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German Pages 132 Year 1978
Axel Schulz · Die Gegenzeichnung
S c h r i f t e n zum Öffe n t l i e h e n R e c h t Band 339
D i e Gegenzeichnung Eine verfassungsgeschichtliche
Untersuchung
Von
Dr. Axel Schulz
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
D 188 Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04063 5
Vorwort Die Anregung, eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung über die Gegenzeichnung vorzunehmen, geht auf Herrn Professor Dr. Roman Herzog — seinerzeit an der Freien Universität Berlin — zurück. I n der Folgezeit hat er die Entstehung der Arbeit durch seinen kritischen Rat gefördert. I m Jahre 1973 konnte sie dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Inaugural-Dissertation vorgelegt werden. Herrn Professor Dr. Herzog danke ich an dieser Stelle für seine Unterstützung. Mein Dank richtet sich auch an meine Frau, die sich der Korrektur des fertigen Textes angenommen hat. Seeheim a. d. B., i m Frühjahr 1978 Der Verfasser
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
13
Erster Teil Die Zeit der konstitutionellen Monarchie A. Der Sinngehalt der Gegenzeichnung
14
I. Vorfragen — Geschichtliche Wurzeln der konstitutionellen Bestimmungen über die Gegenzeichnung
14
I I . Die Gegenzeichnung als Ausdruck der Ministerverantwortlichkeit
15
1. Die französische Verfassung von 1791
15
a) Die Gegenzeichnung als Mittel zur Herstellung der Ministerverantwortlichkeit im Montesquieuschen System der Gewaltenteilung
15
b) Fehlender Einfluß Rousseaus
17
c) Fehlender Einfluß des englischen Staatsrechts
17
2. Die Konsulatsverfassung des Jahres 1799 und ihre Vorgängerinnen
19
3. Die Charte (1814)
21
4. Die belgische Verfassung
21
5. Die deutschen Repräsentativverfassungen
22
a) Die deutsche Verfassungsgesetzgebung unter dem Eindruck französischer Texte b) Entwicklungen in der deutschen Wissenschaft des Staatsrechts aa) Von der formgebundenen Gegenzeichnung zur formlosen Billigung bb) Die Gegenzeichnung als Beweismittel cc) Die Gegenzeichnung als ëigentûmlicher Ausdruck der Verantwortlichkeit für Handlungen des Souveräns
22 24 24 26 26
I I I . Die Gegenzeichnung als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der monarchischen Regierungshandlung
27
1. Die notwendige Verbindung von Gegenzeichnung und Rechtmäßigkeit monarchischer Anordnungen — Die deutschen Verfassungen als Spiegelbilder ausländischer Vorbilder
27
8
Inhaltsverzeichnis 2. Die sachliche Bedeutungslosigkeit des Unterschieds zwischen Vollziehbarkeit und Gültigkeit 29 I V . Die Gegenzeichnung als Beglaubigung der Unterschrift des Landesherrn
31
B. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
31
I. Das protestantische Kirchenregiment
32
I I . Das Militärwesen
32
1. Die Verfassungspraxis
32
2. Die Haltung der Rechtswissenschaft
34
I I I . Weitere Grenzgebiete der Gegenzeichnung
36
C. Ministerverantwortlichkeit für Recht- und Zweckmäßigkeit
37
D. Formen der Ministerverantwortlichkeit
39
I. Der französische Weg zur parlamentarischen Verantwortlichkeit
39
I I . Das deutsche Beharren auf der gerichtsförmigen Verantwortlichkeit
42
I I I . Deutsche Vorformen parlamentarischer Verantwortlichkeit
45
E. Die Bedeutung der Gegenzeichnung i m deutschen Konstitutionalismus
47
I. Grundsätzliche Erwägungen über die Auswirkung der mangelhaften Bedeutung des Ministeranklageverfahrens
47
I I . Die Entwicklung in Frankreich: zögernde Parlamentarisierung der Regierung
47
I I I . Die Entwicklung in Belgien: die Gegenzeichnung als Fessel des Königs
48
I V . Der Einfluß der Theorien Constants auf die Stellung des Königtums in Belgien und Frankreich
49
V. Die Entwicklung in Deutschland: die Erfüllung des konstitutionellen Zwecks der Gegenzeichnung im Widerstreit zwischen Regierung und Parlament
50
Zweiter Teil Das Kaiserreich A. Der Sinngehalt der Gegenzeichnung
53
B. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
54
Inhaltsverzeichnis I. Formlose Handlungen, insbesondere Reden und andere Formen der Meinungsäußerung
54
1. Die Verfassungspraxis unter Kaiser Wilhelm I I
55
2. Die Stellungnahme der staatsrechtlichen Literatur
56
3. Würdigung der Rechtslage kaiserlicher Reden und sonstiger Formen der Meinungsäußerung
57
I I . Unterlassungen verfassungsmäßiger Pflichten — Anzeichen für einen Bedeutungswandel der Gegenzeichnung
58
I I I . Das Militärwesen
60
IV. Die Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers
60
V. Die Tätigkeit des Bundesrats
60
C. Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für Recht- und Zweckmäßigkeit
63
D. Die Form der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers
63
E. Die Bedeutung der Gegenzeichnung im Kaiserreich
67
I. Die Erfüllung des Zwecks der Gegenzeichnung unter Wilhelm I.
67
I I . Die Erfüllung des Zwecks der Gegenzeichnung unter Wilhelm I I .
68
I I I . Zusammenfassung
71
I V . Anhang: Die Gegenzeichnung als Gewähr der Unverletzlichkeit des Kaisers
72
Dritter Teil Die Weimarer Republik A. Der Sinngehalt der Gegenzeichnung I. Die Stimmen des Schrifttums
73 73
1. Die herkömmliche Auffassung
73
2. Die parlamentarische Auffassung
73
I I . Der historische Zweck des Art. 50 W R V
75
I I I . Der objektive Zweck des Art. 50 W R V 1. Der Zweck der Gegenzeichnung i m Aufbau der Reichsverfassung
76 76
a) Parlamentarische Elemente in der Reichsverfassung
77
b) Präsidiale Elemente in der Reichsverfassung
79
10
Inhaltsverzeichnis c) Das Verhältnis der parlamentarischen und der präsidialen Elemente — Der Reichspräsident als neutrale Gewalt 82 aa) Das schwankende Gleichgewicht zwischen Reichstag und Reichspräsident 82 bb) Der Reichspräsident als neutrale Gewalt 83 2. Der Zweck der Gegenzeichnung in der Verfassungswirklichkeit
87
a) Von Scheidemann zu Brüning
87
b) Von Brüning zu Hitler
93
IV. Zusammenfassende Betrachtung des Zwecks der Gegenzeichnung B. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
96 97
I. Ausgleichende und vermittelnde Tätigkeit des Reichspräsidenten ohne Anordnungen und Verfügungen 98 I I . Die Ernennung des Reichskanzlers
102
I I I . Die Ernennung und Entlassung der Reichsminister
103
IV. Die Ernennung der Reichsbeamten und anderes
103
V. Zusammenfassung
104
C. Die Bedeutung der Gegenzeichnung
Vierter
104
Teil
Der nationalsozialistische Staat A. Rechtsquellen der Mitzeichnung
107
B. Der Sinn der Mitzeichnung
107
I. Die Mitzeichnung als Ausdruck der Verantwortlichkeit gegenüber dem Führer 107 I I . Die Mitzeichnung: keine Voraussetzung für die Verbindlichkeit der Anordnung 108 C. Die Bedeutung der Mitzeichnung
109
Fünfter Teil Die Bundèsrepiiblik Α. Der Sinngehalt der Gegenzeichnung
110
I. Die Einwirkung von Prüfungs- und Mitwirkungsrechten des Bundespräsidenten auf den Sinngehalt der Gegenzeichnung 111
Inhaltsverzeichnis 1. Das Prüfungsrecht gebung
des Bundespräsidenten bei der Gesetz-
112
2. Die Verkündung des Verteidigungsfalls
113
3. Die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers
114
4. Die Ernennung und Entlassung der Bundesminister
115
5. Die Ernennung und Entlassung der Bundesrichter, Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffiziere 115 6. Zwischenergebnis
116
I I . Ermessensentscheidungen des Bundespräsidenten und der Sinngehalt der Gegenzeichnung 116 1. Die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten als Ermessensprüfung 116 2. Die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten als Ausdruck einer eigenen Entscheidung 118 I I I . Zusammenfassende Betrachtung des Zwecks der Gegenzeichnung 118 B. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
Literaturverzeichnis
122
124
Einleitung Seit dem Beginn des deutschen Konstitutionalismus am Anfang des 19. Jahrhunderts findet sich i n den meisten deutschen Verfassungen eine Bestimmung, die Anordnungen und Verfügungen des Staatsoberhaupts der Gegenzeichnung durch ein Mitglied der Regierung unterwirft 1 . Die Regierungsform hat sich seither mehrfach geändert, an die Stelle des monarchischen Staatsoberhaupts sind auf Zeit gewählte Repräsentanten des Volkes getreten. Die Kompetenzen haben sich verschoben. I n dem Augenblick, i n dem die staatsrechtliche Literat u r ihre Aufmerksamkeit der Gegenzeichnung wieder zuwandte 2 , mußte die Frage auftreten, ob dieses Rechtsinstitut i m Spannungsfeld der höchsten Staatsorgane seine ursprüngliche Bedeutung beibehalten hat 3 . Trotz der feststehenden A n t w o r t , die nur verneinend ausfallen konnte 4 , lohnt es sich, die Entwicklung der letzten 150 Jahre Schritt für Schritt zu verfolgen. Neben der W i r k u n g der Normen, die die Gegenzeichnung vorsahen, auf das politische Leben t r i t t klar hervor, wie sehr die politischen Wandlungen den Inhalt dieser Normen verändern konnten. Wenn man schließlich i n den zeitlichen Bereich des Grundgesetzes gelangt, stellen sich die Prüfungsrechte des Bundespräsidenten etwa i m Zuge der Gesetzgebung oder bei der Ernennung von Bundesministern und -beamten unter einem neuen Blickwinkel dar.
1
Zuerst: § 111 der Verfassung von Sachsen — Weimar — Eisenach vom 5. M a i 1816, abgedruckt bei Pölitz I 2, S. 774, zuletzt: Art. 58 Satz 1 GG. 2 Biehl, Die Gegenzeichnung im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971; Herzog, Entscheidung und Gegen-
zeichnung, Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970, S. 117 ff.; Kastner, Die Gegenzeichnung im deutschen Staatsrecht, Diss. Münster 1962; Pöttgen, Die Gegenzeichnung der Amtshandlungen des Bundespräsidenten nach Art. 58 des Grundgesetzes, Diss. Köln 1958; Schenck zu Schweinsberg, Die ministerielle Gegenzeichnung, Diss. Bonn 1961; Servatius, Die Gegenzeichnung von Handlungen des Bundespräsidenten, Diss. Köln 1960. s Herzog, Festschrift für Gebhard Müller, S. 117 ff. 4
Herzog, Festschrift, insbes. S. 126 ff.; Kastner, S. 27.
Erster Teil
Die Zeit der konstitutionellen Monarchie A. Der Sinngehalt der Gegenzeichnung Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs waren alle deutschen Staaten m i t Ausnahme der Hansestädte Monarchien. Abgesehen von beiden Mecklenburg gaben sie sich alle bis zur Gründung des Deutschen Reiches i m Jahre 1871 eine Repräsentativverfassung 1 . Die meisten dieser Verfassungen sahen die Gegenzeichnung oder „Kontrasignatur" ausdrücklich vor 2 . Aber auch dort, wo der Wortlaut der Verfassung schwieg, war es allgemeine Überzeugung, daß eine Anordnung des Landesherrn der Gegenzeichnung eines Ministers bedurfte 3 .
I . Vorfragen — Geschichtliche Wurzeln der konstitutionellen Bestimmungen über die Gegenzeichnung
Stellt man die Frage nach dem Sinn der Einführung des Kontrasignaturerfordernisses, scheint es nahezuliegen, auf ältere ähnliche Bestimmungen des deutschen Verfassungsrechts zurückzugehen. Aus einer Verordnung des Jahres 1668 läßt sich schließen, daß i n SachsenAltenburg schon damals die Kontrasignatur üblich war 4 . I n Hannover und Kursachsen lassen sich für 1673 und 1677 gegengezeichnete U r kunden nachweisen. I n Brandenburg ordnete Kurfürst Friedrich IV. die Gegenzeichnung i n der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Andere deutsche Staaten folgten bald darauf 5 . Trotzdem lassen sich aus den älteren Verfassungszuständen keine Schlüsse auf die Konstitutionen des 19. Jahrhunderts ziehen. Der deut1 Zum Begriff der Repräsentativverfassung vgl. Hub er, Verfassungsgeschichte I, S. 336 ff.
2 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 476 ff. 3 Für Süddeutschland: Hub er, Verfassungsgeschichte I, S. 339, für Frank-
reich: Lajerrière, 4
S. 175.
Dies ist allerdings nicht die historische Wurzel der Kontrasignatur überhaupt. Das erste bekannte gegengezeichnete Dokument stammt von dem römischen Kaiser Antoninus Pius aus dem Jahre 139 n. Chr., vgl. Biehl, S. 25.
s Frisch, S. 16.
. Der
ngeh
der Gegenzeichnung
15
sehe Konstitutionalismus lehnte sich nicht an historische Vorbilder an, sondern er stand unter dem Einfluß der Gedanken der französischen Revolution, die zum Teil auf dem Umweg über Belgien bei uns eindrangen 6 . Die Bedeutung ausländischer Gedanken w i r d beispielhaft klar, wenn man sieht, daß die preußische Verfassung von 1850 zum großen Teil aus der belgischen Verfassung von 1831 wörtlich übersetzt ist 7 und zu einem weiteren Teil nur geringfügige Änderungen an ihrem Vorbild vornimmt 8 . Belgien beeinflußte auch die Verfassungsgesetzgebung vieler anderer deutscher Staaten, insbesondere nach 18489. Die übrigen standen unter dem unmittelbaren Eindruck der französischen Verfassungen von 1791 und 181410. I I . Die Gegenzeichnung als Ausdruck der Ministerverantwortlichkeit
1. Die französische Verfassung
von 1791
a) Die Gegenzeichnung als M i t t e l zur Herstellung der Ministerverantwortlichkeit i m Montesquieuschen System der Gewaltenteilung Die französische Verfassung von 1791 stellte die Gegenzeichnung i n den Dienst einer Einrichtung, ohne die eine konstitutionelle Monarchie nicht denkbar war: der Ministerverantwortlichkeit 1 1 , die sich damals i n einen zuvor nicht berührten Raum auszudehnen begann. Der Minister übernahm die Verantwortung für Handlungen des Königs, während der Monarch selbst nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Die Übernahme der Verantwortung drückte sich i m allgemeinen i n einer Unterschrift des Ministers aus: der Gegenzeichnung, die neben der Unterschrift des Königs unter der jeweiligen Verfügung stand. Die einzelnen Züge der Ministerverantwortlichkeit waren i m Streit, teils 6 Eine unmittelbare Einwirkung des ungeschriebenen englischen Verfassungsrechts auf die deutschen Konstitutionen läßt sich dagegen nicht nachweisen, obwohl sie gelegentlich behauptet wird (so von Stein, S. 25). Von der mittelbaren Einwirkung über die französische Verfassungsgesetzgebung wird im passenden Zusammenhang die Rede sein.
7 Güissen, S. 68. 8
Preußen, Art. 44 Satz 2: Alle Regierungsakte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. — Belgien, Art. 64: Aucun acte du roi ne peut avoir d'effet, s'il n'est contresigné par un ministre, qui par cela seul s'en rend responsable. — (Über den erheblichen belg. Einfluß auf die preuß. Verfassung von 1850 i m allgemeinen vgl. Smend, Verfassungsur künde, S. 2.)
β Vgl. Marschall, Verantwortlichkeit, S. 482 ff. 10 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 476 ff. 11
Jaeger, Festschrift für Laforet, S. 155.
16
1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
von Anfang an, teils erst später, nachdem sie zunächst i m Dunkeln gelegen hatten und von ihren Schöpfern selbst nicht erkannt worden waren: wem gegenüber die Verantwortung bestand, wie sie geltend zu machen war und für welche Verstöße der Minister zur Rechenschaft gezogen werden konnte. K l a r war jedoch der Zweck der Einrichtung. Sie sollte der neu geschaffenen legislativen Gewalt eine Handhabe geben, die Befolgung der von ihr erlassenen Gesetze durch die Exekutive durchzusetzen. Die aus den 1789 einberufenen Reichsständen hervorgegangene französische Nationalversammlung hatte die i n der Theorie entwickelte Gewaltentrennung i n die Verfassung des Jahre 1791 aufgenommen. Aus zahlreichen Äußerungen von Abgeordneten ergibt sich, daß sie dabei unter dem Eindruck des Montesquieuschen Werks standen 12 , insbesondere seines Buches über den „Geist der Gesetze". Entsprechend dieser Schrift wurde der König Inhaber der exekutiven Gew a l t 1 3 . Die Legislative wurde dagegen einer von der Nation gewählten gesetzgebenden Versammlung anvertraut 1 4 . Montesquieu selbst hatte erkannt, daß ihr die Möglichkeit eingeräumt werden mußte, die Ausführung der Gesetze zu überwachen 15 . Der einfachste Weg, die Unverletzlichkeit der Gesetze zu gewährleisten, wäre es gewesen, den Monarchen selbst i n der Ausübung seiner Herrschergewalt zu überwachen und i h n für Verstöße verantwortlich zu machen. I n den ersten Jahren der Revolution lag ein derartiger Gedanke den Vertretern des Dritten Standes jedoch vollkommen fern. Zwar hatten A l t e r t u m und Mittelalter eine persönliche Verantwortung des Herrschers für seine Regierung gekannt 1 6 , und dieser Zustand hatte i n Deutschland bis zum Aufkommen des Absolutismus angehalten 17 . Aber die spätere Zeit sah die Person des Herrschers als heilig und unverletzlich an und schloß es daher auch aus, daß er i n die politische Diskussion gezogen wurde 1 8 . Montesquieu hatte den Gedanken der Unverletzlichkeit ohne weiteres übernommen 19 . Mirabeau wiederholte i h n vor der Nationalversamm12
Zitate bei Redslob, S. 232.
is Constitution du 3 - 13 septembre 1791, Titre I I I , Art. 4: Le gouvernement est monarchique: le pouvoir exécutif est délégué au Roi, pour être exercé, sous son autorité, par des ministres et autres agents responsables de la manière qui sera déterminé ci — après (nach Hélie, S. 273). 14 a.a.O., Art. 3 : Le pouvoir législatif est délégué à une Assemblée nationale composée de représentants temporaires librement élus par le peuple, pour être exercé par elle, avec la sanction du Roi, de la manière qui sera déterminée ci — après (nach Hélie , S. 272/3).
is Montesquieu, S. 216; Schenck, S. 21. ie Bischof, S. 25 ff.; Frisch, S. 118. 17 Pistorius, S. 7 ff. 18 Zum letzten Punkt: Sarwey, S. 77.
ι 9 Montesquieu, S. 216.
. Der
ngeh
17
der Gegenzeichnung
lung* 0 und schließlich gelangte er ausdrücklich i n den Verfassungstext 2 1 . Man stand also vor der Aufgabe, die überlieferte Unverletzlichkeit des Herrschers m i t der neu aufgekommenen Forderung nach Unverletzlichkeit der Gesetze i n Einklang zu bringen 2 2 . Aus dem Widerstreit der ebenbürtigen Gewalten des Königs und des Parlaments hatte der Schöpfer der Gewaltenteilung einen Ausweg vorgezeichnet: Die schlechten Ratgeber des Königs sollten der Volksvertretung haften 2 3 . Ziel mußte sein, daß man sich auf diese Weise auch gegen Rechtsverletzungen des Königs selbst sichern konnte. Man erreichte es, indem man ihn seiner vollen Handlungsfreiheit beraubte. Seine Anordnungen und Verfügungen bedurften von nun an der Gegenzeichnung eines Ministers, der die Verantwortlichkeit übernahm und der sich der Ausführung königlicher Befehle jederzeit durch Rücktritt entziehen konnte 2 4 . Die Gegenzeichnung wurde damit zum Hilfsmittel, die Ministerverantwortlichkeit zu begründen. Dem Parlament wurde eine Uberwachung der Regierung möglich. Es war also die Verwirklichung der Theorie Montesquieus i n der Verfassungswirklichkeit, die der Gegenzeichnung eine neue Aufgabe erschloß. b) Fehlender Einfluß Rousseaus Der Einfluß des zweiten großen Staatsdenkers jener Zeit, Rousseaus, auf die Rechtsetzungen der ersten Zeit der Revolution war viel geringer als der Montesquieus 25 . Die Nationalversammlung schied den Gedanken, daß die Exekutive ihre Befugnisse aus der Hand der Legislative empfangen habe — eine Fortführung des Gedankens von der volonté générale — aus ihrem Werk aus 26 . Die Verfassungsnormen, die das Verhältnis der obersten Staatsorgane zueinander regelten, lassen sich daher nicht aus der Theorie Rousseaus erklären. c) Fehlender Einfluß des englischen Staatsrechts Auch die Bedeutung des englischen Staatsrechts als Vorbild ist gering einzuschätzen. Allerdings gab es unter den Abgeordneten der 20 Frisch, S. 56. 21 Verfassung von 1791, Titre I I I , Chap. I I , Section I, Art. 2: La personne du Roi est inviolable et sacrée.
22 Montesquieu, S. 216. 23 D.ers., ebd. 24 Letzteres einhellige Auffassung, vgl. Schulze-Gaevernitz,
25 Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 10. 26 Redslob, S. 243. 2 Schulz
S. 680.
18
1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
Nationalversammlung eine sogenannte englische Schule, die i m ersten Verfassungsausschuß des Jahres 1789 die Mehrheit stellte. Sie hatte jedoch von den politischen Verhältnissen i n England kein zutreffendes Bild27. I n England hatte i m Mittelalter eine Ministerverantwortlichkeit bestanden, die sich aus der Siegelung 28 oder der Gegenzeichnung königlicher Verfügungen ergeben konnte 2 9 . Das Unterhaus konnte sie durch Anklage (impeachment) vor dem Oberhaus geltend machen 30 . I m 18. Jahrhundert w a r diese Form weitgehend überholt. Die Anklage gegen Melville i m Jahre 1806 war nicht mehr kennzeichnend für die englische Ministerverantwortlichkeit. Danach wurde das Verfahren überhaupt nicht mehr angewendet 31 . Spätestens seit Georgi, den Thron bestieg, w a r ein allmählicher Niedergang der königlichen Macht erkennbar. Der Monarch war von der Liberalen Partei, die i h m die Krone verschafft hatte, abhängig 32 . Dieser Umstand, die mangelhaften Kenntnisse des Herrschers i n der englischen Sprache 33 und der englischen öffentlichen Angelegenheiten hinderten ihn, sinnvoll an den Regierungsgeschäften teilzunehmen. Auch schien er dazu wenig Neigung zu besitzen 34 . Schon bald nahm er an Kabinettssitzungen nicht mehr teil 3 5 . Die Minister wurden von i h m unabhängig 3 6 . Die Regierung des Liberalen Sir Robert Walpole i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildete bereits ein Beispiel für eine auf eine Partei gestützte Regierung 37 . Die stigte ment. gegen
Lockerung des Bandes zwischen König und Kabinett begündie Entstehung neuer Bindungen zwischen Kabinett und ParlaZunächst wurde es dem Herrscher unmöglich, eine Regierung den W i l l e n des Parlaments zu berufen 3 8 . Dann sah sich Georg I I I .
27 Chevallier , S. 54; Gneist, S. 710. 28
Die Siegelung stand dabei im Vordergrund. (Biehl, S. 26 mit weiteren Nachweisen.)
29 Hatschek, Verfassungsgeschichte, S. 245 u. 657. so Ders., S. 245.
31 Frisch, S. 48. 32 Turner, S. 94. 33 Maitland, S. 397; Turner, S. 94. 34 Turner, S. 94. 35 Keir, S. 318; Maitland, S. 397; Marchant, S. 205; Turner,
S. 94. Nach dem
zuletzt genannten Autor war der König wahrscheinlich nach einer gegenteiligen Übung seiner ersten Regierungsjähre in den Sitzungen des engeren Kabinetts (committee of the council of cabinet) und des weiteren Kabinetts (cabinet council) abwesend.
36 Turner, S. 96. 37 Maitland, S. 395. 38 Turner, S. 39.
Α. Der Sinngehalt der Gegenzeichnung
19
nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gezwungen, gegen seinen Wunsch ein dem W i l l e n des Parlaments entsprechendes Kabinett zu bilden 3 9 . Obwohl diese Entwicklung nicht ohne gegenläufige Bewegungen erfolgte 4 0 , war die Leitung der englischen Regierungsgeschäfte beim Ausbruch der französischen Revolution weitgehend auf das K a binett übergegangen. Es war überdies i n zunehmende Abhängigkeit vom Parlament geraten 41 . Die Begründung einer Verantwortlichkeit für Handlungen des Königs war nicht mehr so dringend wie für Maßnahmen der Minister selbst. U m eine Verantwortlichkeit für die Regierung zu erreichen, war der Umweg über Siegelung und Anklage vor dem Oberhaus nicht mehr nötig 4 2 . Der Sturz des Kabinetts über den Verlust der Parlamentsmehrheit war wirksamer 4 3 . So kann es nicht verwundern, daß i n den englischen Darstellungen der Verfassungsgeschichte jener Epoche Erörterungen der Bedeutung der Gegenzeichnung fehlen. Während die sogenannte englische Schule glaubte, sich am englischen Muster auszurichten, hing sie i n Wirklichkeit einer klaren Trennung der Gewalten an, die den Engländern fremd w a r 4 4 . Die V e r w i r r u n g zeigt sich deutlich daran, daß Montesquieu seine Gewaltenteilungslehre i n einem Kapitel über die englische Verfassung entwickelte und dam i t den Anschein erweckte, er beschreibe einen englischen Verfassungszustand. Der Inhalt des Kapitels schließt es nicht aus, daß Montesquieu selbst einem I r r t u m erlegen war. Bevor der Zusammenhang der Gegenzeichnung m i t der Ministerverantwortlichkeit i n der zweiten für die deutsche Entwicklung bedeutenden französischen Verfassung, der Charte constitutionnelle von 1814, untersucht wird, ist ein kurzer Blick auf die Verfassungsurkunden zu werfen, die einander i n Frankreich zwischen 1791 und 1814 i n rascher Folge ablösten. 2. Die Konsulatsverfassung des Jahres 1799 und ihre Vorgängerinnen A m 10. August 1792 entfiel m i t der Suspendierung der Regierungsgewalt des Königs die Grundlage für die Anwendung des ein Jahr 39 Marcham, S. 213 f. 40 A m Anfang der Regierung König Georgs I I I . erfuhr der König einen Machtzuwachs (Turner, S. 343).
4
1 Maitland, S. 397; Marcham, S. 213/4; Redslob, S. 253.
42
Dies wird von Stein (S. 20/21) nicht hervorgehoben, obwohl es im Zusammenhang unbedingt nötig wäre.
« Ähnlich: Gneist, S. 690; Hatschek, Verfassungsgeschichte, S. 660. 44 Keir, S. 295/6. 2*
20
1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
zuvor geschaffenen Grundgesetzes. Der Nationalkonvent rief die Repub l i k aus u n d schuf die niemals angewendete 45 Verfassung v o m 24. Juni 1793 46 , die die zentrale Staatsgewalt einem Legislativ- und einem Exekutivrat übertrug 4 7 . Der Legislativrat wählte den Exekutivrat 4 8 . Eine Gewaltenteilung kannte die Verfassung nicht. Es ist nicht verwunderlich, daß sie auch keine Gegenzeichnung vorsah; denn die Legislative konnte die Exekutive uneingeschränkt überwachen. Das einfach auf Uber- und Unterordnung beruhende Verhältnis beider Gewalten bedurfte keiner mittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten, wie sie die Kontrasignatur eröffnete. Die Konstitution vom 22. August 1795 49 führte Gewaltenteilung und Gegenzeichnung 50 wieder ein. Gegenzeichnung und Ministerverantwortlichkeit standen jedoch i n keinem Zusammenhang. Die Verfassung war umständlich angelegt, scheiterte endgültig m i t dem Staatsstreich Bonapartes und blieb ohne ersichtlichen Einfluß auf Deutschland. V o n größerer Bedeutung w a r die Konsulatsverfassung von 1799 51 , die sich 1804 nach einer Volksabstimmung i n die Verfassung des französischen Kaisertums verwandelte. Theoretisch sah auch sie eine umständliche Form der Gewaltentrennung vor und knüpfte Regierungsakte an die Gegenzeichnung eines Ministers 5 2 . I h r A r t i k e l 55 beeinflußte die W o r t w a h l für die entsprechende belgische Verfassungsbestimmung 5 3 , deren Bedeutung für die Entwicklung i n Deutschland schon angedeutet worden ist 5 4 . E i n weitergehender Einfluß kann jedoch nicht angenommen werden. Die ursprünglich von Sieyès entworfene Verfassung erlitt einschneidende Umgestaltungen durch Bonaparte, noch bevor sie i n K r a f t trat. I n der Praxis diente sie lediglich als Fassade für die D i k t a t u r des Ersten Konsuls und konnte i n dieser F o r m kein V o r b i l d für die ganz anders gearteten Verhältnisse der konstitutionellen Monarchie sein 5 5 .
« Hélie, S. 1; Lepointe, S. 58. 46 Helte, S. 376 ff. 47 Constitution de la République française du 24 juin 1793, Acte con-
stitutionnel, Art. 39 ff. (.Hélxe , S. 380 f.), Art. 62 ff. (Hélie, S. 381 f.). 48 a.a.O., Art. 63 (Hélie, S. 381). 4» Hélie, S. 436 ff.
50 Art. 143: I l (le Directoire exécutif) se choisit hors de son sein un secrétaire qui contre — signe les expéditions (nach Hélie, S. 449).
si Hélie, S. 577 ff. 52 Art. 55 : Aucun acte du gouvernement ne peut avoir d'effet, s'il n'est signé par un ministre. 53 Vgl. Anm. 8. 54 Vgl. oben I. 55 Vgl. zu Theorie und Praxis der Verfassung von 1799 Laferrière, S. 120 ff.
. Der
ngeh
der Gegenzeichnung
21
3. Die Charte (1814) Die Charte constitutionnelle des Jahres 1814 hatten w i r als die zweite ausländische Verfassungsurkunde bezeichnet, die i n großem Maße unmittelbar auf Deutschland einwirkte. I m Gegensatz zu den übrigen Vorbildern unserer Gesetzgebung enthält sie keine Bestimmung über die Gegenzeichnung. Tatsächlich wurden aber während ihrer Geltung alle Anordnungen des Königs gegengezeichnet 56 , und hierin liegt einer der Gründe, daß sie die Entwicklung der Kontrasignatur beeinflussen konnte. Es ist daher wichtig, daß sich nach 1814 i n Frankreich erneut ein Zusammenhang zwischen Gegenzeichnung und M i n i sterverantwortlichkeit herausbildete. Daneben kamen auch Sinngehalte des Kontrasignaturerfordernisses ins Bewußtsein zurück, die noch aus der Zeit des Absolutismus stammten: Die Unterschrift des M i n i sters sollte die Echtheit der vom König ausgefertigten Urkunde beglaubigen und die Durchführung des königlichen Befehls sichern 57 . Die Wiederkehr vorkonstitutionellen Gedankenguts entsprach der Wiederkehr von Institutionen der vorrevolutionären Zeit, diente doch die Charte der Restauration des Königtums und der Rückkehr der Bourbonen. Aber die Zeit des Absolutismus war vorüber. Die neue königliche Verfassung sah die Ministerverantwortlichkeit ausdrücklich vor 5 8 . Die Gegenzeichnung hatte schon 1791 als einfaches und augenfälliges M i t t e l gedient, die Verantwortlichkeit des Ministers zum Ausdruck zu bringen und den Monarchen von jeder Verantwortung freizuhalten 59 . Auch die unter der Charte geübte Kontrasignatur wurde als ein A k t verstanden, der die Unverletzlichkeit des Königs besiegelte 60 . Die Entwicklung sollte sogar bald über die i n dem Werk von 1791 niedergelegten Gedanken hinausgehen, indem dem König die Freiheit i n der Auswahl seiner Minister verlorenging 6 1 . 4. Die belgische Verfassung Das letzte ausländische Vorbild der deutschen Konstitutionen war die 1831 entstandene belgische Verfassung. Von ihrer Anlehnung an die Wortwahl der französischen Konsulatsverfassung i n dem für die Gegenzeichnung maßgeblichen A r t i k e l 64 und von ihrem Einfluß auf die preußische Verfassungsgesetzgebung war schon die Rede 62 . se Laferrière , S. 175. 57 Oers., ebd. 58 Verfassung vom 4. Juni 1814, Art. 13: La personne du roi est inviolable et sacrée. Ses ministres sont responsables (nach Hélie, S. 884 ff.). 59 Vgl. oben 1. a).
60 Laferrière, ei Chevallier,
S. 175. S. 188; Laferrière,
62 Vgl. oben I. und I I . 2.
S. 176.
22
1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
Anders als die Konsulatsverfassung Bonapartes gewann die belgische Verfassungsurkunde wirkliches Leben. I h r Einfluß i n Deutschland ging über Preußen weit hinaus. Er läßt sich am ehesten an der Verknüpfung nachweisen, die deutsche Verfassungstexte zwischen der Kontrasignatur und der Wirksamkeit monarchischer Anordnungen vornehmen. 5. Die deutschen Repräsentativverfassungen a) Die deutsche Verf assungsgesetzgebung unter dem Eindruck französischer Texte I n Deutschland standen nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Staatensystems großenteils keine Verfassungsurkunden i n Kraft. Nur wenige altständische Verfassungen hatten das Zeitalter des Absolutismus überdauert 6 3 . Für das konstitutionelle Gedankengut, wie es sich i n Frankreich entwickelt hatte, bestand die Aussicht, nach der Erschütterung des absoluten Staates durch die französische Revolution Fuß zu fassen. Hierbei w i r k t e n das Interesse des Bürgertums an einer angemessenen Beteiligung am politischen Leben und das Interesse der deutschen Landesherren an einer Verschmelzung ihrer vielfach neuerworbenen Gebiete zusammen. Die Einrichtung von Volksvertretungen bot sich als M i t t e l an, ein einheitliches Staatsbewußtsein zu schaffen 6 4 . I n verschiedenen kleineren Ländern bildeten sich allerdings erneut altständische Verfassungen, unter deren Geltung eine etwa geübte Gegenzeichnung ihre i n Frankreich gewonnene Bedeutung nicht finden konnte, weil die Verfassungen keine Ministerverantwortlichkeit kannten 6 5 . Auch dort, wo moderne Repräsentativverfassungen zustandekamen, nahmen besonders die Bestimmungen über die Wahl der Volksvertreter und die Zusammensetzung der zweiten Kammer häufig noch eine Trennung des Staatsvolks i n Stände vor 6 6 . Kennzeichnend für den Konstitutionalismus war jedoch die Einrichtung eines verantwortlichen Ministeriums. Unter den ersten i n diesem Sinne modernen Verfassungsurkunden heben einige den Zusammenhang zwischen Ministerverantwortlichkeit es Ubersicht: Hub er, Verfassungsgeschichte I , S. 656.
64 Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 317. 65
z.B.: Fürstentum Waldeck, Verfassungs- und Organisationsdekret vom 28. Januar 1814, Pölitz 12, S. 1107 ff.; Fürstentum Liechtenstein, Verfassung vom 9. November 1818, Pölitz, S. 1092 ff.; Fürstentum Lippe, Landständische Verfassungsurkunde vom 8. Juni 1819. 6β Bayern, Verfassungsurkunde vom 26. M a i 1818, Sechster Titel, §§7 ff., Hub er, Dokumente I, S. 150. Württemberg, Verfassung vom 25. September 1819, §§133 ff., Huber, Dokumente I, S. 185 ff.
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der Gegenzeichnung
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u n d Gegenzeichnung n i c h t h e r v o r , s o n d e r n ü b e r g e h e n i m G e g e n t e i l die Gegenzeichnung m i t S c h w e i g e n 6 7 . Sie e r w ä h n e n n u r die M i n i s t e r v e r a n t w o r t l i c h k e i t 6 8 u n d s t i m m e n d a r i n m i t d e r französischen C h a r t e v o n 1814 ü b e r e i n 6 9 . Ebenso w i e i n F r a n k r e i c h d i e n t e i n diesen S t a a t e n die Gegenzeichnung g l e i c h w o h l dazu, die V e r a n t w o r t l i c h k e i t d e r M i n i s t e r z u m A u s d r u c k zu b r i n g e n 7 0 . I n d e n meisten, besonders d e n späteren V e r f a s s u n g e n f i n d e t die K o n t r a s i g n a t u r ausdrückliche E r w ä h n u n g 7 1 . D e r Z u s a m m e n h a n g m i t der V e r a n t w o r t l i c h k e i t t r i t t i n m a n c h e n T e x t e n sehr k l a r h e r v o r 7 2 . A u c h d e r Satz v o n der U n v e r a n t w o r t l i c h k e i t des M o n a r c h e n f i n d e t sich w i e d e r 7 3 . 67 Bayern (1818), Huber, Dokumente I, S. 141 ff. Baden, Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 (in ihrer bis 1868 gültigen Fassung), Hub er, Dokumente, S. 157 ff. Großherzogtum Hessen, Verfassungsurkunde vom 17. Dezember 1820, Pölitz 12, S. 677 ff. 68 Bayern, Zehnter Titel, §4, Huber, Dokumente I, S. 155; Ghztm. Hessen, Art. 109, Pölitz 12, S. 688; ohne das Wort „Verantwortlichkeit" zu benutzen, auch: Baden, Art. 67 Satz 4, Huber, Dokumente I, S. 165/6. β» Vgl. oben 3. 70 Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 339; Zoepfl, S. 421; für Baden: Walz, S. 33; für Ghztm. Hessen: Calker, S. 29. 71 Die nachstehende Übersicht soll das Auffinden von Verfassungsnormen über die Gegenzeichnung erleichtern, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Sachsen — Weimar — Eisenach, 5. M a i 1816, § 111, Pölitz 12, S. 774; Sachsen — Hildburghausen, 19. März 1818, §53 Abs. 1, Pölitz 12, S. 793; Württemberg, 25. September 1819, § 51, Huber, Dokumente I, S. 176/7; Braunschweig, 25. April 1820, § 32, Frisch, S. 67/8; Sachsen — Meiningen — Hildburghausen, 23. August 1829, Art. 103, Pölitz 12, S. 851; Kurhessen, 5. Januar 1831, §108, Huber, Dokumente I, S. 216/7; Sachsen — Altenburg, 29. April 1831, §36, Pölitz 12, S. 862; Kgr. Sachsen, 4. September 1831, §43, Huber, Dokumente I, S. 229/30; Braunschweig, 12. Oktober 1832, §155, Pölitz 12, S. 1214; Anhalt — Dessau, 29. Oktober 1848, §§55, 70 (nach Frisch, S.78ff.); Preußen, 5. Dezember 1848, Art. 42, Huber, Dokumente I, S. 389; Gotha, 25. März 1849, §94 (nach Frisch, S. 78 ff.); Schwarzburg — Sondershausen, 12. Dezember 1849, §67, Zachariä, S. 992; Preußen, 31.Januar 1850, Art. 44, Huber, Dokumente I, S. 405; Anhalt — Bernburg, 28. Februar 1850, §82, Zachariä, S. 970; Sachsen — Weimar — Eisenach, 15. Oktober 1850, §47, Zachariä, S. 510; Reuß j. L., 14. April 1852, §§ 107 - 116 (nach Frisch, S. 78 ff.); Sachsen — Koburg — Gotha, 3. M a i 1852, §§ 22 u. 167, Zachariä, S. 656 u. 676; Oldenburg, 22. November 1852, Art. 12, Zachariä, S. 902/3; Schwarzburg — Rudolstadt, 21. März 1854, §5, Zachariä, S. 1018; Waldeck, 17. August 1852, §5, Zachariä, S. 1095; Baden (nach Einfügung des Abschnitts I V a der Verfassung durch Ges. vom 20. Februar 1868 — RegBl. 423 —), § 67 g, Huber, Dokumente I, S. 167. 72 Besonders eindrücklich z.B.: Sachsen — Weimar — Eisenach, 1816, § 111 (Pölitz I 2, S. 774) : . . . Alle Verordnungen, Patente, Edikte . . . müssen . . . von dem Chef des Departements im Staatsministerium . . . in der Reinschrift der Ausfertigung zum Zeichen der Verantwortlichkeit des Ministers für die Zweckmäßigkeit und Übereinstimmung der Verfügung mit den Gesetzen und der Verfassung des Landes kontrasigniert werden; ähnlich Kgr. Sachsen, § 43 Abs. 1 (Huber, Dokumente I, S. 229). 73 z.B.: Kurhessen, §10 (Huber, Dokumente I, S.203); Kgr. Sachsen, §4 Abs. 1 Satz 2 (Huber, Dokumente, S. 224); Hannover, §6 Abs. 2 (Altmann, S. 142); Preußen (1850), Art. 43 (Huber, Dokumente I, S.405).
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie b) Entwicklungen i n der deutschen Wissenschaft des Staatsrechts
aa) Von der formgebundenen Gegenzeichnung zur formlosen
Billigung
Der staatsrechtlichen Literatur der damaligen Zeit waren die A b kehr von historischen deutschen Vorbildern und die Anknüpfung an ausländische Gedanken w o h l bewußt. Die Gegenzeichnung wurde als rettender Ausweg angesehen, der die fehlende Verantwortlichkeit des Monarchen m i t einer wesentlichen Forderung des Rechtsstaats i n Einklang bringen konnte: der Forderung, für alles staatliche Handeln eine lückenlose Verantwortlichkeit zu schaffen 74 , die nicht nur gegenüber dem Landesherrn 7 5 , sondern i n der einen oder anderen Form gegenüber der Volksvertretung bestand 76 . Der Wortlaut der Verfassungsurkunden erweckte vielfach den Eindruck, als wäre die Gegenzeichnung das Mittel, die Verantwortlichkeit eines Ministers zu begründen 77 und als könnte sie auf keine andere Weise Zustandekommen. Bald stellte sich jedoch heraus, daß man m i t einem derartigen Verständnis die angestrebte Lückenlosigkeit nicht erreichen konnte. Man stieß auf Handlungen des Monarchen, die einer Gegenzeichnung nicht zugänglich waren. Hierunter fielen alle politisch erheblichen mündlichen Äußerungen 7 8 . Auch wenn der Landesherr eine Handlung unterließ, zu der er nach der Verfassung verpflichtet war, war seine Unterlassung nicht gegenzeichnungsfähig. Es gab außerdem Handlungen der Minister, die es nahelegten, eine Verantwortlichkeit an sie zu knüpfen, ohne daß es zu einer Kontrasignatur gekommen wäre. Hier ist an den Fall zu denken, daß eine politische Entscheidung einem Kabinettsbeschluß aller Minister unterworfen w i r d , die Anordnung nach außen aber nur von dem Monarchen und dem zuständigen Ressortminister unterzeichnet w i r d 7 9 . Der Fall ließ die Forderung auftauchen, nicht nur den Minister verantwortlich zu machen, der die Anordnung gegengezeichnet hatte, sondern alle, die an dem Beschluß m i t g e w i r k t hatten. Eine ähnliche Lage entstand, wenn der Ministerpräsident eine Amtshandlung eines Ministers duldete, die das ganze politische System der Regierung beeinflußte oder, u m einen modernen Ausdruck zu 74 Marschall, Handbuch, S. 530; ders., Verantwortlichkeit, S. 10 u. 17; Pistorius, S. 22; Samuely, S. 57. 75 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 528. 76 Frisch, S. 34; Rönne, Preuß. Staatsrecht, S. 153; Sarwey, S. 78; Walz, S. 33. 77 Vgl. Verfassung von Württemberg, 1819, § 51, Huber, Dokumente S. 176/7; in diesem Sinne auch Hatschek, Verfassungsgeschichte, S. 712/3.
78 Frisch, S. 22, 198 u. 365. 79 Frisch, S. 203.
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benutzen, i n die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs fiel. I n einem solchen Fall stellte sich die Frage nach der Verantwortung des Ministerpräsidenten, auch wenn er selbst keine Unterschrift geleistet hatte 8 0 . Die Staatsrechtslehre hätte den i n den Verfassungsurkunden enthaltenen Satz, daß die Gegenzeichnung die Verantwortlichkeit herbeiführe, dahin umkehren können, daß es ohne Gegenzeichnung keine Verantwortlichkeit gebe. Alle genannten Fälle wären dann aus dem Bereich verantwortlichen politischen Handelns herausgefallen. Die Literatur nahm sie jedoch zum Anlaß, den Gedanken von der Begründung der Verantwortlichkeit durch die Gegenzeichnung kritisch zu überprüfen und kam zu dem Ergebnis, daß die Verantwortlichkeit auch ohne Gegenzeichnung entstehen könne 8 1 . Daher bejahte sie die Ministerverantwortlichkeit auch i n Fällen, i n denen eine Gegenzeichnung nicht möglich w a r 8 2 . Die Lehre mußte daher erklären, w o r i n sie nun den Entstehungsgrund der Verantwortlichkeit sah. Ein erster Erklärungsversuch erblickte ihn i n der M i t w i r k u n g des Ministers an einer Handlung des Monarchen 83 . Die Gegenzeichnung erschien als eine mögliche, aber nicht als die einzige Mitwirkungsform, die zur M i n i sterverantwortlichkeit führen konnte. Bei einem mündlichen Regierungsakt konnte die M i t w i r k u n g i n der formlosen Einwilligung des Ministers liegen. Offen blieb, w o r i n sie zu finden sein sollte, wenn der Minister erst nachträglich die Verantwortung für eine Erklärung des Monarchen übernahm. Dies geschah i n bedeutenden Zusammenhängen unter der Regierung Kaiser Wilhelms I I . 8 4 . Von einer M i t w i r k u n g des Reichskanzlers, der von den Äußerungen des Kaisers selbst überrascht wurde, konnte man schlecht sprechen. Als eigentliche Quelle der Verantwortlichkeit muß man daher die Billigung der Regierungshandlung des Herrschers durch den Minister ansehen. Sie konnte i m voraus dadurch erklärt werden, daß der M i n i ster beim Monarchen die Vornahme der betreffenden Handlung beantragte, oder nachträglich durch die Ausführung einer Regierungshandlung, die der Monarch angeregt hatte. Beide Male kam die Billigung i n der Gegenzeichnung zum Ausdruck, wenn eine Urkunde auszufertigen war. Aber auch konkludentes Verhalten konnte die Billigung deutlich machen. Es reichte aus, daß der Minister i m A m t blieb, nachdem er von einer politisch erheblichen Handlung erfahren hatte, die der Landesherr ohne seine M i t w i r k u n g vorgenommen hatte 8 5 . I n dieso Mohl, Verantwortlichkeit, S. 117. ei Frisch, S. 366; Marschall, Verantwortlichkeit, S.553. 82 Mohl, Verantwortlichkeit, S. 117; Marschall, Verantwortlichkeit, S.553.
83 Samuely, S. 62; Zoepfl, S. 421 f.
84 Unten Zweiter Teil, Β I. 85 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 555/6.
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
sem Zusammenhang w i r d besonders deutlich, w a r u m dem Minister das Recht zustand, jederzeit seine Entlassung zu verlangen 8 6 . bb) Die Gegenzeichnung
als Beweismittel
Wenn die konstitutionellen Verfassungen zunächst den Eindruck erweckten, als knüpften sie die ministerielle Verantwortung an die Gegenzeichnung, so ergab sich durch die Überlegungen i n der Staatsrechtswissenschaft, daß die Verantwortlichkeit i m Grunde von der Kontrasignatur unabhängig war. Trotzdem entstünde ein falsches Bild, wenn man die Kontrasignatur aus diesem Grunde lediglich als eine zweitrangige Förmlichkeit ansehen wollte. Man braucht sich nur vor Augen zu führen, i n welch hohem Maße es üblich gewesen ist, Anordnungen und andere politisch bedeutsame Äußerungen zu beurkunden und damit die Voraussetzung für eine Gegenzeichnung zu schaffen. Vor allem aber war die Gegenzeichnung die sichtbarste Form der Billigung eines Herrscherakts. Die Teilnahme eines Ministers an einem Kabinettsbeschluß ließ sich bestreiten; der Minister konnte seine Kenntnis von einer mündlichen Äußerung des Monarchen leugnen; der Ministerpräsident konnte vorgeben, er habe von einer bedenklichen Handlung eines Ministers nichts gewußt. Durch rechtzeitigen Rücktritt konnten sich die Verantwortlichen Angriffen entziehen, die sich auf i h r Verbleiben i m A m t und die darin zu erblickende konkludente Billigung der angegriffenen Handlung stützten. A l l e derartigen Ausflüchte waren ausgeschlossen, wenn sich die Billigung sichtbar i n der Gegenzeichnung einer Urkunde ausdrückte. So gering also die theoretische Bedeutung der Kontrasignatur bei der Begründung der Ministerverantwortlichkeit sein mochte, so schwer wog ihre praktische Bedeutung. Zu Recht vergleicht Marschall von Bieberstein die Ausstellung der Gegenzeichnung m i t der Ausstellung eines Schuldscheins. Wenn die Verantwortlichkeit schon durch eine formlose Billigung begründet worden war, schuf die Ausstellung der Urkunde ein hochbedeutsames Beweisstück 87 . cc) Die Gegenzeichnung als eigentümlicher Ausdruck der Verantwortlichkeit für Handlungen des Souveräns Hat sich die Gegenzeichnung damit als die wichtigste Ausdrucksform der Verantwortlichkeit des Ministers für eine Anordnung des Landesherrn gezeigt, so muß abschließend noch auf einen anderen Entstehungsgrund der Verantwortlichkeit hingewiesen werden, u m die Grenzen der Bedeutung des hier untersuchten Instituts zu klären. ββ Frisch, S. 194 ff. 87 Ebenso: Seydel, Staatsrecht, S. 76.
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Einige Autoren bejahen die auch von uns erkannte theoretische U n abhängigkeit der Verantwortlichkeit von der Gegenzeichnung, w e i l die Minister sonst nur für die Erfüllung der Pflichten des Landesherrn, nicht aber für die Erfüllung eigener Pflichten und solcher ihrer Untergebenen verantwortlich wären 8 8 . Hier w i r d die Verantwortlichkeit für einen Bereich angeschnitten, i n dem der Minister u n d die i h m nachgeordneten Beamten selbständig handeln. Sie ist von der Verantwortlichkeit für Handlungen des Monarchen zu unterscheiden. Der Hinweis auf die mögliche Verletzung eigener Pflichten des Ministers ist irreführend; denn i h m liegt die Vorstellung zugrunde, daß sich an zwei verschiedene Tatbestände — Gegenzeichnung und Verletzung eigener Rechtspflichten — nicht die gleiche Rechtsfolge, nämlich eine gleichartige Haftung knüpfen kann. Tatsächlich gestalteten die konstitutionellen Verfassungen die Verantwortlichkeit i n beiden Fällen gleich. Das w i r d bei der Erläuterung der Formen der Verantwortlichkeit noch i m einzelnen zu zeigen sein. Trotz der gleichartigen Verantwortlichkeit ist die Unterscheidung zwischen dem Tatbestand der Billigung einer Handlung des Herrschers und einer selbständigen Amtshandlung des Ministers bedeutungsvoll. Nur der Monarch ist unverletzlich. Nur für seine Handlungen muß daher eine weitere Person hinzugezogen werden, u m trotzdem eine Verantwortung zu begründen. I n dem Zuwachs, den die Übernahme der Verantwortlichkeit für Handlungen des Souveräns enthielt, ist daher der wesentlichste Unterschied zu früheren Formen der Ministerverantwortlichkeit zu erblicken 89 . Selbständige Amtshandlungen mochten die gleiche Rechtsfolge auslösen. Die Gegenzeichnung konnte aber nur für den neu erschlossenen Bereich Bedeutung gewinnen. I I I . Die Gegenzeichnung als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der monarchischen Regierungshandlung
2. Die notwendige Verbindung von Gegenzeichnung und Rechtmäßigkeit monarchischer Anordnungen — Die deutschen Verfassungen als Spiegelbilder ausländischer Vorbilder Bisher hat sich ergeben, daß die Gegenzeichnung darauf zielte, eine Verantwortlichkeit für Handlungen des unverantwortlichen Staatsoberhaupts zu begründen oder doch sinnfällig zum Ausdruck zu bringen. Hatte ein Minister die monarchische Regierungshandlung gebilligt, so konnte er für sie zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Möglichkeit ss Pistorius, S. 164/5; Samuely, S. 60. 89 Bischof, S. 30.
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
hätte wenig genützt, wenn der Herrscher sich der Gegenzeichnung hätte entziehen und Anordnungen auch ohne sie hätte erlassen können. Nach einhelliger Auffassung w a r i h m ein solches Vorgehen auch i n den Staaten verwehrt, deren Konstitutionen die Gegenzeichnung nicht ausdrücklich erwähnten 9 0 . Eine fürstliche Anordnung ohne Kontrasignatur war ungültig. I n der Verbindung von Gegenzeichnung und Gültigkeit lag erst die Gewähr dafür, daß für alle staatsrechtlich erheblichen Vorgänge i m Bereich der Exekutive eine verantwortliche Person auffindbar war. Die Verknüpfung fand sich bereits i n dem französischen Verfassungsgesetz vom 1. Oktober/3. November 1789 91 . Sie gelangte auf dem U m weg über ein Gesetz über die Organisation des Ministeriums 9 2 i n die Verfassung vom 3. September 179 1 9 3 . Die Konsulatsverfassung des Jahres 1799 stellte den gleichen Zusammenhang her 9 4 , ebenso die 1831 entstandene belgische Verfassung 95 . Wenn die Charte der wiederhergestellten Bourbonenmonarchie schwieg, so lag das daran, daß die Gegenzeichnung unter ihrer Geltung ohne ausdrückliche Vorschrift geübt wurde 9 6 . Die deutschen Verfassungsgesetzgeber griffen die französischen u n d belgischen Vorbilder auf, und an diesem Punkt t r i t t der Zusammenhang zwischen ausländischem V o r b i l d und deutscher Übernahme des Gedankens klar zutage, da die Wortwahl der Vorlage erkennbar i n der Nachahmung wiederkehrt. Das gilt natürlich nicht für die Verfassungen, die über die Gegenzeichnung oder doch über die Folgen ihres Fehlens nichts aussagen 97 . Aber auch sie spiegeln eine bestimmte französische Verfassungsurkunde wider, nämlich die Charte von 1814/1815. Es handelt sich bei dieser Gruppe fast ausnahmslos u m Verfassungen, die i n den ersten beiden Jahrzehnten nach 1814 i n K r a f t traten 9 8 . »o Oben, I I . 5. a. 91 Art. 18: . . . aucun ordre du Roi ne pourra être exécuté s'il n'a été signé par Sa Majesté et contre — signé par un secrétaire d'Etat ou par l'ordonnateur du département (nach Hélie , S. 45). 92 Loi portant organisation du ministère, art. 24, Hélie , S. 224. 93 Titre I I I , Chapitre I I , Section IV, Art. 4: Aucun ordre du Roi ne pourra être exécuté s'il n'est signé par lui et contre — signé par le ministre ou l'ordonnateur du département (nach Hélie , S. 281). 94 Art. 55, vgl. oben Anm. 52. 95 Vgl. oben Anm. 8. 9 « Oben I I . 3. 97 Vgl. Anm. 67 — Vorschriften über die Folgen einer fehlenden Gegenzeichnung sind auch z.B. in folgenden Verfassungen nicht vorhanden: Sachsen — Weimar — Eisenach, 1816; Sachsen — Hildburghausen, 1818; Württemberg, 1819; Sachsen — Meiningen, 1829; Sachsen — Altenburg, 1831; Schwarzburg — Rudolstadt, 1854. 9 8 Eine Ausnahme stellt die in der vorigen Anmerkung erwähnte Verfassung von Schwarzburg — Rudolstadt aus dem Jahre 1854 dar.
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I m übrigen finden sich i n den Texten zwei Ausdrücke: Vollziehbark e i t " , vereinzelt auch Verbindlichkeit genannt 1 0 0 , und Gültigkeit 1 0 1 . Die erste Gruppe richtet sich an der französischen Verfassung von 1791 aus, die davon spricht, daß kein Befehl des Königs ohne Gegenzeichnung vollzogen (exécuté) werden könne (Titre I I I , chapitre I I , sect. IV, art. 4). Die zweite Gruppe meist erst nach 1848 verfaßter Texte folgt der Konsulatsverfassung von 1799, die einem Regierungsakt ohne Gegenzeichnung seine Wirksamkeit (effet) abspricht (Art. 55) 102 . Der über die mangelnde Vollziehbarkeit nach dem Eindruck des Wortlauts hinausgehende Mangel der Wirksamkeit ist i n Deutschland als fehlende Gültigkeit bezeichnet worden. Die französische Verfassung des Jahres 1799 beeinflußte die deutsche Gesetzgebung allerdings nur mittelbar 1 0 3 über die belgische Verfassung von 1831, die noch heute i n Kraft steht. Auch sie spricht davon, daß ein A k t des Königs ohne Kontrasignatur keine Wirkung (effet) haben könne (Art. 64) 104 . 2. Die sachliche Bedeutungslosigkeit des Unterschieds zwischen Vollziehbarkeit und Gültigkeit Die unterschiedliche Wortwahl w i r f t die Frage auf, ob ein sachlicher Unterschied hinter ihr steht. Die staatsrechtliche Literatur der ersten Jahrzehnte des Konstitutionalismus erkannte die Frage überhaupt nicht 1 0 5 . Spätere Autoren sprachen teils von Verbindlichkeit 1 0 6 , teils von Gültigkeit 1 0 7 . Einen Unterschied erblickten sie meistens nicht. 90 z.B.: Kurhessen, 1831, §108 Satz3: „Vollziehbarkeit"; Kgr. Sachsen, 1831, §43 Abs. 2: „unverbindlich"; Braunschweig, 1832, §155: „vollziehbar"; Baden, Ergänzung vom 20. Februar 1868, §67g: „vollziehbar" (Fundstellen vgl. Anm. 71). loo ζ. B.: Hannover, 1833, § 151 Abs. 1 (Fundstelle s. Anm. 73); Preußen, 1848, Art. 42 Satz 2; Schwarzburg — Sondershausen, 1849, §67; Preußen, 1850, Art. 44 Satz 2; Anhalt — Bernburg, 1850, §82 Abs. 3; Waldeck, 1852, §5; Oldenburg, 1852, Art. 12 § 3; Sachsen — Weimar — Eisenach, 1850, § 47 Abs. 1 (Fundstellen vgl. Anm. 71); ebenso Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849, § 74 und später die Verfassungen des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches von 1871, Art. 17 Satz 2. ιοί Wortlaut vgl. Anm. 93. 102 Wortlaut vgl. Anm. 52. loa Ausnahme: die bayerische Verfassung vom 25. M a i 1808, Dritter Titel, § 1 Satz 4 (abgedruckt bei Pölitz 11, S. 98), die aber als napoleonisches Werk nur eine Scheinkonstitution war, vgl. hierzu Hub er, Verfassungsgeschichte I, S. 91. 104 Wortlaut vgl. Anm. 8; diese Zusammenhänge sind ersichtlich zuerst
von Marschall von Bieberstein (Verantwortlichkeit, S. 476 ff.) eingehend dargestellt worden.
los Marschall, Verantwortlichkeit, S. 474. 106 ζ. B. Mohl, Verantwortlichkeit, S. 47/8. 107 z.B. Buddeus, S. 14f. u. 98f.; Hatschek, Verfassungsgeschichte, S. 724; Samuely, S. 58.
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
Das zeigt sich besonders daran, daß sie unklare oder einander widersprechende Bezeichnungen i n einem Atemzug verwendeten 1 0 8 . I m ganzen läßt sich feststellen, daß die Ansichten über die Folge fehlender Gegenzeichnung i m Laufe des 19. Jahrhunderts eine allmähliche Entwicklung durchmachten. A m Anfang w a r sie von Unklarheit gekennzeichnet. Dann herrschte die Vorstellung vor, daß es an der Vollziehbarkeit fehle. A m Ende gelangte die Literatur unter dem Eindruck des Wortlauts der neueren Verfassungsbestimmungen u n d i m Banne des Positivismus zu dem Gedanken, daß ein Befehl ohne Gegenzeichnung schlechthin ungültig oder nichtig sei 1 0 9 . Das Begriffspaar Vollziehbarkeit und Gültigkeit ist verschieden zu beurteilen, je nach dem, ob man es monarchischen Befehlen oder anderen vom Monarchen ausgehenden Hoheitsakten gegenüberstellt. Befehle oder Anordnungen und Verfügungen, wie sich A r t . 17 Satz 2 RV ausdrückt, müssen ausgeführt werden, u m das beabsichtigte Ergebnis zu bewirken. Sind sie ungültig, so dürfen sie nicht ausgeführt werden. Das gleiche gilt aber auch, wenn sie lediglich nicht vollziehbar sind, so daß sie auch dann der Wirksamkeit entbehren. Es mag einer verfeinerten Begriffsbildung entsprechen, wenn man einer Anordnung Gültigkeit zuspricht, obwohl der Empfänger sie nicht ausführen darf. E i n praktischer Unterschied zwischen einer ungültigen und einer nicht vollziehbaren Anordnung ist nicht erkennbar. Verhält sich der Empfänger des Befehls rechtstreu, darf er i h n i n keinem Fall ausführen. T u t er es dennoch, setzt er sich i n beiden Fällen den gleichen rechtlichen Sanktionen aus, die i n einem späteren Zusammenhang noch i m einzelnen darzustellen sind. Anders verhält es sich bei Hoheitsakten des Herrschers, die keine Befehle sind. I n Frage kommen insbesondere Ansprachen, Schreiben und Telegramme. Sie lassen sich nicht vollziehen; denn sie erfüllen durch ihre Äußerung und i h r bloßes Dasein ihren Zweck. Die Sanktion fehlender Vollziehbarkeit ist ihnen gegenüber machtlos. Aber man kann ihnen auch nicht die Gültigkeit absprechen, indem man sie ohne Gegenzeichnung lediglich als Äußerungen eines Privatmanns wertet 1 1 0 . Eine Äußerung des Staatsoberhaupts i m öffentlichen Leben hat einen anderen Wert als die eines Privatmanns.
los Frisch, S. 21: „Verleihung der Rechtskraft (und damit Vollziehbarkeit)";
Otto Mayer, S. 251: „Rechtsverbindlichkeit", S. 252: „Wirksamkeit"; Pistorius,
S. 164: „rechtsverbindliche Kraft"; Seydel, Staatsrecht, S. 75: „Wirksamkeit" u. „vollziehbar"; Walz, S.33: „Gültigkeit", S. 102: „Vollziehbarkeit". ίο® ζ. B. Rönne, Preuß. Staatsrecht, S. 153; Sarwey, S. 78. Diese Zusammenhänge hat Marschall von Bieberstein aufgedeckt und erstmals sehr eingehend dargestellt (Verantwortlichkeit, S. 485 ff.), no So mit recht: Marschall, Verantwortlichkeit, S. 508.
Β. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
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Konnten mangelnde Vollziehbarkeit und mangelnde Gültigkeit gegenüber Anordnungen und Verfügungen die gleiche Wirksamkeit entfalten, so erweisen sie sich gegenüber nicht vollziehbaren Handlungen des Herrschers als gleichmäßig wirkungslos. Ein Unterschied besteht auch hier nicht. Eine andere Frage ist es, ob die ohne Gegenzeichnung oder Billigung des Ministers abgesandten Schreiben oder gehaltenen Ansprachen seine Verantwortlichkeit begründen konnten. Noch i m Jahre 1904 konnte man lesen, daß mündliche Akte meistens rechtlich bedeutungslos und politisch irrelevant seien 111 . Immerhin hieß es bei dem gleichen Autor, daß eine ministerielle Verantwortlichkeit trotzdem bestehe, und an anderer Stelle wurden Proklamationen an das Volk und Antworten auf Huldigungsschreiben der Gegenzeichnung unterworfen 1 1 2 . Die praktische Bedeutung eigenmächtiger Schritte des Herrschers auf diesem Gebiet sollte sich unter der Herrschaft Wilhelms II. herausstellen. I V . Die Gegenzeichnung als Beglaubigung der Unterschrift des Landesherrn
I n der Bindung der Rechtmäßigkeit von Anordnungen des Landesherrn an die Billigung eines Ministers lag der Sinn, den die Verfassungen des 19. Jahrhunderts der Gegenzeichnung gaben. Daneben lebte ein aus früherer Zeit überkommener Zweck fort. Die Kontrasignatur beglaubigte die Echtheit der Unterschrift des Landesherrn. I n dieser Aufgabe läßt sie sich bis ins römische Kaiserreich zurückführen 1 1 3 . Die Bedeutung der legalisierenden Funktion trat aber hinter dem modernen Sinn zurück, eine Verantwortung zu begründen, oder die Beglaubigung stellte sich i n den Dienst der neuen Aufgabe, indem die fehlende Verbindlichkeit eines Befehls nicht unmittelbar an die fehlende Kontrasignatur, sondern an die Unterstellung geknüpft wurde, daß eine Anordnung ohne Gegenzeichnung erschlichen sei 1 1 4 .
B. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung I m vorangegangenen Abschnitt hat sich bereits herausgestellt, daß sich die Rechtswissenschaft der Natur der nicht befehlenden Hoheitsakte fügen mußte. Sie konnte sie der Billigung durch einen Minister m Frisch, S. 367. 112 Frisch, S. 337. us Frisch, S. 31. 114 Kgr. Sachsen, 1831, §43 Abs. 2 (Huber, Dokumente I, S. 229/30); Mar-
schau, Verantwortlichkeit, S. 478.
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
unterstellen und hierfür die Form der Gegenzeichnung verlangen, aber nicht verhindern, daß sie auch ohne ministerielle Billigung W i r k samkeit entfalteten. Wenn die Wirkungsmöglichkeit der Kontrasignatur hier durch die Natur der Sache begrenzt war, beschränkte die Hechtslehre i n anderen, sachlich umrissenen Bereichen ohne denkgesetzliche Notwendigkeit den Geltungsbereich der Gegenzeichnung und durchlöcherte damit die Forderung nach lückenloser Verantwortlichkeit 1 1 5 . I . Das protestantische Kirchenregiment
Zu den gegenzeichnungsfreien Gebieten dieser A r t gehörte das Kirchenregiment des Landesherrn i n den protestantischen Staaten, w e i l die kirchenrechtlichen Handlungen nicht als Handlungen des Staatsoberhaupts angesehen wurden 1 1 6 . I I . Das Militärwesen
Von größerer Bedeutung war es, daß die Verfassungspraxis auch einen Teil der militärischen Angelegenheiten der Kontrasignatur entzog und damit lange die Billigung der Rechtslehre fand. 1. Die Verfassungspraxis A m wichtigsten ist die Entwicklung i n Preußen, zum einen wegen seiner überragenden militärischen Stellung innerhalb des deutschen Gebiets unter Ausschluß von Österreich, zum anderen, weil der Oberbefehl der nach der Reichsgründung noch verbleibenden Kontingentsherren bei der Mobilmachung dem des Kaisers weichen mußte. I n Preußen waren die militärischen Befehle des Königs schon vor Erlaß der ersten Verfassung 1848 mit der Gegenzeichnung des Kriegsministers ergangen, und diese Praxis dauerte unter der Geltung der Verfassungsurkunden von 1848 und 1850 zunächst an, jedenfalls soweit die Befehle i m Militärwochenblatt veröffentlicht wurden 1 1 7 . Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die Praxis als Erfüllung des i n A r t . 42 115
Eine begründete Ausnahme war dagegen die Freistellung ausgesproche-
ner Privathandlungen von der Gegenzeichnung, vgl. Otto Mayer, S. 252;
Rönne, Preuß. Staatsrecht, S. 153. Dieser Bereich machte jedoch unter Kaiser Wilhelm I I . Schwierigkeiten (dazu unten Zweiter Teil, Β. I.).
ne Adolf Arndt, Verfassungsurkunde,
Art. 44, Anm. 2; Frisch, S. 368;
Hintergrund dürfte die Unterscheidung von ius in sacra und ius circa sacra gewesen sein, von denen das erste keine Form der Staatsgewalt darstellte. So ist auch die Gegenzeichnung im Staatskirchenrecht der katholischen Länder verständlich; denn dort gab es kein ius in sacra des Landesherrn (vgl. hierzu Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 393 ff., insbes. S. 394).
117 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 249 ff.
Β. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
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und 44 der beiden Verfassungen enthaltenen Kontrasignaturgebots zu verstehen war und auf Begründung einer Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament zielte. Die ununterbrochene Fortdauer der Übung seit der Zeit vor Erlaß der Konstitutionen läßt auch die A n nahme zu, daß die Gegenzeichnung nur i n ihrer Beurkundungsfunktion und als Ausdruck der Übernahme einer Verantwortlichkeit gegenüber dem Monarchen zu verstehen w a r 1 1 8 . I n diesem Sinne äußerte sich König Friedrich Wilhelm IV. i n einem Handschreiben ein halbes Jahr nach Erlaß der ersten Verfassung 119 . König Wilhelm I. legte das Verfahren und bestimmte Unterschiede je nach A r t der Anordnung zu Beginn des Jahres 1861 i n einer Kabinettsorder fest 1 2 0 . Lediglich i n Angelegenheiten der Militärverwaltung sollte die Gegenzeichnung ohne Einschränkung stattfinden. Armeebefehle und Anordnungen i n Militärdienstsachen und Personalangelegenheiten sollten grundsätzlich ohne Kontrasignatur ergehen. Wenn sie den Militäretat beeinflußten oder die Militärverwaltung berührten, so sollte der Minister das Aktenexemplar gegenzeichnen. Nach außen trat aber nur die Unterschrift des Königs. Wie lange die Kabinettsorder i n Geltung stand, ist u n k l a r 1 2 1 . Jedenfalls schuf sie eine bis 1918 i n Preußen und dann i m Reich beobachtete Trennung von Militärverwaltungssachen und eigentlichen Militärangelegenheiten und ließ für die zweite Gruppe allenfalls eine sachlich beschränkte, geheime Gegenzeichnung zu, die, soweit sie überhaupt bestand, ihre Beweisfunktion für die Verantwortlichkeit des Kriegsministers nicht erfüllen konnte. Die Einbuße, die die Ministerverantwortlichkeit durch die ohne Gegenzeichnung ergehenden Befehle des Königs erlitt, verstärkte sich durch eine Eigentümlichkeit i m Aufbau der Militärbehörden. Eine Abteilung des Kriegsministeriums hatte sich i m Laufe der Zeit verselbständigt 122 . Sie wurde unter der Bezeichnung Militärkabinett bekannt und bearbeitete seit einer siegreichen Auseinandersetzung m i t dem Kriegsminister (1859) alle militärischen Kommando- und Personalsachen i n unmittelbarer Zusammenarbeit m i t dem König ohne Einschaltung des Ministers 1 2 3 . Damit entstand ein weiteres Hindernis für die Geltendmachung einer Verantwortlichkeit. Es wog u m so schwerer, da die preußische Regierung nicht nur ein tatsächliches Hindernis erblickte, us So Huber, Verfassungsgeschichte I I I , S. 1002/3. 119 Handschreiben an das Staatsministerium vom 1. Juli 1849, abgedruckt bei Hub er, Dokumente I I , S. 8 f. ι 2 0 Kabinettsorder vom 18. Januar 1861, abgedruckt bei Marschall, Verantwortlichkeit, S. 68. 121 Einerseits: Marschall, Verantwortlichkeit, S. 228 ff.; andererseits: Hub er, Verfassungsgeschichte I I I , S. 1001. 122 Hub er, Verfassungsgeschichte I I I , S. 69 ff. 123 Hub er, Verfassungsgeschichte I I I , S. 72.
3 Schulz
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
wenn der Kriegsminister über einen Vorgang nicht unterrichtet war, sondern i n jedem Fall auch ein rechtliches Hindernis. M i t der Behandlung durch das Militärkabinett sei der betreffende Vorgang der Verantwortung des Kriegsministers entrückt 1 2 4 . Die Ausgliederung des Militärkabinetts aus den ressortmäßig gegliederten Zweigen der Regierung führte außerdem zu einer mittelbaren Gefährdung der Verfassung: Der König konnte sich i n den militärischen Kommando- und Personalsachen von Ratgebern lenken lassen, die dem Parlament selbst nicht verantwortlich waren und für deren Rat kein Minister geradestand. Die Entwicklung i n Baden verlief ähnlich wie die i n Preußen 125 . Dagegen konnte sich die Gegenzeichnung des Kriegsministers in Bayern, Württemberg und Sachsen weithin behaupten 126 . 2. Die Haltung der Rechtswissenschaft Das staatsrechtliche Schrifttum erkannte die Aufteilung der Militärangelegenheiten i n gegenzeichnungsfreie und gegenzeichnungspflichtige an und bemühte sich, beide Bereiche durch Begriffsbildungen abzustecken. Einer der ältesten Autoren 1 2 7 stellte diejenigen Anordnungen von der Kontrasignatur frei, die der Landesherr nicht als solcher, sondern als General erlasse, und fand damit Eingang i n die kurhessische Verfassung von 1831 12e . Wenig später tauchte die Gegenüberstellung von freiem militärischem Befehl und gebundener Schaffung bleibender Einrichtungen auf 1 2 9 . A m bedeutendsten wurden unter der Geltung der Reichsverfassung von 1871 das Gegensatzpaar von Oberbefehl und Militärverwaltung 1 3 0 und das von Kommando- und Regierungsgewalt 131 , von denen man nur die Militärverwaltung oder die Regierungsgewalt als gegenzeichnungsbedürftig ansah. Die Abgrenzung blieb unklar 1 3 2 . Das zeigte sich zum Beispiel an den Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob Ernennungen von 124 Kriegsminister von Einem, R T 12. L P I. Sess. 07/09 Sten Β 7541 BC — 17. März 1909 jedoch verklausuliert; a. A. Marschall, Verantwortlichkeit, S. 575.
125 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 291 ff. 126 Oers., ebd., S. 296 ff. 127 Buddeus, S. 14 u. 99. 128 §§ 107/108 (Huber, Dokumente I, S. 216/7); ähnlich später Frisch, S. 357/8: „oberster Offizier". 129 Mohl, Verantwortlichkeit, S. 168; ebenso: Thudichum, Holtzendorffs Jb. 2 (1873), S. 92 ff.
130 Otto Mayer, S. 252. 131 Laband, Staatsrecht, ab 4. Aufl., 4, S. 34.
132 Ders., ebd., S. 35.
Β. Der Geltungsbereich der Gegenzeichnung
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Offizieren gegenzuzeichnen waren 1 3 3 . Weniger die Abgrenzungsversuche verdienen Aufmerksamkeit als die Tatsache, daß die Rechtslehre die Beschränkung der Gegenzeichnung i n der Praxis billigte. Das war nicht selbstverständlich; denn die Verfassungen sahen für das Militärwesen keine ausdrückliche Ausnahme vor. I n Preußen stützte man sich auf A r t . 44 (1848) 134 /Art. 46 (1850) 135 der Verfassung, wonach dem König der Oberbefehl zustand 136 . Zwingend war diese Auslegung nicht; denn an anderer Stelle hieß es eindeutig, daß alle Regierungsakte des Königs der Gegenzeichnung bedurften 1 3 7 . Man mußte daher die Kommandogewalt aus den Regierungsakten herausnehmen. Durch die Ubereinstimmung von Praxis und Theorie bildete sich aber ein Gewohnheitsrecht oder doch eine allgemeine Rechtsüberzeugung, die übrigens mit den Zuständen i n Belgien übereinstimmte, dessen Verfassungsgesetzgebung so stark auf Deutschland eingewirkt hatte. Die belgischen Könige kommandierten bis 1949 ohne Gegenzeichnung die Armee 1 3 8 . Erst wenige Jahre vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs wurde die deutsche Staatsrechtslehre durch eine eingehende und umfangreiche Schrift Fritz Freiherrn Marschalls von Bieberstein i n ihrer Uberzeugung erschüttert 139 . Marschall kam zu der Auffassung, daß auch auf dem Gebiet des Militärwesens die Gegenzeichnung stets erforderlich sei 1 4 0 . Er verwahrte sich aber gegen den naheliegenden Schluß auf die Unverbindlichkeit nicht kontrasignierter Befehle; denn er meinte, daß dem Soldatenstand auf Grund einer verschärften Gehorsamspflicht kein Recht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des Befehls zustehe und er daher auch ohne Gegenzeichnung zum Gehorsam verbunden sei 1 4 1 . Der gleiche Befehl sei jedoch gegenüber Zivilbeamten der Militärverwaltung und Militärbeamten unverbindlich, w e i l sie nur eine einfache Pflicht zum Gehorsam treffe 1 4 2 . W i r hatten gesehen, daß der Wortlaut der i n erster Linie maßgebenden preußischen Verfassung die Kommandogewalt nicht von der Kontrasignatur ausnahm und man erst m i t einem Schluß aus den Begriffen Dafür ζ. B.: Georg Meyer, S. 103; Seydel, Staatsrecht; dagegen: Bornhak,
Preuß. Staatsrecht I I I , S. 46.
134 1848, Art. 44 (Huber, Dokumente I, S. 389). 135 1850, Art. 46 (Huber, Dokumente I, S. 405).
136 Huber, Verfassungsgeschichte I I I , S. 70/1; Bornhak, Preuß. Staatsrecht I, S. 143.
137 1848, Art. 42; 1850, Art. 44 (Huber, Dokumente I, S. 389 u. 405). 138 Gilissen, S. 61. 139 Verantwortlichkeit und Gegenzeichnung bei Anordnungen des Obersten Kriegsherrn, Berlin 1911. 140 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 394/5. 141 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 374 u. 394/5/7.
142 Marschall, Verantwortlichkeit, S. 385, 397, 405 u. 421. 3*
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Oberbefehl und Kommandogewalt zum gewünschten Ergebnis kam. Trotzdem lag der Ausnahme ein sachlich begründeter Unterschied zugrunde. Während die Selbstregierung des Monarchen i n allen Zweigen der Verwaltung schon am Anfang des vorigen Jahrhunderts nur noch eine Fiktion und die Leitung der Geschäfte i n die Hände von Beamten gelangt w a r 1 4 3 , übte der preußische König die Kommandogewalt tatsächlich selbst aus 1 4 4 . Er war wirklich der oberste Offizier i m Staate, und es war daher verständlich, daß er den Oberbefehl als ein persönliches Recht ansah. Die bedeutende Stellung des Militärs gab der besonderen Beziehung zwischen i h m und dem Herrscher allerdings ein Gewicht, das die Ausklammerung der Gegenzeichnung aus diesem Bereich als eine empfindliche Lücke i n dem durch die Ministerverantwortlichkeit gesicherten Gebiet erscheinen ließ. Wenn Marschall von Bieberstein die Gegenzeichnung auf den Oberbefehl erstrecken wollte, so führte er daher die Grundgedanken des Konstitutionalismus folgerichtiger durch als die vor 1911 herrschende Lehre. Gleichzeitig unterwanderte er aber die eigene strenge Auslegung des Kontrasignaturgebots, indem er den Verfassungssatz von der Ungültigkeit nicht kontrasignierter Anordnungen durch das Soldatenrecht einschränkte. Abgesehen von praktischen Bedenken 1 4 5 konnte Marschalls Vorschlag schon aus diesem Grund nicht zufriedenstellen. Noch vor dem Untergang der Monarchie verschwand jedoch der Gedanke vom Oberbefehl als einem persönlichen Recht des Staatsoberhaupts 1 4 6 . I I I . Weitere Grenzgebiete der Gegenzeichnung
Außer i m Bereich der evangelischen Kirchengewalt und der m i l i tärischen Kommandogewalt gestand man dem Monarchen für die Thronentsagung eine gegenzeichnungsfreie Entscheidung zu 1 4 7 . Auf anderen Gebieten, die auf den ersten Blick als Ausübung persönlicher Rechte erscheinen mochten, stellte man den Herrscher dagegen nicht frei: so nicht bei Begnadigungen 148 , bei der Verleihung von 14
3 Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 104 u. 186; damit war allerdings nicht gesagt, daß der Monarch nicht im Einzelfall entscheidend in die Geschäftsleitung eingriff. Ein gutes Beispiel bietet die Intervention Friedrich W i l helms I I I . von Preußen gegenüber Hardenberg wegen der polnischen Frage (vgl. Hub er, Verfassungsgeschichte I, S. 569).
ι 4 4 Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 225.
145
Hierzu Hub er, Verfassungsgeschichte I I I , S. 1002. 6 Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918, Nr. 6, RGBl. S. 1275, später Art. 50 Satz 1 WRV. 14
Frisch, S. 370. 148 Frisch, S. 348.
C. Ministerverantwortlichkeit für Recht- und Zweckmäßigkeit
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Orden 1 4 9 und bei der Ausübung der Kirchengewalt i n katholischen Staaten 150 . C. Ministerverantwortlichkeit für Recht- und Zweckmäßigkeit Die Gegenzeichnung begründet oder bezeugt eine Verantwortlichkeit des gegenzeichnenden Ministers. W i r hatten als Sinn der zwischen Gegenzeichnung und Verantwortlichkeit bestehenden Verknüpfung die Gewährleistung der Einhaltung der Gesetze durch die von der Legislative geschiedene Exekutive erkannt. Das Machtstreben der Parlamente konnte dazu führen, daß die Verantwortlichkeit sich auf eine Haftung für die politische Zweckmäßigkeit der getroffenen A n ordnung ausdehnte. Waren die politischen Verhältnisse dagegen der Entwicklung parlamentarischer Macht ungünstig, so konnte die rechtsstaatliche Forderung nach Einhaltung der Gesetze auf eine Forderung nach Beobachtung der Verfassung zusammenschrumpfen. I m Frankreich trennte man Rechtsverletzungen und Verstöße gegen das Staatsinteresse nicht voneinander. Machte ein Minister von der i h m anvertrauten Gewalt schlechten Gebrauch, so sollte er genauso haften, wie wenn er einen Rechtsverstoß begangen hätte 1 5 1 . Bemerkenswert war allerdings, daß man bemüht war, auch für Verstöße gegen die politische Zweckmäßigkeit Rechtsbegriffe zu bilden. Man griff dazu auf die strafrechtlichen Ausdrücke „trahison" und „concussion" zurück. 1832 erschien i n einem Entwurf zu einem Verantwortlichkeitsgesetz sogar der Begriff der Amtspflichtverletzung (prévarication) 152 . Auf diese Weise konnte man w o h l einem Verstoß gegen Regeln der Zweckmäßigkeit das Ansehen eines Rechtsverstoßes geben. Trotzdem blieb es dabei, daß das Parlament die Minister i n viel weiterem Umfang zur Rechenschaft ziehen konnte als bei der Beschränkung auf Gesetzesverletzungen. Die Ausdehnung der Verantwortlichkeit zeigte sich an der Unbestimmtheit von Begriffen wie „trahison" und „concussion", von denen die Rechtslehre meinte, daß ihnen die weiteste Auslegung zu geben sei 1 5 3 . Der Weg, politisch mißliebiges Verhalten m i t strafrechtlichen Begriffen zu erfassen, dürfte auf das ältere Vorbild der früheren englischen Ministeranklage (impeachment) 154 zurückgehen, wo man seit langem 149 Frisch, S. 352. 150 Frisch, S. 368/9. 151 Constant , S. 70 u. 386; Frisch, S. 242. 152 Frisch, S. 237. iss Constant, S. 406. 154 Vgl. oben Α. I I . 1. c).
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
Minister bei angeblich staatsgefährdenden Handlungen 1 5 5 wegen Hochverrats (treason) angeklagt hatte und den Begriff dieses Tatbestands m i t wechselndem Inhalt füllte 1 5 6 . I n Deutschland trennte man Rechtsverletzung und Mißregierung voneinander und knüpfte die Verantwortlichkeit der Minister anfänglich nicht einmal an jede Gesetzes Verletzung, sondern nur an Verfassungsverletzungen 157 . Unter Verfassung verstand man i n der Rechtslehre allerdings nicht nur eine Verfassungsurkunde, sondern gegebenenfalls mehrere Gesetze, die zusammen die Verfassung ausmachten 158 . Auch die Verletzung des Staatshaushalts konnte nach dieser Auffassung die Verantwortimg begründen 1 5 9 . Später wurde weitgehend anerkannt, daß auch die Verletzung einfacher Gesetze zur Ministerverantwortlichkeit führen könne 1 6 0 . I n Preußen erreichte man sogar fast ein Dr eiviertel jahrhundert vor der Parlamentarisierung der Regierungsbildung die höchste Stufe der Ministerverantwortlichkeit: die Haftung für Recht- und Zweckmäßigkeit. Zwar sprechen sich die Verfassungsurkunden von 1848 und 1850 hierüber nicht aus 161 . Aber i n der Rechtslehre verstand man die Bestimmungen i n diesem Sinne 1 6 2 . Preußen ging dabei nicht so weit wie die revolutionären Strömungen i n der Frankfurter Nationalversammlung des Jahres 1848. Dort plante man eine justizförmige Verantwortlichkeit der Minister für Anordnungen, die Nachteile für die Wohlfahrt oder Sicherheit Deutschlands brachten 163 . I n Preußen blieb eine gerichtliche Verurteilung der Minister unmöglich, w e i l das zur Regelung der Ministeranklage vorgesehene Gesetz 164 nie zustandekam. Es sollte nach den Vorstellungen des Verfassungsgebers die Anklage auch nur für Rechtsverletzungen eröffnen 1 6 5 . Die weitergehende Minister155 Frisch, S. 103. ΐ5β Frisch, S. 224. 157 Bayern, 1818, Zehnter Titel, §4 (Huber, Dokumente I, S. 155); Baden, 1818, §67, (Huber, Dokumente I, S. 165/6); Württemberg, 1819, §195, (Huber, Dokumente I, S. 199); Ghztm. Hessen, 1820, Art. 109, (Pölitz 12, S. 688/9); Hannover, 1833, § 151 Abs. 2 (Altmann, S. 172).
158 Mohl, Verantwortlichkeit, S. 24. 15» Mohl, Verantwortlichkeit, S. 144, Fußnote 10. im Kurhessen, 1831, §108 Satz 1 (Huber, Dokumente I, S. 216/7); Braunschweig, 1832, § 156 Abs. 1 (Pölitz I 2, S. 1214); in der Literatur: Bischof, S. 42;
zur Entwicklung: Frisch, S. 244; Marschall, Verantwortlichkeit, S. 14. ι « Vgl. 1848, Art. 42 Satz 2 (Huber, Satz 2 (Huber, Dokumente I, S. 405).
Dokumente I, S.389); 1850, Art. 44
162 Adolf Arndt, Verfassungsurkunde, Art. 44 Anm. 3; Bornhak, Preuß.
Staatsrecht I, S. 143; Huber, Verfassungsgeschichte I I I , S. 56 u. 67. i° 3 Hatschek, Verfassungsgeschichte, S. 714, Fußnote 1.
164 1848, Art. 59 (Huber, kumente I, S. 407).
Dokumente I, S.390); 1850, Art. 61 (Huber,
Do-
D. Formen der Ministerverantwortlichkeit
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Verantwortlichkeit w a r also m i t parlamentarischen M i t t e l n wie dem Diskussions- 166 und dem Auskunftsrecht 1 6 7 geltend zu machen. Preußen erreichte damit einen Zustand, der i n der Literatur teils rechtsdogmatisch 168 , teils rechtspolitisch 169 als wünschenswert verfochten wurde. D. Formen der Ministerverantwortlichkeit Man kann feststellen, daß sich der Gegenstand der Ministerverantwortlichkeit i n Deutschland i m Laufe des 19. Jahrhunderts vergrößerte, indem er sich von der Verfassungsmäßigkeit bis zur Zweckmäßigkeit politischen Handelns ausdehnte. Der politische Einfluß der deutschen Parlamente blieb trotzdem geringer als der der westeuropäischen; denn es gelang i n Deutschland nicht, die Verantwortlichkeit der Minister zu einem Abhängigkeitsverhältnis vom Parlament zu verstärken. Während i n Westeuropa eine einfache parlamentarische Form entstand, mit der die Verantwortlichkeit geltend gemacht wurde, entwickelte sich i n Deutschland ein gerichtsförmiges Verfahren, das zu umständlich war, u m den Volksvertretungen ein Übergewicht über die Regierungen zu geben. I . Der französische Weg zur parlamentarischen Verantwortlichkeit
Die beiden Formen standen einander bereits i n der französischen Nationalversammlung bei den Beratungen über die spätere Verfassung von 1791 gegenüber, wo Mirabeau die Einführung eines parlamentarischen Mißtrauensvotums verlangte, während sich andere Redner dagegen aussprachen 170 . Beide Seiten konnten sich auf bedeutende Theoretiker der Gewaltenteilung stützen. Das parlamentarische Mißtrauensvotum entsprach den Anschauungen Lockes, der der gesetzgebenden Gewalt die übrigen Gewalten unterordnen wollte 1 7 1 . Die Widersacher Mirabeaus konnten Montesquieu für sich i n Anspruch nehmen, der dem Parlament nur ein Aufsichtsrecht zugestehen und die Minister einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit unterwerfen 1 7 2 , letztlich also der dritten Gewalt die Entscheidung überlassen wollte. 165 vgl. 1848, Art. 59 Abs. 1 u. 1850, Art. 61 Abs. 1: „wegen des Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verrats" (Fundstellen s. Anm. 164).
ιββ 1850, Art. 84 (Huber, Dokumente I, S. 410). 167 1850, Art. 81 Abs. 3 (a.a.O., S. 410). ιβ8 Für Baden: Walz, S. 103/4; für Bayern: Seydel, Staatsrecht, S. 74; für Württemberg: Sarwey, S. 73 u. 78; dagegen für Ghztm. Hessen: Calker, S. 72.
16* Frisch, S. 247 u. 252. 170 Redslob, S. 261 ff. 171 Locke, Book I I , Chapter X I I I , S. 426 ff.
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1. Teil: Die Zeit der konstitutionellen Monarchie
Die französische Verfassung von 1791 nahm die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausdrücklich i n sich auf und knüpfte sie an ein Dekret der gesetzgebenden Körperschaft als Voraussetzung für das anschließende Gerichtsverfahren 173 . Es zeigt sich noch einmal der beherrschende Einfluß Montesquieus auf die Nationalversammlung, die keiner der drei Gewalten eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf eine andere Gewalt eröffnen w o l l t e 1 7 4 . Damit war der Streit aber nicht positivrechtlich entschieden. Die Frage wurde als politische Machtfrage erkannt 1 7 5 . Die herrschenden Auffassungen waren i n jenen Jahren auch i n Frankreich eher der gerichtsförmigen als der parlamentarischen Ministerverantwortlichkeit zugeneigt. Noch bevor die erste Verfassung i n K r a f t trat, hatte die verfassunggebende Nationalversammlung einen Antrag abgelehnt, der vom König die Abberufung seiner Minister verlangte. Damit wollte sie nicht so sehr den Ministern ihr Vertrauen aussprechen, sondern i n erster Linie ihre Achtung vor der königlichen Prärogative der Ministerernennungen bekunden 1 7 6 . Es muß den Abgeordneten klar gewesen sein, daß das parlamentarische Mißtrauensvotum zwangsläufig zur Ubermacht des Parlaments über die Regierung und damit zur Aufhebung der klassischen Gewaltenteilung führte; denn wenn die Kammer jede vom König berufene Regierung stützen konnte, so wurde der König auch bei der Ernennung der Minister von der Kammermehrheit abhängig. Die von staatstheoretischen Ideen erfüllte Nationalversammlung lehnte i n ihrer Mehrheit diese Folgen ab, obwohl sie damit auf Macht verzichtete. Die gerichtsförmige Verantwortlichkeit, die den Gedanken Montesquieus entsprach, konnte sich dagegen auch i n der Verfassungswirklichkeit entwickeln. Bei einer Regierungskrise i m März 1792 kam es zu einer Anklage des Außenministers Lessart vor dem Obersten Gerichtshof durch die gesetzgebende Versammlung 1 7 7 . Eine Wandlung trat m i t der Charte von 1814 ein. W i r hatten bereits gesehen, daß sie die Restauration vorrevolutionärer Institutionen mit den Forderungen der Zeit, darunter der Ministerverantwortlichkeit verband 1 7 8 . Ihrer Anlage nach war sie keine parlamentarische Verfassung 179 und sprach nirgends von der Möglichkeit eines Mißtrauensvotums. Trotzdem entwickelte sich unter ihrer Geltung die parlamen172
Livre X I , Chapitre V I , De la constitution d'Angleterre. Titre I I I , Chapitre I I , Section I V , Art. 5 ff. (Hélie, S. 281) u. Chapitre V, Art. 23 (Ders., S. 290). 173
™ Duguit, S. 323/4. i™ Redslob, S. 270. 17