissenszurechnung ausgeglichen werden muss. Gerade aufgrund der Größe und Komplexität der Unternehmensstruktur, die typischerweise bei börsennotierten Unternehmen vorherrscht, besteht die Gefahr, dass Insiderinformationen nicht oder verspätet an das Veröffentlichungsorgan gelangen, und Anleger somit nicht rechtzeitig informiert werden. Insoweit dient die Wissenszurechnung der Verhinderung einer Schlechterstellung des Anlegers, die darauf zurückzuführen ist, dass die Emittentin eine aus mehreren Personen bestehende
360
Siehe B.I.1.b)cc)(1). Klöhn, NZG 2017, 1285 (1289), Liebscher, ZIP 2019, 1845 (1847), Koch, AG 2019, 273 (278), Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 53, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (390) Fn. 42. 362 Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 12 f. 363 BGHZ 109, 327 juris-Rn. 14 – Schlachthaus. 361
100
B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Organisation ist. Somit ist der Gleichstellungsgedanke auch im Kapitalmarktrecht anwendbar. bb) Vertrauensschutz Zum anderen beruht die Wissenszurechnung auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Dies erklärt sich dadurch, dass sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in vertragsrechtlichen Kontexten entwickelt wurde. Wer mit einem Unternehmen in geschäftlichen Kontakt tritt, darf erwarten, dass dieses eine effektive Wissensorganisation unterhält, sodass jeder Mitarbeiter von den für ihn bedeutsamen Informationen in Kenntnis gesetzt wird.364 Die Ad-hoc-Publizität ist jedoch nicht mit den vertragsrechtlichen Fallkonstellationen vergleichbar, anhand derer die Wissenszurechnung in Deutschland entwickelt wurde und in denen sie hauptsächlich zur Anwendung kommt. Denn Gegenstand der Ad-hoc-Publizität sind keine bilateralen Erklärungen zwischen Geschäftspartnern im Rahmen eines vertraglichen Verhältnisses, sondern die Veröffentlichung von Insiderinformationen, die sich an alle Anleger richten.365 Zwischen diesen und der Emittentin besteht keine rechtsgeschäftliche Beziehung, die das Vertrauen darin begründen könnte, dass der andere Teil für eine ordnungsgemäße Wissensorganisation sorgt.366 Daher kann kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Wissensorganisation zur Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizität herausgebildet werden. Somit ist der Vertrauensschutzgedanke nur geeignet, um die Wissenszurechnung im rechtsgeschäftlichen Kontext zu begründen. Er ist jedoch nicht auf ihre Anwendung im Kapitalmarktrecht übertragbar. cc) Verkehrsschutz und Risikoverteilung Ferner wird die Wissenszurechnung auch auf Verkehrsschutzerwägungen und die Zuweisung von Risikosphären gestützt. Ebenso wie jeder, der eine Gefahrenquelle eröffnet, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat, trifft auch eine juristische Person die Pflicht, die durch ihre Arbeitsteilung geschaffene Gefahr der Wissensaufspaltung durch eine angemessene Wissensorganisation einzudämmen. Die Pflicht zur Wissensorganisation resultiert also aus der Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereichs.367 Dadurch wird das Risiko eines Wissensverlusts der Sphäre der 364
Siehe B.I.1.b)cc)(2). Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (389 f.), Koch, AG, 2019, 273 (278 f.). 366 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1289), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (390) Fn. 42, siehe auch Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4 (9), Engelhardt, Wissensverschulden, S. 122. 367 BGHZ 132, 30 juris-Rn. 21 f. – Altlasten, Bohrer, DNotZ 1991, 124 (129). 365
III. Kritische Würdigung
101
Gesellschaft zugewiesen, die von den Vorteilen des arbeitsteiligen Wirtschaftens profitiert und es durch organisatorische Maßnahmen beherrschen kann.368 Diese Begründung steht der Anwendung der Wissenszurechnung im Recht der Ad-hoc-Publizität nicht entgegen. Denn sie stützt die Wissenszurechnung nicht auf eine vertragliche Beziehung, sondern auf eine allgemeine deliktische Verkehrspflicht.369 Das Bedürfnis, den Rechtsverkehr vor einer Wissenszersplitterung zu schützen, besteht nicht nur im Vertragsrecht, sondern allgemein, sofern arbeitsteilige Organisationen an ihm teilnehmen.370 Verkehrssicherungspflichten entstammen schließlich dem Deliktsrecht, wurden also gerade nicht in vertragsrechtlichen Verhältnissen entwickelt. Auf diese Grundsätze gestützt, sind die Wissensorganisationsregeln also – entgegen der anderslautenden Rechtsprechung des BGH371 – auch in außerrechtsgeschäftlichen Verhältnissen anwendbar.372 Dies trifft auch den Grundgedanken der Sekundärmarktpublizität. Anders als im Falle der Prospektpublizität und -haftung ist die Emittentin nicht selbst Partei eines Rechtsverhältnisses mit ihren Anlegern.373 Dennoch trifft sie eine Verantwortlichkeit für den Informationsbestand im Markt, denn die Emittentin steht als „least cost information provider“ den sie betreffenden Insiderinformationen am nächsten und kann diese dem Markt am schnellsten und kostengünstigsten zur Verfügung stellen.374 Hierbei zeigt sich ebenfalls der Gedanke der Risikoverteilung. Auch die Adhoc-Publizitätspflicht weist die Verantwortlichkeit für die Veröffentlichung von Insiderinformationen der Sphäre der Emittentin zu. Mithin können die Gedanken des Verkehrsschutzes und der Risikoverteilung die Wissenszurechnung auch im Kapitalmarktrecht tragen. dd) Zwischenergebnis Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass lediglich der Grundgedanke des Vertrauensschutzes, auf dem die Wissenszurechnung zum Teil gründet, nicht auf Art. 17 Abs. 1 MAR übertragbar ist. Dies bedeutet freilich nicht, dass die wissensorganisationsbasierte Zurechnung im Kapitalmarktrecht überhaupt nicht zur Anwendung kommen kann. Denn diese fußt nicht nur auf dem Vertrauensschutzgedanken, sondern gleichermaßen auch auf dem Gleichstellungsargument und der
368
Siehe B.I.1.b)cc)(3). Scheuch, GmbHR 1996, 828 (832). 370 Seidel, AG 2019, 492 (498). 371 Siehe dazu B.I.1.c). 372 Überzeugend Seidel, AG 2019, 492 (494, 495, 498), siehe auch Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (317 f.). 373 Thomale, NZG 2018, 1007 (1008). 374 Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287), Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 39 f., siehe auch Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 69. 369
102
B. Voraussetzungen für das Entstehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht
Zuweisung der Risikosphären. Auf diese beiden Prinzipien kann die Wissenszurechnung auch im Recht der Ad-hoc-Publizität gestützt werden. c) Zwischenergebnis Die Kenntnis der Emittentin als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 17 Abs. 1 MAR ist nicht deshalb abzulehnen, weil sie mit dem Unionsrecht unvereinbar wäre. Der Rückgriff auf die Maßstäbe der deutschen Wissenszurechnung zur Bestimmung des Emittentenwissens ist im Grundsatz mit der vollharmonisierenden MAR vereinbar. Auch ihre dogmatische Begründung im Zivilrecht spricht nicht gegen eine Anwendung auf die Ad-hoc-Publizität.
4. Zwischenfazit Das bloß objektive Vorliegen einer Insiderinformation genügt nicht, um die Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu begründen, denn dadurch würde der Emittentin eine Veröffentlichungspflicht abverlangt, die sie selbst bei sorgfältigster Organisation und größtmöglicher Anstrengung nicht erfüllen könnte. Eine solche Auffassung ist daher mit dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur nicht vereinbar. Somit bedarf es einer weiteren Voraussetzung, um die Ad-hoc-Publizitätspflicht zu begründen. Auch ein kenntnisunabhängiges Verständnis der Ad-hoc-Publizitätspflicht ist jedoch mit dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur vereinbar, sofern die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Insiderinformationen nur dann greift, wenn auch die Möglichkeit besteht, von der veröffentlichungspflichtigen Tatsache Kenntnis zu nehmen. Dann wird die Emittentin nicht zu einer Rechtshandlung verpflichtet, die sie über ihr Können hinaus überfordert. Im Ergebnis spricht die Auslegung des Art. 17 Abs. 1 MAR weder eindeutig für ein kenntnisunabhängiges Verständnis noch für eine Herangehensweise, die zurechenbares Wissen der Emittentin von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation voraussetzt. Die Anwendung der deutschen Wissenszurechnung ist auch mit dem Unionsrecht vereinbar. Zudem ist festzuhalten, dass beide Herangehensweisen zu weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen kommen und daher gleichermaßen geeignet sind, den Normzweck von Art. 17 Abs. 1 MAR zu verwirklichen. Lediglich eine Form der Wissenszurechnung, die allein das positive Wissen des Vorstands berücksichtigt, schränkt den Bereich der veröffentlichungspflichtigen Informationen über Gebühr ein. Diese Ansicht wird dem Zweck der Ad-hoc-Publizität nicht gerecht und ist somit abzulehnen.
IV. Ergebnis
103
IV. Ergebnis Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 MAR divergierende Auffassungen vertreten werden, die teilweise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die potentiell veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen und den Zeitpunkt der Veröffentlichungspflicht kommen. Da der maßgebliche Normzweck der Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht nur eine möglichst umfassende Offenlegung von Insiderinformationen, sondern auch angemessene Anforderungen an den Erfüllungsaufwand der Emittentin fordert, wird ihm nur ein Verständnis gerecht, das Art. 17 Abs. 1 MAR um eine ungeschriebene Voraussetzung ergänzt, die sicherstellt, dass der Emittentin keine ihr Können übersteigende Veröffentlichungspflicht auferlegt wird. Dieser Anforderung entspricht sowohl eine Anwendung der Wissenszurechnung als auch eine kenntnisunabhängige Herangehensweise, die auf die Möglichkeit der Veröffentlichung abstellt. Beide Ansichten erfordern die Einrichtung einer angemessenen und sorgfältigen Informationsorganisation, die die Erfassung und Weiterleitung von Insiderinformationen entlang der Unternehmenshierarchie gewährleistet. Letztlich kommt es für die Zwecke der Ad-hoc-Publizitätspflicht also nicht darauf an, ob die Pflichten zur Wissensorganisation aus den Grundsätzen der Wissenszurechnung oder aus Art. 17 Abs. 1 MAR selbst abgeleitet werden. Beide Auffassungen kommen in Bezug auf Insiderinformationen, von denen der Vorstand Kenntnis hat oder die sich in seinem Einflussbereich befinden, weitgehend zu denselben Ergebnissen. Im folgenden Kapitel ist daher zu untersuchen, wie sich diese beiden Ansätze auf Insiderinformationen im Aufsichtsrat anwenden lassen.
C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft Nachdem im vorherigen Kapitel die Voraussetzungen der Ad-hoc-Publizitätspflicht untersucht wurden, stellt sich nun die Frage, ob die Emittentin auch veröffentlichungspflichtig ist, wenn eine Insiderinformation nicht – wie üblich – im Wissens- und Zuständigkeitsbereich des Vorstands entsteht, sondern allein dem Aufsichtsrat oder einem seiner Mitglieder bekannt ist. Man könnte ebenso gut davon ausgehen, dass Insiderinformationen, die nicht dem Einflussbereich des Vorstands unterliegen, überhaupt nicht zu veröffentlichen sind.1 Dagegen wird eingewandt, der Kapitalmarkt sei ungeachtet etwaiger aktienrechtlicher Zuständigkeiten über Insiderinformationen zu informieren.2 Die Unterlassung der Veröffentlichung einer die Emittentin unmittelbar betreffenden Insiderinformation sei nur unter den Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR zulässig, also insbesondere, wenn ein entsprechender Selbstbefreiungsbeschluss gefasst werde.3 Diese Aussagen mögen teleologisch zutreffend sein, ein bloßes Publizitätsinteresse des Kapitalmarkts genügt jedoch nicht, um die Veröffentlichungspflicht der Emittentin zu begründen. Ihre Entstehung muss auch in dem Fall, dass eine Insiderinformation im Aufsichtsrat entsteht oder bekannt wird, mit den oben dargestellten Begründungsansätzen übereinstimmen. Daher soll im Folgenden untersucht werden, wie Insiderinformationen im Aufsichtsrat nach den beiden Auffassungen zu beurteilen sind, die zur Bestimmung der Veröffentlichungspflicht der Emittentin in Betracht kommen. Hierzu werden zuerst diejenigen Fallkonstellationen zusammengetragen, in denen die alleinige Kenntnis des Aufsichtsrats von einer Insiderinformation typischerweise auftritt (unter I.). Im Anschluss wird untersucht, ob das Wissen des Aufsichtsrats der Emittentin nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung zugerechnet werden kann (unter II.) und ob in einem solchen Fall nach der kenntnisunabhängigen Ansicht eine Möglichkeit zur Veröffentlichung der Insiderinformation bestehen würde (unter III.). Dabei wird auch die Frage beantwortet werden, ob diese beiden Auffassungen auch in Bezug auf Insiderinformationen im Aufsichtsrat zu denselben Ergebnissen kommen und daher eine Entscheidung weiterhin dahinstehen kann. 1
Vgl. Bekritsky, BKR 2020, 382 (384). Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 427. 3 Vgl. Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 427. 2
I. Fallgruppen
105
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich die Frage nach dem Bestehen einer Veröffentlichungspflicht nur dann stellt, wenn die betreffende Insiderinformation ausschließlich im Aufsichtsrat vorliegt. Wenn diese zugleich auch dem Vorstand oder anderen Unternehmensangehörigen bekannt ist, ergeben sich keine Unterschiede zu der bereits dargestellten Behandlung.
I. Fallgruppen Es sind unterschiedliche Situationen denkbar, in denen Insiderinformationen ausschließlich im Aufsichtsrat entstehen oder diesem bekannt werden können. Diese Fallgruppen werden im Folgenden dargestellt, wobei jeweils kurz darauf eingegangen wird, ob und unter welchen Umständen es sich bei dem jeweiligen Ereignis um eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation handelt.
1. Personalentscheidungen des Aufsichtsrats in Bezug auf den Vorstand Die wohl bedeutsamste und in der Literatur am häufigsten behandelte Fallgruppe, in der Insiderinformationen im Aufsichtsrat auftreten können, betrifft dessen Personalkompetenz gemäß § 84 AktG.4 Sie umfasst insbesondere die Abberufung amtierender und die Ernennung neuer Vorstandsmitglieder, aber auch beispielsweise die Veränderung von Zuständigkeitsbereichen,5 die Suspendierung eines Vorstandsmitglieds im Vorfeld einer endgültigen Personalentscheidung6 oder die Ernennung bzw. den Widerruf der Ernennung des Vorstandsvorsitzenden,7 die gemäß § 84 Abs. 2 AktG ebenfalls in die Kompetenz des Aufsichtsrats fallen. Auch der Widerruf der Bestellung eines Vorstandsmitglieds nach § 84 Abs. 3 AktG i. d. F. des FüPoG II8 gehört in diese Fallgruppe. Es ist im Allgemeinen anerkannt, dass (unerwartete) wesentliche Personalveränderungen auf Vorstandsebene die jeweilige Gesellschaft unmittelbar betreffende
4
BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (404), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (416), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 426, LeyendeckerLangner/Kleinhenz, AG 2015, 71 (73), Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (348), Retsch, NZG 2016, 1201 (1206). 5 Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 156, KlöhnKlöhn, MAR, Art. 7 Rn. 408. 6 Siehe dazu K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rn. 65, Möllers, WM 2005, 1393 (1399). 7 Semler/v. Schenck/Wilsing-Weiß, Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rn. 248. 8 Zweites Führungspositionen-Gesetz vom 7. August 2021, BGBl. I S. 3311.
106
C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Insiderinformationen darstellen können.9 Hiervon geht auch der BGH in seinen „Daimler/Schrempp-Entscheidungen“ aus.10 Dabei können aber nicht nur endgültige Ereignisse, also beispielsweise die Abberufung eines Vorstandsmitglieds, Insiderinformationen darstellen, sondern gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 MAR auch einzelne Zwischenschritte auf dem Weg dorthin, wenn diese für sich genommen die Kriterien einer Insiderinformation erfüllen.11 Darüber hinaus kann ein Wechsel im Vorstand auch als zukünftiges Ereignis im Sinne des Art. 7 Abs. 2 S. 1 MAR veröffentlichungspflichtig sein, wenn sein Eintritt bereits wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben.12 So können beispielsweise bereits Vorgespräche mit potentiellen Kandidaten oder die Beauftragung eines Headhunters präzise Informationen darstellen.13 Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn bei der Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds noch mehrere Kandidaten in Rede stehen, sodass noch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Kandidaten besteht.14 In der Praxis befasst sich allerdings häufig nicht der Gesamtaufsichtsrat mit der Entscheidungsfindung in Personalangelegenheiten. Auch wenn eine vollständige Delegation der Personalkompetenz auf einen Ausschuss gemäß § 107 Abs. 3 S. 7 AktG unzulässig ist, können vorbereitende Tätigkeiten, wie die Suche nach geeigneten Kandidaten, von einem Personalausschuss übernommen werden.15 Mit Blick auf die Ad-hoc-Publizität ist danach zu fragen, ob schon die Arbeiten dieses Ausschusses an einem Vorstandswechsel als veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen anzusehen sind. Dies ist der Fall, wenn auf dieser Grundlage bereits ein inhaltlich übereinstimmender Beschluss des Aufsichtsrats überwiegend wahrscheinlich ist, wofür es auch auf die Handhabung vergleichbarer Sachverhalte in der Vergangenheit ankommt.16 Im Falle eines kritischen Aufsichtsrats ist die Wahr9 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.7, S. 19 f., Assmann/Schneider/MülbertAssmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 228, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 418 m. w. N., Krämer/Kiefner, AG 2016, 621 (625 f.), Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (122) m. w. N., Meyer/ Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 150 ff., Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 271 f. 10 BGH, WM 2008, 641 Rn. 21 – Daimler/Schrempp I und BGH, ZIP 2013, 1165 – Daimler/ Schrempp II. 11 Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (123), BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.7, S. 20. 12 EuGH, WM 2012, 1807 Rn. 50 ff. – Geltl/Daimler, BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.2, S. 10, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 42 ff., Poelzig, NZG 2016, 528 (531 f.), Klöhn, AG 2016, 423 (428), Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (774 f.). 13 Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 153 f., Schwark/Zimmer-Kumpan/Misterek, KMRK, Art. 7 MAR Rn. 295 f., kritisch hingegen Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621 (627). 14 Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621 (627), Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (124). 15 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rn. 27, MüKoAktG-Spindler, § 84 Rn. 19. 16 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.2, S. 10, BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 30 – Daimler/Schrempp II, Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (124).
I. Fallgruppen
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scheinlichkeit der Beschlussfassung deutlich geringer einzuschätzen, als wenn das Gesamtorgan üblicherweise die Vorschläge seiner Ausschüsse nur „abnickt“.17 Ferner muss die Information über einen Wechsel im Vorstand auch kurserheblich sein. Der Wert einer Aktie hängt maßgeblich von den erwarteten Erträgen des Unternehmens und damit von den Fähigkeiten seines Managements ab, welches diese Erträge erwirtschaften soll.18 Daher ist eine Personalveränderung nur dann geeignet, den Kurs zu beeinflussen, wenn es sich bei der betroffenen Person um eine Schlüsselfigur des Unternehmens handelt, die auf den Geschäftsverlauf Einfluss nehmen kann.19 Neben der Qualifikation der Person spielt auch ihre Stellung im Unternehmen eine wichtige Rolle.20 Kurserheblich wird somit vor allem die Bestellung bzw. Abberufung des Vorsitzenden oder Sprechers des Vorstands sein, kaum jedoch der Wechsel eines einfachen Vorstandsmitglieds.21 Das Kursbeeinflussungspotential kann sich dabei aus den Hoffnungen und Befürchtungen ergeben, die mit der Person des Vorstandsvorsitzenden verknüpft werden.22 Die BaFin geht darüber hinaus davon aus, dass im Falle einer Neubestellung schon die Tatsache, dass mit der Konkretisierung auf eine bestimmte Person die Unsicherheit über die zukünftige Besetzung des Amts beendet ist, kurserheblich sein kann.23 Personalentscheidungen des Aufsichtsrats sind also – wenigstens in den Fällen des Vorstandsvorsitzenden oder eines anderen medial präsenten Mitglieds – potentiell veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen.
2. Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds Neben personellen Veränderungen im Vorstand, die auf Initiative des Aufsichtsrats geschehen, sind auch solche denkbar, die auf einer eigenverantwortlichen 17 BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 30 – Daimler/Schrempp II, Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 153, Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (124). 18 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 408, Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 156, Schwark/Zimmer-Kumpan/Misterek, KMRK, Art. 7 MAR Rn. 293. 19 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.7, S. 19, Assmann/Schneider/MülbertAssmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 228, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 418 m. w. N., Fleischer, NZG 2007, 401 (403), Fleischer, FS Schneider (2011), S. 333 (345 f.). 20 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 409, Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 156. 21 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.7, S. 19, Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (122 f.), weitgehender Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 73. 22 Dabei ist nicht erforderlich, dass absehbar ist, in welche Richtung sich der Kurs entwickeln wird, vgl. EuGH NZG 2015, 432 – Lafonta, siehe dazu Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 87 ff. 23 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.7, S. 20, siehe dazu HRA DAV, Stellungnahme zu Modul C, NZG 2019, 1138 (1141) Rn. 33 ff., Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (124), Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 75.
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Entscheidung des betreffenden Vorstandsmitglieds beruhen, indem dieses sich entscheidet, sein Amt zeitweise oder dauerhaft niederzulegen, und diese Absicht zunächst nur dem Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzendem, nicht aber dem übrigen Vorstand oder dem Ad-hoc-Gremium erklärt. Dies ist die Fallkonstellation, die als Daimler/Schrempp-Fall die Gerichte beschäftigte. Die insgesamt acht Judikate der verschiedenen deutschen Spruchkörper und des EuGH befassen sich zwar hauptsächlich mit der Frage, ob und wann Zwischenschritte auf dem Weg zu einem endgültigen Organbeschluss veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen darstellen können. In der Sache lag diesen Entscheidungen jedoch eine Ausgangssituation zugrunde, die genau den hier untersuchten Fällen von allein im Aufsichtsrat vorhandenem Insiderwissen entspricht: Solange der Vorstandsvorsitzende der damaligen DaimlerChrysler AG Schrempp sich nur im Stillen mit dem Gedanken trug, sein Amt niederzulegen, handelte es sich noch nicht um eine präzise Information im Sinne des Insiderrechts, weil diese – auch durch die Besprechung mit seiner Ehefrau – noch nicht über den engen persönlichen Bereich hinausgelangt war.24 Erst zu dem Zeitpunkt, als Schrempp dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats seine Rücktrittsabsicht mitteilte und diese dadurch in die Sphäre der Emittentin gelangte, kam die Entstehung einer Insiderinformation in Betracht.25 Hinsichtlich Präzision, Kurserheblichkeit und Kursrelevanz der Information über den freiwilligen Rücktritt eines Vorstandsmitglieds gilt das oben zur Amtsenthebung auf Betreiben des Aufsichtsrats Gesagte entsprechend. Der EuGH hat für die hier in Rede stehende Konstellation entschieden, dass im Falle eines zeitlichen gestreckten Vorgangs auch die Zwischenschritte, die mit der Herbeiführung des Endereignisses verbunden sind, präzise Informationen darstellen können.26 Diese Aussage ist mittlerweile in Art. 7 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 MAR kodifiziert. Im Falle des freiwilligen Rücktritts wird die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Endereignisses sogar tendenziell früher gegeben sein, da der Aufsichtsrat ein rücktrittswilliges Mitglied wohl kaum im Amt halten möchte.27 Schließlich stellt sich auch im Falle eines nur vorübergehenden Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds, z. B. aufgrund einer schweren und langwierigen Krankheit, die Frage nach einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation. Erkrankungen im Vorstand können jedenfalls bei sofortigem Ausscheiden des betroffenen Mitglieds hinreichend konkrete, die jeweilige Gesellschaft unmittelbar betreffende Informationen darstellen.28 Handelt es sich bei dem Erkrankten um den Vorstandsvorsitzenden oder eine andere Schlüsselfigur des Gremiums, ist regelmäßig auch von 24
BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 19 – Daimler/Schrempp II; siehe auch Assmann/Schneider/ Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 21. 25 Vgl. BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 13 – Daimler/Schrempp II. 26 EuGH, WM 2012, 1807 – Geltl/Daimler. 27 Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (124). 28 Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069 (1076), Bayer, FS Hommelhoff (2012), S. 87 (94 f.), Fleischer, FS Schneider (2011), S. 333 (344 ff.).
I. Fallgruppen
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der Kursrelevanz der Information auszugehen.29 Je bedeutender die erkrankte Person für das Unternehmen ist, desto näher liegt es, dass auch bei längerer, aber vorübergehender krankheitsbedingter Abwesenheit die erforderliche Kursrelevanz gegeben ist.30
3. Untersuchungen und Schadensersatzansprüche Die nächste Fallgruppe betrifft die Reaktion des Aufsichtsrats auf (potentielle) Straftaten oder sonstige Compliance-Verstöße des Vorstands. Hierbei ist insbesondere an die (gerichtliche) Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen gegenwärtige oder ehemalige Vorstandsmitglieder zu denken.31 Grundsätzlich können sowohl strafbare Handlungen oder Compliance-Verstöße durch Vorstandsmitglieder als auch Geldbußen, Ersatzforderungen geschädigter Anleger oder andere Sanktionen, die der Emittentin als Ergebnis eines Verwaltungsoder Gerichtsverfahrens auferlegt werden, eingetretene oder zukünftige Insiderinformationen darstellen.32 Hinsichtlich der Kursrelevanz solcher Umstände kommt es vor allem auf die Schwere des vermuteten Verstoßes und dessen Folgen in rechtlicher Hinsicht, aber auch für die Unternehmensreputation an.33 Ermittlungen und gerichtliche oder behördliche Entscheidungen gegen die Emittentin werden dem Aufsichtsrat jedoch regelmäßig nicht vor dem Vorstand bekannt und sind daher keine Insiderinformationen aus der Sphäre des Aufsichtsrats. In diesen Fällen ist der (Rest-)Vorstand Ansprechpartner der Behörden und Gerichte, sodass auch er für die Wahrung der Veröffentlichungspflicht in Bezug auf derlei Informationen zuständig ist. Anders verhält es sich hingegen, wenn der Aufsichtsrat gemäß § 112 AktG den Gerichtsprozess selbst führt. Grundsätzlich können durch alle Gerichtsverfahren, an denen die Emittentin beteiligt ist, Insiderinformationen entstehen.34 Daher kann auch 29
Fleischer, NZG 2010, 561 (566). Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069 (1077), wohl auch Fleischer, FS Schneider (2011), S. 333 (348), Fleischer, NZG 2010, 561 (567). 31 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 95, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (404). 32 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.8, S. 20, Bunz, NZG 2016, 1249 (1252 ff.), Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (67 f.), Schockenhoff, NZG 2015, 409 (412), Assmann/ Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 40, Art. 17 MAR Rn. 234, KlöhnKlöhn, MAR, Art. 7 Rn. 419; vgl. auch BaFin, Emittentenleitfaden 2013, IV.2.2.4, S. 53: „erhebliche außerordentliche Aufwendungen (z. B. nach Großschäden oder Aufdeckung krimineller Machenschaften)“. 33 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 406, Bunz, NZG 2016, 1249 (1252 f.), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 288. 34 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 7 Rn. 444, BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.8, S. 20, vgl. auch I.2.1.5.13, S. 22: „Rechtsstreitigkeiten von besonderer Bedeutung“ und 30
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
die klageweise Geltendmachung von Schadensersatz gegenüber einem oder mehreren (ehemaligen) Vorstandsmitgliedern nach Art. 17 Abs. 1 MAR veröffentlichungspflichtig sein. Dabei kommt es nicht ausschließlich darauf an, ab wann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer kursbeeinflussenden Verfahrensbeendigung als Endereignis ausgegangen werden kann. Auch einzelne Verfahrensschritte, etwa der Beschluss des Aufsichtsrats, die Mandatierung einer entsprechend spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei, Klageerhebung, Vergleichsvorschläge oder die Einlegung von Rechtsmitteln können Insiderinformationen in Form eines Zwischenschritts darstellen.35 Hierbei wird es jedoch häufig an dem erforderlichen Kursbeeinflussungspotential fehlen. Mit Ausnahme von Klagen mit besonders hohem Gegenstandswert werden Haftungsprozesse trotz ihrer medialen Aufmerksamkeit selten die finanziellen Ausmaße erreichen, die für eine Investitionsentscheidung maßgeblich wären.36 Unter Umständen können Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder auch schon im Börsenkurs eingepreist sein, wenn dem Prozess die Abberufung des Verantwortlichen oder ein Straf- oder Untersuchungsverfahren vorangegangen ist und die Umstände seines Fehlverhaltens daher bereits im Markt bekannt sind. Im Vorfeld eines Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens kommt häufig die Einleitung interner oder externer Untersuchungsmaßnahmen durch den Aufsichtsrat in Betracht. Bei Hinweisen, die den konkreten Verdacht auf einen Rechtsverstoß durch den Vorstand begründen, kann der Aufsichtsrat Ermittlungen einleiten, die grundsätzlich neben denjenigen der nicht betroffenen Vorstandsmitglieder stehen.37 Jedenfalls wenn mehrere oder sogar alle Vorstandsmitglieder betroffen sind, ist der Aufsichtsrat verpflichtet, eine eigene Untersuchung durchzuführen.38 In Ausnahmefällen mag der Aufsichtsrat sogar Strafanzeige gegen die Verantwortlichen stellen. Anlassbezogene Untersuchungen des Aufsichtsrats stellen regelmäßig zeitlich gestreckte Vorgänge dar, deren einzelne Zwischenschritte für sich genommen alle Kriterien einer Insiderinformation erfüllen können.39 Ihre bloße Einleitung ist nur in Ausnahmefällen veröffentlichungspflichtig, wenn sehr starke Verdachtsmomente bestehen und besonders gravierende Verstöße im Raum stehen. Der bloß vage Verdacht eines Rechtsverstoßes ist jedoch in der Regel nicht hinreichend präzise, um I.2.1.5.5, S. 18: „Erträge/Aufwendungen aufgrund des Ausgangs eines für das Unternehmen existentiellen Prozesses“. 35 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.8, S. 20, Teigelack, BB 2016, 1604 (1608), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 283. 36 Bunz, NZG 2016, 1249 (1255), Mock, AG 2008, 839 (846 f.); vgl. auch die empirischen Nachweise bei Teigelack, BB 2016, 1604 (1613). 37 Hopt, ZGR 2020, 373 (390 f.), Habbe, CCZ 2019, 27 (30), Reichert/Ott, NZG 2014, 241 (248), Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 21a, siehe auch Wagner, CCZ 2009, 8 (15). 38 Hopt, ZGR 2020, 373 (392), Habbe, CCZ 2019, 27 (31), Nietsch, ZGR 2020, 923 (951 f.). 39 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 40, Mülbert/Sajnovits, WM 2017, 2041, Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (69), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 286.
I. Fallgruppen
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eine Insiderinformation darzustellen.40 Anders verhält es sich hingegen mit dem Abschlussbericht der Prüfung und mit ggf. erstatteten Zwischenberichten. Da diese Untersuchungsergebnisse festhalten, können sie sowohl isoliert als auch mit Blick auf ein zukünftiges, nunmehr überwiegend wahrscheinliches Endergebnis präzise Informationen darstellen.41 Daher ist im Verlaufe der Untersuchung stets zu überprüfen, ob nicht schon die Schwelle zur Insiderinformation überschritten ist.42 Fraglich ist zudem, ob die Einleitung einer internen Untersuchung bereits das Potential zur Kursbeeinflussung aufweist. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa der Wahrscheinlichkeit des Rechtsverstoßes, der Bedeutsamkeit der potentiell verletzten Rechtsvorschriften und der voraussichtlichen Auswirkungen.43 Mittlerweile stellt die Durchführung einer internen Untersuchung keine Seltenheit mehr dar, sodass ihr Bekanntwerden einen verständigen Anleger bei seiner Anlageentscheidung kaum beeinflussen wird.44 Ebenso verhält es sich bei der Erstattung einer Strafanzeige gegen ein Vorstandsmitglied.45 Den endgültigen Bericht der Untersuchung wird der Anleger jedoch im Regelfall bei seiner Entscheidung berücksichtigen, insbesondere wenn er einen Schadensersatzprozess überwiegend wahrscheinlich werden lässt. Umgekehrt können aber auch positive Untersuchungsergebnisse kursrelevant sein, wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt.
4. Personalfragen innerhalb des Aufsichtsrats Eine weitere Fallgruppe betrifft abermals Personalfragen, aber nicht in Bezug auf den Vorstand, sondern hinsichtlich der Aufsichtsratsmitglieder selbst. Hierbei ist in erster Linie an die Entscheidung eines Aufsichtsratsmitglieds zu denken, sein Amt niederzulegen.46 Die Möglichkeit eines derartigen einseitigen Rücktritts vom Aufsichtsratsmandat ist mittlerweile allgemein anerkannt.47 Darüber hinaus ist an die Ernennung des Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 107 Abs. 1 AktG sowie dessen Abberufung und die Niederlegung des Aufsichtsratsvorsitzes als potentielle Insiderinformationen zu denken. 40
Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 7 MAR Rn. 38, Wilsing, ZGR 2020, 276 (279 f.), Schockenhoff, NZG 2015, 409 (413). 41 Redenius-Hövermann/Walter, ZIP 2020, 1331 (1335). 42 Wilsing, ZGR 2020, 276 (280). 43 Redenius-Hövermann/Walter, ZIP 2020, 1331 (1334). 44 Wilsing, ZGR 2020, 276 (279), Redenius-Hövermann/Walter, ZIP 2020, 1331 (1335), Bunz, NZG 2016, 1249 (1251). 45 Bunz, NZG 2016, 1249 (1254); vgl. auch zur Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen: BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.8, S. 20. 46 Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (73), Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611) bei Fn. 51, Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.31. 47 MüKoAktG-Habersack, § 103 Rn. 59 mit zahlreichen Nachweisen, siehe dazu auch Bunting, ZIP 2020, 2169.
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Grundsätzlich können diese Personalmaßnahmen – ebenso wie im Vorstand – präzise, die Emittentin unmittelbar betreffende Informationen sein. Somit ist es nur konsequent, dass die BaFin allgemein von „Organmitgliedern in Schlüsselpositionen“ spricht.48 Dasselbe gilt für Zwischenschritte, die mit der Herbeiführung des Endereignisses verbunden sind, z. B. Vorbesprechungen im Aufsichtsrat.49 Allerdings kommt es bei der Beurteilung, ob solche Informationen geeignet sind, eine Kursveränderung hervorzurufen, bei Aufsichtsratsmitgliedern noch stärker als bei Vorstandsmitgliedern auf die jeweilige Person und ihren konkreten Einfluss an. Denn anders als Vorstandsmitglieder haben Aufsichtsratsmitglieder schon aufgrund der Stellung des Organs in der aktienrechtlichen Kompetenzordnung weniger Einfluss auf die Unternehmensentwicklung. Mit einer Reaktion der Anleger ist daher nur im Falle des Rücktritts eines in der Öffentlichkeit exponierten Aufsichtsratsmitglieds, meistens des Aufsichtsratsvorsitzenden, zu rechnen.50 Denn dieser ist ein in mehrfacher Hinsicht hervorgehobener Funktionsträger. Aus diesem Grund kommt auch eine Publizitätspflicht wohl nur bei einem Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz in Betracht.51 Dies gilt insbesondere, wenn durch den Rücktritt ein Konflikt mit einem Großaktionär oder eine generelle Unzufriedenheit mit der Unternehmenspolitik zum Ausdruck gebracht wird. Im Übrigen ist auch zu beachten, dass sich die Rolle des Aufsichtsrats von einer repressiven Überwachung immer mehr zu einer unternehmerischen Mitgestaltung wandelt. Dies spricht dafür, dass in Zukunft auch Personalfragen in Bezug auf den Aufsichtsrat eine größere Kursrelevanz haben können.
5. Investorenkommunikation Eine weitere Fallgruppe betrifft die Kommunikation des Aufsichtsrats mit (potentiellen) Investoren oder Großaktionären. Immer häufiger wenden sich vor allem institutionelle Investoren neben dem Vorstand auch direkt an den Aufsichtsratsvorsitzenden und erwarten von diesem einen Dialog über die Entwicklung des Unternehmens, seine finanzielle und strategische Ausrichtung und die Qualität des
48 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.7, S. 19; so offenbar auch Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (122), Krämer/Kiefner, AG 2016, 621 (625), Meyer/Veil/Rönnau-Krause, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 150. 49 Dies übersieht Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 69, der davon ausgeht, dass eine Amtsniederlegung eines Aufsichtsratsmitglieds keine Insiderinformation im Aufgabenbereich des Aufsichtsrats sei. 50 Hierfür sprechen auch die empirischen Nachweise bei Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (122). 51 MüKoAktG-Habersack, § 106 Rn. 4, siehe auch Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (122) bei Fn. 12.
I. Fallgruppen
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Managements.52 Dies beruht wohl darauf, dass viele ausländische Investoren den Aufsichtsratsvorsitzenden mit einem chairman of the board verwechseln, der im anglo-amerikanischen One-Tier-Board-System für Investor Relations zuständig ist.53 Börsennotierte Gesellschaften sind aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Kapitalmarkt gezwungen, sich den Erwartungen von Investoren anzupassen.54 Daher hat sich diese Art von Marktkommunikation mittlerweile auch in Deutschland fest etabliert.55 Im Zuge solcher Gespräche kann es durchaus vorkommen, dass ein Aktionär dem Aufsichtsrat seine Absicht zur Übernahme der Emittentin oder zum Auf- oder Abbau einer Beteiligung mitteilt.56 Der Aufsichtsrat kann dann gezwungen sein, sich mit einem bevorstehenden Übernahmeangebot für die Gesellschaft zu befassen, von dem der Vorstand noch keine Kenntnis hat.57 Auch kann der Aufsichtsrat beispielsweise von der geplanten Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung und Beantragung einer Sonderprüfung erfahren.58 Hierbei handelt es sich ebenfalls um Insiderinformationen, die aber, anders als in den bisher genannten Fallgruppen, nicht bei der Arbeit des Aufsichtsrats entstehen, sondern von außen an die Emittentin herangetragen werden. Grundsätzlich kann sowohl ein vollständiger Eigentümerwechsel als auch der Erwerb oder die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung an der Emittentin eine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation darstellen.59 Der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung ist jedoch nur dann kursrelevant, wenn damit eine strategische Zielsetzung verfolgt wird.60 Auch die Abgabe eines Übernahmeangebots auf die Emittentin kann eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation sein.61 Anders als für den 52
Vetter, AG 2014, 387 (388), Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (349), Hirt/Hopt/ Mattheus, AG 2016, 725 (729), Holle, ZIP 2019, 1895 (1896), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rn. 54a. 53 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (349), K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 107 Rn. 25, Vetter, AG 2014, 387 (388); zur Rechtslage im Vereinigten Königreich und in den USA: Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (726 ff.). 54 Vetter, AG 2014, 387. 55 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (728); zu empirischen Ergebnisse über Häufigkeit, Themen und Anlass der Investorenkommunikation mit dem Aufsichtsrat: Tietz/Hammann/ Hoffmann, AR 2019, 69 ff. 56 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (404), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (73), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 426. 57 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 426. 58 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (404). 59 Siehe zur Ad-hoc-Publizität bei M&A-Transaktionen: Meyer-Sparenberg/Jäckle-Herfs, Beck’sches Handbuch M&A, § 21. 60 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 33, Habersack/Mülbert/SchlittFrowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 15, Bingel, AG 2012, 685 (697). 61 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 98, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 388 ff., Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 92, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 245.
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Bieter einer öffentlichen Übernahme ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht für die Emittentin als Zielgesellschaft auch nicht von vorneherein nach § 10 Abs. 6 WpÜG dispensiert.62 Ferner ist die Emittentin, auch wenn sie nicht selbst Partei des Erwerbs oder der Veräußerung ihrer Aktien ist, in der Regel von der Veränderung ihrer Gesellschafterstruktur auch unmittelbar betroffen.63 Auch das Einberufungsverlangen einer außerordentlichen Hauptversammlung und damit verbundene Beschlussvorschläge eines Aktionärs sind präzise und – jedenfalls bis zu der Einberufung bzw. der Bekanntgabe nach § 124 Abs. 1 S. 1 AktG – nicht öffentlich bekannte Informationen. Zudem betreffen sie die Emittentin unmittelbar. Ob sie jedoch auch kursrelevant sind, hängt maßgeblich von den Beschlussgegenständen ab, über die die Hauptversammlung entscheiden soll.64 Den bloßen Umstand, dass eine außerordentliche Hauptversammlung stattfinden wird, würde ein verständiger Anleger wahrscheinlich noch nicht bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen. Wird jedoch deutlich, dass zwischen Vorstand und Aktionär eine unterschiedliche Sichtweise auf die Unternehmenspolitik besteht, kann dies je nach Aktionärsstruktur bereits Kursrelevanz haben.65 Auch die Durchführung einer Sonderprüfung wird zumeist kursrelevant sein.66 Daher kann unter Umständen auch die Absicht, eine solche zu beantragen, eine Insiderinformation in Form eines Zwischenschritts darstellen, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass ein entsprechender Antrag die Mehrheit bekommen wird.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat Nachdem also festgestellt wurde, dass auch im Aufsichtsrat Insiderinformationen vorliegen können, stellt sich die Frage, ob diese eine Publizitätspflicht der Emittentin auslösen können. Hierzu kommt es nach einer Ansicht darauf an, ob das Wissen des Aufsichtsrats der Emittentin nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung zugerechnet werden kann. Denn geht man davon aus, dass die Entstehung der Ad-hocPublizitätspflicht die Kenntnis der Emittentin von der zu veröffentlichenden Insiderinformation voraussetzt, muss eine Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat
62 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.5, S. 35, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 392. 63 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.2.2, S. 33, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 389, Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (818), Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 14 f. 64 Kuthe/Beck, AG 2019, 898 (906). 65 Kuthe/Beck, AG 2019, 898 (906). 66 Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rn. 192.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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erfolgen. Nur dann besteht eine Veröffentlichungspflicht, die Gegenstand einer Selbstbefreiungsentscheidung des Aufsichtsrats sein kann.67 Der BGH hat die Zurechnung von Kenntnissen des Aufsichtsrats bereits in zwei Entscheidungen bejaht.68 In beiden Fällen ging es um die Kenntnis des jeweiligen Aufsichtsrats (einmal einer Genossenschaft, einmal einer GmbH) von Umständen, die eine außerordentliche Kündigung des Geschäftsführers nach § 626 BGB rechtfertigen würden. Die Besonderheit lag in diesen Fällen jedoch darin, dass nicht der Aufsichtsrat, sondern die General- bzw. Gesellschafterversammlung für die Kündigung des Geschäftsführers zuständig war und es somit für den Lauf der ZweiWochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB auf ihre Kenntnis ankam. Die jeweilige Einberufung wurde durch den Aufsichtsrat jedoch treuwidrig hinausgezögert mit der Folge, dass die Gesellschaften schon ab dem Zeitpunkt als wissend behandelt wurden, zu dem die Versammlungen informiert worden wären, wenn der Aufsichtsrat seiner Einberufungspflicht fristgerecht nachgekommen wäre.69 Diese Entscheidungen lassen sich jedoch nicht auf die Wissenszurechnung bei der Aktiengesellschaft übertragen.70 Denn die Zurechnung beruhte hauptsächlich darauf, dass der Aufsichtsrat die ihm bekannt gewordenen Tatsachen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würden, nicht in angemessen kurzer Zeit an das zuständige Gremium weitergeleitet hatte.71 Bei der Aktiengesellschaft ist es aber nicht die Hauptversammlung, sondern der Aufsichtsrat selbst, der nach § 84 Abs. 3 AktG über den Widerruf der Bestellung eines Vorstandsmitglieds und somit auch über die Kündigung seines Dienstvertrags entscheidet.72 Es geht also um Fälle, in denen eine Zurechnung aus dem Aufsichtsrat in Rede steht, ohne dass dieser noch ein weiteres Organ in Kenntnis setzen muss. Für solches Wissen, das im Aufsichtsrat vorliegt, kommen grundsätzlich zwei Wege der Zurechnung in Betracht. Einerseits ist eine organisationsbasierte Zurechnung denkbar, indem die dem Aufsichtsrat bekannten Informationen der Gesellschaft ebenso zugerechnet werden wie alle übrigen Informationen, die sich in ihrem Wissensorganisationssystem befinden oder bei sorgfältiger Speicherung darin befinden würden (unter 1.). Andererseits könnte man das Wissen von Aufsichtsratsmitgliedern aber auch – wie das der für die Gesellschaft handelnden Vorstandsmitglieder – direkt zurechnen (unter 2.).
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Vgl. Koch, ZIP 2015, 1757 (1758). BGH, WM 1984, 1120 (zur Genossenschaft), BGHZ 139, 89 (zur GmbH). 69 BGH, WM 1984, 1120 juris-Rn. 21 f., BGHZ 139, 89 juris-Rn. 7. 70 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (806 f.), Koch, ZIP 2015, 1757 (1766). 71 Koch, ZIP 2015, 1757 (1766). 72 Allg.M., siehe nur MüKoAktG-Spindler, § 84 Rn. 166, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rn. 48, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rn. 146 m. w. N. 68
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
1. Zurechnung im Rahmen der Wissensorganisation Gemäß den oben herausgearbeiteten Grundprinzipien der organisationsbasierten Wissenszurechnung sind Gegenstand der Wissenszurechnung all jene Informationen, die innerhalb der Gesellschaft weiterzuleiten und zu speichern sind, sodass ihre Verfügbarkeit gesichert ist. Die Einrichtung und Unterhaltung dieser Wissensorganisation fällt in den Aufgabenbereich des Vorstands.73 Die Zurechenbarkeit einer Information hängt also maßgeblich davon ab, ob sie dem Vorstand bei Ausschöpfung seiner ihm im Rahmen der Leitungsbefugnisse zustehenden Organisationsherrschaft zugänglich gemacht werden kann.74 Demnach kommt eine Wissenszurechnung nur in Betracht, wenn der Wissensträger verpflichtet ist, ihm bekannte Informationen an den Vorstand weiterzugeben und der Vorstand berechtigt ist, die Informationen von ihm zu verlangen und die Einhaltung der Informationsorganisation im Allgemeinen zu kontrollieren.75 a) Verschwiegenheitspflicht Fraglich ist zunächst, ob die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht, der die Mitglieder des Aufsichtsrats unterliegen, die Zurechnung von Kenntnissen des Aufsichtsrats hindern kann. Wie oben festgestellt, scheidet die Wissenszurechnung dann aus, wenn die Weiterleitung einer Information aufgrund einer Verschwiegenheitspflicht untersagt ist.76 Hierbei ist nach der Herkunft der Information zu differenzieren: Eine Verschwiegenheitspflicht kommt zum einen in Betracht, wenn das jeweilige Aufsichtsratsmitglied sein Wissen außerhalb seiner Tätigkeit für die Emittentin erlangt hat (unter aa)). Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Verschwiegenheitspflicht einer Weitergabe von Informationen auch innerhalb der Emittentin entgegenstehen kann (unter bb)). aa) Extern erlangtes Wissen Praktisch relevant ist vor allem die Fallkonstellation, dass eine Person nicht nur Mitglied des Aufsichtsrats der Emittentin ist, sondern darüber hinaus auch (Aufsichts-)Gremien weiterer Gesellschaften angehört (sog. Doppelorganschaft), in Bezug auf welche ihr Tatsachen zur Kenntnis kommen können.77 Grundsätzlich sind Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 116 S. 2, S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG zur 73 Verse, AG 2015, 413 (417), Koch, ZIP 2015, 1757 (1761), Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1473). 74 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (392), siehe auch B.I.1.b)aa)(1). 75 Vgl. Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (74). 76 Siehe dazu B.I.1.b)bb)(2). 77 Zu der Wissenszurechnung zwischen Konzerngesellschaften E.II.1.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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Verschwiegenheit über die Angelegenheiten der Gesellschaft verpflichtet. Diese Verschwiegenheitspflicht besteht stets gegenüber derjenigen Gesellschaft, von der das vertrauliche Wissen stammt.78 In der Rechtsprechung und Literatur besteht seit der „Prokuristen-Entscheidung“ des BGH Einigkeit darüber, dass eine gesellschaftsübergreifende Wissenszurechnung ausscheiden muss, sofern ein Wissensträger eine Information in einem Kontext erlangt hat, in dem er einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt.79 Daher war in dem entschiedenen Fall einer Direktbank das Wissen nicht zurechenbar, welches ihr Prokurist als Aufsichtsratsmitglied einer anderen Aktiengesellschaft erlangt hatte. Von einem Organmitglied kann nicht verlangt werden, eine Information für die Aufsichtsratsarbeit zu nutzen oder organintern weiterzuleiten, wenn dies einen Verstoß gegen eine ihm obliegende Verschwiegenheitspflicht darstellt.80 Der Senat hat dies damit begründet, dass die Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds von besonderer Wichtigkeit ist, denn sie bildet die unverzichtbare Grundlage für die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat.81 Andernfalls müsste sich das Aufsichtsratsmitglied entscheiden, ob es entweder die Verschwiegenheitspflicht gegenüber der einen oder die Wissensorganisationspflicht gegenüber der anderen Gesellschaft verletzt.82 Diese Pflichtenkollision wird dadurch vermieden, dass der Verschwiegenheitspflicht Vorrang gegenüber der Wissensorganisation eingeräumt wird. Sie ist das Gegenstück zu den umfassenden Informationsrechten des Aufsichtsrats.83 Daher muss der Vorstand sichergehen können, dass die vertraulichen Informationen, die er gemäß § 90 Abs. 1 AktG an den Aufsichtsrat zu übermitteln verpflichtet ist, auch bei diesem bleiben und nicht an andere Gesellschaften weitergegeben werden. Anderenfalls wäre die Hauptversammlung bei der Besetzung des Aufsichtsrats gezwungen, Kandidaten zu wählen, welche möglichst aus keiner anderen Quelle Wissen beziehen können, das zum Nachteil der AG zugerechnet werden könnte.84 Dies würde jedoch der Wertung des § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG widersprechen, welcher ausdrücklich von der Möglichkeit der Mitgliedschaft in mehreren Aufsichtsräten ausgeht. Dadurch ist die Pflichtenkollision durch mehrfache Organstellung im Gesetz selbst angelegt.85 Die 78 Verse, AG 2015, 413 (414), Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1470 f.), GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 233. 79 BGH, WM 2016, 1031 Rn. 30 ff. – Prokurist; siehe dazu bereits B.I.1.b)bb)(2). 80 Verse, AG 2015, 413 (418), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 98, Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1470). 81 BGH, WM 2016, 1031 Rn. 32 – Prokurist; ebenso Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1471), Wilsing/Kleemann, BB 2016, 1425. 82 Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1471), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (330), Wilsing/ Kleemann, BB 2016, 1425. 83 Vgl. BT-Drs. 14/8769, S. 18. 84 Verse, AG 2015, 413 (418), Koch, ZIP 2015, 1757 (1761). 85 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (808), Koch, ZIP 2015, 1757 (1762).
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
hohe Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht wird zudem daran deutlich, dass sie zu den Vorschriften des zwingenden Rechts gehört und dass ihre Verletzung in § 404 AktG strafbewehrt ist.86 Auch das OLG Celle geht in seiner Entscheidung zur gescheiterten Übernahme der Volkswagen AG durch die Porsche SE davon aus, dass im Falle einer Doppelorganschaft keine wechselseitige Zurechnung erfolgt.87 In dem dort entschiedenen Fall ging es darum, ob VW das Wissen von Ferdinand Piëch über die bevorstehende Übernahme zugerechnet werden konnte, weil dieser nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender von VW, sondern auch Mitglied des Aufsichtsrats von Porsche war. Der Senat hat diese Frage unter Verweis auf die Vertraulichkeit verneint, zu der Piëch gegenüber Porsche verpflichtet war.88 Somit kann einer Aktiengesellschaft Wissen, das die Mitglieder ihres Aufsichtsrats im Rahmen eines anderweitigen (Aufsichtsrats-)Mandats erlangt haben und das daher einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt, nicht zugerechnet werden. bb) Verschwiegenheitspflicht innerhalb einer Gesellschaft Darüber hinaus könnte die Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds auch die Wissenszurechnung innerhalb derselben Gesellschaft hindern. Assmann geht davon aus, dass die Kenntnisse von Aufsichtsratsmitgliedern der Emittentin aufgrund ihrer aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht nicht zurechenbar seien.89 Vor allem Insiderinformationen in Bezug auf Personalmaßnahmen würden der Vertraulichkeit unterliegen.90 Daher sei für eine gegenläufige Pflicht, diese Informationen in die Wissensorganisation der Gesellschaft einzuspeisen, kein Raum.91 Somit bestehe keine Pflicht der Emittentin, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen und es bedürfe demzufolge auch keiner Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat.92 Für die Frage, ob die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 116 S. 2, S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG die Zurechnung zur Emittentin hindern kann, kommt es darauf an, ob sie auch gegenüber dem Vorstand besteht. Ein Teil der Literatur geht davon aus, die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats bestehe gegenüber jedermann, der nicht Teil des Aufsichtsrats ist, also auch
86 BGH, WM 2016, 1031 Rn. 35 – Prokurist, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 68, BuckHeeb, AG 2015, 801 (811), Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540 (2542). 87 OLG Celle, BeckRS 2011, 141384. 88 OLG Celle, BeckRS 2011, 141384 Rn. 28. 89 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 57. 90 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 57. 91 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 58. 92 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 95.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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gegenüber dem Vorstand.93 Aufgrund der Verweisung in § 116 S. 1 AktG auf § 93 Abs. 1 S. 3 AktG sei der Verschwiegenheitsmaßstab des Vorstands auf den Aufsichtsrat zu übertragen.94 Dieser ist zur Verschwiegenheit gegenüber jedermann verpflichtet, sofern keine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung bestimmter Tatsachen besteht.95 Im Verhältnis von Vorstand zu Aufsichtsrat enthält § 90 Abs. 1 AktG eine solche Pflicht; in der Gegenrichtung fehlt sie jedoch. Zwar erkennt diese Ansicht die für den Vorstand entwickelten Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht auch für den Aufsichtsrat an. Hierzu zählen gesetzliche Auskunftspflichten, die Unzumutbarkeit der Verschwiegenheit für das betroffene Organmitglied und die Offenbarung einer Tatsache im Gesellschaftsinteresse.96 Diese Ausnahmetatbestände sind allerdings bei Insiderinformationen, die dem Aufsichtsrat vorliegen, nicht einschlägig. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht als gesetzliche Veröffentlichungspflicht berechtigt nur zur Offenlegung von Insiderinformationen gegenüber dem Kapitalmarkt und würde keine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Vorstand rechtfertigen.97 Denn Adressatin der Pflicht ist die Emittentin und nicht der Aufsichtsrat oder seine Mitglieder. Daher wäre die Einhaltung der Verschwiegenheit auch nicht als unzumutbar anzusehen, denn ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied trifft – anders als etwa im Strafprozess – keine persönliche Auskunftspflicht. Schließlich kommt auch keine Befreiung im Gesellschaftsinteresse in Betracht, um eine Schadensersatzhaftung in Form von §§ 97, 98 WpHG abzuwenden, denn die Pflicht zur Veröffentlichung einer Insiderinformation würde überhaupt erst durch die Zurechnung von Aufsichtsratswissen entstehen, welche ihrerseits nur aufgrund der Durchbrechung der Verschwiegenheit möglich wäre.98 Wenn also die Verschwiegenheitsverpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder auch gegenüber dem Vorstand bestehen würde, würde sie auch für Insiderinformationen gelten. Die herrschende Meinung nimmt jedoch zurecht an, dass den Aufsichtsrat grundsätzlich keine Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Vorstand trifft.99 Sie besteht vielmehr gegenüber solchen Personen, die nicht zu den Organen der Ge93
Veil, ZHR 172 (2008), 239 (244), Bank, NZG 2013, 801 (802). So wohl Bank, NZG 2013, 801 (802) Fn. 7 unter Verweis auf die Kommentarliteratur zu § 93 AktG. 95 Statt aller: K. Schmidt/Lutter-Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rn. 26, MüKoAktG-Spindler, § 93 Rn. 141 ff., Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 167, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rn. 31. 96 Bank, NZG 2013, 801 (802 f.), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 10, Spindler/StilzSpindler, AktG, § 116 Rn. 115 f., siehe auch MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 61 ff. 97 Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540 (2541 f.), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (330). 98 Vgl. Buck-Heeb, AG 2015, 801 (808). 99 MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 59, Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (327), K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rn. 38, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 106, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (407), GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 237, KK-AktG-Mertens/ Cahn, § 116 Rn. 58, Buck-Heeb, FS Grunewald (2021), S. 113 (128 f.). 94
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sellschaft gehören, wie Aktionären, Arbeitnehmern oder Geschäftspartnern.100 Eine Ausnahme gilt nur gemäß §§ 394, 395 AktG für Vertreter von Gebietskörperschaften.101 Der Aufsichtsrat kann jedoch in Einzelfällen dazu verpflichtet sein, bestimmte Gegenstände der Aufsichtsratsarbeit vertraulich zu behandeln, wenn ein besonderes Bedürfnis für Geheimhaltung besteht, etwa im Zusammenhang mit dem Inhalt von Anstellungsverträgen einzelner Vorstandsmitglieder, der Geltendmachung von Ersatzansprüchen oder dem Inhalt und Verlauf kontroverser Beratungen des Aufsichtsrats.102 Für diese Sichtweise spricht, dass die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats die nötige Vertraulichkeit der Informationen, die der Aufsichtsrat vom Vorstand erhält, sicherstellen und so eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine unbefangene Beschlussfassung gewährleisten soll.103 Im Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand ist sie daher nicht erforderlich.104 Außerdem sind Vorstand und Aufsichtsrat zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit angehalten.105 Als Gegenstück zu der Berichtspflicht des Vorstands gemäß § 90 Abs. 1 AktG ist daher auch eine gewisse Offenheit des Aufsichtsrats in für die Gesellschaft relevanten Angelegenheiten angezeigt.106 Der Aufsichtsrat sollte daher die Möglichkeit haben, stets Informationen an den Vorstand weiterzuleiten, wenn er sie mit dem Vorstand besprechen möchte oder es aus anderen Gründen für zweckdienlich hält. Im Übrigen übersieht die Ansicht, die von einer Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand ausgeht, das Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats.107 Im Rahmen seiner Angelegenheiten darf der Aufsichtsrat selbst über ihre Geheimhaltung bestimmen und folglich auch entscheiden, ob und wann er bestimmte Informationen dem Vorstand oder der Öffentlichkeit preisgibt.108 Selbst
100 BGH, WM 2016, 1031 Rn. 32 – Prokurist, OLG München, WM 2015, 2139 Rn. 40, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 59, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 116 Rn. 68. 101 Siehe dazu Schmolke, WM 2018, 1913. 102 MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 59, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rn. 38, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 106, GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 238, HöltersHambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 116 Rn. 68, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 116 Rn. 58. 103 BGH, WM 2016, 1031 Rn. 32 – Prokurist, GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 190, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 52, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 99, Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1471), Wilsing/Kleemann, BB 2016, 1425. 104 Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1473). 105 GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 237, Marsch-Barner/Schäfer-Arnold, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 19.107, Semler, NZG 2013, 771 (776), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (47); siehe auch Grds. 13 DCGK. 106 GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 237, Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1473). 107 Siehe dazu BGHZ 83, 106 (114) – Siemens, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 17, GKAktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 75 f. 108 BGH, NZG 2012, 777 (780) Rn. 40, BGH, NZG 2013, 456 (459) Rn. 30, KK-AktGMertens/Cahn, § 116 Rn. 47 f., Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 102, Hüffer/KochKoch, AktG, § 116 Rn. 10.
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wenn also eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand bestünde, könnte sich der Aufsichtsrat gegebenenfalls davon befreien. Mithin besteht richtigerweise keine Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Vorstand. Daher kann diese auch der Zurechnung von Kenntnissen des Aufsichtsrats über Insiderinformationen nicht entgegenstehen. b) Pflicht zur Informationsweitergabe an den Vorstand Auch wenn der Aufsichtsrat also nicht zur Verschwiegenheit gegenüber dem Vorstand verpflichtet ist, bedeutet dies noch nicht, dass seine Kenntnisse bzw. die seiner Mitglieder der Gesellschaft zugerechnet werden können. Denn es muss dem Aufsichtsrat nicht nur erlaubt sein, Informationen an den Vorstand weiterzuleiten oder in die Wissensorganisation der Gesellschaft einzuspeichern, sondern er muss hierzu auch verpflichtet sein, damit sein Wissen der Gesellschaft zugerechnet werden kann. Hierfür müsste eine entsprechende Informationsweiterleitungspflicht bestehen. Zwar könnte man daran denken, eine solche Offenlegungspflicht aus der Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand oder der Verpflichtung beider Organe auf das Unternehmensinteresse herzuleiten.109 Vorstand und Aufsichtsrat nehmen gewisse Aufgaben gemeinsam wahr, etwa die Vorbereitung von Beschlussvorschlägen nach § 124 Abs. 3 AktG, die Vertretung der Gesellschaft bei Anfechtungsklagen nach § 246 Abs. 2 S. 2 AktG oder die Abgabe der Entsprechenserklärung mit dem DCGK nach § 161 AktG. Insofern bedarf es einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der beiden Organe, die auch einen gegenseitigen Informationsaustausch erfordert. Daher könnte die organschaftliche Treuepflicht des Aufsichtsrats auch eine Verpflichtung begründen, an dem Wissensorganisationssystem der Gesellschaft teilzunehmen.110 Außerdem beinhaltet die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats nach heutigem Verständnis auch die zukunftsgerichtete Beratung des Vorstands in Bezug auf die Unternehmensstrategie und -planung.111 Auch aufgrund dieser Beratungspflicht könnte ein reziproker Informationsfluss geboten sein.112
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So Nietsch, ZGR 2020, 923 (946), Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 217 ff., Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (47), vgl. auch Buck-Heeb, AG 2015, 801 (809). 110 Engelhardt, Wissensverschulden, S. 128 f., 130 f., so scheinbar auch Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 197: „Diese Pflicht zur unverzüglichen Information des Vorstands ist nicht nur eine gesellschafts-, sondern auch eine kapitalmarktrechtliche Vorgabe [Hervorhebung des Verfassers].“ 111 Hopt, ZGR 2019, 507 (523), MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 12, 50, Semler/ v. Schenck-Schütz, Aufsichtsrat, § 111 Rn. 340, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 10; vgl. auch Grds. 2, 6 und 13 DCGK. 112 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (808).
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Auf den ersten Blick erscheint es in der Tat mit der Treuepflicht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand und der Gesellschaft nicht vereinbar, Kenntnisse bewusst zurückzuhalten, von denen der Aufsichtsrat weiß, dass sie für die Arbeit des Vorstands relevant sind.113 Denn auch der Aufsichtsrat trägt eine nicht von der Hand zu weisende Mitverantwortung für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft.114 Durch ein Verschweigen ihm bekannter Informationen würde er die Arbeit des Vorstands erschweren und es bestünde die Gefahr, dass aufgrund des Umstands, dass gewisse Tatsachen dem Vorstand bei seiner Entscheidungsfindung nicht zur Verfügung stehen, ein Nachteil für die Gesellschaft entsteht. Die Grundsätze der aktienrechtlichen Kompetenzordnung sprechen jedoch gegen eine Offenlegungspflicht seitens des Aufsichtsrats. Dieser wird in § 111 Abs. 1 AktG eindeutig als das Überwachungsorgan des Vorstands klassifiziert. Anders als die Mitarbeiter der Gesellschaft unterliegt der Aufsichtsrat also nicht der Organisationshoheit des Vorstands.115 Ein verpflichtender Informationsfluss kann jedoch stets nur vom Überwachten zum Überwacher bestehen, nicht umgekehrt.116 Als Überwacher darf der Aufsichtsrat dem Überwachten also nicht zur Auskunft verpflichtet sein; ebenso wenig darf der Überwachte einen Auskunftsanspruch gegen seinen Überwacher haben. Anderenfalls hätte der Vorstand ein Druckmittel gegen das Auskunftsverlangen des Aufsichtsrats in der Hand und das Kompetenzverhältnis der beiden Organe würde geradezu in sein Gegenteil verkehrt werden. Auch die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats als Kontrollorgan drohte untergraben zu werden.117 Die herrschende Meinung geht konsequenterweise auch davon aus, dass der Aufsichtsrat nicht verpflichtet ist, die Protokolle seiner Sitzungen an den Vorstand weiterzugeben.118 Der Aufsichtsrat ist also nur insoweit verpflichtet, an der Einhaltung der Rechtspflichten der Gesellschaft mitzuwirken, als er den Vorstand hierbei überwacht und bei Bedarf einschreitet.119 Er selbst muss jedoch keine Maßnahmen dazu ergreifen oder dem Vorstand die hierzu erforderlichen Informationen verschaffen. Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat also aufgrund seiner Stellung als Überwachungsorgan nicht in die Wissensorganisation des Vorstands eingegliedert. Der Vorstand ist daher nicht berechtigt, von ihm die Weitergabe von Informationen zu 113
Vgl. Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (75) Fn. 44. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 75. 115 Verse, AG 2015, 413 (417), Koch, ZIP 2015, 1757 (1762), Werner, WM 2016, 1474 (1476 f.). 116 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123). 117 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (808). 118 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rn. 16, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 71, Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 107 Rn. 22, GK-AktG-Hopt/Roth, § 107 Rn. 267; a. A. KK-AktG-Mertens/Cahn, § 107 Rn. 92. 119 Blassl, WM 2017, 992 (994), Reichert/Ott, NZG 2014, 241 (242), Spindler/StilzSpindler, AktG, § 107 Rn. 142, Seibt/Cziupka, AG 2015, 93 (95), Lutter, FS Hüffer (2010), S. 617 ff. 114
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verlangen und hat keine Möglichkeit, die Einhaltung der Wissensorganisationspflichten durch den Aufsichtsrat zu überwachen.120 Daher kann ihm auch nicht der Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis gemacht werden, der die Wissenszurechnung begründet.121 Hierfür spricht auch ein Vergleich mit dem in der Hauptversammlung vorhandenen Aktionärswissen: Es ist unstreitig, dass die Aktionäre keiner Informationsweiterleitungspflicht an den Vorstand unterliegen und ihr Wissen daher der Gesellschaft nicht zugerechnet wird.122 Dies verdeutlicht, dass es für die Wissenszurechnung stets auf einen organisatorischen Informationszugriff ankommt. Zudem bedarf es in Bezug auf die im Aufsichtsrat vorhandenen Kenntnisse keiner Wissenszurechnung, um die Nachteile auszugleichen, die durch die Schaffung einer arbeitsteiligen Organisation entstehen können, sodass der Geschäftspartner einer juristischen Person nicht schlechter gestellt ist als der einer natürlichen Person. Zum einen besteht schon zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstand keine echte Arbeitsteilung, weil der Aufsichtsrat nur eine Überwachungs- und Beratungsfunktion innehat und daher nicht an dem Geschäftsbetrieb des Unternehmens mitwirkt.123 Zum anderen wurden die Organe der Aktiengesellschaft nicht aus ökonomischen Gründen gewählt. Vielmehr ist die Aufteilung in Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung gesetzlich vorgegeben.124 Somit ist das im Aufsichtsrat vorhandene Wissen der Organisationsherrschaft des Vorstands und damit auch der organisationsbasierten Zurechnung von vorneherein entzogen. Dies schließt freilich nicht aus, dass der Gesellschaft Informationen zugerechnet werden, von denen der Vorstand entweder tatsächlich Kenntnis genommen hat oder die ihm der Aufsichtsrat freiwillig zur Verfügung gestellt hat.125 Eine solche Sichtweise steht nicht im Widerspruch zu den oben genannten Entscheidungen des BGH, denn dort stand die Weiterleitung von Informationen an eine General- oder Gesellschafterversammlung in Rede, welche – anders als der Vorstand – nicht vom Aufsichtsrat überwacht wird.
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Buck-Heeb, AG 2015, 801 (808), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123), BuckHeeb, WM 2016, 1469 (1473), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (328), ausführlich Buck-Heeb, FS Grunewald (2021), S. 113 (123 ff.). 121 Koch, ZIP 2015, 1757 (1762), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (74), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123). 122 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (808), Koch, ZIP 2015, 1757 (1761), Werner, WM 2016, 1474 (1477). 123 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123). 124 Buck-Heeb, WM 2016, 1469 (1473), Werner, WM 2016, 1474 (1476), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (807). 125 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (329).
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c) Zwischenergebnis Die Einbindung des Aufsichtsrats in die Wissensorganisation der Emittentin kommt aufgrund seiner Sonderstellung als Überwachungsorgan nicht in Betracht. Da der Vorstand keine Organisationshoheit über den Aufsichtsrat hat, kann er diesen nicht verpflichten, seine Kenntnisse in die Wissensorganisation der Gesellschaft einzuspeisen. Somit können sie der Emittentin auch nicht zugerechnet werden. Das gilt auch für Insiderinformationen, die im Aufsichtsrat bekannt sind. Das Informationsinteresse des Kapitalmarkts muss in diesem Fall hinter der Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung zurücktreten.
2. Direkte Wissenszurechnung Stattdessen kommt aber eine direkte Zurechnung des Aufsichtsratswissens, entsprechend der Zurechnung von Vorstandswissen, in Frage. Denn in Situationen, in denen der Vorstand für die Aktiengesellschaft tätig wird, bedarf es keiner Weiterleitung oder Speicherung der ihm bekannten Informationen. Vielmehr werden der Gesellschaft alle Informationen unmittelbar zugerechnet, die den handelnden Vorstandsmitgliedern in dieser Situation bekannt sind oder bekannt sein müssen.126 Auf etwaige Verschwiegenheitspflichten kommt es hierbei nicht mehr an.127 Im Folgenden ist zunächst zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen eine solche direkte Wissenszurechnung auch für den Aufsichtsrat in Betracht kommt (unter a)). Im Anschluss sind die Einzelheiten der Zurechnung zu klären, und zwar erstens, ob bereits die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds der Gesellschaft zuzurechnen ist oder ob es hierfür der Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder bedarf (unter b)), und zweitens, ob auch privat erlangtes Wissen von der direkten Zurechnung erfasst ist (unter c)). a) Anwendungsbereich der direkten Zurechnung Im Regelfall kommt eine direkte Zurechnung des Wissens der Mitglieder des Aufsichtsrats nicht in Betracht. Denn der Aufsichtsrat ist ein primär intern wirkendes Kontrollorgan, das nur in Ausnahmefällen zur Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis berechtigt ist. Er ist kein Teil der Geschäftsführung und nimmt in der Regel auch keine geschäftsführenden Tätigkeiten wahr.128 Daher hat der Aufsichtsrat auch keinen direkten Einfluss auf einzelne unternehmerische Entscheidungen.129 Er 126
Siehe dazu B.I.1.b)aa)(1). Vgl. Koch, ZIP 2015, 1757 (1760). 128 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), Werner, WM 2016, 1474 (1476), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123). 129 Engelhardt, Wissensverschulden, S. 127, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123). 127
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kann sie zwar – auch ad hoc – seiner Zustimmung unterwerfen, aber keine eigenen Beschlussvorschläge machen und dadurch bestimmte Maßnahmen initiieren. Insofern kann der Aufsichtsrat das ihm zur Verfügung stehende Wissen nicht unmittelbar ausnutzen und es besteht keine Gefahr, dass der Gesellschaft aufgrund bestimmter Informationen Vorteile zugutekommen, ohne dass sie sich dieses Wissen auch zu ihrem Nachteil entgegengehalten lassen müsste. Die Stellung des Aufsichtsrats innerhalb der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft ist also nicht mit derjenigen des Vorstands vergleichbar. Zudem ist bereits in der Rechtsnatur des Aufsichtsrats angelegt, dass dieser weniger dem Interesse allein einer Gesellschaft verpflichtet ist als der Vorstand, da die meisten Aufsichtsratsmitglieder nicht nur ein solches Amt innehaben, sondern oftmals in mehreren Aufsichtsorganen tätig sind. Dieser Nebenamtscharakter spricht ebenfalls grundsätzlich gegen eine unmittelbare Zurechnung von Aufsichtsratswissen.130 Schließlich werden solche Mehrfachmandate von § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG ausdrücklich gebilligt. Diese Argumente, die grundsätzlich gegen eine unmittelbare Zurechnung von Aufsichtsratswissen sprechen, fußen darauf, dass der Aufsichtsrat ein Innenorgan ist, das im Regelfall nicht geschäftsführungsbefugt ist. Sie können daher konsequenterweise nicht greifen, wenn es um die Zurechnung von Wissen aus dem originären Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats geht. Die herrschende Meinung nimmt zurecht an, dass das Wissen des Aufsichtsrats der Gesellschaft zugerechnet werden kann, wenn der Aufsichtsrat für den Rechtsakt, um den es geht, zuständig ist und ihm hierfür eine partielle Geschäftsführungsbefugnis zugewiesen ist.131 Denn insofern unterscheidet sich das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsrat nicht von demjenigen zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand.132 Auch der BGH hat den gemäß § 112 AktG vertretungsberechtigten Aufsichtsrat mit dem Vorstand gleichgestellt.133 Daher ist nach einem Teil der Literatur für die Zurechnung erforderlich, dass der Aufsichtsrat innerhalb seines Pflichtenkreises auch die Vertretung der Aktiengesellschaft wahrnimmt.134 Diese Fixierung auf die Vertretungsmacht offenbart sich jedoch – wie auch anhand der Verweise in der genannten Entscheidung deutlich wird – als ein Überbleibsel der überholten Organtheorie. In Bezug auf die organisationsbasierte Wissenszurechnung kommt es jedoch nicht mehr auf die Kenntnis einer Person an, die im Außenverhältnis zur Entgegennahme von Informationen für die Gesellschaft bestimmt sind, sondern nur 130 Koch, ZIP 2015, 1757 (1761), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (807), Engelhardt, Wissensverschulden, S. 127 f. 131 MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rn. 7, BuckHeeb, WM 2016, 1469, Koch, ZIP 2015, 1757 (1762), Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (377), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (327), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123). 132 Vgl. KK-AktG-Mertens/Cahn, § 112 Rn. 34. 133 BGHZ 41, 282 (287) juris-Rn. 20. 134 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (327).
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noch darauf, dass diese Information bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation innerhalb der Gesellschaft weitergeleitet und abrufbar gespeichert wird. Daher ist nunmehr entscheidend, dass sich das Wissen des Aufsichtsrats auf eine Maßnahme bezieht, die zu seinem originären gesetzlichen Aufgabenbereich gehört, und weniger, dass der Aufsichtsrat in Bezug auf diese Aufgaben auch vertretungsberechtigt ist.135 Wenn darüber hinaus etwa die gesetzlich verankerte Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG gegeben ist, stärkt dies seine Position als Wissensträger. Im Ergebnis findet im Regelfall keine direkte Zurechnung von Aufsichtsratswissen zur Aktiengesellschaft statt. Diese kommt nur in Betracht, wenn der Aufsichtsrat innerhalb seines originären Aufgabenbereichs tätig wird und hierzu geschäftsführungsbefugt ist. b) Kenntnis des Gesamtorgans Hieraus ergibt sich die Frage, ob bereits die Kenntnis jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds der Gesellschaft zuzurechnen ist oder ob erst dann die Kenntnis des vertretungsberechtigten Aufsichtsrats vorliegt, wenn die entsprechende Information allen Aufsichtsratsmitgliedern bekannt ist. Die ältere Rechtsprechung ging auf der Grundlage der Organtheorie davon aus, dass bereits die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds genüge, denn dieser zufolge war das Wissen der Organperson unmittelbar als Wissen der juristischen Person anzusehen.136 Zum Teil wird hierfür auch heute noch der Rechtsgedanke der Einzelpassivvertretung angeführt, welcher in § 112 S. 2 AktG für den Aufsichtsrat zum Ausdruck kommt und den Schutz eines mit den Strukturen der Gesellschaft nicht vertrauten Dritten bezweckt.137 Eine vermittelnde Ansicht stellte hingegen schon damals auf die Person des Aufsichtsrats- oder eines Ausschussvorsitzenden ab.138 Hierfür spreche die herausgehobene Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden,139 welche unter anderem in §§ 90 Abs. 1 S. 3, Abs. 5 S. 3, 80 Abs. 1, 184 Abs. 1, 223 AktG zum Ausdruck kommt. Diese Ansicht berief sich zudem darauf, dass einzelne Aufsichtsratsmitglieder 135
Nietsch, ZGR 2020, 923 (940 f.), MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, Hüffer/KochKoch, AktG, § 112 Rn. 7, Buck-Heeb, WM 2016, 1469, Koch, ZIP 2015, 1757 (1762). 136 BGH, WM 1990, 1028 juris-Rn. 18, BGHZ 41, 282 (287) juris-Rn. 20 m. w. N., wohl auch BGH NJW 2019, 3718 Rn. 26, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (408); siehe zur Organtheorie B.I.1.a). 137 Bürgers/Körber/Lieder-Bürgers/Fischer, AktG, § 112 Rn. 7, Lüders, BB 1990, 790 (795). 138 KK-AktG-Mertens/Cahn, § 84 Rn. 178, § 112 Rn. 34, § 107 Rn. 60, siehe auch GKAktG-Hopt/Roth, § 112 Rn. 88 und Wiesner, BB 1981, 1533 (1538), die jedoch zwischen Zugang, Kenntnis und einem etwaigen Fristbeginn differenzieren; tendenziell auch Goette/ Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 108. 139 GK-AktG-Hopt/Roth, § 112 Rn. 88, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 84 Rn. 178.
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grundsätzlich nicht zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt seien und nur eine passive Vertretungsbefugnis des Aufsichtsratsvorsitzenden gewohnheitsrechtlich anerkannt sei.140 Durch die Einführung des § 112 S. 2, welcher das Prinzip der Einzelpassivvertretung auch für den Aufsichtsrat anordnet, wurde dieser Argumentation jedoch der Boden entzogen. Mittlerweile geht die überwiegende Meinung zurecht davon aus, dass grundsätzlich die Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder erforderlich ist, um Kenntnis des Organs zu begründen.141 Als Argument hierfür wird vor allem der Charakter des Aufsichtsrats als Kollegialorgan angeführt.142 Gemäß § 108 Abs. 1 AktG wird der Aufsichtsrat grundsätzlich in Form von Beschlüssen tätig, die im Plenum getroffen werden. Dies ist maßgeblich, weil im Unterschied zu der passiven Vertretungsmacht nach § 112 S. 2 AktG nicht nur eine Mitteilung der Gesellschaft zugehen soll, sondern eine Entscheidung durch das Organ getroffen werden muss.143 Der Aufsichtsrat ist also grundsätzlich nur als Gesamtgremium handlungsfähig.144 Zudem folgt aus § 90 Abs. 3 AktG, dass die Kontrollrechte des Aufsichtsrats diesem nur insgesamt, nicht aber jedem Mitglied einzeln zustehen.145 Dieser kollegiale Charakter der Arbeitsweise und die Gesamtvertretungsmacht des Aufsichtsrats können – anders als beim Vorstand – auch grundsätzlich nicht abbedungen werden.146 Eine Ausnahme hiervon gilt jedoch für die Bildung von Ausschüssen nach § 107 Abs. 3 AktG. Aufgrund der gestiegenen Menge und Komplexität der Aufsichtsratsaufgaben werden diese immer häufiger auch beschließenden Ausschüssen anvertraut. Zwar enthält § 107 Abs. 3 S. 7 AktG gewisse Delegationsverbote. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass auch in diesen Angelegenheiten vorbereitende oder ausführende Tätigkeiten auf einen Ausschuss verlagert werden dürfen.147 In einem solchen Fall wäre es widersprüchlich, wenn ein Ausschuss erst das Plenum des 140
Wiesner, BB 1981, 1533 (1537 f.) m. w. N. BGH, NZG 2019, 1023 Rn. 29, BGH, ZIP 2001, 1957 (1958) juris-Rn. 11, OLG Frankfurt a. M., AG 2015, 37 Rn. 113, MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, Spindler/StilzSpindler, AktG, § 112 Rn. 42, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rn. 7, Nietsch, ZGR 2020, 923 (953 f.), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804 f.), Koch, ZIP 2015, 1757 (1766), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (327), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 333 in Fn. 604, wohl auch LeyendeckerLangner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (73) Fn. 17. 142 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rn. 71. 143 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 42. 144 Koch, ZIP 2015, 1757 (1766), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, siehe auch Buck, Wissen und juristische Person, S. 290. 145 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (805). 146 Koch, ZIP 2015, 1757 (1766), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), Flume, ZGR 2018, 928 (941), siehe auch Menkel, AG 2019, 330 (338), MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 24 m. zahlr. N. 147 KK-AktG-Mertens/Cahn, § 107 Rn. 176, GK-AktG-Hopt/Roth, § 107 Rn. 436, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 91, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 747, MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 159. 141
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Aufsichtsrats von einer bestimmten Tatsache in Kenntnis setzen müsste, um die Kenntnis der Gesellschaft zu begründen, obwohl er selbst befugt ist, die jeweilige Entscheidung zu treffen oder die Maßnahme vorzunehmen. Hierfür spricht auch die mit der Einrichtung von Ausschüssen beabsichtigte Effizienzsteigerung der Aufsichtsratsarbeit.148 Eine Entlastung des Plenums wäre nicht möglich, wenn jeder Ausschuss über die Berichtspflicht in § 107 Abs. 3 S. 8 AktG hinaus stets verpflichtet wäre, die beschlusserheblichen Tatsachen an den Gesamtaufsichtsrat weiterzuleiten. Somit kommt es für die Zwecke der Zurechnung auf die Kenntnis der jeweils zuständigen Gliederung des Aufsichtsrats an, also auf den jeweils zuständigen Ausschuss oder bei delegationsfesten Aufgaben auf den Gesamtaufsichtsrat. Die Fokussierung auf den Aufsichtsrats- oder Ausschussvorsitzenden bietet indes keinen Mehrwert, denn auch dieser ist nicht alleinentscheidungsbefugt, sondern lediglich verpflichtet, die Sitzung des Aufsichtsrats oder Ausschusses einzuberufen und dann die Informationen, die er empfangen hat, weiterzuleiten.149 Somit kann das Wissen eines Aufsichtsratsmitglieds der juristischen Person grundsätzlich erst dann zugerechnet werden, wenn die relevante Information in einer Sitzung des Aufsichtsrats oder des zuständigen Ausschusses vorgetragen oder anderweitig an diesen kommuniziert wurde. Daraus folgt die Pflicht jedes Aufsichtsratsmitglieds, relevantes Wissen unverzüglich an die anderen Aufsichtsratsmitglieder weiterzuleiten.150 Es obliegt jedem Mitglied, von dem Aufsichtsrats- oder Ausschussvorsitzenden die Einberufung einer Sitzung zu verlangen oder sogar von seinem Einberufungsrecht nach § 110 Abs. 2 AktG Gebrauch zu machen.151 Die Abwesenheit einzelner Mitglieder in der betreffenden Sitzung ist unerheblich, soweit der Aufsichtsrat in einer die Beschlussfähigkeit herstellenden Zahl zusammengetreten ist.152 Wird die Einberufung oder sonstige Weiterleitung der Information jedoch unterlassen, wird der Aufsichtsrat und damit die juristische Person dennoch als wissend behandelt.153
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Vgl. MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 159. Buck-Heeb, AG 2015, 801 (805), MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, Spindler/StilzSpindler, AktG, § 112 Rn. 42, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 112 Rn. 17, siehe auch OLG Frankfurt a. M., AG 2015, 37 Rn. 113. 150 Buck-Heeb, AG 2015, 801 (805), MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rn. 71, Engelhardt, Wissensverschulden, S. 130, Nietsch, ZGR 2020, 923 (956). 151 MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 27, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 42, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 112 Rn. 17, siehe auch Wiesner, BB 1981, 1533 (1539). 152 BGH, ZIP 1980, 896 juris-Rn. 9, zustimmend Wiesner, BB 1981, 1533 (1538 f.). 153 BGH, WM 1984, 1120 juris-Rn. 22 (zur Genossenschaft), BGHZ 139, 89 juris-Rn. 7 (zur GmbH), Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 42, Buck, Wissen und juristische Person, S. 290, Nietsch, ZGR 2020, 923 (956). 149
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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Der BGH versucht dieses Ergebnis über den Grundsatz von Treu und Glauben zu erreichen.154 Tatsächlich handelt es sich aber auch innerhalb des Aufsichtsrats um eine Wissenszurechnung: Wenn alle Organmitglieder verpflichtet sind, ihnen zugehende rechtserhebliche Tatsachen innerhalb des Gremiums zu organisieren, so handelt es sich im Grunde um dieselbe Organisationspflicht, die den Vorstand in Bezug auf die gesamte Gesellschaft trifft. Besonders deutlich wird dies anhand von Informationen, die für einen Fall der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG von Bedeutung sind, einem Aufsichtsratsmitglied jedoch zu einem Zeitpunkt zugehen, in dem dieser (noch) nicht vertretungsberechtigt ist. Hier ist auf Basis derselben ex ante-Betrachtung, die allgemein aufgrund der Wissensorganisationspflicht anzustellen ist, zu entscheiden, ob diese Information später relevant werden könnte und sie gegebenenfalls dergestalt zu speichern, dass auf sie zurückgegriffen werden kann, wenn hierzu ein Anlass besteht.155 Insofern dient auch innerhalb des Aufsichtsrats die Wissenszurechnung dazu, die Nachteile auszugleichen, welche durch die Aufspaltung auf mehrere, von Zeit zu Zeit wechselnde Organmitglieder entstehen können. Mithin gilt dasselbe wie für die Zurechnung innerhalb des Vorstands:156 Das Wissen eines Mitglieds bewirkt das Wissen des gesamten Organs, wenn eine Veranlassung besteht, die anderen Organmitglieder hierüber zu informieren oder dieses Wissen zu speichern. Dabei bedarf es nicht notwendigerweise einer treuwidrigen Verzögerung der Weiterleitung. Auch das Unterlassen der Einspeisung der Information in den Wissensspeicher des Aufsichtsrats oder das Versäumnis, diesen bei entsprechenden Anhaltspunkten zu konsultieren, können gemäß den allgemeinen Grundsätzen eine Wissenszurechnung begründen. Im Ergebnis kann also schon die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds von einer Information genügen, um diese dem Aufsichtsrat und damit der Gesellschaft zuzurechnen, sofern deren Bedeutung ex ante erkennbar war und daher ein Anlass bestand, sie organintern zu teilen oder zu speichern. c) Differenzierung nach Art der Wissenserlangung Schließlich ist danach zu fragen, ob es in Bezug auf die Informationen, die ein Aufsichtsratsmitglied mit dem Gesamtaufsichtsrat zu teilen verpflichtet ist, darauf ankommt, woher diese stammen. Fest steht jedenfalls, dass auch im Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats solches Wissen nicht an die anderen Aufsichtsratsmitglieder weiterzugeben und damit auch nicht zurechenbar ist, welches das Aufsichtsratsmitglied im Rahmen einer Organstellung für eine andere Gesellschaft oder aus sonstigen Quellen erlangt hat, 154 155 156
BGH, WM 1984, 1120 juris-Rn. 21, ebenso Buck, Wissen und juristische Person, S. 291. Vgl. Engelhardt, Wissensverschulden, S. 130. Siehe dazu B.I.1.b)aa)(1).
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
die einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen.157 Diese hindert nicht nur die Weitergabe an den Vorstand, sondern auch an andere Aufsichtsratsmitglieder.158 Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob auch solches Wissen von der organinternen Wissensorganisationspflicht erfasst ist, das zwar einen Bereich betrifft, für den der Aufsichtsrat zuständig ist, das ein Aufsichtsratsmitglied aber im privaten Umfeld erlangt hat. Bei Vorstandsmitgliedern ist privat erlangtes Wissen jedenfalls dann zuzurechnen, wenn das Vorstandsmitglied selbst an einem Rechtsgeschäft oder einer anderen Maßnahme beteiligt ist, bei der das privat erlangte Wissen relevant wird.159 Im Übrigen ist nach wohl überwiegender Ansicht jedes Vorstandsmitglied verpflichtet, ihm privat bekannt gewordene Informationen für die Gesellschaft nutzbar zu machen, wenn sie für das Unternehmen relevant sind und keine Persönlichkeitsrechte oder andere schützenswerte Rechtsgüter des wissenden Organmitglieds der Weitergabe entgegenstehen.160 Richtigerweise muss für die privaten Kenntnisse eines Aufsichtsratsmitglieds dasselbe gelten wie für diejenigen eines Vorstandsmitglieds. Wenn ein Aufsichtsratsmitglied über eine Information verfügt, die für die Arbeit des Aufsichtsrats, insbesondere die Überwachung des Vorstands, relevant ist, ist es verpflichtet, diese mit dem Gesamtaufsichtsrat zu teilen, damit sie bei seiner Beschlussfassung berücksichtigt werden kann, unabhängig davon, woher dieses Wissen stammt.161 Es ist mit der Treuepflicht des Aufsichtsratsmitglieds schlechterdings unvereinbar, eine Tatsache nicht innerhalb des Organs bekannt zu machen, welche für seine Aufgabenerfüllung maßgeblich sein kann. Ein eindeutiges Beispiel hierfür ist, wenn ein Aufsichtsratsmitglied privat und durch Zufall erfährt, dass ein Vorstandsmitglied in großem Stil Gelder der Gesellschaft veruntreut. Diese Information betrifft den originären Aufgabenbereich des Aufsichtsrats, unabhängig von ihrer Herkunft. Auch die Rechtsnatur des Aufsichtsratsamts als Nebenamt vermag keine andere Bewertung zu rechtfertigen. Daher können auch privat erlangte Kenntnisse zurechenbar sein. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das wissende Aufsichtsratsmitglied einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt oder wenn die Information die Privatsphäre des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds betrifft oder andere schützenswerte Rechtsgüter, wie Persönlichkeitsrechte eines Betroffenen, einer internen Weitergabe entgegenstehen. 157
Siehe C.II.1.a)aa). Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (408 f.), GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 194. 159 Sajnovits, WM 2016, 765 (771), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (326), Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (306), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 102, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 56, Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (376 f.). 160 Siehe B.I.1.b)bb)(3). 161 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (409, 427), Nietsch, ZGR 2020, 923 (958), Goette/ArnoldHitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 107, siehe auch K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rn. 71; a. A. Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (76). 158
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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d) Zwischenergebnis Betrachtet man die Ergebnisse der beiden vorstehend untersuchten Zurechnungsansätze, so ergibt sich Folgendes: Erlangt ein Aufsichtsratsmitglied Kenntnis von einer rechtserheblichen Tatsache, kann diese der Gesellschaft grundsätzlich nicht zugerechnet werden. Der Aufsichtsrat unterliegt nicht der Organisationshoheit des Vorstands und ist daher nicht verpflichtet, seine Kenntnisse in die Wissensorganisation der AG einzuspeisen. Das gilt auch für Insiderinformationen, die im Aufsichtsrat bekannt sind. Das Informationsinteresse des Kapitalmarkts muss in diesem Fall hinter der Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung zurücktreten. Auch eine direkte Zurechnung kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Nur wenn der Aufsichtsrat im Rahmen seiner ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben tätig wird, sind seine Kenntnisse der Gesellschaft zuzurechnen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch innerhalb des Aufsichtsrats eine Wissensorganisationspflicht besteht. Somit genügt bereits die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, um die Kenntnis der Gesellschaft zu begründen, falls dieses Mitglied es unterlässt, den Gesamtaufsichtsrat oder einen verantwortlichen Ausschuss ordnungsgemäß in Kenntnis zu setzen. Hierbei ist grundsätzlich unerheblich, aus welcher Quelle das betreffende Aufsichtsratsmitglied die Information erlangt hat. Auch privates Wissen ist der Gesellschaft zurechenbar, solange es für die Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats erheblich ist und keine Persönlichkeitsrechte oder andere schützenswerte Rechtsgüter der aufsichtsratsinternen Weitergabe entgegenstehen.
3. Zurechnung von Insiderinformationen Die oben dargestellte Zurechnung von Wissen, das im Aufsichtsrat vorhanden ist, gilt grundsätzlich auch für Insiderinformationen. Insiderwissen, das ausschließlich im Aufsichtsrat bekannt ist, kann der Emittentin also zugerechnet werden, wenn es den originären Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats betrifft.162 Zum Teil wird im Hinblick auf Insiderinformationen auch eine weitergehende Zurechnung befürwortet. Ihrig geht aufgrund des Normzwecks der Ad-hoc-Publizität davon aus, dass das Wissen des Aufsichtsrats der Emittentin nicht nur zuzurechnen ist, wenn dieser geschäftsführungsbefugt ist, sondern immer, wenn Insiderinformationen „genuin im Aufsichtsrat […] entstehen oder dort erstmals bekannt werden“.163 Demzufolge seien alle Insiderinformationen, die dem Aufsichtsrat bekannt sind, der Emittentin zuzurechnen, unabhängig davon, ob sie in den Aufga162 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rn. 7, siehe auch Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621 (632) in Fn. 101; a. A. Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 205 ff. 163 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (407), ähnlich Bertus, Emittentenhaftung, S. 132 ff., zustimmend Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 104.
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
benbereich des Aufsichtsrats fallen. Hierfür spreche vor allem das telos der Ad-hocPublizität, dem es widerspreche, wenn das im Aufsichtsrat vorhandene Insiderwissen von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen wäre.164 Daher sei die Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR als gemeinsame Pflichtaufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat zu begreifen, zu deren Erfüllung beide Organe gleichermaßen beitragen müssten.165 Dieser Sichtweise ist jedoch nicht zuzustimmen. Wenn man – wie Ihrig – davon ausgeht, dass die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR die Kenntnis der Emittentin von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation voraussetzt, muss dies auch für Insiderinformationen im Aufsichtsrat gelten. Wenn man weiterhin annimmt, dass diese Kenntnis nach den zivilrechtlichen Grundsätzen der Wissenszurechnung zu beurteilen ist, bedeutet dies, dass das Wissen des Aufsichtsrats der Emittentin konsequenterweise nur dann zugerechnet werden kann, wenn es nach allgemeinen, gesellschaftsrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen als das Wissen der Gesellschaft angesehen wird. Hierfür ist aber nach dem oben Gesagten erforderlich, dass der Aufsichtsrat in der betreffenden Angelegenheit zuständig ist. Mithin kommt eine Publizitätspflicht der Emittentin nur in Betracht, wenn eine Insiderinformation innerhalb des Aufsichtsrats entsteht oder bekannt wird, die in dessen Aufgabenbereich fällt. Erhält der Aufsichtsrat Kenntnis von einer Insiderinformation, die nicht seinem Aufgabenbereich zuzuordnen ist, ist sie der Gesellschaft nicht zurechenbar und somit auch nicht veröffentlichungspflichtig. Im Folgenden soll untersucht werden, wann bei Anwendung dieser Grundsätze in den eingangs genannten Fallgruppen eine Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin entsteht. a) Personalentscheidungen des Aufsichtsrats Die erste Fallgruppe betrifft Personalmaßnahmen des Aufsichtsrats in Bezug auf den Vorstand. Zunächst müsste es sich hierbei um Tätigkeiten aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats handeln. Bei der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern ist dies unproblematisch gegeben, denn diese Maßnahmen stellen mit der Personalkompetenz den unmittelbaren Kernbereich der Aufsichtstätigkeit dar. Auch die Suspendierung eines Vorstandsmitglieds gehört zu der Personalkompetenz des Aufsichtsrats nach § 84 AktG.166 Zudem ist der Aufsichtsrat gemäß § 112 S. 1 AktG zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand ermächtigt. Somit sind die Voraussetzungen für die direkte Zurechnung des Aufsichtsratswissens grundsätzlich erfüllt. 164 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (406), ebenso Bertus, Emittentenhaftung, S. 133, Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 212 f. 165 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (406), Bertus, Emittentenhaftung, S. 134. 166 K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rn. 65 m. w. N.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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Weiterhin ist erforderlich, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats von der Information Kenntnis haben oder jedenfalls bei ordnungsgemäßer Weiterleitung durch das wissende Organmitglied davon Kenntnis haben können. Die Ernennung oder Abberufung eines Vorstandsmitglieds bedarf gemäß § 107 Abs. 3 S. 7 AktG eines Beschlusses des Gesamtaufsichtsrats. Hier liegt also Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder vor oder diese können zumindest Kenntnis haben, wenn sie an der Beschlussfassung teilnehmen. Vorbereitungsmaßnahmen für einen Personalwechsel, die als Zwischenschritte ebenfalls veröffentlichungspflichtig sein können, dürfen hingegen an einen Ausschuss delegiert werden.167 Dann kommt es nicht auf die Kenntnis des gesamten Aufsichtsrats, sondern auf die Kenntnis der zuständigen Ausschussmitglieder an. b) Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds Die zweite Fallgruppe betrifft die Amtsniederlegung von Vorstandsmitgliedern, die auf einem Entschluss des jeweiligen Mitglieds selbst beruht. Die Personalkompetenz des Aufsichtsrats nach § 84 AktG umfasst auch die Absprache mit einem Vorstandsmitglied über dessen einvernehmliche Amtsbeendigung. Solange ein Organmitglied den Entschluss zum Rücktritt nur im Stillen gefasst und noch niemanden mitgeteilt hat, handelt es sich um eine private Information. Grundsätzlich ist auch privates Wissen der Gesellschaft zurechenbar, wenn es einen Bezug zu der Organtätigkeit des Wissensträgers aufweist, es sei denn, es stehen gewichtige Interessen oder Persönlichkeitsrechte des Wissensträgers einer Weitergabe entgegen. Insbesondere im Falle eines krankheitsbedingten Ausscheidens, aber auch bei allgemeiner Amtsmüdigkeit handelt es sich um eine persönliche Entscheidung, die der Privatsphäre des jeweiligen Organmitglieds angehört. Zwar ist jedes Vorstandsmitglied aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht dazu aufgerufen, der Gesellschaft alle Tatsachen mitzuteilen, die für diese von Bedeutung sind. Das würde grundsätzlich dafürsprechen, dass es dem Aufsichtsrat kundtun muss, wenn es nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben ordnungsgemäß wahrzunehmen, damit der Emittentin hierdurch kein Schaden entsteht. Es steht jedoch im Ermessen des jeweiligen Mandatsträgers, wann dieser dem Aufsichtsrat seinen Rücktrittswillen bekannt geben möchte.168 Daher sind derartige Überlegungen der Gesellschaft erst dann zurechenbar, wenn sie die private Sphäre verlassen und einer der Wissensorganisation der Emittentin angehörenden Person, z. B. dem Aufsichtsratsvorsitzenden, mitgeteilt werden.169 Für eine frühere Mitteilung besteht auch aus insiderrechtlicher Sicht keine Notwendigkeit. Sofern das jeweilige Organmitglied noch keine weitere Person in seine Rücktrittsabsichten eingeweiht hat, besteht nicht die Gefahr des Insiderhandels und es bedarf keiner Ad-hoc-Mitteilung, 167 168 169
Siehe nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rn. 27. Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069 (1073), Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1086). Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (401), Groß/Royé, BKR 2019, 272 (277).
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
es sei denn, dass entsprechende Gerüchte im Markt kursieren (vgl. Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MAR). Nach hier vertretener Ansicht ist jedoch die Kenntnis aller Mitglieder des Aufsichtsrats oder des für Personalfragen zuständigen Ausschusses erforderlich. Daher stellt sich die Frage, ob der Aufsichtsrats- oder Ausschussvorsitzende, wenn er von einem Organmitglied über dessen Rücktrittswunsch informiert wurde, verpflichtet ist, dies an den Gesamtaufsichtsrat oder an die anderen Mitglieder des zuständigen Ausschusses weiterzugeben. Die wohl überwiegende Ansicht nimmt eine solche Pflicht an, selbst wenn das rücktrittswillige Vorstandsmitglied den Aufsichtsratsvorsitzenden um vertrauliche Behandlung gebeten hat.170 Dem ist zuzustimmen. Indem das Vorstandsmitglied sich an den Aufsichtsrat wendet, verlässt die Information über seinen Rücktrittswunsch den Bereich der Privatsphäre und wird Gegenstand der Aufsichtsratsarbeit. Dann aber haben alle Mitglieder des Aufsichtsrats ein Anrecht darauf, von dem Vorhaben des Betroffenen zu erfahren, um eine rechtzeitige Planung seiner Nachfolge zu ermöglichen. Dasselbe gilt, wenn sich ein Organmitglied nicht an den Vorsitzenden, sondern an ein ordentliches Mitglied des Aufsichtsrats wendet. Auch dieses muss den Gesamtaufsichtsrat oder den zuständigen Ausschuss über die ihm mitgeteilten Absichten in Kenntnis setzen. Somit ist auch in dieser Fallgruppe bereits das Wissen eines Aufsichtsratsmitglieds von dem Rücktrittswillen eines Vorstandsmitglieds ausreichend, um dieses der Gesellschaft zuzurechnen. c) Compliance-Verstöße und Ermittlungen Die dritte Fallgruppe umfasst (mögliche) Compliance- und Rechtsverstöße von Vorstandsmitgliedern und die Reaktion des Aufsichtsrats darauf in Form von internen Untersuchungen oder Schadensersatzklagen. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Namen der Gesellschaft gegen amtierende oder ehemalige Vorstandsmitglieder ist ebenfalls eine originäre Aufgabe des Aufsichtsrats.171 Hierbei wird die Gesellschaft nach § 112 S. 1 AktG durch den Aufsichtsrat vertreten. Somit gehört auch die Prozessführung zu dessen Aufgaben. Wenn also Insiderinformationen in Form von Vergleichsvorschlägen oder der Einlegung von Rechtsmitteln auftreten, sind diese dem Tätigkeitsbereich des Aufsichtsrats zuzuordnen. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein Vorstandsmitglied Gesetzes- oder sonstige Normverstöße begangen hat, kann der Aufsichtsrat aufgrund seiner gesetzlichen Überwachungspflicht nach § 111 Abs. 1 AktG auch zur Sachverhaltsermittlung (sog. 170
Ekkenga, NZG 2013, 1081 (1086), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (401); a. A. Schnorbus/ Klormann, WM 2018, 1069 (1073). 171 MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 18, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 26, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 7.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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internal investigations) berufen sein.172 Diese ist eine notwendige Voraussetzung für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, zu deren Verfolgung der Aufsichtsrat verpflichtet ist.173 Da interne Untersuchungen also Teil der Überwachungsaufgabe sind und der Vorbereitung von Schadensersatzforderungen dienen, ist der Aufsichtsrat auch hierfür zuständig.174 Somit fallen auch die Tätigkeiten des Aufsichtsrats in dieser Fallgruppe in seinen aktienrechtlichen Zuständigkeitsbereich. Dementsprechend ist die Kenntnis des Aufsichtsrats von einem Rechts- oder Compliance-Verstoß eines Vorstandsmitglieds oder einer diesbezüglichen Maßnahme des Aufsichtsrats der Gesellschaft zurechenbar. Hierfür ist erforderlich, dass wenigstens ein Aufsichtsratsmitglied von dem Verstoß Kenntnis erlangt, um diese mit seinen Kollegen oder dem zuständigen Ausschuss zu teilen. Die vieldiskutierte Frage, ob bereits die Kenntnis eines Vorstandsmitglieds von seinem eigenen Rechtsverstoß der Gesellschaft zuzurechnen ist,175 ist diesem Zusammenhang also nicht entscheidend. Bei Untersuchungen oder anderen Maßnahmen kommt es ebenfalls nicht auf die interne Weiterleitung der Information an, da in diesen Fällen die Insiderinformation erst durch das Tätigwerden des Aufsichtsrats oder eines Ausschusses entsteht. Daher ist sichergestellt, dass alle beteiligten Aufsichtsratsmitglieder zumindest Kenntnis haben können. d) Personalmaßnahmen innerhalb des Aufsichtsrats Weniger eindeutig liegt es bei Personalfragen in Bezug auf den Aufsichtsrat selbst, etwa dem einseitigen Rücktritt vom Aufsichtsratsmandat oder der Ernennung und Abberufung des Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Niederlegung dieses Amts. In solchen Fällen kommt es insbesondere darauf an, ob der Emittentin bereits die Information über eine zukünftige Personalmaßnahme zugerechnet werden kann. aa) Aufsichtsratsvorsitz Die Wahl und Abberufung des Aufsichtsratsvorsitzenden obliegt dem Gesamtaufsichtsrat, der sie nicht an einen Ausschuss delegieren darf.176 Zudem ist der Aufsichtsrat für die Wahl und Abberufung des Vorsitzenden auch (passiv-)vertretungsberechtigt. Dies folgt aus § 107 Abs. 1 AktG. Da bei solchen Maßnahmen eine 172
Habbe, CCZ 2019, 27 (30), Nietsch, ZGR 2020, 923 (951), Reichert/Ott, NZG 2014, 241 (248), Wagner, CCZ 2009, 8 (15). 173 BGHZ 135, 244 – ARAG/Garmenbeck, dazu ausführlich MHdbGesRVII-Koch, § 30 Rn. 35 ff. 174 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 333, 426. 175 Siehe dazu Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 425, Sajnovits, WM 2016, 765 (772 f.), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (402 f.), Schmolke, RIW 2008, 365 (371 f.). 176 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 34, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rn. 27, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 107 Rn. 172, 149, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 744.
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Insiderinformation erst durch das Tätigwerden des Aufsichtsrats in Form eines Beschlusses oder vorbereitender Maßnahmen entsteht, ist die Voraussetzung einer Kenntnisnahmemöglichkeit des gesamten Aufsichtsrats gegeben. Anders verhält es sich jedoch bei der Niederlegung des Aufsichtsratsvorsitzes. In diesen Fällen beruht die personelle Veränderung im Aufsichtsrat nicht auf einer Gremiumsentscheidung, sondern auf dem persönlichen Entschluss eines Aufsichtsratsmitglieds. Es fragt sich, wann dieser der Emittentin zugerechnet werden kann. Hinsichtlich der bloßen inneren Entscheidung, sein Amt aufzugeben, gilt das bereits zum Vorstand Gesagte: Diese stellt noch keine Insiderinformation dar, solange sie nicht nach außen getragen wird. Soweit die Satzung der Gesellschaft keine anderweitige Regelung vorsieht, ist die Niederlegung des Aufsichtsratsvorsitzes gegenüber dem Aufsichtsrat in Gestalt seines stellvertretenden Vorsitzenden zu erklären.177 Wird sie hingegen fälschlicherweise gegenüber dem Vorstand angezeigt, geht sie der Gesellschaft erst zu, wenn dieser die Erklärung an den Aufsichtsrat weiterleitet.178 Ferner kann eine Insiderinformation nicht nur durch die Niederlegungserklärung entstehen, sondern auch dadurch, dass der Aufsichtsratsvorsitzende seine Absichten mit seinen Gremiumskollegen diskutiert und der Rücktritt somit überwiegend wahrscheinlich ist. Hierfür ist der Aufsichtsrat zuständig, sodass die Voraussetzung für eine Wissenszurechnung erfüllt ist. Ferner genügt auch bereits die Kenntnis eines weiteren Mitglieds neben dem niederlegungswilligen Aufsichtsratsvorsitzenden, um das Kennenmüssen des gesamten Organs zu eröffnen. Denn dieses Mitglied muss, sobald es von der Insiderinformation erfährt, diese mit dem gesamten Organ teilen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende das Mitglied nicht in seiner Funktion als Angehöriger des Aufsichtsrats, sondern in privater Funktion ins Vertrauen zieht und besondere Persönlichkeitsrechte des Aufsichtsratsvorsitzenden einer Weiterleitung entgegenstehen. Dies kann etwa bei einer krankheitsbedingten Amtsniederlegung der Fall sein. bb) Niederlegung des gesamten Aufsichtsratsmandats Auch die Niederlegung des Aufsichtsratsmandats als solchem beruht auf einer Entscheidung des jeweiligen Mitglieds. Im Unterschied zur Niederlegung des Vorsitzes muss sie jedoch nicht gegenüber dem Aufsichtsrat selbst erklärt werden.
177
MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 35, GK-AktG-Hopt/Roth, § 107 Rn. 66, MHdBGesRIV-Hoffmann-Becking, § 31 Rn. 16, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 107 Rn. 37, vgl. auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 667. 178 MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 35, MHdBGesRIV-Hoffmann-Becking, § 31 Rn. 16.
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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Vielmehr ist hierfür nach herrschender Meinung der Vorstand zuständig.179 Insoweit ist der Aufsichtsrat also nicht passivvertretungsbefugt. Daher ist fraglich, ob ihm die Rücktrittsabsicht eines Aufsichtsratsmitglieds dennoch zurechenbar ist, wenn dieses seine Überlegungen und Planungen hinsichtlich des Rücktritts mit wenigstens einem weiteren Gremiumsmitglied erörtert. Diesbezüglich könnte der Aufsichtsrat als Wissensvertreter anzusehen sein. Dieser Rechtsfigur bedarf es nach den heute anerkannten Grundsätzen der Wissenszurechnung nicht mehr in Bezug auf das Wissen, das sich im Machtbereich des Vorstands befindet. Organinterne Beratungen des Aufsichtsrats liegen jedoch außerhalb von dessen Einflussbereich. Daher könnte man erwägen, ob die Rechtsfigur des Wissensvertreters weiterhin auf den Aufsichtsrat anwendbar ist. In Bezug auf Rücktrittsabsichten eines Aufsichtsratsmitglieds sind die Tatbestandsmerkmale eines Wissensvertreters jedoch ohnehin nicht erfüllt. Zwar nimmt der Aufsichtsrat in Bezug auf seine eigene Personalpolitik eigenständig eine Aufgabe wahr, die auch im weiteren Sinne der Sphäre der Emittentin zugeordnet werden kann. Diese Beratungen spielen sich jedoch außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs ab. Es werden lediglich Meinungen ausgetauscht, aber keine Willenserklärungen abgegeben. Somit tritt der Aufsichtsrat nicht als Repräsentant der Emittentin im Rechtsverkehr auf, sondern wird nur im Innenverhältnis tätig. Letztlich kann es jedoch dahinstehen, ob der Aufsichtsrat in diesen Fällen eine vertreterähnliche Stellung hat, denn nach heutigem Verständnis ist für die Wissenszurechnung allein maßgeblich, dass die Maßnahme, auf die sich die jeweilige Information bezieht, zum Aufgabenbereich des Aufsichtsrats gehört. Dies ist bei der Beratung über die Rücktrittsabsicht eines Aufsichtsratsmitglieds der Fall. Der Aufsichtsrat ist für die Organisation seiner Tätigkeit selbst verantwortlich, etwa durch den Erlass einer Geschäftsordnung und die Entscheidung über die Bildung und Zusammensetzung von Ausschüssen (sog. Organisationsautonomie).180 Hierzu gehört ebenfalls die Berechtigung und Verpflichtung, selbständig über die effiziente Gestaltung seiner Arbeitsweise in sachlicher und personeller Hinsicht zu entscheiden.181 Eine Determinierung dieser Entscheidungen durch Satzungsregelung ist unzulässig.182 179 OLG Stuttgart, DB 2009, 1521 juris-Rn. 187, MüKoAktG-Habersack, § 103 Rn. 61, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rn. 17, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 30 Rn. 93, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 103 Rn. 65, Bunting, ZIP 2020, 2169; a. A. KK-AktG-Mertens/Cahn, § 103 Rn. 59, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 37; zu anderweitigen Satzungsbestimmungen: LG Flensburg, AG 2004, 623. 180 MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 93 ff., § 116 Rn. 17, GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 75 f., § 107 Rn. 269, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 654, 744. 181 BGHZ 83, 106 (115) – Siemens, BGHZ 122, 342 (355), MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 94, 98, GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 75, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 654, 744, Plagemann, NZG 2014, 1404 (1405 f.), Thümmel, AG 2004, 83 (89).
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist dabei die wichtigste Grundlage für die Aufsichtsratsarbeit und die weitere interne Aufgabenverteilung. Dies zeigt sich auch an der gesetzlichen Regelung des § 124 Abs. 3 AktG, wonach die Vorschläge zur Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch den Aufsichtsrat selbst gestellt werden. Ferner regt Empf. E.1 DCGK die Offenlegung von Interessenkonflikten innerhalb des Aufsichtsrats an, um intern zu erörtern, ob eine Amtsniederlegung erforderlich ist.183 Daher gehört es zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, sich intern über die Amtsniederlegung eines einzelnen Mitglieds abzustimmen. Somit ist das Wissen eines Aufsichtsratsmitglieds von der Rücktrittsabsicht seines Organkollegen ausreichend, um diese Insiderinformation der Gesellschaft zurechnen zu können. e) Kapitalmarktkommunikation Schließlich fragt sich in der letzten Fallgruppe, ob das Wissen eines Aufsichtsratsmitglieds von einer Insiderinformation, das es im Rahmen der Kommunikation mit anderen Finanzmarktteilnehmern erlangt hat, der Gesellschaft zugerechnet werden kann. Wenn ein Aufsichtsratsmitglied auf diesem Weg von einer bevorstehenden Übernahme oder einem geplanten Antrag auf Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung erfährt, sind dies zweifelsohne für die Aufsichtsratsarbeit bedeutsame Informationen, die innerhalb des Organs weitergeleitet werden müssen. Eine Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat kommt jedoch nach dem oben Gesagten nur in Betracht, wenn die jeweilige Information dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats angehört. Inwiefern jedoch die Kapitalmarktkommunikation zu den Aufgaben des Aufsichtsrats gehört, ist in den letzten Jahren eine der meistdiskutierten Fragen des Aktienrechts gewesen und bis heute nicht restlos geklärt.184 aa) Investorenkommunikation als Aufsichtsratsaufgabe (1) Grundsätzliche Frage der Zulässigkeit Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darüber, dass die Kommunikation mit Investoren Aufgabe des Vorstands ist.185 Im Gegensatz dazu ist der Aufsichtsrat in erster Linie ein Innenorgan. Er ist also grundsätzlich nicht befugt, öffentliche Er-
182
MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 96 ff., KK-AktG-Mertens/Cahn, § 107 Rn. 96. Siehe dazu Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar-Busch/Link, DCGK, E.1 Rn. 12 ff. 184 Ausführlich zum Streitstand: Reutershahn, Außenkommunikation, S. 85 ff. 185 GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 9a, Vetter, AG 2014, 387 (388), Holle, ZIP 2019, 1895 (1896), Koch, AG 2017, 129 (131), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44; siehe auch D.I.1.c). 183
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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klärungen für die Gesellschaft abzugeben.186 Nur in Ausnahmefällen repräsentiert der Aufsichtsrat die Gesellschaft im Außenverhältnis.187 Unter Umständen kann es jedoch erforderlich sein, dass der Aufsichtsrat die Kommunikation mit Investoren übernimmt, wenn der Vorstand zu gewissen Themen keine Antwort geben kann, insbesondere, weil sie außerhalb seines Kompetenzbereichs liegen.188 Dennoch besteht auch bei diesen Sachverhalten ein berechtigtes Informationsbedürfnis der Investoren.189 Ferner ist es für die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats erforderlich, dass dieser zu seinen Angelegenheiten eigene Stellungnahmen abgeben darf und nicht in seiner Außendarstellung durch den Vorstand beeinflusst wird.190 Durch den direkten Dialog mit dem Aufsichtsrat wird das Vertrauen der Anleger in dessen Arbeit gestärkt und eine aktive Kontrolle und Mitgestaltung des Unternehmens durch die Aktionäre ermöglicht.191 Aus diesen Gründen befürwortet die überwiegende Ansicht in der Literatur mittlerweile, dass dem Aufsichtsrat die Kompetenz für Gespräche mit Investoren insoweit zusteht, als die Inhalte dieses Investorendialogs in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fallen.192 Dogmatisch wird hierfür auf eine Annexkompetenz zu seinen aktienrechtlichen Zuständigkeiten zurückgegriffen.193 Auch Anregung A.3 des DCGK empfiehlt Gespräche über „aufsichtsratsspezifische Themen“. In Bezug auf diese Themen kennt nur der Aufsichtsrat ihre Hintergründe und kann sie unverfälscht gegenüber der Öffentlichkeit erläutern.194
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Vetter, AG 2014, 387 (388), Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 401, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 40, GK-AktG-Hopt/ Roth, § 107 Rn. 152, Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44. 187 Vgl. §§ 112, 171 Abs. 2, 176 Abs. 1 S. 2, 161 Abs. 1 AktG, § 289a HGB, § 27 Abs. 1 WpÜG. 188 Bachmann, VGR 2016, 135 (152), MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 67, Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40, Koch, AG 2017, 129 (132 ff.). 189 Bachmann, VGR 2016, 135 (152), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 54. 190 Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521 (523), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (45), KK-AktG-Mertens/Cahn, § 107 Rn. 61. 191 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (728), Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (349). 192 Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360 (365), Bachmann, VGR 2016, 135 (160), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (45 f.), Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (733), Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521 (523), Holle, ZIP 2019, 1895 (1897), MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 67, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rn. 54a, Grunewald, ZIP 2016, 2009 (2010 f.). 193 Koch, AG 2017, 129 (132 ff.), Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (733), Fleischer/ Bauer/Wansleben, DB 2015, 360 (365), Landsittel, Investorenkommunikation, S. 233, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 67, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40; näher zu den Voraussetzungen dieser Rechtsfigur: D.II.2.b). 194 Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (45), Bachmann, VGR 2016, 135 (152).
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
(2) Gegenstände des Investorendialogs Wie bereits erläutert, kommt die Investorenkommunikation durch den Aufsichtsrat nur dann in Betracht, wenn es um Angelegenheiten geht, die außerhalb des Kompetenzbereichs des Vorstands liegen. Im Hinblick auf alle anderen Gegenstände, die vorrangig oder allein dem Vorstand obliegen, etwa die Unternehmensstrategie oder -finanzierung, gibt dieser die kommunikationspolitischen Leitlinien vor und der Aufsichtsrat muss sich eigener Stellungnahmen enthalten.195 Darüber hinaus muss der Aufsichtsrat bei seiner Gesprächsführung darauf achten, dass er dem Vorstand nicht widerspricht, ihn nicht kritisiert oder durch seine Aussagen faktisch determiniert.196 Aufgrund dessen wird auch empfohlen, dass der Aufsichtsrat seine Kommunikationsstrategie regelmäßig mit dem Vorstand abstimmen und diesen vorab, zumindest aber nachträglich, über die geführten Gespräche und deren Inhalte informieren soll.197 Zu den erlaubten Themen des Investorendialogs durch den Aufsichtsrat gehören demnach die Selbstorganisation des Aufsichtsrats einschließlich der Besetzung von Ausschüssen und der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder, die Geschäftsverteilung im Vorstand, die Bestellung und Vergütung einzelner Vorstandsmitglieder sowie etwaige Schadensersatzansprüche gegen diese und die Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer.198 Ob der Aufsichtsrat mit Investoren auch über die Überwachung des Vorstands sprechen darf, ist zwar umstritten, aber richtigerweise zu bejahen.199 Der Aufsichtsrat soll sich zu allen Fragen äußern können, die nach der allgemeinen Kompetenzverteilung in seinen Aufgabenbereich fallen.200 Hierzu zählt auch seine Überwachungstätigkeit. Ziel der Abgrenzung ist nur, dass keine „Doppelkommunikation“ in Bezug auf reine Vorstandsaufgaben, wie die Unternehmensstrategie oder das operative Geschäft, stattfindet. Darüber hinaus muss der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Gespräche die gesetzlichen Grenzen der Informationsweitergabe beachten, insbesondere seine Verschwiegenheitspflicht, die Gleichbehandlung der Aktionäre nach § 53a AktG und 195 Leyendecker-Langner, AG 2015, 44 (46), Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360 (365), Grunewald, ZIP 2016, 2009 (2010 f.); einschränkend Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (734). 196 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (735), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (46), K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 107 Rn. 25, Grunewald, ZIP 2016, 2009 (2010). 197 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (735), Holle, ZIP 2019, 1895 (1901), LeyendeckerLangner, NZG 2015, 44 (47), Bachmann, VGR 2016, 135 (176). 198 Bachmann, VGR 2016, 135 (174), Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rn. 54a, Landsittel, Investorenkommunikation, S. 220, Holle, ZIP 2019, 1895 (1897 f.), siehe auch KBLW-Kremer, DCGK, A.3 Rn. 5, Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar-Meyer, DCGK, A.3 Rn. 3. 199 Leyendecker-Langner, AG 2015, 44 (46), Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rn. 54a, Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521 (523); a. A. Holle, ZIP 2019, 1895 (1898), Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40. 200 Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521 (523), Leyendecker-Langner, AG 2015, 44 (46).
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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das Insiderrecht. Vorhaben in Bezug auf die Personalkompetenz des Aufsichtsrats stellen Insiderinformationen dar, sodass der Aufsichtsrat diese gemäß Art. 14 MAR ohnehin nicht an Investoren weitergeben darf. So wäre es beispielsweise untersagt, einen Großaktionär von der geplanten Absetzung des Vorstandsvorsitzenden zu unterrichten.201 (3) Organinterne Zuständigkeit Eine der umstrittensten Fragen im Hinblick auf die Investorenkommunikation ist zudem, wer diese auf Seiten des Aufsichtsrats wahrnehmen und über die Gesprächspartner und -inhalte entscheiden soll. Manche Autoren gehen davon aus, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Aufsichtsrat nach außen vertrete, ohne dass es einer gesonderten Ermächtigung bedarf, und er daher auch Investorendialoge allein führen dürfe.202 Andere hingegen betonen die Rechtsnatur des Aufsichtsrats als Kollegialorgan.203 Der Aufsichtsratsvorsitzende habe zwar eine gewisse Repräsentationsfunktion, dürfe aber nur die Meinung des Gesamtorgans widergeben und nicht selbständig Standpunkte des Aufsichtsrats formulieren.204 Über Kommunikationsart und -inhalte müsse daher das Plenum entscheiden.205 Gleichwohl erkennen auch die Vertreter dieser Ansicht an, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats durch Beschluss des Gesamtaufsichtsrats dauerhaft und abstrakt zur Kommunikation mit anderen Kapitalmarktteilnehmern ermächtigt werden kann.206 Für die Zwecke der Wissenszurechnung kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Aufsichtsratsvorsitzende schon von Gesetzes wegen oder erst aufgrund einer Ermächtigung durch den Aufsichtsrat berechtigt ist, mit anderen Kapitalmarktakteuren über aufsichtsratsspezifische Themen zu sprechen. Denn er ist jedenfalls verpflichtet, hierbei erlangte Kenntnisse an den Gesamtaufsichtsrat oder einen zuständigen Ausschuss weiterzugeben. Wird er bei einem Investorenkontakt ohne Ermächtigung tätig, handelt es sich hierbei um privat erlangtes Wissen, das aber für die Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats relevant ist und daher nach den oben dargestellten Grundsätzen ebenfalls zugerechnet werden kann. 201
Dazu Veil, ZHR 172 (2008), 239 (267). Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (734), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (46), Bachmann, VGR 2016, 135 (173), Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 683. 203 Koch, AG 2017, 129 (135), Vetter, AG 2014, 387 (392), Holle, ZIP 2019, 1895 (1900). 204 Koch, AG 2017, 129 (136), Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360 (366), HöltersHambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rn. 47, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40. 205 Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521 (524 f.), Holle, ZIP 2019, 1895 (1900), Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40. 206 Koch, AG 2017, 129 (136), Holle, ZIP 2019, 1895 (1900); teilweise wird auch der Erlass einer Kommunikationsordnung empfohlen: Landsittel, Investorenkommunikation, S. 265 ff., Bachmann, VGR 2016, 135 (172 f.), Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360 (365), MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 67. 202
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
bb) Zurechenbarkeit der durch Investorenkommunikation erlangten Informationen Da die Investorenkommunikation dem Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats angehört, kommt auch die Zurechnung des hierbei erlangten Wissens in Betracht. Dies gilt jedoch nur insoweit, als der Aufsichtsrat für die Inhalte des Investorendialogs zuständig ist. Denn der Aufsichtsrat ist nur befugt, mit Investoren in einen Dialog über aufsichtsratsspezifische Themen zu treten. Erlangt der Aufsichtsrat hierbei von seinem Gesprächspartner aufsichtsratsspezifische Informationen, sind diese dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats zuzuordnen und können der Emittentin ohne Weiteres zugerechnet werden. Hierzu zählt beispielsweise der Austausch über die Erforderlichkeit und Erfolgsaussichten einer Sonderprüfung, denn diese befasst sich gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 AktG mit der Prüfung von Vorgängen bei der Geschäftsführung. Dasselbe gilt für die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung. Da der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 3 AktG hierzu ebenfalls berechtigt ist, kann er Aktionäre auch dahingehend beraten, ob eine solche erforderlich oder sinnvoll ist. Die Kenntnis des Aufsichtsrats von solchen Insiderinformationen kann der Emittentin also zugerechnet werden. Darüber hinaus ist es jedoch denkbar, dass Investoren dem Aufsichtsrat auch andere Tatsachen mitteilen, die nicht den aktienrechtlichen Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betreffen. So verhält es sich etwa bei der Absicht, eine Beteiligung an der Emittentin auf- oder abzubauen. Für derartige Gespräche ist der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Investorenkommunikation nicht zuständig. Es stellt sich daher die Frage, ob auch solche Informationen der Emittentin trotzdem zugerechnet werden können. Hierbei ist zu beachten, dass Großaktionäre nicht nur deshalb an den Aufsichtsrat herantreten, um von ihm Auskünfte zu erhalten, sondern auch, um ihm ihrerseits ihre Vorstellungen und Wünsche mitzuteilen.207 Auch wenn der Aufsichtsrat selbst nur berechtigt ist, zu aufsichtsratsbezogenen Themen Stellung zu beziehen, hindert es ihn nicht daran, sich die Standpunkte seiner Gesprächspartner auch in Bezug auf andere Angelegenheiten anzuhören.208 Die Beschränkung der Kommunikationskompetenz des Aufsichtsrats auf Inhalte, die seinem Aufgabenbereich angehören, beruht nur darauf, die grundsätzliche Zuständigkeit des Vorstands für die Außenkommunikation der Gesellschaft zu wahren und eine doppelte Kommunikation durch den Aufsichtsrat zu verhindern.209 So darf der Aufsichtsrat beispielsweise keine eigenen Aussagen zur Unternehmensstrategie tätigen. Dieser Zielsetzung widerspricht es jedoch nicht, die Kommunikationskompetenz des Aufsichtsrats auf die Entgegennahme von Informationen über seinen Aufgabenbereich hinaus auszuweiten. Er darf also im Gespräch mit anderen Marktteilnehmern auch Informationen entgegennehmen, die nicht seinen eigenen 207 208 209
Bachmann, VGR 2016, 135 (141), vgl. auch Vetter, AG 2016, 873 (874 f.). Koch, AG 2017, 129 (134), Bachmann, VGR 2016, 135 (175). Siehe C.II.3.e)aa)(1).
II. Kenntnis der Emittentin von Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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Aufgabenbereich betreffen. Auch solches Wissen, das nicht den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats betrifft, kann der Gesellschaft daher zugerechnet werden, wenn es im Zusammenhang mit einem zulässigen Investorengespräch erlangt wurde. Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat als Wissensvertreter der Emittentin angesehen werden. Wissensvertreter ist jede Person, die im Rechtsverkehr als Repräsentant eines Geschäftsherrn bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung erledigt und dabei angefallene Informationen zur Kenntnis nimmt, ohne Stellvertreter zu sein.210 Ein bloß internes Tätigwerden reicht hierbei nicht aus.211 Zwar bedarf es dieser Rechtsfigur neben den Grundsätzen der Wissenszurechnung grundsätzlich nicht mehr, da einer Gesellschaft potentiell jede Information, unabhängig von der Position desjenigen, der sie besitzt, zugerechnet werden kann, wenn sie bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation innerhalb der Gesellschaft weitergeleitet, gespeichert und abrufbar wäre.212 Der Aufsichtsrat ist jedoch nicht in diese Wissensinformationsorganisation eingebunden, sondern sein Wissen ist der Gesellschaft nur zurechenbar, wenn es den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft. Somit findet die Wissenszurechnung nach den organisationsbasierten Grundsätzen auf den Aufsichtsrat nur eingeschränkt Anwendung. Daher besteht weiterhin ein Anwendungsbereich für die Rechtsfigur des Wissensvertreters für solche Fälle, in denen der Aufsichtsrat im Außenverhältnis tätig wird, aber nicht vertretungsberechtigt ist. Um einen solchen Fall handelt es sich bei der Investorenkommunikation. Die Kommunikationskompetenz des Aufsichtsrats erfasst nur einen reinen Informationsaustausch, der Aufsichtsrat ist aber nicht ermächtigt, die Gesellschaft rechtsgeschäftlich zu verpflichten, etwa durch die Abgabe oder Entgegennahme verbindlicher Zusagen. Somit tritt der Aufsichtsrat für die Emittentin im Außenverhältnis auf und hat dabei eine vertreterähnliche Stellung inne, ohne vertretungsberechtigt zu sein, sodass bei seinem Gegenüber ein berechtigtes Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Informationsverarbeitung entstehen kann. Zugleich entscheidet er über die Gestaltung der Gesprächsführung und -inhalte auch mit der erforderlichen Eigenständigkeit. Somit kann der Aufsichtsrat auch neben den heute anerkannten Grundsätzen der Wissenszurechnung als Wissensvertreter angesehen werden. Mithin kann unter Rückgriff auf die Rechtsfigur des Wissensvertreters auch solches Wissen des Aufsichtsrats der Emittentin zugerechnet werden, das er im Rahmen der Investorenkommunikation erlangt hat, denn diese gehört zu seinem Aufgabenbereich. Zwar darf der Aufsichtsrat eigene Aussagen nur zu Themenfeldern tätigen, die seinem aktienrechtlichen Aufgabenbereich angehören, es sind jedoch alle Informationen zurechenbar, die er im Rahmen eines Austauschs mit Investoren empfangen hat. 210
BGH, WM 2013, 155 Rn. 19, BGHZ 117, 104 juris-Rn. 11 – Knollenmergel, Richardi, AcP 169 (1969), 385 (397); siehe ausführlich: B.I.1.b)aa)(2). 211 BGHZ 117, 104 juris-Rn. 11 – Knollenmergel, Grunewald, FS Beusch (1993), S. 301 (312). 212 Siehe B.I.1.b)aa)(1).
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
4. Zwischenergebnis Der Aufsichtsrat ist nicht in die von dem Vorstand geleitete Unternehmensorganisation eingegliedert. Daher ist er auch nicht verpflichtet, ihm bekannte Informationen intern weiterzuleiten und in den Wissensspeicher der Gesellschaft einzuspeisen. Auf der Grundlage von Informationsweitergabe-, Informationsspeicherungs- und Informationsabfragepflichten kann das Wissen eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft also nicht zugerechnet werden. Anders verhält es sich jedoch, wenn die jeweilige Information eine Aufgabe des Aufsichtsrats betrifft oder dieser in der betreffenden Angelegenheit vertretungsberechtigt ist. Dann kommt es nicht auf die Verfügbarkeit dieser Information für den Vorstand an. Die Kenntnisse des Aufsichtsrats von Insiderinformationen werden der Gesellschaft unmittelbar zugerechnet, wenn diese Insiderinformationen dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats angehören. Hierzu zählen sowohl Personalmaßnahmen und Untersuchungen bzw. Schadensersatzansprüche in Bezug auf den Vorstand als auch der freiwillige Rücktritt eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds. Auch Informationen aus der Kommunikation des Aufsichtsrats mit anderen Finanzmarktteilnehmern können der Emittentin zugerechnet werden. Hierfür ist der Aufsichtsrat nicht nur zuständig, wenn es sich um aufsichtsratsspezifische Gesprächsinhalte handelt, sondern immer dann, wenn er Informationen im Rahmen von Investorengesprächen erlangt hat. Ergänzend kann hierzu auch auf die Rechtsfigur das Wissensvertreters zurückgegriffen werden.
III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise Nun soll untersucht werden, ob im Falle von Insiderinformationen im Aufsichtsrat eine Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin auch dann entsteht, wenn man mit einer anderen Ansicht davon ausgeht, dass hierfür nicht die zugerechnete Kenntnis der Emittentin maßgeblich ist, sondern die Veröffentlichungspflicht kenntnisunabhängig zu bestimmen ist. Nach dieser Ansicht kommt es darauf an, dass eine Möglichkeit zur Veröffentlichung einer Insiderinformation dadurch besteht, dass mindestens ein Unternehmensangehöriger von ihr Kenntnis hat oder haben könnte.213 Insofern gehen auch die Vertreter dieser Ansicht davon aus, dass der Vorstand ein Informationsorganisationssystem unterhalten muss. Im Unterschied zur Wissenszurechnung leiten sie dieses unmittelbar aus Art. 17 Abs. 1 MAR ab. Die vorangegangene Untersuchung 213 Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 87, Klöhn, NZG 2017, 1285 (1287), Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 305; ausführlich B.II.2.
III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise 145
hat jedoch gezeigt, dass diese Auffassung auf ähnliche Organisationsmaßstäbe zurückgreift wie die Grundsätze der Wissenszurechnung und sie daher hinsichtlich der Insiderinformationen im Einflussbereich des Vorstands auch im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen gelangt wie die Anwendung der Wissenszurechnung.
1. Möglichkeit der Veröffentlichung Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen einer Emittentin die Veröffentlichung von Insiderinformationen möglich ist, wenn diese ausschließlich im Aufsichtsrat auftreten oder bekannt werden. Hierfür kommt es auf die Frage an, inwieweit Art. 17 Abs. 1 MAR, dem dieser Ansicht zufolge das Erfordernis einer Informationsorganisation zu entnehmen ist, dahingehend ausgelegt werden kann, dass auch Insiderinformationen im Aufsichtsrat veröffentlichungspflichtig sind. a) Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR Art. 17 Abs. 1 MAR richtet sich nicht an Gesellschaftsorgane direkt, sondern nennt als Normadressaten lediglich „den Emittenten“, also die juristische Person. Dabei liegt der Verordnung gewiss die Vorstellung zugrunde, dass die juristische Person zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nicht selbst handelt, sondern durch ihre Organe. Sofern es nur ein board gibt, ist dieses für die Wahrnehmung der Publizitätspflichten der Gesellschaft verantwortlich. Zwar stellt sich in den wenigsten europäischen Jurisdiktionen – wie im deutschen Recht – eine Dualität von Vorstand und Aufsichtsrat. Nicht zuletzt aufgrund der Wahlmöglichkeit bei der SE ist jedoch davon auszugehen, dass dem Verordnungsgeber bewusst war, dass die Unternehmensleitung und damit die Möglichkeit des Auftretens von Insiderinformationen auf zwei Organe verteilt sein können.214 Dies spricht dafür, dass auch Insiderinformationen im Aufsichtsrat von der Adhoc-Publizitätspflicht erfasst werden sollen. Denn eine Ungleichbehandlung von dualistischen und monistischen Gesellschaftsformen kann von der MAR, die eine Vereinheitlichung des europäischen Kapitalmarktrechts bezweckt, nicht gewollt sein.215 Wenn aber Insiderinformationen, die bei einer monistisch organisierten Gesellschaft in ihrem Verwaltungsrat auftreten,216 bei einer dualistisch organisierten Gesellschaft in deren Aufsichtsorgan vorliegen, müssen sie demzufolge gleichermaßen beachtlich sein. Teilweise wird zwar vertreten, dass einer dualistischen Emittentin keine Veröffentlichungspflicht auferlegt werden dürfe für Insiderinformationen, die bei einer 214
Vgl. OLG Stuttgart, NZG 2009, 624 juris-Rn. 87. Bekritsky, BKR 2020, 382 (383), siehe auch Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 212 f. 216 Siehe dazu F.II.1.b). 215
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
monistischen Emittentin im Kreise ihrer Aktionäre und somit unstreitig außerhalb des Anwendungsbereichs der Ad-hoc-Publizitätspflicht vorliegen würden.217 Dies trifft jedoch nicht zu. Für die Entstehung einer Veröffentlichungspflicht kommt es nicht auf den Inhalt der Insiderinformation an, sondern darauf, bei welchem Organ der konkret betroffenen Emittentin sie sich befinden. Nicht alle Informationen in Bezug auf Personalwechsel im Leitungsorgan der Emittentin sind veröffentlichungspflichtig, sondern nur solche, bezüglich derer eine Möglichkeit der Veröffentlichung besteht. Weiterhin spricht auch das telos des Art. 17 Abs. 1 MAR für eine Berücksichtigung von Insiderinformationen im Aufsichtsrat. Der Normzweck der Ad-hoc-Publizität besteht darin, durch die umfassende und schnellstmögliche Offenlegung von Insiderinformationen ein Informationsungleichgewicht zu vermeiden und somit die Markteffizienz zu erhöhen.218 Dem würde es nicht gerecht werden, wenn im Aufsichtsrat vorhandene Insiderinformationen von der Veröffentlichungspflicht von vorneherein ausgenommen wären.219 Aus dem Normzweck von Art. 17 Abs. 1 MAR folgt also, dass auch bei einer kenntnisunabhängigen Sichtweise Insiderinformationen aus dem Aufsichtsrat grundsätzlich von der Veröffentlichungspflicht erfasst werden. Daher sind beide Verwaltungsorgane der Emittentin dazu verpflichtet, zu der Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht beizutragen. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Aufsichtsrat gleichermaßen wie der Vorstand die volle Verantwortung für die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht trägt. Vielmehr ist jedes Organ nur in dem Maße zur Mitwirkung verpflichtet, wie es seinen Befugnissen und seiner Stellung im gesellschaftsrechtlichen Kompetenzgefüge entspricht.220 So wäre es etwa mit der Rechtsnatur der Hauptversammlung nicht vereinbar, wenn sie ebenfalls verpflichtet wäre, zu dem Informationsorganisationssystem der Emittentin beizutragen, selbst wenn im Kreise der Aktionäre Insiderinformationen auftreten.221 Fraglich ist also, inwieweit die Informationsorganisationspflicht der Emittentin auch Insiderinformationen erfassen kann, die nur im Aufsichtsrat bekannt sind. Hierzu muss zwischen einer passiven Organisationspflicht im Sinne eines Beitragens zu dem Informationsorganisationssystem des Vorstands und einer aktiven Organisationspflicht, die die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für ein eigenes Informationsorganisationssystem beinhaltet, differenziert werden.
217 218 219 220 221
Bekritsky, BKR 2020, 382 (384). Ausführlich dazu: B.III.2.c)aa). Vgl. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (406), Bertus, Emittentenhaftung, S. 133 f. Vgl. auch Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (406, 408). Siehe zum Beispiel der SE: Bekritsky, BKR 2020, 382 (383 f.).
III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise 147
b) Passive Organisationspflicht Zunächst könnte die Veröffentlichung einer Insiderinformation dadurch möglich sein, dass der Aufsichtsrat, wenn er von ihr erfährt, sie an den Vorstand weiterleiten muss, damit dieser die Publizitätspflicht der Emittentin wahrnehmen kann. Hellgardt stellt darauf ab, ob den für die Ad-hoc-Publizität verantwortlichen Organwaltern eine Insiderinformation bekannt ist oder ob trotz dieser Unkenntnis eine Veröffentlichung möglich ist, indem ein Unternehmensangehöriger „völlig unabhängig von seiner Stellung in der Hierarchie“ über die Insiderinformation verfügt.222 Die Veröffentlichung sei nur dann unmöglich, „wenn niemand beim Emittenten über die Insiderinformation verfügt und sie auch nicht durch den Emittenten selbst beschafft werden kann“.223 Grundsätzlich sind Insiderkenntnisse des Aufsichtsrats „jemandem“ in der Sphäre der Emittentin bekannt. Allerdings sind diese Aussagen erkennbar nur auf das Insiderwissen von Mitarbeitern zugeschnitten, die verpflichtet sind, ihnen bekannte Informationen an den Vorstand oder das für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht zuständige Gremium weiterzuleiten. Der Aufsichtsrat hingegen ist aufgrund seiner aktienrechtlichen Stellung als Überwachungsorgan nicht in die Organisationsstruktur des Vorstands eingegliedert.224 Dies muss unabhängig davon gelten, ob man diese Informationsorganisation aus den Grundsätzen der Wissenszurechnung oder aus Art. 17 Abs. 1 MAR selbst ableitet. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan kann dem Vorstand, den er überwacht, niemals zur Auskunft verpflichtet sein.225 Er ist daher nicht verpflichtet, Informationen an den Vorstand weiterzuleiten oder in die Wissensorganisation der Gesellschaft einzuspeichern. Somit ist es dem für die Veröffentlichung zuständigen Organ bzw. Gremium nicht möglich, sich die jeweilige Insiderinformation zu beschaffen und sie zu veröffentlichen. Denn das Kriterium der Möglichkeit der Veröffentlichung ist nicht im Sinne einer abstrakten Möglichkeit zu verstehen, sondern umfasst auch ihre rechtliche Möglichkeit.226 Zwar besteht nach hier vertretener Ansicht keine Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand. Die Grenzen der Informationsweiterleitung, die sich aus der aktienrechtlichen Kompetenzordnung ergeben, gelten jedoch auch für die interne Weitergabe von Insiderinformationen zum Zwecke ihrer Veröffentlichung. Somit ist der Emittentin die Veröffentlichung einer Insiderinformation grundsätzlich nicht möglich, wenn diese nur ihrem Aufsichtsrat bekannt ist.
222
Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. Assmann/Schneider/Mülbert-Hellgardt, WpHR, § 97 WpHG Rn. 89. 224 Siehe C.II.1.b). 225 A. A. Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 207 ff. 226 Siehe dazu C.III.1.c)bb). 223
148
C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
c) Aktive Organisationspflicht Allerdings könnte anstelle einer Weitergabe an den Vorstand durch das Vorliegen einer Insiderinformation im Aufsichtsrat eine Möglichkeit der Veröffentlichung insofern bestehen, als der Aufsichtsrat diese selbst vornimmt. Klöhn deutet an, dass sich die Pflicht zur Organisation von Insiderinformationen auf die Ebene der „Organe“ der Emittentin, also auch auf den Aufsichtsrat, erstreckt.227 aa) Faktische Möglichkeit der Verarbeitung von Insiderinformationen Grundsätzlich ist die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht dem Aufgabenbereich des Vorstands bzw. eines von diesem eingesetzten Ad-hoc-Komitees zuzuordnen.228 Es sind jedoch unterschiedliche Szenarien vorstellbar, in denen auch der Aufsichtsrat trotz der Tatsache, dass er nicht aktiv in das operative Geschäft eingebunden ist, mit Insiderinformationen in Kontakt kommt. Zum einen hat der Aufsichtsrat schon aufgrund seiner Stellung als Überwachungsorgan Zugang zu unternehmensinternen Insiderinformationen. Zum anderen kann beispielsweise der Prüfungsausschuss in der Bilanzsitzung oder bei der Mitwirkung an der Aufstellung des Jahresabschlusses mit kursrelevanten Informationen über dessen Inhalt in Kontakt kommen.229 Darüber hinaus ist denkbar, dass durch außenstehende Berater oder Mitarbeiter Insiderinformationen an den Aufsichtsrat herangetragen werden, etwa über negative Entwicklungen, Missstände oder Gesetzesverstöße.230 Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht ist auch eine vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats, etwa durch direkten Kontakt mit der Abteilung Interne Revision, zulässig.231 Diese wurde nunmehr durch die Einführung von § 107 Abs. 4 S. 4 AktG gestärkt, wonach jedes Mitglied des Prüfungsausschusses unmittelbar bei den Leitern gewisser Zentralbereiche Auskünfte einholen darf, die die Aufgaben des Prüfungsausschusses betreffen. Deutlich häufiger dürfte indes der Fall sein, dass Insiderinformationen den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betreffen oder in dessen Tätigkeitssphäre entstehen.232 Faktisch wäre dem Aufsichtsrat in all diesen Situationen möglich, die Insiderinformationen zu verarbeiten, indem er selbst eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht oder über den Aufschub der Veröffentlichung Beschluss fasst. 227
Klöhn, NZG 2017, 1285 (1289). Ausführlich dazu D.I. 229 Henning, ZGR 2020, 485 (486, 492), Nietsch, ZGR 2020, 923 (948 f.), Semler/ v. Schenck/Wilsing-Weiß, Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rn. 247, FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 225. 230 Zu den Aufgaben des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit Whistleblowing: Schmolke, FS Grunewald (2021), S. 1041 (1052 ff.). 231 Siehe dazu Hopt, ZGR 2019, 507 (529), Nietsch, ZGR 2020, 923 (947 ff.), Hüffer/KochKoch, AktG, § 111 Rn. 36. 232 Zu den Fallgruppen: C.I. 228
III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise 149
bb) Rechtliche Möglichkeit der Verarbeitung von Insiderinformationen Eine Veröffentlichung oder anderweitige Verarbeitung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat wäre jedoch nicht sinnvoll, wenn sich dadurch ein Nebeneinander der Zuständigkeiten von Vorstand oder Ad-hoc-Komitee und Aufsichtsrat ergeben würde. Neben der tatsächlichen Möglichkeit der Veröffentlichung kommt es also darauf an, ob der Aufsichtsrat auch aktienrechtlich dafür zuständig ist, Aufgaben aus dem Bereich der Ad-hoc-Publizität wahrzunehmen, oder ob es dem Vorstand oder dem Ad-hoc-Gremium obliegt, die nach Art. 17 MAR gebotenen Handlungen vorzunehmen. Denn nur, wenn der Aufsichtsrat dazu befugt ist, die Erfüllung der Publizitätspflicht für die Emittentin zu übernehmen, besteht auch die rechtliche Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation durch diesen. Gegen eine eigene Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung spricht, dass die Entscheidung über den Umgang mit Insiderinformationen eine Geschäftsführungsaufgabe ist, die grundsätzlich dem Vorstand obliegt. Anders als dieser hat der Aufsichtsrat auch keine „Allzuständigkeit“, sondern darf nur tätig werden, wenn sich eine Aufgabe aus seinem gesetzlichen Aufgabenportfolio ergibt, welches auch nicht durch die Satzung ergänzt oder eingeschränkt werden darf.233 Die Wahrnehmung der Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zählt daher grundsätzlich nicht zum Aufgabenbereich des Aufsichtsrats. Daher herrscht in der Literatur weitgehende Einigkeit darüber, dass der Aufsichtsrat nicht befugt ist, selbst eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen, sondern die betreffende Insiderinformation an den Vorstand bzw. das von diesem eingesetzte Ad-hoc-Gremium weiterleiten muss, damit diese die ordnungsgemäße Veröffentlichung besorgen können.234 Auch die BaFin hat sich dieser Auffassung in ihrem Emittentenleitfaden angeschlossen.235 Das Vorliegen einer ad-hoc-pflichtigen Insiderinformation hat jedoch nicht nur zur Folge, dass diese in Form einer Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht werden muss, sondern auch, dass die Möglichkeit der Selbstbefreiung in Betracht gezogen und die übrigen Publizitätsnebenpflichten erfüllt werden müssen. Die Zuständigkeit für diese mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht in Verbindung stehenden Tätigkeiten kann jedoch auseinanderfallen. Für den Fall des Aufschubs einer Ad-hoc-Mitteilung wird überwiegend eine ausnahmsweise Zuständigkeit des Aufsichtsrats angenommen,
233
Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 5, MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 6. Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 196, FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 427 Fn. 745, Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.31, Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 38; wohl auch MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 54. 235 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36. 234
150
C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
sofern es sich um Maßnahmen im aktienrechtlichen Aufgabenkreis des Aufsichtsrats handelt.236 Auch Klöhn nimmt an, dass ausnahmsweise der Aufsichtsrat für die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig ist, wenn die ad-hocpflichtige Information aus seinem originären Zuständigkeitsbereich stammt.237 Weiterhin geht Klöhn davon aus, dass bei einem Wegfall der Voraussetzungen der Selbstbefreiung der Aufsichtsrat verpflichtet ist, den Vorstand über die aufgeschobene Insiderinformation in Kenntnis zu setzen, damit dieser ihre Veröffentlichung vornehmen kann.238 Komme der Aufsichtsrat dieser Pflicht nicht nach, verletze nicht nur er seine Organpflichten, sondern auch die Emittentin ihre Ad-hoc-Publizitätspflicht. Denn sie könne sich, wenn eine Insiderinformation nicht unverzüglich veröffentlicht werde, nicht darauf berufen, der Vorstand sei gesellschaftsrechtlich nicht für die Kontrolle des Aufsichtsrats zuständig.239 Wie sich die Zuständigkeit des Aufsichtsrats in der aktienrechtlichen Kompetenzzuweisung dogmatisch verankern lässt, wird im Folgenden noch zu untersuchen sein.240 Festzuhalten ist jedoch, dass nach einhelliger Meinung der Aufsichtsrat nicht dazu befugt ist, eigene Ad-hoc-Mitteilungen zu veröffentlichen. Auch eine Selbstbefreiungskompetenz kommt nur in Betracht, wenn die veröffentlichungspflichtige Insiderinformation den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft. Dann besteht auch eine rechtliche Möglichkeit dazu, dass der Aufsichtsrat Aufgaben aus dem Bereich der Ad-hoc-Publizität wahrnimmt. Bezüglich aller anderen Insiderinformationen hingegen, die nicht den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betreffen, ist es der Emittentin zwar faktisch, aber nicht rechtlich möglich, ihre Publizitätspflicht zu erfüllen, weil der Aufsichtsrat hierzu nach der aktienrechtlichen Zuständigkeitsverteilung nicht kompetent ist. Mithin besteht in diesen Fällen auch nach der kenntnisunabhängigen Sichtweise keine Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR. cc) Personelle Möglichkeit der Verarbeitung von Insiderinformationen Darüber hinaus ist danach zu fragen, ob – sofern die Angelegenheit den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft – die Veröffentlichung einer Insiderinformation bereits möglich ist, wenn ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied hiervon
236 Schwark/Zimmer-Kumpan/Schmidt, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 184, Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (407), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 426, Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (348), Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (456), Kocher/ Schneider, ZIP 2013, 1607 (1610 f.), Retsch, NZG 2016, 1201 (1205). 237 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 193. 238 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 196. 239 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 197. 240 Siehe D.II.2.
III. Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei kenntnisunabhängiger Sichtweise 151
Kenntnis hat oder ob der gesamte Aufsichtsrat die Möglichkeit der Kenntnisnahme von einer Insiderinformation haben muss. Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat ein Kollegialorgan, das gemäß § 108 Abs. 1 AktG durch Beschluss handelt. Das Gesetz lässt zwar die Bildung von Ausschüssen zu. Diese müssen jedoch mindestens drei Mitglieder haben (arg. ex § 108 Abs. 2 S. 3 AktG).241 Eine Delegation von Aufgaben an einzelne Aufsichtsratsmitglieder wird allenfalls für die Vorbereitung oder Durchführung von Aufsichtsratsbeschlüssen oder für Geschäfte des täglichen Lebens anerkannt.242 Die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied ist hingegen nicht zulässig.243 Somit ist ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied auch nicht dazu befugt, über den Aufschub der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung zu entscheiden. Die rechtliche Möglichkeit hierzu besteht daher erst, wenn das Gesamtorgan über den Sachverhalt beschließen könnte. Dies setzt in der Regel die Mitwirkung aller Aufsichtsratsmitglieder voraus. Allerdings setzt die Möglichkeit der Beschlussfassung nicht voraus, dass tatsächlich alle Organmitglieder Kenntnis von der jeweiligen Insiderinformation haben. Vielmehr genügt es, wenn dasjenige Mitglied, das von der Insiderinformation Kenntnis hat, diese den übrigen Organmitgliedern mitteilen kann. Somit besteht die Möglichkeit der Verarbeitung der Insiderinformation durch den Aufsichtsrat, sobald in zeitlicher Hinsicht eine Möglichkeit zur organinternen Weitergabe besteht. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme durch alle Aufsichtsratsmitglieder kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob die notwendigen Maßnahmen zur Informationsweiterleitung überhaupt eingeleitet wurden. Ferner darf die Möglichkeit des Aufsichtsrats, sich eine Insiderinformation zu verschaffen, nicht einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen244 und es darf dem jeweiligen Aufsichtsratsmitglied auch nicht aus anderen Gründen verboten sein, seine Gremiumskollegen über die Insiderinformation in Kenntnis zu setzen, etwa aufgrund entgegenstehender Persönlichkeitsrechte. Andernfalls wäre die Erfassung und Verarbeitung der Insiderinformation durch den Aufsichtsrat zwar faktisch möglich, aber abermals aus rechtlichen Gründen unmöglich. Darüber hinaus ist unerheblich, aus welcher Quelle die Insiderinformationen stammen, sodass auch die Veröffentlichung privat erlangter Kenntnisse möglich ist, solange nicht im Einzelfall die Persönlichkeitsrechte des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds entgegenstehen.
241
Siehe nur BGHZ 65, 190 Ls. 1, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rn. 21. MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 24, GK-AktG-Hopt/Roth, § 107 Rn. 614 m. w. N. 243 BGH, WM 2013, 1220 Rn. 22, BGH, ZIP 2008, 1114 Rn. 11, OLG München, ZIP 2015, 870 juris-Rn. 28, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 157, § 112 Rn. 38, GK-AktG-Hopt/ Roth, § 107 Rn. 613, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 797; a. A. v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956 (959). 244 Siehe dazu Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 322. 242
152
C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
d) Zwischenergebnis Mithin entsteht auch nach der kenntnisunabhängigen Ansicht die Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin im Falle von Insiderinformationen, die allein dem Aufsichtsrat bekannt sind, nur dann, wenn diese Insiderinformationen die Aufgaben des Aufsichtsrats betreffen. Es genügt zudem, wenn einem Aufsichtsratsmitglied die Weitergabe seiner Kenntnisse an den Gesamtaufsichtsrat zeitlich und rechtlich möglich ist.
2. Bestimmte Insiderinformationen im Aufsichtsrat Sofern es nach dem eben Gesagten auf die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den der Insiderinformation zugrundeliegenden Sachverhalt ankommt, ergeben sich nach dieser Ansicht keine wesentlichen Unterschiede zu der Wissenszurechnung in den eingangs genannten Fallgruppen. Denn auch für die Frage der Zurechenbarkeit des Wissens des Aufsichtsrats wird darauf abgestellt, ob es dessen Zuständigkeitsbereich betrifft. Sowohl Personalmaßnahmen wie die Bestellung und Abberufung eines Vorstandsmitglieds als auch die Überwachung des Vorstands und damit verbundene Untersuchungen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gehören zu den Aufgaben des Aufsichtsrats. Daher ist es dem Aufsichtsrat auch rechtlich möglich, Insiderinformationen, die im Zusammenhang mit diesen Aufgaben auftreten, zu erfassen und über den Aufschub ihrer Veröffentlichung zu beschließen. Diese Möglichkeit der Veröffentlichung besteht auch dann, wenn der (Gesamt-) Aufsichtsrat von einer bestimmten Tatsache zwar noch keine Kenntnis hat, aber diese haben könnte, weil ein Aufsichtsratsmitglied eine Insiderinformation pflichtwidrig nicht an die anderen Aufsichtsratsmitglieder weiterleitet. Auch dann besteht bereits die Möglichkeit, dass der Aufsichtsrat einen Selbstbefreiungsbeschluss fällt. Der freiwillige Rücktritt eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds ist ebenfalls dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats zuzuordnen. Allerdings ist in diesen Fällen die Veröffentlichung erst möglich, wenn das jeweilige Mitglied seine Absicht innerhalb des Aufsichtsrats kundgetan hat. Das Organ kann von keinem Mitglied die Weitergabe privater Informationen verlangen, wenn dieser das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen entgegensteht. Daher ist eine Selbstbefreiungsentscheidung erst möglich, wenn die Rücktrittsabsicht die private Willenssphäre des jeweiligen Organmitglieds verlassen hat. Auch die Verarbeitung von Insiderinformationen, die dem Aufsichtsrat im Zusammenhang mit seiner Investorenkommunikation bekannt werden, ist grundsätzlich möglich. Nach überwiegender Ansicht im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum richtet sich die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für einen solchen Investorendialog danach, ob dessen Inhalte in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fallen. Dies betrifft jedoch lediglich die aktive Kommunikation, also die Informationsweitergabe
IV. Ergebnis
153
durch den Aufsichtsrat. Investoren legen jedoch nicht nur großen Wert darauf, vom Aufsichtsrat unternehmensbezogene Tatsachen zu erfahren, sondern auch, dem Aufsichtsrat ihrerseits Absichten und Pläne mitzuteilen. Die Begrenzung der Kommunikationskompetenz des Aufsichtsrats auf aufsichtsratsspezifische Themengebiete gilt jedoch nicht für die passive Kommunikation, also für die Entgegennahme anderweitiger Informationen, sofern sie im Rahmen eines zulässigen Investorengesprächs erlangt werden.245 Somit besteht auch in Bezug auf solche Kenntnisse des Aufsichtsrat eine rechtliche Möglichkeit zu ihrer Erfassung und Verarbeitung und der Aufsichtsrat kann eine Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung dieser Insiderinformationen treffen.
3. Zwischenergebnis Auch bei einem kenntnisunabhängigen Verständnis ist Art. 17 Abs. 1 MAR dahingehend auszulegen, dass Insiderinformationen im Aufsichtsrat von der Ad-hocPublizitätspflicht erfasst sein sollen. Zwar trifft den Aufsichtsrat keine passive Organisationspflicht im Sinne eines Beitragens zu dem Informationsorganisationssystem des Vorstands. Er ist jedoch verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Erfüllung der Publizitätspflicht der Emittentin zu ergreifen. Diese beschränken sich auf Insiderinformationen, die den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betreffen, denn nur bei diesen besteht neben einer faktischen auch eine rechtliche Möglichkeit zur Wahrnehmung der Ad-hoc-Aufgaben durch die Emittentin. Ferner genügt bereits die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, um eine Möglichkeit der Verarbeitung der Insiderinformation durch den Aufsichtsrat hervorzurufen, solange einer Nutzung dieser Kenntnis keine Verschwiegenheitspflichten oder Persönlichkeitsrechte Betroffener entgegenstehen.
IV. Ergebnis Beide Ansichten zur Bestimmung der Veröffentlichungspflicht der Emittentin kommen zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass Insiderinformationen, die allein im Aufsichtsrat vorliegen, nur dann eine Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin auslösen können, wenn es sich um Insiderinformationen aus dem Aufgabenkreis des Aufsichtsrats handelt.246
245
Siehe C.II.3.e)bb). A. A. für den Fall, dass alle Vorstandsmitglieder Sonderinteressen haben, sodass eine unbefangene Entscheidung nicht möglich ist: Klöhn/Schmolke, ZGR 2016, 866 (891). 246
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C. Insiderinformationen im Aufsichtsrat der Einzelgesellschaft
Hierfür ist es unerheblich, ob auf die Zurechnung des im Aufsichtsrat vorhandenen Wissens oder auf die Möglichkeit der Erfassung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat abgestellt wird. Denn beide Ansätze richten sich nach dem aktienrechtlichen Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats. Letztlich kommt es also auch im Falle von Insiderinformationen im Aufsichtsrat nicht darauf an, ob die Pflichten zur Informationsorganisation aus den Grundsätzen der Wissenszurechnung oder aus Art. 17 Abs. 1 MAR selbst abgeleitet werden. Für Insiderinformationen, die dem Aufsichtsrat bekannt sind, die jedoch außerhalb seines Tätigkeitsbereichs liegen, besteht hingegen keine Veröffentlichungspflicht, da sie sich außerhalb des Zugriffsbereichs der Emittentin befinden. Auch wenn der Aufsichtsrat als einziger die Möglichkeit hat, die Veröffentlichung dieser Information in die Wege zu leiten, trifft ihn aufgrund seiner Stellung als Aufsichtsorgan keine Pflicht, den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium hiervon in Kenntnis zu setzen. Auch in Bezug auf die Anforderungen an das Vorhandensein der Insiderinformation im Aufsichtsrat und ihre Herkunft kommen beide Ansichten zu demselben Ergebnis. Es genügt bereits die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, um die Veröffentlichungspflicht der Emittentin auszulösen. Hierbei ist grundsätzlich unerheblich, aus welcher Quelle die betreffende Information stammt, solange sie für die Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats erheblich ist und keine Verschwiegenheitspflichten, Persönlichkeitsrechte oder andere schützenswerte Rechtsgüter einer organinternen Weitergabe entgegenstehen.
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat Im vorstehenden Kapitel wurde gezeigt, dass die Veröffentlichungspflicht der Emittentin nach Art. 17 Abs. 1 MAR auch dann entsteht, wenn eine Insiderinformation allein im Aufsichtsrat vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob man Art. 17 Abs. 1 MAR als Wissensnorm begreift oder ob man von einer kenntnisunabhängigen Entstehung der Publizitätspflicht ausgeht. Nun soll untersucht werden, ob der Aufsichtsrat auch nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet ist, die für die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, wenn die die Veröffentlichungspflicht auslösenden Insiderinformationen nur dem Aufsichtsrat, nicht aber dem Vorstand bekannt sind. Denn die kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflicht der Emittentin genügt nicht, um eine aktienrechtliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats zu begründen. Diese muss sich aus dem unionsrechtlich unbeeinflussten nationalen Gesellschaftsrecht ergeben. Im Folgenden wird zuerst kurz auf die Begründung der allgemeinen Zuständigkeit des Vorstands für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht eingegangen (unter I.). Anschließend wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats bestehen kann und wie sich diese dogmatisch absichern lässt (unter II.). Zum Abschluss wird herausgearbeitet, wie das Verfahren der Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat im Einzelnen ausgestaltet werden muss (unter III.).
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht 1. Ad-hoc-Publizität als Vorstandsaufgabe Das ganz herrschende Schrifttum geht unter Rückgriff auf die organisationsrechtliche Binnenverfassung der Aktiengesellschaft zu Recht davon aus, dass im Grundsatz der Vorstand für die Wahrnehmung der der Emittentin nach Art. 17 MAR auferlegten Pflichten verantwortlich ist.1 Zur Begründung wird allgemein darauf 1 Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 7, Mülbert, FS Stilz (2014), S. 410 (421), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (74), Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), Mennicke, NZG 2009, 1059 (103), Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Markt-
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
abgestellt, dass alle mit der Ad-hoc-Publizität in Verbindung stehenden Verpflichtungen der Emittentin Geschäftsführungsaufgaben seien.2 Neben der Veröffentlichung einer Insiderinformation als Ad-hoc-Mitteilung und der Entscheidung über ihren Aufschub als „Kernpflichten“ des Art. 17 MAR ist der Vorstand auch für die flankierenden Aufgaben zuständig, die aus der Publizitätspflicht resultieren: Zunächst müssen die potentiell veröffentlichungspflichtigen Informationen im Unternehmen identifiziert und auf ihre Kursrelevanz und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Selbstbefreiung überprüft werden. Daneben bedarf es der sorgfältigen Dokumentation dieser Prozesse, der Benachrichtigung der BaFin, der Geschäftsführungen der Handelsplätze und des Unternehmensregisters nach § 26 Abs. 1 WpHG (ggf. i. V. m. Art. 17 Abs. 4 UAbs. 3 MAR) und – nicht zuletzt – der Geheimhaltung der Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 4 UAbs. 1 lit. c MAR, sowie der Dokumentation während der Aufschubphase gemäß Art. 4 Abs. 1 DurchführungsVO (EU) 2016/1055. Diese Zuständigkeit des Vorstands lässt sich aus einer Einordnung der Veröffentlichungspflicht in die Kompetenzbereiche des Vorstands herleiten. Hierbei wird zunächst auf die allgemeine Aufgabenbeschreibung des Vorstands in der Aktiengesellschaft eingegangen (unter a)). Danach sollen spezielle Pflichten, die einen hohen Bezug zur Ad-hoc-Publizitätspflicht aufweisen, genauer in den Blick genommen werden, nämlich die Organisationszuständigkeit des Vorstands in Bezug auf seine Compliance-Pflichten (unter b)) und die Repräsentation der Gesellschaft im Außenverhältnis (unter c)). a) Allzuständigkeit des Vorstands Die Aufgaben des Vorstands ergeben sich zuvörderst aus seiner Stellung im Rahmen des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges. Gemäß der dreigliedrigen Organstruktur der Aktiengesellschaft leitet der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung. Dazu hat er gemäß § 78 AktG die Vertretungsmacht für die Gesellschaft sowie die Geschäftsführungsbefugnis inne, welche sich aus § 77 AktG ergibt. Der Begriff der Geschäftsführung ist denkbar weit zu verstehen und erfasst jedes der Verwirklichung des Gesellschaftszwecks dienende Handeln des Vorstands, sowohl im Innenverhältnis – etwa gegenüber dem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung – als auch im Außenverhältnis.3 missbrauchsrecht, § 10 Rn. 38, Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607, Mock, AG 2008, 839 (847), Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 655. 2 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 25, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 60, Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (455), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421 f.), Pattberg/Bredol, NZG 2013, 87 (88), Schwark/Zimmer-Kumpan/Schmidt, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 182, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 54. 3 Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rn. 3, GK-AktG-Kort, § 77 Rn. 3, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 77 Rn. 2, K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rn. 4.
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Rechtsgeschäfte, wie insbesondere den Abschluss von Verträgen, oder um Handlungen tatsächlicher Art handelt, wie z. B. eine Produktionsumstellung oder eine Bilanzierungsmaßnahme.4 Einzelne Geschäftsführungsaufgaben sind exemplarisch in §§ 83 Abs. 1 und 2, 90, 91 Abs. 1 und 2, 92 und 106 AktG aufgelistet, unter anderem die Führung der Handelsbücher, die Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen und die Berichte an den Aufsichtsrat. Die Kompetenzen des Vorstands sind nur begrenzt durch Gesetz, Satzung und Geschäftsordnung (vgl. § 82 Abs. 2 AktG) sowie das Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 AktG. Soweit also keine anderweitige Aufgabenzuweisung zugunsten des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung besteht, ist der Vorstand für alle Tätigkeiten, die der Betrieb des Unternehmens der Gesellschaft mit sich bringt, im Innen- und Außenverhältnis „allzuständig“, d. h. in gleichem Maße verantwortlich wie zuständig.5 Dem Wortlaut der Marktmissbrauchsverordnung lässt sich eine derartige Aufgabenzuweisung freilich nicht entnehmen. Art. 17 Abs. 1 MAR spricht die Veröffentlichungspflicht nur der Emittentin zu, also der juristischen Person als solcher.6 Eine Organaufteilung ist darin nicht angelegt. Von ihrer Natur lassen sich die Verpflichtungen, die Art. 17 MAR der Emittentin auferlegt, jedoch weder den satzungsbezogenen Grundlagenentscheidungen der Hauptversammlung noch der Personal- und Überwachungskompetenz des Aufsichtsrats zuordnen. Somit unterfällt die Wahrnehmung kapitalmarktrechtlicher Pflichten im Grundsatz der Allzuständigkeit des Vorstands.7 b) Ad-hoc-Publizität als Organisationsaufgabe Ferner trägt der Vorstand die sog. Organisationsverantwortung für die Gesellschaft. Aus der Unternehmensleitung folgt die Aufgabe, in den einzelnen Teilbereichen des Unternehmens Strukturen zu schaffen, mit denen er das Unternehmen steuern und sich jederzeit einen Überblick über dessen wirtschaftliche und finanzielle Situation verschaffen kann.8 Hierzu ist es bei börsennotierten Gesellschaften 4 MüKoAktG-Spindler, § 77 Rn. 6, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rn. 3, GK-AktGKort, § 77 Rn. 3, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 77 Rn. 2, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rn. 3. 5 Seyfarth, Vorstandsrecht, § 2 Rn. 8, Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes-Meyer, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, § 1 Rn. 55, Hauschka/Moosmayer/Lösler-Schmidt-Husson, Corporate Compliance, § 6 Rn. 4. 6 Baumbach/Hopt-Kumpan, HGB, Art. 17 MAR Rn. 3, Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 28; ausführlich Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 196 ff. 7 So auch Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607, Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (416). 8 Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rn. 657, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 56, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 25 Rn. 9, GK-AktG-Hopt/Roth, § 93
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
unerlässlich, organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, damit die einzelnen Abteilungen an den Vorstand berichten und die Entscheidungen des Vorstands dort entsprechend umgesetzt werden.9 Der Vorstand steht also nicht an der Spitze der Gesellschaft als Körperschaft, sondern des von ihr betriebenen Unternehmens. aa) Legalitäts- und Compliance-Verpflichtung Diese Organisationspflicht folgt insbesondere aus der Legalitätspflicht des Vorstands. Denn das Pflichtenprogramm des Vorstands erschöpft sich nicht darin, selbst keine Gesetzesverstöße zu begehen oder keine solchen anzuordnen.10 Es beinhaltet vielmehr die Verpflichtung zur Einhaltung aller der Gesellschaft obliegenden Rechtspflichten.11 Hierzu gehören neben zivil-, kartell-, steuer-, straf- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften auch diejenigen des kapitalmarktrechtlichen Aufsichtsrechts nach der MAR und dem WpHG, die ausschließlich für börsennotierte Gesellschaften gelten.12 Der Vorstand trägt also die Verantwortung dafür, dass auch andere Unternehmensangehörige keine Gesetzesverletzungen begehen. Dabei kann von einem Vorstandsmitglied jedoch nicht verlangt werden, garantieähnlich für das rechtmäßige Verhalten jedes Mitarbeiters einzustehen.13 Der Vorstand ist vielmehr nur verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen auf die Einhaltung der Gesetze durch nachgeordnete Mitarbeiter hinzuwirken und diese regelmäßig zu überprüfen.14 Insoweit gewährleistet der Aufbau einer Informationsorganisation, dass der Vorstand seiner Legalitäts(kontroll-)pflicht nachkommen kann.15 Auf diese Weise können etwaige Verstöße frühzeitig erkannt und das Risiko einer Haftung der Gesellschaft
Rn. 153, Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 55, Grunewald, ZGR 2020, 469 (473 ff.), Raiser/Veil, § 14 Rn. 86 ff., MüKoAktG-Spindler, § 91 Rn. 18 ff. 9 Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rn. 55, Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rn. 47. 10 Vgl. Merkt, ZIP 2014, 1705 (1706): „rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit“, ähnlich Schneider, ZIP 2003, 645 (646): „Binsenweisheit“. 11 LG München I, NZG 2014, 345 – Siemens/Neubürger, GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 132, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 14, 23, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93 Rn. 71, Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 31, Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, Raiser/Veil, § 14 Rn. 81, Thole, ZHR 173 (2011), 504 (509). 12 Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rn. 23, Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, Habersack/ Mülbert/Schlitt-Brellochs, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 1 Rn. 242. 13 Paefgen, WM 2016, 433 (436), Bürkle, CCZ 2015, 52 (52 f.), Verse, ZHR 175 (2011), 401 (406 f.) m. w. N. 14 LG München I, NZG 2014, 345 – Siemens/Neubürger, vgl. auch BGH, NJW 2013, 1958 Rn. 22, bestätigt in BGH, NZG 2015, 792 Rn. 27; Verse, ZHR 175 (2011), 401 (403), GK-AktGHopt/Roth, § 93 Rn. 133, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rn. 47, KK-AktG-Mertens/ Cahn, § 91 Rn. 34, Arnold, ZGR 2014, 76 (79). 15 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, Hauschka, AG 2004, 461 (463), Rodewald/Unger, BB 2006, 113 (113 f.), Kiethe, GmbHR 2007, 393 (399).
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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selbst und ihrer Organe minimiert werden.16 Deutlich wird dies auch an § 130 OWiG, wonach der Inhaber eines Unternehmens ordnungswidrig handelt, wenn eine Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert werden können. Die Vorschrift setzt somit das Bestehen einer Pflicht zur Implementierung einer Compliance-Struktur implizit voraus.17 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Compliance-Struktur steht dem Vorstand ein Ermessen im Rahmen der „Business Judgement Rule“ nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu.18 Er muss nur solche Maßnahmen treffen, die im Verhältnis zu der jeweiligen Gesellschaft erforderlich und zumutbar sind.19 Große Kapitalgesellschaften werden hingegen nicht umhinkommen, ein institutionalisiertes Überwachungssystem einzurichten.20 Für Wertpapierdienstleistungs-unternehmen und Kreditinstitute ergibt sich dies schon aus den Spezialregelungen des § 80 Abs. 1 WpHG bzw. § 25a KWG. Aber auch für andere börsennotierte Aktiengesellschaften zählt die Einrichtung einer Compliance-Organisation nach standardisierten Strukturvorgaben mittlerweile zum Marktstandard, um Compliance-Verstößen vorzubeugen.21 Eine solche Compliance-Organisation muss sich auf sämtliche Zweige des Unternehmens erstrecken und in Bezug auf alle Mitarbeiter der nachgeordneten Ebenen eine klare organisatorische Zuordnung und Aufgabenverteilung festlegen.22 Es empfiehlt sich die Einrichtung eines „Compliance Comittees“ oder eines „(Chief) Compliance Officers“ unterhalb der Vorstandsebene, der Dokumentationspflichten übernimmt und an den Vorstand berichtet.23 16 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 11, Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rn. 91, Hauschka/ Moosmayer/Lösler-Klahold/Lochen, Corporate Compliance, § 37 Rn. 1 f., Lösler, NZG 2005, 104; vgl. auch Grds. 5 DCGK. 17 Vgl. Merkt, ZIP 2014, 1705 (1707): „akzessorisch zu einer andernorts statuierten Pflicht“. 18 Bachmann, ZIP 2014, 579 (580 f.), Hoffmann/Schieffer, NZG 2017, 401 (403), Paefgen, WM 2016, 433 (436), Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rn. 92, Hauschka/Moosmayer/LöslerKlahold/Lochen, Corporate Compliance, § 37 Rn. 4, Seibt/Cziupka, AG 2015, 93 (95), GKAktG-Kort, § 91 Rn. 123, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 91 Rn. 36 f., MüKoAktG-Spindler, § 91 Rn. 67, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 13. 19 Paefgen, WM 2016, 433 (436), Verse, ZHR 175 (2011), 401 (406 f.), KK-AktG-Mertens/ Cahn, § 91 Rn. 36, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rn. 56, Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 39, Bachmann, VGR 2007, 65 (78 f.), Harbarth, ZHR 179 (2015), 136 (148 f.), Reichert/ Ott, ZIP 2009, 2173 (2174), Bürkle, BB 2005, 565 (569). 20 LG München I, NZG 2014, 345 – Siemens/Neubürger, Kort, FS Hopt Band I (2010), S. 983, Goette, ZHR 175 (2011), 388 (391), Buck-Heeb, CCZ 2009, 18, Fleischer, NZG 2014, 321 (322), Hoffmann/Schieffer, NZG 2017, 401 (406), Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rn. 63, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 11, 16. 21 Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rn. 94, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rn. 48, Seibt/ Cziupka, AG 2015, 93 (95), KK-AktG-Mertens/Cahn, § 91 Rn. 36. 22 LG München I, NZG 2014, 345 (347) – Siemens/Neubürger, Harbarth, ZHR 179 (2015), 136 (158). 23 Harbarth, ZHR 179 (2015), 136 (169 f.), Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rn. 66, Bicker, AG 2012, 542 (544), Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 41, Hauschka/Moosmayer/
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Letztlich ist der wichtigste Bestandteil der Compliance-Organisation also eine Berichtsstruktur, sodass potentiell compliance-relevante Informationen unternehmensintern weitergeleitet werden.24 bb) Kapitalmarkt-Compliance Auch die Befolgung von Art. 17 MAR ist ein Teil der Compliance. Der Emittentin obliegt aufgrund ihrer Börsennotierung die Einhaltung gewisser kapitalmarktrechtlicher (Publizitäts-)Pflichten und der Vorstand hat deren Einhaltung für die juristische Person sicherzustellen. Die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen ist also schlicht eine gesetzliche Pflicht und schon als solche eine Vorstandsaufgabe. Häufig wird von „Kapitalmarkt-Compliance“25 oder einer „Compliance-Dimension der Ad-hoc-Publizität“26 gesprochen, wenn die Anstrengungen gemeint sind, die die Emittentin unternimmt, um den aus der Börsennotierung resultierenden Pflichten gerecht zu werden. Dies ist insofern richtig, als organisatorische Vorkehrungen zur Einhaltung der Ad-hoc-Publizitätspflicht der Zielrichtung von Compliance entsprechen, Haftungsrisiken für die Gesellschaft und ihre Organe zu minimieren.27 Darüber hinaus zeigt sich die Parallelität von Ad-hoc-Publizität und Compliance auch an der organisatorischen Verschränkung der beiden Bereiche. Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht zugleich eine Organisationspflicht beinhaltet. Die Emittentin hat durch die Einrichtung einer entsprechenden Informationsorganisation die Erfassung und Verarbeitung potentiell veröffentlichungspflichtiger Insiderinformationen sicherzustellen.28 Diese Organisation weist große Ähnlichkeit mit einer auf Haftungsvermeidung und Risikokontrolle angelegten Compliance-Struktur auf. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle stammen sowohl veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen als auch Hinweise auf Compliance-Verstöße aus dem Unternehmen selbst. Beiden Konzepten ist daher gemeinsam, dass sie das gesamte Unternehmen erfassen und dass beim Vorstand „die Fäden zusammenlaufen“. Ferner bestehen Parallelen in Bezug auf die Zuständigkeiten und Berichtswege sowie hinsichtlich der Einrichtung einer zentralen Stelle, sei es in Form eines Compliance Officers oder eines Ad-hocLösler-Klahold/Lochen, Corporate Compliance, § 37 Rn. 53, dazu auch Nietsch, ZHR 180 (2016), 733 (742). 24 Harbarth, ZHR 179 (2015), 136 (158), LG München I, NZG 2014, 345 (347 f.) – Siemens/Neubürger, Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 274. 25 Hauschka/Moosmayer/Lösler-Franke/Grenzebach, Corporate Compliance, § 17 Rn. 29 f., Wendel, CCZ 2008, 41, Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, Szesny/Kuthe, Kapitalmarkt Compliance, passim. 26 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 13, vgl. auch Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (69): „Disziplinierung der Organe“. 27 Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 346. 28 Siehe B.III.2.c)cc)(1).
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Komitees.29 Zudem sind auch Überschneidungen inhaltlicher Art vorhanden. Denn viele insiderrechtlich relevante Informationen entstehen aus Sachverhalten, die auch für die übrige Compliance von Interesse sind. Dies gilt unter anderem für Kartellverstöße, durch einen Unternehmensangehörigen verübte Straftaten oder Verstöße gegen Umweltauflagen. In solchen Fällen gilt es nicht nur, den Rechtsverstoß intern aufzuarbeiten, entsprechende Konsequenzen zu ziehen oder Verteidigungsmittel gegen staatsanwaltliche oder aufsichtsrechtliche Ermittlungen vorzubereiten. Gleichermaßen ist abzuwägen, ob das Bekanntwerden des Rechtsverstoßes kursbeeinflussende Wirkung haben kann und ob die Voraussetzungen für einen Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 Abs. 4 MAR vorliegen. Hierfür können weitere Details, die von der Compliance-Abteilung recherchiert werden, nutzbar gemacht werden. Die Überschneidung der Themen Compliance und Kapitalmarktrecht geht sogar so weit, dass bisweilen vorgeschlagen wird, Aufgaben aus dem Bereich der Ad-hocPublizität teilweise der allgemeinen Compliance-Abteilung zuzuweisen, sofern keine eigene Kapitalmarktabteilung geschaffen werden soll.30 Auch hierdurch wird die inhaltliche Verzahnung dieser Aufgabenbereiche deutlich. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass eine ordnungsgemäße Unternehmensorganisation die Voraussetzung sowohl für die Vermeidung von Rechtsverstößen aus dem Unternehmen heraus als auch für die Kapitalmarktpublizität nach Art. 17 MAR darstellt. Insbesondere für die Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten der Emittentin ist die Effektivität der unternehmensinternen Informationsorganisation von zentraler Bedeutung.31 Buck-Heeb spricht im Zusammenhang mit der Kapitalmarktpublizität von „mittelbaren Organisationspflichten“.32 Zwar führt nicht schon das Unterlassen der Informationsorganisation als solcher zu einer Schadensersatzpflicht, wohl aber eine daraus resultierende Missachtung einer Publizitätspflicht.33 Vergegenwärtigt man sich diese Elemente der Ad-hoc-Publizitätspflicht, ergibt sich auch aus ihrem Organisationsaspekt die Zuständigkeit des Vorstands als oberstes Geschäftsführungsorgan.
29
Vgl. Lebherz, Emittenten-Compliance, S. 347 ff.; zum Ad-hoc-Komitee: D.I.2.b)bb). Seibt/Cziupka, AG 2015, 95 (96), Wendel, CCZ 2008, 41 (46), siehe auch Szesny/KutheRacky/Fehn-Claus, Kapitalmarkt Compliance, § 2 Rn. 53. 31 Seibt/Cziupka, AG 2015, 93 (96), Wendel, CCZ 2008, 41 (46). 32 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (19 f.), siehe auch Wendel, CCZ 2008, 41 (46), Habersack/ Mülbert/Schlitt-Schneider, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 2 Rn. 53 ff., Seyfarth, Vorstandsrecht, § 12 Rn. 35. 33 Buck-Heeb, CCZ 2009, 18 (19 f.), vgl. auch Assmann/Schneider/Mülbert-Schneider, WpHR, § 33 WpHG Rn. 108, 137, KK-WpHG-Hirte, § 21 Rn. 175, Neumann, Wissenszurechnung, S. 153 f. 30
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
c) Ad-hoc-Publizität als Kommunikationsaufgabe Zudem kann die Einordnung der Ad-hoc-Publizitätspflicht als Vorstandsaufgabe auch mit der Kommunikationsverantwortung des Vorstands begründet werden. Es zählt zu seinen Kernaufgaben, die Gesellschaft nach innen und außen zu repräsentieren.34 Hierfür räumen ihm die §§ 78 Abs. 1 S. 1, 82 Abs. 1 AktG eine unbeschränkte und unbeschränkbare organschaftliche Vertretungsmacht ein. Der Vorstand ist also gewissermaßen das „Sprachrohr“ der Gesellschaft. Neben rechtsgeschäftlichem und gerichtlichem Auftreten gehört auch die allgemeine Öffentlichkeits- und Medienarbeit der Gesellschaft zu den Aufgaben des Vorstands.35 Bei börsennotierten Gesellschaften zählt hierzu insbesondere die Außendarstellung des Unternehmens gegenüber dem Kapitalmarkt, vor allem durch eine professionelle Kontaktpflege zu (potentiellen) Anlegern, Analysten und Finanzintermediären (sog. Investor Relations).36 Da der Vorstand an der Spitze der Unternehmensorganisation steht und bei ihm alle das Unternehmen betreffenden Informationen zusammenlaufen, ist er grundsätzlich dafür zuständig, den Investorendialog zu führen.37 Ihm obliegt es, den Außenauftritt des Unternehmens zu koordinieren, indem er sich überlegt, wie sich das Unternehmen in der Öffentlichkeit darstellen und welche Kernbotschaften es transportieren möchte, und hierzu eine passende Kommunikationsstrategie entwickelt. Hintergrund dieser Vorgabe ist die sog. one voice policy, also das Bestreben eines Unternehmens, einheitlich nach außen aufzutreten und mit „einer Stimme“ zu sprechen.38 Für börsennotierte Gesellschaften ist dies von besonderer Bedeutung, da sie sowohl mit Blick auf die Finanzierungsmöglichkeiten des Unternehmens, aber auch auf ihre Reputation in hohem Maße von dem Kurs ihrer Aktien abhängig sind.39 Durch gute Investor Relations-Arbeit kann der Kurs gesteigert, der Aktionärskreis erweitert und das Vertrauen des Kapitalmarkts in die Emittentin insgesamt gestärkt werden.40 Dazu darf aber am Markt keinesfalls der Eindruck entstehen, Zeitpunkt, Art und Inhalt von Veröffentlichungen seien intern nicht abgestimmt. Dies könnte das Vertrauen der Anleger in die Fähigkeiten des Managements und damit in den Erfolg einer Investition erheblich schmälern. Daher dürfen sich andere Organe oder
34
Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 11. Seyfarth, Vorstandsrecht, § 2 Rn. 2. 36 Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, Vetter, AG 2014, 387 (388), Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 401, ausführlich Landsittel, Investorenkommunikation, S. 69 ff. 37 Holle, ZIP 2019, 1895 (1896). 38 Vetter, AG 2014, 387 (392), Grunewald, ZIP 2016, 2009 (2010), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (46). 39 Hewicker, Ad-hoc-Publizität, S. 39 f., Veil, ZHR 167 (2003), 365 (396). 40 Marsch-Barner/Schäfer-Arnold, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 19.29, Fleischer, ZGR 2009, 505 (508), Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 m. w. N. 35
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Personen unterhalb der Organebene nicht in Widerspruch zu der Kommunikationsstrategie des Vorstands setzen.41 Die Veröffentlichung von Insiderinformationen in Form von Ad-hoc-Mitteilungen gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR ist ein wichtiges Mittel, um den Kapitalmarkt über die Angelegenheiten des Unternehmens zu informieren.42 Auch aus diesem Grund obliegt es im Grundsatz dem Vorstand, über Zeitpunkt, Inhalt und Formulierung von Ad-hoc-Mitteilungen zu entscheiden. Sofern die Voraussetzungen gegeben sind, um die Mitteilung nach Art. 17 Abs. 4 MAR aufzuschieben, muss der Vorstand erwägen, ob er hiervon vor dem Hintergrund der sonstigen Kapitalmarktkommunikation der Emittentin Gebrauch machen möchte. Mithin lässt sich die Ad-hoc-Publizität als eine Kommunikationsaufgabe einordnen, für die der Vorstand zuständig ist. d) Zwischenergebnis Somit bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands fällt. Dies ergibt sich aus seiner Leitungsfunktion, seiner Compliance-Verantwortung und seiner Kommunikationsaufgabe im Außenverhältnis.
2. Delegation der Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizität Die Zuständigkeit des Vorstands für die Ad-hoc-Publizität bedeutet jedoch nicht, dass sämtliche hiermit in Verbindung stehenden Entscheidungen im Plenum des Vorstands getroffen und von diesem gemeinschaftlich ausgeführt werden müssen. Nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen können in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands fallende Aufgaben grundsätzlich einem einzelnen Vorstandsmitglied (sog. horizontale Delegation) oder nachgeordneten Leitungsebenen (sog. vertikale Delegation) übertragen werden.43 a) Horizontale Delegation aa) Grundsätze der Delegierbarkeit Obwohl für die Arbeit des Vorstands grundsätzlich das Prinzip der Gesamtverantwortung gilt, ist die interne Verteilung bestimmter Aufgaben oder Geschäftsbe-
41
Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (46), Grunewald, ZIP 2016, 2009 (2010). Marsch-Barner/Schäfer-Arnold, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 19.28, 19.34. 43 GK-AktG-Hopt, § 76 Rn. 32a, § 93 Rn. 159 ff., MüKoAktG-Spindler, § 77 Rn. 57 ff., Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rn. 61 ff., KK-AktG-Mertens/Cahn, § 77 Rn. 15 ff., Fleischer-Fleischer, Vorstandsrecht, § 1 Rn. 52 ff.; vgl. zur GmbH: BGHZ 133, 370 (378). 42
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
reiche gemäß § 77 Abs. 1 S. 2 AktG zulässig.44 Einzelnen Vorstandsmitgliedern kann ein Ressort zur selbständigen Leitung unter eigener Verantwortung übertragen werden.45 Die übrigen Vorstandsmitglieder werden durch die Delegation jedoch nicht von jeglicher Verantwortung frei, sondern sind verpflichtet, auch die ihnen nicht explizit zugewiesenen Bereiche zu beobachten, im Falle von Verdachtsmomenten verstärkt zu überwachen und notfalls sogar gegen pflichtwidrige Handlungen anderer Vorstandsmitglieder einzuschreiten.46 Von der grundsätzlichen Delegierbarkeit bestehen jedoch zwei Ausnahmen: Zum einen ist die Delegation unzulässig, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die dem Vorstand gesetzlich zur eigenhändigen Ausführung zugewiesen sind (unter bb), und zum anderen, wenn es sich um genuine Leitungsaufgaben handelt (unter cc)). bb) Delegationsverbot kraft gesetzlicher Zuweisung Die Delegation ist unzulässig, wenn das Gesetz entweder aufgrund seines Wortlauts oder des Regelungszusammenhangs erkennen lässt, dass bestimmte Aufgaben durch den Vorstand selbst wahrgenommen werden sollen.47 Ersteres geschieht meist durch die Verwendung der Formulierung „der Vorstand“ anstelle von „die Gesellschaft“.48 Beispiele hierfür sind etwa §§ 33 Abs. 1, 36 Abs. 1, 195 Abs. 1 S. 1, 201 Abs. 1 AktG oder §§ 245, 264 Abs. 2 S. 5, 297 Abs. 2 S. 4 HGB. In Art. 17 Abs. 1 MAR wird jedoch „der Emittent“ adressiert, also die juristische Person.49 Dem Wortlaut ist daher nicht zu entnehmen, dass ein bestimmtes Organ der Gesellschaft für die Veröffentlichung oder den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig sein soll und erst recht nicht, dass es diese Aufgaben nicht delegieren darf. Auch die Erwägungsgründe der MAR, oder die WpAV sowie § 15 WpHG a. F. und die Gesetzgebungsmaterialien hierzu enthalten keinen derartigen Hinweis.50 44
Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rn. 62 ff., Fleischer, ZIP 2003, 1 (7), GK-AktGHopt, § 76 Rn. 33, Dreher, FS Hopt Band I (2010), S. 517 (518). 45 Fleischer-Fleischer, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 9, MüKoAktG-Spindler, § 77 Rn. 57, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rn. 14, GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 374 ff., Semler/Peltzer/ Kubis-Kubis, Arbeitshandbuch Vorstandsmitglieder, § 1 Rn. 315, jüngst Hoffmann-Becking, NZG 2021, 93. 46 BGH, NJW 2013, 1958 Rn. 22, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 77 Rn. 26 ff., MüKoAktGSpindler, § 77 Rn. 58, GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 374 ff., Fleischer-Fleischer, Vorstandsrecht, § 8 Rn. 10. 47 MüKoAktG-Spindler, § 77 Rn. 64, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 77 Rn. 24, Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (391). 48 Hauschka/Moosmayer/Lösler-Schmidt-Husson, Corporate Compliance, § 6 Rn. 16. 49 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR, Baumbach/Hopt-Kumpan, HGB, Art. 17 MAR Rn. 3, Thomale, Der gespaltene Emittent, S. 28. 50 Vgl. zum alten Recht: HRA DAV, Stellungnahme zum Emittentenleitfaden, NZG 2009, 175 (179), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (417), Mennicke, NZG 2009, 1059 (1062), Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (391 f.).
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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cc) Delegationsverbot von Leitungsaufgaben Zum anderen ist die Delegation einer Aufgabe unzulässig, wenn es sich dabei um eine Leitungsaufgabe des Vorstands i. S. d. § 76 AktG handelt, die unverzichtbar und zwingend dem Gesamtvorstand zugewiesen ist.51 Das Gesetz macht bereits durch den divergierenden Wortlaut der Vorschriften deutlich, dass diese von einfachen Geschäftsführungsaufgaben nach § 78 AktG zu unterscheiden sind.52 Anders als im Rahmen der Geschäftsführung nach § 77 AktG müssen Leitungsaufgaben von allen Vorstandsmitglieder gemeinschaftlich ausgeübt werden und dürfen nicht auf Einzelne von ihnen delegiert werden.53 Auch diese Unterscheidung bringt § 77 AktG sprachlich zum Ausdruck, indem er eine Modifikation der Geschäftsführung, nicht aber der Geschäftsleitung zulässt. Allerdings ist es auch bei Leitungsaufgaben nicht erforderlich, dass ein Organmitglied alle vor- und nachgelagerten Arbeitsschritte höchstpersönlich übernimmt. Vorbereitende Hilfsaufgaben können an Mitarbeiter delegiert werden, solange die letztverantwortliche Entscheidung beim Vorstand verbleibt.54 Ebenso ist es zulässig, dass sich der Vorstand durch Rechtsanwälte oder Unternehmensberater unterstützen lässt. (1) Charakterisierung der Leitungsaufgaben Das Gesetz enthält weder eine Definition der „Leitung“ noch der „Geschäftsführung“. In der Literatur besteht seit Längerem weitgehende Übereinstimmung dahingehend, dass die Leitung einen „herausgehobenen Bereich“, mithin einen Teilausschnitt der Geschäftsführung, darstellt.55
51
BGHZ 149, 158 (160), KK-AktG-Mertens/Cahn, § 77 Rn. 22 ff., Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rn. 62, MüKoAktG-Spindler, § 76 Rn. 18, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 49, Henze, BB 2000, 209, Dreher, FS Hopt Band I (2010), S. 517 (521), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 8; aA Kuntz, AG 2020, 801. 52 MüKoAktG-Spindler, § 76 Rn. 14, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 29, Raiser/Veil, § 14 Rn. 1. 53 GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 34, MüKoAktG-Spindler, § 76 Rn. 14, § 77 Rn. 63, Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 8, Fleischer-Fleischer, Vorstandsrecht, § 1 Rn. 12 ff., Dreher, FS Hopt Band I (2010), S. 517 (521 ff.); kritisch dagegen Seibt, FS K. Schmidt (2009), S. 1463 (1476 ff.). 54 GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 49, Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rn. 20, HöltersWeber, AktG, § 76 Rn. 12, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 8, Hegnon, CCZ 2009, 57 (58). 55 Siehe nur MüKoAktG-Spindler, § 76 Rn. 17, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 29a, KK-AktGMertens/Cahn, § 76 Rn. 4, MHdbGesRIV-Wentrup, § 19 Rn. 14, Fleischer, ZIP 2003, 1 (3), jeweils m. w. N.; a. A. jüngst wieder Linnertz, Delegation durch den Vorstand, S. 59 ff., Kuntz, AG 2020, 801.
166
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Die Leitung wird im Allgemeinen als die Führungs- und Unternehmerfunktion des Vorstands und die Lenkung der Gesellschaft beschrieben.56 Auch Grundsatz 2 DCGK bezeichnet sie als die Entwicklung und Umsetzung der „strategischen Ausrichtung des Unternehmens“. Aufgrund seiner Leitungsfunktion ist der Vorstand berechtigt und verpflichtet, die Unternehmenspolitik im Rahmen der gesetzlichen und statutarischen Vorgaben aktiv zu gestalten und die wesentlichen Führungsentscheidungen zu treffen, die zur Durchsetzung dieser Unternehmenspolitik und damit zur Erfüllung des Unternehmensziels erforderlich sind.57 Unter Rückgriff auf die betriebswirtschaftliche Organisations- und Managementlehre werden darunter die Unternehmensplanung, -koordination und -kontrolle gefasst, also die Festlegung der Unternehmensstruktur, Grundfragen der Unternehmensfinanzierung, die Überwachung des Geschäftsbetriebs und die Besetzung der oberen Führungspositionen58 sowie spätestens seit dem „Siemens/Neubürger-Urteil“ des LG München I auch die Compliance. Somit ist es nicht die Aufgabe des Vorstands, das Tagesgeschäft selbst auszuführen, sondern es obliegt ihm, das Unternehmen so zu organisieren, dass das Tagesgeschäft angemessen durchgeführt werden kann.59 Einzelne betriebliche Entscheidungen muss der Vorstand nur dann selbst treffen, wenn sie außergewöhnlich risikoreich sind oder eine besondere Tragweite für die Entwicklung des Unternehmens als Ganzes und seine Finanz- und Ertragslage erreichen.60 (2) Ad-hoc-Publizität als Leitungsaufgabe Um zu klären, ob die Pflichten der Emittentin im Zusammenhang mit der Ad-hocPublizität auf ein einzelnes Vorstandsmitglied delegiert werden können, ist also danach zu fragen, ob es sich hierbei um Leitungsaufgaben im soeben beschriebenen Sinne handelt. Namentlich die BaFin und ein Teil der Literatur gehen davon aus, dass die Veröffentlichung von Insiderinformationen eine Leitungsaufgabe sei.61 Die Selbstbefreiung stelle die „Kehrseite“ der Verantwortung für die Veröffentlichung dar und 56 GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 29 f., KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 4, MüKoAktGSpindler, § 76 Rn. 15, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 8, Raiser/Veil, § 14 Rn. 1, Fleischer, ZIP 2003, 1 (5). 57 MHdbGesRIV-Wentrup, § 19 Rn. 18 f., Marsch-Barner/Schäfer-Arnold, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 19.10. 58 KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 5, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 36 ff., MüKoAktGSpindler, § 76 Rn. 15, Semler/Peltzer/Kubis-Kubis, Handbuch Vorstandsmitglieder, § 1 Rn. 180 ff., Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 9, Raiser/Veil, § 14 Rn. 1, Henze, BB 2000, 209 (210), Schiessl, ZGR 1992, 64 (68), Seibt, FS K. Schmidt (2009), S. 1463 (1471); im Detail abweichend: Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rn. 15 ff. 59 Semler/Peltzer/Kubis-Richter, Arbeitshandbuch Vorstandsmitglieder, § 4 Rn. 18, KKAktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 5, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 36. 60 KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 5, GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 36. 61 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.2.1.6, S. 33, Hewicker, Ad-hoc-Publizität, S. 39, Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1741).
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
167
müsse daher ebenfalls beim Vorstand liegen.62 Hierfür wird ins Feld geführt, dass Adhoc-Mitteilungen per definitionem nur Informationen beinhalten würden, deren Bekanntwerden geeignet ist, den Kurs eines Finanzinstruments erheblich zu beeinflussen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR).63 Somit beträfen sie stets die Geschäftsund Finanzlage der gesamten Gesellschaft.64 Denn die Emittentin sei in vielerlei Hinsicht von der Entwicklung des Börsenkurses ihrer Aktien abhängig: Dieser beeinflusse nicht nur ihre Kreditwürdigkeit, sondern auch die Möglichkeit, Kapitalerhöhungen vorzunehmen oder eigene Aktien als Akquisitionswährung zu verwenden.65 Zudem sei die Kommunikation bedeutsamer Entscheidungen oder Ereignisse gegenüber dem Kapitalmarkt von großer Bedeutung für die Reputation der Gesellschaft.66 In diesem Zusammenhang wird auch auf die vergleichsweise geringe Zahl von ad-hoc-relevanten Sachverhalten pro Geschäftsjahr verwiesen.67 Die vorstehenden Annahmen über die Gewichtigkeit von Ad-hoc-Mitteilungen sind durchaus zutreffend, indes können sie nicht genügen, um die Einordnung sämtlicher hiermit in Verbindung stehenden Maßnahmen als Leitungsaufgaben zu rechtfertigen. Bei der Veröffentlichung oder dem Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung handelt es sich stets um eine punktuelle Entscheidung in einem konkreten Einzelfall. Sie betrifft nur eine spezifische Insiderinformation, nicht aber die gesamte strategische Ausrichtung des Unternehmens.68 Zwar mag eine Ad-hoc-Mitteilung geeignet sein, die Unternehmensentwicklung der Emittentin zu beeinflussen. Ausschlaggebend hierfür ist aber nicht die Veröffentlichung als solche, sondern die ihr zugrundeliegende Insiderinformation. Hierin liegt gerade der Unterschied zu der Einrichtung einer Organisationsstruktur zur Einhaltung der wertpapieraufsichtsrechtlichen Bestimmungen im Allgemeinen, die als Compliance-Aufgabe dem Vorstand als Gesamtorgan zukommt.69 Auch die BaFin ging in ihrem alten Emittentenleitfaden von der Zulässigkeit einer horizontalen Delegation der Ad-hoc-Aufgaben aus, hob aber den Aspekt der Gesamtverantwortung hervor: „Macht das Leitungsorgan bei den kapitalmarktbezogenen Pflichtmitteilungen (insbesondere bei § 15 WpHG) von der Möglichkeit der Geschäftsverteilung Gebrauch und überträgt 62
Bedkowski, BB 2009, 1482 (1485), wohl auch Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 425. Hewicker, Ad-hoc-Publizität, S. 39, Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1741), Möllers/ Leisch, WM 2001, 1648 (1652). 64 Vgl. KK-AktG-Mertens/Cahn, § 76 Rn. 5. 65 Hewicker, Ad-hoc-Publizität, S. 39 f., Veil, ZHR 167 (2003), 365 (396), vgl. auch Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, S. 157 f. 66 Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1741), Möllers/Leisch, WM 2001, 1648 (1652); vgl. zur Möglichkeit des Aufschubs der Ad-hoc-Mitteilung zum Schutze der Unternehmensreputation: Klöhn/Schmolke, ZGR 2016, 866. 67 Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1741). 68 Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1609), Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (391), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 190, Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (418). 69 Vgl. Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (391). 63
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
einem (Vorstands-)Mitglied die Zuständigkeit für eine ordnungsgemäße Ad-hoc-Berichterstattung, bleiben die übrigen (Vorstands-)Mitglieder aber weiter zur fortlaufenden Beobachtung der Kapitalmarktkommunikation verpflichtet.“70
Sofern jedoch argumentiert wird, der Aufschub der Veröffentlichung könne keine Leitungsentscheidung sein, da er sich in der Subsumtion unter die in Art. 17 Abs. 4 MAR niedergelegten Voraussetzungen erschöpfe,71 ist dies nur teilweise zutreffend. Zwar wurden dessen Tatbestandsmerkmale durch die Beispiele in Erwägungsgrund (50) der MAR, § 6 WpAV und den ESMA-Leitlinien72 konkretisiert. Die Behandlung von Insiderinformationen muss jedoch stets im Einklang mit der bisherigen Kapitalmarktkommunikation der Emittentin erfolgen.73 Die Selbstbefreiung erschöpft sich also gerade nicht in einer schlichten Subsumtion, sondern stellt einen komplexen Vorgang dar, der gleichermaßen kapitalmarktrechtliche Expertise wie eine genaue Kenntnis der bisherigen Kommunikation der Emittentin erfordert. Zudem ist auch nach dem Zweck der Selbstbefreiungsentscheidung kein Tätigwerden des Gesamtvorstands erforderlich. Diese dient neben der Herbeiführung der Aufschubwirkung auch der Nachvollziehbarkeit der ihr zugrundeliegenden Erwägungen im Nachhinein (vgl. Art. 17 Abs. 4 UAbs. 3 MAR).74 Vor diesem Hintergrund ist es jedoch weniger maßgeblich, ob die Entscheidung durch das Leitungsorgan getroffen wird; es kommt nur darauf an, dass die Entscheidungsträger fachlich in der Lage sind, den der Emittentin obliegenden Publizitätspflichten rechtzeitig nachzukommen.75 Dies gilt insbesondere für die Beurteilung, ob eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt, also die Einschätzung des Merkmals des Kursbeeinflussungspotentials, die zu einem Großteil auf Erfahrungs- und Vergleichswerten beruht und eine vertiefte Kenntnis der Finanz- und Ertragslage der Emittentin erfordert.76 Ferner erfordert die Selbstbefreiung die Flexibilität, sich innerhalb kürzester Zeit mit der betreffenden Insiderinformation zu befassen und darüber zu beschließen.77 Dies kann nicht unbedingt gewährleistet werden, wenn das in der Praxis oftmals aufwendige Verfahren zur Einleitung einer Vorstandssitzung durchlaufen werden muss.78
70
BaFin, Emittentenleitfaden 2013, VI.3.1, S. 89. Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (418). 72 ESMA, MAR-Leitlinien – Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, ESMA/ 2016/1478. 73 Gutzy/Märzhäuser, Praxishandbuch Ad-hoc-Publizität, S. 170, Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351). 74 Schröder, Selbstbefreiung, S. 168. 75 Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 159. 76 Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351), Bedkowski, BB 2009, 394 (398 f.). 77 Siehe D.I.2.b)bb). 78 Szesny/Kuthe-Niermann/Venter, Kapitalmarkt Compliance, § 3 Rn. 93. 71
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Nach alledem handelt es sich bei den zur Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht erforderlichen Maßnahmen nicht um Leitungsaufgaben, mit der Folge, dass sie auf ein einzelnes Vorstandsmitglied delegiert werden können. (3) Ausnahme bei besonders bedeutsamen Insiderinformationen Teilweise werden jedoch Ad-hoc-Aufgaben ausnahmsweise als Leitungsaufgaben angesehen, wenn Gegenstand der Veröffentlichung oder des Aufschubs eine besonders bedeutsame Insiderinformation ist. Kocher/Schneider nehmen eine Leitungsaufgabe in Ausnahmefällen an, in denen die Veröffentlichung von existenzieller Bedeutung für die Emittentin ist.79 Richtigerweise sind aber auch in diesen Fällen die Annahme einer Leitungsaufgabe und damit ein Delegationsverbot zu verneinen. Die Entscheidung über die Veröffentlichung oder den Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung darf nicht mit der zugrundeliegenden Insiderinformation verwechselt werden, die Gegenstand der Mitteilung ist. Selbst wenn diese Maßnahme zum unveräußerlichen Leitungsbereich des Vorstands zählt, gilt das nicht automatisch für die diesbezügliche Publizität.80 Wie bereits ausgeführt, mag die zugrundeliegende Insiderinformation eine unternehmerische Entscheidung sein, die daraus resultierende Veröffentlichungspflicht ist es jedoch nicht. Diese stellt lediglich einen prozeduralen Verfahrensschritt dar.81 Die Emittentin hat keine Wahl, ob sie die Insiderinformation veröffentlichen möchte, sie ist vielmehr von Gesetzes wegen dazu verpflichtet. Daran ändert sich nichts, wenn anstelle eines Vorstandsmitglieds der Gesamtvorstand entscheidet. Immerhin bleibt trotz einer Delegation der gesamte Vorstand weiterhin zur Beaufsichtigung der ordnungsgemäßen Erfüllung verpflichtet. dd) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Entscheidung über die Veröffentlichung oder den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung keine Leitungsaufgabe i. S. d. § 76 AktG ist. Somit ist ihre Delegation auf ein einzelnes Vorstandsmitglied zulässig. b) Vertikale Delegation der Ad-hoc-Publizitätspflicht Weiterhin müssen die dem Vorstand obliegenden Aufgaben nicht zwangsläufig durch ein Vorstandsmitglied in eigener Person erfüllt werden, sondern können auch
79
Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1609), Mennicke, NZG 2009, 1059 (1063), Widder, BB 2009, 967 (972). 80 Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (455), Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (391), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (418). 81 Vgl. Herfs, DB 2013, 1650 (1655): „Maßnahme von untergeordneter Bedeutung“.
170
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
vertikal an Mitarbeiter des Unternehmens delegiert werden.82 In Bezug auf die Adhoc-Publizitätspflicht kommt etwa eine Delegation an einen „Ad-hoc-Beauftragten“, also eine Einzelperson, oder – praktisch weitaus häufiger – an ein Gremium in Betracht, das sämtliche Ad-hoc-Aufgaben wahrnehmen soll. aa) Zulässigkeit Ebenso wie die horizontale Delegation ist die vertikale Delegation jedoch unzulässig, wenn sich aus dem Gesetz eine zwingende Zuständigkeit des Vorstands ergibt, oder wenn es sich um Leitungsaufgaben i. S. d. § 76 AktG handelt. Wie oben bereits festgestellt, enthält die MAR keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung zugunsten des Vorstands. Auch aus der in Art. 17 MAR geregelten Materie ergibt sich nicht zwingend, dass der Vorstand persönlich tätig werden müsste. Mithin kann nicht angenommen werden, der Normgeber sei für die Ad-hocPublizität von einem Delegationsverbot ausgegangen. Daher könnte ein Delegationsverbot allenfalls damit begründet werden, dass es sich bei der Ad-hoc-Publizität um eine Leitungsaufgabe handelt. Wie oben dargestellt, sind die Veröffentlichung und der Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung keine Leitungsentscheidungen, da sie nur Einzelfälle und nicht die gesamte strategische Ausrichtung der Emittentin betreffen. Das gilt selbst dann, wenn die zugrundeliegende Insiderinformation eine delegationsfeste Leitungsentscheidung betrifft. Zudem beruht auch das praktische Bedürfnis einer vertikalen Delegation darauf, die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung in die Hände eines kapitalmarktrechtlich versierten und erfahrenen Gremiums zu legen.83 Es kommt nicht auf die Position der beteiligten Mitarbeiter an, sondern auf ihre zeitliche Verfügbarkeit und fachliche Kompetenz. Vorstandsmitglieder können weder das juristische Wissen noch die zeitliche Kapazität für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Ad-hoc-Publizität ohne Weiteres gewährleisten.84 Die im Unternehmen vorhandenen Informationen mögen zwar üblicherweise beim Vorstand selbst und nicht bei einem auf einer Ebene darunter befindlichen Gremium konsolidiert werde. Dem kann aber zutreffenderweise mit der Einrichtung eines angemessenen Informations- und Berichtssystems begegnet werden, das die Weiterleitung der Insiderinformationen an die Stelle sicherstellt, welche mit der Wahrnehmung der Ad-hoc-Aufgaben betraut wurde.85
82 GK-AktG-Hopt, § 76 Rn. 49, GK-Akt-Hopt/Roth, § 93 Rn. 159 ff., Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rn. 65, MHdbGesRIV-Wentrup, § 19 Rn. 34, Fleischer-Fleischer, Vorstandsrecht, § 1 Rn. 56, Fleischer, ZIP 2003, 1 (8); dazu jüngst auch Zenner, AG 2021, 502. 83 Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351), Bedkowski, BB 2009, 394 (398 f.). 84 Szesny/Kuthe-Niermann/Venter, Kapitalmarkt Compliance, § 3 Rn. 96. 85 Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1610), Mennicke, NZG 2009, 1059 (1063), Ihrig/ Kranz, BB 2013, 451 (456).
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Mithin ist die Delegation von Ad-hoc-Aufgaben nicht nur an ein einzelnes Vorstandsmitglied möglich, sondern auch an Mitarbeiter des Unternehmens, die keine Organstellung innehaben. bb) Gestaltung in der Praxis Heutzutage kann es wohl als Marktstandard bezeichnet werden, dass ein unterhalb des Vorstands angesiedeltes Gremium gegründet wird, welches speziell für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht zuständig ist.86 Dieses wird meist als „Ad-hoc-Komitee“ oder „Disclosure Committee“ bezeichnet.87 Seine Aufgabe besteht darin, zu untersuchen, ob eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt, und die Möglichkeit eines Aufschubs der Veröffentlichung zu erwägen sowie ggf. bereits veröffentlichte Ad-hoc-Mitteilungen zu berichtigen.88 Ferner obliegt es ihm mit Blick auf potentielle Haftungsrisiken, sämtliche Beschlüsse sorgfältig zu dokumentieren.89 Mitglieder des Gremiums sind daher üblicherweise die Leiter derjenigen Abteilungen, in denen Insiderinformationen typischerweise entstehen, beispielsweise Finanzen, M&A oder Compliance.90 Zusätzlich sind oftmals Mitarbeiter der Bereiche Communications, PR und Investor Relations vertreten sowie weitere interne und externe Experten.91 Mindestens ein Mitglied sollte ein mit dem Kapitalmarktrecht vertrauter Jurist sein, etwa der Leiter der Rechtsabteilung oder ein Syndikusanwalt.92 Daneben ist auch üblich, dass mindestens ein Vorstandsmitglied – oft der Vorstandsvorsitzende oder der Finanzvorstand – Mitglied des Gremiums ist, wenn nicht sogar dessen Vorsitzender.93
86 Laut einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) und der Kanzlei Hengeler Mueller hatten im Jahre 2018 90 % der befragten 62 börsennotierten Unternehmen ein Ad-hoc-Komitee eingerichtet; unter den DAX- und MDAX-Unternehmen waren es sogar 100 % (Studie „Zwei Jahre EU-Marktmissbrauchsverordnung“, 2018, S. 9 f., abrufbar unter: https://www.dai.de/de/ das-bieten-wir/studien-und-statistiken/studien.html). 87 Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 9, Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (456), Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), Seyfarth, Vorstandsrecht, § 12 Rn. 35, Szesny/KutheNiermann/Venter, Kapitalmarkt Compliance, § 3 Rn. 92 ff. 88 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 425, Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351), Szesny/ Kuthe-Racky/Fehn-Claus, Kapitalmarkt Compliance, § 2 Rn. 55. 89 Gutzy/Märzhäuser, Praxishandbuch Ad-hoc-Publizität, S. 168, 170, Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351). 90 Szesny/Kuthe-Racky/Fehn-Claus, Kapitalmarkt Compliance, § 2 Rn. 54. 91 Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351), Gutzy/Märzhäuser, Praxishandbuch Ad-hocPublizität, S. 169, Szesny/Kuthe-Racky/Fehn-Claus, Kapitalmarkt Compliance, § 2 Rn. 54, Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (456). 92 Gutzy/Märzhäuser, Praxishandbuch Ad-hoc-Publizität, S. 169, Szesny/Kuthe-Racky/ Fehn-Claus, Kapitalmarkt Compliance, § 2 Rn. 54, Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351). 93 Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Unterschiede zeigen sich jedoch dahingehend, ob das Ad-hoc-Gremium nur beratend tätig wird und anschließend dem Vorstand seine Beschlussempfehlung vorlegt, oder ob es selbst über die Veröffentlichung oder den Aufschub der Ad-hocMitteilung beschließen darf.94 Tatsächlich sind die Vorteile der Einrichtung eines solchen Ad-hoc-Gremiums nur dann wirklich nutzbar, wenn dieses nicht nur beraten, sondern auch selbständig entscheiden darf. Nur dann ist es im Falle des Auftretens von Insiderinformationen flexibler und effizienter als der Vorstand.95 Die erforderlichen juristischen Kenntnisse, vor allem aber die zeitliche Verfügbarkeit für eine schnelle Entscheidung können Vorstandsmitglieder oftmals nicht ohne Weiteres gewährleisten.96 Ein kleineres Gremium kann zudem schneller entscheiden als der Gesamtvorstand, dessen Beschlussverfahren häufig aufwendig und stark formalisiert ist.97 Weiterhin besteht gegenüber einer alleinigen horizontalen Delegation auf ein Vorstandsmitglied bei der Einrichtung eines Gremiums der Vorteil der gegenseitigen Kontrolle der Gremiumsmitglieder sowie des Rückgriffs auf die Erfahrung aus verschiedenen Bereichen. So kann sich innerhalb eines Ad-hoc-Gremiums die entsprechende Expertise für Ad-hoc-Fragen mit der Zeit herausbilden, dieses also zu einem „Experten-Gremium“ werden. Dadurch wird die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung erhöht und das Haftungsrisiko für die Gesellschaft infolge von Fehlentscheidungen minimiert.98 Überdies erleichtern die Einrichtung eines Ad-hocGremiums und die sorgfältige Dokumentation seiner Beschlüsse die Argumentation mit der BaFin im Falle von Verstoßvorwürfen.99 c) Ansichten der ESMA und der BaFin Die Frage nach der Zulässigkeit einer Delegation der Zuständigkeit für die Adhoc-Publizitätspflicht wird jedoch ergänzend von zwei divergierenden Auffassungen der Aufsichtsbehörden beeinflusst. Im Final Report der ESMA heißt es: „There should be person(s) appointed within the issuer responsible for taking such decision [Anm.: Gemeint ist die Selbstbefreiungsentscheidung.]. This person(s) should […] have the 94
Siehe dazu DAI/Hengeler Mueller, Studie „Zwei Jahre EU-Marktmissbrauchsverordnung“, 2018, S. 9 f., abrufbar unter: https://www.dai.de/de/das-bieten-wir/studien-und-statisti ken/studien.html. 95 Mennicke, NZG 2009, 1059 (1062 f.), Bedkowski, BB 2009, 394 (398 f.), HRA DAV, Stellungnahme zum Emittentenleitfaden, NZG 2009, 175 (179). 96 Szesny/Kuthe-Niermann/Venter, Kapitalmarkt Compliance, § 3 Rn. 96. 97 Szesny/Kuthe-Niermann/Venter, Kapitalmarkt Compliance, § 3 Rn. 93. 98 Szesny/Kuthe-Niermann/Venter, Kapitalmarkt Compliance, § 3 Rn. 92. 99 Vgl. Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2353 f.); siehe auch BGH, NJW 2017, 3798 Ls. 2 zur Berücksichtigung einer Compliance-Struktur bei der Bemessung eines Bußgelds nach § 30 OWiG.
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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necessary decision-making power (e. g. a managing board member or a senior executive director) […]. ESMA does not consider appropriate to specify which positions such person(s) should have within the issuer, considering the variety of organisational structures issuers may have, but the issuer should ensure that a person responsible for the delay is always clearly identified.“100
Die ESMA spricht sich also dafür aus, dass sowohl Vorstandsmitglieder als auch Personen unterhalb der ersten Leitungsebene Aufgaben im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizität wahrnehmen können.101 Die BaFin hingegen hält auch nach dem Inkrafttreten der MAR – teilweise sogar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ansicht der ESMA102 – an ihrer bereits zu § 15 WpHG a. F. vertretenen, anderslautenden Auffassung fest, dass an der Entscheidung über die Selbstbefreiung mindestens ein ordentliches Vorstandsmitglied mitwirken soll.103 Seit der Veröffentlichung des neuen Modul C des Emittentenleitfadens steht jedoch fest, dass sich diese Auffassung der BaFin nur auf den „Normalfall“ der Ad-hoc-Publizität bezieht, in dem die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung dem Vorstand bzw. dessen Delegationsempfänger obliegt. Wenn stattdessen der Aufsichtsrat diese Aufgabe übernehmen soll, stehe ihm eine „abschließende Annexkompetenz“ zu und die Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds sei nicht erforderlich.104 aa) Rechtsnatur der Einschätzung der BaFin Zunächst ist danach zu fragen, welche Verbindlichkeit einer solchen Vorgabe der BaFin überhaupt zukommt. Die Rechtsnatur des Emittentenleitfadens ist diejenige einer norminterpretierenden Verwaltungsvorschrift.105 Er soll die Verwaltungspraxis der BaFin erläutern und dadurch „praktische Hilfestellungen für den Umgang mit den Vorschriften des Wertpapierhandelsrechts“ geben.106 Somit entfaltet er keine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber Gerichten oder anderen Dritten.107 Al-
100
Final Report ESMA/2015/1455, Nr. 7.3.1 Rn. 239. Retsch, NZG 2016, 1201 (1205). 102 BaFin, FAQ zu Art. 17 MAR, III.1, S. 5. 103 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36, so auch schon BaFin, Emittentenleitfaden 2013, IV.3, S. 59. 104 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36. 105 Allg. M.: BGH, NZG 2008, 300 (303) Rn. 24 – Daimler/Schrempp I, Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729 (730), Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1738), Nikoleyczik, GWR 2009, 264, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 31, Fuchs-Mennicke, WpHG, vor §§ 12 – 14 Rn. 40. 106 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 27, KK-WpHG-Hirte/Heinrich, Einl. Rn. 106, Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1738). 107 Assmann/Schneider/Mülbert-Schneider, WpHR, vor § 33 WpHG Rn. 49, § 44 WpHG Rn. 90, Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1738), v. Bülow/Petersen, NZG 2009, 481 (483), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 31. 101
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lenfalls kommt ihm eine mittelbare Außenwirkung aufgrund der aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierenden Selbstbindung der Verwaltung zu.108 Ebenso wenig, wie es der BaFin also möglich ist, die Auslegung der wertpapierhandelsrechtlichen Normen verbindlich vorzugeben, kann sie durch ihre Stellungnahmen in die interne Kompetenzverteilung der Emittentin eingreifen und eine gesellschaftsrechtlich zulässige Delegation für unzulässig erklären.109 bb) Reichweite Fraglich ist weiterhin, auf welche Bestandteile der Ad-hoc-Publizitätspflicht sich die Sichtweise der BaFin überhaupt bezieht. Ausdrücklich fordert die BaFin die Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds nur bei der Beschlussfassung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 Abs. 4 MAR. Über die Zuständigkeit des Vorstands für die Veröffentlichung der Mitteilung selbst oder andere damit in Verbindung stehende Aufgaben, etwa die Dokumentation der Entscheidung, die Mitteilung an die BaFin oder die Wahrung der Vertraulichkeit, trifft sie keine Aussage. Dabei ist ohne jeden Zweifel, dass der Überlegung über den Aufschub stets die Prüfung des Bestehens einer eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorgeschaltet ist.110 Die Emittentin muss daher, wenn sie eine potentiell ad-hocpflichtige Insiderinformation identifiziert, erwägen, ob eine Veröffentlichungspflicht besteht und ob die Voraussetzungen für einen Aufschub der Veröffentlichung vorliegen. Sie muss also unter Art. 17 Abs. 4 MAR subsumieren und überlegen, ob sie der Meinung ist, zum Aufschub berechtigt zu sein bzw. ob sie das Risiko einer Fehleinschätzung eingehen möchte. Darüber hinaus ist auch denkbar, dass die Emittentin eine Selbstbefreiung zwar rechtlich für möglich hält, hiervon aber bewusst keinen Gebrauch machen möchte, etwa weil sie die sofortige Veröffentlichung zur Pflege des Aktienkurses für sinnvoller hält oder weil sie einen laufenden Verhandlungsprozess forcieren möchte. Diese unterschiedlichen Teilaufgaben, die aus der Ad-hoc-Publizitätspflicht resultieren, hängen sachlich unmittelbar miteinander zusammen und können daher auch prozedural nicht voneinander getrennt werden. Es wäre auch nicht sinnvoll, unterschiedliche Personen oder Gremien an den Verfahrensschritten zu beteiligen. Nähme man den Wortlaut des Emittentenleitfadens ernst, müsste ein ohne Beteili108 Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1738), Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729 (730), Nikoleyczik, GWR 2009, 264, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 32, Fuchs-Mennicke, WpHG, vor §§ 12 – 14 Rn. 40. 109 Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (419), Pattberg/Bredol, NZG 2013, 87 (88), Mennicke, NZG 2009, 1059 (1063); vgl. auch Herfs, DB 2013, 1650 (1655), der die Ansicht der BaFin für korrekturbedürftig hält. 110 Vgl. Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 55.
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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gung eines Vorstandsmitglieds gebildetes Ad-hoc-Komitee über das Bestehen der Veröffentlichungspflicht befinden. Anschließend würde dann ein weiteres Gremium, an dem auch ein Vorstandsmitglied teilhat, eingeschaltet werden, das über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR entscheidet. Kommt es zu dem Ergebnis, dass dennoch eine Veröffentlichung erfolgen soll, würde der Ball zurückgespielt werden zu dem ersten Gremium, das dann die Ausarbeitung der Ad-hoc-Mitteilung und ihre Verbreitung einleiten würde. Es liegt auf der Hand, dass dieses Vorgehen unnötig kompliziert wäre. Bedenkt man darüber hinaus, dass es üblich ist, bei einem oder mehreren dieser Verfahrensschritte externe juristische Berater hinzuzuziehen, ist offensichtlich, dass diese Vorgehensweise nicht nur umständlich wäre, sondern die Emittentin auch Gefahr liefe, das Erfordernis der Unverzüglichkeit111 nach Art. 17 Abs. 1 MAR nicht einzuhalten. Zudem würde aufgrund der Aufspaltung in unterschiedliche Gremien der durch die Delegation an ein Ad-hoc-Komitee eigentlich beabsichtigte Effekt der Flexibilisierung und Effizienz der Abwicklung von Ad-hoc-Aufgaben sowie der Ansammlung von Erfahrung und Kompetenz an einer Stelle gerade nicht eintreten.112 Die schnellstmögliche Erfüllung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten der Emittentin kann vielmehr nur durch eine eindeutig bestimmbare Stelle, die alle mit der Ad-hoc-Publizität in Verbindung stehenden Aufgaben einheitlich wahrnimmt, sichergestellt werden. Dementsprechend kann die Auffassung der BaFin auch nur so verstanden werden, dass an ebendiesem Gremium mindestens ein Vorstandsmitglied beteiligt sein muss. Diese Vorgabe gilt also gleichermaßen für die Selbstbefreiungsentscheidung wie auch für die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung selbst. cc) Meinungsstand und Stellungnahme Ein Teil der Literatur hat sich der Sichtweise der BaFin angeschlossen und fordert die Beteiligung eines Vorstandsmitglieds an der Selbstbefreiungsentscheidung.113 Die Einrichtung eines gänzlich außerhalb des Vorstands angesiedelten Gremiums sei zwar zulässig, dieses dürfe aber lediglich beratend tätig werden.114 Die herrschende Ansicht in der Literatur ist der Auffassung der BaFin jedoch zu Recht nicht gefolgt und hält die Delegation von Ad-hoc-Aufgaben an ein Gremium auch dann für zulässig, wenn daran kein Vorstandsmitglied beteiligt ist.115 Zum einen 111
Zu dessen Bedeutung: B.III.2.d)bb)(2). Siehe dazu D.I.2.b)bb). 113 Hewicker, Ad-hoc-Publizität, S. 39, Krämer/Heinrich, ZIP 2009, 1737 (1741), FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 425, Bedkowski, BB 2009, 394 (398 f.), Bedkowski, BB 2009, 1482 (1485), Möllers/Leisch, WM 2001, 1648 (1652). 114 Bedkowski, BB 2009, 394 (398 f.), Bedkowski, BB 2009, 1482 (1485). 115 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 159, 191, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 92, Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (455 f.), Kocher/Schneider, ZIP 2013, 112
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
handelt es sich bei der Ad-hoc-Publizität nicht um eine Leitungsaufgabe. Daher ist ihre Delegation nach allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen ohne Einschränkungen zulässig. Das Aktienrecht kennt nur die Unterscheidung zwischen Leitungsaufgaben und Geschäftsführungsaufgaben. Erstere haben alle Vorstandsmitglieder gemeinschaftlich wahrzunehmen, Letztere darf der Vorstand delegieren.116 Eine dritte Kategorie hingegen – Aufgaben, die vertikal delegiert werden dürfen, sofern ein einzelnes Vorstandsmitglied an ihnen mitwirkt – kennt das Aktienrecht nicht. Sie wäre auch nicht sinnvoll, denn entweder steht eine strategische Entscheidung mit Wirkung für den Bestand und die Zukunft des Unternehmens in Rede, dann ist aber die Mitwirkung aller Vorstandsmitglieder erforderlich. Oder aber, es geht um eine operative oder prozedurale Entscheidung, für die es keines unternehmerischen Geschicks, sondern entsprechender Detailkenntnisse in dem jeweiligen Fachbereich bedarf, und die daher ohne Beteiligung eines Vorstandsmitglieds getroffen werden darf. Letzteres ist bei der Ad-hoc-Publizitätspflicht der Fall. Auch wenn die Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds in dem Ad-hoc-Komitee also in rechtlicher Hinsicht nicht zwingend geboten ist, ist dennoch fraglich, wie mit der anderslautenden Ansicht der BaFin in der Praxis umzugehen ist. Unabhängig von seiner Rechtsnatur als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift kommt dem Emittentenleitfaden in der Kapitalmarktpraxis eine erhebliche faktische Bindungswirkung zu.117 Diese resultiert insbesondere daraus, dass der Rechtsanwender, wenn er nach einer Verwaltungspraxis der BaFin handelt, die sich später als unzutreffend erweist, nach herrschender Meinung einem unvermeidbaren Rechtsirrtum unterliegt und ihn somit regelmäßig keine zivil- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung trifft.118 Aus diesem Grund ist die Beteiligung eines Vorstandsmitglieds an einem Ad-hocKomitee, auch wenn sie sich weder aus dem Normgefüge des Kapitalmarktrechts ergibt, noch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht zwingend ist, in der Praxis weit verbreitet und mit Blick auf die drohenden Haftungsrisiken auch durchaus emp-
1607 (1609), Herfs, DB 2013, 1650 (1655), Krause/Brellochs, AG 2013, 309 (315), Mennicke, NZG 2009, 1059 (1062), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (419), Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (392); vermittelnd Pattberg/Bredol, NZG 2013, 87 (88). 116 GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 34, MüKoAktG-Spindler, § 76 Rn. 14, § 77 Rn. 63, Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 76 Rn. 8, Fleischer-Fleischer, Vorstandsrecht, § 1 Rn. 12 ff., Dreher, FS Hopt Band I (2010), S. 517 (521 ff.). 117 Bedkowski, BB 2009, 394 (400), siehe auch Nikoleyczik, GWR 2009, 264. 118 Assmann/Schneider/Mülbert-Schneider, WpHR, vor § 33 WpHG Rn. 49, Bedkowski, BB 2009, 1482 (1483), v. Bülow/Petersen, NZG 2009, 481 (483), KK-WpHG-Hirte, § 21 Rn. 195, KK-WpHG-Hirte/Heinrich, Einl. Rn. 106, Fuchs-Waßmer, WpHG, § 38 Rn. 204, Fleischer, DB 2009, 1335 (1337), Heinrich/Kiesewetter, Der Konzern 2009, 137 (140), Kirschner, DB 2008, 623 (624 f.), Segna, AG 2008, 311 (315), Scholz, AG 2009, 313 (321), Widder/Kocher, AG 2007, 13 (18); a. A. LG Köln, BB 2008, 245 – Strabag.
I. Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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fehlenswert.119 Neben der bereits erwähnten Möglichkeit, sich aufgrund der Befolgung der Vorgaben der BaFin entlasten zu können, bietet die Beteiligung eines Vorstandsmitglieds noch weitere Vorteile. Einerseits hat der Vorstand durch seinen Vertreter im Komitee einen direkten Zugriff auf dessen Entscheidungen und kann sie aktiver steuern, als wenn er nur auf seine Auskunfts- und Weisungsrechte gegenüber den Mitarbeitern verwiesen wäre. Andererseits besteht auch innerhalb des Ad-hoc-Gremiums ein erhöhter Grad an Informationen aus dem Unternehmen, die für die zu treffenden Publizitätsentscheidungen relevant sein können. Denn neben der Wissensorganisation, die auf die Weiterleitung potentiell ad-hoc-pflichtiger Insiderinformationen an das Ad-hocKomitee ausgerichtet ist, besteht ein allgemeiner Informationsfluss aus dem Unternehmen an den Vorstand, welcher als Repräsentationsorgan möglicherweise auch insiderrelevante Tatsachen empfängt, die außerhalb des Unternehmens entstanden sind. Durch die Mitgliedschaft eines Vorstandsmitglieds hat dann auch das Ad-hocGremium Zugriff auf diese Informationen und kann sie bei seiner Entscheidung über die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung bzw. über eine Selbstbefreiung berücksichtigen.120 Ferner wird durch die Einbeziehung eines Vorstandsmitglieds sichergestellt, dass sich die Ad-hoc-Publizität der Emittentin in die Gesamtstrategie ihrer Kapitalmarktkommunikation einfügt. Insofern empfiehlt es sich nicht nur, um den Vorgaben der BaFin zu entsprechen, sondern auch aus praktischen Gründen, dass einem Ad-hoc-Komitee wenigstens ein Vorstandsmitglied angehört.
3. Zwischenergebnis Die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht fällt grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands. Da es sich nicht um eine Leitungsaufgabe handelt, ist eine Delegation sowohl an ein einzelnes Vorstandsmitglied als auch an ein unterhalb des Vorstands angesiedeltes Gremium zulässig. Hierbei ist es jedoch aus praktischen Gesichtspunkten empfehlenswert, der Vorgabe der BaFin zu folgen, dass diesem Gremium mindestens ein Vorstandsmitglied angehören soll.
119
Walla/Knierbein, WM 2018, 2349 (2351), Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2020, 477 (481), Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), Mülbert/Sajnovits, WM 2017, 2001 (2003), Habersack/ Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 59. 120 A. A. Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1609), die davon ausgehen, eine Entscheidung müsse durch den Gesamtvorstand getroffen werden, um alle beim Vorstand vorhandenen Informationen nutzen zu können.
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht Soeben wurde erläutert, dass es grundsätzlich dem Vorstand bzw. einem von ihm eingesetzten Ad-hoc-Komitee obliegt, die Ad-hoc-Publizitätsverpflichtung der Emittentin zu erfüllen. Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat also nicht zur Wahrnehmung der der Emittentin aufgrund ihrer Börsennotierung auferlegten Publizitätspflichten verantwortlich. Nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung entsteht eine Veröffentlichungspflicht der Emittentin nach Art. 17 Abs. 1 MAR jedoch auch dann, wenn eine Insiderinformation allein innerhalb der Sphäre des Aufsichtsrats vorliegt. Hierfür genügt es, wenn sie dem Aufsichtsrat dadurch bekannt sein kann, dass mindestens ein Aufsichtsratsmitglied über die Information verfügt. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um eine Insiderinformation handelt, die den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft. Dies gilt unabhängig davon, ob man von einem Erfordernis der zurechenbaren Kenntnis der Emittentin oder von einer kenntnisunabhängigen Entstehung der Publizitätspflicht ausgeht. In diesen Fällen kann die Emittentin ihrer Verpflichtung nur durch einen Aufschub der Veröffentlichung der Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 4 MAR entgehen. Dabei darf mittlerweile als gesichert gelten, dass diese „Selbstbefreiung“ nicht kraft Gesetzes eintritt, sondern eines entsprechenden Beschlusses bedarf.121 Eine Entscheidung durch den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium kommt in diesen Fällen jedoch nicht in Betracht, weil ihnen die entsprechende Information überhaupt nicht bekannt ist. Der Aufsichtsrat ist aufgrund seiner Stellung als Aufsichtsorgan auch nicht verpflichtet, sie an den Vorstand der Emittentin weiterzuleiten oder anderweitig in das Informationsorganisationssystem der Gesellschaft einzuspeichern. Daher befürwortet ein Großteil der Literatur eine von der grundsätzlichen Verantwortung des Vorstands abweichende Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen (sog. Selbstbefreiungskompetenz).122 Dieser Auffassung hat sich jüngst auch die BaFin angeschlossen.123 Im Folgenden soll zunächst beleuchtet werden, warum in den eingangs beschriebenen Fallgruppen eine freiwillige Weitergabe der Insiderinformation an den 121 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36, Schwark/Zimmer-Kumpan/ Schmidt, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 180 f., Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 182, Retsch, NZG 2016, 1201 (1205), Poelzig, NZG 2016, 761 (765) m. w. N., Habersack/Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 57 f.; zum alten Recht: FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 345, Widder, BB 2009, 967, Mennicke, NZG 2009, 1059 (1061), Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53 (55); a. A. OLG Stuttgart, NZG 2009, 624 (635), Steinrück, Kapitalmarktinteresse, S. 173 ff., Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (452). 122 Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (407), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 193, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 426, Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (348), Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (456), Retsch, NZG 2016, 1201 (1205). 123 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36.
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium zum Zwecke der Selbstbefreiung nicht in Betracht kommt (unter 1.) Das praktische Bedürfnis nach einer Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat belegt indes noch nicht deren aktienrechtliche Zulässigkeit. Daher ist anschließend danach zu fragen, wie sich diese stimmig in das Fundament der aktienrechtlichen Kompetenzordnung einpassen lässt (unter 2.). Ferner soll beleuchtet werden, wie die Zuständigkeit des Aufsichtsrats von derjenigen des Vorstands abzugrenzen ist (unter 3.) und ob der Aufsichtsrat auch selbst für die Veröffentlichung einer Insiderinformation in Form einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig ist (unter 4.).
1. Bedürfnis für die Wahrung der Vertraulichkeit gegenüber dem Vorstand In den Fällen, in denen eine Insiderinformation den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft, ist der Aufsichtsrat zur Wahrnehmung seiner Aufgaben darauf angewiesen, dass der Vorstand (noch) keine Kenntnis von der betreffenden Information hat. Daher kommt eine Weitergabe an den Vorstand – jedenfalls zu dem Zeitpunkt der Entstehung der Insiderinformation – nicht in Betracht. Dies wird im Folgenden anhand der bereits bekannten Fallgruppen dargestellt. Zudem wird auch auf die Möglichkeit der Weiterleitung an ein Ad-hoc-Komitee eingegangen. a) Personalentscheidungen in Bezug auf den Vorstand Bei den Planungen über die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, aber auch bei Entscheidungen über die Suspendierung eines Vorstandsmitglieds oder die Abberufung des Vorstandsvorsitzenden, liegt es auf der Hand, dass der Aufsichtsrat kein Interesse daran hat, den Vorstand über diese Vorgänge zu unterrichten, sodass dieser über einen Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung entscheiden kann. Im Allgemeinen gilt, dass die Beratungen im Aufsichtsrat streng vertraulich sein müssen, um die Entscheidungsautonomie des Gremiums zu wahren.124 Dies gilt erst recht gegenüber einer Person, die von diesen Beratungen betroffen ist. Ein Vorstandsmitglied darf also nichts davon erfahren, wenn der Aufsichtsrat sich mit dem Gedanken beschäftigt, es zu suspendieren oder aus seinem Amt zu entfernen.125 Dadurch könnte die Position des Aufsichtsrats bei der Aushandlung der Modalitäten des Ausstiegs, insbesondere der Abfindung, empfindlich geschwächt werden. 124 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 495 f., Veil, ZHR 172 (2008), 239 (246). 125 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (404), Groß, FS Schneider (2011), S. 385 (392).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Auch Mitteilungen an andere Vorstandsmitglieder sind nicht tunlich, denn es ist damit zu rechnen, dass früher oder später die Nachricht im Vorstand „die Runde machen“ und auch zu dem betroffenen Mitglied durchdringen wird. Ein konsensuales Ausscheiden droht gar unmöglich zu werden, wenn das Mitglied nicht von dem Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern von Dritten von einer erstrebten Beendigung seiner Amtszeit erfährt. aa) Weitergabe an das Ad-hoc-Gremium Alternativ fragt sich, ob nicht anstelle der Weiterleitung an den Vorstand die Information des Ad-hoc-Gremiums in Betracht kommt. Bei größeren börsennotierten Gesellschaften gehört es ohnehin zum Marktstandard, dass ein solches Gremium die Verpflichtungen der Emittentin mit Blick auf die Ad-hoc-Publizität wahrnimmt.126 Daher wird teilweise vorgeschlagen, anstelle der Zuständigkeit des Aufsichtsrats sei die Einschaltung des Ad-hoc-Komitees vorzugswürdig.127 Eine Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats hingegen komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn kein Ad-hoc-Gremium besteht.128 Ein Vorteil hiervon sei, dass in Bezug auf rechtliche Fragen oder bei der Einschätzung der Kurserheblichkeit einer möglicherweise veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation auf die in dem Gremium vorhandene Expertise zurückgegriffen werden könne.129 Tatsächlich ist jedoch auch dann, wenn ein Ad-hoc-Gremium eingerichtet wurde, der Rückgriff auf dieses versperrt. Der Grund dafür liegt in seiner Zusammensetzung: Nicht zuletzt aufgrund der diesbezüglichen Vorgabe der BaFin sind Ad-hocGremien in der Praxis mit mindestens einem Vorstandsmitglied, häufig sogar dem Vorstandsvorsitzenden, besetzt.130 Daher bietet eine Weiterleitung der Insiderinformation an das Gremium hinsichtlich der Geheimhaltung keinen Vorteil. Oftmals wird es um die Abberufung des Vorstandsvorsitzenden gehen, denn im Regelfall ist nur dieser eine „Schlüsselfigur“ im Vorstand, sodass die Information über sein Ausscheiden die nötige Kursrelevanz aufweist. Wenn der Vorstandsvorsitzende nun selbst Teil des Ad-hoc-Gremiums ist, erfährt er auf diese Weise von den Absichten des Aufsichtsrats und dessen Position wird dadurch ebenso geschwächt, als hätte er den Vorstand direkt informiert. Doch auch, wenn die Pläne des Aufsichtsrats nicht das im Ad-hoc-Komitee vertretene Vorstandsmitglied unmittelbar betreffen, kommt eine Weiterleitung der Insiderinformation an dieses nicht in Betracht, denn es ist zu befürchten, dass das im 126
Siehe D.I.2.b)bb). Wachter-Schick, AktG, § 111 Rn. 23, Ihrig, VGR 2012, 113 (137 f.). 128 Ihrig, VGR 2012, 113 (138); a. A. HRA DAV, Stellungnahme zu Modul C, NZG 2019, 1138 (1143) Rn. 48: Wahlrecht des Aufsichtsrats, ob er die Entscheidung dem Ad-hoc-Gremium überlassen möchte, siehe dazu D.II.3.c). 129 HRA DAV, Stellungnahme zu Modul C, NZG 2019, 1138 (1143) Rn. 48. 130 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36; siehe dazu D.I.2.c)cc). 127
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Ad-hoc-Gremium vertretene Vorstandsmitglied die auf diese Weise erfahrenen Informationen an die übrigen Vorstandsmitglieder weiterträgt. Insbesondere wenn die Abberufung eines Vorstandsmitglieds im Raum steht, das dem Wissenden nahesteht, ist eine Informationsweitergabe unter menschlichen Gesichtspunkten zu erwarten. Im Allgemeinen sollte der Kreis der „Eingeweihten“ möglichst klein gehalten werden, um die Gefahr zu verringern, dass Informationen über einen anstehenden Wechsel im Vorstand nach außen dringen. Nur so kann der Aufsichtsrat seine Entscheidung in Ruhe treffen und vollziehen.131 Hierfür können im Ergebnis dieselben Argumente fruchtbar gemacht werden, die für den Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 Abs. 4 MAR sprechen: Das Ziel der vorübergehenden Geheimhaltung ist es, durch ein nahtloses Ineinandergreifen von Amtsbeendigung und Amtsantritt einen geordneten Ablauf des Wechsels im Vorstand zu ermöglichen.132 Gleichzeitig soll dieser möglichst marktschonend kommuniziert werden, d. h. ohne (potentielle) Investoren durch den Eindruck von Führungslosigkeit zu verunsichern.133 Die Suche nach einem Nachfolger könnte erschwert oder die Verhandlungsposition des Aufsichtsrats diesem gegenüber verschlechtert werden, wenn öffentlich bekannt ist, dass der Aufsichtsrat die Abberufung bereits beschlossen hat. Auch ein neu zu bestellendes Vorstandsmitglied möchte seinen Wechsel im Regelfall geheim halten, bis dieser beschlossen und sein Vertrag unterzeichnet ist.134 Darüber hinaus ist zu befürchten, dass ein im Ad-hoc-Gremium vertretenes Vorstandsmitglied nicht unbefangen über den Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation entscheiden wird, wenn diese einen Vorstandskollegen betrifft.135 Auch wenn bei der Entscheidung über den Umgang mit einer Insiderinformation kein unternehmerisches Ermessen vorliegt, sondern sie im Wesentlichen durch die Veröffentlichungspflicht in Art. 17 Abs. 1 MAR und die Voraussetzungen des Aufschubs in Art. 17 Abs. 4 MAR determiniert ist, besteht doch ein gewisser Beurteilungsspielraum, etwa im Hinblick auf den Zeitpunkt der Entstehung der Information oder die Art und Weise ihrer Kommunikation. Diesen Spielraum könnte das Vorstandsmitglied zu seinen Gunsten oder zugunsten seines Kollegen nutzen. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Betroffene in letzter Minute noch versucht, das „Ruder herumzureißen“ und die Entscheidung des Aufsichtsrats abzuwenden. Gerade wenn die Ad-hoc-Relevanz eines Zwischenschritts zu beurteilen ist, befindet sich der Entscheidungsfindungsprozess des Aufsichtsrats noch im Fluss und das Vorstandsmitglied hätte, sobald es von den Vorgängen erfährt, die Möglichkeit, hierauf Einfluss zu nehmen. 131
Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (422), Landsittel, Investorenkommunikation, S. 222. Krämer/Kiefner, AG 2016, 621 (626), siehe auch Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 80. 133 Krämer/Kiefner, AG 2016, 621 (626), Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069 (1077), Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121 (125). 134 Krämer/Kiefner, AG 2016, 621 (626). 135 Vgl. Groß/Royé, BKR 2019, 272 (277). 132
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
bb) Ausschluss des Vorstandsmitglieds von der Beschlussfassung Ein denkbarer Ausweg wäre allein die Beratung und Beschlussfassung des Adhoc-Gremiums unter Ausschluss des ihm angehörenden Vorstandsmitglieds. Dies ist jedoch ebenso kein gangbarer Weg. Zum einen würde der Selbstbefreiungsbeschluss dann nicht mehr den Anforderungen der BaFin entsprechen.136 Zum anderen kann auch durch die Abwesenheit eines Vorstandsvertreters der Informationsfluss zum Vorstand nicht rechtssicher verhindert werden. Denn das Ad-hoc-Gremium ist durch Delegation eingerichtet worden und somit in die dem Vorstand unterstehende Unternehmensorganisation eingegliedert. Aufgrund der Weisungsgebundenheit seiner Mitglieder kann der Vorstand jederzeit Auskunft über die Beschlussgegenstände des Ad-hoc-Gremiums verlangen. Daher kann auch durch den Ausschluss eines Vorstandsmitglieds von der Beschlussfassung nicht verhindert werden, dass der Vorstand von den Entscheidungen des Ad-hoc-Gremiums Kenntnis erhält. Teilweise wird in der Literatur auch angeregt, dass Selbstbefreiungsentscheidungen in Bezug auf Personalfragen durch das Ad-hoc-Gremium getroffen werden sollen, daran aber – analog zu den Vorgaben der BaFin – mindestens ein Aufsichtsratsmitglied mitwirken solle.137 Dies könne zur Sachverhaltsaufklärung beitragen und die Sichtweise des Aufsichtsrats könne in die Beurteilung einbezogen werden.138 In Bezug auf die hier in Rede stehende Problematik vermag dieser Vorschlag jedoch keine Abhilfe zu schaffen. Durch die Teilnahme eines Aufsichtsratsmitglieds an der Beschlussfassung des Ad-hoc-Gremiums anstelle eines Vorstandsmitglieds besteht zwar kein direkter Informationsfluss mehr zum Vorstand, dieser kann jedoch weiterhin aufgrund seiner Weisungsbefugnisse Auskunft von den Mitgliedern des Ad-hoc-Gremiums verlangen. Somit besteht bei Personalmaßnahmen in Bezug auf den Vorstand bis zu einer endgültigen Entscheidung des Aufsichtsrats ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse sowohl gegenüber dem Vorstand als auch gegenüber dem Ad-hoc-Gremium. Eine Weiterleitung der diesbezüglichen Insiderinformation über die Abberufung oder Bestellung eines Vorstandsmitglieds zum Zwecke der Wahrnehmung der Verpflichtungen der Emittentin aus Art. 17 MAR kommt nicht in Betracht. b) Rücktrittsabsichten eines Vorstandsmitglieds Ebenso wie im Falle des durch den Aufsichtsrat veranlassten Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds, sprechen auch gute Gründe dafür, die Absicht des freiwilligen Rücktritts eines Mandatsträgers nicht unmittelbar an den übrigen Vorstand bzw. das 136
BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36. Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried-Meyer, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 12.361, DAI, Stellungnahme zum Modul C-Entwurf, S. 25, Stellungnahme Noerr, S. 14 (Stellungnahmen abrufbar unter https://www.bafin.de/dok/12688014); wohl auch Hopt, FS K. Schmidt Band I (2019), S. 527 (539). 138 Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621 (633). 137
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Ad-hoc-Komitee weiterzuleiten, sondern zunächst nur aufsichtsratsintern zu behandeln. Zwar gibt es hierfür keine so zwingende Notwendigkeit wie im Falle einer Abberufung, von der das betroffene Vorstandsmitglied noch nichts wissen soll. Die Gründe für die Geheimhaltung sind vielmehr durch die Interessen des Rücktrittswilligen begründet. Durch eine geringere Zahl von Eingeweihten sinkt das Risiko, dass Dritte von den Rücktrittsplänen des betreffenden Vorstandsmitglieds erfahren. Indem dieses nur den Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzenden kontaktiert, leitet es den Wechsel ohne großes Aufsehen ein und hält sich die Möglichkeit offen, hiervon auch wieder Abstand nehmen zu können, falls keine Einigung über eine vorzeitige Beendigung zustande kommt. Aus diesem Grund ist wohl auch Jürgen Schrempp mit seinem Wunsch, vorzeitig aus dem Vorstand auszuscheiden, zunächst nur an den Aufsichtsratsvorsitzenden herangetreten.139 Gerade wenn der Wunsch nach einer (vorübergehenden) Amtsniederlegung auf einer Erkrankung beruht, ist das Anliegen des Betroffenen verständlich, dass die Kenntnis über diesen höchst privaten Umstand aus Gründen der Vertraulichkeit – zumindest vorübergehend – nur im Aufsichtsrat bleiben soll. Dieses Ansinnen würde konterkariert werden, wenn der Aufsichtsrat, nachdem er ins Vertrauen gezogen wurde, die Absichten des Vorstandsmitglieds unverzüglich an den übrigen Vorstand oder das mit einem weiteren Vorstandsmitglied besetzte Ad-hoc-Gremium weiterleiten würde. Zudem steht der Aufsichtsrat dem Vorstand im Sinne einer gemeinsamen Unternehmensleitung als Ansprechpartner für strategische Fragen zur Seite. Hierzu gehört auch die Personalplanung des Vorstands. Daher liegt es nicht nur im Interesse des betroffenen Vorstandsmitglieds, sondern auch im Interesse des Aufsichtsrats selbst, die Rücktrittsabsicht eines Vorstandsmitglieds vertraulich zu behandeln. Andernfalls würde der Aufsichtsrat seiner Rolle als vertrauensvoller Berater nicht gerecht werden. c) Untersuchungen und Schadensersatzansprüche Ferner können Insiderinformationen im Zusammenhang mit Untersuchungen oder Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder auftreten. Auch wenn in diesen Fällen nur selten die Tatbestandsmerkmale einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation erfüllt sein werden, bedarf es dennoch einer sorgfältigen Prüfung, ob nicht im Einzelfall durch die Einleitung interner Ermittlungen oder die Erhebung einer Schadensersatzklage eine Veröffentlichungspflicht ausgelöst wird.
139 Vgl. die Tatbestände der Entscheidungen des OLG Stuttgart, NZG 2007, 352 und des BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 30 – Daimler/Schrempp II, sowie EuGH, WM 2012, 1807 Rn. 12 ff. – Geltl/Daimler.
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Die Information des Vorstands über dahingehende Pläne des Aufsichtsrats kommt nicht in Betracht. Sofern es sich um Maßnahmen gegen ein amtierendes Vorstandsmitglied handelt, ist die Situation eng verwandt mit der Absicht des Aufsichtsrats, ein Vorstandsmitglied abzuberufen oder zu suspendieren. Daher ist jedenfalls dasjenige Vorstandsmitglied von der Mitwirkung an der Selbstbefreiungsentscheidung ausgeschlossen, das selbst von der Untersuchung oder Klage betroffen ist.140 Sobald der Betroffene von den Vorwürfen erfährt, besteht das Risiko, dass er die Untersuchung behindern, sie zu seinen Gunsten beeinflussen oder gar Beweismittel vernichten wird. Diese Gefahr verringert sich auch nicht, wenn das betreffende Vorstandsmitglied bereits aus dem Amt geschieden ist, da es von den aktuellen Mandatsträgern oder Dritten von den Vorgängen erfahren kann. Die Einschaltung des Ad-hoc-Gremiums kommt ebenfalls nicht in Frage. Denn auch wenn sich die Untersuchungen oder das Schadensersatzverfahren nicht gegen dasjenige Vorstandsmitglied richten, welches dem Ad-hoc-Komitee angehört, ist zu befürchten, dass die Information über das laufende Verfahren an die übrigen Vorstandsmitglieder weitergetragen wird.141 Die Gefahr des Bekanntwerdens der laufenden Untersuchungen kann generell durch eine möglichst geringe Zahl von Eingeweihten minimiert werden. Daher besteht auch gegenüber anderen, „unbeteiligten“ Vorstandsmitgliedern die Notwendigkeit der Geheimhaltung. Schließlich muss der Aufsichtsrat seine Ermittlungen und ggf. die Entscheidung über die Anspruchsverfolgung unbeeinflusst und unvoreingenommen durchführen können. Daraus folgt auch ein Bedürfnis, die Veröffentlichungspflicht und das Infragekommen einer Selbstbefreiung ohne Mitwirkung des Vorstands zu prüfen. d) Personalfragen innerhalb des Aufsichtsrats Auch hinsichtlich der Rücktrittsabsicht eines Aufsichtsratsmitglieds ist die Vertraulichkeit zu wahren. Zwar muss die finale Erklärung zur Amtsniederlegung eines Aufsichtsratsmitglieds nach überwiegender Ansicht gegenüber dem Vorstand abgegeben werden.142 Spätestens dann ist eine Kenntnisnahme des Vorstands also unvermeidbar. Bis dahin aber kann das betreffende Aufsichtsratsmitglied das Für und Wider, die Art und Weise und den Zeitpunkt seines Rücktritts abwägen und intern mit seinen Gremiumskollegen diskutieren. Kündigt beispielsweise der Aufsichtsratsvorsitzende seinen Rückzug an, ist zu erörtern, ob seine Funktion durch ein bereits amtierendes Aufsichtsratsmitglied ausgefüllt oder ob ein neues Mitglied zum Vorsit140
Klöhn/Schmolke, ZGR 2016, 866 (891). Siehe D.II.1.a)aa). 142 MüKoAktG-Habersack, § 103 Rn. 61, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rn. 17, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 30 Rn. 93, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 103 Rn. 65; a. A. KK-AktG-Mertens/Cahn, § 103 Rn. 59, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 37. 141
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
185
zenden des Aufsichtsrats bestellt werden soll. Dies alles ist Ausdruck der Organisationsautonomie des Aufsichtsrats.143 Somit hat er ein berechtigtes Interesse daran, seine Angelegenheiten ohne Einmischung oder Stellungnahme des Vorstands intern zu besprechen. Ein wichtiger Bestandteil der Organisationsautonomie ist ferner die Befugnis, in eigenen Angelegenheiten über die Offenlegung von Informationen befinden zu dürfen.144 Der Aufsichtsrat kann daher selbst entscheiden, wann er Informationen aus seinem Aufgabenbereich preisgeben und ob er sich hierfür ggf. von seiner Verschwiegenheitspflicht befreien möchte. Nach alledem hat der Aufsichtsrat während der Überlegungsphase über den Rücktrittswunsch eines Aufsichtsratsmitglieds ein nachvollziehbares Interesse daran, diesen vertraulich zu behandeln und selbst über den Aufschub der Veröffentlichung der Insiderinformation zu beschließen.145 Wenn also ein Aufsichtsratsmitglied sich nicht mit seinem Rücktritt direkt – was gleichermaßen zulässig ist – an den Vorstand wendet, sondern den Weg wählt, seine Absichten zunächst intern mit seinen Gremiumskollegen zu erörtern, bestehen gute Gründe dafür, sie weder dem Vorstand noch dem Ad-hoc-Komitee mitzuteilen. e) Kapitalmarktkommunikation Schließlich fragt sich, ob auch in Bezug auf Informationen, die der Aufsichtsrat im Rahmen der Kommunikation mit anderen Kapitalmarktteilnehmern erlangt hat, ein berechtigtes Bedürfnis zur Geheimhaltung gegenüber dem Vorstand besteht. Dies wird teilweise verneint. Wenn der Aufsichtsrat von Informationen Kenntnis erlange, die erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft haben können, etwa Übernahmeabsichten, bestehe eine Pflicht zur Weiterleitung an den Vorstand.146 Es sei erforderlich, dass der Aufsichtsratsvorsitzende die aus den Gesprächen erlangten Informationen an den Vorstand weitergebe, damit dieser seine Unternehmenspolitik an die Erwartungen der Investoren anpassen könne.147 Die Investorenkommunikation des Aufsichtsrats sei schließlich nur zulässig, wenn der Aufsichtsrat den Vorstand über die jeweiligen Gesprächsinhalte in Kenntnis setzt.148 Eine pauschale Weitergabeverpflichtung wird jedoch weder dem Zweck der Investorenkommunikation noch der aktienrechtlichen Stellung des Aufsichtsrats ge143
Siehe C.II.3.d)bb). Vgl. BGH, NZG 2012, 777 (780) Rn. 40, BGH, NZG 2013, 456 (459) Rn. 30. 145 Groß/Royé, BKR 2019, 272 (277) fragen zu Recht: „Soll über die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung der Niederlegung des Amtes des Aufsichtsratsvorsitzenden […] wirklich ein Gremium entscheiden, das (auch) mit Vorstandsmitgliedern besetzt ist?“. 146 Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 224, Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (75) in Fn. 44. 147 Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44 (47). 148 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (735), Holle, ZIP 2019, 1895 (1901), LeyendeckerLangner, NZG 2015, 44 (47), Bachmann, VGR 2016, 135 (176). 144
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
recht. Mittlerweile ist anerkannt, dass auch ein aktiver Investorendialog durch den Aufsichtsrat wichtig ist, um das Vertrauen des Markts in dessen Arbeit zu stärken und eine wünschenswerte Mitgestaltung des Unternehmens durch die Aktionäre zu ermöglichen.149 Daher ist nach der jeweiligen Gesprächssituation und dem Inhalt der Information zu differenzieren. Handelt es sich um allgemeine Themen, bei denen der Aufsichtsrat kein besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, spricht nichts dagegen, dass der Aufsichtsrat diese an den Vorstand weitergibt. Wenn jedoch ein Marktteilnehmer bewusst an den Aufsichtsratsvorsitzenden herantritt, um mit ihm anstelle des Vorstands seine Absichten in Bezug auf die Beteiligung an der Emittentin zu besprechen, würde es das Interesse des Investors an einem vertraulichen Dialog missachten, wenn der Aufsichtsrat die ihm mitgeteilten Informationen unmittelbar an den Vorstand weiterleiten würde. Daher haben nicht nur seine Gesprächspartner, sondern auch der Aufsichtsrat selbst ein berechtigtes Interesse daran, die mitgeteilten Informationen gegenüber dem Vorstand geheim zu halten. Andernfalls würde der Aufsichtsrat seine Stellung als strategischer Ansprechpartner für andere Kapitalmarktteilnehmer schädigen. Im Fall etwa einer geplanten außerordentlichen Hauptversammlung oder gar einer feindlichen Übernahme könnte der Aufsichtsratsvorsitzende also zunächst versuchen, durch vermittelnde Gespräche einen Ausweg zu finden. Diese Möglichkeit würde wegfallen, wenn er die Absicht des Investors zum Zwecke der Entscheidung über ihre Veröffentlichung an den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium weitergeben würde. Dies gilt umso mehr, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende eine entsprechende Zusage gegenüber dem Investor abgegeben hat, dass er das Gespräch vertraulich behandeln werde. Somit besteht auch in dieser Fallgruppe ein berechtigtes Interesse des Aufsichtsrats an der Wahrung der Vertraulichkeit der Insiderinformation.
2. Dogmatische Verankerung der Selbstbefreiungskompetenz Somit besteht in den Fällen, in denen typischerweise Insiderinformationen im Aufsichtsrat auftreten, auch ein Bedürfnis für eine Entscheidung des Aufsichtsrats über den Aufschub ihrer Veröffentlichung. Das dogmatische Fundament dieser Selbstbefreiungskompetenz ist jedoch reichlich ungeklärt und soll im Folgenden untersucht werden. In Betracht kommt zunächst eine von der Zuständigkeit des Vorstands abgeleitete Kompetenz des Aufsichtsrats (unter a)) oder alternativ dazu die von der herrschenden Meinung und der BaFin favorisierte Annexkompetenz (unter b)).
149
(349).
Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (728), Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
187
a) Delegierte Zuständigkeit Ausgehend von dem Grundgedanken, dass es sich bei der Ad-hoc-Publizitätspflicht um eine Vorstandsaufgabe handelt, ist es naheliegend, dass die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung hiervon abgeleitet ist. Im Allgemeinen handelt es sich bei den Maßnahmen zur Wahrung der Ad-hocPublizitätspflicht um delegierbare Geschäftsführungsaufgaben.150 Daher wäre es grundsätzlich denkbar, die Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats dergestalt zu konstruieren, dass der Vorstand für den Fall, dass er selbst mangels Kenntnis nicht in der Lage ist, die Entscheidung über den Aufschub zu treffen, diese Aufgabe an den Aufsichtsrat delegiert. Hiergegen spricht jedoch, dass dem Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 4 S. 1 AktG keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden dürfen.151 Diese Vorschrift bezweckt eine eindeutige Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand und verbietet die Zuweisung von Geschäftsführungsaufgaben an den Aufsichtsrat sowohl durch die Satzung als auch durch den Vorstand selbst.152 Somit steht sie auch der Delegation der Ad-hoc-Publizitätspflichten an den Aufsichtsrat entgegen. Zudem kommt in den Situationen, in denen Insiderinformationen im Aufsichtsrat entstehen, eine Delegation schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht.153 Merkmal der in Rede stehenden Fallkonstellationen ist nämlich, dass der Vorstand keine Kenntnis von den veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen hat. Somit kann er auch das Bedürfnis einer Delegation auf den Aufsichtsrat nicht erkennen und eine solche nicht vornehmen. Weiterhin wäre der Vorstand infolge der Delegation verpflichtet, den Aufsichtsrat als Delegationsempfänger bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe zu überwachen. Hierdurch würde jedoch das Überwachungsorgan zum Überwachten und die aktienrechtliche Kompetenzordnung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden.154 Somit passt es konstruktiv nicht zur Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat Aufgaben zuweisen und entziehen sowie deren Ausführung überwachen soll. Im Ergebnis kann die Selbstbefreiungszuständigkeit des Aufsichtsrats nicht mit der Annahme einer Delegation durch den Vorstand begründet werden. Stattdessen muss es sich um eine originäre Zuständigkeit handeln. 150
Siehe D.I.2. Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (419 f.), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (75); vgl. auch Koch, AG 2017, 129 (135), Landsittel, Investorenkommunikation, S. 96 f. 152 MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 110, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 61, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rn. 49, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 51. 153 Vgl. Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (419). 154 Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (419), MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 111, GKAktG-Hopt/Roth, § 111 Rn. 631. 151
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
b) Annexkompetenz In der überwiegenden Zahl der sich mit diesem Themenfeld befassenden Veröffentlichungen findet sich die – teilweise nicht weiter begründete – Aussage, die Zuständigkeit des Aufsichtsrats beruhe auf einer Annexkompetenz.155 Im Folgenden sollen zunächst die Rechtsfigur der Annexkompetenz und ihre Voraussetzungen im verfassungsrechtlichen Kontext untersucht werden, bevor vor diesem Hintergrund ihre Übertragbarkeit auf das Gesellschaftsrecht in den Blick genommen wird. Schließlich ist danach zu fragen, ob sie zur Begründung der hier in Rede stehenden Selbstbefreiungskompetenz trägt. aa) Die Annexkompetenz im Verfassungsrecht Die Rechtsfigur der Annexkompetenz stammt ursprünglich aus dem Verfassungsrecht und hat von dort aus mit der Zeit ihren Weg in das Kapitalgesellschaftsrecht gefunden.156 Im Staatsorganisationsrecht wird sie vor allem zur Begründung einer ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes herangezogen.157 Sie dient also dazu, die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes über die in Art. 71, 73 GG ausdrücklich benannten Themenfelder hinaus auf andere Sachgebiete auszudehnen, für die andernfalls eine Gesetzgebungszuständigkeit der Länder bestehen würde.158 Rechtstechnisch handelt es sich nicht um einen eigenständigen Kompetenztitel, sondern um ein Interpretationsmittel, das danach fragt, welche „impliziten Berechtigungen“ ein ausdrücklicher Kompetenztitel miteinschließt.159 Da hiermit eine Änderung der geschriebenen Kompetenzordnung des Grundgesetzes verbunden ist, gelten strenge Kriterien für die Annahme einer Annexkompetenz.160 Im Wesentlichen lassen sich zwei Voraussetzungen einer Annexkompetenz herauskristallisieren. Zum einen ermächtigt sie nur zu solchen Regelungen, die zur Verwirklichung einer ausdrücklichen Kompetenz in den Phasen der Vorbereitung und Durchführung des jeweiligen Gesetzes erforderlich sind und zum anderen le-
155 Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (407), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 103, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 426, Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (348), Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (456), Retsch, NZG 2016, 1201 (1205), Schockenhoff/Hoffmann, ZGR 2021, 201 (219), Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 81; ablehnend scheinbar nur Bekritsky, BKR 2020, 382 (384 ff., 387 ff.). 156 Zur historischen Entwicklung: Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (457). 157 v. Mangoldt/Klein/Starck-Rozek, GG, Art. 70 Rn. 44, Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 65. 158 v. Mangoldt/Klein/Starck-Rozek, GG, Art. 70 Rn. 44, 48, Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 65, 71. 159 v. Mangoldt/Klein/Starck-Rozek, GG, Art. 70 Rn. 44, Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (456), Landsittel, Investorenkommunikation, S. 201 ff. 160 BVerfGE 132, 1 Rn. 19 – LuftSiG, BVerfGE 98, 265 (299).
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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diglich zu punktuellen, nicht aber zu substantiellen Kompetenzerweiterungen.161 Der Bund darf also nur diejenigen Regelungen treffen, die zur sinnvollen Wahrnehmung der ihm ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen erforderlich sind.162 Im Hauptanwendungsfall der verfassungsrechtlichen Annexkompetenz, dem Polizei- und Ordnungsrecht, bedeutet dies, dass der Bund polizeirechtliche Regelungen im jeweiligen Sachgebiet treffen darf, nicht aber solche des allgemeinen Polizeirechts; letztere verbleiben im Zuständigkeitsbereich der Länder.163 Daraus folgt weiterhin, dass das Rechtsgebiet, auf das sich die Annexkompetenz bezieht, in einem funktionalen, nicht aber einem inhaltlichen Zusammenhang mit der ausdrücklichen Kompetenz stehen muss.164 Die verfassungsrechtliche Literatur spricht insofern auch von einer „dienenden Funktion“ der Annexkompetenz.165 bb) Die Annexkompetenz im Gesellschaftsrecht Auch im Kapitalgesellschaftsrecht findet die Annexkompetenz Anwendung, um einem Organ diejenigen Kompetenzen zuzusprechen, die es zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, die bei der gesetzlichen Kompetenzverteilung aber ausgelassen wurden.166 Dabei kommt es zwangsläufig zu einer Erweiterung der Aufgaben eines Organs in den Zuständigkeitsbereich eines anderen hinein. Zu deren Abgrenzung lassen sich die Grundsätze der Annexkompetenz aus dem Verfassungsrecht heranziehen. Ebenso wie im Staatsorganisationsrecht muss auch im Gesellschaftsrecht Anknüpfungspunkt der Annexkompetenz eine ausdrücklich normierte Zuständigkeitsvorschrift sein.167 Zugleich ist darauf zu achten, dass es sich nur um eine punktuelle Kompetenzverschiebung handelt, die der Wahrnehmung einer dem Organ ausdrücklich zugewiesenen Aufgabe dient und dessen Zuständigkeiten lediglich „zu Ende denkt“, aber nicht substantiell erweitert.168 Ausgangspunkt der Überlegung ist also, dass mit der gesetzlichen Zuweisung bestimmter Aufgaben an ein Gesellschaftsorgan stets auch die zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichen Kompetenzen einhergehen müssen.169 161 St. Rspr., BVerfGE 77, 288 (299), 98, 265 (300), 109, 190 (215); v. Mangoldt/Klein/ Starck-Rozek, GG, Art. 70 Rn. 48, Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 71. 162 BVerfGE 98, 265 (300), 109, 190 (215). 163 BVerfGE 109, 190 (215), Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 73. 164 Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 71, v. Mangoldt/Klein/Starck-Rozek, GG, Art. 70 Rn. 48. 165 v. Mangoldt/Klein/Starck-Rozek, GG, Art. 70 Rn. 48, Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 71. 166 Lieder, NZG 2015, 569 und Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (454) sprechen insofern von „Kompetenzlücken“. 167 Lieder, NZG 2015, 569 (569 f.); a. A. Menkel, AG 2019, 330 (332 f.). 168 BGH, NZG 2018, 629 Rn. 19, Lieder, NZG 2015, 569 (570), Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (454). 169 Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (457), zustimmend Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136 (140 f.).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Anerkannt sind unter anderem die Annexkompetenz der Gesellschafterversammlung einer GmbH für den Abschluss des Anstellungsvertrags mit dem Geschäftsführer und für die Geltendmachung anderer als der in § 46 Nr. 8 GmbHG genannten Schadensersatzansprüche sowie die Annexkompetenz des Geschäftsführers zur Satzungsanpassung nach Ausnutzung eines genehmigten Kapitals nach § 55a GmbHG.170 Diskutiert wird ferner eine Annexkompetenz der Hauptversammlung zum Abschluss des Geschäftsführungsvertrags mit dem Sonderprüfer.171 Auch die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Investorenkommunikation wird teilweise mit einer Annexkompetenz begründet.172 Für die vorliegende Untersuchung kann vor allem die Annexkompetenz des Aufsichtsrats zur Vertretung der Gesellschaft in den Fällen von sog. Hilfsgeschäften fruchtbar gemacht werden.173 Gemäß §§ 109 Abs. 1 S. 2, 111 Abs. 2 S. 2 AktG ist der Aufsichtsrat berechtigt, Sachverständige für bestimmte Aufgaben zu beauftragen oder zur Beratung über einzelne Gegenstände heranzuziehen. Dies umfasst auch die Vertretungsmacht für die Gesellschaft diesen gegenüber.174 Auf dieser Grundlage geht die einhellige Meinung im Schrifttum davon aus, dass der Aufsichtsrat allgemein über die ausdrücklich gesetzlich geregelten Fälle hinaus befugt ist, bestimmte mit seiner Überwachungsaufgabe einhergehende Geschäfte zu tätigen und die Gesellschaft hierbei zu vertreten, soweit sie Voraussetzung oder Folge seiner Amtsführung sind.175 Hierunter fallen beispielsweise die Anmietung von Räumen für Sitzungen und Besprechungen, die Einrichtung eines Sekretariats und die Hinzuziehung von Beratern oder anderen Hilfspersonen.176 Im Zusammenhang mit der Personalkompetenz des Aufsichtsrats nach § 84 AktG kommt insbesondere die Beauftragung von Personalberatern oder die Übernahme von Kosten im Rahmen von
170 Zum Ganzen: Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449, Lieder, NZG 2015, 569, Landsittel, Investorenkommunikation, S. 204 ff., jeweils m. w. N. 171 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 142 Rn. 11, K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 142 Rn. 34 f. 172 Siehe dazu C.II.3.e)aa)(1). 173 GK-AktG-Hopt/Roth, § 112 Rn. 54, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 3, Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 508, 681, ausführlich Menkel, AG 2019, 330 (332 f.). 174 BGH, NZG 2018, 629 Rn. 15 f., Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 656 ff., GK-AktG-Hopt/Roth, § 111 Rn. 414, § 109 Rn. 73, MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 86, § 109 Rn. 20, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 109 Rn. 13, Werner, ZGR 1989, 369 (383), Menkel, AG 2019, 330. 175 BGH, NZG 2018, 629 Rn. 15, GK-AktG-Hopt/Roth, § 112 Rn. 56 f., KK-AktG-Mertens/Cahn, § 112 Rn. 24, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 656 ff., Menkel, AG 2019, 330 (333 f.). 176 GK-AktG-Hopt/Roth, § 112 Rn. 56 f., Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421 f.), Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 61, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 656 ff., weitere Beispiele bei Vetter, VGR 2014, 115 (116); teilweise a. A. Menkel, AG 2019, 330 (334), KK-AktG-Mertens/Cahn, § 112 Rn. 27.
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Bewerbergesprächen in Betracht.177 Ferner hat das LG Frankfurt am Main den Aufsichtsrat als befugt angesehen, Verträge mit Hauptversammlungsdienstleistern für den Fall einer durch den Aufsichtsrat einberufenen Hauptversammlung abzuschließen.178 Als normativer Anknüpfungspunkt dieser Befugnisse können im Speziellen die §§ 109 Abs. 1 S. 2, 111 Abs. 2 S. 2 AktG dienen,179 aber auch die Gesamtheit der Vorschriften, die die Aufgaben des Aufsichtsrats beschreiben.180 Bei Hilfsgeschäften im Zusammenhang mit der Bestellung oder Abberufung eines Vorstandsmitglieds kommt zudem § 112 AktG als Anknüpfungspunkt in Betracht.181 Auch die weiteren Voraussetzungen einer Annexkompetenz liegen vor: Substantielle Eingriffe in den Kompetenzbereich des Vorstands, also dessen allgemeine Vertretungsmacht nach § 78 AktG, sind mit der Befugnis des Aufsichtsrats zur Vertretung der Gesellschaft in den Fällen der Hilfsgeschäfte nicht verbunden.182 Hierbei handelt es sich – wie die Bezeichnung bereits andeutet – lediglich um unterstützende Tätigkeiten zur Erreichung des eigentlichen Kompetenzziels, nämlich der Überwachung des Vorstands nach § 111 Abs. 1 AktG. Dem Aufsichtsrat werden also nur solche Befugnisse zugebilligt, die er zu einer effizienten Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt.183 Außerdem dient diese Kompetenzerweiterung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats insofern, als sie seine Unabhängigkeit gegenüber dem Vorstand stärkt.184 cc) Übertragung auf die Selbstbefreiungskompetenz Auf den ersten Blick ist die Erweiterung der Befugnisse des Aufsichtsrats zur Durchführung von Hilfsgeschäften durchaus mit derjenigen zur Wahrnehmung kapitalmarktrechtlicher Pflichten vergleichbar. Nun gilt es im Einzelnen zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für eine Annexkompetenz im Falle einer Selbstbefreiungsentscheidung erfüllt sind, ob also ein normativer Anknüpfungspunkt besteht (unter (1)), die Annexkompetenz zur Wahrnehmung einer ausdrücklichen Kompetenz erforderlich ist (unter (2)) und ob es sich lediglich um eine punktuelle Kompetenzverschiebung handelt (unter (3)). Die Betrachtung erfolgt anhand der oben dargestellten Fallgruppen.
177 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 3, GK-AktG-Hopt/Roth, § 112 Rn. 56, KKAktG-Mertens/Cahn, § 112 Rn. 24. 178 LG Frankfurt a. M., NZG 2014, 1232 m. zust. Anm. Rahlmeyer/Groh. 179 Menkel, AG 2019, 330 (333). 180 Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 656. 181 Menkel, AG 2019, 330 (336). 182 Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (455). 183 Landsittel, Investorenkommunikation, S. 208. 184 Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (455).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
(1) Normativer Anknüpfungspunkt Zunächst ist der gesetzliche Anknüpfungspunkt der Annexkompetenz zu klären. Da eine Annexkompetenz stets eine ausdrückliche Kompetenz weiterführt, muss auch die Selbstbefreiungskompetenz ihren Ausgangspunkt in einer durch das aktienrechtliche Kompetenzgefüge vermittelten Zuständigkeit des Aufsichtsrats haben. Hinsichtlich der Personalentscheidungen, die der Aufsichtsrat in Bezug auf den Vorstand trifft, kommt § 84 AktG als Anknüpfungspunkt in Betracht.185 Nach dieser Vorschrift obliegt es dem Aufsichtsrat, die Mitglieder des Vorstands zu bestellen und einen Vorstandsvorsitzenden zu ernennen sowie ihre Bestellung ggf. zu widerrufen. Der Aufsichtsrat ist darüber hinaus auch Ansprechpartner für einen Wechsel, der im Einvernehmen mit dem betroffenen Vorstandsmitglied durchgeführt wird. Denn die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats umfasst nicht nur die nachträgliche Überprüfung der Geschäftsführung, sondern auch die zukunftsgerichtete Beratung des Vorstands.186 Im Sinne einer gemeinsamen Unternehmensleitung steht er diesem als Gesprächspartner in strategischen Fragen zur Seite. Daher ist es auch Teil der Personalaufgabe des Aufsichtsrats, mit einem Vorstandsmitglied auf dessen Wunsch dessen Ausscheiden aus dem Vorstand zu erörtern. Gesetzliche Grundlage hierfür ist ebenfalls § 84 AktG. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder im Namen der Gesellschaft ist ebenfalls eine originäre Aufgabe des Aufsichtsrats.187 Da interne Untersuchungen möglicher Compliance-Verstöße von Vorstandsmitgliedern diesen vorgelagert sind und der Vorbereitung von Schadensersatzforderungen dienen, ist der Aufsichtsrat auch hierfür zuständig.188 Beide Tätigkeiten stellen Ausprägungen der allgemeinen Überwachungskompetenz des Aufsichtsrats dar, die in §§ 111 Abs. 1 AktG ausdrücklich normiert ist. Daneben ist auch die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats gegenüber den Mitgliedern des Vorstands nach § 112 AktG als tauglicher Anknüpfungspunkt zu sehen. Schwieriger gestaltet sich die Suche nach einem gesetzlichen Ausgangspunkt, wenn es um den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung über personelle Veränderungen im Aufsichtsrat selbst geht. Die Befugnis des Aufsichtsrats, über die eigene Zusammensetzung zu beraten, ist im Aktiengesetz nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch ist sie im Rahmen seiner Organisationsautonomie anerkannt.189 Als Ausdruck dieser Organisationsautonomie ist der Aufsichtsrat berechtigt, seine Arbeitsweise 185
Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 427. MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 12, 50, Semler/v. Schenck-Schütz, Aufsichtsrat, § 111 Rn. 340, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 10 m. w. N.; vgl. auch Grds. 13 DCGK. 187 MüKoAktG-Habersack, § 112 Rn. 18, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rn. 26, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 7. 188 Reichert/Ott, NZG 2014, 241 (248), Wagner, CCZ 2009, 8 (15), Habbe, CCZ 2019, 27 (30). 189 Siehe C.II.3.d). 186
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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selbst zu gestalten. Als gesetzliche Anknüpfung für die Annexkompetenz sind somit alle Vorschriften anzusehen, in denen das Recht des Aufsichtsrats zur Selbstorganisation zum Ausdruck kommt, namentlich § 107 Abs. 1 und 2 AktG. Schließlich gilt es, eine gesetzliche Vorschrift als Ausgangspunkt für die Investorenkommunikation durch den Aufsichtsrat zu finden. Diese wird ihrerseits mit einer Annexkompetenz begründet.190 Dies steht jedoch einer Erweiterung um die Zuständigkeit für den Aufschub der Veröffentlichung von im Rahmen der Investorenkommunikation erlangten Insiderinformationen nicht entgegen. Denn diese lässt sich nichtsdestoweniger auf eine gesetzliche Grundlage zurückführen. Da die Investorenkommunikation in der Wahrung der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und der Befugnis zur Darstellung seiner eigenen Angelegenheiten in der Öffentlichkeit begründet liegt, kann ihre gesetzliche Anknüpfung in der Gesamtschau der §§ 111 Abs. 1 und 2, 107 Abs. 1 und 3, 112, 171 Abs. 2 AktG gesehen werden.191 Wenn diese Vorschriften indes ergänzend so auszulegen sind, dass der Aufsichtsrat mit Kapitalmarktteilnehmern in einen Dialog treten darf, spricht nichts dagegen, sie auch entsprechend dahingehend zu Ende zu denken, dass er über den Umgang mit hierbei erfahrenen Tatsachen beschließen darf. Mithin lassen sich die Fallgruppen, in denen eine Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats diskutiert wird, auf im Gesetz verankerte originäre Aufgaben des Aufsichtsrats zurückführen. (2) Notwendigkeit zur Wahrnehmung einer originären Kompetenz Ferner muss die dem Aufsichtsrat ergänzend zugesprochene Selbstbefreiungskompetenz in einem funktionalen Zusammenhang mit der geschriebenen Kompetenz stehen, zu welcher der Annex bestehen soll. Die Rechtsfigur der Annexkompetenz darf nur behutsam eingesetzt werden und ist nur gerechtfertigt, wenn sie für die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Organ ausdrücklich zugewiesenen Aufgabe unerlässlich ist.192 (a) Wahrnehmung der aktienrechtlichen Kompetenzen Es ist also danach zu fragen, ob die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Selbstbefreiungen zur Wahrnehmung seiner aktienrechtlichen Aufgaben zwingend erforderlich ist. Wie sich gezeigt hat, ist in den einzelnen Fallgruppen die Weiterleitung von Insiderinformation aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats weder an den Vorstand noch an ein Ad-hoc-Gremium sinnvoll möglich.193 190
Koch, AG 2017, 129 (132 ff.), Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (733), Fleischer/ Bauer/Wansleben, DB 2015, 360 (365), Landsittel, Investorenkommunikation, S. 233, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 67, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 107 Rn. 40. 191 Vgl. Landsittel, Investorenkommunikation, S. 209 ff., 223. 192 Menkel, AG 2019, 330 (333). 193 Siehe D.II.1.
194
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
Am augenscheinlichsten ist die Notwendigkeit einer Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat selbst für die Wahrung seines aktienrechtlichen Zuständigkeitsbereichs bei Personalmaßnahmen in Bezug auf den Vorstand.194 Wenn der Aufsichtsrat sich mit dem Gedanken trägt, ein Vorstandsmitglied zu suspendieren oder abzuberufen, soll das betroffene Vorstandsmitglied bis zu der endgültigen Entscheidung nichts davon erfahren, um die Verhandlungsposition des Aufsichtsrats nicht zu schwächen und einen geordneten Ablauf des Wechsels im Vorstand zu ermöglichen. Zugleich könnte die Suche nach einem Nachfolger, die ebenfalls gemäß § 84 AktG in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fällt, erheblich erschwert werden, wenn die Abberufung bereits öffentlich bekannt wäre. Wenn der Aufsichtsrat also die Information über den beabsichtigten Wechsel zum Zwecke der Veröffentlichung an den grundsätzlich zuständigen Vorstand weiterleiten würde, würde er die reibungslose Durchführung der Maßnahme erheblich beeinträchtigen. Mithin bedarf es also einer Kompetenzerweiterung über die Grenzen der gesetzlichen Aufgabenverteilung hinaus, um das Gesamtgefüge der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung zu wahren. Ähnlich verhält es sich im Falle von internen Untersuchungen gegen einzelne oder alle Vorstandsmitglieder, die ggf. in Schadensersatzforderungen oder Gerichtsverfahren gegen diese Mitglieder münden können. Hierbei ist es für die Effektivität der Aufsichtsratsarbeit ebenfalls essentiell, dass der Aufsichtsrat seine Ermittlungen unbeeinflusst und unvoreingenommen durchführen kann. Sobald der Betroffene von den Vorwürfen erfährt, ist zu befürchten, dass er die Untersuchung behindern oder zu seinen Gunsten beeinflussen wird.195 Auch die Erfolgsaussichten einer Klage würden sich gravierend verschlechtern, wenn der Beklagte bereits im Vorfeld davon wüsste. Ein wenig anders liegen die Fallkonstellationen des einvernehmlichen Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds und der Personalfragen innerhalb des Aufsichtsrats. Hier droht die Erfüllung der jeweiligen Aufgabe des Aufsichtsrats nicht durch die Offenlegung der Insiderinformation gegenüber dem Vorstand unmöglich zu werden. Bei ersterer Fallgestaltung beruht die Notwendigkeit der Geheimhaltung vielmehr– insbesondere im Falle eines krankheitsbedingten Ausscheidens – auf den berechtigten Interessen des Vorstandsmitglieds, das seine Absicht zunächst nur dem Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzendem, nicht aber dem übrigen Vorstand, anvertraut.196 Der Aufsichtsrat steht dem Vorstand jedoch im Sinne einer gemeinsamen Unternehmensleitung als Ansprechpartner für strategische Fragen zur Seite, auch um die Personalplanung des Vorstands zu erörtern. Insofern liegt es nicht nur im Interesse des betroffenen Vorstandsmitglieds, sondern auch im Interesse des Aufsichtsrats selbst, die empfangene Information von der Rücktrittsabsicht des Vorstands auch für sich zu behalten und nicht an andere Vorstandsmitglieder weiterzugeben. Die Rolle des Aufsichtsrats als vertrauensvoller Berater und Ansprech194 195 196
Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 427. Vgl. dazu auch schon D.II.1.c). Vgl. dazu auch schon D.II.1.b).
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
195
partner für Vorstandsmitglieder würde untergraben, wenn dieser die Insiderinformation über das ausscheidende Mitglied dessen Wunsch zuwider an das Ad-hocGremium und damit auch an weitere Vorstandsmitglieder weitertragen würde. Bei der Beratung über die Rücktrittsabsicht eines Aufsichtsratsmitglieds ist eine Selbstbefreiung durch den Aufsichtsrat erforderlich, um dessen Selbstorganisationsrecht zu wahren. Als Ausdruck seiner Organisationsautonomie ist der Aufsichtsrat berechtigt, aber auch verpflichtet, seine Arbeitsweise in personeller Hinsicht zu gestalten.197 Dazu gehört unter anderem die interne Abstimmung über die Amtsniederlegung eines einzelnen Mitglieds aus persönlichen Gründen. Der Aufsichtsrat hat also ein berechtigtes Interesse daran, über (Personal-)Angelegenheiten in den eigenen Reihen intern zu beraten, ohne den Vorstand hierüber in Kenntnis zu setzten. Dieses Prinzip würde ebenfalls durch die Weiterleitungspflicht an den Vorstand verletzt. Insofern ist die Annexkompetenz zur Selbstbefreiung nicht für die aktienrechtliche Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats erforderlich, aber um die Funktionsfähigkeit des Gremiums als solchem zu gewährleisten. Schließlich ist eine Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat auch erforderlich, um die Wahrnehmung seiner eigenen Befugnis zur Kapitalmarktkommunikation zu gewährleisten. Der Aufsichtsrat ist nur dann ein verlässlicher Ansprechpartner für Investoren, wenn er die ihm im Rahmen solcher Gespräche mitgeteilten Informationen vertraulich behandelt. Es gehört nicht nur zu seinem Aufgabenkreis, eigene Aussagen über aufsichtsratsspezifische Themen zu treffen, sondern auch anderen Kapitalmarktteilnehmern als Ansprechpartner in Bezug auf andere Angelegenheiten zur Verfügung zu stehen, die nicht zu seinem aktienrechtlichen Aufgabenbereich gehören.198 Diese Pflicht könnte der Aufsichtsrat nicht wahrnehmen, wenn er die ihm mitgeteilten Informationen unmittelbar an den Vorstand weiterleiten müsste. Somit ist in allen hier betrachteten Fallgruppen die Geheimhaltung der im Aufsichtsrat bekannten Insiderinformation gegenüber dem Vorstand nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig für die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Aufsichtsrat zukommenden Funktionen. Die Befugnis des Aufsichtsrats, über die Selbstbefreiung entscheiden zu können, ist für die sorgfältige Ausführung seiner Amtstätigkeit eine ebenso unerlässliche Voraussetzung wie etwa die Unterhaltung eines Sekretariats oder die Zuziehung von Beratern. Auch die alternative Einschaltung eines Ad-hocKomitees hat sich wegen der von der BaFin geforderten und auch praktisch empfehlenswerten Besetzung dieses Gremiums mit mindestens einem Vorstandsmitglied199 als ungeeignet erwiesen. Somit ist diese Voraussetzung für eine Annexkompetenz erfüllt. 197
BGHZ 83, 106 (115) – Siemens, BGHZ 122, 342 (355), MüKoAktG-Habersack, § 107 Rn. 94, 98, GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 75, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 654, Thümmel, AG 2004, 83 (89). 198 Siehe C.II.3.e)bb); a. A. Schockenhoff/Hoffmann, ZGR 2021, 201 (219 f.). 199 Siehe D.I.2.c)cc).
196
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
(b) Sachnähe des Aufsichtsrats Ergänzend lässt sich ferner die Sachnähe des Aufsichtsrats zu dem Beschlussgegenstand in den vorgenannten Fällen der Selbstbefreiung anführen.200 Die Entscheidung im jeweiligen Sachgebiet und die Art und Weise bzw. der Zeitpunkt ihrer Kommunikation im Außenverhältnis stehen in einer engen Beziehung zueinander. Der Vorstand verfügt unter Umständen gar nicht über die Informationen, die dafür notwendig sind, um zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für einen Aufschub vorliegen.201 Dies macht eine Kompetenzübertragung zwar nicht zwingend erforderlich, belegt aber, dass eine Aufschubentscheidung durch den Aufsichtsrat deutlich sachkundiger getroffen werden kann, da sich dieser zuvor mit der Materie, die den Inhalt der Insiderinformation bildet, befasst hat. Ähnlich argumentiert der BGH in Bezug auf die Annexkompetenz des Aufsichtsrats zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft bei Streitigkeiten mit einem besonderen Sachverständigen i. S. d. § 111 Abs. 2 S. 2 AktG. Wenn die Aktiengesellschaft bei dem Vertragsschluss sowie der Vertragsdurchführung von dem Aufsichtsrat vertreten werde, habe auch der Aufsichtsrat das notwendige Wissen, um die Aktiengesellschaft in der gerichtlichen Auseinandersetzung zu vertreten.202 Dies gilt in gleichem Maße für die Selbstbefreiung durch den Aufsichtsrat: Wenn der Aufsichtsrat die Entscheidung über eine in seinen Verantwortungsbereich fallende Maßnahme trifft, hat nur er das notwendige Wissen, um sachgerecht über eine Selbstbefreiung entscheiden zu können. Darüber hinaus ist die Annexkompetenz des Aufsichtsrats fallgruppenübergreifend zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Aufsichtsrats erforderlich. Seine Eigenschaft als Überwachungsgremium verlangt es, dass dieser gegenüber dem Vorstand weisungsfrei ist und eine gewisse Distanz wahrt, um Interessenkonflikte zu verringern.203 Diese kann nur dadurch verwirklicht werden, dass der Aufsichtsrat in seinen eigenen Angelegenheiten selbst über den Aufschub von Ad-hoc-Mitteilungen befinden darf und insofern autonom vom Vorstand ist. (3) Punktuelle Kompetenzverschiebung Schließlich dürfte es sich bei der Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats um eine lediglich punktuelle, nicht aber um eine substantielle Kompetenzverschiebung handeln.
200
Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337 (348), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 427. Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 135; a. A. Bekritsky, BKR 2020, 382 (387): Der Aufsichtsrat verfüge nicht über den notwendigen Überblick für eine Selbstbefreiung. 202 BGH, NZG 2018, 629 Rn. 24. 203 Landsittel, Investorenkommunikation, S. 223; siehe auch C.II.1.b). 201
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
197
Der Annexkompetenz liegt der Gedanke zugrunde, dass der Gesetzgeber, wenn er – sei es dem Bund oder einem Gesellschaftsorgan – Aufgaben zuweist, hiermit auch die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Mittel zuordnet.204 Einem Gesellschaftsorgan kann eine über den Bereich seiner originären Befugnisse hinausreichende Kompetenz daher nur eingeräumt, weil sie zur effektiven Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist, aber auch nur soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist. Der flankierende Charakter der Annexregelung ist somit gleichermaßen Grund und Grenze der Kompetenzerweiterung. Daher darf sich die Annexkompetenz lediglich auf die Stadien der Vorbereitung und Durchführung derjenigen Maßnahmen erstrecken, zu denen das Organ ausdrücklich befugt ist.205 Indes dürfte es durch die Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats nicht zu einem substantiellen Kompetenzentzug zulasten des grundsätzlich für den Aufschub einer Ad-hocMitteilung zuständigen Vorstands kommen. Wie soeben gezeigt, lassen sich die Fallkonstellationen, in denen eine Selbstbefreiungskompetenz vorliegen soll, auf Aufgaben zurückführen, die dem Aufsichtsrat originär obliegen und zu deren Ausführung der Aufschub der Ad-hocMitteilung durch einen Beschluss des Aufsichtsrats selbst zwingend erforderlich ist. Gegenüber diesen Maßnahmen ist die Selbstbefreiungsentscheidung teilweise vorbereitender, teilweise aber auch durchführender Natur. In vielen Fällen dient die Geheimhaltung der Vorhaben des Aufsichtsrats dazu, deren weitere Ausführung zu ermöglichen, etwa bei einem Wechsel im Vorstand oder bei internen Untersuchungen, die zur Vorbereitung eines Schadensersatzprozesses gegen ein Vorstandsmitglied durchgeführt werden. Ein geordneter Wechsel im Vorstand wäre erheblich erschwert, wenn das betroffene Vorstandsmitglied – im Falle einer Abberufung – schon frühzeitig von der Nachfolgeplanung des Aufsichtsrats erführe oder – im Falle des einvernehmlichen Ausscheidens – wenn diese Absicht bereits öffentlich bekannt würde, bevor eine diesbezügliche Übereinkunft getroffen wurde. In der Situation einer internen Untersuchung ermöglicht oftmals erst das Überraschungsmoment die Sicherstellung belastender Dokumente. Der Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung und damit die Entscheidung zur Geheimhaltung der geplanten Abberufung eines Vorstandsmitglieds oder der Vorbereitung einer Klage gegen ein solches bis zu ihrer jeweiligen Veröffentlichungsreife stellt somit eine Vorbereitungshandlung für eine originäre Aufsichtsratsaufgabe dar. In anderen Fallkonstellationen ist der Beschluss über den Aufschub der Ad-hocMitteilung bereits Teil der Durchführung der jeweiligen Maßnahme. Indem der Aufsichtsrat den (krankheitsbedingten) Rücktrittswunsch eines Vorstandsmitglieds vertraulich behandelt und nicht an das Ad-hoc-Komitee weitergibt, erfüllt er bereits einen Teil seiner Beratungsaufgabe dem Vorstand gegenüber. Dasselbe gilt für die Fälle der Kapitalmarktkommunikation. Durch die Geheimhaltung bestimmter Ab204
Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (454). Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 (455); vgl. zum Staatsorganisationsrecht Maunz/Dürig-Uhle, GG, Art. 70 Rn. 71. 205
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
sichten eines Investors, von denen der Aufsichtsrat erfahren hat, nimmt er seine Aufgabe wahr, als Ansprechpartner für den Kapitalmarkt zur Verfügung zu stehen. Außerdem ist zu beachten, dass, sofern die Befugnis des Aufsichtsrats zur Entscheidung über die Selbstbefreiung in Rede steht, dies nur einen Teil der aus der Adhoc-Publizitätspflicht resultierenden Aufgaben der Emittentin betrifft. Die Zuständigkeit für die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung ist hiervon nicht betroffen.206 Im Ergebnis handelt es sich in allen besprochenen Fallgruppen um eine Kompetenzerweiterung in den Phasen der Vorbereitung und Durchführung einer Maßnahme des Aufsichtsrats, mithin um eine bloß punktuelle Kompetenzverschiebung. dd) Konflikt mit § 111 Abs. 4 S. 1 AktG? Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine Annexzuständigkeit des Aufsichtsrats für die Selbstbefreiung in Konflikt mit § 111 Abs. 4 S. 1 AktG gerät. Diese Vorschrift verbietet die Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben an den Aufsichtsrat. Die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung ist eine Geschäftsführungsaufgabe.207 Daher wird von einigen Autoren vorgeschlagen, den § 111 Abs. 4 S. 1 AktG in den Fällen teleologisch zu reduzieren, in denen mangels Weiterleitungsmöglichkeit eine Entscheidung des Aufsichtsrats erforderlich ist.208 Richtigerweise steht § 111 Abs. 4 S. 1 AktG einer Selbstbefreiungskompetenz jedoch auch unter der Prämisse, dass es sich hierbei um eine Geschäftsführungsaufgabe handelt, nicht entgegen. Wie der Wortlaut „übertragen werden“ verdeutlicht, verbietet es diese Norm lediglich, dass der Aufsichtsrat sich selbst Aufgaben anmaßt, die dem Bereich der Geschäftsführung angehören, oder dass ihm solche Aufgaben zugewiesen werden.209 Sie erfasst damit nur eine Zuweisung durch die Satzung oder durch den Vorstand im Wege der Delegation.210 Dennoch obliegen dem Aufsichtsrat im Rahmen seiner Amtsführung zahlreiche Aufgaben, die Geschäftsführungscharakter haben.211 Hierzu gehören etwa §§ 84, 88 f., 111 Abs. 2 S. 3, 112, 161 AktG sowie die bereits angesprochenen Hilfsgeschäfte.212 Diese „eigenen Geschäftsfüh206
Siehe dazu D.II.4. Siehe D.I.2.a)cc)(2). 208 Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), Ihrig/Kranz, BB 2013, 451 (456), siehe auch Ihrig, VGR 2012, 113 (138): „Ausnahme“. 209 MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 110, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 111 Rn. 77, Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 51. 210 MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 110, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 61, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rn. 49, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 51. 211 Raiser/Veil, § 15 Rn. 13. 212 v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956 (957), Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 111 Rn. 66, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 52, MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 113. 207
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
199
rungsaufgaben“ des Aufsichtsrats, die ihm durch das Gesetz zugewiesen werden, sind von § 111 Abs. 4 S. 1 AktG nicht umfasst.213 Die Selbstbefreiungskompetenz qua Annexkompetenz ist ebenfalls eine solche eigene Geschäftsführungsaufgabe des Aufsichtsrats. Sie obliegt ihm ebenso originär wie seine Personalkompetenz, die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern oder die anerkannten Annexkompetenzen im Bereich der Hilfsgeschäfte. Daher verstößt die Selbstbefreiungskompetenz ebenso wenig gegen § 111 Abs. 4 S. 1 AktG wie die Hinzuziehung eines Beraters oder die Reservierung eines Tagungsraums durch den Aufsichtsrat. Mithin bedarf es auch keiner teleologischen Reduktion dieser Norm. ee) Zwischenergebnis Die ursprünglich aus dem Staatsorganisationsrecht stammende Figur der Annexkompetenz lässt sich auf das Gesellschaftsrecht übertragen. Eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für eine Selbstbefreiungsentscheidung besteht, wenn Gegenstand der Entscheidung eine Insiderinformation ist, die dem Kompetenzbereich des Aufsichtsrats zuzuordnen ist, sodass die Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat zur Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist und es sich lediglich um eine punktuelle Kompetenzverschiebung handelt. Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf die eingangs genannten Fallgruppen vor. Das Geschäftsführungsverbot des § 111 Abs. 4 S. 1 AktG steht der Annahme einer Selbstbefreiungszuständigkeit des Aufsichtsrats nicht entgegen. c) Zwischenergebnis Der Aufsichtsrat ist für die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hocMitteilung zuständig, wenn dies die pflichtgemäße Erfüllung seiner aktienrechtlichen Aufgaben erfordert. Dies kann jedoch nicht mit der Annahme einer Delegation durch den Vorstand begründet werden. Stattdessen lässt sich die Selbstbefreiungszuständigkeit dogmatisch auf eine Annexkompetenz zu den jeweiligen gesetzlichen Aufgaben des Aufsichtsrats stützen. Demnach besteht jedoch bei Insiderinformationen, die zwar einem Aufsichtsratsmitglied bekannt sind, aber mit den Kompetenzen des Aufsichtsrats nicht im Zusammenhang stehen, keine Selbstbefreiungszuständigkeit.
213 Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 111 Rn. 66, v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956 (957), Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 52, MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 110, Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 61, Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (420).
200
D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
3. Verhältnis zu der Zuständigkeit des Vorstands Wenn nun feststeht, dass der Aufsichtsrat unter Umständen zur Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung befugt ist, fragt sich, ob der Aufsichtsrat in diesen Fällen ausschließlich und abschließend zuständig ist oder ob der Vorstand dennoch wieder zuständig werden kann. Eine Annexkompetenz darf einem Gesellschaftsorgan nur eingeräumt werden, soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist. Daher bedarf es eines Kriteriums, das die ausnahmsweise Zuständigkeit des Aufsichtsrats von der allgemeinen Zuständigkeit des Vorstands für die Selbstbefreiung abgrenzt. a) Wissensvorsprung als Anknüpfungspunkt Hierfür lohnt es, sich auf den Ursprung der Diskussion um eine Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats zu besinnen: Die Notwendigkeit einer Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat rührt daher, dass bestimmte Informationen, die den Tatbestand einer Insiderinformation erfüllen, außerhalb des Aufgabenbereichs des Vorstands entstehen können und dann der Bedarf einer Wahrnehmung der aus Art. 17 MAR resultierenden Pflichten besteht. Die sachliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die zugrundeliegende Insiderinformation allein genügt also noch nicht, um dessen Selbstbefreiungskompetenz zu begründen. Stattdessen kommt es darauf an, dass der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand einen Informationsvorsprung hat.214 Eine Abweichung von der aktienrechtlichen Kompetenzordnung, die die Ad-hoc-Publizitätspflicht grundsätzlich dem Vorstand zuweist, ist nicht geboten, wenn dieser die Selbstbefreiungsentscheidung ebenso treffen kann wie der Aufsichtsrat. Wenn der Vorstand bereits von einer veröffentlichungspflichtigen Tatsache aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats Kenntnis erlangt hat, kann er seine Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht unproblematisch selbst wahrnehmen. Die Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats setzt also voraus, dass die jeweilige Insiderinformation ausschließlich innerhalb des Aufsichtsrats bekannt ist. Denn wenn sie zudem einem weiteren Unternehmensangehörigen bekannt ist, besteht wiederum aufgrund des Informationsorganisationssystems des Vorstands die Möglichkeit, dass dieser davon Kenntnis nimmt, sodass eine Veröffentlichungspflicht des Vorstands begründet ist. Darüber hinaus ist nicht nur erforderlich, dass ein Informationsvorsprung des Aufsichtsrats besteht, sondern auch, dass dieser nicht durch eine schlichte Wei-
214 Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), ähnlich auch Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (406 f.), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 427 in Fn. 745, Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (73).
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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tergabe der Insiderinformation an den Vorstand behoben werden kann.215 Es kommt vielmehr darauf an, dass der Vorstand aufgrund des Inhalts der betreffenden Information (noch) keine Kenntnis davon erhalten soll.216 Der Aufsichtsrat muss also ein berechtigtes Interesse daran haben, die Information vor den zuständigen Stellen, also Vorstand oder Ad-hoc-Komitee, geheim zu halten.217 Nur wenn und solange ein solches Interesse besteht, ist die Verlagerung der Selbstbefreiungszuständigkeit auf den Aufsichtsrat gerechtfertigt. Der Klarstellung halber sei jedoch gesagt, dass dies nicht für alle Insiderinformationen gilt, bezüglich derer der Aufsichtsrat einen Informationsvorsprung hat, sondern nur für solche, die auch in seinen Aufgabenbereich fallen. Dies verdeutlicht auch folgendes Beispiel: Wenn eine Maßnahme des Vorstands gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf, kommt bis zu der Zustimmung ein Aufschub der Veröffentlichung in Betracht; dies ist ausdrücklich in Erwägungsgrund (50) lit. b der MAR niedergelegt. Im Regelfall wird der Vorstand jedoch sein Vorhaben im Vorfeld mit dem Aufsichtsrat abgesprochen haben, sodass die Entscheidung des Aufsichtsrats demgegenüber keine selbständige insiderrechtliche Bedeutung hat.218 Daher kann der Vorstand die Entscheidung über die Veröffentlichung oder ggf. einen weiteren Aufschub selbst treffen oder durch das Ad-hoc-Gremium treffen lassen. Demgegenüber entscheidet der Aufsichtsrat nur dann selbst über den Aufschub der Veröffentlichung, wenn seine Entscheidung für sich genommen ebenfalls eine Insiderinformation darstellt.219 Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn der Aufsichtsrat seine Zustimmung unerwartet verweigert. Diese Fallkonstellation verdeutlicht, dass es nicht allein genügt, wenn eine Maßnahme, die Gegenstand der Insiderinformation ist, in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fällt. Auch wenn der Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG den Kernbereich der Aufsichtsratstätigkeit betrifft, ist der Aufsichtsrat dennoch nicht für die Maßnahmen der Adhoc-Publizität verantwortlich, wenn der Vorstand gleichermaßen davon Kenntnis hat. Mithin kommt eine Annexkompetenz des Aufsichtsrats für die Selbstbefreiungsentscheidung nur dann in Betracht, wenn der Vorstand von der betreffenden Insiderinformation keine Kenntnis hat und somit ein Wissensvorsprung des Aufsichtsrats vorliegt.
215 Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (406 f.), Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621 (632). 216 Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 427 in Fn. 745. 217 Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (407 f.). 218 Semler/v. Schenck/Wilsing-Weiß, Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rn. 247. 219 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 193, Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (425), Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 115.
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
b) Abschließende Zuständigkeit des Aufsichtsrats Dann stellt sich die Frage, ob es bei der Zuständigkeit des Aufsichtsrats bleibt, wenn der Vorstand Kenntnis von einer bislang nur dem Aufsichtsrat bekannten Insiderinformation erhält. Hierfür haben sich einige Stimmen in der Literatur ausgesprochen, die davon ausgehen, dass der Vorstand von der Selbstbefreiungskompetenz ausgeschlossen bleibe, sofern einmal eine Annexkompetenz des Aufsichtsrats bestanden habe.220 Auch wenn der Vorstand von der Insiderinformation erfahre, dürfe er nicht mehr über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung entscheiden, sondern könne nur diesbezüglich auf den Aufsichtsrat einwirken oder müsse andernfalls die Insiderinformation veröffentlichen.221 Auch die BaFin hat hierzu im Modul C des Emittentenleitfadens Position bezogen, indem sie von einer „abschließenden Annexkompetenz“ des Aufsichtsrats hinsichtlich der Aufschubentscheidung spricht.222 Dies kann ebenfalls so verstanden werden, dass die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Informationen, die in seinem Tätigkeitsbereich liegen und von denen zunächst nur er Kenntnis hat, exklusiv bestehe und dass dementsprechend andere Organe auch später von der Beschlussfassung ausgeschlossen seien. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Wie soeben gezeigt wurde, erfordert die Selbstbefreiungszuständigkeit des Aufsichtsrats, dass nur der Aufsichtsrat von der in Rede stehenden Insiderinformation weiß. Daher kommt eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Selbstbefreiung nur dann in Betracht, wenn aufgrund der Vertraulichkeit der betreffenden Insiderinformation kein Vorstandsmitglied in die Entscheidung eingebunden werden kann.223 Dieses Tatbestandsmerkmal, das überhaupt zu einer Entstehung der Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats führt, entfällt jedoch, sobald der Aufsichtsrat den Vorstand über die Insiderinformation informiert oder dieser anderweitig Kenntnis davon erlangt und somit der Informationsvorsprung des Aufsichtsrats aufgehoben wird. Hat beispielsweise der Vorstand schon von der geplanten Abberufung eines seiner Mitglieder oder von dem anstehenden Rücktritt eines Aufsichtsratsmitglieds erfahren oder findet in Bezug auf diese Themen eine Abstimmung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand statt, besteht kein Bedürfnis für eine ausnahmsweise Entscheidung durch den Aufsichtsrat. Der Beschluss über den
220 Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (425), Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 513, Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 135. 221 Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (425), ebenso wohl auch Schockenhoff/Hoffmann, ZGR 2021, 201 (220). 222 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36. 223 Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2020, 477 (481 f.).
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung kann nun im gewohnten Verfahren durch den Vorstand bzw. das Ad-hoc-Gremium betroffen werden. c) Ausschluss des Vorstands Auf dieser Grundlage ist auch die Frage zu beantworten, ob der Aufsichtsrat auf seine Kompetenz verzichten und die Entscheidung dem Vorstand bzw. dem Adhoc-Gremium überlassen darf. Ein solches Wahlrecht wurde von dem Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins als Reaktion auf die Annahme einer abschließenden Kompetenz durch die BaFin vorgeschlagen. Der Aufsichtsrat solle eigenverantwortlich entscheiden dürfen, ob er von der Möglichkeit, selbst über den Aufschub einer Adhoc-Mitteilung zu beschließen, Gebrauch machen möchte oder ob er die Entscheidung dem Ad-hoc-Gremium überlassen möchte, sofern berechtigte Geheimhaltungsinteressen dem im Einzelfall nicht entgegenstehen.224 Größere Flexibilität befürwortet auch das Deutsche Aktieninstitut: Die gesellschaftsinterne Aufgabenverteilung solle der Emittentin überlassen bleiben; jedenfalls solle der Aufsichtsrat für in seinem Aufgabenbereich auftretende Insiderinformationen keine ausschließliche Selbstbefreiungskompetenz haben.225 Nach hier vertretenem Verständnis der Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Denn das Bedürfnis nach einer Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat besteht erst dann, wenn dieser über Informationen verfügt, die den grundsätzlich zuständigen Stellen, also Vorstand oder Ad-hoc-Komitee, nicht bekannt sind und die auch nicht an diese weitergeleitet werden können, ohne die Arbeit des Aufsichtsrats zu behindern. Voraussetzung der Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats ist also ein unbehebbarer Informationsvorsprung. Wenn der Aufsichtsrat erwägt, die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung an den Vorstand oder ein Adhoc-Komitee zu übertragen, ist der Informationsvorsprung aber gerade nicht unbehebbar. Somit handelt es sich also nicht um einen Fall, in dem die Geheimhaltung gegenüber dem Vorstand für die Wahrung der Interessen des Aufsichtsrats bei der Durchführung seiner Aufgaben notwendig ist und die Voraussetzungen für eine Annexkompetenz liegen demzufolge nicht vor. Dasselbe gilt auch für die Einschaltung des Ad-hoc-Gremiums, denn über das typischerweise in diesem Gremium vertretene Vorstandsmitglied würde der Vorstand ebenfalls von der Information erfahren. Wenn der Aufsichtsrat aber kein Geheimhaltungsinteresse gegenüber dem Ad-hoc-Gremium hat, fehlt es bereits an der Voraussetzung für eine Annexkompetenz des Aufsichtsrats. Somit kommt eine freiwillige Übertragung 224
HRA DAV, Stellungnahme zum Modul C-Entwurf, NZG 2019, 1138 (1143) Rn. 48. DAI, Stellungnahme zum Modul C-Entwurf, S. 25, abrufbar unter https://www.bafin.de/ dok/12688014; siehe auch Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 83. 225
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
der Selbstbefreiungszuständigkeit an den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium nicht in Betracht. Im Übrigen bedarf es im Bereich der Ad-hoc-Publizitätspflicht keines Wahlrechts, sondern einer klaren, rechtssicheren Aufgabenzuweisung. Andernfalls droht die Gefahr widersprüchlicher Beschlüsse unterschiedlicher Gremien.226 Der Vorstand muss wissen, ob er über den Aufschub der Veröffentlichung einer ihm bekanntwerdenden Insiderinformation entscheiden darf oder nicht. Daran fehlt es, wenn er stets damit rechnen muss, dass der Aufsichtsrat diese Information ebenfalls besitzt und noch sein Wahlrecht ausüben muss. d) Zwischenergebnis Für die Annahme einer Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats genügt es nicht, dass eine Insiderinformation in dessen Aufgabenbereich fällt. Der Aufsichtsrat ist vielmehr nur dann für die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig, wenn er in Bezug auf die jeweilige Insiderinformation einen Wissensvorsprung gegenüber dem Vorstand hat. Wenn diese beiden Voraussetzungen vorliegen, ist der Aufsichtsrat verpflichtet, eine Selbstbefreiungsentscheidung zu treffen. Erlangt der Vorstand jedoch durch den Aufsichtsrat oder auf anderem Wege Kenntnis von der betreffenden Insiderinformation, endet die Zuständigkeit des Aufsichtsrats.
4. Zuständigkeit für die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen Bislang wurde untersucht, unter welchen Voraussetzungen der Aufsichtsrat anstelle des Vorstands für eine Selbstbefreiung zuständig ist. Nun ist noch zu klären, ob der Aufsichtsrat in diesen Fällen auch verpflichtet ist, die Veröffentlichung der Insiderinformation in Form einer Ad-hoc-Mitteilung in die Wege zu leiten. Diese Frage stellt sich in zwei Konstellationen, nämlich zum einen, wenn sich der Aufsichtsrat entscheidet, nicht von der Möglichkeit der Selbstbefreiung Gebrauch zu machen, und zum anderen, wenn der Aufsichtsrat eine Ad-hoc-Mitteilung gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR aufgeschoben hat und die Voraussetzungen der Selbstbefreiung zu einem späteren Zeitpunkt wegfallen. Bislang ging die Literatur einstimmig davon aus, dass der Aufsichtsrat nicht dafür zuständig sei, ihm bekannte Insiderinformationen auch gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR zu veröffentlichen.227 Stattdessen sei er, wenn eine aufgeschobene Ad-hoc226
Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (75) in Fn. 40. Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (408), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 196, Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2020, 477 (482), Marsch-Barner/ 227
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Mitteilung veröffentlichungspflichtig werde, verpflichtet, die betreffende Insiderinformation an den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium weiterzuleiten, damit diese sie ordnungsgemäß veröffentlichen. Eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Veröffentlichung bestehe selbst dann nicht, wenn der Vorstand die jeweilige Insiderinformation nach der Weiterleitung nicht veröffentlicht, etwa weil er entgegen der Auffassung des Aufsichtsrats den Charakter einer kursrelevanten Insiderinformation verneint oder die Befassung mit der in Rede stehenden Tatsache generell verweigert. Stattdessen müsse der Aufsichtsrat auf den Vorstand einwirken, damit dieser seinen Pflichten nachkommt.228 Auch das OLG Stuttgart hat in seiner zweiten „Daimler/Schrempp-Entscheidung“ im Anschluss an Lutter festgestellt, dass die Veröffentlichungspflicht eine ausschließliche Aufgabe des Vorstands ist, auch wenn die fragliche Information eine Entscheidung des Aufsichtsrats betrifft.229 Dieser Auffassung hat sich auch die BaFin im Modul C des Emittentenleitfadens angeschlossen.230 a) Stellungnahmen zu dem Modul C-Entwurf des Emittentenleitfadens Im Vorfeld der Veröffentlichung des Moduls C des Emittentenleitfadens regte sich jedoch Kritik an der herrschenden Meinung. In den Stellungnahmen zu dem Entwurf des Moduls C, die während des Konsultationsverfahrens veröffentlicht wurden, wurde die Forderung laut, dem Aufsichtsrat solle neben der Selbstbefreiungskompetenz auch die Zuständigkeit für die spätere Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung übertragen werden.231 Ein Auseinanderfallen der Zuständigkeiten für Selbstbefreiung und Veröffentlichung sei „widersprüchlich“, da die Entscheidung über das „Ob“ einer Insiderinformation regelmäßig untrennbar mit dem „Wann“ und „Wie“
Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.31, Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (75), Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611), Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 38, FuchsPfüller, WpHG, § 15 Rn. 427 Fn. 745, wohl auch MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 54; differenzierend Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 97. 228 GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 247, Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540 (2541 f.), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (330), MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 54, Assmann/ Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 25, Schockenhoff/Hoffmann, ZGR 2021, 201 (220). 229 OLG Stuttgart, NZG 2009, 624 juris-Rn. 82 – Daimler/Schrempp II, Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 401, 591, 655. 230 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36. 231 Stellungnahme von White & Case, S. 8, Stellungnahme CMS Hasche Sigle, S. 4, Stellungnahme Fieldfisher, S. 6; vgl. auch Stellungnahme Noerr, S. 14, die die Mitwirkung eines Aufsichtsratsmitglieds vorschlagen (Sämtliche Stellungnahmen abrufbar unter https: //www.bafin.de/dok/12688014).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
ihrer Veröffentlichung verbunden sei.232 Zudem bestehe die Gefahr, dass durch die Zwischenschaltung des Vorstands die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung nicht eingehalten werde.233 Schließlich sei die Erstreckung der Annexkompetenz des Aufsichtsrats auf die Veröffentlichung der Insiderinformation auch deswegen erforderlich, weil andernfalls der Vorstand es in der Hand hätte, von einer Veröffentlichung abzusehen, etwa um mit dem Aufsichtsrat Verhandlungen über dessen Beschluss zu führen.234 b) Dogmatische Verankerung der Zuständigkeit für die Veröffentlichung Eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Veröffentlichung von Insiderinformationen setzt jedoch – ebenso wie die Selbstbefreiungskompetenz – voraus, dass sie sich dogmatisch in das System der aktienrechtlichen Kompetenzen des Aufsichtsrats einfügen lässt. Grundsätzlich besteht eine klare Zuordnung der Ad-hoc-Publizität zum Zuständigkeitsbereich des Vorstands, die insbesondere aus dessen Rechtsnatur als Geschäftsführungsorgan, seiner Compliance-Verpflichtung und seiner Verantwortung für die Repräsentation der Gesellschaft im Außenverhältnis resultiert.235 aa) Delegierte Zuständigkeit Eine delegierte Zuständigkeit kommt hier nicht in Betracht, da auch die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung eine durch § 111 Abs. 4 S. 1 AktG von der Delegation an den Aufsichtsrat ausgeschlossene Geschäftsführungsaufgabe ist. Ferner wüsste der Vorstand gar nichts von dem Aufschub, den der Aufsichtsrat beschlossen hat, sodass eine Delegation der Veröffentlichung an den Aufsichtsrat schon rein tatsächlich nicht in Frage kommt. bb) Annexkompetenz Allerdings könnte auch in Bezug auf die Veröffentlichungszuständigkeit eine Annexkompetenz des Aufsichtsrats bestehen. Hierfür bedarf es einer ausdrücklich normierten Zuständigkeit als Anknüpfungspunkt. Ferner muss der Annex der Wahrnehmung einer dem Organ ausdrücklich zugewiesenen Aufgabe dienen und es
232 Stellungnahme von White & Case, S. 8, abrufbar unter https://www.bafin.de/dok/12 688014, siehe auch Kiefner/Krämer/Happ, DB 2020, 1386 (1392). 233 Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft, S. 12, DAI, Stellungnahme zu Modul C, S. 26 (Stellungnahmen abrufbar unter https://www.bafin.de/dok/12688014). 234 Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft, S. 12, abrufbar unter https://www.bafin. de/dok/12688014. 235 Siehe D.I.1.
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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darf sich lediglich um eine punktuelle, nicht aber um eine substantielle Kompetenzerweiterung handeln.236 Als gesetzlicher Anknüpfungspunkt mögen die jeweiligen Kompetenzen des Aufsichtsrats dienen, die Gegenstand der Insiderinformation sind und bereits als Ausgangspunkt der Selbstbefreiungskompetenz fungieren.237 (1) Wahrnehmung eigener Kompetenzen Indes ist die Veröffentlichung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat nicht zwingend zur Wahrnehmung seiner aktienrechtlichen Aufgaben erforderlich. Zum einen besteht, sobald eine Insiderinformation veröffentlicht werden muss, kein Geheimhaltungsbedürfnis mehr gegenüber dem Vorstand. Wenn die Voraussetzungen für einen weiteren Aufschub nicht gegeben sind, wird im Regelfall die Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat abgeschlossen sein, sodass keine Gefahr besteht, dass diese aufgrund der Weiterleitung der Insiderinformation zum Zwecke der Veröffentlichung behindert wird. Durch die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung nimmt der Vorstand ohnehin Kenntnis von der Information.238 Dann aber kann der Aufsichtsrat die zu veröffentlichende Nachricht auch genauso gut an ihn oder das zuständige Ad-hoc-Komitee weiterleiten und dieses besorgt die Veröffentlichung im üblichen Geschäftsgang. Zum anderen erfordert die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung keine sachliche Befassung mit dem Gegenstand der Insiderinformation. Während die Entscheidung über die Selbstbefreiung eine dezidierte Auseinandersetzung mit der zugrundeliegenden Information, ihrer potentiellen Kursrelevanz und der Gefahr der Irreführung der Öffentlichkeit erfordert, ist die Veröffentlichung ein eher technischer Vorgang. Es ist nicht zwingend, dass die Formulierung der Mitteilung, ihre Weitergabe an das Medienbündel und die Vorab-Benachrichtigung der BaFin von denselben Personen wahrgenommen werden, die mit der Beschlussfassung über die Selbstbefreiung befasst waren. Somit ist die Veröffentlichung einer Insiderinformation aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats in Form einer Ad-hoc-Mitteilung nicht zur Wahrung von dessen aktienrechtlichen Aufgaben erforderlich, sodass diesbezüglich keine Annexkompetenz besteht. (2) Punktuelle Kompetenzverschiebung Schließlich würde eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Veröffentlichung von Insiderinformationen nicht nur eine punktuelle Kompetenzerweiterung bedeu236 237 238
Siehe ausführlich zu den Voraussetzungen einer Annexkompetenz: D.II.2.b). Siehe dazu D.II.2.b)cc)(1). Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607 (1611).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
ten. Denn anders als die Selbstbefreiung ist die Veröffentlichung einer Insiderinformation keine gesellschaftsinterne Maßnahme, sondern eine Form der Kommunikation nach außen.239 Dadurch würde dem Aufsichtsrat also eine Zuständigkeit zur Vertretung der Emittentin im Außenverhältnis eingeräumt werden. Der Aufsichtsrat ist jedoch nach der aktienrechtlichen Konzeption ein „Innenorgan“, also nur in Ausnahmefällen dazu befugt, die Gesellschaft im Außenverhältnis zu repräsentieren. Er hat zwar das Kommunikationsverhalten des Vorstands zu überwachen, darf aber selbst nicht ergänzend oder korrigierend in dessen Informationspolitik eingreifen.240 Hierfür spricht auch der Wortlaut von § 112 AktG, der die Vertretung der Gesellschaft in Personalangelegenheiten nur gegenüber Vorstandsmitgliedern, nicht aber der (Markt-)Öffentlichkeit vorsieht.241 Dies gilt auch dann, wenn Gegenstand einer Insiderinformation eine Tatsache ist, die in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fällt. Zwar steht dem Aufsichtsrat auch eine Kompetenz zur Kapitalmarktkommunikation zu.242 Man könnte daraus folgern, dass der Aufsichtsrat auch Ad-hoc-Mitteilungen herausgeben dürfe. Eine Ad-hoc-Mitteilung unterscheidet sich jedoch strukturell von einem Gespräch mit einem einzelnen Investor, denn sie richtet sich an einen weitaus größeren Adressatenkreis. Zudem ist ihre Veröffentlichung in höherem Maße formalisiert und bedarf der Einhaltung eines mehrstufigen Verfahrens. Mithin würde durch die Veröffentlichung von Insiderinformationen durch den Aufsichtsrat eine nicht nur punktuelle Kompetenzerweiterung stattfinden. Auch daher ist die Annahme einer diesbezüglichen Annexkompetenz unzulässig. cc) Zwischenergebnis Der Aufsichtsrat ist nicht für die Veröffentlichung von Insiderinformationen zuständig, da dies nicht zur sachgerechten Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist. Daher ist eine Kompetenzverschiebung – anders als bei der Selbstbefreiung – nicht veranlasst. Diese Aufteilung ist auch nicht widersprüchlich, denn die Beschlussfassung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung und die Veröffentlichung dieser Mitteilung sind keineswegs untrennbar miteinander verbunden. Beide Pflichten treffen die Emittentin als juristische Person, können jedoch von unterschiedlichen Organen wahrgenommen werden. Dabei ist eine von der Regelzuständigkeit des Vorstands abweichende Zuständigkeit des Aufsichtsrats nur dann gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen einer Annexkompetenz vorliegen. 239
Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (74 f.). KK-AktG-Mertens/Cahn, § 116 Rn. 43, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 85, Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 591. 241 Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (75). 242 Siehe dazu C.II.3.e)aa). 240
II. Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Ad-hoc-Publizitätspflicht
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c) Fehlende praktische Umsetzbarkeit Im Übrigen würde eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Veröffentlichung von Insiderinformationen auch praktischen Bedenken begegnen. Der Vorstand und seine Berater sind mit der Öffentlichkeitsarbeit der Gesellschaft und ihrer bisherigen Kommunikationsstrategie vertraut.243 Vor allem das Adhoc-Gremium ist routiniert in der Veröffentlichung von Insiderinformationen und kann Ad-hoc-Mitteilungen auf der Grundlage seiner Erfahrungen schnell und sachgerecht erstellen. Der Aufsichtsrat hingegen tritt nur in Ausnahmefällen mit anderen Kapitalmarktakteuren in Interaktion. Deshalb verfügen Aufsichtsratsmitglieder typischerweise über keinerlei Erfahrung im Umgang mit dem Verfassen und Verbreiten einer Ad-hoc-Mitteilung, denn an dem Ad-hoc-Komitee ist üblicherweise kein Aufsichtsratsmitglied beteiligt.244 Die Abläufe und Ansprechpartner bei dem Medienbündel, das die Verbreitung der Meldung übernimmt, sowie bei der BaFin und den Geschäftsführungen der Handelsplätze, die vorab benachrichtigt werden müssen, sind dem Aufsichtsrat oftmals unbekannt. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, dass Anleger, insbesondere solche aus Jurisdiktionen, in denen eine monistische Gesellschaftsform vorherrschend ist, eine Veröffentlichung durch das Geschäftsführungsorgan der Emittentin erwarten.245 Die Verbreitung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat könnte zu Verwirrung führen. Daher ist es auch unter praktischen Gesichtspunkten vorzugswürdig, dass die Verantwortung für die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen allein beim Vorstand oder dem Ad-hoc-Komitee verbleibt, sodass eine einheitliche Kapitalmarktkommunikation gewährleistet ist. Auch in zeitlicher Hinsicht ist eine Veröffentlichung der Insiderinformation durch den Aufsichtsrat selbst nicht erforderlich. Die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung kann bei der Weiterleitung vom Aufsichtsrat an den Vorstand ebenso gewahrt werden, wie bei Informationen, die in einer Abteilung des Unternehmens entstehen und von dort an das Ad-hoc-Gremium weitergeleitet werden.246 Es kommt lediglich darauf an, dass die betreffende Insiderinformation unverzüglich nach Wegfall der Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR vom Aufsichtsrat an den Vorstand weitergeleitet wird, sodass rechtzeitig bei Wegfall der Befreiung die Veröffentlichung vorgenommen werden kann.247
243 244 245 246
(75). 247
Vetter, AG 2014, 387 (392). Siehe dazu D.I.2.b)bb). Bekritsky, BKR 2020, 382 (387). Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (421), Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1 a. E., S. 36 f.
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
d) Zwischenergebnis Der Aufsichtsrat ist unter keinen Umständen dafür zuständig, selbst eine Insiderinformation in Form einer Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Hierfür besteht keine Annexkompetenz. Daher ist der Aufsichtsrat verpflichtet, Insiderinformationen aus seinem Aufgabenbereich rechtzeitig an den Vorstand oder das Ad-hocGremium weiterzuleiten, damit diese die Veröffentlichung vornehmen können.
5. Zwischenergebnis Der Aufsichtsrat ist nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben dafür zuständig, die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung zu treffen, wenn dies für die pflichtgemäße Erfüllung seiner aktienrechtlichen Aufgaben erforderlich ist. Dies ergibt sich aus einer Annexkompetenz zu seinen aktienrechtlichen Aufgabenbereichen. Eine zusätzliche Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Aufsichtsrat in Bezug auf die jeweilige Insiderinformation einen Wissensvorsprung gegenüber dem Vorstand hat. Daher erlischt die Zuständigkeit des Aufsichtsrats, sobald der Vorstand Kenntnis von der betreffenden Insiderinformation erlangt. Der Aufsichtsrat hat jedoch keine Annexkompetenz für die Veröffentlichung einer in seinem Aufgabenbereich aufgetretenen Insiderinformation. Zu diesem Zweck muss er die Insiderinformation an den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium weiterleiten.
III. Verfahren der Selbstbefreiung Im Folgenden soll noch untersucht werden, welche konkreten Pflichten aus der Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen resultieren (unter 1.) und ob diese an einen Ausschuss oder einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats delegiert werden dürfen (unter 2.).
1. Pflichtenumfang Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen aus seinem Kompetenzbereich umfasst die Wahrnehmung sämtlicher Pflichten, die die Emittentin aufgrund von Art. 17 MAR treffen. Der Aufsichtsrat muss also, sobald in seinem Aufgabenbereich ein Vorgang geschieht oder ein Umstand eintritt, der eine Insiderinformation darstellen könnte, prüfen, ob die Tatbestandsmerkmale des Art. 7 Abs. 1 MAR vorliegen, vor allem
III. Verfahren der Selbstbefreiung
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ob eine Information bereits hinreichend präzise und kursrelevant ist. Dies gilt insbesondere für solche Ereignisse oder Umstände, die eine Insiderinformation in Form eines zukünftigen Ereignisses oder Umstands oder eines Zwischenschritts darstellen können. Eine andere Ansicht, wonach der Aufsichtsrat zwar für die Selbstbefreiung, nicht aber für die Untersuchung der Veröffentlichungspflichtigkeit einer Insiderinformation zuständig sein soll,248 leuchtet hingegen nicht ein. Zweck der Annexkompetenz zur Selbstbefreiung ist es, dass der Aufsichtsrat die Entscheidung über den Aufschub ihn betreffender Insiderinformation treffen kann, ohne dass diese dem Vorstand bekannt werden. Auch die Einschaltung des Ad-hoc-Gremiums kommt nicht in Betracht, da der Vorstand auf diesem Wege ebenfalls Kenntnis von der jeweiligen Insiderinformation nehmen könnte. Wenn der Aufsichtsrat also nicht selbst untersuchen dürfte, ob ein Fall der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR vorliegt, sondern diese Entscheidung dem Vorstand oder dem Ad-hoc-Gremium überlassen müsste, würde der Sinn und Zweck einer Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats unterlaufen werden. Hat der Aufsichtsrat festgestellt, dass im Zuge seiner Arbeit eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation aufgetreten ist, muss er prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR für einen Aufschub der Veröffentlichung vorliegen. Hierbei kommt es auf die Art der Insiderinformation und den jeweiligen Einzelfall an. So muss etwa im Falle des Verdachts eines Rechtsverstoßes eine Abwägung zwischen einer zügigen Veröffentlichung und einer weiteren Aufklärung getroffen werden.249 Dies setzt voraus, dass der Aufsichtsrat die Tatbestandsmerkmale des Art. 17 Abs. 4 MAR genau kennt und in der Lage ist, zu beurteilen, ob sie in Bezug auf die jeweilige Insiderinformation vorliegen. Wenn der Aufsichtsrat eine Selbstbefreiungsentscheidung getroffen hat, muss er auch die gemäß Art. 4 Abs. 1 DurchführungsVO (EU) 2016/1055 erforderliche Dokumentation des Aufschubs sicherstellen und fortlaufend prüfen, ob die Voraussetzungen der Selbstbefreiung erfüllt sind.250 Somit obliegt es dem Aufsichtsrat, die Geheimhaltung der Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 4 UAbs. 1 lit. c MAR sicherzustellen. Schließlich ist es auch der Aufsichtsrat, der im Falle einer Aufschubentscheidung eine Insiderliste zu führen und die Vorbereitungen einer unverzüglichen Veröffentlichung zu treffen hat.251 Insbesondere ist zu beachten, dass eine Insiderinformation gemäß Art. 17 Abs. 7 MAR so schnell wie möglich zu veröffent248
So Schwark/Zimmer-Kumpan/Schmidt, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 184. Siehe dazu Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 125, Weißhaupt, NZG 2019, 175 (176), Wilken/Hagemann, BB 2016, 67 (70). 250 Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 91 f., vgl. auch Retsch, NZG 2016, 1201 (1206), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (424). 251 Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 110, Retsch, NZG 2016, 1201 (1206). 249
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
lichen ist, wenn ihre Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist, vor allem wenn präzise Gerüchte am Markt auftreten. Der Aufsichtsrat muss sich daher dessen bewusst sein, dass er die Information in diesem Fall zum Zwecke der Veröffentlichung unverzüglich an den Vorstand weitergeben muss, und er muss überwachen, ob solche Gerüchte kursieren. Aufgrund der vorgenannten Pflichtenlage ist es erforderlich, dass sich die Mitglieder des Aufsichtsrats mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht und den entsprechenden Fragestellungen des Insiderrechts vertraut machen.252 Hierfür ist es ratsam, dass sie durch entsprechende Schulungen auf ihre Pflichten und die Rechtsfolgen einer Verletzung hingewiesen werden. Der Umfang der erforderlichen Weiterbildung bewegt sich in einem Spannungsfeld, denn einerseits kommen Insiderinformationen bei der Arbeit des Aufsichtsrats recht selten vor, andererseits handelt es sich dabei jedoch stets um gewichtige und sensible Themen. Daher ist es nicht erforderlich, dass Aufsichtsratsmitglieder zu Experten der Ad-hoc-Publizität werden. Sie sollten jedoch ein sicheres Gespür dafür entwickeln, wann eine potentiell veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt und es deshalb notwendig ist, externen Rechtsrat einzuholen.
2. Möglichkeit der Delegation Nun fragt sich, ob diese Pflichten durch den Gesamtaufsichtsrat wahrgenommen werden müssen oder ob sie an einen Ausschuss oder einzelne Aufsichtsratsmitglieder delegiert werden dürfen. Dies richtet sich, ebenso wie die Selbstbefreiungszuständigkeit selbst, nach den nationalen aktienrechtlichen Bestimmungen.253 Der Emittentenleitfaden der BaFin äußert sich dazu wie folgt: „Die Entscheidung über einen möglichen Aufschub ist […] im Rahmen eines Aufsichtsratsbeschlusses zu treffen, mit der Möglichkeit der Delegation auf ein untergeordnetes, vom Aufsichtsrat zu kontrollierendes Ad-hoc-Gremium oder ein ordentliches Mitglied des Aufsichtsrats. Bei einer Entscheidung eines Gremiums über den Aufschub sollte ebenfalls mindestens ein ordentliches Aufsichtsratsmitglied mitwirken.“ 254
Daran ist zutreffend, dass die Entscheidungen des Aufsichtsrats gemäß § 108 Abs. 1 AktG grundsätzlich in Beschlussform ergehen und dass an einem solchen Beschluss grundsätzlich alle Aufsichtsratsmitglieder mitwirken müssen. Die BaFin hat ferner zurecht erkannt, dass eine solche Vorgehensweise in Bezug auf eine Selbstbefreiungsentscheidung unpraktikabel wäre und – insbesondere bei einem zwanzigköpfigen Aufsichtsrat – den Zwecken des Insiderrechts zuwiderlaufen würde. Denn Insiderinformationen sollen in einem möglichst kleinen Kreis bleiben. Gerade wenn zum 252 Semler/v. Schenck/Wilsing-Weiß, Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, Rn. 269. 253 A. A. Bekritsky, BKR 2020, 382 (389). 254 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36.
§ 14
III. Verfahren der Selbstbefreiung
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Zeitpunkt ihrer Entstehung noch nicht alle Aufsichtsratsmitglieder darüber informiert sind, würde eine Entscheidung des Gesamtaufsichtsrats eher eine Verbreitung der Insiderinformation bewirken.255 Zudem würden die zu beachtenden Einberufungsfristen für Aufsichtsratssitzungen der Unverzüglichkeit einer Selbstbefreiungsentscheidung entgegenstehen.256 Daher empfiehlt sich die Einrichtung eines Ad-hoc-Publizitätsausschusses innerhalb des Aufsichtsrats, der über den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen beschließen darf und die entsprechende Dokumentation und alle übrigen Pflichten für das Organ wahrnimmt.257 Hierfür sprechen letztlich dieselben Argumente, die für die Einrichtung eines Ad-hoc-Gremiums unterhalb des Vorstands angeführt wurden, nämlich eine Erhöhung der Flexibilität bei der Entscheidungsfindung und eine Konzentration von Fachkenntnissen und Erfahrung im Umgang mit Insiderinformationen. Der Handelsrechtsausschuss des DAV spricht sich allerdings dagegen aus, einen Aufsichtsratsausschuss mit der Entscheidung über die Selbstbefreiung zu beauftragen, weil die Einschaltung eines Ausschusses mit dem Unverzüglichkeitsgebot des Art. 17 Abs. 1 MAR in Konflikt gerate.258 Stattdessen solle stets dasjenige Mitglied des Aufsichtsrats die Selbstbefreiungsentscheidung treffen, das von der jeweiligen Insiderinformation Kenntnis habe.259 Dies überzeugt jedoch nicht. Zum einen ist die Delegation einer Aufgabe an ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied schon nach aktienrechtlichen Grundsätzen nur in engen Grenzen zulässig. Eine Beschlussfassung durch einzelne Mitglieder ist – anders als beim Vorstand – nicht vorgesehen.260 Dementsprechend besteht auch bei der bloßen Kenntnis nur eines Aufsichtsratsmitglieds noch kein der Emittentin zurechenbares Wissen und auch keine Möglichkeit der Verarbeitung der Insiderinformation durch die Emittentin.261 Zum anderen ist die Weiterleitung der Insiderinformation an einen Adhoc-Publizitätsausschuss auch in Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Beschlussfassung unproblematisch, denn die Situation ist insofern nicht anders als bei der unternehmensinternen Weiterleitung von Informationen an ein Ad-hoc-Gremium. Auch das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 S. 7 AktG steht der Einrichtung eines solchen Ausschusses nicht entgegen. Ein entsprechender Hinweis der BaFin wurde 255 HRA DAV, Stellungnahme zu Modul C, NZG 2019, 1138 (1143) Rn. 49, Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft, S. 12, abrufbar unter https://www.bafin.de/dok/12688014, Groß/Royé, BKR 2019, 272 (277). 256 HRA DAV, Stellungnahme zu Modul C, NZG 2019, 1138 (1143) Rn. 49. 257 Semler/v. Schenck/Wilsing-Weiß, Arbeitshandbuch Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rn. 267, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 194, Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 86; angedeutet auch bei MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 54. 258 HRA DAV, Stellungnahme zu Modul C, NZG 2019, 1138 (1143) Rn. 50. 259 Ebenso Groß/Royé, BKR 2019, 272 (277). 260 Siehe dazu C.III.1.c)cc). 261 Siehe dazu C.II.2.b) und C.III.1.c)cc).
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D. Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch den Aufsichtsrat
zurecht nach dem Konsultationsverfahren aus dem Modul C des Emittentenleitfadens gestrichen. Denn auch wenn beispielsweise die Delegation einer Personalentscheidung an einen Ausschuss nach aktienrechtlichen Maßstäben unzulässig ist, betrifft dies nicht die korrespondierende Selbstbefreiungsentscheidung.262 Bereits bei der Frage der vertikalen Delegierbarkeit der Ad-hoc-Publizitätspflicht wurde erläutert, dass der Aufschub der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung von der zugrundeliegenden Insiderinformation zu differenzieren ist.263 Da letztere nur einen prozeduralen Verfahrensschritt darstellt, ist nicht erforderlich, dass sie von demjenigen Gremium getroffen wird, das auch für die der Insiderinformation zugrundeliegende Maßnahme zuständig ist. Für die Ausschussarbeit des Aufsichtsrats bedeutet dies Folgendes: Sobald in einem Ausschuss eine Insiderinformation aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats auftritt, muss diese dem Ad-hoc-Publizitätsausschuss mitgeteilt werden, sodass dieser die notwendigen Schritte einleiten kann. Wenn beispielsweise zunächst nur die Mitglieder des Präsidialausschusses von der künftigen Abberufung des Vorstandsvorsitzenden Kenntnis haben, trifft nicht der Präsidialausschuss selbst die Entscheidung über den Aufschub, sondern er muss unverzüglich den Ad-hoc-Publizitätsausschuss informieren. Der Ad-hoc-Publizitätsausschuss ist schließlich auch dafür zuständig, eine Insiderinformation zum Zwecke der Veröffentlichung an das Ad-hoc-Komitee der Emittentin weiterzuleiten, wenn die Voraussetzungen einer Selbstbefreiung nicht mehr vorliegen.264 Wenn hingegen ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied von einer Insiderinformation aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats erfährt, muss es diese zunächst dem für die jeweilige Information zuständigen Ausschuss oder ggf. dem Gesamtaufsichtsrat mitteilen, sodass dieser sie dem Ad-hoc-Publizitätsausschuss überweisen kann. Hieran zeigt sich, dass es erforderlich ist, dass jedes Aufsichtsratsmitglied dafür sensibilisiert wird, wann eine Insiderinformation vorliegt. Unverständlich ist hingegen die Vorgabe der BaFin, dass die Selbstbefreiungsentscheidung an ein untergeordnetes, vom Aufsichtsrat kontrolliertes Ad-hoc-Gremium delegiert werden könne, an dem mindestens ein ordentliches Aufsichtsratsmitglied mitwirken müsse. Denn anders als der Vorstand verfügt der Aufsichtsrat nicht über eigene Mitarbeiter, sondern kann seine Tätigkeiten nur an einen Ausschuss aus seiner Mitte delegieren. Dann aber ist die Mitwirkung mindestens eines Aufsichtsratsmitglieds ohnehin gewährleistet.265
262 Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621 (627), DAI, Stellungnahme zum Modul CEntwurf, S. 25, Stellungnahme Noerr, S. 14 (Stellungnahmen abrufbar unter https://www.bafin. de/dok/12688014), Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 85; a. A. Groß/Royé, BKR 2019, 272 (277), Mülbert, FS Stilz (2014), S. 411 (423), Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 194. 263 Siehe D.I.2.a)cc)(3). 264 A. A. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (426). 265 Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2020, 477 (482).
IV. Ergebnis
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Andererseits könnte man die Aussage der BaFin so verstehen, dass die Selbstbefreiungsentscheidung durch das vom Vorstand eingesetzte Ad-hoc-Gremium unter Beteiligung eines Aufsichtsratsmitglieds getroffen werden soll. Auch dies wäre nicht sachgerecht, denn Sinn und Zweck der Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats ist es, dass der Vorstand von der betreffenden Insiderinformation keine Kenntnis erlangen soll.266 Selbst wenn das Aufsichtsratsmitglied anstelle des üblicherweise im Adhoc-Komitee vertretenen Vorstandsmitglieds an der Entscheidung teilnimmt, wären die übrigen Gremiumsmitglieder aus der Investor Relations- oder Rechtsabteilung weiterhin den Weisungen des Vorstands unterworfen. Daher könnte dieser auch bei Abwesenheit des Vorstandsmitglieds von den Mitgliedern des Ad-hoc-Komitees Auskunft über die Beschlussinhalte erlangen. Deshalb ist eine Einschaltung des allgemeinen Adhoc-Gremiums untauglich. Stattdessen sollte die Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung nur innerhalb des Aufsichtsrats getroffen werden. In jedem Fall empfiehlt es sich aber, unternehmensinterne Richtlinien zu erlassen, in denen die Zuständigkeit eines Ausschusses oder des Aufsichtsratsvorsitzenden geregelt ist.267
IV. Ergebnis Grundsätzlich zählt es weder zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, über den Aufschub von Ad-hoc-Mitteilungen zu beschließen, noch deren Veröffentlichung zu besorgen. Ausnahmsweise steht dem Aufsichtsrat jedoch eine Annexkompetenz zu, um über den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen zu entscheiden, die in seinem eigenen Aufgabenbereich aufgetreten sind. Hinsichtlich anderer Insiderinformationen, die dem Aufsichtsrat bekannt werden, aber außerhalb seines Tätigkeitsbereichs liegen, besteht keine solche Zuständigkeit. Aufgrund seiner Stellung als Aufsichtsorgan ist der Aufsichtsrat auch nicht verpflichtet, diese an den Vorstand der Emittentin weiterzuleiten oder anderweitig in das Wissensorganisationssystem der Gesellschaft einzuspeichern. Hierbei zeigt sich ein Gleichlauf mit der Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht: Insiderinformationen, die allein innerhalb des Aufsichtsrats bekannt sind, müssen nur dann gemäß Art. 17 Abs. 1 MAR veröffentlicht werden, wenn sie den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betreffen. Dies gilt unabhängig davon, ob auf die Zurechnung des im Aufsichtsrat vorhandenen Wissens oder auf die Möglichkeit der Erfassung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat abgestellt wird.
266 267
(633).
A. A. Goette/Arnold-Hitzer, Handbuch Aufsichtsrat, § 5 Rn. 93. Groß/Royé, BKR 2019, 272 (278), ähnlich Merkner/Sustmann/Retsch, AG 2019, 621
E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern Im Folgenden soll noch die Frage beantwortet werden, in welchen Fällen die soeben begründete Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats in Betracht kommen kann, wenn die Emittentin keine Einzelgesellschaft, sondern – wie in der Praxis häufig – Teil eines Konzerns ist. In Bezug auf eine konzernweite Ad-hoc-Publizitätspflicht ist zunächst danach zu fragen, hinsichtlich welcher Insiderinformationen, die an den verschiedenen Stellen innerhalb eines Konzerns auftreten können, die Emittentin überhaupt adhoc-pflichtig ist (unter I.). Anschließend gilt es zu beleuchten, zu welchen grundsätzlichen Ergebnissen die beiden oben genannten, zur Einzelgesellschaft entwickelten Auffassungen über das Entstehen der Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen im Konzern kommen (unter II.). Zum Abschluss ist zu klären, in welchen Konstellationen im Aufsichtsrat Insiderinformationen einer anderen Konzerngesellschaft auftreten können, die von der Emittentin potentiell zu veröffentlichen sind (unter III.).
I. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern Grundsätzlich ist Adressat der Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht der Konzern als solcher, sondern jede einzelne, rechtlich selbständige Gesellschaft, wenn sie Emittentin i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 21 MAR ist.1 Die Zugehörigkeit zu einem Konzern, dessen Obergesellschaft eine ad-hoc-pflichtige Emittentin ist, begründet noch keine eigene Publizitätspflicht weiterer Konzerngesellschaften. Umgekehrt fragt sich jedoch, ob die Emittentin verpflichtet sein kann, eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die aus der Sphäre einer anderen Konzerngesellschaft stammt. Hierfür ist danach zu unterscheiden, an welcher Stelle im Konzern die börsennotierte Gesellschaft angesiedelt ist und bei welcher Gesellschaft die Insiderinformation auftritt.
1
LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 150, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 59, Assmann/ Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 24, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 64, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, BankrechtsHandbuch, § 107 Rn. 138, Kumpan/Misterek, ZBB 2020, 10 (15), Habersack, DB 2016, 1551 (1555), Ihrig, ZHR 181 (2017), 385 (411).
I. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern
217
1. Börsennotierte Muttergesellschaft Im Regelfall ist nur die Obergesellschaft eines Konzerns börsennotiert und nimmt Holding-Funktionen wahr, während die abhängigen Gesellschaften, die oft in der Rechtsform der GmbH organisiert sind, das operative Geschäft ausführen. In dieser Konstellation kann die Muttergesellschaft verpflichtet sein, ein kursrelevantes Ereignis, das bei einem selbst nicht ad-hoc-pflichtigen Tochterunternehmen eintritt, in Form einer Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Das Bestehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht setzt lediglich voraus, dass eine Insiderinformation geeignet ist, den Kurs der Finanzinstrumente der Emittentin erheblich zu beeinflussen und dass sie unmittelbar diese Emittentin betrifft. Dies kann auch bei einer Insiderinformation aus der Sphäre einer Tochtergesellschaft der Fall sein. Hierfür kommt es lediglich darauf an, ob die Umstände, die bei dem Tochterunternehmen eingetreten sind, unmittelbare Rückwirkungen auf die Muttergesellschaft haben.2 Sie betreffen das Mutterunternehmen unmittelbar, wenn sie sich in der Konzernrechnungslegung und im Konzernlagebericht widerspiegeln. Nach allgemeiner Ansicht im Schrifttum ist dies jedenfalls der Fall, wenn es sich um eine vollkonsolidierte Tochtergesellschaft handelt und daher der Umstand, der bei der Tochtergesellschaft eingetreten ist, gemäß § 290 Abs. 1 HGB in den Konzernabschluss einzubeziehen ist.3 Unter welchen Voraussetzungen auch Insiderinformationen aus nicht-konsolidierten Tochtergesellschaften von der Emittentin veröffentlicht werden müssen, ist umstritten.4 Richtigerweise kommt es auch hier nur darauf an, ob die Information die Emittentin unmittelbar betrifft und ob sie für die Emittentin kursrelevant ist.5 Dies muss jeweils im Einzelfall entschieden werden.
2
Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 93, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 24, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 34, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 138, Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (411), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 206. 3 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 35, Assmann/Schneider/ Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 49, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 97, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 138, Habersack/ Mülbert/Schlitt-Frowein/Berger, Handbuch Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 13, Meyer/ Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 61. 4 Zum Streitstand: Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 65, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 98, Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 62 f., siehe auch zu § 15 WpHG a. F.: Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 208. 5 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 98 f., siehe auch LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 172, Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 63: „wertende Betrachtungsweise“.
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
2. Börsennotierte Tochtergesellschaft Auch in der umgekehrten Konstellation kann eine Ad-hoc-Publizitätspflicht entstehen, also wenn eine Insiderinformation in der Sphäre der nicht-börsennotierten Muttergesellschaft einer Emittentin auftritt. Gemäß dem allgemeinen Publizitätstatbestand des Art. 17 Abs. 1 MAR gilt hierbei ebenfalls, dass eine börsennotierte Tochtergesellschaft veröffentlichungspflichtig wird, wenn die Insiderinformation einen unmittelbaren Emittentenbezug zur ihr aufweist und hinsichtlich ihrer Finanzinstrumente kursrelevant ist.6 Dies ist jedoch nach herrschender Ansicht bei der überwiegenden Anzahl der denkbaren Insiderinformationen nicht der Fall, weil sie nicht in den Tätigkeitsbereich des Tochterunternehmens fallen und dieses nur mittelbar betreffen.7 Ein Ereignis bei der Muttergesellschaft kann die Tochtergesellschaft nur ausnahmsweise unmittelbar betreffen, wenn es sich auch auf die Tätigkeit der Tochtergesellschaft unmittelbar auswirkt, etwa beim Betrieb eines konzerninternen Cash-Pools.8
3. Börsennotierte Mutter- und Tochtergesellschaft Schließlich ist darüber hinaus denkbar, dass sowohl die Mutter- als auch die Tochtergesellschaft börsennotiert sind. Nun stellt sich die Frage, ob daher beide zur Veröffentlichung einer Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 1 MAR verpflichtet sind. Nach dem bisher Gesagten ist das Bestehen einer Ad-hoc-Publizitätspflicht grundsätzlich für jede Gesellschaft getrennt zu bestimmen. Schließlich handelt es sich trotz der Konzernierung um zwei unterschiedliche Gesellschaften mit unterschiedlichen Aktionärskreisen. 9 Daher kann grundsätzlich jede von ihnen ad-hoc-pflichtig sein, wenn sie von einer Insiderinformation unmittelbar betroffen ist.10 Zutreffend ist im Schrifttum jedoch darauf hingewiesen worden, dass eine solche Doppelmeldung für den Kapitalmarkt unter Umständen verwirrend sein 6
Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 70 f., Assmann/Schneider/ Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 49, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 102, 104, Schimansky/Bunte/Lwowski-Hopt/Kumpan, Bankrechts-Handbuch, § 107 Rn. 138. 7 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 66, Assmann/Schneider/ Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 49; kritisch Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.18. 8 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 103, Bosse, Der Konzern 2019, 1 (8), Meyer/Veil/ Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 66. 9 LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 155 f. 10 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 100, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 69, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 49, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 210.
I. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern
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kann.11 Eine zweite Ad-hoc-Mitteilung hat keinen eigenen Informationswert, wenn sie sich in der Wiedergabe des Ereignisses bei einer anderen Gesellschaft und der Angabe des Bestehens des Beteiligungsverhältnisses erschöpft, welches ohnehin aufgrund der §§ 33 ff. WpHG öffentlich bekannt ist.12 Durch eine doppelte Veröffentlichung werden lediglich die zu verarbeitende Informationsmenge und dadurch auch die Informationsverarbeitungskosten erhöht. 13 Eines der Kernziele der Ad-hoc-Publizität ist jedoch gerade die Steigerung der Informationseffizienz des Kapitalmarkts. Daher besteht keine Veröffentlichungspflicht, wenn eine Ad-hoc-Mitteilung bereits durch eine Gesellschaft erfolgt ist und sie alle Informationen enthält, die der Kapitalmarkt für eine emittentenspezifische Bewertung der Insiderinformation auch in Bezug auf die andere Gesellschaft benötigt.14 Nur ausnahmsweise benötigt der Kapitalmarkt eine weitere eigenständigen Ad-hoc-Mitteilung, um die Informationen richtig bewerten zu können. 15 Diese hat einen eigenen Informationswert, wenn eine bei der Tochtergesellschaft eingetretene Insiderinformation in Bezug auf die Muttergesellschaft nicht bloß die aufgrund der Beteiligung reflexartig vermittelten Folgen hat, sondern ihre wirtschaftlichen Auswirkungen über den reinen buchhalterischen Nachvollzug hinausgehen.16 In diesem Fall decken sich die Inhalte der Ad-hoc-Mitteilungen der Mutter- und der Tochtergesellschaft nicht. Daher ist jede Gesellschaft zu einer emittentenspezifischen Veröffentlichung der Insiderinformation verpflichtet, auch wenn es dasselbe Ereignis ist, das die Ad-hoc-Publizitätspflicht der beiden Gesellschaften auslöst. 17 Somit ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil eine andere Konzerngesellschaft für das jeweilige Ereignis ad-hocpflichtig ist. Sowohl die Mutter- als auch die Tochtergesellschaft trifft eine Publizitätspflicht, wenn einer zweiten Informationsveröffentlichung ein eigenständiger Informationswert zukommt.18 Hätte hingegen eine weitere Mitteilung keinen über die erste Mitteilung hinausgehenden emittentenspezifischen 11
Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.18. Habersack, DB 2016, 1551 (1556), ähnlich Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 69. 13 Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 69. 14 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 101, LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 175, Assmann/ Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 49, siehe auch Meyer/Veil/RönnauVeil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 69. 15 Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 69, weitergehend Kumpan/Misterek, ZBB 2020, 10 (16). 16 Habersack, DB 2016, 1551 (1557), Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 69, Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.18. 17 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 95, 100, Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 210. 18 Ablehnend aber LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 175. 12
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
Inhalt, muss sie aus Gründen der Informationseffizienz unterbleiben. Richtigerweise bedarf es hierzu aber keiner teleologischen Reduktion der Ad-hocPublizitätspflicht,19 sondern bloß einer konsequenten Anwendung des Tatbestandsmerkmals des unmittelbaren Emittentenbezugs.
4. Insiderinformationen im Aufsichtsrat mit konzernübergreifender Bedeutung Für die Frage, welche konzernbezogenen Pflichten der Aufsichtsrat im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht wahrzunehmen hat, kommt es darauf an, dass es sich bei den jeweiligen Insiderinformationen um solche aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats handelt, denn nur dann kann eine Selbstbefreiungskompetenz bestehen. Daher ist nun zu untersuchen, welche Insiderinformationen aus dem Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats bei einer anderen Konzerngesellschaft auftreten oder konzernübergreifende Bedeutung haben können. Hierzu kommen grundsätzlich dieselben Fallgruppen in Betracht, die für den Aufsichtsrat einer Einzelgesellschaft herausgearbeitet wurden. a) Personalfragen in Bezug auf den Vorstand Fraglich ist zunächst, ob auch eine personelle Veränderung im Vorstand einer anderen Konzerngesellschaft als der Emittentin ad-hoc-pflichtig sein kann. Eine börsennotierte Konzernobergesellschaft ist von einer Personalentscheidung bei einer Tochtergesellschaft nicht unmittelbar betroffen und diese wird für sie im Regelfall auch nicht kursrelevant sein. Wenn schon Veränderungen im eigenen Vorstand nur im Falle von „Schlüsselpersonen“ geeignet sind, den Kurs der Aktien der Emittentin zu beeinflussen,20 kommt dies bei Personalmaßnahmen in Tochtergesellschaften erst recht nicht in Betracht. Dies gilt erst recht, wenn ein Vertragskonzern besteht, denn dadurch verringert sich die Bedeutung des Vorstands der abhängigen Gesellschaft. Da dieser nun weisungsgebunden ist und etwaige Verluste der abhängigen Gesellschaft durch die herrschende Gesellschaft gedeckt werden, sind personelle Veränderungen im Vorstand der abhängigen Gesellschaft weniger kursrelevant als bei einer nicht beherrschten Aktiengesellschaft. Anders kann die Kurserheblichkeit einer Information jedoch zu bewerten sein, wenn nicht die Ober-, sondern die Untergesellschaft die publizitätsverpflichtete Emittentin ist. Hierfür kommt es auf die Art der Konzernierung an. Sofern nur ein 19 20
So aber Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.18. Siehe C.I.1.
I. Grundlagen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern
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faktisches Beherrschungsverhältnis aufgrund einer Mehrheitsbeteiligung besteht, kann die Obergesellschaft nur im Rahmen ihrer Aktionärsrechte auf die Untergesellschaft Einfluss nehmen. Deren Vorstand bleibt zur eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens berechtigt. Daher wird eine personelle Veränderung im Geschäftsführungsorgan der Muttergesellschaft keine die Emittentin unmittelbar betreffende Insiderinformation darstellen. Wenn aber zwischen den beiden Gesellschaften ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag besteht, kann die Information über einen personellen Wechsel im Vorstand der Muttergesellschaft geeignet sein, den Kurs der Aktien einer börsennotierten Tochter erheblich zu beeinflussen.21 Denn die herrschende Gesellschaft kann dem Vorstand der Tochtergesellschaft gemäß § 308 Abs. 1 AktG Weisungen erteilen. Somit wird die Unternehmensleitung der abhängigen Gesellschaft vom Vorstand der herrschenden Gesellschaft bestimmt. Zudem kann die abhängige Gesellschaft aufgrund der Ergebnisabführung auf eine Verlustübernahme durch die Obergesellschaft angewiesen sein. Diese hängt von der Bonität der herrschenden Gesellschaft und somit mittelbar von den Leistungen und Fähigkeiten ihres Geschäftsführungsorgans ab. b) Untersuchungen und Schadensersatzansprüche Unter Umständen können auch interne Untersuchungen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat konzernweite Auswirkungen haben. Wenn innerhalb einer nicht-börsennotierten Tochtergesellschaft der Emittentin Maßnahmen gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder ihres Geschäftsführungsorgans ergriffen werden, betrifft dies die Emittentin in der Regel nicht unmittelbar und wird auch – mit Ausnahme besonders gravierender Fälle – nicht kursrelevant sein. Ist hingegen die Emittentin selbst von einer nicht-börsennotierten Aktiengesellschaft abhängig, obliegt es dem Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft, die Konzernleitung durch den Vorstand der Obergesellschaft zu überwachen.22 Dadurch können Untersuchungen, die sich auf ein Verhalten des Vorstands der Obergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft beziehen, wie etwa nachteilige Weisungen oder die Ausübung des Stimmrechts für die Muttergesellschaft in der Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft, diese unmittelbar
21
Vgl. Kocher, NZG 2018, 1410 (1413). Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 142, Hüffer/KochKoch, AktG, § 111 Rn. 33, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 81, MHdbGesRIV-Krieger, § 70 Rn. 34, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 111 Rn. 24, MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 63 m. w. N. 22
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
betreffen. Je nach Art und Umfang der im Raum stehenden Vorwürfe können diese auch für die jeweilige Tochtergesellschaft kursrelevant sein.23 Eine besondere Konstellation ergibt sich schließlich, wenn ein Vorstandsmitglied mehrere Mandate bei unterschiedlichen Konzerngesellschaften innehat und dort jeweils Pflichtverletzungen begeht. Dann kann die Durchführung interner Untersuchungen in Bezug auf jede Gesellschaft eine eigenständige, emittentenspezifische Insiderinformation darstellen. Wenn mehrere Konzerngesellschaften börsennotiert sind, ist jede von ihnen zur Veröffentlichung einer eigenen Ad-hoc-Mitteilung verpflichtet. c) Personalfragen im Aufsichtsrat Auch Personalangelegenheiten innerhalb eines Aufsichtsrats selbst können Insiderinformationen darstellen, die über die jeweilige Gesellschaft hinaus eine konzernweite Bedeutung für die Ad-hoc-Publizitätspflicht haben können. Wenn die Konzernobergesellschaft Emittentin ist, ist sie von einer Amtsniederlegung im Aufsichtsrat einer Tochtergesellschaft unmittelbar betroffen, da sie als Aktionärin der Tochter deren Aufsichtsrat wählt und dieser die Überwachung in ihrem Interesse wahrnimmt. Allerdings ist zu beachten, dass schon in der Einzelgesellschaft personelle Veränderungen im Aufsichtsrat nur in Ausnahmefällen kursrelevant sind.24 Daher wird dies bei einem Rücktritt in einer Tochtergesellschaft erst recht selten der Fall sein. Wenn hingegen die Tochtergesellschaft selbst börsennotiert ist, fehlt es bereits an einer unmittelbaren Betroffenheit durch einen Personalwechsel im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft, da zu diesem keine Rechtsbeziehung besteht. Dies gilt sowohl im faktischen als auch im Vertragskonzern, denn auch dann hat der Vorstand der herrschenden Gesellschaft kein Weisungsrecht gegenüber dem Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft. Daher ist ein Rücktritt im Aufsichtsrat der herrschenden Gesellschaft auch nicht geeignet, den Aktienkurs einer abhängigen Emittentin zu beeinflussen. d) Investorenkommunikation Schließlich können auch Insiderinformationen, die nicht durch die Arbeit des Aufsichtsrats selbst entstehen, sondern diesem im Rahmen seiner Gespräche mit bestehenden oder zukünftigen Investoren bekannt werden, für andere Konzerngesellschaften potentiell ad-hoc-pflichtig sein. So kann etwa die Absicht eines Minderheitsaktionärs einer Tochtergesellschaft, bei dieser eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, um die Kündi23 24
Vgl. dazu C.I.3. Siehe C.I.4.
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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gung eines Beherrschungsvertrags nach § 297 AktG zu beantragen, ein erhebliches Kursbeeinflussungspotential auch für die Muttergesellschaft entfalten.25 Ebenso kann der Entschluss, eine Beteiligung an einer Tochtergesellschaft der Emittentin von dieser zu erwerben, eine kursrelevante Information darstellen, wenn die Veräußerung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung oder in Bezug auf die strategische Ausrichtung der Emittentin wesentlich ist.26 Dasselbe gilt im umgekehrten Fall: Durch den Erwerb einer Beteiligung an der Muttergesellschaft einer Emittentin kommt es regelmäßig zu einer veränderten Einflussnahme auf ihre Geschäftspolitik, die auch die Emittentin unmittelbar betrifft.27 Ebenso kann eine außerordentliche Hauptversammlung der Muttergesellschaft für eine börsennotierte Konzerngesellschaft kursrelevant sein, wenn ihre Beschlussinhalte diese betreffen, etwa im Falle des Abschlusses eines Konzernvertrags.
5. Zwischenergebnis Somit kann festgehalten werden, dass grundsätzlich jedes Ereignis, das in einem Konzern eintritt, eine für eine oder mehrere Emittentinnen potentiell veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen kann, unabhängig davon, ob es bei einer Tochter-, Mutter- oder Schwestergesellschaft der Emittentin auftritt, sofern sie unmittelbar betroffen ist und die Information für sie kursrelevant ist. Auch Insiderinformationen aus dem Tätigkeitsbereich des Aufsichtsrats können andere Konzerngesellschaften als diejenige, bei der die Information entstanden ist, betreffen und für sie kursrelevant sein.
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass das bloße Vorliegen einer die Emittentin unmittelbar betreffenden Insiderinformation nicht ausreicht, um eine Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu begründen. Darüber hinaus bedarf es eines weiteren Merkmals, um solche Insiderinformationen von der Ad-hoc-Publizitätspflicht auszuschließen, die außerhalb des Einflussbereichs der Emittentin liegen. Ein Teil der Literatur sieht dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal in der Kenntnis der Emittentin von der betreffenden Insiderinformation und greift zu ihrer Bestimmung auf die Grundsätze der Wissenszurechnung zurück. Eine andere Auffassung hebt stattdessen darauf ab, ob 25 Vgl. zum Abschluss eines Konzernvertrags: BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.2.1.5.13, S. 22. 26 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 17 MAR Rn. 218. 27 Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (824 f.).
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
die Veröffentlichung einer Insiderinformation möglich ist, indem diese wenigstens einem Unternehmensangehörigen bekannt ist oder bekannt sein könnte.28 Dies gilt auch im Konzern. Wie zu Beginn der Untersuchung festgestellt wurde, ist die Auffassung, dass eine Veröffentlichungspflicht nur durch das objektive Vorliegen eines veröffentlichungspflichtigen Umstands begründet wird, nicht mit dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur vereinbar.29 Somit genügt auch das bloße Auftreten einer Insiderinformation innerhalb einer Konzerngesellschaft noch nicht, um die Publizitätspflicht einer konzernverbundenen Emittentin zum Entstehen zu bringen. Wenn eine börsennotierte Einzelgesellschaft nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ad-hoc-pflichtig wird, dass ihr entweder das Wissen von der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation zugerechnet werden kann oder dass es ihr möglich ist, diese zu veröffentlichen, muss das auch gelten, wenn die Insiderinformation in einem Konzern auftreten. Daher soll nun betrachtet werden, zu welchen Ergebnissen die beiden zur Einzelgesellschaft entwickelten Ansichten in Bezug auf Insiderinformationen im Konzern kommen, also inwiefern Wissen konzernübergreifend zugerechnet werden kann (unter 1.) und ob auch dann eine Möglichkeit zur Veröffentlichung besteht, wenn eine Insiderinformation in einer anderen Konzerngesellschaft als der Emittentin vorliegt (unter 2.).
1. Wissenszurechnung im Konzern Geht man mit der zuerst genannten Ansicht davon aus, dass die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht die Kenntnis der Emittentin von der zu veröffentlichenden Insiderinformation voraussetzt, kommt eine konzernweite Veröffentlichungspflicht nur in Betracht, wenn der Emittentin das bei anderen Konzerngesellschaften vorhandene Wissen zugerechnet werden kann. Gemäß den in Rechtsprechung und Literatur weitgehend anerkannten Grundprinzipien der organisationsbasierten Wissenszurechnung werden einer Gesellschaft solche Informationen zugerechnet, die dem Vorstand bei Ausschöpfung der ihm im Rahmen seiner Leitungsbefugnisse zustehenden Organisationsherrschaft zugänglich sind, sodass er ihre interne Weiterleitung und Speicherung sicherstellen kann.30 Somit kann eine Wissenszurechnung nur dann stattfinden, wenn der Vorstand der Emittentin von dem jeweiligen Wissensträger die Weitergabe von Informationen verlangen und die Einhaltung der Informationsorganisation kontrollieren kann. 28 29 30
Siehe dazu insgesamt B. Siehe B.III.1.b). Siehe B.I.1.b)aa).
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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a) Grundlagen der Wissenszurechnung im Konzern Im Grundsatz besteht Einigkeit darüber, dass die bloße konzernrechtliche Verbundenheit mehrerer Gesellschaften noch nicht zu einer übergreifenden Wissenszurechnung im Konzern führt.31 Anderer Ansicht ist allein Schwintowski, der konzernierte Unternehmen als eine funktionale Einheit begreift, innerhalb derer dieselben Grundsätze der Wissenszurechnung anwendbar seien wie in einer Einzelgesellschaft.32 Aufgrund der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns müsse bedeutsames Wissen innerhalb der Organe der Konzerngesellschaften durch eine übergreifende Organisation erfasst werden, sodass konzernweit alle Informationen wechselseitig zugerechnet werden können.33 Dem Ansatz von Schwintowski ist zuzugeben, dass Unternehmen der Wissenszurechnung entgehen können, indem sie ihre einzelnen Geschäftsbereiche auf Tochterunternehmen auslagern, die unter Umständen von der Zurechnung ausgenommen sind. Gerade diese Aufteilung der unternehmerischen Tätigkeit auf verschiedene Gesellschaften lässt das Konzernrecht jedoch im Grundsatz zu.34 Der Konzern bildet keine rechtliche Einheit und hat keine eigene Rechtspersönlichkeit. Trotz der konzernrechtlichen Verbindung bleiben die einzelnen Gesellschaften rechtlich selbständig (sog. Trennungsprinzip).35 Ferner muss eine konzernweite Informationszurechnung auch im Einklang mit der dogmatischen Begründung der Wissenszurechnung stehen. Nach heute herrschender Ansicht gründet die organisationsbasierte Wissenszurechnung auf dem Schutz des Vertrauens auf eine ordnungsgemäße Wissensverarbeitung, auf Erwägungen des Verkehrsschutzes und der Risikoverteilung sowie der beabsichtigten Gleichbehandlung von natürlichen und juristischen Personen.36 Zwar schafft ein Unternehmen durch die Aufteilung seines Geschäftsbetriebs auf mehrere Gesellschaften ein zusätzliches Risiko, dass Wissen aufgespalten wird und verloren geht.37 Der Rechtsverkehr kann jedoch nicht pauschal erwarten, dass der Informationsfluss im Konzern demjenigen in einer Einzelgesellschaft entspricht.38 Eine konzernweite Zurechnung kommt vor allem in Betracht, wenn die Muttergesellschaft ihre Organisationspflicht verletzt, indem sie kein ord31 BGH, NJW-RR 1990, 285 (285 f.), OLG Stuttgart, MDR 2017, 816 juris-Rn. 42, OLG Frankfurt a. M., ZIP 2020, 123 Rn. 24, MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 103, Spindler/StilzFleischer, AktG, § 78 Rn. 56b, Drexl, ZHR 161 (1997), 491 (508), Sajnovits, WM 2016, 765 (771), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (123 f.), Buck-Heeb, AG 2015, 801 (804), Staudinger-Schilken, BGB, § 166 Rn. 32a, MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 86. 32 Schwintowski, ZIP 2015, 617 (621). 33 Schwintowski, ZIP 2015, 617 (623). 34 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (361). 35 MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 103, Habersack, DB 2016, 1551 (1553). 36 Siehe dazu ausführlich B.I.1.b)cc). 37 Vgl. MüKoBGB-Schubert, § 166 Rn. 93. 38 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (361).
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
nungsgemäßes System zur Informationsabfrage und -weiterleitung einrichtet.39 Eine auf der Eröffnung eines Verkehrsbereichs und einer damit kumulierenden Risikozuweisung fußende Zurechnung setzt – wie bei der Einzelgesellschaft – voraus, dass das Zurechnungssubjekt den Informationsfluss beherrschen kann und bei wertender Beurteilung zu erwarten ist, dass es von dieser Zugriffsmöglichkeit Gebrauch macht.40 Entscheidend ist daher, ob eine Konzerngesellschaft trotz des Trennungsprinzips die Möglichkeit hat, ihre Wissensorganisation auf andere Konzerngesellschaften zu erstrecken.41 Inwiefern ein Wissensorganisationssystem andere Konzerngesellschaften erfassen kann, hängt von der Art der Konzernierung und der „Richtung“ der Zurechnung, also den beteiligten Ebenen des Konzerns ab. b) Zurechnung von der Tochter- zur Muttergesellschaft („von unten nach oben“) Der wahrscheinlich praktisch relevanteste Fall betrifft die Zurechnung einer Information, die innerhalb einer Tochtergesellschaft bekannt ist, zur Muttergesellschaft, also „von unten nach oben“. Nach dem bisher Gesagten setzt eine solche Zurechnung voraus, dass die herrschende Gesellschaft eine Organisationsherrschaft über die abhängige Gesellschaft ausüben kann, sodass sie den Informationsfluss steuern und auf Insiderinformationen zugreifen kann, die dem Geschäftsführungsorgan der abhängigen Gesellschaft bekannt sind oder bekannt sein müssen. aa) Kapitalmarktrechtliche Verpflichtung zur Informationsweitergabe Das LG Stuttgart hat angenommen, eine Emittentin, die Teil eines Konzerns ist, habe die genuine kapitalmarktrechtliche Verpflichtung, alle ihr zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, um sich Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, zu besorgen.42 Da kein handels- oder gesellschaftsrechtlicher Auskunftsanspruch bestehe, gebiete eine richtlinienkonforme Auslegung des § 15 WpHG a. F. die Annahme eines Informationsanspruchs der Emittentin gegen mit ihr verbundene Unternehmen.43 Ferner geht das LG Stuttgart in dem konkret zu entscheidenden Fall davon aus, dass aufgrund einer bestehenden personellen Verflechtung zwischen der Vorstandsebene des herr-
39
Sajnovits, WM 2016, 765 (771), Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (369 f.). Verse, AG 2015, 413 (419 f.), Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (360), Guski, ZHR 184 (2020), 363 (387). 41 Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (411), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (333 f.), Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (360), Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 206. 42 LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 174. 43 LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 182 ff. 40
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
227
schenden und des abhängigen Unternehmens eine Wissenszurechnung stattfinde.44 Diese Thesen sind auf die Zustimmung einiger Vertreter in der Literatur gestoßen, die auch unter Geltung der MAR das Bestehen der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Konzern unabhängig von dem gesellschaftsrechtlichen Einfluss der Emittentin auf andere Konzerngesellschaften bestimmen wollen.45 Andernfalls hinge die Publizitätspflicht von der Ausübung des unternehmerischen Ermessens der Emittentin ab, wenn es darauf ankomme, inwieweit die Emittentin von ihren konzernrechtlichen Einflussmöglichkeiten Gebrauch macht.46 Dies kann jedoch nicht überzeugen. Die organisationsbasierte Wissenszurechnung umfasst nur solche Informationen, deren Weiterleitung, Speicherung und Abrufung das Zurechnungssubjekt steuern kann. Sie müssen sich also in seinem Herrschaftsbereich befinden. Dabei ist die Wissenszurechnung aber an die bestehenden Weisungs- und Steuerungsrechte gebunden. Sie vermag keine solchen selbst zu begründen. Zum einen ist weder der MAR selbst noch ihren Entstehungsmaterialien zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber eine konzernweite Ad-hoc-Publizitätspflicht schaffen wollte.47 Zum anderen wäre es zirkelschlüssig, eine Verpflichtung zur Informationsweiterleitung mit der Adhoc-Publizitätspflicht zu begründen, die ihrerseits nur dann entstehen kann, wenn die Emittentin einen Anspruch auf Informationsweitergabe gegen andere Konzerngesellschaften hat.48 Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Kenntnis der Emittentin von der betreffenden Insiderinformation ist nicht erfüllt, wenn sich ihre Wissensorganisation nicht auf andere, konzernierte Gesellschaften erstreckt. Auch wenn eine weitergehende Organisation nach dem Sinn und Zweck der Ad-hoc-Publizität geboten sein mag, kann die Emittentin konzernweite Informationen jedoch nur insoweit erfassen, als es ihr aufgrund gesellschaftsrechtlicher Instrumente möglich ist, auf diese zuzugreifen. Somit kommt es auch für die Wissenszurechnung im Konzern auf einen gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss der Emittentin auf andere Gesellschaften an.
44
LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 219, 221. Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 23, vgl. Sajnovits, WM 2016, 765 (771); für einen allgemeinen Konzerninformationsanspruch Schockenhoff, NZG 2020, 1001 (1010 f.). 46 Vgl. LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 170, ebenso Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 23. 47 Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 243 f., ausführlich zum Verhältnis zwischen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht: S. 290 ff. 48 Vgl. Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 244. 45
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
bb) Gesellschaftsrechtliche Maßstäbe Wie weit die gesellschaftsrechtlichen Instrumente zur Informationsverschaffung im Konzern reichen, ist indes ebenfalls Gegenstand einer Diskussion im Schrifttum. Ein Teil der Literatur geht davon aus, eine Konzernobergesellschaft sei stets dazu verpflichtet, alle ihr zustehenden Einflussmöglichkeiten auf abhängige Gesellschaften zu nutzen, um die Weiterleitung von Insiderinformationen zu veranlassen.49 Dies gelte insbesondere dann, wenn ihre Tochtergesellschaften selbst nicht börsennotiert sind und die Obergesellschaft daher die Ad-hoc-Publizitätspflicht auch in Bezug auf Insiderinformationen wahrnehme, die in der Sphäre ihrer Tochtergesellschaften auftreten.50 Dann entspreche es der berechtigten Erwartung des Kapitalmarkts, dass sie entsprechende Zugriffsmöglichkeiten erschaffe; eine dezentrale Konzernorganisation sei insofern unzulässig.51 Dagegen spricht jedoch, dass nach ganz herrschender Ansicht keine Konzernleitungspflicht der Obergesellschaft besteht.52 Grundsätzlich steht es daher im Ermessen der herrschenden Gesellschaft, wie sie den Konzern führen möchte. Sie ist nicht verpflichtet, von ihrem im Vertragskonzern bestehenden Weisungsrecht gegenüber abhängigen Gesellschaften Gebrauch zu machen.53 Stattdessen hat sie die Wahl, ob sie den Konzern eher straff organisieren oder eher dezentral ausrichten möchte.54 Diese Wahlmöglichkeit muss auch mit Blick auf die Ad-hoc-Publizität fortbestehen.55 Denn nicht das herrschende Unternehmen muss von den abhängigen Gesellschaften diejenigen Informationen verlangen, die es benötigt, um seiner konzernbezogenen Publizitätspflicht nachzukommen, sondern die Publizitätspflicht des herrschenden Unternehmens ist von vorneherein auf diejenigen Informationen beschränkt, die die Emittentin von ihren Tochtergesellschaften erhalten kann.56 Dies entspricht auch der berechtigten Erwartungshaltung des Markts: Ein vernünftiger Anleger, der die Informationsansprüche der Emittentin gegenüber ihren Konzerngesellschaften kennt, geht davon aus, dass nur diejenigen Insiderinformationen veröffentlicht werden, auf die die Emittentin Zugriff hat.57
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Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (412), Sajnovits, WM 2016, 765 (771). Sajnovits, WM 2016, 765 (771). 51 Sajnovits, WM 2016, 765 (771), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (412). 52 Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 34, K. Schmidt/LutterLangenbucher, AktG, § 291 Rn. 40, KK-AktG-Koppensteiner, § 308 Rn. 60, Spindler/StilzVeil, AktG, § 309 Rn. 17, MHdbGesRIV-Krieger, § 71 Rn. 160, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 309 Rn. 10, siehe auch MüKoAktG-Altmeppen, § 309 Rn. 53 ff. 53 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (363). 54 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (344), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 103. 55 Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (234). 56 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 10 Rn. 128, Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 314, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 311 Rn. 36d, Mader, Der Konzern 2015, 476 (478). 57 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 315. 50
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Somit muss die Muttergesellschaft zwar organisatorische Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass relevante Informationen von der entsprechenden Tochteroder Enkelgesellschaft zu ihr weitergeleitet werden, aber nur im Rahmen der ihr im konkreten Fall zur Verfügung stehenden konzernrechtlichen Instrumente.58 Die Einflussmöglichkeiten der Muttergesellschaft hängen dabei von der Rechtsform der Tochtergesellschaften und der Ausgestaltung des Konzernverhältnisses ab. Daher wird im Folgenden zwischen dem Vertragskonzern und einem faktischen Beherrschungsverhältnis differenziert. (1) Wissenszurechnung im Vertragskonzern Wenn zwischen der Obergesellschaft und einer abhängigen Gesellschaft ein Beherrschungsvertrag besteht, hat die Obergesellschaft ein Weisungsrecht nach § 308 Abs. 1 AktG. Es ist allgemein anerkannt, dass dieses auch einen Auskunftsanspruch gegen die Tochtergesellschaft umfasst.59 Dieser Auskunftsanspruch kann auch auf weitere Konzerngesellschaften erstreckt werden, indem die beherrschte Gesellschaft angewiesen wird, bei ihren eigenen unmittelbaren Tochterunternehmen Informationen anzufordern und diese an die Konzernobergesellschaft weiterzugeben.60 Bei Vorliegen eines Vertragskonzerns besteht also eine umfassende Zugriffsmöglichkeit auf Informationen innerhalb des Konzerns.61 Sofern die Obergesellschaft ihre Leitungsmacht tatsächlich ausübt, können ihr daher auch Insiderinformationen aus der Sphäre ihrer Tochtergesellschaften zugerechnet werden, deren Bedeutung für die Muttergesellschaft ex ante erkennbar ist. (2) Wissenszurechnung im faktischen Konzern Anders verhält es sich, wenn kein Konzernvertrag besteht, sondern die Konzernierung nur auf einem faktischen Beherrschungsverhältnis beruht. Zwar hat die Obergesellschaft einen Auskunftsanspruch gegen die Tochtergesellschaft in Bezug auf alle für die Aufstellung des Konzernabschlusses erforderlichen Informationen gemäß § 294 Abs. 3 S. 2 HGB. Darüber hinaus besteht jedoch im faktischen Konzern kein allgemeiner Informationsanspruch der herrschenden Gesellschaft.62 Sie ist 58
Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (232), Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (124). 59 Siehe nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 308 Rn. 12a. 60 Siehe dazu Schockenhoff, NZG 2020, 1001 (1003 f.) m. w. N. 61 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (366 f.), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (346 f.), Schüler, Wissenszurechnung im Konzern, S. 154, Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (232). 62 Bosse, Der Konzern 2019, 1 (4), MüKoAktG-Altmeppen, § 311 Rn. 425, Hüffer/KochKoch, AktG, § 311 Rn. 36d, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 90 Rn. 43, K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 311 Rn. 72 m. w. N.; a. A. Schockenhoff, NZG 2020, 1001 (1010 f.).
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
vielmehr auf ihr Fragerecht als Aktionärin nach § 131 AktG angewiesen. Zudem hat die Muttergesellschaft im faktischen Konzern kein Weisungsrecht gegenüber einer abhängigen Aktiengesellschaft und damit auch keine Einwirkungsmöglichkeit, um sie zur Informationsweitergabe zu bewegen. Zwar darf eine abhängige Gesellschaft von sich aus Informationen an ihre Muttergesellschaft weiterleiten. Eine Wissenszurechnung setzt jedoch eine rechtlich abgesicherte Möglichkeit des Zugriffs voraus.63 Ein solcher ist bei einem bloß faktischen Konzernverhältnis nicht gegeben. Sofern nicht im Einzelfall ein Informationszugriff schuldrechtlich abgesichert ist,64 können der Obergesellschaft also Informationen aus einer abhängigen Aktiengesellschaft grundsätzlich nicht zugerechnet werden.65 Dies gilt freilich nicht für Tochtergesellschaften, die als GmbH verfasst sind, denn dann steht der Muttergesellschaft als Gesellschafterin ein Weisungsrecht sowie das Auskunftsrecht nach § 51a GmbHG zu.66 Dieses kann, ebenso wie im Vertragskonzern, auch auf weitere Konzerngesellschaften verlängert werden.67 Informationen aus einer faktisch beherrschten GmbH können der Muttergesellschaft daher ebenso zugerechnet werden, wie bei Bestehen eines Konzernvertrags, sofern die Muttergesellschaft aktiv von ihren Gesellschafterrechten Gebrauch macht. c) Zurechnung von der Mutter- zur Tochtergesellschaft („von oben nach unten“) Nun ist zu untersuchen, wie es sich mit der Wissenszurechnung in der Gegenrichtung verhält, also ob einer abhängigen Gesellschaft Kenntnisse zugerechnet werden können, die in der herrschenden Gesellschaft vorhanden sind. Wie bereits festgestellt wurde, kommt es hierfür darauf an, ob das Zurechnungssubjekt den Informationsfluss beherrschen kann und somit Zugriff auf das Wissen der Obergesellschaft hat. Eine abhängige Gesellschaft hat grundsätzlich keinen Zugang zu Informationen auf der Ebene ihrer Obergesellschaft. Weder im faktischen noch im Vertragskonzern besteht ein diesbezüglicher Informationsanspruch oder gar ein Weisungsrecht, aufgrund dessen sie von der Mutterge-
63 Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rn. 56d; GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 204, siehe auch MüKoGmbHG-Stephan/Tieves, § 35 Rn. 225. 64 Siehe zu sog. relationship agreements: Koch, ZGR 2020, 183 (199). 65 Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (232 f.), Mader, Der Konzern 2015, 476, Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116 (124), Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 247; a. A. offenbar Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (368). 66 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (366 f.), Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (232), Schüler, Wissenszurechnung im Konzern, S. 203 ff. 67 Schockenhoff, NZG 2020, 1001 (1003 f.).
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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sellschaft Auskünfte verlangen könnte.68 Auch die Muttergesellschaft trifft keine Pflicht zur Informationsweiterleitung. Da sie nicht zu einer aktiven Konzernleitung verpflichtet ist, ist sie auch nicht gezwungen, ihre Konzerngesellschaften mit dem notwendigen Wissen auszustatten. Im Falle einer wirtschaftlichen Gefährdung, die auf mangelnde Information zurückgeht, greift die Ausgleichspflicht der Muttergesellschaft ein.69 Somit scheidet eine Wissenszurechnung von der Mutter- zur Tochtergesellschaft regelmäßig aus.70 Anderer Ansicht ist abermals Schwintowski, der davon ausgeht, im Vertragskonzern sorge bereits der Beherrschungsvertrag für einen wechselseitigen Informationsaustausch im Konzerninteresse.71 Im faktischen Konzern hingegen resultiere ein Informationsanspruch der abhängigen Gesellschaft aus dem konzernrechtlichen Schädigungsverbot nach § 311 AktG und dem Rechtsgedanken der Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB. Wenn das herrschende Unternehmen zum Nachteilsausgleich verpflichtet sei, müsse es erst recht im Vorfeld des schädigenden Ereignisses dem abhängigen Unternehmen diejenigen Informationen geben, die es brauche, um die Schädigung vermeiden.72 Diese Auffassung ist jedoch auf die geschlossene Ablehnung der Literatur gestoßen. Zum einen folgt aus § 311 AktG keine Informationspflicht des herrschenden Unternehmens, denn diese Vorschrift setzt eine Einflussnahme voraus, von der die Tochtergesellschaft erfahren muss und bei der sie entscheiden kann, ob sie ihr Folge leistet.73 Zum anderen kann auch der Rechtsgedanke des § 254 BGB nicht herangezogen werden, da in diesem Szenario die herrschende Gesellschaft Schädigerin und nicht Geschädigte wäre und sie somit keine Schadensminderungspflicht treffen kann.74 Stattdessen kommt bei beiden Konzernierungsformen eine Zurechnung „von oben nach unten“ nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Tochter auf das bei der Mutter vorhandene Wissen ungehindert zugreifen kann.75 Dies kann etwa der Fall sein, wenn alle Konzerngesellschaften einen „Informationspool“ oder eine gemeinsame Datenbank betreiben.76 Ferner kann einer abhängigen Gesellschaft 68 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (337), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 103, Gasteyer/ Goldschmidt, AG 2016, 116 (124 f.), Kocher, NZG 2018, 1410 (1412). 69 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (338 f.), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 103. 70 Ebenso Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (365), Ihrig, ZHR 181 (2017), 381 (412). 71 Schwintowski, ZIP 2015, 617 (623). 72 Schwintowski, ZIP 2015, 617 (618). 73 Verse, AG 2015, 413 (415), Koch, ZIP 2015, 1757 (1764 f.). 74 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (338), Werner, WM 2016, 1474 (1478), Koch, ZIP 2015, 1757 (1764). 75 Verse, AG 2015, 413 (419), GK-AktG-Habersack/Foerster, § 78 Rn. 44. 76 BGHZ 123, 224 (229), BGH NJW-RR 1990, 285 (286), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (339), GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 204; siehe auch Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 320, Armbrüster/Kosich, ZIP 2020, 1494 (1503 f.).
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das Wissen ihrer Obergesellschaft dann zugerechnet werden, wenn sie auf deren konkrete Weisung tätig wird oder die Obergesellschaft als Vertreterin der Tochtergesellschaft fungiert.77 In allen anderen Fällen sind Informationen, auch Insiderinformationen, aus der Sphäre einer herrschenden Gesellschaft ihrer Tochtergesellschaft nicht zurechenbar. Das gilt auch, wenn die Tochtergesellschaft selbst zur Veröffentlichung von Insiderinformationen verpflichtete Emittentin ist. 78 d) Grenzen der Informationsweiterleitung im Konzern Auch in den Fällen, in denen nach dem bisher Gesagten eine konzernübergreifende Wissenszurechnung in Betracht kommt, sind im Einzelfall die Grenzen der Informationsweiterleitung zu beachten, die auch innerhalb des Konzerns eine Wissenszurechnung hindern können. aa) Verschwiegenheitspflicht Zunächst könnten die Verschwiegenheitspflichten der beteiligten Organmitglieder eine Schranke der Wissenszurechnung darstellen. Diese gelten grundsätzlich sowohl auf Ebene der Muttergesellschaft als auch der Tochtergesellschaften. Allerdings nimmt ein Großteil der Literatur zu Recht eine Lockerung dieser Verschwiegenheitspflichten gegenüber Konzerngesellschaften an. Im Vertragskonzern folgt dies bereits aus dem Auskunftsrecht der Obergesellschaft, welchem die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans einer Tochtergesellschaft keine Verschwiegenheitsverpflichtung entgegenhalten können.79 Auch im faktischen Konzern dürfen Organwalter, die für eine abhängige Gesellschaft tätig sind, Informationen an die herrschende Gesellschaft weitergeben, um die gesetzlich gebilligte Konzernleitung zu ermöglichen.80 Ein Sonderfall liegt schließlich vor, wenn zwischen den Organen der Mutter- und der Tochtergesellschaft Personenidentität besteht. In Konzernen ist es üblich, Vorstandsmitglieder der Obergesellschaft auch in die Geschäftsführungsorgane der abhängigen Gesellschaften zu entsenden. Hier stellt sich die Frage, ob das Wissen, welches sie im Rahmen der Tätigkeit für eine Gesellschaft erwerben, auch einer 77 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (365 f.), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (335 f.), MüKoAktG-Spindler, § 78 Rn. 103. 78 A. A. Fuchs-Pfüller, WpHG, § 15 Rn. 209. 79 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (346), Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rn. 147, Singhof, ZGR 2001, 146 (160). 80 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 311 Rn. 36a, Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (347 f.), GKAktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 288, Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rn. 148, Mader, WM 2015, 2074 (2079), Singhof, ZGR 2001, 146 (160), K. Schmidt/Lutter-Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rn. 26, im Ergebnis auch Schwintowski, ZIP 2015, 617 (618 f.); siehe auch LG Stuttgart, WM 2017, 1451 Rn. 224, 242 f.; a. A. Bosse, Der Konzern 2019, 1 (5).
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anderen zugerechnet werden kann. Zwar steht im Falle einer Doppelorganschaft auch im Konzern die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht einer Zurechnung grundsätzlich entgegen.81 Sie kann jedoch nicht zum Tragen kommen, wenn nach dem soeben Gesagten die Verschwiegenheitsverpflichtung aufgeweicht ist. Denn es macht keinen Unterschied, ob ein Organmitglied seine Kenntnisse berechtigterweise an ein anderes Organmitglied einer weiteren Gesellschaft weitergibt oder ob dieselbe Person ihr Wissen in eine andere Gesellschaft hineinträgt. Daher dürfen die Organmitglieder einer Gesellschaft Informationen, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit für eine andere Gesellschaft erlangt haben, innerhalb der ersten Gesellschaft weitergeben, soweit dies dem Zweck der einheitlichen Leitung dient.82 Dadurch kommt unter Umständen auch eine Zurechnung von der Muttergesellschaft zur Tochtergesellschaft in Betracht, auch wenn es nach wie vor an einem Informationszugriff der Letzteren fehlt.83 Mithin stehen die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten einer Wissenszurechnung im Konzern im Regelfall nicht entgegen. bb) Insiderrecht Darüber hinaus könnten sich Grenzen der Wissenszurechnung aus anderen rechtlichen Beschränkungen der Informationsweitergabe ergeben, insbesondere dem Insiderrecht. Auch diesbezüglich zeigt sich jedoch eine Privilegierung des Konzerns. Nach nahezu einhelliger Auffassung steht Art. 14 lit. c MAR einer konzerninternen Weitergabe von Insiderinformationen nicht entgegen. Wenn eine Konzernobergesellschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf die Informationsweitergabe an ihre Tochtergesellschaften angewiesen ist, um das Konzerninteresse zu verfolgen und eine einheitliche Konzernleitung sicherzustellen, ist diese in der Regel verhältnismäßig und berechtigt i. S. d. Art. 10 Abs. 1 S. 1 MAR.84 Auch die Weitergabe von Insiderinformationen von einer abhängigen an eine herrschende Gesellschaft ist zulässig, sofern sie zum Zwecke der einheitlichen Konzernleitung erfolgt.85 Dies gilt sowohl im Vertragskonzern als auch im Falle bloß 81 Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (231), Kocher, NZG 2018, 1410 (1412); siehe auch C.II.1.a)aa). 82 GK-AktG-Hopt/Roth, § 93 Rn. 288, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rn. 37, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 116 Rn. 42, Dittmar, AG 2013, 498 (500 ff.), MHdbGesRIVHoffmann-Becking, § 33 Rn. 60. 83 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (341 f.). 84 Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 10 MAR Rn. 43, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 10 Rn. 137, Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 10 MAR Rn. 63, MüKoAktG-Altmeppen, § 311 Rn. 436, Marsch-Barner/Schäfer-Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.69, Singhof, ZGR 2001, 146 (168 f.), Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 258 f. m. w. N. 85 MüKoAktG-Altmeppen, § 311 Rn. 439, Assmann/Schneider/Mülbert-Assmann, WpHR, Art. 10 MAR Rn. 43, Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 10 Rn. 131, Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (822), Singhof, ZGR 2001, 146 (162), Fuchs-Mennicke, WpHG, § 14 Rn. 254, siehe auch LG
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
faktischer Konzernierung.86 Wenn die Informationsweitergabe jedoch nicht der Förderung des Konzerninteresses dient, ist sie unbefugt i. S. d. Art. 14 lit. c. MAR. Auch wenn der Informationsfluss im Konzern also grundsätzlich insiderrechtlich zulässig ist, sind im Einzelfall die Schranken der Informationsweitergabe zu berücksichtigen, die eine Wissenszurechnung ausschließen können. e) Konzernweite Zurechnung von Aufsichtsratswissen Abschließend stellt sich die Frage, inwiefern auch im Aufsichtsrat vorhandene Kenntnisse konzernweit weitergeleitet werden müssen und daher Gegenstand der Wissenszurechnung sein können. Denn darauf kommt es für die Frage an, welche Insiderinformationen einer Konzerngesellschaft aus dem Aufsichtsrat heraus zugerechnet werden. Grundsätzlich wäre zwar sowohl denkbar, dass der Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft Informationen aus seinem Tätigkeitsbereich an eine herrschende Gesellschaft weiterleitet, als auch, dass der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft einen Informationsfluss in den Konzern hinein etabliert. Hiergegen könnten jedoch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht die Verschwiegenheitsverpflichtung des Aufsichtsrats (unter aa)) und die innergesellschaftliche Zuständigkeit für die Informationsweitergabe sprechen, die grundsätzlich beim jeweiligen Geschäftsführungsorgan liegt (unter bb)). Ein Sonderfall liegt schließlich vor, wenn zwischen den Organmitgliedern der Mutter- und einer Tochtergesellschaft Personenidentität besteht (unter cc)). aa) Organschaftliche Verschwiegenheitspflicht Zunächst könnte die Verschwiegenheitspflicht nach § 116 S. 2, 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG einer Zurechnung entgegenstehen. Grundsätzlich gilt sie gleichermaßen innerhalb eines Konzerns, auch wenn Aufsichtsratsmitglieder von der herrschenden Gesellschaft gewählt oder sogar entsandt wurden.87 Jedenfalls besteht daher eine Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft gegenüber Tochtergesellschaften, sofern die Geheimhaltung bestimmter Informationen im Interesse der Obergesellschaft erforderlich ist.88 Stuttgart WM 2017, 1451 Rn. 211; a. A. Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 10 MAR Rn. 64. 86 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 10 Rn. 134, MüKoAktG-Altmeppen, § 311 Rn. 439, Bosse, Der Konzern 2019, 1 (8), Hopt/Kumpan, ZGR 2017, 765 (822), Singhof, ZGR 2001, 146 (162 f.). 87 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 121, GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 203, Habersack, DB 2016, 1551 (1553), Wilsing/Kleemann, BB 2016, 1421 (1425). 88 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (372), Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 123, Verse, AG 2015, 413 (414), Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 281.
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In der entgegengesetzten Richtung befürwortet die herrschende Meinung jedoch eine Lockerung der Verschwiegenheitspflicht. Sowohl der Aufsichtsrat einer faktisch als auch derjenige einer vertraglich abhängigen Gesellschaft darf somit Informationen an den Vorstand der herrschenden Gesellschaft weiterleiten, soweit dies der einheitlichen Leitung des Konzerns dient.89 Sofern die Tochtergesellschaft – wie häufig – als GmbH organisiert ist und diese einen Aufsichtsrat hat, besteht schon keine Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Muttergesellschaft als Gesellschafterin, sodass eine Wissenszurechnung ebenfalls möglich ist.90 bb) Zuständigkeit für die Informationsweiterleitung Auch wenn zwischen dem Aufsichtsrat und anderen Konzerngesellschaften keine Verschwiegenheitspflicht besteht, kommt es hierauf nicht entscheidend an, denn für die Weitergabe von Informationen an Gesellschafter und somit auch an eine herrschende Gesellschaft ist grundsätzlich das jeweilige Geschäftsführungsorgan zuständig.91 Im faktischen Konzern hat die Obergesellschaft schon keine Möglichkeit, auf den Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft Einfluss zu nehmen und von diesem Informationen zu verlangen.92 Doch auch im Vertragskonzern richtet sich das Weisungsrecht der Obergesellschaft nur an den Vorstand der abhängigen Gesellschaft, nicht an ihren Aufsichtsrat. 93 Somit obliegt es also dem Vorstand oder der Geschäftsführung einer abhängigen Gesellschaft, die Muttergesellschaft über die Vorgänge bei der Tochtergesellschaft in Kenntnis zu setzen. In der Regel wird daher kein Informationsaustausch zwischen dem Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft und dem Vorstand der herrschenden Gesellschaft bestehen. Hierfür gibt es auch kein praktisches Bedürfnis, da sich dieser zum Zwecke der Informationsbeschaffung an das Geschäftsführungsorgan der abhängigen Gesellschaft wenden kann.94 Dasselbe gilt auch für den Informationsfluss „von oben nach unten“: Für die Informationsweiterleitung in den 89 K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rn. 37, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 282, KK-AktG-Mertens/Cahn, § 116 Rn. 42, Hüffer/KochKoch, AktG, § 116 Rn. 12, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 33 Rn. 60, siehe auch Schwintowski, ZIP 2015, 617 (623); a. A. Bosse, Der Konzern 2019, 1 (6). 90 Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (373), siehe auch MüKoGmbHG-Spindler, § 52 Rn. 666, Lutter/Hommelhoff-Hommelhoff, GmbHG, § 52 Rn. 25, Roth/Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 30. 91 MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 60, Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (352 f.), Habersack, DB 2016, 1551 (1554), GK-AktG-Hopt/Roth § 116 Rn. 204, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 12; allgemein Bank, NZG 2013, 801 (803). 92 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 122. 93 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 121, Wachter-Rothley, AktG, § 308 Rn. 2, Hölters-Leuering/Goertz, AktG, § 308 Rn. 44 m. w. N.; a. A. v. Falkenhausen, ZIP 2014, 1205 (1207). 94 Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 121.
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
Konzern hinein ist der Vorstand der herrschenden Gesellschaft zuständig, nicht ihr Aufsichtsrat. Auch eine vorherige, pauschale Einwilligung des Vorstands in die Informationsweitergabe durch den Aufsichtsrat ist unzulässig. Sofern es sich um Informationen handelt, die der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, ist diese zwingend und kann nicht ex ante dispensiert werden.95 In Ausnahmefällen ist es zwar anerkannt, dass der Aufsichtsrat sich selbst von seiner Verschwiegenheitspflicht befreien kann, wenn es um die Inhalte seiner eigenen Beratung geht.96 Dies gilt nicht nur für die Bekanntgabe gegenüber dem Vorstand oder der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber einer herrschenden Gesellschaft. Sofern also die eigenen Abstimmungsgegenstände und Diskussionsinhalte in Rede stehen, darf der Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft selbst entscheiden, ob und wann er diese der herrschenden Gesellschaft preisgibt. Auch dies führt jedoch noch nicht zu einer Wissenszurechnung, denn diese setzt voraus, dass nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht zur Informationsweitergabe besteht, die der Informationsberechtigte auch durchsetzen kann. Zudem ist nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung allein der Vorstand für die Außenkommunikation zuständig. Diese darf er nicht auf den Aufsichtsrat delegieren, sondern diesen allenfalls im Einzelfall als Boten einsetzen.97 Die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsverteilung ist auch mit Blick auf den Informationsfluss innerhalb eines Konzerns zu wahren. cc) Doppelorganmitgliedschaften Eine besondere Fallkonstellation stellen die im Konzern häufig vorkommenden Doppelmandate dar. Bevorzugt werden Vorstandsmitglieder der Muttergesellschaft in die Aufsichtsräte von abhängigen Gesellschaften entsandt. Hier stellt sich die Frage, ob auch eine Zurechnung ihres Wissens zur entsendenden Gesellschaft stattfindet. Grundsätzlich besteht im Falle einer mehrfachen Organmitgliedschaft eine Verschwiegenheitspflicht stets gegenüber der jeweiligen Gesellschaft, für die das Organmitglied bei Kenntniserlangung tätig ist.98 Ein Teil der Literatur möchte dieses Spannungsfeld daher so lösen, dass das Aufsichtsratsmitglied auch im Falle einer mehrfachen Organmitgliedschaft im Konzern keine Informationen, die es im Rahmen seiner Tätigkeit für eine Gesellschaft erlangt hat, an eine andere Konzerngesellschaft weitergeben dürfe und daher 95 BGH, NJW 2016, 2569 Rn. 34 – Prokurist, Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (373), Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540 (2542). 96 BGH, NJW 2016, 2569 Rn. 35 – Prokurist, BGH, NZG 2012, 777 (780) Rn. 40, BGH, NZG 2013, 456 (459) Rn. 30, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rn. 102; siehe dazu auch C.II.1.a)bb). 97 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 12. 98 Siehe dazu C.II.1.a)aa).
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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auch keine gesellschaftsübergreifende Wissenszurechnung stattfinde.99 So könne beispielsweise einer Konzernobergesellschaft kein Wissen zugerechnet werden, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder als Mitglied des Aufsichtsrats einer Tochtergesellschaft erfahren hat, in welchen es von der Muttergesellschaft entsandt wurde.100 Ein Doppelorganmitglied müsse zwar Informationen, die es im Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft erhalten hat, nicht ausblenden, sondern könne sie für sein eigenes Handeln als Organmitglied der herrschenden Gesellschaft verwenden.101 Darüber hinaus dürfe es die jeweilige Information aber nicht innerhalb des Gremiums der herrschenden Gesellschaft weitergeben.102 Ein anderer Teil der Literatur ist jedoch der Auffassung, dass ein Aufsichtsratsmitglied einer Tochtergesellschaft, das auch dem Vertretungsorgan der Obergesellschaft angehört, befugt sei, diesem vertrauliche Informationen weiterzugeben, soweit sie der Konzernleitung dienen.103 Hierfür spricht vor allem das Konzernprivileg des § 100 Abs. 2 S. 2 AktG. Dieses verdeutlicht, dass personelle Verflechtungen als Mittel zur Leitung eines Konzerns gesetzgeberisch anerkannt sind.104 Das Ziel, durch die Entsendung von Vorstandsmitgliedern der herrschenden Gesellschaft in die Aufsichtsräte abhängiger Gesellschaften eine Einflussnahme sicherzustellen, würde verfehlt, wenn die Obergesellschaft lediglich auf einen Informationsstrom durch das Geschäftsführungsorgan der Tochtergesellschaft zurückgreifen könnte. Ohnehin besteht keine Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf solche Informationen, die der einheitlichen Leitung des Konzerns dienen. Aus diesen Gründen erkennt auch die Gegenansicht gewisse Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht an. So soll im Vertragskonzern und bei vollständiger Personenidentität der Organe der Mutterund der Tochtergesellschaft eine Zurechnung möglich sein.105 Letztlich gilt auch im Falle von Aufsichtsratswissen: Wenn die Weitergabe von Informationen zwischen zwei personenverschiedenen Organen zulässig wäre, muss auch bei Personenidentität eine Zurechnung stattfinden. Es macht wertungsmäßig keinen Unterschied, ob tatsächlich eine Weiterleitung stattfindet oder ob bestimmte Informationen aufgrund einer Doppelorganmitgliedschaft ihren Weg in ein anderes Organ finden. Im Ergebnis kann aber die Frage nach dem Bestehen einer Verschwiegenheitspflicht dahinstehen, denn die bloße Erlaubtheit der Wissensweitergabe führt noch 99
MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 60, Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357 (373), Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (351 f.), Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (230 f.), GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 205, Meyer/Veil/Rönnau-Veil/Brüggemeier, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, § 10 Rn. 24. 100 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (351 f.), MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 60, Habersack, FS 25 Jahre WpHG (2019), S. 217 (231). 101 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 12, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 60. 102 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 12, MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 60. 103 KK-AktG-Mertens/Cahn, § 116 Rn. 42, MHdbGesRIV-Hoffmann-Becking, § 33 Rn. 60, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rn. 37, Dittmar, AG 2013, 498 (500 f.). 104 Dittmar, AG 2013, 498 (501), vgl. auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 12. 105 Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (352), siehe auch GK-AktG-Kort, § 76 Rn. 204.
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
nicht zu einer Zurechnung. Dafür bedarf es einer durchsetzbaren Pflicht zur Informationsweitergabe, die – wie gesehen – mangels Zuständigkeit des Aufsichtsrats in der Regel nicht besteht. Auch aus der Doppelorganschaft folgt eine solche nicht, sodass sie für sich genommen keine Wissenszurechnung begründen kann. f) Zwischenergebnis Grundsätzlich ist eine gesellschaftsübergreifende Wissenszurechnung möglich, sofern aufgrund gesellschaftsrechtlicher Einflussnahmemöglichkeiten eine Beherrschung des Informationsflusses und eine Pflicht zur Informationsweitergabe sichergestellt werden können. Hierfür kommt es im Einzelnen auf die Art der Konzernierung und die Zurechnungsrichtung an. Wie bei der Einzelgesellschaft findet die Wissenszurechnung jedenfalls ihre Grenzen, wenn eine Verschwiegenheitspflicht oder ein insiderrechtliches Weitergabeverbot bestehen. Das Wissen von Aufsichtsratsmitgliedern kann einer anderen Konzerngesellschaft jedoch im Regelfall nicht zugerechnet werden, weil zwischen dieser und dem Aufsichtsrat kein Informationsfluss stattfindet. Hierfür ist nur das Geschäftsführungsorgan der jeweiligen Gesellschaft zuständig, sodass der Aufsichtsrat weder der herrschenden noch einer abhängigen Gesellschaft verpflichtet ist, Informationen aus seinem Tätigkeitsbereich weiterzuleiten. Auch Kenntnisse eines Aufsichtsratsmitglieds, die dieses im Rahmen einer Doppelorganschaft in einem anderen Konzernunternehmen erlangt hat, können nicht zugerechnet werden.
2. Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation im Konzern Im Folgenden ist nun zu untersuchen, inwiefern bei einer kenntnisunabhängigen Herangehensweise eine Veröffentlichungspflicht in Bezug auf Insiderinformationen im Konzern bestehen kann. Es stellt sich also die Frage, ob für eine Emittentin auch dann eine Möglichkeit zur Veröffentlichung besteht, wenn die Insiderinformation bei einer anderen Konzerngesellschaft vorliegt. a) Grundsätze Nach der oben dargestellten kenntnisunabhängigen Ansicht besteht eine Möglichkeit zur Veröffentlichung einer Insiderinformation, wenn mindestens ein Unternehmensangehöriger von ihr Kenntnis hat oder haben könnte. Demnach ist eine Veröffentlichung nur dann nicht möglich, wenn keine Person innerhalb der Organisation der Emittentin über die Insiderinformation verfügt und sie auch nicht beschaffen kann, etwa bei unternehmensexternen Informationen. Die Emittentin ist also verpflichtet, ein Informationsorganisationssystem zu unter-
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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halten, damit alle potentiell veröffentlichungspflichtigen Informationen, die innerhalb der Sphäre der Emittentin entstehen, ohne zeitliche Verzögerung an die für die Ad-hoc-Publizität intern zuständige Stelle weitergeleitet werden.106 Klöhn leitet dies aus dem Merkmal der Unverzüglichkeit ab: Die Emittentin müsse die Veröffentlichung „ohne schuldhaftes Zögern“ vornehmen und schuldhaft sei das Zögern ab dem Zeitpunkt, ab dem die Veröffentlichung möglich wäre, wenn die Emittentin alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen hätte, um ihrer Veröffentlichungspflicht nachzukommen. 107 Diese Grundsätze kommen auch für die Frage zur Anwendung, inwiefern diese Informationsorganisation auf andere Gesellschaften, die mit der Emittentin einen Konzern bilden, erstreckt werden kann. Zwar wäre es durchaus denkbar, den Konzern als einheitliches Unternehmen aufzufassen, sodass auch bei anderen Konzerngesellschaften auftretende Insiderinformationen als „innerhalb der Sphäre der Emittentin“ angesehen werden könnten. Es ist jedoch zu beachten, dass es für die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht nur auf die Differenzierung zwischen unternehmensinternen und -externen Informationen ankommt, sondern darauf, dass die Erfassung einer Information für mindestens eine Person aus der Organisation der Emittentin möglich sein muss. Nur wenn der Emittentin die Erfassung einer Information bei Einhaltung aller erforderlichen und zumutbaren Informationsorganisationsmaßnahmen möglich ist, kann ihr im Falle der Nicht-Veröffentlichung der Vorwurf des „schuldhaften Zögerns“ gemacht werden. Auch Insiderinformationen, die bei dem Organ einer anderen Gesellschaft, also einem anderen rechtlich selbständigen Rechtsträger, vorliegen, können die Emittentin unmittelbar betreffen und somit für sie potentiell veröffentlichungspflichtig sein.108 Eine Veröffentlichungspflicht der Emittentin entsteht nur, wenn es dem für die Veröffentlichung zuständigen Organ bzw. Gremium möglich ist, sich die jeweilige Insiderinformation zu beschaffen. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme von einer Information meint dabei nicht ihre faktische Möglichkeit, also den bloß tatsächlichen Informationszugriff. Vielmehr muss es der Emittentin rechtlich möglich sein, auf die jeweilige Insiderinformation zuzugreifen, indem sie einen Auskunftsanspruch gegen den Informationsinhaber geltend machen kann.109 Nur dann besteht nach objektiven Maßstäben eine Möglichkeit der Veröffentlichung. Ob dies bei Informationen, die in verbundenen Unternehmen auftreten, der Fall ist, ist für die unterschiedlichen Formen der Konzernierung und für die entgegengesetzten „Richtungen“ des Informationszugriffs unterschiedlich zu beurteilen. 106 107 108 109
Siehe dazu B.II.2. Klöhn, NZG 2017, 1285 (1288 f.). Siehe E.I. Siehe C.III.1.c)bb).
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
Nach Klöhn bestimmt sich die Möglichkeit der Veröffentlichung im Konzern vorhandener Insiderinformationen nach der „Herrschaftsmacht“ der Emittentin und nicht nach der rechtlichen Verfassung der Unternehmensgruppe.110 Wie bereits oben erläutert, besteht ein eigenständiger Informationsanspruch gegen verbundene Unternehmen aufgrund von Art. 17 Abs. 1 MAR nicht.111 Stattdessen müsse die Emittentin aber bereits bestehende konzernweite Informationssysteme zur Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nutzen, sofern ihr dies rechtlich möglich und zumutbar ist.112 Somit erkennt auch Klöhn an, dass auf die vorhandenen Auskunftsansprüche im Konzern zurückgegriffen werden kann. Die Herrschaftsmacht der Emittentin, also ihre rechtliche Befugnis, auf andere Gesellschaften Einfluss zu nehmen und von diesen die Weitergabe von Insiderinformationen zu verlangen, richtet sich jedoch nach der gesellschaftsrechtlich vermittelten Rechtstellung der Emittentin. Diese wiederum unterscheidet sich, je nachdem ob zwischen der Emittentin und der potentiell auskunftsverpflichteten Gesellschaft ein Beherrschungsvertrag oder bloß eine faktische Konzernierung besteht, und ferner danach, ob die Emittentin selbst herrschende oder abhängige Gesellschaft ist. b) Emittentin als abhängige Gesellschaft Abhängige Gesellschaften haben grundsätzlich keine Informationsansprüche oder gar Weisungsrechte gegenüber einer herrschenden Gesellschaft, aufgrund derer sie von ihr die Herausgabe von Informationen verlangen könnten.113 Somit hat eine vertraglich oder faktisch abhängige Emittentin im Regelfall keine rechtlich abgesicherte Möglichkeit der Kenntnisnahme von Insiderinformationen, über die ihre Muttergesellschaft verfügt. Ein Informationszugriff „von unten nach oben“ kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, wenn die Mutter- und die Tochtergesellschaft einen gemeinsamen „Informationspool“ betreiben oder wenn der Tochtergesellschaft im Einzelfall vertragliche Auskunftsansprüche gegen die Muttergesellschaft zustehen.114 c) Emittentin als herrschende Gesellschaft Auch wenn die Emittentin selbst Obergesellschaft eines Konzerns ist, hat sie nur dann einen Informationsanspruch gegen eine abhängige Gesellschaft, wenn ein 110
Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 132. Siehe E.II.1.b)aa); ebenso Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 242 ff., Neumann, Wissenszurechnung, S. 164 f. 112 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 133. 113 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 320 f.; siehe auch Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (337). 114 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 320. 111
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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Beherrschungsvertrag besteht oder wenn es sich um eine mehrheitlich beherrschte GmbH handelt. Denn in diesen Fällen hat die Obergesellschaft gemäß § 308 Abs. 1 AktG bzw. § 37 Abs. 1 GmbHG ein Weisungsrecht inne, das auch einen Auskunftsanspruch gegen die Tochtergesellschaft umfasst. Daher hat die Emittentin dieselben Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung wie in der Einzelgesellschaft.115 Da ihr Vorstand das Geschäftsführungsorgan der abhängigen Gesellschaft ebenso zur Weitergabe potentiell veröffentlichungspflichtiger Informationen an das für die Veröffentlichung zuständige Ad-hoc-Gremium anweisen kann wie eigene Mitarbeiter, besteht zunächst kein Unterschied mit Blick auf die Möglichkeit zur Veröffentlichung dieser Information. Zudem hat die Emittentin bei Insiderinformationen, die sie sich aufgrund ihres konzernrechtlichen Einflusses von verbundenen Gesellschaften beschaffen kann, einen komparativen Kostenvorteil gegenüber dem Markt, der es grundsätzlich rechtfertigt, diese Insiderinformationen dem Verantwortungsbereich der Emittentin zuzuweisen.116 Ferner ist jedoch zu berücksichtigen, dass es dem Vorstand einer herrschenden Aktiengesellschaft grundsätzlich freisteht, inwiefern er Einfluss auf abhängige Gesellschaften ausüben möchte.117 Auch eine dezentrale Konzernstruktur ist zulässig. Aus dem bloßen Bestehen eines gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflusses kann also nicht gefolgert werden, dass die Emittentin bei der Veröffentlichung einer Insiderinformation schuldhaft gezögert hat, wenn sie diese Möglichkeit zur Einwirkung ungenutzt lässt.118 Die Emittentin verletzt ihre Pflicht nur dann, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eines herrschenden Unternehmens die Information vernünftigerweise von der abhängigen Gesellschaft eingeholt hätte.119 Eine rechtliche Möglichkeit zur Veröffentlichung einer Insiderinformation bei einer Tochtergesellschaft besteht also nur dann, wenn die herrschende Gesellschaft ihre Konzernleitungspflicht aktiv wahrnimmt. Wieder anders verhält es sich, wenn die Emittentin eine andere Aktiengesellschaft nur faktisch beherrscht. Im Gegensatz zum Vertragskonzern sind die Einflussmöglichkeiten zur Einrichtung einer Wissensorganisation im faktischen Konzern deutlich eingeschränkt. Denn die Muttergesellschaft hat im faktischen Konzern kein Weisungsrecht und somit im Grundsatz auch keinen Informationsanspruch gegenüber der abhängigen Aktiengesellschaft. Eine Informationsorganisationspflicht scheitert also an der rechtlichen Selbständigkeit der Tochtergesellschaft.120 Hält die Emittentin eine bloße Finanzbeteiligung an der abhängigen Gesellschaft, hat sie – ver-
115 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 317, siehe auch Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 132. 116 Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 121. 117 Siehe dazu E.II.1.b)bb). 118 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 89. 119 Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, S. 316. 120 Schwark/Zimmer-Kumpan/Grütze, KMRK, Art. 17 MAR Rn. 89.
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
gleichbar mit unternehmensexternen Informationen121 – keine Einwirkungsmöglichkeit, um diese zur Informationsweitergabe zu bewegen, und daher auch keine gesellschaftsübergreifende Möglichkeit zur Veröffentlichung einer Insiderinformation. Zudem hat die Emittentin bei einer bloß faktischen Beteiligung auch keinen Kostenvorteil bei der Informationsbeschaffung gegenüber dem Markt.122 Unterbleibt in einem solchen Fall die Ad-hoc-Mitteilung, hat die Emittentin somit nicht „schuldhaft gezögert“. d) Besonderheiten bei Doppelorganmitgliedschaften Es kommt häufig vor, dass Organmitglieder einer herrschenden Gesellschaft zugleich Mitglied des Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans einer Tochtergesellschaft sind. Es fragt sich, ob bereits aufgrund einer solchen Doppelorganmitgliedschaft die Möglichkeit besteht, eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die das Doppelorganmitglied in einer anderen Konzerngesellschaft erlangt hat. In einem solchen Fall besteht zwar die faktische Möglichkeit, die betreffende Insiderinformation an das Ad-hoc-Gremium der Emittentin weiterzuleiten und auf diese Art und Weise ihre Veröffentlichung einzuleiten. Es besteht jedoch keine rechtlich abgesicherte Möglichkeit hierzu, wenn es dem Doppelorganmitglied aufgrund einer Verschwiegenheitspflicht untersagt ist, die betreffende Information in die jeweils andere Gesellschaft einzubringen oder sie Angehörigen der anderen Gesellschaft mitzuteilen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass kein Raum für eine organschaftliche Verschwiegenheitsverpflichtung ist, sofern ein Auskunftsrecht der Obergesellschaft besteht. Bei vertraglich abhängigen oder Konzerngesellschaften in der Rechtsform einer GmbH steht die Doppelorganschaft einer Möglichkeit der Veröffentlichung also nicht entgegen. Zudem sind die Verschwiegenheitspflichten innerhalb eines Konzerns vielfach aufgeweicht.123 Daher dürfen auch im faktischen Konzern Informationen an die herrschende Gesellschaft weitergegeben werden, wenn sie der Konzernleitung dienen. Wenn eine Informationsweitergabe zwischen zwei verschiedenen Personen zulässig ist, muss eine Nutzung der Information auch bei Personenidentität möglich sein. In diesen Fällen kann in faktischen Konzernen gleichermaßen eine rechtliche Möglichkeit der Veröffentlichung bestehen. e) Einbindung des Aufsichtsrats in die konzernweite Informationsorganisation Sofern nach dem bisher Dargestellten die Emittentin die Möglichkeit hat, auch solche Insiderinformationen zu veröffentlichen, die bei einer Konzerngesellschaft 121 122 123
Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 132. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 121. Siehe E.II.1.d)aa).
II. Bestehen einer konzernweiten Ad-hoc-Publizitätspflicht
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vorliegen, kommt es zunächst darauf an, dass es ihrem Vorstand möglich ist, von der Insiderinformation Kenntnis zu nehmen, denn der Vorstand ist das grundsätzlich für die Wahrnehmung der Publizitätspflichten der Emittentin zuständige Organ. Für die Einzelgesellschaft wurde bereits festgestellt, dass die Möglichkeit zur Veröffentlichung einer Insiderinformation, die allein dem Aufsichtsrat bekannt ist, nur dann besteht, wenn diese den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft.124 Denn nur, wenn der Aufsichtsrat auch dazu befugt ist, die Erfüllung der Publizitätspflicht für die Emittentin zu übernehmen, besteht auch die rechtliche Möglichkeit der Verarbeitung einer Insiderinformation durch diesen. Die konzernweite Informationsorganisation fällt jedoch in den Aufgabenbereich der Geschäftsführungsorgane der beteiligten Konzerngesellschaften. Es obliegt dem Vorstand der herrschenden Gesellschaft, die betreffenden Insiderinformationen im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Befugnisse von der abhängigen Konzerngesellschaft einfordern und für diese Informationsweitergabe ist das Geschäftsführungsorgan der abhängigen Gesellschaft zuständig.125 Der Aufsichtsrat hingegen ist nicht an der Weiterleitung von Insiderinformationen zwischen Konzerngesellschaften beteiligt, weder auf Seiten des Auskunftsverpflichteten noch auf Seiten des Informationsempfängers. Da die Obergesellschaft keine Möglichkeit hat, auf den Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft Einfluss zu nehmen, ist dieser auch nicht für die Informationsweitergabe zuständig. Außerdem ist der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft nicht verpflichtet, mit den einzelnen abhängigen Gesellschaften Kontakt zu halten und Informationen von diesen einzusammeln. Das sind typische Konzernleitungsaufgaben, die der Vorstand wahrnimmt. Der Aufsichtsrat wird lediglich durch den Bericht des Vorstands nach § 90 Abs. 1 S. 2 AktG über Vorkommnisse in Tochtergesellschaften informiert. Mithin besteht bei Insiderinformationen, die lediglich dem Aufsichtsrat einer Konzerngesellschaft bekannt sind, keine Möglichkeit einer anderen Konzerngesellschaft, diese zu veröffentlichen. f) Zwischenergebnis Eine kenntnisunabhängige Herangehensweise kommt auch bei Konzernsachverhalten grundsätzlich zu ähnlichen Ergebnissen wie die Wissenszurechnung im Konzern. Die Veröffentlichung von Insiderinformationen, die bei einer anderen Gesellschaft als der Emittentin vorliegen, ist nur möglich, wenn die Emittentin eine rechtlich abgesicherte Zugriffsmöglichkeit auf diese Informationen hat. Diese hängt von der Art der Konzernierung und der Zurechnungsrichtung ab. 124
Siehe ausführlich C.III.1.c)bb). MüKoAktG-Habersack, § 116 Rn. 60, Spindler, ZHR 181 (2017), 311 (352 f.), Habersack, DB 2016, 1551 (1554), GK-AktG-Hopt/Roth, § 116 Rn. 204, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rn. 12. 125
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
Im Regelfall besteht jedoch keine solche Zugriffsmöglichkeit in Bezug auf Insiderinformationen, die im Aufsichtsrat vorliegen. Somit haben andere Konzerngesellschaften keine Möglichkeit, Insiderinformationen aus der Tätigkeitssphäre des Aufsichtsrats zu veröffentlichen und der Aufsichtsrat hat keine Möglichkeit, auf Informationen anderer Konzerngesellschaften zuzugreifen.
III. Konzernbezogene Insiderinformationen im Aufsichtsrat Wie soeben festgestellt, ist die Emittentin nach beiden zur Entstehung der Adhoc-Publizitätspflicht vertretenen Ansichten nicht verpflichtet, Insiderinformationen zu veröffentlichen, die sich in den Aufsichtsräten anderer Konzerngesellschaften befinden. Nun stellt sich noch die Frage, ob im Rahmen der Tätigkeit des Aufsichtsrats einer konzernangehörigen Emittentin Insiderinformationen auftreten können, die über die im Aufsichtsrat einer unverbundenen Emittentin auftretenden Insiderinformationen hinausgehen. Wie oben bereits herausgearbeitet wurde, kann eine Veröffentlichungspflicht der Emittentin in Bezug auf Insiderinformationen im Aufsichtsrat nach beiden hierzu vertretenen Ansichten nur bestehen, wenn die betreffende Insiderinformation den Kompetenzbereich des Aufsichtsrats betrifft. Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern bezieht sich nur auf den Vorstand der jeweiligen Gesellschaft, für die der Aufsichtsrat bestellt wurde.126 Ist eine Tochtergesellschaft hingegen als GmbH verfasst, übernimmt das Geschäftsführungsorgan der Muttergesellschaft als deren Vertreter in der Gesellschafterversammlung die Entscheidung über Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer. Auch dann wird es also kaum vorkommen, dass der Aufsichtsrat der Obergesellschaft selbst an Personalentscheidungen über den Vorstand der Tochtergesellschaft beteiligt ist, und umgekehrt. Dasselbe gilt für den freiwilligen Rücktritt eines Vorstandsmitglieds. Diesen wird das betreffende Mitglied in der Regel mit dem Aufsichtsrat derjenigen Gesellschaft besprechen, der es selbst angehört. Ein anderer Aufsichtsrat des Konzerns wird damit nicht befasst. Selbst wenn der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft bei Maßnahmen in Bezug auf eine Tochtergesellschaft inoffiziell angehört oder in die Planung einbezogen wird, handelt es sich nicht um Insiderinformationen, die ihm ausschließlich bekannt sind. Zudem besteht bei Informationen, die nicht die Emittentin betreffen keine Veranlassung, sie vor dem Geschäftsführungsorgan, das für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizität im Grundsatz zuständig ist, geheim zu halten. Warum sollte etwa der Aufsichtsrat einer abhängigen Aktiengesellschaft nicht deren Vorstand mitteilen, dass er erfahren hat, dass der Aufsichtsrat der Obergesellschaft beschlossen hat, deren Vorstandsvorsitzenden abzuberufen? Daher können die regulär zuständigen Geschäftsführungsorgane die Ad-hoc-Publizitätspflicht wahrnehmen. 126
Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 490 f.
III. Konzernbezogene Insiderinformationen im Aufsichtsrat
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Auch interne Untersuchungen und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder sind grundsätzlich gesellschaftsinterne Vorgänge. Zwar erweitert die Konzernierung den Gegenstand der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats insofern, als der Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft auch dafür verantwortlich ist, die Konzernleitung durch den Vorstand der Obergesellschaft zu überwachen.127 Umgekehrt ist auch die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats einer abhängigen Gesellschaft abhängigkeitsbezogen ausgestaltet und umfasst beispielsweise die Prüfung des Abhängigkeitsberichts.128 Daher können auch Pflichtverletzungen bei der Konzerngeschäftsführung Ermittlungen oder Schadensersatzansprüche durch den Aufsichtsrat nach sich ziehen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich das Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats nur auf die jeweilige Gesellschaft, aber nicht auf andere Konzerngesellschaften erstreckt.129 Der Aufsichtsrat der Konzernmutter darf also nicht direkt gegen die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften oder der Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft gegen den Vorstand der Obergesellschaft vorgehen. Somit können im Aufsichtsrat der Emittentin keine Insiderinformationen in Bezug auf Untersuchungen oder Schadensersatzforderungen in anderen Konzerngesellschaften entstehen. Schließlich sind auch Personalmaßnahmen und Rücktrittsabsichten innerhalb des Aufsichtsrats selbst sowie Gespräche des Aufsichtsrats mit bestehenden oder zukünftigen Investoren eine rein gesellschaftsinterne Angelegenheit. Hieran werden die Organe anderer Konzerngesellschaften nicht beteiligt. In der Regel führt der Aufsichtsrat einer nicht-börsennotierten Konzerngesellschaft überhaupt keine eigenen Investorengespräche. Darüber hinaus bestehen zwar häufig auch konzernübergreifende Zustimmungsvorbehalte. Diese sind in der Regel so ausgestaltet, dass der Vorstand der Obergesellschaft für bestimmte Maßnahmen in den Tochtergesellschaften die Zustimmung des Aufsichtsrats benötigt.130 Solche Zustimmungsvorbehalte betreffen jedoch keine Materien aus dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats selbst und stellen daher keine eigenen Insiderinformationen im Aufsichtsrat dar. Auch wenn aufgrund vertraglicher Absprache das Geschäftsführungsorgan einer Tochtergesellschaft für die Vornahme bestimmter Geschäfte die Zustimmung des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft benötigt, stellt dies keine eigenen Insiderinformation in Bezug auf die Muttergesellschaft dar. Veröffentlichungspflichtig ist lediglich das Geschäft der Tochtergesellschaft, sofern diese selbst Emittentin ist. Ferner liegen diesbezügliche 127
Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 142, Hüffer/KochKoch, AktG, § 111 Rn. 33, Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rn. 81, MHdbGesRIV-Krieger, § 70 Rn. 34, Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 111 Rn. 24, MüKoAktG-Habersack, § 111 Rn. 63 m. w. N. 128 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 164, MHdbGesRIVKrieger, § 70 Rn. 40. 129 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 245. 130 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 491, 159 ff., Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 111 Rn. 75 ff., siehe auch Hoffmann-Becking, ZIP 2020, 2481 (2483 f.).
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E. Ad-hoc-Verantwortung des Aufsichtsrats im Konzern
Insiderinformationen regelmäßig nicht ausschließlich im Aufsichtsrat vor, sodass die regulär zuständigen Geschäftsführungsorgane die Ad-hoc-Publizitätspflicht wahrnehmen können. Somit handelt es sich bei den Fallgruppen von Insiderinformationen, die typischerweise im Aufsichtsrat auftreten, meist nur um solche, die den Aufgabenbereich dieses Aufsichtsrats betreffen. Darüber hinaus treten in der Sphäre des Aufsichtsrats nahezu keine Insiderinformationen auf, die eine konzernweite Bedeutung haben können, denn anders als die Geschäftsführungsorgane konzernierter Gesellschaften nehmen Aufsichtsräte kaum konzernübergreifende Kompetenzen wahr. Ihre Aufgaben beschränken sich auf die Gesellschaft, deren jeweiliges Organ sie sind. Von den Maßnahmen der Aufsichtsräte anderer, konzernierter Gesellschaften werden sie nicht berührt und erlangen hiervon im Regelfall auch keine Kenntnis, weil es an einem entsprechenden Informationsaustausch zwischen den Überwachungsorganen eines Konzerns fehlt. Mit anderen Worten gilt: Selbst wenn Insiderinformationen, die im Aufsichtsrat einer Konzerngesellschaft auftreten, für eine andere Konzerngesellschaft kursrelevant sein können, ist diese nicht verpflichtet, die Insiderinformation zu veröffentlichen, weil es insofern an einem Informationszugriff bzw. der Zurechenbarkeit der Information fehlt. Die Notwendigkeit einer Selbstbefreiungsentscheidung durch den Aufsichtsrat besteht nur bei Insiderinformationen, die den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats selbst betreffen. Durch eine Konzernzugehörigkeit ergibt sich somit keine Erweiterung der Pflichten des Aufsichtsrats in Bezug auf die Ad-hoc-Publizität.
IV. Ergebnis Grundsätzlich können nach beiden zur Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht vertretenen Ansichten auch Insiderinformationen veröffentlichungspflichtig sein, die nicht bei der Emittentin selbst, sondern bei einer mit ihr konzernierten Gesellschaft auftreten. Die Veröffentlichungspflicht der Emittentin findet ihre Grenze jedoch in ihren Informationsmöglichkeiten gegenüber anderen Konzerngesellschaften. Sowohl die Zurechenbarkeit einer solchen Insiderinformation als auch die Möglichkeit ihrer Veröffentlichung setzen voraus, dass die Emittentin einen rechtlich abgesicherten Einfluss auf die jeweilige Information hat, damit sie deren Auskunft verlangen kann. Dies ist vor allem der Fall, wenn die Emittentin herrschende Gesellschaft eines Vertragskonzerns ist oder wenn sie an einer GmbH mehrheitlich beteiligt ist. Besteht hingegen nur ein faktisches Beherrschungsverhältnis oder ist die Emittentin selbst abhängige Gesellschaft, fehlt es an einem entsprechenden Informationsanspruch.
IV. Ergebnis
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Allerdings sind fast keine Konstellationen denkbar, in denen im Aufsichtsrat konzernbezogene Insiderinformationen auftreten können. Da der Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats nur diejenige Gesellschaft erfasst, für die er bestellt worden ist, nimmt dieser keine Aufgaben in Bezug auf andere konzernangehörige Gesellschaften wahr und erlangt daher im Regelfall auch keine Insiderinformationen, die nicht seine Gesellschaft betreffen. Selbst wenn dies ausnahmsweise der Fall ist, fehlt es an einem Geheimhaltungsbedürfnis gegenüber den jeweiligen Geschäftsführungsorganen. Mithin ist der Aufsichtsrat einer konzernierten Gesellschaft nicht über die Insiderinformationen, die bei einer unverbundenen Gesellschaft auftreten, hinaus für den Aufschub der Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen zuständig.
F. Besonderheiten bei der Societas Europaea Im folgenden Abschnitt soll noch beleuchtet werden, ob sich hinsichtlich der Entstehung der Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen nach Art. 17 Abs. 1 MAR und der daraus resultierenden Selbstbefreiungszuständigkeit Unterschiede ergeben, wenn die Emittentin nicht in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, sondern als Societas Europaea (SE) verfasst ist. Grundsätzlich unterliegt eine börsennotierte SE denselben Publizitätspflichten nach der MAR und dem WpHG wie eine Aktiengesellschaft. Gemäß Art. 38 SE-VO besteht für die SE jedoch ein Wahlrecht zwischen dem dualistischen und dem monistischen System. Wird in der Satzung eine dualistische Unternehmensverfassung festgelegt, besteht diese aus einem Leitungs- und einem Aufsichtsorgan. Im monistischen System hingegen gibt es nur ein Leitungsorgan, den Verwaltungsrat, der die Funktionen von Vorstand und Aufsichtsrat vereint.1 Im Folgenden wird daher die Ad-hoc-Publizitätspflicht der dualistischen (unter I.) und der monistischen SE (unter II.) getrennt untersucht.
I. Dualistische SE Hinsichtlich der Stellung des Leitungs- und des Aufsichtsorgans innerhalb der Organisationsverfassung einer dualistischen SE ergeben sich keine wesentlichen Besonderheiten gegenüber dem Vorstand und dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft.2 Aufgrund der Verweisung in Art. 9 Abs. 1 lit. c (ii) SE-VO finden die §§ 76 ff., 95 ff. AktG Anwendung, soweit die SE-VO und das SEAG keine abschließenden Regelungen enthalten. Von den Ermächtigungsgrundlagen der SE-VO, die Abweichungen vom deutschen Aktienrecht für zulässig erklären, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Für die organschaftliche Vertretung der SE kommen in Ermangelung einer entsprechenden Regelung in der SE-VO die §§ 78, 82 AktG zur Anwendung.3 Somit ist das Leitungsorgan das Vertretungs- und Geschäftsführungsorgan der SE. Das Aufsichtsorgan hat nach Art. 39 Abs. 2, 40 1
Marsch-Barner/Schäfer-Marsch-Barner, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 3.37. MHdBGesRIV-Austmann, § 86 Rn. 3, MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 39 SE-VO Rn. 3, Habersack/Drinhausen-Seibt, SE-Recht, Art. 39 SE-VO Rn. 3, siehe auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 1352. 3 Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 39 SE-VO Rn. 5, Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Drygala, SE-Kommentar, Art. 39 SE-VO Rn. 16, Habersack/Drinhausen-Seibt, SERecht, Art. 39 SE-VO Rn. 10. 2
I. Dualistische SE
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Abs. 1 S. 1 SE-VO die Aufgabe, die Mitglieder des Leitungsorgans zu bestellen und abzuberufen und die Geschäftsführung durch das Leitungsorgan zu überwachen. Die Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Leitungsorgans ist in der SE-VO nicht geregelt, daher kommt § 112 AktG zur Anwendung.4 Da die organschaftliche Verfassung der dualistischen SE im Wesentlichen derjenigen der Aktiengesellschaft entspricht, ergeben sich sowohl für die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht als auch für die Selbstbefreiungszuständigkeit des Aufsichtsrats keine Unterschiede. Das gilt zunächst für die Wissenszurechnung: Im Grundsatz ist der Vorstand der dualistischen SE für die Einrichtung eines ordnungsgemäßen Informationsorganisationssystems verantwortlich. Neben den tatsächlichen Kenntnissen der Mitglieder des Vorstands können der Gesellschaft also auch solche Informationen zugerechnet werden, die ihm bei sorgfältiger Organisation bekannt werden würden. Für die Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat gilt ebenfalls dasselbe wie im Aktienrecht: Da auch der Aufsichtsrat der SE nicht der Organisationshoheit des Vorstands unterliegt, kommt eine Zurechnung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es sich um Informationen handelt, die in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fallen. Sieht man also die zurechenbare Kenntnis der Emittentin als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Art. 17 Abs. 1 MAR an, ist eine als SE verfasste Emittentin unter denselben Voraussetzungen und zu demselben Zeitpunkt wie eine Aktiengesellschaft veröffentlichungspflichtig. Auch wenn man mit der anderen Ansicht davon ausgeht, dass es auf die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation ankommt, ergeben sich keine Unterschiede zu der oben für die Aktiengesellschaft dargestellten Rechtslage. Auch nach der Zuständigkeitsverteilung der SE hat der Aufsichtsrat nur dann eine rechtliche Möglichkeit zur Verarbeitung einer Insiderinformation, wenn diese den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft. Schließlich ergeben sich auch in Bezug auf den gesellschaftsrechtlichen Umgang mit Insiderinformationen im Aufsichtsrat keine Unterschiede zur Aktiengesellschaft. Auch der Aufsichtsrat einer dualistischen SE ist zur Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation befugt, wenn dieselben Voraussetzungen vorliegen, die auch für die Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft gelten: Die Entscheidung durch den Aufsichtsrat muss zur Wahrnehmung seiner aktienrechtlichen Aufgaben erforderlich sein und der Vorstand darf keine Kenntnis von der Insiderinformation haben. Ebenso wie bei der Aktiengesellschaft ist auch der Aufsichtsrat der SE nicht für die Veröffentlichung der Insiderinformation in Form einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig. Hinsichtlich der dogmatischen Ableitung dieser Selbstbefreiungskompetenz ergeben sich ebenfalls keine Unterschiede zur Aktiengesellschaft. Die Verweisung in Art. 9 Abs. 1 lit. c (ii) SE-VO bezieht sich nicht nur auf das geschriebene Aktien4
Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 1399.
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F. Besonderheiten bei der Societas Europaea
recht, sondern auch auf Richterrecht und ungeschriebene Rechtsgrundsätze.5 Somit erfasst sie auch die ungeschriebenen Annexkompetenzen des Aufsichtsrats.
II. Monistische SE Größere Unterschiede ergeben sich hingegen bei der monistischen SE. Diese kennt nur ein Verwaltungsorgan, nämlich den Verwaltungsrat. Er leitet die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung (§ 22 Abs. 1 SEAG). Darüber hinaus muss der Verwaltungsrat gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 SEAG einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren bestellen. Diese vertreten die Gesellschaft nach außen und haben auch im Übrigen nach §§ 40, 41 SEAG eine ähnliche Stellung wie die Vorstandsmitglieder im dualistischen System, sind aber im Innenverhältnis gemäß § 44 Abs. 2 SEAG den Weisungen des Verwaltungsrats und der Hauptversammlung unterworfen. Daher ist zunächst zu klären, wie die grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hocPublizitätspflicht bei der SE verteilt ist und ob diese auch die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats treffen kann (unter 1.). Im Anschluss daran ist zu untersuchen, welche Grundsätze bei der Wissenszurechnung in der SE gelten (unter 2.) und wann bei dieser Gesellschaftsform die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation besteht (unter 3.). Schließlich wird geprüft, ob auch den nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern eine Selbstbefreiungskompetenz zusteht (unter 4.).
1. Ad-hoc-Publizitätspflicht der monistischen SE a) Grundsätzliche Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht Bei der monistisch verfassten SE ist umstritten, ob für die Wahrnehmung der kapitalmarktrechtlichen Mitteilungs- und Berichtspflichten der gesamte Verwaltungsrat oder nur die geschäftsführenden Direktoren zuständig sind. Im Grundsatz wird dabei von einer Zuständigkeit der geschäftsführenden Direktoren ausgegangen, da diese intern für das Tagesgeschäft zuständig sind.6 In Bezug auf die Veröffentlichung von Insiderinformationen oder die Entscheidung über deren Aufschub wird jedoch teilweise eine Zuständigkeit des Verwaltungsrats in Betracht gezogen, da diese Maßnahmen über die gewöhnliche Geschäftsführung hinausgingen.7 5
Habersack/Drinhausen-Schürnbrand, SE-Recht, Art. 9 SE-VO Rn. 42, MüKoAktGSchäfer, Art. 9 SE-VO Rn. 17. 6 MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 106, Marsch-Barner/Schäfer-MarschBarner, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 3.16. 7 Marsch-Barner/Schäfer-Marsch-Barner, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 3.16.
II. Monistische SE
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Tatsächlich ist die allgemeine Aufgabenverteilung zwischen Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren maßgeblich. Wie bereits für den Vorstand der Aktiengesellschaft herausgearbeitet wurde, folgt die Zuständigkeit für die Ad-hocPublizität der Geschäftsführung, der Compliance-Verantwortung und der Kommunikationskompetenz, weil sie Elemente dieser drei Aufgabenbereiche vereint.8 Demnach sind grundsätzlich die geschäftsführenden Direktoren als operative Geschäftsleiter und Vertreter der SE im Außenverhältnis für die Erfüllung der Ad-hocPublizitätspflicht zuständig. Soweit nicht ausnahmsweise ein Zustimmungsvorbehalt besteht, muss der Verwaltungsrat nur tätig werden, wenn der delegationsfeste Bereich der Unternehmensleitung betroffen ist.9 Dies ist bei der Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen nicht der Fall. Sie ist vielmehr als einfache Geschäftsführungsaufgabe einzuordnen.10 Somit obliegt es im Regelfall den geschäftsführenden Direktoren, Insiderinformationen zu veröffentlichen oder über ihren Aufschub zu entscheiden. Ebenso wie der Vorstand einer Aktiengesellschaft dürfen auch die geschäftsführenden Direktoren diese Aufgaben an einen von ihnen oder ein unterhalb der Organebene angesiedeltes Ad-hoc-Komitee delegieren.11 Allerdings ist die Aufsichtspraxis der BaFin, dass an der Entscheidung über die Selbstbefreiung mindestens ein ordentliches Vorstandsmitglied mitwirken soll,12 für die SE wohl so zu deuten, dass in diesem Fall mindestens ein geschäftsführender Direktor dem Ad-hocGremium angehören muss. b) Zuständigkeit des Verwaltungsrats Auch bei der SE kann es vorkommen, dass Insiderinformationen nicht nur im Rahmen der Tätigkeit der geschäftsführenden Direktoren, sondern im Aufgabenbereich des gesamten Verwaltungsrats auftreten, sodass dieser über ihre Veröffentlichung oder den Aufschub der Ad-hoc-Mitteilung beschließt. Allerdings sind einige Besonderheiten zu beachten, die aus der veränderten Organstruktur der monistischen SE resultieren. Im Falle der Zuständigkeit des Verwaltungsrats ist diese dem gesamten Organ zugewiesen, also sowohl den nicht-geschäftsführenden Mitgliedern, sondern auch den geschäftsführenden Direktoren, sofern sie Mitglieder des Verwaltungsrats sind (vgl. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG). Anders als bei der Aktiengesellschaft bedarf es daher keiner Weitergabe von Insiderinformationen von einem Organ zu einem anderen. Im Regelfall wirkt vielmehr das gesamte Organ gemeinsam mit dem für die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizi8
Siehe D.I.1. Habersack/Drinhausen-Verse, SE-Recht, Anh. Art. 43 § 22 SEAG Rn. 53. 10 Siehe dazu ausführlich: D.I.2.a)cc)(2). 11 Siehe dazu D.I.2. 12 BaFin, Emittentenleitfaden Modul C, I.3.3.1.1, S. 36, siehe dazu D.I.2.c).
9
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F. Besonderheiten bei der Societas Europaea
tätspflicht zuständigen Ad-hoc-Komitee an der Entscheidung über den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung mit. Dennoch kann es unter Umständen dazu kommen, dass eine Selbstbefreiungsentscheidung ausschließlich durch die nicht-geschäftsführenden Mitglieder getroffen werden muss. Hierbei kommen im Wesentlichen dieselben Fallgruppen in Betracht, die schon für die Selbstbefreiungskompetenz des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft untersucht wurden. aa) Personalmaßnahmen in Bezug auf geschäftsführende Direktoren Ebenso wie Personalentscheidungen des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft Insiderinformationen sein können, kommen auch Personalmaßnahmen in Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren einer SE als Gegenstand der Ad-hoc-Publizitätspflicht in Betracht. Gemäß § 40 Abs. 1, 5 SEAG kann der Verwaltungsrat die geschäftsführenden Direktoren jederzeit durch Beschluss bestellen und abberufen. Auch die Ernennung bzw. der Widerruf der Ernennung eines Vorsitzenden obliegt gemäß Art. 45 SE-VO dem Plenum des Verwaltungsrats. Hierbei können Insiderinformationen entstehen, denn die Abberufung eines prominenten Direktors wird ebenso kursrelevant sein wie diejenige eines in der Öffentlichkeit stehenden Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft.13 Anders als bei der Aktiengesellschaft können jedoch die geschäftsführenden Direktoren, die dem Verwaltungsrat angehören, selbst an der Entscheidung beteiligt sein. Dabei geht das SEAG grundsätzlich von der freien Abberufbarkeit der geschäftsführenden Direktoren aus, bei der auch das betroffene Organmitglied mitstimmen darf. Somit haben die hierfür regulär zuständigen geschäftsführenden Direktoren Kenntnis von der Insiderinformation und können unproblematisch über ihre Veröffentlichung oder ihren Aufschub entscheiden. Anders liegt der Fall jedoch, wenn keiner der geschäftsführenden Direktoren Mitglied des Verwaltungsrats ist. Wenn dann der Verwaltungsrat über die Abberufung eines geschäftsführenden Direktors berät oder beschließt, nimmt kein geschäftsführender Direktor an der Abstimmung teil, sodass eine Selbstbefreiungszuständigkeit der nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats ausnahmsweise in Betracht kommen kann. Weiterhin kann durch die Satzung die Abberufung eines geschäftsführenden Direktors auf das Vorliegen wichtiger Gründe beschränkt werden.14 Dann ist die abzuberufende Person vom Stimmrecht ausge-
13
Siehe dazu C.I.1. MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 137, Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 43 SE-VO Rn. 38, Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 40 SEAG Rn. 7. 14
II. Monistische SE
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schlossen.15 Dasselbe gilt für den Widerruf der Bestellung zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats aus wichtigem Grund.16 Wenn lediglich ein geschäftsführender Direktor bestellt wurde und dieser aus wichtigem Grund vollständig oder als Vorsitzender des Verwaltungsrats abberufen werden soll, verbleibt ebenfalls kein geschäftsführender Direktor im Verwaltungsrat, welcher die Ad-hoc-Publizitätspflicht wahren könnte. In dieser Situation bedarf es also ebenfalls einer Selbstbefreiungsentscheidung durch die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats. Zudem kann in beiden Konstellationen auch im Vorfeld der Beschlussfassung ein Bedürfnis für die Geheimhaltung gegenüber dem betroffenen Direktor bestehen, wenn beispielsweise ein Headhunter beauftragt oder Vorgespräche mit potentiellen Kandidaten geführt werden sollen. Sofern in diesem Stadium bereits Insiderinformationen auftreten, etwa in Form eines kursrelevanten Zwischenschritts, können die nicht-geschäftsführenden Mitglieder auch für die diesbezüglich notwendigen Maßnahmen verantwortlich sein. bb) Rücktrittsabsichten eines geschäftsführenden Direktors Bei einer SE können personelle Veränderungen, die auf die Initiative des jeweiligen geschäftsführenden Direktors zurückzuführen sind, unter denselben Voraussetzungen kursrelevant sein wie der Rücktritt eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft.17 Zu denken ist auch hier an eine zeitweise oder dauerhafte Amtsniederlegung. Eine solche ist ohne wichtigen Grund jederzeit durch Erklärung gegenüber dem Verwaltungsrat möglich.18 Abermals sind jedoch im Unterschied zum freiwilligen Rücktritt des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft auch die anderen geschäftsführenden Direktoren Erklärungsempfänger. Eine Erörterung von Rücktrittsabsichten nur im Kreise der nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats ist hingegen nicht vorgesehen und passt auch nicht zu der Organstruktur der SE. Diese findet stattdessen im Kreise des gesamten Verwaltungsrats statt. Wenn im Stadium der Beratung eine Insiderinformation entsteht, können also die grundsätzlich zuständigen geschäftsführenden Direktoren bzw. das Ad-hoc-Komitee über den Aufschub ihrer Veröffentlichung entscheiden. Dasselbe gilt, wenn der Verwaltungsrat nur einen, nämlich den rücktrittswilligen Direktor bestellt hat und dieser nicht Mitglied 15
Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 40 SEAG Rn. 50, MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 143 m.w.N.; a.A. Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 43 SE-VO Rn. 38. 16 Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Art. 45 SE-VO Rn. 5, MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 45 SE-VO Rn. 10. 17 Siehe dazu C.I.2. 18 MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 146, Habersack/Drinhausen-Verse, SE-Recht, § 40 SEAG Rn. 58, Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 40 SEAG Rn. 48.
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des Verwaltungsrats ist. Dann kann er selbst die notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht einleiten. Eine Selbstbefreiungszuständigkeit der nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder kommt nur in Betracht, wenn es mehrere geschäftsführende Direktoren gibt, von denen keiner Mitglied des Verwaltungsrats ist, und gute Gründe dafür sprechen, dass der rücktrittswillige Mandatsträger seine Pläne noch nicht mit den übrigen geschäftsführenden Direktoren teilen möchte. Dann müssen die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder die Selbstbefreiungsentscheidung treffen. cc) Compliance-Verstöße und interne Untersuchungen Auch hinsichtlich der Überwachung der geschäftsführenden Direktoren und der Reaktion auf (potentielle) Rechts- oder Compliance-Verstöße, insbesondere die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und die Einleitung interner Untersuchungen,19 besteht bei der SE grundsätzlich eine parallele Situation zur Aktiengesellschaft. Denn die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats sind verpflichtet, die Geschäftsführung, die sie den geschäftsführenden Direktoren übertragen haben, zu überwachen.20 Hierfür stehen ihnen neben den Berichtspflichten der geschäftsführenden Direktoren gemäß § 40 Abs. 6 SEAG auch das Weisungsrecht nach § 44 Abs. 2 SEAG und das Einsichts- und Prüfungsrecht nach § 22 Abs. 4 SEAG zur Verfügung. Zudem obliegt es dem Verwaltungsrat, die aus § 40 Abs. 8 SEAG i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG folgende Haftung der geschäftsführenden Direktoren durchzusetzen.21 Hinsichtlich der Qualifikation solcher Maßnahmen als Insiderinformationen gilt ebenfalls das zu der Aktiengesellschaft Gesagte entsprechend. Vor allem Zwischenschritte auf dem Weg zu der endgültigen Inanspruchnahme eines geschäftsführenden Direktors können für die Ad-hoc-Publizitätspflicht relevant werden. Die Gesellschaft wird gemäß § 41 Abs. 5 SEAG den geschäftsführenden Direktoren gegenüber vom gesamten Verwaltungsrat vertreten. Grundsätzlich sind also abermals die geschäftsführenden Direktoren, sofern sie dem Verwaltungsrat angehören, an der Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beteiligt. Somit können sie auch über den Umgang mit hierbei entstehenden Insiderinformationen entscheiden. Analog § 34 BGB darf ein Direktor jedoch nicht an einer Abstimmung teilnehmen, wenn diese die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines 19
Siehe dazu C.I.3. MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 88, Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 43 SE-VO Rn. 21, Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 22 SEAG Rn. 14 ff. 21 MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 172, Habersack/Drinhausen-Verse, SE-Recht, § 40 SEAG Rn. 81, Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 40 SEAG Rn. 68. 20
II. Monistische SE
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Rechtsstreits mit ihm betrifft.22 Dann hat der Vorsitzende des Verwaltungsrats gemäß § 35 Abs. 3 SEAG eine zusätzliche Stimme. Sofern jedoch weitere Direktoren vorhanden sind, können diese den Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation beschließen. Wie im Falle der Abberufung obliegt diese Entscheidung den nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern nur, wenn von mehreren geschäftsführenden Direktoren keiner Mitglied des Verwaltungsrats ist und sie nicht wenigstens einen von ihnen einweihen wollen oder wenn nur ein geschäftsführender Direktor bestellt wurde und es sich dabei um die verdächtige Person handelt. dd) Rücktrittsabsichten eines nicht-geschäftsführenden Mitglieds Auch in Bezug auf Personalmaßnahmen im Kreise der nicht-geschäftsführenden Mitglieder selbst ergibt sich eine ähnliche Situation wie bei der Aktiengesellschaft. Ein Mitglied des Verwaltungsrats kann sein Amt jederzeit niederlegen.23 Im Unterschied zu den geschäftsführenden Direktoren ist zwar ein personeller Wechsel bei den nicht-geschäftsführenden Mitgliedern im Regelfall nicht kursrelevant. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn es sich um den Vorsitzenden des Verwaltungsrats handelt und dieser kein geschäftsführender Direktor ist.24 Dann kann, ebenso wie bei dem Aufsichtsratsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegen.25 Die endgültige Rücktrittserklärung muss, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt, gegenüber einem geschäftsführenden Direktor abgegeben werden.26 Bis zu diesem Zeitpunkt kann das betreffende Organmitglied seine Rücktrittspläne jedoch innerhalb des Verwaltungsrats diskutieren. Wenn die Amtsniederlegung bereits überwiegend wahrscheinlich ist und kein geschäftsführender Direktor dem Verwaltungsrat angehört, kann eine Insiderinformation entstehen, ohne dass ein geschäftsführender Direktor hiervon Kenntnis erlangt. Dann müssen die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats eine Selbstbefreiungsentscheidung treffen.
22
MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 201, Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, § 41 SEAG Rn. 16, Habersack/Drinhausen-Verse, SERecht, Anh. Art. 43 § 41 SEAG Rn. 16. 23 MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 53, Lutter/Hommelhoff/TeichmannTeichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 29 SEAG Rn. 6, Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 43 SE-VO Rn. 34. 24 Siehe etwa die Ad-hoc-Mitteilung der Puma SE vom 15. 10. 2012, abrufbar unter: https: //about.puma.com/de-de/newsroom/corporate-news/2012/10-15-12-jochen-zeitz. 25 Siehe zur Rechtslage bei der Aktiengesellschaft C.I.4. 26 MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 53.
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ee) Kapitalmarktkommunikation Auch durch die Kommunikation mit anderen Finanzmarktteilnehmern können die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats – ebenso wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft – mit Insiderinformationen in Berührung kommen, etwa der Absicht, eine Beteiligung an der Emittentin auf- oder abzubauen oder eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen.27 Im Falle der Aktiengesellschaft ist umstritten, ob der Aufsichtsrat das hierfür zuständige Organ ist. Dies wird nur ausnahmsweise für die Kommunikation von aufsichtsspezifischen Themen bejaht.28 Im anglo-amerikanischen One-Tier-BoardSystem hingegen, an welchem sich die monistische SE orientiert, nehmen die nonexecutive directors, insbesondere der chairman und der senior independent director, an der Kommunikation mit Investoren teil.29 Bei der SE ist der Verwaltungsrat gemäß § 22 Abs. 1 SEAG für die allgemeine Geschäftsführung und Unternehmensleitung zuständig. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats repräsentiert das gesamte Organ in der Öffentlichkeit.30 Somit ist davon auszugehen, dass auch nicht-geschäftsführende Mitglieder des Verwaltungsrats bzw. der Vorsitzende des Verwaltungsrats einer SE diese Aufgabe übernehmen. Anders als bei der Aktiengesellschaft gehören also die Mandatsträger, die für das Tagesgeschäft verantwortlich sind, demselben Organ an wie diejenigen, die ausnahmsweise die Investorenkommunikation übernehmen sollen. Daher stellt sich nicht die Problematik, dass ein anderes als das geschäftsführende Organ ausnahmsweise mit Investoren in Kontakt tritt. Die Informationen, die den nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern im Rahmen des Investorendialogs zukommen, können – ebenso wie bei der Aktiengesellschaft – die Emittentin betreffende Insiderinformationen darstellen. Auch hier kann also der Bedarf nach einer Selbstbefreiungsentscheidung durch die nichtgeschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder bestehen, wenn die Gespräche unter Ausschluss der geschäftsführenden Direktoren stattfanden. Fraglich ist jedoch, ob die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder ein berechtigtes Interesse daran haben, die geschäftsführenden Direktoren nicht in die Informationen einzuweihen, die sie erhalten haben. Anders als in dem Fall, in dem die Information einen geschäftsführenden Direktor betrifft, etwa dessen Abberufung, liegt dies nicht unmittelbar auf der Hand. Die geschäftsführenden Direktoren sind dem Verwaltungsrat gegenüber zur Offenheit verpflichtet, weil ihre Kompetenzen aus der Leitungsbefugnis des Verwaltungsrats abgeleitet und sie weisungsgebunden sind; in der entgegengesetzten Richtung besteht jedoch keine solche Pflicht zur Informationsweitergabe.31 27 28 29 30 31
Siehe zur Rechtslage bei der Aktiengesellschaft C.I.5. Siehe hierzu C.II.3.e)aa)(2). Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725 (726 f.), Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360. Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 45 SE-VO Rn. 5. MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 49 SE-VO Rn. 7 f.
II. Monistische SE
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Es erscheint daher sachgerecht, ebenso wie im Falle der Kapitalmarktkommunikation des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft nach den Gesprächsinhalten und der jeweiligen Gesprächssituation zu differenzieren. Wenn Gegenstand des Investorendialogs allgemeine Erörterungen in Bezug auf die (mögliche) Beteiligung an der Emittentin sind, besteht keine Veranlassung, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats bzw. dessen nicht-geschäftsführende Mitglieder die erlangten Informationen nicht an die geschäftsführenden Direktoren weitergeben dürfen, sodass diese ihre Veröffentlichung oder den Aufschub besorgen. Lässt der Gesprächspartner jedoch erkennen, dass er bewusst ein nicht-geschäftsführendes Mitglied des Verwaltungsrats anspricht, weil er die geschäftsführenden Direktoren nicht an seinen Absichten beteiligen möchte, ist der Gesprächsinhalt vertraulich zu behandeln. Nur wenn die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder eine solche Insiderinformation für sich behalten, stehen sie dem Kapitalmarkt als verlässliche Ansprechpartner zur Verfügung. Durch eine interessenwidrige Weitergabe würde der Zweck der Investorenkommunikation, die Corporate Governance der Emittentin zu stärken, verfehlt. Somit kann auch im Falle von Insiderinformationen, die der Verwaltungsrat im Wege der Investorenkommunikation erlangt hat, ein Bedürfnis für eine Selbstbefreiungsentscheidung durch die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder bestehen. c) Zwischenergebnis Im Grundsatz besteht mit Blick auf die Ad-hoc-Publizitätspflicht bei der monistischen SE also eine ähnliche Situation wie bei der Aktiengesellschaft: Im Regelfall sind die geschäftsführenden Direktoren – analog zum Vorstand – für die Wahrnehmung der Publizitätspflichten der Emittentin zuständig. Darüber hinaus können auch im gesamten Verwaltungsrat, dessen nicht-geschäftsführende Mitglieder – wie der Aufsichtsrat – die Überwachungs- und Personalkompetenz für das grundsätzlich zuständige Organ innehaben, Insiderinformationen auftreten. Aufgrund der Tatsache, dass die geschäftsführenden Direktoren ebenfalls Mitglieder desselben Organs sein können, kommt eine Selbstbefreiungszuständigkeit der nichtgeschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder jedoch nur in seltenen Konstellationen in Betracht. Ob in diesen Fällen überhaupt eine Publizitätspflicht der Emittentin besteht, welche eine Aufschubentscheidung durch die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder erfordern würde, ist anhand derselben Tatbestandsmerkmale zu entscheiden, die für die Aktiengesellschaft maßgeblich sind. Denn Art. 17 Abs. 1 MAR regelt die Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen für alle Rechtsformen übergreifend. Daher ist im Folgenden zu untersuchen, zu welchen Ergebnissen die für den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft entwickelten Ansichten im Hinblick auf die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats
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F. Besonderheiten bei der Societas Europaea
kommen. Es ist also danach zu fragen, ob deren Kenntnisse von einer Insiderinformation der Emittentin zugerechnet werden können bzw. ob in einem solchen Fall eine Möglichkeit zur Veröffentlichung der Insiderinformation besteht.
2. Kenntnis der SE von einer Insiderinformation Die Wissenszurechnung bei der monistischen SE ist im Schrifttum noch nicht im Einzelnen thematisiert worden. Daher gilt es zunächst, deren Grundprinzipien festzumachen, bevor die Zurechenbarkeit von Insiderinformationen in den eingangs genannten Fallgruppen beleuchtet werden kann. a) Grundsätze der Wissenszurechnung bei der monistischen SE Für die geschäftsführenden Direktoren wird die Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung allgemein bejaht.32 Dies überzeugt, denn diese haben als Geschäftsführungsorgan und organschaftliche Vertreter der SE eine ähnliche Stellung inne wie der Vorstand der Aktiengesellschaft. Sie sind darüber hinaus ebenso wie dieser verpflichtet, den Informationsfluss im Unternehmen zu organisieren und dadurch die Speicherung, Weiterleitung und Abfrage relevanter Informationen sicherzustellen. Somit können der SE nicht nur die Kenntnisse zugerechnet werden, die die geschäftsführenden Direktoren selbst haben, sondern auch diejenigen, über die sie bei Vorliegen eines ordnungsgemäßen Wissensorganisationssystems verfügen würden. Fraglich ist, ob darüber hinaus auch eine Zurechnung des Wissens der übrigen Verwaltungsratsmitglieder denkbar ist. Hierfür kann auf die Ergebnisse der Untersuchung der Wissenszurechnung in der Aktiengesellschaft zurückgegriffen werden. Dort hat sich gezeigt, dass das Wissen anderer Personen als der Mitglieder des geschäftsführenden Organs der Gesellschaft dieser nur zuzurechnen ist, wenn es der Organisationsherrschaft des geschäftsführenden Organs unterliegt. Weiterhin sind ihre Kenntnisse der Gesellschaft ausnahmsweise zurechenbar, wenn sie – wie der Aufsichtsrat – im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs handeln und hierbei geschäftsführungsberechtigt sind. Diese Parameter lassen sich auf die Mitglieder des Verwaltungsrats übertragen. Auch wenn sowohl die geschäftsführenden Direktoren als auch die nicht-geschäftsführenden Mitglieder demselben Organ angehören, haben letztere eine übergeordnete Position.33 Sie sind nicht nur für die Überwachung der Geschäftsführung durch die Direktoren zuständig, sondern können diesen auch Weisungen erteilen. Daher unterliegen die nicht-geschäftsführenden Mitglieder nicht der Or32 Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 41 SEAG Rn. 6, MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 195. 33 MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 13.
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ganisationsherrschaft der geschäftsführenden Direktoren und sind nicht verpflichtet, Informationen an die geschäftsführenden Direktoren weiterzuleiten oder in die von ihnen geführte Informationsorganisation einzuspeisen. Somit kann ihr Wissen der Gesellschaft grundsätzlich nicht zugerechnet werden. Ebenso wie bei dem Aufsichtsrat kommt jedoch eine Zurechnung des Wissens des gesamten Verwaltungsrats, also auch der nicht-geschäftsführenden Mitglieder, in Betracht, wenn dieses den originären Zuständigkeitsbereich des Organs betrifft und ihm hierfür eine partielle Geschäftsführungsbefugnis zugewiesen ist. Dann werden auch die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder unmittelbar für die SE tätig, sodass ihre Kenntnisse dieser direkt zugerechnet werden können. Allerdings ist der Verwaltungsrat der SE – wie auch der Aufsichtsrat – ein Kollegialorgan, das nach § 108 Abs. 1 AktG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 lit. c (ii) SE-VO durch Beschluss entscheidet. Daher genügt nicht die Kenntnis eines einzelnen nichtgeschäftsführenden Mitglieds, damit diese der Emittentin zugerechnet werden kann. Stattdessen setzt die Wissenszurechnung, wie beim Aufsichtsrat, im Grundsatz voraus, dass alle Organmitglieder Kenntnis von der betreffenden Information haben. Somit ist jedes Mitglied verpflichtet, sein Wissen mit seinen Gremiumskollegen zu teilen oder entsprechend abzuspeichern, sofern hierzu ein Anlass besteht und keine Verschwiegenheitspflichten oder Persönlichkeitsrechte entgegenstehen. Allerdings ist nicht die positive Kenntnis aller Verwaltungsratsmitglieder erforderlich, damit die SE als wissend gilt, sondern es genügt, dass sie Kenntnis von einer Information hätten, wenn das wissende Mitglied sie ordnungsgemäß in Kenntnis setzen würde. Insofern findet auch innerhalb des Verwaltungsrats eine Wissenszurechnung statt. Unter diesen Voraussetzungen kann auch das Wissen der nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder der SE zugerechnet werden. Hierbei ist zu beachten, dass hinsichtlich des Wissens der nicht-geschäftsführenden Mitglieder keine isolierte Zurechnung stattfindet. Diese haben keine eigene Organqualität, sondern sind nur Teil des Verwaltungsrats. Anders als die geschäftsführenden Direktoren haben sie auch keinen über die Aufgaben des Verwaltungsrats hinausgehenden Zuständigkeitsbereich und keine eigenen Befugnisse. Sie sind nur Teil des Gesamtorgans Verwaltungsrat und tragen gemeinsam mit den geschäftsführenden Direktoren die Gesamtverantwortung für die Leitung der SE. Dennoch kann es faktisch zu einer Wissenszurechnung der nicht-geschäftsführenden Mitglieder kommen, wenn keine geschäftsführenden Direktoren an der Entscheidung des Verwaltungsrats beteiligt sind, sei es, weil sie diesem nicht angehören oder weil sie im Einzelfall aufgrund von Betroffenheit nicht stimmberechtigt sind. In diesen Fällen werden die Kompetenzen des Verwaltungsrats ausschließlich von den nicht-geschäftsführenden Mitgliedern ausgeübt und diese sind allein geschäftsführungsbefugt. Somit sind auch die Voraussetzungen erfüllt, damit ihre mit der Aufgabenerfüllung zusammenhängenden Kenntnisse der Emittentin zugerechnet werden können. Denn die Wissenszurechnung knüpft nur an der Zuständigkeit des Organs und nicht an seiner Zusammensetzung an.
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b) Zurechnung von Insiderinformationen Legt man diese Maßstäbe zugrunde, können die Insiderinformationen in den eingangs genannten Fallgruppen der SE grundsätzlich zugerechnet werden. Personalmaßnahmen wie die Bestellung und Abberufung eines geschäftsführenden Direktors, aber auch der Umgang mit dessen freiwilligen Rücktritt, gehören ebenso zu den Aufgaben des Verwaltungsrats wie die Überwachung der geschäftsführenden Direktoren und damit verbundene Untersuchungen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. In diesen Situationen ist der Verwaltungsrat gegenüber dem betroffenen Direktor gemäß § 41 Abs. 5 SEAG zur Vertretung der SE befugt. Mithin sind in diesen Fallgruppen die Voraussetzungen erfüllt, damit das Wissen des Verwaltungsrats der Emittentin zugerechnet werden kann. In der Fallgruppe der Rücktrittsabsicht eines nicht-geschäftsführenden Mitglieds ist fraglich, ob diese Angelegenheit zum Aufgabenbereich des Verwaltungsrats gehört. Ob für den Verwaltungsrat eine mit dem Aufsichtsrat vergleichbare Organisationsautonomie besteht, kraft derer dieser seine personellen Angelegenheiten selbst handhaben darf, ist im Schrifttum bislang noch nicht thematisiert worden. Hierfür spricht jedenfalls der allgemeine Grundsatz der innerorganschaftlichen Treuepflicht. Wie jedes Organ einer juristischen Person ist auch der Verwaltungsrat zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet, die auch die Organisation der eigenen Tätigkeit und die Planung der Zusammensetzung des Organs umfasst. So ist der Verwaltungsrat auch nach § 34 Abs. 4 SEAG berechtigt, Ausschüsse zu bilden und insofern über seine eigene Gliederung zu beschließen. Zudem finden mangels anderweitiger Vorgaben auf die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder die aktienrechtlichen Regeln für die Aufsichtsratswahl Anwendung.34 Daher darf auch der Verwaltungsrat der Hauptversammlung Wahlvorschläge für seine Mitglieder machen. Dies spricht dafür, dass dem Verwaltungsrat eine allgemeine Kompetenz zur Gestaltung seiner eigenen personellen Zusammensetzung zukommt und deshalb auch die gemeinsame Erörterung des Rücktrittswunschs eines Mitglieds zu seinen Aufgaben gehört. Somit können diesbezügliche Informationen der SE zugerechnet werden. Auch die Kommunikation mit anderen Kapitalmarktteilnehmern ist eine Aufgabe des gesamten Verwaltungsrats im Rahmen seiner Unternehmensleitung gemäß § 22 Abs. 1 SEAG. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats repräsentiert das gesamte Organ in der Öffentlichkeit. Somit ist auch in dieser Fallgruppe die Voraussetzung für eine Zurechnung erfüllt. Insgesamt ist jedoch zu beachten, dass aufgrund seiner Kollegialstruktur grundsätzlich alle Mitglieder des Verwaltungsrats von der betreffenden Information Kenntnis haben oder jedenfalls Kenntnis nehmen können. Eine Ausnahme gilt für die Fälle, in denen die geschäftsführenden Direktoren, die dem Verwaltungsrat ange34 Spindler/Stilz-Eberspächer, AktG, Art. 43 SE-VO Rn. 31, MüKoAktG-Reichert/Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 29.
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hören, aufgrund des Inhalts der Entscheidung von dieser ausgeschlossen bleiben sollen. Wenn die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats ein berechtigtes Interesse daran haben, ihre Kenntnisse vor den geschäftsführenden Direktoren geheim zu halten, kommt es für die Zwecke der Wissenszurechnung nur auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder an. Demzufolge können auch Insiderinformationen, die im Aufgabenbereich des Verwaltungsrats auftreten, der SE zugerechnet werden und eine Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR begründen. Hierfür genügt bereits die Kenntnis eines nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieds, um die Kenntnis der SE zu begründen, falls dieses Mitglied es unterlässt, den Verwaltungsrat ordnungsgemäß in Kenntnis zu setzen. c) Zwischenergebnis Grundsätzlich kann einer monistischen SE das Wissen und Wissenmüssen ihrer geschäftsführenden Direktoren zugerechnet werden. Die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder sind nicht in deren Wissensorganisationssystem eingegliedert. Eine Zurechnung der Kenntnisse des ganzen Verwaltungsrats, also auch der nicht-geschäftsführenden Mitglieder, kommt daher nur in Betracht, wenn diese den originären Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsrats betreffen und ihm hierfür eine partielle Geschäftsführungsbefugnis zugewiesen ist. In seltenen Konstellationen kann es daher auch zu einer faktischen Wissenszurechnung nur der nicht-geschäftsführenden Mitglieder kommen, wenn kein geschäftsführender Direktor an der Entscheidung des Verwaltungsrats beteiligt ist.
3. Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation bei der monistischen SE Schließlich ist zu untersuchen, ob auch nach der kenntnisunabhängigen Sichtweise die Ad-hoc-Publizitätspflicht einer monistischen SE entsteht, wenn nur die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats über eine Insiderinformation verfügen. Nach dieser Ansicht kommt es darauf an, dass die Möglichkeit zur Veröffentlichung einer Insiderinformation dadurch besteht, dass mindestens ein Unternehmensangehöriger von dieser Kenntnis hat oder haben könnte. Auch nach dieser Ansicht ist also die Einrichtung eines angemessenen Informationsorganisationssystems erforderlich. Im Grundsatz ist die Veröffentlichung einer Insiderinformation möglich, sobald sie einem geschäftsführenden Direktor bekannt ist oder bekannt sein könnte, indem er sich des Informationsorganisationssystems der Emittentin bedient. Auch die Kenntnis oder potentielle Kenntnis eines nicht-geschäftsführenden Mitglieds des
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Verwaltungsrats von einer Information könnte bereits deren Veröffentlichung ermöglichen. Denn dadurch ist diese einem Unternehmensangehörigen der Emittentin bekannt. Ebenso wie bei den Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft gilt jedoch auch bei einer SE, dass die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation sich nicht in ihrer faktischen Möglichkeit erschöpft, sondern auch die rechtliche Möglichkeit in Form der Zuständigkeit des jeweils wissenden Organmitglieds einschließt. a) Inhaltliche Zuständigkeit Dies bedeutet zum einen, dass eine fachliche Zuständigkeit für die Veröffentlichung einer Insiderinformation bzw. für die Entscheidung über ihren Aufschub bestehen muss. Diese liegt grundsätzlich bei den geschäftsführenden Direktoren.35 Zunächst könnten die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats die Veröffentlichung einer Insiderinformation dadurch einleiten, dass sie die an diese weiterleiten. Jedoch sind die geschäftsführenden Direktoren den Weisungen der nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder unterworfen, nicht umgekehrt. Die nicht-geschäftsführenden Mitglieder unterliegen also, anders als die Mitarbeiter der SE, nicht der Organisationshoheit der geschäftsführenden Direktoren. Daher kommt eine Informationsweiterleitungspflicht in dieser Richtung nicht in Betracht. Ebenso wie den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft trifft aber auch den Verwaltungsrat der SE eine aktive Informationsorganisationspflicht, indem er in seinem Aufgabenbereich auftretende Insiderinformationen erfasst und verarbeitet. Zwar obliegt ihre Veröffentlichung den für die Vertretung der Emittentin im Außenverhältnis zuständigen geschäftsführenden Direktoren. Eine separate Veröffentlichung durch die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder wäre auch nicht sinnvoll, weil die geschäftsführenden Direktoren dadurch ohnehin von der Insiderinformation erfahren würden. Die Zuständigkeit für die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung und für den Beschluss über ihren Aufschub kann jedoch auseinanderfallen. In seltenen Fällen, in denen kein geschäftsführender Direktor an der Entscheidung des Verwaltungsrats beteiligt ist, können Insiderinformationen nur seinen nicht-geschäftsführenden Mitgliedern bekannt sein. Auch dann besteht eine Möglichkeit zur Verarbeitung einer Insiderinformation, indem der Verwaltungsrat die Selbstbefreiungsentscheidung ohne Mitwirkung der geschäftsführenden Direktoren trifft. Hierfür kommt dieselbe Überlegung zum Tragen, die auch bei der Aktiengesellschaft Platz greift: Die MAR adressiert nur „den Emittenten“, aber nicht einzelne Gesellschaftsorgane. Dies ist dem Normzweck der Ad-hoc-Publizität entsprechend auszulegen, welcher in einer möglichst umfassenden Offenlegung von Insiderinformationen besteht. Demnach ist jedes Organ der Emittentin dazu verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse und seiner Stellung im gesellschaftsrechtlichen Kompetenzgefüge zu der 35
Siehe F.II.1.a).
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Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht beizutragen.36 Die Informationsorganisationspflichten der kenntnisunabhängigen Ansicht erfassen nicht nur Insiderinformationen im Einflussbereich des jeweiligen Geschäftsführungsorgans, sondern auch in demjenigen des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft und des Verwaltungsrats einer SE. Dessen nicht-geschäftsführende Mitglieder sind im Rahmen ihres Tätigkeitsbereichs dazu verpflichtet, die ordnungsgemäße Verarbeitung von Insiderinformationen wahrzunehmen, indem die über deren Aufschub beschließen, wenn eine Entscheidung durch die geschäftsführenden Direktoren nicht in Betracht kommt. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die jeweilige Insiderinformation den Aufgabenbereich des gesamten Verwaltungsrats betrifft. Für Insiderinformationen über Maßnahmen, die allein den geschäftsführenden Direktoren obliegen, ist der Verwaltungsrat nicht zuständig. b) Personelle Zuständigkeit Zum anderen setzt die rechtliche Möglichkeit der Verarbeitung einer Insiderinformation auch voraus, dass der Verwaltungsrat in der Lage ist, einen entsprechenden Selbstbefreiungsbeschluss zu fassen. Hierfür genügt die Kenntnis eines einzelnen nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieds von einer Insiderinformation noch nicht. Denn der Verwaltungsrat ist ein Kollegialorgan, das grundsätzlich durch Beschluss entscheidet. Die Möglichkeit, eine Selbstbefreiungsentscheidung zu treffen, setzt daher grundsätzlich – wie im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft – voraus, dass dem gesamten Organ die jeweilige Insiderinformation bekannt ist. Allerdings genügt es, wenn bereits ein Organmitglied davon Kenntnis hat und daher die Möglichkeit hat, die übrigen Organmitglieder in Kenntnis zu setzen. Dies ist Ausdruck der organinternen Organisationspflicht. Eine Ausnahme gilt lediglich für geschäftsführende Direktoren, die dem Verwaltungsrat angehören, aber aufgrund des Inhalts der Entscheidung von dieser ausgeschlossen bleiben sollen. Sie müssen nicht über die betreffende Insiderinformation in Kenntnis gesetzt werden. c) Zwischenergebnis Grundsätzlich entsteht die Ad-hoc-Publizitätspflicht, sobald es einem geschäftsführenden Direktor möglich ist, von einer Insiderinformation Kenntnis zu nehmen und sie entsprechend zu verarbeiten. Darüber hinaus können aber auch Insiderinformationen, die im Verwaltungsrat einer monistischen SE auftreten und von denen kein geschäftsführender Direktor Kenntnis hat, ad-hoc-pflichtig sein. Eine rechtliche Möglichkeit zur Veröffentlichung dieser Insiderinformationen besteht jedoch nur dann, wenn sie zum Aufga36
Siehe dazu C.III.1.a).
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benbereich des Verwaltungsrats gehören. Dann genügt es, wenn bereits ein einzelnes Verwaltungsratsmitglied die betreffende Insiderinformation kennt und somit eine Entscheidung des Gesamtorgans über den Aufschub der Veröffentlichung herbeiführen kann.
4. Selbstbefreiungskompetenz des Verwaltungsrats Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass unter Umständen auch im Tätigkeitsbereich des gesamten Verwaltungsrats Insiderinformationen auftreten können, von denen kein geschäftsführender Direktor Kenntnis hat. Auch diese begründen eine Veröffentlichungspflicht der Emittentin nach Art. 17 Abs. 1 MAR, und zwar unabhängig davon, ob man hierfür auf die zurechenbare Kenntnis von der Insiderinformation oder die Möglichkeit ihrer Veröffentlichung abstellt, denn beide Ansätze richten sich nach den Zuständigkeiten des Verwaltungsrats innerhalb der monistischen SE. Ebenso wie bei dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft handelt es sich hierbei um Maßnahmen, bei denen eine Weiterleitung der Insiderinformation an das grundsätzlich für eine Selbstbefreiungsentscheidung zuständige Gremium, nämlich die geschäftsführenden Direktoren oder das Ad-hoc-Komitee, nicht in Betracht kommt. In diesen Fällen ist es sachgerecht, dass der gesamte Verwaltungsrat, also ggf. auch nur dessen nicht-geschäftsführende Mitglieder, eine Entscheidungskompetenz über den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen hat. Hierzu kommt – wie bei der dualistischen SE – eine Übertragung der Annexkompetenz aus dem Aktienrecht in Betracht. Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. b, c (i) SE-VO bestimmen sich die Rechte und Pflichten der Organe der SE vorrangig durch die SEVO und die durch die Mitgliedsstaaten erlassenen Gesetze, in Deutschland also durch das SEAG. Beide Rechtsnormen enthalten keine Regelung hinsichtlich der Zuständigkeit für den Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung. Gemäß § 22 Abs. 6 SEAG gelten jedoch auch Rechtsvorschriften außerhalb des SEAG, die dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Rechte oder Pflichten zuweisen, sinngemäß für den Verwaltungsrat einer monistischen SE. Diese Vorschrift soll die monistische SE in das dualistisch geprägte deutsche Aktienrecht einbetten und ist daher weit auszulegen.37 Dies spricht dafür, dass sie nicht nur das geschriebene Recht erfasst, sondern auch ungeschriebene Annexkompetenzen des Aktienrechts, die demzufolge sinngemäß auf den Verwaltungsrat der SE anzuwenden sind. Somit besteht eine Rechtsgrundlage für eine Selbstbefreiungskompetenz des Verwaltungsrats in Form einer Annexkompetenz.
37 Lutter/Hommelhoff/Teichmann-Teichmann, SE-Kommentar, Anh. Art. 43 § 22 SEAG Rn. 42 f., Habersack/Drinhausen-Verse, SE-Recht, § 22 SEAG Rn. 43 f., MüKoAktG-Reichert/ Brandes, Art. 43 SE-VO Rn. 105.
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Ferner liegen auch deren Voraussetzungen vor: Sie knüpft an die geschriebenen Kompetenzen des Organs an, ist zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner originären Zuständigkeiten erforderlich und führt lediglich zu einer punktuellen Kompetenzerweiterung.38 Somit ist der Verwaltungsrat einer monistischen SE gesellschaftsrechtlich für die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen in seinem Kompetenzbereich zuständig. Allerdings gilt, ebenso wie bei der Aktiengesellschaft, die zusätzliche Voraussetzung, dass die betreffende Insiderinformation den geschäftsführenden Direktoren noch nicht bekannt sein darf. Wenn dies der Fall ist oder sie nachträglich Kenntnis davon erlangen, können sie selbst die Selbstbefreiungsentscheidung übernehmen. Ferner sind auch die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder nicht für die Veröffentlichung der Insiderinformation in Form einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig. Diese Aufgabe obliegt weiterhin den geschäftsführenden Direktoren. Die obigen Ausführungen zum Pflichtenumfang und der Delegierbarkeit der Selbstbefreiungskompetenz auf einen Ausschuss bei der Aktiengesellschaft39 gelten entsprechend für die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats einer SE.
5. Zwischenergebnis Im Regelfall setzt die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht einer als monistische SE verfassten Emittentin voraus, dass die jeweilige Insiderinformation mindestens einem geschäftsführenden Direktor bekannt ist oder sich in seinem Herrschaftsbereich befindet. Hierbei macht es – ebenso wie bei dem Vorstand einer Aktiengesellschaft – keinen Unterschied, ob diesbezüglich auf eine organisationsbasierte Wissenszurechnung oder die Möglichkeit der Veröffentlichung abgestellt wird. Weiterhin können in seltenen Konstellationen, in denen kein geschäftsführender Direktor an einer Entscheidung des Verwaltungsrats beteiligt ist, auch Insiderinformationen, die nur den nicht-geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats bekannt sind, eine Veröffentlichungspflicht der Emittentin auslösen. In diesen Fällen verfügt der Verwaltungsrat auch über eine gesellschaftsrechtliche Selbstbefreiungskompetenz für Insiderinformationen in seinem Zuständigkeitsbereich in Form einer Annexkompetenz.
38 39
Siehe zur Aktiengesellschaft D.II.2.b)cc). Siehe dazu D.III.
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III. Ergebnis Während für die dualistische SE im Wesentlichen dieselben Regelungen gelten wie für die Aktiengesellschaft, sind bei der monistischen SE einige Besonderheiten zu beachten, die aus ihrer veränderten Organstruktur resultieren. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die beiden zur Aktiengesellschaft entwickelten Ansichten über die Entstehungsvoraussetzungen für die Ad-hoc-Publizitätspflicht auch hinsichtlich der monistischen SE zu denselben Ergebnissen kommen. Im Ergebnis ist eine SE daher unter denselben Voraussetzungen und zu demselben Zeitpunkt verpflichtet, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen bzw. über den Aufschub ihrer Veröffentlichung zu entscheiden, unabhängig davon, ob auf die Wissenszurechnung oder auf die Möglichkeit der Erfassung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat abgestellt wird. Auch mit Blick auf eine Selbstbefreiungsentscheidung des Aufsichtsrats einer dualistischen SE bzw. des Verwaltungsrats einer monistischen SE ohne Beteiligung seiner geschäftsführenden Direktoren kommt es also nicht darauf an, ob die Veröffentlichungspflicht der Emittentin an ihrer zugerechneten Kenntnis von einer Insiderinformation oder der Möglichkeit ihrer Veröffentlichung festgemacht wird. Der Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat ist unter denselben Voraussetzungen aufgrund einer Annexkompetenz für die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation zuständig wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Hierbei treffen ihn dieselben Aufgaben und Pflichten.
G. Schlussbetrachtung I. Zusammenfassung Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit werden im Folgenden thesenartig zusammengefasst. Für die argumentative Begründung wird auf die Ergebnisse am Ende jedes Kapitels verwiesen. Zur Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht: (1) Die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bedarf eines einschränkenden Merkmals, um das tatsächliche Können der Emittentin, insbesondere im Falle unternehmensexterner Insiderinformationen, nicht zu übersteigen. (2) Hierfür kommen die zugerechnete Kenntnis der Emittentin oder das Abstellen auf die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation in Betracht. Beide Ansätze sind zur Erfüllung des Normzwecks des Art. 17 Abs. 1 MAR gleichermaßen geeignet. (3) Die Beschränkung der Ad-hoc-Publizitätspflicht auf die positive Kenntnis des Vorstands verengt ihren Anwendungsbereich zu stark und wird ihrem telos nicht gerecht. (4) Die Wissenszurechnung gründet auf der Pflicht zur Einrichtung einer ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation. Einer Gesellschaft werden alle Informationen zugerechnet, von denen ex ante erwartet werden kann, dass sie in ihren internen Informationsspeicher aufgenommen werden. (5) Die Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung zur Bestimmung der Kenntnis der Emittentin und ihre Begründung mit dem Gleichstellungsargument, dem Verkehrsschutz und der Risikosphärenverteilung sind mit dem Unionsrecht vereinbar. (6) Die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation bestimmt sich anhand derselben Maßstäbe für die Weiterleitung und Speicherung unternehmensinterner Informationen, wie sie die Grundsätze der Wissenszurechnung anwenden. (7) Beide Ansichten verlangen von der Emittentin die Einrichtung einer angemessenen und sorgfältigen Informationsorganisation. Hinsichtlich des zeitli-
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G. Schlussbetrachtung
chen Ablaufs und Umfangs der veröffentlichungspflichtigen Informationen bestehen keine Unterschiede. Zu Insiderinformationen im Aufsichtsrat: (8)
Die Frage, ob die Emittentin auch veröffentlichungspflichtig ist, wenn eine Insiderinformation im Aufsichtsrat vorliegt, stellt sich nur, wenn die betreffende Insiderinformation ausschließlich im Aufsichtsrat bekannt ist.
(9)
Nur Insiderinformationen aus dem originären Aufgabenkreis des Aufsichtsrats können eine Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin auslösen. Es genügt bereits die Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, um die Veröffentlichungspflicht der Emittentin auszulösen. Auch privat erlangte Kenntnisse sind hierbei beachtlich, sofern sie für die Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats erheblich sind und ihrer Weitergabe keine Verschwiegenheitspflicht oder schützenswerten Rechtsgüter entgegenstehen.
(10) Aufgrund seiner Stellung als Überwachungsorgan ist der Aufsichtsrat nicht in die Wissensorganisation der Emittentin eingebunden. Eine Zurechnung von Aufsichtsratswissen kommt nur in Betracht, wenn der Aufsichtsrat im Rahmen seiner ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben tätig wird. (11) Die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Insiderinformation setzt ihre rechtliche Möglichkeit voraus. Diese besteht nur, wenn die veröffentlichungspflichtige Insiderinformation den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betrifft. (12) Insiderinformationen, die zwar ausschließlich dem Aufsichtsrat bekannt sind, aber nicht seinem Aufgabenbereich zuzuordnen sind, sind nicht veröffentlichungspflichtig. Den Aufsichtsrat trifft keine Pflicht, sie an den Vorstand oder ein Ad-hoc-Gremium weiterzuleiten. Zur gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeit des Aufsichtsrats: (13) Im Grundsatz fällt die Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands. Dies ergibt sich aus seiner Leitungsfunktion, seiner Compliance-Verantwortung und seiner Kommunikationsaufgabe im Außenverhältnis. (14) Der Vorstand darf sie jedoch an ein einzelnes Vorstandsmitglied oder ein unterhalb des Vorstands angesiedeltes Ad-hoc-Gremium delegieren. Letzterem sollte mindestens ein Vorstandsmitglied angehören. (15) Der Aufsichtsrat ist für die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung zuständig, wenn Gegenstand der Entscheidung eine Insiderinformation ist, die dem Kompetenzbereich des Aufsichtsrats zuzuordnen ist. Dies ergibt sich aus einer Annexkompetenz zu seinem aktien-
I. Zusammenfassung
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rechtlichen Aufgabenbereich. Hinsichtlich anderer Insiderinformationen, die dem Aufsichtsrat bekannt werden, aber außerhalb seines Tätigkeitsbereichs liegen, besteht keine solche Zuständigkeit. (16) Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Selbstbefreiung setzt voraus, dass der Vorstand keine Kenntnis von der jeweiligen Insiderinformation hat. Sie erlischt, sobald der Vorstand Kenntnis von der betreffenden Insiderinformation erlangt. (17) Der Aufsichtsrat hat keine Annexkompetenz für die Veröffentlichung einer in seinem Aufgabenbereich aufgetretenen Insiderinformation. Er ist verpflichtet, Insiderinformationen aus seinem Aufgabenbereich rechtzeitig an den Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium weiterzuleiten, damit diese die Veröffentlichung vornehmen können. (18) Der Einrichtung eines Ad-hoc-Publizitätsausschusses innerhalb des Aufsichtsrats, der seine mit der Ad-hoc-Publizitätspflicht in Verbindung stehenden Aufgaben wahrnimmt, steht das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 S. 7 AktG nicht entgegen. Eine Beschlussfassung durch einzelne Mitglieder ist hingegen nicht zulässig. Zur Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Insiderinformationen im Konzern: (19) Ein Ereignis, das bei einer mit der Emittentin konzernierten Gesellschaft eintritt, stellt eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation dar, sofern es die Emittentin unmittelbar betrifft und für sie kursrelevant ist. (20) Eine Publizitätspflicht entsteht jedoch nur, wenn die Emittentin einen rechtlich abgesicherten Einfluss auf die jeweilige Gesellschaft hat, die über die Information verfügt. Solche Zugriffsmöglichkeiten bestehen nicht in Bezug auf Insiderinformationen, die nur im Aufsichtsrat einer Konzerngesellschaft vorliegen. (21) Ferner sind nahezu keine Konstellationen denkbar, in denen im Aufsichtsrat konzernbezogene Insiderinformationen auftreten. Der Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats erfasst in der Regel keine konzernübergreifenden Aufgaben, sondern nur diejenige Gesellschaft, für die er bestellt wurde. Zu Insiderinformationen bei der Societas Europaea: (22) Hinsichtlich der Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht gelten für eine dualistische SE dieselben Regelungen wie für die Aktiengesellschaft. Auch für die Selbstbefreiungszuständigkeit ihres Aufsichtsrats ergeben sich keine Unterschiede. (23) Bei einer monistischen SE setzt die Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht die zurechenbare Kenntnis oder die Möglichkeit der Veröffentlichung min-
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destens eines geschäftsführenden Direktors voraus. Auch Insiderinformationen, die nur den nicht-geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats bekannt sind, können eine Veröffentlichungspflicht der Emittentin auslösen. (24) Grundsätzlich sind die geschäftsführenden Direktoren für die Wahrnehmung der Publizitätspflichten der Emittentin zuständig. Der Verwaltungsrat verfügt nur über eine Selbstbefreiungskompetenz, wenn kein geschäftsführender Direktor an der jeweiligen Maßnahme beteiligt ist, die Gegenstand der Insiderinformation ist, und diese den originären Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsrats betrifft.
II. Fazit Insiderinformationen im Aufsichtsrat spielen eine weitaus größere Rolle als bisher gedacht. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass auch solche Insiderinformationen veröffentlichungspflichtig sein können, von denen der Vorstand der Emittentin keine Kenntnis hat und auch nicht haben soll. Unabhängig von einem Verständnis als „Wissensnorm“ oder dem Abstellen auf die Möglichkeit der Erfassung einer Insiderinformation durch den Aufsichtsrat hat eine Auslegung von Art. 17 Abs. 1 MAR ergeben, dass die Emittentin zur Veröffentlichung von Insiderinformationen verpflichtet ist, die im Aufgabenbereich des Aufsichtsrats auftreten. Dies betrifft vor allem Personalmaßnahmen oder Untersuchungen und Schadensersatzforderungen gegen Vorstandsmitglieder. Doch auch Insiderinformationen, die der Aufsichtsrat im Rahmen seiner zulässigen Kommunikation mit anderen Kapitalmarktteilnehmern erlangt, können potentiell ad-hocpflichtig sein. Dieser Veröffentlichungspflicht kann die Emittentin durch einen Aufschub der Veröffentlichung begegnen, wenn die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR vorliegen und eine entsprechende Entscheidung getroffen wird. Hierfür ist ausnahmsweise nicht der Vorstand oder das Ad-hoc-Gremium der Gesellschaft zuständig, sondern der Aufsichtsrat selbst. Hierbei hat sich gezeigt, dass ein Gleichlauf zwischen der kapitalmarktrechtlichen, unionsrechtlich determinierten Entstehung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und der innergesellschaftlichen, sich nach deutschem Aktienrecht richtenden Selbstbefreiungszuständigkeit des Aufsichtsrats besteht. Sowohl die Entstehung der Veröffentlichungspflicht als auch die Annexkompetenz hängen davon ab, dass die jeweiligen Insiderinformationen den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats betreffen. Aus seiner Annexkompetenz resultieren verstärkte Pflichten des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Ad-hoc-Publizitätspflicht für die Emittentin. Es obliegt ihm, zu prüfen, ob Ereignisse in seinem Aufgabenbereich den Tatbestand einer Insiderinformation, insbesondere in Form eines Zwischenschritts,
II. Fazit
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erfüllen. Ferner muss er überwachen, ob die Voraussetzungen für einen Aufschub der Veröffentlichung erfüllt sind und fortdauernd vorliegen. Im Rahmen seiner Selbstbefreiungskompetenz ist der Aufsichtsrat schließlich auch dafür zuständig, die Geheimhaltung der Insiderinformation sicherzustellen, eine Insiderliste zu führen und die erforderliche Dokumentation des Aufschubs zu erstellen. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, auch für die Haftung der Emittentin nach §§ 97, 98 WpHG auf das Verschulden bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis des Aufsichtsrats abzustellen. Wenn ein Aufsichtsratsmitglied es also versäumt, eine ihm bekannte Insiderinformation an den zuständigen Ausschuss oder den Gesamtaufsichtsrat weiterzuleiten oder dieser es unterlässt, unverzüglich einen Selbstbefreiungsbeschluss zu fassen, verletzt nicht nur der Aufsichtsrat seine organschaftlichen Pflichten, sondern auch die Emittentin ihre Publizitätspflicht. Dies kann zu einer Haftung gegenüber der Anlegerschaft führen. Dasselbe gilt, wenn der Aufsichtsrat oder ein von ihm gebildeter Ausschuss die Veröffentlichung einer Insiderinformation nicht unverzüglich in die Wege leitet, sobald die Voraussetzungen für den Aufschub nicht mehr vorliegen.40 Somit hat sich gezeigt, dass der Aufsichtsrat in weitaus höherem Maße in die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin eingebunden ist, als dies bisher angenommen wurde. Börsennotierte Gesellschaften müssen darauf reagieren, indem sie ihre Aufsichtsratsmitglieder auf diese Pflichtenlage und die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung hinweisen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats müssen mit den Vorgaben der Ad-hoc-Publizität vertraut sein, um zu erkennen, wann eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt, und die notwendigen Schritte in der gebotenen Zeit durchzuführen. Dies kann unter Umständen auch bei der Auswahl geeigneter Aufsichtsratsmitglieder in Zukunft berücksichtigt werden. Jedenfalls aber muss stärker als bisher darauf geachtet werden, die Mitglieder des Aufsichtsrats in Fragen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität zu schulen.
40 Vgl. Klöhn-Klöhn, MAR, Art. 17 Rn. 197, Gaßner, Ad-hoc-Publizität, Wissenszurechnung und Verschwiegenheitspflicht, S. 250 f.
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Zöllner, Wolfgang/Noack, Ulrich (Hrsg.): Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., Köln, Berlin, München 2017, zitiert: KK-AktG-Bearbeiter. Sämtliche verwendeten Abkürzungen folgen Kirchner, Hildebert/Böttcher, Eike: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Aufl., Berlin 2018.
Sachverzeichnis Ad-hoc-Komitee 149, 171 f.,174 f., 180 ff., 201, 203, 213 f. Aktionäre – Besitz von Insiderinformationen 123, 145 f. – Fragerecht 230 – Kommunikation, siehe Investorenkommunikation Annexkompetenz 139, 188 ff., 206, 249 f., 264 As soon as possible, siehe Unverzüglich Aufsichtsrat – Ausschuss 106, 126, 133 ff., 212 – Beratung des Vorstands 121, 183, 192, 194, 197 – Geschäftsordnung 137 – Hilfsgeschäfte 190, 198 – Rücktritt 111, 135, 184, 222 – Sitzung 128 – Treuepflicht 121 f., 130 – Vorsitzender 111 ff., 126, 135, 141, 186 – Wissenszurechnung 114 ff. BaFin, siehe Emittentenleitfaden Beteiligungspublizität 91 ff. Business Judgement Rule 159 Compliance – Kapitalmarkt-Compliance 160 f. – Organisationspflichten 157 ff. – Verstoß 109, 134, 254 Daimler/Schrempp-Entscheidung 89, 105 f., 108, 205 DCGK 121, 138 f., 166 Delegation – innerhalb des Aufsichtsrats 106, 127, 151 – von Vorstandsaufgaben 163 ff., 212 Doppelorganschaft 116, 202, 213 f., 233 f., 236, 242
Effet utile 68 Emittentenleitfaden 212 ff. ESMA 63, 172
63, 167, 173 ff., 202,
Fahrlässigkeit 42, 82, 92 – grobe 56 f., 71, 271 Fundamentalwert(-effizienz) 60, 67 Gerichtsverfahren 109 f. Gesamtverantwortung des Vorstands 163, 259 Gestreckter Geschehensablauf, siehe Zwischenschritt Gleichstellungsargument 36, 99 Hauptversammlung – Wissenszurechnung 123, 146 – Einberufung 113 f., 142, 222 Hindsight bias 79 IKB-Urteil 62 Informationsasymmetrie, siehe Wissensvorsprung Insiderinformation – Gerüchte 212 – Kursbeeinflussungspotential 87, 107 ff., 220 ff. – Möglichkeit der Veröffentlichung 145 ff., 238, 261 – präzise 106 ff. – unmittelbarer Emittentenbezug 46, 51, 218, 220 ff. – Veröffentlichung 156, 204 – Weitergabe 233 Inter-instrumentelle Auslegung 91 Interne Ermittlungen 109, 134, 183, 221, 254 Investorenkommunikation 112, 138 ff., 185, 222, 256
Sachverzeichnis Kapitalmarktinformationshaftung 47, 54, 70, Kollegialorgan 127, 151, 259, 263 Komparativer Kostenvorteil 51, 241 Konzern – Ad-hoc-Publizität 216 ff. – Organisationspflicht 228 – Weisungsrecht 241 – Wissenszurechnung 225 ff. Krankheit 108, 135, 183, Least cost information provider 101 Legalitätspflicht 158 Naming and shaming 57 Nebenamt 125, 130 Organisationsautonomie 192 Organtheorie 27, 126
67, 93 f.,
120 f., 137, 185,
Prokuristen-Entscheidung 34, 117 Respondeat superior 96 Risikoverteilung 37, 100 Ru¨ ckschaufehler, siehe Hindsight bias Selbstorganisation, siehe Organisationsautonomie Siemens/Neubu¨ rger-Urteil 158, 166 Societas Europeae 145, 248 ff. Sonderprüfung 113 f., 142 Telos der Ad-hoc-Publizität 131 f., 146, 262
59, 66, 98,
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Ultra posse-Grundsatz 55 ff., 64, Unionrechtsautonome Auslegung 83 Unverzüglich 44, 82 ff., 91 Verkehrsschutz 37, 100 Verkehrssicherungspflicht 37, 101 Verschwiegenheitspflicht 34, 78, 116 ff., 140, 232, 234 ff. Vertrauensschutz 37, 100 Vollharmonisierung 94 ff. Vorstand – Leitungsaufgaben 105 ff. – Personalmaßnahmen 105, 132, 179 – Rücktritt 107, 133, 182, 220 – Vorsitzender 107 f., 171, 180 – Wissenszurechnung 30 – Zuständigkeit für die Ad-hoc-Publizitätspflicht 155, 204 Wissensvorsprung 60, 66, 200 Wissenszurechnung – § 826 BGB 39 – Grundsätze 26 ff. – im Kapitalmarktrecht 94 – im Konzern 225 ff. – in der SE 248, 258 – innerhalb des Aufsichtsrats 114 ff. – innerhalb des Vorstands 30 – Mitarbeiter 29, 42, 47, 76 – Privat erlangtes Wissen 27, 35, 76, 129 f., 133, 151 – Wissensvertreter 31, 137, 143 Zustimmungsvorbehalt 201 Zwischenschritt 90, 106, 108, 110, 112, 114