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German Pages 687 [688] Year 2004
Frühe Neuzeit Band 95 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt
Axel E. Walter
Späthumanismus und Konfessionspolitik Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2004
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-36595-1
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 h ttp://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach
Danksagung Mit der Drucklegung dieser Arbeit endet quasi ein Lebensabschnitt, der von vielen einschneidenden beruflichen und persönlichen Entwicklungen geprägt gewesen ist. Auf Georg Michael Lingelsheim stieß ich nach meinem Wechsel von Kiel nach Osnabrück sogleich im ersten Semester in einem Seminar von Prof. Dr. Klaus Garber im Rahmen einer Hausarbeit über Julius Wilhelm Zincgrefs »Vermanung zur Dapfferkeit«. 1992 begann ich meine Recherchen nach Briefen von und an Lingelsheim, im Sommersemester 1998 wurde die hier vorgelegte Arbeit als Dissertation im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück eingereicht. Nachdem dieses vollbracht und hinsichtlich der Begutachtung durch meine beiden Betreuer, Herrn Prof. Dr. Klaus Garber (Osnabrück) und Herrn Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann (Heidelberg), auch überaus erfolgreich gelungen war, blieb das Manuskript allerdings für fast vier Jahre auf meinem Schreibtisch liegen. In dieser Zeit widmete ich mich vor allem dem Aufbau meiner »Arbeitsstelle Königsberg« im Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Damit verbunden waren die Durchführung eines internationalen Symposions im Herbst 1999 sowie die Konzeption und Einwerbung von insgesamt fünf größeren Forschungsprojekten zur Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte, die seit Anfang 2000 realisiert werden konnten. Georg Michael Lingelsheim und der europäische Späthumanismus wurden zu einer sträflich vernachlässigten Liebe, der ich in jenen Jahren keine Aufmerksamkeit schenken konnte. Erst im Frühjahr 2002 fand ich wieder die Zeit, mich ihr zuzuwenden. Äußerst belastende und zutiefst berührende persönliche Umstände verzögerten jedoch die abschließende Überarbeitung des Manuskripts erneut erheblich. Deshalb vermag diese Arbeit erst jetzt vorgelegt zu werden. Sie ist in Teilen seit der Abgabe der Dissertation wesentlich erweitert worden, die seither erschienene Forschungsliteratur wurde so weit wie möglich eingearbeitet. Zu danken habe ich in erster Linie meinen beiden Gutachtern, die meine Recherchen über die Jahre hin stets begleitet und intensiv gefordert haben. Daß sie mehr als nur Gutachter, nämlich auf produktivste Weise meine akademischen Lehrer gewesen sind, zeigt sich in dieser Arbeit wohl sehr viel deutlicher als es mit Worten des Dankes auszudrücken wäre. Die Geduld, die sie im Warten auf das druckfertige Manuskript ebenfalls bewiesen haben, wurde nur noch übertroffen von Frau Birgitta Zeller-Ebert vom Niemeyer-Verlag, die auch nach so langer Zeit noch bereit war, die Arbeit wie einst besprochen in ihrem Hause zu verlegen. Den Herausgebern der Reihe »Frühe Neuzeit« schulde ich ebenso wie ihr herzlichsten Dank dafür, daß sie an ihrem Vorhaben festhielten, dieses Buch in ihre Reihe aufzunehmen.
VI
Sehr viele Menschen haben mich bei meiner Arbeit unterstützt. Hier sind zunächst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen deutschen und europäischen Archive und Bibliotheken zu nennen, ohne deren vielfältige Hilfe meine Recherchen nicht zu den hier präsentierten Ergebnissen gefuhrt hätten. Ausdrücklich danken möchte ich sodann Herrn Prof. Dr. Wolfgang Adam (Magdeburg) und Herrn Prof. Dr. Anton Schindling (Tübingen) für die vielfaltigen und stets weiterfuhrenden Anregungen und Hinweise, die ich von ihnen während ihrer Wirkunsgzeiten in Osnabrück auch außerhalb ihrer Seminare immer wieder erhalten habe. Die Namen all jener Kolleginnen und Kollegen und der vielen Freunde, mit denen ich die Jahre über so viele wertvolle und anregende Gespräche fuhren konnte, vermag ich kaum aufzufuhren, ohne eine ungerechtfertigte Auswahl zu treffen; einige von ihnen werden in den folgenden Kapiteln noch zu erwähnen sein. Die längste Strecke des Weges hat mich Stephanie Meer begleitet, der ich an dieser Stelle für ihre Unterstützung herzlich danke. Dr. Kai Bremer und Tobias Stich, die in dieser letzten Phase noch einmal das Manuskript kritisch gelesen haben, sowie meinen Korrektorinnen und Korrektoren Ingrid Arp, Simon Borgers, Sabina Fischer, Claudia Müller, Alice Ronge und Olaf Schmidt-Kinne, verdanke ich schließlich, daß die druckfertige Einrichtung des Buches letztlich in so kurzer Zeit gelungen ist. Kaum jemand aber hat diesen Moment so sehr erwartet wie mein Vater. Daß er ihn nicht mehr erleben kann, erfüllt mich mit tiefstem Schmerz. Was ich meinen Eltern verdanke, ist mit Worten nicht auszudrücken; das Gefühl dafür wird in der bitteren Erfahrung dieses unersetzlichen Verlustes noch stärker. Die Bindung an diejenigen, die mir die nächsten Menschen sind, kann nun enger nicht mehr werden. Ohne sie wäre dieses Buch niemals beendet worden. So sei es im Gedenken an meinen Vater jenen aus der Fülle des Herzens zugeeignet, die mir alleine mit ihrer Nähe und Liebe im Leben die Wichtigsten sind: meiner Mutter, Ligija und Lea-Luise.
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
1. 2. 3. 4.
Ausgangslage und Fragestellung Zum Begriff des Späthumanismus: Umrisse einer Epoche Die humanistische Epistolographie Das Briefcorpus Lingelsheims 4.1. Gedruckte Ausgaben 4.2. Handschriftliche Überlieferung
3 7 41 51 51 59
TEIL I: GEORG MICHAEL LINGELSHEIM - LEBEN, WIRKEN UND WERK
1. Forschungsstand 69 2. Georg Michael Lingelsheim: Eine biographische Skizze 86 2.1. Herkunft und Familie 86 2.2. Der Eintritt in die Gelehrtenrepublik 91 2.2.1. Studienjahre (1579-1583) 91 2.2.2. Der Späthumanist als Lehrer: Lingelsheim als praeceptor Friedrichs IV. (1584-1592) 103 2.3. Ein späthumanistischer >Politiker< im konfessionellen Zeitalter: Lingelsheim als kurpfälzischer Oberrat (1592-1621) 113 2.3.1. Lebensumstände und Familienverhältnisse in Heidelberg 113 2.3.2. Lingelsheims Rolle im Prozeß der konfessionellen Konsolidierung und frühmodernen Staatsbildung der Kurpfalz . . 115 2.3.2.1. Die Sicherung des reformierten Bekenntnisses unter Friedrich IV. und V. seit Lingelsheims Berufung in den Oberrat 115 2.3.2.2. Lingelsheims Aufgabenbereiche im Oberrat 123 2.3.3. Die Kuipfalz in der Reichspolitik 125 2.3.3.1. Grundzüge der kurpfälzischen Reichspolitik im konfessionellen Zeitalter 125 2.3.3.2. Lingelsheims Stellung in der kurpfälzischen Reichsdiplomatie 129 2.3.4. Die Kurpfalz und das protestantische Europa 141 2.3.4.1. Lingelsheims Bedeutung in der europäischen Diplomatie Heidelbergs: Seine politischem Korrespondenzen mit französischen und englischen Diplomaten 141
VIII 2.3.4.2. Moderate Positionen der >dritten Kräfte Lingelsheims Stellung zur kurpfälzischen Konfessionspolitik am Beispiel des niederländischen Konflikts 2.3.5. Die kurpfalzische Katastrophe: Lingelsheim und das böhmische Abenteuer Friedrichs V 2.4. Die letzten Lebensjahre 2.4.1. Im Straßburger Exil (1621-1633) 2.4.2. Rückkehr in die Kurpfalz und Tod (1633-1636)
146 155 160 160 164
3. Der Späthumanist als Anreger, Förderer und Editor: Lingelsheims Stellung in der res publica litteraria 169 3.1. Lingelsheim und der späthumanistische Dichter- und Gelehrtenkreis in Heidelberg 169 3.1.1. Die späthumanistische Blüte der kurpfälzischen Residenzstadt . . 169 3.1.2. Der späthumanistische Dichter- und Gelehrtenkreis 174 3.1.2.1. Lingelsheim als zentrale Figur des Heidelberger Späthumanismus 174 3.1.2.2. Zwei unbekannte Gelegenheitsdrucke auf Georg Michael und Friedrich Lingelsheim 181 3.1.2.2.1. In nvptias Georgii Michaelis Lingelshemii [...] et Agnetis Loefenice (1596) - Der ältere Kreis um Schede Melissus . . . 181 3.1.2.2.2. Memorice Friderici Lingelshemii (1616) - Der jüngere Kreis um Zincgref 3.1.3. Lingelsheims Anteil an der Reform der deutschen Dichtung . . . 3.1.4. Zusammenfassung: Zur Bedeutung Lingelsheims im Heidelberger und oberrheinischen Späthumanismus 3.2. Lingelsheim als Philologe und Publizist in der Gelehrtenrepublik . . . . 3.2.1. Vorbemerkung 3.2.2. Werke 3.2.2.1. Lingelsheim fälschlich zugewiesene Schriften 3.2.2.1.1. Der Heidelberger Baptistes von 1585 3.2.2.1.2. Die Kontroverse zwischen den kurpfälzischen und württembergischen Theologen 1607 bis 1614 3.2.2.1.3. Dissertatio de idolo Hallensi (1605) 3.2.2.1.4. Cavecanem (1612) 3.2.2.2. Lingelsheims Übersetzung von Henry Saviles Commentarivs de militia romana (1601) 3.2.2.3. Lingelsheim als Herausgeber 3.2.2.3.1. Vorbemerkung 3.2.2.3.2. Die Zusammenarbeit mit Commelinus in Heidelberg Die Heliodor-Ausgabe von 1596 3.2.2.3.3. Bongars' Ad Roberti Cardinalis Bellarmini librum de temporali potestate Papae, Commentatio (1612). . 3.2.2.3.4. De Thons Historia (1620)
187 196 202 205 205 207 207 207 209 211 213 215 218 218 219 222 226
IX 3.2.2.3.5. Jean Hotmans Syllabus aliquot synodorum et colloquiorum (1628) 3.2.3. Zum späthumanistischen Selbstverständnis Lingelsheims 3.2.4. Lingelsheim als Epistolograph
229 232 238
TEIL II: DER KORRESPONDENTENKREIS GEORG MICHAEL LINGELSHEIMS
1. Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 1.1. Einleitung 1.2. Kurpfalz 1.2.1. Vorbemerkung 1.2.2. Weltliche Beamte 1.2.2.1. Der Oberrat 1.2.2.1.1. Ludwig Graf zu Wittgenstein 1.2.2.1.2. Michael Loefen 1.2.2.1.3. Volrad von Plessen 1.2.2.1.4. Johann Albrecht Graf zu Solms 1.2.2.1.5. Johann Christoph von der Grün 1.2.2.1.6. Ludwig Camerarius 1.2.2.2. Das Hofgericht 1.2.2.2.1. Hippolyt von Colli 1.2.2.2.2. Marquard Freher 1.2.2.2.3. AndreasPaul 1.2.2.2.4. Johann Joachim von Rusdorf 1.2.2.3. Weitere kurpfälzische Beamte 1.2.2.3.1. Johannes Gernand 1.2.2.3.2. Adrian von Borcke 1.2.2.3.3. Petrus Dathenus 1.2.2.3.4. Gueretin 1.2.2.3.5. Achaz Burggraf und Herr zu Dohna 1.2.2.3.6. Karl Paul 1.2.2.3.7. Johannes Bosch 1.2.2.3.8. Joachim Camerarius d.J 1.2.3. Mitglieder des Kirchenrates 1.2.3.1. Otto von Grünrade 1.2.3.2. Bartholomäus Pitiscus 1.2.3.3. Abraham Scultetus 1.2.4. Der späthumanistische Dichter- und Gelehrtenkreis 1.2.4.1. Paul Schede Melissus 1.2.4.2. JanusGruter 1.2.4.3. Petrus Denaisius 1.2.4.4. Johann Philipp Pareus 1.2.4.5. Friedrich Lingelsheim 1.2.4.6. Julius Wilhelm Zincgref
251 251 258 258 260 260 260 262 266 268 270 271 274 274 276 279 281 283 283 286 287 288 288 290 291 292 293 293 295 296 298 298 300 304 306 308 310
X 1.2.4.7. Balthasar Venator 1.2.5. Agnes Loefen
313 315
1.3. Schlesien 1.3.1. Einleitung 1.3.2. Caspar Dornau 1.3.3. Martin Opitz 1.3.4. Bernhard Wilhelm Nüssler 1.3.5. Christoph Coler 1.3.6. Albert von Sebisch 1.4. Straßburg 1.4.1. Einleitung 1.4.2. Johann Lobbetius 1.4.3. Josef Junta 1.4.4. Matthias Bernegger 1.4.5. Josias Glaser 1.5. Nürnberg 1.5.1. Einleitung 1.5.2. Obertus Giphanius 1.5.3. Conrad Rittershausen 1.5.4. Scipio Gentiiis 1.5.5. Johannes Praetorius 1.5.6. Joachim Camerarius 1.6. Augsburg 1.6.1. Einleitung 1.6.2. David Hoeschel 1.6.3. Philipp Hainhofer 1.6.4. Simon Tolman 1.7. Anhalt 1.7.1. Einleitung 1.7.2. Caspar Peucer 1.7.3. Christian Becmann 1.8. Weitere Korrespondenten 1.8.1. Vorbemerkung 1.8.2. Hugo Blotius 1.8.3. Gottfried Jungermann 1.8.4. Melchior Goldast von Haiminsfeld
317 317 319 321 325 326 327 328 328 331 332 334 338 338 338 341 343 344 345 347 348 348 350 351 352 353 353 356 357 358 358 358 360 361
2. Eidgenossenschaft 2.1. Einleitung 2.2. Basel 2.2.1. Johann Jakob Grynaeus 2.2.2. Johannes Buxtorf der Ältere 2.2.3. Johannes Buxtorf der Jüngere 2.2.4. Ludwig Lucius 2.2.5. Bürgermeister und Rat der Stadt Basel
365 365 371 371 374 375 376 377
XI 2.3. Genf 2.3.1. Théodore de Bèze 2.3.2. François Hotman
378 378 380
3. Frankreich 3.1. Einleitung 3.2. Jacques Bongars 3.3. Isaac Casaubon 3.4. Jacques-Auguste de Thou 3.5. Das Cabinet Dupuy 3.5.1. Pierre Dupuy 3.5.2. Nicolas Rigault 3.5.3. Nicolas Claude Fabri de Peiresc 3.6. Jean Hotman 3.7. Estienne de Sainte Catherine 3.8. Falvigny 3.9. Daniel Tilenus
383 383 389 398 402 404 404 407 408 410 412 416 417
4. Niederlande 4.1. Einleitung 4.2. Leiden 4.2.1. Bonaventura Vulcanius 4.2.2. Joseph Justus Scaliger 4.2.3. Daniel Heinsius 4.2.4. Hugo Grotius 4.2.5. Johannes Meursius 4.3. Hubert Languet
419 419 425 425 426 429 432 437 440
5. England 5.1. Einleitung 5.2. Sir Henry Savile 5.3. Sir Henry Wotton 5.4. Thomas Murray 5.5. William Trumbull der Ältere 5.6. Basil Feilding, Earl of Denbigh 5.7. Marco Antonio de Dominis
442 442 448 449 452 452 453 454
Zusammenfassung
457
ANHANG
A. Briefverzeichnis B. Edition
475 546
Abkürzungsverzeichnis
582
XII
Quellen- und Literaturverzeichnis A.Quellen I. Briefe 1. Briefhandschriften in Archiven und Bibliotheken 2. Briefeditionen II. Weitere Quellen 1. Handschriftenbestände 2. Altdrucke 3. Neuausgaben, Kritische Editionen B. Nachschlagewerke, Hilfsmittel 1. Biographische Lexika, Enzyklopädien 2. Kataloge, Verzeichnisse, Bibliographien C. Wissenschaftliche Literatur
583 583 583 583 585 585 588 589 593 595 595 598 600
Personenregister
669
EINLEITUNG
1.
Ausgangslage und Fragestellung De Lingelshemio putasne me unquam m o n e n d u m fuisse? At volenti et cupienti illud obstitit, quod nihil prope de ilio dicere possum, quam quod ipse vidi. N a m totam eius iuventutem ignoro et de sola eius extrema aetate ilia observavi, quae in moribus egregia erant. Natalem, parentes, studia adolescentiae, progressus annorum et doctrinae, dignitatum principia et cursum nisi ab aliis disco, a m e nihil impetro. 1
Mit diesen zurückhaltenden Zeilen antwortete Balthasar Venator in seinem Brief vom 23. September 1637 auf die Anfrage des Straßburger Professor historiarum Matthias Bernegger, einen Panegyricus auf Georg Michael Lingelsheim zu verfassen. Venator gehörte einst in Heidelberg zu dem eng mit Lingelsheim verbundenen Dichter- und Freundeskreis um Zincgref und hatte später, nach seiner Flucht aus Heidelberg, fur vier Jahre als Erzieher im Straßburger Haus Lingelsheims ein Unterkommen gefunden.2 Er kannte also den Verstorbenen persönlich. Zudem war er schon 1631 mit einem von den Zeitgenossen überaus lobend aufgenommenen Panegyricus auf Janus Gruter hervorgetreten,3 hatte sich also bereits als gelehrter Lobredner in der res publica litteraria mit einer
1
V e n a t o r a n B e r n e g g e r , 2 3 . 0 9 . 1 6 3 7 (REIFFERSCHEID
1889, S. 5 6 6 ) . - D a s
Literaturver-
zeichnis meiner Arbeit mußte angesichts des weitgesteckten Untersuchungsgegenstandes äußerst umfangreich geraten; u m das Auffinden der Titel der in den A n m e r k u n g e n nur verkürzt zitierten Werke zu erleichtern, wird folgendes Verfahren der Kurztitelansetzung praktiziert, das auch die Anordnung im Literaturverzeichnis wiedergibt: Handschriftlich überlieferte Briefe und andere handschriftliche Quellen werden unter einem Buchstabensigle der jeweiligen Institution und dann mit den Angaben des Bestandes zitiert (die Siglen sind im Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt);
2 3
gedruckte Briefeditionen sind mit einem Kurztitel (in der Regel dem N a m e n der Person, deren Briefe in der jeweiligen Ausgabe versammelt sind, oder dem N a m e n des Herausgebers) und der Jahresangabe angegeben, die N a m e n sind dann in Kapitälchen gesetzt; gedruckte Quellen werden unter den N a m e n der Verfasser oder Herausgeber aufgeführt; in der Zitation der Kurztitel wird zwischen zeitgenössischen Ausgaben (denen in K l a m m e r n die Jahreszahl nachgestellt ist) und modernen Editionen (bei denen die Jahreszahl fehlt) unterschieden; bio-bibliographische Lexika werden entweder unter den N a m e n der Herausgeber bzw. Verfasser zitiert (hier wie bei modernen Editionen bei mehreren Werken eines Autoren bzw. Editoren mit einem nachgestellten Kurztitel) oder nach den üblichen Abkürzungen zitiert (z.B. ADB); Kataloge, Verzeichnisse, bibliographische Nachschlagewerke usw. werden unter einem Kurztitel ohne Jahreszahl zitiert; wissenschaftliche Literatur ist nur unter dem N a m e n der Verfasser bzw. Herausgeber mit A n g a b e des Erscheinungsjahres vermerkt. Vgl. dazu Teil II, Kap. 1.2.4.7. Panegyricus lano Grutero Scriptus a Balthasare Venatore (1630) (ohne die Beilagen auch abgedruckt bei Witte: Mem. II, S. 2 1 2 - 2 7 6 ) . Belege für die A u f n a h m e der Schrift bei REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S . 8 9 7 .
4 Schrift auf einen ihrer fuhrenden oberrheinischen Vertreter bewährt. Venators Zurückhaltung im Falle Lingelsheims ist deshalb mehr als nur rhetorische Bescheidenheit. Denn den Plan eines Panegyricus auf seinen ehemaligen Förderer verfolgte er durchaus. 4 Aber um die Probleme, die sich dabei stellten, wußte er nur allzu genau: Besonders über die Herkunft und den Bildungsgang des jungen Lingelsheim ließ sich kaum etwas herausfinden. Ob, wie man heute sagen würde, die schlechte Materialbasis den Ausschlag dafür gab, warum dieser Panegyricus niemals zustande kam, ob die bald wachsende Last seiner Dienstgeschäfte Venator nicht die Muße ließ, sein Vorhaben zu verwirklichen, ist angesichts fehlender Quellen nicht zu klären. Während zu Lingelsheims Hochzeit im Jahre 1596 oder zu den Todesfällen seiner Söhne poetische Beiträge aus der Gelehrtenrepublik geliefert wurden, 5 fand sein Tod keinerlei literarischen Niederschlag in der reichen kasualen Produktion der Zeit. Es ist höchstens darüber zu spekulieren, inwieweit es den Zeitumständen geschuldet war, daß eine Lobrede auf einen wichtigen Vertreter der kurpfälzisch-calvinistischen Partei in der letzten Phase des Dreißigjährigen Krieges nicht erschien. Dem zunächst einmal auf die Fakten verwiesenen Historiker jedweder Disziplin bleibt nur festzustellen, daß die biographisch in der Regel so ungemein wertvollen Quellen, Epicedien, orationes panegyrici, Leichenpredigten vor allem, für Georg Michael Lingelsheim nicht vorliegen. Was allerdings vorliegt, ist eine überaus umfangreiche Korrespondenz, die Georg Michael Lingelsheim mit Gelehrten und Diplomaten in vielen Teilen des Heiligen Römischen Reiches und Europas führte. In den universalen, nationalen und regionalen Sammel-Biographien wird seit dem ersten Eintrag zu Georg Michael Lingelsheim in Bayles Dictionnaire historique et critique bis heute stets auf seine Briefwechsel mit verschiedenen späthumanistischen Gelehrten verwiesen. Gräße charakterisiert Lingelsheim als einen der großen Epistolographen des 17. Jahrhunderts, »der fast [...] mit allen damaligen gelehrten Leuten im Briefwechsel stand«. 6 Durch die Ausgabe Briefe G.M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde, die Alexander Reifferscheid im Jahre 1889 veranstaltete, wurde Lingelsheim für die Forschung endgültig als eine zentrale Figur in der res publica litteraria um 1600 erkennbar. Die hier versammelten, größtenteils erstmals aus Handschriften vor allem in Kopenhagen, Breslau, Hamburg veröffentlichten Briefe dokumentieren, daß Lingelsheim über seine Korrespondenzen sowohl mit der älteren europäischen Gelehrtengeneration um Schede Melissus, Scaliger, Gruter, Bongars als auch mit der Generation junger deutscher Dichter um Opitz und Zincgref in freundschaftlichem Austausch stand. Mit Reifferscheids Edition sieht die Germanistik zu Recht eine Grundlage für eine Biographie Lingelsheims geschaffen. 7 Welche herausragende Bedeutung Lingelsheims Korrespondenzen für eine Geschichte der späthumanistischen 4
5 6 7
So noch A n f a n g 1638, vgl. seinen Brief an B e m e g g e r vom 13.02.1638 (REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 5 7 0 ) . Dazu ausfuhrlich in Teil I, Kap. 3.1.2.2. Gräße 1853, S. 330. So z.B. Garber 1984, S. 173.
5 Gelehrtenrepublik im konfessionellen Zeitalter - und damit auch einer biographischen Beschäftigung mit seinem Leben und Werk - zuzumessen ist, bringt dann auch Claus-Peter Clasen in seinem Essay The Palatinate in European History zum Ausdruck: »Dr. Michael Lingelsheim kept a vast correspondance with diplomats, philosophers, poets and professors all over Western Europe«, betont er zunächst noch einmal den Umfang der Lingelsheimschen Briefwechsel und die europäische Ausdehnung seines Korrespondentenkreises, um daran eine knappe inhaltliche Charakterisierung dieser Korrespondenzen anzuschließen, die das gesamte in dieser Arbeit zu behandelnde Themenspektrum prägnant umreißt und damit zugleich die Bedeutung dieser Briefe als Quellen des Späthumanismus im konfessionellen Zeitalter verdeutlicht: »His correspondance covered the religious, intellectual, aesthetic and political interests of Protestant Europe.« 8 Diese Briefwechsel, die sich für einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren erhalten haben, sind die Quellengrundlage dieser Arbeit. Neben seinen Briefen hinterließ Lingelsheim nur ein äußerst schmales >literarisches< Werk, das aber selbstverständlich in die Untersuchung einzubeziehen ist, zumal es auch hier unbekannte Schriften zu entdecken gilt, während bekannte Urteile zu überprüfen und teilweise zu revidieren sein werden. Lingelsheims Korrespondenzen in den Mittelpunkt einer Untersuchung zum Späthumanismus im konfessionellen Zeitalter zu stellen, scheint aus mehreren Gründen überaus angebracht. So spannt sich seine Lebenszeit nicht nur über fast den gesamten Zeitraum, der von der Geschichtswissenschaft als konfessionelles Zeitalter gefaßt wird, sondern er war als führender kurpfälzischer Oberrat in einer exponierten Position auch in die konfessionspolitischen Konflikte seiner Zeit involviert. Lingelsheim ist damit ein Zeitzeuge jener geistesgeschichtlichen Epoche um 1600, die in dieser Arbeit mit dem Begriff des »Späthumanismus« erfaßt werden soll. Auch deshalb ist es dieser Arbeit angelegen, nicht nur das >politische< Wirken Lingelsheims zu untersuchen, sondern auch und vor allem den >Gelehrten< ins Zentrum zu rücken und damit verbunden seine Stellung innerhalb der res publica litteraria, die damals das gesamte gelehrte Europa umfaßte, zu untersuchen. Beide >Lebenssphären< sind nicht voneinander zu trennen. Diese Arbeit geht vielmehr von einer interdependenten Dualität (spät)humanistischer Existenz aus, die selbstverständlich je nach Tätigkeit, nach individuellem Zuschnitt, nach persönlichen Gewichtungen etwa konfessionellen Engagements oder gelehrter Kontemplation zu einer jeweils eigenen und spezifischen Konzentration auf die eine oder andere >Seite< fuhren kann. 9 8
9
Clasen 1963, S. 45f. - Der Essay von Clasen liegt in zwei lediglich an der Angabe des im Titel genannten Untersuchungszeitraums zu unterscheidenden Auflagen vor, die beide unter zahlreichen Verwechslungen der Datierungen und Namensangaben, die unverständlicherweise auch in der zweiten Auflage nur teilweise korrigiert wurden, leiden. Ich zitiere in dieser Arbeit grundsätzlich nach der ersten Auflage von 1963. >Gelehrter< wird hier deshalb nicht so verstanden, wie ihn jüngste sozialhistorische Definitionsversuche typologisch charakterisieren wollen, nämlich als »Menschen, dessen Berufsoder bevorzugte Hauptbeschäftigung während einer längerfristigen biographischen Konstellation das Denken und das >Mitteilen< von Gedachtem« (Keck [u.a.] 1996, S. [2]) sei; derartige Definitionen gehen an der gelehrten Realität des Späthhumanismus vorbei.
6 Eine Biographie Lingelsheims, das sei sogleich präzisiert, ist nicht das Anliegen dieser Arbeit. Gleichwohl wird in ihrem ersten Teil das Leben, Wirken und Werk Lingelsheims als späthumanistisches Lebensbild zumindest in den heute noch rekonstruierbaren Umrissen entworfen werden. Im zweiten Teil wird dann der Korrespondentenkreis Lingelsheims dargestellt. Dafür werden seine Korrespondenten regional geordnet. Keine andere Epoche scheint sich für raumkundliche Fragestellungen, wie sie einst von Joseph Nadler am weitestgehenden konzipiert, zugleich aber auch folgenreich diskreditiert worden sind, so sehr anzubieten wie die des Späthumanismus.10 Bereits Erich Trunz hat in seinem grundlegenden Aufsatz zum deutschen Späthumanismus um 1600 als Standeskultur die reiche Ausbildung regionaler, untereinander vielfältig verbundener Gelehrtenzirkel als symptomatisch für die späthumanistische Gelehrtenrepublik erkannt." Hier wird der Versuch unternommen, diesen Ansatz für den gesamten Korrespondentenkreis Lingelsheims weiterzuführen. Dafür sind seine Korrespondenzpartner zum einen als >Personen< prosopographisch zu erfassen und zu charakterisieren, zum anderen aber geographisch als >Gruppen< oder >Kreise< zusammenzufuhren und einzuordnen. Es wird zu überprüfen sein, ob eine regionale Zuordnung der Korrespondenten in jedem Einzelfall eindeutig gelingt, ob also am Beispiel der regionalen Korrespondentenkreise Lingelsheims wenigstens ausschnitthaft eine Topographie der europäischen Gelehrtenrepublik im Späthumanismus erkennbar wird. Es ist das Ziel dieser Arbeit, auf Basis der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims einen späthumanistischen Korrespondentenkreis in der europäischen Gelehrtenrepublik zu erfassen und zu erschließen, um daraus Aufschlüsse über die personellen und sozialen Strukturen, die Kommunikationsformen und Themen, das Selbstverständnis, die gelehrten Diskussionen und Austauschprozesse sowie die konfessionellen bzw. konfessionspolitischen Positionen dieses speziellen >Kreises< im konfessionellen Zeitalter zu gewinnen.
10
"
Vgl. Nadler 1923. Jüngst erst hat Garber 2003, S. 115, wieder ausdrücklich für einen kulturraumbezogenen Ansatz plädiert: Dem kann man, insbes. im Blick auf die Zeit des Späthumanismus, nur uneingeschränkt zustimmen. Hier zitiert nach der um zahlreiche Materialien ergänzten Ausgabe Trunz 1995a. Erstmals an verstecktem Ort erschienen (in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 21 [1931] 17-53), erfuhr dieser Beitrag erst durch seine Aufnahme in den Band Deutsche Barockforschung (Hg. v. Richard Alewyn. Köln 1965, dort S. 147-181) eine breitere Forschungsrezeption.
2.
Zum Begriff des Späthumanismus: Umrisse einer Epoche
Der Begriff des »Späthumanismus« ist seit längerem und bis heute immer wieder Gegenstand durchaus kontroverser Diskussionen nicht nur innerhalb des germanistischen Faches, sondern auch über die Grenzen der verschiedenen historischen Disziplinen hinaus. Daß er für diese Arbeit übernommen und sogleich im Titel als Signatur einer Epoche appliziert wird, scheint somit der Begründung zu bedürfen. Wenn Nicolette Mout im Vorwort zu ihrer Quellenedition Die Kultur des Humanismus wie selbstverständlich formuliert: »Für die Zeit nach Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ist es üblich, den Terminus >Späthumanismus< zu benutzen«,1 dann impliziert das einen fachspezifischen und ebenso interdisziplinären Konsens, der keineswegs hergestellt ist. Ganz im Gegenteil besteht nicht einmal eine einheitliche Begrifflichkeit für jenen Zeitraum, der von Mout bezeichnet wird. Zumeist ist hier, außerhalb der deutschen Forschung fast ausschließlich, von der späten oder Spätrenaissance, wenn nicht gar vom »Ende der Renaissance« die Rede.2 Allerdings findet sich der Begriff des Späthumanismus, vielfach in adjektivischer Verwendung, auch in den Werken oder in Aufsätzen der Sammelbände, die die Renaissance im Titel fuhren, immer wieder. Man scheint kaum ohne ihn auskommen zu können, wenn man sich mit kulturgeschichtlichen Fragestellungen der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
Mout 1998 (»Einleitung. Der Humanismus in der Renaissance«, S. 11-26, Zitat S. 19). So der Titel von Buck/Klaniczay 1987. Dieser Tagungsband ist für die Diskussion um den Späthumanismus überaus hilfreich, fast alle Beiträge liefern aufschlußreiche Hinweise für die Auseinandersetzung mit diesem Begriff, zumeist aber ohne das damit verbundene epochale Problem zu diskutieren. Das ist bei der Studie von Bouwsma 2000 nicht der Fall: Ganz im Gegenteil wird hier versucht, das knappe Jahrhundert zwischen 1550 und 1640 als eine geschlossene Epoche in ihrer Gesamtheit zu analysieren - diese wird allerdings wiederum nicht als Späthumanismus (oder dann als late humanism), sondern als »later Renaissance« bezeichnet. Wiederum aber ist damit verbunden, wie bereits der Titel anzeigt, das Untergehen, das Auslaufen der Renaissance in diesem Zeitraum zu betrachten. Lange versuchte die Forschung zudem, diesen Zeitraum, unter dem Paradigma der Krise der Renaissance, mit der maßgeblich von Arnold Hauser (v.a. Hauser 1964) geprägten Manierismus-Theorie zu erfassen; diese Diskussion hat sich heute erledigt. Auch hier kam es zu einem unreflektierten, definitorisch nicht abgesicherten Nebeneinander der Begrifflichkeiten »Manierismus« und »Späthumanismus« und damit zu Unscharfen. Tibor Klaniczay (Klaniczay 1987a) z.B. erblickt in seinem Beitrag in dem eben genannten Tagungsband im Manierismus nicht nur einen Kunst- und Literaturstil, sondern möchte damit auch die diesen prägende Mentalität bezeichnet wissen; sobald er sich in seiner Betrachtung dem politischen Denken der Zeit und hier speziell Justus Lipsius zuwendet, charakterisiert er diesen jedoch als den »vielleicht bedeutendste^] Geist des europäischen Späthumanismus« (S. 29). Offensichtlich scheint man bei allen immer wieder betonten Schwierigkeiten im Umgang mit dem Späthumanismus doch ohne ihn begrifflich nicht auskommen zu können.
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hunderts annähert. Er besitzt offenbar für viele Autoren zumindest eine synonyme Qualität, um eine Person oder einen Sachverhalt jenes Zeitraums mit einem zutreffenden Schlagwort zu charakterisieren. Eine begriffliche oder gar inhaltliche Reflexion bzw. Problematisierung fehlt in diesen Fällen zumeist. 3 Wo sie aber auf einer kulturhistorischen Ebene in verschiedenen thematischen Kontexten stattfindet, wird nicht selten sogleich das für viele nach wie vor Problematische dieses Begriffs, werden die divergierenden Interpretationen, Einordnungen, Ansätze deutlich, ist die Uneinigkeit über >einen< Späthumanismus bzw. typische, charakteristische, eben spezifisch späthumanistische Erscheinungs- und Ausdrucksformen groß. 4 Das wird nirgends greifbarer als in den Beiträgen des erst kürzlich von Notker Hammerstein und Gerrit Walther herausgegebenen Tagungsbandes zum Späthumanismus, übrigens der ersten ausschließlich diesem Thema gewidmeten Konferenz überhaupt. 5 Man darf den Herausgebern dafür dankbar sein, daß sie damit >den< Späthumanismus als interdisziplinären Forschungsgegenstand aufgegriffen haben. Die Beiträger suchen ihn hier aus Sicht verschiedener Fächer unter dann natürlich fachspezifischen Problemperspektiven als kulturhistorische Epoche zu umreißen, ihn typologisch zu beschreiben und in Einzelphänomenen zu erfassen. Jedoch wird das epochale Problem, das mit dem Begriff verbunden ist, von den Autoren theoretisch so gut wie gar nicht erörtert bzw. höchstens in dann zumeist knappen Resümees der bisherigen Diskussionen abgehandelt. Dieser Band ist somit vor allem eine Bilanz der Kontroversen. Neues, Weiterfuhrendes bietet er nur in einzelnen Aufsätzen, ansonsten werden wohlbekannte Positionen wiederholt, werden vor allem auch die Schwierigkeiten, die die einzelnen Forscher mit dem Späthumanismus als Forschungsparadigma haben, ausformuliert. Zentrale Aspekte, etwa der Zusammenhang späthumanistischer Gelehrtenkultur und des Entstehens der nationalen Literaturen, weitestgehend
Zwei Beispiele (von vielen, die teilweise in den folgenden Anmerkungen noch vorgestellt werden): Hassinger 1987, der den Begriff ausschließlich zur chronologischen Einordnung des von ihm betrachteten Zeitraums benutzt, aber keinerlei theoretische Reflexion darüber versucht, ob und was an dem von ihm analysierten Schrifttum womöglich in irgendeiner Form als charakteristisch oder typisch »späthumanistisch« bezeichnet werden könnte; und Taegert 2000, der ein sehr gelungenes Porträt des schlesischen Dichters Johannes Cynaeus (1563-ca. 1611) und kluge Analysen seiner neulateinischen Dichtungen bietet, dafür im Titel die Signatur »ein gekrönter Dichter des Späthumanismus« wählt - der aber ebenfalls keinerlei Reflexionen über Gemeinplätze hinaus zum Späthumanismus anstrengt bzw. zu dem, was Cynaeus womöglich zu einem späthumanistischen Dichter zumal schlesischer Provenienz macht. Vgl. etwa die Arbeiten von Anton Schindling. Er hat - und man erkennt hier den Einfluß Joachimsens - in seiner einschlägigen Dissertation zur Straßburger Hohen Schule aus Sicht einer humanistischen Wissenschaftskonzeption noch keine Notwendigkeit für diese Terminologie gesehen, vielmehr erschien ihm aus der »Kontinuität« im humanistischwissenschaftlichen Denken heraus »die Ausgliederung einer Epoche des Späthumanismus [...] bei dem Beispiel Straßburg problematisch« zu sein (Schindling 1977, S. 396); heute benutzt er den Begriff des Späthumanismus in seinen Studien etwa zu Heidelberg oder Frankfurt am Main ganz selbstverständlich (vgl. z.B. den unten, in Anm. 70, zitierten Aufsatz) und spricht sogar von einem »Zeitalter des Späthumanismus« (so in Schindling 1999). Hammerstein/Wal ther 2000.
9 der Komplex späthumanistischer Dichtung überhaupt, 6 oder derjenige der gelehrten Kommunikation innerhalb der internationalen res publica litteraria, 7 werden dagegen nur gestreift. Das dürfte auch im Ansatz dieses Bandes begründet liegen, der - wie es im Untertitel bezeichnenderweise heißt - das »Ende einer kulturhistorischen Epoche«, des Humanismus also, untersuchen und damit zugleich dokumentieren möchte. Späthumanismus wird somit zum späten Humanismus und also zur letzten Phase einer ihm übergeordneten geistesgeschichtlichen Epoche erklärt. 8 Das impliziert Spätzeitlichkeit und ebenso Verfall, das assoziiert Formalismus, Künstlichkeit, Erstarrung. Beispiele für diese Deutung gibt es freilich schon früh: So spricht Konrad Bursian für die Zeit nach etwa 1550 vom »Greisenalter des deutschen Humanismus«, 9 so markiert Paul Joachimsen ebenfalls um die Jahrhundertmitte das Ende des Humanismus, auf das nur noch ein »Weiterschleppen von Formen ohne neuen Gehalt« folge. 10 Georg Ellinger bezeichnet die neulateinische Dichtung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus der gleichen Perspektive als >nachhumanistisch< u - eine ebenfalls abwertende Wendung, die jüngst noch bei Manfred Welti in seiner Formulierung von der »Zeit des Nachhumanismus«, die für ihn um 1520/40 einsetzt, wiederbegegnet. 12 Ellinger fand die Hauptmasse der neulateinischen Dichtung jedoch nicht in der Zeit des eigentlichem Humanismus, sondern in jener des von ihm so apostrophierten Nachhumanismus; sie war ihm indes reine Schulpoesie. Gegen diese erlebnisästhetische Verurteilung gäbe es zahllose Beispiele beizubringen, auch wenn bislang nur ein Teil dieser neulateinischen Dichtung erschlossen und bekannt ist. Zwar blieb Poesie lehr- und lernbar und das an den antiken Autoritäten, doch kam es zur allmählichen Befreiung von der bloßen imitatio, suchte man im eigenen Werk die produktive Konkurrenz mit den Vorbildern, 13 artikulierte man auch hier - wie etwa Wilhelm Kühlmann an Beispielen der Heidel-
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Vgl. dazu unten S. 30ff. Dazu die Forschungsbeiträge bei Bots/Waquet 1994 zu den spezifischen Kommunikationsformen der res publica litteraria. Dieser Aspekt wird in nahezu allen im folgenden zitierten Studien zur europäischen Gelehrtenrepublik und zur Gelehrtenkultur berücksichtigt, so daß sich an dieser Stelle weitere Hinweise erübrigen. Deutlich wird diese chronologische Definition z.B. auch an dem Band von Härder/Rothe 1998 mit dem bezeichnenden Titel Später Humanismus. Dieser Band allerdings gehört zu den wichtigsten Beiträgen einer regionalen Späthumanismus-Forschung jüngster Zeit; die Verfasser widmen sich in ihren Beiträgen den verschiedenen Erscheinungsformen und dem politisch-sozialen Kräftefeld des Humanismus in Böhmen um 1600. Dazu hat seit Jahrzehnten gerade die tschechoslowakische Forschung immer wieder Einschlägiges vorgelegt, vgl. etwa Martinek 1963. Bursian 1883, S. 219. Joachimsen 1969, S. 58. Ellinger 1929-33. Welti 1998. Auch Welti verwendet in seiner der europäischen Spätrenaissance gewidmeten Studie die Begriffe »Nachhumanismus« und »Späthumanismus« parallel, ohne daß erkennbar würde, in welchem Kontext sie für ihn in der von ihm untersuchten Epoche Berechtigung gewinnen. Vgl. dazu unten (S. 30ff.) meine wesentlich auf den Forschungen von Wilhelm Kühlmann basierenden Ausführungen.
10 berger Neulateiner um 1600 vorführt - »Daseinserfahrungen [...], die in der wahlverwandtschaftlichen Übernahme antiker Lebensentwürfe und Wahrnehmungen auch das eigene, selbst das private Lebensgefühl zur Sprache bringen konnten«.14 So hätten die Dichter durchaus einen »ästhetischen Freiheitsraum der Poesie gegenüber gesellschaftlicher Auftragsdichtung und theologisch-moralischer Bevormundung«15 beansprucht, in welchem sie sich jenseits der ständischen Hierarchie eine eigene Welt »eines Sprache gewordenen Umgangs mit den eigenen Affekten« 16 einrichteten. Die literarische Produktion im neulateinischen Idiom erlebte in allen Bezirken der Literatur um 1600 einen Höhepunkt. Latein als Sprache der Literatur gewann eine Dominanz zurück, die es im Zeitalter der Reformation verloren hatte. Das läßt sich schon quantitativ fassen anhand der Buchproduktion, die insgesamt stetig anstieg und größerenteils bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts lateinisch blieb.17 Die gelehrte Literatur erschloß sich allerdings neue Gebiete des Wissens, insbesondere im Zuge der wissenschaftlichen Revolution und der Erweiterung der Welt durch die Entdeckungen neuer Kontinente und des Kosmos. 18 Andere Gattungen, wie etwa die Topographie oder die Historiographie,
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So im Nachwort von Kühlmann/Wiegand in: Parnassus Palatinus, S. 311. Kühlmann 1988, S. 704. Ebd., S. 708. Vgl. Trunz 1995a, S. 32; auch Martino 1976, bes. S. 107ff. Zur Geschichte der Naturwissenschaften in der Renaissance und zum Verhältnis der Humanisten zu ihr sei nur verwiesen auf: Schmitz/Krafft 1980 (für das 15. und 16. Jahrhundert), Boas 1988, sowie jüngst die versammelten Aufsätze in Osler 2000, die v.a. die immer wieder betonte Revolution der Naturwissenschaften kritisch reflektieren. Dazu auch Cohen 1994. Zum Streit zwischen humanistisch-philologischen und naturwissenschaftlichen Methoden im 16. Jahrhundert immer noch erhellend Buck 1959. Allerdings darf man nicht übersehen, daß auch in den Naturwissenschaften letztlich dieselbe humanistische Geisteshaltung zugrunde lag wie in allen anderen Bereichen der Kultur und des gelehrten Lebens (vgl. Gadol 1969). Eine gute Einfuhrung in die Entwicklung der Naturwissenschaften in der Renaissance bietet Krafft 1991, der hier ebenfalls das Wirken des humanistischen Prinzips der aemulatio im Bereich der humanistischen Studien konstatiert, indem aus dem Bewußtsein der Distanz und Unterbrechung der Tradition heraus die Schüler, also die Renaissance-Humanisten, ihre antiken Lehrer zu übertreffen meinten, weil jene ihnen zu wenig zu sagen hätten. Diese wissenschaftliche Revolution in den Naturwissenschaften vollziehe sich »während der Epoche des Renaissance-Humanismus mit teilweise beträchtlichen Phasenverschiebungen - bis hin zu einem Späthumanismus im 17. Jahrhundert« (S. 365). Diese Stelle ist auch deshalb zitiert, weil sie wiederum einen anderen Späthumanismus-Ansatz andeutet: Der Renaissance-Humanismus wird aus naturwissenschaftlicher Perspektive für das gesamte 16. Jahrhundert in Anspruch genommen, ein Späthumanismus entfaltet sich demnach erst, wiederum als Abschlußphase, im 17. Jahrhundert. Von Krafft nunmehr auch der grundsätzliche wissenschaftsgeschichtliche Problemaufriß (Krafft 2001). Die These der >zwei KulturenDisziplinen< erschienen (Berling 2002, Hamel 2002), so daß auf weitere Angaben hier verzichtet werden darf. Der herausragende Stellenwert der Astronomie im Wissenschaftssystem der Renaissance wird bereits deutlich durch die Vielzahl der allein in Deutschland im 16. Jahrhundert publizierten Schriften dazu, die bei Zinner 1964 bibliographiert sind. - Zur Bedeutung der Entdeckungen für den Humanismus schließlich, der darin seit Mitte des 16. Jahrhunderts immer mehr ein Argument für die Überlegenheit der eigenen Zeit gegenüber der Antike erblickte, vgl. die Beiträge in dem Band von Reinhard 1987; daß diese Würdigung als große Leistung der eigenen Zeit allerdings schon im frühen Humanismus, also sogleich mit Beginn der Entdeckung der neuen Welt, nachzuweisen sei, führt Wuttke 1992 aus. 19
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Einfuhrend in die Geschichte der Historiographie der Frühen Neuzeit Muhlack 1991. Zur humanistischen Historiographie und zur Bedeutung, die die Humanisten der Geschichtsschreibung beimaßen, der beste Überblick in dem Band von Buck 1991; vgl. auch Keßler 1971. Jetzt zur humanistischen Landesgeschichtsschreibung der Band von Brendle [u.a.] 2001, sowie Fallstudien zu mitteleuropäischen Landesbeschreibungen versammelnd der Band von Härder 1982; vgl. zum Interesse der Späthumanisten am landeskundlichen Schrifttum auch die Bemerkung von Garber (unten Anm. 22). Eine Fallstudie zur Historiographie am Hofe Maximilians I. von Bayern neuerdings von Schmid 2000, der im Rahmen der eben erwähnten Späthumanismus-Tagung Aspekte und Probleme dieser Hofhistoriographie untersucht und sich mit ihr als »späthumanistische« Form dieser Gattung auseinandersetzt: Soweit er hier humanistische Schreibtraditionen weiterwirken sieht (und dies überall dort, wo er eine »Rückwärtsorientierung« [S. 111] in Form und Ausdruck erkennt!), verharrt er ganz auf dem Standeskultur-Theorem von Trunz, das Neue dagegen (Ablösung des zyklischen Geschichtsverständnisses, Methodik, Gedanke der aemulatio) erscheint ihm weniger späthumanistisch als barock (S. 112).-Nur am Rande sei notiert, daß etwa in dem Standardwerk von Wegeies (Wegele 1885) mit deutlichen Parallelen zu Bursian die Phase der Historiographie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als »Zeitalter [...] des Stillstandes« überschrieben ist (S. 339). Für die Zeit um 1600 und zu Anfang des 17. Jahrhunderts ist in der Forschung allgemein akzeptiert, von einer großen Krise zu sprechen, die alle Lebensbereiche berührte (vgl. etwa zusammenfassend Koenigsberger 1982). Daß diese vielfältigen politischen, konfessionellreligiösen, sozialen und geistigen Krisensymptome von den Zeitgenossen als überaus bedrohlich empfunden wurden und zu einer tiefgreifenden Verunsicherung führten, ist bekannt. Es scheint Auteri 1992 den sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Zugang zu bieten, das Laiebuch (1597) als ein Werk der verblühenden späthumanistischen Kultur zu interpretieren, in dem sich Kulturpessimismus und das Eingeständnis einer Niederlage der gelehrten Kultur ausdrückten; hier wird also wiederum mit der Kategorie eines endenden Humanismus, dieses Mal eines um 1600 endenden Späthumanismus operiert. Das Krisenhafte bietet aber eben die Folie der politischen, religiösen und mentalen bzw. >sozialpsychologischen< Realitäten, vor der sich der Späthumanismus entfaltet und auf die er v.a. auch zu reagieren versucht, wie im folgenden noch aufgezeigt werden soll. Auch Auteri spricht auf S. 251 übrigens dem Verfasser des Laiebuchs die eindeutige Absicht zu, an die Gelehrten appellieren zu wollen, sich nicht von den politischen und sozialen Auseinandersetzungen fernzuhalten, »sondern die eigene Rolle als Bürger und Intellektuelle wahrzunehmen und im Kampfe gegen die Übermacht der Fürsten, die sich der gelehrten Juristen als Ratgeber, Sekretäre und Hauslehrer bedienen, ihnen jedoch jegliches Mitspracherecht absprechen, Stellung zu beziehen.« Eine Krise späthumanistischer Kultur war in erster Linie eine Legitimationskrise in dem unten noch näher ausgeführten gesellschaftlichen und politischen Kontext, wie ihn v.a. Kühlmann 1982 nachvollzieht, vgl. auch schon ders. 1976.
12 nach 1550 war nämlich nicht Greisenalter, sondern wie andere Spätlesen (Spätantike, Spätgotik, Spätbarock, Spätromantik) Erntezeit.«21 Eingebracht wurde diese Emte auch durch das Sammeln in Form biobibliographischer Kompendien, poetischer Kollektaneen und Anthologien oder eben Briefeditionen. Sie dienten nicht nur dem Bewahren, sondern auch dem Beweis des selbst und von den Zeitgenossen Geleisteten; das stets auch im Blick auf eine Demonstration der Ebenbürtigkeit mit den antiken Paradigmata und dem Bewußtsein der Entwicklungshöhe der eigenen Zeit. Sie brachten ebenso das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gelehrten zum Ausdruck und trugen ihrerseits zu einer Stärkung des Gruppenbewußtseins zumal in Zeiten des konfessionellen Drucks bei.22 Mit dem Humanismus hatte sich ein neuer, ein gelehrter Stand gebildet, der sich jenseits der ständischen Gesellschaftsordnung formierte, sich gleichwohl aber nur innerhalb dieser etablieren konnte und dem es deshalb stets um Einpassung und Abgrenzung im Betonen der eigenen gesellschaftlichen Bedeutung und gelehrten Würde angelegen war.23 Die res publica litteraria besaß ein ausgeprägtes Standesbewußtsein. Der humanistische »enthusiasm for everything ancient«24 formte in der europäischen Renaissance ein neues Vernunft- und Tugendideal, das in bewußter Verwerfung der Scholastik über das Studium der Antike zu humanitas und pietas und somit zur >Veredelung< des Menschen
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Fleischer 1990, S. 140. Man wird freilich über die Vergleiche mit anderen Spätzeiten durchaus diskutieren können. - Auch mit der Metapher der Ernte- bzw. Blütezeit läßt sich im übrigen das Urteil des qualitativen Verfalls der humanistischen Literatur nach der Mitte des 16. Jahrhunderts für manche Autoren durchaus verbinden, so etwa Wörster 1998, S. 304, der zwar die Leistungen des mährischen Späthumanismus auf dem Gebiet der Landeskunde und in der Weiterfuhrung und Verbreitung der zuvor, in der »Kernzeit«(!) des H u m a nismus, vorgelegten oder initiierten Werke und Gedanken würdigt, aber an seinem Beispiel Olmütz feststellt, »daß die Zeit des Späthumanismus quantitativ recht produktiv war, daß sie qualitativ aber stagnierte. Ihr fehlte im Zeichen der Jesuiten und der Gegenreformation ein bemerkenswerter literarischer oder geschichtlicher Anspruch, ihr fehlte der spezielle mährische Akzent, der nach den eigenen Grundlagen fragte und der in vielen Arbeiten der Zeit vor 1550/60 deutlich zu erkennen war. Die Landesbeschreibung, das Stadtlob und die Geschichtsschreibung treten in Mähren nicht mehr hervor oder sind nur noch in Ansätzen bei Paprocki und in den Städtechroniken erkennbar. D a f ü r wird die Gattung des in barocker Weise ausgestalteten Gelegenheitsgedichts in großem U m f a n g gepflegt.« (Man beachte auch hier die >interessante< Einbettung des Barockbegriffs in diesen SpäthumanismusAnsatz!)
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Vgl. dazu Garber 2000; ders. 2003, S. 126. Besonders auch das landeskundliche Schrifttum »aller Spielarten« sei von den Späthumanisten gepflegt worden (vgl. oben Anm. 19). Dazu allgemein, neben den im folgenden noch zu nennenden Studien (vgl. v.a. A n m . 27, 43, 89) und als nur ein Hinweis aus der Vielzahl weiterer Forschungsarbeiten zu diesem Zusammenhang, die Arbeit von Treml 1989 sowie den ersten Abschnitt der großen Studie von G r i m m 1983 (»Gelehrtentum und Humanismus im 16. Jahrhundert«). Zur Funktion des Lateinischen für die Konstitution einer eigenen Gruppenidentität der Humanisten als eigener Stand vgl. Bernstein 2003, dessen Aufsatz v.a. wegen der hier hauptsächlich konsultierten englischsprachigen Forschungsliteratur Interesse verdient, ansonsten aber nichts N e u e s bringt. Kristeller 1955, S. 7. Neben dieser Studie für meine Ausführungen wichtig Kristeller 1974-76 (die in diesen beiden Bänden versammelten Aufsätze werden im folgenden nicht einzeln zitiert, sondern stets nach d e m Sammelband).
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13 hinleiten wollte. Das betraf auch seine Rolle und Verantwortung als >BürgerAnlaufstelle< für auswärtige Besucher boten, die dorthin auf ihren peregrinationes kamen; etwa die zahlreichen literarischen Zirkel des späthumanistischen Paris, bedeutende Universitäten wie Leiden und ihre weithin berühmten Professoren, private Kreise um einflußreiche Mäzene wie derjenige Lord Arundels usw. 27 Diese >Organisationsform< erreichte eben in der Zeit des Späthumanismus ihre größte Ausbreitung.
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Garber 1983, S. 31. Dies führte zu einer Abschottung gegenüber den nichtgelehrten bürgerlichen Schichten (vgl. etwa neben den genannten Studien von Grimm und den noch zu nennenden von Mertens und Kühlmann dazu Beetz 1987, S. 156). Zur Homogenität und Festigung eines eigenen Standes trug auch die Entstehung von Amts- und Gelehrtengeschlechtern bei, die untereinander verwandtschaftliche Beziehungen besaßen bzw. gezielt eingingen. - Über die soziologische, historische und dann auch staatsrechtliche Tragweite der Begriffe »Bürgertum«, »bürgerliche Gesellschaft«, »bürgerlich« für das 16. und 17. Jahrhundert kann an dieser Stelle nicht reflektiert werden. Für das Selbstverständnis der res publica litteraria war weniger die soziologische Zugehörigkeit innerhalb der alten, nach wie vor aber gültigen Ständeordnung prägend als vielmehr das Bewußtsein eines eigenen, jenseits dieser alten Ordnung sich etablierenden Gelehrtenstandes, der sicherlich für den Adel um 1600 weit weniger Attraktivität besaß als für das städtische Bürgertum (vgl. dazu unten auch die Anm. 88).
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Vgl. dazu Entner 1996. Zu den gelehrten Zirkeln in Paris Boer 1938 (außerdem die unten, Anm. 71, zitierten Studien zum Cabinet Dupuy von Garber); zur Stellung der Universität Leiden in der europäischen Gelehrtenrepublik Dibon 1975; zum Kreis um Arundel Howarth 1985. Auf Paris und Leiden wird im zweiten Teil dieser Arbeit noch ausfuhrlicher einzugehen sein. - Zur res publica litteraria gibt es inzwischen eine umfangreiche Forschungsliteratur; in diesen Kontext gehören alle Studien zur Gelehrtenkultur und ihren Institutionen, die in den folgenden Anmerkungen genannt werden. An dieser Stelle sei deshalb auf darüber hinausgehende Hinweise verzichtet. Zur Wort- und Begriffsgeschichte vgl. Schalk 1977, Fumaroli 1988a, bes. S. 136f., Waquet 1989, Huber 1996, Jaumann 1997. Die Diskussion der Gelehrten über das Wesen und ihr Selbstverständnis der Gelehrtenrepublik, über Ideal und Wirklichkeit eines ebenso gelehrten wie gesellschaftlichen Konzeptes wird in zahlreichen Studien analysiert, der Schwerpunkt liegt dabei auf der (früh-)aufklärerischen Epoche und dem 18. Jahrhundert - auch hier also wird eine Kontinuität seit dem Humanismus hergestellt, aus der sich ein gewichtiges Argument gegen einen Abbruch dieser gelehrten Tradition bereits im 16. Jahrhundert ergibt. Zumal diese Reflexionen und Konzepte auf die sodalitas-Entwürfe der frühen Humanisten zurückgehen (dazu etwa der bis in die Antike zurückgreifende Beitrag von Garber 1990 [mit allen einschlägigen Literaturangaben] und die Aufsätze zur europäischen Sozietätsbewegung in Garber/Wismann 1996, bes. Bd. II, S. 1069ff.). Zum Forschungsstand und gleichzeitig künftige Forschungsperspektiven entwerfend Jaumann 2001a; in diesem von ihm edierten Band auch die gegenwärtig ergiebigsten Forschungsbeiträge zur europäischen Gelehrtenrepublik im konfessionellen Zeitalter.
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Erich Trunz hat in seinem bekannten Aufsatz, der den Einsatz einer Späthumanismus-Forschung in Deutschland markiert und ihr zugleich den Weg gewiesen hat, diese gelehrte Kultur als Standeskultur betrachtet und sie für den deutschen Späthumanismus um 1600 untersucht und ihn dadurch phänomenologisch zu charakterisieren getrachtet. Er analysiert die personelle und soziale Zusammensetzung der späthumanistischen Gelehrtenkreise, ihre Organisation und ihre Kommunikationsformen, ihr Selbstverständnis und eben ihr Standesbewußtsein. Zur Gelehrtenrepublik gehörten demnach alle, die ein Studium absolviert hatten und einen >gelehrten Beruft ausübten.28 Sie bildeten für Trunz gesellschaftlich und geistig eine Einheit, innerhalb derer jedoch der erworbene akademische Grad zu einer Hierarchisierung führte. »Der kleine Kreis der Hochschulprofessoren war anerkannt als Sammel- und Mittelpunkt des ganzen geistigen Lebens der >respublica literariaKollegen< aufzusuchen.30 Zum Reisegepäck habe dabei stets ein Stammbuch gehört. Vor allem hätten sich die Späthumanisten schriftlich artikuliert, eine umfangreiche Freundschaftsdichtung geübt und weitreichende Korrespondenzen gepflegt. Gerade in der herausragenden Bedeutung, die innerhalb der res publica litteraria der Schriftlichkeit beigemessen wurde, sah Trunz einen spezifischen Ausdruck eines späthumanistischen Freundschaftskults, der »eine bewußte Stilisierung des Zusammenlebens«31 gewesen sei und in dem sich seelisches Bedürfnis und literarisches Empfinden je nach persönlicher Anlage vermischt hätten. Das Movens ihrer literarischen Produktion erkannte er dabei in »der Sucht, Leben und Namen der Nachwelt zu
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Trunz 1995a (zu seiner Publikation s. oben S. 6, Anm. 11). - Allerdings erschienen noch in den dreißiger Jahren in Deutschland einige weitere Abhandlungen unter der Titulatur des »Späthumanismus« zu Einzelgestalten aus dieser Epoche, denen es aber - mit der Ausnahme von Hess 1939, der hier die Auseinandersetzung der Sphären des Glaubens und Wissens am Beispiel Gassends untersucht - an der theoretischen Stringenz von Trunz mangelt (Pietsch 1934, Pfutzenreuter 1936) und die damit in erster Linie nicht mehr als eine chronologische Einsortierung verbinden, durchaus aber auch Symptome des kulturellen Verfalls bzw. der kulturellen Erstarrung voraussetzen. Es zeigen sich jedoch immerhin Ansätze, hier ein Forschungsparadigma zu entwickeln, das schließlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen und dann sogleich durch Gerhard Oestreich (s. unten) wesentlich weiterentwickelt wurde.
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Trunz 1995a, S. 21. Ebd., S. 28-31; vgl. die Anm. 88 genannte Literatur zu Gelehrtenreise und Kavalierstour. Ebd., S. 35.
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15 überliefern«.32 Bis heute ist diese sozialgeschichtliche Analyse von Trunz, insbesondere im Blick auf die Organisationsstruktur und Kommunikationsformen, grundlegend für unser Bild von der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, obgleich einzelne seiner Thesen, vor allem sein Ansatz einer eruditär-exklusiven Standeskultur, inzwischen modifiziert und vielfach differenziert worden sind. So wie die Schreibmotivationen durchaus individuelle, über die Pflege und Bezeugung von Freundschaft hinausgehende Züge besaßen, so waren auch die Differenzierungen innerhalb der Gelehrtenrepublik viel ausgeprägter, als es Trunz erscheinen wollte. Der Besuch einer Hochschule reichte nicht aus, um gleichberechtigt an dieser Kommunikation partizipieren zu können, wenn man etwa nur als Schullehrer oder Dorfpfarrer fern der gelehrten Zentren, die in den Städten mit Universitäten oder (und) Residenzen lagen, tätig war.33 Gleichwohl versuchte auch diese Schicht, Kontakte herzustellen, sich durch Gedichte und Briefe in Erinnerung zu bringen oder bekannt zu machen, die eigene Gelehrsamkeit zu beweisen und sich der gelehrten Aufmerksamkeit anderer würdig zu erweisen. Wilhelm Kühlmann hat mit seiner exemplarischen Studie zum Leben und Werk des pfalzischen Dramatikers Theodor Rhodius nachgewiesen, daß gerade für diesen Kreis der literarische Verkehr mehr als die Demonstration akademischer Zugehörigkeiten und nicht nur die Teilhabe an veräußerlichten Ritualen einer gelehrten >Standeskultur< bedeutete. Sich mit einem Freund über Gelesenes zu verständigen, in der Nachfolge anerkannter Dichter zu schreiben, dabei antike Formen und modernen >Geschmack< zur Deckung zu bringen, sich so vor anderen und 32
Ebd., S. 23. Diese humanistische Freundschaft basierte nach Trunz auf einer strikten Trennung zwischen häuslichem und wissenschaftlichem Leben: »Die Ehen der Gelehrten waren bürgerlich, einfach, wirtschaftlich. Die Frauen waren Hausfrau und Mutter. Geistig galten sie wenig, sie konnten sogar Versuchung des Teufels sein. Der andere Gelehrte dagegen war nicht nur verstehender Freund, sondern verkörperte auch die Wissenschaft, und Wissenschaft war ein Weg zu Gott« (ebd., S. 35). Zur späthumanistischen Freundschaftskultur vgl. auch Sturzenegger 1996, die die Topoi der Freundschaftsdichtung an ausgewählten Texten von Dach und Fleming analysiert, sowie die Überlegungen zum deutschen Freundschaftsgedicht des 17. Jahrhunderts und seiner Funktionalität wie Wirkungsstrategie in der poetisch-gelehrten Kommunikation von Ingen 1998, der ebenfalls die Einbindung in die antik-humanistische Tradition verdeutlicht. Dazu auch die Dissertation von Wilms 1962. Zur Artikulation späthumanistischer Gelehrtenfreundschaft in der brieflichen Kommunikation vgl. die exemplarischen Aufsätze von Seidel 1990 und 1998 sowie Babel 1990. Zahlreiche Aspekte gelehrter und persönlicher Freundschaft finden sich auch in den einzelnen Aufsätzen des Bandes von Körkel [u.a.] 2001 thematisiert; sie seien hier nicht einzeln zitiert. Humanistische Freundschaft besitzt in dieser Zeit ebenso eine soziale Funktion wie sie auch das Einnehmen einer spezifischen sozialen Rolle im Beziehungsgeflecht voraussetzt; vgl. zu diesen Aspekten die sozialpsychologische Freundschaftstheorie von Kon 1979, zum angedeuteten Zusammenhang dort S. 17 (zum allmählich eindringenden und immer stärker mit der Freundschaft verbundenen »Intimitätsbedürfnis«, das sich mit der allmählichen Individualisierung des Alltags seit dem 17., endgültig im 18. Jahrhundert durchsetzt, vgl., das Beispiel Montaignes in den Mittelpunkt stellend, S. 55ff.).
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Das haben inzwischen verschiedene Einzelstudien deutlich gemacht, so etwa für den hier besonders interessierenden späthumanistischen Kreis Heidelbergs Mertens 1974 (gegen Fechner 1970) oder Kühlmann 1988. Allgemein zu den Differenzierungen innerhalb des Gelehrtenstandes Grimm 1983, S. 25-65. Auch waren nicht alle regionalen Gelehrtenkreise gleichermaßen in die gelehrte Kommunikation eingebunden; als Fallstudie zu einem regionalen späthumanistischen Kreis in einer kleinen Residenz jetzt Walter 2003.
16 vor sich selbst zu bestätigen dies gehörte nicht zum Rollenspiel des Gelehrten als öffentlicher Figur, sondern zu einer Identität verbürgenden, Gefuhlsmomente des Glücks umfassenden Lebensbewältigung. 3 4
Das Lob der Freundschaft könne dann als ideeller Entwurf angesichts der räumlichen und intellektuellen Abgeschiedenheit, in der der Dichter gelebt habe, eine physische Entlastung verheißen und garantieren. 35 Damit bot die Freundschaftspflege gerade den Gelehrten, die in einem untergeordneten Dienstverhältnis standen, einen Weg, den »Konflikt zwischen Position und Qualifikation, von der Diskrepanz zwischen meritokratischem Selbstbewußtsein und sozialer Verunsicherung« auszugleichen. 36 Schon Trunz ist der Hinweis zu entnehmen, daß sich humanistische Bildung im späthumanistischen Zeitraum immer weiter verbreitete. 37 Allerorten wuchsen die Studentenzahlen überproportional. Der Humanismus trat erst in der nachreformatorisehen Zeit seinen Siegeszug an den Hohen Schulen und Universitäten an. Erst jetzt erreichten die humanistischen Bildungsideale ihre volle Entfaltung und Wirkung. »Erst jetzt«, so faßt Gerrit Walther diese Entwicklung zusammen, dominierten die methodischen Standards des Humanismus die gelehrte Argumentation, seine Musterautoren den Diskurs der Eliten, so daß niemand, der in öffentlichen oder gelehrten Dingen mitsprechen wollte, auf humanistische Bildung verzichten konnte. Gerade in seiner >spätenGemeinschaftÖffentlichkeitMacht< führte.42 Aus ihrem elitären Selbstverständnis und ihrem selbstbewußten Einfordern eines exponierten gesellschaftlichen und intellektuellen Status' resultierte keineswegs, sich im Sinne eines lebensweltlichen Rückzugs in den Elfenbeinturm der Erudition einzuschließen. Ganz im Gegenteil zielten bereits die italienischen Bürgerhumanisten auf öffentliche Tätigkeit als höchstes Ideal menschlicher Selbstverwirklichung,43 erschienen ihnen otium und negotium, die Früchte der studia humanitatis und die Amtsgeschäfte in Diensten der italienischen Stadtstaaten, als Einheit.44
danken sind, vgl. etwa Hammerstein 1987 und 2000a. Ich zitiere die Aufsätze Hammersteins, die jüngst unter dem programmatischen Titel Res publica litteraria versammelt worden sind, im folgenden grundsätzlich nach dieser Ausgabe (Hammerstein 2000) und verzichte auf Hinweise auf die früheren Erscheinungsorte. Weitere Einzelstudien insbes. zum späthumanistischen Bildungsideal im calvinistischen Raum bieten die in dieser Arbeit später noch mehrfach konsultierten Arbeiten von Schindling 1977, Menk 1981, Castan 1999. Den Einfluß des Humanismus auf die Artistenfakultäten der katholischen Hochschulen untersucht Seifert 1984; zum Einfluß des Humanismus auf die oberen Fakultäten der Band von Keil [u.a.] 1987. Unter den katholischen Hochschulgründungen des konfessionellen Zeitalters darf dank der Forschungen von Baumgart (1978, 1978a, 1982, 1984) Würzburg als wohl am besten untersucht gelten. Gerade dort aber hat Schubert 1973 einen überkonfessionellen Kreis späthumanistischer Gelehrter um Conrad Dinner ausgemacht. Ob daraus allerdings abzuleiten ist, den Späthumanismus durch in ihm angelegte - und hier realisierte - Ansätze einer »politischen Opposition« zu charakterisieren (Walther
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2000. S. 121), scheint mir ein zu weitgehender Schluß zu sein. - Insgesamt zum Bildungsund Erziehungsideal der Renaissance Musolff 1997, außerdem der Band von Reinhard 1984. Zum europäischen Kontext in der Frühen Neuzeit der Sammelband von Rüegg 1996. Trunz 1995a, S. 14f. Für Garber 2003, S. 111, ist das ein epochales Kennzeichen des Späthumanismus; vgl. auch oben S. 10 mit Anm. 18. Dazu etwa für die Frühe Neuzeit Zedelmaier 1992, Häfner 2001, Zedelmaier/Mulsow 2001. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive entwickelt Grafton 1991 die Zusammenhänge von literarisch-textbasierter gelehrter Tradition und den Herausforderungen an diese durch die sich immer weiter durchsetzenden Prämissen von Empirie und logischer Rationalität; auch diese Untersuchung zeigt die Kontinuität (aber natürlich auch die Wandlungen) der gelehrten Diskussionen in der gesamten Frühen Neuzeit. Zum Begriff der >Öffentlichkeit< in der Frühen Neuzeit vgl. neben der bekannten Studie von Gestrich 1994 für das 17. Jahrhundert Körber 1998 und Repgen 1998. Grundlegend zur Soziologie und zur Entfaltung des italienischen >Bürgerhumanismus< in der Renaissance nach wie vor Martin 1974 (der eine vita activa et politica als integralen Bestandteil des humanistischen Ethos erkannte, wenngleich mit Phasen eines wirklichkeitsfremden, dem Ideal der freien Existenz geschuldeten Rückzugs in die Antike, die erst so zum Symbol der Abgrenzung gegen die >alten< Stände wurde); weiterhin zur gesellschaftlichen Rolle der Humanisten in Italien die Ausfuhrungen von Buck 1981. Dazu außerdem Batkin 1979, bes. S. 102-170 (Kapitel: »Die Humanisten - Charakter einer Kulturgruppe«). Gerade in ihrem Anspruch, für den allgemeinen Nutzem wirken zu wollen, maßen die Humanisten der Beredsamkeit die entscheidende Funktion zu; durch sie in erster Linie konnte Gelehrsamkeit zu Erkenntnis und Weisheit fuhren. Ausgehend von den beiden klassischen Untersuchungen von Burckhardt 1860 (hier benutzt in der Ausgabe von Horst Günther 1997) und Voigt 1859 (hier in der 3. Auflage 1893 zi-
18 Ein genuines Betätigungsfeld bot sich den Humanisten in der Fürstenerziehung. Erasmus wollte einen christlichen Herrscher erziehen, der nicht nur durch den Umgang mit sittlich guten Menschen, sondern insbesondere durch den Umgang mit Büchern zu einem philosophus christianus werden sollte. Auch Castigliones Hofmann mußte die humanae litterae kennen, sollte über gute Latein- und Griechischkenntnisse verfugen, über Kenntnisse in Beredsamkeit und Geschichte, sollte mit der Poesie, der Musik, der Malerei vertraut sein. Dabei ging es allerdings nicht um Gelehrsamkeit und Philosophie als Selbstzweck, sondern um ihre Nutzbarmachung für die politische Praxis.45 Spezialistentum blieb die Sache der Gelehrten; fürstliche Erziehung zielte auf Ausbildung der Herrscherkünste. Denn nur ein gelehrter Fürst, der die doctrina, prudentia und mores auf humanistischer Grundlage gelernt hatte, konnte nach humanistischem Verständnis ein geordnetes und gesittetes Gemeinwesen fuhren.46 Notker Ham-
tiert) hat sich die europäische Wissenschaft eingehend mit dem Humanismus Alteuropas befaßt. Deshalb seien aus der Fülle der Literatur nur einige wenige der grundlegenden, den gesamten europäischen Raum abschreitenden Arbeiten genannt, für die einzelnen Staaten und Territorien sei auf die weiterfuhrenden Literaturangaben unter den entsprechenden Kapiteln dieser Arbeit verwiesen. Zunächst einmal die beiden deutschsprachigen literaturgeschichtlichen Grundwerke von Buck 1972 und der dritte Band der Propyläen Geschichte der Literatur (= Wischer 1988), die jeweils in fundierten Einzelartikeln die Entwicklung der nationalen Literaturen in Renaissance und Barock vor dem gemeinsamen humanistischen Kulturhorizont behandeln. Ihnen zur Seite zu stellen sind der Sammelband von Garber 1989 sowie die Einführung von Thomson 1983 in der Kindler Kulturgeschichte Europas. Weiterhin als gediegene Einfuhrung Buck 1987 und die Sammlung von Mout 1998; vgl. auch den Artikel von Kühlmann/Wiegand 1992 (mit Verzeichnis aller einschlägen Literatur), sowie als Abriß über die europäische Renaissance Garber 1996a. Zum Selbstverständnis der Humanisten die in der Forschung m.E. viel zu wenig berücksichtigte große Arbeit von Heer 1959. Zu den Begriffen der humanitas Newald 1963 bzw. des humanista Kristeller 1974-76, Bd. I, S. 102f. (bezeichnet war damit der Lehrer der studia humanitatis); zum Konzept der res publica litteraria die oben in Anm. 27 genannten Arbeiten, denen die Aufsätze in den beiden Bänden von Neumeister/Wiedemann 1987 hinzuzufügen sind. Als großer Überblick über die Geschichte der klassischen Philologie sodann unübertroffen Sandys 1964 (für den hier behandelten Zeitraum Bd. II) für die europäische Gelehrtenrepublik und Bursian 1883 für das deutsche Gebiet. 45
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Einfuhrend in die Fürstenerziehung der Renaissance Bonfatti 1987, S. 175-183; weiterhin Boehm 1984. Es gibt auch zu diesem Zusammenhang eine umfangreiche Forschungsliteratur, zudem sind zahlreiche der wichtigsten Erziehungsschriften der Humanisten ediert; es darf als bekannt vorausgesetzt werden und deshalb an dieser Stelle bei dem Hinweis auf die beiden genannten Aufsätze belassen bleiben. - Zu Erasmus' Institutio Principis Christiani sei nur verwiesen auf die Einführung in die lateinisch-deutsche Ausgabe von Anton J. Gail (Erasmus: Inst.); insgesamt zur Bildungskonzeption des Erasmus auf die - leider ungedruckte - Dissertation von Schoch 1988. Zur Wirkung des Cortegiano Burke 1996, zur Einfuhrung in Werk und Wirkung Loos 1980. Hammerstein 2000b betont, daß die Praxis der Fürstenerziehung ganz intensiv von den Humanisten umgestaltet und ausgeübt wurde, daß sie also nicht bloß als Verfasser von Fürstenspiegeln in Erscheinung traten: »Die Ratgebenden selbst waren vielfach schließlich mehr als reine >Bücherexistenzenilliteratum regem nihil aliud esse nisi coronatum asinumBehörden< intellektuelle, methodische, sprachliche wie kommunikative und damit auch politische Dominanz gewann. Der Bedarf der Fürsten - und auch der Städte - an Humanisten wuchs ständig. Die steigende Zahl der Studenten, die vermehrte Gründung von Landesuniversitäten, aber auch überhaupt die wachsende landesherrliche Fürsorge um das Schulwesen waren Symptome eines fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Umwandlungsprozesses im alten Europa, der im 16. Jahrhundert einsetzte: die Ausbildung der frühmodernen (Territorial-)Staaten. Mit dem Beginn der Frühen Neuzeit wurde die Transformation Alteuropas in die modernen Nationalstaaten eingeleitet.48 Im Laufe dieses Prozesses wurde das politische, wirtschaftliche und soziale Leben einer stetig zunehmenden Verrechtlichung, d.h. einer verbindlichen Setzung rechtlicher Normen, unterworfen. Das umschloß auch und insbesondere den kirchlichen Bereich. Die Geschichtswissenschaft hat dies unter dem Begriff der Konfessionalisierung interpretiert,49 die
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Ziehungsideals zum rex philosophus, das bis in den Späthumanismus (und darüber hinaus) verbindlich blieb, vgl. die Bemerkungen von Müller 1976, S. 248f., Fertig 1979, S. 31-43, und Flandrois 1992, S. 101-115. Die rhetorischen Argumentationsstrategien, die gerade von der panegyrischen Literatur für das Bild des >guten< Herrschers entwickelt (und damit auch eingefordert) wurden, analysiert exemplarisch für die Gelegenheitsdichtung auf August den Starken Heidt 1997, vgl. allgemein zum >barocken< Herrscherlob auch Verweyen 1 9 7 6 . - Z u den frühneuzeitlichen Fürstenspiegeln die Auswahledition von Mühleisen [u.a.] 1997 (mit dem Vorwort von Hans-Otto Mühleisen und Theo Stammen, S. 9-21) und Singer 1981 sowie die Beiträge in Mühleisen/Stammen 1990, zu den deutschen Fürstenspiegeln des 17. Jahrhunderts Müller 1985a. Darüber hinaus für die >politische< Theorie der Fürstenerziehung und der Herrschaftsfuhrung im Deutschland des 17. Jahrhunderts die Studie von Weber 1992a. Hammerstein 2000d, S. 316. Für den europäischen Kontext einführend auf der Höhe des Forschungsstandes Schulze 1995 sowie, die geschichtswissenschaftliche Kontroverse um den Absolutismusbegriff aufnehmend, der Tagungsband von Asch/Duchhardt 1996. Vgl. zum Kontext von Dreißigjährigem Krieg und Nationenbildung auch den Aufsatz von Schmidt 1998. Der maßgeblich von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling in die historische Diskussion eingeführte Begriff der Konfessionalisierung ist zu einem zentralen Leitbegriff der Frühneuzeitforschung avanciert (dazu den Forschungsstand reflektierend Schmidt 1992). Er läuft allerdings Gefahr, in seiner Interpretation als »gesellschaftlicher Fundamentalvorgang, der das öffentliche Leben in Europa tiefgreifend umpflügte« (Schilling 1988a, S. 6; vgl. auch ders. 1989, S. 90), den Blick darauf zu verstellen, daß dieser Prozeß in der Gesamtperspektive einer hauptsächlich im obrigkeitlichen Interesse seit dem Ende des Mittel-
20 die reformatorischen Energien in der Hand des Fürsten zu einem wirkungsvollen Instrument der Herrschaftsverdichtung bündelte. Auf dem Wege zu einer absolutistischen Staatsform sicherte sich die souveräne weltliche Gewalt die Kontrolle über sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens. Sie mußte dafür einen zunehmend differenzierten administrativen Apparat mit entsprechend qualifizierten Bedienten installieren. Diese Beamten rekrutierte der Landesherr unter den Humanisten, die einzig den neuen Aufgaben durch ihre Ausbildung gewachsen waren, die damit aber selbst Positionen und Einflußsphären gewinnen konnten, die ihnen aktive Rollen in diesem Prozeß, politische Gestaltungsräume< also, sowohl eröffnete als auch zuwies. Es erscheint geradezu widersinnig, einen Humanismus, der hier seine immer eingeforderte öffentliche Wirkung so weitgehend wie nie zuvor erreichen und seine intellektuellen Potenzen in ganzer Fülle einbringen konnte, nicht mehr als >echtenStaaten< Alteuropas zu konstatieren. Die Jurisprudenz an den Universitäten wandte sich unter dem Einfluß der humanistischen Reform von der Scholastik ab und einer systematisch-kritischen Exegese des Corpus iuris zu, womit an den protestantischen Hochschulen auch eine Abkehr vom kanonischen zum römischen Recht einherging (mos gallicus). Herausragende Vertreter dieser neuen Richtung, deren Zentren in der Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst an den Universitäten von Bourges und Valence lagen, waren Jacques Cujas und Hugo Donellus, der später zunächst in Heidelberg, dann in Altdorf wirkte. Die humanistische Methode in der Jurisprudenz setzte sich vor allem an den calvinistischen Akademien und Universitäten durch, erfaßte zwar auch einige katholische Universitäten wie Douai und protestantische Universitäten wie Marburg und konnte auch in Oxford oder Cambridge über einige Professoren Einzug halten; die älteren, zumal katholischen Universitäten in Italien, Spanien oder dem Reich verschlossen sich jedoch dem mos gallicus - nicht aber dem Humanismus als Bildungsbewegung. Eine immer größere Rolle spielte dabei die Diskussion um das Naturrecht. Doch nicht nur auf die Entdeckung der Neuen Welt, sondern ebenso auf die Anforderungen der frühmodernen Staatsbildung mußte die Jurisprudenz als akademische >Disziplin< reagieren. Am Ende des 16. Jahrhunderts löste sie endgültig die Theologie als Leitwissenschaft ab und wandelte sich erneut, indem nun nicht mehr die historisch-philologische Behandlung des römischen Rechts, sondern »die Bewältigung der innerstaatlichen Verwaltungsund Verfassungsprobleme zur Hauptaufgabe der Juristen wurde«.55
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Vgl. insbes. Heckel 1983, zusammenfassend auch ders. 1985 sowie für die theologischjuristischen Probleme der reformierten Konfessionalisiening (und ebenfalls das Konfessionalisierungsparadigma problematisierend) seine Studien von 1996. Zum Zusammenhang humanistischer Reformen und Gründungen von Landesuniversitäten, frühmoderner Staatsbildung und der Rolle der Juristen in Staatsdiensten in diesem Prozeß detailliert Hammerstein 2000c; grundlegend für die Rolle der Juristen im Prozeß der frühmodernen Staatsbildung auch die Beitrage in dem Sammelband von Schnur 1986 (dort übrigens auch die Erstveröffentlichung des eben zitierten Hammerstein-Aufsatzes). - Die Instrumentalisierung universitärer Bildung für die Zwecke des frühmodernen Staates in Europa betont die Untersuchung von Stichweh 1991, bes. S. 125-231 (hier übrigens auch ein anregendes Kapitel, S. 113-124, über Gelehrsamkeit als Sozialzusammenhang und Konversationsraum). Rabe 1989, S. 426. Schmidt-Biggemann 1996, S. 4 0 8 . - Z u m Einfluß des Humanismus auf die Jurisprudenz neben der klassischen Darstellung von Stintzing 1880 (der für die Juristen-Generation um und nach 1600 von einem »Epigonengeschlecht auf dem Gebiete der Jurisprudenz in dem Sinne [...], daß sie von ererbtem Reichthum zehren und die vor ihnen gebrochenen und geebneten Bahnen fortwandeln«, spricht [S. 649] - also auch hier wieder ein vergleichbares Urteil wie in der Historiographie- und Philologiegeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts für jene Phase), neben der Einleitung von Coing 1977, S. 1-70, und dem ersten Band
22 Die europäischen Späthumanisten wirkten an diesen politischen und sozialen Umbrüchen und Umgestaltungen nicht allein durch ihre praktische Amtstätigkeit im frühmodernen Fürstenstaat mit. Sie beteiligten sich in vorderster Front mit ihren Schriften an den theoretischen Diskussionen über dessen Aufund Ausbau sowie über die dafür zentralen Fragen wie das Verhältnis zwischen Staat und Kirche und die Beziehungen der >Staatenwelt< untereinander.56 So wie die Modernisierung der Jurisprudenz fielen die ersten großen und wirkungsreichen frühneuzeitlichen staatstheoretischen und völkerrechtlichen Entwürfe eines Jean Bodin, eines Justus Lipsius, eines Hugo Grotius, in denen zentrale Begriffe wie virtus, prudentia, pietas, fortuna und das ius naturale in den Mittelpunkt rückten, in die späthumanistische Zeit. Ebenso hielten Entwürfe religiöser Toleranz und staatlicher Souveränität in die gelehrte Diskussion Einzug.57 Auch diese Gedanken wirkten weit über die Zeit des Späthumanismus hinaus.
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von Stolleis' Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland (Stolleis 1988) heranzuziehen die Untersuchung von Kisch 1972 und zuletzt ausfuhrlich der Aufsatzband von Troje 1993 (dort bes. die Aufsätze »Arbeitshypothesen zum T h e m a >Humanistische JurisprudenzStaatensystems< einher, mit der sich auch eine >Außenpolitik< entwickelte; vgl. dazu die Beiträge von Schilling, die seine Konfessionalisierungsthese (s. dazu aber die Anm. 49) auch in diesem Sinne weiterentwickelten (etwa Schilling 1991 und 1993): D e m n a c h formiert und entfaltet sich dieses neue System in der Zeitspanne zwischen etwa 1570/75 und 1625/30 - also genau in j e n e m Zeitraum, der auch in dieser Arbeit betrachtet wird. Zu den Anfängen religiösen Toleranzdenkens im 16. Jahrhundert vgl. Hassinger 1966, Aland 1969, für die humanistische Diskussion darüber Remer 1996. Über die Ausprägung religiöser Toleranz in der Frühen Neuzeit sind in letzter Zeit für England (Coffey 2000), Frankreich (Strayer 2001) und die Niederlande (Hsia 2002, wichtig auch die Beiträge in Berkvens-Stevelinck [u.a.] 1997) sowie in europäischer Perspektive mit dem Band von Duchhardt/May 2000 (hier für das 17. und 18. Jahrhundert) gewichtige Studien und Tagungsbände vorgelegt worden; für das Toleranzdenken in Deutschland zwischen d e m Augsburger Religionsfrieden und dem Westfälischen Frieden sei nur verwiesen auf die neueren Aufsätze von Gabel 1998 und Peterse 1998; vgl. außerdem die Studie von Schulze 1987 zur politisch-religiösen Semantik der Begriffe concordia, discordia und tolerantia im konfessionellen Zeitalter. Maßgeblich zum Gedanken der Religionsfreiheit die große Darstellung von Lecler 1965. Zu staatstheoretischen Konzepten der Souveränität und ihrer Entwicklung als politische Ordnungsvorstellung seit der Frühen Neuzeit vgl. Fowler/ Bunck 1995 und den Band von Peters/Schröder 2000; wichtig auch die Arbeit von Quaritsch 1986, der die Ausbildung des Souveränitätsbegriffs in Frankreich und Deutschland v o m Mittelalter bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches untersucht. - Es geriete schier uferlos, hier auch nur ansatzweise die Forschungen zu Bodins politischer Theorie zu zitieren (vgl. dazu die »Bibliographie zum geistes- und sozialwissenschaftlichen Schrifttum über Bodin zwischen dem Jahr 1800 und dem Jahr 2000« in der E i n f u h r u n g von Mayer Tasch 2000, S. 6 5 - 1 0 9 ) , erwähnt seien deshalb auch nur einige der wichtigsten neueren Publikationen: D a f ü r ist v.a. auf die Arbeiten von Simone Goyard-Fabre hinzuweisen (1989, 1989a, und jüngst als sehr schöne Einfuhrung 1999) sowie auf den Band von Zarka 1996, dessen Beiträge die Z u s a m m e n h ä n g e von ius naturale, Geschichte und Politik entwickeln, und als Einführung in Bodins Souveränitätsbegriff Spitz 1998. Bodins Theorie in den frühneuzeitlichen Zusammenhängen der staatstheoretischen Entwürfe analysieren
23 Wir verdanken Gerhard Oestreich die entscheidenden Hinweise darauf, daß der Späthumanismus keineswegs unpolitisch gewesen sei, sondern ganz im Gegenteil einen eminent politischen Charakter besessen habe. Ein zentraler Punkt der Theorie von Trunz wurde damit durch den Historiker Oestreich, der sich in seinen Forschungen über Jahrzehnte intensiv mit Justus Lipsius und dem niederländischen Späthumanismus befaßt hat, grundsätzlich korrigiert: Der Späthumanismus ist nun allerdings mehr als eine Standeskultur, wie Trunz meint, er ist mehr als eine Schule der vertieften Erudition, der kritisch-philologischen Methode, der genialen Konjekturen. [...] Eine solche Charakteristik des Späthumanismus ist durchaus einseitig, j a falsch. Die niederländische Bewegung war im Gegenteil durchaus auf eine umfassende Wissenschaft und Wirksamkeit aus, auf ein festes weltanschauliches Leitbild als Grundlage zur Lebensbewältigung, auf politisch-militärische Gestaltung, auf Erziehung zum öffentlichen Handeln, auf Selbstbeherrschung und Tat. 5 8
Lipsius empfahl seinen Zeitgenossen mit seiner neostoizistischen Philosophie dafür eine philosophia practica. Seine auf diese gegründete Staatsphilosophie bezog die politischen Verhältnisse auf einen rationalen Zustand und zugleich auf sittlich-humane Grundlagen zurück. Der Neostoizismus wirkte auf die Formierung des neuzeitlichen Machtstaates, dem Lipsius explizit einen Erziehungsanspruch überantwortete und damit den Ausbau seiner Machtsphäre legitimierte. Dabei allerdings sollte dem Fürsten und seinen Räten ein politischer Humanismus als umfassende Altertumswissenschaft mit seinen Erkenntnissen zur Seite stehen. Hier also wurde erneut das Bündnis zwischen späthumanistischer Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat bekräftigt und befestigt, hier setzte ein Späthumanist aus der Erfahrung seiner krisenhaften Gegenwart gesellschaftliche und politische Impulse für einen Wandel, zielte er auf >öffentliche< Wirkung unter jenen Ständen, die diesen neuzeitlichen Machtstaat stützten: »Fürstentum, Beamtentum und Heer als Träger des neuzeitlichen Machtstaates«, so fuhrt
Foisneau 1997 (hier auch Grotius!) und jetzt Rosin 2003. Nicht mehr einsehen konnte ich die Dissertation von Assane-Mayaki-Youssouf mit dem für meinen Kontext überaus zentralen Titel »Le problématique du fondement de l'autorité politique dans la théorie de la souveraineté de l'état à la renaissance. Machiavel et Bodin.« Diss. phil. Villeneuve 2003. Für Lipsius ist nach wie vor von der überragenden Dissertation Gerhard Oestreichs auszugehen, die erst nach mehr als zwei Jahrzehnten endlich durch Nicolette Mout herausgegeben wurde (Oestreich 1989); daneben vor allem die Studie von Saunders 1955. Als wichtige Fallstudie zur Wirkung von Lipsius' Theorie auf den Ausbau frühmodemer Staatlichkeit sei Dollinger 1965 genannt; zur Lipsius-Rezeption in der deutschen politisch-juristischen Literatur des 17. Jahrhunderts Stolleis 1990; weitere Arbeiten, v.a. von Oestreich, werden im entsprechenden Abschnitt in Teil I dieser Arbeit zitiert (s. unten S. 152f. mit den jeweiligen Anm). Lipsius' Politik ist erst kürzlich (2002) in einer kritischen Edition neu herausgebracht worden (Lipsius: Politica). Zu ihm sind jetzt außerdem die diversen, anläßlich seines 450. Geburtstages vorgelegten Sammelbände und Ausstellungskataloge heranzuziehen (Laureys 1998, Tournoy [u.a.] 1999, sowie für seine Zeit in Leiden Enenkel/Heesakkers 1997 und für seine Zeit in Löwen Tournoy [u.a.] 1997), die nunmehr die wichtigsten Aspekte des Werkes und Wirkens auf der Höhe des gegenwärtigen Forschungsstandes untersuchen. - Zu Grotius vgl. den entsprechenden Abschnitt in dieser Arbeit in Teil II, dort Kap. 4.2.4. 58
Oestreich 1969b, S. 39.
24 Gerhard Oestreich aus, »nehmen besonders den Geist der römisch-stoischen Tugend- und Pflichtenlehre auf, sie bilden eine ecclesia militans.« 59 Lipsius bietet mit der von ihm neugefaßten römischen Stoa sicherlich ein herausragendes Beispiel für die zeitgenössische Aufnahme und Wirkung späthumanistischer politischer und gesellschaftlicher Entwürfe. Der Humanismus hatte sich also keineswegs ins Unpolitische, auf das Katheder zurückgezogen. Es war vielmehr umgekehrt: Dieser politisierte (Spät-)Humanismus erreichte zwischen 1570 und 1620 den Höhepunkt seiner öffentlichen Geltung. 60 Die Späthumanisten stellten sich damit der wohl größten Herausforderung, mit der die humanistische Bewegung jemals konfrontiert worden ist. Sie mußten, ihrem Selbstverständnis und ihrem Anspruch gemäß, auf die zweifellos tiefgreifendste und das alte Europa in seinen Grundfesten erschütternde Veränderung des 16. Jahrhunderts reagieren: Die Spaltung der Christenheit, den Zerfall der einen Kirche in verschiedene Konfessionskirchen. Dieses Auseinanderbrechen zeichnete sich im Zeitalter der Reformation immer deutlicher ab, manifest und irreversibel wurde es spätestens durch die Gründung der anglikanischen Staatskirche, die Verbreitung und Festigung des Calvinismus, die überall mit konfessionellen Bürgerkriegen einherging, durch den Augsburger Religionsfrieden 1555. Die Reformation und die Glaubensspaltung haben das humanistische Denken in besonderem Maße herausgefordert, beeinflußt, aber auch verändert. 61 Die von den weltlichen Fürsten und Reichsstädten ausgetragenen Kämpfe um die Religionsfreiheit, die immer tieferen konfessionellen Gräben zwischen den Fürstenstaaten, die in unnachgiebigen Auseinandersetzungen zunächst auf der rechtlichen Ebene ausgetragen wurden, bald aber den militärischen Konflikt zur Durchsetzung der eigenen Ansprüche einkalkulierten, führten überall zu einer Destabilisierung, die im Reich durch die habsburgische Krise zusätzlich forciert wurde. 62 Andererseits instrumentalisierten die Territorialfursten und ihre Räte die konfessionellen Konflikte für die Durchsetzung von Machtansprüchen. Dabei kam es durch die Bildung der Konfessionskirchen zu einer Internationalisierung der Glaubensgemeinschaften, die insbesondere für den Calvinismus festzustellen ist,63 aber ebenso auf der katholischen Seite zu engen supranationalem Konstellationen führte, die hier wie dort mit machtpolitischen Allianzen verbunden waren. Die Humanisten waren immer religiös interessiert gewesen, sie wollten durch das Studium der antiken Autoren den durch die humanitas veredelten 59
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Ebd., S. 78. Grundlegend für Oestreichs Theorie vom Einfluß des Neostoizismus auf den Ausbau des frühmodernen (Fürsten-)Staates die in dem Band von 1969 versammelten Aufsätze; vgl. auch die ins Englische übersetzten Beiträge in Oestreich 1982. Das betont Garber 1983, S. 31 f., 37f. Vgl. Nauert 1998, insbes. den Forschungsüberblick zu diesem Zusammenhang, S. 192— 215. Zur Aufnahme der reformatorischen Gedanken, ihrer Ablehnung und dem Versuch der Einflußnahme seitens der Renaissance-Gelehrten vgl. den Tagungsband von Buck 1984. Dazu jeweils die einleitenden Bemerkungen zu den einzelnen Kapiteln in Teil II dieser Arbeit. Als Überblick bestens geeignet die Bände von Prestwich 1985 und Pettegree [u.a.] 1994 sowie der Beitrag von Kingdon 1998.
25 Menschen stets auch zu Frömmigkeit und Religion fuhren. Die Späthumanisten, die diesen Anspruch nie preisgaben, trafen auf eine gänzlich veränderte gesellschaftliche Situation: Der Weg zur >dignitas hominis* verlief jetzt in den Bahnen der Konfessionskirche und des Territorialstaates. Persönlich reagierten immer mehr der Humanisten mit einem Rückzug in einen privaten Glauben auf die Konfessionskonflikte ihrer Zeit. Nicht nur am Beispiel Lipsius' ist zu sehen, daß sich die Humanisten nach der Jahrhundertmitte aber keineswegs in ein universitäres Refugium zurückzogen, 64 daß der Humanismus ebensowenig seinen intellektuellen Reiz und seine moralische Kraft eingebüßt hatte. 65 Dafür war die Rolle der Späthumanisten in den Territorialstaaten zu einflußreich. Andererseits involvierten sie ihre zentralen Ämter intensiv in die konfessionellen Konflikte, führten sie als Juristen in den Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen, verlangten von ihnen als Beamten die Vertretung der landesherrlichen Interessen. Zugleich aber gewannen sie damit Optionen der Einflußnahme und der Mitgestaltung. Man wird vielfache Belege dafür beibringen können, daß die Späthumanisten freiwillig das konfessionelle Prinzip übernahmen. 66 Um so mehr konnten die konfessionellen Loyalitäten, zu denen sie durch ihren Amtseid verpflichtet waren, zu inneren Konflikten mit den Idealen der Gelehrtenrepublik führen. 67 Natürlich fanden sich auch unter den Späthumanisten, die im Fürstendienst standen, polemische S c h a r f machen und konfliktbereite Glaubenseiferer. Konfessionelles Engagement aber schloß humanistische Ambitionen grundsätzlich nicht aus. Die Konfessionalisierung, darin ist den Kritikern dieses historischen Forschungsparadigmas zuzustimmen, durchdrang letztlich nicht diesen Bezirk des Geistigen. 68 Gleichwohl durchzogen auch die Gelehrtenrepublik konfessionelle Grenzlinien. 69 Die Spaltung der Kirche führte auch zu einer Aufspaltung der res publica 64
Dies etwa gegen Hammerstein 2000a, S. 85, der das Drängen des Humanismus in die Universitäten damit begründete, daß diese nach der Reformation den einzigen Ort geboten hätten, an dem eine Öffentlichkeit existierte, die jedoch fern jeder politischen Öffentlichkeit verblieben wäre: Ein Ideal einer Bildungsaristokratie, »eines auch politisch tätigen Standes, einer an antiken Mustern ausgerichteten politischen Kultur, einer >Öffentlichkeit< konnte sich nicht entwickeln«. Dieser These kann ich, wie auch die Ausfuhrungen in diesem Abschnitt deutlich machen, nicht folgen.
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Ich möchte hier Walther 2000 widersprechen, der auf S. 116 ausführt: »Gerade sein äußerer Erfolg raubte ihm [dem Humanismus, A.W.] seinen intellektuellen Reiz, seine moralische Kraft und bewirkte, daß er von einem neuen, fesselnderen, existentiell stärker fordernden Medium, dem der Konfession, aufgesogen wurde.« Ebensowenig vermag ich Entner 1984, S. 49, darin zuzustimmen, daß der humanistische Anspruch durch die Konfessionalisierung nur noch theoretischer Anspruch geworden sei. - Dieser Aspekt wird in meiner Arbeit noch mehrfach aufgegriffen, die für den Ansatz eines politischen Humanismus relevanten Forschungsergebnisse sind in diesem einleitenden Kapitel zitiert, verwiesen sei auch auf meinen unten auf S. 39f. entwickelten Definitionsversuch. Vgl. Bouwsma 1990. Vgl. Jaumann 1998, S. 149. Vgl. die in Anm. 49 zitierte These von Anton Schindling. Dülmen etwa fuhrt fiir den bayerischen Späthumanismus vor, daß es keine Kontakte zu protestantischen Gelehrtenkreisen gab (Dülmen 1974); anders allerdings der Würzburger Kreis um Dinner (Schubert 1973), der allerdings eben nicht von Jesuiten dominiert wurde. Jener jesuitische Späthumanismus unterscheidet sich laut Dülmen (S. 393) jedoch folgen-
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26 litteraria, zumal es gerade die Gelehrten waren, die oftmals in vorderster Linie der konfessionellen und konfessionspolitischen Auseinandersetzungen kämpften, sei es durch ihre Schriften oder in ihrer zu Loyalität verpflichtenden Tätigkeit in Diensten der frühabsolutistischen Territorialstaaten. Die Grenzen jedoch waren durchlässig - und wurden immer wieder überwunden - auf der Ebene der Gelehrsamkeit. Was lebendig, was von konfessionellen Überlagerungen vielfältig ausgenommen blieb, war die gelehrte Kommunikation, waren der gelehrte Austausch und die gelehrte Zusammenarbeit. Der Lebensentwurf im humanistischen Selbstverständnis blieb den intellektuellen Kreisen gemeinsam und verbindend.70 Überkonfessionelle Gelehrtenkreise an einem Ort, wie sie Klaus Garber für das Cabinet Dupuy in Paris,71 wie sie Ernst Schubert in Würzburg um Conrad Dinner feststellte,72 wie sie sich vor allem im höfischen Späthuma-
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dermaßen: »Der Späthumanismus der Jesuiten hatte keinen emanzipatorischen Charakter wie etwa der >bürgerliche< in Holland, sondern diente ausschließlich zur Festigung der frühabsolutistisch-feudalen Gesellschaftsordnung.« Vgl. dazu die Überlegungen von Jaumann 1998a, ob es überhaupt eine katholische Gelehrtenrepublik gegeben habe: Zum einen kann er belegen, daß die Jesuiten selbst in bestimmten Diskursen als Mitglieder der res publica litteraria anerkannt werden wollten, zum anderen schließt er daran jedoch die konsequente Frage an, ob sie auch von der übrigen Gelehrtenrepublik als solche akzeptiert wurden (vgl. auch die von Jaumann erhobene Forderung entsprechender empirisch-historischer Forschungen zum Verhältnis von theoretischem Konzept und gesellschaftlich-gruppenspezifischer Praxis der Gelehrtenrepublik, dazu unten, S. 28, das entsprechende Zitat). So spricht Schindling 1989a für Frankfurt im Zeichen der Buchmesse von einer dort gewahrten »deutschen und europäischen Bildungswelt und Lesekultur, im Zeichen des Späthumanismus Konfessionsgrenzen und Nationen übergreifend« (S. 219). Beispiele dafür werden in dieser Arbeit, etwa fur Augsburg, zu Peiresc oder Savile, noch verschiedentlich ausgeführt. Auch in der persönlichen Auseinandersetzung bemühte man sich nach Mulsow 2000 durchaus, die Grenzen des gemeinsamen gelehrten Ethos nicht zu überschreiten, so wenig man auch vor persönlich kompromittierenden Invektiven zurückschreckte. In diesen Zusammenhang, der eng verbunden ist mit irenischem und neostoizistischem Gedankengut, gehören Forschungen zum Libertinismus, vgl. etwa Schneider 1970 (im Jahre 2000 neu aufgelegt), der die Entwicklung des »libertin«/der »libertinage« von einer Bezeichnung für eine religiöse Bewegung aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem mit sexualmoralischen Konnotationen belasteten Begriff am Ende des 17. Jahrhunderts nachzeichnet; dazu immer stets auch zu konsultieren die Studie von Pintard 1983 (erstmals 1943); hingewiesen sei zudem auf die einzelnen Bände der Reihe Libertinage et philosophie au XVIF siècle, die an der Université de Saint-Etienne vom Institut Claude Longeon herausgegeben wird (inzwischen sechs Bände). Im Gegensatz zu den politiques des 16. Jahrhunderts verfolgten die libertins keine offensiv politischen, d.h. staatstheoretischen Interessen, sondern zogen sich - auch als Ergebnis eines neostoizistischen Rückzugs auf das Individuum - in die Erudition zurück. Sicherlich aber bleibt der »Typus des kultivierten, kirchentreuen, aber urban distanzierten Skeptikers im Geistes Descartes«, den Walther 2000, S. 127, entstehen sieht, zunächst noch im europäischen Späthumanismus eine Ausnahme. - Es würde zu weit fuhren (und wäre redundant), an dieser Stelle die Literatur zu zitieren, die sich mit dem Verhältnis der Späthumanisten zur Religion, das gerade in dieser Zeit ein individuelles wurde, befaßt; sie ist sowohl in Teil I als auch in den einzelnen Kapiteln zu Teil II stets dort aufgeführt, wo dieser Zusammenhang betrachtet wird. In diesem Forschungskontext (und auch im Blick auf das Konfessionalisierungsparadigma) scheint mir die These von Kaufmann 1998 von großer Bedeutung, der bereits vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges einen »Individualisierungsschub« in den Religionen erkennt. Vgl. Garber 1986 und 1987 sowie den entsprechenden Abschnitt in Teil II, Kap. 3.5. (mit aller weiteren Literatur). Vgl. Anm. 39.
27 nismus am Wiener bzw. Prager Kaiserhof mit kaiserlicher Protektion als ein religiöse Kontroversen ausklammernder, ausschließlich den gemeinsamen gelehrten Interessen verpflichteter Zirkel realisieren konnten,73 blieben aber die Ausnahme. Notker Hammerstein hebt in seinen Untersuchungen zur Gelehrtenrepublik sogar explizit hervor, daß die konfessionelle Trennung ausschließlich an den Universitäten und in der privaten Sphäre überwunden worden sei: Trotz der geistigen Verhärtung und Polarisierung infolge einer enorm zunehmenden konfessionellen Gegnerschaft, konnten sich fuhrende Angehörige der akademischen Schicht einschließlich vieler Adliger - einen gewissen Freiraum gegenseitigen Verständnisses bewahren, konnten - ftir sich - standesunabhängigen Austausch und Diskussion erhalten. Nur im unmittelbar politisch-relevanten B e r e i c h - d e r bis weit ins 17. Jahrhundert auch ein konfessioneller war - ging das nicht! 74
Letzteres ist sicherlich für jene Späthumanisten, die in führenden Ämtern in Diensten des Territorialstaates wirkten - zumindest soweit es ihre unmittelbaren Amtsgeschäfte betrifft - , weitgehend zutreffend. Doch es darf nicht dabei belassen bleiben, eine Spaltung der Gelehrtenrepublik als pauschale Reaktion auf die konfessionellen Konflikte als gegeben vorauszusetzen und auf dieser Basis dann gelehrte Rückzugsräume aufspüren zu wollen, wie man andererseits auch jene aus dem Selbstverständnis der Gelehrten abgeleitete und stets geradezu topisch wiederholte Interpretation, daß es eben der soziale und kommunikative Raum der res publica litteraria gewesen sei, in dem die konfessionellen Konflikte überwunden oder aus dem sie ausgeblendet bzw. herausgehalten worden seien, durchaus immer wieder an den Quellen kritisch überprüfen sollte. Es muß der Forschung angelegen sein, wie es eine vor kurzem von Herbert Jaumann veranstaltete Tagung versuchte,75 73
Gerade die Repräsentationskultur an den frühabsolutistischen Höfen bot einen Bezirk, in dem konfessionelle Unabhängigkeiten wie nirgends sonst eingeräumt waren. - Zur Hofkultur um Rudolf II. maßgeblich die Studie von Robert J.W. Evans (erstmals 1973, zuletzt in überarbeiteter Version 1997; deutsche, hier stets zitierte Obersetzung 1980), der übrigens für die schönen Künste und die okkulten Wissenschaften das Paradigma des Manierismus wählt und die humanistische Kultur nicht weiter differenziert hinsichtlich eines Späthumanismus-Begriffs. Jetzt auch Mout 2000, die gerade den Aspekt späthumanistischer Gelehrtenkultur stärker herausarbeitet, zugleich aber auch die Instrumentalisierung der dortigen Gelehrten für die politische Propaganda des Kaisers betont (S. 62). Härder 1998 weist auf den städtischen Dichterkreis in Prag hin, der ebenfalls Verbindung zum Hof hielt, und möchte insgesamt den Aspekt der Austauschprozesse zwischen dieser Hofkultur und der regionalen-städtischen Kultur stärker akzentuiert wissen, als es in den genannten Studien der Fall ist.
74
Hammerstein 1987, S. 104, vgl. auch S. 94: Auch in Zeiten der verschärften konfessionellen Auseinandersetzung bliebe zwischen Angehörigen bestimmter Berufe »eine eigentümliche Gemeinsamkeit bestehen, eine von diesen Antagonismen fast unberührte Sphäre gelehrt-politischen Einverständnisses.« Vgl. dazu auch oben, S. 25, und zuvor Anm. 49, die Bemerkungen zu den Grenzen der Konfessionalisierbarkeit: Hammerstein spitzt seine These dahingehend weiter zu, daß sich die an den Universitäten gebildeten Räte der Fürsten und in den Städten vielfach »Trotz Konfessionalisierung [...] einen eigenen intellektuellen Freiraum zu erhalten« suchten und sich auch erhalten konnten (ders. 2000e, S. 400). Vgl. Jaumann 2001, das folgende Zitat dort im Vorwort, S. 8. Neben den in diesem Band versammelten Studien vgl. auch die Bemerkung von Kohlndorfer-Fries 2003, S. 9f., zu
75
28 die prinzipielle Frage [aufzunehmen, in welchem Verhältnis die >Theorie< der Respublica litteraria als einer Vorstellung von vorurteilsfreier, toleranter, sachbezogener und nicht zuletzt eben überkonfessioneller Kommunikation unter Gelehrten zur realen Praxis unter den verschärften Bedingungen der konfessionellen Loyalitäten und Frontenbildungen stand.
Es waren zweifellos gerade die späthumanistischen Gelehrten, die als >Grenzgänger< aktiv an der Überwindung dieser Trennung arbeiteten, die das Persönliche des Glaubens sahen und - eben auch unter dem Einfluß des Neostoizism u s - e i n e irenische Grundhaltung einnahmen und vertraten, und die so die Dominanz des konfessionellen Prinzips zu überwinden suchten. Vor der Gegenwartserfahrung der religiösen Konflikte und der konfessionellen Bürgerkriege formierten und verstanden sich die geistig fuhrenden Kreise der europäischen Späthumanisten noch entschiedener als Angehörige einer >dritten Kraft< zwischen der weltlichen Macht und der Kirche. 76 Sie entwickelten in der Verschmelzung von Christentum und Antike, im Rückbezug auf eine >urchristliche< Kirche, Konfessionsgrenzen überschreitende Standpunkte, sie propagierten in erasmischer Tradition mit ihren irenischen Entwürfen die Einheit des Christentums und das Ende der theologischen Auseinandersetzungen. 77 Diesem irenischen Gedanken führten vor allem die europäischen Calvinisten, die existentiell wie keine andere Religionspartei bedroht waren, das Wort. Es war ein substantielles Element späthumanistischen Denkens, das sich nicht selten, so etwa im Umkreis der französischen politiques, mit zukunftsweisenden Gedanken staatlicher Souveränität und religiöser Toleranz verband. 78 Das alles zeigt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Religiösen und dem Konfessionellen an. Man kann auch deshalb wohl kaum zu dem Schluß gelangen, daß innerhalb der Gelehrtenrepublik die konfessionellen Konflikte ignoriert wurden. 79 Vielmehr wurde auch hier die Frage der wahren Religion - und damit verbunden dann der richtigen Konfession - aufgeworfen und intensiv erwogen. 80
Jacques Bongars, den sie in ihrer Biographie in seiner sowohl lebens>praktischen< als auch intellektuellen Einheit als Politiker und Gelehrtern darstellt: »Zum einen wünschte er die geistige Einheit der europäischen Intellektuellen, der respublica litteraria, die unabhängig von konfessionellen wie politischen Gräben a u f der B a s i s der christlichen Glaubensinhalte gesehen wurde. Zum anderen arbeitete Bongars als Gesandter Heinrichs I V . und seine politische Agitation trug durchaus zur politischen Spaltung Europas in den Dezennien vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges bei.« 76 77
Der B e g r i f f der >dritten Kraft< nach Heer 1959. Vgl. dazu Oestreich 1980a, S. 3 3 3 . - Z u r humanistischen Perspektive einer universalen Friedensordnung sei nur a u f die Forschungsbeiträge von Klaus Garber ( 1 9 8 6 a , 1998b, 2 0 0 1 ) verwiesen.
78
Grundlegend nach wie vor für das späthumanistische Staatsdenken im Frankreich Heinrichs I V . Hinrichs 1969. Vgl. auch Anm. 5 7 .
79
S o etwa Goldgar 1995, S . 186. Schubert 2 0 0 3 , S. 126, sieht darin in seinem soeben vorgelegten Beitrag zur Debatte um die Tragweite des Konfessionalisierungsparadigmas eine der zentralen Konfliktlinien in der Gelehrtenrepublik: »Die konfessionellen Konflikte beherrschen die Szene«. E r blendet dabei j e d o c h die im Vorangegangenen entwickelten Zusammenhänge irenischen Denkens weitgehend aus, wenngleich er die Kommunikation über die konfessionellen Grenzen hinaus durchaus als intakt erkennt.
80
29 Die humanistischen Leitbilder wurden im Zuge der konfessionellen Konflikte keineswegs überlagert, sie behielten Gültigkeit, ja wurden in den Zeiten des konfessionellen Drucks eher noch richtungsweisender für die späthumanistische Gelehrtenrepublik und ihr Schreiben. Klaus Garber erkennt in der Kirchenspaltung und den konfessionellen Konflikten eine der epochalen Erfahrungen, vor deren Horizont sich späthumanistisches Schreiben vollzogen habe und die damit ein entscheidender Aspekt für eine Theorie des Späthumanismus als Epoche sei: Späthumanistische literarische Kommunikation in dem weitest denkbaren Sinn gefaßt war wenn nicht eingeengt, so doch zwangsläufig tingiert von den nach wie vor und gerade auf deutschem Boden vorwaltenden theologischen Auseinandersetzungen. Der ausdifferenzierte, argumentativ wie institutionell verfestigte Konfessionalismus war seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ebenso evident wie die Formierung heterodoxer antikonfessioneller Strömungen. Späthumanistische Artikulationen von irgend geschichtlichem Rang und entsprechender Repräsentanz setzten den definitiven Zerfall der una societas christiana voraus, gingen aus von der Instrumentalisierung religiöser Motive für machtpolitische Belange und mußten grundsätzlich den konfessionellen Prozeß der Dissoziierung als Katalysator des nationalen oder territorialen Bürgerkrieges einschließlich Emigration, Exilierung, Vernichtung von Existenzen kalkulieren. 81
Doch darf es selbstverständlich nicht dabei belassen bleiben, nur die literarischen >Gipfelleistungen< der führenden Geister des europäischen Späthumanismus als Grundlage seiner theoretischen Erschließung heranzuziehen. Zu viele späthumanistische Texte sind bisher noch nicht untersucht. 82 Keinesfalls übersehen werden darf aber auch, daß die Späthumanisten selbst durch ihre öffentlichen Ämter in diese Prozesse integriert waren, daß sie hier in eine Konfliktlage geraten konnten, der schließlich nur durch das Zurückhalten der eigenen Überzeugungen auszuweichen w a r - w e n n sich denn individuelle Überzeugungen nicht mit den konfessionspolitischen Zielen des Territorialherren amalgamierten. Die heute verwendeten Begriffe der Konfessionalisierung und der Sozialdisziplinierung als Wesenszüge des sich ausgestaltenden frühabsolutistischen Machtstaates boten der geistigen Elite nicht nur intellektuelle Herausforderung, sondern sie waren eben auch gemeinsame und j e individuelle Erfahrung. 83 Der in der Geschichtswissenschaft etablierte Epochenbegriff des konfessionellen Zeitalters und der Späthumanismus als kulturgeschichtliche Kategorie, mit der vor allem, aber eben nicht nur das gelehrt-literarische, das intellektuelle Feld zu erfassen ist, konkurrieren also nicht gegeneinander, schließen sich gegenseitig 81 8
2
83
Garber 2003, S. 111. Vgl. ebd., S. 126. So explizit Kühlmann 1987, S. 166. - Die These der Sozialdisziplinierung ist durch Gerhard Oestreich in die historische Forschungsdiskussion eingeführt worden, vgl. Oestreich 1969e. Vgl. zu diesem Forschungsparadigma auch die Diskussion bei Schulze 1987a sowie, zur Verbindung zwischen Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung, Reinhard 1997; zur Kritik an Oestreichs Begriff und einem Vorschlag tragfähiger inhaltlicher Modifikationen vgl. die Fallstudie zu Frankfurt am Main von Johann 2001, bes. die Vorbemerkungen S. 11-20; zur Entwicklung der Kirchenzucht, einem zentralen Feld der Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Fürstenstaat der Band von Schilling 1994 (vgl. dazu aber die geschichtswissenschaftliche Diskussion um die Grenzen des Konfessionalisierungsansatzes, wie oben Anm. 49). Zum europäischen Zusammenhang vgl. Hsia 1989.
30 terminologisch nicht aus, sondern markieren das epochale Kräftefeld für die Jahrzehnte vor und nach 1600. Späthumanistisches Schreiben vollzog sich nicht nur, es veränderte sich auch vor dem Horizont der Erfahrungen und der aus diesen erwachsenden Herausforderungen des konfessionellen Zeitalters. Es mußte an das Primat konfessionspolitischer >Staatsinteressen< und Verwertungsbedürfnisse angepaßt werden. Das ist bereits angedeutet worden. Wilhelm Kühlmann hat die Entwicklung des deutschen Späthumanismus im Spannungsfeld von Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat eingehend dargestellt. Die germanistische Forschung hat den von Oestreich für den niederländischen Späthumanismus entwickelten Ansatz eines politischen Späthumanismus (gegen eine von Trunz und in seiner Nachfolge entworfene gänzlich >unpolitischeniederländischen Bewegung< im Schrifttum des deutschen Späthumanismus in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts zu untersuchen.84 In einer parallel zu seiner Habilitationsschrift entstandenen Abhandlung hat er sich nochmal besonders der im deutschen Späthumanismus geführten Kontroversen um das Latein als Sprache der Gelehrsamkeit und Dichtung angenommen.85 Er weist nach, wie die Theorie des neuzeitlichen Machtstaates, die durch die neostoizistische Philosophie entworfen wurde, auf die gesellschaftliche Akzeptanz und die Selbstansprüche bzw. das Selbstverständnis der späthumanistischen res publica litteraria einwirkte, die dadurch unter einen »Legitimationsdruck«86 geraten sei. Hatte einst die alleinige Legitimation durch Bildung und Leistung zum Aufstieg der bürgerlichen Gelehrten und zur Zurückdrängung des Adels geführt,87 der sich erst verspätet auf diese im Zuge der frühmodemen Staatsbildung veränderten Bedingungen für eine Partizipation an der Macht eingestellt, inzwischen aber seine Position durch die Hinwendung zu humanistischer Bildung zurückerkämpft hatte,88 so stand nun 84
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Kühlmann 1982, S. 6f.; nunmehr als regionale Studie zur Rezeption des niederländischen Neostoizismus in der schlesischen Barock-Literatur Halsted 1996. - Z u m Einfluß von Lipsius constantia-Lehre auf die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts bereits Schönle 1968. Daß dem Latein neben seiner Bedeutung als Sprache der Gelehrsamkeit und Dichtung auch eine eminent politische Funktion in der gelehrten Kommunikation zugemessen war, hebt ebenfalls Kühlmann 1987a (hier S. 335) hervor: »Latein war aber offenkundig nicht nur - vorläufig noch - internationale Verkehrssprache, erst recht Sprache der Wissenschaft, es war auch Arkansprache, in deren Schutz man offener, an ein abgegrenztes Publik u m sich wendend, über die >arcana< der Fürstenherrschaft reden konnte.« Kühlmann 1980, S. 47. Vgl. oben S. 13. Zu diesem sozialgeschichtlich wie literatursoziologisch folgenreichen Prozeß des A u f stiegs bürgerlicher Gelehrter in die wichtigen Funktionen des frühabsolutistischen Staates als Konkurrenten des erst verspätet die Qualifikationsnorm der studia humanitatis akzeptierenden Adels, der dann aber kraft seiner natürlichen »nobilitas« im 17. Jahrhundert wieder seine angestammten Vorteile zurückgewann und bürgerliche Gelehrte zurückdrängte, vgl. Zorn 1965, Garber 1982, Müller 1984, Hammerstein 2000d; grundsätzlich auch Endres 1993. Z u m Selbstverständnis des Adels, der u m 1600 eine Krise durchschritt, vgl. den Forschungsüberblick und die Thesen von Asch 2001 sowie zur Standes- und Privilegienlegitimation in den deutschen Adelstheorien dieser Zeiten den Forschungsbeitrag von
31 das gesamte Projekt der nobilitas litteraria grundsätzlich in Frage. Deshalb mußten die Gelehrten im »Ringen um Einfluß und Ressourcen«89 mit dem Geburtsadel ihren gesellschaftlichen Anspruch neu begründen und sich und ihre Studien für die Zwecke des Territorialstaates erneut empfehlen: Das späthumanistische Gelehrtenbürgertum sieht sich Anfang des 17. Jahrhunderts mit einer Entwicklung konfrontiert, nach der subjektiv elitebildende Qualifikationen nicht mehr unbedingt die Zugehörigkeit zur gesellschaftlich fuhrenden Schicht und die Teilhabe an den gesellschaftlichen Chancen verbürgen. Die Geltung der Studien und die Geltung ihrer Vertreter leiden darunter. 90
Sie konnten, so die These von Kühlmann, ihren Führungsanspruch nur behaupten, indem sie sich an der politischen und gesellschaftlichen Praxis orientierten und sich »in die Rollen- und Verhaltensmuster einer aristokratisch-höfisch geprägten Gesellschaftskultur, in der Bürgertum und Geburtsadel zunehmend in Konkurrenz traten«,91 einpaßten. Hier habe die vom niederländischen Späthumanismus vorgeschlagene philosophia practica einen Ausweg geboten. Lipsius hatte damit auch einen neuen Stil geprägt, der ganz auf die übergeordneten Zwecke
Bleeck/Garber 1982. Wegweisend für das Verhältnis des alten Adels zur gelehrten Bildung die Studie von Brunner 1949; vgl. auch Conrads 1988. Müller 1974 spricht in seiner Untersuchung zu den adligen Studenten der Universität Ingolstadt geradezu von einer »Resistenz« des Adel gegenüber universitären Abschlüssen und konstatiert, »daß das Interesse des Adels mehr auf den durch das Studium erlangten honores als auf den gradus beruhte.« (S. 159 bzw. 1 6 0 ) . - D i e Bedeutung der bürgerlichen >Beamten< für den Aufund Ausbau des frühmodemen Territorialstaates ist hinlänglich erforscht; die exemplarische Studie für ein regionales Paradigma liefert Press 1970 für die kurpfälzischen Zentralbehörden, sie ist für die hier vorgelegte Arbeit insgesamt von grundlegender Bedeutung; ihr ist, für den katholischen Bereich, aber methodisch ebenso wie in den Ergebnissen über das regionale Paradigma hinaus zu übertragen, die Arbeit von Lanzinner 1980 zur Seite zu stellen. Die Konkurrenz bildeten vorrangig die bürgerlichen Juristen (vgl. oben S. 20f.), dazu etwa der Aufsatz von Lange 1980; weiterhin die Ausführungen von Sigrid Jahns zu den Assessoren am Reichskammergericht und jetzt grundsätzlich zu frühneuzeitlichen Juristenkarrieren (Jahns 1988 bzw. 1995); gerade die Juristen wurden begünstigt nobilitiert, da kein Richter über einen Standeshöheren urteilen durfte (vgl. Beetz 1987, S. 169, Anm. 16). Zum Beamtentum in den hohen Reichsbehörden auch Gschliesser 1972. Insgesamt zur Stellung der Gelehrten im Reich der Band von Schwinges 1996 sowie zu den frühneuzeitlichen Führungsschichten der Band von Hofmann/Franz 1980. - In diesen Kontext gehören auch die Forschungen zu den Gelehrtenreisen und den Kavalierstouren: Einleitend dazu für die Frühe Neuzeit die Aufsätze von Berns 1988 und Siebers 1991 sowie als großer europäischer Aufriß zum frühneuzeitlichen Reisen M^czak 1995. Zur adligen Kavalierstour als kompakte Überblicke für das 16. und 17. Jahrhundert außerdem Kühnel 1964 und Ridder-Symoens 1989; nunmehr zur höfischen Bildungsreise im 17. Jahrhundert Stannek 2001 (vgl. auch dies. 2000). - Sozialgeschichtlich bedeutsam für das gelehrte Bürgertum war auch das Instrument der Dichterkrönung; vgl. Verweyen 1979, Mertens 1986. - In den Städten fehlte ein Adel weitgehend, hier war es das Patriziat, das die einflußreichen Ämter vielfach über mehrere Generationen durch Kooptationen unter sich aufteilte; der Prozeß der Elitebildung verlief dementsprechend anders, vgl. dazu Malettke/Voss 1989, allgemein zum deutschen Patriziat den Band von Rössler 1968. 89 90
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Kühlmann 1982, S. 28. Ebd., S. 89. Dazu neben dieser Studie nicht minder einschlägig Sinemus 1978 und Grimm 1983, weiterhin der Band von Blühm [u.a.] 1982. Kühlmann 1980, S. 35.
32 und Bedürfnisse einer prudentia politica zugeschnitten war, die in der virtus verankert und zur Maxime politischen Handelns erhoben wurde. Dem Ciceronianismus eines ästhetischen Wohllautes und rhetorischer Raffinesse wurden in der Sprachpraxis und also zweckgerichtet acumen und brevitas entgegengesetzt. Das bedeutete eine revolutionäre Umwandlung des humanistischen Verhältnisses zum unverbrüchlich verbindlichen wie verpflichtenden klassischen Kanon in eine freie Verfügung des eigenen ingenium über die Antike im Sinne eines gesellschaftlichen Nutzens, wobei »die hinderliche Verpflichtung auf den klassischen Kanon so aufzulösen [war], daß die aktuellen Bedürfnisse und Konventionen der Sprachpraxis noch innerhalb der Latinität aufgefangen« wurden. 92 Das aber war eine Leistung des Späthumanismus. Und es zielte für einen Grundbezirk humanistischer Kultur auf eine Anpassung an die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und somit auf die Bedürfnisse des frühmodernen Fürstenstaates. 93 Damit war aber zugleich der Poetik und Rhetorik der Weg bereitet, eine nationalsprachliche Dichtung zu legitimieren, indem einer schöpferischen aemulatio der Vorrang gegenüber einer reinen imitatio zugestanden wurde. 94 Die Entwicklung nationaler Literaturen ist zweifellos das größte Erbe, das der Späthumanismus Europa hinterlassen hat. Die Humanisten der europäischen Renaissance hatten mit der gelehrten, zugleich aber politisch wie gesellschaftlich funktionalisierten Rückeroberung der antiken Literatur und Kultur erst die theoretischen Voraussetzungen für die nationalen Literaturen geschaffen, so sehr sie selbst vielfach die Volkssprachen zunächst vehement ablehnten. 95 Als Grundvoraussetzung dafür mußte ein Bewußtsein von der möglichen Pluralität von Sprachen und von der Besonderheit der eigenen Sprache entstehen. 96 Dante eröffnete mit seiner unvollendeten Schrift De vulgari eloquentia die programmatische Reflexion über das Wesen der nationalen Hoch- und zugleich Literatursprachen. Mit seiner Divina Commedia schuf er ein literarisches Paradigma für »die Umbildung der lateinischen Einheitskultur des mittelalterlichen Abendlandes zum nationalsprachlichen Literatursystem«. 97 Die Stillehre der antiken genera dicendi wurde auf die Volkssprache übertragen, 98 die als lingua natura-
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Ders. 1982, S. 211. Vgl. zur Praxis höfisch-politischer Rede an den Fürstenhöfen des 17. Jahrhunderts die Studie von Braungart 1988, der gerade in der im höfischen Leben realen Konkurrenz zwischen adligen und gelehrten >Beamten< im frühabsolutistischen Fürstenstaat einen »sehr konkreten sozialen und institutionellen Hintergrund« für die Durchsetzung des argutiaIdeals gegen gelehrten rhetorischen Prunk in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation erkennt (Zitat S. 250). Die Germanistik nähert sich seit langem und überaus erfolgreich v.a. auch über das rhetorische Instrumentarium den Texten des 17. Jahrhunderts. Grundlegend dazu die Darstellungen von Banier 2002 (soeben wieder aufgelegt!) und Dyck 1991. Für die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts sei weiterhin verwiesen auf Hildebrandt-Günther 1966; Fischer 1968; Schmidt 1980. Dazu Buck 1 9 5 2 , S . 2 2 u . 9 7 f f . Vgl. dazu das monumentale Werk von Borst 1957-63. Apel 1975, S. 123. Vgl. Klein 1957a, S. 29ff., Stroux 1912, S. 88ff„ Quadlbauer 1962, S. 150ff.
33 Iis" am artifiziellen lateinischen Muster und den großen Poeten (er nennt an erster Stelle, für ganz Europa folgenreich, Vergil, aber auch Ovid, Statius, Lucan und andere)100 zu schulen und so aus ihrer Verdorbenheit zu e i n e m - m i t den Attributen cardinale, aulicum, curiale ausgezeichneten101 - volgare illustre102 zu heben wäre.103 Überall mußte die mit dem Verdikt des Barbarischen belegte nationale Sprache am Anfang verteidigt und legitimiert werden. So schwang sich Du Beilay sogleich zur Defence der französischen Sprache auf, trat der junge Opitz gegen die Verachtung der Muttersprache an.104 Propagiert wurde eine in diesem Sinne literarisierte Volkssprache auf Basis des consensus eruditorum, die von der Umgangssprache, von der Sprache des >Pöbels< zumal, abgegrenzt war. Für sie war der - theoretische wie poetische - Beweis zu erbringen, daß sie dem Latein ebenbürtig sei, daß sie die gleiche Würde erreichen könne, daß sich auch in ihr die großen Gegenstände darstellen ließen. Eine muttersprachliche Dichtung bedurfte mehr noch als die humanistische Gelehrsamkeit einer gesellschaftlichen Legitimation, sie mußte bedacht sein, das Kriterium der >Nützlichkeit< für den frühabsolutistischen Fürstenstaat und seine führenden Schichten zu begründen und zu erfüllen. Um sich, so Kühlmann, »als unentbehrlich beim Aufbau des Staates zu empfehlen, bedurfte es der Leistungsnachweise in der Muttersprache, zugleich aber auch um jenes Publikum zu erreichen, von dem Wohl und Wehe des Literaten abhing.«105 Die Dichter verstanden sich als gelehrte Poeten, die über ein natürliches ingenium verfugten, dank ihres überlegenen Wissens im Besitz des iudicium waren und die ars beherrschten. Ihr sittliches wie intellektuelles Ideal war der bis in die Aufklärung christlich aufgeladene - vir bonus, der sich am Hof ausrichtete (Castiglione betont für seinen vollendeten Hofmann die consuetudo); ein Ideal, das eben besonders die bürgerlichen Gelehrten verfolgten,106 bis der Hof mit seiner >unnatürlichen< Etikette dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine Vorbildfunktion verlor. Der elitäre poeta doctus und der Redner waren »die zwei Säulen, die das Gebäude jeder Sprache stützen.«107 Das rhetorische Argument der auctoritas, des verbindlichen Vorbildcharakters der besten 99
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Dante: Über das Dichten, S. 19f. - Zahlreiche weitere, hier nicht erneut nachzuweisende Quellenbelege (etwa von Harsdörffer, Opitz, Schottel, ebenso Du Beilay, Puttenham usw.) in meinem Beitrag Walter 2001, der die Entwicklung der deutschen Literatursprache von ihren antiken Einflüssen an bis in die Gegenwart nachzuzeichnen sucht. Zur deutschen Literatursprache vgl. auch die unten, Anm. 118, genannten Arbeiten. Ebd., S. 63. Ebd., S. 46. Vgl. zu diesen Begriffen im Verständnis Dantes auch Bosco I, S. 450f. u. 826f., II, S. 288 (jeweils sub verbo). Dante: Über das Dichten, S. 45 u. 48. Dazu Klein 1957. Mit zahlreichen Belegen für Opitz bereits Höpfner 1866. - Zu den gesellschaftlichen wie gelehrten Motiven der offensiven Verteidigung und damit Rechtfertigung der nationalsprachlichen Literatur vgl. für das englische Beispiel (Elyot, Sidney, Spenser) die Studie von Matz 2000. Zur Abgrenzung von der Sprache des Volkes (neben den zu Dante genannten Arbeiten) etwa für Frankreich der Aufsatz von Weinrich 1960. Kühlmann 1982, S. 51. Castiglione: Hofmann, S. 80; vgl. auch Josten 1976; Haas 1980; Dyck 1991, S. 122-129. Du Beilay: La Defence, S. 60.
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Schriftsteller, behielt seine Geltung für die Normierung der nationalen Hochsprachen. Seit dem Humanismus blühte die Übersetzungsliteratur. Der jeweilige nationale Autorenkanon veränderte sich seit der Querelle des anciens et des modernes, die im Umkreis der französischen Akademie begann (Perrault, Fontenelle); sie wurde durch die neuen Entdeckungen, Erfindungen und Experimentalwissenschafiten beeinflußt.108 Solange Dichtung und Gelehrsamkeit als Einheit verstanden wurden, blieb der Einsatz der Poeten für die nationale Literatur immer auch ein Einsatz für die nationale Hochsprache. Der genuine Ort, an dem diese Diskussionen geführt wurden, waren die Poetiken. Herausragende Bedeutung für die nationalsprachlichen Literaturen gewannen Julius Caesar Scaligers neulateinische Poetices libri septem.m Auf der Basis von Aristoteles Poetik, aber ebenso platonischer und horazischer Ideen und der zeitgenössischen italienischen Humanisten fanden hier die Dichter ein Lehrbuch, das die zentralen Fragen der rhetorischpoetischen Lehre nach imitatio und aemulatio, nach der göttlichen Inspiration des Dichters und dem moralischen Nutzen von Dichtung aktualisierte. Die großen Theoretiker der nationalsprachlichen Dichtung, d'Aubignac, Sidney und Johnson, Opitz und noch Gottsched, zeigten sich davon beeinflußt. Deutschland stieg erst verspätet in die Diskussion um eine nationale Literatursprache ein. Im 16. und 17. Jahrhundert orientierte man sich vor allem an der Romania (zunächst Italien, dann Frankreich), im 18. Jahrhundert wurden vermehrt englische Einflüsse wirksam. Bereits unter den frühhumanistischen Gelehrten, die den Kanzleistil prägten, war unbestritten, daß »in der lateinischen Rhetorick wenig [...] zu zierung und hofflichkeit loblichs gedichts dienende« zu finden wäre, »daß nit in dem tütsche ouch stat haben« könnte.110 Einigkeit bestand unter ihnen auch über den uneinheitlichen Zustand des »hochdeutschen«, den es durch Regeln zu beseitigen gelte.111 Während aber etwa Luther auf die Volkssprache setzte, blieb die Sprache der Dichtung überwiegend lateinisch. Sie wurde von den Humanisten getragen, die mit der translatio imperii gegen den etwa von Valla erhobenen kulturellen Vormachtsanspruch Italiens112 nun auch die translatio artium für Deutschland einforderten und > Apoll über die Alpen holtenAlte< und das >Neue< bietet Rötzer 1979. Zur Thematisierung der neuzeitlichen Wissenschaft in der Lyrik (und zum auch hier thematisierten Widerstreit) Köhlmann 1979. 105 Sie erscheinen zur Zeit in einer von Deitz veranstalteten lateinisch-deutschen Ausgabe. no Wyle: Translationen, S. 10. 111 So etwa Agricola: Sprichwörter, Bl. 1v. "2 Vgl. Buck 1968, S. 9-21,227-241. 113 Programmatisch Celtis in seinem bekannten »Ad Phoebvm, vt Germaniam petat« (Abdruck in: Humanistische Lyrik, 68f.). Zur Theorie der translatio artium Worstbrock 1965.
35 Dichterideal vermittelt wurde und nach wie vor Inhalt des gymnasialen und universitären Lehrplans blieb, übernommen.114 Die Dichter verfugten nunmehr in Erkenntnis der eigenen Wertigkeit der nationalen Sprache und Kultur frei über die antike Tradition.115 Gleichzeitig war man sich sicher, daß der Vergleich mit den anderen nationalen Literaturen nicht gescheut zu werden brauchte.116 Eng mit diesem Einsatz für eine nationalsprachliche Dichtung verbunden waren mentale, aus einer als eigen und spezifisch interpretierten Vergangenheit abgeleitete Konnotationen von patria und Vaterland (wobei der Sprachpatriotismus in Deutschland überaus ausgeprägt war).117 Im Zuge der Auflösung der >einen< Kirche spielten religiöse und später konfessionelle Konfliktlagen herein, die ihrerseits politisiert wurden. Nicht zufällig entstanden während der konfessionellen Bürgerkriege in Frankreich, in den Niederlanden und in Deutschland die ersten großen Zeugnisse nationaler Dichtung im Umkreis der antikatholischen, hier jeweils calvinistischen bzw. kryptocalvinistischen intellektuellen Opposition; auch in England oder Polen waren es zunächst protestantische bzw. zum Protestantismus in seinen verschiedenen Formen neigende Dichter, die die Muttersprache in den Rang einer Literatursprache erhoben.118 Gerade auch die Entstehung einer deutschsprachigen Dichtung ist auf das engste verbunden mit den epochalen Gegenwartserfahrungen der Späthumani-
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Die Entstehung der neuen deutschen Kunstdichtung ist von der Barockforschung eingehend untersucht worden. Den besten Überblick über die Rezeption des Barock in den europäischen Literaturwissenschaften gibt der Sammelband von Garber [u.a.] 1991. Als erste Einführungen Hoffmeister 1987, Garber 1996. Zur zweisprachigen Dichtungstradition Deutschlands im 16. und 17. Jahrhundert vgl. die beiden Abrisse von Kühlmann 1983 und 1989, sowie die Untersuchung von Conrady 1962. Zur neulateinischen Dichtung als ausgezeichneter Überblick Roloff 1988. Dazu neben den in Anm. 90 genannten Arbeiten auch Dyck 1974. Opitz: Werke, Bd. II/l, S. 355-359 (Buch von der Deutschen Poeterey); vgl. Entner 1984a. Schulze 1996, S. 51: »Die Vorbereitung auf die Nationalisierung der europäischen Kulturen beginnt schon Jahrhunderte vor der Aufklärung, sie ist Teil jener gesamteuropäischen Bewegung, die wir Humanismus nennen.« Für den deutschen Humanismus jetzt Kühlmann 2001a, zu den nationalen Utopien, die in den Sprachgesellschaften entwickelt wurden, ders. 2000; zu Opitzens Aufrufen zur Einheit der »Nation« vgl. Drux 1993. Zum Sprachpatriotismus im Europa des Dreißigjährigen Krieges Ingen 2001; in der deutschen Barockliteratur Riemenschneider 1993. Grundsätzlich zur Entwicklung eines Bewußtseins für die eigene Sprache und einem damit verbundenen Betonen der Bedeutung der eigenen nationalen Kultur und Literatur, also zum Zusammenhang von Sprach- und Kulturpatriotismus Huber 1984; vgl. auch die sprachgeschichtliche Untersuchung von Gardt 1994. Zur Entstehung der nationalsprachlichen Literaturen die Beiträge in dem Band von Garber 1989 (mit einer grundlegenden Einfuhrung von dems. 1989a) sowie die Beispiele in dem entsprechenden Abschnitt des Ausstellungskatalogs von Bußmann/Schilling 1998, Bd. III, S. 65-67. Zu den Anfängen der deutschen Nationalliteratur vgl. auch die in der folgenden Anmerkung zitierten Aufsätze von Garber, dessen dezidiert konfessionspolitischer These ich hier folge. Zur Bedeutung des Neulateinischen in der deutschen Barockliteratur der Aufriß von Forster 1977. Die Entwicklung der deutschen Literatursprache im 17. Jahrhundert behandeln Haas 1980, Beil-Schickler 1995. Unübertroffen zur Herausbildung der deutschen Literatursprache seit Leibniz Blackall 1966. Aus sprachgeschichtlicher Sicht Langen 1957, Guchmann 1969-70, Kaempfert 1985. Den Übergang zu einer deutschen Wissenschaftssprache aus dem Gelehrtenlatein behandelt Pörksen 1983; den Kontext Hochsprache, Literatursprache, Schriftsprache entwickelt grundsätzlich Baum 1987.
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sten im konfessionellen Zeitalter. Klaus Garber hat sich mehrfach mit diesen Anfängen einer neuen deutschen Kunstdichtung befaßt und ihre Entstehung als wesentliches Kriterium in seinen literaturtheoretischen Überlegungen über den Späthumanismus behandelt.119 Diese Dichtung wurde getragen von einer jungen, um 1600 geborenen Generation, die bürgerlicher Herkunft war und humanistische Bildung genossen hatte und die sich selbst in humanistischer Tradition als gelehrte Poeten verstand. Im Kampf der Konfessionskirchen, der seit 1618 nicht mehr nur über das Wort, sondern auch auf dem Schlachtfeld ausgetragen wurde, standen diese Dichter durchweg auf der antikatholischen antispanischen Seite, waren vielfach V o r k ä m p f e r der calvinistischen Sache, sympathisierten fast alle mit der irenischen B e w e g u n g und setzten sich nicht selten als >Politiker< für den souveränen, religiöse Toleranz garantierenden Staat jenseits der konfessions-politischen Parteiungen ein. 1 2 0
So wie die res publica litteraria in regionalen Gelehrtenkreisen organisiert war, entstand auch die deutsche Dichtung in regionalen Kontexten. Ihre Zentren lagen in den Städten und in den Sprachgesellschaften,121 die in der Tradition der europäischen Sozietätsbewegung standen und neben dem sprachpflegerischen Anliegen kulturpatriotische Ziele innerhalb der >Öffentlichkeit< des frühabsolutistischen Staates verfolgten.122 Entscheidend wurde die Verbindung von protestantischer Sache und deutscher Dichtung. Die Übersetzung der französischen Hugenottenpsalter durch Ambrosius Lobwasser und Paul Schede Melissus bildete hier den Anfang, 123 Theobald Hoeck formulierte 1601 in seinem Gedicht »Von Art der Deutschen Poeterey« diesen Gedanken programmatisch aus,124 und Julius Wilhelm Zincgref plazierte ganz gezielt in seinem Vorwort zur Straßburger Ausgabe der Teutschen
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Vgl. mit allen wichtigen, an dieser Stelle nicht zu wiederholenden Verweisen Garber 1986b und 1998c. Garber 1981, S. 30. - Zu den Erfahrungen von Krieg und Frieden in der deutschsprachigen Literatur des Dreißigjährigen Krieges sei hier nur, unter Verzicht auf die A n f u h r u n g der zahlreich vorliegenden SpezialStudien etwa zu Rist, Grimmelshausen u.a., auf die Beiträge von Kühlmann, Schäfer und Laufhütte in Bußmann/Schilling 1998, Textband II: Kunst und Kultur in Abschnitt IV (»Krieg und Frieden in der Literatur und der Musik«) sowie auf den Überblick von Ingen 1985 verwiesen. Einfuhrend zu den deutschen Sprachgesellschaften der Band von Bircher/Ingen 1978 sowie zur ersten Information Otto 1972. Im Tagungsband von Garber/Wismann 1996 zur deutschen Entwicklung Bd. II., S. 1069-1696. Z u m Z u s a m m e n h a n g Stadt und Literatur neben der Studie von Kleinschmidt 1982 jetzt der gleichnamige Band von Garber 1998 mit zahlreichen Fallstudien, dort auch ein Forschungsüberblick von Garber 1998a, S. 3 - 4 7 ; vgl. auch schon ders. 1988. Überaus erhellend immer noch für die institutionellen und soziologischen Kontexte, in denen sich die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts entfaltete, der Band von Schöne 1976. Z u r »Spracharbeit«, d.h. sowohl zur Arbeit an der deutschen Sprache und ihrer A u s f o r m u n g als auch der Arbeit für die deutsche Sprache, die beide Aspekte verbindende instruktive Untersuchung von Hundt 2000. Vgl. Blume 1978, Ingen 1986, Kühlmann 2000. S. dazu unten Teil II, Kap. 1.2.4.1. Vgl. Czucka 1987. Zu ihm und seinem politischen Engagement f ü r die protestantische Sache der Artikel von Kühlmann in Killy V, S. 375f.
37 Poemata den Vorwurf, daß die Abhängigkeit von einer anderen Sprache »kein geringeres Joch wäre« als die Abhängigkeit von einer anderen Nation - wobei die Stoßrichtung hier gegen Spanien und die Jesuiten zielte. 125 Der Anfang dieser neuen deutschen Kunstdichtung war also mit einem nationalen Plädoyer verbunden, gerichtet gegen Spanien und die katholischen Mächte, getragen vor allem von jungen Dichtem, der der calvinistischen Sache und ebenso einem irenischen Denken anhingen. 126 Diese nationale Aspiration, so muß verstanden werden, ist die Aktualisierung einer seit eh und je im Umkreis des Humanismus virulenten Idee, angepaßt an die besonderen Verhältnisse des voll entfesselten konfessionellen Zeitalters. Ihm wird seitens der späthumanistischen Generation um 1600 im Namen einer transkonfessionellen religiösen Irenik und im Einklagen politischer Einigung im Namen des übergeordneten nationalen Wohles unmißverständlich eine Alternative bezeichnet. 127
Damit setzte sich im nationalen Idiom fort, was laut Garber ein spezifischer Gegenstand späthumanistischen Schreibens im konfessionellen Zeitalter gewesen sei: Daß sich nämlich die späthumanistische Intelligenz Europas in ihren Schriften mit der »Behauptung bzw. Wiedergewinnung nationaler bzw. territorialer staatlicher Gewalt und Souveränität inmitten der konfessionellen Fraktionierungen und Friktionen nebst entsprechenden politischen Theoriebildungen« 128 befaßt habe. Das wirkte in der Dichtung und eben auch in der nationalsprachlichen Dichtung weiter. Der Späthumanismus war letztlich also viel mehr als nur eine >ErntezeitPersönlicheunmittelbarePrivatbriefe< konzipiert waren, findet sich in ihnen jedoch nur schwer eine individuelle >PrivatheitTheorie< des Briefes. 7 Griechische und römische Autoren formulierten Grundzüge einer Epistolographie, in der die stilistischen und sprachlichen Qualitäten, in der die erlernbare >Technik< für diese Gattung wie für das gesamte System der Redekunst und Poetik fixiert waren. Der Brief war Teil der Redekunst. Er wurde aber nicht nur im Zusammenhang der rhetorischen Lehrwerke, sondern ebenso in eigenen Briefstellern behandelt, in denen verschiedene Formen vorgestellt und Musterbriefe für diese Formen dargereicht wurden. In den Briefen selbst, so bei Cicero oder Seneca, finden sich theoretische Erörterungen über das Wesen und die Gestalt des Briefes. Zu berücksichtigen waren dafür selbstverständlich die Kriterien der Sprachrichtigkeit (ratio, vetustas, auctoritas, consuetudo), wie sie im Umgangston unter den Gebildeten gewahrt waren. Als stilistisch angemessen für diese Gattung galt es jedoch, die perspicuitas zu beachten, also eine >Deut5 6
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Dazu Müller 1980. Zum interaktiven Gesprächscharakter des Briefes vgl. Schindler 1989. Die Theorie des >PrivatbriefesAIltagsbrief< aus, dem der literarische Kunstcharakter, wie er für die humanistische Epistolographie prägend war, fehlt. Ausschließlich über den Bekenntnischarakter definiert auch Wellek 1960 den Brief. Für den (spät)humanistischen Brief zu eng greift seine Charakterisierung des Briefes alleine dadurch, »daß er zwischen Personen gewechselt wird, die in einem persönlichen, nicht von amtlichen oder institutionellen Befugnissen bestimmten Verhältnis zueinander stehen. [...] Briefe [...] sind nur diejenigen Schriftstücke, die außerhalb der amtlichen Befugnisse geschrieben und empfangen werden« (S. 5). Schmid 1988 trennt den in diesem Sinne verstandenen eigentlichem Brief von Akten (was zutrifft) und literarischen Werken (was für den Späthumanismus nicht zutrifft). Vielmehr gilt für den (spät)humanistischen Brief die grundlegende textologische Überlegung, die Motschmann 1991, ausgehend davon, welche Briefe in Briefeditionen aufzunehmen seien, anstellt (wobei hier nicht auf die für den in meiner Arbeit behandelten Zeitraum problematische Aussage der »privaten Sphäre« einzugehen ist): »Da die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre fließend und nicht klar voneinander abzuheben sind, da amtliche und private Äußerungen einander durchdringen können, plädiere ich für einen Abdruck beider Arten brieflicher Mitteilungen in einer Ausgabe [...].«(S. 188; Hervorhebung im Text!). Zur antiken Epistolographie einführend die Artikel von Sykutris 1931, Schneider 1954, Kytzler 1965, Schmidt 1967. Zu den antiken Briefstellern und der brieftheoretischen Literatur der Antike vgl. auch Smolak 1980, S. IX-XX. Zur Spannweite der Gattung Brief in der Antike aus Sicht linguistischer Kommunikationsmodelle Thraede 1980.
43 lichkeit< der Sprache zu erreichen und deshalb die rhetorischen Effekte nur maßvoll einzusetzen. Dabei war eine angemessene Kürze (brevitas) einzuhalten. Der Brief wurde als schriftliches Gespräch zwischen Abwesenden definiert, die faktische räumliche Trennung sollte durch die Illusion des Zusammenseins aufgehoben werden. Grundsätzlich wurde zwischen dem genus familiare und dem genus severum unterschieden, wobei letzteres über das Wesen des Briefes als vertrautes, eben quasi >familiäres< Gespräch hinausfuhrt zu einer schriftlichen oratio. Damit tritt der Brief vollends aus der >Privatheit< heraus. Zwar lag das besondere Interesse der antiken Briefsteller und Epistolographen auf dem Freundschaftsbrief, doch wurde die Briefform ebenso zur Einkleidung lehrhafter Inhalte genutzt, die dann nicht an einen Adressaten, sondern an ein >Publikum< gerichtet waren. Im Christentum und im Mittelalter dominierte die >offizielle< Form des Briefes, der von den Kanzleien nach den Regeln der formulae und später der ars dictaminis ausgeführt wurde. In den entsprechenden Lehrwerken stand die Lehre von den fünf partes epistolae im Mittelpunkt (salutatio, captatio benevolentiae, narratio, petitio und conclusio). Sie galt ebenso für Urkunden. Auch für die deutschsprachigen Briefe blieb das lateinische Vorbild prägend. Die Stilhöhe richtete sich nach dem sozialen Stand des Absenders und Empfängers. Das genus familiare besaß keine Bedeutung. Auch der Privatbrief orientierte sich am Briefstil der ars dictaminis und an der Sprache der Kanzleien.8 Erst mit dem Humanismus kam es zu einer Abkehr von der mittelalterlichen Brieflehre. Das genus familiare wurde wiederentdeckt. Petrarca fand, wie eben angesprochen, 1345 in Verona in einer Handschrift Ciceros Privatbriefe, die er nicht nur abschrieb, sondern die ihn auch für seine eigenen Briefe inspirierten. Er verfaßte in der Folge zwei freundschaftliche Briefe an Cicero.9 Diese beiden Privatbriefe und der Fund der Cicero-Briefe markieren eine historische Zäsur insofern, als durch Petrarca das antike Briefgenus wiederbelebt und sogleich durch eine überragende Autorität der römischen Brieftradition abgesichert wurde, wobei der Humanist mit seinen Briefen an Cicero geradezu programmatisch die historische Distanz in seiner Gegenwart auflöste. Dem Brief wurden seit diesem Einsatz der humanistischen Epistolographie stilistische Freiheiten zurückgewonnen, die er im Mittelalter verloren hatte. Die strenge fünfteilige Disposition wurde abgelöst, die narratio rückte ins Zentrum und wurde nur noch von jeweils einer kurzen salutatio und conclusio umrahmt: In der Renaissance setzte unter dem Einfluß der wiederentdeckten Epistolographie der Antike eine Abwendung von den rhetorischen Stil- und Dispositionsvorschriften der ars dictaminis ein, die den Brief als schriftliche oratio behandelt hatte. Humanistische Briefschreiber und -theoretiker wie Erasmus und Vives entwickelten ein Bewußtsein der
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Hierzu ebenfalls Smolak 1980, S. XXII-XXX. Zur ars dictaminis grundlegend die Forschungen von Ernst Robert Curtius (bes. sein Standardwerk zum Einfluß der mittelalterlichen Lateinkultur auf die europäische Literatur von 1948 [11. Aufl. 1993] sowie seine Studie von 1952), außerdem die Untersuchungen von Murphy 1974 (Neuauflage 2001) und Quadlbauer 1962. Vgl. Schmidt 1978.
44 unendlichen Vielgestaltigkeit und Freiheit - illam libertatem epistolarem - der Gattung, und sie rückten den >familiären< oder Privatbrief (episiula familiaris) ins Zentrum des Interesses, für den die rhetorische Findungs-, Dispositions- und Schmucklehre ohne Belang war. Für Erasmus ist wie fiir die Humanisten insgesamt der Brief eine dialogische Gattung, gleichsam ein Gespräch zwischen Abwesenden (absentium amicorum quasi mutuus sermo), das in einer kultivierten Form der Alltagssprache (stilus humilis) geführt wurde und dem freundschaftlichen Kontakt und dem Gedankenaustausch der geistigen Elite des Zeitalters diente und oftmals ausgesprochen pädagogische Züge annahm. 10
Das Bewußtsein der Freiheit und Vielgestaltigkeit der Gattung bedingte auch im Bereich der Epistolographie eine Veränderung der Verwertungsinteressen hinsichtlich der antiken Autoritäten." Der Gesprächscharakter des Briefes, die Forderungen, einen Brief schlicht und einfach zu verfassen und ihn zum Spiegel der Seele zu machen, blieben Gattungskonstitutiva, die durch die antike Rhetorik vorgegeben und gleichsam abgesichert waren. Cicero wurde dafür durch Petrarca der große Musterautor für die Freundschaftsbriefe der Humanisten.12 Die humanistischen Brieftheoretiker standen vor der Aufgabe, die stilistischen Anforderungen des familiariter scribere fiir den Privatbrief aus dem rhetorischen Lehrsystem zu begründen, zugleich aber sich von der nicht minder stark der antiken Rhetorik verpflichteten mittelalterlichen ars dictaminis abzugrenzen, um so den Brief aus seiner vorrangig amtlichen Funktion herauszulösen: Das Bild, das die sehr zahlreichen Briefsteller der Humanistenzeit bieten [...], ist im allgemeinen geprägt von einer Mischung der herkömmlichen mittelalterlichen summa dictaminis mit auffalliger Gewichtung der rhetorischen Vorschriften und der standesgemäßen Titul a t u r - ein Punkt, der [...] in der Antike eine nur unbedeutende Rolle spielte - und einer an den mehr oder minder normativen Privatbriefen von Cicero und Plinius1131 formal orientierten Sammlung praktischer Beispiele. Dazu treten die Einbeziehung auch der griechischen brieftheoretischen Schriften und Musterautoren des Altertums und das direkte oder indirekte Erstellen von Autorenkanons, in denen die mittellateinische Literatur fehlt. 14
Den wirkungsreichsten humanistischen Briefsteller verfaßte Erasmus von Rotterdam. Er geht hier von der Zweiteilung zwischen dem genus familiare und dem genus severum aus, propagiert als stilistisches >Qualitätskriterium< die perspicuitas, die an eine >klassische< Sprachrichtigkeit gebunden ist, und erklärt nahezu jeden Inhalt in einem Brief für möglich. Im Aufbau des Briefes plädiert er fiir größtmögliche Freiheit, lediglich salutatio und conclusio werden von ihm genauer definiert. Zwar ist sich Erasmus bewußt, daß jede Einteilung der Briefe in unterschiedliche Arten künstlich sei, dennoch bietet er einen ausführlichen Katalog von Briefarten, der sich an den drei - weltlichen15 - Redegattungen,
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Müller 1985, S. 83. Vgl. oben S. 30ff. Vgl. Schmidt 1983. 1419entdeckte Guarino von Verona (1374—1460) mehr als 100 Briefe Plinius' d.J., die im Mittelalter unbekannt gewesen waren, in einer Handschrift in Venedig, vgl. Sandys 1964, Bd. II, S. 50; Römer 1975, S. 165-168. Smolak 1980, S. XXXII. Ausgenommen bleibt natürlich die von Augustin eingeführte Gattung der Predigt. Vgl. zur Rhetorik Augustins und seiner Rezeption Ciceros in seinem De doctrina Christiana zuletzt
45 den généra deliberativum, demonstrativum und iudicale, orientiert. Sie sind aber von ihm um eine vierte Gattung erweitert, um das genus familiare. Bereits diese Betonung einer vierten Gattung macht deutlich, wie wichtig den Humanisten gerade der Privatbrief war. Deshalb bemüht sich Erasmus auch besonders um genaue Definitionen der einzelnen Briefarten. In seinem Briefsteller entwickelt er unter diesen Gattungen zahlreiche Briefarten, wendet sich allerdings »gegen übertriebene Reglementierung und tritt für die Freiheit des - gebildetenIndividuums ein.« 16 Aus Erasmus und den vielen anderen humanistischen Briefstellern in seiner Folge konnten die Humanisten lernen, wie sie Briefe zu schreiben hätten. Zumal sie dort neben den theoretischen Grundlagen Musterbriefe für die einzelnen Briefarten vorfanden, an denen sie sich schulen konnten. Wie die Dichtung galt das Briefeschreiben als eine erlernbare Kunst, wobei auch hier die alleinige Beherrschung der ars nicht ohne ein ausreichendes ingenium - und damit ein ausgebildetes iudicium - zu guten Briefen fuhren konnte. Auf diese rhetorischen Grundlehren sei an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Die vielen anderen humanistischen Briefsteller des 16. Jahrhunderts verfuhren ähnlich wie Erasmus. Der Einfluß der mittelalterlichen ars dictaminis schlägt mal stärker, mal schwächer durch, ist aber stets vorhanden. Cicero blieb das unumstrittene stilistische Vorbild, wenngleich gerade an seiner Person die Grenzen der imitatio von den Humanisten kontrovers diskutiert wurden. 17 Erasmus entfernte sich zwar mit der Betonung der Freiheit in der Gestaltung des Briefes, die auch stilistische und sprachliche Optionen über Cicero hinaus eröffnete, vom humanistischen Nachahmungspostulat. Doch erst die späteren Generationen störten sich so an der »monotonie de la forme, pauvreté de la matière, absence de sincérité personelle« 18 des ciceronianischen Briefes, daß sich schließlich auch hier ein anticiceronianisches Stilideal durchsetzte. Die Bedeutung Ciceros wurde auf die pädagogische Schulung elementarer Korrektheit und Klarheit zurückgedrängt, statt dessen sollten andere Autoren, besonders Sallust, Seneca und Tacitus, der Formung des ingeniums und iudiciums exemplarisch dienen.
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Pollmann 1996, bes. S. 228ff., und Prestel 1992. Allgemein dazu McNew 1957, Hagendahl 1967, Labhardt 1972. Zur erasmischen Epistolographie vgl. auch Heesakkers 1995. Zu Erasmus' Briefsteller die Einleitung von Smolak 1980, S. XXXIII-XLI, Zitat S. XLI. Vgl. zum Ciceronianismus-Streit Scott 1910. Zur Ablösung des ciceronianischen Stilideals durch Lipsius und zur Bedeutung der brevitas, zugleich aber zur durchaus unterschiedlichen Cicero-Rezeption bei den Jesuiten und den Protestanten liegt die Untersuchung von Mouchel 1990 vor; außerdem fur den Späthumanismus mit dem Schwerpunkt auf der deutschen Entwicklung das entsprechende Kapitel bei Kühlmann 1982, S. 189-204. Weiterhin grundlegend zur Entwicklung der rhetorischen Theorie (mit dem Schwerpunkt auf der französischen Renaissance bis zur Académie Française, darunter auch einem ausfuhrlichen Kapitel zur politischen Eloquenz am Beispiel des Pariser Parlaments und der Advokaten) Fumaroli 1994 (inzwischen in 3. Aufl. Genf 2002 vorliegend); zur rhetorischen Praxis der Hofberedsamkeit vgl. oben S. 32, Anm. 93. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang weiterhin auf die interessante sprachgeschichtlich-semantische Studie von Condren 1994 zur politischen Sprache im England des 17. Jahrhunderts. Fumaroli 1978, S. 894.
46 Die stilistische Wende des Späthumanismus ist mit dem Werk von Justus Lipsius verbunden.19 Seine philosophia practica war auch für den späthumanistischen Brief folgenreich.20 Marc Fumaroli hat die Entwicklung der humanistischen Epistolographie von Petrarca bis Lipsius eingehend untersucht: Demnach betonte Lipsius »la spiritualité de la situation épistolaire«, der Briefschreiber wurde nunmehr »une sorte de graveur au burin inscrivant sur la page les traits de son >moi< pour les imprimer plus profondément dans l'âme de l'ami, objets pour celui-ci de méditation et de joie à la fois spirituelle et esthétique.«21 Die Vorstellung des Briefes als Spiegel der Seele blieb auch bei Lipsius der Ausgangspunkt seiner theoretischen Argumentation. Gleichwohl war es auch hier nicht mehr als ein Topos, ein Anspruch, der durch die rhetorische Formung der Briefe überlagert war. Das genus familiare ist ebenfalls durch die Lehren der antiken Rhetorik und Poetik geprägt, die Formel epistola imago animi bezeichnet letztlich nur das Selbstverständnis des >familiären< Briefschreibers, einen anmutigen stilus zu schreiben. Mit Lipsius aber wurde die brevitas, die Erasmus noch sehr weit ausgelegt hatte, zum definitiven Stilideal. Dazu bedurfte es der freien Verfugung über die gesamte Antike als Exempelarsenal für das ingenium, dafür war die argutia gefordert. Damit bereitete der Späthumanismus zugleich die Ablösung einer Brieftheorie vor, die auf dem in der Renaissance wiederbelebten, in einer durchaus produktiven Auseinandersetzung mit den antiken Autoritäten durch imitatio und aemulatio der humanistischen Gelehrtenkultur inkorporierten rhetorischen Lehrsystem der Antike basierte. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt Fumaroli: Au fil de notre exposé, nous avons vu tour à tour disparaître la rhétorique médiévale, et de la rhétorique classique, restaurée par la philologie humaniste, naître comme un phénix une rhétorique nouvelle, qui articule les fragments de la rhétorique classique autour des concepts subjectifs de génie et de goût. [...] Mais il n'est pas inutile à nos propres débats de montrer dans ces métamorphoses de l'antique ars dicendi la preuve de sa plasticité et de sa fécondité, qui se montre capable au cours du XVI e siècle, de se libérer de sa concrétion antique comme sa concrétion médiévale, pour élaborer avec ces morceaux éclatés un langage critique et une pédagogie littéraire nouvelle, accordés à une nouvelle culture. 22
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Dazu Kühlmann 1982, S. 204-255; zur französischen Entwicklung des familiariter scribere Fumaroli 1994a, S. 163-181. Vgl. außerdem die Untersuchung von Nisard 1852 zum Stil Lipsius', Joseph Justus Scaligers und Casaubon. S. dazu oben, S. 23f. Fumaroli 1978, S. 897. - Damit erfüllte auch der Brief die im Neostoizismus angelegte »Forderung des Lipsius nach Überfuhrung der Philologie in Philosophie, der humanistischen Gelehrsamkeit in einen Habitus intellektueller Daseinsbewältigung« - diesem Aspekt, den Kühlmann 1982, S. 267-283 (Zitat S. 282f.), herausarbeitet, gehe ich in meiner Arbeit nicht weiter nach: Denn aus der Prämisse der Spiritualität leitete sich laut Fumaroli 1978 folgendes ab: »Lipse rejoint ainsi la leçon du Dialogue des orateurs de Tacite, qui faisait du deuil de l'éloquence orale le principe d'un nouvel enthousiasme philosophique, celui du prosateur-poète, en retrait de la vie publique, libre intérieurement, dans le cénacle des amitiés élues, en dépit de la noirceur du monde« (S. 897). Zum Dialogus de oratoribus, für den eine Verfasserschaft des Tacitus unsicher ist, vgl. Michel 1988, S. 459f.; zu Lipsius' Epistolica institutio vgl. die Einleitung in die Edition (mit englischer Übersetzung) von Young/Hester (Lipsius: Inst.) und Fumaroli 1994, S. 152-161. Fumaroli 1978, S. 900.
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Wie auf dem Felde der Dichtkunst bereitete sich damit aber auch in der Epistolographie der Übergang vom Lateinischen auf die nationalen Sprachen vor, der mit den gleichen Argumentationsmustern legitimiert wurde. In den Gelehrtenbriefwechseln allerdings bewahrte das Neulatein noch weit über 1600 hinaus seine unangefochtene Dominanz.23 Zwar ist längst akzeptiert, daß die Briefe der (Spät-)Humanisten keineswegs unbedeutenden Gehaltes sind, wie Georg Voigt noch klagte (und wie ja auch etwa über den poetischen Wert der Kasualpoesie lange geurteilt wurde).24 Doch sind sie ebensowenig unmittelbare, d.h. ausschließlich die intime Persönlichkeit und persönliche Intimität ausdrückende Quellen. Diese Qualität erreichte der Privatbrief bekanntlich erst mit der Empfindsamkeit.25 Der neulateinische Brief des Späthumanismus blieb ebenso den Regeln der Rhetorik verpflichtet wie er nun andererseits den Geboten der prudentia unterworfen wurde. Er war in einer gestalteten Sprache zu verfassen, die literarischen und gelehrten Ansprüchen genügen mußte, reich an Anspielungen, die von den Zeitgenossen, deren Denken und Handeln in der gleichen humanistischen und damit aus der Antike belebten Tradition verankert war, viel leichter entschlüsselt werden konnten, als es uns heute vielfach möglich ist. Seinem theoretischen Anspruch nach Spiegel der Seele, war der (spät)humanistische Brief ganz im Gegenteil sowohl Beleg eruditärer Kompetenz als auch Instrumentarium eines spezifischen Kulturverständnisses und Gruppenbewußtseins. Trotz seiner rhetorischen und poetologischen Präformation ist der späthumanistische Brief folglich eine zentrale Quelle fiir die Gelehrtenkultur und das Selbstverständnis der nobilitas litteraria. Die späthumanistischen Briefe waren weit mehr als nur die »ursprünglichste literarische Form der gelehrten Freundschaft«, sie bringen mehr als nur »Personenkult, Stilisierung des Lebens, Selbstdarstellung, Begeisterung an schönen Formen«26 der nobilitas litteraria zum Ausdruck.27 Vielmehr erfüllten sie in der
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Vgl. zur Übertragung der lateinischen Typologie auf die nationalen Briefkulturen in der Romania die Einleitung von Butler 1954 für den italienischen Humanismus, und für die Entwicklung des französischen Briefes den Essay von Viala 1981; für Deutschland das bereits zitierte Standardwerk von Nickisch 1969. Diese Entwicklung wird bei der Vorstellung der einzelnen Korrespondenzen Lingelsheims in Teil II dieser Arbeit immer dort einzublenden sein, wo nicht-lateinische Briefe vorkommen. Vgl. Voigt 1893, Bd. II, S. 429. Bezeichnend etwa auch - für die Gelegenheitsdichtung das Urteil von Hermann Österley in der Vorrede zu seiner Dach-Ausgabe von 1876, der nur die deutschsprachigen Gedichte zusammenträgt, die »irgendwelchen höheren poetischen oder geistigen inhalt« und nicht »schon bei ihrer entstehung nur einen momentanen werth besaßen« (Dach: [Gedichte], S. 14). Vgl. die vorzügliche, nach »Schlagwortefn] bürgerlicher Selbstreflexion« gegliederte Auswahledition Deutsche Briefe von 1989 (Vorwort, S. 18). Außerdem - neben den in Anm. 3 zitierten Einfuhrungen von Nickisch und Steinhausen - Brockmeyer 1961. Zu der wesentlich durch Geliert beeinflußten empfindsamen Wendung der Epistolographie nunmehr Arto-Haumacher 1995. Trunz 1995a, S. 36-38. Trunz 1987, S. 339, selbst hat diese These später erweitert, indem er als wichtiges Movens fiir die Späthumanisten betonte, »daß man Briefe schrieb mit der Absicht, dadurch im Kreise der Vielgenannten zu sein, und in der stillen Hoffnung, daß diese Briefe abgeschrieben und weitergereicht würden.«
48 gelehrten Kommunikation mehrere Zwecke zugleich, dienten sie als »Zeitung, Rezensionsorgan und persönliche Mitteilung in einem.« 28 Der Brief war das herausragende Medium der gelehrten Kommunikation innerhalb der res publica litteraria. In ihren Briefen pflegten die Humanisten Alteuropas seit jeher den gelehrten Austausch, übermittelten sich Nachrichten und Informationen jeglicher Art, bekundeten ihre gegenseitige Freundschaft und Verbundenheit. Über den Brief hielten sie untereinander Verbindung und fühlten sie sich miteinander verbunden. In ihren Briefen artikulierte sich das humanistische Selbstverständnis einer nobilitas litteraria, die sämtliche Entwicklungen und Erscheinungen ihrer Zeit genau beobachtete, kommentierte und diskutierte. So sehr auch die Gattung an sich rhetorischen Regeln unterworfen war, so genau von den Späthumanisten die stilistischen Kriterien angemessener Rede und die Gebote der prudentia eingehalten wurden, so ist der späthumanistische Brief dennoch als eine überaus authentische primäre Quelle sowohl ftir das Denken und Handeln der Gelehrten im konfessionellen Zeitalter als auch für jede Darstellung der Geschichte der Gelehrtenrepublik und der Gelehrsamkeit am Übergang von der Renaissance zur Frühaufklärung zu entziffern. Das eben auch deshalb, weil er eine ebenso spezifische wie herausragende Kommunikationsform einer gesellschaftlichen Gruppe war, die damit auch eine eigene gelehrte Kultur geschaffen hatte. Zwischen der Art der Mitteilung und der äußeren Form des einzelnen Briefes und ebenso der Stilhöhe bestand einerseits eine Interdependenz, wie andererseits der Adressat und die Funktion eines Briefes seine graphische Prätentiösität, seine rhetorische Artifizialität und seine stilistische Qualität (und seinen Sprachstand) beeinflußten. Ein flüchtig dahin geworfenes Billet etwa zur Einladung eines Freundes am Orte unterschied sich in seiner äußerlichen, stilistischen und auch inhaltlichen Qualität von einem dem Austausch mit einem auswärtigen gelehrten Freund dienenden Schreiben oder einem Schreiben an einen fürstlichen Adressaten. Jeder Brief ist somit auch hinsichtlich der kommunikativen Situation, in der er entstand und die durch ihn geschaffen werden sollte, seiner Funktion und der mit ihm verfolgten Wirkungsstrategie zu untersuchen. 29
28 29
Lohmeier 1978, S. 65. Hess 1979 entwirft auf Basis der Korrespondenz Celtis' mit dem Ingolstedter Professor Sixtus Tucher eine Typologie der Humanistenbriefe (S. 482-485): Sie unterscheidet 1. »Unprätentiöse Handzettel«, d.h. in der äußeren Form (Teilblatt, Schriftbild, fehlende Adresse) schmucklose Briefe, die eine »informelle Kurznotiz« transportierten; 2. einen nur wenig sorgfältiger gestalteten und inhaltlich etwas ausfuhrlicheren Zwischentypus zum folgenden, den sie (3.) als »Grundsatz- oder Thesenbrief« bezeichnet, der ebenfalls Spontanniederschrift sei, jedoch noch keine dekorative (d.h. repräsentiv-prätentiöse) Gestaltung aufweise: »Er enthält grundsätzliche kulturpolitische Reflexionen, bringt existentielle Standortbeschreibung mit starkem Rechtfertigungscharakter und nicht selten polemischen Impetus.« Der 4. Typus sei eine »Mischform aus Gebrauchsbrief und literarischem Kunstbrief« und »tendiert durch die Gewichtigkeit der Aussage über den Tag hinaus«, was sich auch in der äußeren Form niederschlage (graphisch anspruchsvollere Reinschrift); der 5. und letzte Typus schließlich in der von ihr untersuchten Korrespondenz stelle »die reine Ausprägung eines literarischen Werkbriefes«, der hier eine große Ode an den Freund übersendet, dar. Auch wenn sicherlich die Materialbasis fiir diese Typologie viel zu beschränkt
49 Die Späthumanisten begeisterten sich aber nicht nur für das Schreiben von Briefen, sie widmeten sich ebenso intensiv der Sammlung und Edition gelehrter Briefwechsel.30 Ihre Briefe waren stets auch mit dem Blick auf eine spätere Publikation verfaßt. Dies motivierte zum einen ihre literarisch-rhetorische Komposition, zum anderen und mehr noch dokumentiert sich darin aber das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit über die entstehenden nationalen Grenzen hinweg, ein Bewußtsein, das durch den konfessionspolitischen Druck um 1600 verstärkt wurde, der gerade auch auf den Späthumanisten lastete, die weitgehend an ihren irenischen Grundpositionen festhielten.31 Eine Gefährdung ihrer gelehrten Kultur bedeutete auch die nach 1600 stetig verschärfte gesellschaftliche Kritik am Gelehrtenstand, der sich mit einem veränderten Bildungsanspruch und Sozialverhalten konfrontiert und den Vorwürfen des Pedantismus und Pennalismus ausgesetzt sah.32 Durch die Edition der Briefwechsel großer Gestalten der späthumanistischen Gelehrtenrepublik demonstrierte diese zugleich ihre eigene Leistung und Existenzberechtigung. Die inhaltliche und funktionale Vielfalt der (spät)humanistischen Briefe spiegelt sich innerhalb jedes einzelnen Briefes. Dort werden verschiedenste Themen, in der Regel unverbunden aufeinanderfolgend, angesprochen, wobei sich die Schwerpunkte aus dem Lebensumfeld und den Lebensumständen des Verfassers, seiner Profession wie seiner Persönlichkeit, seinen Aufgaben und Interessen, ergaben. Die zeitgenössischen Briefsammlungen einzelner oder verschiedener Autoren vereinten diese Vielfalt und waren damit zugleich Projektion des Lebensstiles und der epochalen Erfahrungen der res publica litteraria.33 Der späthumanistische Brief ist also eine der zentralen Quellen für jede sozialgeschichtliche Untersuchung, die sich mit der Gelehrtenkultur und damit der intellektuellen Elite um 1600 und ihrer Stellung zu den konfessionspolitischen Konflikten bzw. den späthumanistischen Positionierungen in dieser das gesamte politische, kirchliche und gesellschaftliche Leben ebenso wie die persönliche Existenz zutiefst prägenden krisenhaften Zeit befaßt. Die Erschließung der größtenteils noch unerschlossenen Briefwechsel der Späthumanisten - wie der Humanisten insgesamt - gehört zweifellos zu den dringlichsten (aber auch herausforderndsten) Aufgaben kulturgeschichtlicher Forschung. Es darf dabei
30 31 32 33
war und es fraglich bleibt, ob die bereits angedeuteten Mischformen sich wirklich für eine eindeutige Typologie eignen, so sind doch die Grundüberlegungen von Hess, daß zwischen äußerer Form und Inhalt bzw. Zweck des Briefes ein Zusammenhang bestehe, nur zu unterstreichen, zumal sie den Bogen noch weiter spannt und auch Differenzierungen im Stil dieser Brieftypen andeutet, wenngleich sie feststellen muß, daß in den einzelnen Briefen der »Sprachton« durchaus schwanke (S. 485f.). Letztlich ist von ihr an den Briefen damit nichts anderes festgestellt, was sich auch in der zeitgenössischen poetischrhetorischen Theorie findet, nämlich die Kompatibilität von Stil und Inhalt. Die Regel in den Briefen war ein mittlerer Stil (vgl. Seidel 1990, S. 585, wie Conrady 1962, S. 127ff., für die lateinische Dichtung). Vgl. Trunz 1995a, S. 39f. Vgl. dazu oben S. 28f. Vgl. dazu insbes. den zweiten Teil der Untersuchung von Kühlmann 1982. Zum Wesen zeitgenössischer Briefsammlungen vgl. Forster 1978, S. 89f., vgl. auch am Beispiel Venedigs Marx 1983.
50
allerdings nicht bei einem bloßen positivistischem Ausschöpfen des faktischen Informationsgehaltes der Briefe belassen bleiben, sondern es bedarf eines plausiblen methodischen Untersuchungskonzeptes, das in historisch angemessener Weise über das Individuelle hinaus stets auch das Exemplarische in den Blick nimmt und in seinen geschichtlichen Präformationen analysiert. Angesichts des unbefriedigenden, nach wie vor fragmentarischen Erschließungsstandes dieser Quellengattung plädiert Wilhelm Kühlmann fur eine »personenbezogene Optik« als legitimen, methodisch keineswegs zu diskreditierenden Ansatz: Sie liegt aus arbeitsökonomischen Gründen nahe, sie gebietet sich infolge der schwierigen Quellenheuristik, ja sie allein erfaßt mentale Strukturen historischer und literarischer Provenienz nicht nur aus der Vogelschau des Systemanalytikers, sondern in einer hermeneutischen Rückübersetzung, in der Geschichte als erfahrene soziale Wirklichkeit erscheint. 34
Die vorliegende Arbeit ist diesem Ansatz verpflichtet. In diesem Zusammenhang gewinnt das Forschungsparadigma des »Netzwerks« bzw. der »Netzwerkanalyse« Relevanz, das in den letzten Jahren von der historischen Forschung, sofern sie sich der Biographik zuwendet, als methodischer Zugang zu dieser lange verpönten Gattung aus der Soziologie übernommen wurde. Das bedeutet letztlich nichts anderes, als eine individuelle Biographie in ihren spezifischen sozialen und kulturellen Kontext einzuordnen, d.h. also das Netz der persönlichen - und damit auch der gelehrten - Kontakte, das eine Person knüpfte und in das sie eingewoben war und innerhalb dessen ihre Kommunikation verlief, zu analysieren. Innerhalb dieser Netzwerke und über sie wurden die Informationen und Ideen ausgetauscht. Für einen Vertreter der späthumanistischen Gelehrtenrepublik gebietet es sich geradezu selbstverständlich, dieses methodische Vorgehen anzuwenden - und damit zugleich auf seine Tragfähigkeit zu überprüfen. Gerade die Korrespondenzen bieten ein überaus aufschlußreiches Quellenmaterial, um Netzwerkanalyse und Biographie zu verbinden.35
34 35
Kühlmann 1988, S. 673f. Dazu die methodischen Überlegungen von Bugnard 1995; diesem strukturellen Ansatz etwa ist die jüngst erschienene Arbeit von Ruth Kohlndorfer-Fries (2003) zu Jacques Bongars verpflichtet; vgl. auch schon dies. 2002 (= Kohlndorfer 2002).
4.
Das Briefcorpus Lingelsheims
Die eingangs zitierte Einschätzung, in Lingelsheim einen der bedeutendsten Epistolographen seiner Zeit zu sehen, basiert letztlich nur auf einem verhältnismäßig kleinen Ausschnitt seiner überlieferten Briefwechsel. Reifferscheid, dessen Ausgabe von 1889 bis heute für die Forschung das entscheidende Quellenwerk ist, edierte knapp über 200 Briefe von und an ihn. Rechnet man die in den älteren Briefausgaben seit dem 17. Jahrhundert veröffentlichten Briefe hinzu, auf die gemeinhin in den biographischen Artikeln und den wenigen wissenschaftlichen Arbeiten, in denen Lingelsheim zumeist nur am Rande behandelt wird, verwiesen ist, kommt man auf eine Gesamtzahl von nicht einmal 650 Briefen, die gedruckt vorliegen. Das ist sicherlich eine beeindruckende Zahl, aber um ihn im Vergleich etwa mit einem Gronovius, einem Lipsius, einem Beze und anderen Zeitgenossen zu den großen Epistolographen des Späthumanismus zu zählen, scheint es doch zu wenig. Für eine Biographie böte es zwar eine hinreichende Quellenbasis, doch auch sie würde zahlreiche biographische Lücken nicht schließen können, da die gedruckt vorliegenden Briefzeugnisse nur einen Teil der bis heute erhaltenen Briefe von und an Lingelsheim und nur einen Teil seines Korrespondentenkreises dokumentieren.
4.1.
Gedruckte Ausgaben
Zu seinen Lebzeiten erschienen nur sehr wenige Briefe aus Lingelsheims Korrespondenzen im Druck. 1612 und 1616 publizierte er jeweils einen Brief, einmal ein Schreiben von Isaac Casaubon an ihn,1 das andere Mal einen Brief an Marco Antonio de Dominis. Drei Briefe an Lingelsheim wurden 1628 in der ersten Ausgabe der Briefe Joseph Justus Scaligers veröffentlicht. Bereits die verschiedenen Publikationsorte dieser fünf Briefe weisen auf die multiple Funktion des späthumanistischen Briefes hin: Gewannen die unmittelbar nach ihrer Entstehung im Zusammenhang aktueller konfessionspolitischer Konflikte edierten Briefe den Charakter von Traktaten, so sind die Briefe Scaligers an Lingelsheim in einer Sammlung gedruckt, die von Angehörigen der Gelehrtenrepublik veranstaltet wurde, um einer ihrer großen Gestalt Andenken zu stiften und durch Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die im folgenden vorgestellten Editionen jeweils in den Anmerkungen nachzuweisen, zumal sie gleich noch einmal in einer Übersicht zusammengefaßt werden und im Literaturverzeichnis im Anhang dieser Arbeit genau ausgewiesen sind. Zu einzelnen hier erwähnten Briefen und Ausgaben sind die Ausführungen in den entsprechenden Abschnitten in Teil II dieser Arbeit zu vergleichen.
52 die hier versammelten Briefe ebenso die Existenz einer lebendigen gelehrten Kultur zu dokumentieren. Die gleichen Motive dürfen fur die Publikation eines weiteren Briefes Lingelsheims wenige Jahre nach seinem Tod vermutet werden. 1639 erschien ein Brief von ihm an Christoph Coler in Auszügen als Beitrag zu einer Breslauer Gelegenheitsschrift. Der Brief und das Gelegenheitsgedicht waren bekanntlich die beiden herausragenden literarischen Gattungen, in denen sich das Selbstverständnis der späthumanistischen Gelehrtenrepublik artikulierte. Hier wird Langelsheims Brief als literarisches Zeugnis gelehrter Freundschaft gleichberechtigt neben die poetischen Beiträge gestellt. Briefe an und von Lingelsheim erschienen bis in das 19. Jahrhundert hinein noch im Zusammenhang weiterer Editionen, in denen die Briefwechsel einzelner späthumanistischer Gelehrter publiziert wurden. Keine dieser Ausgaben erreicht im Blick auf Lingelsheims Anteil an diesen Briefwechseln Vollständigkeit. Den Anfang machte die erwähnte Scaliger-Edition. 1638 folgten die Briefe Isaac Casaubons. Diese Ausgabe erlebte bis 1709 zwei weitere Auflagen, die jeweils überarbeitet, vor allem aber in ihrer Anordnung und Gestalt wesentlich verändert wurden. Während die erste Auflage noch nach Briefpartnern sortiert ist, ordnen die Herausgeber der beiden folgenden die Briefe chronologisch. Besonders gravierend ist hier aber die Unzuverlässigkeit sowohl in der Überlieferung der Briefe an sich als auch in ihrem Textzustand. In den späteren Ausgaben fehlen - so auch für Lingelsheim - einzelne Briefe. Der Vorteil der letzten 1709 in Rotterdam von Theodor Janson von Almeloveen veranstalteten Edition liegt jedoch darin, daß in ihr die in den Auflagen von 1638 und 1656 durch Asterisken angedeuteten Auslassungen, zumeist von Personennamen und Orten, im Text ergänzt worden sind. Für diese Auflage konnte anscheinend noch auf Handschriften zurückgegriffen werden, die heute verloren sind. Ebenfalls Auslassungen sind in der 1670 von Matthias Berneggers Sohn Johann Kaspar besorgten ersten Edition des Briefwechsels seines Vaters zu beklagen. Der Herausgeber ließ alles fort, was seinen zu Lebzeiten kryptocalvinistischer Tendenzen verdächtigten Vater hätte kompromittieren können und markierte diese Auslassungen durch ein bloßes »&c.«. Bereits an der Textgestalt dieser Editionen wird deutlich, wie sehr man in den gedruckt vorliegenden Briefen mit UnZuverlässigkeiten rechnen kann, die nur anhand der Autographen noch korrigiert werden könnten; diese sind oftmals gerade fur die zum Druck gelangten Briefe aber nicht mehr erhalten. In ihrem Textbestand weitaus zuverlässiger, zumindest was die aufgenommenen Briefe an Lingelsheim angeht, sind die 1687 veranstalteten Editionen der Grotius-Briefe, der ein Jahr später von Heinrich Günther von Thülemeyer veröffentlichten Goldast-Briefe, die 1690 in London erschienene Vossius-Korrespondenz (in der sich überraschend ein Brief von Lingelsheim an Grotius findet), schließlich die aus der Sammlung Jan Willem van Meels im Jahre 1700 herausgegebenen Briefe François und Jean Hotmans. Sind die genannten Ausgaben als separate Editionen der Korrespondenzen jeweils eines Späthumanisten veröffentlicht worden, so erschienen im 18. Jahr-
53 hundert zwei weitere Briefeditionen, die für Lingelsheim relevant sind, im Zusammenhang mit Gesamtausgaben der Werke zweier anderer Späthumanisten. Im siebten Band der Londoner Edition der Schriften Jacques-Auguste de Thous (1733) und im elften Band der Florentiner Ausgabe der Opera omnia des Johannes Meursius (1762) wurden jeweils auch Briefe an und von Lingelsheim gedruckt. Deutlich wird daran, wie sehr der späthumanistische Brief, der in der Theorie ein Privatbrief zweier Freunde war, als Teil des literarischen Werkes gesehen wurde. Daß bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die Korrespondenzen der Zeitgenossen Lingelsheims und damit also Briefzeugnisse der späthumanistischen res publica litteraria Europas publiziert wurden, scheint mehr noch als nur der Beleg dafür, daß die neulateinische Briefkultur des 16. bis 18. Jahrhunderts »grundsätzlich [...] typologisch und funktional als Einheit aufzufassen« ist.2 Es mag durchaus als ein Indiz dafür gesehen werden, daß sich die Gelehrtenrepublik auch unter einer nunmehr veränderten geistesgeschichtlichen Konstellation und politischen Situation ihrer intellektuellen Traditionen und ihrer eigenen historischen Verankerung bewußt blieb: Humanistisches Selbstverständnis und Selbstbewußtsein lebten ganz offensichtlich unter den Gelehrten Europas fort, obgleich sie natürlich infolge eines Thomasius oder Wolff entschiedene Uminterpretationen und Weiterentwicklungen erfahren hatten. Dafür spricht auch der Blick auf eine andere Form der Briefedition, die im 17. und 18. Jahrhundert gepflegt wurde. Waren die bisher erwähnten Ausgaben stets auf einen Gelehrten bzw. Briefautoren konzentriert, so entstanden seit dem Ende des 17. Jahrhunderts mehrere Sammlungen, die thematisch zusammengestellt waren und Briefwechsel verschiedener Gelehrter enthielten. Auch in der Londoner de Thou-Ausgabe ist der Briefwechsel zwischen de Thou und Lingelsheim um andere Schreiben Lingelsheims an Pierre Dupuy, Hugo Grotius und Joseph Justus Scaliger ergänzt, die alle Bezug zur Historia des französischen Späthumanisten besitzen. Christian Hartsoeker veröffentlichte 1684 »epistolae ecclesiasticae et theologicae« aus dem Umkreis der niederländischen Reformierten und brachte acht Briefe Lingelsheims an Grotius und einen Brief von jenem an ihn zum Abdruck (der Grotius-Brief fand drei Jahre später in die Amsterdamer Grotius-Edition Aufnahme). Thomas Crenius nahm in seine Sammlung gelehrter Briefe aus dem Jahre 1696 einen Brief Lingelsheims an Gentiiis auf. Allerdings wird Lingelsheim auf dem Titelblatt genannt - ein Zeichen für die Bedeutung, die ihm auch noch von späteren Generationen für die Gelehrtenrepublik um 1600 zugewiesen wurde. Zwei weitere Briefe Lingelsheims an Grotius enthielt die 1701 zum zweiten Mal aus der Sammlung Meels zusammengestellte Ausgabe. Ludwig Christian Mieg widmete seine im gleichen Jahr publizierte Sammlung Monumenta pietatis & literaria der Geschichte der kurpfälzischen Kirche. Ein Brief von Lingelsheim an Scipio Gentiiis sowie 32 Briefe an ihn von Johann Jakob Grynaeus (21), 3 Hippolyt von Colli (7), Petrus
2 3
Kühlmann 1988, S. 671, Anm. 1. Darunter ein von Grynaeus und Grünrade verfaßtes Schreiben.
54 Denaisius (2) und Johannes Praetorius (2) fanden in die Edition Aufnahme. Zwei hier bereits veröffentlichte Grynaeus-Briefe erschienen außerdem im Jahrgang 1715 der Unschuldigen Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen. Auszüge zweier Briefe an Lingelsheim zitierte Christoph August Heumann in seinen »epistolae miscellaneae« (1722-1733). Petrus Burmann nahm 1727 drei Briefe Lingelsheims an Scaliger in seine Sylloges epistolarum auf, deren Autographen er in niederländischen Bibliotheken entdeckt hatte. Einen Brief Lingelsheims an Jungermann hatte Burmann bereits 1697 in der von ihm veranstalteten Ausgabe aus den Beständen der Bibliothek Marquard Gudes aufgenommen. 75 Briefe Lingelsheims an den Straßburger Stadtschreiber Joseph Junta publizierte schließlich Christoph Friedrich Ayrmann 1746 im ersten Teil seiner Quellenausgabe zu den Reichsereignissen um 1600. Zahlreiche Briefe von und an Georg Michael Lingelsheim sind also bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, in weit mehr als einem Dutzend verschiedener Editionen verstreut, zugänglich gemacht worden. Eine ausschließlich ihm gewidmete Ausgabe seiner Korrespondenz dagegen ist mit einer Ausnahme nicht erschienen. Diese Ausnahme bilden die 1660 in Straßburg verlegten Jacobi Bongarsi et Michaelis Lingelshemi epistolae. Diese Edition wurde von Francisc o Veiras veranstaltet, der ehemals Bongars' Sekretär gewesen und später durch Lingelsheim in kurpfälzische Dienste gelangt war.4 Veiras standen die Originale dieser Korrespondenz aus Bongars' Bibliothek zur Verfugung; allerdings ließ auch er in vielen Briefen Textstellen aus, so daß die Briefe überaus unvollständig überliefert sind. 152 Briefe, darunter 138 von Lingelsheim, sind alleine in dieser Ausgabe publiziert. Über zweihundert Jahre später ergänzte Hermann Hagen diesen Briefwechsel aus Handschriften der Bongars-Bibliothek um 36 Briefe. Hagen legte übrigens nach mehr als einem Jahrhundert, seit dem Erscheinen der Opera omnia des Johannes Meursius, erstmals überhaupt wieder eine Ausgabe vor, die Briefe Lingelsheims enthielt. Die Überlieferungstradition, wenn man sie denn als solche bezeichnen darf, der Lingelsheimschen Briefwechsel brach also um die Mitte des 18. Jahrhunderts ab, erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde ihm wieder Aufmerksamkeit zuteil, nunmehr von einer vorrangig an der Biographie großer Gelehrter der Vergangenheit interessierten historischen Fachwissenschaft. Insofern jener eben geäußerte Gedanke eines Fortlebens, eines sich selbst vergewissernden Anknüpfens an die späthumanistische Gelehrtentradition wiederaufgenommen werden kann, mag dies ebenfalls einen intellektuellen Paradigmenwechsel seit der Aufklärung indizieren, in der sich erst eine gänzlich veränderte Einstellung zur Antike und auch ein gänzlich anderes Konzept des Schreibens und Dichtens durchgesetzt hatte. Erst aus einem nunmehr nicht länger dem eigenen Lebensentwurf inhärenten, gelehrtes Selbstverständnis fundierenden und somit quasi vitalen Interesse, sondern aus der historistischen Perspektive des Wissenschaftlers heraus kam es zu einer neuerlichen Hinwendung zu den Gelehrten der Vergangenheit.
4
Zu ihm vgl. S. 392 mit Anm. 37.
55 Übersicht 1: Editionen mit Briefen von und an Lingelsheim vor Reifferscheid SCALIGER 1628 CASAUBONUS1638 BONGARS 1660 BERNEGGER 1670 HARTSOEKER 1684 GROTIUS 1687 GOLDAST 1688 V o s s i u s 1690 CRENIUS 1696 GUDE 1697 HOTMAN 1700 MEEL 1701 MIEG 1701
NACHRICHTEN 1715 HEUMANN 1722 BURMANN 1727 AYRMANN 1746 THUANUS 1733
MEURSIUS 1762 HAGEN 1879
3 Briefe an Lingelsheim 31 Briefe an Lingelsheim 138 Briefe von Lingelsheim 14 Briefe an Lingelsheim 22 Briefe von Lingelsheim 20 Briefe an Lingelsheim 8 Briefe von Lingelsheim an Grotius 1 Brief von Grotius an Lingelsheim 1 Brief an Lingelsheim 51 Briefe an Lingelsheim 1 Brief von Lingelsheim an Grotius 1 Brief von Lingelsheim an Gentiiis 1 Brief von Lingelsheim an Jungermann 6 Briefe von F. Hotman an Lingelsheim 2 Briefe von Lingelsheim an Grotius 1 Brief von Lingelsheim an Gentiiis 21 Briefe von Grynaeus an Lingelsheim 7 Briefe von Colli an Lingelsheim 2 Briefe von Denaisius an Lingelsheim 2 Briefe von Praetorius an Lingelsheim 2 Briefe von Grynaeus an Lingelsheim 1 Brief von Bernegger 1 Brief an Jungermann 3 Briefe von Lingelsheim an Scaliger 75 Briefe von Lingelsheim an Junta 12 Briefe von Lingelsheim an de Thou 2 Briefe von Lingelsheim an P. Dupuy 1 Brief von Lingelsheim an Grotius 1 Briefe von Lingelsheim an Scaliger 6 Briefe von de Thou an Lingelsheim 11 Briefe von Lingelsheim an Meursius 3 Briefe von Meursius an Lingelsheim 36 Briefe von Lingelsheim an Bongars 1 Brief von Lingelsheim an Denaisius
1889 erschien dann die bereits erwähnte Sammlung des Greifswalder Germanisten Alexander Reifferscheid, die bis heute nicht nur der Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit Georg Michael Lingelsheim geblieben ist, sondern das grundlegende Quellenwerk für die Erforschung der späthumanistischen Gelehrtenrepublik und der Entstehung einer neuen deutschen Kunstdichtung darbietet. Bis zum Erscheinen der Reifferscheidschen Sammlung waren in den verstreuten Publikationen seit Anfang des 17. Jahrhunderts 482 Briefe von und an Lingelsheim veröffentlicht worden. 5 19 Korrespondenten Lingelsheims konnten aus den verschiedenen Editionen namhaft gemacht werden: Bernegger, Bongars, Casaubon, Coler, Colli, de Dominis, de Thou, Denaisius, Dupuy, Gentiiis, Goldast, Grotius, Grynaeus, F. Hotman, Jungermann, Ingesamt waren es 486, vier allerdings sind in verschiedenen Editionen mehrfach veröffentlicht worden.
56 Junta, Meursius, Praetorius und Scaliger. Reifferscheid veröffentlichte nunmehr 203 Briefe, einige davon allerdings nur in Auszügen, aus verschiedenen Briefwechseln Lingelsheims. Nur ein Teil dieser Ausgabe basiert auf den bereits bekannten Editionen: So die 16 Schreiben des Briefwechsels mit Bernegger, die mit einer Ausnahme in der Ausgabe von 1670 zu finden sind; die sieben Briefe Lingelsheims an Bongars (alle in der Straßburger Ausgabe von Veiras); die sechs Briefe an Goldast (alle nach der Ausgabe von 1688 publiziert); die sechs Briefe der Korrespondenz Lingelsheims mit Scaliger, die in den verschiedenen Ausgaben seit 1628 überliefert sind. Außerdem sind sämtliche (12) bis dahin bekannten Zeugnisse des Briefwechsels mit Grotius aufgenommen. Aber bereits an diesem Briefwechsel wird deutlich, wie weit Reifferscheids Ausgabe über den bisherigen Stand hinausführt: Er druckt insgesamt 47 Briefe ab, die Grotius und Lingelsheim über zweieinhalb Jahrzehnte wechselten. Die übrigen Briefe, die hier erstmals ediert (und auf einem bislang unerreichten Niveau kommentiert) werden, verteilen sich auf einen Kreis von 22 Korrespondenten: Johann Buxtorf d.J. (1 Brief an Lingelsheim), Ludwig Camerarius (1 Brief an Lingelsheim), Caspar Dornau (2 Briefe an Lingelsheim), Marquard Freher (1 Brief an Lingelsheim), Obertus Giphanius (3 Briefe an Lingelsheim), Josias Glaser (2 Briefe von Lingelsheim), Janus Gruter (43 Briefe an Lingelsheim), Daniel Heinsius (2 Briefe an Lingelsheim), Friedrich Lingelsheim (4 Briefe von Lingelsheim), Paul Schede Melissus (1 Brief von Lingelsheim), Bernhard Wilhelm Nüssler (1 Brief an Lingelsheim), Martin Opitz (16 Briefe an Lingelsheim), Karl Paul (1 Brief an Lingelsheim), Conrad Rittershausen (3 Briefe an Lingelsheim), Johann Joachim von Rusdorf (1 Brief an Lingelsheim), Abraham Scultetus (1 Brief an Lingelsheim), Albert von Sebisch (1 Brief an Lingelsheim), Daniel Tilenus (2 Briefe an Lingelsheim), Balthasar Venator (25 Briefe an Lingelsheim), Julius Wilhelm Zincgref (6 Briefe an Lingelsheim). Außerdem druckt Reifferscheid einen Brief Lingelsheims an Coler und drei Briefe des Gentiiis ab; beide waren bereits als Korrespondenten Lingelsheims bekannt. Die Zahl der edierten Briefe von und an Lingelsheim erhöhte sich damit auf 639, die Zahl seiner Korrespondenten verdoppelte sich auf 39 Personen. Dieser Stand ist bis heute nur unwesentlich ergänzt. In der 1928 begonnenen, erst jüngst abgeschlossenen Ausgabe der Grotius-Briefe finden sich vier weitere Briefe, darunter drei Schreiben Lingelsheims. Samuel Kinser nimmt in den Anhang seiner Untersuchung zur Editionsgeschichte der Historia JacquesAuguste de Thous zwei bislang unpublizierte Briefe Lingelsheims an Pierre Dupuy auf. Immerhin erfuhr der Korrespondentenkreis Lingelsheims eine Erweiterung um zwei Personen, die erstmals auf seine englischen Kontakte verweisen. Ein Brief Lingelsheims an den Earl of Denbigh und sechs Briefe an William Trumbull d.Ä. sind in englischer Übersetzung veröffentlicht worden. Das hier jeweils praktizierte editorische Verfahren, lediglich moderne Übersetzungen zu publizieren, nicht aber die Originaltexte, ist allerdings äußerst problematisch und schränkt den wissenschaftlichen Wert dieser Ausgaben deutlich ein. Es ist, das sei eingestanden, keineswegs auszuschließen, daß bei den Recherchen für diese Untersuchung gerade ältere Briefausgaben, in denen einzelne
57 Briefe von und an Lingelsheim ediert sind, übersehen wurden. Um unsere Kenntnisse über die Editionen humanistischer Briefe, noch mehr um die Auswertung dieser Ausgaben ist es überaus schlecht bestellt. Lediglich für einige wenige Humanisten liegen Verzeichnisse ihrer Korrespondenzen vor. Einige davon sind separat erschienen, andere finden sich als Appendizes zu wissenschaftlichen Monographien und Aufsätzen. Vollständige Editionen einzelner Humanistenbriefwechsel gibt es bis heute kaum. So muß man in der Regel auf ältere Ausgaben zurückgreifen, die aber weder vollständig noch in der Textüberlieferung zuverlässig sind. Im Blick auf die europäischen Humanisten wäre es von entscheidender Bedeutung, eine Bibliographie der gedruckten Briefausgaben in Angriff zu nehmen. Diese müßte von den zeitgenössischen Drucken an bis in die Gegenwart sämtliche Editionen verzeichnen, die in ganz Europa erschienen sind. Bereits dieses Verzeichnis aber würde überaus umfangreich geraten. Erst wenn dieses Instrumentarium vorläge, könnte jedoch eine systematische Auswertung der einzelnen Korrespondenzen überhaupt Erfolg versprechen. Bis dahin besteht auch hier für jeden einzelnen Autoren die Gefahr, insbesondere an versteckten Orten publizierte Briefe zu übersehen. Die Ermittlung der auf eine Person konzentrierten Editionen ebenso wie die der nach thematischen Gesichtspunkten angelegten oder ex biblioteca eines bedeutenden Briefsammlers geschöpften Briefsammlungen fiele allerdings noch verhältnismäßig leicht. Überaus problematisch dagegen würde es, die in Anhängen größerer Werke, innerhalb von Aufsätzen, als Miszellen usw. publizierten Briefe zu eruieren. Krummacher hat bereits 1975 als dringlichste Forderung erhoben, eine »genaue Bibliographie aller bisher gedruckten Briefe und Briefauszüge« zu erarbeiten.6 Diese Anregung gab er nur für die Barockautoren, wünschenswert wäre ein »Als erstes müßte eine genaue Bibliographie aller bisher gedruckten Briefe und Briefauszüge barocker Autoren erarbeitet werden. [...] Als zweites stellt sich die Aufgabe einer umfassenden Bestandsaufnahme der erhaltenen und der Auffindung bisher unbekannter Briefhandschriften. [...] Ein Auskunftskatalog etwa in Wolfenbüttel könnte alle bekannten und neu aufgefundenen Briefe, die noch nicht oder nur unvollständig gedruckt sind, zunächst wenigstens durch Nachweis der Handschriften und ihrer Aufbewahrungsorte der Forschung vermitteln. Als drittes müßten, nach solchen Hilfseinrichtungen, freilich Editionen in Angriff genommen werden. [...] Es sollte auch sonst bei künftigen Werkausgaben barocker Autoren zur Regel werden, ihren Briefwechsel mit einzubeziehen. Und wo solche Ausgaben entweder schon vorliegen oder, aus welchen Gründen immer, nicht zu erwarten oder nicht sinnvoll sind, da sollen doch entweder besondere Ausgaben der verstreut gedruckten und ungedruckten Briefe einzelner Autoren oder, in Fortsetzung des Reifferscheidschen Unternehmens, größere Sammlungen von Briefen verschiedener Autoren veranstaltet werden, ausgehend beispielsweise von den Beständen einzelner oder mehrerer Bibliotheken und Archive oder orientiert etwa an bestimmten literarischen Gruppierungen oder Regionen.« (Krummacher 1978, S. 22ff.) Dies läßt sich natürlich angesichts der gewaltigen Dimensionen der unerschlossenen Korrespondenzen nur partiell erfüllen, wenngleich mit dem Verzeichnis von Estermann (und jetzt Bürger) der erste, mit der »Zentralkartei der Autographen« der zweite, und mit Gesamtausgaben zu deutschen Dichtem, wie etwa flir Daniel Czepko (Sämtliche Werke. Hgg. v. Hans-Gert Roloff, Marian Szyrocki. [bislang 8 Bde.] 1980ff.), vereinzelt auch der dritte Punkt in Angriff genommen worden sind. Gleichwohl wird es noch unabsehbare Zeit dauern, bis die von Krummacher weitsichtig erhobenen und ganz genau die bestehenden Mängel analysierenden Forderungen
58 derartiges Unternehmen allerdings für sämtliche Briefe friihneuzeitlicher Autoren. Es würde indes uferlos geraten und ebenfalls kaum in absehbarer Zeit zu erfüllen sein. Immerhin liegt für die deutschen Autoren mit dem Verzeichnis der gedruckten Briefe deutscher Autoren des 17. Jahrhunderts in zwei Teilen eine bislang singulare Dokumentation vor. Dem seit fast einem Jahrzehnt vorliegenden ersten Teil, Briefeditionen aus den Druckjahren 1600 bis 1750 auswertend, ist vor kurzem endlich der zweite Teil für die Drucke von 1751 bis 1980 gefolgt. Damit ist dieses Unternehmen nach fast einem Vierteljahrhundert zum Abschluß gelangt. Geplant war - und das umreißt noch einmal die eben angedeuteten Probleme der Brieferfassung - , daß Briefe von Autoren, die zwischen 1575 und 1700 geboren sind, in verschiedenen Publikationsformen ermittelt werden: in zeitgenössischen Briefausgaben ebenso wie in germanistischen oder regionalgeschichtlichen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts oder in der neueren Sekundärliteratur des 20. Jahrhunderts.7
Während die Briefausgaben in der Tat ausgeschöpft wurden, ist die wissenschaftliche Literatur, in der immer wieder auch einzelne Briefe ediert sind, letztlich nur unvollständig berücksichtigt worden.8 Das ist nur zu gut nachzuvollziehen. So unentbehrlich dieses Verzeichnis aber auch ist, so eingeschränkt ist es für Forschungen zu Korrespondenzen der europäischen Späthumanisten zu benutzen. Durch die Beschränkung auf Autoren aus dem Heiligen Römischen Reich wird nur ein Ausschnitt der res publica litteraria präsentiert. Die Verbindungen der einzelnen deutschen Autoren in die europäische Gelehrtenrepublik bleiben weitgehend unsichtbar. So ist auch nur ein Teil der Editionen bis 1750, in denen Briefe Lingelsheims zum Abdruck gelangten, in diesem Verzeichnis erfaßt: Die Ausgaben SCALIGER 1628, CASAUBONUS 1638, BONGARS 1660,
CRENIUS
1696,
HOTMAN
1700,
MIEG
1701,
NACHRICHTEN
1715,
BURMANN 1727, THUANUS 1733 und damit etwa die Hälfte der bis dahin edierten Briefe von und an Lingelsheim fehlen. Im zweiten Teil sind es dann die Ausgaben MEURSIUS 1762, natürlich >der< Reifferscheid und Grotius' Briefwisseling, die herangezogen wurden; hier fehlt dann aber eben die Edition HAGEN 1879. An diesen wenigen für den zweiten Teil des Estermann-Bürgerschen Verzeichnisses relevanten Editionen wird indes nochmals deutlich, daß eben bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts das Interesse an diesen späthumanistischen Korrespondenzen Lingelsheims bedeutend war, danach jedoch immer weiter schwand und auch nach Reifferscheid kaum wieder geweckt worden ist.
eingelöst sein werden, zumal gegenwärtig nur sehr wenige Anstrengungen dafür seitens der Forschung zu erkennen sind. Ammermann 1979, S. 254. Vgl. zu diesem Großprojekt auch Dörr 1996. Briefe bzw. oftmals Exzerpte von Briefen an und von Lingelsheim finden sich etwa in den BRIEFEN UND ACTEN 1870-1909; weitere Einzelfunde sind im Briefverzeichnis nachgewiesen.
59 4.2.
Handschriftliche Überlieferang
Der humanistischen Begeisterung fur den Brief als wichtigster Form der gelehrten Kommunikation ist es zu verdanken, daß heute in europäischen Archiven und Bibliotheken Zehntausende Briefhandschriften aus dieser Zeit liegen. Zumal diese Begeisterung auch von späteren Sammlern erkannt und geteilt wurde. Doch ist letztlich nur ein Teil aller jemals zwischen den Humanisten gewechselten Briefe erhalten. Nicht nur deshalb, weil es durchaus üblich war, die Manuskripte, die einer Edition zugrunde lagen, nach der Drucklegung wegzuwerfen; sondern vielmehr durch Kriege, Naturgewalten und anderes sind die Handschriftenbestände über die Jahrhunderte erheblich dezimiert worden. Gleichwohl ist die Zahl der überlieferten Briefe unüberschaubar groß. So wie ihre Korrespondenzen die späthumanistischen Gelehrten einst mit der res publica litteraria in ganz Europa verbanden, so sind heute auch ihre Korrespondenzen über ganz Europa verstreut. Es gibt nur sehr wenige Instrumentarien für die Erschließung der handschriftlich überlieferten humanistischen Briefe. Ein zuverlässiger und vollständiger internationaler Führer zu den Handschriftenbeständen der europäischen Archive und Bibliotheken fehlt.9 Einzigartig im europäischen Bereich ist das Iter Italicum10 von Paul Oskar Kristeller, das auf jahrzehntelanger persönlicher Recherche in europäischen Bibliotheken beruht. Dieses eindrucksvolle Lebenswerk muß der Ausgangspunkt jeder weiteren Recherche nach Handschriften aus der Renaissance und dem Barock in europäischen Bibliotheken sein. Natürlich sind die Beschreibungen der einzelnen Bestände hier sehr knapp gehalten, doch reichen sie in vielen Fällen bis zur Nennung einzelner Personen, von denen Papiere in den Handschriftenbeständen zu finden sind. Nur fur einige europäische Länder liegen nationale Bestandsverzeichnisse und Handschriftenkataloge vor. Diese Unternehmen sind zumeist noch nicht abgeschlossen. Eine Ausnahme bildet hier der französische Catalogue général des manuscrits, der seit 1849 in zwei Serien erschien. Bis 1990 lagen insgesamt 72 Bände vor, in denen die Handschriftenbestände der französischen Bibliotheken summarisch beschrieben und zahlreiche Briefschreiber und -Verfasser namentlich erschlossen sind." Die Zuverlässigkeit dieser nationalen Handschrif9
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Immerhin charakterisiert das Internationale Adreßverzeichnis der Bibliotheken in ganz pauschaler Form die Handschriftenbestände der erfaßten öffentlichen, Universitäts- und Spezialbibliotheken und gibt so einen ersten, in seiner Zuverlässigkeit aber leider beschränkten, weil ganz von den Meldungen der einzelnen Bibliotheken abhängigen Orientierungspunkt. Iter Italicum. Insgesamt sechs Bände und einen Index umfaßt dieser unentbehrliche Führer von Kristeller. Der Catalogue général des manuscrits ist nach Bibliotheken geordnet und beschreibt die dortigen Handschriftenbestände summarisch. Auch hier werden in der Regel die Namen der Autoren, deren Papiere und Briefe sich in den einzelnen Beständen befinden, genannt, auch hier ist allerdings eine Vollständigkeit v.a. im Bereich der Adressaten von Briefen nur sehr bedingt vorauszusetzen, zumal die Genauigkeit der Beschreibungen von den Bearbeitern der einzelnen Bände abhängt. Nachdem bis 1885 sieben Bände vorgelegt worden waren, wurde ein Jahr später eine neue Reihe mit allerdings nahezu unveränderter Konzep-
60 tenkataloge ist in der Regel allerdings beschränkt, da sie von den Meldungen der an den jeweiligen Projekten beteiligten Archive und Bibliotheken abhängig sind. Immerhin liegen für Deutschland,12 die Niederlande13 und England14 große
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tion begründet, die bis 1990 auf 65 Bände anwuchs. Zu dieser nouvelle série liegt nunmehr ein Index général von Popoff vor, der die in den einzelnen Katalogen genannten Autoren erschließt, aber nicht darüber hinausgehend weitere Namen ergänzt. Für ihn gelten deshalb die gleichen Vorbehalte im Hinblick auf seine Vollständigkeit wie für den gesamten Katalog. Diese Kritik soll jedoch keinesfalls den Blick dafür verstellen, daß mit dem Catalogue général ein unentbehrliches, sehr weit führendes zentrales Nachschlagewerk vorliegt, das die überwiegende Zahl der Autoren anhand der Handschriftenbestände zuverlässig erfaßt und durch den Index sehr gut zugänglich wird. In der Bundesrepublik Deutschland wurde 1966 die »Zentralkartei der Autographen« in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin eingerichtet, in der sämtliche Autographen der deutschen Bibliotheken erfaßt werden sollen. Vgl. u.a. die Vorstellung des Projekts von Brandis 1976 sowie den Zwischenbericht von Römer 1987; jetzt v.a. die zahlreichen Aufsätze von Jutta Weber, in denen das Projekt einschließlich seiner Digitalisierung vorgestellt wird (1995, 1999, 1999a, 2001, 2001a, 2002). Das Unternehmen ist wiederum von den Meldungen der deutschen Bibliotheken abhängig. Die in der »Zentralkartei« abzufragenden Daten sind dementsprechend unvollständig. Gleichwohl sind hier über eine zentrale Auskunftsinstitution die Einzeldaten, bei Briefen sowohl der Schreiber als auch der Empfänger, zu erhalten. Bislang sind ca. 1,6 Millionen Nachweise zu mehr als 250.000 Personen aufgenommen. Seit einigen Jahren wird der Zettelkatalog in einem von der DFG geförderten Retrokonversionsprojekt in eine Datenbank überführt (DIANA = Deutscher Index zu Nachlässen und Autographen). Die nachgewiesenen Autographen sind inzwischen teilweise über das Kalliope-Portal online zu recherchieren (http://kaIliope.staatsbibliothek-berlin.de). Dieses Portal ist integriert in das europäische Netzwerk MALVINE (= Manuscripts and Letters via Integrated Networks in Europe). Lingelsheim ist hier zwar unter der Personenrecherche zu finden (einschl. Hinweisen auf deutsche Bibliotheken, in deren Beständen sich Autographen befinden), bislang ist aber lediglich ein Brief Goldasts an Lingelsheim im Netz nachgewiesen. Ein ähnliches Projekt wie die deutsche »Zentralkartei« läuft seit einigen Jahren in den Niederlanden. Dort werden die Briefbestände nationaler Bibliotheken von 1600 bis heute zentral im »Catalogus Epistularum Neerlandicarum (CEN)« verzeichnet. Der »Catalogus« ist bereits seit längerem online zu benutzen und heute über die Websites der beteiligten Bibliotheken zugänglich. Zu recherchieren sind sowohl die Absender als auch die Empfanger einzelner Briefe. Er erfaßt jedoch nur die Briefbestände einiger Universitätsbibliotheken (Amsterdam, Leiden, Groningen, Utrecht), der Koninklijken Bibliotheek Den Haag, des Museum Meermanno-Westreenianum, des Nederlands Letterkundig Museum en Documentatiecentrum te s'Gravenhage, die Privinciale Bibliotheek Friesland in Leeuwarden sowie die Stadts- und Athenaeumbibliotheek in Deventer und beruht auf einer Auswertung bereits gedruckt vorliegender Kataloge, die in den einzelnen Institutionen sukzessive in den Computer eingegeben werden. Wie in der »Zentralkartei der Autographen« ist der Stand der Erfassung also auch in diesem niederländischen Unternehmen von den Möglichkeiten der Institutionen zur Mitarbeit abhängig, der »Catalogus« ist dementsprechend unvollständig. Rund 265.000 Beschreibungen von einem Gesamtbestand von 1 Mio. Briefe liegen bislang vor. Institutionen aus dem kirchlichen oder städtischen Bereich bleiben von einer Erfassung ausgeschlossen, so daß auch hier keine Vollständigkeit erreicht werden wird. - Die Briefe von und an Lingelsheim, die sich in den genannten Bibliotheken befinden, sind aufgenommen. In Großbritannien besteht mit dem 1945 von der Royal Commission on Historical Manuscripts eingerichteten National Register of Archives (NRA) ebenfalls eine zentrale Einrichtung, die unpublizierte Bestandslisten und gedruckte Kataloge der Manuskriptsammlungen von inzwischen fast 38.000 lokalen Archiven, nationalen, kirchlichen oder universitären Bibliotheken, Museen, aber auch privater Besitzer oder Institutionen gesammelt hat und in ihren R ä u m e n zugänglich macht. Computergestützte Indices zu Personen u n d Institutionen
61 Kataloge vor, die mehrere Millionen Briefe nach den Verfassern und Empfängern recherchierbar machen und auf die Institutionen hinweisen, in denen die einzelnen Briefe zu finden sind. Da diese zuletzt vorgestellten zentralen nationalen Kataloge noch längere Zeit nicht abgeschlossen sein werden, sind somit auch in diesen Ländern nur Teile der humanistischen Briefhandschriften erfaßt. Die nationalen Handschriftenkataloge ermöglichen immerhin für einen Teil der Handschriftenbestände zentrale Recherchen. Sie sind unentbehrliche Hilfsmittel, die zu einzelnen Beständen fuhren. Letztlich ändern sie aber kaum etwas daran, daß die Recherchen nach humanistischen Briefen nach wie vor in den Bibliotheken und Archiven selbst durchgeführt werden müssen. Doch so wie die genannten zentralen Kataloge stets (mit Ausnahme Frankreichs) nur die Bestände versammeln, die von den jeweiligen Institutionen bereits bearbeitet und gemeldet worden sind, so ist auch der Erschließungsstand vor Ort überaus unterschiedlich. Das sei hier nur für einige der für diese Arbeit besuchten Bibliotheken angedeutet. Einzelne Bibliotheken, wie etwa die Kongelige Bibliotek in Kopenhagen oder die Öffentliche Bibliothek der Universität Basel verfügen über ausgezeichnete Zettelkataloge, in denen die Briefhandschriften einzeln verzeichnet sind. Teilweise, so in Kopenhagen, sind auch hier inzwischen Retrokonvertierungen erfolgt, so daß die Bestände online abzufragen sind.15 Andere Bibliotheken, beispielsweise die Zentralbibliothek Zürich, die Bibliothèque Nationale de Paris oder die British Library in London besitzen für einzelne Sammlungen und Nachlässe sehr gute gedruckte Kataloge.16 In Deutschland ist
erleichtern den Zugang zu diesen nahezu unüberschaubaren Massen der in den Listen und Katalogen verzeichneten Handschriften. Allerdings erfassen die Computer nur Personen und Einrichtungen aus der britischen Sphäre. Vielfach können die knappen, in der Regel lediglich die Namen der (britischen) Verfasser und Adressaten und die Zahl der zwischen jeweils zwei Personen gewechselten Briefe umfassenden Angaben bereits im NRA aus den dort ebenfalls teilweise gesammelten Archiv- und Bibliotheksverzeichnissen ergänzt werden. Der Katalog steht inzwischen ebenfalls online zur Verfugung (http://www.hmc. gov.uk/nra/nra2.htm). Die Rechercheoptionen sind allerdings begrenzt, die Bestände sind zum größten Teil nur summarisch bezeichnet. Man ist darauf angewiesen, in einem zweiten Schritt über die einzelnen Kataloge, etwa der British Library (http://molcat.bl.uk/ msscat/ INDXOOOO.ASP; darüber bislang aber nur der Brief Cott. Galba, D.xiii. 2 nachgewiesen) zu gehen. Ein Lingelsheim-Eintrag ist dementsprechend auch nur über diese Seite zu erhalten. - Eine knappe Einfuhrung in die Geschichte des NRA sowie seine Aufgaben und den Stand der Erfassung bietet der zum fünfzigjährigen Jubiläum publizierte Aufsatz von Sargent 1995. 15
16
http://www.kb.dk/kb/dept/nbo/ha/online-databaser/bbase/index.htm. Sämtliche Briefe von und an Lingelsheim sind nachgewiesen. Die Kopenhagener Sammlungen sind neben Hamburg, Paris, Basel und Zürich der wichtigste Bestand für Briefe von und an Lingelsheim (einführend in die verschiedenen Sammlungen Petersen 1943). Für die British Library hat Nickson einen sehr guten Führer für die Kataloge vorgelegt, auf den hier ausdrücklich verwiesen sei. In der Bibliothèque Nationale de Paris liegen für die Manuscrits Latins (mit den Fonds latin und nouvelles acquisitions latines [Erwerbungen ab 1871]) sowie die Manuscrits Français (wiederum mit den Fonds français und nouvelles acquisitions françaises) zahlreiche gedruckte Kataloge vor, die die Bestände gut erschließen; sie sind über die Homepage der Bibliothek leicht zu recherchieren (www.bnf.fr) und seien deshalb hier ebenfalls nicht einzeln aufgeführt. Als Einführungen in die Bestandsgeschichte zu empfehlen: Paravicini 1981 und Lethève 1984, als unübertroffener Überblick
62 hier der von Nilüfer Krüger bearbeitete Katalog der Uffenbach-Wolfschen Sammlung in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorbildlich.17 Zu berücksichtigen ist bei vielen dieser Bestandskataloge wie auch bei den Zettelkatalogen allerdings, daß für die Briefschreiber von Vollständigkeit ausgegangen werden kann, nicht aber für die Briefempfänger. Vielfach liegen jedoch überhaupt keine gedruckten Kataloge vor und sind auch die Zettelkataloge längst noch nicht abgeschlossen. Überaus mangelhaft ist der Verzeichnungsstand vor allem in Archiven, die häufig einzelne Humanisten-Nachlässe einschließlich der Korrespondenzen besitzen. Hier ist man auf die Findbücher angewiesen, die in der Regel nur größere Bestände charakterisieren, nicht aber im einzelnen erschließen. Zu berücksichtigen sind außerdem, gerade für deutsche Bibliotheken bzw. ehemals deutsche Bibliotheken, Kriegsverluste bzw. Bestandsverschiebungen. So sind etwa die Berliner Handschriftenbestände teilweise nach Krakau gelangt, während die Breslauer Bibliothek, die einst eine der größten Handschriftensammlungen besaß, schwere Verluste zu beklagen hat.18 Diese hier nur angedeuteten Probleme sind hinreichend bekannt und müssen nicht ausgeführt werden. Es ist heute nach wie vor ein überaus schwieriges und zumal äußerst zeitintensives Unterfangen, die Handschriften humanistischer Briefe in europäischen Archiven und Bibliotheken zu ermitteln. Vollständigkeit ist hier wiederum kaum zu erreichen, da gerade die kleineren Institutionen allzu leicht übersehen werden, in denen weder die technischen noch die personellen Kapazitäten für eine Erschließung der Handschriftenbestände ausreichen. Auch wenn für die Handschriftenbestände in einigen Ländern heute zentrale Kataloge vorliegen bzw. erarbeitet werden und in zahlreichen Bibliotheken sowohl relativ zuverlässige gedruckte Kataloge einzelner Sammlungen als auch gute Zettelkataloge die Bestände erfassen, muß doch die Erschließungssituation der humanistischen Briefhandschriften nach wie vor als überaus unvollständig charakterisiert werden. Unter den hier skizzierten Bedingungen bildeten die zentralen nationalen Kataloge und Kristellers Iter Italicum die Ausgangspunkte meiner Recherchen nach Briefen von und an Georg Michael Lingelsheim. Herangezogen wurden außerdem die gedruckten Kataloge der großen europäischen Bibliotheken. Mit diesen Hilfsmitteln konnten die jeweils vor Ort durchgeführten Recherchen weit vorbereitet werden. Parallel dazu wurde eine Bibliotheksumfrage initiiert, die alle angeschriebenen Institutionen beantworteten.19 Soweit möglich, wurden
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19
über die französischen Handschriftenbestände das Inventar von Delisle. Von den Katalogen der Zentralbibliothek Zürich war fur meine Recherchen ergiebig Gagliardi/Forrer. Supellex epistolica. Hier sind handschriftliche Kataloge erhalten. Diese Sammlung ist glücklicherweise noch von Reifferscheid ausgeschöpft worden. Die Kataloge sind inzwischen als Kopien im Osnabrücker Institut fur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit vorhanden. An dieser Stelle seien die Bibliotheken und Archive genannt, die auf die Umfrage geantwortet haben, aber keine Lingelsheim-Briefe in ihrem Bestand besitzen: Amsterdam, Universiteitsbibliotheek; Antwerpen, Stadtsbibliotheek; Avignon, Bibliothèque Municipale; Basel, Staatsarchiv; Bergamo, Civica Biblioteca Angelo Mai; Bern, Stadtarchiv und Dokumentationsdienst; Bern, Stadt- und Universitätsbibliothek; Besançon, Bibliothèque
63 außerdem die in der wissenschaftlichen Literatur verstreuten und teilweise in Anmerkungen versteckten Hinweise auf Lingelsheim-Briefe ausgewertet. Außerdem habe ich verschiedenen Personen für Hinweise auf Briefbestände in kleineren Bibliotheken zu danken: Ute Szell, Jean Paul Lingelser sowie Klaus Garber und Wilhelm Kühlmann. Lingelsheims Briefwechsel sind heute weit verstreut. Mehr als dreißig Archive und Bibliotheken in Deutschland, Dänemark, England, den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz und Polen sind im Besitz von Autographen oder Abschriften. In den großen europäischen Briefsammlungen in Hamburg, Wolfenbüttel und München, in Kopenhagen, London und Paris, in die die Bestände der bedeutendsten europäischen Briefsammler wie Uffenbach, Thott, B0lling, der Brüder Dupuy, Gelehrter wie Burney und Cotton, Johann Jakob Hottinger und anderer eingegangen sind, befinden sich stets auch Briefe von und an Lingelsheim. Daß sich mehr oder minder geschlossene Handschriftennachlässe von d'étude et de conservation; Birmingham, University Library; Bologna, Biblioteca dell'Archiginnasio; Bordeaux, Bibliothèque de Bordeaux; Bourges, Bibliothèque Municipale; Brüssel, Académie Royale des sciences, des lettres & des beaux-arts de Belgique; Brüssel, Bibliothèque Royale Albert I er ; Cambridge, University Library; ClermontFerrand, Bibliothèque Municipale et Interuniversitaire; Colmar, Bibliothèque de la Ville; Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale; Genf, Bibliothèque publique et universitaire de Grenoble, Bibliothèque Municipale; Haguenau, Bibliothèque Municipale; Hull, Brynmor Jones Library; Leeds, University Library; Lyon, Bibliothèque Municipale; Manchester, John Rylands University Library; Metz, Bibliothèque-Médiathèque; Modena, Biblioteca Estense e Universitaria; Mulhouse, Bibliothèque-Médiathèque; Nancy, Bibliothèque Municipale; Neapel, Biblioteca Nazionale Vittorio Emmanuelle III; Nottingham, University Library; Orléans, Bibliothèque Municipale; Padova, Biblioteca Universitaria; Palermo, B i blioteca Comunale; Paris, Bibliothèque de l'Arsenal; Parma, Biblioteca Palatina; R o m , B i blioteca Casanatense; Rom, Biblioteca Nazionale Centrale Vittorio Emanuele II; Rouen, Bibliothèque Municipale; Turin, Biblioteca nazionale universitaria; Uppsala, Universitetsbibliotek; Venedig, Archivio Storico delle Arti Contemporanee; Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana; Venedig, Fondazione Scientifica Querini Stampaiia; Venedig, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti; Verona, Biblioteca Civica; Verdun, Bibliothèque Municipale; Versailles, Bibliothèque de Versailles; Windsor, Eton College, College Library; Zürich, Staatsarchiv des Kantons Zürich; Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek; Augsburg, Universitätsbibliothek; Bamberg, Staatsbibliothek; Bayreuth, Universitätsbibliothek; Berlin, Staatsbibliothek; Bonn, Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek; Braunfels, Fürst zu Solms-Braunfels'sches Archiv; Darmstadt, Hessisches Staatsarchiv; Detmold, Lippische Landesbibliothek; Dresden, Sächsische Landesbibliothek; Düsseldorf, Universitätsbibliothek; Freiburg im Breisgau, Universitätsbibliothek; Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek; Greifswald, Universitätsbibliothek; Halle, Universitätsund Landesbibliothek Sachsen-Anhalt; Heidelberg, Stadtarchiv; Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek; Karlsruhe, Badische Landesbibliothek; Karlsruhe, Generallandesarchiv; Karlsruhe, Universitätsbibliothek; Koblenz, Landeshauptarchiv; Koblenz, Rheinische Landesbibliothek; Koblenz, Stadtbibliothek; Köln, Universitäts- und Stadtbibliothek; Leipzig, Deutsche Bibliothek; Mainz, Universitätsbibliothek; Mannheim, Universitätsbibliothek; Marburg, Hessisches Staatsarchiv; Marburg, Universitätsbibliothek; Paderborn, Universitätsbibliothek; Regensburg, Staatliche Bibliothek; Regensburg, Universitätsbibliothek; Schwerin, Mecklenburgische Landesbibliothek; Speyer, Pfalzische Landesbibliothek; Stuttgart, Universitätsbibliothek; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek; Trier, Stadtbibliothek/Stadtarchiv; Tübingen, Universitätsbibliothek; Ulm, Universitätsbibliothek; Wiesbaden, Hessische Landesbibliothek; Würzburg, Universitätsbibliothek.
64 Korrespondenten Georg Michael Lingelsheims erhalten haben, wie etwa die Camerarius-Sammlung, die - allerdings verstreuten - Bongarsiana oder die Goldastiana, bildet die Ausnahme.20 Die großen europäischen Briefsammlungen sind fast immer mit den Namen leidenschaftlicher und oftmals ruinöses finanzielles Engagement nicht scheuender Sammler verbunden, die überall nach verstreuten Briefhandschriften suchten, sie erwarben, Kopien anfertigten oder in Auftrag gaben und so wertvollste unikate Bestände zusammenbrachten, die nach ihrem Tod auf den verschiedensten Wegen in den Besitz öffentlicher Bibliotheken gelangten. Seltener wurden die Sammlungen aber auch von Familienmitgliedern oder gelehrten Freunden begründet, die weniger der Sammeleifer als das Bestreben antrieb, die Zeugnisse der eigenen Familie oder Korrespondenz zu bewahren wie etwa im Falle der Camerarius-Sammlung. Auf die einzelnen Sammlungen wird im Zusammenhang mit der Vorstellung der Briefwechsel noch näher eingegangen. An dieser Stelle sei zunächst nur das Ergebnis der Recherchen präsentiert, wobei lediglich die Institutionen, noch nicht aber die einzelnen Sammlungen aufgeführt werden. Übersicht 2: Fundorte von Briefhandschriften21 -
Amsterdam, Bibliotheek der Rijksuniversiteit [ B R A ] : 16 Bad Berleburg, Archiv der Fürsten von Sayn-Wittgenstein-Berleburg [FAB]: 53 Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität [ B U B ] : 166 Bern, Burgerbibliothek [ B B B ] : 96 Bern, Staatsarchiv des Kantons [ S K B ] : 3 Carpentras, Bibliothèque Inguimbertine, Centre Peiresc [BIC]: 7 Den Haag, Gemeentelijke Archiefdienst [GAH]: 1 Den Haag, Koninklijke Bibliotheek [KBH]: 1 Frankfurt/Main, Stadt- und Universitätsbibliothek [SUF]: 5 Gießen, Universitätsbibliothek [UBG]: 2 3 6 Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek [FLG]: 5 Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky [SUH]: 537 Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek [NLH]: 1 Heidelberg, Universitätsbibliothek [UBH]: 5 Kassel: Universitäts-Bibliothek - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel [ULK]: 1 - Kopenhagen, Det kongelige Bibliothek [ K B K ] : 539 - Krakow, Biblioteka Jagieilonska [ B J K ] : 1 - Leiden, Bibliotkeek der Rijksuniversiteit [ B R L ] : 4
Zu den hier genannten (und auch den in den beiden folgenden Teilen der Arbeit noch zu erwähnenden) Handschriftenbeständen und den Begründern der wichtigsten Sammlungen werden, soweit es nicht hier bereits geschehen ist, in Teil II einschlägige Quellen- und Literaturangaben beigebracht, die jeweils eine erste Orientierung ermöglichen. Nur dort, wo es sich um späthumanistische Sammlungen und Sammler handelt, geschieht dies ausfuhrlicher, soweit es in den unmittelbaren Zusammenhang dieser Arbeit gehört. Ansonsten soll und kann es um mehr als eine erste Orientierung nicht gehen; die zahlreichen bibliotheksgeschichtlichen und biographischen Arbeiten auch nur annähernd vollständig aufzufuhren, würde ein zusätzliches Forschungsgebiet für diese Arbeit erschließen müssen, das über ihre Fragestellung hinausgreift. Angegeben sind die Zahlen der jeweils an einem Standort zu findenden Briefe. Mehrfach in einer Bibliothek vorhandene Abschriften sind mitgezählt.
65 -
Leipzig, Universitätsbibliothek [UBL]: 5 London, The British Library [BLL]: 29 London, Lambeth Palace Library [LPL]: 1 München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv [BHA]: 30 2 2 München, Bayerische Staatsbibliothek [BSB]: 29 Oxford, Bodleian Library [BLO]: 1 Paris, La Bibliothèque de la Société du Protestantisme français [SHP]: 16 Paris, Bibliothèque Nationale [BNP]: 390 Rotterdam, Gemeentebibliotheek [GBR]: 1 Schaffhausen, Stadtbibliothek [SBS]: 8 Straßburg, Archive municipale [AMS]: 1 Straßburg, Bibliothèque Nationale et Universitaire [BNUS]: 2 Troyes, Bibliothèque municipale [BTR]: 8 Utrecht, Bibliotheek der Rijksuniversiteit [BRU]: 2 Warwick, County Record Office [WCRO]: 4 Wien, Österreichische Nationalbibliothek [ÖNB]: 1 Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek [HAB]: 17 Zürich, Zentralbibliothek [ZBZ]: 119
Insgesamt konnten in den aufgeführten Archiven und Bibliotheken sowie aus den genannten Editionen bislang 2.278 Briefe ermittelt werden, die Lingelsheim mit 80 Personen über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten gewechselt hat. Etwas mehr als die Hälfte der ermittelten Briefe stammen von Lingelsheim. Vielfach existieren von den edierten Briefen Handschriften, allerdings überaus selten Autographen, sondern in der Regel Abschriften. Sie ermöglichen dort, wo Auslassungen in den Editionen zumal des 17. Jahrhunderts zu beklagen sind, einen Textvergleich. Aber auch für die Abschriften, für die Exzerpte und Konzepte ohnehin, ist von einem unzuverlässigen Textbestand auszugehen. Einzig die Autographen bieten eine gänzlich zuverlässige Textbasis für eine wissenschaftliche Auswertung der Briefwechsel. Es ist deshalb von großer Bedeutung, daß heute noch 1.065 Autographen aus den gesamten Korrespondenzen Langelsheims nachzuweisen sind. Darunter befinden sich 250 Briefe von seiner Hand. Diese Zahl täuscht allerdings: Alleine 236 Briefe von Lingelsheim an Petrus Denaisius sind in einem Sammelband in der Universitätsbibliothek Gießen erhalten; dieser geschlossene Autographenbestand ist unter der gesamten handschriftlichen Überlieferung singulär. 23 Letztlich sind es nur wenige Autographen Lingelsheims, die von allen seinen Korrespondenzen erhalten geblieben sind. Hier ist von den größten Verlusten auszugehen. Zu erklären wird es vor allem damit sein, daß Lingelsheims Bibliothek verloren ist. 24
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23 24
Die Bestände des Archivs sind in den letzten Jahren neu durchgezählt worden; in dieser Arbeit werden noch die alten Zählungen zitiert, um so die Verweise auf gedruckt vorliegende Akten in der älteren Literatur zu entlasten. Vgl. dazu Teil II, Kap. 1.2.4.3. Lingelsheim berichtet in seinem Brief an Sainte Catherine vom 13./23.09.1622, daß er auf der Flucht seine Bibliothek in Heidelberg zurücklassen mußte (BNP: Fr. 4122, Bl. 109'). Immerhin gelang es ihm, einige wichtige Bücher mit sich nach Straßburg zu nehmen, vgl. den Brief des Hugo Grotius an ihn vom 11.11.1622 (von diesem Brief existieren in der KBK fünf Abschriften, ich beziehe mich auf: Gl. kgl. S. 4°2133, Nr. 20). Bernegger schreibt 1637 in einem Brief an J.Fr. Gronovius, daß Lingelsheims Bibliothek bereits vor
66 Durch die Recherchen in den Archiven und Bibliotheken ist der in den Editionen publizierte und damit bislang zugängliche Briefbestand also um weit mehr als das Dreifache zu vergrößern und die Zahl der Korrespondenten Langelsheims zu verdoppeln. Die zitierten Urteile über Lingelsheims Bedeutung als Epistolograph in der europäischen Gelehrtenrepublik um 1600 werden dadurch nunmehr eindrucksvoll bestätigt. Aus den erhaltenen Briefen ist zudem vielfach auf Briefverluste zu schließen.25 Darauf wird in den einzelnen Kapiteln zu Lingelsheims Korrespondenten jeweils hingewiesen. Auch fehlen ganze Briefwechsel. So ist also von einer ursprünglich noch weitaus größeren Zahl von Briefen auszugehen, die Georg Michael Lingelsheim verfaßte oder empfing.
langer Zeit geplündert worden wäre und nicht wiederhergestellt werden könnte (vgl. den entsprechenden Auszug bei REIFFERSCHEID 1889, S. 784). Eine systematische Auswertung ist jedoch unterblieben, da sie keineswegs Vollständigkeit erreicht hätte. Wenn Lingelsheim in seinen Briefen davon berichtet, daß von einer Person ein Schreiben eingegangen sei, muß das allerdings nicht unbedingt heißen, daß dieses auch an ihn gerichtet gewesen ist; vielmehr kann es sich durchaus um Briefe, die an die Kanzlei gegangen sind, handeln - das ist nicht immer genau erkennbar. Auf jeden Fall korrespondierte Lingelsheim mit einem größeren Personenkreis als er heute noch nachzuweisen ist, etwa mit dem französischen Diplomaten Ancel (dazu unten S. 413, Anm. 139) oder dem englischen Gesandten Stephen Le Sieur (mit dem ein offensichtlich reger Briefwechsel bestand, zwischen 1600 und 1612 erwähnt Lingelsheim 15 Mal in seinen Schreiben an Bongars, Briefe von jenem erhalten zu haben), weiterhin mit Guilliaume Marescot (Lingelsheim an Bernegger, 10.06.1634 [SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 123']); doch finden sich auch Namen, die biographisch bislang nicht eindeutig zu identifizieren sind: etwa Castelionius (Lingelsheim an Bongars, 04.03.1609 [BBB: Cod. 141, Nr. 60, Bl. 85 r ]) oder Dumaistre ( L i n g e l s h e i m a n S a i n t e C a t h e r i n e , 1 9 . / 2 9 . 0 6 . 1 6 2 0 [ B N P : Fr. 4 1 2 2 , Bl. 16']).
Teil I GEORG MICHAEL LINGELSHEIM LEBEN, WIRKEN UND W E R K
1.
Forschungsstand
Eine Biographie Georg Michael Lingelsheims ist noch nicht geschrieben, auch wenn sie seit längerem bereits und immer wieder von der Germanistik eingefordert wird. 1 Das, was sich an Daten und Fakten in den Lexika und der wissenschaftlichen Literatur verstreut findet, ist bruchstückhaft, vielfach ungenau und durchaus widersprüchlich. Die erste Aufgabe einer genaueren Beschäftigung mit dem Leben, dem Wirken und dem Werk Lingelsheims muß es deshalb sein, sich einen Überblick über die vorliegenden Ergebnisse, Informationen und Einschätzungen zu verschaffen. Erst wenn das Vorliegende bilanziert und gleichsam gefiltert ist, wird der eigene Versuch einer zuverlässigen und umfangreicheren biographischen Skizze Georg Michael Lingelsheims erfolgversprechend geraten können. Das Fehlen einer Leichenpredigt und anderer biographischer Zeugnisse aus der Zeit, auf das gleich am Anfang dieser Arbeit hingewiesen wurde, schlägt sich in den Artikeln über Lingelsheim in den biographischen und biobibliographischen Lexika seit dem 17. Jahrhundert bis heute nieder. In die mehrbändigen Vitae Melchior Adams (f 1622) konnte er noch keine Aufnahme finden.2 Sie erschienen zu seinen Lebzeiten und nahmen nur die bereits verstorbenen Mitglieder der im weitesten Sinne >deutschen< Gelehrtenrepublik auf. Adams Werk steht in der Tradition der humanistischen Sammelbiographie und diente ebenso der Bekräftigung der Affinität der nobilitas litteraria zu den antiken Autoritäten wie der Dokumentation der Zusammengehörigkeit und des Selbstverständnisses der Gelehrtenrepublik, indem die einzelnen Artikel nicht nur individuelle Erinnerung stiften, sondern auch der Versicherung der eigenen geistigen Verankerung in einer auf die Gegenwart zulaufenden geistigen Bewegung dienen. Adams Vitae bezeugen wie kaum ein anderes großes Werk dieser Zeit eine lebendige späthumanistische res publica litteraria. 3 Daß Lingelsheim in diesem bis weit in das 18. Jahrhundert hinein grundlegenden und stets von den späteren Biographengenerationen konsultierten biographischen Nachschlagewerk nicht vertreten war, zeitigte für jede weitere Beschäftigung mit seinem Leben, Wirken und Werk weitreichende Folgen. In So etwa mehrfach Garber und Kühlmann, zuletzt Garber 2003, S. 133, Anm. 16, Kühlmann 2002, S. 197, Anm. 17. Für die bibliographischen Angaben zu den hier und den im folgenden erwähnten Lexika sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen. In den Anmerkungen werden nur die Werke aufgeführt, aus denen zitiert wird. Ein kommentiertes Verzeichnis der europäischen Sammel-Biographien bietet Garber 1992-93 (unpubliziertes Ms.). Zu diesem Aspekt jetzt (und speziell zu Adams Leben und Vitae) Seidel 2000, vgl. auch Weiss 1992 und Schäfer 1991.
70 den von deutschen Verfassern ausgehenden Sammelbiographien des 17. Jahrhunderts taucht er nicht auf. Lingelsheim mußte sozusagen erst wiederentdeckt werden. Henning Witte (1634-1696) etwa nennt ihn nicht. Auch im Theatrum virorum erudiiione clarorum des Nürnberger Physikus Paul Freher (1611-1682) wird Lingelsheim nicht erwähnt. Das allerdings ist durchaus überraschend, denn Freher war ein Enkel des ihm eng verbundenen Heidelberger Hofgerichtsrates Marquard Freher,4 dessen Tochter mit einem Sohn Georg Michael Lingelsheims verheiratet war. Nachkommen dieser Ehe lebten noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Nürnberg.5 Offenbar verfugte sogar die eigene Familie über keine Materialien, aus denen ein biographischer Eintrag zusammenzustellen war. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts verbesserte sich die lexikographische Situation, als Pierre Bayle in sein Dictionnaire historique et critique (1. Aufl. Rotterdam 1697) einen Artikel über Lingelsheim aufnahm. Bayle versuchte mit seinem wirkungsreichen Werk, sich speziell von seinem Vorgänger Louis Moréri abzusetzen, indem er konsequent die quellenkritische Methode der Frühaufklärung für ein biographisches Kompendium der gesamten Wissenschaften erprobte. Im Gegensatz zu Moréri bot er einen ausführlichen, den Haupttext im Umfang um vieles übertreffenden Anmerkungsteil.6 Er benutzt für seinen Lingelsheim-Artikel verschiedene Quellen, die erstmals durch ihn ausgewertet werden. Dafür stützt er sich auf Aubertus Miraeus' Vita Ivsti Lipsl (1605), Adams Vitae Germanorum jureconsultorum et politicorum (1620), die Gesprächsnotizen Joseph Justus Scaligers, die sog. Scaligerana (1666), Vincent Placcius' De scriptis et scriptoribus anonymis atque pseudonymis Syntagma (1674), Antoine Teissiers Les éloges des hommes savans (1683) und auf Daniel Georg Morhofs Polyhistor (1691). Vor allem aber zieht Bayle Briefeditionen heran, in denen Briefe von und an Lingelsheim abgedruckt sind bzw. in denen sein Name erwähnt ist: das Epistolarvm Centuriae duae des Dominicus Baudius (1615), die ersten Ausgaben von Scaligers Briefen (1628) und der Goldast-Korrespondenz (1688) sowie die Jacobi Bongarsi et Georgii Michaelis Lingelshemi epistolae (1660).7 Dieses durchaus ansehnliche Quellencorpus macht deutlich, daß es eben doch möglich war, Informationen über Lingelsheim zusammenzutragen, sofern die Verfasser sich nur intensiv mit den zeitgenössischen Werken und insbesondere den Briefausgaben beschäftigten. Es wird allerdings ebenso deutlich, daß es letztlich nur wenige konkrete Angaben sind, die sich so aus den weit verstreuten Quellen sammeln lassen: Lingelsheim (George Michel) Précepteur, & puis Conseiller de l'Electeur Palatin (a), florissoit au commencement du XVII siecle, Il étoit né à Strasbourg (b). Il a passé pour l'Auteur d'un Livre intitulé, >Idolum Hallensen où Lipse est fort maltraité (A). Il entretenoit commerce de Lettres avec Bongars; mais on se trompe quand on assure qu'il avoit été 4 5 6
7
Zu ihm vgl. Teil II, Kap. 1.2.2.2.2. Vgl. Lingelsheim 1922, S. 36-40. Einführend in die großen biographischen und enzyklopädischen Lexika des 17. und 18. Jahrhunderts Kafker 1981, zu Bayle dort der Aufsatz von Burrell 1981. Zu dieser Edition vgl. S. 392f.
71 son Sécrétaire, & qu'il a publié les Lettres qu'ils s'étoient écrites (B). J'ai dit ailleurs (c) qu'il fut le dépositaire du Manuscrit de Mr. de Thou. 8
Bayle konnte die Lebensdaten ebenfalls nicht ermitteln. Immerhin kennt er aus den Scaligerana Lingelsheims Tätigkeit in kurpfälzischen Diensten und seinen Geburtsort.9 Das Hauptgewicht seines Artikels liegt auf der Diskussion über die Beteiligung Lingelsheims an verschiedenen zeitgenössischen Schriften. Er behandelt die gegen Lipsius gerichtete Dissertatio de idolo hallensi (1605), die Historia des Jacques-Auguste de Thou (1620) sowie die 1660 in Straßburg edierte Korrespondenz zwischen Bongars und Lingelsheim. In seinen Anmerkungen, die etwa den 15-fachen Umfang des Haupteintrags einnehmen, erörtert Bayle Lingelsheims Mitwirkung an diesen Werken. Er wägt aus den ihm vorliegenden Quellen die einzelnen Argumente, in der Regel in Form von Zitaten, ab, überläßt aber die endgültige Entscheidung dem Urteil des aufgeklärten Lesers. An dieser Stelle darf darauf verzichtet werden, Bayles Anmerkungen zu zitieren; auf die hier angesprochenen Werke ist im Verlauf dieses Kapitels noch näher einzugehen.10 Bayles Artikel prägte für lange Zeit die Grundzüge jeder weiteren Beschäftigung mit Leben, Werk und Wirkung Lingelsheims. Er wurde letztlich nur ausgeschrieben. Allerdings urteilen die späteren biographischen Artikel im Gegensatz zu Bayle eindeutig über Lingelsheims Anteile an den drei genannten Werken. Wobei die Urteile nicht einheitlich ausfallen. Christian Gottlieb Jöcher etwa nennt Lingelsheim als Herausgeber der Dissertation Heinrich Wilhelm Rotermund lehnt in den Ergänzungsbänden zu Jöchers Allgemeinem Gelehrtenlexikon jede Beteiligung Lingelsheims an der Historia Thuani ab.12 Jöcher folgt außerdem Morhof, der in seinem Polyhistor Lingelsheim als Sekretär Bongars' bezeichnet und ihm die Herausgabe der Bongarsi et Lingelshemi epistolae zugewiesen hat.13 Die beiden elsässischen dictionaires biographiques von Grandidier und Edouard Sitzmann schließen daraus auf das Todesdatum Lingelsheims, der »mourut à Strasbourg en 1660«.14 Ergänzungen finden sich in den jeweiligen Artikeln nur insofern, als weitere Briefe aus diversen Editionen angeführt werden. So gibt Johann Heinrich Zedier in seinem Universal-Lexikon, dessen Lingelsheim-Eintrag ansonsten nahezu wortwörtlich aus Jacob Christoff Iselins
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Bayle II, S. 1719f. Außerdem wird Lingelsheim im Artikel »Camden« im Zusammenhang mit der Thuanus-Ausgabe erwähnt. Die Buchstaben verweisen auf die Anmerkungen Bayles, die hier nicht wiedergegeben werden. - Gottscheds Übersetzung erschien Leipzig 1741-44, der Artikel »Lingelsheim« dort Bd. II, S. 119. Scaligerana, S. m.141 und m.162. Die Gesprächsnotizen Scaligers aus den Jahren 1603 bis 1606 erschienen erstmals Den Haag 1666; benutzt wird die zweite Auflage von 1667. Vgl. unten das Kap. 3.2.2. Jöcher II, Sp. 2454. Jöcher VII, Sp. 1892. Jöcher II, Sp. 2454. Vgl. Morhof, ich zitiere nach dem Neudruck der vierten, wesentlich ergänzten Ausgabe, S. 304: »Lingelsheimius«, heißt es dort, »vir in publica dignitate constitutus, & ad Helvetios Legatus, olim Bongarsio ab epistolis, litteras Bongarsianas una cum suis publicavit«. Grandidier, S. 327f. (Zitat S. 328), Sitzmann II, S. 180.
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Lexicón abgeschrieben ist,15 als Beleg für Lingelsheims Einstellung als praeceptor in kurpfalzischen Diensten einen Brief von Johann Jakob Grynaeus an. 16 Jöcher weist auf Lingelsheims Briefe in den Monumenta pietatis & literaria virorum in re publica & literaria illustrium, selecta (1701) von Ludwig Christian Mieg hin, 17 die seitdem auch in anderen Lexika, etwa im >Hoefer< angegeben werden. 18 Heinrich Wilhelm Rotermund erwähnt außerdem in seiner ersten Ergänzung zum Allgemeinen Gelehrtenlexikon einige weitere Briefe Lingelsheims aus der Edition des Thomas Crenius (1696) und aus den Unschuldigen Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen (1715), ein Hinweis, der übrigens an keinem anderen Ort in der lexikographischen Literatur wiederholt wird. 19 Es ist festzustellen, daß in der Folge von Bayle, der übrigens im Falle Lingelsheims auch die späteren Auflagen des Moréri beeinflußte, in den großen universalen, nationalen und (elsässischen) regionalen biographischen Lexika, im >Hoefer< und >MichaudPolitiker< werden immerhin in einigen wenigen Zusammenhängen aus der Darstellung von Moriz Ritter zur Geschichte der Deutschen Union (1867-1873) 27 und aus der von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften veranstalteten mehrbändigen Quellenreihe Briefe und Acten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher (1870ff.) greifbar. 28 Doch fällt sein Name nur ganz vereinzelt. Bezeichnenderweise aber werden hier wie dort neben Aktenstücken wiederum einzelne seiner gedruckt vorliegenden Briefe als ergänzende Quellen herangezogen. Die Germanistik wandte seit den Aufsätzen von Hermann Palm (»Neue Beiträge zur Lebensgeschichte von Martin Opitz«, 1871) und Franz Schnorr von 23
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Vgl. Düntzer 1837, Bernays 1855, Hagen 1874 (der ganz ausführlich aus der Korrespondenz Lingelsheim-Bongars zitiert), Pattison 1875, Bünger 1893, Nazelle 1897. Zu den humanistischen Anfangen der Historiographie und den Bestrebungen der kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften vgl. Fuchs 1963. Häusser 1845, Bd. II, S. 183. Häusser zieht hier die Nachnamen von Christoph Perbrant und Georg Michael Lingelsheim zusammen. Zu Perbrant, über den nichts weiter bekannt ist, vgl. Lingelsheims Brief an Grynaeus vom 06.02.1588 (BUB: G II 7, S. 441). Schmidt 1899, zu Lingelsheim S. XLff. u. XLVIII. Zu den Studienorten vgl. schon Lingelsheim 1922, S. 22. Ritter 1867-73, Bd. I, S. 181f., Bd. II, S. 18. Ritter weist in beiden Fällen auf edierte Briefe Lingelsheims hin, zuerst auf BONGARS 1660, dann auf AYRMANN 1746. BRIEFE UND ACTEN 1870-1909 (hier ebenfalls unter Heranziehung der in der vorangehenden Anmerkung genannten Editionen), BRIEFE UND AKTEN N.F. 1948ff. Zu einzelnen Nachweisen Lingelsheims vgl. die entsprechenden Abschnitte in dieser Arbeit.
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Carolsfeld (»Julius Wilhelm Zincgrefs Leben und Schriften«, 1879) ihr Interesse vor allem in zwei Forschungskontexten immer auch auf Georg Michael Lingelsheim. Zum einen war es die Opitz-Forschung, die sich auf die biographische Lobrede des schlesischen Opitz-Freundes Christoph Coler stützen konnte, der Lingelsheims Einfluß auf den jungen Opitz herausstreicht.29 Zum anderen waren es die Untersuchungen zum (späthumanistischen)30 Heidelberger Dichterund Gelehrtenkreis, die zunächst über die Person Zincgrefs einsetzten. Schnorr von Carolsfeld liefert in seiner Zincgref-Studie ein Kurzporträt Lingelsheims, das ungleich genauere biographische Informationen bietet als die bis dahin in den biographischen Lexika genannten: Langelsheim (Georg Michael Lingelsheim, geb. zu Strassburg 9. Dec. 1556), der in Zincgrefs nach Strassburg gerichteten Briefen vorkömmt, ist derselbe, den wir als den Vater seines Jugendfreundes Friedrich Lingelsheim kennen und oben in den Briefen an Gruter erwähnt fanden. Er war unter der Regierung des Administrators der Pfalz Johann Casimir (1583-1592) Informator des Kurprinzen Friedrich IV. (geb. 1574) und später, fast gleichzeitig mit seinem Landsmann und Jugendgenossen Peter Denais, kurpfälzischer Rath geworden, war auch in Heidelberg in angesehener amtlicher Stellung verblieben, bis er, ohne Zweifel des Krieges wegen, nach seiner Vaterstadt Strassburg übersiedelte. Wie er schon Gruter ein hochgeachteter und lieber Freund war, so zollten ihm auch Zincgref und dessen Altersgenossen die höchste Verehrung und Bewunderung. Opitz, der in seinem Haus zu Heidelberg als Erzieher seiner Söhne gelebt hatte, widmete ihm als >hospiti quondam suo et Patrono domestico< die Sonette des vierten Buchs seiner >poetischen WälderLingelsheim-Forscher< - berechtigten Bemerkung: »Die Allgemeine Deutsche Biographie, welche so manche Persönlichkeit unverdientermaßen der Vergessenheit wieder entrissen hat, hätte Lingelsheim nicht übersehen dürfen.«
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Kneschke V, S. 565, allerdings mit gänzlich verwirrenden Angaben: »Georg Michael Lingelsheim, gebürtig aus Strassburg, war 1620 Präceptor des Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz[!], wurde später[!] kurpfälz. Rath u. stand zu seiner Zeit in dem R u f e grosser Gelehrsamkeit.« Dies haben die Forschungen von Jean-Paul Lingelser (Straßburg) ergeben, dem ich an dieser Stelle für zahlreiche Hinweise und den regen Austausch herzlich danken möchte. Auch im paritätisch mit adligen und bürgerlichen Räten besetzten Heidelberger Oberrat
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77 umfangreichste Darstellung seines Lebens und seiner Familie und besitzt dadurch besonderen Wert. 41 Der Verfasser bietet hier allerdings keinen geschlossenen Abriß, sondern trägt aus den unterschiedlichsten gedruckten und handschriftlichen Quellen an Informationen zusammen, was immer ihm zugänglich war. Wilhelm von Lingelsheim bilanziert den bis dahin erreichten Forschungsstand, er fuhrt aber zugleich in vielem darüber hinaus. Er kumuliert sein Lebensbild aus den bekannten Sammelbiographien, 42 aus den Arbeiten Hermann Hagens, der Untersuchung von Anquez über Henri IV. et l'Allemagne (1887), aus Schnorr von Carolsfelds Zincgref-Abhandlung und anderen Aufsätzen wie etwa demjenigen Huffschmids sowie aus den Anmerkungen Reifferscheids. 43 Er zieht die von Gustav Toepke edierte Heidelberger Matrikel heran und falsifiziert die Angaben aus Schmidts Geschichte der Erziehung der pfälzischen Wittelsbacher über Lingelsheims vermeintliche Studienorte Leipzig und Wittenberg anhand der jeweiligen Matrikel. Er zitiert die entsprechenden Passagen aus der Coler-Lobrede auf Opitz in der Übersetzung Lindners, Opitzens lateinisches Gedicht auf Jakob Lingelsheim und seine Widmung an Georg Michael Lingelsheim in den Deutschen Poematum sowie die Sentenzen Lingelsheims aus Zincgrefs Apophthegmata.44 An Briefausgaben nennt er neben Reifferscheid die Straßburger Edition der Bongars-Lingelsheim-Korrespondenz und Hagens Ergänzungen dieses Briefwechsels aus den Berner Bongarsiana-Beständen, außerdem die Sammlung von Christoph Friedrich Ayrmann (Sylloge anecdotorum, 1747). Erstmals findet sich hier aber auch ein Hinweis auf die Autographen der Denaisius-Briefe an Lingelsheim in der Universitätsbibliothek Gießen. 45 Außerdem präsentiert Wilhelm von Lingelsheim Auszüge aus den kurpfälzischen Dienerbüchern zu Lingelsheims Bestallung als praeceptor und Rat im Jahre 1587 und die Bestallungsurkunde in den Oberrat von 1592, deren Originale sich bis heute im Generallandesarchiv Karlsruhe befinden. 46 Weiterhin druckt er ein Epigramm »In hortem Palatinum G.M. Lingelshemij«, dessen Handschrift in der Landesbibliothek Karlsruhe erhalten ist,47 und Auszüge aus einer Proskriptionsliste der kurbayerischen Regierung aus dem Jahre 1625 aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv ab, in der Lingelsheims Name an erster Stelle steht. 48 Zudem entdeckte Wilhelm von Lingelsheim in der damaligen Stadtbibliothek Breslau ein Exemplar des Commentarius de militia Romana von
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wurde Lingelsheim stets zu den Bürgerlichen gezählt, ein wichtiges Indiz für seine nichtadlige Abstammung (vgl. Press 1970, S. 38-45). Lingelsheim 1922, S. 21-35 u. 78-82. Lingelsheim 1922 verweist S. 34 auf Bayle, Jöcher, Zedier, Hoefer, Michaud, sowie S. 27f. auf Grandidier und Sitzmann (falschlich Litzmann genannt), dessen Artikel er komplett zitiert. Vgl. ebd., S. 22, 27 u. 32f. Ebd., S. 28-32. Auf die genannten Werke wird im folgenden noch einzugehen sein. Ebd., S. 34. Zu dieser Sammlung s. den biographischen Abschnitt in Teil II, Kap. 1.2.4.3. Ebd., S. 22. Die Ratsbestallung von 1592 ist S. 23f. abgedruckt; vgl. auch Krebs. Abgedruckt bei Lingelsheim 1922, S. 25. Zitiert ebd., S. 2 5 . - D i e einzelnen Dokumente werden im folgenden noch vorzustellen sein. Dort dann auch jeweils die heutigen Signaturen.
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Savile mit einer handschriftlichen Widmung, aus der Lingelsheims Verfasserschaft eindeutig hervorgehe.49 Schließlich fuhrt er den überzeugenden Beweis, daß das von dem Straßburger Brun gestochene Bildnis nicht Georg Michael Lingelsheim, sondern Jacques Bongars darstelle.50 So bietet die Familien-Chronik derer von Lingelsheim für ihren vermeintlich berühmtesten Vertreter nicht nur das umfangreichste - wenn auch kein zusammenhängendes - Lebensbild, das zu Georg Michael Lingelsheim bis heute entstanden ist; sondern hier werden auch zahlreiche neue Quellen vorgestellt, die bis dahin noch unbekannt waren. Das Werk enthält vielfältige Ergänzungen zu Reifferscheid. Bedauerlicherweise ist es weder von der Geschichtswissenschaft noch von der Germanistik wahrgenommen worden.51 Die germanistische Forschung des 20. Jahrhunderts stützt sich wesentlich auf Reifferscheids Edition. Zumal es sein Anliegen gewesen ist, gerade seinem Fach durch die von ihm gesammelten, bislang weitgehend unbekannten »Briefe aus dem Heidelberg-Strassburger Kreise, der eigentlichen Geburtsstätte der neueren deutschen Literatur«, neue Quellen für die Entstehungsgeschichte dieser Literatur zuzuführen. Den »geistigen Mittelpunkt« dieses Kreises bildeten Lingelsheim und »der von ihm angeregte« Bernegger.52 Damit stellte Reifferscheid nicht nur der Opitz-Forschung und den künftigen Untersuchungen zum Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreis um Zincgref ein durch seine kenntnisreichen Kommentare bestens erschlossenes Quellencorpus zur Verfugung, sondern ebenso für eine der zentralen Fragestellungen der germanistischen Litera-
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Ebd., S. 26. Er hatte das noch heute in der Universitätsbibliothek Wroctaw vorhandene Exemplar in der Hand; vgl. unten S. 216, Anm. 202. Ebd., S. 80, weist Lingelsheim auf die Übereinstimmung dieses Kupferstichporträts mit dem der Untersuchung von Anquez 1887 vorangestellten Bildnis des Bongars hin. Es handelt sich bei der lateinischen Bildumschrift (»Georgio Michaeli Lingelshemio Consiliario Elect. Palat. Intimo«) ganz offensichtlich um eine Widmungszuschrift; als solche ist sie bereits von REIFFERSCHEID 1889, S. 887, erkannt worden. Der Stich war der von Bernegger besorgten, maßgeblich auf Bongars beruhenden Justinus-Ausgabe (Ivstini [...] epitomarum editio nova [1631]) beigegeben. Zum gleichen Ergebnis führt der Vergleich der beiden bei Singer nachgewiesenen Porträtstiche in der Veste Coburg (für Bongars Bd. II, S. 20 [Nr. 3220], für Lingelsheim Bd. VII, S. 255 [Nr. 18311]). Noch Trunz 1995a, S. 25, führt diesen Stich als Porträt Lingelsheims an, ebenso Press in seinem NDB-Artikel. Meinem Lingelsheim-Artikel im NDBA XXIV, S. 2388, ist ohne Rücksprache fälschlicherweise ebenfalls dieser Stich beigefugt worden. - Im Besitz der Familie von Lingelsheim kursiert ein Photo eines der insgesamt 30 »Mannsbildköpfe«, die beim sog. Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses unter den Giebeldreiecken der Fenster zur Hofseite angebracht wurden; es soll die Skulptur Georg Michael Lingelsheims darstellen. Weder bei Oechelhauser 1913, der S. 469-478, ausfuhrlich die Baugeschichte bespricht, noch bei Zangemeister 1886 existieren Belege für diese Zuordnung. Auch eine Anfrage an das Heidelberger Stadtarchiv, die von dort dankenswerterweise an das Staatliche Hochbau- und Universitätsbauamt Mannheim, Außenstelle Heidelberg, weitergeleitet wurde, blieb erfolglos. Zwar ist es v.a. auch angesichts der persönlichen Verbindung Lingelsheims zum verantwortlichen Baumeister Schoch (vgl. Huffschmid 1919; Lingelsheim 1922, S. 33f.) nicht auszuschließen, daß Lingelsheims Kopf sich unter den Skulpturen befindet, doch fehlen dafür Quellenbelege, so daß hier ebenfalls äußerste Vorsicht geboten bleibt. Lingelsheim 1922 wird erstmals erwähnt in NDBA XXIV, S. 2388. REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S . I X .
79 turwissenschaft, nämlich jener nach der Entstehung einer neuen deutschen Kunstdichtung und ihrer poetischen, rhetorischen und sozialgeschichtlichen Verankerung in der (spät)humanistischen Tradition sowie ihrer gelehrten Trägerschichten. Im Zusammenhang dieser Forschungskontexte, denen sich die Germanistik im 20. Jahrhundert im weitgespannten Rahmen der Barockforschung intensiv zuwandte, fallt immer auch der Name Georg Michael Lingelsheims zum einen als Förderer und Gönner Opitzens, zum anderen als eine der zentralen Gestalten des oberrheinischen Späthumanismus. Dafür konnte die Germanistik mit der Edition Reifferscheids und dank der fakten- und quellenreichen Gelehrtengeschichten des vorangehenden Jahrhunderts auf eine bessere Quellenbasis zurückgreifen als es die Geschichtswissenschaft vermochte. Wichtige Impulse dafür erhielt die Forschung durch den bekannten Aufsatz von Erich Trunz über den deutschen Späthumanismus um 1600. Lingelsheim wird hier als zentrale Gestalt des Späthumanismus in Heidelberg bezeichnet und neben den Straßburger Bernegger gestellt. Was bereits durch Reifferscheids Edition aus den Quellen zu belegen war, erfährt durch Trunz die Bestätigung durch eine eingehende sozialgeschichtliche und morphologische Analyse der späthumanistischen Gelehrtenrepublik. Die jüngere germanistische Forschung hat sich dann vor allem mit dieser Rolle Lingelsheims in der deutschen Gelehrtenrepublik und seinem Einfluß auf die von Opitz initiierte Reform der deutschen Dichtung beschäftigt.53 Allerdings erscheint Lingelsheim in den verschiedenen sozialgeschichtlichen Studien zu diesem Thema stets nur mehr oder minder am Rande. Gleichwohl, so darf man den Forschungsstand nunmehr zusammenfassen, besteht Einigkeit darüber, in Lingelsheim eine Hauptfigur des oberrheinischen Späthumanismus mit weitreichenden Beziehungen in die europäische res publica litteraria und zugleich einen Mentor und Förderer jener Dichtergeneration um Opitz und Zincgref zu sehen,54 deren Werke am Anfang einer neuen deutschen Kunstdichtung standen. Auf diese Forschungen, genannt seien hier nur stellvertretend die Namen von Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Dieter Mertens und Theodor Verweyen, wird in diesem Kapitel ebenfalls noch näher einzugehen sein, soweit sie mit Lingelsheim im Zusammenhang stehen.55 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, daß das Lingelsheim-Bild der jüngeren germanistischen Forschung nachhaltig durch eine große historische Dissertation konturiert worden ist. Es ist eben daraufhingewiesen worden, daß in den älteren historischen Arbeiten zur Kurpfalz Lingelsheim nur ganz im Hintergrund erscheint. Nachdem zunächst Friedrich Hermann Schubert in seiner Studie zur pfalzischen Exilregierung (1954) Lingelsheim im Heidelberger Oberrat in den 53
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Dazu ausfuhrlich mit allen einschlägigen Literaturangaben unten Kap. 3.1.3. Da dieser Aspekt dort noch eingehend behandelt wird, sei an dieser Stelle auf nähere Ausfuhrungen verzichtet. Szyrocki 1974 bezeichnet ihn als den »Nestor der literarischen Bewegung in Heidelberg« (S. 37). S. unten Kap. 3.1.1.
80 Jahren vor der Annahme der böhmischen Königskrone »eine wichtige Rolle« attestiert 56 und ihn hier wie in seiner im Jahr darauf veröffentlichten CamerariusBiographie (1955) zu der zurückhaltenden politischen Faktion unter den kurpfälzischen Politikern gerechnet hatte, 57 beschäftigte sich Volker Press in seiner maßgeblichen Untersuchung zu den kurpfälzischen Zentralbehörden (Calvinismus und Territorialstaat, 1970) eingehend mit Lingelsheim. 58 Von ihm stammt die heute allgemein geteilte Charakterisierung Lingelsheims als eines »feingebildeten« Gelehrten, der von einer irenischen Grundhaltung geprägt, zugleich aber ein entschiedener Reformierter war, und der sich »mehr zum Gelehrten als zum Politiker« berufen fühlte. 59 Das letzte Urteil von Press führte indessen dazu, daß Lingelsheims Rolle als kurpfälzischer Politiker im konfessionellen Zeitalter einerseits nach wie vor nicht wirklich untersucht worden ist. In den jüngsten Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Kurpfalz von Moersch (1990) und Schaab (1988-92) sucht man denn auch vergeblich seinen Namen. Hepp etwa verweist in seiner für den Konfessionalisierungsprozeß in der Kurpfalz so wichtigen Untersuchung Religion und Herrschaft in der Kurpfalz um 1600 (1993) lediglich in einer Fußnote auf Lingelsheim. 60 Andererseits aber ist die Geschichtswissenschaft nunmehr um eine Gesamtwürdigung Lingelsheims bemüht, indem sie stets auch seine Rolle für das geistige Leben im späthumanistischen Heidelberg herausstreicht. 61 Wie sehr die germanistischen und historischen Forschungen auf der einen, Reifferscheids Edition auf der anderen Seite den über zwei Jahrhunderte aus Bayle abgeschriebenen Informationsstand über Lingelsheim inzwischen ergänzt, erweitert und auch verändert haben, ist schließlich an den jüngsten biographischen Artikeln abzulesen. Die biographischen Eckdaten scheinen nunmehr gesichert, der Bildungsgang Lingelsheims, seine Tätigkeiten in kurpfälzischen Diensten, seine Stellung in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, seine Bedeutung für den Späthumanismus und die Entwicklung einer neuen deutschen Kunstdichtung sind präzisiert. Volker Press hat einen Artikel in der Neuen Deutschen Biographie,62 Wilhelm Kühlmann einen in dem von Walther Killy herausgegebenen Literatur-Lexikon verfaßt. 63 Ich selbst habe vor einiger Zeit im Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne ebenfalls versucht, den Forschungsstand zu bilanzieren. 64 Die Vorstellungen von Lingelsheims Bedeutung als späthumanistischer Gelehrter, kurpfälzischer >Politiker< und für die Dichtergeneration um Opitz sind also seit Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig fixiert worden. Das findet seinen wohl beredtesten Beleg in zwei belletristischen Werken, in denen er zumin56
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Schubert 1954, S. 661. Ebd., S. 594f.,ders. 1955, S. 71. Die Bedeutung dieses Werkes insbes. auch für die Germanistik betont Garber 1978. Press 1970, S. 370f. Hepp 1993, S. 159, Anm. 120. Vgl. Schindling/Ziegler 1993, S. 39, Wolgast 1998, S. 99. N D B X I V , S. 621 f. Killy VII, S. 302f. NDBA XXIV, S. 2387f.
81 dest als eine Randfigur auf dem barocken theatrum mundi kurz auf- bzw. in Erscheinung tritt. Ricarda Huch läßt in ihrem genaustens recherchierten historischen Roman über den Dreißigjährigen Krieg den Heidelberger Oberrat in der Bibliothek Lingelsheims zusammentreffen, um dort angesichts der zunehmenden katholischen Bedrohung das weitere Vorgehen der Kurpfalz abzustimmen. 65 Im Treffen in Telgte von Günter Grass, seiner kulturpolitischen Hommage an Hans Werner Richter und die Gruppe 47, 66 für die er eingehend die barocke Literatur studiert hat, 67 feiern die im Kloster versammelten Dichter Lingelsheim als den politischen Mentor Opitzens und als Friedensfreund. 68 Jede Biographie Lingelsheims hat diese beiden hier in unterschiedlichen Erzählzusammenhängen literarisch pointierten Aspekte zu behandeln und muß Lingelsheim zugleich als Gelehrten, Politiker und Förderer der jungen Dichter um 1620 vor dem Hintergrund des konfessionellen Zeitalters und der späthumanistischen Gelehrtenrepublik Europas betrachten. Auch die Kenntnisse über die Schriften, an denen Lingelsheim in irgendeiner Form beteiligt gewesen ist, scheinen nunmehr gesichert. Das ist aber keineswegs immer der Fall. Durch die Studie von Samuel Kinser, The Works of Jaques-Auguste de Thou (1966), ist Lingelsheims Anteil an der Edition der Historia Thuani hinreichend untersucht. Daß er nicht der Herausgeber der Bongarsi et Lingelshemi epistolae sein konnte, ist seit der Studie Schnorr von Carolsfelds und der Ausgabe Reifferscheids endgültig geklärt. Ebenso wird die Frage seiner Autorschaft im Falle der Dissertatio de idolo hallensi überhaupt nicht mehr aufgeworfen. Allerdings werden nunmehr andere Werke mit ihm in Verbindung gebracht. Seit Placcius wird Lingelsheim zusammen mit Bartholomäus Pitiscus als Verfasser einer Reihe theologischer Traktate aus den Jahren 1607 bis 1614 angesehen. 69 Bayle nahm diesen Hinweis nicht auf, aber in dem Anonymenlexikon von Holzmann-Bohatta und in der Badischen Bibliographie von Lautenschlager wird Lingelsheim ebenfalls als Verfasser bezeichnet. 70 Mehrere Bibliotheken haben diese Information in ihre Kataloge übernommen, noch heute sind diese Werke im VD17 unter dem Stichwort >Lingelsheim< zu recherchieren. Doch gibt es eindeutige Quellen gegen diese Zuweisung. 71 Unwidersprochen blieb bislang die Vermutung von Johannes Bolte, Lingelsheim sei der Übersetzer von Buchanans Baptistes sive Calumnia gewesen. 72 Schließlich wird seit Reifferscheid Lingelsheim verschiedentlich als Verfasser einer scharfen Satire gegen Kaspar Schoppe (Cave canem, De vita, moribus, rebus gestis, divinitate Gasparis Sciopii apostatce, Satyricon, 1612) genannt. Auch hier
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Huch: Der Dreißigjährige Krieg, S. 57f. Dazu Laufhütte 1993. Vgl. die Materialien bei Füssel 1999. Grass: Das Treffen in Telgte, S. 23ff. u.ö. Placcius, S. 480. Holzmann/Bohatta, Bd. VII, S. 27, 58, 443; Lautenschlager/Schulz, Bd. II/l, S. 53f. (Nr. 9733, 9 7 3 4 , 9 7 3 7 , 9 7 3 9 , 9 7 4 1 , 9 7 4 1 a , 9745). S. unten Kap. 3.2.2.1.2. Dazu unten Kap. 3.2.2.1.1.
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gibt es bis heute widersprüchliche Urteile.73 Angesichts dieses teilweise verworrenen Forschungsstandes, der hier vorerst nur angedeutet werden soll, ist es erforderlich, in einem eigenen Kapitel auf diese Zusammenhänge näher einzugehen. Einige andere Schriften dagegen, die Lingelsheim verfaßt, übersetzt oder herausgegeben hat, werden bislang gar nicht erwähnt oder sind unbekannt. Den Hinweisen von Schnorr von Carolsfeld und Wilhelm von Lingelsheim auf Georg Michael Lingelsheims lateinische Übersetzung des Tacitus-Kommentars von Henry Savile etwa wurde bislang an keiner Stelle nachgegangen. Auch diese Spur ist im folgenden aufzunehmen.74 Es ist also zweierlei zu konstatieren: Zum einen sind Leben, Werk und Wirken Georg Michael Lingelsheims in den wesentlichen Grundzügen inzwischen so weit untersucht, daß sein Bild als späthumanistischer Gelehrter und Heidelberger Oberrat deutlichere Konturen gewonnen hat. Zum anderen jedoch bleiben nach wie vor entscheidende Punkte ungeklärt bzw. unsicher und noch näher zu untersuchen. Dies liegt darin begründet, daß es bislang weder eine größere Untersuchung über Lingelsheim gibt noch die vorhandenen Quellen, und das meint vor allem seine Korrespondenzen, in Gänze erschlossen und ausgewertet worden sind. Die Forschung greift auf die bekannten, mehr oder minder gut zugänglichen gedruckten Briefeditionen zurück, im wesentlichen auf die Straßburger Ausgabe der Bongars-Lingelsheim-Briefe, auf Ayrmann und vor allem auf Reifferscheid. Die bislang nicht edierten, in den Handschriftenabteilungen europäischer Archive und Bibliotheken zahlreich überlieferten Briefe wurden nicht eingesehen, sie sind auch dort größtenteils bislang noch nicht einmal erschlossen. Dadurch ist die Forschung in einem hohen Maße von Vorarbeiten abhängig. So selbstverständlich das einerseits ist, so schwierig wird es andererseits, wenn letztlich nur ein Teil dieser Vorarbeiten in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt ist, andere dagegen entweder nicht bekannt sind oder als durchaus zweifelhaft erkannt werden, wodurch dann die Auseinandersetzung mit ihnen unterbleibt. Bereits anhand der biographischen Details erweist sich, daß die historischen Fachdisziplinen die einmal in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführten Daten und Wertungen vielfach ohne kritischen Rückgriff auf die Quellen einfach immer wieder übernommen haben. Wäre Lingelsheim wirklich der Übersetzer oder besser der Nachdichter des Buchananschen Baptistes, würde von ihm ein zwar nur handschriftliches, jedoch herausragendes Zeugnis einer deutschsprachigen Dichtung am Heidelberger Hof stammen, durch das ihm ein wichtiger Platz in der Vorgeschichte der neueren deutschen Kunstdichtung zuzuweisen wäre. Hätte die Familienchronik Wilhelm von Lingelsheims Beachtung gefunden, wäre Lingelsheim schon längst als neulateinischer Übersetzer eines Werkes zu benennen gewesen, das in engem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Oberrat und mit den Konsolidierungsprozessen in der Kurpfalz um 1600 entstanden ist. Es wäre überaus vermessen, deshalb die 73 74
S. dazu unten Kap. 3.2.2.1.4. mit den entsprechenden Nachweisen. S. Kap. 3.2.2.2. Zu den Nachweisen s. oben die Anm. 32 u. 49.
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vielen Verdienste der bisherigen Forschung um Lingelsheim zu schmälern. Angedeutet werden soll lediglich das entscheidende Manko, mit dem die Forschung nicht nur im Falle Lingelsheims, sondern mit verschwindend wenigen Ausnahmen - zu nennen sind hier die gewichtigen Biographien von Seidel über Dornau und Nicollier-de Weck über Languet75 - generell für die großen Gestalten des deutschen und europäischen Späthumanismus konfrontiert ist. Das grundsätzliche Problem ist bekannt: Was die Gelehrten damals verband, trennt uns heute von ihnen, »waren sie in ihrer eigenen Zeit durch ihr Latein überall zu Hause, so sind sie heute eben durch das gleiche Latein überall Fremde geworden.«76 Zudem sind die Recherchen nach Briefen, handschriftlichen und gedruckten Werken, zumal des sog. Kleinschrifttums, überaus zeitaufwendig und kaum von einer einzelnen Person vollständig durchzufuhren. Die Quellenlage ist unüberschaubar, zuverlässige Repertorien fehlen weitgehend. Hinzu kommt, daß im Wissenschaftsbetrieb oftmals Beiträge nur unzureichend wahrgenommen werden, die an versteckten Orten erschienen sind. In den jüngsten Arbeiten von Wolgast und Mertens, in denen Lingelsheim erwähnt wird, wird die seit längerem eingeführte Literatur zitiert, obwohl es längst Neueres gibt.77 Im folgenden Kapitel soll erstmals eine umfassende biographische Skizze Georg Michael Lingelsheims versucht werden. Es kann nicht die seit längerem von der Forschung zu recht eingeforderte Biographie bieten. Die Untersuchung basiert fast ausschließlich auf den bislang zu ermittelnden Briefen von und an Lingelsheim. Der späthumanistische Brief ist in hohem Maße rhetorisch und poetologisch präformiert, das >Persönliche< kommt oftmals nur verklausuliert zum Ausdruck, ist vielfach verschlüsselt, wenn ihm im gelehrten Austausch überhaupt Bedeutung eingeräumt wird. Dennoch ist es natürlich vorhanden und zu entschlüsseln. Lingelsheims Briefe enthalten durchaus zahlreiche wertvolle Informationen über familiäre Zusammenhänge und zu seinen äußeren Lebensumständen.78 Diesen Informationen kann aber keineswegs Vollständigkeit zugesprochen werden. Zunächst einmal ist die Überlieferungslage lückenhaft. Vor allem aber liegen Briefwechsel nicht aus allen Lebensphasen und zu allen Zusammenhängen in gleicher Dichte vor. Hier wären in größerem Umfang Anschlußkorrespondenzen aus dem Freundeskreis Lingelsheims auszuwerten. Für diese trifft aber nicht minder zu, was soeben für Lingelsheims Briefwechsel festgestellt wurde: Auch sie sind bislang nur teilweise bekannt und in Editionen zugänglich, sie wären also ebenfalls unter großem Aufwand erst noch zu recherchieren. Es sind aber ebenso systematisch andere Quellen zusammenzutragen, etwa offizielle Dokumente, die über oder von Lingelsheim existieren. Press hat hier eini-
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Seidel 1994, Nicollier-de Weck 1995. Bruehl 1960-61, S. 202. Vgl. Wolgast 1998, Mertens 2000. Es darf verwiesen werden auf Walter 1998, ders. 1999. Inwieweit die Briefe zur Stilisierung humanistischer Lebensentwürfe und Selbstdarstellung des eigenen Lebens von den Humanisten genutzt wurden, daß sie aber gleichwohl und gerade auch deshalb biographische Zeugnisse ersten Ranges darstellen, zeigt Gerlo 1983 am Beispiel der Briefe Erasmus' von Rotterdam.
84 ges zu bieten, soweit es Lingelsheims Tätigkeit im Heidelberger Oberrat betrifft. Aber etwa Taufbücher und Heiratsurkunden, also Akten aus dem Bereich der >privaten< Sphäre bzw. demjenigen, der zeitgenössisch unter die Zuständigkeit der >Policeyordnungen< fiel, sind ebenfalls heranzuziehen. Schließlich ist der weite Bereich der >Literatur< zu durchkämmen, d.h. nach Casualia auf und von Lingelsheim oder nach Werken, an denen er in irgendeiner Form mitwirkte oder die ihm durch Widmungen zugeeignet waren, zu suchen. Soweit es möglich war und gerade dort, wo die Briefe als Quellen versagen, wurden diese Recherchen durchgeführt. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist jedoch die Erschließung einer umfangreichen Korrespondenz und die Rekonstruktion eines späthumanistischen Korrespondentenkreises, in dessen Mittelpunkt Lingelsheim stand. Es kann deshalb nicht der Anspruch des ersten Teils dieser Untersuchung sein, mehr als nur eine zwar umfangreiche, doch an einzelnen Stellen sicherlich noch zu ergänzende biographische Skizze eines herausragenden Vertreters der späthumanistischen Gelehrtenrepublik anzubieten. Die vorangehenden Ausführungen haben bereits einige der Zusammenhänge angedeutet, die in diesem Teil der Untersuchung eingehend zu behandeln sind. Vielfach wird auf die hier zunächst nur knapp referierten Studien und biobibliographischen Artikel zurückzugreifen sein. Über die Herkunft und die Jugendjahre Lingelsheims, über seinen Bildungsgang bleibt das Urteil Venators, daß man nur wenig wisse, gültig. Sogar die Angabe seines Geburtsjahres muß noch einmal überprüft werden. Obgleich die Forschung inzwischen auf das Jahr 1556 festgelegt ist, gibt es doch auch vereinzelt Autoren, die es mit 1566 angeben. 79 Die ersten beiden Teile dieses Kapitels behandeln die Zeit von der Geburt Lingelsheims bis zu seinem Eintritt in kurpfälzische Dienste. Seiner Tätigkeit als praeceptor widmet sich dann der folgende Abschnitt. Auch darüber ist bislang nur wenig bekannt. Dagegen ist seine Zeit als kurpfälzischer Oberrat vor allem durch Volker Press besser untersucht. Press konzentriert sich allerdings auf die kurpfälzischen Institutionen, ihre Entwicklung, Organisation und Funktionen sowie auf die in diese Gremien berufenen Personen, behandelt aber im Gegensatz zu Schubert die Konfessionspolitik der Heidelberger Regierung im Reich und in Europa nur insoweit, wie sie auf den Ausbau des kurpfälzischen Territorialstaates zurückwirkte. Welchen Anteil Lingelsheim als Mitglied des wichtigsten Kollegialgremiums der Kurpfalz an der Konfessionspolitik Heidelbergs nahm, muß noch genauer bestimmt werden. Dabei wird auch die von Press vertretene Meinung, daß Lingelsheim vor allem als irenisch gesinnter Gelehrter zu betrachten sei, hinterfragt werden müssen. Diese Frage muß im Zusammenhang mit der Rolle der späthumanistischen Gelehrtenrepublik als >dritter Kraft< noch einmal aufgeworfen werden. Es ist zu überlegen, in welchem Maße späthumanistisches Selbstverständnis die öffentliche Tätigkeit Lingelsheims prägte, der im entscheidenden Zeitraum, als die konfessionspolitischen Konflikte im Reich und in Europa auf ihre Eskalation hinsteuerten, immerhin fast drei Jahrzehnte als Ober79
So Szyrocki 1974, S. 37, u n d Ketelsen 1985, S. 122.
85 rat und damit in exponierter politischer Funktion in kurpfälzischen Diensten stand. Darüber hinaus wird in diesem vierten Abschnitt auch die Zeit nach Lingelsheims Flucht aus Heidelberg vor den Ereignissen des Krieges bis zu seinem Tod zu behandeln sein, nicht nur weil er noch einmal in die Kurpfalz zurückkehrte, sondern auch weil er als kurpfalzischer Politiker bis an sein Lebensende verfolgt wurde. Mit seinem öffentlichen Wirken ist aber nur ein zentraler Aspekt behandelt, der für eine biographische Beschäftigung mit Lingelsheim relevant ist. In die Zeit seiner Tätigkeit als Oberrat fiel die späthumanistische Blüte Heidelbergs. Seit Schnorr von Carolsfeld hat die Forschung stets diesen Kontext betont, sobald sie sich Lingelsheim zuwandte. Gerade hier lag ein Schwerpunkt der bisherigen germanistischen Forschungen, weil damit die entscheidende Frage nach dem Einsatz einer nationalen deutschsprachigen Dichtung verbunden ist. Diese Forschungen sind im anschließenden Abschnitt aufzugreifen. Es wird darum gehen, Lingelsheims Stellung im Heidelberger Späthumanismus und damit verbunden seinen Einfluß auf die Entstehung einer neuen deutschen Kunstdichtung darzustellen. Das bedeutet auch eine kritische Überprüfung des Forschungsstandes. Damit ist jedoch nur einer der Zusammenhänge umrissen, den es bei einer Untersuchung der Stellung Lingelsheims in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik und seiner Bedeutung als gelehrter Späthumanist zu beachten gilt. Ihn als Gelehrten aus seinem literarischen Wirken heraus zu charakterisieren, ist das zweite. Es wurde deutlich, wie groß immer noch die Verwirrung darüber ist, welche Schriften Lingelsheim zuzuordnen sind. Dieser Frage ist im letzten Abschnitt dieses Kapitels nachzugehen. Auch in diesem Zusammenhang wird erneut seine Rolle in der res publica litteraria zu untersuchen sein. Die enge Interdependenz von otium et negotium wird gerade an diesem Punkt evident. Er leitet zurück zu Lingelsheims Tätigkeit in kurpfälzischen Diensten, verweist aber darüber hinaus auf den Anspruch und die Bemühungen der - und ich übernehme hier die Formulierung Friedrich Heers mit allen damit verbundenen Implikationen - >dritten Kraft< im konfessionellen Zeitalter, sozusagen das irenische Gewissen in ihrer krisenhaften Zeit zu sein, eine Rolle, die schon die Zeitgenossen Lingelsheim zugewiesen haben: Cujus divini senis, seu potius praemonentis oraculi, non fortunae Principis, sed ipsi Principi consultum cupientis, moderata consilia, si prae calidis illis, qvae prima specie laeta erant, tractatu dura fiebant, eventu tristia desinebant, valuissent, res florentiore loco essent. 80
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Lindner: Umständliche Nachricht (1740-41), Bd. I, S. 61f.
2.
Georg Michael Lingelsheim: Eine biographische Skizze
2.1.
Herkunft und Familie
Georg Michael Lingelsheim wurde am 9. Dezember 1557 oder 1558 auf dem Territorium der Reichsstadt Straßburg geboren. Diese Angaben weichen, wie sofort erkennbar, von den übereinstimmend in der wissenschaftlichen Literatur bis in jüngste Publikationen hinein genannten Daten ab. Aus einem Brief Lingelsheims jedoch ergibt sich, daß die bekannten Angaben zu korrigieren sind.1 So erwähnt Lingelsheim in seinem Brief an Jacques Bongars2 vom 9. Dezember 1605 seinen Geburtstag: »Vellern te praesenti nos hodie saltem frui posse, eo quod annum aetatis XLVIII hodie ingredior«.3 Es gibt keinen triftigen Grund dafür, an dieser Angabe zu zweifeln, die eben, je nach Ansetzung der Zählung des ersten Lebensjahres, auf das Jahr 1557 oder 1558 verweist. Eine genaue Festlegung wäre wohl nur über die Taufbücher möglich. In den aus dieser Zeit im Archive municipale de Strasbourg komplett erhaltenen Taufbüchern fehlt der Name Georg Michael Lingelsheims jedoch. Erst seit 1561 lassen sich die Taufen seiner Geschwister in der Straßburger St. Thomas-Kirche feststellen.4 Die Reichsstadt war also nicht der Geburtsort Lingelsheims. Innerhalb ihres Territoriums muß er indes geboren sein, denn in seinen Briefen bezeichnet er Straßburg stets als seine patria. Mit diesem Begriff war im Verständnis der Zeit nicht nur die von Mauern umgebene Stadt, sondern auch ihr zugehöriges Territorium bezeichnet. Georg Michael war der älteste Sohn aus der am 4. Oktober 1556 zwischen Diebold Lingelsheim und Maria Hutter geschlossenen Ehe.5 Diebold wurde um 1528 in Straßburg geboren und hatte 1544 in das Collegium Wilhelmitanum als Stipendiat Aufnahme gefunden. 6 Dieses war im gleichen Jahr vom Magistrat der Stadt auf Betreiben Kaspar Hedios (f 1552) als Konvikt fiir arme Schüler
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Vgl. schon Lingelsheim 1922, S. 21, zum Geburtsort. Für die in den folgenden Abschnitten genannten Korrespondenten Lingelsheims sei jeweils auf die entsprechenden biographischen Kapitel in Teil II dieser Arbeit verwiesen. Lingelsheim an Bongars, 09.12.1605 (BBB: Cod. 141, Nr. 74, Bl. 102"). AMS: Baptêmes St.-Thomas Nr. 245 (1551-1570), 246 (1571-1583), 247 (1584-1593), 248 (1594-1618). Dazu im einzelnen auch die Angaben bei Lingelsheim 1922, S. 35-43. In der Nähe von St. Thomas lag, zumindest Ende der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts, das Wohnhaus der Familie, vgl. den S. 342, Anm. 503, zitierten Brief von Giphanius. Zu Diebold (Theobald) Lingelsheim der Eintrag von Jean-Paul Lingelser in: N D B A XXIV, S. 2387 (mit Angaben weiterer Literatur und v.a. Quellen aus dem AMS). Außerdem die Dissertation von Schindling 1977, S. 59 u.ö. Über die Mutter ist nichts bekannt. Zum Collegium Wilhelmitanum Erichson 1894, zu Diebolds Aufnahme dort S. 12.
87 gegründet worden. Daß Diebold Lingelsheim auf diese Schule kam, ist ein eindeutiger Hinweis auf die soziale Stellung seiner Familie, über die wir nichts wissen, die aber offensichtlich nicht zu den vermögenden und keinesfalls zu den ratsfähigen Bürgerfamilien zählte. Eine adlige Herkunft Georg Michael Lingelsheims kann auch deshalb auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Die weiteren sicheren Nachrichten über den Vater sind äußerst spärlich. Am 13. September 1552 immatrikulierte er sich an der Heidelberger Universität.7 Erst in den sechziger Jahren taucht sein Name wieder auf im Zusammenhang mit dem Straßburger Gymnasium illustre, jener 1538 von Johannes Sturm (1507-1589) gegründeten und von ihm geleiteten höheren Bildungsanstalt, die, wie sonst nur das Nürnberger Gymnasium, dem Bildungsbestreben eines städtischen protestantischen Humanismus im Sinne Melanchthons ihre Entstehung und ihr Blühen verdankt.8 Mit Sebastian Brant, Jakob Locher, Thomas Murner und Jakob Wimpfeling, um nur die Großen zu nennen, hatte Straßburg an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert glänzenden Anschluß an die humanistische Gelehrtenkultur der europäischen Renaissance gefunden. 9 Diese Entwicklung wurde von einem aufstrebenden Buchdruckergewerbe flankiert und gleichsam forciert.10 Das in Zünften organisierte städtische Bürgertum erkannte wie andernorts auch die Bedeutung humanistischer Bildung zum Ausbau und zur Sicherung der eigenen sozialen und politischen Positionen." Es setzte sich an die Spitze der humanistischen Bildungsreform, die sich mit der Gründung des Gymnasiums in Straßburg endgültig durchsetzte. Nach dem von Sturm aufgestellten Grundsatz >sapiens atque eloquens pietas< sollte ein humanistisches Programm der Sprachausbildung und somit der Bildung zu Weisheit und Tugend verwirklicht werden.12 Zu den Absolventen des Gymnasiums gehörte auch
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Vgl. Toepke, Bd. 1, S. 615. Zur Geschichte des Gymnasiums und der nachmaligen Akademie von der Gründung bis 1621 grundlegend Schindling 1977. Vgl. auch die gekürzte französische Version Schindling 1988 in dem Sammelband von Schang und Livet sowie die deutsche Zusammenfassung seiner Ergebnisse (Schindling 1977a). Für die nachfolgenden Jahrhunderte fehlt eine vergleichbare Darstellung; für die theologische Fakultät liegt aber neuerdings die Studie von Rother 2001 vor, die, als juristische Dissertation, v.a. die rechtsgeschichtlichen und kirchenrechtlichen Zusammenhänge untersucht, dies jedoch für den gesamten Zeitraum seit der Gründung des Gymnasiums bis in die Gegenwart. Zukünftig wären vergleichbare historisch fundierte Studien zu den übrigen Fakultäten dringlich zu wünschen. Einführend Manger 1983. Ein Gesamtbild der Epoche vom Einsatz des Humanismus in Straßburg bis zum Austritt aus der Union entwirft der Sammelband von Lebeau/Valentin 1985, außerdem der Abriß bei Vogler 1977 und, den Einzug des Humanismus unter der städtischen Elite untersuchend, ders. 1989. Ausfuhrlicher zu den historischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhängen unten die Einleitung zum Abschnitt Straßburg. Anhand der Entwicklung des Buchdrucks im 16. Jahrhundert untersucht Usher Chrisman 1982 den sozialen und kulturellen Wandel Straßburgs in dieser Zeit. Zur Geschichte des Straßburger Buchdrucks vgl. außerdem Ritter 1955. Nach wie vor die umfangreichste deutschsprachige Untersuchung zum Buchdruck und Buchhandel ist Stieda 1880. Dazu, den Aspekt der humanistischen Bildungsreform betonend, Schindling 1981. Vgl. neben der Darstellung von Schindling 1977 zu Sturms Bildungsideal Mesnard 1965 und 1965a. Zum pädagogischen Konzept Sturms außerdem die Ausgabe von Spitz und Tinsley 1995, die, mit einer ausfuhrlichen Einführung versehen, zentrale Texte Sturms in
88 Diebold Lingelsheim, dem der Rektor Sturm am 6. September 1564 sein Testimonium academicum ausstellte. 13 Es scheint nichts darauf hinzudeuten, daß der ältere Lingelsheim, wie verschiedentlich behauptet, bereits in den Jahren zuvor als Lehrer an dieser Hohen Schule tätig war. 14 Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß er hier seine akademische Ausbildung vervollständigte, und daß ihn Sturm danach, wie andere ehemalige Schüler auch, in das Lehrerkollegium berief. 1565 wird er zum ersten Mal als praeceptor der Septima erwähnt. 15 Am 1. Mai 1567 gehörte Diebold Lingelsheim zu den ersten, denen nach dem soeben erteilten kaiserlichen Akademieprivileg die Magisterwürde verliehen wurde. 16 Bis 1601 wirkte er als Lehrer am Straßburger Gymnasium, dann erhielt Diebold Lingelsheim unter Fortzahlung seiner vollen Lehrerbestallung die Emeritierung. 17 Der Vater Georg Michael Lingelsheims hatte also die Möglichkeiten, die sich durch die humanistische Bildungsreform dem Bürgertum und dort auch den ärmeren Schichten in einem nicht mehr von der Kirche, sondern einer weltlichen Obrigkeit dominierten reichsstädtischen Gemeinwesen darboten, zu einem, obgleich bescheidenen, sozialen Aufstieg genutzt. 18 Sowohl dem Selbstverständnis ihres Lehrkörpers und ihres Rektors nach als auch im Urteil der Zeitgenossen aber war das Straßburger Gymnasium illustre weitaus mehr als nur eine städtische Lateinschule. 19 Sturm hatte es als humanistische Musteranstalt konzipiert, deren curriculares Studienprogramm fur zahlreiche andere Schulgründungen Modell stand. 20 Der schnelle Erfolg seiner Schule in Straßburg und ihre weitere Entwicklung als Akademie blieben im 16. Jahrhundert untrennbar an die Erfolge der Reformation und später an die konfessionellen Konflikte in der wirtschaftlich und politisch mächtigen Reichsstadt geknüpft. 21 Der »esprit libéral«, 22 der in Straßburg unter dem Einfluß Martin Bucers bis zum Interim ein Klima relativer religiöser Toleranz geschaffen hatte, 23 wich allerdings seit der Jahrhundertmitte einer verstärkten Lutherisierung innerhalb des Rates und des Kirchenkonvents, der sich zunehmend dem orthodoxen Luthertum öffnete. 24 Der mächtige Kirchenratspräsident Johann Marbach (1521-
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englischer Übersetzung mit einem reichen Anmerkungsapparat edieren; hier auch eine gute Einführung in Leben und Wirken des Straßburger Rektors (Sturm: Ed., S. 1 9 ^ 4 ) . Vgl. A M S : A S T 3 2 6 , 2 1 , Bl. 208b. So wird er mitunter bereits seit 1549 als Lehrer des Konvikts benannt, vgl. N D B A X X I V , S. 2387, Lingelsheim 1922, S. 21, zuvor schon Erichson 1894, S. 20f. Fournier/Engel 1894, S. 83. Vgl. auch den Brief Sturms an Diebold Lingelsheim v o m M ä r z 1565 (in: STURM 1565, Bl. 10'-13 r ; englische Übersetzung in: Sturm: Ed., S. 271ff.). Schindling 1977, S. 63. Fournier/Engel 1894, S. 270. Z u m Zusammenspiel städtischer Verwaltungsreformen und Reformation in Straßburg die Untersuchungen von Abray 1985 und Brady 1978. Vgl. Schindling 1977, S . 3 5 f . Vgl. Seifert 1996, bes. S. 2 9 5 - 2 9 8 . Schindling 1977 hat das im einzelnen dargelegt. Dollinger 1953, S. 241. Vgl. dazu neben der Studie von Dollinger 1953 die entsprechenden Abschnitte bei Lecler 1965, Bd. I. - Zu Bucer sei die auf S. 329, Anm. 425, genannte Literatur verwiesen. Z u r Geschichte der Straßburger Kirche nach 1555 vgl. A d a m 1922, S. 2 7 7 - 3 6 8 . N e b e n der weiterhin maßgeblichen Darstellung Adams zur Straßburger Kirchengeschichte im Zeital-
89 1581) wurde als Führer der orthodoxen Partei zum Gegenspieler Sturms, um den sich in der Akademie die humanistische, eher antilutherisch ausgerichtete Opposition sammelte. 25 Marbachs Nachfolger Johann Pappus (1549-1610) schließlich ging aus diesem Streit, der sich in Straßburg unter dem Eindruck der Konkordienformel verschärfte und über die Akademie hinaus in die Stadt hineinwirkte, als Sieger hervor. Sturm, der mehrere Streitschriften gegen Pappus und die orthodoxen Lutheraner veröffentlicht hatte, wurde vom Rat 1581 seines Amtes enthoben. 26 Das geschah seitens des Rates nicht vorrangig aus konfessionellen Gründen, sondern vor allem aus dem Interesse der weltlichen Obrigkeit heraus, weitere Konflikte sowohl innerhalb der Stadt zu vermeiden als auch mit einzelnen auswärtigen Territorialstaaten, unter denen die Kurpfalz am entschiedensten Maßnahmen gegen den Rektor eingefordert hatte, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Proteste einer Ratsminderheit und von Teilen des Lehrkörpers, darunter Diebold Lingelsheims, gegen die Absetzung Sturms blieben erfolglos. 27 Seine Entlassung bedeutete zugleich das Ende eines irenischen Späthumanismus in der Tradition der Confessio Tetrapolitana in Straßburg. Auf die Seite des entlassenen rector perpetuus stellte sich ebenso wie sein Vater auch Georg Michael Lingelsheim, der damals gerade sein Studium an der Straßburger Akademie wiederaufgenommen hatte. 28 Einige der frühesten von ihm erhaltenen Briefe entstanden in dieser Zeit. Er versuchte seine damals noch wenigen Kontakte in der Gelehrtenrepublik im Sinne Sturms zu nutzen. In einem Brief an den ehemaligen Straßburger Professor und nunmehrigen Wiener Hofbibliothekar Hugo Blotius vom 15. Januar 1582 verurteilt Lingelsheim die Absetzung Sturms vehement und bittet ihn um Unterstützung in dieser Angelegenheit. 29 Auch an den berühmten ungarischen Theologen Andreas Dudith (1533—1589)30 richtete er e i n - h e u t e verlorenes - Schreiben. 31 Die Adressaten
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ter der Reformation außerdem Bomert 1981 sowie der Tagungsband von Livet/Rapp 1977. Zum Protestantismus im Elsaß der Überblick von Vogler 1977a. Zu den wachsenden Spannungen zwischen Sturm und den Straßburger Lutheranern unter der Führung Marbachs vgl. Rott 1974, Sohm 1912. Zu den Auseinandersetzungen und zur Entlassung Sturms vgl. Schmidt 1855, S. 178-220, der insbes. die Korrespondenz Sturms und Anschlußkorrespondenzen aus diesen Jahren heranzieht; jetzt auch Sturm: Ed., S. 41 ff. Titel der Schriften bei Rott 1975 (Nr. 129, 134, 136 u. 144). Dazu im einzelnen Schindling 1977, S. 137-142. S. unten S. 98. Lingelsheim an Blotius, 15.01.1582 (ÖNB: Cod. 9737 z l 6 , Bl. 216'" v ). Theologe aus Ungarn mit großem Einfluß am Kaiserhof. Zu ihm Costil 1935, der auf S. 34 u.ö. Lingelsheim zu den großen Verehrern Dudiths zählt; jüngst zu seiner diplomatischen Tätigkeit Kohlndorfer 2001, die hier erneut ein Beispiel für das Nebeneinander gelehrter und politischer Betätigung bietet, das von den Zeitgenossen nicht als Bruch empfunden wurde. Seine Korrespondenz wird seit einigen Jahren ediert (DUDITH 1992ff. [bisher fünf Bände für die Jahre 1554-1580; es fehlt der Bd. 5 für das Jahr 1576]). Lingelsheim stand mit Dudith in einem Briefwechsel (vgl. Costil 1935, S. 36), von dem bislang aber keine Zeugnisse aufgetaucht sind. Auf diesen nicht mehr erhaltenen Brief Lingelsheims weist ein Schreiben Jakob Monaus an den Mediziner und nachmaligen Straßburger Professor Melchior Sebisch vom 31.02.1582 hin, das sich in einer Abschrift im AMS befindet (AST 165, BL. 3 4 8 - 3 4 9 0 . Lingelsheim berichtet auch Savile in seinem Brief vom 29.01.1582 über diese Angelegenheit (BLL: Cotton MS Galba D. XIII., Bl. 2V).
90 beider Briefe waren geschickt gewählt, handelte es sich bei ihnen doch um einflußreiche Mitglieder des um Kaiser Rudolf II. versammelten Späthumanistenkreises, in dem auch nicht-katholische Gelehrte willkommen waren.32 Beide besaßen eindeutige Neigungen zu einem Protestantismus, der irenische Grundpositionen vertrat. Weder von Blotius noch von Dudith sind allerdings Antwortbriefe erhalten. Die Intervention des jungen Lingelsheim blieb ohne jede Wirkung, wie auch die von Johannes Sturm vor dem Reichskammergericht gegen seine Amtsenthebung eingereichte Klage erfolglos blieb.33 Die Eskalation des Konflikts zwischen dem Kirchenkonvent und Sturm lag in der seit 1578 noch einmal verschärften anticalvinistischen Haltung des orthodoxen Luthertums begründet. Sturm, der sich bereits Anfang der siebziger Jahre Calvinismusvorwürfen Marbachs ausgesetzt gesehen hatte, trat öffentlich als Gegner dieser Tendenzen in Erscheinung.34 Im Zuge der fortschreitenden »Lutheranisierung der Straßburger Kirche«35 und auch des Rates seit dem Interim hatte sich die Situation der calvinistischen Minderheit Straßburgs stetig verschlechtert, nahm der Druck auf sie zu. Überall im Reich verfestigten sich die Konfliktlinien zwischen den entstehenden Konfessionskirchen, seitdem der Calvinismus mit der erfolgreichen reformierten Konfessionalisierung in der Kurpfalz auch politisches Gewicht bekommen hatte. Bereits 1563 war der reformierte Gottesdienst in Straßburg verboten worden. Zwar förderte der Rat aus ökonomischen Gründen weiterhin die Aufnahme vermögender Calvinisten in die Bürgerschaft. Doch innerhalb der weltlichen Gremien verloren sie zusehends an Gewicht. Diese Entwicklung setzte sich bis in das 17. Jahrhundert hinein fort. Einflußreiche Ämter blieben Reformierten zunehmend verschlossen. Allerdings kam es in der Regel nicht zu Entlassungen städtischer Beamter aus Glaubensgründen. Dafür war der Magistrat zu sehr an guten auswärtigen Beziehungen zu den benachbarten Territorialstaaten und hier maßgeblich auch der Kurpfalz interessiert.36 Wie unversöhnlich die anticalvinistische Haltung in Straßburg zu Anfang des 17. Jahrhunderts das städtische Leben dominierte, wie wichtig der Obrigkeit aber auch diplomatische Rücksichten waren, zeigt sich beispielhaft an Diebold Lingelsheim. Zwar scheint er sich zeit seines Lebens niemals offen zum Calvinismus bekannt zu haben, doch die von ihm statt dessen offenbar auch nach außen demonstrierte konfessionelle Neutralität machte ihn im Denken der or32
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Allgemein zum Kaiserhof Press 1991a. Zur rudolfinischen Hofkultur bietet Evans 1980 (erstmals 1973) das Standardwerk, zur Kultur am Hofe Maximilians vgl. Edelmayer/Kohler 1992. Zusammenfassend jetzt (unter dem Aspekt einer späthumanistischen Hofkultur) Mout 2000 mit aller weiterfuhrenden Literatur. Außerdem zum literarischen Leben am Kaiserhof die beiden Untersuchungen von Trunz 1986 und 1992. Daß sie überhaupt angenommen wurde, zeigt indes, welche herausragende Bedeutung dieses Ereignis besaß. Vgl. oben Anm. 25. Adam 1922, S. 277. So erfolgte die Amtsenthebung Sturms auf maßgebliche Intervention der Kurpfalz (vgl. Schindling 1977, S. 140) in der Zeit, als diese unter Ludwig VI. lutherisch war und die Konkordienformel angenommen hatte.
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thodoxen Lutheraner nicht weniger, sondern wohl erst recht verdächtig.37 Der Kirchenkonvent wußte über ihn zu berichten, daß er erklärt habe, weder lutherisch noch calvinistisch zu sein.38 Die wenigen Quellen, fast ausschließlich Akten im Archive municipale de Strasbourg, lassen es nicht zu, die religiöse Haltung Diebold Lingelsheims eindeutig zu bestimmen. Doch es dürfte nicht verfehlt sein, auch bei ihm eine im Geiste Bucers auf den Ausgleich zwischen den protestantischen Parteien gerichtete, letztlich von einem erasmianischen Humanismus durchdrungene Einstellung anzunehmen, wie sie bei Sturm, wie sie ebenso im Lehrkörper des Gymnasiums vorherrschte. Inwieweit man aus einem Bericht aus dem Jahre 1589, daß Diebold Lingelsheim in seinem Hause calvinistische Studenten aufnähme,39 über diese Grundhaltung hinaus auf eine persönliche Sympathie mit dem reformierten Glauben schließen kann, muß offen bleiben. Für die orthodoxe lutherische Partei in Straßburg galt er unzweifelhaft als ein Calvinist. Nach seinem Tod Anfang 1609 verweigerte der Pfarrer des Münsters deshalb die Leichenpredigt. Erst nach massiven Protesten aus Heidelberg, sicherlich auch durch seinen Sohn Georg Michael Lingelsheim veranlaßt, verfugte der Straßburger Magistrat schließlich gegen den Widerstand des Kirchenkonvents ein christliches Begräbnis für den Verstorbenen.40 Georg Michael Lingelsheim war also der Sohn eines gelehrten Schulmeisters und entstammte einer reichsstädtischen Bürgerfamilie. Er wuchs auf im Milieu eines irenischen Protestantismus, wie er im Umkreis der ganz dem humanistischen Bildungsideal, durch vollkommene Eloquenz zu >echtermodernen< Territorialstaates in je unterschiedlicher Gewichtung und Interpretation einforderten.123 In der ihnen eigenen moralisch-didaktischen Intention widmeten sie der Erziehung der jungen Regenten besondere Aufmerksamkeit, um diese, weniger durch eine gelehrte Ausbildung als vielmehr durch eine geistige Erziehung, auf die humanistischen Ideale zu verpflichten. Hier bot sich ihnen ein spezifisches Tätigkeitsfeld geradezu an.124 In die Praxis dieser humanistischen Fürstenerziehung am Heidelberger Hof und Lingelsheims Aufgaben in dieser Erziehung können aus dem Briefwechsel zwischen Lingelsheim und Obertus Giphanius interessante Einblicke gewonnen werden. Gleich nach seinem Amtsantritt wandte sich Lingelsheim an seinen ehemaligen Straßburger Lehrer, der nunmehr an der Altdorfer Akademie wirkte. Aus dem erhaltenen Antwortschreiben des Giphanius ist zu erfahren, daß Lingelsheim ihn um Empfehlungen gebeten hatte, auf welche Autoren er seinen Unterricht stützen sollte. Die lange Autorenliste, die ihm Giphanius daraufhin zusandte, verdeutlicht, worauf die Humanisten bei der Fürstenerziehung Wert legten: zum einen auf die Erziehungs- und Staatslehre, zum anderen auf die kritische Philologie. Angeführt vom Fürsten des europäischen Humanismus, Erasmus, erhält Lingelsheim eine breite Auswahl humanistischer Autoren genannt, denen - wie Giphanius selbst einräumt - noch andere hinzuzufügen seien. Theologen fehlen. Von den antiken Autoren sollten - exemplarisch - Xenophon und Plutarch gelesen werden. Welcher Stellenwert der >modernen< Staatstheorie und damit auch Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche und dem Problem der christlichen pax und concordia beigemessen wurde, zeigt sich in der vornehmlichen Empfehlung (spät)humanistischer Autoren, darunter Jean Bodin 121 122
Denaisius an Lingelsheim, 18.06.1584 (SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 1'). Vgl. die entsprechenden Briefauszüge vom Oktober bzw. Dezember des Jahres bei REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 6 8 4 .
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S. dazu die Einleitung, S. 22ff. mit den entsprechenden Literaturangaben. Beispiele deutscher Dichter des Barock, die sich zunächst als praeceptores verdingten, bei Fertig 1979, S. 21f.; hier wird u.a. auch Opitzens Tätigkeit im Hause Lingelsheim erwähnt.
107 und François Hotman. Grundfragen der Politik und der Institutionen wollte Lingelsheim auf Basis einer Mitschrift der Straßburger Vorlesungen des Giphanius unterrichten, die er selbst als Student angefertigt und seinem Lehrer mit der Bitte um Korrektur und Ergänzung mit seinem Brief geschickt hatte. Titel werden von Giphanius nicht genannt, sie waren aber den Späthumanisten ohnehin präsent - und sollte Lingelsheim eine genaue bibliographische Angabe einmal nicht kennen, verweist ihn Giphanius auf die damals soeben in einer erweiterten Auflage erschienene Bibliotheca institvta et collecta Konrad Gesners.125 Da ansonsten keine Quellen über die Grundlagen des Unterrichts bekannt sind, den der praeceptor seinem fürstlichen Schüler angedeihen ließ, darf an dieser Stelle ausfuhrlicher aus dem Brief Giphanius' zitiert werden, der deutlich macht, auf welche breite Literaturbasis eine humanistische Fürstenerziehung nach der Empfehlung des Altdorfer Professors gegründet sein müsse: Tu mi Lingelshemi fac statim ut percurras libellos aliquot de principum institutione, cum ut in colloquiis et conviviis ut fit demonstres tuam diligentiam, tum ut inde aliqua interdum sumas ad usum principis tui. Scio hoc munus instituendi principis tibi cum praefecto quem vocant commune esse. Sed tuae partes non sunt minimae. Videbis igitur Xenophontis paediam Cyri, Plutarchi duos aut tres libellos, Erasmum, Foxium, Heresbachium, Vivem et si qui extant alii. In literis velim te parare tibi et legere diligenter philologos omnes, Camerarium, Victorium, Hartungum, Turnebum, Muretum, Iunium, Sigonium, Canterum, Pithoeum, Lipsium, Guilielmium, Fruterium, Dousam, Carrionem alios id genus; paucis et parvis libris adversariorum, novarum, variarum, antiquarum lectionum, verisimilium etc. optima quaeque in veterum scriptis explanant. Librorum nomina in Gesnero pleraque extant, ipsos petes Francofurto. Id quoque operam dabis, ut eos tibi pares scriptores, qui de república et de antiquitatibus scripserunt. In quo genere excellunt praeter veteres Cuspinianus, Fabricius, Larius, Onufrius, Sigonius, Gruchius, Hotomannus, Ant. Augustinus, Bodinus alii. Sed de aliis alias. Scripta quae tu tua in me benevolentia et amore tanti facis, diligenter tibi remittam. 126
Zur Bewältigung dieses umfassenden Bildungsprogramms war selbstverständlich die Beherrschung der lateinischen Sprache unabdingbar. Der Spracherziehung war nicht nur propädeutisch große Bedeutung zugemessen. Wie hier am besten Fortschritte zu erzielen seien, erfragte Lingelsheim in einem späteren Brief von Giphanius, der wiederum Rat erteilt.127 Daß sich Lingelsheim als junger praeceptor in diesen Fragen mehrfach um Hilfe an einen anerkannten Gelehrten wandte, dessen Student er einst selbst gewesen war und der ihm bereitwillig antwortete, gibt einen guten Einblick in das Funktionieren der engen kommunikativen Strukturen der res publica litteraria, in der das gelehrte Wissen im genuinen humanistischen Medium Brief über die Generationen weitergetragen und von den Angehörigen des Gelehrtenstandes in ihrer pädagogischen Tätigkeit weitergegeben wurde.
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Titel und kurze Einfuhrung in dieses große bibliographische Nachschlagewerk, das erstmals 1545 in Zürich erschien, bei Mittler [u.a.] 1986, Textband, S. 420f. Giphanius an Lingelsheim, 16.08.1584 (zitiert nach REIFFERSCHEID 1889, S. lf.). Giphanius an Lingelsheim, 29.01.1585 (REIFFERSCHEID 1889, S. 5). Vgl. auch Lingelsheims Brief an Grünrade, wahrscheinlich aus dem Spätsommer 1590 (SUH: Sup. ep. Bl. 155,_V), über die Fortschritte der lateinischen Erziehung des Kurprinzen.
108 Lingelsheims Aufgabe lag vor allem in der sprachlich-gelehrten Ausbildung des Kurprinzen, also in der Vermittlung des humanistischen Bildungsideals natürlich nicht im Sinne umfassender Gelehrsamkeit, sondern utilitaristisch auf die Bedürfnisse eines zukünftigen Kurfürsten ausgerichtet, also im Sinne einer allgemeinen Bildung zum Menschen. 128 Im Zusammenhang mit Lingelsheims Tätigkeit als praeceptor des Kurprinzen ist auch eine 1585 entstandene deutsche Übersetzung - oder genauer: Nachdichtung - des Baptistes sive Calumnia von George Buchanan (1506-1582) zu betrachten. Lingelsheim wird von Johannes Bolte, der diesen Text aus der Handschrift in der Universitätsbibliothek Heidelberg bekannt gemacht hat, als Übersetzer bezeichnet. Unzweifelhaft ist Bolte darin zuzustimmen, daß der Verfasser dieses Heidelberger Baptistes aus dem Umkreis der Erzieher Friedrichs stammte. 129 Der Frage, ob es Lingelsheim gewesen ist, ist später noch nachzugehen. 130 Der deutsche Text jedoch ist, zumal im Vergleich mit seiner neulateinischen Vorlage, überaus aufschlußreich dafür, mit welcher moralisch-sittlichen Zielsetzung Friedrich auf sein künftiges Amt als reformierter Herrscher vorbereitet wurde. Bereits Anfang der 1540er Jahre geschrieben, war die lateinische Tragödie erst 1578 im Druck erschienen, um einen Prolog erweitert und nunmehr dem schottischen Thronfolger Jakob gewidmet, dessen Lehrer der schottische Humanist inzwischen geworden war. 131 Buchanan gestaltet hier den Täufer-Stoff als Anklage gegen herrscherliche Tyrannei und religiöse Unterdrückung. Im historischen Kontext der calvinistischen Reformation und der schwierigen politischen Situation Schottlands im Verhältnis zur englischen Krone gewann dieser Stoff natürlich besondere Brisanz. 132 Buchanan aktualisiert die Geschichte von Johannes und der Königin Herodias, indem er aus der Perspektive des calvinistischen Widerstandsrechts heraus das Widerspiel veritas contra calumniam zugunsten der Wahrheit entscheidet, die »pro religione patriisque legibus« 133 128
Es heißt in der Bestallungsurkunde: Neben der Erziehung zum wahren Glauben sei es Lingelsheims Aufgabe, den Kurprinzen in der lateinischen und französischen Sprache zu unterrichten: »daruff er sonderlich bestellt ist« (zitiert nach Schmidt 1899, S. 61); außerdem oblag ihm die Aufgabe, den Kurprinzen mit den kurpfalzischen Ordnungen und Gesetzen vertraut zu machen. - Interessant ist, daß Lingelsheim 1608 auch den Unterrichtsplan des Kurprinzen Friedrich (V.) für die Sedaner Akademie begutachtete. Zwar übte er keinen Widerspruch gegen die ritterliche Erziehung, empfahl aber in einem handschriftlichen Bedenken, daß der Kurprinz v.a. dazu angeregt werden solle, »Caesaris commentarios, excerpta ex Ciceronis libris, apophthegmata et narrationes itemque Chronicon Philippi, Thuani historiam etc.« zu lesen (ebd., S. 309, Anm. 1). Der Verweis auf die Historia de Thous verdeutlicht, welcher große Stellenwert diesem Werk von Lingelsheim und auch innerhalb der Gelehrtenrepublik zugemessen wurde; vgl. dazu Kap. 3.2.2.3.4.
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So Johannes Bolte in seinem Kommentar zum Heidelberger Baptistes, S. 31. S. unten Kap. 3.2.2.2.1. Einfuhrend in Buchanans poetisches und dramatisches Werk Ford 1982, S. 1-113. Erstausgabe und weitere Editionen in der Bibliographie von Durkan, S. 58-65. Dazu die Einleitung in das Kap. England in Teil II. V. 1344, zitiert nach der kritischen Ausgabe von Steven Berkowitz (Buchanan: Baptites, S. 442). Hier auch eine englische Übersetzung aus dem 17. Jahrhundert. Eine moderne
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P r o s a ü b e r s e t z u n g bieten Sharratt u n d W a l s h ( • B u c h a n a n : Trag.).
109 moralisch legitimiert und sowohl calvinistisch als auch patriotisch eindeutig fundiert ist. Für diese Wahrheit, so der syllogistische Schluß in den letzten Versen, einen Märtyrertod zu sterben sei weniger zu fürchten, als in Sklaverei unter einem gottlosen Tyrannen zu leben (»exitum/ quam servitutem potius exhorrescimus«). 134 Daß der Herrscher ein Gottes Gesetzen unterworfenes weltliches Regiment führen und gegen den falschen Glauben, der dort wuchere, wo ein Tyrann herrsche, kämpfen müsse, ist natürlich für die politische Herrschererziehung ein moralisches Lehrstück par excellence. Zumal die Frage der vera religionis und das Recht auf Widerstand im Sinne der calvinistischen Lehre gelöst werden, ließ sich Buchanans Tragödie nachgerade ideal für das moralisch-religiöse Erziehungsprogramm des kurpfälzischen Prinzen verwenden. In der deutschen Nachdichtung kommen die konfessionspolitischen Zeitbezüge denn auch noch um einiges deutlicher zum Ausdruck als im neulateinischen Original. Der aktuelle Bezug zum Mandatum de non calumniando Johann Casimirs ist nicht nur bereits durch den Titel der Tragödie evident. Dort war nicht nur zur brüderlichen Liebe unter den Protestanten aufgerufen, sondern auch jede Ketzerei verdammt worden. Gemeint waren damit die alte Kirche und das Papsttum - d.h. mit den Worten des Chores am Ende des fünften Aktes: »die frembd abgötterei«. 135 Gegen deren Angriffe müsse der wahre Glaube der Reformierten verteidigt werden, durchaus auch auf dem Schlachtfeld. Der Administrator hatte das ja hinreichend praktiziert, für die kurpfalzische Politik blieb es bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges eine ständige Option. Durch den deutschen Epilog wurden die Gewichte gegenüber dem Buchananschen Baptistes in bezeichnender Weise verschoben: Nicht der Widerstandsgedanke, sondern die Verantwortung eines christlichen Fürsten für die Verteidigung des wahren Glaubens wird dem fürstlichen Adressaten am historischen Stoff gelehrt. Den jungen Kurprinzen erst einmal zum wahren Glauben zu fuhren und mit seiner Rolle als Verteidiger dieses Glaubens vertraut zu machen, ihn aber - so forderten es die zeitgenössischen Fürstenspiegel - ebenso auf ein gerechtes weltliches Regiment zu verpflichten, für das er auf kluge Ratgeber hören, sich dem >gemeinen Nutzem verpflichten und ebenfalls stets nur der Wahrheit folgen solle - das waren die moralisch-didaktischen Intentionen dieses Lehrstücks in seiner Heidelberger Version. 136 Sie werden durch den Epilog,
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V. 1359f., zitiert nach Buchanan: Baptites, S. 4 4 2 . - M i t diesem Aufruf zum Märtyrerkampf gegen die Tyrannei entspricht Buchanans Tragödie den politischen Theorien der Monarchomachen, zu diesen vgl. Stricker 1967 und die Einfuhrung von Dennert 1968; außerdem, allerdings in ihren historischen Wertungen teilweise überholt, die Arbeit von Treumann 1895. Zur Präsenz monarchomachischer Theoreme in der kurpfälzischen Konfessionspolitik vgl. Bildheim 2001, S. 99-135; sie besaßen Bedeutung für die Legitimation dieser Politik im Reich und in Europa, ohne indes Dominanz unter den führenden Räten zu gewinnen. - Zu Buchanans Stellung zum Widerstandsrecht vgl. auch Rohloff 1931, S. 7 3 76: Buchanan legte die Gedanken, die er im Baptistes vertritt, ausfuhrlich in seiner zwei Jahre nach dem Erstdruck erscheinenden Schrift De Ivre Regni apud Scotus dialogus (1580) dar; jetzt dazu außerdem, mit allerneueren Forschungsliteratur, Mason 2001. 135 V. 1903, zitiert nach Heidelberger Baptistes, S. 24. 136 Vgl. dazu im einzelnen Singer 1981, S. 11-47.
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der die Verleumdung des Apelles als Motiv aufgreift, sehr viel deutlicher herausgestrichen als in der neulateinischen Vorlage.137 Durch den Charakter als Lehrstück sind auch die Personen in dieser Tragödie moralisch und nicht historisch bedeutend. Ob der Baptistes am Heidelberger Hof zur Auffuhrung gelangte oder ausschließlich als didaktisch-moralisches Lesedrama für den Kurprinzen gedacht war, ist nicht festzustellen. Daß diese Dichtung, zumal mit dieser symptomatischen Zuspitzung der moralisch-sittlichen Aussage mit direktem Bezug auf die konfessionspolitische Situation der Kurpfalz als mächtigstem calvinistischen Territorium im Reich, überhaupt für den Kurprinzen entstand, verdeutlicht indessen, wie intensiv und massiv mit allen zur Verfugung stehenden Mitteln die >Umerziehung< des bis zum Tode seines Vaters ganz im lutherischen Glauben unterrichteten Friedrich zu einem Calvinisten im Sinne des Kuradministrators in Angriff genommen wurde. Selbstverständlich trug der ganze Erzieherkreis um Friedrich, zu dem später noch Solms, Pitiscus und Plessen hinzustießen, die Verantwortung für seine >richtige< religiöse Erziehung. Auch der vorrangig mit der sprachlich-gelehrten Erziehung betraute praeceptor mußte auf die angestrebte Konversion des Kurprinzen hinwirken. In diesen Jahren trat Lingelsheim in einen Briefwechsel mit dem bedeutenden reformierten Theologen Johann Jakob Grynaeus ein, in dem
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D a s wird im Epilog noch einmal deutlich formuliert: »Nichts giftigers kan werdn genent Inn dem weltlichen Regiment, Inn kirchen, schulen auch darbey Alß lesterung vnnd heicheley, Daher allein geflossen ist Deß deuffels eigner nam vnd list, [...] Sie wollen dieser lehr vnd sitt Vielmehr dann auch dem roten gold Immerdar sein vnd bleiben hold. Dan die werdn euch recht kömlich sein, So ir seiet getretten ein Inn ewern regirenden stand. Sehet zu, daß euch nicht zuhand Eins menschen adel, alter gros Mit verleumbdung vnnd falscher gloß, Daß von Sachen hoch vnnd wichtig, So nit erörtert vnd richtig, A u f f angebung einer parthei, Eh die andre verhöret sey, Ewr gnaden vrtheil feilen soll, Sonder die rechten schützen woll, Daß nit halten für warheit grund, Daß man iczunt darff sagen rund: Roß, manschaften, kriegsristung gut Schutzn furstenthum in sicher hut, Sondern volgen der warheit bloß. Dieselbe schuczt, mehrt, zirt mit mas!« (V. 2 0 3 7 - 2 0 7 4 , zitiert nach Heidelberger Baptistes, S. 27).
111 es mehrfach um Fragen der religiösen Erziehung des Kurprinzen geht. Wieder einmal also suchte Lingelsheim die Kommunikation mit einem älteren und >arrivierten< Gelehrten innerhalb der res publica litteraria. Grynaeus hatte sich 1584 im Streit mit Sulzer aus Basel abgewandt und eine Theologieprofessur an der Heidelberger Universität angetreten, an deren Reorganisation zu einer reformierten Hochschule er maßgeblich mitwirkte.138 Beide werden sich also in der kurpfalzischen Residenzstadt begegnet sein. Nachdem Grynaeus 1586 nach Basel als Nachfolger Sulzers zurückgekehrt war, entwickelte sich zwischen ihm und Lingelsheim ein Briefwechsel, den beide über mehrere Jahrzehnte bis zum Tode Grynaeus' im Jahre 1617 aufrechterhielten. Grynaeus war einer der wichtigsten Korrespondenten Lingelsheims in der Gelehrtenrepublik, zwischen beiden bestand eine stark durch theologische und konfessionelle Fragen geprägte Korrespondenz; der Basler Antistes wurde hierin der entscheidende Ansprechpartner und Ratgeber Lingelsheims durchaus auch im seelsorgerischen Sinne.139 Eine zentrale Frage stellt in diesem Briefwechsel immer wieder die nach dem Verhältnis von res publica und ecclesia dar. Das war nicht nur auf Seiten der Juristen für den Ausbau des Territorialstaates die entscheidende Frage, die besonders für die soziale Disziplinierung weitreichende Folgen zeitigte und Möglichkeiten schuf.140 Es ging dabei auch stets um das Problem, wie weit die Trennung zwischen Staat und Kirche durchzufuhren und welche Rechte den weltlichen Behörden im Kirchenregiment zuzugestehen wären. In der Kurpfalz war im Zuge der reformierten Konfessionalisierung unter Friedrich III. ein landesherrliches Kirchenregiment eingerichtet worden.141 Dem Kurfürsten und seinen weltlichen Beamten blieb die oberste Kontrolle über die Gemeindeverfassung und die Sittenaufsicht vorbehalten, wobei die strenge Kirchenzucht nach Genfer Vorbild unter Johann Casimir an Bedeutung verlor.142 Grynaeus, der in Basel nach seiner Rückkehr im Zusammenwirken mit dem Rat radikal eine reformierte Kirchenordnung in der Stadt durchsetzte,143 wünscht sich in einem seiner frühesten Briefe an Lingelsheim als Ziel der religiösen Erziehung Friedrichs zum Wohle der reformierten Kirche, »ut pietate
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Neue Statuten und eine neue Ordnung erhielt die Universität aber erst 1605, vgl. Hautz 1980, Bd. II, S. 135-140. S. auch unten S. 15 lf. Vgl. dazu oben die Einleitung, S. 29 mit Anm. 83. Von einer »Zweiten Reformation« möchte ich zumindest für die rheinischen Gebiete der Kurpfalz ganz im Sinne der Ausführungen von Press 1986b nicht sprechen; hier erscheint der Begriff der reformierten Konfessionalisierung angebracht. Die Entwicklung zum Calvinismus setzte noch unter Ottheinrich ein. Zum Forschungsstand und zur Diskussion über das Phänomen der »Zweiten Reformation« und der »reformierten Konfessionalisierung« vgl. den Tagungsband von Schilling 1986. Allerdings hatten sich innerhalb der kurpfälzischen Beamtenschaft stets Widerstände gegen diese strenge Kirchenzucht unter Friedrich III. geregt, auch nach dem Edikt von 1570, vgl. Wesel-Roth 1954, S. 70f. Daß in den reformierten Territorien des Reiches das vorrangige Interesse des landesherrlichen Gewaltausbaus eine natürliche Grenze für eine presbyteriale Kirchenorganisation nach Genfer Vorbild bildete, verdeutlicht die Studie von Münch 1978, zur Kurpfalz dort bes. S. 99-109 u.ö. S. unten Teil II, Kap. 2.2.1.
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avum, humanitate patrem fortitudine bellica et togata patruum referat«. 144 Es ist überaus bezeichnend, wofür im Blick auf die künftige Regierung des Kurfürsten Friedrich seine Vorgänger Vorbild stehen sollten. 145 Damit sind die zentralen Erziehungsziele der umfassenden Bildung des heranwachsenden Regenten ganz prägnant umrissen. Im religiösen Bereich, für den der praeceptor Lingelsheim natürlich nicht die Hauptverantwortung besaß, trug die Erziehung sehr bald Früchte. Im Alter von 15 Jahren konvertierte Friedrich - wie Bartholomäus Pitiscus ausdrücklich betonte: freiwillig 146 - zum reformierten Bekenntnis. Das entscheidende Erziehungsziel war damit erreicht. Den Büchern dagegen, der sprachlich-gelehrten Erziehung also, brachte Friedrich nur wenig Interesse entgegen; die einem jungen Prinzen standesgemäßen Vergnügungen des höfischen Lebens lagen ihm weit mehr am Herzen. 147 Die Führung in der Erziehung des Kurprinzen lag in Händen des Hofmeisters, dem der praeceptor Lingelsheim untergeordnet war. Sobald Grünrade aus Heidelberg abwesend war, erstattete ihm Lingelsheim brieflich regelmäßig Bericht über ihren Schützling. Aus den Jahren 1590 und 1591 sind zahlreiche Briefe von ihm an Grünrade erhalten. 148 Darin versorgt Lingelsheim den adligen Hofmeister immer auch mit den neuesten Nachrichten aus der Residenzstadt. Hier tritt erstmals in einem Briefwechsel Lingelsheims die offiziöse Funktion eines privat geführten Briefverkehrs hervor. Grünrade besaß großen persönlichen Einfluß auf Friedrich. 1592 wirkte er maßgeblich an der Reorganisation des Oberrats in Heidelberg mit; danach stieg er als Kirchenratspräsident zum wichtigsten Kirchenpolitiker der Kurpfalz auf. Lingelsheim besaß zu ihm ein überaus vertrautes Verhältnis. In Grünrade darf man deshalb eine entscheidende Figur für seine Berufung in den Oberrat sehen.
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Grynaeus an Lingelsheim, 05.08.1586 (BUB: A VI 45, Bl. 10r). Die mit dem Hinweis auf die Frömmigkeit des Großvaters angedeutete Wiedereinführung einer strengen Kirchenzucht, wie sie Friedrich III. einst (1570) gegen die philippistische Partei um Thomas Erast durchgesetzt hatte (vgl. Wesel-Roth 1954, S. 4 3 - 8 1 , Hepp 1993, S. 5 5 - 8 0 ) und wie sie Grynaeus selbst für die Basler Kirche durchsetzte, war jedoch keineswegs im Interesse der Oberräte nach 1592; in der neuen Kirchenratsordnung von 1593 wird sie nicht mehr erwähnt, vgl. dazu unten Anm. 209. Vgl. Hepp 1993, S. 195. Zur Erziehung Friedrichs vgl. Schmidt 1889, S. XLII, Press 1970, S. 3 6 9 - 3 7 3 , Hepp 1993, S. 194-197. Zu Grünrade vgl. unten in Teil II, Kap. 1.2.3.1.
113 2.3.
Ein späthumanistischer >Politiker< im konfessionellen Zeitalter: Lingelsheim als kurpfälzischer Oberrat (1592-1621)
2.3.1.
Lebensumstände und Familienverhältnisse in Heidelberg
Nachdem Lingelsheim mit dem Abschluß seines juristischen Studiums die gelehrte und fachliche Qualifikation für eine Tätigkeit in Fürstendiensten erworben hatte, bildeten die knapp acht Jahre als praeceptor am Heidelberger Hof eine Übergangszeit auch insofern, als er innerhalb der Gelehrtenrepublik einen Korrespondentenkreis und damit ein Netz gelehrter und persönlicher Freundschaften aufzubauen begann. Als praeceptor auch am führenden reformierten Hof im Reich stand Lingelsheim innerhalb der hierarchisch organisierten und denkenden Gelehrtenrepublik noch in einer untergeordneten Stellung. Lingelsheims Bestallung zum Oberrat am 1. Februar 1592 und damit sein Einrücken in eine einflußreiche politische Position bedeutete dann nicht nur einen entscheidenden >Karrieresprungpersönliche< Brief zum Mittel politischen Informationsaustausches zwischen gelehrten Beamten in Diensten verbündeter Mächte. Daß 286
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Dazu vgl. Asch 1996, S. 89-95 u.ö., ders. 1998, S. 102ff., Mason 1994, sowie die Einleitungen von Mcllwain 1918 (in: James I.: Pol. Works) und Sommerville 1994 (in: James I.: Pol. Writings). Indem Denaisius seine Übersetzung Kurfürst Friedrich IV. zueignete, überantwortete er ihm ebenfalls diese Rolle. An Loefen, 29.07.1605 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 271"). In seinem Brief vom 02.12.1614 (TRUMBULL 1936-95, Bd. V, S. 72).
146 Lingelsheim im Gegensatz zu den englischen mit den französischen Diplomaten und Politikern so intensive Briefwechsel führte, liegt aber in erster Linie am Freundschaftsgeflecht seines Korrespondentenkreises, das ihn mit den französischen Späthumanisten sehr viel enger verband. Es ist zugleich ein deutlicher Hinweis auf den fortschreitenden Spezialisierungsprozeß in der Aufgabenverteilung unter den Heidelberger Beamten der Zentralbehörden. Sprachliche Kompetenz war dabei übrigens nicht von Bedeutung: So bittet Andreas Paul in einem Schreiben vom Juli 1615 Trumbull darum, ihm zukünftig diplomatische Nachrichten in lateinischer oder französischer Sprache zukommen zu lassen, denn er habe von den letzten englischen Briefen selbst nur einen Teil verstanden, sich den Rest aber von Lingelsheim übersetzen lassen müssen.289 2.3.4.2.Moderate Positionen der >dritten Kräfte Lingelsheims Stellung zur kurpfälzischen Konfessionspolitik am Beispiel des niederländischen Konflikts Keine Rolle spielte Lingelsheim auch in der niederländischen Diplomatie der Kurpfalz. Die aufständischen Niederlande hatten nach vierzigjährigem Krieg im Jahre 1609 mit Spanien einen zwölf] ährigen Waffenstillstand vereinbart. Die Kurpfalz hatte sich, wie oben ausgeführt, mehr als jeder andere Reichsstand auf Seiten der Niederländer engagiert und verfugte über enge Kontakte zum Hause Oranien. 1613 gelang es Jakob I., die aus dem jahrzehntelangen Kampf wirtschaftlich und militärisch gestärkt hervorgegangenen Vereinigten Niederlande zu einem Anschluß an die Union zu bewegen.290 Seit seiner Reise zu Moritz von Oranien stand Lingelsheim mit dem späthumanistischen Gelehrtenkreis an der Universität Leiden in enger Verbindung. Johannes Gernand und er hatten im Frühjahr 1603 ihre Gesandtschaft auch dazu genutzt, die Leidener Universität zu besuchen, wo sie im philosophischen Hörsaal durch Daniel Heinsius mit einer Oratio überaus ehrenvoll begrüßt worden waren.291 D e r - u n d das verdeutlicht nicht zuletzt die akademische Lobrede Heinsius' - in der europäischen res publica litteraria damals bereits berühmte Lingelsheim knüpfte während dieses Aufenthaltes persönliche Kontakte zu Joseph Justus Scaliger und seinem Schülerkreis.292 Aus diesen persönlichen Begegnungen entwickelten sich in den folgenden Jahren mehrere Briefwechsel mit den Leidener Späthumanisten. Daß die während einer Reise zwischen Gelehrten persönlich geschlossenen Freundschaften in der Folge als Gespräche mit den abwesenden Freunden in Briefen ihre Fortfuhrung fanden, ist eine charakteristische Erscheinung für die kommunikativen Strukturen und die Freundschaftskultur der späthumanistischen Gelehrtenrepublik. Lingelsheims nieder289
TRUMBULL 1936-95, Bd. V, S. 275. 290 Vgl. Weiß 1966, S. 5. 291 »Oratio cum Theocritvm auspicaretur«. Die Rede ist der Ausgabe von Heinsius' Poematvm nova editio (1606) beigefügt (S. 302-317). Ihr geht eine Widmung »Nobiliss. ampliss. vv. Georgio Michaeli Lingelshemio[,] Ioanni Gernando, Ser. Electoris consiliarijs. D. D. D. Dan. Heinsivs.« voran (S. 301). 292 S. unten Teil II, Kap. 4.2.
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ländische Korrespondenzen waren sämtlich gelehrte Briefwechsel in diesem späthumanistischen Verständnis freundschaftlich-eruditärer Briefkultur und unterscheiden sich somit typologisch von seinen Korrespondenzen mit französischen und englischen >PolitikernMächte< stehende Beamte in ihren privaten Briefen quasi die diplomatischen Geschäfte, in die sie durch ihre Ämter täglich verwickelt waren, auf einer anderen Ebene fortführten. Ganz im Gegenteil bietet gerade diese Korrespondenz das beste Beispiel dafür, in welchem Maße Lingelsheim bei aller Übereinstimmung mit den Grundzügen der kurpfälzischen Konfessionspolitik im Reich und in Europa durchaus abweichende Positionen vertrat, die aus einer späthumanistisch-irenischen Grundhaltung herrührten, also sozusagen auf einer übergeordneten intellektuellen und religiösen Ebene gründeten. Diese sowohl intellektuelle als auch religiöse Distanz der Späthumanisten zu den konfessionspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den konfliktbereiten und kompromißunfahigen Religionsparteien und Fürsten in einer als überaus krisenhaft empfundenen Zeit findet in Lingelsheims gesamter Korrespondenz immer wieder ihren Ausdruck. Auch in seinen als politisch zu bezeichnenden Briefen, die er mit den französischen und englischen Diplomaten und den Protagonisten der kurpfälzischen Konfessionspolitik in den Heidelberger Zentralbehörden über die Jahrzehnte wechselte, klingen diese Töne vielfach durch. Der Briefwechsel mit Grotius, mit einem ebenso wie Langelsheim in wichtiger Stellung in einer frühmodernen Regierung stehenden Adressaten also, verdeutlicht mehr noch als andere Korrespondenzen Lingelsheims bis 1618 in seiner Geschlossenheit, daß unter den europäischen Späthumanisten auch am Anfang des 17. Jahrhunderts noch jenseits von Kirche und frühmodernem Territorialstaat, mit deren Geschicken sie über ihre Ämter vielfältig verbunden waren, in erasmianischer Tradition, wenn auch in der Regel nicht frei von konfessionalistischer Färbung, die Stimmen für einen Frieden in der Kirche und unter den Fürsten nicht verstummten.
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Diese Dominanz konfessionspolitischer Themen gilt nach 1613 insgesamt flir die Korrespondenzen Grotius' bis zu seiner Festnahme, vgl. Nellen 1983, S. 7. S. zu ihm Teil II, Kap. 4.2.4.
148 Der Freiheitskampf der Niederländer und das Schicksal des europäischen Protestantismus standen für die Zeitgenossen in einem untrennbaren Zusammenhang. Die Waffenstillstandsverhandlungen, die die Aufständischen mit Spanien erzwungen hatten, wurden von den europäischen Mächten genau beobachtet. Welche Bedeutung erfolgreichen Friedensverhandlungen von den Reformierten beigemessen wurde, welche Skepsis gegenüber Spanien zugleich aber bei ihm unauslöschlich eingeprägt blieb, drückt sich in Lingelsheims Schreiben an Grotius vom 3. Februar 1608 deutlich aus: Omnis Europa oculus iam coniectos habet in catastropham, qua de apud vos laboratur. Tot annis tanquam palaestra fuit, in qua pro Europae libertate certatum: inde iam quies reliquae Europae pendere videtur. Ego infidam illam gentem nihil sincere agere, persuasum habeo: itaque nil nisi insidias metuendas puto: sed votum tuum ad Pacem, praeclarum. 2 9 5
Die letzte Bemerkung spielt auf Grotius' Gedicht »Ad Pacem« an, das dieser mit seinem Brief vom 26. Januar des Jahres dem Heidelberger Freund geschickt hatte. 296 Dieses Gedicht, ein irenischer Aufruf zu Frieden und Versöhnung, deutet bereits religiöse Grundpositionen an, 297 die Grotius bald schon in den Konflikt der niederländischen Reformierten um die Prädestination an exponierter Stelle hineinziehen und schließlich zu seiner Gefangennahme fuhren sollten. Die Sehnsucht nach Frieden, die Lingelsheim in seinen Briefen vielfach zum Ausdruck bringt, gilt zunächst einmal der concordia unter den Protestanten. Das bildete, wie gesehen, einen Grundzug der Reichspolitik und der europäischen Diplomatie Heidelbergs und fand im religiösen Bereich sowohl innerhalb des kurpfälzischen Gesamtterritoriums als auch in der den deutschen Protestanten als Angebot unterbreiteten kurpfälzischen Irenik seine Entsprechung. In seiner Tätigkeit als Oberrat trug Lingelsheim diese kurpfälzische Konfessionspolitik mit. Daß er dabei für eine moderate Ausrichtung plädierte, deutet seine bereits zitierte Aufforderung an Loefen für die weiteren Unionsverhandlungen mit den protestantischen Reichsständen an. 298 Der dogmatische Streit unter den niederländischen Reformierten um die Prädestination läßt Lingelsheims irenische Haltung indessen noch deutlicher werden. Dieser zwischen den beiden Leidener Theologen Jacob Arminius 299 und Franciscus Gomarus Anfang des 17. Jahrhunderts ausgebrochene Streit erschütterte weit über die vereinigten Provinzen hinaus die europäischen Reformierten. Zwar hatten sich Arminius und seine Anhänger schon 1608 bemüht, dem kurpfälzischen Beobachter der Friedensverhandlungen, Hippolyt von Colli, zu versichern, »nolle se tarnen pacem 295
GROTIUS I928ff., Bd. I, S. 96. Ebd., S. 95. Eine kommentierte Edition dieses Gedichtes mit allen Verweisen auf vorliegende Interpretationen, die hier deshalb nicht nochmals aufgeführt seien, in Grotius: Poetry, S. 477ff.; dort auch die entsprechenden Auszüge aus den beiden eben angegebenen Briefen zwischen Lingelsheim und Grotius. 297 Kluge 1940 zeigt auf, daß bereits in den frühen Gedichten Grotius' dessen irenische Haltung deutlichen Ausdruck findet (S. 14f.; vgl. auch das entsprechende Kap. über Grotius' religiöse Dichtung ebd., S. 27-34). 2 «s S. oben S. 138. 299 Zur Debatte um die Lehre des Arminius vgl. Hoenderdaal 1975. 296
149 Ecclesiae turbare, aut dissidia movere«, wie Langelsheim an Bongars berichtet. 300 Da sich jedoch auch in den Niederlanden schon sehr bald die theologische Kontroverse zwischen den Remonstranten und Kontraremonstranten mit dem Ringen um die politische Vormacht zwischen Johan van Oldenbamevelt und Moritz von Oranien verquickte, ließ sich ein offener Konflikt in der niederländischen Kirche nicht mehr verhindern. 301 Lingelsheim bezieht in diesem Streit eindeutig Stellung. Es überrascht nicht, daß für ihn die tolerante Interpretation der Prädestinationslehre attraktiver war. Er neigte ganz auf die Seite seines Freundes Hugo Grotius, der die Feder für die Remonstranten führte und im Geiste eines irenischen Späthumanismus in seinen Schriften Lösungsangebote formulierte. 302 Mit seiner Sympathie für die remonstrantische Partei stand Lingelsheim, so weiß er Grotius zu berichten, unter den kurpfälzischen Politikern und Theologen allerdings weitgehend isoliert: Nostros plerosque animatos video in Aiminianos; sed ii non satis considerare mihi videntur, quid factione utrimque firmis subnixa subsidiis obtineri possit. Ego censeo, in istis libertatem quidlibet sentiendi permittendam; ita tarnen, ne pax turbetur, et in concionibus hae non neccessariae subtilitates agitentur. Deus vos respiciat, et reddat pacem Ecclesiae vestrae. 303
Dieser Friede in der niederländischen Kirche und darüber hinaus erstmals eine Bekenntniseinheit der europäischen Calvinisten wurden zwar auf der Dordrechter Synode erreicht. 304 Unter maßgeblicher Beteiligung der kurpfälzischen Delegation entschieden die aus allen reformierten Staaten und aus England zusammengerufenen Theologen die strittige Prädestinationsfrage jedoch in der strengen Auslegung der Kontraremonstranten. Diese dogmatische Festigung der reformierten Kirchen erzwang den Kirchenfrieden allerdings durch Intoleranz und Unversöhnlichkeit gegen die Remonstranten und damit gegen späthumanistisch-irenische Grundüberzeugungen. Es gibt in Lingelsheims Korrespondenz keine direkten Urteile über den Ausgang der Dordrechter Synode. Seine Erschütterung über das persönliche Schicksal des in Festungshaft genommenen Grotius und sein Einsatz für den in Folge der dortigen Abschiede ebenfalls unter Druck geratenden Leidener Professor für Griechisch und Geschichte Johannes Meursius deuten jedoch eine kritische Einstellung zu dieser Entwicklung an. In einem Brief an Meursius, der sich heftigen Angriffen aus der Universität ausgesetzt sah und seine Ämter ruhen lassen mußte, klagt Lingelsheim in drastischen Worten die Gegner der Remonstranten und damit doch in erster Linie die Theologen als Gegner der Gelehrten und der res publica an: »Tantumne esse odium factiosorum hominum, ut etiam scholasticam qvietem turbent et ob simultates [?] in República exercitas etiam in perniciem trahant, qvi [?] illarum [?] participes
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Lingelsheim an Bongars, 01.02.1608 (BONGARS 1660, S. 243). S. dazu die Einleitung in das Kap. Niederlande in Teil II. Das wurde auch deutlich in seiner positiven Beurteilung von Grotius' De imperio, das in Heidelberg auf Widerspruch stieß. Dazu Biundo 1956, S. 63f. Lingelsheim an Grotius, 04.01.1618 (GROTIUS 1928ff., Bd. I, S. 606f.). S. dazu die Einleitung in das Niederlande-Kapitel in Teil II mit der dort in Anm. 10 angeführten Literatur.
150 non fuerunt, sed tantum qvi eos coluerunt, qvos adversariorum potentia et factio perdidit.« 305 Die canones der Dordrechter Synode liefen, das wird an Lingelsheims Reaktion auf die Ereignisse von 1618/19 und aus seiner Neigung zu der gemäßigten remonstrantischen Partei im Vorfeld dieses internationalen calvinistischen Konvents erkennbar, seinem Wunsch nach moderatio als Fundament des durch die Kurpfalz mitzugestaltenden innerprotestantischen Ausgleichs und Friedens zuwider. Lingelsheims Haltung ist nur in einem weiteren, humanistischen Kontext verständlich, aus jener irenischen Grundposition, aus der heraus sich die Gelehrtenrepublik als dritte Kraft jenseits von Staat und Kirche formierte und artikulierte. Dahinter steht das erasmianische Denken, daß der Krieg, der den weltlichen Herrschern, dem Klerus und den Gelehrten süßer als der Friede erscheine, vielmehr Felder, Städte, Wohlstand, Frömmigkeit und die Früchte der humanitas vertilge. 306 Doch die Zeiten standen am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges anders: »Martia secula! & fere pax intutior bello ipso«, 307 klagt Lingelsheim etwa schon 1604 in einem Brief an seinen Straßburger Freund Junta. Das ist späthumanistische Zeitklage, die Verzweiflung der Humanisten an ihrer Zeit und auch an den Menschen. Die Hoffnung auf einen Frieden, auf einen dauerhaften und überall gültigen Frieden, gab ein Späthumanist wie Lingelsheim jedoch nicht verloren. Während die militante Partei in der kurpfälzischen Regierung um Christian von Anhalt den Krieg als Mittel zur Lösung der konfessionspolitischen Konflikte einkalkulierte, ja forcierte und in der niederrheinischen Krise die Entscheidungsschlacht riskieren wollte, hoffte Lingelsheim dagegen für den Jülicher Erbschaftsstreit in einem Brief an Loefen vom 10. Februar 1610 inständig: »Deus nos liberet a bello diuturno«. 308 Und wenige Monate später verband er die erfolgreichen Verhandlungen um die Beilegung des Partikularkonflikts im Hochstift Straßburg, an denen er selbst als offizieller Gesandter der Kurpfalz beteiligt war, in einem anderen Schreiben an seinen Schwiegervater mit dem bezeichnenden Wunsch: »nam pax ista quam fecimus limite Alsatiae continetur, vtinam in vniuersum obtineri posset.« 309 Den weltlichen Herrschern traute er die Lösung der Konflikte, den Aufbau einer friedlichen Welt für die >zukünftigen Generationen nicht zu. Schon wenige Jahre nach seinem Aufrücken in eine verantwortliche politische Funktion in der kurpfälzischen Regierung scheint Lingelsheims Skepsis, daß man sich für die Sicherung des Reichsfriedens nicht auf die Fürsten verlassen könne, sondern sein ganzes Vertrauen ausschließlich auf Gott richten müsse, wiederum in einem Brief an Loefen deutlich durch: »Germani Principes mala imminentia non
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Lingelsheim an Meursius, 02.10.1619 (SUH: Sup. ep. 60, Bl. 104v). Ich paraphrasiere hier, wie sofort erkennbar, Erasmus' Dulce bellum inexperlis (Erasmus: Krieg, nach der deutschen Übersetzung von 1987). Zum Friedensgedanken bei Erasmus zuletzt Krüger 2001, vgl. auch die in der Einleitung, Kap. 2, Anm. 77, genannte Literatur. Lingelsheim an Junta, 01.03.1604 (AYRMANN 1746, S. 599). Lingelsheim an Loefen, 10.02.1610 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 2880. Lingelsheim an Loefen, 14.08.1610 (ebd., Bl. 291').
151 animaduertunt, quae mala videbimus nos, filij, nepotes. sed viuit Deus, cui curam futurarum rer[um] com[m]ittamus. mala tarnen praesentia, et peccata quibus exitum nobis ipsi paramus me afficiunt et horreo.« 310 Das ist keine Einzelstimme. Grynaeus etwa zitiert in einem Schreiben an Lingelsheim aus der Zeit der niederländischen Waffenstillstandsverhandlungen Bongars, der ihm »de Principum concordia« geschrieben und ihn damit an ein Gebet des Paulus erinnert habe: »Ipse Deus patientiae & consolationis det vobis, ut eodem erga vos mutuo animo affecti sitis Kaxd Xpi^öv[!]; ut concorditer & uno ore celebretis Deum Patrem Domini nosti Jesu Christi.« 311 Es bleibt der ungebrochene Anspruch und das Selbstverständnis der Gelehrten auch in der späthumanistischen res publica litteraria, Sachwalter des Friedens und in letzter Instanz nicht den weltlichen Fürsten, denen sie in vielfaltigen Funktionen als Verwalter der irdischen Macht dienten, sondern einzig dem höchsten Herrscher verantwortlich zu sein. Es ist zugleich das Einfordern einer besonderen, einzig nach humanistischen Leistungsprämissen zu bemessenden Rolle in Territorialstaat und Konfessionskirche, um diese entsprechend mitzugestalten. Wie Lingelsheim sein Amt verstand, welche Aufgabe ihm auch aus religiöser Perspektive damit überantwortet zu sein schien, findet den markantesten Ausdruck in seiner umfangreichen und langjährigen Korrespondenz mit Johann Jakob Grynaeus. Dieser gratuliert ihm noch 1598 dazu, daß ihm durch seine Bestallung zum Oberrat gegeben sei, »inter bonos servire Consilio Dei in Reipub: Administratione«. 312 Nur wer Gott lebe, so der Basler Antistes, könne auch der Republik dienen, 313 denn diese erhalte ihre Ordnung einzig von Gott. 314 Lingelsheim selbst sieht dem ganz entsprechend seine Aufgabe darin, in der so offenkundigen elementaren Krise des Reiches seine Pflichten für Kirche und Staat unverrückbar zu erfüllen, alles zu tun, um durch seinen Rat das Beste für beide zu erreichen: Nam quocumq[ue] oculos conuertamus, in Jmperio omnia ruinam praesentem minatur, et in hoc corpore nihil vsquam sani comparet. atq[ue] adeö publice priuatimq[ue] videmur malum nobis accelerare. Sed praeest, vt recte mones omnibus Jmperijs Deus, qui non ob merita nostra nostri miseretur et poenas differt aut tollit: sed prout ipsi complacitum est. Jtaq[ue] ed respiciamus, nec defatigemur quisque in sua statione, officium grauiter facere; vt si scopum non Semper assequamur, neq[ue] mederi possumus malis, quae in nostra manu sita non sunt; saltem bonam seruemus conscientiam, et recordatione rectorum consiliorum nos solemur. 315
Mit seiner Tätigkeit ist somit im Selbstverständnis Lingelsheims eine religiös fundierte Aufgabenerfullung für die (reformierte) Kirche auf der einen, für die
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Lingelsheim an Loefen, 11.02.1596 (ebd., Bl. 220 r ). Grynaeus an Lingelsheim, 07.03.1609 (MlEG 1701, S. 143). Grynaeus an Lingelsheim, 30.06.1598 (BUB: G II 7, Bl. 467^. Grynaeus an Lingelsheim, 14.04.1597: »Vive tibi: occinit caro: Vive Deo, ait Spiritus Dei. Qui sibi vivere malunt, tandem & hoc experiuntur, se nec sibi nec Deo vixisse: ac proinde, n e c R e i p u b l i c a e . « (MIEG 1701, S. 132).
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Grynaeus an Lingelsheim, 01.09.1601: »Deus custos est Politiarum.« (ebd., S. 136). Lingelsheim an Grynaeus, 24.09.1601 (BUB: G II 7, Bl. 432 r ).
152 res publica, worunter sowohl die Kurpfalz als auch das deutsche Reich zu verstehen sind, auf der anderen Seite verbunden. Angesichts der von den Zeitgenossen bedrückend empfundenen Krisenhaftigkeit ihrer Gegenwart im allgemeinen, der Erfahrungen der Glaubenskriege, der Gefahren für die kurpfälzische Kirche und das kurpfälzische Territorium durch die katholischen Feinde im besonderen war es um so wichtiger, die übertragenen Aufgaben zum Wohle von ecclesia und res publica standhaft zu erfüllen. Dahinter stand bei Lingelsheim das Verständnis von Vaterland, von res publica und patria, das Justus Lipsius (1547-1606) in seinem politischen Neostoizismus entwickelt hatte und das die späthumanistische Auffassung vom Staat, seiner Regierung bzw. Führung und seinen Bürgern prägte. Lipsius überführte die antike Moralphilosophie in einer streng historischen und philologischen Methodik und Auslegung in einen politisch-theoretischen Neustoizismus, der als philosophia practica den Bürger zu einem politischen Menschen und die Fürsten zu idealen Herrschern erziehen wollte. In seiner Schrift De constantia legt er den von der Krise der Welt und den Kämpfen der Konfessionen bedrohten Bürgern die stoischen Tugenden constantia, patientia und firmitas als wirkungsvolle Mittel zum persönlichen Schutz vor aller Versehrung durch diese Übel dar, 316 in seinen Politicorum sive civilis libri sex verpflichtet er die Fürsten und ihre Ratgeber auf einen moralisch-sittlichen Kanon aus virtus, prudentia, pietas und iustitia für ihr verantwortungsvolles und tugendhaftes Handeln zum Wohle des Vaterlandes. Durch die Forschungen von Gerhard Oestreich sind diese beiden Hauptwerke des Neostoizismus und ihre Wirkungen auf die späthumanistische Gelehrtenrepublik und den frühabsolutistischen Fürstenstaat eingehend interpretiert. 317 Lipsius verwarf jede Form der Tyrannei, hielt aber an der Monarchie als bester Staatsform fest, wenn sich der Herrscher den stoischen Tugenden verpflichtet sah und seine Regierung mit dem klugen Rat seiner Beamten verantwortungsbewußt, gerecht und streng, kampfbereit zum Wohle des Vaterlands ausübte. Heuchelei und Ränkeschmieden mußten unter den Räten verpönt sein. Diese Gedanken fanden sich bereits im Epilog des Heidelberger Baptistes, wenngleich hier jeder Bezug auf die römisch-stoische Tradition fehlte. Ein Widerstandsrecht gegen den Tyrannen erkannte Lipsius nicht an. Diese Frage, von den calvinistischen Monarchomachen im Angesicht der französischen konfessionellen Bürgerkriege aufgeworfen, stellte sich ihm auch im niederländischen Aufstand nicht. 318 In der Kurpfalz stand diese Frage, das zeigte sich
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Oestreich 1969b, S. 39. Zur philosophiegeschichtlichen Bedeutung des Werkes Beuth 1990. Vgl. v.a. Oestreich 1989, 1975 und die 1969 im ersten Teil versammelten Aufsätze. Zu Lipsius (und seiner neostoizistischen philosophia practica) aber auch die oben in der Einleitung, Kap. 2, Anm. 57, angeführte neuere Literatur. Zur Wirkung der neostoizistischen Lehre auf den französischen Humanismus vgl. auch Jehasse 1976, S. 449-569; zur Rezeption in England im 17. Jahrhundert und somit in dem Jahrhundert des Bürgerkriegs vgl. Shifflett 1998, ihr zeitlich vorangehend die Untersuchung von McCrea 1997 zur LipsiusRezeption im politischen Denken und Handeln im Königreich zwischen 1584 und 1650. Zu Lipsius' Haltung im und zum Niederländischen Aufstand Mout 1985. - Zur Entwicklung des Widerstandsrechts in den französischen Religionskriegen vgl. Cardauns 1973 (allerdings mit der These, daß die Diskussion über das Widerstandsrecht mit dem Ende der
153 schon in der Abschwächung des bei Buchanan so deutlich artikulierten monarchomachischen Grundgedankens in der ßapfwiei-Nachdichtung, überhaupt nicht zur Diskussion, so sehr auch der ausschweifende und dem stoischen Tugendkanon sowie der calvinistischen Sittenstrenge äußerst fremde Lebensstil Friedrichs IV. die Kritik seiner Oberräte herausforderte. Dem niederländischen Gelehrten war ein konfessionell beschränktes Denken fremd. Seine politischen Schriften atmen einen überkonfessionellen Geist. Dies begünstigte ihre weite Verbreitung in ganz Europa seit dem Ende des 16. Jahrhunderts. Seine aus dem gleichen, keineswegs religiös indifferenten, vielmehr überkonfessionellen Denken überhaupt erst mögliche Rückkehr aus dem reformierten Leiden in das katholische Löwen brachte ihm dagegen die persönliche Mißgunst großer Teile der späthumanistischen Gelehrtenrepublik ein, die längst einem engeren konfessionellen Denken verhaftet war. Besonders seine späten mariologischen Schriften weckten die Verachtung von, mitunter auch Mitleid mit Lipsius, der allerdings als Gelehrter auch nach 1591 in der res publica litteraria unverändert Achtung genoß. Bezeichnend ist Lingelsheims Urteil in seinem Brief an Casaubon vom 21. Oktober 1604, nachdem Lipsius mit seiner Diva Virgo Hallensism hervorgetreten war, gegen die Denaisius eine von Lingelsheim geförderte scharfe Polemik verfaßte:320 Lipsium ego maxima feci Semper, vt optime de bonis litteris meritum, sed postquam ille in Pontificior[um] gratiam, mercenariam linguam praebet, foedissimis superstitionib. exornandis, et blasphemus in D e u m esse non veretur; iam mihi abominabilis est eius memoria, et reip. interesse puto, vt fucus hominis publice innotescat, ne ille auctoritate sua imperitos adolescentes in tenebras superstitionum praecipitet. 3 2 1
Hier wie an anderen Stellen seiner Korrespondenzen zeigt sich, wie groß Lingelsheims Wertschätzung trotz aller religiösen Vorbehalte ftir den Historiker und Philologen Lipsius blieb.322 Das scheint die These zu bestätigen, daß gelehrte Wertschätzung auch im konfessionellen Zeitalter keineswegs durch konfessionelle Mißachtung überlagert wurde, sondern beide Sphären von den Späthumanisten klar unterschieden wurden.323 Lipsius' neostoizistische Lehren ebenso wie
Hugenottenkriege aufhörte; vgl. dagegen zum veränderten Widerstandsgedanken unter den französischen Calvinisten am A n f a n g des 17. Jahrhunderts Kretzer 1988). Cardauns erkennt zu Recht in den Verfassern der entscheidenden W e r k e in Frankreich »Politiker«, die das Rüstzeug humanistischer Gelehrsamkeit nutzten, um staatstheoretische A u s w e g e aus den Religionskriegen zu entwerfen; allgemein zur Forschung und zur Entwicklung des Widerstandsrechts in Europa der Band von K a u f m a n n 1972 und jetzt insbes. der Forschungsaufriß von Friedeburg 2001a. Zur Diskussion um das Recht auf gewaltsamen Widerstand in den konfessionellen Bürgerkriegen Frankreichs, das auf Seiten beider Religionsparteien anerkannt war, Parrow 1993; insbes. zur Widerstandslehre auf katholischer Seite Quin 1999 (für die Zeit der französischen Bürgerkriege und Heinrichs IV. S. 19-341). 319 320 321 322
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Antwerpen: Plantin 1604. S. unten Kap. 3.2.2.1.3. A n Casaubon, 21.10.1604 (BLL: Burney M S 365, Nr. 84, Bl. 107 r ). Oestreich 1989, S. 193, erkennt in Lingelsheim sogar »einen besonderen Verehrer von Lipsius«. Vgl. dazu die Einleitung, S. 25ff.
154 die damit verbundene Tacitus-Rezeption wirkte wie auf alle Zeitgenossen so auch auf den gelehrten Heidelberger Oberrat ein. Das ist in Lingelsheims Briefstil zu erkennen, das wird an seiner Anerkennung der Verdienste Lipsius' um die bonae litterae deutlich, das spiegelt sich ebenso in der von den Zeitgenossen gerade bei Lingelsheim als charakteristische persönliche Grundhaltung immer wieder gelobten constantia. Inwieweit Lingelsheim, wie Oestreich vermutet, sogar die erste deutsche Übersetzung der Politik, die 1599 in Amberg durch den kurpfalzischen Sekretär Melchior Haganaeus veröffentlicht wurde, maßgeblich angeregt hat, ist aus Lingelsheims Korrespondenz nicht zu erkennen.324 Ein Briefwechsel zwischen beiden bestand jedoch zu keiner Zeit.325 Anders als Lipsius war Lingelsheim einem konfessionellen Denken verhaftet, das auch die Zusammensetzung seines Korrespondentenkreises beeinflußte, der eindeutig reformiert geprägt war. Die Interessen von Politik und Kirche blieben bei ihm untrennbar miteinander verwoben und aufeinander bezogen. Das wird in seiner Korrespondenz mit Grynaeus besonders deutlich. So sehr er sich auch in erasmianischer Tradition einen universalen Frieden in seiner krisenhaften und kriegsbelasteten Gegenwart wünschte, stand für ihn doch stets die Aussöhnung unter den Protestanten im Vordergrund, da den katholischen Feinden aller religiösen Wahrheit und insbesondere der Reformierten seiner Überzeugung nach nicht an einem Frieden lag. Seine irenische Haltung war ebenfalls konfessionalisiert. So weit wie Grotius, der eigentliche Erbe des Erasmus in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, ging Lingelsheim in seiner Zeit als kurpfälzischer Oberrat, gingen aber auch die meisten ihrer Zeitgenossen nicht. Grotius forderte in seinen späten Schriften den Gedanken von der Einheit der Universalkirche, von der pax Dei unter allen Christen und damit auch mit den Katholiken, er negierte schließlich sogar die von den Reformierten unantastbar vertretene Gleichsetzung von Papst und Antichrist.326 Lingelsheim teilte die Grundsätze der kurpfälzischen Konfessionspolitik im Reich und in Europa, die ganz massiv durch die auch bei ihm tief wurzelnde Sorge um das Schicksal der Reformierten beeinflußt waren. Inwieweit hier biographische Erfahrungen der in jungen Jahren und anläßlich des Todes seines Vaters erlebten Repressalien gegen die calvinistische Minderheit durch eine unversöhnliche Orthodoxie in Straßburg hineinspielten, ist eine spekulative Frage, die nicht zu beantworten ist. Seine Berufung zum Präzeptor auf der einen, seine Tätigkeit als Erzieher und als Oberrat auf der anderen Seite zeigen Lingelsheim als einen überzeugten Calvinisten, der fest zu seinem reformierten Glauben stand. Als Politiker gab es 324
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Vgl. Oestreich 1989, S. 75, ders. 1980b, S. 376. Paschen 1995, S. 136, erwähnt Lingelsheim mit keinem Wort; Press 1970 geht auf diese Schrift und auf Haganeus nicht ein. Vgl. das Inventar von Gerlo/Vervliet. Commentatio ad loca quaedam N. Testamenti quae de antichrislo agunt, aut agere putantur, expendenda eruditis (Amsterdam: Blaeu 1641). Zu seiner Irenik vgl. Posthumus Meyjes 1984 und zuvor Wolf 1969; einschlägig dazu auch die in dem Band von Nellen/Rabbie 1994 versammelten Aufsätze (insbes. die Beiträge von Heering zu Grotius' De Veritate Religionis Christianae und von Trapman, der die Einflüsse des Erasmus im Werk von Grotius untersucht). Dem irenischen und dem Friedensdenken bei Grotius widmen sich auch die Aufsätze von Gellinek 1984, die allerdings nur das Bekannte wiederholen.
155 für ihn neben den irdischen Reichen immer auch das höchste, das wahre Vaterland im Himmel. Daraus folgte eine doppelte Verantwortlichkeit, zum einen als Bürger bzw. Beamter gegenüber dem Fürsten und dem Gemeinwesen, zum anderen - und übergeordnet - als Christ gegenüber Gott. 2.3.5.
Die kurpfälzische Katastrophe: Lingelsheim und das böhmische Abenteuer Friedrichs V.
War der Brief in der zeitgenössischen Brieftheorie die Fortsetzung des Gesprächs mit abwesenden Freunden, so könnten Lingelsheims politische Korrespondenzen teilweise als die Fortfuhrung diplomatischer Konsultationen bzw. die Pflege zwischenstaatlichen Beziehungen auf einer als privat ausgewiesenen Ebene angesehen werden. Dadurch besitzt er einen größeren Anteil an der kurpfälzischen Konfessionspolitik als es zunächst im Vergleich mit anderen Räten und Beratern des Kurfürsten den Anschein hat. Aber er rückte nie in eine Stellung hinein, aus der heraus er wie Loefen oder Christian von Anhalt den Kurs der Reichs- und Europapolitik der Kurpfalz entscheidend mitgestaltete oder gar mitbestimmte. Zwar stellte es sich dem englischen Gesandten Sir Henry Wotton, mit dem Lingelsheim eine persönliche Freundschaft verband, bereits 1594 so dar, daß dieser auf Kurfürst Friedrich IV., seinen ehemaligen Zögling, großen Einfluß auszuüben vermochte.327 Man darf aber Volker Press in seiner Einschätzung folgen, daß Lingelsheim nicht die politischen und auch persönlichen Ambitionen wie sein Schwiegervater Michael Loefen besaß, um eine fuhrende Rolle in der kurpfälzischen Konfessionspolitik zu beanspruchen und auszufüllen.328 Zudem war er zu keinem Zeitpunkt ein Anhänger jener militanten reformierten Faktion, die mit dem Aufstieg Christians von Anhalt zum führenden Gestalter der kurpfälzischen Konfessionspolitik den Kurs der Heidelberger Regierung immer stärker radikalisierte.329 Lingelsheim zählte offensichtlich nicht, wie bei-
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Entsprechend berichtete Wotton an den Earl of Essex, vermutlich im Dezember 1594, vgl. Smith 1966, S. 300. Noch deutlicher wird die Stellung, die Wotton Lingelsheim zuschrieb in der englischen Übersetzung dieses Briefes in Salisburg 1915, S. 68, wo er prägnat als »chief favourite« des Kurfürsten bezeichnet wird. Vgl. Press 1970, S. 381. Eine Biographie Anhalts fehlt. Das Augenmerk der Forschung richtete sich ausschließlich auf seine fuhrende Rolle in der Eskalation der konfessionellen Konflikte in den Dreißigjährigen Krieg, doch weder seine Zeit als oberpfälzischer Statthalter noch sein Wirken in Anhalt sind untersucht. Ein von Press fiir die Verhandlungen des historischen Vereins flir Oberpfalz und Regensburg 128 (1988) mehrfach angekündigter Aufsatz über »Fürst Christian I. von Anhalt-Bemburg (1568-1631), Statthalter der Oberpfalz, Leiter der kurpfälzischen Politik« ist erst kurz vor Drucklegung meiner Arbeit erschienen, hgg. v. Franz Brendle u. Anton Schindling erschienen (Volker Press: Fürst Christian I. von Anhalt-Bemburg, Statthalter der Oberpfalz, Haupt der evangelischen Bewegungspartei vor dem Dreißigjährigen Krieg (1568-1630). In: Konrad Ackermann, Alois Schmid (Hg.): Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag. München 2003 [Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte, 139], S. 193-216); er konnte nicht mehr eingearbeitet werden. Das beste einführende Gesamtporträt bleibt bis dahin der Artikel von Friedrich Hermann Schubert in der N D B III, S. 221-225, für seine Rolle in der kurpfälzi-
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spielsweise Loefen, zu den Vertrauten Anhalts. Nachrichten über ihn finden sich in seiner Korrespondenz eher selten, ein Urteil über die Person oder politische Entscheidungen Anhalts fehlt. Er teilte aber zumindest die hohe Meinung seiner Zeitgenossen über Anhalts Fähigkeiten als Feldherr.330 Ein Briefwechsel zwischen beiden ist bislang nicht festzustellen.331 Lingelsheim gehörte im Oberrat der gemäßigten, d.h. der irenisch geprägten Faktion an; in seinen Briefen plädierte er für einen vorsichtigen, eben einen moderaten konfessionspolitischen Kurs Heidelbergs. Die irenischen Kräfte in der kurpfälzischen Regierung verloren jedoch um 1600 allmählich an Einfluß. Abgesehen von der Administration Johanns II. von Zweibrücken (1610-1614) dominierte die militante Faktion um Anhalt die kurpfälzische Konfessionspolitik in der Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges sowohl unter dem politisch wenig interessierten Friedrich IV. als auch unter dem durch höfischen Glanz leicht zu blendenden Friedrich V. 332 Christian von Anhalt, der stets auf der Suche nach Verbündeten für den von ihm als unausweichlich betrachteten Entscheidungskampf zwischen den Konfessionsparteien war,333 hatte schon früh Kontakte zu den böhmischen Protestanten geknüpft.334 Als 1617 unter eindeutiger Verletzung des ständischen Wahlrechts Erzherzog Ferdinand neuer König von Böhmen wurde, formierte sich eine Opposition der lutherischen Stände. Ferdinand hatte sich schon auf dem Regensburger Reichstag als unerbittlicher, kompromißloser Vertreter der Gegenreformation erwiesen und diese erfolgreich in Innerösterreich durchgeführt.335 Die Lutheraner mußten jetzt um die ihnen 1609 im sog. Majestätsbrief
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sehen Konfessionspolitik vgl. die beiden Untersuchungen von Schubert 1955 und Press 1970, jeweils das Register. Vgl. die Briefe Lingelsheims an Grünrade, 29.03.1591 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 166 r ), und an Colli, 05.02.1597 (ebd., Bl. 9 7 ) . Eine Korrespondenz zwischen Christian von Anhalt und Lingelsheim bestand ganz o f f e n sichtlich nicht. Anhalts Briefe aus diesen entscheidenden Jahren finden sich zu einem großen Teil im Landesarchiv Oranienbaum (Abt. Bernburg A 9a, 10 und 19); sie enthalten soweit ich feststellen konnte - keinen Hinweis auf Lingelsheim. In Lingelsheims Briefen wird Anhalt immer wieder erwähnt aus den Zusammenhängen der kurpfälzischen Politik heraus, ein persönliches Urteil äußert Lingelsheim an keiner Stelle. Doch die Nachrichten über ihn sind eher selten in seine Korrespondenzen eingestreut. Sein jüngster - und bester - Biograph (Pursell 2003) allerdings attestiert Friedrich V. v.a. Beharrlichkeit als größte Stärke, mit der er seine Ziele verfolgte; sie war vereint mit und fußte zugleich auf einer tiefen Religiösität. Friedrich sah sich zum Verteidiger des Glaubens berufen und versuchte unermüdlich, die Protestanten zu einigen, u m so die durch die Katholiken und bes. die Jesuiten gefährdete Reichsverfassung zu schützen. - Bilhöfer 2000 stellt dynastische Motive in den Vordergrund, die Friedrich zur A n n a h m e der böhmischen Krone bewegten; die kurpfälzische Politik dieser Zeit sei v o m Streben geleitet gewesen, »sich ihren [sie!] zwar reichspolitisch herausragenden, doch letztlich d e m Kaiser untergeordneten Rolle zu emanzipieren und ihre Interessen auf internationalem Parkett eigenständig zu vertreten.« (S. 248) Nicht nur an dieser Stelle wird seine Argumentation allerdings durch Formulierungsfehler, die wohl auf mangelnde Korrekturlesung zurückzufuhren sind, entstellt. Daneben aber erkennt auch Bilhöfer religiöse Motive: So sieht er Friedrich v o m Glauben an die Prädestinationslehre durchdrungen und deshalb von einer Erwähltheit für die böhmische Krone und die Verteidigung der >wahren< Religion überzeugt. Vgl. Press 1970, S. 451 f. Vgl. Krebs 1872, Uflacker 1926. Zu ihm einführend Albrecht 1990.
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zugestandenen Rechte fürchten. Sie beriefen eine Wahlversammlung nach Prag ein, die Ferdinand als Aufruhr verbot. Nach dem Prager Fenstersturz erhob sich die lutherische Opposition gegen den habsburgischen König. 336 Es gelang Anhalt, den Herzog von Savoyen zur Finanzierung einer Söldnertruppe zu bewegen, die unter Graf Ernst von Mansfeld den Aufständischen zur Hilfe eilte. Savoyen spekulierte selbst auf die böhmische Krone. Doch nachdem die Stände am 19. August 1619 Ferdinand für abgesetzt erklärt hatten, wählten sie eine Woche darauf Friedrich V. zu ihrem neuen König. 337 Zuvor war ihnen aus Heidelberg deutlich signalisiert worden, daß der Kurfürst die Krone annehmen würde. Anhalt hatte diese Entscheidung Friedrichs und seiner Gemahlin mit der Unterstützung Moritz' von Oranien und des Erzbischofs von Canterbury vorangetrieben. Warnungen von Teilen des Heidelberger Oberrats, keine übereilte Entscheidung zu treffen, blieben ohne Wirkung.338 Wie 1592 war der Oberrat in dieser Phase ebenfalls überaltert und nur begrenzt handlungsfähig. Zudem bildete er gegen Christian von Anhalt längst kein politisches Gegengewicht mehr.339 Lingelsheim gehörte auch in dieser Situation nicht zu denjenigen Oberräten, die vehement zur Annahme der Königskrone rieten.340 Die jugendliche Begei-
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Z u m Böhmischen Aufstand vgl. die Darstellungen von Sturmberger 1959, Gerteis 1983. Zur kurpfalzischen Politik in dieser Zeit vgl. neben den oben genannten Arbeiten zu A n halt weiterhin Gindely 1897, Tecke 1931, Weiss 1940 und nunmehr stets Pursell 2 0 0 3 als gegenwärtig auch beste Darstellung zur kurpfälzischen Politik vor und während des Dreißigjährigen Krieges. Zum Aufstand, der Zeit des Winterkönigs, der Kriegszeit und dem Friedensschluß in Prag, v.a. aber als schönes Porträt des Lebens und der Kultur im Prag der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts der prächtige Band von Sronik/Hausenblasovä 1998. Für Friedrich V. jetzt die eben genannte Untersuchung von Pursell 2003, die auf intensiven Archivstudien basiert und viele der älteren Urteile über den »Winterkönig« revidiert; sie ersetzt die älteren Arbeiten von Lipowski 1824 und Weiss 1933. Die Dissertation von Bilhöfer 2000 erreicht nicht die Souveränität in der Darstellung und Einbeziehung der historischen Zusammenhänge, die das Werk von Pursell auszeichnet. Zu Friedrichs »Innenpolitik«, die Pursell für seine Fragestellung kaum betrachtet, sind nach wie vor Häusser 1845, Bd. II, S. 2 4 7 - 5 1 9 (bis zu seinem T o d e reichend), und Press 1970, S. 4 7 9 - 5 1 5 (bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges) heranzuziehen. - In d e m Kontext, daß » m a n c h e Kritiker dem j u n g e n Kurfürsten Leichtsinn und mangelnden politischen Weitblick vorwarfen«, interpretiert Wilhelm Kühlmann auch Opitzens Sonett » V o m Wolffsbrunnen bey Heidelberg«, das im Jahr nach der Annahme der böhmischen Königskrone entstand: Hier fühlt sich der gelehrte späthumanistische Dichter, der die böhmische Königswahl mit Begeisterung begrüßt hatte (vgl. unten Anm. 342), dazu berufen, im Bewußtsein der daraus resultierenden politischen Gefahren einen moralischen Appell an den König zu formulieren, sich nicht auf den schönen Schein zu verlassen, sondern sich als Regent der Prämisse von Leistung, von » M ü h und Arbeit« zu verpflichten (Kühlmann 1996, S. 30f.). Vgl. Schubert 1954, S. 594; ders. 1955, S. 71; W e d g w o o d 1988, S. 88f. Press 1970, S. 489, sieht den Oberrat in dieser Phase politisch als weitgehend entmachtet an: »[...] der Oberrat war für Christian kein gleichwertiger Partner mehr. Opposition von Seiten der Räte gab es nicht«; er nennt als Gründe dafür die Überalterung und eine gewisse Schwerfälligkeit des Gremiums. Es ist signifikant, daß er nicht zu den Oberräten gehörte, die nach der Absage Maximilians, den die Kurpfalz statt Ferdinands z u m Kaiser hatte krönen wollen, über die politische Stimme Heidelbergs bei der bevorstehenden Kaiserwahl im Juli 1619 mit Friedrich V. berieten. Es nahmen teil: Solms, Grün, Plessen und Camerarius (vgl. Schubert 1955, S. 83, Bilhöfer 2000, S. 80, auch Häusser 1845, Bd. II, S. 309). Auch als im letzten M o m e n t vor der Abreise ein kaiserlicher Gesandter am 16.10.1619 beim Kurfürsten nochmals vor-
158 sterung, die die böhmische Königswahl etwa bei den jungen Heidelberger Dichtern um Opitz und Zincgref auslöste, teilte er nicht. Die Interpretation dieser Generation jedoch, daß Friedrich V. als »verae fidei defensor«341 seine ihm bestimmte Aufgabe angenommen habe und erfüllen werde, vertrat auch er.342 Inzwischen über sechzig Jahre alt und seit fast drei Jahrzehnten tagtäglich mit den konfessionspolitischen Angelegenheiten der Kurpfalz vertraut, analysiert er Pierre Dupuy in lakonischer Kürze diese Entscheidung seines Kurfürsten, die er als unbedingt notwendig im Interesse von Kirche und Staat legitimiert:343 Princeps Elector noster tandem persuaderi sibi passus est, ut delatum Regnum Bohemicum accipiat, eo quod si ipse recusaret porro, ad extrema redacti Bohemi perduci possent ad consilia rei Christianae exitiosa atq. eo deuentura res esset, ut limitem Turcicum habituri essemus, in ipsa ditione nostra Superioris Palatinatus.
Wenige Tage später berichtet Lingelsheim in seinem typischen klaren und deutlichen Stil dem Baseler Hebräisten Johann Buxtorf dem Älteren von dem bislang erfolgreichen Verlauf des böhmischen Unternehmens, ohne daß irgendeine abweichende oder in dieser Sache zurückhaltend-zögerliche persönliche Beurteilung erkennbar wird: Rex noster feliciter confecto itinere cum omni comitatu aduenit Pragam 21. Octobris, Gaudia publica vbiq[ue] testata, et summae beneuolentiae testificationes vbiq[ue], Sollemnia coronationis peragi debuerunt 25 Octobr. et 27. Regina coronari debuit. Hostis ex Bohemi & Morauii excessit, Transiluanus totam Hungariam tenet, ac Presburgi degit. Mansfeldius opida in quib. praesidiarios reliquerat Buquoenst 3 4 4 ] recipit, ac iam Gomnaum[?] obsidet. Omnia hactenus pro voto fluerunt. 3 4 5
Sehr bald schon wendete sich das Kriegsglück jedoch gegen Friedrich V. Der neue König hoffte vergeblich auf die dynastischen Verbindungen seines Hauses und die Erfolge der langjährigen kurpfälzischen Diplomatie. Auf Frankreich stand fast zehn Jahre nach dem Tod Heinrichs IV. nicht mehr zu rechnen. Die Niederlande waren durch ihre inneren Unruhen infolge der Dordrechter Synode geschwächt. Auch der englische König versagte seine Hilfe: Jakob I., einer der markantesten Verfechter der unverletzlichen göttlichen Legitimation, verzieh
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sprach, befand sich Lingelsheim nicht unter denjenigen, die Friedrich V. bei der Audienz um sich versammelte (es waren Solms, Anhalt und Camerarius), vgl. dazu Bilhöfer 2000, S. 137. Möglicherweise lag dies an seiner Erkrankung, die auch den Druck der Historia Thuani um zwei Jahre verzögerte, s. dazu unten S. 228. Ad Fridericum Bohemiae Regem (1619), S. 8. Das einzige Exemplar dieses Zincgrefschen Epos entdeckten Dieter Mertens und Theodor Verweyen in der KBK. Zur Unterstützung des böhmischen Abenteuers durch die jungen Dichter vgl. Garber 1984, S. 123f. Zu Opitzens begeisterter Oratio ad Serenissimum ac Potentissimum Principem Fridericum Regem Bohemiae vgl. Szyrocki 1974, S. 38f., Wels 1915; zuletzt die Teiledition mit deutscher Übersetzung in Opitz: Gedichte, S. 199-202; zu Zincgrefs Epos zuerst Mertens/Verweyen 1972, S. 147ff., jetzt auch Walter 1998a, S. 379. Lingelsheim an Dupuy, 15./25.10.1619 (BNP: Col. Dupuy 699, Bl. 253 r ); außerdem an Meursius am 02.10.1619 (Abschrift u.a. in der KBK: Gl. kgl. S. 4°3072, Bl. 203 v -204 r ). Der habsburgische Heerführer Graf Charles von Buquoy. Lingelsheim an J. Buxtorf d.Ä., Ol. 11.1619 (BUB: G l 60, Bl. 11'-").
159 seinem Schwiegersohn den Aufstand gegen das Reichsoberhaupt nicht und wollte seine spanische Politik nicht belasten.346 Durch die - mit der Stimme der Kurpfalz - nur zwei Tage nach der böhmischen Königswahl am 28. August in Frankfurt am Main erfolgte Wahl Ferdinands zum deutschen Kaiser war Friedrichs Vorgehen zu einem Aufstand gegen das Reichsoberhaupt geworden. Auch die reichsständischen Mitglieder der Union hielten sich deshalb mit ihrer Unterstützung zurück. Die Schlacht am Weißen Berg beendete alle kurpfälzischen Träume. Friedrich V. und sein Gefolge mußten ins niederländische Exil fliehen. Die protestantische Union brach auseinander. Das böhmische Abenteuer des >Winterkönigs< stellte somit gleichsam den Höhepunkt und das Scheitern der kurpfalzischen Konfessionspolitik der letzten Jahrzehnte dar. Christian von Anhalt, der maßgeblichen Anteil an der militärischen Eskalation der konfessionellen Auseinandersetzungen besaß, zog sich nach der Niederlage in Böhmen aus kurpfälzischen Diensten zurück und suchte die Aussöhnung mit dem Kaiser.347 Unter seiner Ägide hatte sich die Kurpfalz in maßloser Überdehnung ihrer konfessionspolitischen Ansprüche und in blinder Überschätzung ihrer realen politischen und finanziellen Möglichkeiten zu einer Politik der bewußt herbeigeführten Konfrontation verstiegen, die in der Katastrophe endete. Lingelsheim befand sich unter den kurpfälzischen Räten, die in Heidelberg verblieben waren und dort die Regierungsgeschäfte weitergeführt hatten. Bereits in seinem Schreiben an den älteren Buxtorf berichtet er von der Furcht, die in der Kurpfalz »a gravi et potentissimo hoste« ausgehe.348 In der Tat hatte die Kurpfalz den übermächtigen spanisch-ligistischen Truppen, die bald darauf einmarschierten, nur wenig militärische Gegenwehr zu bieten. Jakob I. versuchte, seine guten Beziehungen zu Spanien zum Einfluß auf den Kaiser zu nutzen, um seinen Schwiegersohn wenigstens vor dem Verlust der Kurpfalz zu retten. Lingelsheim hofft noch im Juli 1621 in einem Brief an Grotius (der inzwischen aus der Festungshaft nach Paris entkommen war) auf den Erfolg der englischen Verhandlungen in Wien, da die kurpfalzische Sache unübersehbar verloren sei: »Nostrae res propemodum deploratae, adeo desertissimus ab omnibus. Cogitur noster a soceri sui consiliis pendere, qui pacem ante omnia cupit; et spes est Baronem Digbeium, apud Caesarem legatum a Britanno, non frustra laboraturum.«349 Die englischen Vermittlungen scheiterten. Friedrich V., der sich inzwischen aus Prag zurückgezogen hatte, wollte seine Ansprüche auf Böhmen ebensowenig aufgeben wie auf die Kurwürde verzichten. Diese wurde 1623, nachdem er in die Reichsacht erklärt worden war, auf Herzog Maximilian I. von Bayern über346
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Zur Haltung Jakobs I. und seinen Vermittlungsbemühungen Weiß 1966, S. 17-79; vgl. auch BRIEFE UND AKTEN N.F. 1948ff., Bd. 1/2, S. 37 u.ö. Zuletzt auch, die Politik Englands und Frankreichs analysierend, Gotthard 2001. Dazu Schubert 1955, S. 102f. Zur Demission Anhalts auch ders. 1954, S. 597f. Lingelsheim an J. Buxtorf d.Ä., 01.11.1619 (BUB: G I 60, Bl. 11'). Lingelsheim an Grotius, 17.07.1621 (BRA: R 31 b , recto). Zu den englischen Friedensbemühungen auch Lingelsheim an Meursius, 17.08.1621 (KBK: Gl. kgl. S. 4°3072, Bl. 684"). Über die Kriegsereignisse unterrichtet Lingelsheim in dieser Zeit regelmäßig Sainte Catherine in seinen Briefen.
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tragen, ein Plan, der am kaiserlichen Hof lange beschlossen, wegen der englischen Vermittlungsversuche zunächst aber nicht verwirklicht worden war.350 Ein Friede, den Lingelsheim in seinem zitierten Brief an Grotius so inständig erfleht hat,351 war nicht mehr herzustellen. Heidelberg fiel im Herbst 1622. Die Besatzung der Stadt, von Zincgref in seiner bekannten »Vermanung zur Dapfferkeit« zum Aushalten im Kampf für das Vaterland und gegen die Tyrannen beschworen, hielt dem Ansturm der katholischen Übermacht nicht stand. Lingelsheim war bereits im November 1621 nach Straßburg geflohen. Teile seiner Familie hatte er schon einige Wochen zuvor dorthin evakuiert.352 Mit ihm waren auch die meisten anderen kurpfälzischen Beamten, die noch in der Stadt verblieben waren, geflohen: »Le Chancelieri353) est encores a Heidelberg ou il se sert Rosellus quil employe. Möns, de Plessen est a Schorrendorf pres Madame la Douairiere. Les deux Pawels!354) sont a Stutgard pres de leur beaupere Ram[m]inger. Schloeer et Burkard sont a Hailbrun«, schildert er Sainte Catherine Anfang 1622 den fortgeschrittenen Auflösungszustand in Heidelberg und schließt seine Beschreibung mit den lakonischen Worten: »voila com[m]ent nous som[m]es dispersez.«355 Nach fast vierzig Jahren in kurpfälzischen Diensten kehrte Lingelsheim nun als Flüchtling in seine patria zurück.
2.4.
Die letzten Lebensjahre
2.4.1.
Im Straßburger Exil (1621-1633)
Aus Straßburg hielt Lingelsheim zunächst noch den Kontakt nach Heidelberg.356 Drei seiner Söhne und eine Tochter waren zurückgeblieben.357 Sie hielten sich bis auf einen Sohn358 im Heidelberger Schloß auf, als dieses erobert wurde.359 Die Söhne trafen aber wenig später wohlbehalten in Straßburg ein.360 Lingels350
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Zum Streit um die pfalzische Kurwürde, auf die Friedrich V. nicht verzichtet hat und die erst mit dem Westfälischen Frieden wieder auf sein Haus, allerdings als neugeschaffene achte Kurwürde, zurückging vgl. Steiner 1985; vgl. auch zu den Verhandlungen darüber auf dem Westfälischen Friedenskongreß Albrecht 1998. Vgl. die verschiedenen Briefzeugnisse, die S. 148ff. zitiert worden sind. Seine Flucht schildert er in ergreifenden Worten in seinem Brief an Sainte Catherine vom 30.11.1621 bereits aus Straßburg (BNP: Fr. 4122, Bl. 92-93). Daß er seine Familie vorher evakuiert hat, schreibt er an denselben schon unter dem 22.09./02.10.1621 (ebd., Bl. 8 4 85). Zwei seiner Söhne verblieben jedoch zunächst in Heidelberg. Johann Christoph von der Grün. Andreas Paul und Karl Paul. Lingelsheim an Sainte Catherine, 07./17.01.1622 (BNP: Fr. 4122, Bl. 95'). Lingelsheim an Sainte Catherine, 19./29.03.1622 (ebd., Bl. 101'). Lingelsheim an Sainte Catherine, 07./17.01.1622 (ebd., Bl. 95'). Paul, der offenbar in Militärdienst eintrat, in Fredeberg in Gefangenschaft geriet (so Lingelsheim an Sainte Catherine am 24.01./03.02.1624 [ebd., Bl. 123 r ]) und später u.a. in Italien diente (07./17.04.1627 [ebd., Bl. 155"]). Lingelsheim an Sainte Catherine, 13./23.09. und 03./13.10.1622 (ebd., Bl. 109' bzw. 100'). Vgl. seinen Brief an Sainte Catherine, 17./27.10.1622 (ebd., Bl. 111'). Die mit dem kurpfalzischen Leibarzt und Heidelberger Medizinprofessor Petrus de Spina verheiratete Salome blieb allerdings zunächst noch in Heidelberg, weil sie schwanger war ( 13 ,/23.09.1622
161 heim hatte seine Möbel und bis auf wenige wichtige Bücher seine Bibliothek in Heidelberg zurücklassen müssen. 361 Nach der Eroberung der Stadt wurde sein Haus geplündert. 362 Die finanzielle Situation der Familie verschlechterte sich, in den Briefen aus diesen Jahren spricht Lingelsheim öfter von seinen Geldsorgen. 363 Zunächst rechnete er nicht auf einen längeren Aufenthalt in Straßburg. Noch im Frühjahr 1622 hegte Lingelsheim die Hoffnung, schon bald nach Heidelberg zurückkehren zu können. 364 Die Pläne zerschlugen sich. 1623 bezog er ein Haus in der Straßburger Vorstadt, in welchem, wie er an Sainte Catherine schrieb, einstmals auch Johann Casimir gewohnt hatte. 365 Zwar hatten sich in der Reichsstadt die Verhältnisse für die reformierte Minderheit nicht gebessert, doch der Magistrat gewährte in diesen Jahren zahlreichen Glaubensflüchtlingen Asyl. Den Aufenthalt Lingelsheims und seiner Familie erleichterte wesentlich, daß er das Straßburger Bürgerrecht besaß. In einem Rechtsstreit aus dem Jahre 1625 wird er ausdrücklich als »vnsers burgers« bezeichnet. 366 Die beste Quelle über die dramatischen Ereignisse in Heidelberg und die ersten Jahre im Straßburger Exil bilden Lingelsheims Briefe an Estienne de Sainte Catherine. Dieser war bis 1621 Resident des französischen Königs in Deutschland und in dieser Eigenschaft auch am Wiener Hof tätig. Die Briefe an Sainte Catherine, durchgängig in französischer Sprache verfaßt, zeigen zum einen (wie etwa auch die Briefe an Bosch), daß Lingelsheim auch nach seiner Flucht stets sehr gut über die politischen Ereignisse im Reich und vor allem die Aktivitäten der Haager Exilregierung informiert war. Zum anderen besitzen diese Briefe gerade für die dramatische Zeit der Flucht und der Ansiedlung in Straßburg einen überaus persönlichen Ton und bieten mehr als jeder andere Briefwechsel Lingelsheims bis dahin Einblicke in seine Lebensumstände und familiären Verhältnisse. In der persönlichen Katastrophe erreichen diese Briefe vielfach fast einen Ton und Gehalt, der wirkliche >Seelenspiegelung< und nicht rhetorisch prädisponiert ist. Wenige Wochen nach seiner Flucht griff Lingelsheim vorerst ein letztes Mal aktiv in die Geschicke der kurpfälzischen Politik ein. Es war dem in kurpfälzischen Diensten kämpfenden Söldnerfuhrer Mansfeld gelungen, kaiserliche Briefe abzufangen, die das Vorgehen des Kaisers gegen die Kurpfalz eindeutig kompromittierten. Lingelsheim bemühte sich um den Druck dieser Briefe, die von eminenter Bedeutung für die kurpfälzische Propaganda werden konnten. 367
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[ebd., Bl. 109 r ]). Sie mußten offenbar erst 1628 die Stadt verlassen (10./20.10.1628 [ebd., Bl. 160 r ]). Vgl. die in der Einleitung, Kap. 4, Anm. 24, beigebrachten Belege aus der Korrespondenz. Lingelsheim an Sainte Catherine, 03./13.10.1622 (BNP: Fr. 4122, Bl. ILO1); vgl. auch seinen Brief an jenen vom 07./17.07.1628 (ebd., Bl. 1580. So immer wieder in seinen Briefen aus den Jahren 1621 und 1622. Vgl. seine Briefe an Sainte Catherine vom 18./28.04.1622 und vom 20./30.05.1622 (BNP: Fr. 4122, Bl. 102'bzw. 1040. Lingelsheim an Sainte Catherine, 04./14.08.1623 (BNP: Fr. 4122, Bl. 1170. AMS: KS 456, Bl. 215, datiert 26.08.1625. Diese Angelegenheit durchzieht seine Briefe an den Kanzler Johann von der Grün im Jahre 1622. Sie finden sich unter diesem Aspekt ausgewertet in BRIEFE UND AKTEN N.F.
162 Später benutzten Plessen und Camerarius diese Schriftstücke für ihre publizistischen Kampfschriften, die von Den Haag aus im sog. Kanzleienstreit ein katholisches Komplott anprangerten und die Ansprüche des Kurfürsten auf seine verlorene Kurwürde einforderten. 368 Lingelsheim zog sich aber bald nach seiner Flucht aus der aktiven Politik zurück. Anders als etwa seine früheren Kollegen Plessen und Camerarius schloß er sich nicht der Haager Exilregierung an, auch wenn er Anfang 1622 zunächst noch mit dieser Möglichkeit zu rechnen schien. 369 Über die Gründe für seine Entscheidung ist nichts zu erfahren, möglicherweise gaben sein Alter und sein angegriffener Gesundheitszustand den Ausschlag. Allerdings hielt Lingelsheim vor allem über seinen Briefwechsel mit Ludwig Camerarius, der in diesen Jahren zum fuhrenden Politiker der kurpfälzischen Exilregierung aufstieg, Kontakt in den Haag. Es scheint allerdings, daß Lingelsheim teilweise noch über seine Korrespondenzen in die diplomatischen Bemühungen der Exilregierung involviert war, allerdings nicht in einer aktiven Rolle, sondern in der Funktion eines Vermittlers, der über seine Briefe Nachrichten aus dem Haag und an die Exilregierung weiterleitete. Er stand in den Jahren nach 1622 verschiedentlich, keinesfalls regelmäßig, mit Personen in Kontakt, die an zentralen Höfen und auf Verhandlungen der Reichsstände kurpfälzische Interessen verfochten. Es handelt sich hier um einen Kreis von Korrespondenten, die bereits vor Ausbruch des Krieges in kurpfälzische Dienste eingetreten waren und politische bzw. höfische Ämter bekleidet hatten, und die weit bis in die zwanziger Jahre ihre politische Tätigkeit für die Kurpfalz fortsetzten. Auch die Briefe an Sainte Catherine erwecken den Eindruck, daß Lingelsheim offenbar als ein Verbindungsmann zwischen der Exilregierung und dem französischen Hof fungierte, allerdings ebenfalls nicht offiziell, sondern unter dem Deckmantel einer privaten Korrespondenz. Die Niederlande hatten Friedrich V. mit seiner Familie, seinem Hof und seinen Beamten in Den Haag großzügig Asyl gewährt. Unter der Leitung von Ludwig Camerarius entfaltete die kurpfälzische Exilregierung von dort aus rege diplomatische Aktivitäten. 370 Den Haag entwickelte sich in diesem Jahrzehnt
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1948ff., Bd. 1/2, S. 487f. Später werden diese abgefangenen Schreiben von Ludwig C a m e rarius für seine zahlreichen publizistischen Kampfschriften herangezogen, vgl. dazu Schubert 1955, S. 121-129. Zum publizistischen Streit zwischen der kurpfalzischen und kaiserlich-bayerischen Seite vgl. Koser 1874, ergänzend Müller 1875. Zu den Schriften des Camerarius Schubert 1955. Vgl. seinen Brief an Sainte Catherine v o m 07./17.01.1622 (BNP: Fr. 4122, Bl. 9 5 0 - - I n den neueren Arbeiten von Bilhöfer 2000 und Purseil 2003 taucht Lingelsheim an keiner Stelle auf; eine offizielle, aus den von beiden ausgewerteten Akten und Dokumenten zu belegende offizielle Rolle in der kurpfälzischen Politik hat er in dieser Zeit auf keinen Fall mehr ausgefüllt. Zu den Aktivitäten und zur personellen Zusammensetzung dieser Exilregierung vgl. Schubert 1954. Außerdem die entsprechenden Kapitel in den Arbeiten von Bilhöfer 2000 und Purseil 2003. Z u m Verhältnis der Niederlande zu Friedrich V. Mout 1988, immer auch noch Gindely 1884, und nunmehr, sowohl die Politik als auch das Hofleben beleuchtend, Groenveld 2003. Jüngst erschien eine Biographie zur >Winterkönigin< von Lemberg 1996, die die Rolle Elisabeths in der böhmischen Frage und der Exilregierung anhand von
163 »zu einem Zentrum des internationalen protestantischen Widerstands«.371 England, Frankreich, Schweden und Venedig unterhielten hier Gesandtschaften, die Vereinigten Niederlande ihrerseits investierten bedeutende Summen in die Allianzbemühungen und Feldzüge dieser Mächte. Militärische Hilfe von den alten westlichen Verbündeten für eine Rückeroberung des verlorenen Kurfürstentums stand für die kurpfälzische Exilregierung nur äußerst begrenzt zu erwarten. Die Vereinigten Niederlande befanden sich seit 1621 wieder im Krieg mit Spanien, England wandte sich erst unter Karl I. von seiner gegenüber Spanien um Ausgleich bemühten Politik ab, Frankreich entschloß sich erst 1635 zu einem offenen Krieg gegen Habsburg. Die kurpfälzischen Exilpolitiker fanden zunächst nur unter den protestantischen Staaten Nordeuropas entschlossene Verbündete, die nacheinander gegen den katholischen Kaiser in den Krieg eingriffen. Zunächst Dänemark, dann nach der Niederlage und dem Rückzug Christians IV. Schweden, das 1630 in den Krieg eintrat und dessen König Gustav Adolf II. den bedrängten deutschen Protestanten als der neue Heilsbringer erschien.372 Bereits in der Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges hatte sich deutlich abgezeichnet, daß der von den Konfessionsparteien geschürte Konflikt zu einem großen machtpolitischen Krieg in Mitteleuropa fuhren würde. Nun wogte die Entscheidungsschlacht auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches über drei Jahrzehnte hin und her. Die kurpfalzische Frage war dabei nur ein partikulares Problem und verlor an Beachtung. Lingelsheim beobachtete die Kriegsgeschehnisse im Reich vom sicheren Straßburg aus, dessen Ausscheren aus der Union der Kaiser mit Sicherheitszusagen und dem Universitätsprivileg belohnt hatte. Allerdings werden seine Briefwechsel nach 1622 zusehends weniger. Viele seiner gelehrten Freunde waren längst gestorben. Nur Gruter lebte noch, außerdem einige jüngere wie Buxtorf und Grotius, wie Opitz, Venator und Zincgref. Neue Korrespondenzen, die über einzelne Briefe hinaus für einen längeren Zeitraum Bestand hatten, ergaben sich in den zehn Jahren des Straßburger Exils mit Ausnahme des Briefwechsels zwischen ihm und Camerarius nicht. Zu ihm und Sainte Catherine ebenso wie zum jüngeren Buxtorf, Grotius, Opitz und anderen hatte Lingelsheim jedoch schon vor Ausbruch des Krieges persönliche Kontakte hergestellt und Freundschaften begründen können.
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Briefzeugnissen beleuchtet, seit kurzem liegt außerdem eine schöne biographische Skizze vor von Marshall 2003; in englischer Sprache sind bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zwei größere biographische Aufrisse erschienen: Green 1909, Oman 1938. Lademacher 1983, S. 502. Zur publizistischen Verklärung bzw. Verketzerung des >Löwen aus Mittemacht< im Sinne einer heilsgeschichtlichen Argumentation Tschopp 1991. Die Darstellung Friedrichs V., Tillys und Gustav Adolfs in Flugblättern untersucht die Dissertation von Lang 1974. - Mit dem Eingreifen Schwedens begann die dritte Phase des Dreißigjährigen Krieges, die in der deutschen Forschung gemeinhin als der >schwedische< Krieg (1630-1634) bezeichnet wird. Zum Kriegsverlauf vgl. Parker 1991, S. 199-225, Press 1991, S. 218-228. Zu Gustav Adolf II. die lesenswerte Biographie von Barudio 1985, zum Kult u m ihn und seiner historiographischen Verklärung die auf Person und Leistung des schwedischen Königs vielfach ein neues Licht werfende Studie von Oredsson 1994.
164 Auch von seinen alten Straßburger Freunden lebte niemand mehr. So blieb Lingelsheims persönlicher Umgang in der Reichsstadt auf einen kleinen Personen- und den Familienkreis beschränkt. Venator und Zincgref hielten sich zeitweilig in seinem Hause auf.373 Träger einflußreicher öffentlicher Ämter, die längst den Calvinisten in Straßburg verschlossen waren, befanden sich nicht mehr unter seinen Straßburger Freunden. Auch zu den Professoren der Universität bestanden keine Kontakte. Eine Ausnahme bildete hier lediglich der Geschichtsprofessor Matthias Bernegger, eine der Schlüsselgestalten des oberrheinischen Späthumanismus. Er und Lingelsheim lebten in diesen Jahren eng zusammen, wobei der deutlich jüngere Bernegger die treibende Kraft der verschiedenen gelehrten und poetischen Editionsvorhaben war, die beide verwirklichten.374 Nach wie vor besaß Lingelsheims Name aber in der europäischen Gelehrtenrepublik einen guten Klang, ihm und Bernegger galten immer noch und immer wieder die Besuche junger Studierender auf ihren peregrinationes. Allerdings verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand Lingelsheims, fesselten ihn Erkrankungen häufiger für längere Zeit ans Bett.375 Eine Rolle, wie er sie einst im geistigen Leben Heidelbergs gespielt hatte, konnte der Exulant nicht wieder einnehmen. Dafür fehlte ihm die Voraussetzung eines einflußreichen öffentlichen Amtes, das ihm als Calvinisten in der Reichsstadt ohnehin nicht offen gestanden hätte, dafür fehlte ihm ebenso die Verankerung im gelehrten Leben Straßburgs, dafür fehlte ihm sicherlich aber auch in seinem fortgeschrittenen Alter und angesichts seiner angegriffenen Gesundheit die Kraft.376 »Publica hic non attingo, quum nihil laeti nunciare habeam, et deploratio malorum imminentium, molesta sit«, beschreibt er fast schon ironisch seine Situation in einem Brief an den jüngeren Buxtorf im Jahre 163 0.377 Immerhin, so läßt sich dem gleichen Brief entnehmen, besaß Lingelsheim noch die geistige Vitalität, in dieser Zeit die hebräische Sprache zu erlernen.
2.4.2.
Rückkehr in die Kurpfalz und Tod (1633-1636)
Zu dieser Zeit schien jede Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Krieges längst vergeblich. Den Signalen, die der Kaiser an die Protestanten aussandte, mißtraute Lingelsheim nach wie vor zutiefst. »Caesarem cupidum pacis etiam nobis nunciatur«, schreibt er beispielsweise unter dem 27. Januar 1628 an Bosch, um dann sogleich einzuschränken: »sed cur retinetur exercitus, cur novae copiae conscribuntur.«378 Seine Zweifel schienen sich im folgenden Jahr zu
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S. dazu unten die entsprechenden Kap. zu beiden in Teil II. S. unten S. 202, weiterhin Kap. 3.2.2.3.5. und den Bernegger-Abschnitt in Teil II. 375 In den Briefen aus diesen Jahren finden sich immer wieder Nachrichten von Erkrankungen, vgl. unter vielen anderen Beispielen den Brief an Sainte Catherine, 11./21.03.1622 (BNP: Fr. 4122, Bl. 99'). 376 Allerdings besaß er noch genug Energie, um seine Rechte an der Bibliothek Bongars' gegenüber der Stadt Bem geltend zu machen. Vgl. dazu unten Teil II, Kap. 2.2.5. 377 Lingelsheim an Johannes Buxtorf d.J., 12.02.1630 (BUB: G I 60, Bl. 14'). -"8 Lingelsheim an Bosch, 27.01.1628 (BSB: Clm 10388, Bl. 39'). 374
165 bestätigen, nachdem Ferdinand II. auf der Höhe seiner Macht das Restitutionsedikt erlassen hatte. Lingelsheim sieht jetzt in einem Brief an Grotius aus dem Frühjahr 1629 die Sache der Calvinisten und jede Libertät im Reich endgültig verloren: »Omnes libertas apud nos periit. [...] Ita Calvinistrae miseri profligantur ex Imperio.«379 Durch das Eingreifen Gustav Adolfs änderte sich die Lage im Reich aber bald darauf zugunsten der deutschen Protestanten.380 Auch die Restitution des verlorenen kurpfälzischen Territoriums an den Kurfürsten gelang mit Hilfe des schwedischen Königs. Im Mai 1633 eroberten die schwedischen Truppen Heidelberg zurück. Ludwig Philipp, der Bruder des fast gleichzeitig verstorbenen Friedrich V., wurde wieder in die Herrschaft eingesetzt. Er war allerdings nicht mehr als ein schwedischer Satrap, an den Gustav Adolf hohe finanzielle Forderungen stellte und dem er die Glaubensfreiheit für die Lutheraner abverlangte.381 Dem über fiinfundsiebzigj ährigen Lingelsheim bot sich in dieser Situation noch einmal die Gelegenheit einer Rückkehr nach Heidelberg. Nach elf Jahren im Exil brach er Mitte Juli 1633 aus Straßburg auf.382 Ob er nach seiner Rückkehr - wie verschiedentlich in der Literatur behauptet - wieder in sein früheres Dienstverhältnis eintrat, läßt sich nicht sicher feststellen.383 Seine Korrespondenzen versiegen in dieser Zeit fast völlig; auch wenn erneut von Briefverlusten ausgegangen werden kann, nimmt die Zahl seiner Briefwechsel in den letzten Lebensjahren doch immer weiter ab. Allerdings kümmerte sich Lingelsheim offensichtlich intensiver um den Wiederaufbau der Heidelberger Universität.384 Sein Wunsch, seinen in Straßburg wegen kryptocalvinistischer Verdachtsmomente inzwischen in persönliche Bedrängnis geratenen Freund Bernegger als Professor nach Heidelberg zu locken, scheiterte jedoch. Nach langem Zögern lehnte Bernegger in seinem Brief an Lingelsheim am 7. Dezember 1634 ab.385 Es erwies sich bald, daß diese Absage äußerst klug gewesen war, denn nach der Niederlage der Schweden bei Nördlingen am 6. September 1634 verschoben sich die Gewichte am Rhein wieder zugunsten der katholischen Truppen, die 379
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So Lingelsheim an Grotius, 17.04.1629 (BRA: R 31 c ). Zum Restitutionsedikt und seinen reichsrechtlichen Folgen vgl. Heckel 1983, S. 145-150 (mit weiterer Literatur auf S. 251). Dazu, neben den in Anm. 4 auf S. 252 zitierten Darstellungen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Langer 1998. Vgl. Schaab 1988-92, Bd. II, S. 117f.-Einfilhrend zu Philipp Ludwig die Artikel in der ADB XIX, S. 580f. (Wille), und der N D B XV, S. 415f. (Rödel). Von seiner Ankunft in Heidelberg unterrichtet er sofort Bernegger am 31.07.1633 (BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 2 1 ) .
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Nach Bünger 1893, S. 380, kehrte Lingelsheim in sein früheres Dienstverhältnis zurück. Das behauptet auch Palm 1871, S. 13, und ders. 1877, S. 229. Aus den Briefen dieser Zeit ergeben sich allerdings keine konkreten Anhaltspunkte dafür. Vgl. Lingelsheims Briefe an Bernegger, 31.07.1633 (BERNEGGER 1670, S. 21) sowie an Johannes Buxtorf d.J., 07.10.1633 (BUB: G I 60, Bl. 16r), denen er jeweils über die Bemühungen zur Restituierung der Akademie berichtet. - Zur Geschichte der Heidelberger Universität unter der bayerisch-katholischen Besatzung Press 1985. Bernegger an Lingelsheim, 07.09.1634 (vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 919, der dort die bei BERNEGGER 1670, S. 80, ausgelassene Stelle aus der Abschrift SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 127 ergänzt). Diese Angelegenheit dominiert ihre Korrespondenz in den Jahren 1633/34.
166 erneut in die Kurpfalz eindrangen und Heidelberg einnahmen. Lingelsheim mußte ein weiteres, ein letztes Mal fliehen. Noch im September 1634 wandte er sich vor den herannahenden feindlichen Truppen nach Frankenthal,386 das wegen seiner starken Befestigung Sicherheit versprach. Doch auch diese Feste wurde gestürmt. Obwohl die Kapitulationsurkunde den Bewohnern der Stadt Sicherheit garantiert hatte,387 wurde Lingelsheim im Frühjahr 1636 inhaftiert.388 Ganz offensichtlich bewertete die katholische Seite seine Rolle in der kurpfälzischen Konfessionspolitik überaus hoch. Ihr waren 1622 zahlreiche Schriftstücke der Heidelberger Kanzlei in die Hände gefallen, die nach München geschafft und dort ausgewertet worden waren. Sie befinden sich noch heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München.389 Lingelsheim, der vornehmlich mit den Angelegenheiten der Kanzlei, über die die gesamte diplomatische Korrespondenz lief, betraut gewesen war, taucht in diesen Papieren natürlich häufig auf. Zudem war er der letzte Überlebende aus dem Heidelberger Oberrat, der jene aus katholischer Perspektive feindselige Politik mitgetragen und mitbestimmt hatte. Auf einer kurbayerischen Proskriptionsliste aus dem Jahre 1625 steht sein Name, noch vor Räten wie Karl und Andreas Paul, die nach 1622 in kurpfalzischen Diensten verblieben waren, an erster Stelle unter denjenigen Personen, die an der kurpfälzischen »Rebellion« gegen den Kaiser beteiligt gewesen seien.390 Zu dieser Beurteilung Lingelsheims mag auch seine den konfessionellen Gegnern wohl kaum verborgen gebliebene Mitwirkung an den Editionen des Bongarsschen Anti-Bellarmin, der Historia Thuani und des Hotmanschen Syllabus beigetragen haben.391 Das waren Werke einer über die konfessionellen Grenzen hinausdenkenden und irenische Alternativen für den Frieden unter den Christen anbietenden späthumanistischen Intelligenz, die der katholischen Allianz von Papst, Spanien und habsburgischem Kaiser mit ihrem absoluten Anspruch auf res publica und ecclesia verdächtig erscheinen mußten. Diese Werke, auf die im folgenden Abschnitt noch näher einzugehen sein wird, bildeten ein Vermächtnis der späthumanistischen Gelehrtenrepublik als dritter, entschieden zu Frieden und Versöhnung unter den Christen und den 386
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Zur Geschichte und Bedeutung dieser wichtigen Festungsstadt vgl. den schönen Katalog von Hürkey 1995. Das berichtet Lingelsheim an Ludwig Camerarius in seinem Brief vom 23.12.1635: »Ex pactis deditionis debetur nobis securitas ab omni infestatione, et permittetur nobis hic manere ad Pentecosten[!] usq. et über hinc discessus.« (BSB: Clm 10361, Nr. 249). In Kerkerhaft muß Lingelsheim zwischen April und Juli 1636 genommen worden sein. Sein letzter Brief in Freiheit an Bernegger stammt vom 31.03.1636 (BERNEGGER 1670, S. 107f.), sein erster Brief nach der Freilassung an Glaser datiert vom 26.07.1636 (Abschrift u.a. in der KBK: Gl. kgl. S . 4 ° 2 1 3 3 , N r . 199). Die Wege, auf denen kurpfalzische Bestände in das Bayerische Hauptstaatsarchiv gelangten, schildert Neudegger 1890-93. Zur Geschichte und Struktur seiner pfälzischen Bestände die Einfuhrung von Jaroschka 1987. BHA München: Kasten blau 122/4a, Bl. 3 - 7 ' , Bl. 3': »1. Dr. Lingelsheimber Vice Cantzler vnndt geheimber Rath, hat sich viel brauchen laßen in dem Rebellions Weesen wie dannach, helt sich zue Straßburg auf, hat sich ufTdie außgangene Citation nicht endtschuldiget noch erschienen; dießer hat ein Haus allhier vnndt Gärtten.« Mit Transkribierungsfehlem abgedruckt bei Lingelsheim 1922, S. 25. S. unten Kap. 3.2.2.3.
167 Kriegsparteien mahnenden Kraft, die auch im konfessionellen Zeitalter und im Wüten der religiösen Bürgerkriege ungebrochen an ihren gelehrten und irenischen Traditionen festhielt. Es war die Generation Lingelsheims, die zum einen über ihre politischen Ämter vielgestaltig an dem Ausbau des frühmodernen Fürstenstaates und an der Konfessionspolitik der europäischen Herrscher in verantwortungsvollen Positionen beteiligt war, die sich zum anderen aber immer auch ihrem humanistischen Selbstverständnis und einer höheren himmlischen Macht verantwortlich fühlte. Diese Generation starb im Dreißigjährigen Krieg aus. Lingelsheim verschied wenige Wochen nach seiner Inhaftierung, vielleicht an ihren Folgen. In seinem Brief an Josias Glaser vom 26. Juli 1636 berichtet er noch von seiner Freilassung.392 Es war sein letzter Brief. Die Erfahrungen des schrecklichen Krieges, der die Kurpfalz und das Reich überzog, der ihn selbst mehrfach zur Flucht gezwungen und noch als Greis in den Kerker geführt, der ihm sein Gut und seine Bibliothek geraubt, Opfer in seiner Familie gekostet hatte, ließen Lingelsheim aber niemals sein Vertrauen in Gott und niemals seine constantia und firmitas verlieren. Seinen Glauben und seine stoischen Tugenden bewahrte er sowohl für die Bewältigung des eigenen Lebens als auch in seinem Wirken für res publica und ecclesia. Lingelsheim galt seinen Zeitgenossen ob seiner constantia geradezu als vorbildlich. Martin Opitz hatte sie in seinem Epicedium auf den 1630 verstorbenen Jakob Lingelsheim geradezu als die »lex domi« Lingelsheims gelobt.393 Noch deutlicher streicht Bernegger, sein engster Freund in den letzten Lebensjahren, diesen charakterlichen Grundzug Lingelsheims heraus: »[...] vero vehementer indolui miseriis
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Wie Anm. 388. - Er berichtet hier aber auch von einer durch die Haft verursachten schweren Erkrankung (die möglicherweise ein Grund für seine Freilassung gewesen sein könnte). »Ad Georgium Michaelem Lingelshemium«. Deutlich sind auch hier wieder die Anklänge an das Kriegsgeschehen, das die Lebensläufe des Dichters wie des Adressaten prägte, herauszuhören. Opitz, der sich sogleich nach Kriegsbeginn mit einem poetischen »Gebet, daß Gott die Spanier widerum vom Rheinstrom wolle treiben« (Abdruck in: Opitz: Werke, Bd. II/1, S. 216f.) als vehementer Gegner der Spanier, der Feinde des Vaterlands, geäußert hatte, spielt wiederum auf die spanische Eroberung an, die allerdings nicht die Tugend, nicht die constantia Lingelsheims erschüttern könne: »Ista domi lex nata tibi: Non posse moueri: Hic honor, haec ingens gloria tota tua est. Tot licet & populos, urbesque, Hispanus, agrosque Ceperit, & quic quid nobile Rhenus alit, Post patriam stetit hic animus; non omnia rerum Poßidet, hac una dum minor arce fuit. Nunc quoque privatos, virtus tua quos parit, hostes Dum rides, illos flere morique facis. Ite, boni, & vobis aequalem quaerite palmam, Non penetrant magnas tela minuta feras. Omnia qui vicit vos quem tentatis Olympum Obsequii tandem leniet arte sui, Invidiamque supra positus saeclique furorem Inveniet faciles in sua vota deos. Hoc, Lingelshemi, pretio, hac mercede, tenacem Vivere propositi te iuvet usque tui.« (zitiert nach der Edition Pamassus Palatinus [mit deutscher Prosaübersetzung], S. 204ff.).
168 vestris: ita tarnen vt ex illa CONSTANTIA qua[m] spirant litterae tuae, & quam in omni vita, omni fortuna, praestitam hactenus, exuere non potes, plurimum & solatii capiam & documenti.«394 Das liest sich wie eine Grabschrift, die Langelsheim in dem furchtbaren Treiben des Dreißigjährigen Krieges versagt blieb. Was Venator für die Geburt und die ersten Lebensjahre Lingelsheims beklagte, gilt auch für seinen Tod, dessen genaue Umstände, dessen Zeitpunkt und Ort im Dunkel der Geschichte versunken sind.
394
Bemegger an Lingelsheim, 11.03.1636 (BERNEGGER 1670, S. 102). Die Hervorhebung des Wortes constantia — bezeichnenderweise — im Druck.
3.
Der Späthumanist als Anreger, Förderer und Editor: Lingelsheims Stellung in der res publica litteraria
3.1.
Lingelsheim und der späthumanistische Dichter- und Gelehrtenkreis in Heidelberg
3.1.1.
Die späthumanistische Blüte der kurpfälzischen Residenzstadt
Mit dem Zusammenbruch des kurpfälzischen Territorialstaates brach zugleich eine humanistische Tradition ab, die Mitte des 15. Jahrhunderts mit der Berufung des >Wanderhumanisten< Peter Luder an die Universität eingesetzt hatte. 1 Von Anfang an sammelten sich die Humanisten in Heidelberg um zwei Institutionen: zum einen, in der Regel in politischen Ämtern stehend, um den Hof der pfälzischen Kurfürsten, des vornehmsten weltlichen Reichsstandes im deutschen Südwesten, zum anderen um die Universität. 2 Bereits zur Zeit des Kurfürsten Philipp (reg. 1476-1508) hatte der Humanismus in Heidelberg und der Kurpfalz eine erste frühe Blüte erlebt. Sie war mit klangvollen Namen der frühhumanistischen Gelehrtenrepublik wie Agricola, Celtis, Dalberg oder Wimpfeling verbunden. 3 Seit Luder waren die studia humanitatis an der Universität heimisch geworden, mit der großen Universitätsreform unter Kurfürst Ottheinrich (reg. 1556-1559) hatte sich dann das humanistische Bildungsprogramm in allen Fakultäten durchgesetzt. 4 Doch die zahlreichen theologischen Auseinandersetzungen, die die Kurpfalz im konfessionellen Zeitalter erschütterten, besonders aber die mehrfachen Konfessionswechsel innerhalb weniger Jahrzehnte blieben nicht ohne AuswirkunVgl. zu seiner Heidelberger Lehrtätigkeit Wattenbach 1869, Bamer 1987, Kettemann 1993. Eine Einfiihrung in Leben und Werk bietet Baron 1966. Zu dieser ersten Phase des Heidelberger Humanismus sei unter den älteren Arbeiten hier insbes. auf die Forschungen von Karl Hartfelder und Gerhard Ritter verwiesen, die sich in zahlreichen Aufsätzen mit dieser Epoche des Humanismus in Heidelberg beschäftigten, darunter einführend: Hartfelder 1885, ders. 1891 (Hartfelders einschlägige Studien zum pfälzischen Humanismus sind durch Wilhelm Kühlmann und Herrmann Wiegand neu ediert worden: Hartfelder 1993); außerdem Ritter 1986, ders. 1922. Hinzu treten eine ganze Reihe wichtiger Untersuchungen jüngeren Datums, die v.a. die Funktion des Hofes für die humanistische Kultur Heidelbergs in ihre Betrachtung miteinbeziehen, u.a. Moraw 1983, Müller 1989, und umfassend zum literarischen Leben am Heidelberger Hof im 15. Jahrhundert Backes 1992. Den Einfluß von Celtis auf den Heidelberger Frühhumanismus beleuchten Hartfelder 1882, Matz 1903. Zum Gedanken der sodalitates litterariae bei Celtis und seinen entsprechenden Gründungsbemühungen vgl. Klaniczay 1987 sowie Dickerhof 1996. Vgl. zur Universitätsreform in Heidelberg unter Kurfürst Ottheinrich Mugdan 1956 und (insbes. für die Aufnahme der humanistischen Jurispruidenz wichtig) Walde 1985.
170 gen auf das geistige Leben Heidelbergs und auf seine Träger an der Universität und in der Beamtenschaft. Die konfessionellen Konflikte, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts unter den verschiedenen Parteien schwelten, wirkten weit in die Universität hinein. Die Heidelberger Hochschule büßte in diesen Jahrzehnten ihren Rang als führende Bildungsanstalt im oberrheinischen Gebiet ein und vermochte auch nicht mehr für die kontinuierliche Ausbildung der kurpfälzischen >Landeskinder< für die geistigen und politischen Ämter zu sorgen. Deshalb fanden sich nur wenige Kurpfälzer unter den Räten, die seit Mitte der achtziger Jahre die konfessionspolitische Konsolidierung der Kurpfalz einleiteten. Die wichtigsten Ämter wurden von Zugewanderten bekleidet, die aus nahezu allen calvinistischen Gebieten des Reiches und Europas stammten und nicht selten als Glaubensflüchtlinge in die Kurpfalz gekommen waren. 5 Diese neue Beamtengeneration, die seit der Administration Johann Casimirs und endgültig mit dem Regierungsantritt Friedrichs IV. in fuhrende Positionen einzog, bestand aus humanistisch gebildeten, oftmals selbst mit philologischen, historischen oder theologischen Werken hervortretenden Männern. Schon die Zeitgenossen lobten das hohe Niveau humanistischer Bildung unter den kurpfälzischen Politikern. 6 Ein ähnliches Bild bot sich an der Universität, die nach dem personellen Aderlaß unter der Regierung Ludwigs VI. seit den neunziger Jahren wieder zur führenden Hochschule am Oberrhein aufstieg. Die Lehrstühle der vier Fakultäten waren mit bekannten Gelehrten besetzt. 7 Von überall her, besonders aus den calvinistischen und kryptocalvinistischen Gebieten des Reiches und aus dem protestantischen Europa, strömten die Studenten an die Universität, die seit 1585 einen steten Zuwachs der Immatrikulationen verzeichnen konnte. 8 Die Basler Universität, während der lutherischen Zwischenphase in der Kurpfalz bevorzugter Studienort der oberrheinischen Calvinisten, hatte an Attraktivität verloren, seit der Rat unter dem Einfluß des Antistes Grynaeus auf eine rigide reformierte Richtung eingeschwenkt war. Die Straßburger Hochschule litt unter der massiven anticalvinistischen Stimmung im Magistrat und in der Kirche der Reichsstadt. Zudem war sie als Akademie nicht konkurrenzfähig mit den benachbarten Volluniversitäten; ihr wuchs erst nach der Eroberung Heidelbergs (und nachdem nahezu gleichzeitig die kaiserliche Privilegierung der benachbarten reichsstädtischen Hohen Schule erfolgte) die alleinige Führung zu. 9
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8 9
S. obenS. 117f. Vgl. Volkmann 1936, S. 12, sowie Schubert 1955, S. 32. Die maßgebliche Universitätsgeschichte nach wie vor die im Faksimile vorliegende Arbeit von Hautz 1980 (zum betrachteten Zeitraum vgl. Bd. II, S. 5-112). Nunmehr außerdem fiir Mittelalter und Frühe Neuzeit der von Wilhelm Dörr edierte Jubiläumsband Semper Apertus (Dörr 1985, hier fiir den Untersuchungszeitraum Bd. I) mit zahlreichen gewichtigen Einzelstudien sowie als kompakte Einführung Wolgast 1986. Zur Geschichte der Fakultäten vgl. einführend die Beiträge von Bornkamm 1961, Dickel 1961, Klauser 1961, Schönfeld 1961, die alle im Sammelband zum 575. Jahrestag der Universitätsgründung erschienen. Zur Geschichte der medizinischen Fakultät im 16. Jahrhundert und zu ihren Verbindungen in das späthumanistische Heidelberg vgl. Kühlmann/Telle 1985. Clasen 1963, S. 37. Zur Straßburger Hochschule vgl. oben S. 87f. mit der in Anm. 8 genannten Literatur.
171
Die einflußreiche Position der Kurpfalz in der protestantischen Reichspolitik und ihre weitreichenden europäischen Verbindungen trugen einen entscheidenden Anteil zu dieser Stellung Heidelbergs als Zentrum der studia humanitatis bei. Ebenso begünstigte die irenische Atmosphäre an der Universität und in den Zentralbehörden, die sowohl aus konfessionspolitischen Notwendigkeiten als auch aufgrund der personellen Zusammensetzung des Lehr- und Beamtenkörpers mit Angehörigen eines Calvinismus unterschiedlicher Prägung entstand, um 1600 einen Aufstieg der kurpfälzischen Residenzstadt zu einem späthumanistischen Zentrum. Die Trägerschicht des Heidelberger Späthumanismus besetzte größtenteils wichtige, teilweise sogar herausragende Ämter in den politischen Gremien oder wirkte an der Universität bzw. im kirchlichen Bereich maßgeblich für die Vermittlung der konfessionspolitischen Doktrinen. Unter den Theologen, die oftmals außerhalb der Universität als Hofprediger oder Kirchenräte wirkten, befanden sich einige der führenden reformierten Prediger und Kirchenpolitiker des konfessionellen Zeitalters. Darunter waren verhältnismäßig viele Schlesier, die überhaupt unter den Theologen in der Kurpfalz seit Einfuhrung des Calvinismus eine bedeutende Rolle spielten.10 Sie prägten maßgeblich die kurpfälzische Irenik, die von Heidelberg aus im Zuge der politischen Bestrebungen um eine protestantische Union den lutherischen Reichsständen die Ausgleichsbereitschaft der reformierten Kurpfalz in zentralen Glaubenspunkten signalisierte. Die konfessionelle und institutionelle Verankerung der Heidelberger Späthumanisten beeinflußte auch ihre Kontakte zum einen untereinander in der Umgebung von Hof, Regierung und Universität, zum anderen aber auch in die europäische res publica litteraria hinein. Die Heidelberger Späthumanisten unterhielten weitreichende Briefwechsel, die sie mit der gesamten europäischen Gelehrtenrepublik vernetzten. Inwieweit hier konfessionelle Präferenzen die Korrespondentenkreise der einzelnen Heidelberger Gelehrten und Politiker beeinflußten, in welchem Maße sich etwa auch die geographische Orientierung der von Einzelnen geführten Briefwechsel mit den Stoßrichtungen der kurpfälzischen Konfessionspolitik deckte, ist noch nicht abzuschätzen. Die Briefe sind bis heute nur zum geringeren Teil von der Forschung ausgewertet. Deutlich jedoch ist, daß die großen Gestalten des Heidelberger Späthumanismus um 1600 innerhalb der europäischen Gelehrtenrepublik eine fuhrende Stellung einnahmen. Aber nicht nur über ihre Briefe, sondern auch über persönliche Kontakte hielt das späthumanistische Heidelberg enge Verbindung zu den Gelehrten in ganz Europa. Kaum eine Kavalierstour oder peregrinatio reformierter und einer 10
Grundlegend Hecht 1929, der die Gesamtheit der schlesisch-kurpfälzischen kulturellen und geistigen Austauschprozesse untersucht, unter denen die Theologen führende Figuren waren. Zu diesen reformierten Theologen gehörten u.a. Zacharias Ursinus, Bartholomäus Pitiscus und David Pareus, die maßgeblich an der Fundierung der pfalzischen Irenik, die geistig stark beeinflußt von der schlesischen Irenik war, mitwirkten. Weiterhin ffir die frühe Zeit des kurpfälzischen Calvinismus Bellardi 1972. Die schlesische Irenik und die Ausbreitung irenischer Gedanken durch Schlesier untersucht Fleischer 1976.
172
Vielzahl protestantischer Reisender aus dem Reich und aus Europa führte an Heidelberg vorbei. Angezogen fühlten sich die auswärtigen Besucher dabei nicht allein durch den Ruhm der Heidelberger Gelehrten und den Ruf der dortigen Politiker und Theologen, sondern durchaus auch vom höfischen Glanz der Residenzstadt, die sich mit einer überwältigenden Gartenanlage in einem beeindruckenden barocken Schloßensemble schmücken konnte. Am Heidelberger Hof verschmolzen reformierte Moral- und Tugendvorstellungen mit ritterschaftlich-höfischen Tendenzen und prägten eine weltoffene Haltung. Der Hof verkörperte, wie Volker Press hervorhebt, einen spezifischen, »neuartigen Kalvinismus aulicustechnische< Unausgereiftheit des volkssprachigen Dramas im 16. Jahrhundert in Versmaß, Reim und besonders auch der stark mundartlich gefärbten Sprache. Der biblische Stoff wird in ein dramatisches >Gewand< eingepaßt, das durch die Wechsel der Sprecher geknüpft wird;160 der Wechsel zwischen den fünf Akten wird jeweils durch einen Chorus deutlich, Zeit- und Ortswechsel sind sprunghaft, eine Einheit wird nicht gewahrt. Mit wenigen Ausnahmen ist der strenge Knittelvers, der in der deutschsprachigen Dichtung des 16. Jahrhunderts dominierte, durchgehalten, in den Chorliedern wird die Achtsilbigkeit allerdings weitgehend durchbrochen, hier kommen auch sechs- und viersilbige Verse vor, die jeweils zu verschiedenen Strophenformen vereint sind. Die Reime dagegen, in der Regel männlich, werden überaus frei gehandhabt. Im sprachlichen Niveau und damit auch in der Charakterisierung der Personen bleibt die Heidelberger Nachdichtung weit hinter ihrer neulateinischen gelehrten Vorlage zurück. Das gilt ebenso im Vergleich mit der etwa gleichzeitigen deutschen Bearbeitung der Buchananschen Tragödie durch Ambrosius Lobwasser, der sehr viel treffender den kunstreichen Stil der Vorlage nachbildet, eine klare und deutliche, weitgehend von volkstümlichen Ausdrücken freie Sprache findet, die ihm wie Buchanan die feinere Charakterisierung der Personen ermöglicht, und der nicht nur reiche, sondern auch regelmäßige Reime setzt.161 Der Heidelberger Dichter beherrscht seine Kunst weniger. Es erscheint doch durchaus wahrscheinlicher, daß der humanistische praeceptor eher die Lektüre des Buchananschen Baptistes auf den Lehrplan gesetzt hätte als diese weit hinter den gelehrten Ansprüchen eines in der vollkommenen Eloquenz seit seiner Schulzeit bestens versierten Humanisten zurückfallende Nachdichtung anzufertigen. So ergeben sich aus den hier angestellten Überlegungen keinerlei Anhaltspunkte, aus denen sich 159
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Aus der Handschrift selber läßt sich ebenfalls kein Aufschluß über den Verfasser gewinnen. Der Heidelberger Baptistes ist in einer gestochenen Schreiberhandschrift niedergeschrieben, in die teilweise in kleinerer Handschrift Korrekturen nachgetragen worden sind. Ob es sich um denselben Schreiber handelt, ist angesichts des repräsentativen Charakters der eigentlichen Textschrift und der sehr viel flüchtigeren Schrift der Korrekturen nicht festzustellen. Aufgrund ihrer jeweils spezifischen Entstehungsbedingungen bzw. Schreibsituationen kann ein Vergleich dieser beiden Handschriften mit Langelsheims Handschrift in seinen deutschen Briefen zu keinem Ergebnis fuhren. Der Heidelberger Baptistes steht darin dem Dramenwerk eines Hans Sachs sehr nahe, vgl. etwa die Untersuchungen dazu von Klein 1988, bes. S. 108-121. Zu dieser Nachdichtung vgl. Trunz 1995b, S. 125-129.
209 angesichts fehlender direkter Quellen zumindest indirekt zwingende Gründe dafür ergäben, Lingelsheim den Heidelberger Baptistes zuzuschreiben. Es bleibt also von einem unbekannten Verfasser dieser Nachdichtung auszugehen, die allerdings ein wichtiges frühes Zeugnis deutschsprachiger Dichtung in Heidelberg nach der gescheiterten Psalmenübersetzung des Melissus und vor den Reformbemühungen um eine neue deutsche Kunstdichtung im Kreise um Opitz und Zincgref ist und in diesem Zusammenhang durchaus noch eingehender von der Forschung zu analysieren bleibt. 3.2.2.1.2. Die Kontroverse zwischen den kurpfälzischen und württembergischen Theologen 1607 bis 1614 Ebenfalls um deutschsprachige Werke handelt es sich bei einer Gruppe theologischer Traktate, als deren (Mit-)Verfasser Lingelsheim in der Regel genannt wird. So wie der Heidelberger Baptistes aus einem funktionalen Zusammenhang heraus entstand, ist auch die Entstehung dieser Traktate untrennbar mit Grunddispositionen der kurpfälzischen Konfessionspolitik verbunden. Die zwischen 1607 und 1614 gedruckten Traktate sind in die Bemühungen der kurpfalzischen Irenik auf der einen, die kurpfälzischen Unionsverhandlungen mit den protestantischen Reichsständen auf der anderen Seite einzuordnen.162 In ihnen findet eine heftige Kontroverse zwischen kurpfälzischen und württembergischen Theologen ihren Niederschlag, die symptomatisch ist für das tiefe Mißtrauen der orthodoxen Lutheraner gegen die reformierte Kirche und die kurpfälzische Konfessionspolitik. Auf Seiten der Kurpfalz bemühten sich diese jeweils sehr umfangreichen Traktate, die Glaubensgrundsätze ihrer Kirche aus dem reinen Wort Gottes heraus darzulegen und den theologischen Nachweis zu erbringen, daß sie in den Hauptpunkten mit den Lutheranern übereinstimmten und nur in einigen Nebenpunkten voneinander abweichten. Genau diese Argumentationsfuhrung wählt auch Pareus in seinem Irenicum Uber, indem er die mögliche Lehreinigkeit der Protestanten gegen die Uneinigkeit unter den Katholiken stellt und den Zusammenhalt der Protestanten gegen die katholischen, speziell die jesuitischen Gegner fiir kirchlich und politisch notwendig erklärt.163 Die Reaktionen der Tübinger Theologen in dieser Auseinandersetzung fallen stets ablehnend aus und fuhren Punkt für Punkt den theologischen Gegenbeweis, daß die Calvinisten ganz im Gegenteil in zentralen Fragen vom Luthertum abgefallen seien. An dieser jahrelangen und heftigen Kontroverse zeigt sich zum einen deutlich, wie sehr man in der Kurpfalz auf der weltlichen und der geistlichen 162
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Noch 1682 erschienen in Marburg bei Johann Stock einige dieser Schriften in einem Nachdruck: Der Heydelbergischen mit den Würtenbergischen Theologen etliche Jahr hero gewechselte Schrifften/[...] Erster Theil: Außfiihrlicher Bericht mit dessen Anhang/ was die Reformierte Kirchen in Teutschland glauben oder nicht glauben/ sampt beigefügten Ursachen. Ander Theil: Treuhertzige Vermahnung der Pfaltzischen Kirchen/ an alle andere Evangelische Kirchen in Teutschland/ Daß sie doch die grosse Gefahr/ die ihnen so wohl als uns furstehet/ in acht nehmen/ etc. Beneben noch dreyen Tractaten. [...]jetzo [...] nach dem alten Heydelbergischen Exemplar nochmahlen gedruckt. Vgl. Brinkmann 1972, S. lOOff.
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Ebene der Konfessionspolitik auf irenische Grundpositionen gegenüber den Lutheranern bedacht und somit um einen protestantischen Konsens in der Reichspolitik bemüht war. Sie belegt zum anderen, wie tief die Abneigung gegen das reformierte Bekenntnis auf Seiten der lutherisch-orthodoxen Theologen saß, auch nachdem die politische Union, zu deren Gründungsmitgliedern der württembergische Herzog gehörte, 1608 erreicht worden war. Bezeichnenderweise wurden die kurpfälzischen Traktate dieser theologischen Kontroverse von Georg Forster in Amberg gedruckt, also dort, wo die kurpfälzische Zentralregierung selber eine vorsichtige Politik gegenüber den eigenen lutherischen Landständen betreiben mußte. Die Traktate erschienen jeweils anonym als Schriften der Heidelberger Theologen.164 Als ihre Verfasser werden jedoch erstmals in Placcius' Theatrum Anonymorum Bartholomäus Pitiscus und Georg Michael Lingelsheim genannt.165 Holzmann-Bohatta und Lautenschlager übernehmen diese Zuweisung der Autorschaft.166 In verschiedenen Bibliotheken, so etwa in Heidelberg, Wolfenbüttel oder Wien, sind einzelne dieser Schriften dementsprechend unter den Namen der beiden ehemaligen Präzeptoren Friedrichs IV. katalogisiert.167 Auch im VD 17 führt die Recherche zum Namen »Lingelsheim« zu diesen Traktaten. Als Belege für die Zuweisung werden Placcius und Holzmann-Bohatta angegeben.168 Wie am Beispiel des Heidelberger Baptistes ausgeführt, müßte angesichts dieses langjährigen Schriftenstreits doch damit zu rechnen sein, daß Lingelsheim in seinen Briefen auf seine (Mit-)Arbeit an diesen Traktaten einginge. Zumal aus diesen Jahren seine Briefwechsel sehr zahlreich erhalten geblieben sind. An keiner Stelle ergibt sich jedoch ein Hinweis darauf, daß er an dieser Kontroverse überhaupt in irgendeiner Form beteiligt gewesen ist. Ganz im Gegenteil gibt es bereits eine zeitgenössische Quelle, die eine eindeutige Zuweisung der Verfasserschaft ermöglicht. Melchior Adam hat in seinen Vitae Germanorum Theologorum die meisten der kurpfölzischen Traktate explizit und ausschließlich Pitiscus zugeschrieben.169 Adams Zuweisung ist neuerdings durch Gustav Adolf Benrath, den besten Kenner der kurpfälzischen Kirchengeschichte im konfessionellen Zeitalter, und in dem entsprechenden Beitrag zur »Bibliotheca Palatina«-Ausstellung bestätigt worden.170 Für eine Mitwirkung Lingelsheims an diesen Traktaten gibt es somit keinerlei Indizien, seine Beteiligung ist ganz im Gegenteil angesichts dieser Quellenlage auszuschließen.
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Zu ihm Paschen 1995, S. 49-53 u.ö. (mit einer Bibliographie der von ihm gedruckten Schriften, in der diese Drucke allerdings fehlen). Vgl. zum Amberger Buchdruck in dieser Zeit jetzt auch als Überblick den Katalog von Paschen/Lipp 2003. 16 5 S. oben S. 81, Anm. 70. 166 Ebd. 167 Auch in das oben auf S. 128 in Anm. 219 zitierte Exemplar des Ausfuhrlichen Berichts (1608) in der HAB ist eingetragen, mutmaßliche Verfasser seien Pitiscus und Lingelsheim. 168 http://gso.gbv.de/DB= 1,28/SET= 1 /TTL=1/REL?PPN=004257065. 169 Vgl. Adam: Theol., S. 840. 170 Vgl. Benrath 1986a, S. 353, Mittler [u.a.] 1986, Textband, S. 165f. Vgl. auch Dyroff 1963, der in seinem Verzeichnis der Drucke Vögelins sämtliche Schriften ebenfalls nur Pitiscus zuweist. Zu diesem Konflikt vgl. Leube 1928, S. 50-58.
211
3.2.2.1.3. Dissertatio de idolo Hallensi (1605) Handelte es sich bei den bisher vorgestellten Werken um deutschsprachige Texte zweier äußerst unterschiedlicher Gattungen, so sind die beiden letzten in diesem Abschnitt zu erwähnenden Schriften nicht nur in neulateinischer Sprache verfaßt, sondern beide auch als polemische Streitschriften gegen katholische Gelehrte gerichtet. Die erste Schrift ist die 1605 anonym veröffentlichte Dissertatio de idolo hallensi. Es ist eine scharfe, überaus polemische Replik auf eine der späten mariologischen Schriften des Justus Lipsius. Dieser hatte sich 1604 in seiner Diva Virgo Hallensis zum katholischen Wunderglauben an die Heilige Jungfrau zu Halle bekannt.171 Die Gelehrtenrepublik, vor allem ihre reformierten Angehörigen, waren über dieses eindeutig katholische Bekenntnis des von ihnen auch nach seiner Konversion als Gelehrten unverändert hochgeschätzten Lipsius betroffen. Gerade die Bildnisheiligung und Reliquienverehrung, wie sie die Katholiken betrieben, und damit auch den Mariendienst, lehnten die Protestanten, lehnten vor allem die Reformierten entschieden ab.172 Mit Lipsius besaßen die Katholiken nun eine Stimme von größtem Gewicht in der res publica litteraria. Noch hatte sich kein Gelehrter vergleichbarer Reputation und gleichen Ranges in der Gelehrtenrepublik ähnlich deutlich zu einem der zentralen Punkte der katholischen Lehre bekannt. Es ist nicht verwunderlich, daß im kurpfälzischen Umfeld eine vehemente Gegenschrift konzipiert wurde, die sowohl den katholischen Wunderglauben widerlegen als auch einem Haupt der internationalen Gelehrtenrepublik seine Verirrung in scharfen Worten nachweisen will. Die so entstandene Dissertatio erweckt bereits durch ihren Titel den Anschein einer akademischen Zurückweisung der Thesen des Lipsius; sie gibt also bewußt vor, im Rahmen der gelehrten Auseinandersetzung zu verbleiben. Einige Zeitgenossen sahen in Lingelsheim den Verfasser. Scaliger, dem Lingelsheim sofort nach Erscheinen ein Exemplar zugeschickt hatte,173 und der Altdorfer Jurist Conrad Rittershausen174 halten in ihren Briefen an Lingelsheim diesen für den Autoren. Aus Scaligers Schreiben wird ersichtlich, welchen Ruf Lingelsheim offenbar in Teilen der Gelehrtenrepublik genoß, daß man vor allem ihm diese Mischung aus gelehrter Argumentation, eindeutig reformierter Stellungnahme und polemischem Antikatholizismus zutraute: 171 172
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Zu dieser und anderen Wunderschriften Lipsius' einführend Saunders 1955, S. 5Iff. Vgl. Delius 1963, S. 193-234 u. 252-257, Schimmelpfennig 1952. Zu Lipsius' Neigung zur Marienverehrung vgl. den Aufsatz von Papy 1996. Lingelsheim an Scaliger, 20.03.1605 (BSB: Clm 10361, Nr. 229). Dieser Brief fehlt bei REIFFERSCHEID 1889. - In diesem Brief an Scaliger bekennt Lingelsheim allerdings seine Wertschätzung für den Gelehrten Lipsius: »Ego, quamvis Lipsium ob exquisitam doctrinam, & ingentia merita in rem litterariam colo & admiror [...]« (BSB: Clm 10361, Nr. 229, [recto]); aber er verurteilt vehement dessen theologischen Schriften, beispielsweise in seinem Brief an Loefen vom 29.07.1605 die Diva Sichemiensis (Antwerpen: Plantin 1605) mit den Worten: »[...] nihil vanius & ineptus legisse memini [...]« (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 271"). S. auch sein oben, S. 153, zitiertes Urteil gegenüber Casaubon. Rittershausen an Lingelsheim, 16.07.1605 (REIFFERSCHEID 1889, S. 693): Er hält Lingelsheim oder Denaisius für die Verfasser.
212 Equidem vates non sum, ñeque tarnen aliter de auctore pronuntiare possum, quam alium esse non posse, quam in quem omnes dotes ingenii et pietatis competant, quibus mihi constat te praeditum esse. Si fallor, non nunc primum, neque primus a iustissimis argumentis in errorem deductus sum. Scio, et quotidie profïteor ac testor, in vestra Germania non deesse ingenia extra aleam posita, quae scribendo aliarum nationum homines provocare possint; sed paucissismos esse, qui illud acetum habeant, quo ille liber perfusus est, si dixero, nemini vestratium iniuriam fecero. Et profecto neque Gallia mea, neque Italia, quam cum Germania meam quoque dicere possum, meliorem, quid meliorem! talem foetum edere posset. Quisquis est auctor, si amicus noster, non alius fuerit praeter te [...]. 175
Lingelsheim weist in seinem Antwortschreiben die Verfasserschaft allerdings zurück und benennt seinen Freund Denaisius als Autoren: Verum non satis notus tibi ego, si me talem foetum edere posse putasti, ac quamvis auctoris maxime intersit, nomen suum caelari, cum viuendum ipsi sit inter Jesuítas, et homines a vera fide alienissimos, tarnen apud te dissimulandum non putavi, auctorem scripti esse Petrum Denaisium [...]. 176
Eindeutiger kann die Frage nach dem Verfasser nicht beantwortet werden. Es ist überraschend, daß dennoch die Diskussion über den Verfasser der Dissertatio in den biographischen Lexika über mehr als zwei Jahrhunderte in den jeweiligen Artikeln über Lingelsheim fortgeführt wird. Am Anfang stand wie immer Bayle mit seinem Dictionnaire historique et critique.177 Er folgt in seinem Artikel dem Theatrum anonymorum et pseudonymorum des Vincent Placcius,178 der Lingelsheims Antwort auf Scaligers lobende Zuweisung kannte, und fügt einige weitere zeitgenössische Briefzeugnisse hinzu, die ebenfalls erhebliche Zweifel an diesem Urteil Scaligers erwecken.179 Er zitiert außerdem Adams Vitae jurisconsultorum Germaniae, wo diese Polemik unter dem Namen des Denaisius aufgeführt wird.180 Die Argumentation in den Gelehrtenlexika stützt sich stets auf diese Zuweisungen Scaligers an Lingelsheim und Lingelsheims an Denaisius, neigt aber schließlich im Gegensatz zu Bayle, der eine Entscheidung dem Urteil des aufgeklärten Lesers überließ, zu Denaisius als Autoren: »On a attribué à tort à Lingelsheim l'Idolum Hallense, pamphlet dirigé contre Juste Lipse, et écrit
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Scaliger an Lingelsheim, 25.05.1605 (zitiert nach ebd., S. 651 f.). Lingelsheim an Scaliger, 28.06.1605 (BRU: Ms 987, Bl. 233'). - Gleichwohl war Lingelsheim bei der Entstehung dieser Schrift wiederum zumindest beteiligt, und zwar insofern, als er Denaisius ungedruckte Briefe von Lipsius, die sich in seinem Besitz befanden, weitergeleitet hatte, vgl. Lingelsheim an Goldast, 25.01.1610 (GOLDAST 1688, S. 391): »Habeo Epistolas aliquot Lipsii non excusas, [...] quibus usus etiam is, qui Idolum Haiense scripsit.« Weder aus dieser Briefstelle noch aus anderen, in denen Lingelsheim die Dissertatio erwähnt, läßt sich jedoch konkret schließen, ihm darüber hinaus eine Rolle bei der Verfertigung dieser Schrift zuzuschreiben, wie es etwa jüngst Mulsow 2001, S. 328ff., andeutet, wenn er stets in einem Atemzug von Denaisius und Lingelsheim spricht. 177 Vgl. Bayle II, S. 1720. 178 Placcius, S. 17f.u. 124. 179 Neben Baudius, dessen Epistolae zu den am häufigsten aufgelegten Briefeditionen des 17. Jahrhunderts zählen, zitiert Bayle zwei Briefe Lingelsheims an Bongars (vom 07.05.1605) und an Goldast (vom 29.01.1607) aus BONGARS 1660 (dort S. 196ff.) bzw. Goldast 1688 (dort S. 166f.). Auf diese Briefe weist bereits Placcius, S. 124, hin. '80 Vgl. Adam: Jur., S. 447. 176
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par Denaisius«, heißt es definitiv in der Nouvelle biographie générale,181 Aber noch Jöcher hatte Lingelsheim als Herausgeber der Dissertatio bezeichnet, die von ihm zudem fälschlich auf das Jahr 1650 datiert wird.182 Daß dieser Angelegenheit seit Bayle bis in das Dictionnaire de biographie des hommes célèbres de l'Alsace von Sitzmann183 innerhalb der Biographie Lingelsheims verhältnismäßig viel Raum gewidmet ist, spiegelt wider, welche enorme Reaktion Lipsius' Schrift innerhalb der Gelehrtenrepublik herausgefordert hatte. Das Autograph des zitierten Lingelsheim-Briefes an Scaliger in der Universitätsbibliothek Utrecht weist gerade zu dieser Frage ausfuhrliche Marginalien von unbekannter Hand auf,184 die gerade diese Diskussion nachzeichnen. 3.2.2.1.4. Cave canem (1612) Ähnlich liegt der Fall bei einer anderen scharfen Satire. 1612 erschien in Hanau die Schrift Cave canem, De vita, moribus, rebus gestis, divinitate Gasparis Sciopii apostate, Satyricon unter dem Pseudonym »Tarraeus Hebius, nobilis a Sperga«. Im selben Jahr, ebenfalls bei Thomas de Villiers in Hanau,185 wurden drei Bücher Spottepigramme auf Kaspar Schoppe unter dem Titel Scioppius excellens publiziert, als deren Verfasser nun mit einem lediglich in einem Buchstaben veränderten Pseudonym »Tarraeus Hebius, nobilis a Speri[!]ga« auf dem Titelblatt genannt wird.186 Beide Schriften richten sich gegen Kaspar Schoppe (1576-1649), einen gebürtigen Oberpfälzer, der zum Katholizismus konvertiert und seit Anfang des 17. Jahrhunderts bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein einer der lautesten und vehementesten Publizisten gegen die Reformierten auf katholischer Seite war.187 Schoppe verfaßte mit dem besonderen Eifer des Konvertiten mehrere Pamphlete gegen de Thou, Scaliger und Casaubon. Diese Schriften zeigen ihn sowohl als hochbegabten Lateiner als auch als einen durch seinen rüden Ton aus der üblichen gelehrten Streitkultur seiner Zeit hervorstechenden aggressiven Polemiker. Lingelsheim gehörte wie die Genannten, wie aber auch Heinsius und andere, zu Schoppes entschiedensten Gegnern nach dessen Konversion. Schoppe taucht seit 1604 in seinen Briefen immer wieder auf.188 Lingelsheim war aber niemals selbst Angriffspunkt des in Rom lebenden Oberpfälzers.
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Hoefer XXXI, Sp. 277. Ebenso deutlich Iselin III, S. 170, und Zedier XVII, Sp. 1418f. Jöcher II, Sp. 2454. Das falsche Druckjahr geht möglicherweise auf eine Verstellung der beiden letzten Ziffern zurück. 183 Vgl. Sitzmann II, S. 180. 184 Möglicherweise von Burmann, der diesen Brief in seine Sylloges epistolarum (BURMANN 1727), S. 359, aufnahm? 185 Zu ihmBenzing, S. 189. 186 Vgl. zu beiden Werken das Literaturverzeichnis (Eintrag unter Barth). 187 Zu ihm Hausmann 1995 sowie der Sammelband von Jaumann 1998. 188 In Lingelsheims Briefen findet Schoppe immer wieder verächtliche Erwähnung, besonders dessen persönliche Angriffe auf Scaliger erzürnten ihn (vgl. seine Korrespondenz mit Scaliger sowie die Briefe von Denaisius an ihn aus dem Jahre 1608); bezeichnend auch sein scharfes Urteil im Zusammenhang mit der hier zu behandelnden Briefedition in dem Schreiben an Jean Hotman, 24.10.1612 [SHP: M s s l 0 v , Bl. 3'). 182
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Gleichwohl wird Lingelsheim verschiedentlich als der Verfasser des Cave canem gesehen. Nicht nur die Zeitgenossen wollten in ihm einen scharfzüngigen Polemiker erkennen, sondern auch die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts erweckte diesen Eindruck zumindest an diesem Beispiel. Während die Diskussion um den Verfasser der Dissertatio bereits früh aus den Quellen entschieden war und lediglich als biographisches Detail immer wieder in den Lexikonartikeln geschildert wird, ist die Zuweisung des Cave canem bis heute widersprüchlich. Reifferscheid weist als erster diese Schrift Lingelsheim zu.189 Er wendet sich damit gegen die Entschlüsselung des Pseudonyms, hinter dem bereits Placcius in seinem Theatrum Anonymorum et pseudonymorum190 Kaspar von Barth (1587-1658) erkannt hatte. Wilhelm von Lingelsheim folgt Reifferscheid in seiner Argumentation. Auch Press und Kühlmann fuhren diese Schrift in ihren Lexikonartikeln als einziges zu Lebzeiten Lingelsheims von ihm verfaßtes Werk auf.191 Hausmann scheint in seiner Biographie über den jungen Schoppe durchaus noch Zweifel zu hegen,192 während erst jüngst De Smet in einem Aufsatz über die Streitschriften Schoppes gegen die niederländischen Späthumanisten eindeutig gegen Lingelsheim entscheidet.193 Das Pseudonym ist in der Tat leicht als ein Anagramm für »Gaspar a Barth« aufzulösen.194 Reifferscheid zitiert als Beleg für eine Verfasserschaft Lingelsheims den Ausschnitt eines Briefes von Isaac Casaubon an Lingelsheim vom 26. November 1612, in welchem jener seinen Heidelberger Freund für die Veröffentlichung einer Schrift gegen Schoppe lobt.195 In dieser Schrift möchte Reifferscheid die genannte Satire erkennen. Doch Casaubon bezieht sich gar nicht auf das Cave canem. Vielmehr gilt sein Lob Lingelsheims Unterfangen, einen langen Brief des französischen Gelehrten gegen Schoppe zum Druck befördert zu haben. Es handelt es sich um den Brief Casaubons vom 9. August 1612, den längsten seiner Korrespondenz mit Lingelsheim. Der Text ist für den Druck nicht verändert worden. Vermehrt um das Fragment eines undatierten Briefes von Casaubon an Scaliger, der im Zuge der Angriffe auf den Leidener Professor entstanden war und hier als zusätzlicher Beleg für die Unrechtmäßigkeit der Schoppeschen Schrift herangezogen wird, veröffentlichte Lingelsheim diesen Brief, der durch seine unmittelbare Publikation den Charakter einer publizisti189
REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 7 1 4 f .
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Placcius, S. 580. Vgl. N D B XIV, S. 622 (Press); Killy VII, S. 303 (Kühlmann). Bei Kühlmann handelt es sich offenkundig um ein Versehen, da er diese Schrift in seinem Artikel zu Kaspar von Barth im gleichen Lexikon (Killy I, S. 321 f.) bereits diesem zugewiesen hatte. Diesen Eindruck erweckt jedenfalls die Formulierung von Hausmann 1995, S. 21 f., Anm. 31: »Obgleich >Tameus Hebius ä Sper[i]gä< leicht als Anagramm von Gaspar a Barth (an die Namen sind lateinische Endungen angefügt) aufzulösen ist, soll nach Meinung des stets wohlinformierten Alexander Reifferscheid [...], S. 714ff. Lingelsheim für diese Satire verantwortlich zeichnen, der sich jedoch so gut verstecken konnte, daß Schoppe sich in der Folgezeit nie gegen ihn wandte.« Wortwörtlich wiederholt in ders. 1998, S. 451, Anm. 25. Vgl. De Smet 1998, S. 224f. Zu Barth vgl. Hoffmeister 1931, zum Cave Canem (1612) hier S. 45f.; außerdem (wie stets mit aller einschlägigen Literatur) der Kommentar in: Humanistische Lyrik, S. 1484—1527. C a s a u b o n u s 1638, S. 244.
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215 sehen Streitschrift gewinnt.196 Daß die Späthumanisten ihre privaten Briefe stets auch mit dem Blick auf eine spätere Veröffentlichung schrieben, ist hinlänglich bekannt; dieser Fall bietet ein Beispiel dafür, wie sehr die Gattung des >Privatbriefes< von den Späthumanisten wie alle anderen von ihnen verfaßten Texte immer auch sogleich für eine gelehrte >Öffentlichkeit< konzipiert war. Casaubon schlägt in seinem Brief einen ebenfalls rüden Ton an. Noch einmal erinnert er an Schoppes Invektiven gegen Scaliger. Inzwischen habe Schoppe auch den englischen König geschändet. Es sei doch allen deutlich, daß es sich um einen Wahnsinnigen handle, ohne Gewissen, um einen Feind der Wahrheit bis zur äußersten Grenze der Schamlosigkeit (»ad ultimam impudentiae [...] lineam«), einen tollwütigen Hund (»canis rabiosus«), um - das wird gleich mehrfach betont - den Sohn eines Grabschänders (»vespillonis filius«). Doch geht es Casaubon zugleich auch um seine eigene Verteidigung. Die Kraft und die Wirkung des Wortes waren der Gelehrtenrepublik bekannt und bewußt. Die eigene edle Abstammung, die beste Ausbildung, die gewissenhaften Studien und der Rang als Gelehrter werden von Casaubon in die Waagschale geworfen, um aus einer überlegenen Position heraus sein Mitleid, und was anderes solle man mit Schoppe empfinden (»quis non miseretur?«), mit dem verwirrten und verirrten Geist zu bekunden. Rufmord wird letztlich mit Rufmord vergolten ein eindrucksvoller Beleg für einen Streit zwischen Späthumanisten, der durch gegenteilige konfessionelle Überzeugungen aufgeheizt wurde.197 3.2.2.2. Lingelsheims Übersetzung von Henry Saviles Commentarivs de militia romana (1601) Lediglich in einem einzigen Fall läßt sich Lingelsheim als Verfasser bzw. als Übersetzer eines Werkes bestimmen. Es handelt sich um den im Jahre 1601 bei Gotthard Vögelin in Heidelberg anonym veröffentlichten Henrici Savilis Angli Commentarivs de militia romana. Henry Savile, Rektor am Morton-College, hatte 1591 verschiedene Schriften des römischen Historikers ins Englische übersetzt.198 Darunter auch vier Bücher der »Geschichte«, denen er neben Anmerkungen einen umfangreichen Kommentar zur Geschichte der römischen Kriegsführung und Militärorganisation beifügte.199 Tacitus war durch Lipsius' »Politik«
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Ebd., S. 808-813. Lingelsheim übersandte den Druck mit seinem Brief vom 23.10.1612 nach England (BLL: Bumey MS 365, Nr. 96, Bl. 126). - Von der Isaaci Casavboni epistola (= CASAUBONUS-LINGELSHEIM 1612) liegen allein in der Bibliothèque National in Paris mehrere Exemplare vor. Sign.: D 2 2846, Ln27 32829 (gleicher Druck wie D 2 2846, aber so stark beschnitten, daß Textverlust zu beklagen ist). Eine andere Auflage ist zusammengebunden mit Baudius 1615 (vgl. dazu oben Anm. 179). Sie hat ein anderes Titelblatt und ist in Octav gedruckt: Jsaaci Casavboni epistola, ad Georgivm Michaelem Lingelshemivm. [o.O.u.D.u.J.] (Sign.: Z 14015 [3]). - Ich zitierte stets nach dem erstgenannten Exemplar. Von einer Wahrung der »inneren Grenzen der Gelehrtenrepublik« im Sinne der Einhaltung eines gemein verbindlichen Gelehrtenethos, wie es Mulsow 2000 als signifikant für die offen, d.h. schriftlich ausgetragenen, Konflikte in der res publica litteraria hervorgehoben hat, ist hier nichts zu spüren. Savile: Nero (1591); vgl. dazu unten S. 447. Nach Scholderer 1911, S. XVI, handelt es sich um die erste englische Tacitus-Übersetzung.
216 zum wichtigsten Musterautoren für die Ausbildung eines Gemeinwesens im frühmoderen Territorialstaat geworden. Saviles Kommentar unterscheidet sich aber in der Darstellungsweise von Lipsius' Werk. Das wird bereits durch die im Titel ausdrücklich bezeichnete Gattung angezeigt. Der Kommentar dominiert hier, die Argumentation wird in geübter humanistisch-philologischer Manier durch die antiken Autoren belegt. Nahezu alle antiken Geschichtsschreiber werden als Zeugen herangezogen. 200 Savile beweist sich sowohl als kritischer Philologe als auch als humanistischer Historiker. Er entwickelt aus den Quellen die Organisation des römischen Heeres als die eines Bürgerheeres. Das römische Wehrwesen wird ebenso behandelt wie das Schanzenwesen und die Schlachtenordnung der Truppen. Saviles Stil ist von Lipsius beeinflußt. Noch deutlicher allerdings ist dieser Einfluß in der lakonischen Kürze der zwölf Jahre nach Lipsius' »Politik« erscheinenden lateinischen Übersetzung Lingelsheims. Dieser Kommentar begründete Saviles Ruf in der europäischen Gelehrtenrepublik. Sein Werk ist ein weiteres Beispiel dafür, welche herausragende Bedeutung unter den antiken Autoren gerade Tacitus von den europäischen Gelehrten um 1600 eingeräumt wurde. Tacitus war der historische Ratgeber für die Gegenwart, von ihm ließen sich eigene politische Handlungsmöglichkeiten ableiten. Das war ein verändertes Geschichtsverständnis, das maßgeblich von Lipsius' Tacitus-Rezeption beeinflußt worden war: eine pragmatische Geschichtsinterpretation für die politische Praxis des frühabsolutistischen Fürstenstaates. 201 Daß Lingelsheim der - ungenannte - Übersetzer dieses Werkes gewesen ist, geht aus seinen Briefen eindeutig hervor. 202 Gerade an diesem Werk läßt sich ein weiteres Mal illustrieren, welche Verworrenheit bis heute in der Frage herrscht, welche Werke Lingelsheim zu Lebzeiten veröffentlicht habe. Im alten Katalog der Staatsbibliothek Berlin wurde ein - nunmehr verlorenes - Exemplar seinem Sohn Friedrich Lingelsheim zugeschrieben, 203 im Katalog der HerzogAugust-Bibliothek findet sich ein Exemplar unter dem Namen Marquard Freher eingeordnet. 204 Auch Sandys sieht in Freher den Übersetzer. 205 Allerdings hatte schon Placcius Lingelsheim als den Urheber dieser Übersetzung benannt. 206
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Die zitierten Autoren werden im Anhang der Übersetzung aufgefiihrt. Vgl. dazu Kühlmann 1987a. Dem widerspricht Muhlack 2000, S. 175, Anm. 65, der darin kein verändertes Geschichtsverständnis, sondern eine veränderte Zeiterfahrung erkennen möchte. 202 Zur Frage der Verfasserschaft vgl. neben den sogleich in Anm. 207f. zitierten Briefen Lingelsheims Schreiben an Bongars vom 22.06.1601 (BONGARS 1660, S. 145f.) sowie an Junta vom 23.03.1601 (AYRMANN 1746, S. 559). Das Berner Exemplar des Commentarius (1601) (BBB: Bong. IV. 326) trägt außerdem eine Widmung von der Hand Lingelsheims: »Magnifico et nobilissimo viro, DN. JACOBO BONGARSIO, Regis Christianissimi ad Imperij Princeps Oratori, L. M. D. D. interpres Lingelshemius«. Die handschriftlichen Einträge im Breslauer Exemplar (UB Wroctaw: 374478) stammen entgegen der Zuweisung von Lingelsheim 1922, S. 26, nicht von seiner Hand, sondern von Wotton. Weitere Exemplare verzeichnet Dyroff 1963, Sp. 1380. Vgl. außerdem Waterhouse 1914, S. 91. 203 SB Berlin: Rn 6802. 204 HAB: Gg 302. 205 Vgl. Sandys 1964, Bd. II, S. 333. 206 Vgl. Placcius, S. 259. 201
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Lingelsheim kannte Savile seit seiner Zeit als praeceptor Robert Sidneys. Sie hatten sich 1580 in Wien getroffen und pflegten seitdem eine lose Korrespondenz, von der sich heute nur noch ein früher Brief erhalten hat. Es ist nicht festzustellen, ob Lingelsheim die englische Ausgabe des Savile von diesem zugeschickt bekommen hatte. Er begann die Arbeit an der Übersetzung im November 1600 und schloß sie bereits am 20. Februar des folgenden Jahres ab.207 Das teilt er in seinem Brief an Bongars von diesem Tag mit: »Militia Saviliana absoluta iam [...]«, heißt es dort; der Druck werde allerdings noch ein wenig dauern.208 In der Vorrede betont Lingelsheim ausdrücklich die politische Bedeutung dieses Werkes. Damit erklärt er sein Anliegen, diesen Kommentar, der Lipsius' Schriften an die Seite gestellt wird, aus dem Englischen in die Sprache zu übersetzen, die »hodie omnium paene gentium viris doctis communis est.«209 Es wurde ja bereits am Beispiel der englischen Briefwechsel Lingelsheims darauf verwiesen, daß die englische Sprache damals nur wenige verstanden.210 Lingelsheims Übersetzung ist also zum einen dadurch motiviert, Saviles Kommentar in die gelehrte Diskussion einzuführen. Daß Lingelsheim sich diesem Werk zuwandte, ist zum anderen aber durch die damals aktuelle kurpfälzische Diskussion über die Einrichtung eines Landesdefensionswerks bedingt, die die Heidelberger Politiker um 1600 führten. Vorbild war die oranische Heeresreform. Den Anstoß zu dieser militärischen Reorganisation im frühneuzeitlichen Territorialstaat hatte Lipsius mit seiner »Politik« gegeben, der in den letzten beiden Büchern die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes erörtert und damit als eine zentrale Frage für die Fürsten und ihre Räte aufgeworfen hatte.211 Über die Nassauer und Wetterauer Grafen, die in der kurpfälzischen Politik seit Friedrich IV. anstelle der - gegen diese Pläne eingenommenen - Reichsritter wichtige Ämter bekleideten, wurde diese Diskussion auch in die Kurpfalz getragen. Das Landesdefensionswerk wurde »als Teil eines allgemeinen protestantischen Zusammenschlusses gegen drohende katholische Übergriffe«212 ins Leben gerufen. Es war damit Bestandteil der umfassenden konfessionspolitischen Ambitionen und galt als wichtiges Instrument zur militärischen Konsolidierung der Kurpfalz.213 Lingelsheim, der im Oberrat von Anfang an zur Partei der Wetterauer Grafen gehörte, führte mit seiner Übersetzung das römische Vorbild in die kurpfälzische Debatte um das Landesdefensionswerk ein. Er hielt sich dabei eng an den 207 208 209
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Vgl. seinen Brief an Bongars vom 20.11.1600 (BONGARS 1660, S. 134f.). Lingelsheim an Bongars, 20.02.1601 (ebd., S. 141). Lingelsheim: Commentarius (1601), S. Aijv. Interessant ist die Begründung, die auf Lipsius zielt: dieser, heißt es, habe beklagt, Saviles Kommentar nicht benutzt zu haben können, obwohl er es gerne getan hätte; auch deshalb die Übersetzung in die Gelehrtensprache. S. oben S. 146. Dazu Oestreich 1969a. Zur oranischen Heeresreform in den Niederlanden mit einem Ausblick auf ihre Auswirkungen auf das übriges Europa auch die, allerdings militärgeschichtlich angelegte, Habilitation von Hahlweg 1941. Press 1970, S. 406. Dazu ebd., S. 406-433; außerdem Wolf 1937.
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Text des Savile. Lediglich die kurze Vorrede stammt von ihm. Man kann diese Schrift somit nicht als eine eigenständige philologische Leistung Lingelsheims würdigen. Er schuf durch seine Übersetzung kein Werk, das vom Übersetzer selbst als Originalwerk neben der Vorlage verstanden wurde. So ist es in diesem Falle weniger der Gelehrte Lingelsheim, der mit dieser Übersetzung als Philologe und Historiker in Erscheinung tritt, sondern der kurpfälzische >PolitikerAutor< zu identifizieren ist. Nicht einmal an der von der späthumanistischen Gelehrtenrepublik so fleißig betriebenen Sitte kasualer Dichtung beteiligte er sich. Von Lingelsheim ist kein einziger Vers im Druck erschienen. So sucht man auch in Gruters zwischen 1608 und 1614 in insgesamt fünfzehn Bänden publizierten Delitiae Poetarum vergeblich seinen Namen. Gruter versammelt hier die Gedichte der besten neulateinischen Dichter vornehmlich des 16. Jahrhunderts aus Italien, Frankreich, Deutschland und den - belgischen wie Vereinigten - Niederlanden und präsentiert mit fast 650 Poeten den umfassendsten neulateinischen Dichteralmanach der Zeit.214 Es ist bezeichnend, daß in die einzige Gelegenheitsschrift, in der bislang ein Beitrag Lingelsheims nachzuweisen ist, dem Breslauer Druck auf Christoph Coler, kein Gedicht, sondern ein Briefauszug aufgenommen wurde. 2 ' 5 Lediglich in zwei Briefen an Colli sind kurze poetische Versuche erhalten. Ein lateinisches Epigramm auf Colli und ein französisches Anagramm auf seinen Schwager David Virot scheinen von Lingelsheim zu stammen.216 Mertens und Verweyen vermuten außerdem, daß er für Zincgrefs Emblemata einige französische Quatrains beisteuerte.217
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S. o b e n A n m . 19. Jn Curam Bibliothecae Publicae Vratislaviensium (im Briefverz. zitiert als COLER [1639]), Bl. C3 r . Allerdings ist diese Textsorte hier besonders stark vertreten, so sind auch Briefe von Gruter, Bernegger, Zincgref aufgenommen. - Den Hinweis auf diesen Druck verdanke ich Herrn Prof. Dr. Klaus Garber (Osnabrück). Vgl. seine Briefe an Colli, 30.07.1594 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 5(f) mit dem Epigramm auf Colli und v o m 26.08.1594 (ebd., Bl. 56 ) mit d e m A n a g r a m m auf Virot. So Dieter Mertens und Theodor Verweyen in der »Einleitung« zu Zincgref: Ges. Schriften, Bd. II/l, S. 3. - In den Zusammenhang des Streites zwischen Gentiiis und Pacius (s. dazu S. 344 mit Anm. 517) gehören auch zwei lateinische Epigramme, die sich in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen (Ny kgl. S. 617, S. 180f.) befinden und die REIFFERSCHEID 1889, S. 968, abdruckt. Möglicherweise, das ist den Briefen nicht zu entnehmen, stammt zumindest das erste Epigramm, ein Spottgedicht auf Schoppe, von Lingelsheim.
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Allerdings widmete sich Lingelsheim durchaus philologischen Studien. Auf sein lebenslanges Interesse an den Naturwissenschaften ist schon verwiesen worden.218 Erneut aber trat er vor allem dadurch hervor, daß er seine späthumanistischen Freunde in vielfältiger Form bei ihren gelehrten und publizistischen Vorhaben unterstützte. Zwei Gruppen von Texten sind dabei zu unterscheiden. Zum einen handelte es sich um philologische Studien, also humanistischkritische Editionen antiker Autoren. Zum anderen waren es Arbeiten, die ebenfalls die antiken Autoritäten heranziehen, auswerten und kommentieren, die aber darauf zielen, die historischen Exempel für die Bewältigung der Gegenwart verfugbar zu machen. Beides waren genuine Arbeitsfelder der späthumanistischen Gelehrten, denen das gleiche Antikeverständnis zugrunde lag. Lingelsheims Mitwirkung an diesen Vorhaben der nobilitas litteraria besaß dabei unterschiedliche Formen. Auch hier ist im Blick auf die folgenden Ausfuhrungen eine Zweiteilung vorzunehmen. Zum einen regte er Studien an, forderte deren Entstehung durch Kritik und Materialien, übernahm Korrekturen und setzte sich für eine Drucklegung ein. Zum anderen trat er selbst als Herausgeber auf; hier nun allerdings gerade von Werken, die einen aktuellen Zeitbezug besaßen und vornehmlich auf die Vorleistungen der humanistischen Gelehrtenrepublik zurückgriffen. 3.2.2.3.2. Die Zusammenarbeit mit Commelinus in Heidelberg Die Heliodor-Ausgabe von 1596 Für die erstgenannte Form des Zusammen- und Mitwirkens lassen sich aus den Korrespondenzen zahlreiche Zeugnisse beibringen. So versuchte Lingelsheim, Johannes Gernand für eine Theophrast-Ausgabe zu begeistern,219 bat Johannes Praetorius um einen Kommentar zu Scaligers Cyclometrica elementa duo,220 sandte Rittershausen eine Oppianus-Handschrift und Casaubon von diesem erbetene arabische Codices aus der Palatina zu.221 Noch im Straßburger Exil deutete er für Gruter Dichtungen des Publius Syrus222 und unterstützte Bernegger bei dessen historischen Arbeiten.223 Das sind nur einige wenige Beispiele, 218
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S. oben S. 99. Lingelsheim an Bongars, 15.04.1598 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 186b1). Vgl. dazu die Ausführungen S. 346. Vgl. dazu den Brief von Posthius an Rittershausen, 04.06.1595 (als Regest bei Karrer 1993, S. 323). - Isaac Casaubon hatte Lingelsheim am 22.05.1604 gebeten: »ut Codicis Arabici usum mihi impetraret«, welche in der Palatina lägen (CASAUBONUS 1638, S. 225), ein Wunsch, den Lingelsheim erfüllte (vgl. Lingelsheim an Casaubon, 05.06.1604 [BLL: Burney MS 365, Nr. 83, Bl. 1061). Dazu Casaubons Dankesbrief an ihn vom 03.09.1604 (CASAUBONUS 1638, S. 226). Mit diesen Briefen beginnt die Korrespondenz der beiden Gelehrten. Am 26.02.1625 bedankt sich Gruter bei Lingelsheim für seine Hilfe (REIFFERSCHEID 1889, S. 210): »Maximas tibi ago habeoque gratias ob explicationes vestras versuum P. Syri, et in omnibus fere idem sentitis quod ego: nisi quod nonnulli sint explicationis ambiquae.« Vgl. ebd., S. 898: Reifferscheid fuhrt als Belege verschiedene Briefe Berneggers an, in denen sich jener um ein Privileg und um Kapital für seinen Plan einer Ausgabe alter Historiker bemühte. Lingelsheim versuchte in seinen Briefen an Feilding vergeblich, diesen für das Unternehmen als Finanzier zu gewinnen, s. unten Teil II, Kap. 5.6. - Auch an Berneg-
220 die bereits andeuten, in welchem Maße sich Lingelsheim am gelehrten Austausch seiner Zeit aktiv beteiligte und wie weit seine gelehrten Interessen reichten. Diese Beispiele werden im zweiten Teil dieser Arbeit in den einzelnen Abschnitten zu Lingelsheims Korrespondenten auszufuhren und um weitere zu ergänzen sein. Die bedeutendsten Philologen, Juristen und Historiker seines Korrespondentenkreises wie Casaubon, Goldast, Grotius, Gruter oder Scaliger sandten Lingelsheim ihre Werke oftmals schon als Manuskripte zu. Er war ein ebenso geschätzter wie belesener Kritiker, er war Anreger und Förderer. Lingelsheim verfugte außerdem über gute Kontakte zu Druckern: zu Commelinus in Heidelberg oder über den ehemaligen Lehrer seiner Kinder Gottfried Jungermann zur Offizin von Wechel und de Marne in Hanau. Jungermann wirkte hier seit 1605 für wenige Jahre als Korrektor und Kommentator. Noch in Straßburg reichten seine Möglichkeiten aus, wohl durch Vermittlung Berneggers den zweiten Teil von Gruters Florilegien bei Zetzner unterzubringen. 224 Besonders eng gestaltete sich Lingelsheims Zusammenarbeit allerdings mit dem Heidelberger Drucker Hieronymus Commelinus und dessen Offizin. Commelinus gehörte zu jenen späthumanistischen Buchdruckern, die auch eigene gelehrte Interessen verfolgten. Es ist signifikant für seine Stellung im Heidelberger Späthumanismus und für Lingelsheims persönliches Verhältnis zu ihm, daß Lingelsheim den Tod des 1597 an der Pest verstorbenen Druckers als einen großen Verlust für die Gelehrtenrepublik betrauerte. 225 Aus der Zusammenarbeit mit Commelinus gingen zwei Editionen antiker Autoren hervor. 1596 erschien eine Heliodor-Ausgabe, 1599 eine Ausgabe der Schriften des Apollodor. 226 Eine Phaedrus-Ausgabe, von deren Vorbereitung Lingelsheim im September 1596 an Bongars berichtet, kam nicht mehr zustande.227 In welchem Maße Lingelsheim an diesen philologisch-kritischen Ausgaben mitwirkte, wird aus seiner Korrespondenz nicht genau ersichtlich. Allerdings scheint er, vor allem bei der Heliodor-Edition, durchaus intensiver als Berater und vielleicht sogar als Korrektor involviert gewesen zu sein. Auf den Titelblättern werden beide Ausgaben zwar als Werke Commelinus' bezeichnet. Doch beiden gehen Widmungsbriefe an Lingelsheim voran. 228 Die humanistische Vorrede ist der genuine Ort, an dem der Verfasser bzw. Herausgeber sich sowohl zur situativen Entstehung des Textes und zu seinen Intentionen äußern
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gers Ivstini [...] epitomarum editio nova (1631), die auf Bongars' Vorarbeiten beruhte, wirkte Lingelsheim mit, vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 434f. Vgl. Gruter an Lingelsheim, 27.02.1622: »Si tarnen opella mea illa utilis fuerit Zetznerianis, assecutus sum scopum meum« (ebd., S. 123f.). Es handelt sich um die Ausgabe Gruter: Florilegii magni tomvs secundus (1624). Lingelsheim an Bongars, 30.12.1597: »Apud nos quieta omnia, et remisit lues publica apud nos, sed heu nimis magnum damnum rei litteratiae, nobisq. intulit abrepto optimo Comelino nostro [...]« (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 184'). Zu Commelinus und seiner Offizin Port 1938. Vgl. ebd., S. 25 u.ö. Vgl. Lingelsheim an Bongars, 30.09.1596 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 162"). Sie sind abgedruckt bei Port 1938, S. 106f. u. 123f.; die zweite Widmung ist hier unvollständig. Mir lagen von beiden Werken die Exemplare der UB Heidelberg vor; sie sind im Literaturverzeichnis Commelinus zugeordnet, dem zweifellos der größere Anteil an beiden Editionen, auch am Heliodor, zuzusprechen ist.
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als auch Mäzenen huldigen und seine Verbundenheit mit gelehrten Freunden bezeugen kann. Neben dem Brief und dem Gelegenheitsschrifttum ist die Vorrede eine weitere spezifische Textsorte, in der sich späthumanistisches Selbstverständnis artikuliert.229 Lingelsheim wird in der Vorrede zum Heliodor von Commelinus mehr als nur als einflußreicher Gönner gewürdigt: »Tu vero e multis, non sine causa, Lingelshemi, patronum Heliodoro eligere volui«.230 Man muß sich die späthumanistische Schreibpraxis vor Augen fuhren, die vielfach nur andeutet, woraus sich die Zeitgenossen ihr eigenes Urteil bilden konnten. Dann scheint es offenkundig, daß mit dieser Zueignung mehr als nur ein Mäzen angesprochen ist, dessen Förderung sich ein Verfasser auch für die Zukunft vergewissern möchte. Zwar ist zu bedenken, daß die Widmung an Lingelsheim im Zusammenhang mit seiner Hochzeit mit Agnes Loefen erfolgte. Doch daß Lingelsheim in einem Brief an Bongars von seinem Heliodor (»Heliodorum meum«) spricht, deutet auf eine stärkere Anteilnahme und wohl auch auf eine Beteiligung an diesem Werk hin, die für den Apollodor so nicht erkennbar ist.231 Die Heidelberger Heliodor-Ausgabe bedeutete einen Fortschritt in der philologischen Konstituierung des Aithiopika-Romans insofern, als hier erstmals verschiedene Textzeugen herangezogen wurden, darunter eine Handschrift der Palatina. Die Humanisten schätzten Heliodor sowohl wegen der poetischen Qualität als auch aufgrund des moralischen Gehaltes seines Romans, der seit seiner Basler Erstausgabe eine beliebte Lektüre der Gelehrten bis ins 17. Jahrhundert hinein war. Die Heidelberger Ausgabe blieb bis ins 18. Jahrhundert die maßgebliche Edition.232 Zweifellos trug Commelinus den Hauptanteil daran und ist als der eigentliche kritische Herausgeber anzusehen. Lingelsheim aber ist an dieser Edition offenbar mehr als an jedem anderen der bislang genannten bzw. noch vorzustellenden Werke seiner Freunde beteiligt gewesen.
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Die (spät)humanistische Widmungsvorrede ist bislang kaum untersucht. Mit der Studie von Schottenloher 1953 liegt ein Grundwerk vor, dem für diese Forschungen entscheidende Anregungen zu entnehmen wären hinsichtlich der sozialgeschichtlichen und kommunikativen Funktion dieser Textsorte und ihres Wertes als historische Quelle. Das gilt auch für die Arbeit von Leiner 1965 über französische Widmungsbriefe, die nicht nur mit der literarischen Form der Widmungsbriefe, sondern auch mit ihrer sozialgeschichtlichen Funktion im Beziehungsgeflecht Autor-Leser-Mäzen vertraut macht und insofern ebenso exemplarischen Charakter besitzt. Jüngst hat Klaus Garber die Bedeutung der Gattung in einem bislang unveröffentlichten Manuskript entwickelt, das mir dankenswerterweise zugänglich gemacht wurde (Garber 2000). Die sich wandelnden Formen und Funktionen der Buchwidmung im 17. und 18. Jahrhundert und damit verbunden ihre Bedeutung für die literarische Kommunikation untersucht, allerdings mit einem Schwerpunkt auf dem zeitgenössischen Drama, Schramm 2003.
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Zitiert nach Port 1938, S. 107. Lingelsheim erhielt von Commelinus mehrere Exemplare des Heliodor, die er sofort in seinem Freundeskreis verbreitete. So schickt er das Buch an Colli (10.09.1596 [SUH: Sup. ep. 14, Bl. 69']) und an Bongars (vgl. seine Briefe vom 17.09. und 30.09.1596 [ZBZ: Ms. F. 81, Bl. 161-162]). Ein Exemplar existiert heute noch in der BBB (Sign.: Bong. V 108), oben rechts auf das Titelblatt trug Bongars handschriftlich den Donationsvermerk ein. Vgl. zu den Heliodor-Ausgaben Mazal 1966, zur Heidelberger Ausgabe S. 185f. mit dem oben wiedergegebenen Urteil über ihre philologische Bedeutung.
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222 Gleichwohl ändert sich auch durch diese letztlich nur indirekt herzuleitende Beteiligung am Heidelberger Heliodor ebenso wie durch seine Übersetzung des Tacitus-Kommentars Saviles nichts an dem Gesamturteil, daß Lingelsheim ebensowenig wie durch eigene poetische Leistungen durch selbständige philologische Studien in Erscheinung trat. Obgleich ihn Gräße nicht nur als Epistolographen, sondern auch als klassischen Philologen würdigt, vermochte er kein einziges philologisches oder historisches Werk zu nennen.233 WilamowitzMoellendorf oder Sandys erwähnen Lingelsheim nicht.234 Es ist deshalb dem Urteil Konrad Bursians zuzustimmen, der Lingelsheim nur als einflußreichen Heidelberger Rat würdigt, der eine »lebhafte Theilnahme« an den klassischen Studien in Deutschland zeigte.235 3.2.2.3.3. Bongars' AdRoberti Cardinalis Bellarmini librum de temporali potestate Papae, Commentatio (1612) Anders liegt der Fall in der zweiten Gruppe von Texten, die oben bezeichnet wurde, d.h. die im weiteren Sinne historischen Studien mit aktuellen konfessionspolitischen Intentionen, an deren Entstehung oder Herausgabe sich Lingelsheim in verschiedenster Form beteiligte. Auch hier trat er zum einen als Anreger und Förderer auf, der seine späthumanistischen Freunde durch Materialien unterstützte und sich um Drucker bemühte. Zum anderen aber betätigte er sich gerade hier mehrfach als Herausgeber. In diesen Zusammenhang ist der von ihm zum Druck beförderte Casaubon-Brief gegen Schoppe einzuordnen. Diese Gruppe von Texten unterschiedlicher Gattungen verdeutlicht noch einmal, daß Lingelsheim in den schweren, in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges mündenden religiösen und politischen Konflikten des konfessionellen Zeitalters späthumanistische Positionen vehement verteidigte. Das geschah sowohl aus dem Standesbewußtsein und Selbstverständnis der nobilitas litteraria als auch aus einer irenischen Grundhaltung heraus, wie sie einem durch den niederländischen Neostoizismus geprägten politischen Späthumanismus zu eigen geworden war. Lingelsheim scheute dabei nicht das persönliche Risiko, daß seine Anonymität als Herausgeber nicht gewahrt bleiben und er dadurch selber zum Ziel polemischer Attacken werden könnte. Daß er sich mit seinem Engagement für die Schriften seiner gelehrten Freunde durchaus auch gegen Mehrheiten etwa in der kurpfälzischen Regierung zu stellen bereit war, sei hier an einem prägnanten Beispiel vorgeführt. Im Gegensatz zu den meisten übrigen kurpfälzischen Politikern und abweichend von der kurpfalzischen Unterstützung der Kontraremonstranten neigte Lingelsheim bekanntlich zu den Arminianem.236 In deren Sinne hatte Grotius in seinem Werk De imperio das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Macht, also die ebenso zentrale wie brisante Frage des ius circa sacra thematisiert. Seit 1614 hatte der Rotterdamer Ratspensionär seine Schrift 233
Vgl. Gräße 1853, S. 957 u. 966, Anm. 29. Sandys 1964, Bd. II, und Wilamowitz-Moellendorff 1921. 235 Bursian 1883, Bd. I, S. 271. 23 « S. oben S. 148ff. 234
223 als Manuskript in Umlauf gebracht.237 Lingelsheim, der Grotius bereits bei der Entstehung des Werkes unterstützt hatte,238 erhielt im Juli 1617 ein Exemplar.239 Schon wenige Wochen später lobt er in einem Brief an Grotius dessen scharfsinnige und treffende Urteile (>acerrimum iudiciumSpielarten< ist von der germanistischen Forschung lange unter einer rein erlebnisästhetischen Perspektive vernachlässigt worden (s. auch oben das symptomatische Zitat von Österley in der Einleitung, Kap. 3, Anm. 24), inzwischen aber in ihrem herausragenden Zeugniswert für prosopographische Untersuchungen und für die literarisch-sozialen Prozesse regionaler literarischer Kommunikation erkannt. Nach wie vor jedoch sind die Casualia zum größeren Teil unbekannt und auch unerschlossen. Allerdings wird an der Universität Osnabrück seit einigen Jahren ein Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums (Hg. v. Klaus Garber, Hildesheim [u.a.] 2001 ff.) ediert, das Zehntausende von Kasualdrucken aus mittel- und osteuropäischen Bibliotheken erfaßt und erschließt; vgl. dazu den Projektbericht Forschungsstelle 2000 (mit einer ausführlichen Bibliographie der Forschungsliteratur, die deshalb hier nicht weiter zu referieren ist).
236 gen, über welche Kontakte er verfügte, Kontakte, die sich später durchaus für die eigene Karriere aktivieren ließen. Sie dienten ebenso der Erinnerung wie auch dem lebensmächtigen Beweis der Zugehörigkeit zur Gelehrtenrepublik wie sie ihr Zusammengehörigkeitsgefühl ausdrückten. Die Stammbücher sind sowohl biographisch als auch sozialgeschichtlich zentrale Quellen, die aber bislang nur unvollständig durch die Forschung erschlossen worden sind.302 Im Zusammenhang dieser Arbeit konnten keine gezielten Recherchen nach Lingelsheim-Autographen in europäischen Stammbüchern durchgeführt werden. So sind nur einige zufallige Funde zu verzeichnen, der frühste ein Blatt aus dem Stammbuch Eschers vom 3. April 1587, der späteste ein Eintrag in dem Stammbuch des Nicolaus Rittershausen, Sohn des Altdorfer Juristen und LingelsheimKorrespondenten Conrad Rittershausen, aus dem Juli 1628.303 Eine weitere herausragende Gattung zur Artikulation späthumanistischen Selbstverständnisses waren die Vorreden. Klaus Garber hat erst jüngst darauf hingewiesen, daß der humanistischen Vorrede als eigenständiger literarischer Form, aus der humanistische Schreibpraxis ebenso wie Selbstverständnis und Programmatik der Gelehrtenrepublik entwickelt werden können, bislang zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde: In der Vorrede ist der gegebene und wiederum durch Tradition beglaubigte und bekräftigte Ort, Intentionen des Schreibens, Anspielungen auf die situative Plazierung des Textes, Huldigungen auf Adressaten und Mäzene, insgesamt also die der gegenwärtigen Zeit und Stunde geschuldeten Umstände des Textes wie auch immer verklausuliert zu berühren, die in der nachfolgenden gattungskonformen Äußerung eben nur nach M a ß g a b e der dieser Textsorte eigenen Regularien und deshalb in seinem Akt indirekten Sprechens zur Sprache gelangen können. 3 0 4
Wie im Falle der Stammbuchautographen Lingelsheims sind auch für die an ihn gerichteten Vorreden bislang lediglich einzelne Belege beizubringen, die systematisch zu ergänzen wären. Sie bestätigen, einsetzend mit den bereits erwähnten Widmungsvorreden des Hieronymus Commelinus als frühste Zeugnisse der an Lingelsheim gerichteten Vorreden und Widmungsbriefe, noch einmal aus anderer Perspektive und eben aus der von Garber betonten Schreibmotivation heraus, daß Lingelsheim von seinen gelehrten Freunden als ein unermüdlicher Förderer und Anreger geschätzt und gesucht wurde.305 302
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Allerdings sind gerade in jüngster Zeit zwei größere Arbeiten dazu erschienen: Schwarz 2002 und mit weitfiihrendem theoretischen Anspruch Schnabel 2003. Heute Stadtbibliothek Nürnberg (Will III 522a), S. 80 v . Zu Escher s. Bodmer 1983, S. 7. Weitere Belege: Stammbuch Jungermann, Heidelberg, 25.03.1604 (Archiv der Stadt Heidelberg: K.M. 105 4), Stammbuch Veiras, Straßburg, 28.06.1610 (SUG: 8° Cod. Ms. His. Lit. 47"), Stammbuch Joh. Jacob Callenfels, Straßburg, 01.10.1627 (Janßen 1893, S. 324). Garber 2000, S. 7. Vgl. die Widmungsbriefe Goldasts an ihn und Loefen (Goldast: Philologicarum epistolarum centuria una [1610], datiert 31.12.1609) und an ihn, Colli, Plessen, Freher (Goldast: Rationale Constitutionum Imperialium [1607]); die W i d m u n g Berneggers an ihn (Bernegger: Lupoldi D e Bebenburg [...] Tractatus [1624]). Inwieweit Lingelsheim B e m e g g e r bei dieser Arbeit unterstütze, wie Bünger 1893, S. 194, behauptet, ist nicht festzustellen. Weitere Widmungen an Lingelsheim finden sich in Frehers Chronik: D. Magni Ausonii Burdi-
237 V o n herausragender Bedeutung als M e d i u m gelehrter Kommunikation und Freundschaftszeugnis, als das Selbstverständnis der nobilitas litteraria gleichsam literarisierende w i e eine g e m e i n s a m e Identität stiftende Gebrauchsform war aber sicherlich der Brief. Er war einer verbindlichen epistolographischen Tradition und gemeingültigen stilistischen Idealen verpflichtet, w e i s t aber e b e n s o vielfältigste Gestalten auf w i e er die unterschiedlichsten Funktionen erfüllte. Nicht nur das Schreiben, sondern auch das S a m m e l n und damit das sichernde Bewahren v o n Briefen gehörte zu den großen Leidenschaften der europäischen Gelehrtenrepublik. Lingelsheim selbst beteiligte sich im V o r f e l d der ScaligerA u s g a b e an der Suche nach Briefen. 3 0 * A u c h in anderen Fällen engagierte er sich dafür, Briefeditionen einzelner Gelehrter z u veröffentlichen. So bemühte er sich, v o n Junta Lobbetius-Briefe für eine Edition z u erhalten 3 0 7 und befürwortete v e h e m e n t eine Edition der Dudith-Briefe. 3 0 8 Seine eigenen umfangreichen Briefw e c h s e l , die er über mehr als f ü n f z i g Jahre mit Gelehrten in w e i t e n Teilen Deutschlands und Westeuropas unterhielt, sind die entscheidende Quelle für Lingelsheims Stellung in der europäischen res publica litteraria. Sie lassen das e n g e B e z i e h u n g s g e f l e c h t innerhalb der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, das über gelehrte und amikale Kommunikation geknüpft wurde, deutlich erkennen. Es war diese Gattung, die Lingelsheim w i e keine andere literarische A u s drucks- und Kommunikationsform der Späthumanisten pflegte.
galensis Mosella (1619); in der Friedrich V. und seinen Räten gewidmeten akademischen Festpredigt zum Reformationsjubiläum Iubilaeus Academicus (1618); in der von Johann Jakob und Hieronymus von Brunn edierten Sammlung auf den Tod von Johann Jakob Grynaeus (Vir Sanctus Et Incomparabilis [1618], Widmung außerdem an Plessen und Johann Albrecht von Solms); von David Pareus in seinen Notae In Problema Theologicum (1616), in der Heidelberger Dissertation: König [Praes.]/Meiel [Resp.]: Disputatio Política. De Imperatore Romano (1616) (an erster Stelle mit anderen), der Gedichtsammlung von Michael Piccart: Missus Secundus Carminum (1609). Außerdem die Widmung an Michael Loefen und Lingelsheim von Johann Ingolstetter (Ingolstetter: Politicae Christianae [1614]; hier wird Lingelsheim, Bl.):( 2' übrigens nicht nur als kurpfalzischer Rat, sondern auch als oberpfalzischer Landstand angesprochen); es scheint doch bezeichnend, daß sich diese Widmung in einer Schrift gegen Bellarmin findet (vgl. dazu oben, S. 222-225). - Zur Widmung Zincgrefs an Lingelsheim in einer frühen juristischen Disputation s. unten, Anm. 329 auf S. 310. Vgl. auch die Widmung Weidners zur Triga amico-poetica (1619) und Opitzens Widmung in seinen Teutschen Poemata (dazu jeweils oben S. 178 bzw. 203). Quirinus Reuter widmete die von ihm veranstaltete Edition von Dudiths Oraliones (Offenbach 1610) Bongars und Lingelsheim (vgl. Costil 1935, S. 34). - N i c h t mehr nachgehen konnte ich dem Hinweis bei Szyrocki 1955, S. 613f., auf einen Widmungsbrief Segeths zu einer Übersetzung von Szymonowic, deren unikates Exemplar sich in Bremen befindet. 306
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Um dieses Projekt geht es immer wieder in seiner Korrespondenz mit Ludwig Camerarius in den Jahren 1624 und 1625. Es handelt sich um die Edition SCALIGER 1628. Wie sehr er sich in dieser Sache engagierte, geht aus einer Notiz in KBK: Gl. kgl. S. 4°4128k, S. 7, hervor. Zur Herkunft der dort versammelten Abschriften von Scaliger-Briefen an Hoeschel heißt es: »Praecedentes Scaligeri ad Hoeschelium epístolas, ad Ampliss. Lingelshemio mihi benevole communicatas, ex ipsius manu descripsi, mense Junio, anno M D C XXIV.« Von anderer Hand ist der Verfasser dieser Notiz hinzugefugt: es war Johann Freinsheim. Lingelsheim an Junta, 19.07.1602 (AYRMANN 1746, S. 582), vgl. auch seine erste Anfrage an denselben in dieser Angelegenheit vom 26.02.1602 (ebd., S. 583). So gegenüber Goldast, 24.11.1609 (GOLDAST 1688, S. 370); vgl. dazu REIFFERSCHEID 1889, S. 883.
238
3.2.4.
Lingelsheim als Epistolograph
Lingelsheims Briefe sind somit als sein eigentliches literarisches Werk zu verstehen. Stilistisch zeigt sich bei ihm der Einfluß der prudentia-Lehre, wie sie Justus Lipsius dem europäischen Späthumanismus implementiert hatte. Sein Stil ist knapp und präzise, er hält sich an die stilistische Maxime der brevitas ebenso wie er die Regeln der perspicuitas beachtet. Seine Analysen der konfessionspolitischen Ereignisse sind stets scharfsinnig formuliert. Über die Ereignisse in der europäischen Politik zeigt er sich ebenso wohl informiert wie er immer auf der Höhe der aktuellen Diskussionen der Gelehrten ist. Lingelsheim erweist sich als ein glänzender Stilist lakonischer Kürze. In seinen einzelnen Briefen deutet er vieles nur in wenigen Worten an, verschiedene Themen wechseln sich ohne inhaltliche Überleitungen ab. So sehr er manchmal durchaus zu heftigen verbalen Ausbrüchen gegen die Feinde des wahren Glaubens fähig ist, so bleiben seine Briefe doch stets von einer Grundhaltung neostoizistischer constantia durchdrungen und er wahrt auch stilistisch eine eruditäre Distanz zu den Konflikten seiner Zeit. In seinen Briefen wählt er überwiegend die lateinische Sprache. Lediglich in seiner politischen Korrespondenz, vor allem mit den französischen Diplomaten in der Nachfolge Jacques Bongars', bedient er sich des Französischen. Deutsche Briefe gibt es von ihm nur wenige, sie sind weitgehend adressatenabhängig insofern, als sie an Personen gerichtet sind, die außerhalb der Gelehrtenrepublik stehen. Überhaupt sind deutschsprachige Briefe in späthumanistischen Gelehrtenkorrespondenzen überaus selten. Das Latein dominiert. Es war, das zeigt sich auch in Lingelsheims Schreiben im Vergleich mit seinen deutschen Briefen, die >ausgereiftere< Sprache, es war im Gegensatz zum Deutschen längst eine kultivierte Literatursprache.309 Die Übergänge zwischen >politischen< und >gelehrten< Briefwechseln sind in Lingelsheims gesamter Korrespondenz fließend. Auch für die genera severa hielt Lingelsheim sich stilistisch an die Anforderungen des familiariter scribere. Nachrichten über konfessionspolitische Entwicklungen, also über Ereignisse, in die er über sein Amt involviert war, finden sich in fast jedem seiner Briefe. Das ist keineswegs überraschend und darf nicht dahingehend interpretiert werden, daß diese Briefe alleine deshalb als politische Schreiben zu verstehen sind. Grundsätzlich sind Lingelsheims Briefwechsel als späthumanistische Gelehrtenkorrespondenzen zu charakterisieren. Zumal sie auch in konfessionspolitischen Fragen der Zeit stets Positionen der sich von den Fürsten, ihren Räten und den Theologen abhebenden dritten Kraft vertreten und verteidigen. Das ist deutlich geworden im Zusammenhang mit der Darstellung von Lingelsheims Wirken als kurpfälzischer Oberrat, es wird noch deutlicher aus den Werken, an deren Herausgabe er beteiligt war. Die Späthumanisten lebten nicht in einem Elfenbeinturm der Erudition, sondern besaßen und behaupteten einen Platz im 309
Lohmeier 1978, S. 59f., spricht von einem qualitativen Übergewicht der lateinischen Sprache, das mit der quantitativen Dominanz der lateinischen Briefe einhergeht. Zur Ausbildung einer deutschen Hochsprache in der Dichtung vgl. oben die Einleitung, S. 34ff.
239 Leben. Der Unterschied liegt vielmehr darin, aus welcher Schreibmotivation heraus die einzelnen Briefe entstanden und welche Verbindungen zwischen Lingelsheim und dem jeweiligen Adressaten bestanden. Vielfach verlängern seine Briefwechsel die Amtsgeschäfte in die Sphäre des Privatbriefes hinein. Das ist etwa für seine Briefwechsel mit kurpfälzischen >Politikern< und einigen der französischen und englischen Diplomaten der Fall. Hier ist es teilweise bei einzelnen Briefzeugnissen schwer zu entscheiden, inwiefern es sich überhaupt noch um >private< Schreiben handelt, auch wenn sie die epistolartheoretischen Ansprüche des >familiären< Schreibens einhalten, oder um Schreiben, die offiziellen Status besitzen. Darauf wird im einzelnen bei den Korrespondenten Lingelsheims einzugehen sein. In seinen Briefwechseln spiegelt sich Lingelsheims >Karriere< als Politiker und als Gelehrter wieder. In den Jahren seiner akademischen Ausbildung bis zu seiner Bestallung als praeceptor des pfalzischen Kurprinzen 1584 besitzt er selbst nur äußerst spärliche Kontakte in die Gelehrtenrepublik. Offenbar konnte er auch auf der kurzen Bildungsreise, die er als Begleiter Robert Sidneys unternahm, so gut wie keine Verbindungen zu den gelehrten Kreisen in den süddeutschen Reichsstädten, in Wien und in Prag herstellen, die in Briefwechseln weitergepflegt wurden. Ein junger Gelehrter der sozialen Herkunft Lingelsheims bedurfte sowohl der Protektion bereits arrivierter Gelehrter als auch der finanziellen Förderung wohlhabender Mäzene. Johann Lobbetius war in diesen Jahren ganz offensichtlich die Person, die beide Funktionen für Lingelsheim erfüllte. Lingelsheim blieb zunächst ganz auf die Verbindungen in seine patria und hier zum späthumanistischen Kreis um das Gymnasium illustre angewiesen. Die knapp acht Jahre seiner Tätigkeit als praeceptor am Heidelberger Hof markieren dann nicht nur den Beginn seiner Laufbahn in kurpfalzischen Diensten, sondern dürfen ebenso als die Zeit interpretiert werden, in der Lingelsheim allmählich in der europäischen Gelehrtenrepublik Fuß faßte. Dies dokumentiert sich in seiner stetig wachsenden Korrespondenz, die er mit einem nunmehr immer größeren Korrespondentenkreis führte. Neben älteren und innerhalb der späthumanistischen res publica litteraria ebenso etablierten wie einflußreichen Gelehrten verschiedener fachlicher Provenienz wie Hotman, Giphanius, Grynaeus oder auch Beze und Schede Melissus baute er freundschaftliche Kontakte zu Humanisten seiner Generation auf, die wie Colli, Denaisius oder Loefen nicht nur wie er die humanistische Jurisprudenz studiert hatten, sondern ihm auch in kurpfälzische Dienste folgen sollten. Liegen für die Jahre bis 1584 gerade einmal sieben Briefzeugnisse vor, so entstanden bis 1592 fast zweihundert Briefe. Diese Zahl allerdings ist insofern nicht überzubewerten, als ein größerer Teil der Briefe seiner Korrespondenz mit Denaisius zugehört. Weitgehend bleiben in dieser Zeit seine Kontakte auf bereits in Straßburg geknüpfte Bekanntschaften und auf den Umkreis der Erzieher Friedrich IV. beschränkt. Mit Johann Jakob Grynaeus entwickelt sich in diesen Jahren jedoch einer der wichtigsten und über den längsten Zeitraum geführten Briefwechsel Lingelsheims. Bereits während seiner Tätigkeit als Erzieher des Kurprinzen gewannen Lingelsheims Briefe die inhaltlichen Konturen, die für sie bis an sein Lebensende
240 signifikant blieben. Seit seinem Eintritt in kurpfälzische Dienste nahmen Nachrichten über politische und kirchliche Tagesereignisse in der Kurpfalz breiten Raum ein. Schon vor 1584 hatte ihn François Hotman ja explizit darum gebeten, von ihm über die Angelegenheiten des designierten Kuradministrators unterrichtet zu werden. Lingelsheim zeigte sich in der Tat schon als praeceptor über die res gestae, mit denen Johann Casimir und seine Räte beschäftigt waren und mit denen der Kurprinz vertraut gemacht wurde, stets gut informiert. In die politischen Entscheidungen selbst war Lingelsheim allerdings kaum involviert. Erst nach der Bestallung in den Oberrat gewann er den Einfluß und die Kompetenzen, die kurpfalzische Konfessionspolitik mitzugestalten. In Lingelsheims gesamten Korrespondenzen spiegelt sich die kurpfalzische Konfessionspolitik seit Anfang der neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts wider, aus ihr wird deutlich, wie viele Fäden der Politik der protestantischen und vor allem der reformierten Mächte des Reiches und Europas in Heidelberg zusammenliefen. In einigen Fällen unterhielt Lingelsheim ausschließlich politische Korrespondenzen, in kaum einem Brief aus dieser Zeit aber fehlen Nachrichten über die neuesten Ereignisse, soweit sie die Kurpfalz oder die Interessen ihrer Glaubensbrüder und Verbündeten betrafen. Daß Lingelsheims Briefwechsel so eingehende Einblicke in die politischen und konfessionellen Entwicklungen in der Kurpfalz und in den übrigen Teilen Westeuropas, in denen sich die antikatholischen Kräfte formierten, gewähren, resultiert daraus, daß er als Mitglied des zentralen kollegialen Gremiums der Kurpfalz in die Entscheidungsprozesse der kurpfälzischen Politik sehr stark eingebunden war. Sein Hauptaufgabengebiet lag in der Kanzlei, über deren Tische die gesamte diplomatische Korrespondenz der Kurpfalz lief. Gerade Lingelsheims Briefwechsel mit seinen Kollegen im Oberrat und den übrigen kurpfälzischen Beamten besitzen deshalb vielfach offiziösen Charakter. Es handelt sich allerdings fast immer um persönlich gehaltene, keinesfalls offizielle Schreiben. Sie setzen aber die dienstlichen Geschäfte in Abwesenheit des einen Korrespondenten fort. Obgleich nicht immer zu erkennen ist, inwieweit Lingelsheims Schreibmotivation etwa in den Briefwechseln mit Grünrade, Loefen oder Grün die Erfüllung von Amtspflichten war. Ihrer inhaltlichen Struktur nach sind diese Briefe eine Aneinanderreihung aktueller, auf die gemeinsamen Dienstpflichten konzentrierter Informationen, mit denen Lingelsheim seine kurpfälzischen Kollegen gezielt versorgte. Sie enthalten teilweise in höchstem Maße vertrauliche >IntemaPolitikern< wie einzelnen Mitgliedern der kurpfälzischen Exilregierung und mit dem französischen conseiller du Roi Sainte Catherine in Kontakt, gestaltete die konfessionspolitischen Entscheidungen jedoch nicht mehr mit. Frei von Amtsgeschäften312 widmete er sich vorrangig gelehrten Briefwechseln. Immerhin liegen aus den Jahren nach seiner Flucht aus Heidelberg bis zu seinem Tod in Frankenthal noch 259 Briefe vor, die er verfaßte oder erhielt. Allerdings dominieren auch in dieser Zeit wiederum zwei Briefwechsel: Fast die Hälfte der Briefe richtete Lingelsheim bis Anfang 1628 an Sainte Catherine, ein Sechstel entstand zwischen 1633 und 1636 zwischen ihm und Bernegger (vgl. das Diagramm auf der nächsten Seite). Der frühste erhaltene Brief aller Korrespondenzen Lingelsheims ist das Schreiben Hubert Languets an ihn vom 5. März 1580; der letzte Brief Lingelsheims und zugleich sein letztes Lebenszeichen ist sein Brief an Josias Glaser vom 26. Juli 1636. Beide Briefe sind nach dem alten Kalender datiert. Aus den fünfeinhalb Jahzehnten zwischen diesen beiden Briefen sind insgesamt 2.278 Briefe überliefert. Sie verteilen sich auf einen Kreis von 80 Korrespondenten. Hinzu kommen ein Schreiben Lingelsheims an die Juristische Fakultät der Universität Heidelberg, mit dem er die Aufnahme eines Studenten empfiehlt, sowie vier Briefe von ihm an unbekannte Empfänger. Es ist sicher, daß größere Teile der Briefwechsel verloren gegangen sind; darauf wird in den folgenden Kapiteln zu den Korrespondenten Lingelsheims jeweils im einzelnen verwiesen, soweit sichere Hinweise auf Verluste zu ermitteln gewesen sind. Nicht eingerechnet in die Zahl der erhaltenen Briefe sind zum einen Widmungsbriefe, die sich in gedruckten Werken an Lingelsheim wenden oder von ihm an andere Personen gerichtet sind (letzteres ist nur in seiner Dissertation der
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quot funera carissimorum capitum, Electoris, Denaisii, Hippolyti a Collibus, Bongarsii, & ego viuo orbatus tot tamque eximiis amicis. Breui sequar, & interea colam memoriam defunctorum, & eos qui supersunt tanto ardentius amabo, inter quos tu eximius.« (AYRMANN 1746, S. 620; Kursiva im Druck.) Ob Lingelsheim während seiner kurzzeitigen Rückkehr wieder Amtsgeschäfte übernommen hat, ist nicht eindeutig zu klären, vgl. dazu S. 165.
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244 Fall). 313 Auch wenn hier >äußere< Gattungskonstitutiva wie Anrede, Grußformel, Unterschrift und Datierung vorhanden und stilistisch die Regeln des familiariter scribere eingehalten sind, sind diese Widmungsschreiben doch der Gattung der Vorrede zuzuordnen, die ausschließlich im Zusammenhang mit dem Text entstanden und auf diesen bezogen ist. Ebenfalls ausgeschlossen bleiben offizielle Gutachten oder Berichte, die Lingelsheim im Auftrag der Heidelberger Regierung oder des Kurfürsten an auswärtige Höfe oder für den Kurfürsten und den Oberrat verfaßte, auch wenn sie Brief) form< besitzen; 314 hier ist die Person des Verfassers durchaus austauschbar. Nicht immer allerdings ist eine genaue Abgrenzung möglich, vielfach entstanden Briefe, wie ausgeführt, ausschließlich aus den Amtsgeschäften heraus und dienten der Weitergabe offizieller Informationen. Das ist gerade unter den kurpfälzischen Korrespondenzen Lingelsheims verschiedentlich der Fall; insbesondere in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges erhielt Lingelsheim in seiner Funktion als Oberrat einzelne Schreiben von kurpfälzischen Diplomaten, für die eine persönliche Schreibmotivation kaum noch erkennbar ist. Sie werden nur deshalb aufgenommen, weil sie im Kontext der übrigen Korrespondenzen Lingelsheims entstanden sind und deutliche inhaltliche Bezüge zu den anderen Briefen aufweisen. Gelehrte und >öffentliche< Sphäre sind gerade für die kurpfälzischen Korrepondenzen Lingelsheims nicht zu trennen. Zudem bleibt auch hier der dialogische Charakter zwischen Adressat und Verfasser gewahrt. Eine weitere Ausnahme bildet der Briefwechsel mit dem Rat der Stadt Basel, der ausschließlich eine private Rechtsangelegenheit behandelt und deshalb ebenfalls für diese Arbeit Berücksichtigung findet. Die in diesem weiteren Sinne >privaten< Briefe Lingelsheims verteilen sich überaus unterschiedlich auf seine Korrespondenten (vgl. die folgende Übersicht). Zwar ist von Briefverlusten größerer Zahl auszugehen, doch ist dessen ungeachtet zwischen zahlreichen kleineren und einigen großen Briefwechseln zu unterscheiden. Für 24 Personen sind ausschließlich Einzelbriefe nachzuweisen. Es ist kaum festzustellen, ob in allen Fällen Briefverluste zu dieser Überlieferungssituation geführt haben. Für einige Korrespondenten, etwa für Gernand, Lobbetius, Savile steht fest, daß ursprünglich umfangreichere Briefwechsel existierten, die sie mit Lingelsheim führten. Mehr als einer, aber weniger als zehn Briefe haben sich von 32 Korrespondenten erhalten. Hier gelten die gleichen einschränkenden Überlegungen. Lingelsheims Schreiben an Languet, Tilenus, Wotton, Giphanius etwa sind vollständig verloren, für die Antwortbriefe 313 314
Vgl. dazu auch die Bemerkung von Seidel 1994, S. 458. Vgl. auch Anm. 305. So etwa das S. 125, Anm. 205, genannte Gutachten bzw. das Schreiben an die Republik Venedig (wie S. 123, Anm. 192). Nicht berücksichtigt sind aus den eben genannten Gründen zudem die folgenden >dienstlichen< Schreiben, aus deren Datierungen bereits zu erkennen ist, in welchen >politischen< Kontexten sie entstanden: Lingelsheim an Gebhard Truchseß von Waldburg, Heidelberg, 30.07.1598 (in deutscher Sprache), Autograph: AMS: AA 802, Bl. 21 (Straßburger Angelegenheit); an Kurfürst Friedrich IV., Heidelberg, 11.11.1603 (in deutscher Sprache), Autograph: BHA München: Kasten schwarz 16711, Bl. 520 u. 523 (Übersendung des Gutachten zur Neuordnung des Oberrats bzw. Einrichtung des Nebenrats); an Johann II. Pfalzgraf von Zweibrücken, Heidelberg, 23.05.1612 (in französischer Sprache), Autograph in: ebd.: Kasten schwarz 16729, Bl. 126f. (Reichsvikariat).
245 Boschs, Hainhofers, Trumbulls und anderer gilt das Gleiche. Jeweils mehr als zehn Briefe sind von Lingelsheims Briefwechseln mit 24 Personen nachzuweisen. Die Überlieferungslage ist hier in allen Fällen ebenfalls unvollständig. So existieren heute von Lingelsheims Briefwechsel mit Goldast von wenigen Ausnahmen abgesehen nur noch seine Briefe, von seinen Briefwechseln mit Junta und Sainte Catherine sind keine Schreiben der beiden Empfänger erhalten geblieben. Es ist aber festzustellen, daß es zwei quantitativ dominierende Briefwechsel gab, die Lingelsheim jeweils über weit mehr als ein Jahrzehnt äußerst regelmäßig pflegte: seine Korrespondenzen mit Denaisius und Bongars. Zwar sind auch hier jeweils Teile verloren, doch fast die Hälfte aller heute noch erhaltenen Briefe von und an Lingelsheim stammen alleine aus diesen beiden Briefwechseln. Übersicht 3:
Liste der Briefwechsel Lingelsheims
Zahl
Korrespondent
Jahre des Briefwechsels 3 1 5
640 392 117 110 87 76 75 55 54 52
Bongars Denaisius Sainte Catherine Grynaeus Loefen Colli Junta Goldast Wittgenstein Grotius
1595-1612 1584, 1586-1587, 1590-1592, 1601, 1604-1610 1616,1620-1628 1586-1589, 1595-1606, 1608-1614, 1616-1617 1592-1600, 1602-1606, 1608, 1610-1611 1584,1587,1589-1598, 1601-1602,1608 1596-1598, 16001605, 1607, 1609, 1610-1612 1607-1611,1614, 1616 1595-1603,1605 1604-1606, 1608-1610, 1613-1614, 1616-1618, 16211625, 1627-1631 1604-1614 1621-1627 1633-1636 1590-1591, 1596-1597, 1612 1628-1633 1593-1595, 1599-1600, 1602, 1604-1608, 1610, 1612 1623-1625, 1628-1631,1635 1596-1599, 1603, 1610,1612-1613 1613-1620 1604-1610, 1613-1615 1612-1613, 1630 1624-1626, 1628-1632 1589-1593, 1595, 1599, 1601 1607-1608, 1612,1614,1616-1619, 1621 1626-1628, 1634 1612,1622 1607-1609 1618-1620 1605, 1607-1608 1584-1585, 1588-1589 1613-1614 1625-1626, 1630-1631 1619, 1630, 1633 1605-1607
51 45 44 40 25 21 20 19 1$ 17 16 14 8 7
6
5
315
Casaubon Gruter Bemegger Grünrade Venator Gentiiis L. Camerarius Freher Dupuy Thou J. Hotman Opitz Melissus Meursius Lucius Grün Jungermann Peiresc Scaliger F. Hotman Trumbull Zincgref Buxtorf d.J. Rittershausen
Aufeinanderfolgende Zeiträume sind zusammengefaßt.
246 Korrespondent
Jahre des Briefwechsels
Bosch Buxtorf d.Ä. Dathenus Feilding Giphanius F. Lingelsheim A. Paul Rat Basel Hainhofer Hoeschel K. Paul Praetorius Dornau Glaser Gueretin Heinsius Coler Languet Plessen Rusdorf Solms Tilenus Wotton Becmann Beze Blotius Borcke J. Camerarius d.Ä. J. Camerarius-d.J. Dohna De Dominis Falvigny Gernand Lobbetius A. Loefen Murray Nüssler Pareus Peucer Pitiscus Rigault Savile Scultetus Sebisch Tolmann Vulcanius Jurist. Fakultät Unbekannte
1628 1618-1619 1612 1631-1632 1584-1585,1590, 1603 1613-1615 1612 1632 1615-1616 1602, 1604 1621-1622, 1625 1607 1626 1635-1636 1615, 1618 1624, 1626 1629-1630 1580-1581 1595 1621,1630 1587 1623,1628 1616 1626 1588 1582 1596 1596 1626 1620 1616 1623 1599 1583 1597 1611 1631 1617 1595 s.a. 1624 1582 1616 1631 1615 1604 s.a. 1587, 1621, 1628
Auf eine inhaltliche Charakterisierung der Briefwechsel Lingelsheims darf an dieser Stelle verzichtet werden. Sie würde vieles wiederholen, daß bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführt wurde, und würde ebenso vieles vorwegnehmen, daß im zweiten Teil dieser Untersuchung noch eingehender darzustellen und bei den einzeln ausgewerteten Briefwechseln besser plaziert ist. >Spiegel
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seiner Seele< sind auch Lingelsheims Briefe in ihrem literarischen Anspruch und ihrer rhetorischen Ausgefeiltheit nur bedingt, Spiegel seines Selbstverständnisses als Gelehrter, seines Wirkens als Politiker, seines Eintretens für die wahre Religion, seiner Stellung in der späthumanistischen res publica litteraria und seines Eifers für die studia humanitatis sind sie sehr wohl.
Teil II DER KORRESPONDENTENKREIS GEORG MICHAEL LINGELSHEIMS
1.
Heiliges Römisches Reich deutscher Nation
1.1.
Einleitung
Die deutsche Reformation war keine geschlossene Bewegung. Bernd Moeller hat für die oberdeutschen Reichsstädte einen spezifischen Verlauf der Reformation erkannt, die sich in den hergebrachten städtischen Verfassungsstrukturen entwickelte.1 Während sich unter den norddeutschen Reichsständen ein reines, von Wittenberg geprägtes Luthertum durchsetzte, verschmolzen im westdeutschen Protestantismus lutherische mit schweizerischen Einflüssen. Bereits das Sonderbekenntnis der vier oberdeutschen Reichsstädte auf dem Augsburger Reichstag von 1530, die Confessio Tetrapolitana, verdeutlichte diese Entwicklung. Volker Press sieht darin Ansätze »zu einem Urbanen Typ der Kirchenverfassung in Deutschland [...], die freilich genährt waren von den viel stärkeren Impulsen in den Schweizer Städten, wie Zürich und Genf.«2 Die erste Generation der deutschen Reformatoren mit Martin Luther an der Spitze wollte keine Abspaltung von der alten Kirche, sondern vornehmlich eine Reform ihrer von den Zeitgenossen als drückend empfundenen Mißstände. Noch der Augsburger Religionsfriede von 1555, der auf politischem Wege eine Lösung der im Reich entstandenen konfessionellen Konflikte herbeizufuhren suchte, war als ein vorläufiger, bis zu einer Aussöhnung der beiden durch ihn anerkannten Bekenntnisse geltender Friedensschluß formuliert. Die politische Realität war eine andere. Weltliches und kirchliches Regiment gingen ein Bündnis ein, das die Stellung des Landesherren stärkte. Besonders das Luthertum hatte sich zu seiner eigenen Sicherheit und zum Schutz vor den sozialen Konflikten, die sich zum Schrecken Luthers in den Bauernaufständen gegen die weltliche Obrigkeit entluden, einem landesherrlichen Kirchenregiment unterstellt. Die Reformatoren, Luther an erster Stelle, hatten den weltlichen Obrigkeiten, ausdrücklich auch den städtischen Räten, die cura religionis, die Aufsicht über Kirchenorganisation und Gemeinde Verfassung zugesprochen, ihnen die Konfiskation der Kirchengüter für mildtätige Zwecke angeraten, ihnen das Bildungswesen überantwortet.3 Aber auch in den katholischen Territorien beanspruchten die weltlichen Fürsten zunehmend religiös-kirchliche Aufgaben. Mit dem 1555 reichsrechtlich sanktionierten ius reformandi, das nur für die geistli1
2 3
Moeller 1962. Press 1980a, S. 251. Dazu die Studie von Brecht 1980, die grundsätzliche Forschungskontexte zur politischen und sozialen Kraft des Luthertums anhand der verschiedenen Sendschreiben und anderen an weltliche Obrigkeiten gerichteten Schriften Luthers aufzeigt.
252 chen Territorien nicht gelten sollte (geistlicher Vorbehalt), hielten die Reichsstände ein überaus wirkungsvolles Instrumentarium für eine Sozialdisziplinierung ihres Untertanenverbandes und damit für einen Ausbau frühmoderner Staatlichkeit in ihren Händen, das sie zur inneren Festigung des Territoriums zu nutzen verstanden, das aber gleichzeitig auch zu einer äußeren Abgrenzung der Territorien führte. 4 Indem sich der keineswegs säkularisierte Staat das Monopol über Kirche und Religion sicherte, gewann er die Direktive über Lebensbereiche, die bisher in die kirchliche Kontrolle fielen, und damit zusätzliche rechtliche Kompetenzen für eine Sozialdisziplinierung. Gerade für die Territorien des Heiligen Römischen Reiches zeitigte diese Entwicklung gravierende Folgen. 5 Da der konfessionelle Status des Untertanenverbandes seit 1555 nach dem Prinzip des »cuius regio, eius religio« einzig auf die Person des Fürsten fixiert war, entstand ein in seinem Bekenntnis einheitlicher und somit nach außen abgegrenzter Staat mit einer sakral überhöhten Herrscherfigur. D i e - d u r c h a u s patriotisch zu stimulierende - Integrationskraft der Konfessionalisierung war dabei evident; zugleich aber war ihrer Verpflichtung auf gesellschaftliche und religiöse Uniformität in Zeiten konfessioneller Bürgerkriege, religiösen Ringens innerhalb von Dynastien und Familien und heftiger kontroverstheologischer Kämpfe sogar unter >Religionsverwandten< ein gewaltiges Konfliktpotential inhärent. Dessen Auflösung jedoch bereitete im konfessionellen Zeitalter besondere Probleme. Festigten sich einerseits die Konfessionskirchen im religiösen Leben, so formierten sich andererseits in Deutschland die Konfessionsparteien im konfessionspolitischen Konflikt. Die Beschlüsse des Trienter Konzils (1543-1563), der Heidelberger Katechismus (1563) und die Confessio Helvetica Secunda (1566) sowie die Konkordienformel (1577) verhärteten die jeweiligen dogmatischen Positionen. Nicht die Gemeinsamkeiten des christlichen Glaubens wurden von den Konfessionsparteien betont, sondern in jeweiliger Behauptung des alleinigen Wahrheitsanspruchs die Unterschiede in den Glaubenspunkten. Die Allianz von Bekenntnis und machtpolitischen Interessen verschärfte die Konfliktlinien, die sowohl zwischen den Konfessionsparteien als auch zwischen Kaiser und Reichsständen verliefen. Nach der gescheiterten Verurteilung der Kurpfalz auf dem Reichstag von 1566 war de facto der sog. Zweiten Reformation der Weg geebnet, die im Zuge des fortschreitenden Konfessionalisierungsprozesses weitere Territorialstaaten dem reformierten Bekenntnis zuführte. 6 Die
A n dieser Stelle sei nur auf die maßgeblichen historischen Einfuhrungen in die deutsche Geschichte dieses Zeitraumes verwiesen, die für diese Arbeit herangezogen wurden, namentlich Heckel 1983, Moeller 1988, Rabe 1989, Press 1991, Schilling 1988, sowie jüngst Lanzinner/Schormann 2001 in der völlig neubarbeiteten A u f l a g e des »Gebhardt«; als kompakter Überblick bestens geeignet Schmidt 2002. Spezialstudien zu einzelnen K o m plexen sind in den vorangehenden Kapiteln in Teil I zitiert. Allerdings sei auf die S. 19, A n m . 49, kurz referierte Forschungskontroverse verwiesen. Den Forschungsstand und die Diskussion zu diesem Phänomen des Wechsels einiger Territorialstaaten v o m Luthertum zum reformierten Bekenntnis spiegelt der Tagungsband von Schilling 1986 wider. Der Begriff der »Zweiten Reformation« wird hier im Untertitel mit d e m der »reformierten Konfessionalisierung« gleichgesetzt. Zur berechtigten Kritik
253 alte Kirche, durch das Tridentinum wieder dogmatisch gefestigt, gewann durch die katholische Reform und Gegenreformation Geschlossenheit zurück.7 Der mit dem Augsburger Religionsfrieden versuchte vorläufige Kompromiß scheiterte. Der Prozeß der Konfessionalisierung und Territorialstaatsbildung dagegen schritt unter seinem Schutzmantel voran. Eine konfessionell fundierte landesherrliche Interessenpolitik blockierte das Reich nach innen und außen. Einigkeit konnte höchstens noch in der Frage der Türkenabwehr hergestellt werden, die Verhandlungen darüber wurden von den protestantischen Reichsständen jedoch stets mit ihren konfessionellen Gravamina verknüpft. 8 Das reichspolitische Konfliktpotential wuchs nach der Formierung der Konfessionsparteien, begleitet von immer härteren juristischen Interpretationskämpfen um den Religionsfriedens und immer schärferen theologischen Polemiken, ebenso wie die Bereitschaft zur offenen Konfrontation wuchs. Die Protestanten forderten die Abschaffung des geistlichen Vorbehalts und dafür die bekenntnismäßige Freistellung auch der geistlichen Territorien; sie kämpften um ihr Recht der Säkularisation landsässiger Klöster, die sie bereits expansiv praktizierten; sie beklagten die Einschränkung des ius reformandi für die paritätischen Reichsstände, deren festgeschriebene Parität längst nicht mehr den konfessionellen Verhältnissen entsprach; und sie führten einen Kampf gegen die Reichsorgane, besonders gegen den Reichshofrat, aber ebenso gegen die Visitationskammer, den Deputationstag und das Reichskammergericht, in denen sie gegen die katholische Majorität ihre Interessen nicht gewahrt sahen. Doch die Uneinigkeit der lutherischen Reichsstände ebenso wie ihre Furcht vor bewaffneten Konflikten ließen letztlich jeden ihrer Proteste und jede ihrer militärischen Interventionen wirkungslos verpuffen. Ob in den Konflikten um die Bistümer Köln (1582/83) und Straßburg (1584-1604),» in denen die Katholiken mit Waffengewalt den geistlichen Vorbehalt durchsetzen konnten, ob im sog. Vierklösterstreit, in dem das Reichskammergericht die Frage der Säkularisation geistlichen Besitzes in den neunziger Jahren zuungunsten der Protestanten entschied,10 oder im Falle der Reichsstadt Aachen, die nach einem Urteil des Reichshofrates (1593) nicht nur das ius reformandi abgesprochen erhielt, sondern durch kaiserliche Achterklärung und Exekution schließlich gänzlich rekatholisiert wurde ( 1 5 9 8 ) n - a n allen konfessionspolitischen Fronten befanden sich die katholischen Reichsstände mit der Unterstützung des Kaisers in den letzten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts unübersehbar im Vorteil. In allen Konflikten und es wurden nur einige der reichspolitischen Brennpunkte dieser Zeit hervor-
7 8 9 10
11
beider Begriffe vgl. Rabe 1989, S. 366f. Vgl. auch oben S. 111, Anm. 141, die Bemerkung zur Kurpfalz. - Zum Verlauf und zu den Ergebnissen dieses entscheidenden Reichstages die grundlegende Untersuchung von Hollweg 1964, bes. S. 241-390. Zur hier benutzten Begrifflichkeit s. oben S. 126, Anm. 212. Für das späte 16. Jahrhundert Schulze 1978. S. oben S. 136ff. mit der maßgeblichen Literatur. Dazu Kratsch 1990. Da auch das Revisionsurteil durch den Deputationsausschuß angesichts der dortigen katholischen Mehrheit gegen die Protestanten auszufallen drohte, sprengte die Kurpfalz im Jahre 1600 den Deputationsausschuß durch Austritt. Vgl. Schilling 1974, bes. S. 224-231.
254 gehoben - ging es vornehmlich um Rechtsfragen, ging es um die Deutung des Religionsfriedens, dessen gänzlich unterschiedliche Interpretationen schließlich zur kompletten Aushebelung der Reichsverfassung in Form der systematischen Lähmung ihrer Verfassungsorgane führte.12 Nur ein starkes Kaisertum hätte eine Lösung oder zumindest eine vorläufige Entschärfung der Konflikte herbeiführen können. Doch unter den Brüdern Rudolf II. und Matthias kennzeichneten Passivität und Zögerlichkeit die kaiserliche Reichspolitik gerade in ihrer kritischsten Phase. Die Kaiser stammten seit Generationen aus dem Hause der katholischen Habsburger, die gleichzeitig auch den König von Böhmen stellten. Die Führungsmacht der Lutheraner war Kursachsen, das mit Ausnahme der kurzen Regierungszeit Christians I. (1586-1591) einen strengen Kurs der reichsrechtlichen Legalität und Kaisertreue steuerte und sich jeder Annäherung mit den Calvinisten verweigerte. Deren wichtigster Reichsstand war die Kurpfalz, die s i c h - d a die Calvinisten vom Augsburger Religionsfrieden explizit ausgenommen waren - stets als protestantische Macht darstellte und sich aktiv um einen Zusammenschluß aller deutschen Protestanten bemühte. 1608 gelang schließlich mit der Gründung der Union nach langen Verhandlungen ein protestantisches Bündnis unter kurpfälzischer Führung, dem sich jedoch nur ein Teil der protestantischen Reichsstände anschloß. Die Katholiken organisierten sich im Jahr darauf in der Liga, deren Politik von Bayern maßgeblich bestimmt wurde. Mit Bayern und der Kurpfalz als den fuhrenden Mächten der Konfessionsbündnisse standen sich aber nicht nur konfessionelle Gegner gegenüber, sondern durch diese Konstellation gewannen im Konflikt zwischen den Konfessionen auch dynastische Interessen Bedeutung. 1329 hatte der Vertrag von Pavia der rudolfinischen Linie der Wittelsbacher den gesamten rheinischen Besitz des Hauses zugesprochen, während den Nachkommen Ludwigs des Bayern (seit 1328 Kaiser Ludwig IV.) die bayerischen und oberbayerischen Gebiete zugeschlagen worden waren. Mit der Goldenen Bulle erhielten 1356 die rudolfinischen Wittelsbacher die Kurstimme.13 Diese für seine Linie zu gewinnen trachtete Herzog Maximilian I. von Bayern, der sich im Dreißigjährigen Krieg auf die Seite des Kaisers schlug und dafür die Übertragung der Kurwürde und die Übereignung der kurpfälzischen Gebiete forderte und schließlich erhielt. Wie auch im Bruderzwist des Hauses Hessen zwischen den Söhnen und Enkeln Philipps des Großmütigen verknüpften sich dynastische und machtpolitische Interessen untrennbar mit dem konfessionellen Konflikt.14 Die dynastischen, politischen und konfessionellen Interessen der Reichsfürsten reichten weit über die Grenzen des Reiches hinaus. Besonders der Katholizismus und der Calvinismus waren internationale Bewegungen. In diesen konfessionspolitischen Konstellationen war die Eskalation des Dreißigjährigen
12 13
14
Vgl. dazu die oben, S. 21, Anm. 52, zitierten Arbeiten von Heckel. Zum Verhältnis zwischen Bayern und Kurpfalz in der Reichspolitik Press 1980. Zum Hausvertrag von Pavia und der Goldenen Bulle vgl. Schaab 1988-92, Bd. I, S. 9 1 - 9 8 . Vgl. Beck 1983, Demandt 1972, S. 238-262, Press 1986.
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Krieges zu einem europäischen Konflikt bereits angelegt. Nachdem 1610 in der Jülicher Erbschaftsfrage der Ausbruch eines großen Krieges, für den die Konfessionsparteien bereits Vorbereitungen trafen, durch das Attentat auf Heinrich IV. von Frankreich gerade noch verhindert worden war, gab es acht Jahre später dann keinen Weg - oder besser: keinen Willen - mehr für eine friedliche Lösung. Die Ereignisse in Böhmen führten die Protagonisten der zum äußersten entschlossenen Konfessionsparteien auf das Schlachtfeld, auf dem mit aller Grausamkeit, zu der diese Zeit und ihre Menschen fähig waren, dreißig Jahre lang gerungen werden sollte. Mit der totalen Niederlage Friedrichs V. war der Krieg noch lange nicht beendet, sondern weitete sich in den nächsten Jahrzehnten zu einem europäischen Kampf aus, in dem die konfessionellen Konflikte immer stärker von machtpolitischen Interessen überlagert wurden.15 Der Kaiser hatte bereits im böhmisch-pfälzischen Krieg die Unterstützung Spaniens und Subsidien des Papstes erhalten. 1625 griff dann Christian IV. von Dänemark in den Krieg ein, der von England, Frankreich und den Niederlanden finanziell unterstützt wurde, sich im Frieden von Lübeck 1629 aber den vereinten Truppen von Liga und Kaiser geschlagen geben mußte. Bereits im März des gleichen Jahres hatte Ferdinand II. seine überlegene militärische Situation zum Erlaß des Restitutionsedikts genutzt, nach dem alle seit 1552 säkularisierten Gebiete von den protestantischen Fürsten herausgegeben werden sollten. Die Situation der protestantischen Stände schien ernsthaft bedroht, die katholische Konfessionspartei befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht im Reich. Mit der Landung der schwedischen Truppen in Pommern änderte sich 1630 das Kriegsglück. Gustav Adolf II. präsentierte sich als Schutzherr der Protestanten, verfolgte aber vor allem die Sicherung der schwedischen Vorherrschaft im Ostseeraum. Der schwedische Siegeszug führte die meisten protestantischen Reichsstände auf die Seite Schwedens, das im Heilbronner Bund unter seiner Führung Religionsfreiheit und die Wahrung der Reichsgesetze einschließlich der den Fürsten so wichtigen Libertät garantierte.16 Die kaum verhehlten machtpolitischen Ansprüche Schwedens und die Erschütterung seiner militärischen Position nach dem Tode Gustav Adolfs (1634) führten zum Abschluß des Prager Friedens (1635), mit dem der Kaiser das Restitutionsedikt preisgab und so die meisten Reichsstände auf seine Seite gegen die fremden Truppen auf dem Reichsgebiet ziehen konnte. Die dadurch gefestigte Stellung der Habsburger führte schließlich Frankreich als letzte europäische Großmacht im gleichen Jahr zum Eintritt in den Krieg. Dieser trat jetzt in seine letzte Phase, die noch einmal beispielloses Leiden über weite Teile der deutschen Bevölkerung brachte, ohne militärische Entscheidungen herbeizuführen. Erst 1644 wurden Friedensverhandlungen aufgenommen, die 1648 in Osnabrück und Münster zum Abschluß des Westfälischen Friedens führten. Die Calvinisten erreichten ihre reichsrecht15
16
Zum folgenden wurde aus der Fülle der vorliegenden Darstellungen v.a. auf die neueren Einfuhrungen von Asch 1997, (das Lektürevergnügen bereitende Werk von) Englund 1998, Gantet 2001 und Parker 1991 zurückgegriffen sowie auf die Beiträge in Bußmann/Schilling 1998, Textband I: »Politik, Religion, Recht und Gesellschaft«. Zum Heilbronner Bund vgl. Kretzschmar 1922.
256 liehe Anerkennung, die ihnen 1555 verwehrt worden war. Der Kaiser war politisch entmachtet, das Reich zerfiel in Hunderte von Einzelstaaten, die nach innen und außen souverän waren und in denen sich absolutistische Staatsform und höfischer Repräsentationsstil durchsetzten.17 Aus der konfessionspolitischen Spaltung innerhalb des Heiligen Römischen Reiches resultierten auch »Kulturbarrieren«,18 die um 1600 nur noch von wenigen großen Geistern überschritten wurden. Das Reich entwickelte sich im konfessionellen Zeitalter zur hochschulreichsten Landschaft Europas, wobei den Universitäten und Akademien als landesherrlichen oder reichsstädtischen Gründungen im Prozeß der Konfessionalisierung und der frühmodernen Staatsbildung eine zentrale Funktion zukam. Sie waren an das Bekenntnis ihres Gründers gebunden und forcierten den Territorialisierungsprozeß, indem sie für den >Staat< die Beamten und Theologen, die den Glauben ihres Dienstherren besitzen mußten, ausbildeten. Die humanistische Bildung, Grundlage für den Dienst im Staate und Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur res publica litteraria, wurde also nach Bekenntnissen getrennt vermittelt, die Lehrinhalte differierten. Die Kommunikation innerhalb der Gelehrtenrepublik erschwerte sich ebenfalls über die konfessionellen Grenzen hinaus. Besonders scharf gezogen waren die konfessionellen Grenzen unter den Theologen als Wortführern der Konfessionen, hier bestand auch zwischen den Protestanten und Calvinisten kaum eine gelehrte Beziehung. Bei den >Politikernmilitanter Calvinist Geheimer Rat< tituliert worden zu sein scheint. 94 Camerarius war wie Christian von Anhalt von der Bedrohung des gesamten Protestantismus durch die Katholiken überzeugt und verfocht Anhalts radikalen konfessionspolitischen, auf eine internationale antikatholische Allianz zielenden Kurs. Sein Aufgabengebiet lag in der Reichspolitik, und er entwickelte sich hier nach dem Ausscheiden Loefens zum fuhrenden Politiker der protestantischen Union. Es entsprach seiner politischen Position, daß Camerarius im Oberrat zu der Faktion gehörte, die für eine Annahme der böhmischen Königskrone plädierte. So gehörte er mit anderen Fürsprechern wie Anhalt, Solms oder Plessen auch zu den Begleitern des Kurfürstenpaares nach Prag. Dort wurde ihm die Leitung der Außenpolitik des nunmehrigen Königs überantwortet. Nach der Niederlage am Weißen Berg und der Flucht Friedrichs V. in die Niederlande verlor Camerarius vorübergehend an Einfluß, weil die von den böhmischen Vorgängen »unbelasteten« 95 Politiker für die bevorstehenden Verhandlungen besser geeignet schienen. In der Gunst seines Herren regelrecht zurückgesetzt, übernahm Camerarius für die Kurpfalz die Federführung auf dem Schlachtfeld der Publizistik. 96 Sein großer Erfolg und sein >schriftstellerisches< Können auf diesem Gebiet sorgten dafür, daß er allmählich wieder in das Zentrum der Exilregierung einrückte. Zunächst Mitglied der aus mehreren altgedienten Räten Ende 1622 zusammengerufenen Exilregierung, übernahm er nach deren Auflösung - Solms starb, Dohna, Andreas Paul und Plessen verließen Den Haag - schließlich die Leitung der kurpfälzischen Exilpolitik. Diese zielte auf die Schaffung einer europäischen antikatholisch-antihabsburgischen Koalition und die Behauptung der dynastischen Ansprüche des Kurfürsten auf sein Territorium. Camerarius suchte hierzu besonders den Kontakt mit der schwedischen Krone. Diese Verbindung entschied über seine weitere Karriere. Nachdem er mehrere Jahre neben seinem pfälzischen Amt als schwedischer Korrespondent tätig gewesen war, wechselte er 1629 in den Dienst des schwedischen Königs, den er fortan als dessen Gesandter in Den Haag vertrat. In dieser Funktion blieb er mit den kurpfälzischen Angelegenheiten, an denen Gustav Adolf im Sinne seiner protestantischen Politik im Reich Interesse entwickelte, vertraut. Man könnte Camerarius plakativ als den letzten Späthumanisten am Heidelberger Hof bezeichnen. In der zunehmend unter den Einfluß der französischen Sprache und Hofetikette geratenden Umgebung Friedrichs V. stellte er, der des Französischen nicht mächtig war, mit seiner in der Tradition des Elternhauses gefestigten humanistischen Bildung gewissermaßen ein Relikt vergangener Zeiten dar. Er unterhielt eine rege Korrespondenz und während seiner Jahre in den Niederlanden gute Kontakte mit anderen Gelehrten. Ihm gelang »gleichsam
94 95 96
Schubert 1954, S. 594f., ders. 1955, S. 71. Schubert 1954, S. 599. Schubert 1955 geht auf diesen Punkt ausfuhrlich ein (S. 108-143). Vgl. außerdem die Darstellung von Koser 1874, S. 29f. u.ö.
273 eine Renaissance des Humanismus im kleinen«97 in der kurpfälzischen Politik. In den Jahren seiner Dominanz gewann die lateinische Sprache noch einmal an Bedeutung zurück. Sein großes Alterswerk aber war - und das entsprach ganz dem humanistischen Geiste - die Anlage der Collectio Camerariana, einer umfangreichen Sammlung der Briefe seines Großvaters, seines Vaters und von ihm selbst.98 Um diese herum legte Camerarius eine große Autographensammlung an, die am Anfang des 16. Jahrhunderts beginnt u n d - v o n seinen Söhnen fortgeführt - bis zum Ende des 17. Jahrhunderts reicht. Nicht in dieser Sammlung enthalten sind die Briefe, die Camerarius selbst vor 1621, vor seiner Flucht aus Heidelberg schrieb. Sie konnte er anscheinend nicht mehr retten. Es ist deshalb auch im Falle Lingelsheims heute nicht mehr festzustellen, ob beide bereits vor dem Fall Heidelbergs miteinander korrespondierten. Durch sein 1596 auf die Hochzeit Lingelsheims gedichtetes Epithalamium hatte er sich Lingelsheim sozusagen vorgestellt, nach seiner Berufung nach Heidelberg darf er wie Plessen als zweiter aus dieser kurpfälzischen Korrespondentengruppe Lingelsheims zum Umkreis des späthumanistischen Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises gerechnet werden. Briefe zwischen ihm und Lingelsheim existieren allerdings nur noch aus der Zeit, als Camerarius die Geschicke der pfalzischen Exilpolitik lenkte. Erhalten haben sich in der Collectio Camerariana 19 Autographen von Lingelsheim zwischen 1623 und 1635, sowie in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen die Abschrift eines Briefes von Camerarius aus dem Jahre 1624. Die erhaltene Korrespondenz ist in zwei Phasen einzuteilen, zwischen denen 1626 und 1627 eine längere Unterbrechung eintrat. Lingelsheims Schreiben der Jahre 1624 und 1625 durchzieht das Bemühen um eine Edition der ScaligerBriefe, für die Lingelsheim eifrig Briefhandschriften suchte.99 Gleichwohl ist davon auszugehen, daß Camerarius' Interessen an einer Korrespondenz mit Lingelsheim weitgehend politischer Natur waren und daß er jenen, der im fernen Straßburg erstaunlich gut über Kriegsereignisse, über Truppenbewegungen wie Bündnisbemühungen, über die Reichs- wie die kurpfälzische Politik Bescheid wußte und sich durchaus auch der chiffrierten Weitergabe von Nachrichten befleißigte,100 als Informationsquelle heranzog. Bereits in den ersten Briefen nehmen politische Informationen großen Raum ein, in den Briefen nach 1628 dominieren sie diese Korrespondenz völlig.
97 98
99 100
Schubert 1955, S. 322. Zur Geschichte dieser Sammlung vgl. ebd., S. 414-424; ausfuhrlicher zur Entstehung der Sammlung Halm 1873, Brulin 1939. Es handelt sich um die in Frankfurt/M. erschienene Sammlung SCALIGER 1628. So in seinem Brief an Camerarius vom 12./22.12.1624 (BSB: Clm 10361, Nr. 237).
274
1.2.2.2.
Das Hofgericht
1.2.2.2.1. Hippolyt von Colli Nach der Kanzleiordnung von 1557 sollte zwischen Oberrat und Hofgericht weitgehend eine personelle Trennung gewahrt bleiben, die der Teilung der Aufgaben entsprach. Einigen Hofgerichtsräten gelang es jedoch, durch Gutachtertätigkeiten und Gesandtschaften großen politischen Einfluß zu gewinnen.101 Ein herausragendes Beispiel dafür bietet Hippolyt von Colli, der seit 1593 Hofrichter war. Erst 1604 wurde er auch nominelles Mitglied des Oberrates, allerdings ohne die Verpflichtung regelmäßiger Teilnahme an den Sitzungen.102 Colli wird hier aber nicht unter den Oberräten aufgeführt, weil der Hauptteil seiner Korrespondenz mit Lingelsheim in die zwei Jahrzehnte seiner Tätigkeit am Hofgericht fiel. Colli103 entstammte einer alten italienischen Adelsfamilie. Sein Vater hatte sich aus dem Mailändischen wegen seines protestantischen Glaubens nach Zürich flüchten müssen, wo Hippolyt von Colli am 20. Februar 1561 geboren wurde.104 Dieser wandte sich nach Besuchen der Klosterschule von Neuhaus und italienischer Universitäten nach Basel und promovierte dort am 25. Mai 1583105 zum Doktor beider Rechte, wenige Wochen vor Lingelsheim. Ein Jahr später erhielt er die Professur der Institutionen an der Basler Universität, 1586 folgte er einem Ruf an die Universität zu Heidelberg. Nach Streitigkeiten mit seinem Kollegen Julius Pacius quittierte er aber schon bald seine Professur und trat 1589 in Basel das Amt des Stadtsyndikus an. 1591 erhielt er eine Bestallung als Kanzler Christians von Anhalt, zwei Jahre später kehrte Colli schließlich wieder nach Heidelberg zurück, um dort den Vorsitz des Hofgerichtes, dem er übrigens auch vor 1589 schon angehört hatte,106 zu übernehmen. Colli scheint für diplomatische Aufgaben besonders geeignet gewesen zu sein. Jugler überhäuft ihn in seinen Beiträge[n] zur juristischen Biographie mit allen Attributen der politischen prudentia, wie sie der Späthumanismus von den gelehrten Politikern forderte:107 Colli sei von schneller Scharfsichtigkeit; vieler Sprachen mächtig; in der Rechtswissenschaft, der Critik und Historie, dieser geschickten Lehrmeisterin der Klugheit, ungemein erfahren;
101
Vgl. Press 1970, S. 95. Vgl. ebd., S. 447f. u. 457. Latinisiert a Collibus. Er selber unterzeichnete seine Briefe teilweise mit de Colle oder de Colli, diese beiden Namensformen tauchen auch in der Literatur nebeneinander auf. Press nennt ihn durchgehend von Colli, während im Deutschen Biographischen Archiv die entsprechenden biographischen Artikel unter von Colle aufgeführt werden. 104 Eine Biographie Collis fehlt. Wir sind deshalb zu seiner Person vorwiegend auf - zumeist ältere - Artikel in biographischen Lexika angewiesen, so: Adam: Jur., S. 451-454, Jöcher I, Sp. 2014, Athenae Rauricae, S. 157fr., Jugler III, S. 195-206, und VI, S. 367, ADB IV, S. 405f. (Steffenhagen). Zu seiner Bildungsreise vgl. den Aufsatz von Stegmann 1987, der den Versuch eines typologischen Vergleichs mit der Reise Thomas Coryates unternimmt. 105 Vgl. Mommsen, S. 151. 106 vgl. Press 1970, S. 360. 107 Vgl. hierzu Kühlmann 1982, zur Veränderung der Theorie der prudentia politica dort bes. S. 230ff. S. auch oben S. 23f. und 31 f.
102
103
275 sehr beredt; verschwiegen, wie ein Minister seyn muß; gerecht und durch keine Geschenke zu verblenden. Dabey zeigte er im täglichen Umgange ein munteres, angenehmes Wesen, und war gleichsam zum Hofmanne gebohren. 108
Im Urteil eines anderen - freilich katholischen - Zeitgenossen Collis klingen allerdings andere Töne an, nämlich »das er verschmitzt, verschlagen und ein eifriger Calvinist sei«, 109 wobei aber auch dieser Beobachter Colli attestiert, daß er »ein guter politicus ist«.110 Beide Urteile erhalten Bestätigung darin, daß Kurfürst Friedrich IV. Colli häufig, neben Plessen wohl am häufigsten, mit Gesandtschaften außerhalb des Reiches betraute.111 Neben dem Vorsitz des Hofgerichtes und seiner Mitgliedschaft im Oberrat saß er auch dem 1604 im Zuge der Neuorganisation der kurpfalzischen Regierung geschaffenen Nebenrat vor. Diese regelrechte Ämterkumulation verschaffte Colli bis zu seinem Tode im Jahre 1612 enormen Einfluß, der sich noch dadurch vergrößerte, daß er als »einer der fuhrenden Juristen seiner Zeit«112 galt. Er verfaßte zahlreiche politische und philologische Schriften, die er teilweise unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlichte. Sein besonderes Interesse aber galt Fragen der politischen Theorie.113 Colli stand der Gruppe Lingelsheim, Loefen und Plessen im Oberrat nahe. Er gehörte dem späthumanistischen Freundeskreis um Lingelsheim in Heidelberg an. Mit Lingelsheim (und wahrscheinlich auch mit Plessen) dürfte er bereits in Basel Bekanntschaft geschlossen haben. Zwischen beiden bestand seit 1584 eine intensive Korrespondenz, von der heute noch 76 Briefe nachzuweisen sind. Die Überlieferung ist erneut sehr lückenhaft, so fehlen die Briefe Collis an Lingelsheim fast vollständig. Nur für die Jahre 1601, 1602 und 1608 verfügen 108 109
110 111
112 113
JuglerIII,S. 199. Peter de Vischere an Fleckhammer, 04.02.1608 (zitiert nach BRIEFE UND ACTEN 18701909, Bd. VI, S. 182). Peter de Vischere an Fleckhammer, 25.02.1608 (zitiert nach ebd., S. 226). Steffenhagen zählt in seinem ADB-Artikel die einzelnen Gesandtschaftsreisen auf: Colli sei »1599 in der Schweiz, 1601 in Polen, 1605 abermals in der Schweiz, 1608 bei den Generalstaaten, 1609 in Frankreich, 1610 in London, 1610-1611 in Prag« gewesen (S. 406). In den Briefen und Acten 1870-1909 finden sich verstreut die zahlreichen Belege für diese Reisen. Es war Collis Auftreten während seiner Gesandtschaft in die Generalstaaten zu Verhandlungen über ein Bündnis mit der Union, das de Vischere zu seinem eben zitierten Urteil führte. Es ist festzustellen, daß sich Colli bereits in den ersten Jahren nach seiner Rückkehr nach Heidelberg häufig in anderen Städten aufhielt, besonders in Basel, wohin vom 25.12.1593 bis 16.10.1594 alle Briefe Lingelsheims adressiert waren. Er war also augenscheinlich bereits damals mit politischen Missionen betraut. Die Auflistung von Steffenhagen wäre also auf jeden Fall zu ergänzen. Press 1970, S. 464. Jugler III, S. 199-207, erstellt eine kommentierende Bibliographie der Werke Collis. Es erschiene mir eine überaus lohenswerte Aufgabe, die von Colli vertretenen Gedanken mit der staatstheoretischen Lehre Lipius' zu vergleichen, er beschäftigte sich eingehend mit den Aufgaben der Fürsten, des Adels und der Räte, vgl. dazu seine entsprechend titulierten Schriften, die posthum in einer überarbeiteten Edition (Hipoplyti a Collibus Princeps, Consiliarivs, Palatinvs, sive aulicvs, & Nobilis. Editio nova auctior & correctior [Helmstadt: Heitmüller 1617]) versammelt erschienen. Collis juristisches Werk ist bis heute nicht eingehend untersucht. Erste Überlegungen dazu bei Conerman 1979; dort auch zu seiner Stellung im Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreis.
276 wir über Briefe Collis, die allesamt in den Monumenta Pietatis & Literaria Virorum enthalten sind. Die hier von Mieg edierten sieben Briefe sind zugleich für den Zeitraum nach 1598 die einzigen Zeugnisse dieser Korrespondenz.114 Die übrigen Briefe, die sämtlich in der Uffenbach-Wolfschen Sammlung erhalten sind, stammen von Lingelsheim und datieren aus den Jahren zwischen 1584 und 1598, wobei der Hauptteil der erhaltenen Autographen auf die Zeit nach 1592 entfällt. Das inhaltliche Schwergewicht dieser Briefe bilden wiederum politische Nachrichten, die Lingelsheim entweder aus der Heidelberger Regierung oder von seinen gerade in dieser Zeit verschiedentlich durchgeführten diplomatischen Reisen nach Amberg und Straßburg übermittelt.115 Die frühen Briefe Lingelsheims bis 1592/93 unterscheiden sich allerdings von allen übrigen Briefen seiner gesamten Korrespondenz durch einen teilweise sehr scherzhaften Ton, der bereits in den variierenden Unterschriften Lingelsheims zum Ausdruck kommt.116 So unterzeichnet er seinen Brief vom 4. März 1592, also wenige Wochen nach seiner Bestallung in den Oberrat, als »Minimus Werpuppor[um]«117 und nach der Belehnung mit dem oberpfälzischen Kloster Walderbach unterschreibt er als »Abbe«.118 Diese frühen Briefe dürfen deshalb, wenn man der Einteilung der Briefgattungen nach Erasmus folgt, als epistolae iocosae bezeichnet werden, wobei sich Scherzhaftes und >ernste< Mitteilung zwar nicht vermischen, aber doch nebeneinander stehen. 1.2.2.2.2. Marquard Freher Nach Collis Tod verwaltete Marquard Freher den Vorsitz des Hofgerichtes.119 Bis dahin hatte Freher, der 1587 als Rat und Diener in kurpfälzische Dienste getreten war, als dessen Vizepräsident gewirkt. Seine Berufung in kurpfälzische Dienste verdankte er seinem Vater, der Kanzler in Neumarkt war. Ebenso wie Colli gehörte auch er seit der Gründung dem Nebenrat an.120 Als Mitglied des 114
Außerdem existiert in SUH: Sup. ep. 4, Bl. 136, noch ein undatierter italienischer Brief Collis an Lingelsheim als Autograph. 115 Vgl. die Briefe aus dem Jahre 1597, die sich nahezu regelmäßig mit der Straßburger Angelegenheit auseinandersetzen. 116 Diese Briefe werden, wie auch die von Denaisius an Colli, in der Gießener Handschrift HS 113 als »iocosus« bezeichnet; die iocosae epistolae werden von Erasmus zu den außerordentlichen Gattungen des Briefes gezählt (vgl. Erasmus: Epist., S. 286-289). 117 SUH: Sup. ep. 14, Bl. 192'. Wohl eine Wortschöpfung aus puppis und vertere, zu verstehen im Sinne von: der Kleinste der Staatslenker. »8 Ebd., Bl. 43'. 119 Freher gehört unter den Korrespondenten Lingelsheims zu den (verhältnismäßig) gut erforschten Gestalten. Grundlegend ist die Dissertation von Komexl 1967. Dort findet sich aufS. 1-5 in Form einer kommentierenden Bibliographie ein Verzeichnis der bis zum Abschluß dieser Arbeit vorliegenden biographischen Artikel, S. 6-38 widmet Kornexl dann selbst einer ausfuhrlichen Biographie Frehers. Eine andere Dissertation von Schwan 1984 interpretiert das juristische Werk Frehers. Dabei läßt sich auch Schwan, S. 8-25, ausfuhrlich Raum für eine Einfuhrung in Frehers Biographie. Von den Artikeln in den SammelBiographien sei ausdrücklich auf den Beitrag von Fuchs in NDB V, S. 392f., hingewiesen, der auf seinen eigenen Forschungen über die Geschichtsschreibung der Pfalz basiert. 120 Schon 1598, als man erstmals über die Einrichtung eines Nebenrates diskutiert hatte, war die Berufung Frehers geplant, vgl. Press 1970, S. 437.
277 Oberrates dagegen ist er nicht feststellbar, wenngleich er innerhalb der kurpfälzischen Gesandtschaft zum Regensburger Reichstag 1613 überraschenderweise als >Geheimer Rat< tituliert wurde. 121 Die Erledigung diplomatischer Missionen stellte aber eindeutig die Ausnahme seines Wirkens in kurpfälzischen Diensten dar. 122 Vielmehr ist der 1565 in Augsburg geborene Freher, dessen Familie sich auf eine adlige Herkunft berief und dessen Vater 1588 einen Wappen- und Adelsbrief ausgestellt erhielt, als späthumanistischer Gelehrter und Schriftsteller in Erscheinung getreten. 1585 hatte er nach dem Besuch des Altdorfer Gymnasiums und der Basler Universität in Bourges bei Cujas die juristische Doktorwürde erworben. Freher ist sicherlich unter den späthumanistischen Gelehrten Heidelbergs um 1600 eine der interessantesten Gestalten mit einem weiten gelehrten Interesse. Sein überaus umfangreiches Œuvre, das er bis zu seinem Tode im Jahre 1614 schuf, umfaßte nicht nur juristische Schriften, sondern weist ihn auch als versierten Philologen und Historiker aus. 123 Er veranstaltete zahlreiche Ausgaben antiker Autoren wie auch neuerer Geschichtsschreiber zur deutschen und französischen Geschichte. Durch seine Editionen altdeutscher Texte stand Freher mit Goldast am Anfang einer deutschen Philologie. 124 Sein Name wird dabei wie der Goldasts stets mit der Aufspürung und Erwerbung des Codex Manesse für die Heidelberger Bibliothek verbunden bleiben. 125 Von ihm stammt vor allem aber auch die erste pfälzische Landeskunde, die Origines Palatinae, die 1599 in erster Auflage erschienen. 126 Es ist der große kurpfalzische Beitrag zu dieser von den Späthumanisten besonders geschätzten Gattung. 127 Dieses Werk zeichnet eine irenische Grundhaltung aus, die Freher mit dem auf einen Ausgleich der Konfessionen bedachten Heidelberger Späthumanistenkreis um Lingelsheim teilte. »Konfessionelle Invektiven fehlen so gut wie ganz. Der Jurist, Humanist und Gelehrte überwiegt den Calvinisten wie den zeitgebundenen pfalzischen Patrioten.« 128 Gleichwohl trat Freher auch mit mehreren Streitschriften hervor, in denen er die politischen und konfessionellen Ansprüche der Kurpfalz unmißverständlich darstellte. 129 121
Press stellte ebd. nicht einmal eine Beteiligung Frehers an den Sitzungen des Oberrates fest: Frehers Titulierung als >Geheimer RatPolitiker< zu verstehen. Er widmete sich neben seiner Tätigkeit am Hofgericht vor allem seinen gelehrten Interessen. Das wird an den Inhalten der einzelnen Schreiben deutlich. Nicht mehr die politische Nachricht bzw. die gezielte Versorgung eines Korrespondenten mit Informationen aus dem Heidelberger Oberrat und damit über Vorgänge der kurpfälzischen Konfessionspolitik stehen im Vordergrund, sondern der gelehrte Austausch zweier Späthumanisten über eigene Werke und die Schriften anderer Gelehrter. Frehers gesamte, überaus umfangreiche Korrespondenzen sind stärker als die Lingelsheims davon geprägt.132 Man erkennt daran erneut, wie sehr die Amtstätigkeit auf die Briefe der Späthumanisten einwirkte. Sowohl in der geographischen Verteilung als auch in der personellen Zusammensetzung ihres Korrespondentenkreises weisen beide gleichwohl signifikante Übereinstimmungen auf. Auch Frehers Korrespondenten lebten weitgehend im Südwesten des Reiches, in der Schweiz und in den Niederlanden, unter ihnen befanden sich ebenfalls Gruter und Schede Melissus, Gentiiis und Rittershausen, Hoeschel, Goldast, Bongars und Casaubon oder Scaliger und Meursius. Es ist offenkundig, daß die Verbindungen der Heidelberger Späthumanisten vor allem in den südwestdeutschen und in den westeuropäischen Protestantismus reichten und dort eine feste Gruppe führender Gestalten der regionalen Gelehrtenkreise umfaßten.
130 131 132
denen Loefens, der ebenfalls von kurpfälzischer Seite aus in diese Auseinandersetzung publizistisch eingriff, ganz im Sinne des zitierten Urteils von Fuchs 1963: »Während Freher mehr mit historisch-rechtlichen Deduktionen arbeitete, pflegte Loefenius [...] sehr die Polemik.« Vgl. Lingelsheim 1922, S. 35f. H A B : Cod. Guelf. 15.3. Aug. Eine Auflistung der Korrespondenten Frehers bietet - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit - K o m e x l 1967, S. 9 3 - 1 0 2 .
279 1.2.2.2.3. Andreas Paul Nachdem mit Colli und Freher innerhalb kurzer Zeit die beiden führenden Juristen der Kurpfalz verstorben waren, blieb der Vorsitz des Hofgerichtes lange Jahre vakant, zumal ein geeigneter Nachfolger nicht zur Verfugung stand. Die Stelle wurde erst 1620 mit Andreas Paul wiederbesetzt, der in der Literatur auch Pawel genannt wird,133 seine Briefe an Lingelsheim dagegen teilweise mit »Pauli« unterzeichnet hat.134 Als Jurist stand er seinen beiden Vorgängern in der Bedeutung um Vieles nach. Aber eine geregelte Arbeit der politischen Gremien der Kurpfalz war in jenen Kriegszeiten ohnehin nicht mehr möglich.135 Über Andreas Paul ist wiederum nur wenig bekannt.136 Geboren wurde er um 1575 als Sohn eines Hamburger Patriziers, der wahrscheinlich sogar das Adelspatent besaß. Er studierte Jurisprudenz, wobei weder seine Studienorte noch eine Promotion nachzuweisen sind. 1611 erhielt er eine Bestallung als Hofgerichtsrat und gleichzeitig als Hofjunker in Heidelberg. Über sein höfisches Amt gelangte er in die Nähe des Kurfürsten und gewann Einflußmöglichkeiten. Paul, der offenbar über ein gewandtes Auftreten bei Hofe verfügte, gilt für Friedrich Hermann Schubert als »Repräsentant der Politiker bürgerlichpatrizischer Herkunft [...], die sich relativ willig den modernen höfischen Lebensformen anpaßten und es sich angelegen sein ließen, in die eigentliche Hofgesellschaft hineinzuwachsen.«137 In Heidelberg etablierte sich eine neue Generation von Hofbeamten, die nach wie vor eine humanistische Bildung besaß,138 die sich aber dem französischen Einfluß am frühabsolutistischen Fürstenhof öffnete und bevorzugt die französische Sprache benutzte, die das Lateinische als Sprache der Diplomatie und des Hofes immer weiter verdrängte.139 Auch in seinen Briefen, die bislang nur teilweise bekannt sind, wählt Andreas Paul überwiegend das Französische. Die vier unter den Dokumenten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in München von ihm überlieferten Briefe an Lingelsheim allerdings verfaßte er in Latein. Sie behandeln ausschließlich politische Themen, die sich aus ihrer beider Amtsgeschäften ergaben. So berichtet er als Agent der Kurpfalz 1612 in drei Briefen 133 134
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139
So durchweg in den Arbeiten von Schubert 1954 und 1955. Dies trifft für die beiden Briefe vom 16./26.04.1612 und 20./30.06.1612 zu (BHA: Kasten schwarz 16729, Bl. 131'" v u. Bl. 1 5 7 " ) . Zu seiner Tätigkeit Press 1970, S. 491-494. Am ausführlichsten hier Schubert 1954, S. 610-623. Ebd., S. 613. - Press 1970 teilt S. 491 dieses Urteil. Andreas Paul darf ebenfalls zum - zumindest weiteren - Umfeld des späthumanistischen Gelehrten- und Dichterkreises in Heidelberg gezählt werden: Von ihm stammt eine lateinische Elegie im Anhang des Panegyricus Iano Grutero Scriptus a Balthasare Venatore (1630) (vgl. auch REIFFERSCHEID 1889, S. 838) und möglicherweise versteckte er sich auch hinter den Initialien des »Epicedion[s]« auf Friedrich Lingelsheim 1616 (s. oben S. 190). Auf diesen Aspekt, daß sich der kurpfälzische Hof dem französischen Einfluß öffnete und auch die Hoibeamten in seinen Bann gerieten, hebt insbes. Schubert 1955 ab, der Camerarius gegen diese Strömung als späten Repräsentanten der lateinisch geprägten höfischen und politischen Sphäre stellte. Vgl. auch Press 1970, S. 491, der in beiden Pauls den höfischen Stil repräsentiert sah, der unter Friedrich V. in Heidelberg mit der jungen Generation neuer Beamter eingezogen war.
280 aus Brüssel über die Aktivitäten am Hofe des spanischen Statthalters im Zuge der Sukzessionsverhandlungen um den deutschen Kaiserthron. 140 Eine größere Bedeutung in der kurpfälzischen Politik gewann Andreas Paul erst nach dem böhmischen Abenteuer Friedrichs V. von der Pfalz. Paul, der zu dieser Zeit vielleicht auch dem Oberrat angehörte, 141 hatte auf die Entscheidung des Kurfürsten für die Krone wie Grün und Lingelsheim zunächst zurückhaltend reagiert und war wie diese in Heidelberg verblieben. 142 Nach der Niederlage am Weißen Berg avancierte er dann - als einer der >unbelasteten< Räte - für einige wenige Jahre zum wichtigsten Diplomaten für die Bemühungen der Exilregierung um Ausgleich und Restitution. Bereits seit Ende August 1620 hielt er sich in Wien am Kaiserhof auf, 143 reiste dann im Juni 1621 über Den Haag zu Verhandlungen mit Jakob I. von England, 144 kehrte von dort wieder nach Wien zurück, um dem englischen Gesandten Digby gemeinsam mit Rusdorf zur Seite zu stehen, ohne indes vom Erfolg der englischen Bemühungen überzeugt zu sein. 145 Aus Wien richtete er am 8. September 1621 einen weiteren Brief an Lingelsheim, der an einen ausführlichen offiziellen Bericht von den Wiener Verhandlungen an den Statthalter in Heidelberg, Johann II. von Zweibrücken anschloß. 146 Über Brüssel reisend vertrat Paul dann ab November 1622 erneut die Interessen seines Kurfürsten am englischen Hof, von wo er nach Paris befohlen wurde. Dort traf er allerdings erst mit einer unerklärlichen Verspätung ein, durch die die bayerische Diplomatie in Vorteil geriet, die mit dem glaubensverwandten französischen Herrscherhaus bereits 1620 einen Neutralitätsvertrag abgeschlossen hatte. 147 Die Hoffnungen, Frankreich zur Unterstützung der Kurpfalz zu bewegen, erfüllten sich unter diesen Voraussetzungen nicht. Paul erhielt fortan Stuttgart als Aufenthaltsort zugewiesen, wo seit 1624 der Knotenpunkt der vorwiegend von den Herzögen von Lothringen und Württemberg betriebenen Ausgleichsverhandlungen lag. Dort befand er sich jedoch abseits des Zentrums der kurpfalzischen Politik in Den Haag. Erst jetzt konnte Camerarius, der Paul stets als seinen Rivalen betrachtet hatte, 148 die Führung in der kurpfälzischen Exilpolitik übernehmen. Paul starb 1630 in Stuttgart.
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Zu Pauls Mission in Brüssel vgl. BRIEFE UND ACTEN 1870-1909, Bd. X, S. 572, XI, S. 7. So Schubert 1955, S. 71, aber nicht bei Press 1970. Im August 1618 hatte Paul als kurpfalzischer Gesandter dem Kaiser in Wien hinterbracht, d a ß sich die Kurpfalz hinter die Gravamina der böhmischen Stände stellte, vgl. Müller 1997, S. 189. Vgl. BRIEFE UND AKTEN N.F. 1948ff„ Bd. 1/1, S. 62, 70f. u. 231. Vgl. ebd., Bd. 1/2, S. 2 7 2 - 2 7 6 . Vgl. ebd., Bd. 1/2, S. 319 u. 3 4 3 - 3 5 0 (Bericht Pauls an Pfalzgraf Johann). Diese Verhandlungen dauerten vom 22.08. bis 03.09.1621. - Schubert 1954 bietet für seine Behauptung, daß zwischen Lingelsheim und Andreas wie Karl Paul nach ihrer Niederlassung in Stuttgart »rasch die Verbindung hergestellt wurde« (S. 662), leider keine Belege. Mir sind allerdings bisher mit Ausnahme des einen Briefes von Karl Paul auch keine diese Aussage stützenden Zeugnisse untergekommen. Vgl. ebd., S. 659ff., Schubert 1955, S. 189-216. Z u m Wandel der französischen Politik nach der Ermordung Heinrichs IV. vgl. unten S. 384f. (mit Anm. 6). Schubert 1955, S. 191.
281
1.2.2.2.4. Johann Joachim von Rusdorf Der Nachfolger des aus London abberufenen Andreas Paul als kurpfälzischer Gesandter am englischen Königshof wurde Johann Joachim von Rusdorf.149 Seine Familie gehörte dem niederbayerischen Adel an, er selbst aber wurde im Jahre 1589 im Herzogtum Zweibrücken geboren, wohin sein Vater wegen seiner Konversion zum Calvinismus aus der Gegend um Passau hatte fliehen müssen. Im Anschluß an seine Studienzeit, die ihn nach Heidelberg, Altdorf und Basel geführt hatte, unternahm Rusdorf eine mehrjährige peregrinatio, die er erst kurz vor seinem Eintritt in kurpfälzische Dienste beendete. Nachdem ihm offenbar schon während seines Studiums eine kurpfälzische Bestallung durch Vermittlung des Großhofmeisters Solms in Aussicht gestellt worden war, erhielt er 1616 eine Stelle als Hofgerichtsrat. Im Vorfeld der Königswahl Friedrichs V. erfüllte Rusdorf einige diplomatische Missionen, von denen ihn gleich die erste nach Böhmen führte. Seine politische Bedeutung wuchs jedoch wie auch im Falle Andreas Pauls erst in der pfälzischen Exildiplomatie. Wenn man seinem Biographen Glauben schenken darf, war Rusdorf ein erklärter Gegner des ihm »so verhassten Fürsten von Anhalt«,150 der seinerseits ein »nicht zu verkennendes Mißtrauen [...] gegen Rusdorf«151 empfand. Auf jeden Fall gehörte auch Rusdorf innerhalb der kurpfälzischen Beamtenschaft in der Frage der Annahme der böhmischen Krone zur zurückhaltenden Partei; auch er blieb in Heidelberg zurück, als der Kurfürst nach Prag aufbrach.152 Nach dem Ausscheiden Anhalts stieß Rusdorf dann zum Kreise der für die Sache der Kurpfalz und des Kurfürsten weiterhin engagierten kurpfälzischen Diplomaten. Zunächst stand er über ein Jahr dem englischen Gesandten Digby in Wien zur Seite (1621/22);153 danach vertrat er für fünf Jahre (1622-1627) die Interessen seines Dienstherrn am englischen Hof. Dieser hegte seit 1625 unter Karl I. allerdings nur noch ein geringes Interesse an den kurpfalzischen Angelegenheiten.154 Finanzielle Probleme und vor allem die Feindschaft des Herzogs von Buckingham, in jenen Jahren der einflußreichste Mann in England, ließen Rusdorfs Position zunehmend schwieriger werden. Schließlich wurde er nach Den Haag zurückgerufen, wo er nach dem Wechsel von Camerarius in schwedische Dienste die Leitung der Exilpolitik übernahm.
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Seine bislang einzige Biographie schrieb Krüner 1876. Vgl. außerdem den Artikel in der ADB XXX, S. lff. Zahlreiche Fehler weist der erste biographische Versuch von Arckenholz 1762 auf; aufgrund der im Anhang gedruckten Briefe (u.a. an den Kanzler Grün) und Gedichte besitzt dieses schmale Bändchen aber auch heute noch durchaus seinen Wert. Krüner 1876, S. 30. Ebd., S. 43. Ebd., S. 31, wird Rusdorf als »ausserordentliches Mitglied des Staatsraths« bezeichnet; unabhängig von der vollkommen falschen Bezeichnung des Oberrates als »Staatsrat« (die auch der ADB-Artikel beibehält) kann von einer außerordentlichem Mitgliedschaft nicht die Rede sein: Rusdorf war vielmehr Angehöriger des neu eingerichteten Nebenrates (vgl. Schubert 1955, S. 71, Press 1970, S. 492). Ebenso wie Camerarius und Andreas Paul war Rusdorf allerdings nicht von der Fruchtbarkeit der englischen Ausgleichsbemühungen überzeugt (vgl. Schubert 1955, S. 209). Vgl. Weiß 1966, S. 90-99.
282
Eine immer wieder nur kurzzeitig unterbrochene rege diplomatische Reisetätigkeit begann, die ihn in den folgenden Jahren sowohl in die europäischen Hauptstädte Paris, Wien und London als auch mehrfach auf Fürstentage und an Fürstenhöfe im Reich führte. Nach dem Tode Gustav Adolfs versuchte er, die schwedische Vormachtstellung über die deutschen Protestanten und auch in den kurpfälzischen Angelegenheiten zu durchbrechen und setzte sich für ein Bündnis der protestantischen Kurfürsten des Reiches ein. Damit betrieb er eine entscheidende Kurskorrektur der kurpfälzischen Exilregierung, die seit Camerarius auf Schweden ausgerichtet war. Rusdorf avancierte aber nicht nur zu einem der einflußreichsten Politiker der kurpfälzischen Exildiplomatie, sondern er gehörte ebenso zu den eifrigsten kurpfälzischen Publizisten, die vom Haag aus die Rechte und Ansprüche ihres Kurfürsten im Reich in zahlreichen Schriften verteidigten. Nach 1637 hielt er sich ständig im Haag auf, wo er schließlich 1640 verstarb.155 In Heidelberg hatte sich Rusdorf in jungen Jahren den späthumanistischen Dichtern um Zincgref und Friedrich Lingelsheim angeschlossen.156 Früh veröffentlichte er ein Buch neulateinischer Epigramme.157 Welchen Stellenwert er schon sehr bald als neulateinischer Poet in Heidelberg besaß, zeigt sich darin, daß er im Jahre 1613 eine offizielle Festrede auf die Rückkehr des Kurfürsten und seiner englischen Braut verfassen durfte.158 Seine Korrespondenzen, von denen sich in der Collectio Camerariana sowie in der Universitäts- und Landesbibliothek Kassel mehrere Bände mit Abschriften erhalten haben, zeigen seine enge Verbindung mit dem Heidelberger Späthumanismus auf. Dabei verfügte er durchaus auch über Kontakte zu dem älteren Kreis um Lingelsheim. Besonders intensiv gestaltete sich sein Briefwechsel mit Ludwig Camerarius. Von einer Korrespondenz mit Lingelsheim gibt es bislang nur zwei Zeugnisse. Im August 1621 richtete Rusdorf aus Wien ein Schreiben an Lingelsheim, in dem er diesen kurz über den Stand der Verhandlungen Digbys in Kenntnis setzt. Erneut handelt es sich also bei diesem französischsprachigen Brief um einen diplomatischen Bericht, der an Lingelsheim in seiner Eigenschaft als in Heidelberg die Geschäfte aufrechterhaltender Oberrat adressiert wurde.159 Rusdorf stand mit Lingelsheim aber eben nicht nur aufgrund ihrer gemeinsamen dienstlichen Tätigkeit in Korrespondenz. Das mehrfach angedeutete Nebenein155
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Dazu ausführlich die Darstellung von Schubert 1954. Der überaus niedrige diplomatische Rang, der dem führenden Vertreter der pfälzischen Exilregierung zugestanden wurde, wird daran deutlich, daß Rusdorf häufig Schwierigkeiten hatte, zu Audienzen zugelassen zu werden (vgl. Kaiser 2003, S. 125f); ein spätes Beispiel für den Kurfiirstentag 1636/37, an dem Rusdorf als Mitglied der englischen Gesandtschaft teilnahm, bei Haan 1967, S. 108f. So gehörte er schon 1612 zu den Beiträgem des Gelegenheitsdruckes auf Zincgrefs Abreise, vgl. Bircher 1974, S. 50 (dazu oben S. 189). - Zincgref seinerseits verfaßte auf ihn ein Epigramm, das in die Triga amico-poetica (1619), S. 59, Aufnahme fand. Titel bei Kosch XIII, Sp. 596. Titel bei Dyroff 1963, Sp. 1401. Zu weiteren Werken Johann Joachim von Rusdorfs, darunter auch Texten und Gedichten in seinem handschriftlichen Nachlaß, vgl. Arckenholz 1762, S. 5 8 - 7 0 u. 138f. BHA: Kasten schwarz 133/III, ein Exzerpt dieses Briefes in BRIEFE UND AKTEN N.F., Bd. 1/2, S. 308.
283 ander diplomatischer Nachrichtenübermittlung und gelehrter Kommunikation innerhalb eines Briefwechsels wird an dem zweiten erhaltenen Brief Rusdorfs deutlich, dessen Abschrift sich in den Kasseler Briefbänden findet. Weitere Abschriften dieses Briefes existieren in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen.160 Hier handelt sich um ein Empfehlungsschreiben, das Rusdorf 1630 am Rande des Regensburger Kurfurstentag verfaßt hat, und in dem er einen jungen Basler, »qui in urbe vestra peregrinationis suae hiberna hospitia instituet«, der Aufmerksamkeit Lingelsheims empfiehlt.161 Obwohl Rusdorf wie Andreas Paul in seinen vorwiegend in dienstlichen Zusammenhängen entstehenden Briefen und Berichten die französische Sprache bevorzugte, ist bei ihm jedoch noch eine starke Verbindung zur späthumanistischen Tradition Heidelbergs zu erkennen.162 Dies kommt auch in diesem späten Schreiben an Lingelsheim zum Ausdruck, dessen ungebrochene Bedeutung für die junge Generation der Späthumanisten noch im Straßburger Exil durch dieses Empfehlungsschreiben erneut deutlich wird. 1.2.2.3.
Weitere kurpfälzische Beamte
1.2.2.3.1. Johannes Gemand Die übrigen Korrespondenten Lingelsheims aus dieser Gruppe weltlicher Beamter bekleideten keine wichtigen Funktionen in den entscheidenden politischen Gremien der Kurpfalz und spielten in der Mehrzahl auch keinen zentralen Part in der Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges. Sie genossen in der Geschichtsschreibung dementsprechend geringe Aufmerksamkeit, ihre Namen fehlen in den großen Sammel-Biographien alter und neuer Zeit und werden nur selten in größeren Zusammenhängen der kurpfälzischen Geschichte erwähnt. Ein gutes Beispiel für die überaus unsichere und diffizile Situation, mit der biographische Forschungen zu diesem Personenkreis konfrontiert sind, bietet Johannes Gernand. Seine Lebensdaten und seine Laufbahn sind bislang nur schwer zu rekonstruieren, zumal sich aus den Quellen und aus den versprengten Notizen in der wissenschaftlichen Literatur ein konfuses Bild ergibt, das um so verworrener ist, weil parallel von einem Johannes Gernand wie auch von einem Johannes Friedrich Gernand die Rede ist. Doch lassen sich die für beide genannten Lebensdaten und -Stationen - wenn auch mit geringen Überschneidungen - sinnvoll in eine Chronologie fiigen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß 160
161 162
Krüner 1876, S. 25, deutet die Existenz weiterer Briefe an Lingelsheim unter den Kasseler Beständen an. Die Nachprüfung der von ihm in diesem Zusammenhang angegebenen Signatur und Seitenzahlen ergibt jedoch, daß es sich in 2° Ms jur. 47 bei dem ersten um einen Brief an Zincgref, Heidelberg, 04.08.1613 (S. 704), bei dem zweiten um einen Brief an Friedrich Lingelsheim, Heidelberg, 06.08.1613 (S. 794f.), handelt. Beide Briefe sandte Rusdorf seinen sich auf ihrer gemeinsamen peregrinatio befindlichen Heidelberger Freunden nach, der Brief an Friedrich Lingelsheim ist nach Orléans adressiert. Rusdorf an Lingelsheim, 23.10.1630 (zitiert nach REIFFERSCHEID 1889, S. 420). Schubert 1955 hebt S. 324 hervor, daß Rusdorf und Camerarius in der zwischen ihnen gepflegten Korrespondenz bewußt die lateinische Sprache beibehielten und so die humanistische Tradition auch in der pfalzischen Exilregierung Wiederaufleben ließen.
284 es sich um ein und dieselbe Person handelt. Das bleibt aber noch endgültig durch weitere Recherchen zu verifizieren.163 Soweit es zu überblicken ist, wurde Gernand um 1545 im hessischen Wetter geboren und starb 1615 in Amberg.164 Er studierte in Genf (1584) 165 und in Heidelberg (1586/87), 166 wo er seinen Magister erwarb, später in Altdorf (1590) 167 und Basel (1591), 168 wo er zum Doktor beider Rechte promovierte.169 1587 trat er als lauterischer Rat in die Dienste Johann Casimirs ein und kümmerte sich in dieser Funktion gemeinsam mit Petrus Denaisius um das Finanzwesen des Fürstentums, dessen Verwaltung während der Administration streng von den kurpfalzischen Behörden getrennt blieb. 170 Nachdem er sich 1588 in Heidelberg niedergelassen hatte, nahm Gernand Ende 1590 an einer Gesandtschaft in die Oberpfalz teil. Zu dieser Zeit wirkte er als Hofgerichtsrat am Heidelberger Hofgericht und zusätzlich als Kammer- und Rechenrat.171 Eine kurpfälzische Ratsbestallung datierte allerdings erst vom 2. Februar 1592, also kurz nach seiner Promotion.172 1594 übernahm er als Amtsverweser den Posten des Kammermeisters und damit die Leitung der wichtigsten Finanzbehörde der Kurpfalz. Dieses Amt gab er auf, als er Anfang 1598 als Syndikus nach Amberg wechselte. 173 Lingelsheim berichtet am 15. April 1598 Bongars von Gernands Amtsantritt: »Is iam syndicus factus Ambergensis [...]«. 174 163
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Angesichts der Forschungssituation seien an dieser Stelle die biographischen Daten zusammengetragen, die sich bei einzelnen Autoren finden. Nilüfer Krüger fuhrt in Supellex epistolica, Bd. I, S. 318, Briefe sowohl eines Johannes als auch eines Johann Friedrich Gemand auf. Für beide ermittelt sie die Wetterau als Herkunftsregion und bestimmt beide als promovierte Juristen. Für Johannes Gemand führte sie dann - auf Basis der kurpfalzischen Dienerbücher - als Karrieredaten das Jahr 1587, als jener Gernand Rat und Diener wurde, sowie das Jahr 1594, als er das Amt des Kammermeisters verweste, an. Dieser Johannes Gernand ist derjenige, den Press 1970 als einen der fuhrenden Finanzexperten der Kurpfalz herausstellte (S. 109 u. 465). Vgl. Stelling-Michaud, Bd. III, S. 450. Ebd. Toepke, Bd. II, S. 131. Steinmeyer, Bd. II, S. 277. Wackernagel, Bd. II, S. 388. Nach Port 1938, S. 113, promovierte »Johannes Fridericus Gernandus Wetteranus« bereits »1589 bei Julius Pacius in Heidelberg mit der Arbeit >De negotiis gestisc«. Zu dieser Zeit ist ein Gemand in den Matrikeln aber nicht mehr festzustellen! Das Promotionsdatum nach Wackernagel, Bd. II, S. 388, und Stelling-Michaud, Bd. III, S. 450. Press 1970, S. 362 u. 366f. Das gleiche, den kurpfälzischen Dienerbüchern entnommene Datum auch in Supellex epistolica, Bd. I, S. 318. Press 1970, S. 96 u. 100. Vgl. Krebs, S. m55. Die Aufgabe dieses Amtes ist von Press 1970, S. 110, auf das Jahr 1598 datiert. Danach gibt Press allerdings über Gernands weitere Tätigkeit in kurpfälzischen Diensten keine Auskünfte mehr, sondern nennt ihn erst wieder S. 469 unverändert unter den Hofgerichtsräten. Gernands Tätigkeit als Syndikus in Amberg vom 20. Dezember 1597 bis zu seiner Demission im Jahre 1602 führt jedoch Stelling-Michaud, Bd. III, S. 450, an. Die Korrektheit ihrer Angabe belegt Lingelsheims zitierter Brief an Bongars (vgl. die folgende Anmerkung). Dieser Brief ist zugleich auch ein entscheidendes Indiz dafür, daß es sich nur um einen Gemand handeln kann, denn Lingelsheim berichtet hier von jenem Johannes Gernand, mit dem er später in den Niederlanden und der 1608 in Mannheim war. Beide Aufenthalte sind wiederum von Press für den in seiner Arbeit genannten Gernand gesichert. Lingelsheim an Bongars, 15.04.1598 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 186b r ).
285 1602 kehrte er nach Heidelberg an das Hofgericht zurück. Im Jahr darauf begleitete er Lingelsheim auf dessen Gesandtschaft zu Moritz von Oranien.175 Ab 1605 scheint er dann nach Mannheim übergesiedelt zu sein, um dort die Finanzierung des Festungsbaus im Rahmen des Landesdefensionswerkes zu organisieren.176 Weiterhin mit dieser Aufgabe beschäftigt, hielt er sich dort noch Anfang des Jahres 1608 auf, wie aus einem Brief Lingelsheims an Grotius hervorgeht: »Gernandus Manhemii cum filio novis molitionibus intentus abest [...]«.177 Noch im Jahre 1610 schrieb Gernand in gleicher Funktion aus Mannheim einen Brief an Otto von Solms.178 Der kurze Brief, den Lingelsheim am 2. Januar 1599 an Gernand gerichtet hat und der das einzige Zeugnis einer Korrespondenz dieser beiden Männer ist, bietet keine weiteren Hinweise für die Biographie Gemands. Er deutet durchaus auf ein vertrautes Verhältnis hin, denn Lingelsheim hielt damals Kontakt zur Familie des sich zu dieser Zeit in Worms aufhaltenden Gernand. Zudem läßt sich beobachten, und das möge diese Vermutung stützen, daß beispielsweise Bongars und Grotius, der Gernand in den Niederlanden kennengelernt haben dürfte, jenen immer wieder durch Lingelsheim grüßen ließen.179 In Heidelberg pflegten Lingelsheim und Gernand offenbar sogar regelmäßigen Kontakt. Wenn Lingelsheim Loefen gegenüber erwähnt, »Gernandum nondum vidi hodie«, scheint das eine immerhin erwähnenswerte Ausnahme gewesen zu sein.180 Offenbar stand Gernand mit Lingelsheim in einem engeren Verhältnis. Inwieweit er sich selbst mit gelehrten Studien beschäftigte, ist nicht zu übersehen. In den Jahren 1597/98 arbeitete er auf Anregung Lingelsheims an einer TheophrastEdition, die aber offenbar nicht recht voranschritt.181 Als Herausgeber edierte er die griechische Übersetzung des Heidelberger Katechismus von Friedrich Sylburg. Dessen Bibliothek hatte Gernand kurz zuvor erworben.182 Er darf wohl zum Umfeld der Heidelberger Späthumanisten um Lingelsheim gerechnet werden, soweit die wenigen bekannten Details über sein Leben und Wirken eine derartige Zuordnung rechtfertigen. 175
S. dazu oben S. 122. 176 vgl. Press 1970, S. 110. Press gibt hier an, daß Gemand erst zu diesem Zeitpunkt endgültig aus der Rechenkammer ausschied, demnach hätte er dieses Amt auch während seines Syndikats in Amberg weitergeführt. 177 Lingelsheim an Grotius, 03.02.1608 (GROTIUS 1928ff., Bd. I, S. 97). 178 Vgl. Press 1970, S. 477. 179 Vgl. die häufigen Erwähnungen in Bongars' »Mémoires«. Ein französischer Brief Johannes Gemands an Bongars befindet sich in SUH: Sup. ep. 31, Bl. 169. Zu Grotius vgl. beispielsweise dessen Briefe an Lingelsheim vom 07.03.1605 (GROTIUS 1928ff., Bd. I, S. 53) und vom 26.01.1608 (ebd., S. 96). 180 Lingelsheim an Loefen, 09.11.1604 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 265v). 181 Vgl. Lingelsheims Brief an Bongars, 19.09.1597 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 1821). Für seine Studien zog Gernand die Ausgabe des italienischen Bibliophilen und Gelehrten Giovanni Vincenzo Pinelli (1535-1601) heran, deren Rückgabe sich sehr zum Unwillen von Lingelsheim verzögerte (Lingelsheim an Bongars, 15.04.1598 [ZBZ: Ms. F 81, Bl. 186b1). 182 vgl. Port 1938, S. 113f. u.ö. - Die wertvolle Sylburg-Bibliothek erwarb später Gruter, der nach seiner Flucht aus Heidelberg am 25.12.1622 an Caspar Cunrad allerdings berichten mußte, u.a. auch diese Bücher verloren zu haben, vgl. ebd., S. 146; dort der entsprechende Auszug des Briefes.
286
1.2.2.3.2. Adrian von Borcke Auch Adrian von Borcke ist dem weiteren Umfeld des Heidelberger Freundeskreises um Lingelsheim zuzuordnen.183 Über sein persönliches Verhältnis zu Lingelsheim läßt sich noch weniger sagen als es für Gernand möglich war. Das einzige Zeugnis einer Korrespondenz zwischen ihm und Lingelsheim scheint allerdings auf eine nähere persönliche Bekanntschaft hinzudeuten. Lingelsheim hatte ihn zu seiner Hochzeit eingeladen, Borcke jedoch sagt in seinem kurzen Schreiben vom 27. August 1596 aus Gründen, die in dem Brief nicht genannt sind, ab. Bei diesem kurzen Brief handelt es sich somit um ein ausschließlich der persönlichen Mitteilung gewidmetes Schreiben. Briefzeugnisse dieser Art finden sich äußerst selten unter Lingelsheims Korrespondenzen, sie sind lediglich durch ihren Sprachstand und gewisse stilistische Eigenschaften noch als Briefe von Gelehrten erkennbar und könnten fast schon als >Alltagsbriefe< betrachtet werden.184 Adrian von Borcke185 entstammte einem pommerschen Adelsgeschlecht. Er studierte in Heidelberg186 und Basel, wo er auch zum Doktor beider Rechte promovierte.187 Er gehörte also zu den wenigen Adligen dieser Zeit, die ihr Studium mit einer Promotion abschlössen, die sich also vor allem einer humanistischen Ausbildung widmeten. So schloß sich an seine Promotion auch eine Reise an, »die weit mehr war als eine >Kavalierstour«Geschäftssprachen< Latein und Französisch bedient haben, da es sich um internationale Korrespondenzen handelte. Für Gueretin steht zu vermuten, daß dieser Brief wie das von seiner Hand aus dem Jahre 1618 erhaltene Original auf Französisch verfaßt war. So in den Briefen vom 10./20.07., 16./26.10., 02./12.11. und 19./29.11.1620 (BNP: Fr. 4122, Bl. 17v, 25', 28'u.31 v ). Z u ihm A P B I, S. 140 (mit weiterer Lit.), ausführlich D o h n a 1 8 7 7 - 8 0 , B d . I, S. 1 6 8 - 2 0 7 .
289 die Dienste der Heidelberger Kurfürsten, sein älterer Bruder Abraham avancierte zu einem der fähigsten Diplomaten und Berater in der Union.205 Studien in Heidelberg und Altdorf sowie eine darauf folgende lange Kavalierstour durch Italien und Frankreich hatten bei Achaz zu Dohna humanistische Bildung und höfische Erziehung vereint.206 Nachdem sein Bruder Abraham zu Dohna eine Bestallung zum Hofmeister des pfälzischen Kurprinzen Friedrich (V.) ausgeschlagen hatte, übernahm sein jüngerer Bruder diese Aufgabe von 1607 bis 1610. Gleichzeitig erhielt er eine Ratsbestallung. Wie anderen kurpfälzischen Politikern auch wurde Achaz zu Dohna eine oberpfälzische Pfründe verliehen, so daß mit ihm ein weiterer überzeugter Calvinist in der oberpfälzischen Landschaft Sitz und Stimme besaß. Die gezielte Vergabe oberpfalzischer Pfründen an überzeugte Calvinisten wurde von den Heidelberger Kurfürsten eingesetzt, um auf diesem Wege die Zweite Reformation auch in dem lutherisch dominierten Gebiet der eigenen Herrschaft voranzubringen. Lingelsheim war so zu Besitzungen in der Oberpfalz gekommen, auch Grünrade, Loefen, Camerarius oder Grün waren belehnt worden.207 In seiner Eigenschaft als Hauptmann von Waldsassen fungierte Dohna 1613 als Mitglied der kurpfälzischen Reichstagsgesandtschaft.20« Einfluß auf die Politik der Kurpfalz in den entscheidenden Jahren vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges gewann er jedoch nicht über dieses unbedeutende Amt oder die ebenfalls politisch bedeutungslose Ratsbestallung, sondern vor allem dank seiner Vertrautheit mit Friedrich V. Seine adlige Herkunft und seine humanistische Bildung, insbesondere aber seine politische und persönliche Nähe zu Christian von Anhalt verliehen ihm zusätzliches Gewicht bei Hofe, wo Dohna den Typus des gebildeten calvinistischen Adligen repräsentierte. Großes politisches Engagement zeigte er besonders in der Frage der böhmischen Königskrone. In dieser Angelegenheit führte er bereits vor der Entscheidung Friedrichs V. mehrfach Verhandlungen mit den böhmischen Ständen.209 1619 begleitete Dohna Friedrich V. in dessen Gefolge nach Prag. Nach der Niederlage am Weißen Berg folgte er Friedrich V. in den Haag, von wo aus er mehrfach zu - letztendlich erfolglosen - Gesandtschaften aufbrach. So hielt er sich Ende 1620 bis April 1621 in England zu Verhandlungen mit König Jakob I. auf.210 205 206
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Zu ihm vgl. Chroust 1896 (dort auch einiges über Achaz) sowie jüngst Roloff 2001. Zu seiner Bildungsreise vgl. Ulianich 1976, S. 449f. Dohna hielt sich bereits - im Vorfeld der Gründung der Union - 1608 in geheimer Mission in Venedig auf, um dort v.a. über Paolo Sarpi die Haltung der Signorina zu den Protestanten und Möglichkeiten, deren Position zu stärken, zu erkunden. Er stand in dieser Zeit in direkter Verbindung zu Christian von Anhalt und verkehrte auch mit dem englischen Gesandten Henry Wotton. Dazu im einzelnen der zitierte Aufsatz von Boris Ulianich. S. zur Belehnung Langelsheims oben S. 120.
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V g l . BRIEFE UND ACTEN 1 8 7 0 - 1 9 0 9 , B d . X I , S. 5 3 0 u. 5 6 3 .
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Zu seinen Missionen in den Jahren 1618 und 1619, die den Verhandlungen über eine Königswahl des pfälzischen Kurfürsten dienten, vgl. Gindely 1869, Bd. I, bes. S. 201-222, Krüner 1876, S. 37f., Weigel 1932, S. 104 u.ö., Uhlhorn 1948, S. 141. Im August 1619 drängte er aus Prag seinen Kurfürsten zu einer Entscheidung, vgl. BRIEFE UND AKTEN N.F. 1948ff., Bd. 1/1, S. 218. Vgl. ebd., Bd. 1/2, S. 201.
210
290 Aus dieser Zeit stammt der einzige erhaltene Brief von seiner Hand an Langelsheim, mit dem er in französischer Sprache aus London vom Stande seiner Gespräche berichtet. Auch hier handelt es sich wie bei den Briefen Gueretins also um einen für den in Heidelberg die Regierungsgeschäfte fortführenden Oberrat verfaßten Bericht, für den es keine persönliche Schreibmotivation gab.211 Im Februar 1623 rüstete sich Achaz zu Dohna dann zu einer weiteren Mission, die ihn nach Siebenbürgen, wohin die Kurpfalz seit langem gute Verbindungen besaß, führen sollte. Zwar trat Dohna diese Reise noch an, brach sie jedoch bereits nach kurzer Zeit ab und wandte sich in seine Heimat. Bald darauf trat er in kurbrandenburgische Dienste ein und fand auch dort als Diplomat rege Verwendung. 1.2.2.3.6. Karl Paul Wie Dohna verblieb auch der dem Braunschweiger Patriziat entstammende Karl Paul212 nach 1620 in kurpfälzischen Diensten. Paul, der sich selbst auch Pawel schrieb, hatte in Basel und Heidelberg Jurisprudenz studiert213 und sich danach in die Dienste des Markgrafen von Baden-Durlach begeben.214 Seit 1605 bekleidete er verschiedene Hofämter in Heidelberg: zunächst wurde er Hofjunker, 1611 Haushofmeister. Außerdem wirkte Paul, der 1607 eine zusätzliche Ratsbestallung erhalten hatte, als Assessor am Heidelberger Hofgericht. Seine Hofämter führten ihn in den näheren Umkreis des Kurfürsten. Paul scheint daraus jedoch keine besonderen Einflußmöglichkeiten gewonnen zu haben. Sein Aufgabenfeld in der kurpfälzischen Politik ist nur schwer zu bestimmen, vor Ausbruch des Krieges erfüllte er aber mehrfach Gesandtschaften nach Frankreich. Als die ligistischen und spanischen Truppen auf Heidelberg vorrückten, wich er nach Stuttgart aus. Hier vertrat er in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre gemeinsam mit seinem weitläufigen Vetter und Schwager Andreas Paul215 die Interessen seines Kurfürsten, nachdem sich das politische Zentrum der Friedens- und Ausgleichsverhandlungen dorthin verlagert hatte.216 Wie Andreas verkörpert auch Karl Paul den Typus des von der französischen Hofkultur und Sprache beeinflußten bürgerlichen Beamten, der sich am Vorabend des Krieges am Heidelberger Hof durchsetzte und die lateinische Gelehrtenkultur zurückdrängte. Erst seit 1621 läßt sich eine Korrespondenz zwischen Lingelsheim und ihm nachweisen. Erhalten haben sich drei Briefe, zwei von Lingelsheim aus den
211
Auch dieser Brief findet sich bezeichnenderweise in den Akten im Münchener Hauptstaatsarchiv (BHA: Kasten schwarz 16742, Bl. 331"). 212 Zur Familie vgl. Pawel-Rammingen 1908, Reidemeister 1948. Seine Herkunft macht Press, S. 491, bekannt, wie öfter leider auch in diesem Fall ohne Quellenangabe. 213 Vgl. Toepke, Bd. II, S. 138, Wackemagel, Bd. II, S. 376. 2 >" Vgl. Press 1970, S. 491. 215 REIFFERSCHEID 1889 behauptet in seinem Kommentar zu Pauls Brief an Lingelsheim vom 01.02.1625 fälschlicherweise, daß Andreas und Karl Paul Brüder gewesen seien (S. 788). Zu ihrem Verwandtschaftsverhältnis vgl. Press 1970, S. 491. 216 Vgl. Schubert 1954, S. 661f., ders. 1955, S. 191.
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Jahren 1621 und 1622, für die er sich der französischen Sprache bediente, einer von Paul aus Stuttgart vom Anfang des Jahres 1625, dieser allerdings im gelehrten Latein. In allen Briefen geht es nahezu ausschließlich um die Weitergabe politischer Nachrichten kurpfälzischen Interesses. Noch nach dem Zusammenbruch der kurpfälzischen Regierung erfüllte Lingelsheim über seine Korrespondenzen offenbar eine diplomatische Brückenfunktion insofern, als unverändert über ihn wichtige politische Nachrichten ausgetauscht wurden. Mindestens ein weiteres Schreiben Pauls muß als verloren gelten.217 Daß indessen zwischen ihm und Lingelsheim ein intensiverer Kontakt bestand, wie Schubert behauptet, ist nicht zu belegen.218 1.2.2.3.7. Johannes Bosch Der aus dem Nürnberger Patriziat stammende Johannes Bosch (1574-1628) hatte ebenfalls noch mehr als ein Jahrzehnt vor Ausbruch des Krieges eine kurpfälzische Bestallung erhalten. Der promovierte Jurist, der in Altdorf und Heidelberg studiert hatte, kam um 1604 als Hofgerichtsrat nach Heidelberg und übte seit 1605 zusätzlich das Amt des Schultheißen aus.219 Später wechselte er als Advocat an das Reichskammergericht nach Speyer. In welcher Form Bosch nach 1621 in das Netz der kurpfälzischen Politiker im Reich eingebunden war, ist nicht festzustellen. Eine Korrespondenz zwischen ihm und Lingelsheim ist erst kurz vor Boschs Tod festzustellen. 1628 wendet sich Lingelsheim mit vier Briefen an ihn. Die Autographen sind der Collectio Camerariana einverleibt. Diese Schreiben werden-wie alle Briefe Lingelsheims aus diesen Jahrendominiert von politischen Nachrichten aus dem Reich. Nach wie vor stand er mit der Exilregierung im Haag in Kontakt, offensichtlich war er durchaus noch mit Interna der kurpfälzischen Exilpolitik vertraut. So leitet er in seinem Brief vom 14. September 1628 an Bosch Informationen aus einem Schreiben weiter, das er vor kurzem aus Den Haag erhalten hatte.220 Die Briefe an Bosch unterscheiden sich von den eher als offizielle Berichte in der Form privat adressierter Briefe zu charakterisierenden Schreiben Gueretins, Dathenus', Dohnas oder Karl Pauls. Im Gegensatz zu diesen darf auch Bosch wie Gernand oder Borcke zum Umkreis des Heidelberger Späthumanismus gezählt werden. Dies schlägt sich in den Briefen inhaltlich nieder. So hatte Bosch 1622 eine frühe juristische Schrift Frehers herausgegeben.221 Lingelsheim hofft jetzt darauf, mit seiner Hilfe in der Bibliothek des soeben verstorbenen Gruter bisher unveröffentlichte Briefzeugnisse Frehers aufzufinden, die die 217
Zumindest ein Brief Lingelsheims muß noch existiert haben, dessen Empfang Paul in seinem Schreiben an ihn vom 01.02.1625 (vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 206) bestätigte. 218 Für einen intensiveren Kontakt, den Schubert 1954, S. 662, behauptet, gibt es auch bei ihm keine Belege. 219 Wenige Informationen über ihn bei Jöcher I, Sp. 1267, Will I, Sp. 138. Zu seiner Tätigkeit als Hofgerichtsrat und Schultheiß vgl. Press 1970, S. 469. Zu seinen Studienorten vgl. Steinmeyer, Bd. II, S. 68, Toepke, Bd. II, S. 168. 220 Lingelsheim an Bosch, 14.09.1628 (BSB: Clm 10388, Bl. 40'). 221 Titel und Nachweise bei Komexl 1967, S. 109f.
292 bisher wenigen in den Editionen der Scaliger- und Lipsius-Korrespondenzen veröffentlichten Briefe ergänzten.222 Dieses Anliegen, das ein Beleg fur das lebendige Interesse der Heidelberger Späthumanisten ist, die Erinnerung an den versunkenen späthumanistischen Gelehrtenkreis zu wahren und zu stiften, motivierte die Aufnahme seiner Korrespondenz mit Bosch. 1.2.2.3.8. Joachim Camerarius d.J. Bereits einer anderen Generation gehörte Joachim Camerarius an, ein Sohn von Ludwig Camerarius. 1603 geboren, hatte er in Bourges und (bis 1627) in Genf die Rechte studiert.223 Sein Vater vermittelte ihn dann in schwedische Dienste, in denen er lange Jahre zunächst als Page und Sekretär Gustav Adolfs und Oxenstiernas, dann als schwedischer Legationssekretär an der Seite seines Vaters im Haag stand. Für die kurpfälzische Politik gewann Joachim Camerarius am Ende des Dreißigjährigen Krieges Bedeutung, als er einer der wichtigsten kurpfälzischen Politiker in den Friedensverhandlungen wurde und schließlich als einer der beiden bevollmächtigten Gesandten die Sache der Kurpfalz auf dem Westfälischen Friedenskongreß vertrat.224 Danach verblieb er bis zu seinem Tode 1687 in der restituierten Kurpfalz. Über den jüngeren Camerarius ist kaum etwas bekannt, er stand ganz im Schatten seines Vaters. Diesen unterstützte er auch bei der Anlage seiner großen Briefsammlung, die er später als sein Erbe weiter ausbaute. Unter den dortigen Briefen findet sich auch ein Autograph Lingelsheims vom 26. April 1626, also genau aus dem Zeitraum, zu dem die Korrespondenz zwischen ihm und Ludwig Camerarius unterbrochen war. Zwischen Vater und Sohn wird der Wandel im sozialen und kommunikativen Selbstverständnis und Auftreten deutlich, der sich damals unter den Generationen vollzog. Repräsentierte Ludwig Camerarius noch den entschieden das Neulateinische als Umgangssprache pflegenden Typus des gelehrten Späthumanisten am Hof, richtete sich Joachim Camerarius am Ideal des französisch geprägten gentilhomme aus, fur den gleichwohl die Einbindung in das Kommunikations- und Freundschaftsnetz der res publica litteraria wichtig blieb. Sofort im einleitenden Satz seines Briefes stellt Lingelsheim die Verbindung zwischen beiden gesellschaftlichen >Lebensformen< her, wenn er den zuvor an ihn gerichteten - und heute verlorenen - Brief des jungen Studenten zum Anlaß nimmt, diesen zu loben. Der Brief des jungen Camerarius »m'a donné vn tresgrand contenteme[n]t n'y voyant pas seulemens vne affection singulière enuers moy mai aussi vne si ex acte cognois-
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Lingelsheim an Bosch, 13.01.1628 (BSB: Clm 10388, Bl. 38'). Vgl. Stelling-Michaud, Bd. IV, S. 183. Am 18. und 19.08.1626 hielt er seine juristische Disputation ab. Die biographischen Nachrichten über ihn sind spärlich, am informativsten noch Schubert 1955, bes. S. 380, 404 u. 422. Halm 1873, S. 7f., druckt die Einladung des Rektors und Senats der Universität zu seiner Beerdigung ab, der die wichtigsten biographischen Daten zu entnehmen sind. Abgesehen von einem kurzen Eintrag in: SBL VII, S. 251 f. (unter dem Namen seines Vaters), fehlt er in den biographischen Lexika.
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sance de la langue Françoise et que vous aues fait cognoissance auec des gens d'honneur qui me portent de l'amitié.«225 Diese Freunde, die Lingelsheim anschließend aufzählt, waren Wotton, Grotius und Rusdorf. Auch der junge Camerarius wollte über Lingelsheim also zunächst einmal Kontakte zu den Vertretern der späthumanistischen Gelehrtenrepublik herstellen. Er versuchte, die alten Heidelberger Freundschafitsbeziehungen in die res publica litteraria zu nutzen. Lingelsheim war dafür nach wie vor der geeignete Ansprechpartner und Vermittler. Allerdings bediente sich jetzt bereits der junge Student als angehender Diplomat ganz selbstverständlich jener Sprache, die an den europäischen Höfen das Lateinische als Verkehrsprache abgelöst hatte. 1.2.3.
Mitglieder des Kirchenrates
1.2.3.1. Otto von Grünrade Unter den kurpfalzischen Korrespondenten Lingelsheims befinden sich nur verhältnismäßig wenige Theologen, die aber auch insgesamt in seinem Korrespondentenkreis nur spärlich vertreten sind. Der einzige kurpfälzische Theologe, mit dem Lingelsheim in einem intensiveren Briefwechsel stand, war Otto von Grünrade (1545-1613). Beide waren zur gleichen Zeit in kurpfälzische Dienste eingetreten. 1592 war Grünrade mit der Neuorganisation des Oberrates betraut, sein Einfluß dürfte mitentscheidend für die Berufung Lingelsheims in dieses Gremium gewesen sein. Grünrade hatte in Leipzig und Wittenberg studiert. Er stammte aus sächsischem Adel und hatte dem von Caspar Peucer beeinflußten kryptocalvinistischen Kreis nahegestanden.226 Peucer, der übrigens sein Schwiegervater war, empfahl ihn in sein erstes Amt als Hofmeister der jungen Grafen von NassauDillenburg.227 Hier rückte Grünrade bis zum Rat auf, schied dann jedoch aus dem Dienst aufgrund persönlicher Differenzen, die zwischen ihm und Graf Johann dem Älteren von Nassau-Dillenburg aus ihren unterschiedlichen Auffassungen, wie die calvinistische Lehre in der Grafschaft einzuführen sei, aufgebrochen waren. Es ging also um jenen Bereich der Konfessionalisierung und der damit verbundenen Sozialdisziplinierung, den auch seine spätere Tätigkeit in der 225
BSB: Clm 10361, Nr. 250, recto. Der Brief ist adressiert an Camerarius, »estudiant a Geneve«. 226 Auch eine Biographie Grünrades, schon von Oestreich 1960 als überaus »lohnend« (S. 32, Anm. 15) bezeichnet, fehlt. Sie fände in dem weitverzweigten, weitgehend unausgewerteten Briefwechsel eine äußerst reiche Quellenbasis für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm, der nach Fuchs »einer der fuhrenden ref. Kirchenpolitiker seiner Zeit« (NDB VII, S. 203) war. Heranzuziehen sind solange die entsprechenden Artikel in der ADB XLIX, S. 603ff. (Cuno), und, eben zitiert, der NDB. Außerdem nach wie vor Adam: Theol., S. 827-833, und das kurze Porträt bei Becker 1936, S. 146f. 227 v g l . hierzu Wolf 1964. Zu seinem Wirken bei der Einführung der nassauischen reformierten Kirchenverfassung vgl. Münch 1978, S. 83f. u.ö. Neben diesem Werk vgl. zur Zweiten Reformation in Nassau die Aufsätze von Schmidt 1986, 189-202, ders. 1993a, S. 106-115.
294 Kur- und Oberpfalz vorwiegend betraf. Als Präsident des Kirchenrates oblag ihm seit 1592 die Organisation und religiöse Festigung der calvinistischen Kirche. Zeitweise übte er erheblichen Einfluß auf die kurpfälzische Politik aus, den aber auch er weniger seinem Amt als vielmehr dem vertrauten Verhältnis zu seinem ehemaligen Schützling Friedrich IV. verdankte.228 Mitte der neunziger Jahre zog sich Grünrade allmählich aus der Politik zurück, um sich ganz seinen Aufgaben als Präsident des Kirchenrates zu widmen.229 Diese führten ihn 1596 und 1606 zu intensiven Visitationen in die Oberpfalz. Hier versuchte er, das reformierte Bekenntnis unter der stark lutherisch geprägten Bevölkerung zu verbreiten und zu festigen. Mit Hilfe einer von Friedrich IV. verfugten flächendeckenden Volksbelehrung, dem sog. Institutionswerk,230 sollten die religiösen Kenntnisse der Bevölkerung verbessert werden. Auch die Reorganisation des Amberger Pädagogiums führte Grünrade durch. Sie geschah ebenfalls aus dem Interesse Heidelbergs, den Calvinismus in der oberpfälzischen Bevölkerung wie unter den Landständen zu festigen.231 Grünrade zeigte sich in seinem Umgang mit den Lutheranern allerdings stets als Ireniker und sah von restriktiven Maßnahmen ab. In seinem Amt als Kirchenratspräsident wirkte Grünrade bis wenige Monate vor seinem Tod am 14. April 1613.232 In der Kurpfalz gehörte Grünrade zu jener Faktion, die in engem Kontakt mit den Wetterauer Grafen stand. Nach der Demission Ludwigs von Wittgenstein wurde er wie Lingelsheim zu einem der wichtigsten kurpfälzischen Korrespondenten des Reichsgrafen. In ihrer religiösen Einstellung und ihrer politischen Position besaßen Lingelsheim und Grünrade große Übereinstimmung. Aus der erhaltenen Korrespondenz läßt sich Lingelsheims Verhältnis zu Grünrade als überaus vertraut,233 zugleich aber als durchaus devot charakterisieren.234 Grünrades Haltung gegenüber Lingelsheim ist dagegen aus dieser Korrespondenz nicht zu bestimmen. Das liegt in der Überlieferungssituation begründet. Aus den Jahren 1590/91 und 1596/97 finden sich in der Uffenbach-Wolfschen Sammlung - wiederum im Band Sup. ep. 14 - 39 Briefe Lingelsheims als Autographen. Dagegen ist nur ein einziger Brief Grünrades, den er gemeinsam mit Grynaeus im Stile einer theologischen Disputation verfaßte, unter den »Collectana Palatina« zur kurpfälzischen Kirchengeschichte in den Monumento Pietatis & Literaria erhalten. Dieser Brief aus dem Jahre 1612 ist zugleich das zeitlich 228 229
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Press 1970, S. 50 u. 393. Zu seiner Tätigkeit als kurpfälzischer Kirchenrat einführend ebd., bes. S. 370-374 u. 5 0 9 514. Zu den Bemühungen der Heidelberger Regierung, in der Oberpfalz den Calvinismus unter der Bevölkerung zu verbreiten und zu verfestigen vgl. Götz 1937, dort auch zum Institutionswerk und zur Rolle Grünrades. Zum Amberger Pädagogium vgl. Weigel 1939. Während Press 1970, S. 513, Grünrades Tod auf 1612 datiert, geben Cuno in der ADB XLIX, S. 605, und Fuchs in der NDB VII, S. 203, an, daß Grünrade 1612 von seinem Amt zurücktrat, seinen Todestag datieren beide erst auf den 14. April 1613. So bestellte Lingelsheim in seinen Briefen Grünrade immer wieder Grüße von seiner Familie; in seiner gesamten Korrespondenz gibt es nichts Vergleichbares. Vgl. bes. seinen Brief an Grünrade vom 26.08.1596 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 1770, mit welchem ihn Lingelsheim zu seiner bevorstehenden Hochzeit einlud.
295 letzte Zeugnis ihrer Korrespondenz. Während die ersten Briefe Lingelsheims, die sämtlich keine Daten tragen, vorwiegend über den Kurprinzen berichten, enthalten die späteren Briefe des Jahres 1590 wie auch die aus den Jahren 1596/97 überwiegend Nachrichten von Geschehnissen der kurpfälzischen Tagespolitik. Sie besitzen aber nicht den offiziösen Charakter der Korrespondenzen Lingelsheims mit den weltlichen Beamten der Kurpfalz. Es wird deutlich, daß Grünrade nicht mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen war, sondern von Lingelsheim lediglich als ein persönlicher Vertrauter auf dem Laufenden gehalten wird. 1.2.3.2. Bartholomäus Pitiscus Von weiteren Korrespondenzen Lingelsheims mit anderen Amt- und Würdenträgem der kurpfälzischen Kirche und in den dortigen Kirchenbehörden existieren lediglich zwei Einzelzeugnisse, die jeweils nicht darauf schließen lassen, daß sie mehr als nur singulären Charakter besitzen. Beide Briefe resultierten dementsprechend aus besonderen Anlässen. So begleitete Bartholomäus Pitiscus (1561-1613) 235 die Übersendung eines Buches an Lingelsheim mit einer kurzen Botschaft, die wie die Billets an Schede Melissus als innerhalb der Stadt überbrachte Nachricht kein Datum trug. Der im schlesischen Grünberg geborene Pitiscus war ein Mitschüler von Abraham Scultetus auf dem berühmten Breslauer Magdalenen-Gymnasium gewesen und hatte danach das Gymnasium in Zerbst besucht.236 1584 immatrikulierte er sich in Heidelberg.237 1588, ein Jahr nachdem er den Magistertitel erworben hatte, wurde er Lingelsheim als zweiter Präzeptor bei der Erziehung des Kurprinzen zur Seite gestellt. Nach dem Regierungsantritt Friedrichs IV. berief dieser ihn zu seinem Hofprediger. In dieser Stellung nahm er 1596 an der Kirchenvisitation in der Oberpfalz an der Seite von Grünrade teil.238 Pitiscus entwickelte sich wie der bedeutendste Pfälzer Theologe der Zeit, David Pareus, zu einem entschiedenen Vertreter der kurpfälzischen Irenik und trat als Verfasser mehrerer Schriften in Erscheinung, die in diesem Sinne die Annäherung und Verständigung der beiden protestantischen Parteien befördern wollten. Auch die bereits erwähnte Serie von - deutschsprachigen - Streitschriften, die er seit Anfang des 17. Jahrhunderts bis zu seinem Tode mit den Württembergischen Theologen wechselte, entstand in diesem Bestreben, die Gemeinsamkeiten im Glauben der deutschen Protestanten herauszustellen und so ihre Annäherung zu ermöglichen. Daneben trat er vor allem als Mathematiker hervor.239 235
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Vgl. Adam: Theol., S. 833-841, Jöcher III, Sp. 1603, u. X, Sp. 3075, ADB XXVI, S. 204f. (Gaß), Hecht 1929, S. 182 u.ö., Press 1970, S. 372, NDB XX, 488f. (Folkerts). - Pitiscus stand in einem engen freundschaftlichen Verhältnis zu Grynaeus, der in Heidelberg sein Förderer gewesen war, vgl. Hellmann 2001. Zum gemeinsamen Schulbesuch in Breslau Benrath 1963a, S. 19, Anm. 10. Der Aufenthalt in Zerbst in ADB XXVI, S. 204. Zur Geschichte des Breslauer Gymnasiums Bauch 1911. Toepke, Bd. II, S. 110; zu seiner Magisterprüfung ebd., S. 550. So Benrath in: Scultetus: Selbstbiographie, S. 37, Anm. 74. Vgl. ebd., S. 16, Anm. 36.
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1.2.3.3. Abraham Scultetus Wie Pitiscus stammte auch Abraham Scultetus (1566-1624) 240 aus Grünberg in Schlesien. Nach dem Besuch der Schulen in Grünberg, Breslau, Freistadt und Görlitz wandte sich Scultetus zum Studium ins lutherische Wittenberg. Im Geiste des Philippismus erzogen, bezog er 1590 die Heidelberger Universität, wo er Theologie studierte und sich endgültig dem Calvinismus zuneigte. Pitiscus und Scultetus können als Repräsentanten der in dieser Zeit engen geistigen Verbindungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz gelten, die besonders von den kryptocalvinistischen Intellektuellen Schlesiens getragen wurden. Schlesische Theologen, die als Exulanten in kurpfälzische Dienste traten, übten auf die reformierte Kirche der Kurpfalz im konfessionellen Zeitalter einen erheblichen und prägenden Einfluß aus.241 Anders als Pitiscus war Scultetus jedoch eher der »Typ des reformierten Eiferes«,242 der sich zunehmend in die konfessionspolitischen Aktivitäten Anhalts und seines Kurfürsten verstrickte, wenngleich er in seinen Schriften, zumal in seiner Reformationsgeschichte, auf dem Boden der kurpfälzischen Irenik verblieb. 1594 als Pfarrer in Schriesheim, später in Heidelberg wirkend, wurde Scultetus 1602 in den Kirchenrat berufen. Nachdem er seinem Landsmann bereits seit 1595 als zweiter Hofprediger zur Seite gestanden hatte, übernahm er 1614 schließlich die Nachfolge des Pitiscus als Hofprediger. Außerdem bekleidete Scultetus seit 1618 die Professur des Alten Testaments an der Heidelberger Universität. Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges war Scultetus einer der einflußreichsten Theologen in der Kurpfalz und unbestrittener geistlicher Führer des konfrontativen konfessionspolitischen Kurses. Er befand sich in der kurpfälzischen Delegation zur Dordrechter Synode und arbeitete maßgeblich an den Abschlußprotokollen mit, die über die Arminianer ein strenges Urteil fällten. Als es wenig später um die Annahme der böhmischen Krone ging, tat sich Scultetus als einer der eifrigsten Fürsprecher hervor. Nach der Krönung Friedrichs V. setzte er in den Prager Kirchen rigoros den calvinistischen Gottesdienst durch. Sein kompromißloser Glaubenseifer und seine einflußreiche Stellung als Hofprediger machten ihn für die zeitgenössische Publizistik zu einem der Hauptverantwortlichen des böhmischen Abenteuers.243 Noch als Prediger in Emden, seiner letzten Lebensstation seit 1622, sah sich Scultetus in seiner apologeti240
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Die beste Quelle zu seinem Leben ist die von ihm verfaßte Selbstbiographie, die Gustav Adolf Benrath 1966 edierte. Dort zu seiner Person auch das Vorwort von Benrath, dessen Forschungen für Scultetus maßgeblich sind. Vgl. auch den umfangreichen biographischen Artikel Benrath 1970 sowie zu seinem kirchengeschichtlichen Werk ders. 1963a. Die älteren Artikel bei Jöcher IV, Sp. 449ff., und in der ADB XXXIII, S. 4 9 2 ^ 9 6 (Cuno), schöpfen ebenfalls v.a. aus der Selbstbiographie. Schließlich Hecht 1929, bes. S. 194f., zu seinen schlesischen Wurzeln. S. dazu unten S. 319. Press 1970, S. 511. Ähnlich schon Häusser 1845, Bd. II, S. 312. Bei beiden schwingt v.a. die Bewertung bzw. Überschätzung der Rolle von Scultetus in der böhmischen Frage mit. So in zahlreichen zeitgenössischen Flugschriften; vgl. den Überblick von Benrath im Vorwort zu: Scultetus: Selbstbiographie, S. 1 f., Anm. 1.
297 sehen Autobiographie genötigt, gerade seinen Anteil an den Vorgängen in Heidelberg und Prag herunterzuspielen.244 Von Scultetus existiert lediglich ein einziger Brief an Lingelsheim. Es handelt sich um einen langen Trostbrief, den Scultetus anläßlich des Todes Friedrich Lingelsheims an dessen Vater richtete. Wie bei Pitiscus ist es also auch hier ein eindeutig anlaßgebundener Brief. Auf eine weitere Korrespondenz gibt es keinerlei Hinweise. Daraus darf jedoch nicht auf Lingelsheims Umgang mit den beiden Hofpredigern zurückgeschlossen werden, den er in Heidelberg pflegte. So scheint der Kontakt zu Scultetus durchaus enger gewesen zu sein. Darauf deutet nicht nur der Brief aus dem Jahre 1616 hin, sondern auch Lingelsheims Angebot an Grotius einige Jahre zuvor, daß sowohl er als auch Scultetus jederzeit den Niederländer in kirchlichen Fragen beraten würden.245 Der Theologe Scultetus bewegte sich durchaus im weiteren Kreise der Heidelberger Späthumanisten und trat neben seinen theologischen Schriften mit verschiedenen philologischen und historiographischen Werken in Erscheinung. So arbeitete er eng mit Commelinus zusammen und gab verschiedene Kirchenväter in historischtextkritischen Editionen heraus. Ein von Commelinus gehegter Plan, sämtliche Kirchenväter neu zu edieren, wofür neben Scultetus auch Friedrich Sylburg gewonnen war, fand nach dem Tode des Verlegers und Sylburgs allerdings keine Umsetzung.246 Seit 1617 wandte sich Scultetus dann einem weiteren großen Vorhaben zu: Er wollte eine Geschichte der ersten einhundert Jahre der Reformation verfassen, die er ebenfalls ganz intensiv aus den Quellen schöpfte. Sein Buch der Annalium Evangelii passim per Europam deeimo quinto salutis partae seculo renovati247 war die erste und zugleich die letzte »europäische Reformationsgeschichte vom deutschen reformierten Standpunkt aus«248 und bildete das »historiographische Gegenstück«249 zu den politischen und theologischen Bemühungen der Kurpfalz um einen Zusammenschluß der Protestanten. Da das Manuskript des Werkes nach Scultetus' Flucht aus Prag in feindliche Hände geriet, konnten aber nur die beiden ersten Bände für die Jahre bis 1536 erscheinen.
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Zur historischen Bewertung von Scultetus' Rolle in der kurpfälzischen Konfessionspolitik und in der böhmischen Frage vgl. grundsätzlich ebd., S. 1-4, sowie Benrath 1970. 245 S. unten S. 435. 246 Zur Zusammenarbeit zwischen Scultetus mit Commelinus vgl. Port 1938, S. 26 u.ö., Benrath 1963a, S. 15-18,23f. (zu seiner Arbeit an den Kirchenvätern). 247 Heidelberg 1618-1620 (Teil 1 gedruckt bei Joh. Lancelot, Teil 2 bei Georg Geyder, beide verlegt von Jonas Rosa). 248 Benrath 1963a, S. 37. 24 9 Ebd.
298 1.2.4.
Der späthumanistische Dichter- und Gelehrtenkreis
1.2.4.1. Paul Schede Melissus Paul Schede (1539-1602), der sich nach dem Heimatort seiner Mutter Paul Schede Melissus nannte, stammte aus Franken.250 Sein gesellschaftlicher Aufstieg gelang ihm über seine Dichtung. Mit Ausnahme seiner aus Enttäuschung über ihren mangelnden Erfolg251 nicht vollendeten Psalmenübersetzung und einiger weniger Gedichte, die durch ihre Aufnahme in den Zincgrefschen »Anhang« heute noch bekannt sind, dichtete er ausschließlich in neulateinischer Sprache. Mit seiner Psalmenübersetzung gelang ihm jedoch eine herausragende poetische Leistung, die am Anfang einer deutschen Kunstdichtung stand, die sich in Heidelberg im Kräftefeld von Späthumanismus und Calvinismus entwickelte. Hier wie auch in seinen in den »Anhang« aufgenommenen Gedichten, unter denen sich eines der ersten deutschen Sonette befand, zeigte sich Melissus ganz unter dem Einfluß der französischen Pléiade.252 Schede Melissus war zutiefst davon überzeugt, zum Dichter berufen zu sein. Er wurde im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten neulateinischen Lyriker in Deutschland. In seinem lyrischen Werk sind drei Phasen auszumachen, die eng mit seiner Biographie verbunden sind. Während eines langjährigen Aufenthaltes in Wien (1561-1567), wohin er sich nach dem Studium in Jena und einer kurzzeitigen Tätigkeit als Kantor begeben hatte, widmete er sich vorwiegend der Elegie und der Panegyrik, was ihm zwar die Dichterkrönung, aber nicht die erstrebte Stellung am Kaiserhof einbrachte. Eine anschließende Reise durch Frankreich (1567-1568) und ein mehrjähriger Aufenthalt in Genf (1568-1571) führten ihn in Kontakt mit der Pléiade und zur Bekanntschaft mit dem gelehrten Drucker Henri Estienne.253 Ronsard wurde für ihn das prägende Beispiel seiner eigenen Hinwendung zur Odendichtung nach dem Vor-
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Zu Schede Melissus als neulateinischem Dichter Schäfer 1976, S. 6 5 - 1 0 8 , auch ders. 1973. Zu weiteren einzelnen Gedichten vgl. die vor dem Horizont der humanistischneulateinischen Dichtungstradition exemplarischen Interpretationen von Schäfer 1982 und Kühlmann 1992 sowie den ebenso umfang- wie kenntnisreichen K o m m e n t a r in: Humanistische Lyrik, S. 1395-1483; vgl. auch, im spezifischen Kontext der literarischen Verarbeitung privater Hexenangst, Kühlmann 1997. Eine umfangreiche Biographie Schede Meliss u s ' existiert nur im Manuskript in der Universitätsbibliothek Erlangen und stammt von Krauss 1918; zuvor die kurzen Porträts von Taubert 1864 und H ö p f n e r 1865. W e n i g ergiebig der Eintrag von Fechner/Dehnhard in der N D B XVII, 15 f. Jüngst sind von Eckart Schäfer, von dem auch der Artikel bei Killy X, S. 167ff., stammte, zwei kompakte biographische Einführungen erschienen: Schäfer 1993 und 1993a. Längst sind die Vorurteile der älteren Forschung revidiert, die Melissus' neulateinische Dichtung als leeren Schwulst und ihn als »Versifex« dequalifizierten (paradigmatisch im Artikel von Erich Schmidt in der A D B X X X V , S. 2 9 3 - 2 9 7 , Zitat S. 294).
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Vgl. Schäfer 1976, S. 68f. Zu seiner deutschen Dichtung einführend Forster/Fechner 1972. Z u r Stellung seiner Psalmen in der deutschsprachigen Heidelberger Dichtung des Späthumanismus s. oben S. 196f. Unentbehrlich für eine Bewertung des für sein Werk so entscheidenden Aufenthalts in Frankreich und für seine Kontakte zur Pléiade wie zum französischen Späthumanismus die Arbeit von Nolhac 1923.
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299 bild eines Pindar und Horaz. In seiner Psalmenübersetzung versuchte er, den an seinen antiken Vorbildern erlernten erhabenen, hohen Stil auf die deutsche Sprache anzuwenden. Diese Aufgabe, mit der ihn Kurfürst Friedrich III. 1570 betraut hatte, band Melissus bis 1576 an Heidelberg.254 Den Abschluß dieser ersten beiden Phasen seines lyrischen Schaffens, die ihm freilich nicht den erhofften und erstrebten Ruhm verschafften, bildete eine Gesamtausgabe seiner Gedichte, die er 1574 bzw. 1575 in zwei Bänden, den Schediasmata poetica und den Schediasmatum reliquiae255 zusammentrug. Als sich in der Kurpfalz nach dem Tode seines Mäzens Friedrich III. das Luthertum durchsetzte, verließ er, der während seines Genfer Aufenthaltes zum Calvinismus konvertiert war, Heidelberg und trat eine dreijährige Reise durch Italien (1577-1580) an. Hier vollendete sich der Durchbruch zur hohen Odenlyrik, mitmotiviert durch den Wunsch, die Anerkennung der großen Gelehrten und Poeten Italiens zu gewinnen, und gefördert durch den Erfolg, den er mit seinen pindarischen und horazischen Oden bei ihnen fand. [...] Parallel dazu fand Melissus zu einem neuen Selbstverständnis. Er war überzeugt, von Geburt und durch göttliche Inspiration zum Dichter bestimmt zu sein. 256
Erst in seiner dritten Schaffensphase, die mit dem Ende seines mehr als ein Vierteljahrhundert währenden Wanderlebens zusammenfiel, errang Melissus den ersehnten Ruhm als Dichter. Noch in Italien zum Hofpfalzgrafen ernannt, kehrte er 1580 nach Deutschland zurück. Bis 1584 ließ er sich in Nürnberg nieder. Von dort begab er sich 1585 über Paris, wo er eine vermehrte Neuauflage seiner Schediasmata poetica vollendete, in der seine Odendichtung nunmehr den Hauptanteil ausmachte, nach England, um das Werk Königin Elisabeth I. persönlich zu übergeben. Dort erreichte ihn der erneute Ruf nach Heidelberg. Im Jahre 1586 übernahm Schede Melissus im Range eines Rates die Leitung der Palatina. Vorwiegend jedoch konnte er sich mit kurfiirstlicher Unterstützung seiner Dichtung widmen, über die er auf die neulateinischen Dichter Deutschlands großen Einfluß ausübte, der sich angesichts seiner Stellung als Comes Palatinus mit dem Recht der Dichterkrönung noch zusätzlich festigte.257 Wie niemand sonst im späthumanistischen Heidelberg repräsentierte Melissus den Typ des poeta doctus. Er war als Dichter der unbestrittene Mittelpunkt der älteren Generation des dortigen Dichter- und Gelehrtenkreises mit einer reichen Produktion der von den Späthumanisten so geschätzten Freundschaftslyrik, 254
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Zu seiner Psalmenübersetzung vgl. die Einleitung von Max Hermann Jellinek in Schede Melissus: Psalmen und Krauss 1920, außerdem den kurzen, aber wichtigen Vergleich von Melissus' Übersetzung mit deijenigen Lobwassers bei Trunz 1995b, S. 176-184 (dieser Anhang ist ursprünglich als erster größerer Aufsatz von Trunz unter dem Titel »Die deutschen Übersetzungen des Hugenottenpsalters« in: Euphorion 29 [1928] 578-617 erschienen, wurde dann aber bereits dem Teildruck der Dissertation in: Altpreußische Forschungen 9 [1932] hinzugefügt). Melissi Schediasmata poetica. Item Fidleriflumina. (Frankfurt/M.: Corvinus 1574); Melissi Schediasmatum reliquiae (ebd. 1575). Schäfer 1976, S. 70f. Zu seiner >italienischen Reise< und den dort empfangenen Einflüssen Baimas 1969. Eine - unvollständige - Liste der Dichterkrönungen, die Melissus vornahm, stellt Ritter 1964, S. 53-55a, zusammen.
300 deren Bande weit über die Kurpfalz hinaus reichten. Zudem war er der große Lobsänger des kurfürstlichen Herrscherhauses. Lingelsheim und Melissus pflegten nach dessen Rückkehr nach Heidelberg freundschaftliche Kontakte. Lingelsheim taucht wiederholt in Gedichten Melissus' auf, 258 der auch in seiner Hochzeitsschrift aus dem Jahre 1596 der fleißigste Beiträger war, und scheint selbst ein gewandter und von Melissus geschätzter poetischer Ratgeber gewesen zu sein. So wandte sich jener einmal auf der Suche nach einem Anagramm für einen horazischen Vers an Lingelsheim, nachdem er vorher bereits Denaisius gefragt hatte; Lingelsheim fand wirklich ein Anagramm, woraufhin Melissus eine Epode an ihn verfaßte. 259 Das Schreiben, in dem Melissus seine Bitte an Lingelsheim äußerte, ist nicht erhalten. Es ist zu vermuten, daß es sich nicht um einen Brief, sondern um ein kurzes Billet handelte. Es war eine durchaus übliche Verkehrsform innerhalb einer Stadt, sich kurze Botschaften auf diesem Wege zukommen zu lassen. In der Regel trugen diese Billets kein Datum und wurden im Gegensatz zu den gelehrten, rhetorisch und stilistisch ausgefeilten Briefen aufgrund ihrer inhaltlichen Belanglosigkeit nicht aufgehoben. 260 Es ist deshalb eine Überraschung, daß sich dreizehn Billets von Lingelsheims Hand an Schede Melissus in der Uffenbach-Wolfschen Sammlung erhalten haben. 261 Dienstliche und private Botschaften, die Aufforderung an Melissus, sich beim Prinzen einzufinden 262 oder eine Einladung zum Mittagessen, 263 boten die Anlässe dieser Billets. Während in allen anderen Fällen aus Lingelsheims Korrespondenzen, aus Anschlußbriefwechseln oder Gelegenheitsgedichten auf seinen persönlichen Umgang in Heidelberg zurückgeschlossen werden muß, eröffnen diese Billets nahezu über den gesamten Zeitraum von Melissus' Aufenthalt in Heidelberg bis zu seinem Tod einen überaus interessanten Einblick in den alltäglichen Umgang Lingelsheims mit einem seiner engen Heidelberger Freunde. 1.2.4.2. Janus Gruter Zum Nachfolger Melissus' als Bibliothekar der Palatina wurde noch im Jahre 1602 Janus Gruter ernannt. Zwar betätigte sich auch Gruter als Dichter; aus seiner Feder flössen neben neulateinischen Gedichten auch zahlreiche niederländische Sonette, die unter den Zeitgenossen bekannt waren und zu den frühen Zeugnissen dieser Strophenform in den Niederlanden zählten. 264 Doch er kon258
Nachweise oben S. 182, Anm. 47. Von dieser Epode existieren mehrere Abschriften in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen; REIFFERSCHEID 1889 druckt S. 965 das erwähnte Gedicht ab. Dort finden sich auch Belege für weitere Gedichte, die Melissus auf Lingelsheim verfaßte (dazu auch der Verweis in der vorangehenden Anmerkung). Vgl. zu dieser Episode auch Schäfer 1976, S. 74f. 26 ° Dazu Jenny 1983, S. 218f. 261 Mehrere dieser Billets tragen ein Datum, das eine andere (Melissus'?) Hand nachgetragen hat. 262 03.12.1590 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 201'). 263 27.06.1592 (ebd., Bl. 2050. Weitere Gäste sollten Colli und Zündelin sein. 264 Vgl. Gruters B e m e r k u n g in seinem Brief an Christoph Coler, 21.01.1627 (REIFFERSCHEID 1889, S. 284), über seine vierzig Jahre zuvor entstandenen Sonette. Zu dieser literarischen
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zentrierte seine Arbeitskraft vor allem auf philologische Studien und Editionen. Dafür konnte er die einzigartigen Bestände der Heidelberger Bibliothek intensiv nutzen. Gruter trat während seiner Heidelberger Zeit mit mehr als fünfzig Werken in Erscheinung, unter denen sich Editionen klassischer Autoren auf der Basis der Palatina-Handschriften ebenso wie ein monumentales Inschriftenwerk, eine voluminöse Florilegien-Ausgabe oder eine vielbändige Anthologie neulateinischer Dichter finden. Ohne ein origineller Geist zu sein, war er ein wahrer Polyhistor, dessen Ausgaben heute noch Texte zugänglich machen, deren Handschriften im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sind. Sein wohl bedeutendstes Werk waren die mit tatkräftiger Hilfe (und anscheinend unter geistiger Führerschaft) Scaligers265 1603 veröffentlichten Inscriptiones Antiquae Totius orbis Romani,266 eine umfassende Sammlung aller damals bekannten griechischen und römischen Inschriften. Wie Lingelsheim floh auch Gruter Ende 1621 aus Heidelberg und wandte sich zu seinem Schwiegersohn nach Tübingen. Gruters Leben endete damit genauso wie es in seiner Jugend begonnen hatte: mit der Flucht vor dem Kriege.267 Bereits in seinem siebten Lebensjahr floh die Familie des 1560 geborenen Gruter vor Herzog Alba, der die spanischen Interessen und die Inquisition gegen die aufbegehrenden, religiöse Toleranz fordernden Niederländer mit unerbittlicher Härte durchsetzte.268 Die dem flämischen Adel enstammende Familie wandte sich aus Gruters Geburtsstadt Antwerpen nach England, wo er zunächst die Lateinschule in Norwich, anschließend die Universität von Cambridge besuchte,269
Jugendproduktion - aus seiner Heidelberger Zeit sind keine Sonette bekannt - vgl. Forster 1967, S. 6f., und Fechner 1967, der in diesem Zusammenhang auch die betreffende Stelle des eben erwähnten Briefes Gruters kommentiert (S. 104). 265 Obwohl Gruter unermüdlich auf der Basis der Handschriften der Palatina edierte, werden seine Fähigkeiten als Philologe allgemein eher negativ beurteilt. Das sicherlich überzogene Urteil des ersten deutschen Scaliger-Biographen Bernays 1855, der im Zusammenhang mit der Inschriften-Edition Gruter völlige Uneigenständigkeit, ja Unvermögen vorwarf und das Gelingen des Werkes alleine Scaligers Können und Einsatz zuweist (S. 67f.), wiederholt Pfeiffer 1982 zwar nicht, aber er bezeichnet Gruter als einen Dichter, dem lediglich »bescheidene[] Beiträge zur Philologie« gelangen (S. 174). Bursian 1883 lobt ihn immerhin als jenen, »der zwar nicht an Begabung und Kenntnissen, aber wenigstens an Arbeitskraft und Emsigkeit den ersten Rang unter den Philologen Deutschlands in jener Zeit einnimmt« (S. 270). Sandys 1964, Bd. II, S. 359-362, dagegen betont Gruters editorische Leistungen und damit seinen bleibenden Beitrag in der Geschichte der klassischen Philologie. 266 Inscriptiones antiquae totius orbis Romani, in corpus absolutiß[imum] redactae [...], cum indicibus XXV, ingenio ac cura Iani Gruteri. Auspiciis los. Scaligeri ac M. Velseri. (Heidelberg: Commelin [1603], 267 Die maßgebliche Biographie immer noch Smend 1939. Grundsätzlich heranzuziehen, weil teilweise Smend ergänzend, sind die biographischen Artikel in der NDB VII, S. 238ff. (Fuchs), und bei Killy IV, S. 397f. (Wiegand). Wertvoll immer noch der von Bursian verfaßte Beitrag in der ADB X, S. 68-71. - Zu Gruters Wirken als Bibliothekar vgl. Mittler [u.a.] 1986, Textband, S. 440-453. Seine Befähigung als Bibliothekar wird von Preisendanz 1939, S. 214, allerdings äußerst gering geschätzt; vgl. auch die Urteile der Zeitgenossen (u.a. Scaliger), auf die Sillib 1920, S. 178, hinweist. 268 vgl. dazu die Einleitung in das Kap. Niederlande. 269 Zu dieser Zeit, am Beispiel Gruters die niederländisch-englischen Kulturbeziehungen aufarbeitend, mit einem reichen Anhang versehen Forster 1967.
302 bis seine Familie 1577 auf den Kontinent zurückkehrte. Gruter setzte seine Studien in Leiden fort, wo er 1584 zum Doktor beider Rechte promovierte. Abermals mußte die Familie aus Antwerpen fliehen. Gruter begann eine mehrjährige Bildungsreise, an deren Ende eine Berufung auf den Lehrstuhl für Geschichte in Wittenberg stand. Nur etwa zwei Jahre (1590-1592) verblieb Gruter in diesem Amt, das er dann aufgrund seiner Weigerung, die Konkordienformel zu unterschreiben,270 aufgeben mußte. Gegen Widerstände des akademischen Senats, aber mit der Unterstützung des Oberrates - und hier vor allem Lingelsheims setzte Friedrich IV. Anfang 1593 durch, Gruter die Geschichtsprofessur an der Heidelberger Universität zu übertragen.271 Gruter wurde zu einer der zentralen Gestalten des Heidelberger Späthumanismus, wobei er neben dem ihm freundschaftlich verbundenen Lingelsheim besonders für die jüngere Generation einen geistigen und persönlichen Bezugspunkt bildete.272 Niemand wurde in der Triga so häufig bedichtet wie er. Stellte für diese jungen Dichter Lingelsheim die Verbindung zum Heidelberger Hof und zu den fuhrenden kurpfalzischen Beamten her,273 so war Gruter das Bindeglied zur Universität. Die Verfasser der Triga gehörten ebenso wie später auch Opitz zu seinen Studenten. Diese jüngere Generation fand auch in ihren Bemühungen um eine deutschsprachige Dichtung bei Gruter, der ja schon früh eigene Verse in seiner Muttersprache verfaßt hatte, reiche Unterstützung. Er selbst allerdings bediente sich in der brieflichen Kommunikation mit den jungen Dichtern stets des neulateinischen Gelehrtenidioms. In den Korrespondenzen, die Gruter mit Zincgref und Opitz führte,274 wählte er wie in seinem Widmungsgedicht in den Teutschen Poemata - in welchem er übrigens Zincgref vor Opitz nannte275 - die Sprache der Gelehrtenrepublik, der sich auch seine Studenten im Briefkontakt mit ihm wie in den Gedichten an ihn befleißigten. Aber diese Korrespondenzen mit den jungen Heidelberger Dichtern sind nur ein kleinerer Ausschnitt aus den umfangreichen Briefwechseln Gruters, die ihn mit fast allen >Häuptern< der europäischen res publica litteraria verband.276 Unter den Heidelbergern unterhielt Gruter dabei die intensivsten Kontakte in beide Teile der Niederlande, wobei sich unter seinen Korrespondenten sowohl 270
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Von Gruters Weigerung, die Konkordienformel zu unterschreiben, und von seiner Entlassung wußte Lingelsheim bereits am 27.03.1592 in seinem Brief an Loefen (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 211'). Zu den Umständen seiner Berufung neben Smend 1939 auch Zimmermann 1968, S. 73f. Zu Gruters Rolle im Heidelberger Späthumanismus Mertens/Verweyen 1972, S. 142, Mertens 1974, Fechner 1970, Forster 1990, Krummacher 1990, S. 314-321 (mit reichen Belegen). Auch für Gruter selbst war Lingelsheim der »Verbindungsmann zum Hof«, so Fuchs in N D B VII, S. 239. Die erhaltene Korrespondenz Gruters mit diesen beiden jungen Dichtern druckt größtenteils REIFFERSCHEID 1889. Zincgrefs Korrespondenz mit Gruter ergänzt aus den Handschriften der Vatikanischen Bibliothek Schnorr von Carolsfeld 1879, S. 30-40. Dieses Gedicht jetzt leicht zugänglich in Opitz: Werke, Bd. II/l, S. 177f. Dort auch zu seiner Entstehung. Neben den zitierten Werken von REIFFERSCHEID 1889 und Schnorr von Carolsfeld 1879 sind weitere Briefe Gruters, v.a. an Conrad Rittershausen, gedruckt bei WEBER 1894.
303 Scaliger als auch Lipsius befanden.277 Gruters Korrespondenzen, die in größeren Teilen noch unbekannt sind und deren Erschließung ein dringliches Desiderat der Forschung ist, stehen in ihrem Umfang denjenigen Lingelsheims nicht nach und sind mit diesen zusammen die wichtigsten Quellen für die enge Verflechtung der Heidelberger Späthumanisten mit der europäischen Gelehrtenrepublik. Zwischen Gruter und Lingelsheim entwickelte sich erst nach ihrer Flucht aus Heidelberg Ende 1621 ein intensiverer Briefwechsel, der bis in Gruters Todesjahr 1627 gefuhrt wurde. Erhalten sind mit Ausnahme zweier kurzer undatierter Autographen Lingelsheims, die heute in der Vaticana unter den Papieren der ehemaligen Bibliotheca Palatina liegen,278 ausschließlich Briefe Gruters. 43 Briefe finden sich jeweils in mehreren Abschriften in den Sammlungen der Königlichen Bibliothek Kopenhagen.279 Die Abschriften in der Ny kongelige samling 617 gehen nach Reifferscheid auf Matthias Bernegger zurück.280 Ihm dürften dafür noch die Originale wohl aus dem Besitz Lingelsheims zur Verfügung gestanden haben. Exzerpte einiger dieser Briefe von der Hand Johann Christoph Wolfs fanden außerdem in die Uffenbach-Wolfsche Briefsammlung Eingang. Selbstverständlich berichtet Gruter Lingelsheim auch über die Kriegsereignisse in der Kurpfalz und in Heidelberg. Im Mittelpunkt seiner Briefe steht aber der gelehrte Austausch. Er widmete sich in Tübingen mit ungebrochener Kraft seinen philologischen Studien und beschäftigte sich unter anderem mit Livius281 und Publius Syrus,282 wofür er mehrfach Lingelsheims Rat einholte. Ein weiteres zentrales Thema besonders in den ersten Jahren dieser Korrespondenz bildet das Schicksal von Gruters Bibliothek, die teilweise zerstört und verfeuert, teilweise gemeinsam mit der Palatina nach Rom verschafft worden war.283 Am Ende seines Lebens kehrte Gruter dann noch einmal für einige Wochen nach Heidelberg zurück, die letzten drei seiner Briefe an Lingelsheim entstanden in der von den Spaniern und Bayern besetzten Stadt.284 277 278
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Dies hebt besonders Schneppen 1960, S. 118f. (Lipsius) u. S. 125ff. (Scaliger), hervor. Schnorr von Carolsfeld 1876, S. 30, druckt einen dieser Briefe unter der Korrespondenz Zincgrefs mit Gruter ab. Dies korrigierte bereits Crecelius 1886. Es handelt sich um den Brief UBH: CLP 1907, f. 230. Ich konnte die Kopie dieses Briefes in der U B Heidelberg unter den kopierten Beständen der Palatina einsehen; dort auch ein weiterer Brief Zincgrefs, auf den schon Krummacher 1990, S. 316, aufmerksam macht. Die Originale in der Vatikanischen Bibliothek konnte ich bislang nicht benutzen. Sie sind auf der Basis dieser Handschrift komplett von REIFFERSCHEID 1889 ediert. Sämtliche Briefe existieren in der KBK auch noch in weiteren Abschriften.
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REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S . X V .
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Vgl. die Briefe an Lingelsheim vom 15.05.1625,09.04.1626 und die letzten Briefe Gruters aus Heidelberg aus dem Jahre 1627 (alle ebd.). Diese Ausgabe erschien posthum mit einer Widmungsvorrede von Venator (vgl. Krummacher 1990, S. 337) - ein weiterer Beleg für das Fortleben der geistigen Bindungen des zersprengten Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises im Exil. S. oben S. 219 mit dem Briefnachweis in Anm. 222. Zum Schicksal der Gruterschen Bibliothek ausfuhrlich, die bei REIFFERSCHEID 1889 gedruckten Briefe dahingehend ausschöpfend, Fechner 1967. Ein einprägsames Bild von der Lage in der Stadt vermittelt Gruter Lingelsheim in seinem
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B r i e f v o m 0 1 . 0 5 . 1 6 2 7 (REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 2 9 6 ) .
304 1.2.4.3. Petrus Denaisius Einer der wichtigsten und vertrautesten Korrespondenten Lingelsheims war Petrus Denaisius. Ihre Korrespondenz ist ihrem Umfang nach Lingelsheims Briefwechsel mit Jacques Bongars an die Seite zu stellen. Heute sind noch 392 Briefe erhalten, die sich - mit Ausnahme eines Briefes unter den Bongarsiana in Bern und zweier in Miegs Edition 285 - auf zwei Fundorte verteilen. Zum einen besitzt die Universitätsbibliothek Gießen einen noch die Signatur der Senckenbergschen Bibliothek tragenden Sammelband, 286 der 236 Autographen von Denaisius an Lingelsheim sowie einige Briefe an Colli aus den Jahren 1604 bis 1610 vereinigt; zum anderen befinden sich Abschriften von Denaisius-Briefen in der Uffenbach-Wolfschen Briefsammlung der Universitätsbibliothek Hamburg. In dieser Sammlung sind außerdem 19 Autographen von Briefen Lingelsheims an Denaisius vorhanden. 287 Angesichts der geringen Zahl der erhaltenen Lingelsheim-Briefe und der gravierenden zeitlichen Brüche innerhalb der Überlieferung ist von einem um ein Vielfaches umfangreicheren Briefwechsel auszugehen. Die Gießener Sammlung ist unter allen Briefsammlungen, in denen sich Zeugnisse der Korrespondenzen Lingelsheims nachweisen lassen, hervorstechend. Hier hat sich ein kompletter Band mit Original-Briefen an Lingelsheim erhalten, während in der Regel nur die Abschriften der an ihn gerichteten Briefe überliefert sind; das ist sonst nur bei seinen Briefen an Sainte Catherine in der Pariser Nationalbibliothek der Fall. 288 Ob der Gießener Band sogar aus Lingelsheims Besitz stammten, ist nicht festzustellen; auf jeden Fall tragen zahlreiche Briefe handschriftliche Annotationen von ihm. Die Hamburger Abschriften dokumentieren ebenso wie die Gießener Autographen für jeweils zwei geschlossene Zeiträume - einmal für die Zeit von Oktober 1590 bis März 1592, das andere Mal für die Zeit von Dezember 1605 bis August 1 6 1 0 - z u m i n d e s t für einen Korrespondenten einen weitgehend vollständigen Briefwechsel, der mit großer Regelmäßigkeit geführt wurde. Eine genauere Vorstellung dieser Korrespondenz würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Diese Briefe erlauben wie sonst nur wenige andere Quellencorpora (wie die Korrespondenzen mit Bongars und Sainte Catherine) über jeweils zusammenhängende Zeiträume genaue Einblicke in eine gelehrte Kommunikation zweier Späthumanisten, die sich über einzelne Themen intensiv entwickelt, in der aktuelle Ereignisse aus der Reichspolitik und der Gelehrtenrepublik eingehend diskutiert
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Die eigenhändige Abschrift Lingelsheims eines an ihn von Denaisius am 11.08.1601 gerichteten Briefes (BBB: Cod. 141, Nr. 92b, Bl. 125 r ), die er für Bongars anfertigte, sowie die beiden Briefe von Denaisius in MIEG 1701 (S. 145-149, datiert auf den 28.02. bzw. 26.10.1604). Es handelt sich um die einzigen Briefzeugnisse aus diesen Jahren. 286 UBG: Hs 113 (alte Sign.: Ms 26). Diese große Sammlung des Freiherrn von Senckenberg gelangte im Jahre 1800 durch Schenkung in den Besitz der Bibliothek. Zur Bestandsgeschichte der kurze Abriß (mit weiterer Literatur) von Schilling 1992. Vgl. auch die Vorstellung der Senckenbergschen Bibliothek in den Minerva-Handbüchern von Ebel 1929. 287 Insgesamt sind 19 Briefe von Lingelsheim wiederum im Band Sup. ep. 14 in der SUH überliefert. Es handelt sich in allen Fällen um Autographen. 288 Vgl. dazu unten Kap. 3.7.
305 werden, in die zahllose persönliche Informationen, sowohl aus der privaten Sphäre als auch über das eigene literarische Schaffen, eingegangen sind. Lingelsheim und Denaisius kannten sich seit ihrer Jugendzeit aus Straßburg. Dort wurde der aus einer lothringischen Exulantenfamilie stammende Denaisius, dessen französische Namensform De Nays womöglich sogar auf eine adlige Herkunft schließen läßt, 289 1560 geboren. 290 Ab 1579 besuchte er die Universität von Padua, gemeinsam mit Lingelsheim immatrikulierte er sich dann für das Studienjahr 1582/83 in Basel, wo beide auch am gleichen Tag, dem 25. Juli 1583 bei Samuel Grynaeus zu Doktoren beider Rechte promoviert wurden. 291 Offensichtlich durch Lingelsheims Vermittlung und dank der Fürsprache Peter Beutterichs, des damals einflußreichsten kurpfälzischen Politikers, trat Denaisius wenige Wochen nach seinem Freund in kurpfälzische Dienste als Rat am Heidelberger Hofgericht ein. 292 1588 wurde er pfalz-lauterischer Rat und kümmerte sich gemeinsam mit Johannes Gernand um die Finanzen. 293 Nachdem er verschiedentlich Gesandtschaften, die ihn bis nach Polen und England führten, erfüllt hatte, schied er bereits 1590 aus seinem Dienstverhältnis aus, um als Assessor an das Reichskammergericht in Speyer zu wechseln. Von häufigen Krankheiten geplagt, verblieb Denaisius in diesem Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1610. Der Kontakt nach Heidelberg blieb intensiv, häufig hielt er sich zu Besuchen bei Lingelsheim und bei seinem Schwiegervater, dem Vizekanzler Culmann, auf. Seine Tätigkeit in Speyer ließ ihm, wie Lingelsheim einmal gegenüber Scaliger äußerte, 294 ausreichend Zeit für sein literarisches und wissenschaftliches Schaffen. Neben juristischen Schriften, unter denen das bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zahlreiche Auflagen erlebende Ius camerale die bedeutendste war, 295 trat er vor allem mit Übersetzungen und eigenen Gedichten in deutscher Sprache hervor. Denaisius ist eine zentrale Gestalt auf dem kurpfälzischen Weg zu einer neuen deutschen Kunstdichtung. 296 Er war dabei vor allem ein politi-
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Nach Stintzing 1880, S. 519, stammt Denaisius aus »vornehmen lothringischen Geschlecht«. Grundsätzlich zu konsultieren die Artikel in NDB III, S. 592f. (Hannemann), NDBA VII, S. 617f., Killy III, S. 24f. (Verweyen). Denaisius ist auch behandelt in Adam: Jur., S. 444447 (s. dazu oben S. 201, Anm. 135), Jöcher II, Sp. 82, Michaud XI, S. 70f., Hoefer XIII, Sp. 628, ADB V, S. 49, DBF X, Sp. 1013. Vgl. Wackemagel, Bd. II, S. 312. Ein Exemplar der Dissertationsthesen Denaisius' findet sich in der BUB: Diss. 204, Nr. 53. Zum Anteil Lingelsheims an der Berufung des Denaisius vgl. dessen Brief an Lingelsheim vom 02.08.1584 (SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 4V). Aufschlüsse über Denaisius' Verhältnis zu Beutterich geben seine Briefe an Lingelsheim vom Anfang des Jahres 1586 (SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 5-9). Seine Bestallungen in kurpfälzische Dienste sind erhalten GLA: Kopialbuch 927, Bl. 197'-199 r , und ebd.: Kopialbuch 928, S. 25v (Ratsbestallung von 1587). Zu Denasius' Bestallung in pfalz-lauterische Dienste vgl. Press 1970, S. 366f. S. oben S. 232, Anm. 286. Ius camerale. Ex ordinatione camerae, imperii, et factis ad eam constitutionibus, decretis, senatusque consultis ordine & compendium collectum. [...]. (Straßburg: Rihel 1600). Es ist sicherlich eine der lohnendsten Aufgaben der Literaturwissenschaft mit Bezug auf die zentrale Rolle Heidelbergs und der Kurpfalz in Politik und Dichtung dieser Epoche, das Werk des Petrus Denaisius in diesem Kontext von Späthumanismus, politischer Publizistik als calvinistische Tradition vor Zincgref und Konzeption einer deutschen Dichtung vor Opitz einer eingehenden zusammenhängenden Untersuchung zu unterziehen.
306 scher Publizist, der aus einer entschiedenen calvinistischen Position heraus die kurpfälzischen Interessen verfocht. Die unauflösliche Verbindung zwischen politischer Publizistik im Dienste calvinistischer Politik und deutscher Dichtung in Heidelberg wird in seinem Werk so greifbar wie um 1600 nirgends s o n s t und eigentlich erst bei Zincgref wieder. Zwei seiner Schriften, die Bedencken An die Königliche May: in Frankreich, die Übersetzung einer Kampfschrift aus dem Französischen,297 und das Gedicht »Drey Jesuiten Latein«, eine eigene Schöpfung,298 richten sich gegen die Jesuiten. Die Übersetzung des Fürstenspiegels Jakobs I. von England für seinen Sohn dagegen stellte sich in den Dienst der kurpfälzischen Politik in ihrem Bestreben einer Einigung der deutschen Protestanten unter ihrer Vormacht.299 Denaisius vertrat als »literarischer Protagonist«300 den konfessionspolitischen Kurs der Kurpfalz.301 Auch der Heidelberger Kirchenrat wußte offenbar um seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet und empfahl ihn einmal ausdrücklich für die Mitarbeit an einem »kurtz, nervös und lustig scriptum«302 gegen das Papsttum. In seiner deutschsprachigen Dichtung, zu der unter anderem auch das in den Zincgrefschen »Anhang« von 1624 aufgenommene, 1596 entstandene »Hochzeitslied Herrn Doctori Jörg Michael Lingelsheimern/ vnd Agnes Lofenijn«303 zählt, zeigt sich Denaisius ebenso wie Schede Melissus von der französischen Dichtung beeinflußt und stand damit in einer Dichtungstradition, die in Heidelberg vor dem Auftreten Martin Opitz' entstanden war. 1.2.4.4. Johann Philipp Pareus Zu den zahlreichen philologischen Schriften Gruters gehörte auch eine Ausgabe der Komödien des Plautus, die 1621 erschien.304 Bereits auf dem Titelblatt sah sich der Herausgeber bemüßigt, auf die quellenkritische Akribie seines Werkes zu verweisen: M. Acc. Plauti Comoediae, ex recognitione Jani Gruteri qui bono 297
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Bedencken An die Königliche May: in Frankreich/ Uber der Jesuiter bey demselben gesuchten außsöhnung/ und wiedereinkommung in ihrer May. Landen (Heidelberg 1602). Titel mit einschlägigen Literaturangaben bei Garber 1986b, S. 328f., der auf die Kontinuität in der kurpfälzischen Publizistik von Denaisius und Zincgref abhebt. Die Entstehungsgeschichte und Zuweisung der Verfasserschaft an Denaisius bei Zacher 1852, S. 45-55; dort, S. 52-55, auch eine Textprobe. Basilikon doron, Oder Instruction und Underrichtung Jacobi deß Ersten dieses namens in Engelandt, Schottlandt, Franckreich, und Irrlandt Königs an Seiner Kön. Mayt. geliebten Sohn Printz Henrichen. Auß dem Englischen verteutscht. (Speyer: Harmann 1604). Verweyen 1984 bietet eine poetologische Analyse des der Denaisius-Übersetzung des Basilikon Doron vorangestellten Sonetts durch Denaisius und zieht zur Klärung der Verfasserschaft auch verschiedene Briefe Lingelsheims heran. Zur Schrift Jakobs I. vgl. oben S. 144. Verweyen 1984, S. 164. In diesen Kontext ist durchaus auch seine Satire gegen Lipsius einzuordnen, zu dieser vgl. die Ausfuhrungen in Teil I, Kap. 3.2.2.1.3. So die Empfehlung des Kirchenrates und der theologischen Fakultät in BRIEFE UND ACTEN 1870-1909, Bd. II, S. 27f. (Zitat S. 28). Zu diesem Gedicht s. oben S. 198. An den Widmungsbeiträgen zu dieser Ausgabe zeigt Forster 1990 beispielhaft auf, welche konfessionspolitischen Intentionen im Umkreis des Heidelberger Gelehrten- und Dichterkreises auch in einer philologischen Schrift transportiert werden konnten.
307 fide contulit cum Mss. Palatinis*05 Der Grund für diesen ausdrücklichen Hinweis auf die philologische Genauigkeit der neuen Edition lag in einem seit zehn Jahren schwelenden Streit mit Johann Philipp Pareus, der gerade erst eskaliert war. Jener hatte 1610 selbst eine Plautus-Ausgabe vorgelegt, die 1619 in zweiter, nunmehr sämtliche Plautus-Handschriften der Palatina vergleichender Auflage erschienen war.306 Die Zuverlässigkeit ihres Textcorpus allerdings bestritt Gruter vehement und stellte, nachdem er sich in einen heftigen Disput mit Pareus verstrickt hatte, deshalb seine Ausgabe dagegen.307 Noch nach seiner Flucht aus Heidelberg durchziehen seine Korrespondenzen mit Lingelsheim und Zincgref leidenschaftliche Angriffe gegen Pareus, jenen Frevler, von dem er nichts weiter erwarte, als daß er ihn lächerlich machen wolle.308 Die Zeitgenossen waren von der polternden Reaktion des angesehenen Bibliothekars überrascht.309 Lingelsheim bemühte sich offensichtlich zu vermitteln. An ihn hatte sich Pareus bereits am 16. Dezember 1617 mit einem Brief gewandt, in dem er ihm die Vorwürfe Gruters gegen seinen Plautus anzeigt und sie zu widerlegen versucht.310 Es scheint ihm gelungen zu sein, denn noch in seinen Briefen aus Tübingen bezeichnet ihn Gruter seinem Freund gegenüber indigniert als »Pareus tuus«. 3 " Johann Philipp Pareus, 1576 als Sohn des Heidelberger Theologen und führenden kurpfälzischen Irenikers David Pareus geboren, gehörte in das Umfeld des späthumanistischen Dichter- und Gelehrtenkreises. Nach langjährigen Studien, die ihn von der Heidelberger Universität aus mit einem kurfürstlichen Stipendium versehen unter anderem nach Basel und Genf geführt hatten, war er zunächst zum Schulrektor in Kreuznach, später in Neustadt an der Haardt berufen worden.312 In dieser Stellung verblieb er bis zur Eroberung der Kurpfalz durch die Spanier, die ihn 1623 zum Ausweichen an das Gymnasium in Hanau zwangen. Als dessen Rektor wirkte er bis zu seinem Tode 1648.313 Neben seinen philologischen Arbeiten, unter denen die Plautus-Ausgabe herausragte, verfaßte
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Wittenberg: Schürer 1621. Vgl. auch Mittler [u.a.] 1986, Textband, S. 431. M. Acc. Plauti Sarsinatis Umbri comoediae XX superslites, ex solis manuscriptis Codd. Palatinae Bibliothecae pristinae antiquitati suae fideliter restitutae ac nolis tarn practicis quam criiicis sedulo illustratae et confirmatae, adiectis insuper fragmentis multo quam antehac nitidioribus, nec non Pseudo-Plauti Querolo. curis secundis Jo. Philippi Parei (Neustadt a.d. Haardt: [o.D.] 1619). Vgl. dazu Bursian, 1883, Bd. I, S. 2151, Sandys 1964, Bd. II, S. 362. Gruter an Zincgref, 20.02.1624 (REIFFERSCHEID 1889, S. 184f.): »Vidisti procul dubio Criticorum volumen octavum, meo nomine insignitum, a scelerato illo Pareo editum, in quo nihil omnino conspicitur, nisi eius nugae contra me.« Dazu mit Nachweisen REIFFERSCHEID 1889, S. 764; ausfuhrlich Ritschi 1978. Auch dieser Brief ist in SUH: Sup. ep. 14 (Bl. 309) erhalten. Es ist der einzige der in diesem Band versammelten Briefe, der Lingelsheim nicht als Verfasser, sondern als Adressaten hat.
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S o in d e n B r i e f e n v o m 2 5 . 0 6 . u n d v o m 2 4 . 0 7 . 1 6 2 3 (REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 169 u . 172).
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Zu ihm Michaud XXXII, S. 562f., Hoefer XXXII, Sp. 132, ADB XXV, S. 169 (Hocke), Piderit 1865, S. 61 ff., Kühlmann/Wiegand in: Parnassus Palatinus, S. 284f. Er vertrat die Professur für hebräische Sprache, Logik und Theologie. - Zu dieser 1607 gegründeten, aber erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges aufblühenden Anstalt vgl. Piderit 1865, Braun 1907, sowie den Oberblick bei Menk 1981, S. 187-191 (mit weiteren Quellenangaben).
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308 er theologische Schriften, vor allem aber trat er als neulateinischer Poet hervor. Bereits im Jahre 1600 hatte ihn Melissus zum Dichter gekrönt, später verlieh er selber Balthasar Venator, der in Neustadt zu seinen Schülern gezählt hatte, die Würde des poeta laureatus.314 Über seine Gedichte bemühte er sich um die Pflege freundschaftlicher Beziehungen nach Heidelberg, allerdings blieben seine Kontakte spärlich. Dies mag zum einen daran gelegen haben, daß ihm als Schulrektor der Zugang in die gesellschaftliche fuhrende Schicht der Residenzstadt, in welcher der späthumanistische Kreis sozial verankert war, trotz seines bedeutenden Vaters verwehrt blieb.315 Zum anderen lag es aber sicherlich in den wachsenden Aversionen Gruters begründet. Gleichwohl kann auch Pareus Lingelsheim in seinem Brief, dem einzigen Zeugnis einer Korrespondenz zwischen ihnen, als seinen »Maecenas«316 ansprechen. Auch von ihm wird somit die herausragende Bedeutung Lingelsheims im Heidelberger Späthumanismus als Anreger und Förderer gewürdigt. Inwieweit aus dem Streit zwischen Pareus und Gruter und Lingelsheims vermittelnder Rolle darin ihm letztlich eine integrativere Funktion zuzuweisen wäre als dem Bibliothekar der Palatina, ist aus diesem Einzelfall aber kaum zu schließen. 1.2.4.5.Friedrich Lingelsheim Eine zentrale Gestalt der jüngeren Generation des Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises war Friedrich Lingelsheim. Seine in der Triga versammelte Jugenddichtung, die ganz in der Tradition der späthumanistisch-gelehrten Freundschaftsdichtung steht, weist ihn als versierten neulateinischen Poeten aus, der dank seiner Herkunft schon früh einen großen Adressatenkreis in der Gelehrtenrepublik mit seinen Gedichten bedenken konnte.317 Welche Achtung er sich bereits in jungen Jahren unter den Heidelberger Späthumanisten erworben hatte, drückt sich in der Gelegenheitsschrift auf seinen Tod im Jahre 1616 aus. Auch als deutschsprachiger Dichter versuchte er sich. Erhalten ist aber lediglich ein deutsches Epithalamion, das in den Straßburger »Anhang« Aufnahme fand. 1615 ebenfalls als Gelegenheitsgedicht entstanden, ist dieses Epithalamion ein gelungenes Beispiel dafiir, wie weit die jungen Heidelberger Dichter auf dem Weg zu einer deutschen Kunstdichtung, die in freier Verfügung über die antiken Exempel und in gewandter Beherrschung der klassischen Dichtungslehre ebenbürtige Verse in der eigenen Sprache schaffen wollte, seit den Zeiten Melissus' vorangeschritten waren.
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Seine aus diesem Anlaß auf Venator verfaßte Ode in: Pamassus Palatinus, S. 122-125. Diese Argumentation bei Mertens 1974, S. 231, der allerdings Pareus eben aufgrund seiner Geburt im Gegensatz zu anderen Schullehrem oder Landpfarrern über bessere Verbindungen nach Heidelberg verfugen sieht, besonders zum Hause Lingelsheim, wie es sich auch in dem zitierten Brief spiegelt. Deshalb scheint mir für seine Stellung zum späthumanistischen Dichter- und Gelehrtenkreis besonders sein Verhältnis zu Gruter, der anderen zentralen Gestalt dieses Kreises, ausschlaggebend gewesen zu sein. Pareus an Lingelsheim, 16.12.1617 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 309 1 ). Zur Triga amico-poetica (1619) und ihrer Stellung im Heidelberger Späthumanismus vgl. oben S. 177-180.
309 Friedrich war der älteste Sohn Georg Michael Lingelsheims aus seiner ersten Ehe mit Claudine Virot. 318 Schede Melissus bezeichnete ihn in seiner zweiten Ode auf die Hochzeit Georg Michael Lingelsheims mit Agnes Loefen im Jahre 1596 noch als »tenellus pusio«, als ein sehr zartes Knäblein. 319 Er muß Ende 1592 oder Anfang 1593 geboren worden sein, denn am 27. Februar 1593 berichtete Lingelsheim an Hippolyt von Colli von seinem Sohn: »Fritzulus meus nobis iam oblectamento« 320 - eine Formulierung, die allein durch den Diminutiv auf eine nicht lange zurückliegende Geburt schließen läßt. Seine Erziehung leitete unter anderem der Philologe Gottfried Jungermann, der sich von 1604 bis 1605 in Heidelberg aufhielt. Am 25. Juli 1607 immatrikulierte sich Friedrich Lingelsheim an der Heidelberger Universität. 321 Wie der ihm freundschaftlich eng verbundene, wenige Monate nach ihm immatrikulierte Julius Wilhelm Zincgref dürfte auch er sich zunächst philosophisch-philologischen Studien der Artistenfakultät und dann dem Studium der Jurisprudenz zugewandt haben. 1613 brach Friedrich Lingelsheim gemeinsam mit Zincgref zu einer peregrinatio auf, die sie zunächst nach Orléans führte. Georg Michael Lingelsheim hatte seinen Sohn seinen französischen Freunden anempfohlen, die sich auch um ihn kümmerten. 322 Erst nach mehr als einjährigem Aufenthalt verließen Friedrich Lingelsheim und Zincgref Frankreich in Richtung England (1614/15) und wandten sich von dort Mitte des Jahres 1615 in die Niederlande. Ihre Wege trennten sich, ob bereits in England oder erst in den Niederlanden, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Friedrich Lingelsheim schloß sich Henry Wotton auf dessen Reise nach Venedig an, mußte wegen einer schweren Erkrankung jedoch nach Heidelberg zurückkehren, wo er am 13. September 1616 verstarb. 323 Daß er unter den Korrespondenten seines Vaters erschien, verdankte sich dieser peregrinatio. Denn jener hat die Reise seines Sohnes mit mehreren Briefen begleitet. Vier dieser väterlichen Briefe haben sich in Abschriften in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen bis heute erhalten. 324 Daß die Väter wäh-
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Der Name von Friedrich Lingelsheim fehlt in den biographischen Nachschlagewerken. Notizen zu seiner Biographie bieten Schnorr von Carolsfeld 1879, S. 12-17, REIFFERSCHEID 1889, S. 715, 723, 728ff. u. 767, Lingelsheim 1922, S. 46-49, Kühlmann/Wiegand (erstmals alle sicheren Daten zusammenführend) in: Pamassus Palatinus, S. 275. Zu seiner Stellung als neulateinischer Dichter im Heidelberger Späthumanismus vgl. Mertens/Verweyen 1972, S. 141f., sowie Mertens 1974, S. 230. In nuptias Georgii Michaelis Lingelshemii (1596), S. 3. Lingelsheim an Colli, 27.02.1593 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 40^. Toepke, Bd. II, S. 235. So teilt Lingelsheim de Thou am 23.03.1613 mit, daß sich sein Sohn in Orléans aufhalte (BNP: Col. Dupuy 836, Bl. 240"). Und jeweils am 25.05.1614 dankt er Pierre Dupuy (ebd.: Col. Dupuy 699, Bl. 256') und de Thou (ebd.: Col. Dupuy 836, Bl. 242') für die »benevolentia«, die sie seinem Sohn erwiesen hätten. Die genaueren Umstände seiner Erkrankung schildert Lingelsheim in seinem Brief an Grynaeus vom 23.09.1616 (BUB: G II 7, Bl. 535r). Vom Tod seines Sohnes unterrichtet er am 03./13.10.1616 auch PierTe Dupuy (BNP: Col. Dupuy 699, Bl. 254"). - Friedrich Lingelsheim hatte allerdings noch die Universität Padua besuchen können, seine dortige Immatrikulation zitiert Lingelsheim 1922, S. 47. Finden sich die meisten Briefe der bislang vorgestellten kurpfälzischen Korrespondenzen Lingelsheims in der SUH, so ist die Hauptquelle für die im folgenden behandelten jungen
310 rend der Bildungsreise ihrer Söhne mit diesen briefliche Kontakte hielten, in denen sich wie in dieser Korrespondenz Ratschläge und Ermahnungen, den Studien ernsthaft nachzugehen, mit Nachrichten aus dem elterlichen Hause und der Familie verbanden, war eine übliche Form schriftlicher Kommunikation zwischen den Generationen in der Gelehrtenrepublik. Sie ist bezeichnend für das Verständnis privaten Zusammenlebens auch während der Trennung, das in dieser patriarchalischem Zeit bestand. Zugleich sind diese Briefe bei Angehörigen der Gelehrtenrepublik immer auch Korrespondenzen zwischen einem älteren, etablierten Gelehrten und dem eigenen Nachwuchs, der seine gelehrten Meriten erst noch erwerben und sich dafür eine fundierte humanistische Ausbildung und Bildungserfahrung durch Reisen aneignen sollte. 1.2.4.6. Julius Wilhelm Zincgref Wie Friedrich Lingelsheim stammte auch der fast gleichaltrige Julius Wilhelm Zincgref aus der adlig-bürgerlichen Oberschicht Heidelbergs.325 1 591 geboren,326 besuchte er seit 1607 die Heidelberger Universität.327 1 6 1 2 immatrikulierte er sich in Basel, 328 das er nach einer juristischen Disputation, an der er als Respondent teilgenommen hatte, ein Jahr später wieder verließ.329 Der Basler Disputation stellte Zincgref einen Dedikationsbrief an Lingelsheim voran, der erneut dessen Bedeutung als patronus der jungen Heidelberger Dichtergeneration belegt. Von der zusammen mit Friedrich Lingelsheim angetretenen peregrinatio nach Frankreich, England und in die Niederlande kehrte Zincgref wohl noch 1615 nach Heidelberg zurück.330 Sein väterliches Erbe und die Einnahmen eines Mitglieder des Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises die Kongelige Bibliotek Kabenhavn. Die dortigen Abschriften dienten REIFFERSCHEID 1889 als Vorlagen. 325 Sein Vater Laurentius stand über vier Jahrzehnte als Hofgerichtsrat in kurpfälzischen Diensten. Zu ihm vgl. Press 1970, Reg. A m ausfuhrlichsten Adam: Jur., S. 428^439. 326 Grundlegend zu seiner Biographie nach wie vor Schnorr von Carolsfeld 1879. Jetzt, zahlreiche neue Quellen erschließend, Krummacher 1990, bes. S. 3 0 7 - 3 1 2 . Außerdem Walter 1998a mit einem Überblick über Leben und Werk Zincgrefs. Weitere wichtige Hinweise dazu jeweils in den Vorworten zu den einzelnen Bänden der kritischen Gesamtausgabe seiner Schriften von Mertens und Verweyen. Zur Edition der Facetiae Pennalium (Zincgref: Ges. Schriften, Bd. III) vgl. die Rezension von Garber 1980a mit grundsätzlichen Anmerkungen zu Zincgrefs Rolle in der Geschichte der deutschen Dichtung und im Heidelberger Späthumanismus. Außerdem heranzuziehen das Nachwort von Arthur Henkel in der Faksimile-Ausgabe Zincgref: Embleme, Bd. II, S. 122-147. 327 Vgl. Toepke, Bd. II, S. 237. 328 v g l . Wackernagel, Bd. III, S. 135. 329 Die Thesen finden sich in einem Sammelband in der Staatsbibliothek zu Berlin (Sign.: Fi 3427-4): Miscella haec ivris praecognita sub praesidio [...] Joh. Rodolphi Burckhardi (Basel 1613). Es dürfte sich um den Band handeln, auf den Mertens/Verweyen 1972, S. 136f., hinweisen. Zu einer späteren Auflage vgl. Krummacher 1990, S. 309. Hier auch ein Widmungsbrief Zincgrefs an Lingelsheim (Bl. A2 r ). 330 Üblicherweise wird Zincgrefs peregrinatio auf eine Dauer von f ü n f Jahren angesetzt, d.h. er kehrte erst 1617 nach Heidelberg zurück. Diese auf Zincgrefs erstem Biographen Weidner basierende A n g a b e wurde - in Beginn und Ende jeweils u m ein Jahr korrigiert übernommen von Schnorr von Carolsfeld 1879, S. 18. Dagegen nimmt K r u m m a c h e r 1990, S. 310, anhand eines Briefes Zincgrefs an Ludovicus Lucius v o m 26.10.1615 an, daß dieser bereits um diese Zeit seine Reise beendet haue.
311
Lehens bei Münster an der Nahe ermöglichten ihm in den nächsten Jahren, ohne öffentliches Amt zu bleiben.331 In den folgenden Jahren entstanden erste umfangreiche Werke, die seine Promotion zum Doktor beider Rechte bis in das Jahr 1620 verzögerten.332 Zu dieser Zeit entwickelte sich Zincgref zu einem politischen Publizisten, der die kurpfälzischen und calvinistischen Interessen radikal verteidigte. Mit seinem neulateinischen Epos »Ad Fridericum Bohemiae Regem« (1619), das vehement die Annahme der böhmischen Krone durch Friedrich V. befürwortete, stellte sich der wichtigste Vertreter des jüngeren Kreises der Heidelberger Späthumanisten bedingungslos hinter die Konfessionspolitik der Kurpfalz.333 In den folgenden Jahren, als das verhängnisvolle Scheitern dieser Politik unübersehbar wurde, verstärkte Zincgref sein Engagement als publizistischer Anwalt der kurpfälzischen Sache.334 Hierzu bediente er sich ausnahmslos seiner Muttersprache, die eine weitere Wirksamkeit seiner Schriften sicherte. Vornehmlich in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts entstanden diverse Flugschriften und Flugblätter, die die katholische Partei und ihre politischen Pläne denunzierten.335 Nachdem er zunächst ganz den litterae gelebt und sich ausschließlich publizistisch für die kurpfälzische Sache engagiert hatte, trat Zincgref Ende des Jahres 1621 als Generalauditeur der Heidelberger Garnison in kurpfälzische Dienste ein. Der späthumanistische poeta doctus, bislang nur mit der Feder für seine Religion und sein Vaterland engagiert, nahm in der bedrängten Situation selbstverständlich seinen öffentlichen Platz ein. Bereits im Jahr darauf mußte Zincgref jedoch aus Heidelberg fliehen und wandte sich zunächst nach Frankfurt, dann nach Straßburg, wo er wenig später - auf Vermittlung Lingelsheims als Dolmetscher in die Dienste des französischen Gesandten Guillaume Marescot trat, den er auf seiner diplomatischen Mission an die deutschen Fürstenhöfe begleiten sollte. Eine schwere Erkrankung ließ Zincgref jedoch nur bis Frankfurt gelangen,336 von wo aus er nach Straßburg zurückkehrte. Lingelsheim blieb weiterhin der Förderer und auch der Mäzen des in zunehmende finanzielle Schwierigkeiten geratenden Dichters.337 Erst die Heirat mit einer vermögenden Witwe 331
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Zur Verwaltung des münsterschen Lehens vgl. die bisher übersehenen Briefe Zincgrefs im LHA Koblenz: Abt. 4, Nr. 3647, S. 83-102. Zu dieser Promotion und ihrer Datierung Krummacher 1990, der hier anhand eines neulateinischen Gratulationsdruckes auf Zincgrefs Promotion eindeutig nachweisen kann, daß diese erst 1620 und nicht wie bisher in der Literatur angegeben 1619 stattfand. Zu diesem Epos vgl. Mertens/Verweyen 1972, S. 145-150. Ebd., S. 150, der entscheidende Hinweis, »daß Zincgrefs literarische Produktion aus der Zeit zwischen 1619 und 1623 vornehmlich als politische Publizistik aufzufassen ist.« Da diese kleinen Schriften in der Regel anonym erschienen, ist bis heute nicht genau zu übersehen, wieviele Flugschriften Zincgref in dieser aufgewühlten Zeit verfaßte; man wird weiterhin v.a. auch auf mehr oder minder zufällige Funde angewiesen bleiben, die erfreulicherweise immer wieder gelingen. So zuletzt Schilling 1981a. Eine Bibliographie der Flugschriften Zincgrefs versucht Schnorr von Carolsfeld 1879, S. 44-51; sie wird ergänzt und korrigiert von Mertens/Verweyen 1972, S. 137ff. Vgl. daran anschließend Dünnhaupt, Bd. VI, S. 4356-4372, sowie Verweyen 1995. Vgl. Andreas Paul an Venator, 09.08.1624 (REIFFERSCHEID 1889, S. 192). Vgl. die Briefe Gruters an Lingelsheim, 20.03.1625 (ebd., S. 213f.) und Zincgrefs an Lingelsheim, 29.03.1625 (ebd., S. 215f.).
312 in Worms befreite Zincgref aus seinen finanziellen Problemen, so daß er erneut die folgenden Jahre ohne ein Amt auskommen konnte. Nachdem die Schweden die Herrschaft des kurpfälzischen Hauses restituiert hatten, stellte er sich als Landschreiber in Kreuznach, später in Alzey zur Verfügung, bis ihn auch von dort der Krieg wieder vertrieb. Zincgref zog sich nach St. Goar zurück, wo er schließlich 1635 an der Pest starb. Zincgrefs herausragende literarhistorische Bedeutung im oberrheinischen Späthumanismus und in der Geschichte der neuen deutschen Kunstdichtung sind von der Forschung immer wieder betont worden. 338 Sein umfangreiches Werk entstand in jenem spezifischen Kräftefeld kurpfälzischer Konfessionspolitik und des oberrheinischen Späthumanismus, in dem auch der neuen deutschen Kunstdichtung der Weg bereitet wurde. 339 1624 edierte Zincgref in Straßburg mit Hilfe Berneggers und wohl auch unter Anteilnahme Lingelsheims die Teutschen Poemata des Martin Opitz, denen er einen Anhang mit Gedichten kurpfalzischer Dichter hinzufügte, der neben der Triga als das zweite zentrale Zeugnis für den Heidelberger Späthumanisten- und Dichterkreis steht. 340 In seiner »Dedicatio« zu dieser Edition verband er seine Forderung nach einer neuen deutschen Dichtung mit einem patriotischen, antispanischen Programm. 341 Nachdem die Sache der Kurpfalz verloren schien - Maximilian I. von Bayern hatte die Kurwürde übertragen bekommen, mit einer Restitution Friedrichs V. war nicht zu rechnen - , bemühte sich Zincgref weiterhin, nationale Energien für den Behauptungskampf der deutschen Protestanten gegen die massiv in die Angelegenheiten des Reiches involvierten Spanier und den Papst zu mobilisieren. Zincgref verlor auch nach 1621 niemals den Kontakt zu den beiden führenden Vertretern des Heidelberger Späthumanismus, Lingelsheim und Gruter, die ihm bei seinen literarischen Arbeiten mit Rat und Tat zur Seite standen, so bei der Zusammentragung seiner Emblemata Ethico-Politicorum342 und seiner 338 339 340 341
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Zum Forschungsstand der Bericht von Verweyen 1995. S. dazu oben S. 197 und Anm. 114. S. oben S. 197ff. Vgl. Garber 1984, S. 330f. - An den Schluß des Anhangs stellte Zincgref sein wohl bekanntestes Gedicht, die »Vermanung zur Dapfferkeit«, mit welcher er den Soldaten der Heidelberger Garnison nach dem Vorbild des griechischen Dichters Tyrtaios zurief: »Kein Tod ist löblicher/ kein Tod wird mehr geehret als der/ durch den der Ruhm des Vaterlands sich mehret.« (Zitiert nach Opitz: Werke, Bd. II/l, S. 286). Schon in seinen Facetiae Pennalium hatte Zincgref die Waffenfahigkeit eingefordert und die vermeindliche Unsitte moniert, »daß auch ein jeder Bawren Sohn/ [...] ein Graduierter seyn will/ dardurch der Feldbaw vnd die Handwercker verlassen/ insonderheit aber die nothwendige Waffenhandlung zu grund gehet [...]« (zitiert nach Zincgref: Ges. Schriften, Bd. III, S. 3). Hier wird sein Engagement für die Sache der Kurpfalz ganz deutlich, wie auch Garber 1980a, S. 265f., hinsichtlich der bewußten Komposition des »Anhangs« betont; ebenso Walter 1998a, S. 380f. Vgl. die Einleitung von Mertens und Verweyen in: Zincgref: Ges. Schriften, Bd. II/2, S. 1 6. Diese Sammlung verfolgte durchaus einen politischen Zweck, indem sie ethischpolitische Richtlinien unter dem Einfluß der calvinitischen Staatslehre geben wollte; dazu die Rezension von Kühlmann 1995.
313 Apophthegmensammlung.343 In seine Apophthegmata, die erstmals 1626 und danach in einer auf zwei Bände angewachsenen Neuausgabe 1628 bzw. 1631 erschienen, nimmt er auch mehrere Aussprüche Lingelsheims auf.344 Wie schon seinen Emblemata und den 1618 veröffentlichten Facetiae Pennalium zeigt sich Zincgref zum einen der humanistischen Gelehrtentradition verbunden, zum anderen aber scheinen seine konfessionspolitischen Positionen auch hier an einzelnen Stellen deutlich durch. Sowohl mit Gruter als auch mit Lingelsheim pflegte Zincgref Korrespondenzen. Die Korrespondenz mit Lingelsheim setzte erst im Jahre 1625 ein, nachdem Zincgref Straßburg verlassen hatte. Sechs seiner Briefe haben sich erhalten, deren Abschriften sich erneut in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen finden, während von Lingelsheim ein weiteres Mal keine Briefe überliefert sind.345 Die ersten beiden Briefe entstanden direkt im Anschluß an Zincgrefs Straßburger Aufenthalt in Worms, es folgten ein weiterer aus dem Jahre 1626, und dann nach einer langen Unterbrechung die übrigen drei Briefe aus den Jahren 1630 und 1631. Auf eine regelmäßige Korrespondenz, die auch in den Jahren dazwischen und danach bestanden hätte, gibt es keine Hinweise. >Persönliches< dominiert diese Briefe, die auf ein sehr vertrautes Verhältnis Zincgrefs zu Lingelsheim und seiner Familie hindeuten. 1.2.4.7. Balthasar Venator Zum engsten Kreis der jungen Heidelberger Späthumanisten um Zincgref gehörte auch der gebürtige Pfälzer Balthasar Venator (1594—1664).346 1613 immatrukulierte er sich an der Heidelberger Universität, ein Abschluß seiner Studien ist allerdings nicht festzustellen.347 Nachdem er bereits 1614 von Johann Philipp Pareus zum poeta laureatus gekrönt worden war, bekleidete Venator zwischen 1617 und 1622 eine Stelle als Sekretär am Heidelberger Hof, die er »wohl auf 343
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Ende der zwanziger Jahre arbeitete Zincgref an einer erweiterten Neuausgabe seiner Apophthegmata, die nunmehr auf zwei Bände angewachsen waren, von denen der erste 1628, der zweite 1631 in Straßburg erschienen. Hinweise, ob Lingelsheim in irgendeiner Weise an dem Entstehen dieses Werkes beteiligt gewesen ist, lassen sich aus den Briefen Zincgrefs, die in dieser Zeit an Lingelsheim entstanden, nicht gewinnen. Lediglich in seinem Brief an Lingelsheim vom 16.06.1630 erwähnt Zincgref das gute Voranschreiten des zweiten Teiles: »ut secundam Apophthegmatum partem [...] maturet« (REIFFERSCHEID 1889, S. 411). Zu den Zincgrefschen Apophthegmata und ihrem Platz in der Gattungsgeschichte vgl. Verweyen 1970, bes. S. 119-127; überaus wertvoll immer noch Graupner 1922. Eine Auswahl bietet die von Karl-Heinz Klingenberg edierte Taschenbuchausgabe Zincgref: Scharfsinnige kluge Sprüch, die S. 184-203, die mit einem informativen Nachwort versehen ist. Noch in seinem letzten erhaltenen Brief vom 08.05.1631 bedankt sich Zincgref für ein Schreiben Lingelsheims, das demnach vom 28.04. des Jahres datierte (vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 461). Seine einzige - freilich knappe - Biographie verfaßte Volkmann 1936; vgl. auch Ludwig 1973, außerdem Kühlmann/Wiegand in: Parnassus Palatinus, S. 292ff., Krummacher 1990, S. 335-338. Vgl. Toepke, Bd. II, S. 266. Noch 1616 wird er in der »Matricula studiosorum theologiae« als »alumnus collegij sapientiae« gefuhrt (ebd., S. 568).
314 Vermittlung Georg Michael Lingelsheims«348 erhalten hatte.349 Lingelsheim war es auch, der den nach seiner Flucht aus Heidelberg in finanzielle Nöte geratenen Venator 1624 in sein Straßburger Haus als Erzieher seiner Söhne aufnahm. 350 Venator quälten gleichwohl in dieser Phase existenzielle Sorgen um seine Zukunft: »quia temporum nulla facies melior apparet, et fortis interim linguas addiscere possem, et haec vita multum ignobilitatis habet parumque spei.«351 Seit 1628 besserte sich seine persönliche Situation, woran seine Straßburger Mentoren Anteil trugen: Zunächst vermittelte ihn Bernegger als praeceptor an einen vermögenden Augsburger Patrizier, danach unterstützte Lingelsheim seine Ernennung zum Erzieher des Erbprinzen von Pfalz-Zweibrücken.352 Beide Stellungen verschafften ihm die Möglichkeit, seine Schützlinge auf ihren Bildungsreisen zu begleiten. Die Stationen dieser Reisen sind anhand seiner Briefe an Lingelsheim aus den Jahren 1628 bis 1633 nachzuvollziehen. Diese Korrespondenz entstand also ebenfalls erst nach Venators Fortgang aus Straßburg. Sie brach offensichtlich ab, nachdem Lingelsheim nach Heidelberg zurückgekehrt war. Allerdings muß erneut von einer unvollständigen Überlieferung ausgegangen werden. So haben sich auch nur - wiederum in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen - die Briefe Venators, insgesamt 25 an der Zahl, erhalten, während die Briefe Lingelsheims, für die sich Venator in fast jedem seiner Schreiben bedankt, verloren sind. Venator versorgte Lingelsheim ausfuhrlich mit Nachrichten von jedem seiner Aufenthaltsorte (Tübingen, Genf, Lyon, Sancerre, Paris, Schaffhausen, Zweibrücken, Orléans), bittet aber auch seinerseits Lingelsheim: »De rebus Germaniae, quaeso te, subinde aliquid scribas, ne plane ignarus sim, quid Deus de patria nostra faciat.«353 Wie im Falle der Briefe Zincgrefs sind auch hier der gelehrte Austausch, Mitteilungen über die Gelehrten vor Ort usw. allerdings wichtiger als politische Angelegenheiten, in die Venator selbst zu diesem Zeitpunkt auch keinen Einblick besaß. Er vermag, etwa wenn er aus Paris über die Aktivitäten der bayerischen und schwedischen Gesandten in einem Postscriptum berichtet, nicht mehr als Gerüchte vom Hörensagen wiederzugeben.354 Anders als im Falle Zincgrefs bestand hier über mehrere Jahre ein relativ regelmäßiger brieflicher Kontakt. Daß Venator nach Lingelsheims Tod Bernegger am besten dazu geeignet schien, einen Panegyricus auf Lingelsheim zu verfassen, deutet ebenfalls auf eine große Vertrautheit hin, die zwischen dem Jüngeren und seinem älteren Förderer über Jahre bestanden hat. 3
"8 So Kühlmann in Killy XII, S. 15. Vorher war er fur kurze Zeit als Lehrer an der Schule zum Kloster in Heidelberg tätig, vgl. o b e n S . 190f. 350 Zur persönlichen Lage Venators nach der Eroberung Heidelbergs Volkmann 1936, S. 13f. 351 Venator an Opitz, 24.05.1626 (REIFFERSCHEID 1889, S. 249). 352 Diesen begleitete er auf seiner Kavalierstour 1632-1634. Sein Stammbuch gibt A u s k u n f t über die vielfältigen Kontakte, die er in der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden in dieser Zeit pflegte, vgl. Buttmann 1 9 1 3 . - G e g e n ü b e r Bosch bedauert Lingelsheim die Trennung von Venator am 14.09.1628 sehr (BSB: Clm 10388, Bl. 40"). 353 Venator an Lingelsheim, 28.08.1630 (REIFFERSCHEID 1889, S. 416). 354 Vgl. Venator an Lingelsheim, 10.07.1631 (ebd., S. 470). 349
315 Die Berufung als Erzieher des jungen Herzogs von Pfalz-Zweibrücken sollte Venator endlich die Ruhe einer gesicherten Stellung bringen. Bis an sein Lebensende verblieb er, zunächst als Landschreiber in Meisenheim (seit 1639), dann als Hofrat in Zweibrücken (seit 1646) und Präfekt wiederum in Meisenheim (seit 1652), in pfalz-zweibrückischen Diensten. »Er war«, charakterisierte ihn zusammenfassend sein bisher einziger Biograph, »Reformierter ohne jeden Glaubensfanatismus, besass eine humanistische Bildung und konnte als Hofbeamter eines deutschen Kleinfürsten seinem mehr zuschauenden als handelnden Interesse an der deutschen Politik Genüge tun.«355 Sein umfangreiches literarisches Werk weist Venator als einen Vertreter der jüngeren Generation der Heidelberger Späthumanisten und einen Protagonisten der in diesem Umfeld entstehenden deutschsprachigen Dichtung aus. Unter seinen Gedichten dominieren allerdings neulateinische Verse, nur vereinzelt verfaßte er deutsche Gelegenheitsgedichte.356 Gesichert scheint nunmehr, daß von ihm drei Satiren im Stile Grimmelshausens stammen.357 Außerdem trat er mit einigen publizistischen Schriften hervor, die ihn - wie seinen Freund Zincg r e f - als überzeugten Verteidiger der kurpfälzischen Interessen und der reformierten Kirche ausweisen, wobei er bei weitem nicht die Bedeutung Zincgrefs für die kurpfälzische Publizistik besaß und auch nicht dessen Erfolg verbuchen konnte.358 Wie einerseits in seinen Korrespondenzen mit den Mitgliedern der pfälzischen Exilregierung bzw. den an verschiedenen Orten des Reiches für die Sache der Kurpfalz nach 1621/22 wirkenden Diplomaten deutlich wird, daß Lingelsheim weiterhin ein wichtiger Verbindungsmann für die >Politiker< blieb, so demonstrieren anderseits seine Korrespondenzen mit, nicht minder aber sein persönlicher Einsatz für Venator und Zincgref, welche zentrale Figur Lingelsheim auch nach dem Zerfall des späthumanistischen Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises noch für die jüngere Generation darstellte. Über die Person Lingelsheims lebte das späthumanistische Heidelberg in Straßburg fort.
1.2.5.
Agnes Loefen
Unter Lingelsheims Briefen in der Uffenbach-Wolfschen Sammlung befindet sich auch ein Schreiben an seine zweite Ehefrau Agnes Loefen, mit dem er sie am 2. März 1597 von seiner wohlbehaltenen Ankunft in Amberg unterrichtet. Dort mußte Lingelsheim in der Straßburger Angelegenheit Bericht erstatten.359 355
Volkmann 1936, S. 33. Zu einem späten Gedicht auf die Gründung der Stadtbibliothek Zürich vgl. Germann 1981. Zincgref nahm in den Straßburger »Anhang« ein deutschsprachiges Alexandrinergedicht von Venator auf (Text in: Opitz: Werke, Bd. II/l, S. 251 f.). 357 Venators Verfasserschaft war lange umstritten, scheint jetzt aber durch neue Quellenfunde von Schöndorf 1994 gesichert. Vgl. auch das Nachwort von Bürger 1993, S. 138-142, zur Faksimileausgabe des Fliegenden Wandersmann nach dem Mond. 358 vgl. Volkmann 1936, der S. 8-11 diese Schriften aufführt. 359 Vgl. dazu seine Briefe an Bongars vom 03.03.1597 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 1750 und an Colli vom 02.03.1597 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 800. 356
316 Dieser Brief ist das einzige überlieferte Zeugnis eines Briefkontaktes mit seiner Frau. Ob es sich auch um einen singulären Brief handelt, ist nicht festzustellen. Familiäre Korrespondenzen besaßen für die späthumanistischen Gelehrten keinen Wert insofern, als ihnen keine inhaltliche Dignität zugeeignet war, die ein Bewahren dieser Briefe für eine Publikation und damit für den Beweis der Einbindung in die Gelehrtenrepublik und ihre Kommunikation sinnvoll machte. Diese Briefe wurden mit der gleichen Mißachtung behandelt wie etwa auch die Billets. Es ist bezeichnend, daß Lingelsheim seiner Frau in deutscher Sprache schrieb. Zwar verfaßte er auch sonst verschiedentlich deutsche Briefe, aber der schriftliche Verkehr mit der Familie gestaltete sich stets in der Volkssprache. Bei Lipsius etwa finden sich mehrere Beispiele dafür, wie genau er sprachlich zwischen seiner gelehrten Korrespondenz und seinen Briefen an Familienmitglieder trennte. 360 Natürlich ist dafür zum einen die gesellschaftliche, zum anderen die familiäre Stellung der Frau verantwortlich, die keinen Zugang zur humanistischen Bildung besaß und ganz auf ihre Rolle im Haus des Mannes beschränkt war. Während der Sohn Friedrich Lingelsheim vom Vater als heranwachsender Gelehrter behandelt und mit ihm deshalb ganz selbstverständlich über neulateinische Briefe kommuniziert wurde, besaß die Mutter keinerlei Wertigkeit für einen Gelehrten. 361 Immerhin deutet dieser Brief daraufhin, daß Agnes Loefen in ihrer Kindheit und Jugend eine Erziehung genossen hatte, wie sie in dieser bürgerlichen Schicht für Frauen vorgesehen war. Biographische Nachrichten über sie fehlen allerdings weitgehend. Lediglich ihre Lebensdaten sind zu bestimmen. Sie wurde 1577 geboren; 362 da ihr Vater zu dieser Zeit gerade von Heidelberg nach Straßburg zog, steht ihr Geburtsort allerdings nicht fest. Nach der Hochzeit mit Georg Michael Lingelsheim im Jahre 1596 lebte sie in fast vierzigjähriger Ehe an seiner Seite und starb wenige Monate vor ihrem Mann in Frankenthal vor dem 17. Oktober 1635. An diesem Tag berichtet Lingelsheim aus dem belagerten Frankenthal in einem Brief an Josias Glaser über ihren Tod: »Interea[363i Deus uxorem meam sociam vitae per 40 annos [...] ex his miseriis evocavit.« 364
360 v g l . das Verzeichnis seiner Korrespondenz von Gerlo/Vervliet. 361
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363 364
Zur Stellung der Frau in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik vgl. die Bemerkung von Trunz, die in Anm. 32 in Kap. 2 der Einleitung zitiert ist. Dieses Geburtsdatum nach Stuck 1986, S. 59. Zu ihr nur die knappen Bemerkungen in den beiden Familienchroniken: Lingelsheim 1922, S. 43ff., Loefen [o.J.], S. 16. Während der Belagerung Frankenthals. REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 5 5 2 .
317
1.3.
Schlesien
1.3.1.
Einleitung
Schlesien war 1526 als böhmisches Nebenland gemeinsam mit der böhmischen Krone an die Habsburger gefallen.365 Das Territorium zerfiel in mehrere Herrschaftsgebiete mit unterschiedlichem reichsrechtlichen Status und unterschiedlicher Größe und Bedeutung. Das vorrangige Ziel der habsburgischen Könige, die gleichzeitig die deutschen Kaiser stellten, bestand zunächst darin, ihre Macht gegen die einflußreichen schlesischen Stände zu festigen und auszubauen. Die Geldnot des Herrscherhauses infolge der Türkengefahr und des Kampfes um Ungarn führte jedoch dazu, daß die Habsburger den Ständen gegenüber eine moderate Politik betrieben. So ließen sie die Ausbreitung der Reformation zu. Am Ende des Jahrhunderts bekannte sich nur noch ein Zehntel aller Schlesier zum katholischen Glauben. Nur zögerlich ließ Rudolf II. gegenreformatorische Bemühungen zu. Die schlesischen Stände wußten aber die bedrängte politische Lage des zudem entscheidungsschwachen Kaisers, die im Bruderkrieg eskalierte, zu ihrem Vorteil auszunutzen, indem sie ihm nach böhmischen Vorbild 1609 einen Majestätsbrief abrangen. Dieser garantierte ihnen größere politische Selbständigkeit gegenüber dem dominierenden Böhmen und sicherte die Gleichberechtigung der Bekenntnisse und Religionsfreiheit für jeden Einzelnen. Ausgeschlossen blieben auch hier wieder die Calvinisten. Besonders unter der geistigen Elite Schlesiens gab es starke calvinistische Strömungen, und auch mehrere Territorialherren traten im zweiten Dezennium des 17. Jahrhunderts zum reformierten Bekenntnis über. Gleichwohl war der Druck auf die Reformierten in Schlesien stark, verließen viele das Land. Matthias bestätigte 1611 den Majestätsbrief. Allerdings wurden seine Bestimmungen in der Folge immer restriktiver ausgelegt; besonders unter dem 1617 zum König von Böhmen gewählten Erzherzog Ferdinand, der ein kompromißloser Verfechter der Gegenreformation und katholischen Reform war, verstärkte sich wie auch in Böhmen der Druck auf die Stände. Zunächst änderte sich auch nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges nichts an der gemäßigten Politik des Kaisers in Schlesien. Zwar hatten die schlesischen Stände nach dem Scheitern von Vermittlungsversuchen zwischen Böhmen und Ferdinand die Wahl des pfälzischen Kurfürsten zum böhmischen König unterstützt und Friedrich V. im Februar 1620 gehuldigt. Sie verdankten nur der Fürsprache Sachsens und der noch nicht gefestigten Lage Ferdinands nach der Zerschlagung des böhmischen Aufstandes, daß ihnen mit dem Dresdener Akkord ihre ständischen Privilegien vom Kaiser weitgehend bestätigt wurden. Ferdinand bemühte sich darum, diese Vereinbarung zu wahren. Doch gewannen in den nächsten Jahren die Gegenreformation an Boden und der Kaiser an Macht in Schlesien. Aber erst der ungehinderte Durchzug Mansfelds durch Schlesien bot 1626 dem wie365
Einfuhrend in die Geschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit Petry 1988, Machilek 1990, Conrads 1994, sowie-knapp, aber prägnant - Bahlcke 2000, S. 46-73. Zur politischen Geschichte Schlesiens im Verhältnis zum Reichsverband Weber 1992.
318 der erstarkten Kaiser die willkommene Gelegenheit, sein Vorgehen zu verschärfen und die Stände weitgehend zu entmachten. Diese Entwicklung zementierte der Westfälische Friede, der auch in seinen religiösen Bestimmungen eine Niederlage der schlesischen Stände bedeutete: Die Calvinisten blieben nach wie vor ausgeschlossen, den Lutheranern wurde nur noch an wenigen Orten freie Religionsausübung zugestanden. Der Kaiser begann bald nach dem Friedensschluß unter Mißachtung dieser Bestimmungen eine bisher vom Kriege verhinderte systematische Rekatholisierung Schlesiens, der die Stände nicht mehr entgegensteuern konnten.366 In den Jahrzehnten des Ringens zwischen den selbstbewußten Ständen und den zögerlichen Kaisern erlebte der Späthumanismus eine Blütezeit. Für kaum eine Region des alten Reiches ist der Späthumanismus als Staat und Gesellschaft beeinflussende wie gleichzeitig von beiden beeinflußte geistige und politische sowie soziale Kraft mit seinen untrennbaren Verwurzelungen in der Reformation und besonders dem schlesischen Kryptocalvinismus so ausfuhrlich untersucht worden wie für Schlesien.367 Neben dem frühen Interesse für die Landeskunde und die Naturwissenschaften pflegten gerade die schlesischen Späthumanisten den Freundschafts- und Personenkult wie die Gelegenheitsdichtung 3 6 8 -und es waren gerade deshalb an erster Stelle Schlesier wie Caspar Cunrad (1571-1633) 369 oder Melchior Adam,370 die mit großen biographischen Werken der Gelehrtenrepublik bleibende Denkmäler setzten.371
366
Petry 1988, S. 70: »Die Habsburger hatten in Schlesien durch die Umwälzungen des 30jährigen Krieges in gleicher Weise auf Kosten der ständischen Machtstellung wie des Protestantismus einen bedeutenden Sieg errungen.« 367 Vgl. v.a. die Aufsätze von Fleischer 1984. Ein erster Überblick bei Lubos 1957, der allerdings »Späthumanismus« als reine Epochenbezeichnung für die schlesische Literaturgeschichte von der Reformation bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges benutzt (also die gleiche Epochenzäsur setzt wie Fleischer 1990, s. dazu oben S. 40, Anm. 137). Außerdem zum schlesischen Geistesleben Heckel/Meyer 1988 sowie die kurzen Überblicke von Bein 1981 (zum 16. Jahrhundert; dort S. 2 2 - 3 0 auch Heiduk 1981 über »Die Literatur des Humanismus, der Renaissance und der Reformation in Schlesien«) und Bein/Heiduk 1979 (zum 17. Jahrhundert); sie alle äußerst knapp und eher für ein breiteres Publikum angelegt. Die maßgebliche Literaturgeschichte nach wie vor Lubos 1995, jetzt in der zweiten, gänzlich überarbeiteten Auflage zu benutzen, für den hier interessierenden Zeitraum vgl. Bd. 1/1, S. 59-220; ein Schwerpunkt der Forschung, auch durch die gerade in letzter Zeit edierten Tagungsbände von Gerhard Kosellek (Kosellek 2000 und 2001), liegt auf der Literatur, dem literarischen Leben und ihrer beider Träger in Oberschlesien. Zum kryptocalvinistischen Einfluß auf das schlesische Luthertum Siegmund-Schultze 1960. 368 Garber 2003, S. 126, hebt drei zentrale Schrifttumsgruppen der schlesischen Späthumanisten hervor: »Hervorstechend [...] ist der Anteil an landeskundlichem Schrifttum aller Spielarten«, dann die »zuallermeist nur handschriftlich überlieferten bio-bibliographischen Kompendien, Gelehrtenviten, epistolarischen Kollektaneen, Sammelhandschriften etc.«, schließlich eine »schlechterdings unübersehbare^ Zahl von Anagramm- und Epigrammsammlungen«. Sie alle stehen in engstem Zusammenhang miteinander. Zum landeskundlichen Schrifttum bzw. der Pflege der Landeskunde in Schlesien vgl. Fleischer 1984b; einführend in die Gattung im mitteleuropäischen Kontext der Frühen Neuzeit auch Härder 1982, hier insbes. zum schlesischen Frühhumanismus der Beitrag des Herausgebers (Härder 1982a). 369
Z u i h m z u l e t z t d e r A r t i k e l v o n G a r b e r in K i l l y II, S . 4 8 6 f .
319 Mit diesen beiden Namen ist bereits auf einen für die deutsche Geistesgeschichte um 1600 grundlegenden Austauschprozeß hingewiesen, der wie kaum ein anderer die Geschichte des deutschen Späthumanismus und der neuen deutschen Kunstdichtung tief geprägt hat: die engen, durch zahllose persönliche Kontakte hergestellten Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz. »Man wird geradezu sagen können, dass zu jener Zeit Schlesier in der Pfalz kulturell und geistig treibende Kräfte und führende Köpfe waren.«372 Die Biographien der beiden eben genannten Gelehrten verdeutlichen zugleich die zwei grundsätzlichen Formen dieser gelehrten Verbindungen. Cunrad besuchte - wie auch Domau oder Opitz - Heidelberg im Rahmen seiner Bildungsreise, Adam trat als Lehrer am Heidelberger Pädagogium in kurpfälzische Dienste ein und gehörte selbst dem dortigen späthumanistischen Dichter- und Gelehrtenkreis an, dessen Kontakt auch die anderen Schlesier in der Residenzstadt suchten. Von entscheidender Bedeutung waren insbesondere die aus Schlesien stammenden Theologen für die kurpfalzische Konfessionalisierung und den irenischen Impetus der kurpfalzischen Konfessionspolitik.373 Den schlesischen Späthumanismus kennzeichnete von Anfang an eine spezifische Irenik, die zum einen Reaktion auf den status quo des politisch und konfessionell zersplitterten Landes, zum anderen Korrelat eines nationalen Bewußtseins und einer spezifischen Kaisertreue gewesen sein mag. Da der Calvinismus politisch in Schlesien keine Anerkennung besaß, wurden gerade Exulanten aus den dortigen kryptocalvinistischen Kreisen im Reich »zu Vorkämpfern einer Vereinigung von Wittenberg und Genf auf Grund der schon oft zitierten humanistischen Bibelphilologie und Patristik«.374 Einige der bedeutendsten Theologen in der Kurpfalz entstammten diesen kryptocalvinistischen Kreisen Schlesiens: Als einer der ersten trat Zacharias Ursinus, der Mitverfasser des Heidelberger Katechismus, in kurpfälzische Dienste, später waren mit Pitiscus und Scultetus nacheinander zwei Schlesier Hofprediger der Kurfürsten Friedrich IV. und V., und auch der maßgebliche Autor der kurpfälzischen Irenik, David Pareus, war ein gebürtiger Schlesier.
1.3.2.
Caspar Dornau
Die Blüte des Humanismus resultierte aus dem »Aufbau eines einzigartigen höheren Schulwesens«375 in Schlesien, das das Fehlen einer Universität ausglich. Eine dieser Lehranstalten war das 1616 in Beuthen gegründete Schönaichianum, dem allerdings nur eine kurze Lebensdauer beschieden blieb.376 370
371 372 373
374 375 376
Vgl. zu seiner Person neben den S. 69, Anm. 3, angeführten Titeln die kurzen Einträge von Kühlmann/Wiegand in Parnassus Palatinus, S. 266f., und Behnen in Killy I, S. 42f. Vgl. Fleischer 1984a, S. 21-24. Hecht 1929, S. 178. Dazu neben Hecht die Untersuchung von Bellardi 1972 fur die Regierungszeit Friedrichs III. Vgl. Fleischer 1976 (Zitat S. 95). Fleischer 1984a, S. 8. Seine Geschichte schrieb Klopsch 1818. Jetzt, zentriert auf Dornaus Wirken, heranzuziehen die Ausführungen von Seidel 1994, S. 230-337.
320 Sein Gründer Georg von Schönaich läßt wiederum jene für Schlesiens geistige Elite um 1600 so typische Orientierung am reformierten Bekenntnis erkennen, verbindet sie jedoch mit jener gleich signifikanten erasmisch-humanistischen Komponente des um Irenik, um theologischen Ausgleich bemühten Landesherrn, der sich unter solchen Vorzeichen die gedeihlichste Entwicklung auch seiner von ihm selbst ins Leben gerufenen BildungsInstitution verspricht. 377
Auch hier manifestierte sich also jene calvinistische Irenik, die die Schlesier Pitiscus und Pareus in Heidelberg propagierten, von hier pflanzte sich der »Geist des erasmischen Späthumanismus« 378 fort. Das Schönaichianum setzte sich die Ausbildung der Jugend zu Kirchen- und Staatsdienern zum Ziel und begegnete den Anforderungen des frühabsolutistischen Staatsbildungsprozesses mit der - in dieser Zeit einzigartigen - Berufung eines professor morum, der das neue Ideal des politicus, des gesellschaftlich gewandten, eleganten und gleichzeitig gelehrten, dem Prinzip der prudentia verpflichteten Beamten vermitteln sollte, der den Bedürfnissen des Fürstenstaats entsprach. Diese Konzeption ermöglichte der nobilitas litteraria, ihren gesellschaftlichen Geltungsanspruch zu behaupten. Auf diesen Lehrstuhl wurde zuerst Caspar Dornau (Dornavius) berufen. Dornau (1577-1632) hatte in Leipzig und Jena Medizin studiert und 1604 in Basel den medizinischen Doktorgrad erworben. Dorthin war er als Hofmeister eines böhmisches Adligen gelangt, den er danach auf seiner von Heidelberg ausgehenden peregrinatio begleitete, bevor er 1608 das Rektorat des Görlitzer Gymnasiums, 1615 dann die Professur am Schönaichianum übernahm. Diese quittierte er bereits 1620 wieder, um in den Dienst der schlesischen Stände zu treten und schließlich von 1621 bis zu seinem Tod Rat und Leibarzt des Herzogs Johann Christian von Brieg zu werden. Über Dornau liegt seit einigen Jahren von Robert Seidel eine der wenigen neueren Biographien eines europäischen Späthumanisten vor. Es kann deshalb darauf verzichtet werden, näher auf sein Leben und sein Werk einzugehen. Bei Dornau verbanden sich eine »genuin bürgerliche Rationalität« 379 und ein irenisch ausgerichteter Calvinismus. In mehreren Schulreden entwickelte er ein Programm, mit dem er den veränderten gesellschaftlichen Ansprüchen, die den Späthumanismus einem Legitimationsdruck aussetzten, begegnete, indem er sich von jedem Unterlegenheitsgefuhl gegenüber der Antike befreite und statt dessen die Gleichwertigkeit, ja Überlegenheit der eigenen Zeit herausstellte, die er bevorzugt mit deren technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften bewies. Diese Position ließ Dornau zu einem Gegner des Schulhumanismus, zugleich zu einem Förderer der deutschen Sprache werden. 380 Dornau war Lingelsheim in Heidelberg persönlich begegnet. Er suchte während seines halbjährigen Aufenthaltes in der kurpfälzischen Residenzstadt den 377 378 379 380
Garber 1986b, S.334f. Ebd., S. 335. Zur irenischen Haltung Schönaichs vgl. Seidel 1994, S. 232-239. Kühlmann 1982, S. 148. Dazu Kühlmann 1982, S. 136-151, 161f. u. 165-175, Garber 1986b, S. 334-337, Seidel 1994, bes. S. 320-337.
321 freundschaftlichen Umgang mit den dortigen Gelehrten.381 Briefwechsel scheinen daraus in der Folge aber nur zu Gruter und Lingelsheim erwachsen zu sein. Auch Dornau hielt also, wenngleich nur sehr sporadisch, freundschaftliche Verbindung zu den beiden bedeutendsten Gestalten des Heidelberger Späthumanismus.382 Eine Korrespondenz mit Lingelsheim scheint allerdings erst sehr spät bestanden zu haben. Lediglich zwei Briefe Dornaus aus dem Jahre 1626 sind durch Abschriften bekannt. In seinem ersten Brief empfiehlt Dornau einen jungen schlesischen Adligen dem Wohlwollen Lingelsheims, in seinem zweiten Schreiben bedankt er sich einige Monate später bei ihm für dessen freundliche Aufnahme.383 Beide Briefe entstanden also im Kontext der Bildungsreise eines jungen Gelehrten, für den Dornau den Kontakt zu einem arrivierten Vertreter der Gelehrtenrepublik herstellte, als der Lingelsheim anscheinend auch noch in seiner Straßburger Zeit galt.
1.3.3.
Martin Opitz
Die geistige Atmosphäre des Gymnasiums in Beuthen prägte auch den jungen Martin Opitz. Der 1597 in Bunzlau geborene Opitz bezog nach Schulbesuchen in seiner Vaterstadt und in Breslau, wo er die Bekanntschaft und Förderung bedeutender Gelehrter, namentlich Caspar Cunrads und Nikolaus Henel von Hennenfelds (1582-1656), erlangen konnte, im Jahre 1616 die damals fuhrende Bildungsanstalt in Schlesien.384 Am Schönaichianum trat er im Jahre 1617 mit seiner Rede Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae auf die bereits bereitete Bühne der poetischen Reform.385 Der Einfluß seiner Beuthener Lehrer, von denen neben Dornau noch Jonas Milde zu nennen ist,386 zeigte sich in dieser 381
Zum Heidelberger Aufenthalt Domaus vgl. ebd., S. 65-70. Ein Verzeichnis von Dornaus Korrespondenzen findet sich ebd., S. 457-471. Seidel kann 136 Briefe aus den Jahren zwischen 1604 und 1631 ermitteln. 383 Auch diese Briefe wieder in jeweils mehreren Abschriften in der KBK. Auf frühere, vor der Zeit der Eroberung Heidelbergs liegende Kontakte spielt Dornaus Einleitung in seinem Brief vom 26.06.1626 (REIFFERSCHEID 1889, S. 257) deutlich an. Verloren ist auch der Brief, mit dem Lingelsheim auf dieses erste Schreiben Dornaus antwortete (vgl. Dornaus Brief an ihn vom 14.12.1626 [ebd., S. 278]). 384 Aus der umfangreichen Literatur sei an dieser Stelle nur auf die beiden jüngsten, Leben und Wirken gleichsam würdigenden Arbeiten von Garber 1984 (von ihm auch die längeren Einträge in Killy VIII, S. 504-509, und NDB XIX, S. 552ff.) und Kühlmann 2001 sowie auf die grundlegende Biographie von Szyrocki 1974 verwiesen. Jetzt als gewohnt brilliante Einführung in Leben und Werk der Festvortrag anläßlich Opitzens 400. Geburtstag von Roloff 2002. Er eröffnet den nunmehr stets heranzuziehenden Tagungsband von Borgstedt/Schmitz 2002. Weiterhin die Aufsätze bei Becker-Cantarino/Fechner 1990 in der Festschrift für George Schulz-Behrend. Nur punktuell heranzuziehen Gellinek 1973. Hinzu kommt jetzt der reich bebilderte, zentrale Texte bietende und bestens kommentierte Band Opitz: Gedichte. Dankenswerterweise zur Verfugung gestellt wurde mir auch die bislang nur im Manuskript vorliegende - dezidiert den konfessionspolitischen Aspekt seiner Reform der deutschen Dichtung pointierende - Biographie von Garber 1 9 8 0 . - Z u m Verhältnis von Martin Opitz und speziell seiner Dichtungsreform zum Späthumanismus vgl. neben Kühlmann 1982 die Untersuchung von Entner 1984. 385 Text in: Opitz: Werke, Bd. I, S. 51-75. 38 « Zu ihm Entner 1984, S. 51-55; Seidel 1994, Reg. 382
322 Rede deutlich. Opitz nahm in diesem Jugendwerk bereits zwei wesentliche Argumente seiner Dichtungsreform auf: Zum einen stellte er einen Zusammenhang zwischen Muttersprache und nationaler Selbständigkeit und Größe heraus, zum anderen wollte er Belege dafür liefern, »daß es tatsächlich möglich ist, deutsche Verse auf dem Niveau der europäischen Renaissancedichtung zu schreiben, auf eine Art, bei der ein Vergleich mit dem antiken Erbe sinnvoll ist.«387 Mit seinem 1624 erschienenen Buch von der Deutschen Poeterey schuf Opitz die erste deutsche Poetik, in der aus diesem Zusammenhang heraus eine neue deutsche Dichtung begründet und zugleich legitimiert wird. Das Bemühen um die Legitimation einer exponierten Stellung von Dichtung und Dichter im frühabsolutistischen Fürstenstaat, die Betonung des Wertes der eigenen Leistung und die damit korrelierende Neudefinition des Verhältnisses zur Antike, die Erhebung der Nation zu einem identifikatorischen Wert jenseits konfessioneller Konflikte, die gleichwohl vorhandene Neigung zum Calvinismus, der gerade die Gelehrten anzog, eine Tätigkeit im Fürstendienst - das waren die Fundamente, auf denen seine Dichtungsreform gründete und auf denen er sein eigenes poetisches Werk baute. Es war zugleich auch ein >kulturpolitisches< Programm, das von der deutschen Gelehrtenrepublik aufgegriffen wurde. Opitz zeichnete sich als ein Exponent der späthumanistischen res publica litteraria aus. Seine Dichtungsreform war ein Produkt des Späthumanismus, wie er sich im konfessionellen Zeitalter herausgebildet hatte. Seine Biographie zeigt, daß der >Vater< der deutschen Dichtung dabei »in erster Linie Diplomat und erst in zweiter Linie Gelehrter und Dichter«388 war und somit als Vertreter der geistigen Elite die Postúlate des frühabsolutistischen Fürstenstaates sowohl in seinem politischen Wirken wie auch in seinem poetischen Schaffen erfüllte. Schon Opitzens erster Biograph und Zeitgenosse Coler rühmte seine politischen Fähigkeiten, die die Früchte der unter anderem in Beuthen genossenen Ausbildung zu einem gewandten politicus gewesen sein dürften. Von Beuthen wandte sich Opitz über Frankfurt an der Oder nach Heidelberg und geriet damit geradewegs in das politische und geistige Zentrum des internationalen Calvinismus, das zugleich eine Kapitale der späthumanistischen Gelehrtenrepublik war, und wo er in Kontakt mit dem jungen Dichterkreis um Zincgref und seinen Mentor Lingelsheim kam. Er gelangte gerade in dem Augenblick in die kurpfälzische Residenzstadt, als sich die Kurpfalz zum entscheidenden konfessionellen Kampf rüstete, den eine auf weitreichende Wirkung berechnete und deshalb in deutscher Sprache formulierte Publizistik vorbereitete und flankierte.389 Als wenig später der Krieg in die Kurpfalz hineinbrach, entwich Opitz 387 388
389
Entner 1984, S. 55. Garber 1984, S. 133. - Sicherlich spielte in Opitzens poetischem Werk, wie im Werk all seiner späthumanistischen Zeitgenossen, das Religiöse eine wichtige Rolle, die es ja auch im Leben der Menschen insgesamt einnahm; daß es jedoch »the prime determinant for his poetic Output« gewesen sei, wie Hacken 1976, S. 81, behauptet, ist nicht haltbar (vgl. dazu auch unten zum Einfluß Grotius die Anm. 58 auf S. 432). Daß der konfessionspolitische Kampf, der in dieser deutschsprachigen Publizistik mit der Hervorkehrung des nationalen Gedankens gegen die habsburgisch-päpstlich-spanische Allianz ausgetragen wurde, entscheidende Impulse auch filr die neue deutsche Kunstdichtung
323 nach Leiden, wo die dortige Universität ein weiteres bedeutendes Zentrum des europäischen Späthumanismus bildete. Dort lernte er Daniel Heinsius kennen, der durch seine soeben erschienenen Nederduytschen Poemata zum Protagonisten der dortigen nationalsprachlichen Dichtung geworden war. Heinsius wurde ein Vorbild fiir Opitzens seine Dichtungsreform.390 So waren es zwei wesentliche Impulse, die Opitz auf dem Weg zu seiner Reform empfing, deren Fundament aber während seines Beuthener Schulbesuchs gelegt worden war: »Opitz' Begegnung mit den Heidelbergern und seine niederländische Reise, auch die Rezeption von Heinsius' niederländischen Gedichten als Beispiel muttersprachlicher Kunstdichtung entfalten nur Ansätze, die in Beuthen programmiert waren.«391 Aus den Niederlanden kehrte Opitz nach Schlesien zurück und begann in den Diensten der Herzöge von Liegnitz und Brieg seine diplomatische Karriere, bevor er sich am Ende seines Lebens als Sekretär und Historiograph des polnischen Königs, der eine Politik des konfessionellen Ausgleichs betrieb, nach Danzig wandte. Einen scheinbaren Makel auf Opitzens Biographie warf seine langjährige Tätigkeit als Sekretär des katholischen Karl Ferdinand von Dohna (1626-1633), der als Oberlandeshauptmann der wichtigste Vertreter der Habsburger Interessen in Schlesien war - auch in dieser Position bemühte sich Opitz um eine konfessionelle Befriedungspolitik, die ganz im Zeichen späthumanistischer Irenik stand.392 Die Möglichkeiten seines Einflusses dürfen aber sicherlich nicht überschätzt werden.393 Seine Kontakte zur res publica litteraria blieben intakt, Freunden wie Lingelsheim versicherte er: »Esse mihi eundem, qui olim, animum patriae partiumque bonarum studiosissimum«.394 Neben seinen Ämtern fand Opitz immer genügend Zeit für seine literarischen Ambitionen,395 sein Ruhm als Dichter wuchs unaufhörlich, was seinen Ausdruck zum einen in seiner Krönung zu einem kaiserlichen Poeten (1625) und der bald folgenden Nobilitierung (1627), zum anderen durch die Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft als »der Gekrönte« (1629) fand. In diesen Jahren unterhielt Opitz mit seinem ehemaligen Hauspatron und Förderer Lingelsheim eine Korrespondenz, von der sich heute noch 16 Briefe in
390
391 392 393
394 395
bot, ist bereits oben S. 35f. ausgeführt worden, vgl. dort auch die Anm. 118f. zitierten Studien von Garber sowie das S. 197, Anm. 114, wiedergegebene Zitat. Zum Einfluß des Heinsius auf die Dichtung und Dichtungstheorie Opitzens vgl. Muth 1872 sowie die Arbeiten von Weevers 1938, 1938a, 1939. Inwieweit Opitz in seinem »Trostgedichte« über Heinsius von der neostoizistischen Lehre beeinflußt wurde, untersucht Becker-Cantarino 1990. Vgl. Kühlmann 1982, S. 150. Vgl. Garber 1984, S. 126-130. Daß Opitz in dieser Zeit eben als Diplomat handelte und sich anzupassen hatte, betont auch Kühlmann 2001, S. 62f.; hier jedoch wird er zum einen auf Basis seiner poetischen Werke jener Zeit als eher »unsicherer politischer Kantonist« bewertet, dessen Einflußmöglichkeiten zum anderen als nicht sehr groß angedeutet werden, denn er »hatte sich anzupassen, wahrscheinlich in dem Willen, das Unvermeidliche glimpflich zu gestalten und das politisch Unabwendbare wenigstens im Gedanken an eine friedenssichemde, Mord und Greuel vermeidende Ordnung zu rechtfertigen.« So Opitz an Lingelsheim, 14.06.1630 (REIFFERSCHEID 1889, S. 407). Vgl. den Brief von Opitz an Lingelsheim vom 08.11.1630 (ebd., S. 421).
324 Abschriften erhalten haben, die sich ohne Ausnahme in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen befinden und alle nach den dortigen Handschriften in die Reifferscheidsche Edition aufgenommen worden sind. 396 Briefe Lingelsheims sind nicht überliefert. Bisher sind auch keine Zeugnisse bekannt, die darauf hinweisen, daß die Korrespondenz zwischen Lingelsheim und Opitz vor dem Jahr 1624 einsetzte. Der früheste Brief Opitzens datiert vom 28. Dezember des Jahres. Sollten wirklich vorher keine Briefe zwischen beiden gewechselt worden sein, gewänne der Beginn dieser Korrespondenz eine wichtige Bedeutung, da sie dann im direkten Zusammenhang mit Opitzens Reformbemühungen stände — war doch soeben in Straßburg die Zincgrefsche Ausgabe der Teutschen Poemata im Kreise um Lingelsheim und Bernegger entstanden, die dem Dichter so sehr mißfiel. In seinem ersten erhaltenen Brief, der offenbar auf ein Schreiben Lingelsheims antwortete, beeilt sich Opitz dann auch von seinen eigenen Bemühungen um die Veröffentlichung seiner Gedichte und seiner Poetik zu berichten: »Reliqua poematia sub censuram voco, et plus quam dimidia parte augeo, atque in tres sylvarum, duos odarum, et tres itidem epigrammatum libros distinguo. Iam sub incude typographi est libellus de re poetica Germanorum, qui cum huc advenerit, mittam.« 397 Mit der Zusendung seiner Poetik, des Buchs von der Deutschen Poeterey, wollte Opitz also seinem einstigen Patron seine Fortschritte auf dem Gebiet der deutschen Dichtung seit seiner Heidelberger Zeit demonstrieren. Daß Lingelsheims Einfluß auf Opitzens literarisches Werk und auf die Entwicklung seiner poetischen Theorie höchstens ein mittelbarer gewesen sein dürfte, wurde bereits dargelegt. Der Schlesier fühlte jedoch Zeit seines Lebens eine tiefe Verbundenheit zu dem wesentlich älteren Heidelberger. Diese brachte Opitz mehrfach deutlich zum Ausdruck: so in der Widmung des siebten Buchs seiner Acht Bücher Deutscher Poematum (1625), die sozusagen die repräsentative Bilanz seines bisherigen Schaffens darboten; so in dem Epicedium auf Lingelsheims Sohn Jakob, das eine große Vertrautheit mit dem Hause Lingelsheim erkennen läßt; so auch mit seinem Besuch in Straßburg im Jahre 1630 im Rahmen seiner diplomatischen Mission für Dohna, der vor allem Lingelsheim galt. 398 Eine Korrespondenz Opitzens mit Lingelsheim ist bis zum 4. März 1632 erhalten. 399 Ob weitere Briefe folgten oder ob die Veränderungen der persönlichen Verhältnisse, die Opitz wieder in die Dienste der Herzöge von Liegnitz und Brieg und Lingelsheim zurück nach Heidelberg führten, das Band zerrissen, ist nicht zu entscheiden. Der Schwerpunkt ihrer Korrespondenz lag zwischen dem 396
Die Korrespondenz zwischen Opitz und Lingelsheim wertet Szell 1981, S. 111-121, für die Biographie Opitzens und im Hinblick aufsein persönliches Verhältnis zu Lingelsheim aus.
397
O p i t z an L i n g e l s h e i m , 2 8 . 1 2 . 1 6 2 4 (REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 2 0 3 ) .
398
Zu den hier angedeuteten Verbindungen Opitzens zum Hause Lingelsheim vgl. mit den entsprechenden Nachweisen oben S. 199ff. REIFFERSCHEID 1889 nimmt für Opitzens Briefe an Lingelsheim seit 1628 konsequent eine Datierung nach dem gregorianischen Kalender an; mit Ausnahme des Briefes vom 14.06.1630 aus Paris nannte Opitz jedoch nie, ob er sich nach dem neuen Stil, der in Frankreich eingeführt worden war, richtete. Im Verzeichnis im Anhang wird deshalb die Datierung nach dem julianischen Kalender durchgehalten.
399
325 Juli 1629 und dem Mai 1631, also um die große Paris-Reise Opitzens herum. Neben den Berichten über seine eigenen literarischen Arbeiten nehmen politische Nachrichten viel Raum in diesen Briefen ein. Über Opitz erfuhr Lingelsheim aber auch Neues von seinen Pariser Freunden, mit denen er zu dieser Zeit selbst keine Briefkontakte mehr unterhielt. 1.3.4.
Bernhard Wilhelm Nüssler
Opitz war der einzige nennenswerte schlesische Korrespondent Lingelsheims, dessen Kontakte zu den dortigen kryptocalvinistischen Gelehrtenkreisen bemerkenswert gering waren. Zwar ist auch hier wieder von Briefverlusten, die das Bild verfälschen können, auszugehen, wie das Beispiel eines frühen Briefes Lingelsheims zeigt, den er bereits 1582 an den Hofrat der Herzöge von Liegnitz, Brieg und Wohlau Jakob Monau sandte und auf den er sicher eine Antwort erhielt.400 Doch eine engere Verbindung mit den schlesischen Späthumanisten scheint über einzelne sporadische Kontakte hinausgehend nicht bestanden zu haben. Wenn auch zwischen der Kurpfalz und Schlesien zahlreiche geistige und personelle Verbindungen bestanden, so orientierte sich Lingelsheim doch sehr viel mehr im oberrheinischen und westeuropäischen Raum der res publica litteraria. Lediglich zum Umkreis um Opitz, also zur jüngeren Generation der schlesischen Späthumanisten, besaß er einige Kontakte. Zu den nahen Freunden Opitzens zählte seit ihrer gemeinsamen Bunzlauer Schulzeit der 1598 in Friedland geborene Bernhard Wilhelm Nüssler.401 Opitz verewigte ihn zusammen mit Venator in seiner Schäfferey von der Nimfen HercinieAm und verknüpfte so poetisch noch einmal »das seinen Werdegang bestimmende Schicksal Schlesiens und der Pfalz«.403 Nach dem Studium der Jurisprudenz in Frankfurt an der Oder und einer Tätigkeit als praeceptor im Hause eines Liegnitzschen Rates war Nüssler in die Dienste der Herzöge von Liegnitz und Brieg getreten, in denen er bis zu seinem Tode (1643) verblieb. Die Piastenhöfe bildeten damals das Zentrum der neuen Kunstdichtung in Schlesien, auch Czepko und Scherffer von Scherffenstein wirkten dort zu Lebzeiten Nüsslers.404 Dieser verfaßte neben neulateinischen Casualcarmina zahlreiche deutsche Gelegenheitsgedichte, die ihn als Opitzianer ausweisen.405 400 Vgl. dazu das Schreiben Monaus an Sebisch, das oben, S. 89 in Anm. 31, zitiert wurde. 401
Vgl. Cunrad: Silesia Togata (1706), S. 203, außerdem Schulz-Behrend in Opitz: Werke, Bd. I, S. 30ff., Garber in Killy VIII, S. 478. 402 Text in Opitz: Werke, Bd. IV/2, S. 508-578. Es sei nur angemerkt, daß Opitz hier in einem Atemzug Casaubon, Thuanus und Scaliger als die großen Vorbilder des »Musenvolck[s]« bezeichnet (S. 556); sie alle waren bereits lange zuvor verstorben, dem Schlesier, der keinen von ihnen persönlich gekannt haben kann, sind sie dennoch so bedeutend, sie hier zu nennen: Das zeigt nicht nur eine deutliche Verankerung Opitzens in der Tradition der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, sondern es läßt durchaus auch vermuten, hier ebenfalls Lingelsheim, der mit allen Genannten in engem Kontakt stand, als die Vermittlergestalt dieser gelehrten Tradition zu sehen. 4 °3 Kühlmann 2001, S. 69. 404 Eine einschlägige Untersuchung zur kulturellen Bedeutung der Piastenhöfe steht von der Habilitation von Ewa Pietrzak zu erwarten; sie trägt den Arbeitstitel »Höfische Literatur
326
Im Mai 1631 trat Nüssler mit einem Brief an Lingelsheim heran, mit dem er - ganz in der Tradition der späthumanistischen Gelehrtenkomniunikation die Aufnahme einer Korrespondenz einzuleiten wünschte. In diesem Brief, dem einzigen Zeugnis einer Korrespondenz zwischen ihnen, reputiert er sich durch seine Bekanntschaften mit den übrigen Schlesiem, die mit Lingelsheim in Kontakt standen, namentlich mit Czepko und Coler, die beide in Straßburg bei Bernegger studiert hatten und dort auch dem berühmten Heidelberger Exulanten persönlich vorgestellt worden sein dürften, und natürlich mit Opitz.406 Ein Briefwechsel kam zwischen Lingelsheim und Nüssler offenbar jedoch nicht zustande, weitere Zeugnisse einer Korrespondenz fehlen.
1.3.5.
Christoph Coler
Nach dem Zerfall des Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises und dem Ausfall der kurpfälzischen Universität war Straßburg für die junge schlesische Dichtergeneration das wichtige kulturelle Zentrum am Oberrhein geworden.407 Lingelsheim, der »Nestor«408 des zerstobenen kurpfalzischen Dichter- und Gelehrtenkreises, der Förderer und Freund ihres großen Landsmannes und Vorbildes Opitz, war neben Bernegger die zweite große Gestalt des oberrheinischen Späthumanismus, dessen Kontakt von den Schlesiern gesucht wurde. Über ihn verlief der geistige Brückenschlag der späthumanistischen Gelehrtentradition zwischen dem im Kriege versunkenen Heidelberg und dem aufblühenden Schlesien. Welchen Stellenwert Lingelsheim von den Schlesiern eingeräumt erhielt, zeigte sich auch in einer Gelegenheitsschrift, die im Jahre 1639 Christoph Coler von seinen schlesischen Freunden anläßlich seiner Ernennung zum Bibliothekar der Magdalenaeums-Bibliothek in Breslau überreicht wurde.409 Sie versammelt in ihrem ersten Teil epistolarische und poetische Beiträge von Tscherning,410 Opitz, Nüssler, Andreas Senftieben, daran anschließend dann »Epistolas & Carmina olim ad CL. Colerum nostrum a viris magnis«.411 Dieser
405
im Zeitalter des Barock. Die Piastenhöfe als kulturelle Zentren Schlesiens im 17. Jahrhundert.« Ich danke Frau Dr. Pietrzak für wichtige Hinweise nicht nur zu diesem Kapitel meiner Arbeit. Einzelne Zeugnisse verstreut in den Werken von Martin Opitz, vgl. im einzelnen Opitz: Werke, Bd. I, S. 32f. u.ö., Opitz: Weltliche Poemata, S. 41f. u.ö., sowie deutsche Beispiele bei Fallersleben/Schade 1856, S. 147-150.
406
N ü s s l e r a n L i n g e l s h e i m , 1 5 . 0 5 . 1 6 3 1 (REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S . 4 6 0 ) .
407
Zur Frequenz schlesischer Studenten an der Straßburger Universität im Dreißigjährigen Krieg vgl. Schulze 1926, S. 37ff. Die wichtigste Gestalt, deren N a m e Schlesier nach Straßburg zog, war Bernegger, der schlesischen Studenten stets hilfreich zur Seite stand. So Coler in seiner Lobrede auf Opitz, vgl. Lindner: Umständliche Nachricht ( 1 7 4 0 - 4 1 ) , Bd. I . S . 6 1 .
408
409
COLER [1639],
410
Dieser erwähnt in seiner deutschsprachigen »Ode« (ebd., Bl. Biv v -Cij v ) unter den Förderern Colers auch Lingelsheim: » W a n n wird Lingelshem gelesen? Hielt dich dieser Mann nicht hoch?« (Bl. Ci v ). Ebd., Bl. Cij v .
tu
327 Teil wird angeführt von dem Auszug eines Briefes Lingelsheims an Coler vom 25. August 1629. Auch hier springt die enge Verbindung zwischen Schlesien und dem Oberrhein wieder ins Auge, denn außer Lingelsheim - und bezeichnenderweise nach ihm - sind hier Gruter, Bemegger und Zincgref vertreten.412 Lingelsheims hier abgedrucktem Brief ist zu entnehmen, daß er auf ein Schreiben Colers reagierte. Einen weiteren Brief Lingelsheims, wahrscheinlich aus dem Jahre 1630, präsentiert Reifferscheid in seiner Edition. Auch hier bedankt sich Lingelsheim wieder für vorangegangene Zeilen des Schlesiers. Offenbar verband Lingelsheim mit dem 1602 in Bunzlau geborenen Coler eine lose Korrespondenz, die ursprünglich umfangreicher gewesen sein muß. Coler hatte nach Schulbesuchen in seiner Vaterstadt und des Elisabeth-Gymnasiums in Breslau das Studium der Jurisprudenz in Straßburg (1624) aufgenommen und war von dort nach Schlesien zurückgekehrt.413 Seine beiden Briefe stammen aus den Jahren nach seiner Rückkehr. In dieser Zeit schlug er sich mit verschiedenen Hauslehrerstellen durch.414 Erst 1634 fand er in Breslau als Professor am Elisabeth-Gymnasium und später zusätzlich als Bibliothekar ein Auskommen bis zu seinem Tode im Jahre 1658. Als Lehrer trat Coler, dessen Name in der Literaturgeschichte mit seiner großen Opitz-Lobrede verbunden bleibt, als Verfasser von Schulactus, als Übersetzer - unter anderem von Grotius' Über die Wahrheit der Christlichen Religion415 - und als Gelegenheitsdichter in Erscheinung.
1.3.6.
Albert von Sebisch
Ebenfalls in Straßburg hatte Albert von Sebisch studiert.416 Die dortige Universität war eine Station des schlesischen Adligen, dessen Vater ebenfalls in Diensten der Piastenherzöge stand, auf seiner Kavalierstour. Diese führte ihn weiter nach Paris, Saumur und Leiden. Aus Paris richtet Sebisch einen Brief an Lingelsheim, der erkennen läßt, daß er sich dort im Umkreis von dessen Freunden Grotius und Jean Hotman bewegte.417 Über Sebisch ist kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Unter den Mitgliedern der Familie, die Pusch aufzählt, taucht sein Name nicht auf; ebensowenig ist er von dem für die schlesischen Gelehrten so zuverlässigen Cunrad erwähnt.418 Soweit es die bei Reifferscheid aus den Ko-
412
413
414 415 416 417 418
Auch hier ist es für die Bedeutung, die in Schlesien den Heidelberger Späthumanisten zugewiesen war, überaus aufschlußreich, daß gerade ihre führenden Vertreter so reich präsentiert waren. Für Coler liegt von Hippe 1902 eine (freilich dringend zu ergänzende) Biographie vor, die ihn v.a. als Dichter würdigt. Zu ihm als deutscher Dichter vgl. auch Kosellek 1959 und das Urteil bei Newald 1967, S. 174. Weiterhin Garber in Killy VI, S. 423f. Auch Cunrad: Silesia Togata (1706), S.43. Vgl. Hippe 1902, S. 21f. Dazu Gellinek 1980. Vgl. Knod, Bd. II, S. 225 (für 1629). Sebisch an Lingelsheim, 12.04.1631 (REIFFERSCHEID 1889, S. 449). Vgl. Pusch, Cunrad: Silesia Togata (1706). Ob es sich um einen weitläufigen Verwandten des bereits erwähnten Straßburger Professors Melchior Sebisch (1539-1625) handelt, ist ungewiß; dieser war nach Pusch (S. 174) ebenfalls adliger Abstammung; vgl. dazu aber
328
penhagener Handschriften versammelten wenigen Briefzeugnisse erkennen lassen, stand Sebisch in Kontakt mit dem schlesischen Freundeskreis um Opitz. Wie Coler hatte auch er in Straßburg Zugang zu Bernegger und Lingelsheim gewonnen. 4 " Es war eben gerade dieser Opitzsche Freundeskreis, für den Lingelsheim in seiner Straßburger Zeit ein wichtiger Ansprechpartner in der Gelehrtenrepublik blieb; wegen ihm und Bernegger war die Reichsstadt eine wichtige Station für die jungen Schlesier während ihrer Studien bzw. peregrinationes.
1.4.
Straßburg
1.4.1.
Einleitung
Straßburg gehörte im 16. Jahrhundert nicht nur zu den bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich prosperierendsten freien Reichsstädten, sondern war auch das unbestrittene Zentrum des Humanismus und Protestantismus am Oberrhein.420 Hier hatte sich, begünstigt von einem blühenden Buchdruck, früh eine reiche humanistische Gelehrtenkultur entfaltet. Mit dem 1538 von Johannes Sturm gegründeten Gymnasium illustre stand eine ganz dem humanistischen Bildungsideal verpflichtete Lehranstalt einem reichsstädtischen Bürgertum zur Verfügung, das die Bedeutung humanistischer Bildung für die Festigung seiner eigenen politischen und sozialen Position erkannt hatte.421 Die Reichsstädte waren von Anfang an eine der Säulen der Reformation in Deutschland gewesen, wobei sich die Rezeption der neuen Lehre mit politischen und sozialen Umwälzungen innerhalb des städtischen Raumes, deren Anfänge im späten Mittelalter lagen, unauflöslich verknüpfte. Die Streitigkeiten zwischen einer ihre sittliche und geistliche Autorität verlierenden Kirche und den auf eine Verdichtung ihrer rechtlichen Kompetenzen über Bürger und Nicht-Bürger bedachten städtischen Räten wuchsen in ökonomischen und recht-
419 420
421
die Vorbehalte von Schmilewski 2000, S. 360, Anm. 13. So weiß ich nur zu verweisen auf die verstreuten Nachrichten bei REIFFERSCHEID 1889, S. 854, 868 u. 889. Vgl. ebd., S. 889. Maßgeblich fur die nachfolgenden Ausfuhrungen zur Geschichte Straßburgs zur Lebenszeit Lingelsheims ist die Stadtgeschichte von Livet/Rapp 1980-82, für unseren Zeitraum die Bde. II (Strasbourg des grandes invasions au XV!" siècle) und III (Strasbourg de la Guerre de Trente Ans a Napoléon, 1618-1815). Als erste Einführung bestens geeignet Rapp 1993 und jüngst Brendle 2002. Zur demographischen, ökonomischen und sozialen Situation in Straßburg von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts der Band von Kintz 1984. Die Straßburger Literatur vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert wird in Längsschnitten von Schedl 1996 untersucht; diese Arbeit bietet ein Beispiel dafür, wie eine regionale Literaturgeschichtsschreibung aussehen könnte, die ihrem Charakter nach natürlich nicht mehr als eine Einführung bieten kann; ob dieses Thema indes im Rahmen einer Promotion zu bewältigen ist, mag dahin gestellt bleiben: Schedl, das ist deutlich zu erkennen - und anzuerkennen - hat sich intensiv in das Thema eingearbeitet, wie nicht nur das beeindruckend umfangreiche Literaturverzeichnis zeigt; sie versteht es, die richtigen Schwerpunkte zu setzen, verbleibt aber doch vielfach zu oberflächlich. Zu dem hier interessierenden Zeitraum vgl. S. 2 2 0 - 2 7 5 , 2 9 2 - 3 4 7 . S. dazu auch oben S. 87f.
329 liehen Konflikten.422 Auch der Straßburger Rat sicherte sich in diesem Prozeß das Kirchenregiment.423 Dabei besaß die Straßburger Reformation ein spezifisches Gepräge. Die geographische Lage der Reichsstadt begünstigte nicht nur enge politische Kontakte zur Eidgenossenschaft, sondern auch die Aufnahme der von dort ausgehenden reformatorischen Gedanken.424 Der oberrheinischen Reichsstadt wuchs eine bedeutende Vermittlerrolle zwischen den miteinander um Lehrinhalte und Abendmahlsfrage ringenden reformatorischen Führern zu. Martin Bucer, seit 1523 Prediger in Straßburg und die große Gestalt der dortigen Reformation, versuchte eine Verständigung der auseinandergleitenden Richtungen herzustellen, ein Bemühen, das sich auch in der von ihm verfaßten Confessio Tetrapolitana ausdrückte.425 Unter seinem Einfluß wurde Straßburg »eine Art religiöser Mittelpunkt, wo in einer Atmosphäre relativer Toleranz Männer aller Sekten und aller Tendenzen zusammenkamen«.426 Doch seit der Annahme des Interims, die Bucer zum Wechsel nach England bewegte, gewannen die lutherischen Kräfte in der Reichsstadt zunehmend an Einfluß.427 Die reformierte Minderheit geriet dagegen unter immer stärkeren Druck. 1563 wurden der calvinistische Gottesdienst untersagt, 1578 der Anschluß an die Konkordienformel vom orthodox-lutherischen Kirchenkonvent betrieben.428 Zwar behielt der Rat gegenüber der reformierten Minderheit eine tolerante Haltung bei und forderte aus ökonomischen Gründen durchaus die Aufnahme vermögender Calvinisten in die Bürgerschaft. Einflußreiche Ämter, wie sie um 1600 noch Paul Hochfelder oder Josef Junta bekleidet hatten, standen den Reformierten zu Anfang des 17. Jahrhunderts aber nicht mehr offen.429 Zwischen Lingelsheims patria und der Kurpfalz bestanden im 16. Jahrhundert enge Verbindungen. Prediger aus der Reichsstadt hatten maßgeblich an der Einfuhrung der Reformation in der Kurpfalz unter Ottheinrich mitgewirkt. Als sich die Waage in der Kurpfalz jedoch immer weiter auf die Seite der schweizerischen Reformierten neigte, sich in Straßburg dagegen unter dem Einfluß des 422
Die Literatur zu diesem Komplex ist nahezu unüberschaubar. Zur Entwicklung der Stadt mit aller Literatur vgl. den Band von Schilling 1993a. Zum Zusammenhang von Reformation und Entwicklung der städtischen Gesellschaft vgl. mit jeweils zahlreichen Einzelstudien die Sammelbände von Ehbrecht 1980, Petri 1980. Vgl. auch die oben in Teil I, Kap. 2.1., Anm. 9f. und 18 angeführte Literatur zu Straßburg. 423 Zur Straßburger Kirchengeschichte vgl. die oben S. 88, Anm. 24, genannte Literatur. Eine schöne Einführung in die Geschichte des Christentums, nicht der Institution Kirche, im Elsaß bietet Vogler 1994, fur den hier behandelten Zeitraum S. 59-125. 424 Auch später blieben die politischen Kontakte Straßburgs zur Eidgenossenschaft eng, es bemühte sich Ende des Jahrhunderts sogar um Aufnahme in diese und schloß 1588 einen Bund mit Bern und Zürich, vgl. Meister 1894. 425 Neben Greschat 1990 vgl. die Beiträge von Dienst 1992 und Neuser 1992 in dem ganz im Zeichen von Bucers 500. Todestag stehenden Ebemburg-Heft von 1992 als kurze Gesamtwürdigungen seines reformatorischen Schaffens am Oberrhein. 426 Lecler 1965, Bd. I, S. 254. Vgl. zum in Straßburg vor der Jahrhundertmitte durch das Interim und schließlich den Augsburger Religionsfrieden abgebrochenen »esprit libéral« auch Dollinger 1953 (Zitat S. 241). 427 Adam 1922, S. 277. Zu Bucers Haltung gegen das Interim vgl. Bellardi 1980. 428 Ygi etwa auch den oben geschilderten Fall Diebolt Lingelsheims (S. 90f.). 429 Zu ihnen und ihrer Laufbahn vgl. Fuchs 1980, S. 11-17.
330 mächtigen Präsidenten des Kirchenkonvents Johann Marbach ein Abweichen vom vermittelnden Weg der Confessio Tetrapolitana zu einer orthodox-lutherischen Kirche abzeichnete, kühlten die Beziehungen ab. Allerdings blieb der Rat, der sich in seinen politischen Entscheidungen weitgehend vom Einfluß seiner radikalen Theologen freizumachen verstand, ein wichtiger Partner für die nahen Heidelberger Kurfürsten, besonders im langjährigen Konflikt um das Domkapitel. Straßburgs exponierte geographische Lage an wichtigen militärischen Marschrouten, sein bedeutender Territorialbesitz und seine wirtschaftliche Macht ermöglichten zwar dem Rat, eine relative Unabhängigkeit vom Kaiser zu behaupten, doch wie die anderen oberdeutschen Reichsstädte auch wahrte man eine weitgehende reichspolitische Neutralität. Der Beitritt zur protestantischen Union, zu dem sich Straßburg wie Nürnberg und Ulm unter der Bedingung eines rein defensiven, nicht gegen den Kaiser gerichteten Bündnisses entschlossen hatte, änderte nichts an der vorsichtig lavierenden Reichspolitik des Rates. Die böhmischen Pläne Friedrichs V. erfuhren von Straßburger Seite keine Unterstützung. Ihr Scheitern am Weißen Berg veranlaßte die Reichsstadt schließlich am 24. März 1621 zum Austritt aus der Union.430 Sie wurde dafür vom Kaiser mit einer Bestätigung ihrer Privilegien und der Erhebung der Akademie zur Universität belohnt. Mit der Gründung der Universität, hervorgegangen aus dem Gymnasium und der nachmaligen Akademie, die während des 16. Jahrhunderts die tragende Säule eines blühenden Humanismus gewesen waren, wurde Straßburg nach dem Zusammenbruch des Heidelberger Kreises zum alleinigen Zentrum des oberrheinischen Späthumanismus. Seine neutrale Linie gab der Rat erst auf, als der durch militärische Erfolge gestärkte Kaiser mit dem Restitutionsedikt die katholische Politik im Reich verschärfte. Nachdem zunächst ein Bündnis mit Schweden geschlossen worden war (Heilbronner Bund), suchte Straßburg bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges intensiv die Nähe Frankreichs, sogar Pläne eines Anschlusses wurden erwogen.431 Lingelsheims Kontakte in die Reichsstadt gestalteten sich über die fast vier Jahrzehnte seiner Tätigkeiten in kurpfälzischen Diensten überaus eng. Als Oberrat war er mehrfach mit den Straßburger Angelegenheiten betraut gewesen. In der Reichsstadt lebten Teile seiner Familie, hier lebten aber auch zahlreiche enge Freunde von ihm. Dazu gehörten der Syndikus und spätere Stadtschreiber Paul Hochfelder (um 1540-1600), einer der letzten Reformierten in herausragenden politischen Ämtern der Reichsstadt, den Lingelsheim vergeblich in kurpfalzische Dienste zu ziehen versuchte,432 oder der Juwelier und Bankier René
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432
Vgl. zur Phase der Neutralität die Darstellung von Jacob 1899. Zu diesen Plänen, die besonders von Josias Glaser verfolgt wurden, vgl. Reuss 1869, Reuss 1902. Bereits nach dem Prager Frieden wurde Beraeggers Sohn Caspar zu offiziellen Verhandlungen mit Frankreich entsandt, vgl. Kelter 1905, S. 65-68. Zum Dreißigjährigen Krieg im Elsaß die große Darstellung von Ellerbach 1912-28. Zu ihm Sitzmann I, S. 783, NDBA XV, S. 1608f., vgl. auch Press 1970, Reg. Zu Lingelsheims Verhandlungen mit Hochfelder über einen Eintritt in kurpfälzische Dienste s. oben S. 118f. Zu Hochfelders Tod vgl. Lingelsheims Briefe an Junta, 19.04.1600 (AYRMANN 1746, S. 551), und an Gentiiis, 04.05.1600 (MLEG 1701, S. 104f.). Auch mit Hochfelder
331
Graviseth (1560-1641), 433 dessen Sohn Jakob von Lingelsheim in seinem Heidelberger Haus erzogen wurde und der später die Bongarssche Bibliothek erbte. Mit beiden bestanden - wie diversen Briefen Lingelsheims an Bongars und Junta zu entnehmen ist - Korrespondenzen, von denen sich keine Zeugnisse mehr erhalten haben. Nicht nur deshalb ist davon auszugehen, daß die erhaltenen Straßburger Korrespondenzen nur einen Teil der Briefkontakte Lingelsheims in die Reichsstadt darstellen.
1.4.2.
Johann Lobbetius
Eine bedeutende Rolle im Leben Lingelsheims nahm Johann Lobbetius ein. Dieser war ein enger Freund der Familie Lingelsheim, er hatte Georg Michael den Kontakt zu Languet vermittelt und sein Studium in Basel - offenbar auch finanziell - gefördert.434 Aus dieser Zeit stammte auch der einzige erhaltene Brief von Lobbetius an Lingelsheim. Doch lassen verstreute Hinweise in der Korrespondenz erkennen, daß Lobbetius bis kurz vor seinem Tode mit diesem korrespondierte und ihn mit Nachrichten aus der Reichsstadt versorgte.435 Er verfugte anscheinend über gute Verbindungen in die späthumanistische Gelehrtenrepublik, besonders Languet und Sturm, aber auch Giphanius, Monau, François Hotman und Bongars zählten zu seinen Freunden, mit denen er Briefe wechselte.436 In Lobbetius scheint uns die Person zu begegnen, die den jungen Georg Michael Lingelsheim bei seinen ersten Schritten in der Gelehrtenrepublik protegierte. Als Lobbetius Ende Juli oder Anfang August 1601 im Hause von Lingelsheims Eltern verstarb, beklagt dieser den Tod seines »alterius parentis«,437 dem er zu verdanken habe, »quicquid unquam boni in vita mihi contigit«.438 Sein offenbar nicht unbedeutendes Vermögen vermachte Lobbetius Georg Michael Lingelsheim und seinen Geschwistern. Die Abwicklung der Erbschaftsangelegenheit gestaltete sich jedoch schwierig. Lingelsheim beauftragte Joseph Junta mit der Wahrung seiner Interessen und der seiner Geschwister,439 was sich als notwendig erwies, weil, wie er seinem Freund berichten muß, der Magistrat Ansprüche erhöbe, »a nobis redimere usumfructum Lobbetianum«.440
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stand Lingelsheim in Korrespondenz, so teilt er am 18.10.1599 Bongars mit, von jenem einen Brief erhalten zu haben (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 228 r ). Zu ihm Hagen 1878, S. 158-162. Zum Streit um das Bongars-Erbe s. unten Kap. 2.2.5. Darauf weist der Widmungsbrief Lingelsheims in seiner Basier Dissertation (Lingelsheim: Theses De Solvtionibvs [1583], Bl. A l v ) hin. So heißt es in Lingelsheims Brief an Loefen vom 18.11.1597 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 240'): »Mitto tibi noua Argentinensia a Lobbetio missa, inclusa.« Vgl. die Nachweise bei REIFFERSCHEID 1889, S. 687. Briefe von Hotman an ihn in HOTMAN 1700. Als Lingelsheim am 26.02.1602 von Junta erbittet, ihm Briefe an den Verstorbenen zu übergeben, wußte er v.a. von einer Korrespondenz mit Bongars und Languet (AYRMANN 1746, S. 577f.). Mit Empfehlung des Lobbetius hatte sich Lingelsheim offensichtlich auch an Jakob Monau gewandt; vgl. dazu oben, S. 89, Anm. 31. Lingelsheim an Junta, 02.08.1601 (AYRMANN 1746, S. 561). Lingelsheim an Junta, 09.08.1601 (ebd., S. 564). Vgl. bes. Lingelsheims Brief an Junta vom 08.12.1601 (ebd., S. 570f.). Lingelsheim an Junta, 24.01.1602 (ebd., S. 575).
332 Dieser Rechtshändel durchzieht nahezu die gesamte Korrespondenz mit Junta.441 Er schwelte offenbar noch Jahrzehnte später: So findet sich unter den Akten des Archive municipale de Strasbourg die Eingabe Anna Christine Hebers aus dem Jahre 1636, mit der sie den Rückstand ihrer Leibrente, die ihr Bruder für sie im Namen Lobbetius' ausgesetzt hatte, beanstandete.442 Die biographischen Nachrichten über Lobbetius fließen spärlich, sein Name fehlt in den Nachschlagewerken. Doch läßt sich aus verschiedenen Quellen sein Lebenslauf zumindest in Umrissen rekonstruieren. So hat sich seine Leichenpredigt erhalten, der die akademische Einladung zu seinem Begräbnis angehängt ist.443 Dieser Leichenpredigt, den Anmerkungen Reifferscheids,444 aber auch der Forschungsliteratur über Sidney und Languet445 können die wesentlichen Informationen entnommen werden. Demnach wurde Lobbetius 1524 in Valenciennes geboren.446 Nach Studien in Löwen und Ferrara,447 die wohl der Jurisprudenz gewidmet waren,448 wandte er sich nach Straßburg. In welcher Tätigkeit er in der Reichsstadt stand, ist unklar. Nachzuweisen ist lediglich, daß Lobbetius längere Zeit als Gesandter verschiedener Reichsstädte in Paris wirkte.449 Auf jeden Fall hatte er sich in Straßburg die Hochachtung des Magistrats und der Akademie erworben, lud doch letztere ihre Angehörigen zu seinem Begräbnis, obwohl er nicht dem Lehrkörper angehörte.
1.4.3.
Josef Junta
Auch über Joseph Junta finden sich nahezu keine Nachrichten in der Literatur; in den für das Elsaß in Frage kommenden biographischen Lexika fehlt sein Name bis heute. Das verwundert umso mehr, als er als Stadtschreiber ein äußerst einflußreiches Amt ausübte.450 Immerhin findet sich in der Bibliothèque Natio-
441 442
443
444 445
446 447
Erst 1611 zeichnete sich eine Lösung ab. Vgl. den Brief vom 12.08.1611 (ebd., S. 613). AMS: IV 72, Bl. 51 f. Interessanterweise fällt diese Auseinandersetzung in das aus seinen Briefen erschlossene Todesjahr Lingelsheims - das auch so bestätigt zu werden scheint. Beide Texte finden sich in einem Sammelband der Leichenpredigten von Bartholomäus Nasser (1560-1614), Pfarrer und Probst an St. Thomas in Straßburg (Nasser: Klaghauß (1623), S. 163-175. Den Hinweis darauf verdanke ich Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann. Vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 687; dort allerdings als Geburtsort Bischofsweiler genannt. Insbes. der Edition der Sidney-Languet-Korrespondenz von BRADLEY 1912; vgl. außerdem die Biographien von Hay 1984 und Nicollier-de Weck 1995. Erwähnung findet Lobbetius auch bei Lingelsheim 1922, S. 24. Vgl. Nasser: Klaghauß (1623), S. 173. Ebd.
448
S o REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S . 6 8 7 .
449
Noch am 19.01.1596 berichtet Lingelsheim Loefen, daß Lobbetius aus Paris an Hochfelder geschrieben habe (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 247 r ). Kohlndorfer-Fries 2003, S. 184, gibt an, daß Lobbetius als juristischer Ratgeber und politischer Agent nicht nur für Straßburg, sondern ebenso für Augsburg, Nürnberg und Ulm tätig gewesen sei. Als erstes Amt wurde in Straßburg das des Stadtschreibers mit akademisch ausgebildeten Juristen besetzt. Obwohl ohne Stimmrecht in den verschiedenen Räten, übte der Stadtschreiber großen Einfluß auf die politischen Entscheidungen dieser Gremien aus. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts trat seine Bedeutung allerdings allmählich zurück, da es die Spezifizierung der Verwaltung — wie überall - unabdingbar machte, weitere fachkundige
450
333 nale et Universitaire in Straßburg eine auf Junta im Namen des Rektors und des Senats der Akademie verfaßte Oratio funebris von Marcus Florus, die die Lebensdaten und die Laufbahn Juntas präzise bezeichnet. 451 Wieder einmal erweist sich gerade diese Gattung als ergiebigste Quelle personenkundlicher Forschungen. Aus dieser Begräbnisrede sei kurz Juntas Biographie rekapituliert. Er wurde 1555 in Othenrot geboren. Über seine Schulbildung und seine Studien wird nichts genaueres berichtet; es heißt hier nur, daß er sich »inprimis« dem Studium des Rechts und der Gesetze (»Iuris Legumq[ue]«) zugewandt habe. Dann begann seine Laufbahn in Straßburg: 1579 in das dortige »Grammatophylacium« berufen, erhielt er 1580 die Erlaubnis zu einer »peregrinatio« nach Frankreich wohl als praeceptor einiger adliger Schüler. 452 Nach seiner Rückkehr brachte ihn Hochfelder 1582 in das Amt des Archiworstehers, 1593 erhielt er das »Archigrammatei officium«, das er bis zu seinem Tod 1615 innehatte. Verschiedentlich führte er Gesandtschaften aus, von denen die hervorragendste ihn 1604 an den Hof Heinrichs IV. führte. Neben Paul Hochfelder war Joseph Junta in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg Lingelsheims vertrautester Verbindungsmann in Straßburg. Mit ihm gehörte der nach der Jahrhundertwende politisch einflußreichste Reformierte in der Reichsstadt zu Lingelsheims Korrespondenten. Lingelsheim verband mit Junta und Hochfelder offensichtlich eine enge Freundschaft, die weit über den stets auch literarisch stilisierten Freundschaftskult, den Trunz als charakteristisch für die späthumanistische Gelehrtenrepublik bezeichnete, hinausging. Als etwa Lingelsheim 1598 seine Ankunft bei Hochfelder ankündigte, freut er sich gegenüber Junta: »Si nos tres coniungeremur, quid accedere posset ad suauitatem talis comitatus?« 453 Insgesamt haben sich 75 Briefe von Lingelsheim an Junta aus den Jahren zwischen 1596 und 1612 erhalten; die Gegenbriefe Juntas sind nicht mehr erhalten. Damit war Junta der wichtigste Korrespondent Lingelsheims in seiner Vaterstadt. Sämtliche Briefe sind in Ayrmanns Sylloge Anecdotorum abgedruckt. Die Texte sind allerdings nur lückenhaft überliefert, mehrfach sind in dieser Edition Auslassungen zu beklagen, die lediglich durch ein »&c.« im Text gekennzeichnet wurden. Der erste Brief datiert vom 19. August 1596 und spricht die Einladung an Junta zur bevorstehenden Hochzeit Lingelsheims mit Agnes Loefen aus. In den folgenden Jahren entspann sich ein loser Briefwechsel, dessen Schwerpunkt in den Jahren 1601 und 1602 gelegen zu haben scheint. Die Hälfte der von Ayrmann edierten Briefe Lingelsheims stammen aus diesen beiden Jahren. Zwei aktuelle Ereignisse zeichneten dafür verantwortlich: zum einen die Erbschaftsangelegenheit Lingelsheims, zum anderen die herannahende Entscheidung im
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Juristen als Syndiki und Advokaten mit den neuen Aufgaben zu betrauen. Vgl. Crämer 1931, S. 47-52, Fuchs 1980. Florus: (Oratio funebris 1615). Einblattdruck in Folio. Ebd.: »[...] praefuit integre inculpateq; Disciulis aliquot Nobilibus«. Lingelsheim an Junta, 29.01.1598 (AYRMANN 1746, S. 550). Zu seiner engen Beziehung zu Lobbetius, Junta und Hochfelder vgl. auch Lingelsheims Brief an Colli vom 11.09.1597 (SUH: Sup. ep. 1 4 , Bl. 8 9 0 -
334 Streit um den Straßburger Bischofsstuhl. Die Bedeutung dieser Erbschaft für Lingelsheim, der sich davon in Heidelberg ein Haus454 und einen Garten455 kaufte, und die Rolle Juntas bei der erfolgreichen Durchsetzung seiner Ansprüche verdeutlichen die folgenden Sätze: »Scis enim pecuniam pro vita & sanguine esse hominibus. Bene sit optimo Lobbetio, qui ad eam rem suppeditauit instrumenta. Tibi quoque gratias immortales debeo, qui promtitudine tua nobis commodandi omnia expeditiora feceris.«456 Häufiger noch als diese privaten Angelegenheiten beherrscht aber der Streit um den Straßburger Bischofsstuhl, der sich in diesen Jahren zuungunsten der Reformierten entschied, diese Korrespondenz. Lingelsheims Sorge galt vor allem dem Schicksal der reformierten Minderheit in seiner patria. Er versuchte, seinen politischen Einfluß in Heidelberg für sie zu nutzen: So wirkte er im Jahre 1602 auf seinen Kurfürsten ein, Gesandte nach Straßburg zu schicken, um die Entscheidung für Karl von Lothringen abzuwenden.457 Und sogleich nach der Bischofswahl Lothringens führte er mit dem Grafen von Mansfeld ein Gespräch über die Sicherheit seiner Vaterstadt.458 Gerade die Korrespondenz mit Junta läßt erkennen, daß Lingelsheim nicht nur stets ein genauer Beobachter der Vorgänge in Straßburg blieb, sondern sich jederzeit für die Interessen der dortigen Reformierten engagierte. Seine Briefe an Junta besaßen allerdings ausschließlich >privaten< Charakter, sie waren nicht wie etwa seine Korrespondenzen mit den kurpfälzischen Oberräten oder den englischen und französischen Gesandten eine Fortsetzung seiner offiziellen Amtsgeschäfte in einer persönlich geführten Korrespondenz. Daran zeigt sich auch das fehlende politische Gewicht der Reformierten in der Reichsstadt. Allerdings erhalten durch die Edition Ayrmanns, der vielfach >Persönliches< wegläßt, die politischen Nachrichten ein größeres Gewicht in den Briefen Lingelsheims.
1.4.4.
Matthias Bernegger
Nachdem Hochfelder, Lobbetius, Junta, seine engsten Freunde in Straßburg, verstorben waren und Graviseth fortgezogen war, versiegten Lingelsheims Kontakte zu der dortigen reformierten Minorität. Gleichwohl rissen-nicht zuletzt wohl auch aus familiären Gründen - seine Verbindungen nicht ab. Doch nach 1612 finden sich keine Nachweise mehr für Korrespondenzen mit Straßburgern - bis in das Jahr 1633, als Lingelsheim aus dem Exil wieder nach Heidelberg zurückkehrte und sofort in einen intensiven Briefwechsel mit Matthias Bernegger (1582-1640) eintrat. Dieser wurde nach Lingelsheims Rückkehr in die Kurpfalz der wichtigste Korrespondent in dessen letzten drei Lebensjahren.
454
Vgl. den Brief an Junta vom 14.02.1602 (AYRMANN 1746, S. 576). Vgl. den Brief an Junta vom 30.06.1609 (ebd., S. 607). Dazu j e w e i l s - a u f Basis der beiden zitierten Briefe - Lingelsheim 1922, S. 24f. 456 Lingelsheim an Junta, 14.02.1602 (AYRMANN 1746, S. 577). 457 Vgl. seinen Brief an Junta vom 12.09.1602 (ebd., S. 587). 458 Vgl. seinen Brief an Junta vom 06.05.1604 (ebd., S. 599). 455
335 Bernegger entstammte einer wohlhabenden österreichischen Familie. Sein Vater war Ratsherr und Richter der Marktgemeinde Hallstatt. Nach dem Besuch des Gymnasiums von Wels wich er vor der habsburgischen Gegenreformation nach Straßburg aus. Nachdem er zunächst an der Straßburger Akademie studiert, dann seit 1608 als Lehrer am Predigerkolleg gewirkt hatte, nahm er 1613 einen Ruf als Professor der Geschichte an der Akademie und späteren Universität an. In dieser Stellung, neben der er zwischen 1626 und 1629 zusätzlich die Rhetorikprofessur verwaltete, verblieb er bis an sein Lebensende.459 Neben Lingelsheim und Gruter ist Matthias Bernegger die wichtigste und interessanteste Gestalt des oberrheinischen Späthumanismus.460 Deutlich jünger als die beiden Heidelberger, avancierte er nach der Eroberung der Kurpfalz und dem Ende der dortigen Gelehrtentradition immer mehr zum Mittelpunkt der späthumanistischen Kreise in dieser Region. Wie Gruter legte er ein umfangreiches philologisch-kritisches, in seinem Fall aber vornehmlich historisches Werk vor. Durch und durch ein Ireniker, den orthodoxen Straßburger Lutheranern wegen kryptocalvinistischer Tendenzen verdächtig,461 lebte in Bernegger die späthumanistische Tradition fort und der Wille zur Reform der Gelehrtenrepublik auf. Er war ein Vertreter eines politischen Späthumanismus, in dessen Werk sich die Ideen der französischen politiques und der Lipsiusschen »Politik« vereinten.462 Mit seiner Tuba Pacis forderte er gegen die martialische Polemik eines Kaspar Schoppe gleich nach Ausbruch des großen Krieges die Christen zum Frieden auf,463 mit der Herausgabe des Syllabus von Jean Hotman liefert er sechs Jahre später in Form eines großen humanistischen Autorenkatalogs quasi den Beleg für die vorhandenen Möglichkeiten des konfessionellen Ausgleichs nach.464 Der nationalsprachigen Bewegung stand er ebenso wie den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufgeschlossen gegenüber und trug durch seine editorische Tätigkeit zur Verbreitung des Neuen entscheidend bei.465 Un-
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Neben der Biographie von Biinger 1893, die wertvolle Aufschlüsse zum geistigen Leben und zur politischen Geschichte Straßburgs während der Lebenszeit Berneggers gibt, sind heranzuziehen Bemeker 1973, auch Kelter 1905. Sein Wirken an der Straßburger Akademie bis 1621 ist bei Schindling 1977 (vgl. Reg.) nachzuverfolgen. Maßgeblich zu seiner Stellung innerhalb der späthumanistischen Gelehrtenrepublik Kühlmann 1982, passim. Zu seinem - kulturpolitisch aktivierten - Geschichtsverständnis vgl. ders. 1987a. Eine geplante Fortsetzung seiner Tuba Pacis (1621) unterließ Bernegger aus diesem Grunde, vgl. Bünger 1893, S. 316, Foitzik 1955, S. 81 f. Vgl. Kühlmann 1982, S. 43-66. Zu diesem Werk die Untersuchung von Foitzik 1955. Zu Hotmans Syllabus (1628) s. oben Teil I, Kap. 3.2.2.3.5. Daß Bernegger auch eine der wichtigsten Vermittlergestalten des naturrechtlichen Denkens war, betonen Graßhoff/Treiber 2002, deren Ausführungen, S. 105-161, wichtige Anregungen zu einer weiteren Beschäftigung mit Bernegger bieten, an dessen Beispiel nunmehr die naturrechtlichen Diskussionen des Späthumanismus aufzuzeigen wären; dies auch vor dem Hintergrund der These Garbers, der eben in der Rezeption des neuen Wissens eine der epochalen Kriterien für einen Späthumanismus-Begriff erkennt (vgl. Einleitung, Kap. 2, Anm. 129). G r a ß h o f f u n d Treiber, die übrigens diese Forschungsdiskussion nicht fuhren, greifen immer wieder auch auf die Korrespondenz zwischen Lingelsheim und Bemegger bzw. auf andere bei Reifferscheid edierte Briefe zurück. Lingelsheim wiederum
336 terstützte er auf der einen Seite die Reformbestrebungen der deutschen Dichtung mit seiner massiven Anteilnahme an der Zincgrefschen Ausgabe der Teutschen Poemata,m meldet er sich auf der anderen Seite mit seinem Speculum Boni Principis ein Jahr später selbst entschieden für eine Aufwertung der Nationalsprache zu Wort.467 Besonders die junge schlesische Dichtergeneration fand in ihm einen aufgeschlossenen Lehrer. Auch die Straßburger Dichter der »Aufrichtigen Gesellschaft von der Tannen« gehörten zu seinen Schülern. Die Gründung dieser kurzlebigen Sprachgesellschaft »unter Berneggers Auspizien« 468 zu sehen, wird allerdings von der neueren Forschung relativiert: Die Tannengesellschaft nahm vielmehr Impulse »der frühpietistischen Bewegung unter der Ägide Johann Schmidts«,469 eines entschiedenen Bernegger-Gegners, auf.470 Lingelsheim lebte in Straßburg eng mit Bernegger zusammen und unterstützte ihn bei seinen gelehrten Arbeiten. In ihren Briefen setzen sie seit 1633 ihren gelehrten Austausch fort.471 44 Briefe haben sich bis in Lingelsheims Todesjahr erhalten. Nach seiner erneuten Flucht nach Frankenthal nimmt die Häufigkeit der Briefe ab, zwischen dem 25. März und dem 6. November 1635 wechselten sie überhaupt keine Briefe.472 Die erhaltene Korrespondenz liegt zum größten Teil gedruckt vor. Es ist in diesem Falle von einer nahezu vollständigen Überlieferung auszugehen. Berneggers ältester Sohn Johann Kaspar widmete sich seit 1667 der Herausgabe der
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war der Vermittler, über den der Bernegger-Schüler B o e d e r mit Grotius' De iure belli ac pacis bekannt und der dadurch selbst zur Beschäftigung mit dem Naturrecht angeregt wurde und schließlich eine wichtige Rolle in der zeitgenössischen Grotius-Rezeption spielen sollte (vgl. ebd., S. 148f.; vgl. auch oben, S. 230, Anm. 753). Zu Berneggers Anteil an diesem Unternehmen vgl. Garber 1984, S. 140, auch SchulzBehrendt in: Opitz: Werke, Bd. II/l, S. 164ff. Bernegger überwachte den Druck, Lingelsheim trug mit anderen nur zu einer Vermehrung der Opitzschen Gedichte bei. Speculum boni principis, hoc est, Imp. Tili Flavii Vespasiani vita, scriptore Suetonio Tranquillo, animadversionibus ac notis; quas in Universitate Argentoratensi, Praeside Matthia Berneggerò [...] Publice proponit examinandas a. d. 31. Martii, Petrus Wiebus [...]. (Straßburg: Rihel 1625). Lefftz 1931.S. 39. Schäfer 1976a, S. 133. - Lingelsheim kannte zumindest einen der jungen Straßburger Dichter genauer, und zwar den aus Geislingen stammenden Andreas Hecht, genannt Lucius, an dessen schwerer Erkrankung er besorgt Anteil nahm, vgl. Kühlmann 1981, S. 192f. Vgl. Kühlmann 1981; Schäfer 1976a; Schäfer 1976b; die zitierten Aufsätze jetzt auch in: Kühlmann/Schäfer 2001 (ich zitiere nach den Erstdrucken!). Zur Tannengesellschaft auch die Dissertation von Bopp 1998 mit einer Bibliographie der aus dem Umkreis dieser Sprachgesellschaft zur ermittelnden Casualia. Auch hier findet sich wieder ein Beipiel für einen ebenso undifferenzierten wie unreflektierten Umgang mit dem Begriff des Späthumanismus: In dem mit »Der Späthumanismus in Straßburg« (S. 108-131) überschriebenen Kapitel werden lediglich Biographien aneinandergereiht; die Frage, inwieweit sich hier möglicherweise prägende gelehrte Dispositionen und literarische Traditionen für die Dichtung der jungen Straßburger erkennen lassen könnten, wird nicht einmal aufgeworfen. Sogleich nach seiner Rückkehr versuchte Lingelsheim, seinen Straßburger Freund für eine Professur an der Heidelberger Universität zu gewinnen, s. oben S. 165. Die Gründe dafür eröffnet Lingelsheim in seinem Brief an Glaser vom 17.10.1635 (REIFFERSCHEID 1889, S. 552): »Per quatuor integros menses tam arcte obsessi hic fuimus, ut neque aliunde ullas literas aut nuncios acciperemus, neque literarum mittendarum facultatem haberemus.«
337 Briefe seines Vaters in mehreren Editionen.473 Im Jahre 1670 veröffentlichte er zusammen mit einigen zwischen Matthias Bernegger und Salmasius, Galilei und Saubertus gewechselten Briefen dessen Briefwechsel mit Lingelsheim unter dem Titel: Epistolaris Comercii M. Berneggeri Cum Viris Eruditione Claris, Fasciculus Secundus.m In diese Edition sind mit Ausnahme eines Briefes von Bernegger vom 9. März 1634 und eines auf den 28. Juli des gleichen Jahres datierten Regests, die sich als Abschriften in der Uffenbach-Wolfschen Sammlung erhalten haben, 42 Briefe dieser Korrespondenz aufgenommen. Abgesehen von seinem letzten Brief an Lingelsheim vom 11. März 1636 sind die Briefe Berneggers auch in seinen Briefbüchern erhalten.475 In der UffenbachWolfschen Sammlung finden sich unter den Signaturen Sup. ep. 4°31 und 4°32 zwei dieser Briefbücher, in die Bernegger die Konzepte seiner Briefe an seine vielen Korrespondenten eintrug.476 Unter den in Sup. ep. 4°32 versammelten Konzepten sind 22 Briefe Berneggers an Lingelsheim enthalten.477 Bei der Einrichtung seiner Edition ließ Johann Kaspar Bernegger bewußt Teile aus den Briefen seines Vaters fort. »Mit ängstlicher Sorgfalt tilgte der Herausgeber bei diesen Veröffentlichungen alles, was ihm bedenklich erschien«,478 Auslassungen wurden zudem von ihm nur unzuverlässig durch ein eingeschobenes »&c.« lokalisiert.479 So ist diese Edition nur im steten Vergleich mit den Konzeptbüchern zu benutzen.480 Sind somit immerhin die Briefe Berneggers zu vervollständigen, bietet sich für die Briefe Lingelsheims diese Möglichkeit nicht. Sie sind fast ausschließlich im Epistolari Commercio überliefert und dementsprechend lückenhaft im Textbestand. Lediglich die Briefe vom 12. und 25. September 1633 befinden sich als Autographen in einer ebenfalls von Zacharias Konrad von Uffenbach während seiner Straßburger Studienzeit erworbenen Sammlung von Briefen an Matthias Bernegger.481
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Vgl. ebd., S. 958. Reifferscheid fuhrt die einzelnen Ausgaben auf; ihm folgt Berneker 1973, S. 296f. - Zu Johann Kaspar Bernegger vgl. die Bemerkungen bei Bünger 1893, S. 345-377 u.ö., und Kelter 1905, bes. S. 65-68, die biographische Miszelle von Jacob 1894.
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BERNEGGER 1 6 7 0 .
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Allerdings müssen auch hier Briefe Berneggers als verloren gelten. So antwortet Lingelsheim am 06.11.1635 auf einen Brief Berneggers vom 30.10., am 29.12.1635 auf einen vom 13.12. und am 11.03.1636 auf einen vom 26.02. des jeweiligen Jahres. Das letzte Konzept in Sup. ep. 4°32, Bl. 132, datiert vom 26.01.1635. Mit Ausnahme des Briefes vom 11.03.1636 sind danach von der Korrespondenz nur noch Briefe Lingelsheims erhalten. Offensichtlich fehlt hier ein entsprechendes Briefbuch Berneggers. Vgl. Kelter 1905, S. 3, Berneker 1973, S. 296f., Krüger 1978, S. XL. Sup. ep. 4°32, Bl. 87ff.
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REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S . 9 5 8 , z u d e n G r ü n d e n e b d . S . 9 1 6 f .
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In den Briefen vom 16.12.1633,22.04.1634,10.07.1634 und 13.12.1634 sind allerdings die Auslassungen nicht gekennzeichnet. So verfuhr auch REIFFERSCHEID 1889, der aber nur zwei Briefe komplett zum Abdruck brachte (die Briefe vom 24.11.1633 und 09.03.1634 [dieser fehlt in BERNEGGER 1670!]), bei anderen nur die Auslassungen in BERNEGGER 1670 ergänzte. Vgl. Krüger 1978, S. XVII u. XL.
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338 1.4.5.
Josias Glaser
Noch mit einem weiteren Straßburger wechselte Lingelsheim in seinem letzten Lebensjahr gelegentlich Briefe. Es handelte sich um Josias Glaser (geboren 1588), der ein bewegtes Leben in Diensten verschiedener Herren führte, zunächst als Sekretär im Straßburger Rat der Fünfzehn,482 dann als Resident des französischen Königs in der Reichsstadt und schließlich als designierter Vertreter Frankreichs bei den Friedensverhandlungen in Münster. Danach verlieren sich seine Spuren. Glaser trat als Diplomat entschieden für den Anschluß des Elsaß an Frankreich ein.483 Lingelsheim dürfte ihn während seiner Jahre in Straßburg kennengelernt haben, vielleicht über Bernegger, an den Lingelsheim in seinen Briefen an Glaser jedesmal Grüße ausrichten läßt. Zwei Briefe Lingelsheims haben sich, wiederum in mehreren Abschriften, in den Königlichen Sammlungen in Kopenhagen erhalten. Sie sind vor allem für seine Biographie von großer Bedeutung, da sie zu seinen letzten Lebensdokumenten gehören und das persönliche Schicksal des fast achtzigjährigen Flüchtlings am Ende seiner Tage wie keine anderen Quellen bezeugen. Vom Tod seiner zweiten Ehefrau, von den Umständen seiner Verhaftung und seiner Freilassung aufgrund einer schweren Erkrankung ist nur aus diesen Briefen zu erfahren. In wenigen anderen Briefen Lingelsheims ist das >Persönliche< so deutlich artikuliert wie hier.
1.5.
Nürnberg
1.5.1.
Einleitung
Die strahlendste und mächtigste unter den oberdeutschen Reichsstädten war Nürnberg.484 Die Hüterin der Reichskleinodien vereinigte das mit Abstand größte Territorium unter ihrer Herrschaft und verfügte über eine große Wirtschaftskraft. Bereits 1525 hatte der Rat das lutherische Bekenntnis eingeführt.485 Genealogisch und geschäftlich eng mit den führenden Familien der Oberpfalz verbunden, gingen von der Reichsstadt die entscheidenden Impulse für die dor-
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Zu diesem Gremium vgl. Crämer 1931, S. 22ff. Ausfuhrlich zu seiner Person und dem Annexionsplan Reuss 1869, sowie die verstreute Literatur zusammenführend Szell 1981, S. 179-184. Dort konnte der Artikel in NDBA XIII, S. 1199, der das Geburtsdatum abweichend von der übrigen Literatur auf 1588 festlegt, noch nicht einbezogen werden. Außerdem DBF 16, Sp. 349f. Allgemein zur Geschichte der Stadt der Sammelband von Pfeiffer 1971. Dieses Werk ist in achtzig Kapitel verschiedener Autoren aufgeteilt. Die politische Geschichte Nürnbergs im konfessionellen Zeitalter stellt dort Endres in drei Beiträgen dar, die religiöse Entwicklung nach dem Augsburger Religionsfrieden behandelt Leder 1971, einen freilich äußerst knappen Überblick über die Literatur um 1600 bieten Brunner/Strassner 1971, vom gelehrten Leben handelt Liermann 1971. Äußerst knapp die Einfuhrung von Schindling 1989. Grundlegend für die territorialen Arrondierungen der Stadt Strauss 1966, weiterhin Leiser 1990. Dazu Seebaß 1978, Schmid 1990, der im Gegensatz zu ersterem den Reformationsdruck der Bevölkerung auf den Rat hervorhebt.
339 tige lutherische Reformation aus. 4 8 6 In der Reichspolitik bewahrte der Rat strikte Loyalität z u m Kaiser, u m s o mehr als das Verhältnis nach der Konversion belastet war, und folgte d e m auf Frieden bedachten Kurs Kursachsens. 4 8 7 Allerdings verweigerte die Stadt die Unterzeichnung der Konkordienformel, deutliches Indiz s o w o h l fiir die dezidierte Neutralitätspolitik w i e auch für die philippistisch-humanistische Haltung des städtischen Patriziats. 488 D i e s e drückte sich auch in der Entwicklung des - 1526 unter d e m Einfluß Melanchthons gegründeten - G y m n a s i u m s aus, das 1575 nach Altdorf verlagert und f ü n f Jahre später zur A k a d e m i e privilegiert wurde. 4 8 9 W i e die Straßburger A k a d e m i e stellte Altdorf ein-wie
Anton Schindling für Straßburg dargelegt hat - »reichsstädtisches
H o c h s c h u l m o d e l l « dar: Die Stadtobrigkeiten waren nach der Reformation stärker darauf bedacht, das einmal erreichte Verfassungssystem zu bewahren und gegen politischen wie sozialen Umsturz abzusichern. Eine privilegierte autonome Hochschulkorporation erschien den politischen Führungsschichten als riskant für die Verfassung des Gemeinwesens. Die Gerichtsprivilegien der Universitäten traditionellen Typs sah der Magistrat als eine Gefahrenquelle für die Disziplin der studierenden Jugend an. Andererseits lernte das Stadtbürgertum die wissenschaftliche Ausbildung des politischen Führungsnachwuchses im 16. Jahrhundert sehr zu schätzen. Der Mischtypus zwischen der Hochschule und der Partikularschule entsprach als Institution am besten diesen einander widerstrebenden Erfordernissen. 4 ' 0 Altdorf - und für Straßburg ließe sich ähnlich formulieren - war dabei »zeitlich noch eine Frucht des Späthumanismus. Geistig reichen seine Wurzeln in Nürnbergs große humanistische Zeit zurück«, 4 9 1 die mit s o klangvollen N a m e n w i e Willibald Pirckheimer oder der Gelehrtenfamilie Camerarius verbunden war und sich auch hier mit e i n e m blühenden Buchdruck verband. Der H u m a n i s m u s hatte in Nürnberg bereits früh Einzug gehalten. 4 9 2 D i e starke Anziehungskraft 486 vgl. Press 1980a, S. 261 f. Insgesamt zur Bedeutung Nürnbergs für die Reformation in Deutschland Seebaß 1991. 487
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Zur Reichspolitik des Rates vgl. Franz 1930; zur Haltung Nürnbergs gegenüber den Kaisern vgl. Endres 1986, Schmidt-Fölkersamb 1986 und die Studie von Demelius 1975; zur Stellung Nürnbergs im Reich des 17. Jahrhunderts auch Endres 1995. Als sozialgeschichtliche Einführungen in Stellung und Struktur des Nürnberger Patriziats Hofmann 1965, Hirschmann 1968, Stromer von Reichenbach 1973. Vgl. Liermann 1962, S. 159. Will 1975, S. 10, berichtet, daß das kaiserliche Privileg am 06.11.1578 erteilt wurde, aber erst 1580 publiziert werden konnte. Zur Geschichte der Akademie neben diesen beiden Arbeiten weiterhin die Beiträge von Liermann, Pfeiffer, Reckten wald in Reckten wald 1966 u n d - m i t zahlreichen Dokumenten aus Auszügen aus dem Nürnbergischen Gelehrten-Lexicon von Will (darunter die hier behandelten Professoren) Recktenwald 1990; neuerdings umfassend Mährle 2000. Außerdem zur Gründung des Gymnasiums im Jahre 1526 Hirschmann 1976; nach wie vor auch heranzuziehen für die Geschichte der Schule Steiger 1926. Schindling 1977, S. 67. Vgl. auch die vergleichende Darstellung dieser beiden humanistischen Hochschulgründungen von dems. 1978 s o w i e - u m den Vergleich mit dem Augsburger Schulwesen erweitert - der Beitrag über die humanistische Bildungsreform in diesen drei Reichsstädten, ders. 1984. Liermann 1971, S. 329. Zum Humanismus in Nürnberg liegt eine reiche Literatur vor; genannt seien nur der Überblick von Kraus 1997 und die Abhandlung von Hamm 1989, nunmehr aber auch die umfangreiche Arbeit von Jürgensen 2002, die aus der Perspektive einer Bibliotheksgeschichte,
340 der einzigen protestantischen Universität im Südosten des Reiches gründete vor allem auf ihrer juristischen Fakultät, die sich mit Hugo Donellus - eine für die irenische Haltung des Rates bezeichnende Berufung - der modernen systematischen, humanistischen Jurisprudenz zugewandt hatte und deren aus verschiedenen Ländern stammende Professoren ihr einen gesamteuropäischen Charakter verliehen. Im Dreißigjährigen Krieg jedoch endete die große Zeit Altdorfs, obwohl es seit 1622 das Universitätsprivileg besaß.493 Auch diese Privilegierung durch den Kaiser war, wie im Falle Straßburgs, eine Belohnung für Nürnbergs Ausscheiden aus der protestantischen Union. Nur zögerlich und unter dem Druck der Bevölkerung hatte sich die Stadt nach den Ereignissen von Donauwörth zum Beitritt entschlossen. Wie Straßburg sah auch Nürnberg in der Union vornehmlich ein Bündnis zur Sicherung des protestantischen Glaubens und teilte nicht die aggressiven konfessionspolitischen Interessen der Kurpfalz.494 Nach dem böhmischen Abenteuer näherte sich der Rat wieder dem Kaiser, ohne jedoch aus seiner Neutralität herauszutreten, eine Position, die erst nach dem Erlaß des Restitutionsedikts verlassen wurde. Ebenso wie Straßburg schloß sich Nürnberg dem Heilbronner Bund an, wechselte aber mit dem Abschluß des Prager Friedens wieder auf die kaiserliche Seite zurück.495 Die wirtschaftlichen Folgen des Dreißigjährigen Krieges für die Stadt wogen schwer, Ausschreitungen der Soldateska und vor allem die Pest brachten hohe Bevölkerungsverluste. Doch erlebte Nürnberg seit den letzten Kriegsjahren eine Blüte literarischen Lebens mit der Gründung des »Löblichen Hirten- und Blumenordens an der Pegnitz« durch den Nürnberger Patrizier Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) und den erst 1644 nach Nürnberg gekommenen, aus Meißen stammenden Johann Klaj (1616-1656), die neben Sigmund von Birken (1626-1681) die bedeutendsten Dichter dieser Sprachgesellschaft waren. Birken sollte es vorbehalten sein, mit einer großen Dichtung endlich jenen Frieden feiern zu können, den die Mitglieder des späthumanistischen Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreises zum größten Teil nicht mehr erlebten.496
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die als Kulturgeschichte verstanden wird, in Teil I einen in seiner Vollständigkeit und seinem Fazettenreichtum faszinierenden Einblick in das gelehrte städtische Leben Nürnbergs gewährt. Kraus 1967, S. 347: »Die Epoche der großen Altdorfer Juristen endete bereits mit der Erhebung der Akademie zur Universität; der Dreißigjährige Krieg bedeutete einen tiefgreifenden Einschnitt.« Zur Blütezeit die Aufsätze von Liermann 1936, 1965 und 1966; zur Eröffnung der Universität Emstberger 1959, zu ihrem Niedergang Recktenwald 1966a. Nürnbergs Unionspolitik zwischen 1608 und 1618 untersucht Gürsching 1932, die Haltung zum Böhmischen Aufstand Weigel 1932. Zu dieser Zeit des mehrfachen, durch die sich schnell wandelnden Machtverhältnisse vom Rat verfolgten politischen Kurswechsel und der antischwedischen Stimmung in der Stadt vgl. Willax 1991. Dazu Laufhütte 1998. Vgl. auch - am Beispiel der Nürnberger Feier des Exekutionstages, des Friedensfestes in Weimar zum Ende des Schmalkaldischen und des Dreißigjährigen Krieges und des Festes in Straßburg zur Feier der bewahrten Unabhängigkeit von Frankreich - den Aufsatz von Gantet 1999, außerdem, unter dem Aspekt der literarischen Verarbeitung und Begleitung der großen Nürnberger Feierlichkeiten, Garber 1998d. - Die Literatur zum literarischen Leben in Nürnberg, stets im Spannungsfeld von Stadt und
341 Es waren fast ausschließlich die Gelehrten der Altdorfer Akademie, vornehmlich ihrer juristischen Fakultät, mit denen Lingelsheim in Briefwechseln stand und über welche überhaupt die engsten Verbindungen zwischen Nürnberg und Heidelberg liefen. 497 Lingelsheims Briefkontakte zu den Nürnberger Gelehrten bestanden alle in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, später ist eine Verbindung in die Reichsstadt nicht mehr nachzuweisen. Mit Ausnahme der Korrespondenz mit Gentiiis unterhielt Lingelsheim zu keinem Zeitpunkt engere briefliche oder persönliche Kontakte nach Nürnberg. Entsprechende Verbindungen schienen sich auch aus seinem einzigen Aufenthalt in der Reichsstadt während seiner Tätigkeit als Begleiter Robert Sidneys auf dessen peregrinatio nicht ergeben zu haben. Lingelsheims Korrespondenzen mit Giphanius und Gentiiis beruhten noch auf gemeinsamen Straßburger bzw. Heidelberger Tagen. Die übrigen Briefe, der er mit Rittershausen, Praetorius und Joachim Camerarius wechselte, sind alle in abgeschlossenen Zusammenhängen entstanden. Hinweise auf weitere Briefwechsel mit Nürnberger Gelehrten gibt es nicht.
1.5.2.
Obertus Giphanius
Es war dem Rat der Stadt Nürnberg gelungen, mit dem Niederländer Hubert van Giffen (Giphanius) der juristischen Fakultät kurz nach der Gründung der Altdorfer Akademie einen der bedeutendsten Juristen seiner Zeit zu inkorporieren. 498 Giphanius (1534-1604) hatte in Löwen, Bourges, Paris und Orleans studiert und sich danach als Begleiter des französischen Gesandten in Venedig und in Italien aufgehalten. 1570 erhielt er einen Ruf an die Straßburger Akademie, zunächst als Professor der Ethik, dann bis 1582 als Professor der Institutionen, wo er sich - als Cujas-Schüler - als ein entschiedener Vertreter und Verteidiger der humanistischen Jurisprudenz erwiesen hatte. 499 Sein berühmter Name zog zahlreiche Studenten nach Altdorf, er wirkte maßgeblich auf die Berufung Hugo Donellus' hin. Mit diesem überwarf sich Giphanius, dem einhellig große charakterliche Schwächen attestiert werden, schon bald darauf, was
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Literatur verortet, und ebenso zum Pegnesischen Blumenorden ist äußerst zahlreich, vgl. als paradigmatischen Forschungsaufriß dazu Garber 1998a. Zur Einfuhrung immer noch bestens geeignet die grundsätzlichen Überlegungen von Spahr 1976, vgl. auch die für einen breiteren Leserkreis konzipierte, gleichwohl zur Zeit beste Darstellung zum Pegnesischen Blumenorden von Jürgensen 1994. Das ganze Panorama der Nürnberger Gelehrtenliteratur, aus der auch hier eine deutschsprachige Kunstdichtung hervortrat, entwirft jetzt Jürgensen 1998, die systematisch die Einträge im grundlegenden biographischen Lexikon Nürnbergs, >dem< Will, ausschöpft. Auch für Giphanius fehlt bisher eine Biographie. Sein Name wird immer wieder in Darstellungen zur Rechtsgeschichte oder der Geschichte der Stätten seines Wirkens, erwähnt. Vgl. zu ihm die Artikel in: Jöcher II, Sp. 988f., ADB IX, S. 182-185 (Schirmer), NDB VI, S. 407 (Liermann), Will I, S. 537-540, u. V, S. 4 0 5 ^ 0 9 ; vgl. auch Stintzing 1880, 4 0 5 414, der in ihm einen der wichtigsten Vertreter und Verbreiter der französischen Rechtsschule erkennt. Bursian 1883, Bd. I, S. 247f., sieht in ihm einen der besten klassischen Philologen und einen der herausragenden akademischen Lehrer der Zeit. Vgl. Schindling 1977, S.301ff.
342 zu einer Spaltung der Altdorfer Studentenschaft in zwei Faktionen, die sog. >Donellisten< und >Giphanisten
345 sehr Philologe als Jurist«,519 trat aber auch als von den Zeitgenossen geschätzter Dichter und Verfasser von Psalmenparaphrasen in Erscheinung. Lingelsheim und Gentiiis dürften sich in Heidelberg begegnet sein. Eine Korrespondenz zwischen ihnen ist allerdings erst festzustellen, nachdem Gentiiis seine Altdorfer Professur angetreten hatte. Seit 1593 entspann sich ein loser Briefwechsel, der bis in das Jahr 1612 nachzuweisen ist. 21 Briefe sind aus diesen knapp zwei Jahrzehnten zu ermitteln. Nur sechs Briefe stammen von Lingelsheim, unter ihnen zwei Autographen, die von Camerarius in seine Briefsammlung überführt worden sind, und ein Autograph, der sich heute in der Handschriftenabteilung der Reichsuniversität Amsterdam befindet. Dieser Brief ist von Crenius ediert worden. Außerdem findet sich die Abschrift eines Briefes aus dem Jahre 1610 in der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg.520 Von den Briefen Gentiiis' an Lingelsheim existieren - wie im Falle Rittershausen - Briefexzerpte in jeweils mehreren Abschriften in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen.521 Wie von Rittershausen, dessen Briefexzerpte sich in den Handschriften jeweils an die des Gentiiis anschließen, werden neben Nachrichten aus Altdorf - hier in den Jahren nach 1604 das Auftreten des Kaspar Schoppe und die Schrift des Denaisius gegen Lipsius thematisiert. Es wird deutlich, auf welches Interesse diese Themen auch unter den Altdorfer Juristen stießen, wie sich auch hier eine Opposition gegen die jesuitischen >Nestbeschmutzer< der späthumanistischen Gelehrtenrepublik formierte. Lediglich ein Schreiben des Gentiiis ist im Original in den Hamburger Handschriftensammlungen überliefert. Dieser Brief stammt aus der Zeit des Streites mit Pacius, in dem Lingelsheim auf der Seite von Colli und Gentiiis stand.522 Auch wenn davon auszugehen ist, daß zumindest Briefe Lingelsheims verloren gegangen sind, handelt es sich doch um eine eher sporadische Korrespondenz, die allerdings über einen langen Zeitraum immer wieder angeknüpft wurde. Unter den Altdorfer Gelehrten war Gentiiis, der wie Rittershausen auch gute Kontakte zum späthumanistischen Gelehrtenkreis Heidelbergs besaß, der wichtigste Korrespondent Lingelsheims.523
1.5.5.
Johannes Praetorius
Von Anfang an wurden an der Universität Altdorf neben der Jurisprudenz besonders die Naturwissenschaften gepflegt.524 Die Mathematik war die naturwissenschaftliche Grunddisziplin, aus ihr waren durch Empirie und Experiment plausible Erkenntnisse zu begründen, Kompetenzen zu gewinnen, die ein Ab-
5
' 9 Stintzing in der ADB VIII, S. 577. Zu dieser Sammlung vgl. unten S. 378 mit Anm. 64. 521 REIFFERSCHEID 1889 nahm einige dieser Exzerpte in seinen Anhang auf (S. 967). 522 Gentiiis' Brief vom 21.10.1595 (SUH: Sup. ep. 4, Bl. 78). 523 Der in der BSB als Brief Lingelsheims an Scipio Gentiiis vom 23.01.1628 katalogisierte Brief (Sign.: Clm 10391, Bl. 53) kann sich nicht an den bereits 1616 verstorbenen Gelehrten richten. Er ist deshalb im Briefverzeichnis unter die anonymen Schreiben eingeordnet. 524 Dies hebt Kraus 1967, S. 350, hervor. 520
346 rücken von den antiken Autoren im Wettbewerb mit ihnen ermöglichten und das Bewußtsein der Fortschritte der eigenen Zeit fundierten.525 Bahnbrechend wirkten die Ergebnisse der neuen Astronomie, die Kopernikus begründet hatte. Sie erschütterte das alte geozentrische Weltbild und fand vor allem an den protestantischen Hochschulen Eingang. In Altdorf vertrat der aus Sachsen gebürtige, nach dem Studium in Wittenberg und einer ersten Professur an der dortigen Universität im Jahre 1576 als Professor der Mathematik berufene Johannes Praetorius (1537-1616) die Lehre des Kopernikus.S26 Praetorius beschäftigte sich vor allem mit der Chronologie und Astronomie (und der damals davon nicht zu trennenden Astrologie), mit Algebra und Trigonometrie. Nach seinem Studium hatte er sich in Nürnberg niedergelassen, war von dort aber zu einer mehrjährigen Reise nach Prag, Wien und Polen aufgebrochen, die ihn zu einer engen Freundschaft mit Andreas Dudith führte. Als Jacques-Auguste de Thou im zweiten Band seiner Historia eine Eloge auf Dudith verfaßte, zeigte sich Praetorius damit nicht einverstanden und wandte sich im Jahre 1607 mit drei Briefen an Lingelsheim. Daß sich Praetorius nicht selbst mit einem Schreiben an den Pariser Parlamentspräsidenten wandte, sondern Lingelsheim für sein Anliegen einschaltete, verdeutlicht dessen Rolle in der deutschen Gelehrtenrepublik als einflußreicher Verbindungsmann zum späthumanistischen Kreis in Paris.527 Außer diesen drei anlaßgebundenen Schreiben, auf die sich die Antwortbriefe Lingelsheims nicht erhalten haben, scheint eine Korrespondenz zwischen ihnen nicht bestanden zu haben. Allerdings verfertigte Praetorius - wahrscheinlich noch im gleichen Jahr528 - einen umfangreichen Kommentar zu den Cyclometrica elementa duo Scaligers für den mathematisch interessierten Lingelsheim.529 Dieser Kommentar hat sich in einer umfangreichen Handschrift, die im Katalog der lateinischen Papierhandschriften der Universitätsbibliothek Erlangen als »Johannis Praetorii opus geometricum in quo variorum auctorum de quadratura circuli iuventa examinantur et reprobantur« tituliert wird, erhalten.530 Eine Marginale vermerkt als den Empfänger dieses Kommentars, der offensichtlich auch der Anreger dieser Ausführungen war, Georg Michael Lingelsheim.531
525 526
527 528 529 530 531
Dazu Kühlmann 1982, S. 19f. u.ö.; außerdem in der Einleitung, Kap. 2, Anm. 18. Zu Praetorius Jöcher III, Sp. 1748, u. X, Sp. 786-798, Will III, S. 225-231, u. VII, S. 191195, Michaud LXXV, S. 22f., Hoefer XL, Sp. 976f., A D B XXVI, S. 519f. (Günther), N D B XX, 667 (Schneidler); außerdem Pfeiffer 1966, S. 109, Will 1975, S. 102f. Nach Kraus 1967, S. 350, lehrte Praetorius seit 1588 das kopernikanische Weltbild an der Altdorfer Akademie. S. dazu die Ausfuhrungen in Teil I, Kap. 3.2.2.3.4. und unten zum Cabinet Dupuy. Darauf deutet der Brief von Lingelsheim an Gentiiis vom 19.02.1607 hin (BRA, BL 162). Zum Kontext s. S. 219. Fischer, S. 483. Der Band trägt die Signatur Ms. 830. Es heißt dort: »Ad D. Lingelsheim«, und die Ausführungen beginnen mit den Worten: »Quaeris ex me [...]« (UB Erlangen: Ms. 830, S. 30 r ).
347 1.5.6.
Joachim Camerarius
Als singulares Briefzeugnis hat sich schließlich noch ein Brief Lingelsheims an Joachim Camerarius erhalten. Dem berühmten Nürnberger Gelehrten übersandte Lingelsheim mit seinem Schreiben vom 26. November 1596 ein Büchlein, welches ihm gewidmet worden war.532 Joachim Camerarius war ein Sohn des gleichnamigen großen Humanisten, der von 1526 bis 1535 als Lehrer für alte Sprachen am neugegründeten städtischen Gymnasium seine wissenschaftliche Karriere begonnen hatte. Er war 1534 in Nürnberg geboren und hatte sich nach dem Studium der Medizin in Wittenberg, Leipzig, Padua und Bologna 1564 in der Reichsstadt als Arzt niedergelassen, wo er sich große Verdienste um das städtische Gesundeitswesen erwarb.533 Er stand im Mittelpunkt eines großen gelehrten Freundeskreises, in dem er als Mediziner und Naturwissenschaftler einen hervorragenden Ruf genoß.534 In seinem Haus in Nürnberg »herrschte der vornehme und großzügige Lebensstil, wie er in der Nürnberger Patrizierfamilie üblich war«,535 es herrschte aber auch der philippistische, weltoffene Geist, der die oberdeutschen Späthumanisten wie das handelsorientierte reichsstädtische Patriziat prägte. Neben Arbeiten zur Botanik und medizinisch-philologischen Studien schuf Camerarius mit seinen Symbolorvm et emblematvm centvriae tres, die sein Sohn Ludwig 1605 um weitere einhundert Embleme erweiterte, »die erste nach enzyklopädischen Gesichtspunkten eingerichtete Emblembuchfolge«.536 Dieses Werk diente später Julius Wilhelm Zincgref als eine seiner Vorlagen für seine eigene Emblemsammlung.537
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Es ist nicht zu entscheiden, welche Schrift damit gemeint ist, entweder der Gelegenheitsdruck (In nuptias Georgii Michaelis Lingelshemii [1596]), an dem Camerarius' Sohn Ludwig als Beiträger beteiligt war, oder der Heliodor (1596), den Commelinus in seinem Widmungsbrief Lingelsheim zueignete (vgl. die entsprechenden Kap. in Teil I). Zu ihm vgl. Schubert 1955, S. 11-14, Killy II, S. 350f. (Müller-Jahncke), KohlndorferFries 2003, S. 159-176. Außerdem Will I, S. 173-176, u. V, S. 145f., Jöcher I, Sp. 1594f., Michaud VI, S. 471-474, Hoefer VI, Sp. 602-605. Er fehlt überraschenderweise sowohl in der ADB als auch in der NDB. - Zu seinen engen Beziehungen zu Crato von Crafftheim und seinem Freundeskreis vgl. Gillet 1860, Bd. I, S. 71 f. u.ö. Zu seiner Korrespondenz die verstreuten Bemerkungen bei Brulin 1938, Halm 1873, Schmidt-Herrling 1940. Schubert 1955, S. 13. Höpel 1987, S. 133. Einen Nachdruck mit umfangreichem Kommentar (Camerarius: Symbola et emblemata) legten vor einigen Jahren Wolfgang Harms und Ulla-Britta Kuechen vor, zu Entstehung und Bedeutung dieses Werkes vgl. dort die Einfuhrung in Bd. II. Henkel/Schöne nahmen alle vierhundert Embleme in ihr Handbuch auf. Vgl. die editorische Einleitung von Mertens und Verweyen zu Zincgref: Ges. Schriften, Bd. II, S. 8f.
348 1.6.
Augsburg
1.6.1.
Einleitung
Als einzige unter den großen oberdeutschen Reichsstädten trat Augsburg der Union nicht bei. Dies war das Resultat ihrer konfessionellen Sonderstellung und der sich daraus ergebenden reichspolitischen Linie ihres Rates. Denn seit dem Augsburger Religionsfrieden war in Augsburg die Parität festgeschrieben, die ein Nebeneinander von Katholiken und Anhängern der Confessio Augustana in der Stadt sicherte. 538 Der Rat war dementsprechend paritätisch besetzt, wobei sich die Mehrheitsverhältnisse immer wieder zugunsten einer Partei verschieben konnten. Anders als Nürnberg oder Straßburg verfügte die Stadt über keinen reichen territorialen Besitz. Aus diesem Grund und angesichts der konfessionellen Parität und der massiven Einflußnahme, die der Kaiser auf die Legstadt des Heiligen Römischen Reiches, die auch Sitz des Reichspfennigmeisteramtes war, ausüben konnte, mußte Augsburg noch sehr viel stärker auf eine neutrale, um ein gutes Verhältnis mit dem Kaiser bemühte Reichspolitik bedacht sein. Durch ihre äußerst zurückhaltende und dezidiert kaiserfreundliche, eindeutige konfessionspolitische Parteinahmen jedoch vermeidende Haltung verlor die Stadt allerdings das Vertrauen der übrigen protestantischen Reichsstädte. Stattdessen suchte der Rat in den sich seit Donauwörth zuspitzenden konfessionspolitischen Konflikten die Nähe zu Bayern, mit dessen Herzog im Jahre 1619 sogar ein Schutzbündnis gegen einen militärischen Einfall feindlicher Truppen abgeschlossen wurde. 539 Das Verhältnis zwischen den Konfessionen in der Stadt blieb über Jahrzehnte weitgehend friedlich. Wie leicht sich allerdings die Spannungen entladen konnten, zeigte sich in den Unruhen um die Einfuhrung des gregorianischen, von den Protestanten entschieden abgelehnten >päpstlichen< Kalenders, den die damals katholische Ratsmehrheit vornehmlich aus ökonomischen Gründen annahm (1583/84). 540 Insgesamt läßt sich für den gesamten Zeitraum zwischen 1555 bis 1629 ein politisches Übergewicht der Katholiken in der Stadt feststellen: »Lutheranis quidem numero, Catholicis autem potentia et auctoritate Superioribus«, 538
Zu den paritätischen Reichsstädten als Sonderfall des Religionsfriedens Warmbrunn 1983. Zur katholischen Konfessionalisierung in Augsburg und hier im wesentlichen der »Binnenkonfessionalisierung«, d.h. den »Strukturen und Mechanismen des Konfessionalisierungsprozesses [...], die zur Herstellung einer konfessionellen Homogenität innerhalb des katholischen Bevölkerungsteils« (S. 15) in Augsburg führten, vgl. die Dissertation von Wallenta 2003; auch Wallenta bekräftigt in diesem Prozeß die Neutralität des Stadtrates.
539
Auch zu Augsburg liegt wie für Nürnberg eine große Stadtgeschichte mit zahlreichen Einzelaufsätzen vor: Gottlieb [u.a.] 1985, für unseren Zeitraum S. 241-447; daneben zur schnellen Orientierung das Nachschlagewerk von Grünsteudel [u.a.] 1998 (hier für unseren Zeitraum der Aufriß von Häberlein 1998), hinzuzuziehen außerdem der knappe Überblick von Frühwald 1995. Das einbändige Standardwerk stammt von Zorn 1972, hier S. 198— 223 (die 4. Aufl. 2001 konnte vor Drucklegung nicht mehr eingearbeitet werden). Für das konfessionelle Zeitalter außerdem die große Untersuchung von Roeck 1989, zur Reformation der Beitrag von Schubert 1955a.
540
Vgl. Roeck 1989, Bd. I, S. 125-188. Auch in den anderen paritätischen Reichsstädten kam es hierüber zu Unruhen, vgl. Warmbrunn 1983, S. 360-386.
349 beschrieb eine zeitgenössische Quelle den status quo in Augusburg. 541 Die Patrizier, die reichen Kaufleute und die Gelehrten pflegten über die Konfessionsgrenzen hinweg einen offenen Umgang miteinander und praktizierten damit eine irenische Haltung. 542 Auch das Vordringen der Jesuiten seit den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts gefährdete die friedliche Koexistenz der Konfessionen in Augsburg nicht, wenngleich der alte Glauben unter der Bevölkerung wieder mehr Zuspruch gewinnen konnte. Noch 1619 bestätigte Kaiser Ferdinand II. die Parität. 543 Seit 1628 jedoch, durch den Erlaß des Restitutionsedikts im darauffolgenden Jahre auf eine reichsrechtliche Basis gestellt, kam es zu einer gewaltsamen Rekatholisierung. Mit der Übergabe der Stadt an die Schweden drehte sich diese Entwicklung um, nunmehr wurden die Katholiken radikal unterdrückt. Erst der Westfälische Friede stellte die Parität Augsburgs wieder her, das durch die Kriegsereignisse und eine schwere Pestepedemie schwer geschädigt worden und dessen große Zeit vergangen war. 544 Augsburgs Reichtum gründete auf seiner Lage als wichtiger Schnittpunkt des europäischen Handels. Zahlreiche äußerst vermögende Kaufmannsfamilien, unter ihnen die geradezu zu einem Synonym für wirtschaftlichen Erfolg an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit gewordenen Fugger, die Finanziers Kaiser Karls V., hatten ihren Stammsitz in der Stadt. 545 Die finanzielle Potenz und das große Bildungsinteresse der reichen Kaufleute förderten die Entfaltung des Humanismus, innerhalb der Oberschicht entstand »eine herausragende Spätblüte humanistischen Geistes im Dienste der Religion«, 546 aber eben unter Wahrung einer weitgehend friedlichen Koexistenz der Konfessionen. Bedeutende private Büchersammlungen entstanden, im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Lateinschule wurde 1537 eine Stadtbibliothek gegründet. Mit der Lateinschule St. Anna und dem 1582 von Jesuiten gegründeten Gymnasium besaß die Stadt zwei humanistische Bildungsanstalten, eine Akademie oder Universität allerdings fehlte. 547 Buchdruck und Buchhandel florierten, wobei - wie die Forschungen von Künast jüngst nachwiesen 548 - in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein erstaunlich hoher Anteil deutschsprachiger Werke in den Augsbur-
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Zitiert nach Lenk 1968, S. 65. Zu den in der Parität wurzelnden Anfangen einer Toleranz der Beitrag von Schulze 2000. Vgl. Schulze 1985, S. 444. Zur Verwirklichung und den Problemen der Parität in Augsburg auch Lenk 1968, S. 75-81, sowie Warmbrunn 1983, passim. Neben den eben zitierten Arbeiten außerdem die große Darstellung von Roeck 1991 über Augsburg im Dreißigjährigen Krieg. Unterstützungen ließen die Fugger v.a. Druckern zukommen, z.B. auch Henri Estienne; einige Familienmitglieder entwickelten auch eigene gelehrte Tätigkeiten, Marx Fugger übersetzte beispielsweise die Annales des Baronio (vgl. S. 224 u. S. 398 mit Anm. 63) ins Deutsche (vgl. Beilot 1985, S. 348). Lenk 1968, S. 65. Zum Augsburger Schulwesen einführend Joachimsen 1896 und zur humanistischen Bildungsreform im Spannungsfeld der konfessionellen Parität der Aufsatz von Boehm 1982. Zum St. Anna-Gymnasium Köberlin 1931 (für den hier behandelten Zeitraum S. 1-170), Beilot 1981. Vgl. Künast 1997, erste Ergebnisse schon ders. 1995 u. 1995a.
350 ger Offizinen entstand. Allerdings gab es bis 1580 offenbar keinen Buchdrucker in der Stadt, »der philologischen Ansprüchen genügt hätte«.549 Ein herausragendes Beispiel für das große humanistische Interesse der Söhne der vermögenden Augsburger Kaufmannsdynastien war der aus einer katholischen Familie stammende Markus Welser (1558-1614). 550 Von Hause aus vermögend, unterstützte er besonders den Buchdruck in seiner Heimatstadt durch die Gründung einer eigenen Offizin, die ursprünglich Editionen griechischer Autoren, deren Handschriften reichhaltig in der Stadtbibliothek zu finden waren, besorgen sollte, die sich aber bald zu einer Stütze der Gegenreformation entwickelte.551 Gleichwohl kennzeichnete den humanistisch gebildeten und selbst anscheinend äußerst gelehrten Markus Welser eine irenische Haltung, die sich auch an seinem weitverstreuten Korrespondentenkreis zeigte, zu dem etwa ein Scaliger oder ein Casaubon gehörten.552 Gemeinsam mit David Hoeschel, einem Protestanten, bildete er die >Seele< des Späthumanismus in Augsburg: Jener »war der spiritus rector, Weiser neben der wissenschaftlichen Arbeit der notwendige rector nervus rerum.«553 Lingelsheims Kontakte zu dem um diese beiden versammelten späthumanistischen Kreis in Augsburg waren überaus spärlich. Als Begleiter Robert Sidneys hatte er die Reichsstadt Ende 1580 für einige Tage besucht. Zwar lebten immerhin drei seiner Korrespondenten in Augsburg, aber zu einem regelmäßigen gelehrten Austausch über einen längeren Zeitraum kam es mit keinem von ihnen. Inwieweit hier konfessionelle Prämissen oder auch die geringe Bedeutung Augsburgs für die kurpfälzische Reichspolitik hineinspielten, ist nicht zu entscheiden. 1.6.2.
David Hoeschel
Der hinsichtlich seiner Stellung in der res publica litteraria bedeutendste Augsburger Korrespondent Lingelsheims war David Hoeschel (1556-1617). 554 Er verließ Augsburg nur für wenige Jahre, um das Gymnasium in Lauingen und die protestantischen Universitäten Leipzig und Wittenberg, wo er 1579 den Magistergrad erwarb, zu besuchen. Danach kehrte er in seine Vaterstadt zurück und wurde 1581 Lehrer am städtischen St. Anna-Gymnasium, das er selbst als Schüler besucht hatte. Sein Ruf als Gelehrter verbreitete sich schnell. Rufe an die Universitäten von Basel und Altdorf schlug er jedoch aus, um von 1593 bis zu seinem Tode das Rektorat der Stadtschule und im selben Jahr auch das Amt 549
Bellot 1985, S. 348. Vgl. zu seiner Person Lenk 1968, S. 21 u . ö . - Z u r Familie der Welser vgl. Baer [u.a.] 1985, S. 407f., und Grünsteudel [u.a.] 1998, S. 922ff. 551 Zur Druckerei vgl. Bellot 1978 sowie die entsprechenden Abschnitte in Gier/Janota 1997 in Teil 1 (S. 1-475). Zur Gründung auf Anregung Hoeschels Bursian 1883, Bd. I, S. 238. 552 Vgl. das Vorwort von Roeck 1984 zur Faksimile-Edition der Welserschen Stadtchronik. 5 » Lenk 1968, S. 95. 554 Zu ihm bislang am ausfuhrlichsten Spring 1993 (mit einem Verzeichnis der Schriften Hoeschels); außerdem Köberlin 1931, S. 121-138 (Hoeschel als Rektor), Schmidbauer [o.J.], S. 101-112 (Hoeschel als Gelehrter); weiterhin: ADB XIII, S. 176f. (Kaemmel), N D B IX, S. 368f. (Lenk), Baer [u.a.] 1985, S. 170. 550
351 des Stadtbibliothekars zu übernehmen. Hoeschel vertrat einen irenischen Späthumanismus. Bevor er 1593 seine Ämter antreten konnte, war er unter den Verdacht des Kryptocalvinismus geraten, von dem er sich aber reinigen konnte. Seine humanistische Ausbildung hatten die reichen, in der Stadt vielfältig als Mäzene auftretenden Kaufmannsfamilien der Fugger und Welser finanziert. Besonders der erwähnte Markus Weiser blieb ihm zugetan und gründete seinen Verlag auf Anregung Hoeschels, der sich neben seiner pädagogischen Tätigkeit, die zu einem Aufschwung des Gymnasiums führte, intensiven gelehrten Studien widmete. Er veröffentlichte zahlreiche griechische Autoren. Diese Editionen, unter denen die sog. Bibliothek des Patriarchen von Konstantinopel Photios herausragte,555 verbreiteten seinen Ruf als Philologe in der Gelehrtenrepublik. Hoeschel korrespondierte mit zahlreichen Gelehrten im In- und Ausland. Im Mittelpunkt seiner Korrespondenz standen dabei philologische und historische Fragen. So wandte sich auch Lingelsheim an ihn mit einem konkreten Anliegen. Er stellte damals Nachforschungen über Chrysostomos-Handschriften für Henry Savile an, der eine Edition plante. Sie wurde für lange Zeit die grundlegende Ausgabe.556 Lingelsheim besaß bereits eingehende Kenntnisse darüber, in welchen europäischen Bibliotheken Handschriften des griechischen Kirchenlehrers lagen. Das wird aus seinem Schreiben an Hoeschel vom 8. April 1602 deutlich, mit dem er um Lesarten aus dem Augsburger Exemplar bat.557 Dieser Brief ist das frühste Zeugnis eines Briefkontaktes, von dem nur noch zwei weitere Schreiben Lingelsheims überliefert sind. In ihnen geht es vor allem um Bücherwünsche Hoeschels, die Lingelsheim aus der Palatina besorgte.558 Von sämtlichen Briefen befinden sich heute noch die Autographen in der Universitätsbibliothek Heidelberg, die Briefe Hoeschels müssen als verloren gelten.
1.6.3.
Philipp Hainhofer
Auch von Lingelsheims Korrespondenz mit Philipp Hainhofer (1578-1647) haben sich lediglich drei seiner Briefe als Autographen erhalten, die sich heute in der Universitätsbibliothek Basel befinden. Doch die Korrespondenz mit Hainhofer muß umfangreicher gewesen sein, verstreute Bemerkungen in anderen Briefen Lingelsheims zeigen, daß noch 1622 Kontakte bestanden haben.559
555
BIBAIOOHKl! TOY &QTIOY. Librorvm Qvos Legit Photius Patriarcha Excerpta Et Censurae. Quatuor mss. codicibus ex Graecia, Germania, Italia, Gallia collatis. David Hoeschelivs Avgvstanvs, primtis edidit. Notis, in quibus multa veterum fragmenta, ante hac inedita, illustrauit. (Augsburg: Praetorius 1601). Die Arbeit wird immer wieder als bedeutendster philologischer Beitrag Hoeschels hervorgehoben, vgl. Pfeiffer 1982, S. 177, Sandys 1964, Bd. II, S. 272. - Aber etwa auch seine Edition des Sirachtextes wird zu den bedeutenderen Leistungen der späthumanistischen Philologie gezählt, vgl. Ziegler 1962. 556 Vgl. unten S. 447f. 5 " Lingelsheim an Hoeschel, 08.04.1602 (UBH: Hs. 4054, Bl. 377'-378 r ). 558 Zu weiteren Kontakten Hoeschels zu Gruter und Sylburg vgl. die Miszelle von Sillib 1920. 559 Vgl. die Briefe Lingelsheims an Pierre Dupuy vom 16.07.1618 (BNP: Col. Dupuy 712, Bl. 740 sowie an St. Catherine vom 12./22.06.1620 (ebd.: Fr. 4122, Bl. 150 und 11./ 21.03.1622 (ebd., Bl. 99v).
352 Hainhofer stammte aus einer protestantischen, vermögenden Augsburger Tuchhändlerfamilie, hatte in Italien Jurisprudenz studiert und sich danach auf Reisen durch Deutschland und die Niederlande mehrere Sprachen angeeignet.560 Sein Interesse galt jedoch der europäischen Kunst, über die er sich umfängliche Kenntnisse erwarb. Er selber baute eine wertvolle private Kunstsammlung auf, war aber vor allem als Händler von Kunst- und Luxusgütern bedeutsam. Aus ganz Deutschland erhielt Hainhofer Aufträge, die in seinem Namen vom Augsburger Kunsthandwerk ausgeführt wurden. Seine weitreichenden Verbindungen hatte er durch zahlreiche diplomatische Tätigkeiten und Korrespondenzen geknüpft, die ihn unter anderem mit König Heinrich IV. von Frankreich, Herzog Maximilian I. von Bayern oder Herzog August dem Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg zusammenführten, für die er verschiedene Aufträge besorgte. Wie weit seine Kontakte reichten, verdeutlicht das Stammbuch Hainhofers, in dem sich Eintragungen von Fürsten und Handzeichnungen verschiedener Künstler fanden.561 In den drei deutschsprachigen Briefen Lingelsheims zwischen dem 12. November 1615 und dem 19. Februar 1616, die sich auf Schreiben aus Augsburg beziehen, ging es anscheinend um dieses Stammbuch, für das Hainhofer außer den Wappen des Kurfurstenpaares auch einen Eintrag Friedrichs V. begehrte. Letzteres konnte Lingelsheim allerdings nicht bewirken,562 woraufhin Hainhofer dem Kurfürsten persönlich gegenübertreten wollte.563 Dieses Anliegen bot jedoch nur den Anlaß für diese Briefe, in der Hauptsache behandeln sie politische Nachrichten und unterscheiden sich damit auch inhaltlich von Lingelsheims rein dem gelehrten Austausch gewidmeter Korrespondenz mit Hoeschel. 1.6.4.
Simon Tolmann
Kaum etwas bekannt ist über Simon Tolmann. Ein bei Witte abgedruckter kurzer Lebenslauf enthält nur wenige biographische Informationen. Demnach wurde Tolmann 1563 in Stralsund geboren. Er studierte unter anderem in Straßburg und Rostock Jurisprudenz und wurde 1588 in Marburg zum Doktor beider Rechte promoviert.564 Anschließend führte ihn eine längere peregrinatio nach 560
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Eine Biographie fehlt auch für diese interessante Persönlichkeit, der den Typus des Kunstagenten verkörperte und durch seine Tätigkeit über weitreichende Beziehungen zu deutschen Fürsten verfugt. Am ausführlichsten zu ihm Roeck 1992; vgl. weiterhin die Artikel in der ADB XLIX, S. 719ff., und der N D B VII, S. 524f. (Blendinger), sowie Baer [u.a.] 1985, S. 148f. Einiges zu seiner Bedeutung für das Kunsthandwerk in Augsburg liefert Bushart 1985, S. 383f. Einer der wichtigsten Briefwechsel Hainhofers wurde vor einigen Jahren - wenigstens teilweise - von Gobiet ediert (HAINHOFER 1984; dazu die Rezension von Bircher 1987, die S. 129-132 auch die Persönlichkeit Hainhofers würdigt). Zu den engen geschäftlichen (und persönlichen) Beziehungen Hainhofers zu Herzog August d.J. von Braunschweig-Lüneburg vgl. auch Boström 1995. Vgl. Doering in ADB XLIX, S. 721, der den Verlust dieses Stammbuches anzeigt. Vgl. Lingelsheim an Hainhofer, 20.11.1615 (BUB: G 128, Bl. 321). y g l . Lingelsheim an Hainhofer, 19.02.1616 (ebd., Bl. 34 r ). Über ihn ist kaum etwas bekannt. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf den kurzen Eintrag bei Krey VIII, S. 8. Der gleiche Lebenslauf bei Witte: Diar. II, Bl. Cc2 v -Cc3';
353 Italien und in die Niederlande. 1600 kam er nach Augsburg als Advokat und Ratskonsulent. Im Jahre 1620 als Stadtsyndikus nach Rostock berufen, wurde er dort im folgenden Jahre Professor der Jurisprudenz und starb 1630. Bei Jöcher findet sich außerdem der Hinweis auf eine Tätigkeit als »Raths-Consulent und Advocatus f...], hierauf Syndicus« in Straßburg. 565 Tolmann richtete am 16./26. August 1615 aus Augsburg einen Brief an Langelsheim. Dieses Schreiben ist ausdrücklich an den kurpfälzischen Vizekanzler adressiert und dient der offiziellen Anfrage des Augsburger Ratskonsulenten, über Lingelsheim einen Kontakt Hainhofers zum Kurfürsten herzustellen. Tolmann fungierte also als Mittelsmann, der offensichtlich in der Gelehrtenrepublik über Verbindungen verfugte, die für den >Kunsthändler< Hainhofer so nicht zur Verfugung standen. Erhalten hat sich nur dieses eine Schreiben in einer Abschrift in der Uffenbach-Wolfschen Sammlung. Es ist nicht zu ermitteln, ob Lingelsheim auf diesen Brief reagierte; immerhin aber trat er in der Folge brieflich in Kontakt mit Hainhofer. Hinweise auf eine weitere Korrespondenz mit Tolmann gibt es nicht. Der Geburtsort, die Studienorte und auch die Wirkungsstätten Tolmanns deuten darauf hin, daß er lutherischen Glaubens war. Somit gehören alle Augsburger Korrespondenten Lingelsheims dem Luthertum an, wobei Hoeschel offenbar sogar, wie viele späthumanistische Intellektuelle, Neigungen zum Calvinismus besaß. Auch die wenigen brieflichen Kontakte Lingelsheims in die paritätische Reichsstadt beschränkten sich also ausschließlich auf den protestantischen Kreis unter den Augsburger Späthumanisten.
1.7.
Anhalt
1.7.1.
Einleitung
Das Fürstentum Anhalt erlebte in seiner Geschichte mehrere Landesteilungen. 566 Erst 1570 kam es nach dem Aussterben einer Nebenlinie unter Joachim Ernst (1551-1586) wieder zu einer Vereinigung der anhaltinischen Territorien. Doch bereits unter seinen Enkeln entstanden nach einer kurzzeitigen gemeinsamen Verwaltung durch Erbteilung fünf Nebenlinien. Obwohl die Fürsten im Reichsfürstenrat über eine gemeinsame Stimme verfügten, bildeten die einzelnen Linien seit 1603 eigenständige Territorialstaaten heraus, die eigene Verwaltungen und eine eigene Landeskirche besaßen. Die geographische Nähe zu Sachsen und die Verbundenheit der Fürsten mit dem kursächsischen Herrscherhaus prägten die Reformation in Anhalt. Fürst
565 566
ebenso Vanselow, S. 116. Deutlich davon abweichend der ebenso knappe Artikel im Jöcher. Vgl. zu seiner Immatrikulation in Marburg Ceasar (Teil II), S. 65. Jöcher IV, Sp. 1240f. Grundlegend zur Geschichte Anhalts Wäschke 1913, für unseren Zeitraum Bd. II. Einen knappen Abriß bietet ders. 1895, S. 30-68; neuerdings Schräder 1990. Aufschlußreich für die überragende Bedeutung Wittenbergs als Studienort der Aufsatz von Becker 1902.
354 Wolfgang von Anhalt, der damals die Landesteile Kothen und Bernburg regierte, bekannte sich bereits 1521 zum Luthertum; in den Gebieten Dessau und Zerbst setzte sich die Reformation erst nach dem Ende der Regentschaft der Fürstin Margarete seit 1530 durch. Der Prozeß der Konfessionsbildung fand Mitte der vierziger Jahre mit dem Erlaß von Kirchenordnungen, Kirchenverfassungen und durch Visitationen einen Abschluß, das offizielle Bekenntnis gründete auf der Confessio Augustana. Von Anfang an dominierte in Anhalt ein philippistischer Protestantismus. Die Unterzeichnung der Konkordienformel verweigerte Joachim Ernst. Nachdem 1581 mit der Repetitio Anhaltina ein eindeutig philippistisch geprägtes Bekenntnis verkündet worden war, vollzog Fürst Johann Georg (reg. 1586-1603) bis 1597 den Übergang zum Calvinismus. Auf Basis der kurpfälzischen Kirchenordnung wurde ein reformiertes landesherrliches Kirchenregiment installiert. 567 Auch nach der Erbteilung blieb die Bekenntniseinheit bewahrt. Anhalt bot in den letzten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts Glaubensflüchtlingen aus anderen Territorien eine Zuflucht. Als 1574 u n d - n a c h dem Zwischenspiel Christians I . - e r n e u t 1591 die orthodoxen Lutheraner in Kursachsen die Oberhand gewannen, fanden die vertriebenen philippistischen Kräfte im benachbarten Fürstentum Aufnahme. Durch die konfessionelle Entwicklung im mächtigen Nachbarterritorium wurden die guten Beziehungen dorthin unterbrochen. Die anhaltinische Reichspolitik orientierte sich in der Folge verstärkt auf die Kurpfalz. Bereits bei der Einführung des Calvinismus hatten reformierte Theologen aus Heidelberg und Amberg mitgewirkt. Mit Fürst Christian I. von Anhalt, dem nach der Erbteilung 1603 das Bernburger Territorium zufiel, trat einer der Söhne Johann Georgs in kurpfälzische Dienste. Dadurch verfestigten sich die Verbindungen zwischen den beiden Territorialstaaten. Unter Christians Einfluß traten die anhaltinischen Fürstentümer 1608 auch der Union bei. Im Dreißigjährigen Krieg entwickelte sich Anhalt im Zeichen eines irenisch-protestantischen Späthumanismus zu einem Zentrum der nationalsprachlichen Ambitionen in Deutschland. Bedeutung erlangte vor allem Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (reg. 1603-1650), der 1617 nach dem Vorbild der Florentiner »Accademia della crusca« die erste deutsche Sprachgesellschaft, die »Fruchtbringende Gesellschaft«, gründete. 568 Damit stellte Deutschland den Anschluß an die europäische Sozietätsbewegung her. Sie wurde die größte deutsche Sprachgesellschaft im 17. Jahrhundert. Anders als etwa in den von den Nürnbergern, von Rist, Zesen oder in Straßburg in den folgenden Jahrzehnten gegründeten Sprachgesellschaften galt ihr vorrangiges Interesse der Pflege und Förderung einer reinen deutschen Hoch- und Literatursprache. Damit war ein starker Sprachpatriotismus verbunden, der im Dreißigjährigen Krieg in allen Diskussionen um eine deutsche Dichtung durchklang. 567 Vgl. mit dem Schwerpunkt auf Anhalt-Köthen für die Zweite Reformation den Aufsatz von Jablonowski 1993. 568
Zur Einordnung der Fruchtbringenden Gesellschaft in die europäische Akademietradition unter Diskussion des Forschungsstandes Hoppe 1996. Zu Ludwig vgl. Denk 1917. Zur europäischen Akademiebewegung (mit reichem Literaturanhang) allgemein Garber 1990.
355 Eine philippistisch beeinflußte Irenik herrschte auch an dem 1582 in Zerbst gegründeten Gymnasium illustre.569 Das Zerbster Gymnasium war eine landesherrliche Gründung im späthumanistischen Geist. Gegen die Einfuhrung des reformierten Bekenntnisses leistete der Lehrkörper zunächst erfolgreichen Widerstand, doch setzte sich auch hier durch Neubesetzungen von Lehrerstellen schließlich ein Calvinismus durch, der eine deutlich irenische Prägung besaß. Zunächst vor allem für die Ausbildung der eigenen Pfarrerschaft eingerichtet, entwickelte sich das Zerbster Gymnasium bis 1603 zur fuhrenden Bildungsanstalt in Anhalt, der die Fürsten nach der Landesteilung jedoch zunehmend weniger Fürsorge widmeten. Ohnehin als mittlere Bildungseinrichtung gegenüber den Universitäten benachteiligt, verlor es nach einer kurzen letzten Blüte am Beginn des Rektorats des überzeugten Calvinisten Marcus Friedrich Wendelin (1584-1652) zunehmend an Bedeutung. Im Dreißigjährigen Krieg drohte zeitweilig gar der Zusammenbruch der Schule, zumal der Anteil auswärtiger Schüler stark zurückgegangen war. Sicherlich ist für das Fürstentum Anhalt nach 1603 kaum von einem späthumanistischen Gelehrtenkreis zu sprechen. Kulminationspunkt war das Zerbster Gymnasium. Ein städtisches oder ein höfisches Zentrum fehlte. Lingelsheims Kontakte nach Anhalt waren überaus gering und sind nicht an mehr als zwei Einzelbriefen zu dokumentieren, die zudem zeitlich mehr als dreißig Jahre auseinanderliegen. Peucer und Becmann, die mehr als eine Generation trennte, standen in keiner gelehrten Beziehung zueinander und hielten sich zu keiner Zeit gemeinsam an einem Ort auf. Zudem handelte es sich bei ihnen um Personen, die in gänzlich unterschiedlichen konfessionspolitischen Kontexten als Flüchtlinge ins Land gelangt waren. Politisches Gewicht für die reichspolitischen und konfessionellen Pläne der Kurpfalz besaß das Fürstentum kaum. Diese maßgeblich von Christian von Anhalt-Bernburg getragene kurpfälzische Politik berücksichtigte keinerlei territoriale Interessen seines anhaltinischen Landesteils oder des Fürstentums insgesamt. Gleichwohl ist hier die regionale Gliederung des späthumanistischen Korrespondentenkreises insofern beizubehalten, als beide Korrespondenten der nobilitas litteraria, wenn auch mit völlig unterschiedlichem Status, angehörten und ihre Übersiedlung gerade nach Anhalt charakteristisch für das dortige konfessionelle und intellektuelle Klima war. Noch etwas anderes aber macht gerade diese beiden Personen innerhalb des Korrespondentenkreises Lingelsheims interessant: Indirekt bedeuten diese Korrespondenzen den einzigen Kontakt Lingelsheims, der auf Kursachsen verweist und der eben zwei Gelehrte betrifft, die wie Grünrade einen durch den dortigen Philippismus geprägten irenischen Calvinismus besaßen. In das orthodoxe Kursachsen besaß Lingelsheim dagegen keinerlei Verbindungen.
569
Dazu jetzt, unter akribischer Ausschöpfung des Oranienbaumer Archivs, die Dissertation von Castan 1999.
356 1.7.2.
Caspar Peucer
Caspar Peucer (1525-1602), Schwiegersohn Melanchthons und lange Jahre zusammen mit Hubert Languet dessen Hausgefährte, hatte in Wittenberg studiert und dort als Professor der Mathematik und später der Medizin an der Universität gelehrt.570 Er war die maßgebliche Gestalt für die Verbreitung und Förderung des Philippismus in Deutschland. Peucer gab die Schriften seines Schwiegervaters heraus und trug mit seinem Corpus Doctrinae Philippicum zur Vermittlung von Melanchthons Lehre entscheidend bei.571 Er verkörperte mit seinem umfangreichen Werk naturwissenschaftlicher, medizinischer und philologischer Schriften den Typus des polyhistorischen Gelehrten.572 Als Leibarzt Kurfürst Augusts von Sachsen gewann er vertraulichen Zugang zum Hof, wo er der führende Repräsentant der philippistischen Partei wurde. Seinem Einfluß auf den Kurfürsten war einst maßgeblich das sächsische Votum auf dem Augsburger Reichstag von 1566 zu verdanken gewesen, das die reformierte Kurpfalz vor einer scharfen Verurteilung durch die Reichsstände bewahrt hatte.573 1 574 geriet er jedoch in den Strudel der angeblich kryptocalvinistischen Verschwörung am kursächsischen Hof und wurde für mehr als ein Jahrzehnt in Festungshaft genommen. 574 Als Philippist verweigerte er während seiner Gefangenschaft standhaft die von ihm verlangte Unterzeichnung der orthodoxen Konkordienformel. Erst unter Christian I., der die zweite Reformation für Kursachsen ins Werk zu setzen suchte, erlangte er seine vollständige Rehabilitierung. Er wandte
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Eine moderne Biographie für Peucer fehlt, am ausfuhrlichsten nach wie vor Röse 1844; soeben allerdings erschien ein umfangreicher Ausstellungskatalog mit einschlägigen Beiträgen zu den Lebensstationen und dem Wirken Peucers: Stadtmuseum Bautzen 2002, dort zu seiner Anhaltiner Zeit der Beitrag von Castan 2002. Als biographischer Aufriß am besten Kühne 1983; weiterhin die Einträge in ADB XXV, S. 552-556 (Wagenmann), BBK VII, S. 388f., NDB XX, 278f. (Scheible), Engelhard II, S. 463. Nur bibliographisch zu verweisen weiß ich auf den Band: Caspar Peucer (1525-1602). Wissenschaft, Glaube und Politik im konfessionellen Zeitalter. Hgg. v. Hans P Hasse, Günther Wartenberg. Leipzig 2003, der nicht mehr berücksichtigt werden konnte. - Beachtung fand immer wieder auch der Naturwissenschaftler Peucer, so bei Müller-Jahnke 1992 oder Weichenhan 1995. Ein gewichtiger neuerer Beitrag über die theologische Krankheitsbewältigung im Werk von Melanchthon und Peucer stammt von Bröer/Hofheinz 2001; er ist aufschlußreich auch für den oben, S. 232, Anm. 288, genannten Kontext. Dabei bemühte er sich stets um den Ausgleich zwischen den Protestanten, so auch in einem Gutachten von 1594, das im Auftrage des kurpfälzischen Großhofmeisters Wittgenstein angesichts der Krise um die Bestätigung Friedrichs IV. durch den Kaiser entstand und unter Schilderung der Ereignisse des Reichstages von 1566 die Rechtgläubigkeit der Calvinisten auf dem Boden der Confessio Augustana beweisen sollte; vgl. dazu Wolf 1934a. Davon zeugt auch seine umfangreiche Bibliothek, deren Inventar ediert ist (Kolb). Unter den insgesamt 1.455 verzeichneten Nummern, einer für zeitgenössische Verhältnisse und erst recht angesichts der Lebensumstände Peucers beachtlichen Sammlung, dominieren die »libri medici« mit 422 Titeln vor den »libri historici« mit 362 Titeln und den »libri philosophici« mit 286 Titeln; erst dann folgen die »libri theologici« mit 223 Titeln. Beachtlich ist auch die Anzahl der »libri poetici« mit 112 Titeln, wohingegen die Jurisprudenz mit gerade einmal 35 Titeln vertreten ist; dazu kommen noch 15 »Lexica«. Vgl. Hollweg 1964, S. 310ff., 358-361. Vgl. Brüning 2002; zu den kryptocalvinistischen Verfolgungen in Sachsen oben S. 131 und das unten folgende Kapitel über Languet.
357 sich nach Anhalt, wo er seit 1586 bis zu seinem Tode in Dessau als fürstlicher Leibarzt und Geheimer Rat bestallt war. Lingelsheim verfolgte die kursächsische Reichs- und Konfessionspolitik stets mit Mißtrauen. Dieses war durch das Vorgehen der lutherischen Orthodoxie gestärkt worden.575 Mit dem Kirchenratspräsidenten Otto von Grünrade war ein bedeutender Vertreter des kryptocalvinistischen sächsischen Adels in kurpfälzische Dienste getreten, der einst zum Kreise um Peucer gehört hatte. Während Lingelsheim jedoch zu Grünrade über ihre gemeinsame Tätigkeit in kurpfälzischen Diensten ein überaus vertrautes Verhältnis entwickelt hatte, scheint es sich bei seinem Briefkontakt mit dem fuhrenden Kopf des kursächsischen Philippismus um einen singulären Kontakt zu handeln. So ist lediglich ein Brief Peucers an Lingelsheim vom 30. November 1595 überliefert, von dem zudem nur ein kurzer Auszug in mehreren textgleichen Abschriften in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen erhalten ist, bei dem es sich erneut um ein Schreiben an Lingelsheim in seiner einflußreichen Funktion als Oberrat handelt.
1.7.3.
Christian Becmann
Am 22. August 1626 richtete Christian Becmann aus Bernburg einen Brief an Lingelsheim. Auch er ist in mehreren gleichlautenden Abschriften in den Kopenhagener Handschriftensammlungen vorhanden. Becmann erkundigt sich bei Lingelsheim nach der Situation an der Straßburger Universität in den Kriegswirren. Diese Informationen erbittet er für den Enkel Conrad von Borstels, der einst als Amtmann Christians von Anhalt das Fürstentum verwaltet hatte; jener wollte demnächst zum Studium in die Reichsstadt kommen.576 Der einleitende Satz dieses Schreibens verweist allerdings darauf, daß bereits sechs Jahre zuvor zwischen Becmann und Lingelsheim eine Korrespondenz bestanden haben muß. Weder die damals gewechselten Briefe noch die Antwort Lingelsheims auf das Schreiben von 1626 haben sich erhalten. Dieser erste briefliche Kontakt bestand somit zu einer Zeit, in der Becmann noch in kurpfälzischen Diensten tätig gewesen war. Der 1580 in Sachsen geborene Becmann hatte seit 1599 in Leipzig Theologie studiert und dort 1604 den Magistergrad erworben. Nach Rektoraten in Naumburg und Mühlhausen wechselte er in gleicher Funktion 1615 an das Pädagogium in Amberg, dessen Reorganisation einst von Otto von Grünrade vorangetrieben worden war. Obwohl er an einer lutherischen Universität studiert hatte, muß er sich spätestens mit seinem Amtsantritt zum Calvinismus bekannt haben. Becmann, den Friedrich Taubmann zum poeta laureatus gekrönt hatte, ist als Verfasser einer lateinischen Sprachgeschichte bekannt geworden, zu der Scaliger die Vorrede beisteuerte.577 575 576
577
Vgl. etwa seine Haltung zum Häresie-Prozeß gegen Krell (oben S. 131, Anm. 236). In der gleichen Angelegenheit hatte er auch an Bemegger geschrieben (davon berichtet er in seinem Brief an Lingelsheim [KBK: Ny kgl. S. 617, S. 76]). Christiani Becmani De Originibus Latinae linguae, et qudd ex Ulis eruatur Germana significant proprietas. Cum praef. Josephi Scaligeri. (Wittenberg: Helwich 1609; bis 1629 noch drei weitere Auflagen).
358
Vorwiegend jedoch trat er mit theologischen Schriften in Erscheinung, die ihn als Vertreter eines irenischen Protestantismus ausweisen. Nachdem im Zuge der bayerischen Gegenreformation die Amberger Schule geschlossen worden war, wandte sich Becmann nach Anhalt und trat eine Stelle als Rektor der Bernburger Stadtschule an. 1627 wurde er als Professor der Theologie an das Zerbster Gymnasium berufen.578 Castan sieht in seiner Dissertation die Gründe für die Berufung Becmanns darin, daß er bei »gemäßigten Lutheranern, Philippisten und Calvinisten [...] aufgrund seines Könnens ein gleichermaßen hohes Ansehen« genoß und damit als »ideale Besetzung [erschien], die Hochschule und das Fürstentum [...] durch diese schwierigen Zeiten zu geleiten.«579 Bis zu seinem Tod im Jahre 1640 wirkte er in dieser Stelle und zugleich als Pastor und Superintendent in Zerbst.
1.8.
Weitere Korrespondenten
1.8.1.
Vorbemerkung
Lingelsheims deutscher Korrespondentenkreis beschränkte sich weitgehend auf die drei südwestdeutschen Reichsstädte Straßburg, Nürnberg und Augsburg, auf den schlesischen Freundeskreis um Opitz und Dornau und vor allem auf die Kurpfalz. Seine Korrespondenten lassen sich überwiegend den jeweiligen regionalen späthumanistischen Gelehrtenkreisen zuordnen. Das ist für Peucer und Becmann bereits nicht mehr der Fall, die nur hinsichtlich ihrer Prägung durch den kursächsischen Philippismus und durch ihren Aufenthalt in Anhalt, allerdings im Abstand von mehr als zwanzig Jahren, zu vergleichen sind, ansonsten aber bereits als Einzelgestalten betrachtet werden müssen. Das gilt auch für einige weitere deutsche Späthumanisten, mit denen Lingelsheim Briefwechsel unterhielt. Auch hier ist aus den verstreuten Briefzeugnissen nicht zu erkennen, daß Lingelsheim über sie irgendwelche Kontakte zu anderen regionalen Gelehrtenkreisen hergestellt hätte. 1.8.2.
Hugo Blotius
Das frühste erhaltene Autograph Lingelsheims ist sein Brief an Hugo Blotius vom 15. Januar 1582. Mit diesem Schreiben wandte er sich auf dem Höhepunkt der konfessionellen Auseinandersetzungen um die Person Johannes Sturms an den ehemaligen Straßburger Professor. Blotius, 1534 in Delft geboren, hatte nach
578
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Für seine Berufung verwendete sich v.a. Christian von Anhalt. Zu ihm vgl. Castan 1999, S. 126 (hier Anm. 335 auch weitere Literaturnachweise), sowie Schmidt, S. 26f.; weiterhin die kurzen Einträge in Jöcher I, S. 904, Eckstein, S. 35, ADB II, S. 240 (Wagemann). Castan 1999, S. 126. Mit »schwierigen Zeiten« ist auf den dramatischen Einbruch der Studentenzahlen angespielt, der durch die Kriegszüge Mansfelds und des Ligaheeres verursacht worden war. Mit dem Begriff des »Könnens« dürfte Castan v.a. die pädagogische E r f a h r u n g B e c m a n n s meinen.
359
dem Studium der Jurisprudenz in Löwen, Toledo, Orléans und Basel 1569/70 als Vorgänger von Giphanius die Ethikprofessur an der Straßburger Akademie vertreten.580 Von dort begab er sich in die Dienste des fränkischen Reichsritters Georg Ludwig von Hutten, der später - zunächst als Erzieher, dann als Mitglied des Oberrates - über Jahre eine dominierende Position in der kurpfälzischen Politik bekleiden sollte, bis er von Anhalt und der wetterauischen Partei im Oberrat zurückgedrängt wurde.581 Als praeceptor bereiste Blotius mit Hutten Italien. Über seine anschließende Tätigkeit als Lehrer der Söhne wichtiger habsburgischer Politiker knüpfte er Verbindungen zum Kaiserhof und erhielt schließlich 1575 die Stelle als kaiserlicher Hofbibliothekar in Wien, die er bis zu seinem Tode 1608 ausfüllte.582 Lingelsheim besuchte Blotius auf seiner Reise im Gefolge Robert Sidneys in Wien.583 Auch nachdem Kaiser Rudolf II. seine Residenz nach Prag verlegt hatte, blieb Wien als die politische Zentrale der habsburgischen Erblande eine kulturelle Metropole. Die schweren Schatten der Gegenreformation waren um 1580 noch nicht auf die habsburgischen Gebiete gefallen, der evangelische Adel hatte von Kaiser Maximilian II. Religionsfreiheit erhalten. Im Umkreis des Hofes versammelten sich, wie danach auch im Prag Rudolfs II., Gelehrte aller Konfessionen.584 Blotius gehörte zu den irenischen Gelehrten der späthumanistischen Gelehrtenrepublik. Zwar konvertierte er formell zum Katholizismus, hielt sich aber - wie beispielsweise auch Vulcanius und andere - vor eindeutigen Bekenntnisäußerungen zurück, was ihn immer wieder Angriffen der Jesuiten, die auch in Wien an Macht gewannen, aussetzte.585 Mit der europäischen res publica litteraria verbanden ihn äußerst zahlreiche Briefwechsel, die sich heute noch unter den Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien - für die Jahre nach 1575 nahezu lückenlos586 - erhalten haben. Darunter befindet sich auch der Brief Lingelsheims. Eine Antwort Blotius' ist nicht überliefert. Angesichts des Überlieferungsstandes der an Blotius gerichteten Briefe ist davon auszugehen, daß es sich um ein singuläres Schreiben handelt und beide über diesen speziellen Anlaß hinaus keine Briefe gewechselt haben.
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Vgl. Brummel 1965, auch Schindling 1977, S. 243. Zu den späteren Beziehungen Blotius' nach Straßburg vgl. Knod 1895. Zu Huttens Rolle in den kurpfälzischen Zentralbehörden vgl. Press 1970, S. 371-374 u.a., zu seinem Rücktritt dort S. 401 f. Zu seiner Biographie ADB II, S. 727 (Weiß), NDB II, S. 316f. (Menhardt); ausführlich Brummel 1972. Zu seiner Tätigkeit als Hofbibliothekar Unterkircher 1968, S. 81-127, dort S. 81-99 auch ausführlich zu seinem Lebenslauf; außerdem die in dem Katalog von Petschar 1993, S. 5-13, dokumentierten Akten und anderen Unterlagen seiner Tätigkeit. Von Blotius stammt auch das älteste Handschriftenverzeichnis der Wiener Hofbibliothek, das in einer kritischen Edition vorliegt (Blotius: Series nova). S. dazu oben S. 97. Zur gelehrten Kultur des höfischen Späthumanismus am Kaiserhof vgl. die im ersten Teil dieser Arbeit auf S. 90 in Anm. 32 aufgeführte Literatur. Eine Konversion von Blotius, wie sie Menhardt in der NDB II, S. 316, vermutet, bezweifelt Unterkircher 1968, S. 88f., der sich dafür auf Blotius' Korrespondenz stützen kann. Vgl. ebd., S. 83.
360 1.8.3.
Gottfried Jungennann
Die Reichsstadt Frankfurt am Main war das unbestrittene Zentrum des deutschen Buch- und Verlagswesens um 1600. Auf den jährlichen Buchmessen konnten sich die Angehörigen der Gelehrtenrepublik über die neusten Publikationen informieren, konnten Bibliothekare Neuerwerbungen tätigen. Der Rat der Reichsstadt führte jahrzehntelang, nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Interessen, eine tolerante Politik. Doch auch hier setzte sich schließlich das orthodoxe Luthertum durch, die Reformierten verließen die Stadt.587 Unter ihnen befanden sich auch die Angehörigen einer der bedeutendsten Druckerfamilien ihrer Zeit, die Nachkommen des einst von Hugo Languet vor der Bartholomäusnacht geretteten Andreas Wechel. Nachdem dieser im Jahre 1574 seine Pressen in Frankfurt installiert hatte, entwickelte sich seine Offizin schnell zu einer der besten Adressen für die Autoren aller Konfessionen. Sein Schwiegersohn Claude de Marne verlegte das Geschäft später ins nahe Hanau.588 Hanau sollte in den folgenden Jahren für die Heidelberger einer der wichtigsten Druckorte werden. Hier regierten die Reichsgrafen von Hanau-Münzenberg, Mitglieder des für die Kurpfalz so wichtigen Wetterauer Grafenvereins.589 Philipp Ludwig II. hatte mit seinem Regierungsantritt 1595/96 die zweite Reformation ins Werk gesetzt und bot in der Hanauer Neustadt den aus Frankfurt verdrängten niederländischen und französischen Exulanten ein sicheres Asyl.590 Wohl seit 1605591 wirkte Gottfried Jungermann a l s - w i e man sagen könnte - wissenschaftlicher Beraten, als Korrektor und Kommentator in der Offizin de Marnes. Sein Vater Caspar Jungermann, Professor für Jurisprudenz an der Leipziger Universität, hatte eine Tochter von Joachim Camerarius, des Großvaters Ludwig Camerarius', geheiratet.592 Während sein Bruder Ludwig Jungermann eine Professur an der medizinischen Fakultät in Altdorf bekleidete,593 eröffnete sich dem 1577 oder 1578 geborenen Gottfried nicht die Möglichkeit einer akademischen Karriere.594 Nachdem er unter anderem in Leipzig studiert hatte, kam er im Jahre 1604 als Erzieher in Lingelsheims Haus.595 Nach etwa einem Jahr wechselte er von dort in den Verlag von de Marne.
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Einführend Schindling 1991, bes. S. 248-259. Zur Offizin vgl. die S. 173, Anm. 17, zitierten Darstellungen. Zum Verhältnis von André Wechel und Languet s. Nicollier-de Weck 1995, vgl. das Reg. Zwischen dem lutherischen Rat der Reichsstadt Frankfurt und den reformierten Besitzern der Offizin kam es wiederholt zu Konflikten; in diese intervenierte u.a. auch Jacques Bongars, vgl. Bott 1993. Zu den Grafen von Hanau-Müntzenberg im Grafenverein vgl. Schmidt 1989, S. 556-562. Zur Reformation in den Grafschaften ebd., S. 321-339, vgl. auch ders. 1993 (zu HanauMüntzenberg bes. S. 128) und 1986. Zur Gründung der Neustadt vgl. Bott 1970-71; zu Philipp Ludwig II. (1576-1612) die Biographie von Müller-Ludolph 1991. Evans 1975, S. 8, datiert seinen Eintritt in die Offizin bereits in das Jahr 1604, dagegen Bursian in der ADB XIV, S. 709f. Für ein späteres Datum spricht auch die Dauer seines Aufenthalts in Lingelsheims Haus. Vgl. Schubert 1955, S. 12. Zu ihm die Einträge bei Will II, S. 261-266, u. VI, S. 190. Zu ihm Bursian in ADB XIV, S. 709ff. Vgl. Lingelsheim 1922, S. 46.
361 Aus den Jahren 1607 bis 1609 existieren sieben Briefe Georg Michael Lingelsheims an Jungermann, von denen sich in allen Fällen die Autographen erhalten haben, fünf davon unter den »Fontes Harleiani«, einer der größten Handschriftensammlungen in der British Library.596 Diese Korrespondenz, von der die Antwortbriefe des Hanauer Philologen komplett fehlen, behandelt neben Nachrichten aus Heidelberg und insonderheit von Lingelsheims Familie vornehmlich die neuste Produktion und die neuen Projekte der Hanauer Offizin, mit denen Jungermann betraut war und an denen sein ehemaliger Hauspatron regen Anteil nahm. Wie eng das Verhältnis Lingelsheims zu Jungermann war, zeigt sich darin, daß jener ihm, nachdem er schwer erkrankt war, Aufnahme in seinem Heidelberger Haus anbot, wo er ihn mit aller Kraft in seinen philologischen Arbeiten unterstützen wolle: »libris meis, ut tuis, vteris, et subministrabit tibi quidquid voles, Bibliotheca Principis.«597 Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, wenige Monate später verstarb Jungermann im August 1610. Zu seinem Tod erschien ein umfangreicher Gelegenheitsdruck, unter dessen Beiträger sich neben anderen Conrad Rittershausen, Janus Gruter, Scipio Gentiiis, Daniel und Nicolaus Heinsius, Friedrich Lingelsheim, Johann Leonhard Weidner und Julius Wilhelm Zincgref einreihten.598 Bereits diese Namen machen deutlich, wie eng sich einerseits die Verbindung Jungermanns zum älteren und jüngeren Kreis der Heidelberger Späthumanisten gestaltete und wie intensiv er andererseits durch seine persönliche Beziehung mit Georg Michael Lingelsheim in dessen freundschaftliches Beziehungsgeflecht eingebunden war.
1.8.4.
Melchior Goldast von Haiminsfeld
Seit 1607 stand Lingelsheim mit Melchior Goldast von Haiminsfeld in überaus regem Briefkontakt.599 54 Briefe von Lingelsheim, aber nur ein Schreiben von Goldast sind überliefert. Der größte Teil der Lingelsheim-Briefe ist in der 1688 erschienenen Edition der Goldast-Korrespondenz gedruckt. Mit einer Ausnahme fehlen von diesen Briefen Handschriften, lediglich Lingelsheims Brief vom 1. Dezember 1609 ist als Autograph in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover erhalten. Daß die Manuskripte nach dem Druck vernichtet wurden, war durchaus üblich, diese Überlieferungssituation ist also keineswegs selten. Um so überraschender ist der Fund des Lingelsheimschen Autographen. Keine Aufnahme in diese Edition fand ein anderer Lingelsheim-Brief vom 5. August 1608. Daß hier das Autograph vorhanden ist, verwundert aus dem genannten Grund nicht. Bis auf diesen Brief sind alle heute noch bekannten Schreiben Lingelsheims bis in das Jahr 1611 in die Edition aufgenommen. Briefe aus 596 597 598 599
Zu dieser Sammlung vgl. Wright 1972. Lingelsheim an Jungermann, 10.11.1609 (KBK: Boll. Brevs. U. Fol., Nr. 188, recto). Lacrymae Super immaturo obitu Godofredi Jungermanni (1611). Kohlndorfer-Fries 2003, S. 205, rechnet Goldast zum Heidelberger Kreis von Lingelsheim und Bongars; zwar stand er mit beiden, insbesondere mit Lingelsheim, in engerem Kontakt, für eine Zuordnung zu den kurpfälzischen Korrespondenten Lingelsheims gibt es jedoch angesichts seines Lebensweges keine faktisch begründbare Veranlassung.
362
späteren Jahren finden sich hier nicht. Die Korrespondenz zwischen beiden fand allerdings eine Fortsetzung. Zwei Briefe Lingelsheims aus dem Jahre 1614 und einer, der letzte bekannte, aus dem Jahre 1616 sind noch nachzuweisen. Sie haben sich - wie der erwähnte Brief aus dem Jahre 1608 - unter den Goldastiana in der Frankfurter Staats- und Universitätsbibliothek als Autographen erhalten. Es erscheint angesichts der regelmäßigen Kommunikation bis 1611 überaus unwahrscheinlich, daß sie die gesamte Korrespondenz in diesen Jahren darstellen. Vielmehr ist von größeren Verlusten auszugehen. Die Korrespondenz wird dominiert vom gelehrten Austausch der beiden Späthumanisten. Goldast, der sich verzweifelt um eine langfristige Perspektive in reichsständischen Diensten bemühte, lebte recht und schlecht, immer zugleich um die Erschließung von Verdienstmöglichkeiten und humanistische Reputation bemüht, von seinen Publikationen, die ein weites Spektrum von der Philologie über die Jurisprudenz bis zur Theologie abdeckten. Wenngleich Goldasts Werken bereits von Zeitgenossen - durchaus nicht immer unberechtigt - ein Mangel an Kritik und sogar bewußte Fälschungen vorgeworfen wurden, schuf er mit seinen umfangreichen Editionen von Quellen zur Geschichte des Reiches und des Rechts sowie der Publikation mittelalterlicher Texte grundlegende Werke für die frühneuzeitliche Wissenschaft.600 Seine mitunter mangelnde Sorgfalt dokumentiert beispielsweise seine Edition der Historia des Thuanus, die 1608 bei Peter Kopff in Frankfurt aufgelegt wurde. Diese Ausgabe war von de Thou nicht autorisiert. Durch zahlreiche Marginalien erhielt sie eine dezidiert antipäpstliche Tendenz und damit eine publizistische Einseitigkeit, die de Thou gerade in seinem um strenge Sachlichkeit der Darstellung bemühten Werk vermieden hatte. Lingelsheim war in die Vorbereitung dieser Ausgabe involviert, ja geradezu zu ihrer Überwachung von de Thou autorisiert worden.601 Als er die gravierenden Veränderungen Goldasts entdeckte, versuchte er vergeblich, seine Edition zu verhindern.602 Dieser Vorgang ist für Lingelsheims Einstellung zu diesem Werk wie überhaupt seine irenische Grundhaltung gleichsam symptomatisch. So sehr ihn diese Ausgabe aber auch verärgert hatte, so unverbrüchlich nahm er auch weiterhin regen Anteil am literarischen Schaffen und am persönlichen Schicksal Goldasts. Lingelsheim bemühte sich intensiv 600
6
Daß Goldast allerdings durchaus auch vor bewußten Fälschungen nicht zurückschreckte, wies am Beispiel von ihm edierter mittelalterlicher Magdeburger Kaiserdiplome Ottenthai 1919 nach; schon die Zeitgenossen warfen Goldast »Neigung zu Fälschung und Verfälschung« vor (S. 34). Mulsow hat aber erst kürzlich ganz zu Recht darauf insistiert, daß Goldast diese Fälschungen sehr bewußt für übergeordnete Zwecke, etwa die der Protestanten oder die des eigenen Fortkommens, einsetzte (S. 341 f.). Vgl. auch das günstige Gesamturteil von Kühlmann in Killy IV, S. 262f. - Goldasts Beitrag für die deutsche Philologie durch die Editionen mittelhochdeutscher Texte würdigt schon Dünnhaupt 1952, Sp. 100. Nach Lempicki 1968, S. 247, bildeten »Goldasts Publikationen [...] im 17. Jahrhundert die Hauptquelle für die Kenntnis der altdeutschen Literatur.« Zu Goldast althochdeutschen Studien in der St. Gallener Bibliothek die Arbeit von Hertenstein 1975, S. 115-199.
°i Vgl. sein Schreiben an de Thou, 16.08.1609 (BNP: Col. Dupuy 838, Bl. 2360. Lingelsheim an Goldast, 01.12.1608 (GOLDAST 1688, S. 289f.); vgl. auch sein Schreiben an Bongars, 18.12.1608 (BBB: Cod. 141, Nr. 59, Bl. 84r). - Z u den Ausgaben von Goldast vgl. Kinser 1966, S. 45-57 (sie erscheinen dort als die sog. Frankfurter Ausgaben).
602
363 darum, ihm eine Anstellung in Heidelberg zu verschaffen, ein Plan, der sich seit 1608 über zwei Jahre in Langelsheims Briefen verfolgen läßt,603 der aber trotz der Sympathien des Kurfürsten für den Polyhistor nicht verwirklicht werden konnte. Als sich dieses Vorhaben endgültig zerschlagen zu haben schien, schickte Lingelsheim dem mittellosen Gelehrten einige Goldstücke, die er in seinem Brief vom 6. Dezember 1610 als verdiente Entlohnung für einige von Goldast erhaltene Bücher präsentiert.604 Lingelsheim trat also im Falle Goldasts nicht nur als Förderer und Anreger, sondern auch als Mäzen auf. Melchior Goldast605 kam 1578 in Espen bei Bischofszell als Sohn einer verarmten Patrizierfamilie, die dem reformierten Bekenntnis angehörte, zur Welt. Sein Bildungsweg führte vom Gymnasium in Memmingen (1590-1594) über die Universität von Ingolstadt (1594) nach Altdorf (1595-1598), wo er Conrad Rittershausen und Scipio Gentiiis hörte. Geldnot zwang Goldast zum Abbruch seiner Studien und zur Abkehr von Altdorf, Geldnot sollte den unermüdlich publizierenden Polyhistor sein ganzes Leben begleiten. Von vermögenden Gönnern unterstützt, lebte Goldast einige Zeit in Genf und St. Gallen. Nach 1603 trat er in Dienste verschiedener Fürsten,606 erst 1615 jedoch konnte er mit der Bestallung zum Hofrat der Grafen von Schaumburg-Bückeburg eine langfristige Anstellung erhalten. Diese quittierte er allerdings zehn Jahre später, um nach Frankfurt am Main zurückzukehren, wo er sich schon einmal, 1606, niedergelassen hatte. Goldast fand in der Reichsstadt natürlich die besten Bedingungen vor, seine Publikationen einem wachsenden Buchmarkt zuzuführen. 1627 wurde 603 v g l . d i e e n t s p r e c h e n d e n B e m e r k u n g e n in d e n B r i e f e n v o m 0 8 . 0 1 , 0 5 . 0 2 . , 2 6 . 0 2 . , 0 4 . 0 3 . , 05.08., 19.08., 26.08., 16.09.1608, 02.03., 12.10., 0 3 . 1 1 . 1 6 0 9 , 0 4 . 0 5 . u n d 0 6 . 1 2 . 1 6 1 0 (alle in: GOLDAST 1 6 8 8 ) . 604
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Lingelsheim an Goldast, 21.12.1610 (REIFFERSCHEID 1889, S. 36): »Et quia sumptus in me saepius fecisti subministratis variis libris, ego autem hactenus nummario pretio tuam in me munificentiam dehonestare nollem, iam dum pandis arcana tua, pro meo modulo mitto tibi pauxillos istos aureos rogoque ne asperneris.« Auch für Goldast fehlt eine moderne, umfassende Biographie. Die umfangreichste Studie stammt von Schecker 1930, vgl. auch ders. 1931 als ausführlichere Darstellung zu Leben und Werk. Zuletzt Baade 1992 mit einem größeren biographischen Kapitel (S. 31-53) in ihrer Untersuchung zu Goldasts Paraeneticorum Veterum Pars I (hierzu auch das knappe, aber instruktive Nachwort zur Neuedition dieses für die Geschichte der deutschen Philologie bedeutsamen Werkes von Manfred Zimmermann in Goldast: Paraeneticorum Veterum Pars I) und den Scriptores Rerum Alamannicarum\ es ist die gegenwärtig umfangreichste Studie zu Goldast als Philologe und Editor mittelalterlicher Textquellen. Eine erste ausführlichere Biographie bietet Senckenberg: Melchioris Goldasti Haiminsfeldii Memoria (1730) in der von ihm besorgten Neuauflage der Scriptores rerum Alamanicarum. Heranzuziehen sind die neueren Artikel in: NDB VI, S. 601 f. (Vasella), Killy IV, S. 262f. (Kühlmann). Der Vollständigkeit halber sei genannt Wessing 1992, S. 55-60, der für seine akribische philologische Studie zu Goldasts Edition (besser: Glossar) der St. Gallener lateinisch-althochdeutschen Benediktinerregel eine allerdings äußerst oberflächliche biographische Kurzdarstellung verfaßt. Zum Schicksal seiner großen Bibliothek, die sich in der UB Bremen befindet, Wegner 1952; Knoll/Schmidt 1980. Die Frankfurter Briefe sind dort in Xerokopien vorhanden, sie werden im Briefverzeichnis jedoch nicht zitiert. - Goldasts Schriften sind bibliographisch erfaßt von Dünnhaupt, Bd. III, S. 1653-1679. Im Jahre 1604 hielt sich Goldast im Gefolge des Herzogs von Bouillon sogar für einige Zeit in Heidelberg auf (vgl. Mulsow 2001); möglicherweise knüpfte er bereits damals eine persönliche Bekanntschaft zu Lingelsheim.
364 er - als Belohnung dafür, daß er die Habsburgischen Ansprüche auf Böhmen begründet hatte607 - kaiserlicher Rat, etwa um diese Zeit trat er auch in kurtrierische Dienste, die er allerdings bald wieder verließ, als ihn der Landgraf von Hessen-Darmstadt, der ihn anscheinend auch früher schon unterstützt hatte, nach Gießen berief. Dort verstarb er im Jahre 1635.
607
Melchioris Goldasti Heiminsfeldii De Bohemiae Regni, Incorporatarumque provinciarum, iurìbus ac prìvilegiis; necnon de hereditaria Regiae Bohemorum familiae successione, commentarii in libros VI. divisi, & inde a prima usque origine ad praesentem aetatem quam diligentissime c£ accuratissime deducti. (Frankfurt/M: Porss 1627).
2.
Eidgenossenschaft
2.1.
Einleitung
Seit dem Ende des Mittelalters war im Süden des Reiches ein Bündissystem souveräner Territorial- und Stadtstaaten gewachsen, die sich untereinander durch verschiedene Bundesbriefe auf ewige Zeiten zusammengeschlossen hatten. Die Zahl der Orte wuchs Anfang des 16. Jahrhunderts auf dreizehn an, nachdem sich mit dem Ende des Schwabenkrieges Basel und Schaffhausen, später auch Appenzell der Eidgenossenschaft, wie sich die alten Orte in diesen Bundesverträgen selbst bezeichneten, angeschlossen hatten.1 De facto schieden diese Gebiete damit aus dem Reichsverband aus, ein Prozeß, der durch den Westfälischen Frieden seinen staatsrechtlichen Abschluß fand.2 Noch im 16. Jahrhundert hatten weitere Städte und Territorien den Anschluß an die Eidgenossenschaft gesucht, die aber nicht mehr eine gleichberechtigte Aufnahme fanden, sondern über Bündnisse mit einem oder mehreren Orten die Gruppe der sog. Zugewandten bildeten. So entstand ein Bund von Gemeinden mit teilweise beachtlichen Herrschaftsgebieten, der keine zentrale Behörde besaß, sondern sich auf den Tagsatzungen, von den Orten und den Zugewandten beschickten Gesandtenkonferenzen, über Krieg und Frieden, Bündnisse mit anderen Mächten, Satzungen und Ordnungen verständigte.3 Der mächtigste Ort war Bern, das bereits 1353 einen ewigen Bund mit den drei Urkantonen geschworen hatte.4 Als Reichsstadt von den deutschen Kaisern mit zahlreichen Privilegien ausgestattet, hatte Bern durch Kauf und Eroberungen den mit Abstand größten Territorialbesitz unter seiner Herrschaft vereinen können. Der Stadtstaat verfolgte unter den eidgenössischen Orten die aktivste Politik. 1534 unterstützte Bern die Stadt Genf mit eigenen Truppen in ihrem Diese Selbstbezeichnung offenbar erstmals im Basler Bundesbrief, der nicht mehr zwischen einzelnen Orten, sondern zwischen einer beitrittswilligen Stadt, nämlich Basel, und »gemeyner Eydgenossenschafft stett und lender« abgeschlossen wurde. Vgl. Meyer 1931, S. 16, Abdruck des Bundesbriefes ebd., S. 37-45 (Zitat S. 37). Zur Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Schweiz, die dadurch staatsrechtlich Eigenständigkeit gewonnen hatte, vgl. den Band von Jorio 1999; außerdem Stadler 1998. Grundlegende Einführungen für die Schweizer Geschichte in unserem Zeitraum: Muralt 1972, Stadler 1972, Kömer 1983, Berner [u.a.] 1993, Greyerz 1979, Im Hof 2001, S. 4 4 73. Zur rechtlichen Stellung der Eidgenossenschaft zum Reich in dieser Zeit jetzt Braun 1997 für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts sowie allgemein Peyer 1980, S. 9 - 2 1 , S. 7 5 80, und Sieber-Lehmann 1999. - Allgemein zur schweizerischen Kirchengeschichte der Zeit Pfister 1964-95, Bd. II; jüngst zum Verlauf der Reformation in der Eidgenossenschaft Gordon 2002. Die umfangreichste Stadtgeschichte stammt von Feller 1946-60, hier Bd. II.
366 Kampf gegen den Genfer Bischof und den Herzog von Savoyen und eroberte die Waadt.5 Der Konflikt um die Stadt Genf und das Waadtland beunruhigte bis 1602 den Südwesten der Eidgenossenschaft. Erst in diesem Jahr scheiterte der letzte Eroberungsversuch Savoyens (die sog. escalade); die Genfer Frage wurde nachträglich in den Vertrag von Vervins aufgenommen. In diesen Konflikt war auch Frankreich massiv involviert, das 1521 mit den Eidgenossen eine militärische Allianz begründet hatte und gegen Savoyen eigene Interessen verfolgte. Die Stadt Genf suchte in ihrem Ringen um Autonomie eine Anbindung an die Eidgenossenschaft und gehörte, nachdem 1526 zunächst mit Bern und Freiburg ein 25-jähriges, 1558 mit Bern und schließlich 1584 mit Bern und Zürich ein ewiges Burgrecht geschlossen worden war, zu den Zugewandten Orten.6 In der Genfer Frage zeigte sich allerdings, daß die Orte der Eidgenossenschaft keineswegs eine einheitliche Politik verfolgten. Wie im Reich, wie im benachbarten Frankreich und nahezu überall in Europa hatte die Reformation auch hier zu einer Spaltung gefuhrt. 1529 bis 1531 war es in den Kappeler Kriegen auf eidgenössischem Boden zu den ersten konfessionellen Bürgerkriegen in Europa gekommen. Unter den Gefallenen befand sich auch der Züricher Reformator Huldrich Zwingli, die große Gestalt der ersten Phase der Schweizer Reformation. Diese hatte ebenfalls Anfang der zwanziger Jahre die eidgenössischen Städte erfaßt und eine vor allem in der Abendmahlsauffassung und der Kirchenorganisation im Vergleich mit dem deutschen Luthertum deutlich unterschiedliche Ausprägung erfahren. Neben Zürich übernahmen Bern, Basel und Schaffhausen die neue Lehre. Ihnen standen die fünf mittel schweizerischen Orte gegenüber, die am alten Glauben festhielten und sich im Kampf gegen Zwingli mit Habsburg verbündet hatten. Auch unter den Zugewandten gab es Anhänger beider Konfessionen. Die katholischen Orte suchten wiederholt das Bündnis mit Savoyen und mit den Habsburgern und hatten 1587 eine Allianz mit Spanien geschlossen,7 die Reformierten dagegen paktierten mit Frankreich und pflegten intensive Kontakte zu den protestantischen Reichsständen. Seit 1610 unternahm die Union mehrfach Vorstöße, um die reformierten Orte zu einem Beitritt zu bewegen. Allerdings vergeblich, denn die Politiker in den Stadtstaaten erkannten nur allzu genau die Folgen, die dieser Schritt bedeutet hätte, nämlich den Zerfall der Eidgenossenschaft. Sie wahrten Neutralität, die sie auch im Dreißigjährigen Krieg, der in Graubünden für lange Jahre auf eidgenössischem Boden wütete, nicht preisgaben.8 s
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Zur Politik Berns in der Waadt und gegenüber Genf vgl. neben ebd., Bd. II, S. 350-383, auch schon Lüthi 1885. Einfuhrend zur Geschichte Genfs die Bände von Guichonnet 1986 und die Beiträge von Choisy, Courvoisier, Cramer, Delarue, Gagnebin, Martin und Vaucher in Martin 1951. Zur prospanischen Politik der katholischen Orte in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg jetzt die Untersuchung von Bolzern 1982. Zu den gescheiterten Reformationsversuchen bzw. den erfolgreichen Gegenreformationen auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft nunmehr die Studie von Zünd 1999. Dazu für Bern die Arbeit von Hagen 1865, für Basel Bonjour/Bruckner 1951. Zur Begründung der Neutralität aus der eidgenössischen Parität Guggisberg 1979-82. - Am schwersten von den eidgenössischen Orten hatte im Dreißigjährigen Krieg Basel zu leiden, dessen
367 D e n Willen zur n a t i o n a l e n E i n h e i t , den die Orte hier demonstrierten, hatten auch die Schweizer Reformierten für einen k o n f e s s i o n e l l e n A u s g l e i c h gezeigt. D i e politische Situation der Eidgenossenschaft machte für sie eine konfessionspolitische Geschlossenheit überaus dringlich. Hatten Zürich und G e n f bereits 1549 durch den Consensus
Tigurensis
demonstriert, w i e auch in stritti-
g e n Glaubensfragen eine Einigung erreicht werden konnte, bedeutete die fessio
Helvetica
Posterior,
Con-
die 1566 auf Betreiben der Kurpfalz im V o r f e l d d e s
w e g w e i s e n d e n Augsburger Reichstages zustandekam, 9 ein deutliches Signal d e s Zusammenhalts der europäischen Reformierten, die der Confessio
weitgehend
zustimmten. Sie unterbreitete zugleich den deutschen Lutheranern ein eindeutig e s irenisches Angebot. D i e s e j e d o c h waren darum bemüht, sich v o n den z w i n g lianischen und calvinistischen >Sektierern< abzugrenzen. 1 0
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exponierte Lage am Oberrhein, das sog. Baselbiet, ein ideales Durchzugsgebiet für die spanischen Truppen aus Italien war, vgl. Strittmatter 1977. Zu diesem Reichstag Hollweg 1964, dort auch das Wesentliche zu den kurpfalzischeidgenössischen Kontakten im Vorfeld. Im Wissen um seine prekäre reichspolitische Lage hatte Kurfürst Friedrich III. Bullinger und die Schweizer Reformatoren um eine Bekenntnisschrift, die das Gemeinsame der reformierten Kirchen Europas betonte und den Lutheranern gegenüber versöhnliche Töne anschlagen sollte, gebeten, um seine Position in der bevorstehenden Auseinandersetzung zu stärken (vgl. ebd., S. 163-197). Außerdem zur Entstehung der Confessio Helvetica Posterior und den Kontakten zwischen Zürich und Genf Koch 1966. - Besaßen in der ersten Phase der kurpfälzischen Reformation v.a. die oberdeutschen Reformatoren, namentlich die Straßburger Martin Bucer und Johann Marbach, Einfluß auf die Organisation der kurpfälzischen Kirche (vgl. ausführlich Schmidt 1856; Vogler 1977b bietet nur einen sehr knappen Überblick; nachdem Melanchthon eine Berufung nach Heidelberg ausgeschlagen hatte [vgl. Hartfelder 1888], entsandte der Straßburger Rat auf Bitten Friedrichs II. Paul Fagius, einen engen Freund Bucers [zu ihm Raubenheimer 1957, zu seinem Wirken in der Pfalz dort S. 72ff.]; der Straßburger Stettmeister Jakob Sturm versuchte sogar, die Kurpfalz in den Schmalkaldischen Bund zu ziehen, vgl. Hasenclever 1903), so verschob sich das Kräfteverhältnis in der Kurpfalz mit der Berufung des zu den Zwinglianern neigenden Thomas Erast (s. oben S. U l f . ) in Richtung der Schweizer Reformation, zunächst im Sinne Zwingiis, dann unter dem Einfluß des Kirchenrats Caspar Olevian und des Oberrats Christoph Ehem zum Genfer Vorbild. Dieses wurde allerdings keineswegs streng übernommen (vgl. dazu oben S. 111 u. 126). Zeeden 1962 hebt zwar ausdrücklich die Wirkung der Korrespondenz Calvins mit Olevian auf die reformierte Entwicklung der Kurpfalz hervor, weist aber daraufhin, daß die kurpfälzische Kirchenordnung von 1564, die den entscheidenden Richtungswechsel der Reformation unter Friedrich III. einleitete, nicht nur unter dem Einfluß der Genfer Kirchenordnung von 1561, sondern ebenso der Londoner von 1550 und der Frankfurter von 1554 - letztere vermittelt über die aus Frankfurt nach Frankenthal emigrierte niederländische Exulantengemeinde - stand. Bèze hielt sich mehrfach persönlich in Heidelberg auf, um dort mit den Kurfürsten Ottheinrich und Friedrich III. über konkrete Hilfen für die bedrängten französischen Hugenotten zu verhandeln, vgl. Hollweg 1964, S. 163, Geisendorf 1967, S. 81 u.ö. Zu seinen brieflichen Kontakten nach Heidelberg vgl. die in der seit 1960 entstehenden Edition seiner Korrespondenz abgedruckten Briefe, dort das Register. Der entscheidende Verbindungsmann für die gemäßigten Kräfte in der Kurpfalz war Heinrich Bullinger in Zürich, der die Erfolge der Calvinisten in Heidelberg mit wachsender Sorge betrachtete. Als sich die Einführung der strengen Kirchenzucht deutlich abzuzeichnen begann, fürchtete er, »habebimus novam Inquisitionem Hispanicam« (zitiert nach Wesel-Roth 1954, S. 137, Anm. 168). Bullinger unterhielt neben Erast mit Ursinus eine rege Korrespondenz, der seinen Züricher Freund und Gönner in diesem Konflikt ausführlich um Rat bat, sich aber - weil er nach eigenem Zeugnis jeden Streit
368 Denn der Weg der europäischen Reformation hatte von Wittenberg über Zürich nach Genf geführt.11 Der Genfer Rat hatte zuerst den reformatorischen Ideen mehrheitlich ablehnend gegenübergestanden. Es sollte noch einige Zeit dauern, bevor Genf neben Zürich das weithin ausstrahlende Zentrum des europäischen Reformiertentums wurde. Unter Einflußnahme Berns, dessen Rat die sozialdisziplinäre Energie einer obrigkeitlichen Kirchenverfassung für den Ausbau seiner Kontrolle über die Bürger längst erkannt hatte,12 und auf massiven Druck aus der Bevölkerung änderte sich jedoch seit Mitte der dreißiger Jahre die Haltung des Genfer Rates. 1535 wurde der katholische Gottesdienst verboten, im Jahre darauf führte man die Reformation ein. Treibende Kraft war zunächst der französische Hugenotte Guillaume Farel,13 der seit 1526 in Berner Diensten die Reformation in der Waadt verbreitet hatte und nach Genf gesandt worden war. Als 1536 Jean Calvin, der soeben seine Institutiones veröffentlicht hatte, in Genf Station machte, konnte Farel seinen Landsmann überreden, ihm bei seinem reformatorischen Werk zur Seite zu stehen. Doch die strenge Kirchendisziplin, deren Einführung Calvin forderte, lehnte der Rat ab. Calvin mußte die Stadt 1538 verlassen, wurde aber bereits 1541 zurückberufen. Jetzt erklärte sich der Rat bereit, in der Frage der Kirchenzucht den Vorstellungen Calvins zu folgen. Zwar konnte Calvin sein Hauptziel einer scharfen Trennnung von Staat und Kirche gegen den Rat nicht durchsetzen, da dieser um seine Gesetzgebungsgewalt fürchtete. Calvin gelang gleichwohl in den nächsten Jahren gegen alle Widerstände die Einfuhrung einer weitestgehend in den Händen der Gemeinde liegenden strengen Sittenkontrolle. Er schuf damit das Paradigma einer reformierten Kirchenordung, das besonders in Frankreich und Schottland übernommen wurde.14 Eine der dringlichsten Aufgaben für die Reformatoren war es, der neuen Lehre Pfarrer zuzuführen, um sie unter der Bevölkerung zu festigen. Die großen Reformatoren, allen voran Melanchthon, der praeceptor Germaniae, aber eben-
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vermeiden wollte - merklich zurückhielt. Briefe von Ursinus an Bullinger aus dieser Zeit ediert Benrath 1964. Zu Ursinus' zögerlicher Haltung vgl. Wesel-Roth 1954, S. 54 u.ö. Vgl. Oberman 1986. Dazu Holenstein 1993. Einen interessanten Vergleich über die städtischen Reformationen in Bern und Nürnberg bietet Schmid 1990, der in beiden Städten keine reine Obrigkeitsreformation wirksam sieht, sondern eine Reformation auf Druck von unten, die von der städtischen Obrigkeit kanalisiert wurde. Vgl. zu ihm Roulet 1983, zu seinem Einfluß auf Calvin Partee 1983. Zu den Anfängen der Reformation in Genf die Studie von Naef 1968. Zum Genfer Konsistorium und zur calvinistischen Kirchenzucht vgl. Kingdon 1985, Monter 1987. Einschlägig dazu außerdem die beiden großen Untersuchungen von Choisy 1897 und 1902 zur Kirchenverfassung zu Zeiten Calvins bzw. Bezes. Zu Calvins Einfluß auf die Stadt- und Kirchenverfassung auch die kurzen Überblicke von Kingdon 1984 und 1987. Zum 17. Jahrhundert die monumentale Untersuchung von Stauffenberger 1 9 8 3 - 8 4 . - A m bedeutendsten war zweifellos der Einfluß Genfs auf die Formierung (auch die politische) der französischen Hugenotten, vgl. dazu die Studien von Kingdon 1956 und 1967; zum Staatsdenken Calvins und zur Ausstrahlung Genfs auf die Reformation in Frankreich empfiehlt sich als Einfuhrung die Studie von Berthoud 1999. Calvin versuchte von Genf aus, mit zahlreichen Briefen an die weltlichen Obrigkeiten Europas massiven Einfluß auf die territoriale Konfessionsbildung zu nehmen, dazu die Untersuchung von Zeeden 1985.
369 so der promovierte Jurist Calvin, erkannten die Bedeutung humanistischer Bildung für die Verbreitung ihrer Lehre, die ja auf die Heilige Schrift, auf das wahre Wort Gottes konzentriert war. 1525 entstanden in Zürich, 1528 in Bern und 1537 in Lausanne akademische Gymnasien. Die bedeutendste Gründung aber wurde die Genfer Akademie im Jahre 1559, an der außer einer theologischen Fakultät auch ein Lehrstuhl der Jurisprudenz eingerichtet wurde.15 Neben den Universitäten in Leiden und Heidelberg avancierte die Genfer Akademie in den nächsten Jahrzehnten zur bedeutensten Hochschule für die europäischen Reformierten im konfessionellen Zeitalter, die besonders für die deutschen und französischen Calvinisten große Anziehungskraft besaß.16 Diese Hohen Schulen in den wichtigsten reformierten Orten traten an die Seite der einzigen Universtät auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft: der 1460 gegründeten Basler Universität.17 Sie war im konfessionellen Zeitalter neben der Heidelberger Universität die wichtigste Hochschule für die oberrheinischen Studenten. Dank des leistungsstarken Buchdruckes, der zahlreichen Refugianten, die in der Stadt im 16. Jahrhundert Zuflucht gefunden hatten, sowie der Universität als geistigem Mittelpunkt, die aus allen Teilen Europas Studenten anzog, blühte Basel zu einem Zentrum des europäischen Humanismus in der Renaissance auf.18 Diese Blütezeit ist nicht zuletzt mit dem Namen Erasmus' von Rotterdam untrennbar verbunden.
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Zur Gründung dieser Hochschulen im Kontext von Reformation und Humanismus vgl. Im Hof 1978. Neben der einschlägigen Arbeit von Geisendorf 1959 jetzt heranzuziehen die reich illustrierte Einfuhrung von Marcacci 1987, für den hier betrachteten Zeitraum S. 15-40. Erste Zahlen über die Frequenz deutscher Studenten und über deutsche Professoren in der Frühen Neuzeit bei Im Hof 1986, S. 39-45. Demnach stellten Deutsche zwischen 1559 und 1650 ein Viertel aller Studenten, sie bildeten damit nach den Franzosen (30 Prozent) die zweitgrößte Nation. Von den deutschen Studenten wiederum stammten zwanzig Prozent aus den Reichsstädten und zwölf Prozent aus der Kurpfalz (ebd., S. 41). Zur Geschichte der Universität Basel maßgeblich Thommen 1889; Bonjour 1960 schreibt lediglich die ältere Literatur aus. Sie erlebte im 16. Jahrhundert ihr >goldenes< Zeitalter (so Sieber 1994, S. 83) eben unten den im folgenden kurz zusammengefaßten überaus günstigen konfessionellen (Refugianten und eine irenische Haltung), politischen (Unabhängigkeit als Reichsstadt) und auch ökonomischen (die Lage der Stadt im europäischen Nord-SüdHandel, d i e - d a d u r c h durchaus auch beförderte - Blüte des Buchhandels) Konstellationen. Zu diesem Zeitraum am umfangreichsten Wackernagel 1907-24, Bd. III (mit dem Untertitel »Humanismus und Reformation in Basel«), S. 126-297. Zur Blüte des Basler Humanismus vgl. Bietenholz 1959 sowie die Studien von Guggisberg 1982 und 1984; weiterhin Jenny 1989 und als gelungener Abriß für das 16. Jahrhundert Greyerz 2000. Aus letzterem sei als ein weiteres Beispiel für einen wiederum anders pointierten, nun spezifisch auf Basel bezogenen Späthumanismus-Ansatz folgendes kurz paraphrasiert: Greyerz sieht das Besondere am Basler Humanismus darin, daß hier nicht wie »in den meisten anderen süddeutschen evangelischen Reichsstädten der Humanismus durch die Reformation verdrängt oder gar absorbiert wurde«, sondern ganz im Gegenteil gerade hier Kontinuität, v.a. gestiftet durch den Buchdruck gewahrt habe (S. 100) - und eben dieser, nicht durch die Reformation in seiner >Echtheit< beeinflußte, durch konfessionelle Offenheit ausgezeichnete Humanismus wird von ihm explizit als »Späthumanismus« bezeichnet (S. 101). Hier also wird ein strikter Gegensatz zwischen Humanismus und Reformation konstruiert, der nur dort einen Späthumanismus zuläßt, wo dieser nicht durch die Reformation in irgend einer
370 In der Stadt war 1534 mit dem Basler Bekenntnis die Reformation eingeführt worden. Dieses Basler Bekenntnis bildete zwei Jahre später das Vorbild für das erste gemeinsame Glaubensbekenntnis der eidgenössischen Reformierten, die Confessio Helvetica (prior), an deren Entstehung wiederum Martin Bucer, der auch auf die Reformierung der kurpfälzischen Kirche unter Friedrich II. großen Einfluß ausgeübt hatte, tatkräftig mitwirkte.19 Die Confessio Helvetica posterior unterzeichnete die Stadt allerdings als einziger eidgenössischer Ort mit dem Hinweis nicht, im vorigen Jahre ein ganz ähnliches Bekenntnis abgelegt zu haben, wenngleich ihr die Basler Kirche brieflich zustimmte.20 Basel entwickelte sich in der Folge immer mehr »zum Zentrum des geistigen Widerstands gegen Calvin und die harte Linie der Kirche«,21 besonders seitdem 1552 der aus Bern wegen seiner lutherischen Tendenzen vertriebene Simon Sulzer als Antistes das höchste und einflußreichste Kirchenamt bekleidete. Innerhalb der Eidgenossenschaft geriet die Stadt zusehends in eine isolierte Position. Zusätzliche Gefahr bedeuteten die seit 1575 von dem in Pruntrut residierenden Basler Bischof unternommenen massiven gegenreformatorischen Bestrebungen. Basel verfugte nur über einen bescheidenen Landbesitz und damit nur über eine geringe politische und wirtschaftliche Macht. Sulzer und mit ihm der Rat suchten in dieser bedrängten Situation eine politische Annäherung an die deutschen Lutheraner, sogar die Einfuhrung der Konkordienformel wurde diskutiert. Doch gegen diesen konfessionspolitischen Kurs formierte sich um den Theologieprofessor Johann Jakob Grynaeus der Widerstand. Zwar konnte Grynaeus die Einfuhrung der Konkordienformel verhindern, doch wurde seine persönliche Lage allmählich unhaltbar, so daß er 1584 die Stadt in Richtung Heidelberg verließ.22 Die Kurpfalz unterhielt seit der Regierung Friedrichs III. enge Beziehungen zu den Schweizer Reformierten. Die großen Reformatoren Bullinger, Beze und Calvin standen in einem intensiven Austausch mit Heidelberger Theologen und beeinflußten massiv die Einfuhrung der reformierten Lehre in der Kurpfalz. Die enge religiöse Verbundenheit fand auch 1566 in der Bereitschaft der Schweizer Reformatoren ihren Ausdruck, auf Bitten Friedrichs III. ein gemeinsames Glaubensbekenntnis der Schweizer Kirchen abzufassen, durch das der Kurfürst seine
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Form verändert worden ist und insbesondere eine konfessionelle Offenheit bewahrt hat. Zum weiteren Kontext humanistischer Elitenbildung im Frühhumanismus in der Eidgenossenschaft vgl. Rüegg 1991. Außerdem die Literaturgeschichte von Werthmüller 1980, hier S. 115-197. Neben der einschlägigen Darstellung von Wackernagel ist für die Stadtgeschichte heranzuziehen Teuteberg 1986. Zu Bucer oben S. 329, Anm. 425. Zum Basler Bekenntnis und zur Confessio Helvetica posterior vgl. die Artikel in den einschlägigen Kirchenlexika: zum ersteren LTK II, Sp. 21 ff., EKL II, Sp. 376, RGG I, Sp. 904-908 u. 914, TRE II, S. 278-281; zu letzterem v.a. EKL II, Sp. 488f., TRE VIII, S. 169-173. Dazu Bemer 1979. Zur Aufnahme der Confessio Helvetica posterior in der Schweiz Pfister 1966. Zur Rezeption in Deutschland vgl. Goeters 1966. Besonders in den osteuropäischen Kirchen gewann diese Bekenntnisschrift Einfluß, vgl. dazu Nagy 1966. Körner 1983, S. 59. Aufschlußreich zur Situation in der Basler Kirche unter Sulzer die beiden neueren Untersuchungen von Hieronymus 1991 und Nelson Burnett 1992. Zum Streit zwischen Sulzer und Grynaeus nach wie vor am ausfuhrlichsten Hagenbach 1860, S. 14—36.
371 Position im Reich zu stärken hoffte. 23 Jedoch beschränkten sich die Kontakte vor allem auf theologisch-dogmatische Fragen. Obgleich Lingelsheim in der Vormundschaftskrise des Jahres 1592 dem damals in Basel weilenden Colli mitzuteilen wußte, daß die Eidgenossen als gute Nachbarn die Kurpfalz unterstützen wollten,24 war auf die reformierten Orte, die den Zusammenhalt ihres eidgenössischen Bundes über die konfessionspolitischen Machtinteressen ihrer Glaubensverwandten im Reich stellten, politisch nicht zu rechnen. Lingelsheims Briefkontakte in die Eidgenossenschaft beschränkten sich weitgehend auf Basel, also auf die Stadt, in der er zum Abschluß seiner Studien 1582/83 selbst für kurze Zeit gelebt hatte. Sie umfaßten zudem personell ausschließlich Theologen und Professoren, unter denen sich aber einige der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit befanden. Die Kontakte nach Basel liefen über Johann Jakob Grynaeus, der mit den übrigen Basler Korrespondenten Lingelsheims in enger Verbindung stand und zumindest für den älteren Buxtorf und für Lucius als Förderer ihrer universitären Laufbahn auftrat.
2.2.
Basel
2.2.1.
Johann Jakob Grynaeus
Der mit Abstand wichtigste eidgenössische Korrespondent Lingelsheims und einer der ihm am engsten verbundenen Freunde in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik überhaupt war Johann Jakob Grynaeus,25 der 1540 in Bern geboren wurde. Sein Vater lehrte an der dortigen Schola Bernensis als Professor für alte Sprachen, bis er 1546 am Pädagogium in Basel dasselbe Amt übernahm. 1556 ging er schließlich mit seiner Familie als Pfarrer und Superintendent der markgräflich-badischen Landeskirche nach Röteln. In dieser Stellung beerbte ihn nach dem Studium der Theologie an der Universität zu Tübingen im Jahre 1565 sein Sohn. Johann Jakob Grynaeus verblieb zehn Jahre in diesem Amt, bevor er 1575 einen Ruf nach Basel auf die Professur des Alten Testaments annahm. Bereits im Streit mit Sulzer hatte Grynaeus dezidiert calvinistische Positionen vertreten. Zwei Jahre, nachdem Grynaeus Basel in Richtung Heidelberg verlassen hatte, kehrte er als dessen Nachfolger im Amte des Antistes wieder zurück. In dieser Stellung, die verbunden war mit der neutestamentlichen Professur an der Universität, verblieb er bis zu seinem Tode im Jahre 1617. Mit einem Katechismus und einer Gottesdienstordnung nach dem strengen Genfer Vorbild, mit der Wiedereinführung des Basler Bekenntnisses und der 23
Zu den politischen Beziehungen der Eidgenossenschaft zur Kurpfalz Hagen 1865, S. 33f. u.ö.
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Lingelsheim an Colli, 04.05.1592 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 192"). Zu ihm Weiss 1900, dessen Darstellung allerdings dringend zu ergänzen ist. Die beste Grundlage aller weiteren Einträge in den biographischen Nachschlagewerken bleibt Adam: Theol., S. 868-880. Zuletzt NDB VII, S. 241f. (Guggisberg), und Buri 1979; außerdem zu seinen ungarischen Kontakten die Briefedition GRYNAEUS 1989 (hier die Einleitung von Szabö Andräs, S. 5-11).
372 Annäherung an die Confessio Helvetica Posterior reorganisierte Grynaeus die Basler Kirche auf reformierter Grundlage. Im gemeinsamen Vorgehen des Antistes und des Rates - Kirche und Staat waren auch hier nicht voneinander zu trennen - kam es in Basel zu einer reformierten Konfessionalisierung, die durch eine strenge Kirchenzucht geprägt war und mit zahlreichen Erlassen ein geistig und sozial diszipliniertes Gemeinwesen schuf. Grynaeus formte auch die Basler Universität »zur rückhaltlosen Vertreterin der offiziellen, von Kirche und Staat geforderten Glaubensansicht.«26 Guggisberg sieht in dieser radikalen Umkehr zum reformierten Bekenntnis und seiner strikten Durchsetzung in Basel den Grund für den kulturellen Niedergang der Universität und der Stadt. Der Humanismus verblühte ebenso wie die tolerante Atmosphäre verglühte.27 Lingelsheim begann den Briefwechsel mit Grynaeus am 12. Juli 1586, also kurze Zeit nach dessen Weggang aus Heidelberg. Beide werden sich dort kennengelernt haben. Anscheinend hatte Lingelsheim versprochen, mit dem fortziehenden Theologen in brieflichem Kontakt zu bleiben: »Pudet me valde Vir Clarissime & reuerende, quod promissum hactenus non seruauerim, & nullas adhuc ad te dederim litteras [...]«,28 leitet er seinen ersten Brief ein. Danach erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten eine Korrespondenz, von der sich heute noch insgesamt 110 Briefe erhalten haben, davon 54 von Grynaeus an Lingelsheim gerichtete Schreiben.29 Nach der völligen Erblindung Grynaeus' reduzierte sich die Anzahl der zwischen ihnen gewechselten Briefe deutlich. Gleichwohl blieb die Korrespondenz bis zum Tode des Basler Theologen bestehen. Der letzte Brief Lingelsheims datiert vom 23. Mai 1617. Auch wenn diese Korrespondenz bei weitem nicht die quantitative Dimension von Lingelsheims Briefwechseln mit Bongars oder Denaisius erreichte, ist sie doch zu Lingelsheims zentralen Briefwechseln zu zählen. Zumal Grynaeus unter seinen Korrespondenten, sieht man von Grünrade ab, mit dem nur für kurze Zeiträume ein dann allerdings dichter, indes vor allem anfangs in gänzlich anderem Zusammenhang geführter Briefwechsel bestand,30 der einzige Theologe ist, mit dem Lingelsheim über lange Jahre einen relativ regelmäßigen und umfangreichen Briefwechsel unterhielt.
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Bonjour 1960, S. 219; zu Grynaeus' Einfluß auf die H i n w e n d u n g der Universität z u m strengen Reformiertentum dort S. 2 1 3 - 2 1 9 . Zu seinem Wirken an der Universität außerdem T h o m m e n 1889, S. 117-129 (mit ausfuhrlicher Lebensbeschreibung) u.ö. Nach der These Guggisbergs war diese restriktive kirchenpolitische Entwicklung die Ursache fiir dieses Versiegen der geistigen Blüte Basels, die allerdings nicht schlagartig aufhörte, sondern als allmählicher Prozeß im Z u g e der endgültigen Konsolidierung des Calvinismus und damit einer Abkehr von einer toleranten Haltung vonstatten ging, vgl. Guggisberg 1982, S. 73ff., und 1984, S. 2 1 1 - 2 1 6 . Lingelsheim an Grynaeus, 12.07.1586 (BUB: G II 7, Bl. 549 r ). A u c h hier gab es wieder Verluste: In seinem Brief v o m 31.07.1609 bedankt sich Lingelsheim beispielsweise fiir »Litteras tuas 5 Julij datas« bei Grynaeus (BUB: G II 7, S. 501). Ähnlich in seinem Brief v o m 01.04.1611: Lingelsheim bestätigt dort (ebd, S. 497): »Quas 12. Febr. ad m e dedisti, ante paucos dies accepi.« S. dazu Kap. 1.2.3.1. Daß Grünrade durchaus auch als Theologe mit Lingelsheim korrespondierte und dabei die gleiche Haltung wie Grynaeus aufweist, verdeutlicht der gemeinsam an Lingelsheim gerichtete Brief v o m 25.12.1612 (MIEG 1701, S. 167f.).
373 Dieser Briefwechsel gewinnt vor allem deshalb zentrale Bedeutung, weil er sehr stark von theologischen und religiösen Themen bestimmt wird. Grynaeus nahm im Leben und fiir den persönlichen Glauben Lingelsheims eine maßgebliche Rolle ein. Immer wieder finden sich religiöse Ratschläge, Unterweisungen, Stärkungen und Tröstungen in Glaubensdingen, um die Lingelsheim ersucht hatte und die ihm Grynaeus bereitwillig gab. Deutlich drückt Lingelsheim selbst in seinem Schreiben vom 20. März 1597, mit dem er auf Grynaeus' Brief vom 10. Februar antwortete, dieses Verhältnis aus: »Tibi autem a me gratia debetur maxima, qui vacillantem meum animum erigis, et adversus opinione mala instruis, neq. tantum vulnus meum detegis, sed salutaribus remedijs curas.« 31 Es blieb nicht das einzige Mal, daß Grynaeus dem jüngeren Juristen in Glaubensfragen wohldurchdachten Rat bzw. Anregungen mit seinen Briefen gab - mitunter ebenso wie im angeführten Schreiben thesenartig formuliert. 32 Daneben galt das Interesse des Basier Theologen und Kirchenpolitikers der Festigung und Stärkung des reformierten Bekenntnisses in der Kurpfalz. 33 Grynaeus überantwortete Lingelsheim dabei eine besondere Pflicht, die ihm von Gott anvertrauten Aufgaben als praeceptor und dann als Oberrat zum Wohle von Kirche und Vaterland zu erfüllen. 34 Umgekehrt war Lingelsheim offenbar einer der wichtigsten Kontakte, die Grynaeus seit 1586 in die Kurpfalz besaß. Seine Korrespondenz mit Lingelsheim bot ihm, nicht nur in den Jahren der kirchlichen Konsolidierung nach 1583, sondern gerade auch nach Lingelsheims Berufung in den Oberrat, Möglichkeiten indirekter Einflußnahme auf die Entwicklung der kurpfälzischen Kirche. Zwischen 1587 und 1595 scheint der Kontakt allerdings jeweils für mehrere Monate von Lingelsheim unterbrochen gewesen zu sein, wofür er sich beide Male rechtfertigte. 35 Für die Zeit zwischen dem 6. März 1589 und dem 15. Juli 1594 existieren gar keine Briefe. Jedoch dürfte in diesen Jahren wenigstens eine persönliche Begegnung stattgefunden haben, denn 1592 reiste Grynaeus als Abgesandter der Städte Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich nach Heidelberg, um in deren Namen Friedrich IV. zum Regierungsantritt zu gratulieren. 36 Der größte Teil dieser Korrespondenz hat sich in der Handschriftensammlung der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel erhalten. Während von 31 32
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BUB: G II 7, S. 428. So in den Briefen vom 26.12.1600 (BUB: Fr. Gr. Ms. VI 1, Bl. 143) und 22.07.1605 (MIEG 1701, S. 137). Vgl. etwa sein Schreiben an Lingelsheim vom 05.08.1586 (BUB: A VI 45, Bl. 10r~v). Vgl. dazu die oben S. 151 zitierten Briefe aus dieser Korrespondenz. Lingelsheim entschuldigt sich in seinem Brief vom 15. Juli 1594 (BUB: G II 7, S. 541) mit rhetorischem Geschick für die Unterbrechung der Korrespondenz: »Imprimis rogandus mihi es, ne ex intermissione scriptionis mea coniecturam de mea in te obseruantia et studio facias. Is n maneo et manebo erga te, qui debeo. Scriptionis a intermissae causae mihi, vtriusq nostrum occupationes, tua. praesertim grauissima. consideratio; penuria saepe argumenti, cum religioni mihi ducam de rebus non necessarijs te interpellare, tandem et, quod vbi facultas tabellario. habetur, otium vel argumentum scribendi desit, ac contra, cum hoc abundè suppetit, ¡Iiis destituamur.« Vgl. auch seine Briefe Lingelsheims vom 25.09.1587 (BUB: G II 7, S. 475) und 22.09.1595 (BUB: G II 7, S. 551). Vgl. Hagenbach 1860, S. 18.
374 Langelsheims Briefen ausnahmslos die Autographen überliefert sind, existieren von den Briefen Grynaeus' mit einer Ausnahme überwiegend Abschriften. Im einzelnen wird man fündig unter den Handschriften des 1661 für die Bibliothek erworbenen Amerbach-Kabinetts (A VI), den vom Basler Sammler Johann Wernhard Huber zusammengebrachten und 1806 in die Bibliothek gelangten Konvoluten (G I, G 2 1, G2 II) sowie unter den Handschriften des Frey-Grynaeischen Instituts (Fr. Gr. Ms. VI 1), die seit 1896 in der Bibliothek deponiert sind.37 Einzelfunde in Gestalt mehrerer Abschriften, aber auch zwei GrynaeusAutographen birgt außerdem die Uffenbach-Wolfsche Sammlung. In der 1701 veranstalteten Edition Monumenta pietatis & literaria liegen 20 Briefe vor, unter ihnen die beiden in Hamburg erhaltenen Autographen. Diese beiden Briefe fanden auch in den Jahrgang 1715 der in Leipzig zwischen 1701 und 1719 als jährliches Periodikum veröffentlichten Unschuldigen Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen Aufnahme. 18 Schreiben von Grynaeus dagegen sind nur in der Edition von Mieg überliefert.
2.2.2.
Johannes Buxtorf der Ältere
Ein Charakteristikum der Basler Universität bildeten die Gelehrtendynastien.38 Oft besetzten Mitglieder einer Familie mehrere Generationen lang hintereinander den gleichen oder verschiedene Lehrstühle. Zu den großen Basler Gelehrtenfamilien gehörten die ursprünglich aus Westfalen stammenden Buxtorf, deren Vertreter von 1590 bis 1732 die Professur für Hebräisch vertraten und dieser Disziplin in Basel große Reputation verschafften. Begründer dieser gelehrten Familientradition war Johannes Buxtorf der Ältere (1564—1629).39 In Kamen geboren, wandte er sich nach Studien in Marburg und an der erst 1584 gegründeten reformierten Hohen Schule zu Herborn sowie einem kurzen Aufenthalt in Heidelberg im Jahre 1588 nach Basel. Dorthin hatte ihn Johann Jakob Grynaeus gerufen, dessen Einfluß es auch zu verdanken war, daß er nach seiner in Basel erfolgten Promotion 1590 die dortige Professur der hebräischen Sprache erhielt, die der ältere Buxtorf bis zu seinem Tode vertrat. »Buxtorfs Wirksamkeit fiel in die Zeit, wo es den Protestanten in ihrer Polemik mit den Anhängern der römischen Kirche ganz vorzugsweise darauf ankam, sich auf die Unversehrtheit und Sicherheit des hebräischen Textes der heiligen Schriften berufen zu können.«40 Auf diesem Gebiet der Sprachforschung lagen seine 37 38
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Zu den Handschriftenbeständen vgl. Steinmann, ein Überblick bei Kisch 1958, S. 196-201. Dazu B o n j o u r 1960, S. 245, Euler 1970, S. 189-211 (zu den Buxtorfs S. 193ff.), Jenny 1989, S. 350. Zu ihm Herrmann 1948, eine fundierte biographische Skizze jetzt von Burnett 1996, S. 7 34. Außerdem Buxtorf-Falkeisen 1860, Kautzsch 1879; beide mit zahlreichen Ungenauigkeiten. Bereits eine Auswahl der einschlägigen Lexika-Artikel macht sichtbar, welche Aspekte seines gelehrten Werkes besondere Aufmerksamkeit gewannen: A D B III, S. 6 6 8 673 (Siegfried), R G G I, Sp. 1556f., R E III, S. 612ff., N D B III, S. 84 (Geiger), Encyclopedia Judaica IV, Sp. 1543. Grundlage aller biographischen Daten: Athenae Rauricae, S. 4 4 4 448; außerdem Hagenbach 1860, S. 27f. - Zur Familie vgl. auch Borggraefe 2000, S. 89f. Bertheau in; R E III, S. 614.
375 Leistungen in der Hebraistik. Buxtorf war zu seiner Zeit der fuhrende Gelehrte in den hebräisch-jüdischen Studien. Seine Werke behielten noch weit über seine Lebenszeit hinaus Bedeutung; er war damit einer der entscheidenden, allerdings christlichen, Vorläufer der sich im 19. Jahrhundert etablierenden Jüdischen Wissenschaft.41 2.2.3.
Johannes Buxtorf der Jüngere
Sein Nachfolger und Fortsetzer seines Werkes wurde 1630 sein gleichnamiger Sohn. Johannes Buxtorf der Jüngere (1599-1664) 42 studierte zunächst in Basel, bevor er 1617 für ein Jahr nach Heidelberg ging. Eine Zeit lang lebte er dort im Hause Lingelsheims - ob allerdings während seines gesamten Aufenthaltes, möchte ich entschieden anzweifeln: Buxtorf-Falkeisen, der in seiner Biographie des älteren Buxtorf dazu schreibt: »Im Hause des obgenannten Professors Lingelsheim [...] fand (1617-1618) der Sohne JOHANNES Wohnung, Kost und väterliche Fürsorge«,43 belegt diese Aussage mit einer schwungvoll ungenauen Übersetzung des Briefes, den Lingelsheim am 9. Juni 1618 an den Vater seines Kostgängers gerichtet hat. Es handelt sich bei diesem Brief jedoch offenkundig um einen ersten Bericht Lingelsheims nach Basel, der zuversichtlich hoffte, daß es sich zeigen würde (und nicht: gezeigt hat), daß die Studien des jungen Buxtorf keine Verzögerung (»remoram«44) nähmen, sondern Antrieb zu glühender Begierde durch den Aufenthalt in seinem Haus, den Lingelsheim selbst angeraten hatte, gäben.45 Vier Monate später, am 13. Oktober, meldet Lingelsheim in einem weiteren Brief, daß sich die Erwartungen erfüllt hätten. Der junge Buxtorf blieb allerdings nicht mehr lange in Heidelberg, sondern brach zur Dordrechter Synode auf, der er bis zu ihrem Abschluß beiwohnte. Daran schloß sich eine peregrinatio durch die Niederlande, England und Frankreich an,46 bevor er 1623 in Genf seine Studien beendete. Er kehrte nach Basel zurück, wo er zunächst als Diakon wirkte, bis er 1630 die Professur der hebräischen Sprache übernahm, auf der er sich nicht weniger Ruhm als sein Vater erwarb. An den berühmten Hebräisten ergehende Rufe anderer Universitäten veranlaßten den Rat der Stadt Basel 1647, für Buxtorf einen dritten theologischen Lehrstuhl der Dogmatik zu schaffen und ihn schließlich 1654 zum Professor des Alten Testaments zu berufen.
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Vgl. dazu Burnett 1996; zusammenfassend jetzt ders. 2002. Zu ihm Jöcher I, Sp. 1523f„ Athenae Rauricae, S. 44-48, S. 88 u. 448f. (mit Werkverzeichnis), Hagenbach 1860, S. 28-31, ADB III, S. 673-676 (Siegfried), RGG I, Sp. 1557, RE III, S. 614ff., NDB III, S. 84f. (Geiger), Encyclopedia Judaica IV, Sp. 1543f. Buxtorf-Falkeisen 1860, S. 30 (Hervorhebung des Namens im Druck). Ebd. sinnverwirrend mit »Aufenthalt« übersetzt. »Iucundum mihi fuit, placuisse tibi consilium meum de filio tuo in domum meam recepto. Confido inde non remoram studiorum suor., sed incitamentum ad maiorem ardorem, oriturum.« (BUB: G I 60, Bl. 8 r .) Allerdings adressiert Lingelsheim seinen Brief an den jüngeren Buxtorf am 29.11.1619 nach Basel, dieser hielt sich zwischen dem Ende der Dordrechter Synode (Mai 1619) und seiner Reise also offenbar in seiner Vaterstadt auf.
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Lingelsheim führte mit beiden Buxtorf eine sporadische Korrespondenz: Jeweils vier Briefe von seiner Hand haben sich - ebenfalls unter den Basler Sammlungen - erhalten;47 hinzu kommen noch mehrere Abschriften eines Briefes von Johannes Buxtorf dem Jüngeren in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen. Sämtliche anderen Briefe der beiden Basler Hebräisten, auf die aus Lingelsheims Schreiben zu schließen ist, sind verloren. Es ist wahrscheinlich, daß der Briefwechsel mit dem älteren Buxtorf erst im Zusammenhang mit dem Studienaufenthalt seines Sohnes begonnen wurde und daß er wieder endete, nachdem sich die unter anderem von Lingelsheim forcierten Pläne, den Vater als Professor für die hebräische Sprache nach Heidelberg zu locken,48 in Folge der Kriegsereignisse zerschlagen hatten. In Lingelsheims Briefen der folgenden Jahre finden sich keine Hinweise für eine gegenteilige Vermutung. Ebensowenig gibt es dafür Anhaltspunkte, daß eine Korrespondenz mit dem jüngeren Buxtorf - mit Ausnahme eines kurzen Briefes aus dem Jahre 1619 - vor Lingelsheims Brief vom 12. Februar 1630, mit dem er zum Tode des Vaters kondoliert, bestand.49 Darauf folgten allerdings innerhalb eines Monats die Antwort Buxtorfs und ein Gegenbrief Lingelsheims. Danach läßt sich erst 1633 wieder ein Zeugnis dieser Korrespondenz finden, als sich Lingelsheim mit zitternder Hand bei dem jüngeren Buxtorf bedankt, daß er eine »accurata gratulatio tua pro restitutione Palatinatus«50 erhalten habe. Es waren sowohl beim Vater als auch beim Sohn in jedem Fall exponierte Anlässe, aus denen heraus die einzelnen Briefe entstanden. Beide Buxtorf können im Gegensatz zu Grynaeus nicht zum engeren gelehrten Freundeskreis Lingelsheims gezählt werden. 2.2.4.
Ludwig Lucius
Ebenfalls an der Basler Universität lehrte seit 1611 Ludwig Lucius (1577— 1642), ein gebürtiger Basler, der dort bereits studiert hatte.51 Er wurde von Grynaeus gefordert und vertrat bereits in jungen Jahren Johannes Buxtorf den Älteren bei seinen Vorlesungen. Seit 1601 wirkte er zunächst als Schulrektor und Diakon in Baden, später (ab 1604) als Konrektor in Amberg, bevor ihn der Ruf aus Basel ereilte, wo er dann bis zu seinem Tode als Professor der Logik wirkte. Aus seiner Feder stammte - neben philologischen und theologischen Schriften eine umfangreiche Geschichte des Jesuitenordens, die 1626 zunächst in deut-
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Teile dieser Briefe übersetzt Buxtorf-Falkeisen 1860, S. 2 8 - 3 3 . Lingelsheim an Buxtorf d.Ä., 01.11.1619 (BUB: G I 60, Bl. 11") und 29.11.1619 (BUB: G 1 6 0 , Bl. lO1). BUB: G I 60, Bl. 14. - A u f diesen Brief antwortete Buxtorf am 25.02.1630. Bei Reifferscheid beginnt der Brief mit den Worten: »Literas tuas 17. Febru. datas [...]« (S. 3 9 0 ) hierbei handelt es sich um einen Lesefehler der Abschrift dieses Briefes aus K B K : N y . kgl. S. 617, S. 116: gemeint ist der 12. Februar. Lingelsheim an Buxtorf d.J., 07.10.1633 (BUB: G 160, Bl. 160Zu ihm Freher, S. 1536f., Jöcher II, Sp. 2569, u. VIII, Sp. 40ff., Leu XII, S. 405, Michaud X X V , S. 493f., Hoefer XXV, Sp. 534f. (in beiden Werken unter Luz), Athenae Rauricae, S. 3 9 2 - 3 9 7 , A D B XIX, S. 354f. (Franck); kein Eintrag in der N D B . - Den Hinweis auf diese Sammlung verdanke ich Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann (Heidelberg).
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scher Sprache erschien, im folgenden Jahre aber auch ins Lateinische übersetzt wurde.52 Lucius hatte bereits mit Lingelsheims Vater Diebold in Kontakt gestanden.53 Zwischen 1626 und 1634 sind acht Briefe Georg Michael Lingelsheims an ihn erhalten, die - wahrscheinlich im Jahre 1 6 8 8 - d e r Schaffhausener Bürgerbibliothek zusammen mit vier Bänden der Lucius-Korrespondenz gestiftet wurden.54 Das Hauptanliegen dieses Briefwechsels in den Jahren 1627 und 1628 war eine Erbschaftsangelegenheit, in der Lingelsheim die Interessen des Basler Professors vertrat. Aber auch um Hilfe bei der Drucklegung des Gruterschen Panegyricus ersuchte Lingelsheim Lucius mit seinem Brief vom 21. März 1628: Venator habe das Werk fertiggestellt, sed causae sunt quae eum arceant a nostratibus. itaq[ue] te rogatum etiam atq[ue] etiam velini, ut cum typographo vestrate aliquo agas, ut libellum, qui 7 aut octo quatemiones conficiet, eleganter et in bona Charta excudat, sed ita fiat ut elega[n]ti typorum et chartae respondeat dignitati eius viri. 55
Wie kurz zuvor in seiner Beteiligung an der Vorbereitung einer Edition der Scaliger-Briefe zeigt sich auch hier, wie Lingelsheim als Mitglied der res publica litteraria das Andenken seiner gelehrten Freunde über den Tod hinaus zu erhalten und zu pflegen bestrebt blieb. Der Blick ist immer auch im späthumanistischen Selbst- und Sendungsbewußtsein auf die Nachwelt gerichtet.56
2.2.5.
Bürgermeister und Rat der Stadt Basel
Am 19. Januar 1632 wandte sich Lingelsheim in einer eigenen Erbschaftsangelegenheit an den Rat der Stadt Basel. Es ging dabei um die Bibliothek seines engen Freundes Jacques Bongars, der ein leidenschaftlicher Büchersammler gewesen war.57 Dieser hatte als orator Galliae die Reichsstadt Straßburg zu seinem Wohnsitz gewählt und dort im Hause des Bankiers René Graviseth ge52
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Jesuiter-Histori, von des Jesuiter Ordens Ursprung, Namen [...], In vier Teilen Durch Ludovicum Lucium. (Basel: Genath 1626). In Basel erschien auch 1627 die lateinische Übersetzung. Diese Schrift zog Lucius den Zom der Jesuiten zu, doch solle er sich darum, so Lingelsheim in seinem Brief vom 21.03.1628 (SBS: Msc. Scaph. 7, [Nr. 5], recto), nicht scheren. In der Schafihausener Sammlung befindet sich ein Brief, der wahrscheinlich von Diebolt, keineswegs aber von Georg Michael Lingelsheim stammt (ebd.). Vgl. dazu das Donatorenalbum der Bibliothek (SBS: Msc. Scaph. 57, Bl. 100'). Einführend in die Geschichte dieser Bibliothek Specht 1986. Lingelsheim an Lucius, 21.03.1628 (SBS: Msc. Scaph. 7, [Nr. 5], recto). Interessant ist der letzte Brief, den Lingelsheim am 30.11.1634 (ebd., [Nr. 8]) an Lucius aus Frankenthal überbringen ließ: Dieses Schreiben stammt nicht von der Hand Lingelsheims, es ist aber auch keine spätere Abschrift, sondern das Autograph. So schreibt Bongars über seine Sammelleidenschaft, als er sich um die Bibliothek seines Lehrers Cujas bemühte, am 19.01.1604 an Lingelsheim: »Ridebis tu suaviter, hoc te[m]pore quo accurrunt certatim hue omnes, tanquam ad nundinas pecuniae ä Rege extorquendae, me aulicum hominem nec pecuniosum, terga vertere, & loca ultima petere, pecuniae in libros maculatos & semesos profundendae. Haec vero avaritia mea est. Nec me laboris nec sumptuum poenitet.« (BONGARS 1660, S. 62f.)
378 wohnt. Graviseth selbst gehörte zum engsten Freundeskreis Lingelsheims in der Reichsstadt, der Heidelberger Oberrat hatte die Erziehung von dessen Sohn Jakob über lange Jahre geleitet. Der 1598 geborene Jakob nun war von Bongars testamentarisch zum Erben, Lingelsheim bis zu dessen Volljährigkeit zum Verwalter seiner Bibliothek bestimmt worden.58 Im Jahre 1622 übergab Lingelsheim offiziell das Erbe. Die Bibliothek befand sich damals bereits im Basler Haus der Familie Graviseth, das René Graviseth 1612 erworben und bezogen hatte. Als jedoch Jakob Graviseth, ein gutes Jahr nach dem Tode seines Vaters, Ende 1631 die Bibliothek der Stadt Bern zum Geschenk anbot, erhob Lingelsheim Einspruch, sah er darin doch einen Verstoß gegen das Testament Bongars', das bestimmt habe, »das Graviset die Bibliotec brauchen vndt keineswegs vereüssem oder distrahiren solle, sondern auf widrigen fahl dieselbigen mir für einen meiner Söhne«59 überlassen werden müsse. Mit seinem Brief vom 9. Mai 1632 wiederholt Lingelsheim noch einmal seine Forderung, nachdem sein am 19. Januar des Jahres erstmals schriftlich erhobener Protest nach intensiven Beratungen mit dem Berner Rat zurückgewiesen worden war. Abgesehen von diesen beiden Schreiben Lingelsheims und der abschlägigen Antwort des Basler Rates existiert in dieser Frage kein weiterer Schriftverkehr.60 Lingelsheim, der seine eigene Bibliothek durch den Krieg weitgehend verloren hatte, drang mit seinen Ansprüchen - wie man angesichts der Zerstörungen Heidelbergs und Straßburgs in den nächsten Jahrhunderten sagen darf: glücklicherweise - nicht durch. Die Bongarsiana stehen noch heute in der Burgerbibliothek Bern.61
2.3.
Genf
2.3.1.
Théodore de Bèze
Vergleichbare persönliche Beziehungen wie zu Basler Späthumanisten und hier vor allem zu Grynaeus konnte Lingelsheim in die Metropole des europäischen Calvinismus zu keinem Zeitpunkt knüpfen. Möglicherweise ist darin ein Indiz zu sehen, daß Lingelsheim der strengen, die scharfe Trennung von Kirche und Staat fordernden Richtung des Genfer Calvinismus distanziert gegenüberstand, eine Haltung, die in seiner Korrespondenz mit Grotius über die Streitigkeiten
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Zu Graviseth vgl. Hagen 1878, Schmid 1932, S. 58-66. - Zu seinem Aufenthalt in Lingelsheims Haus vgl. oben S. 234, Anm. 298. SKB: A V 402, Bd. D, S. 434. Sämtliche Briefe finden sich in Abschriften unter den Schreiben der Berner Kanzlei im Buch für die politischen Geschäftsgänge mit der Stadt Basel, dem »Baselbuch D«. Die Angelegenheit um die Bongars-Bibliothek fand ihren Niederschlag außerdem im »Teutschen Missivenbuch« der Stadt Bern (Sign.: A III 56, Bd. Nr. 5, Bl. 197vff.). Zur Bongars-Bibliothek vgl. die Einleitung im Katalog von Hagen (dort auch, S. XXVIXXXI, die Schreiben Lingelsheims anläßlich der Schenkung ausgewertet), die Beiträge von Bioesch, Strahm und Thormann in Bioesch 1932 (zum dreihundertjährigen Jubiläum der Schenkung) sowie Müller 1953. Einen schönen Überblick über den Reichtum der Sammlung vermittelt der Katalog Bongars 1983.
379 zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten in den Niederlanden ganz deutlich wird.62 Nur ein einziges Mal, am 26. Oktober 1588, richtete Lingelsheim ein kurzes Schreiben an Théodore de Bèze, auf das eine Antwort des großen Genfer Kirchenpolitikers bislang nicht zu ermitteln war. Das Autograph dieses Schreibens befindet sich im Besitz der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha unter einer zweibändigen Sammlung der »literarum Calvini et aequalium«.63 Eine Abschrift dieses Briefes fertigte im vergangenen Jahrhundert der Straßburger Sammler und Theologe Johann Wilhelm Baum an, der eine große Zahl von Briefen Bèzes und anderer Reformatoren zusammenbrachte. Diese Sammlung wurde nach seinem Tod (1878) als sog. Thesaurus Baumianus der damaligen Kaiserlichen Universitäts- und Landesbibliothek Straßburg übergeben.64 Bèze (1519-1605) gehörte im konfessionellen Zeitalter zu den anerkanntesten Autoritäten der europäischen Gelehrtenrepublik und war nach dem Tode Calvins als dessen Schüler und Nachfolger neben dem Züricher Heinrich Bullinger das Haupt der europäischen Reformierten.65 Die Hochschätzung, die man ihm überall entgegenbrachte, spricht auch aus Lingelsheims rhetorischer Frage, mit der er seinen Brief einleitet: »Quis ego sum, ad quem Beza scribit?«66 Bèze unterhielt eine überaus reiche Korrespondenz, die ihn mit dem gesamten reformierten Europa verband. Sie wird seit 1960 ediert.67 Den Stellenwert, den ihm die Wissenschaft mit diesem gewaltigen Editionsunternehmen zuweist, spiegelt auch der Forschungsstand: Bezè ist zweifellos, neben Grotius, derjenige aus dem Korrespondentenkreis Lingelsheims, dem europaweit bis heute die größte Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Und er war wahrlich in seinem Werk und Wirken eine der imposantesten Gestalten des reformierten europäischen Späthumanismus: Als Nachfolger Calvins führte er dessen Werk in Genf weiter; als Professor in Lausanne und seit 1559 an der soeben gegründeten Genfer Akademie, deren erster Rektor der in Orléans studierte Jurist wurde,68 leistete er einen gewichtigen Beitrag zur Ausbildung der nächsten Generationen der Reformierten; als Diplomat bemühte er sich unermüdlich, den französischen Glaubensbrüdern in den Religionskriegen Hilfskontingente zuzuführen und bereiste
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S. dazu oben S. 148ff. Chart. A 404 und 405, der Brief Lingelsheims im zweiten Band. Die bislang umfangreichste Geschichte dieser Bibliothek verfaßten Jacobs/Ukert 1835-43, dort Bd. III/2, S. 349356, aber nur sehr wenig über die große Briefsammlung. Zu dieser Sammlung vgl. das Verzeichnis von Ficker mit einer Einleitung in die Bestandsgeschichte. Die unvollständige Abschrift des Lingelsheim-Briefes befand sich in Bd. XXXII, Bl. 17, des »Thesaurus Baumianus« unter den Bänden »Epistolicus Reformatorum Gallicorum«. Den Hinweis auf diese Sammlung verdanke ich Prof. Dr. Klaus Garber (Osnabrück). Bei meinem letzten Besuch in der Straßburger Universitätsbibliothek war der Brief nicht aufzufinden, die Abschrift ist deshalb nicht in das Verzeichnis aufgenommen. Die grundlegende biographische Darstellung verfaßte Geisendorf 1967, außerdem Eysinga Fatio 1981. Lingelsheim an Bfcze, 26.10.1588 (FLG: Chart. 405, Bl. 226r). BEZE 1960ff. Neben Geisendorf 1967 am ausführlichsten zum Wirken Bizes für die Akademie Cellerier 1872, S. 3-32.
380 mehrfach die deutschen Fürstenhöfe, darunter auch Heidelberg;69 als staatstheoretischer Schriftsteller bereitete er mit seiner Schrift De Iure Magistratuum (1574) die monarchomachische Widerstandslehre entscheidend vor;70 als Verfas ser des Abraham Sacrifiant (1550), der ersten französischen biblischen Tragödie,71 und Vollender der Marotschen Psalmenübersetzung (1562) beeinflußte er maßgeblich die Ausbildung der französischen Nationalliteratur im konfessionellen Zeitalter und stellte mit den Psalmen den europäischen Reformierten einen zentralen liturgischen Text zur Verfugung. Einen näheren Kontakt konnte der junge Lingelsheim zu dem berühmten Gelehrten jedoch nicht herzustellen; Bèze ist auch in seinen Korrespondenzen der Folgejahre so gut wie niemals erwähnt.
2.3.2.
François Hotman
Seit 1584 lehrte François Hotman an der Genfer Akademie Jurisprudenz. Genf war die vorletzte Station seines bewegten und schaffensreichen Lebens, das 1524 in Paris begonnen hatte, wo er als Sohn eines Parlamentsrates und somit als Angehöriger der noblesse de robe das Licht der Welt erblickte.72 Gemeinsam mit Bèze und Calvin studierte er in Orléans, später wandte er sich nach Paris. Nach einigen Jahren in Lyon, einem der reformierten Zentren Frankreichs, erhielt er 1550 einen Ruf als Professor der Alten Sprachen an die Hohe Schule in Lausanne. Bereits 1556 legte er sein Amt nieder und führte in den nächsten zwei Jahrzehnten ein unruhiges Wanderleben, das ihn unter anderem für vier Jahre (1556-1560) als Professor des Rechts an das Straßburger Gymnasium73 und auch kurzzeitig in die Dienste des Kurfürsten von der Pfalz führte.74 In den folgenden Jahren nahm er mehrfach aktiv an den konfessionellen Bürgerkriegen in Frankreich teil, zwischendurch wirkte er als Rechtsprofessor in Valence und Bourges. Nach der Bartholomäusnacht zog er sich nach Genf zurück und erhielt hier erstmals den juristischen Lehrstuhl, trat dann aber in die Dienste Heinrichs von Navarra (1577) und ließ sich im folgenden Jahr in Basel nieder. Hier lehrte er bis 1583, ging dann erneut nach Genf an die Akademie, floh von dort aber, als der Herzog von Savoyen wieder einmal einen Angriff auf die Stadt vorbereitete, erneut nach Basel, wo er 1590 verstarb. Hotman galt als einer der hervorragendsten Juristen seiner Zeit - Dennert nennt ihn »Kronjurist der Hugenotten«75 - und schuf mit seiner Franco-Gallia 69
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Zu den zahlreichen deutschen Missionen des Reformators im Zuge der konfessionellen Kriege in Frankreich am ausfuhrlichsten Geisendorf 1967, S. 81-103 u.ö. Eine deutsche Übersetzung dieser Schrift in: Calvinistische Monarchomachen. Vgl. dazu Neuschäfer 1989, Millet 1994. Zu ihm Dareste 1876, Mesnard 1955 und nunmehr Kelley 1973, der ein dezidiert politisches Porträt Hotmans vor dem Horizont der konfessionellen Kriege seiner Zeit entwirft (vgl. auch die Rezension von Hans Erich Troje in Troje 1993, S. 231-237). Nach Schindling 1977, S. 295-299, erwarb sich Hotman hier v.a. durch seine Anfängerkurse große Verdienste um die humanistische Jurisprudenz. Vgl. mit den entsprechenden Nachweisen Dennert 1968, S. XXIX. Bei Press 1970 wird Hotman nicht erwähnt. Dennert 1968, S. XXVI.
381 (1573) einen zentralen Text der monarchomachischen Staatstheorie, in dem er aus der nationalen Geschichte Frankreichs heraus eine Wahlmonarchie begründete, deren Beaufsichtigung und Wahlrecht in den Händen ausgewählter Amtsträger liegen sollte. 76 Später allerdings wandte er sich von den radikalen Ideen der Monarchomachen ab und näherte sich, wie andere gemäßigte Hugenotten auch, den politiques unter Heinrich IV. 77 Hotmans juristische Vorlesungen hatte Lingelsheim während seines Studiums in Basel gehört. Möglicherweise wiederum auf Vermittlung von Lobbetius trat er bald nach Hotmans Wechsel auf den Genfer Lehrstuhl in eine Korrespondenz mit ihm ein. 78 Überliefert sind sechs Briefe Hotmans aus den Jahren 1584 bis 1589, die sich alle in der 1700 veranstalteten Edition der Korrespondenzen von François und Jean Hotman befinden. Lingelsheim war nicht der einzige kurpfälzische Korrespondent Hotmans, auch mit dem einflußreichen Oberrat Justus Reuber stand er beispielsweise in lebhaftem Briefkontakt. Hier wie dort ging es in den Briefen des französischen Juristen vornehmlich um reichspolitische Angelegenheiten, besonders nachdem sich seit 1588 Genf erneut mit Hilfe Berns in einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Herzog von Savoyen befand. 79 Offenbar hielt er Lingelsheim bereits in dessen Stellung als Erzieher für einen einflußreichen politischen Informanten, bittet er diesen doch in seinem Schreiben vom 30. Juli 1588, »ut de statu Germaniae diligenter & copiosè ad me scribas. Nam hic nihil praeter nugas audimus. Rescribe ecquid à Principibus vestris subsidii paretur, quae spes in Lantgravio & Saxone & aliis.« 80 Bereits 1583, wenige Monate vor Lingelsheims Eintritt in kurpfälzische Dienste, hatte ihn der französische Späthumanist in einem Brief an Gravellius als denjenigen bezeichnet, von dem er sich künftig Nachrichten über den kurpfälzischen Administrator erhoffte. 81 Der junge Lingelsheim, der an der calvini76
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Franc. Hotomani Iurisconsulti, Francogallia. ([Genf:] Stoerius 1573). Für Cardauns 1973 ist dieses Werk unter den Schriften zum Widerstandsrecht, die im Frankreich der konfessionellen Bürgerkriege entstanden, »wohl der erste Versuch einer auf eingehenden Quellenstudien fussenden Darstellung der französischen Verfassungsgeschichte« (S. 61). Vgl. Mesnard 1955, S. 135ff„ Schnur 1962, S. 42f. Lobbetius stand selbst in Korrespondenz mit Hotman, vgl. HOTMAN 1700 (Briefe aus den Jahren 1583 bis 1590). Bereits in seinem Brief vom 23.09.1583 an Gravellius läßt Hotman an Denaisius und Lingelsheim nach Straßburg Grüße ausrichten (ebd., S. 174). Mit seinem Brief vom 26.02.1588 schickte Hotman Lingelsheim eine neue Ausgabe des Brutus. Wenige Tage später, am 03.03.1588, spezifizierte er in seinem Schreiben an Daniel Tossanus genauer, um welches Werk es sich handelte: »Misi D. Grynaeo fasciculum librorum ut eum tibi quamprimüm ante nundinas curaret. Tria sunt exemplaria Bruti fulminis, cui adversus Jesuitam & Giesuitastrum quendam pärvulam appendicem adjeci. Ea tribus Principibus mitto, unum Illustrissimo tuo Principi, in quo literas ad D. Baronem & D. Lingelshemium inclusi, ut munusculum offerrent. (HOTMAN 1700, S. 207f.) Gemeint dürfte eine Neuauflage der Vindicae contra tyrannos sein, der bereits in einer in: Calvinistische Monarchomachen, S. 349, für 1580 nachgewiesenen Edition Machiavellis Principe angehängt worden war. Offenbar scheint diese Neuauflage des radikalsten monarchomarchischen Werkes in der bedrängten Genfer Situation, als gegen einen machiavellischen Princeps Widerstand zu leisten war, im Umkreis von Beze und Hotman veranstaltet worden zu sein. Zur Frage der Verfasserschaft Languets s. unten S. 439, Anm. 99. Hotman an Lingelsheim, 30.07.[ 1588] (HOTMAN 1700, S. 217). Hotman an Gravellius, 23.09.1583 (ebd., S. 174). S. dazu oben S. 105.
382
stischen Erziehung des zukünftigen Kurfürsten der fuhrenden reformierten Macht im Reich mitwirkte, scheint für seinen ehemaligen Lehrer vor allem die Rolle eines Informanten eingenommen zu haben, der die bedrängten Genfer Reformierten mit reichspolitischen Nachrichten versorgen sollte. Inwieweit Lingelsheim diese Aufgabe erfüllte, ist nicht festzustellen. Seine Briefe sind verloren. Da sich der Briefwechsel mit Hotman jedoch über mehrere Jahre erstreckte, scheint dies darauf hinzudeuten, daß Lingelsheim die erbetenen Informationen lieferte. Der Briefwechsel mit dem älteren Hotman stellt somit die erste >politische< Korrespondenz dar, die Lingelsheim führte, ohne bereits ein entsprechendes Amt zu bekleiden.
3.
Frankreich
3.1.
Einleitung
Frankreich wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in verschiedenen Regionen von der Reformation erfaßt.1 Das Luthertum fand vornehmlich im Osten Anhänger, während sich vor allem im Süden und Südwesten allmählich ein stark von Genf geprägter Protestantismus durchsetzte. Dieser formierte sich nach der Konversion einflußreicher adliger Häuser, an deren Spitze sich die Bourbonen setzten, schon bald als eine politische Bewegung, für die sich die Bezeichnung huguenots einbürgerte. Sie verfochten gegen den katholischen König ständische und religiöse Interessen, die sich seit 1562 in mehreren Religionskriegen entluden, nachdem das Januaredikt, mit dem der König den Hugenotten Gewissensfreiheit und die Ausübung ihres religiösen Kultus erlauben wollte, am Widerstand der katholischen Kräfte (unter Führung der Guisen) und - damals noch - des Pariser Parlaments gescheitert war. Die Kämpfe zogen sich über mehr als drei Jahrzehnte hin, von beiden Seiten unerbittlich geführt. In der Bartholomäusnacht wurden Tausende von Hugenotten ermordet, Paris wurde von katholischen Truppen besetzt. Die Einheit der Nation war gefährdet, denn die konfessionelle Spaltung war auch in Frankreich mit politischen Interessen, die im Kampf um die Königskrone gipfelten, eng verwoben. Alle Seiten suchten und fanden in diesem Konflikt die Unterstützung ausländischer Mächte, die katholische Liga suchte das Bündnis mit Spanien, die Hugenotten bemühten sich vor allem um die Unterstützung der deutschen und eidgenössischen Protestanten. Politischer Führer der Hugenotten war der aus dem Hause Bourbon stammende Heinrich von Navarra. Er kämpfte für die Rechte der Hugenotten und zugleich um seinen Anspruch auf den Königsthron, seitdem er nach der Ermordung Heinrichs III. legitimer Thronfolger geworden war. 1589 wurde er als Heinrich IV. zum König proklamiert, aber erst durch seine Konversion zum Katholizismus 1593 und die Befreiung der von der zweiten katholischen Liga
1
Heranzuziehen neben der unübertroffenen Arbeit von Polenz 1964 (Reprint der Ausgabe von 1857-1869) an neueren Darstellungen in französischer Sprache Wolff 1977, S. 7 - 1 5 0 (mit den Beiträgen von Mandrou, Estebe, Ligou), und Lebrun [u.a.] 1988 (dort S. 185-319 eine ausgezeichnete Einfuhrung in die Geschichte des französischen Protestantismus und die Religionskriege von Marc Venard). Zur Geschichte der Religionskriege vgl. auch Miquel 1980 und Pemot 1987. Eine sehr gelungene sozial- und mentalitätsgeschichtliche Einführung in die Zeit der Religionskriege stammt aus der jüngsten Zeit von Burguiere/Revel 1989-93, Bd. III, wo unter dem Titel »Les conflicts« die inneren konfessionellen und politischen Krisen und Konflikte in der Geschichte Frankreichs behandelt werden, zu den Religionskriegen vgl. S. 105-203.
384 besetzten Hauptstadt Paris 1594 gelang es ihm, seine Herrschaftsansprüche durchzusetzen. 2 Das vorrangige politische Ziel Heinrichs IV. mußte in dieser schwierigen inneren Situation seines Landes die Wiederherstellung der nationalen Einheit Frankreichs sein. Nur so konnte die Monarchie gefestigt werden. Dazu bedurfte es einer endgültigen und für beide Parteien akzeptablen Lösung des konfessionellen Konfliktes, die nach den Jahrzehnten des unerbittlichen Krieges nur durch die Garantie der Glaubensfreiheit für den Einzelnen gelingen konnte. Doch mußte gleichzeitig die Verpflichtung des Staates auf eine - und das war die katholische - Religion eingehalten werden, um die inneren Widerstände der katholischen Majorität und die mächtigen habsburgischen Gegner des ausgebluteten Landes zu besänftigen. Mit seiner Konversion und mit dem Edikt von Nantes (1598), welches den Hugenotten ihre politischen und religiösen Rechte sicherte, erfüllte Heinrich IV. in realpolitischer Einsicht diese Voraussetzungen. Das Edikt von Nantes regelte den Gesamtbereich des konfessionellen Lebens und sollte auf Dauer die Hugenotten in den Staat integrieren, indem es ihnen den Zugang zu den öffentlichen Ämtern ermöglichte und freie Religionsausübung erlaubte. »Als politische Gruppe gelangten die Protestanten 1598 zu gewissen Vorteilen, als Konfession hingegen blieben sie gegenüber den zahlenmäßig dominierenden Katholiken benachteiligt.« 3 Die Einheit von Staat und Kirche wurde somit in Frankreich aufgelöst, um die Spaltung der Nation zu verhindern. Durch die Erfahrungen der konfessionellen Bürgerkriege kam es in Frankreich zu einer »Reduzierung des Politischen auf eine rein weltliche Vorstellung von öffentlicher Sicherheit [...]. Nunmehr konnte die Berufung auf religiöse Ideen die Vorstellung vom Staat nicht mehr wirksam beeinflussen, sie blieb Sache der Religion.« 4 Dies lag unter den Erfahrungen des Bürgerkrieges, die mit einer dynastischen und ökonomischen Krise einhergingen, durchaus auch im Interesse der katholischen Elite. Allerdings flammten nach der Ermordung Heinrichs IV. im Jahre 1610 unter der Regentschaft der Königsmutter und der Regierung König Ludwigs XIII. die Kämpfe noch einmal auf, als sich die Hugenotten erneut massiv in ihren Rechten von den Katholiken bedroht sahen. Sie griffen wieder zu den Waffen, wurden jedoch von den Truppen des Königs niedergeworfen. Die Belagerung und Eroberung von La Rochelle, einem der im Edikt garantierten Sicherheitsplätze, im Jahre 1628 besiegelte die Niederlage der Hugenotten. Sie mußten dieses Mal 2
Über Heinrich IV., den populärsten französischen König in der Frühen Neuzeit, existieren zahlreiche Biographien, die leicht zugänglich sind; das Standardwerk, seit 1982 mehrfach aufgelegt, stammt von Babelon 1997. Ich möchte an dieser Stelle lediglich auf einige Spezialstudien verweisen, die für das Folgende herangezogen wurden: La Briére 1905, Mousnier 1964, Wolfe 1993. Für die geistesgeschichtliche Einordnung Heinrichs IV. unter den deutschen Untersuchungen bleibt grundlegend die Arbeit von Hinrichs 1 9 6 9 . - Z u r Diskussion um die Macht des Königs unter den französischen Dichtem der Renaissance vgl. auch die Beiträge des dritten Teils in dem Tagungsband von Terreaux 1978.
3
Voss 1980, S. 45. Zu Heinrichs IV. Kampf um die Einheit Frankreichs auch der Vortrag von Raumer 1947. Schnur 1962, S. 67.
4
385 jedoch keine Verfolgung und Vernichtung wie einst in der Bartholomäusnacht befurchten. Kardinal Richelieu, der seit 1624 die Politik Frankreichs weitgehend bestimmte, ließ ihre religiösen Rechte unangetastet, beschränkte allerdings ihre politischen Rechte. Die Trennung von Staat und Kirche blieb gewahrt, die Einheit der Monarchie wurde durch diese maßvolle Behandlung der Hugenotten nicht belastet.5 Religiöse Toleranz lag im Interesse des Staates. Die französische Außenpolitik wurde seit langem von der Angst vor einer Habsburger Umklammerung dominiert. Die Niederlande an der nördlichen, das Königreich Spanien an der südlichen Grenze und zudem der Kaiserthron des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation - alles befand sich in Habsburger Hand. Die französischen Könige suchten daher im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder das Bündnis mit den protestantischen Ständen des Reiches, zum ersten Mal Franz I. (1515-1547) nach der Gründung des Schmalkaldischen Bundes (1535). Daneben galt das Interesse der französischen Könige vor allem der territorialen Arrondierung: Gegenüber dem Reich forderten sie beispielsweise ihre Ansprüche auf die Hochstifte und freien Reichsstädte Metz, Toul und Verdun ein, die, seit 1552 der französischen Krone verpfändet, aber erst 1648 endgültig an Frankreich fielen. Die Verschiebung der französischen Grenzen bis an den Rhein und die Pyrenäen war das erklärte Ziel Richelieus, das dann später Ludwig XIV. mit militärischer Gewalt durchsetzte. Heinrich IV. verfolgte diese territorialen Interessen der Krone nicht. Ihm ging es vornehmlich um eine Schwächung der mit dem Papst verbundenen Habsburger, von denen die größte Gefahr für seine Stellung und seine Politik der Einheit Frankreichs ausging. So versuchte er aktiv einen politischen Zusammenschluß der protestantischen Stände im Reich zu befördern. Hier dominierten eindeutig politische Interessen über religiöse Parteien, die allerdings unter seinem Nachfolger wieder an Bedeutung für die französische Reichspolitik gewinnen und Frankreich für die deutschen Protestanten zu einem unsicheren Partner machen sollten.6 Grundlegend für die französische Geschichte die sechsbändige Histoire de France (Paris 1984-1988), die Jean Favier herausgab. Sie ist jetzt auch in kompletter deutscher Übersetzung greifbar, die seit 1989 in Stuttgart bei der deutschen Verlagsanstalt erschien. Für den hier relevanten Zeitraum der dritte Band von Meyer 1985 (dt. ders. 1990 - ich zitiere nach dieser Ausgabe bes. S. 147-309). Die umfangreichste historische Darstellung und wegen ihrer Faktenfulle immer wieder heranzuziehen bleibt die zweibändige Darstellung von Jean Hippolyte Mariejol (1969 und 1969a) in der von Emest Lavisse edierten Histoire de France (erstmals 1901-11 in neun Bänden, hier Band 6). Die beste Darstellung zur Frühen Neuzeit von deutscher Seite bietet Voss 1980 (als einziger Band einer ursprünglich auf drei Bände konzipierten Geschichte Frankreichs erschienen) als kompakter Überblick. Vgl. auch die Einführung von Sieburg 1995, S. 87-110. Zur Reichspolitik Heinrichs IV. vgl. die Studie von Anquez 1887 (basiert weitgehend auf den Papieren und der Korrespondenz Jacques Bongars'). Eine neuere Studie der französisch-deutschen Beziehungen, wie sie Pariset 1981 für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts (hinsichtlich der Kurpfalz bis zur Regierung Friedrichs III.) vorgelegt hat, fehlt für den hier behandelten Zeitraum; Vogler 1989 stützt sich im wesentlich auf Anquez. Sie ist wohl für die Zeit Heinrichs IV. mit der Arbeit von Friedrich Beiderbeck zu erwarten, deren Titel ihren für meinen Untersuchungszusammenhang einschlägigen Charakter sofort deutlich macht: Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstände. Das Er-
386 Äußerst empfänglich für die Politik Frankreichs zeigte sich die Kurpfalz.7 Mit ihr und auch mit dem seit 1595 in kurpfälzischen Diensten stehenden Christian von Anhalt verbanden den französischen König wie die französischen Hugenotten seit den Religionskriegen gute Beziehungen. Mehrfach war der condottiero Johann Casimir den französischen Hugenotten mit bedeutenden Truppenkontingenten zur Hilfe geeilt, und Christian selbst hatte 1591 die Hilfstruppen der Torgauer Union dem um seine Königsmacht ringenden Heinrich von Navarra zugeführt. Nachdem dieser seine Macht endgültig konsolidiert hatte, wandte er sich verstärkt seinen reichspolitischen Interessen zu; seine Gesandten bereisten in unermüdlicher diplomatischer Aktivität die deutschen Fürstenhöfe und Reichsstädte. Schließlich schien Heinrich IV. sogar bereit, im Konflikt um die Erbansprüche in den Herzogtümern Jülich, Kleve und Berg die militärische Auseinandersetzung zu riskieren. Allein seine Ermordung verhinderte damals noch einen Krieg und damit den großen europäischen Konflikt zwischen den Konfessionsparteien. Nach seinem Tod fiel Frankreich als Bündnispartner der deutschen Protestanten aus; es trat erst 1635 in den Krieg mit dem Kaiser ein. Der politische Kurs Heinrichs IV. hatte die tatkräftige Unterstützung der politiques gefunden, die sich seit den ersten Jahren der religiösen Bürgerkriege zu Wort gemeldet und Einfluß gewonnen hatten.8 Es handelte sich hierbei um eine größtenteils aus der sozialen Schicht der noblesse de robe stammende Gruppe von Humanisten, die - obgleich selbst vornehmlich katholisch - über den Konfessionen stehend loyal zur französischen Monarchie hielt und ihre Verteidigung protegierte und propagierte. Anders als die Monarchomarchen aus dem katholischen, vor allem aber aus dem calvinistischen Lager wirkten die politiques auf
scheinen dieser Arbeit, einer Bochumer Dissertation von 1998, war für das Jahr 2000 vom Berlin-Verlag Spitz angekündigt - bislang liegt das Werk noch nicht vor (das Manuskript der Dissertation war mir nicht zugänglich). Beiderbeck analysierte allerdings bereits in einem längeren und nunmehr einschlägigen Beitrag, der auf intensivem Aktenstudium basiert, die Grundzüge der Politik Heinrichs IV. (in zwei Teilen erschienen: Beiderbeck 1997 und 1999). Zur französischen Reichspolitik bzw. Diplomatie der Krone am Kaiserhof für das Jahrzehnt zwischen dem Regensburger Vertrag und dem Hamburger Präliminarfrieden vgl. die Arbeit von Hartmann 1998; für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges der Aufriß von Malettke 1998. Die europäische Politik Frankreichs findet auch besondere Berücksichtigung bei Bourde/Temime 1979. Zum Einfluß des französischen Absolutismus (und damit wiederum mittelbar auch Bodins) auf die deutschen Fürstenstaaten seit dem 17. Jahrhundert Malettke 1994. Ein grundsätzlicher Aufriß zur Wirkung der französischen Staatstheorie auf die deutsche Reichsverfassung im 16. und 17. Jahrhundert bei Schubert 1968. 7
8
Dazu ausführlich Vogler 1965 (dt. Übersetzung 1970/71), vgl. auch die Ausführungen in Teil I dieser Arbeit, S. 129-140. Vgl. dazu Schnur 1962, Yardeni 1971, Wolfe 1993, bes. S. 66-87. Zur Kultur und Politik im Frankreich der Renaissance unter dem Einfluß des Humanismus der Band von Simone 1974. Zum Anteil der politiques an der Durchsetzung der religiösen Toleranz in Frankreich vgl. insbes. Stankiewicz 1960, S. 5-91; außerdem Lecler 1965, Bd. II, S. 96-197, und Scheuner 1975, bes. S. 377-380. Zur Auswirkung der französischen Bürgerkriege auf die Entstehung der modernen Staatlichkeit in Frankreich und die Herausbildung der klassischen Kultur vgl. Stone 1976 und Zemon Davis 1975. Die Einwirkungen ihrer Staatsideen auf die nationalsprachliche Literatur behandelt Asholt 1989; den bedeutenden Anteil der nationalsprachlichen Literatur an einer Herausbildung eines Verständnisses und Bildes von >Nation< in Frankreich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts analysiert Hampton 2001.
387 die Stärkung der Rechte des Königs hin, dem sie auch das uneingeschränkte ius circa sacra zusprachen. Die politischen Ansprüche des Papstes in Frankreich lehnten sie ebenso ab wie sie die Notwendigkeit der strikten Trennung von Kirche und Staat verteidigten. Zwar entstand in der deutlichen Absetzbewegung von Rom nicht wie in England eine eigene Kirche, doch der Gallikanismus entwickelte sich zu einer spezifischen Strömung des französischen Katholizismus. Institutionell sammelten sich die politiques, zu denen überwiegend Juristen gehörten, in den Parlamenten, deren wichtigstes das Pariser Parlament war.9 Die französischen politiques bildeten in der späthumanistischen res publica litteraria Frankreichs die führende Gruppe. In ihren Schriften und in ihren politischen Tätigkeiten verfochten sie die Gedanken religiöser Toleranz und staatlicher Souveränität. Frankreich war um 1500 die hochschulreichste Landschaft in Europa gewesen. Wenngleich an den Universitäten, deren bedeutendsten noch im Mittelalter gegründet worden waren, die scholastische Methode und der katholische Einfluß dominierend blieben, avancierte Frankreich doch zum Mekka der humanistischen Jurisprudenz, des mos gallicus, dessen hervorragender Vertreter Jacques Cujas an verschiedenen Universitäten lehrte.10 Verloren die Universitäten in den Religionskriegen an Bedeutung, erhielt die nationalsprachliche Literatur dagegen gewaltigen Auftrieb, besonders durch die hugenottischen Autoren, an ihrer Spitze Calvin mit seinen in der französischen Übersetzung enorm einflußreichen Institutiones, aber ebenso durch Marot und Bèze mit ihrer Psalmenübersetzung. Mit der Ausgestaltung einer (früh)absolutistischen Monarchie ging die Sozialdisziplinierung des Untertantenverbandes einher. Im staatlichen Interesse mußte es vor allem auch liegen, sich die Kontrolle über die geistigen Kräfte zu sichern. Anders als in Deutschland wurde die Pflege der Muttersprache in ihrer Bedeutung für eine kulturpolitische Steuerung des Landes erkannt. Die Académie Française, 1635 auf Weisung Richelieus gegründet, sollte die Reinigung, Reglementierung und Veredlung der französischen Sprache vorantreiben und sollte dafür im Interesse des Staates die hervorragendsten Gelehrten einbinden.11 Das Programm selbst war dabei nicht neu und bereits von den Dichtern der Pléiade aufgestellt worden, die sich in humanistischer Tradition an den antiken Autoren schulten, diese jedoch in ihrer Muttersprache zu übertreffen 9
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11
Zu diesem und seiner Haltung in den Bürgerkriegen, die immer mehr von den politiques dominiert wurde vgl. Roelker 1996. Zur Geschichte der französischen Universitäten heranzuziehen Brockliss 1987, zur Entwicklung der juristischen Fakultät hier S. 277-330, sowie Verger 1986. Die Bedeutung Cujas' fur die Jurisprudenz der Zeit läßt sich bereits an seinem Schülerkreis ablesen, den Spangenberg 1967 im Anhang auflistet: u.a. gehörten Bèze, Bongars, Claude Dupuy, Freher, Giphanius, Merula, Muret, Pithou, Joseph Justus Scaliger, Auguste de Thou dazu. Zur Gründung der Académie Française und ihrem Programm vgl. Dryhurst 1971, Fumaroli 1985; zum bisherigen Forschungsstand Stackelberg 1977; zur Einbindung des honnêtehomme in das Akademieprojekt Krüger 1996. Ihre Geschichte schrieben Pellisson/ d'Olivet 1858; aus jüngerer Zeit ist auf die kompakten, für einen weiteren Leserkreis konzipierten Darstellungen von Caput 1986 und Trousson 1999 zu verweisen. Zur Vorgeschichte der Académie vgl. Ley 1996; bereits unter den letzten Valois kam es zu ersten Formen einer Institutionalisierung humanistischer Bildungsideale, darunter eben auch der Pléiade.
388 suchten.12 Die Veredlung der eigenen Sprache im - letztlich siegreichen - Wettstreit mit dem Lateinischen bildete ein zentrales Thema des Humanismus auch in Frankreich. Mit der Gründung der Académie Française institutionalisierte der Staat diese Aufgabe. 13 Die Académie Française hatte ihren Sitz in Paris, das seit Heinrich IV. wieder das unumstrittene politische Zentrum Frankreichs geworden war und sich zu einer Metropole des geistigen und kulturellen Lebens entwickelt hatte, die weit über die Grenzen Frankreichs hinaus Anziehungskraft besaß.14 Garber spricht gar von Paris als der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus.15 Hier hielten sich Gelehrte und Diplomaten aller europäischen Länder auf. Die französischen Späthumanisten organisierten sich in zahlreichen Kreisen. Gerade die Pariser Zirkel wurden zum Mittelpunkt des geistigen Lebens in Frankreich.16 In ihnen institutionalisierte sich, wenngleich auf privater Ebene, die Verbindung von späthumanistischer Gelehrsamkeit und europäischer Konfessionspolitik. Der bedeutendste Pariser Gelehrtenkreis war das Cabinet Dupuy. Es war hervorgegangen aus einem losen Freundeskreis, den der Pariser Parlamentspräsident Jacques-Auguste de Thou in der französischen Hauptstadt um sich versammelt hatte. Die Angehörigen dieser beiden späthumanistischen Gelehrtenkreise besaßen in der europäischen res publica litteraria höchste Reputation. Sie wechselten mit Gelehrten in ganz Europa Briefe, ihre Schriften fanden weite Verbreitung und rückten sie ebenfalls ins Zentrum der gelehrten Kommunikation. Hier wurde aber auch »Politik gemachte ausländische Diplomaten und französische politiques, die am Hof, in den Parlamenten usw. wichtige Ämter bekleideten, trafen hier zusammen und tauschten sich aus.
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Vgl. Wittschier 1971; die grundlegende Darstellung der Dichtung und Dichter der Pléiade nach wie vor Chamard 1961-63. Einfuhrend in ihr poetisches Programm Castor 1964, Krüger 1989. - Zur französischen Literatur um 1600 das Standardwerk von Adam 1962— 68, Bd. I ( I 'époque d 'Henri IV et de Louis XIII). Zur Literatur der Renaissance die Einfuhrungen von Cossart 1984 und Hausmann 1997 (zuvor und quasi diese ausfuhrlichere Darstellung zusammenfassend ders. 1994), jetzt außerdem die entsprechenden Abschnitte bei Engler 2000, S. 71-110; sowie ausfuhrlich zur poetischen Theorie und zur humanistischen Dichtkunst, jeweils den Bogen zurückschlagend in den italienischen Humanismus, die in dem Band von Galand-Hallyn/Hallyn 2001 versammelten Aufsätze. Zur humanistischen Tradition in Frankreich vgl. Buck 1968, Friedrich 1972. Die Literatur zum Humanismus der französischen Renaissance ist schier uferlos. Als großangelegter Überblick steht zur Verfugung Jehasse 1976 (der v.a. auch auf das »Triumvirat littéraire« Casaubon-Lipsius-Scaliger eingeht; also das gleiche Dreigestirn in das Zentrum seiner historischen Abhandlung zur Entwicklung humanistischer Gelehrsamkeit und Kritik im 16. Jahrhundert stellt wie schon Nisard 1852), daneben einschlägig die mehrfach aufgelegte Darstellung von Plattard 1947 sowie für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts als gewichtiger Beitrag zur Geschichte des Libertinismus Pintard 1983. Eine Einführung in den französischen Späthumanismus bietet Hess 1939, S. 1-41; vgl. auch für die Regierungsjahre Heinrichs IV. die Akten der Tagung Henri IV. 1991. Dazu Martin 1984. Für den hier betrachteten Zeitraum vgl. insbes. die schöne Einleitung vondems. 1985. Vgl. Garber 1987; jetzt auch Fumaroli 1999, der im Titel seiner Aufsatzsammlung Rom und Paris als »Capitales de la République européenne des Lettres« bezeichnet (ein programmatischer Gedanke, der in den Aufsätzen indes an keiner Stelle weiter ausgeführt wird). Vgl. Boer 1938.
389 Lingelsheims Briefkontakte nach Frankreich konzentrierten sich weitgehend auf das personelle Umfeld der gelehrten Kreise um de Thou und das Cabinet Dupuy, die ein Sammelpunkt auch der französischen politiques waren. Auch Bongars, Casaubon und Sainte Catherine standen diesem Kreis nahe.17 Ein großer Teil seiner französischen Korrespondenten bekleidete politische Ämter. Mit Bongars, Jean Hotman, Falvigny und Sainte Catherine gehörten vier Diplomaten zu seinen Korrespondenten, die in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg offizielle Residenten der französischen Könige im Reich waren und die französische Reichspolitik aktiv vertraten. Lingelsheim, der selbst nur selten als kurpfälzischer Diplomat Verwendung fand, war im Zuge eines fortschreitenden Spezialisierungprozesses in der Heidelberger Regierung offensichtlich derjenige, der maßgeblich die französischen Verbindungen der Kurpfalz pflegte. Bongars und Hotman verkörperten dabei den Typus des französischen Politikers^ der stets auch seine gelehrten Neigungen verfolgte. Neben Denaisius war Bongars der wichtigste Korrespondent Lingelsheims in der europäischen Gelehrtenrepublik. Unter seinen heute noch erhaltenen Briefwechseln nehmen die französischen Korrespondenzen nach der Zahl der Briefe den größten Anteil ein. Das liegt allerdings vor allem darin begründet, daß alleine die erhaltenen Briefe, die Lingelsheim mit Bongars wechselte, fast ein Drittel sämtlicher von Lingelsheim überlieferten Korrespondenzen ausmachen.
3.2.
Jacques Bongars
Jacques Bongars (1554-1612) 18 enstammte einer Familie des französischen Landadels, deren Güter in der Nähe von Orléans lagen. Bereits im Alter von zehn Jahren war er nach Deutschland gekommen, wo er die Lateinschulen in Marburg und Jena besuchte. Über Straßburg (1571) kehrte Bongars nach Frankreich zurück, um dort an den Universitäten von Orléans und Bourges (1576),19 17
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So trugen Bongars und Casaubon etwa zu einer Gelegenheitsschrift auf Petrus Pithoeus Epicedien bei. Ich entnehme den Hinweis auf diese Epicedien (Lacrimae in funere viri clarissimi Petri Pithoei avunculi, [Paris 1603]) Vivanti 1963, S. 219. Die Beschäftigung mit Leben und Werk Bongars' geschah aus naheliegenden Gründen zumeist im Umfeld der Burgerbibliothek Bern, die den Nachlaß Bongars', die sogenannten Bongarsiana, besitzt. Vgl. v.a. die Darstellung von Hagen 1874; daneben der Aufsatz von Juker 1932. Auf Basis des Bemer Codex 149b verfaßte Breuer 1905 eine >diplomatische< Biographie Bongars'. Die erwähnte Arbeit von Anquez 1887 ist in gewisser Weise das Komplement zu Hagen 1874, der v.a. Bongars als Gelehrten vorstellt, während sich Anquez, wie auch Breuer 1905 fur die Jahre 1589-1606, auf die diplomatischen Aktivitäten Bongars' konzentriert. Beide Aspekte werden jetzt zusammengeführt in der Dissertation von Kohlndorfer-Fries 2003, die nunmehr stets heranzuziehen sein wird; vgl. auch die Zusammenfassung Kohlndorfer 2002. Die Ergebnisse ihrer Dissertation, v.a. zur Biographie und zur Bedeutung Bongars' in der französischen Diplomatie, konnten im einzelnen nicht mehr vor Drucklegung eingearbeitet werden, da die Mikrofiches-Ausgabe erst vor wenigen Wochen erschienen ist; soweit erkennbar, werden allerdings meine Ausführungen bestätigt. In der Darstellung des schulischen und universitären Bildungsganges Bongars' weicht die Literatur voneinander ab: Tabaraud nennt in seinem Artikel im Michaud V nur zwei Stationen: »II étudia les belles-lettres à Strasbourg, sous un professor anabaptiste; et le droit à
390 unter anderem bei Jacques Cujas, Jurisprudenz zu studieren. Es folgten zwei längere Bildungsreisen, die ihn Ende der siebziger Jahre nach Rom, 1585 über Ungarn und Siebenbürgen bis nach Konstantinopel führten, und die jeweils in einem philologischen Werk ihren Niederschlag fanden.20 Bongars, der wie viele Adlige des französischen Südens dem reformierten Bekenntnis angehörte, trat danach in die Dienste Heinrichs von Navarra, der seit 1581 offizieller Protektor der französischen Hugenotten war.21 In dessen Diensten verblieb Bongars bis zum Jahre 1610, als er-wenige Wochen vor der Ermordung seines Königsseines Amtes müde auf eigenen Wunsch hin seine Entlassung erhielt.22 Sein hauptsächliches diplomatisches Tätigkeitsfeld war Deutschland: Zunächst als Sekretär Segur-Pardaillons',23 Heinrichs Botschafter bei den protestantischen Ständen, dann seit 1593 als Resident des französischen Königs bei den deutschen Fürsten reiste er rastlos zwischen Frankreich und den deutschen Reichsständen hin und her. Um 1600 war er der wichtigste französische Diplomat im Reich. Als Resident Heinrichs IV. verfolgte Bongars vor allem die Pläne seines Königs, einen engeren politischen Zusammenschluß der protestantischen Parteien Deutschlands gegen den Kaiser und Spanien herbeizufuhren. Reichspolitische Fragen nehmen dementsprechend in der Korrespondenz zwischen ihm und Lin-
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Bourges, sous Cujas, professor anabaptiste; et le droit ä Bourges, sous Cujas« (S. 102); Hagen 1874 folgt S. 12 Tabaraud, datiert allerdings den Aufenthalt in Straßburg in das Jahr 1571 und benennt den »professor anabaptiste« als Christian Martin. Auf den Besuch der Lateinschulen in Marburg und Jena weist Juker 1932, S. 40, hin; der eben genannte Christian Martin, ein flämischer Wiedertäufer, sei in dieser Zeit Bongars' »Begleiter und Erzieher« gewesen; Müller 19S3 schließlich stellt S. 81 einen Schulbesuch Bongars' in Jena in Frage und registriert den Besuch der Marburger Schule seit 1566, bleibt aber dabei, daß Bongars bereits zehnjährig nach Deutschland gekommen war. In Rom hatte Bongars Altertumsstudien betrieben, deren Ertrag eine bereits 1581 in Paris erschienene Edition Justinus, Trogi Pompeii Historiarum Philippicarum epitoma. Ex manuscriptio codicibus emendatior, & prologio auctior. In eandem notae, excerptiones chronologicae, et variorum lectionum libellus. (Paris: Du Puys 1581) ist; sie wurde bis ins 19. Jahrhundert immer wieder für Justinus-Ausgaben herangezogen. - Inschriften, die er auf der Reise nach Konstantinopel gesammelt hatte, gab Bongars im Jahre 1600 in Frankfurt unter dem Titel Rerum Hungaricarum scriptores varii historici, geographici [...]: Quidam nuncprimum editi [...]. (Frankfurt/M.: Wechel Erben 1600) heraus. Kohlndorfer-Fries 2003 erkennt für Bongars genau jene symptomatische Doppelheit im Lebensentwurf der Späthumanisten, daß sich »Politik und Gelehrtenkultur als habituelle Elemente ein und derselben Figur [...] einander keineswegs ausschlössen]« (S. 1). Auch hier wird also der für Lingelsheim stets betonte spezifische Charakter der eigenen Existenz hervorgehoben. Die Verfasserin, die als Historikerin einen Beitrag zu Geschichte der Diplomatie um 1600 beisteuern wollte und ursprünglich eine politische Biographie geplant hatte, gelangte, wie sie im Vorwort zu ihrer Arbeit ausfuhrt, zu dieser Erkenntnis eben auf der Basis der ihr zur Verfügung stehenden Quellen, aus der schließlich eine inhaltliche Verlagerung ihrer Arbeit resultierte. Bongars' Eintritt in die Dienste Heinrichs IV. erscheint ihr deshalb gerade aus seinem gelehrten Selbstverständnis zu begründen, sich »den drängendsten Fragen der Zeit [zu] stellen: einer Lösung der konfessionellen Frage und der Sicherung des Friedens auf nationaler Ebene« (S. 38). Von dieser Darstellung weicht ab Schultess 1905, S. 139f.: Demnach bat Bongars erst nach der Ermordung Heinrichs IV. um seinen Abschied, weil er unter Maria von Medici als Reformierter nicht weiter der Krone dienen wollte. In den Sammel-Biographien wird der Name Segur-Pardaillans nirgends erwähnt. Über seine diplomatischen Tätigkeiten im Auftrage Heinrichs IV. vgl. Anquez 1887, S. 1-27.
391 gelsheim einen wichtigen, über weite Strecken die Briefe dominierenden Stellenwert ein.24 In der Kurpfalz war Lingelsheim der wichtigste Verbindungsmann des französischen Gesandten zum kurpfälzischen Hof. In ihrer Korrespondenz führten sie beide ihre dienstlichen Geschäfte fort, ihre Briefe verlagerten sozusagen offizielle Konsultationen zwischen beiden Regierungen in den privaten und überaus freundschaftlichen Schriftverkehr zweier führender Politiker. Lingelsheim hielt Bongars stets über die reichspolitischen Pläne der Kurpfalz, die Verhandlungen mit den protestantischen Reichsständen, Vorstöße der katholischen Partei usw. auf dem Laufenden, also über alle konfessionspolitischen Angelegenheiten, die über die Kanzlei liefen und für die befreundete Monarchie und die reichspolitischen Ambitionen des französischen Königs relevant sein konnten. Ihre Briefe besaßen in hohem Maße einen offiziösen Status. Mehrfach berichtet Lingelsheim an Bongars, daß er über dessen Briefe mit Kollegen im Oberrat oder sogar mit dem Kurfürsten gesprochen habe.25 Die Korrespondenz zwischen Bongars und Lingelsheim besitzt somit einen eminent politischen Charakter. Sie ist, zumal angesichts ihrer guten Überlieferung, eine wichtige Quelle für die konfessionspolitischen Vorgänge im protestantischen Deutschland, soweit diese von der kurpfalzischen und der französischen Diplomatie auf dem Weg zur Gründung der Union und zur großen Krise am Niederrhein forciert wurden. Für die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges, fur die Ereignisse im Reich und die Einflußnahmen der französischen Politik darauf, sind diese Briefe überaus ergiebige Zeugnisse.26 Seine vielen Amtsgeschäfte ließen Bongars nur wenig Zeit für seine gelehrten Studien. Wie vielfältig seine Verpflichtungen waren, wie zentral seine Stellung als französischer Resident im Reich war, ist an seinen teilweise erhaltenen »Mémoires« nachzuvollziehen. Öfter klagt er in seinen Briefen Lingelsheim die schwere Last seines Amtes, derer er sich gerne entledigt hätte; so etwa - die zentralen humanistischen Begriffe otium und negotium gegenüberstellend - schon im Sommer 1599: »[...] me homulum[!], qui iam pertaesus publicorum negotiorum otium et latebras votis et precibus persequor nec assequor. Dabit et otium Deus aliquando, qui me iam tot annos molestissimis negotiis exercet.«27 Angesichts seiner in der Tat enormen Belastung durch die Amtsgeschäfte verwundert es nicht, daß Bongars zu seinen Lebzeiten lediglich drei größere
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Auch nach seinem Rücktritt blieb Bongars ein interessierter Beobachter der deutschen Zustände. Vgl. den letzten von ihm erhaltenen Brief, den er am 13.02.1612 [greg.] an Lingelsheim richtete (SUH: Sup. ep. 4, Bl. 82). So heißt es z.B. in dem Brief Lingelsheims vom 17.11.1595: »Quae mones de Pacificatione Belgica, ea cum D[omi]no Hutteno, ac reliquis nostris collegis com[m]unicaui, adprobamus omnes iudicium tuum, ac tecum sentimus [...]«(ZBZ: Ms F 81, Bl. 1410. Nicht von ungefähr zog die Geschichtswissenschaft die 1660 veranstaltete Edition ihrer Korrespondenz immer wieder als Quelle für die Geschichte der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg heran, so bereits die BRIEFE UND ACTEN 1870-1909 und ebenso Press 1970. Bongars an Lingelsheim, 20.06.1599 (BNP: Fr. 7128, Bl. 5 0 0 - - D a ß Bongars in dieser Zeit emsthaft darüber nachgedacht zu haben scheint, sein Amt niederzulegen, verdeutlicht die folgende Stelle aus einem Brief Lingelsheims an ihn v o m 22.03.1599: »[...] Illud doleo, quod operam tuam reip. detrahere cogitas [...].« (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 207").
392 historische Werke fertigstellen konnte.28 In jungen Jahren verfaßte er zudem einige französische Streitschriften, die sich gegen Fabian Burggraf zu Dohna richteten und anonym erschienen.29 Seine Bedeutung als Gelehrter lag entsprechend vielmehr in der Anregung und Förderung von Arbeiten anderer, wobei er bereitwillig die Schätze seiner reichen Bibliothek zur Verfügung stellte.30 Neben den politischen Nachrichten fand der gelehrte Austausch in den Briefen an und von Lingelsheim stets breiten Raum:31 sei es, daß der leidenschaftliche Bibliophile Bongars Lingelsheim neue oder alte Bücher übersandte; sei es, daß er Bücher aus der Bibliotheca Palatina begehrte; sei es, daß er entstehende Werke unterstützte oder um Unterstützung für andere bat; sei es, daß er sich in seinen Briefen als humanistischer Kritiker neuerschienener oder entstehender Werke äußerte. Dabei führten sie ihre Korrespondenz, mit der Ausnahme zweier französischer Briefe Lingelsheims, in lateinischer Sprache, die nicht nur die Verkehrssprache der Gelehrten, sondern damals auch noch der Diplomatie war. Das persönliche Verhältnis der beiden Männer, die immer wieder in Heidelberg zusammentrafen, ist nicht nur als eine typisch humanistisch stilisierte, sondern als eine wirklich persönliche Freundschaft einzuschätzen.32 Dies bringen nicht nur ihre Briefe immer wieder zum Ausdruck, in denen gerade Lingelsheim häufiger von sich und seiner Familie berichtet, sondern es wird auch daran deutlich, daß Bongars Lingelsheim als Verwalter seiner Bibliothek bis zur Volljährigkeit des Erben Jakob Graviseth einsetzte.33 Der erste erhaltene Brief Lingelsheims stammt vom 5. März 1595, sein letzter datiert vom 2. Juni 1612, wenige Tage vor Bongars' Tod. Aus diesen 17 Jahren sind bislang 640 Briefe bzw. Briefkonzepte nachzuweisen, darunter 304 von Bongars verfaßte. Mit dieser Zahl steht diese Korrespondenz heute singulär unter allen Briefwechseln Lingelsheims da, sie ist neben dem Briefwechsel mit Denaisius als seine zentrale Korrespondenz zu sehen. Die Anzahl der tatsächlich zwischen ihnen gewechselten Briefe muß allerdings sehr viel höher gelegen haben. Beide bemühten sich um eine sehr regelmäßige Führung ihres Briefverkehrs - auch das ist ein Indiz für die offiziöse Funktion dieser Korrespondenz.34 28
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Zu den bisher genannten Werken Bongars' tritt als letztes noch die ebenfalls anonym publizierte: Gesta Dei per Francos Orientalis Historiae. 2 Tie. (Hanau: Aubri 1611). Vgl. Hagen 1874, S. 17-23. Die HAB verfügt über eine dieser Schriften: Responsio ad scriptvm Baronis Fabiani a Donavv (1588). Dazu in Teil I, Kap. 3.2.2.3.3. Es würde zu weit fuhren, die entsprechenden Stellen im einzelnen aufzufuhren. Stellvertretend sei auf Hagen 1874 verwiesen. Das erste - wenn auch mit rhetorischem Schwung geschriebene - Freundschaftszeugnis im Brief Lingelsheims an Bongars vom 08.10.1596 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 164'), wenige Wochen nach seiner Hochzeit, zu der Lingelsheim den französischen Diplomaten geladen hatte: »Firmius iacta fundamenta amicitiae nostrae, quam vt conuelli possint, multo minus adducar, vt ob intermissum officium, adfectum mutem, cum tarnen a te nihil ibi pecatum, cum publica meis gaudijs antetulisti, in eo ipso vero tantam abundantiam amoris ostendisti, in litteris, donis, nuncijs, vt nulla vmquam a me ratio iniri possit, qua me obligatione, qua tibi obstrictus, exsoluam.« S. dazu in diesem Teil Kap. 2.2.5. Schon bald nach der Eröffnung ihres Briefwechsels scheint Lingelsheim die regelmäßige Führung dieser Korrespondenz zur Gewohnheit geworden zu sein; so schreibt er am
393 Immer wieder ist über die langen Jahre anhand der Briefdaten ein sehr oft streng durchgehaltener wöchentlicher Rhythmus festzustellen. Mehrfach entschuldigt sich Lingelsheim dafür, wenn er diese Frequenz nicht einhalten konnte, so etwa in seinem Brief vom 11. Dezember 1604: »[...] ego singulis septimanis scripsi meumque institutum seruo, quamvis nihil memorandi habebam.«35 Oftmals lagen aber auch nur ein oder zwei Tage zwischen den einzelnen Briefen, wenn aktuelle Ereignisse zu berichten waren, die für beide Seiten politische Relevanz besaßen. Die ursprüngliche Zahl der Briefe ist deshalb nur schwer abzuschätzen, dürfte aber ein Mehrfaches der heute noch erhaltenen Schreiben betragen haben. Die Überlieferung dieser Briefe ist ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, wie weit im Laufe der Jahrhunderte späthumanistische Briefwechsel auseinandergerissen und verstreut worden sind. Sie sei deshalb an dieser Stelle ein wenig ausführlicher dargestellt. Zeugnisse dieser Korrespondenz finden sich heute in Kopenhagen, Hamburg, Amsterdam, Bern, Zürich und Paris. Es ist ein Glücksfall, daß trotz dieser Streuung relativ geschlossene und umfangreiche Bestände in den einzelnen Bibliotheken vorzufinden sind.36 Dadurch werden einige interessante Rückschlüsse auf das spezifische Schicksal dieses Briefwechsels möglich. Neben der handschriftlichen Überlieferung gibt es zudem noch zwei Editionen von Teilen dieser Korrespondenz. Es handelt sich einmal um die 1660 veröffentlichten Jacobi Bongarsi et Georgii Michaelis Lingelshemi Epistolae. In einigen Gelehrtenlexika wurde Lingelsheim selbst als der Herausgeber dieser Edition bezeichnet. Sie wurde jedoch von Franciscus Veiras veranstaltet, der zunächst Sekretär Bongars', danach - in seiner Bewerbung von Lingelsheim unterstützt - als französischer Sekretär in kurpfälzische Dienste eintrat und später aus Heidelberg über Straßburg in die Schweiz floh.37 Nach der Vorrede zu schließen, fertigte Veiras Abschriften der Originale aus Bongars' Besitz an, die er über den Straßburger Gesandten in der Schweiz an den Drucker weiterleitete.38 Der Wert dieser Edition ist allerdings eingeschränkt, weil der als Heraus-
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18.12.1597 an Bongars: »Vix est, quod scribam, institutum tarnen meum seruabo [...]« (ZBZ: Ms F 81, Bl. 1830Lingelsheim an Bongars, 11.12.1604 (BBB: Cod. 141, Nr. 76, Bl. 1050- Ähnliche Passagen lassen sich auch in anderen Briefen Lingelsheims finden. So heißt es am 03.06.1608 in ähnlicher Formulierung an Bongars: »Ego singulis septimanis ad te litteras dedi [...].« (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 95') und am 07.07.1609 beginnt er seinen Brief mit den Worten: »Institutum meum servo, ut singulis septimanis certiorem te faciam de rebus nostris [...]« (BONGARS 1 6 6 0 , S. 2 6 1 ) .
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Die KBK besitzt in diesem Fall lediglich die Abschrift eines Briefes von Lingelsheim an Bongars vom 01.07.1610 (KBK: Thott. 503,2°). Veiras ist heute noch als Verfasser der Prosasatire Heutelia bekannt, der umfangreichsten Beschreibung der Schweiz aus deutscher Perspektive im 17. Jahrhundert - aber eben satirisch überzogen. Zu seiner Person u n d - w i e Newald 1967, S. 312, urteilt - seinem 1658 anonym publizierten »seltsamen Werk, das so viele Rätsel stellt, und in dem sich die Aufklärung schüchtern anmeldet« vgl. Weigum 1945, dessen biographische Angaben Carlebach 1947 ergänzt; weiterhin Gemert in Killy XII, S. 1 l f „ und zuletzt Zeller 1999, S. 177182. Zu seiner Tätigkeit in kurpfälzischen Diensten Press 1970, S. 497. Zur Entstehung dieser Edition heißt es in der kurzen Vorrede des Typographus unmißverständlich, diese Briefe »beneficio Nobilissimi Amplissimaeque dignitatis viri, qui Inclytae Reip. ad Helvetios Legatus ä Clarissimo viro Dn. Francisco Veyrazio eas, ut lucem vide-
394 geber fungierende Typograph in sehr vielen Fällen absichtlich Passagen der Brieftexte fortgelassen und durch Punkte ersetzt hat.39 Immerhin scheint der Umfang der ausgelassenen Stellen in etwa durch die Länge der jeweiligen Punktierung abgebildet worden zu sein.40 Eine zweite Edition erschien Ende des vorigen Jahrhunderts. Hermann Hagen gab 1879 als Beilage zu seiner BongarsBiographie Briefe aus den Bongarsiana in der Burgerbibliothek Bern heraus.41 Beide Editionen enthalten fast ausschließlich Briefe Lingelsheims. Handschriften einzelner Briefe Lingelsheims besitzen heute neben der Berner Bibliothek die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg sowie die Zentralbibliothek Zürich. Bongars' Briefe dagegen lassen sich fast nur aus seinen »Mémoires« ermitteln. Für die Jahre 1599 bis 1606 verfugen wir über eine große Zahl von Briefkonzepten, die in den »Mémoires de Bongars« in der Bibliothèque National in Paris und in jeweils kleinerer Zahl in der Burgerbibliothek Bern und in der Universitätsbibliothek Amsterdam zu finden sind. Durch sie ist zumindest für diesen Zeitraum eine weitgehende Rekonstruktion des Briefwechsels möglich, was seinen Quellenwert beträchtlich erhöht. Die Auswertung der »Mémoires« gestaltet sich jedoch äußerst schwierig. In der Regel setzte Bongars nur das Tagesdatum unter seine Konzepte, ließ aber die Jahreszahl fort. Diese muß dann ermittelt werden. Das gelingt nur durch den Vergleich jedes einzelnen Konzeptes mit sicher datierten Briefen, die sich inhaltlich oder durch den Hinweis auf das Datum eines empfangenen Briefes auf ein entsprechendes Konzept beziehen lassen. Wie leicht sich Fehler in der Jahreseinordnung der Konzepte ergeben können, läßt sich an der Bongars-Biographie Hermann Hagens belegen. Hagen war bisher der einzige, der den Briefverkehr Jacques Bongars' für seine Arbeit auswertete, die sich auf Bongars als Gelehrten konzentrierte. Neben den Beständen der Burgerbibliothek Bern konnte Hagen drei Bände der Pariser »Mémoires« sichten, und zwar die Bände Fr. 7125, Fr. 7128 und Fr. 7130.42 Die beiden letztgenannten Bände enthalten nahezu ausschließlich Briefkonzepte Bongars', von denen sich weit über 200 eindeu-
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rent, accepit. Has venerandus hic senex, qui in contubernio Illustris Bongarsii, duodecim annos, eidem ab epistolis, vixerat, descripsit intégras« (BONGARS 1660, Bl. Zur Editionsgeschichte dieser Ausgabe vgl. Hagen 1874, S. 6ff. Zu den Gründen für diese Auslassungen heißt es in der Vorbemerkung des Typographen lapidar: »[...] Nos autem rationisbus quibusdam adducti, quasdam punctis signata omittere maluimus, Quod quo consilio factum, prudentiores facile agnoscent.« (BONGARS 1660, Bl. ):('"") - Vgl. die ähnliche Begründung bei BERNEGGER 1670. Ich halte es fur sehr wahrscheinlich, daß der Herausgeber durch die Anzahl der Punkte den wirklichen Umfang der ausgelassenen Briefstellen abbildete; andernfalls hätte er mit weniger Aufwand das in anderen zeitgenössischen Editionen zur Kennzeichnung von Auslassungen immer wieder eingefugte »&c.« verwenden können. HAGEN 1879, S. 165-216. Es handelt sich um den Wiederabdruck von Hagen 1874, der hier um die Briefe vermehrt ist. Diese drei Bände waren Hagen für seine Biographie zur Verfügung gestellt worden, die anderen fünf Bände der »Mémoires« konnte er nicht einsehen, versprach sich aber von diesen noch viel reichere Funde (Hagen 1874, S. 11). Diese Hoffnung erweist sich jedoch als weitgehend unberechtigt, denn lediglich Fr. 7132 enthält noch einige Briefentwürfe, die jedoch keine Hinweise auf den designierten Empfänger zulassen.
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tig als fiir Lingelsheim bestimmt identifizieren lassen.43 Die Briefkonzepte Nr. 195-207 aus Fr. 7128 datierte Hagen damals in das Jahr 1603, die Konzepte Nr. 208-313 aus Fr. 7130 in das Jahr 1604.44 Der Vergleich mit sicher datierten Briefen führt jedoch zu einer Korrektur dieser beiden Jahresangaben um jeweils ein Jahr auf 1604 bzw. 1605.45 Ebenso schwierig gestaltet sich die Ermittlung von Lingelsheim als Empfänger einzelner Konzepte. Bongars vermerkt bei einem großen Teil seiner Konzepte nicht direkt den Adressaten, für den der Brief gedacht war. Auch hier kann 43
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Leider gelingt eine eindeutige Identifizierung der Konzepte nicht in allen Fällen. So gibt es unter den Konzepten in den »Mémoires« zahlreiche Stücke, die vielleicht fîir Lingelsheim bestimmt gewesen waren, aber nicht zweifelsfrei zuzuordnen sind. Auf diese Konzepte, die im folgenden aufgelistet werden, habe ich deshalb in meinem Repertorium verzichtet: Fr. 7128: 09.02. [1605] (Bl. 1990, 20.02. [1605] (Bl. 200 r " v ), 21.02. [1605] (Bl. 2010, 22.02. [1605] (Bl. 2010, 26.02. [1605] (Bl. 201 v -202'), 28.02. [1605] (Bl. 2 0 2 " ) , 04.03. [1605] (Bl. 2030, 07.03. [1605] (Bl. 2030, 11.03. [1605] (Bl. 203 v ), 14.03. [1605] (Bl. 204 r_v ), 16.03. [1605] (Bl. 204 v ), 21.03. [1605] (Bl. 204 v -2050, 24.[03.1605] (Bl. 205 r " v ), 10.05.[1605] (Bl. 206'" v ), 12.05.[1605] (Bl. 2090, [Juni 1605] (Bl. 2100, 26.06.[1605] (Bl. 2110, 04.07.[1605] (Bl. 21 l v ), 12.07.[1605] (Bl. 2170, 27.08.[1605] (Bl. 2220, 29.08.[1605] (Bl. 2220, 19.09.[1605] (Bl. 222 v -2230, 26.09.[1605] (Bl. 223 v -2240, 28.09.[1605] (Bl. 2240, 29.09.[1605] (Bl. 224 v ), 14.10.[1605] (Bl. 2270, 22.10.[1605] (Bl. 2280, 31.10.[1605] (Bl. 2 3 0 M ) , 03.11.[1605] (Bl. 2310, 06.11.1605 (Bl. 2310; aus Fr. 7130: 03.02.[1603] (Bl. 203 v -2040Hagen 1874, S. 5. Wie ich zu diesen Korrekturen gelangte, sei anhand eines Beispiels belegt. Lingelsheim bestätigt sehr häufig sogleich im einleitenden Satz eines Briefes Bongars den Erhalt seiner Briefe und nennt in diesem Zusammenhang dann auch das Datum, das der jeweilige Brief getragen hat. Diese von Lingelsheim genannten Daten können mit den Tagesdaten, unter denen Bongars seine Konzepte niederschrieb, verglichen werden. So existieren beispielsweise in Fr. 7128 zwei Briefkonzepte Bongars', von denen eines vom letzten Tag des Mai und das andere vom 4. Juni stammen (Bl. 208R_V). Diese beiden Daten nennt auch Lingelsheim in seinem Brief vom 10. Juni 1605, als er Bongars bestätigt: »Quas vit. Maii et 4. Junii ad me dedisti, recte accepi.« (zitiert nach HAGEN 1879, S. 172). Ein bloßer Vergleich der Datierungen gibt allerdings nicht die wirkliche Gewißheit, daß es sich bei den Konzepten jeweils um die selben Briefe handelte, die Lingelsheim in seinem Brief ansprach. Wirkliche Sicherheit kann nur in einem zweiten Schritt, kann nur über den inhaltlichen Vergleich erzielt werden. So berichtet Bongars in seinem Konzept vom 31. Mai u.a. von der Gesundung eines gewissen Groslotius und weist dann auf die Edition der Satyrici Euphormionis hin. Auf beide Mitteilungen geht Lingelsheim in seinem Brief vom 10. Juni 1605 konkret ein: »Gratias habeo de indicio auctoris Satyrici Euphormionis et de nuncio restituti Groslotii« (ebd.). Damit steht in diesem Fall auch eindeutig fest, daß die beiden Konzepte Bongars aus dem Jahre 1605 und nicht, wie Hagen 1874 angab, aus dem Jahre 1604 stammen. Leider, darüber darf die lückenlose Beweisführung in diesem Fall nicht hinwegtäuschen, ist eine derartig eindeutige Identifizierung der Konzepte Bongars' durchaus nicht die Regel. Aber immerhin erlauben noch weitere sicher datierte Briefe Lingelsheims einen Vergleich mit Konzepten Bongars und damit deren eindeutige Datierung und personale Zuordnung. Es handelt sich um die Briefe vom 11.12.1604, 13.12.1604, 09.02.1605,
10.06.1605, 16.06.1605, 23.06.1605, 30.07.1605, 07.08.1605. - A u f die ein-
zelnen Datumskorrekturen im Vergleich zu Hagen wird im Repertorium im Anhang nicht gesondert hingewiesen. - Gemeint ist in dem eben angeführten Beispiel wohl die Edition: Euphormionis LVSININISATYRICON. Nuncprimum recognitum, emendatum, & variis in locis auctum von John Barlay, deren erster Band im Jahre 1605 in Amberg bei Forster erschien (vgl. Paschen 1995, S. 126, und die Bibliographie in: Barcley: Euphormionis Lusinini Satyricon, S. 355 [hier allerdings auf 1606 datiert!]; die letztgenannte Edition sei auch einleitend in diese Schrift und ihre Wirkung herangezogen).
396 eine Identifizierung wieder nur durch den Vergleich mit anderen Briefen und Konzepten gelingen. Allerdings umfassen die Konzepte oftmals nur wenige Zeilen, zu wenige, um den Empfänger zuverlässig ermitteln zu können. Deshalb sind bei weitem nicht alle Konzepte sicher zu bestimmen. 46 Es müssen ursprünglich mehr Bände der »Mémoires« existiert haben, als die noch heute in der Bibliothèque Nationale in Paris aufbewahrten acht (Fr. 7125Fr. 7132), die zu den Handschriftenbeständen gehören, die sich bereits vor 1682 im Besitz der Bibliothèque du Roi befanden. 47 Sie setzen sich zusammen aus diplomatischen Korrespondenzen, Akten, Urkunden und Relationen Bongars', die zum Teil im Original vorliegen. Ein überraschender Fund ist in diesem Zusammenhang allerdings in der Universitätsbibliothek Amsterdam zu machen: dort existiert unter der Signatur K 103 ein acht Blätter im Format 2° umfassender Bestand, der ebenfalls Briefkonzepte Bongars' enthält. Diese Blätter müssen aus einem größeren Band herausgetrennt worden sein, denn links oben auf den Rectoseiten ist noch die alte Zählung erkennbar, die bei Bl. 264 einsetzt. 48 Offenbar scheint sich dieser verlorene Band ursprünglich an Fr. 7128 angeschlossen zu haben, denn durch Vergleiche mit sicher datierten Briefen können die Briefkonzepte aus K 103 dem Jahr 1606 zugeordnet werden. Leider vermerkt Bongars auch hier nur in ganz wenigen Fällen den Adressaten des jeweiligen Briefes, lediglich bei vier Konzepten nennt er den Namen Lingelsheims am Rande. Einige weitere Konzepte lassen sich durch Vergleiche ebenfalls als fur Lingelsheim bestimmt zuweisen, bei anderen bleiben indes die Unsicherheiten zu gravierend, um sie in das Repertorium aufzunehmen. 49 In der Burgerbibliothek Bern gelingt unter den Bongarsiana schließlich ein weiterer Fund. Hier ist mit der Signatur B 149 ein anderes Briefbuch Bongars' einzusehen, das in seiner Anlage zwar den »Mémoires« aus der Bibliothèque Nationale entspricht und wohl auch als ein weiterer Band dieser Konvolute aus Bongars' Besitz betrachtet werden darf, das offenbar jedoch von späterer Hand neu geordnet wurde. Die ursprüngliche Blattzählung ist dadurch in Unordnung geraten, sie weist Brüche und Lücken auf und läuft mitunter auch rückwärts. Deshalb sollten die Briefkonzepte und anderen Schriftstücke dieses Bandes nach den Nummern des Katalogs der Bibliotheca Bongarsiana von Hermann Hagen gezählt werden. 50 Leider hat Hagen einige Dokumente übersehen und nicht ge46
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Auch bei Hagen 1874 müssen einige der Zuweisungen ernsthaft in Frage gestellt werden, und zwar die der - von ihm jeweils nachdatierten - Konzepte vom 26.06.1604, 04.07.1604, 11.07.1604 und 29.09.1604. Sämtliche Briefe stammen - wie eben belegt - außerdem aus dem Jahr 1605. Vgl. unten die Bemerkungen zu BNP: Fr. 4122 in Anm. 135. Der Bestand hat von der Bibliothek eine neue Paginierung von S. 1 an erhalten. - Auf meine entsprechende Anfrage wurde mir von der UB Amsterdam mitgeteilt, daß sich nicht feststellen lasse, wie und wann dieser Bestand in die Bibliothek gelangte. Dies trifft zu für die vom 14. Mai, vom 5., 12., 15., 20., 22., 24. und 26. Juni, vom 05., 10., 11. und 13. Juli desselben Jahres datierenden Konzepte, die nicht für das Repertorium berücksichtigt wurden. Es ist ein Verdienst des Katalogs von Hagen, daß er sich die Mühe macht, sämtliche Briefe und Briefkonzepte dieses Konvoluts mit den verschiedenen Editionen der Bongars-Briefe abzugleichen. In diesem Zusammenhang ist die durchaus interessante Feststellung zu tref-
397 zählt; doch sind sämtliche für Lingelsheim bestimmten Briefkonzepte in seinem Katalog erfaßt.51 Auch für dieses Berner »Mémoire« gelten im übrigen wieder die gleichen Unwägbarkeiten in der Datierung und Zuordnung der Konzepte wie bei den Bänden in Paris oder dem Faszikel in Amsterdam, nur vergrößern sich die bekannten Schwierigkeiten hier durch die Neuordnung der Blätter und damit die Auflösung des ursprünglichen inhaltlichen Zusammenhangs. Immerhin konnte Lingelsheim als Empfänger einiger Konzepte verifiziert werden, die von Hagen unter einem anonymen Adressaten katalogisiert worden waren, und es ließen sich auch einige Datierungen eindeutig klären.52 Außer in seinen »Mémoires« und einigen wenigen Stücken in der Straßburger Edition von 1660 hat sich lediglich ein einziges Autograph von Bongars erhalten.53 Ganz anders steht es um die Überlieferungslage der Briefe Lingelsheims: Hier handelt es sich überwiegend um Autographen. Die frühen Briefe Lingelsheims sind im sog. Thesaurus Hottingerianus zu finden, einer von dem bedeutenden Theologen und Kirchenhistoriker Johann Heinrich Hottinger (1620-1667) angelegten Sammlung, die von seinem Sohn zunächst der Stiftsbibliothek geschenkt, dann 1835 von der Stadtbibliothek aufgekauft wurde und mit dieser in die heutige Zentralbibliothek in Zürich eingegangen ist.54 Die dort enthaltenen Briefe erstrecken sich über die Zeit von 1595 bis zum Ende des Jahres 1599. Aus den Jahren 1601 bis 1611 liegen die Originale in der Burgerbibliothek Bern, wo sie zu den Beständen der Bongars-Bibliothek zählen.55
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fen, daß die Briefe, die darunter in die Straßburger Edition von 1660 aufgenommen worden sind, ausgeschrieben und von einer anderen Hand sauber abgeschrieben vorliegen. Es handelt sich auf keinen Fall um Abschriften aus der Edition, da diese unvollständiger als die Reinschriften ist. So können in meinem Verzeichnis die Briefe nach ihren Katalognummern verzeichnet werden. Die Seitenzahlen sind lediglich als Orientierungshilfe dazugesetzt. Vgl. zu diesem Codex auch Breuer 1905, der weitere Konzepte Lingelsheim zuweist, die Hagen übersehen hat. Es ist durchaus möglich, daß noch weitere Konzepte aus Cod. B 149 für Lingelsheim bestimmt waren, es ist allerdings auch hier in keinem der folgenden Fälle so eindeutig zu klären, daß eine Aufnahme in das Verzeichnis seiner Korrespondenzen gerechtfertigt schien (Nummern nach dem Katalog von Hagen): Nr. 62 (Bl. 85 v ) v. 25.04.[1606], Nr. 63 (Bl. 85") v. 28.04.[1606], Nr. 69 (Bl. 87r) v. 09.04.[s.a.] (Zuweisung nach Breuer 1905, S. 115, Anm. 23 [auf 1603 datiert], an Lingelsheim; dagegen spricht der vorangehende, auf den gleichen Tag datierte Entwurf Nr. 68, der definitiv Lingelsheim als Adressaten hat), Nr. 128 (Bl. 198 v -199 r ) v. 01.01.1606, Nr. 130 (Bl. 199v) v. 08.01.[1606], Nr. 145 (Bl. 205 206') v. 25.02.[1606], Nr. 153 v. 03.04.[1606] [frz.], Nr. 196 (Bl. 252 v ) v. 23.06.[1603], Nr. 244 (Bl. 286") v. 07.10.[s.a., 1604?], Nr. 332 (Bl. 323') aus Frankfurt 1597, Nr. 334 aus Nürnberg v. 11.12.1596, Nr. 337 aus Nürnberg v. 21.12.1596, Nr. 422 aus Straßburg v. 23.07.1606. Hagen vermutet in seinem Katalog Lingelsheim als Empfanger dreier weiterer Konzepte: Nr. 149 (Bl. 206 v -207') v. 26.02.[1605], Nr. 183 (Bl. 224 r ) v. 04.05.[s.a.], Nr. 213 (Bl. 258 v ) v. 16.03.[1604], Dieser Zuordnung möchte ich mich aufgrund fehlender Beweise vorläufig nicht anschließen. Breuer 1905 datiert die Nummern 130 und 145 abweichend auf das Jahr 1605 (S. 128, Anm. 1). Es handelt sich um den letzten erhaltenen Brief Bongars' an Lingelsheim vom 13.02.1612 (SUH: Sup. ep. 4, Bl. 82). Ms. F 81. Die Abschrift eines Bongars-Briefes vom 08.01.1607 ist in Ms. F. 77, Nr. 430, des Thesaurus Hottingerianus zu finden. Zum Thesaurus Hottingerianus vgl. Gagliardi/ Forrer, Sp. 515-530, zu Ms. F 81 dort Sp. 529. Zu dieser Bibliothek vgl. oben die S. 377 in Anm. 61 zitierten Arbeiten.
398 Diese Briefe sind alle von Hermann Hagen ediert worden. Der letzte Lingelsheim-Brief in Bern datiert vom 18. Mai 1611; ab dem 31. September 1611 finden sich die Autographen sämtlicher Briefe, die Lingelsheim in den letzten Jahren an Bongars richtete, in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg,56 wo sich zudem ergänzend zu den Berner Beständen zwei Briefe aus dem Jahre 1608 und ein Brief aus dem Jahre 1609 erhalten haben.57 Diese Briefe konnte Zacharias Konrad von Uffenbach 1698 in Straßburg erstehen und seiner Sammlung einverleiben.58 Diese drei Autographen-Sammlungen kannte der Herausgeber der 1660 veranstalteten Briefausgabe anscheinend nicht, die Briefe fehlen in seiner Edition. Andererseits sind die Originale der Briefe, die damals gedruckt wurden, heute verloren. Die Bewahrung der Lingelsheim-Autographen dürfte sich gerade dadurch erklären, daß sie dem Herausgeber damals nicht zur Verfügung standen.
3.3.
Isaac Casaubon
Bereits im Jahre 1596 hatte Isaac Casaubon mit dem Vorhaben einer PolybiusEdition Lingelsheims Interesse geweckt. Dieser war jedoch nicht von Casaubon, sondern von Bongars über diesen Plan informiert worden, und er versprach über Bongars dem jungen Genfer Gelehrten seine Unterstützung.59 Bongars, der Casaubon 1590 in Frankfurt kennengelernt hatte und seitdem mit ihm eine Korrespondenz unterhielt, scheint den Kontakt zwischen Casaubon und Lingelsheim vermittelt zu haben, denn Casaubon bezieht sich auch 1604 in seinem ersten Brief, den er an Lingelsheim richtete, ausdrücklich auf dessen Schreiben an seinen französischen Freund, von denen er nur über Bongars Kenntnis erhalten haben konnte. In diesem Brief vom 22. Mai 1604 ging es ebenfalls um die philologischen Forschungen Casaubons, der Lingelsheim um Fürsprache fur die Benutzung des »Codex Arabicus« der Palatina bat.60 Bereits wenige Wochen später sandte ihm Lingelsheim das gewünschte Buch zu, mit der Bitte verbunden, »vt intra sex menses remittatur«61 - ein Beleg für die Ausleihpraxis der Heidelberger Bibliothek, die fur Auswärtige über persönliche Verbindungen zu einflußreichen Persönlichkeiten in der Residenzstadt zugänglich war. Das wissenschaftliche Œuvre Casaubons besteht vorwiegend aus Editionen, Kommentaren und Übersetzungen antiker, zu einem großen Teil griechischer Autoren. Casaubons Schriften und Forschungen standen auch im Zentrum seiner
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Zusätzlich besitzt die SUB Hamburg in Sup. ep. 4°50 die Abschriften von den Lingelsheim-Briefen des 26.02.1609 (Bl. 56 v ) und des 04.07.1610 (Bl. 49"), die beide auch in der Straßburger Edition gedruckt vorliegen. Es sind die Briefe vom 10.08.1599 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 245) sowie vom 19.03.1608 und 03.06.1608 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 94 und 95). Vgl. Uffenbach: Reisen (1753-54), Bd. I, S. XXII u. LXXXIV. Lingelsheim an Bongars, 16.07.1596 (ZBZ: Ms. F 81, Bl. 153').
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CASAUBONUS 1 6 3 8 , S. 2 2 5 .
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Lingelsheim an Casaubon, 05.06.1604 (BLL: Burney MS 365, Nr. 83, Bl. 106").
399 Korrespondenz mit Lingelsheim, den er offenbar als Instanz gelehrter Kritik suchte, wenn er jedes seiner neuen Werke den »eruditis oculis« 62 Lingelsheims empfahl. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Casaubon nahezu ausschließlich seinem großen Gegenentwurf zu den Annales ecclesiastici des Kardinals und Präfekten der Vatikanischen Bibliothek Cesare Baronio (1538-1607). 63 Casaubon, der bisher in den theologischen Streitigkeiten seiner Zeitgenossen eine vermittelnde, neutrale Position eingenommen 64 und als Altertumswissenschaftler über die Konfessionsgrenzen hinweg Anerkennung gewonnen hatte,65 schien deshalb geradezu berufen, den Annalen des Baronio entgegenzutreten: »Duodecim tomis totidem libros oppono: neque intactum quicquam relinquo. Pudet dicere, quas fraudes viri gravis deprehendam, & quam frequentes«, stellt er am 29. Februar 1612 Lingelsheim sein Vorhaben vor und formuliert seinen eigenen Anspruch: Sed mihi propositum est ita stylum temperare, ut modestiam m e a m omnes sint laudaturi. Nihil ego fingam in odium Pontificis, quod fit a multis quotidie: nihil detraham judicio veteris Ecclesiae, quam toto affectu veneror. neque tarnen omittam aliquid, quod j u r e poterit culpari. 6 6
Durch dieses Unternehmen geriet Casaubon in die Schußlinie der katholischen Pamphletisten, die sich seit seiner Flucht nach England auf ihn eingeschossen hatten. Unter ihnen befand sich auch Kaspar Schoppe, der Casaubon ebenso wie einst Scaliger mit übelsten Verleumdungen angriff.67 Gegen diese Invektiven setzte sich Casaubon in einem ausfuhrlichen Brief an Lingelsheim vom 9. August 1612 zur Wehr, in dem er seinerseits Schoppe mit harschen Worten be-
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So Casaubon in seinem Brief an Lingelsheim v o m 01.09.1605, mit welchem er sein Auli Persii Flacci Satyrarum Uber. Jsaacus Casaubon recensuit et commentario libro illustravit. (Paris: [o.D.] 1605) nach Heidelberg übersandte (CASAUBONUS 1638, S. 227). Annales ecclesiastici. Auetore Caesare Baronio. 12 Bde. (Rom: ex Typogr. Vaticana 1588-1607). Die Beurteilung der Annales ecclesiastici b l i e b - b e i aller Übereinstimmung hinsichtlich ihres historischen Wertes durch die Fülle der benutzten und dargebrachten Quellen - bis in dieses Jahrhundert hinein unter den Kirchen umstritten. Vgl. noch die kurzen biographischen Artikel zu Baronio in den maßgeblichen theologischen Enzyklopädien (Bigelmair im L T K 1, Sp. 985ff. [1930] vs. Reuter bzw. Mirbt in der T R E 2, S. 4 1 5 f f . [1897]). Zu Baronio vgl. Jedin 1978. Vgl. zum Christentum Casaubons Simon 1974, der bei ihm auch starke anglikanische Einflüsse darstellt. Casaubon galt als der größte Kenner der »classical und patristic scholarship« seiner Zeit. Er antwortete auf Baronio nicht als Polemiker, sondern als Gelehrter, der aus seiner profunden Textkenntnis der Patristik heraus die Wahrheit zeigen wollte. Er wurde damit in England, w o er seine letzten Lebensjahre an diesem Werk arbeitete, zum Begründer einer patristischen Wissenschaft. Vgl. Watson 1911, S. 3 0 9 - 3 1 2 , Zitat S. 310. CASAUBONUS 1638, S. 240. Vgl. dazu Lingelsheims Briefe an Casaubon v o m 23.10.1612, 04.02. und 11.02.1613 (BLL: Burney M S 365, Nr. 96, Bl. 126; Nr. 98, Bl. 128; Nr. 99, Bl. 129). Dünnhaupt weist in seiner Bibliographie keine explizit gegen Casaubon gerichteten Pamphlete Schoppes nach, die aus dieser Zeit stammen. Schoppe hat jedoch zwei umfangreiche Schriften gegen Casaubon verfaßt, die allerdings erst 1615 erschienen. Vgl. Dünnhaupt, Bd. V, S. 3753 (Nr. 44 u. 45).
400 legt.68 Lingelsheim beförderte diesen Brief noch im selben Jahr zum Druck.69 Die Entgegnung auf weitere Pamphlete verbot indes der englische König, damit sich Casaubon ganz auf seine Arbeit an der Gegenschrift zu den Annales konzentrieren konnte. Doch gelang es ihm nur noch, den ersten Band seines Werkes, das Baronio Band für Band widerlegen wollte, bis zu seinem Tode im Jahre 1614 fertigzustellen.70 Isaac Casaubon wurde 1559 in Genf als Sohn eines reformierten réfugié aus der Gascogne geboren.71 Bis zu seinem 19. Lebensjahr von seinem Vater, der seit 1561 Prediger der französischen Gemeinde in Crêst war, erzogen, besuchte er ab 1578 die Akademie in Genf. Seine große Begabung vor allem im Griechischen brachte ihm bereits 1582 die Nachfolge seines Lehrer Franciscus Portus72 als Professor für Griechisch ein, eine denkbar schlecht besoldete Stelle, die er zudem 1586 verlor, als wegen der Ereignisse in Frankreich die Studenten ausblieben. Zwar erhielt Casaubon 1591 seine Professur zurück, doch seine unverändert schlechte materielle Lage, Streitigkeiten um die Erbschaft seines Schwiegervaters Henri Estienne und mit seinen Kollegen ließen ihn nach einer auswärtigen Bestallung streben. Nachdem sich seine Hoffnungen auf einen Lehrstuhl in Heidelberg nicht erfüllt hatten, gelang es 1596 seinen französischen Freunden, unter denen Bongars und de Thou die engsten waren, ihm die Professur für Griechisch und die belles-lettres in Montpellier zu vermitteln. Dort konnte Casaubon schon bald die Aufmerksamkeit Heinrich IV. gewinnen, der bis zu seinem Tod sein Förderer bleiben sollte. Trotz dieser Protektion scheiterte jedoch der Versuch seiner Freunde, Casaubon mit einem Lehrstuhl an der Pariser Universität, die im Jahre 1600 unter maßgeblicher Beteiligung de Thous reformiert worden war, zu versorgen. Erst 1604 gelang es schließlich, ihn als garde de la librairie du roi und damit als rechte Hand de Thous in der königlichen Bibliothek nach Paris zu ziehen. Erst seit dieser Zeit ist auch eine Korrespondenz mit Lingelsheim festzustellen. 68
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Lingelsheim ermuntert Casaubon während dessen englischen Aufenthalts immer wieder, an seinem Anti-Baronius weiterzuarbeiten, vgl. beispielsweise seinen Brief vom 12.08.1612 (BLL: Burney MS 365, Nr. 95, Bl. 125"). Am 23.10.1612 drückt er (ebd., Nr. 96, Bl. 126r) die Hoffnung aus, »ut sanctissimum opus, vindicas veritatis adversus Romanas imposturas Annalistae perficere possis.« Dazu oben in Teil I das Kap. 3.2.2.1.3. Casaubonus: Exercitationes XVI. (1614). Das Werk ist sogleich auf dem Titelblatt König Jakob I. von England gewidmet. Aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts stammen zwei Biographien von Casaubon, die gemeinsam gelesen werden sollten: Nazelle 1897 und Pattison 1875; zuvor schon Nisard 1852, S. 309-456, der Casaubon hier als dritten jenes »Triumvirat littéraire« behandelt, dem noch für Jehasse 1976 (zum gelehrten Werk Casaubons hier S. 192 u.ö.) eine zentrale Stellung in der Geschichte der humanistischen Studien und Wissenschaft nicht nur in Frankreich, sondern eben über Frankreich hinaus auch hinsichtlich seiner Einflüsse auf den niederländischen und englischen Humanismus im 16. Jahrhundert zuzuweisen ist. Auch die mir bekannten jüngeren biographisch orientierten Beiträge schöpfen weitgehend aus den genannten Werken, so Cadier 1971, Hurst 1994. Sicherlich gehört Casaubon zu jenen Gestalten aus der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, der auch in der Forschung immer wieder Aufmerksamkeit findet. 1 511-1581; vgl. Jöcher III, Sp. 1718, Michaud XXXV, S. 475, Hoefer XXXIV, Sp. 157f.
401 Casaubon gehörte zum Kreis der späthumanistischen Gelehrten um de Thou und neigte wie dieser in seiner konfessionspolitischen Haltung zu den politiques. So hatte er sich das Mißtrauen seiner reformierten Glaubensbrüder eingehandelt, weil er als vom französischen König bestimmter Schiedsrichter des Religionsgespräches von Fontainebleau (1600) für den Bischof von Evreux, Jacques Davy du Perron,73 und gegen Philippe de Mornay, sieur du PlessisMarly,74 einen der wichtigsten Führer der französischen Hugenotten, entschieden hatte. In seinem persönlichen Bekenntnis ein Calvinist, stand Casaubon in Frankreich zwischen den Religionsparteien. Ihn schützte die Protektion des Königs. Nach der Ermordung Heinrichs IV. befand er sich deshalb in einer unsicheren Situation.75 Schon seit längerem spielte er mit dem Gedanken, nach England zu gehen, jetzt erreichte ihn eine Einladung des englischen Königs gerade zum rechten Zeitpunkt. Nachdem er vom französischen Hof die Erlaubnis erhalten hatte, verließ er noch im Oktober 1610 Frankreich, wo er allerdings einen großen Teil seiner Bibliothek zurücklassen mußte.76 Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in der nahen Umgebung Jakobs I. als dessen bevorzugter gelehrter Gesprächspartner, j e d o c h - d e s Englischen kaum k u n d i g - a m Hofe weitgehend isoliert. Im Kreise der englischen Späthumanisten fand er dagegen freundschaftliche Aufnahme. Zu seinem Umgang gehörten Camden, Cotton, Savile und Henry Wotton, der 1593 im Verlauf seiner peregrinatio bei Casaubon in Genf logiert und ihn bei seiner Übersiedlung nach England begleitet hatte. Seine Kontakte zum Kontinent hielt Casaubon über seine weitverzweigten Korrespondenzen aufrecht, deren Ausdehnung und Ausmaß die Ausgabe seiner Briefe dokumentiert, die 1638 in Den Haag erschien und 1656 eine zweite, 1709 eine veränderte dritte Auflage erlebte. Die einzelnen Auflagen unterscheiden sich sowohl in ihrer Anordnung als auch in ihrer Textzuverlässigkeit voneinander und müssen deshalb stets parallel benutzt werden, zumal einzelne Briefe in den verschieden Auflagen fehlen.77 Erhalten haben sich außerdem zwanzig Briefe Lingelsheims an Casaubon aus den Jahren 1604 bis 1614. Sie stellen unter den Briefbeständen der British Library in London den im Blick auf Lingelsheim wichtigsten Fund dar und befinden sich in der Handschriftensammlung des Reverend Charles Burney 73
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Du Perron (1556-1618) war in jungen Jahren zum Katholizismus konvertiert und ein entschiedener Gegner des Gallikanismus wie der Hugenotten. Er stand hoch in der Gunst Heinrichs IV., der ihn 1604 zum Kardinal ernannte, zu ihm vgl. DBF 12, Sp. 339ff. Du Plessis-Marly (1549-1623) war bis zur Konversion Heinrichs IV. einer seiner einflußreichsten Berater. Er gehörte zur Gruppe der politiques und trat in mehreren Schriften für die Sache der Hugenotten und die Trennung von Staat und Kirche ein. Zu ihm Patry 1933; außerdem Hinrichs 1969, S. 132-140, Kretzer 1975, S. 222-235, die hier beide auf das Religionsgespräch von Fontainebleau eingehen. Zu Casaubons Plänen, nach England zu gehen, vgl. Lingelsheims Reaktion in seinem oben S. 343, Anm. 509, bereits zitierten Brief vom 30.05.1610 (BLL: Burney MS 365, Nr. 90, Bl. 116"). Zur Bibliothek Casaubons und ihrem Schicksal vgl. Birrell 1978. Die erste Auflage enthält 31 Briefe an Lingelsheim, von denen in der zweiten Auflage der Brief vom 27.04.1612 fehlt; dieser findet zwar in die dritte Auflage erneut Aufnahme, doch dafür läßt der Herausgeber hier die Briefe vom 30.03.1606 und vom 17.11.1607 weg.
402 (1757-1817), 78 einer der umfangreichsten - 525 Bände umfassenden - geschlossenen Handschriftensammlungen im Besitz der British Library.79 Die »Epistolae ad Is. Casaubon« füllen vier große Folianten, die Burney alphabetisch nach Korrespondenten angeordnet hat. Die Briefe Lingelsheims gehören in den dritten Band und ermöglichen mit den 31 in den Casauboni epistolae edierten Briefen eine nahezu vollständige, unter allen erhaltenen größeren Lingelsheim-Korrespondenzen in ihrer Geschlossenheit seltene Rekonstruktion dieses Briefwechsels. 80 Handschriftliche Verweise in den Londoner Folianten stellen übrigens den Bezug zwischen den meisten Autographen und insgesamt 13 gedruckten Briefen her: Der Verfasser dieser Marginalen, niemand anderes als Burney selbst, bezieht sich dabei, wie ein Vergleich der jeweils notierten Seitenzahlen mit den Editionen aufzeigt, auf die dritte Auflage von 1709.81
3.4.
Jacques-Auguste de Thou
Mit Jacques-Auguste de Thou (Thuanus) gehörte einer seiner berühmtesten und bemerkenswertesten Zeitgenossen zum Korrespondentenkreis Lingelsheims. Ursprünglich von seinem Vater für geistliche Würden auserkoren, sollte der 1553 in Paris geborene und 1617 ebendort gestorbene de Thou82 in der Politik Frankreichs unter Heinrich III. und Heinrich IV. eine äußerst einflußreiche Rolle spielen.83 Nachdem er seit 1576 wiederholt von Heinrich III. in den bewegten Jahren der Hugenottenkriege mit diplomatischen Missionen betraut worden war, wirkte er später maßgeblich auf die Versöhnung des Königs mit sei78
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Ein Jahr nach dem Tode Bumeys verkauften seine Erben seine Bibliothek, die insgesamt ca. 13.000 Bände zählte, an das englische Parlament. Die Geschichte dieser Bibliothek ist bis heute nicht geschrieben, Informationen sind Esdaile 1943, S. 61f., 188 u. - speziell zu den Manuskripten - 251, zu entnehmen. Zu Burney als Sammler Fletcher 1902, S. 306ff. Sign.: Bumey MS 365. Allerdings sind auch hier Verluste zu beklagen, vgl. Lingelsheims Brief an Casaubon vom 30.05.1610, in dem er sich einleitend für ein Schreiben Casaubons vom 23.03. des Jahres bedankt (BLL: Bumey MS 365, Nr. 90, Bl. 1160Demnach beziehen sich folgende Briefe auf Casaubon 1709: Nr. 83 und 84 auf S. 217, Nr. 85 auf S. 248, Nr. 86 auf S. 275, Nr. 88 auf S. 321, Nr. 89 auf S. 335, Nr. 92 auf S. 429, Nr. 94 auf S. 453, Nr. 95 auf S. 461 und 480, Nr. 96 auf S. 507, Nr. 97 auf S. 516, Nr. 98 auf S. 519, Nr. 100 auf S. 535, Nr. 101 auf S. 553. Auch fiir de Thou fehlt eine heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie. Er fand seine ersten Biographen bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (Chasles 1824), darunter die bis dato einzige deutschsprachige Biographie von Düntzer 1837. Eine Geschichte seiner Bibliothek sowie eine Genealogie der Familie de Thou trägt aus den Quellen zusammen Harrisse 1905; vgl. auch unten Anm. 87. Diese darf allerdings nicht als aktive Einflußnahme auf die politischen Entscheidungen des französischen Königs überbewertet werden, sondern muß im Zusammenhang mit dem ideologischen Einfluß der politiques in Frankreich hervorgehoben werden, wie es Hinrichs 1969 (S. 130) völlig zu Recht betont: »Obwohl der Name de Thous an entscheidenden Punkten der Politik Heinrichs IV. erscheint, müssen wir in ihm weniger einen politischen Techniker sehen als vielmehr den Repräsentanten einer geistig-politischen Atmosphäre, in der die Politik Heinrichs IV. - von diesem stets pragmatisch begründet - ihren theoretischen >Überbau< erhält.«
403 nem protestantischen Gegenspieler Heinrich von Navarra ein (1588), dem de Thou mehrere Male, unter anderem bei den Verhandlungen des Friedens von Fleix (1580), der den siebten Religionskrieg beendete, persönlich begegnet war. Heinrich IV. übernahm nach seiner Thronbesteigung 1589 de Thou in seine Dienste, in denen dieser 1595 schließlich als Nachfolger seines Onkels in das einflußreiche Amt des Ersten Präsidenten des Pariser Parlaments aufstieg. Nachdem de Thou im Alter von siebzehn Jahren zunächst die Universität in Orléans besucht hatte, studierte er in den Zentren der neuen humanistischen Jurisprudenz bei den größten Lehrern des mos gallicus, Hugo Donellus und Jacques Cujas, in Bourges bzw. Valence die Rechte. Einen Abschluß erwarb er nicht. Seiner politischen Karriere schadete das aber keineswegs. De Thou gehörte zu der Gruppe der politiques, die in Frankreich die Politik und besonders die Religionspolitik Heinrichs IV. durch ihre Schriften theoretisch beeinflußten und in ihren öffentlichen Ämtern mitgestalteten. Es entsprach genau der Haltung der französischen politiques, wenn der Katholik de Thou 1598 maßgeblich am Zustandekommen des Ediktes von Nantes mitwirkte und ein Jahr später gegen die Durchsetzung der Beschlüsse des tridentinischen Konzils in Frankreich opponierte und die Freiheit der gallikanischen Kirche von Rom vehement verteidigte.84 Hier ging es jeweils an erster Stelle um das Wohl der Nation, der sich die französischen Späthumanisten so besonders verpflichtet fühlten. Auch bei de Thou verband sich humanistische Gelehrsamkeit mit einem einflußreichen politischen Amt, wie es beispielswiese bei Bongars, Grotius, Wotton oder eben Lingelsheim und so vielen anderen bedeutenden Gestalten dieser Generation des europäischen Späthumanismus im Zeitalter der konfessionellen Kriege der Fall war. De Thou übernahm neben seinen politischen Ämtern auch administrative Aufgaben in zentralen Bereichen des gelehrten Lebens. So leitete er seit 1593 als Maître de la Librairie die Bibliothèque du Roi in Paris,85 und er wirkte an der Reorganisation der Pariser Universität mit, deren neue Statuten im Jahre 1600 publiziert wurden. In Paris stand er im Mittelpunkt eines Gelehrtenkreises, der sich in seiner Bibliothek traf und immer wieder durch ausländische Besucher ergänzt wurde.86 Seinen Ruf als Gelehrter erwarb er als Büchersammler87 und Geschichtsschreiber. Besondere Berühmtheit aber erlangte er durch ein Werk, an dem er seit 1591 arbeitete und das seinen Namen bis in unsere Tage trug: die Historia sui temporis. Dieses zeitgenössische Geschichtswerk, das im Jahre 1543 einsetzte und bis 1610 fuhren sollte, doch beim Tode de Thous nur bis 1607 reichte, basierte auf den Gedanken religiöser Freiheit und staatlicher Souveränität und bemühte sich um eine unvoreingenommene Darstellung und
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Wie Casaubon nahm auch de Thou am Religionsgespräch von Fontainebleau im Jahre 1600 teil (vgl. dazu oben den Hinweis in Anm. 74). Seit einigen Jahren liegt endlich eine umfangreiche, kaum Ansprüche des Bibliothekshistorikers unerfüllt lassende Geschichte der Nationalbibliothek vor: Balayé 1988. Sie ist intensiv aus den Quellen, besonders auch aus den Handschriften der Bibliothek, gearbeitet. Für die Gewinnung eines ersten Überblicks empfiehlt sich weiterhin Mortreuil 1878. Vgl. Boer 1938, S. 730. Ausführlich auf die Bibliophilie und die Bibliothek de Thous geht Ris 1875 ein.
404 nicht um eine retrospektive parteiische Auslegung der Ereignisse der fast sieben von Glaubenskämpfen geprägten Jahrzehnte. Es trug ihm bei Hofe und unter dem Klerus viele Feinde ein, sicherte ihm aber auch die Bewunderung der europäischen Gelehrtenrepublik. Diese nahm großen Anteil an der Entstehung des Werkes und lieferte de Thou viele Informationen, die er in die Historia aufnahm. Da die Historia bereits ausführlicher behandelt worden ist, darf hier auf eine Würdigung des Werkes und vor allem auf eine Darstellung der Rolle Langelsheims als Herausgeber der ersten vollständigen Ausgabe 1620 verzichtet werden.88 Lingelsheim begleitete de Thous Unternehmen von Anfang an mit großem Interesse. So bildet die Historia auch den eindeutigen thematischen Schwerpunkt in seiner Korrespondenz mit Jacques-Auguste de Thou. Dieser unterrichtet ihn seinerseits stets über die Fortschritte seiner Arbeit. Offensichtlich begann ihr Briefwechsel erst nach Erscheinen des ersten Bandes der Historia im Jahre 1604. Am 5. Oktober des Jahres richtet Lingelsheim sein erstes Schreiben an de Thou. Insgesamt haben sich 18 Briefe dieser Korrespondenz aus den Jahren 1604 bis 1615 erhalten, darunter 12 Autographen Lingelsheims und sechs Konzepte de Thous.89 Die Überlieferung ist unvollständig, zumindest ein Brief Lingelsheims, für den sich de Thou am 13. September 1607 bedankt, ist verloren.90 Sämtliche bisher bekannten Briefe finden sich verstreut unter den Handschriften der Collection Dupuy in der Bibliothèque Nationale, andere Zeugnisse gibt es bisher nicht.
3.5.
Das Cabinet Dupuy
3.5.1.
Pierre Dupuy
Die Herausgabe und Fortsetzung seiner Historia vertraute de Thou den Brüdern Pierre und Jacques Dupuy und seinem Stellvertreter in der Bibliothèque du Roi Nicolas Rigault an. Die beiden Dupuys bestimmte er zudem testamentarisch zu Verwaltern seiner Bibliothek, die diese mit der Büchersammlung ihres Vaters vereinigten. Außerdem traten Pierre und Jacques Dupuy noch in einer anderen Hinsicht die Nachfolge de Thous an: Sie entwickelten sich zum Mittelpunkt des gelehrten Freundeskreises, der sich in Paris in der Bibliothek de Thous getroffen hatte. Das Pariser Cabinet Dupuy,91 das sich im Hôtel de Thou institutionalisier-
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Teil I, Kap. 3.2.2.3.4. Der sowohl von Soman 1972, S. 21, als davor auch von Kinser 1966, S. 31, nach dem siebten Band der Londoner Edition der Historia (Sylloge scriptorum varii generis et argumenti), Teil VI, S. 34, zitierte Brief de Thous an Lingelsheim vom 15.07.1607 ist damals (1733) vom Herausgeber dieser Edition falsch datiert worden: Es handelt sich hier um den Brief vom 13.09.1607 (BNP: Col. Dupuy 706, Bl. 46). BNP: Col. Dupuy 706, Bl. 46 v . Mit diesem Brief bedankt sich de Thou flir einige von Lingelsheim geschickte Beilagen von Praetorius im Zusammenhang mit der Dudith-Eloge, vgl. dazu oben S. 226f. Die französische Literaturgeschichtsschreibung spricht nach der latinisierten Namensform (Puteanus) der Brüder Dupuy von der »académie putéane«.
405 te, wurde zu einem wichtigen Treffpunkt der späthumanistischen Gelehrten Europas und zu einem regen Umschlagplatz diplomatischer Nachrichten.92 Die Zusammenkünfte scheinen mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattgefunden zu haben und widmeten sich der gelehrten Diskussion, aber eben auch den politischen und religiösen Themen der Zeit. Gäste aus ganz Europa besuchten das Cabinet, und die europäische res publica litteraria war daran angeschlossen über ihre Korrespondenzen, mit denen die Informationen transferiert wurden. Hier fand die Symbiose von Gelehrsamkeit und Konfessionspolitik, die den europäischen Späthumanismus so maßgeblich prägte, ihre sozietäre Verortung. Lingelsheim pflegte nur mit einem, dem älteren der Brüder, mit Pierre Dupuy, brieflichen Verkehr, auf eine Korrespondenz mit Jacques Dupuy finden sich keinerlei Hinweise. Der 1582 geborene Pierre Dupuy93 wurde von seinem Vater erzogen, ein Universitätsbesuch läßt sich nicht nachweisen. Gleichwohl avancierte er bereits in jungen Jahren zum Avocat au Parlement, absolvierte allerdings anders als sein Vater, der 1576 conseiller im Pariser Parlament geworden war,94 keine politische Karriere, sondern zog sich bald ganz auf seine juristischen und historischen Forschungen zurück. Zwischen 1616 und 1619 reiste er nach Holland, wo er unter anderem mit Grotius Kontakte knüpfte, die sich für diesen später als fruchtbar erweisen sollten, indem sie ihm nach seiner Flucht die Aufnahme in den Pariser Gelehrtenkreis erleichterten. In den folgenden Jahren unternahm Pierre Dupuy weitere Reisen, deren vorrangiges Ziel stets der Recherche nach juristischen und historischen Quellen galt, die die rechtliche Legitimation der französischen Krone beweisen, festigen und absichern sollten. Wie de Thou, wie den politiques insgesamt, ging es auch ihm vor allem darum, die eine Monarchie - unbelastet von konfessionellen Streitigkeiten - zu sichern.95 Nicht nur die französischen Späthumanisten betrieben die Erfassung, Erschließung und Edition von Quellen zur Geschichte ihrer Monarchie, um die dynastische Kontinuität der Krone und die daraus erwachsenden Ansprüche zu legitimieren.96 Dieser Gedanke läßt sich auch in der Geschichte der französischen Akademien verfolgen. Eine legitimierende Geschichtsschreibung stand ganz im Interesse der frühabsolutistischen Staaten, die dem Amt des Historiographen deshalb besondere Aufmerksamkeit entgegenbrachten. An dieser Legitimierung und Ab-
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Zum Cabinet Dupuy vgl. neben Garber 1986 und 1987 (der explizit die politische Dimension dieses Zirkels betont): Boer 1938, S. 730-736 (dort auch die Namen der Mitglieder), Brown 1967, S. 1-16, Pintard 1983, S. 92-101 u.ö. Auch hier fehlt eine Biographie. Am ausführlichsten Solente 1927, S. 177-190. Neben den bereits im Zusammenhang mit dem Cabinet Dupuy erwähnten Arbeiten sind für die folgenden Ausfuhrungen weiterhin die Artikel der folgenden bio-bibliographischen und biographischen Nachschlagewerke herangezogen worden: Jöcher III, Sp. 1817, u. X, Sp. 1072, Michaud XII, S. 324ff., Hoefer XV, Sp. 377, DBF XII, Sp. 596f. - Eine kurze Geschichte der Familie Dupuy stammt vonReure 1905, zu Pierre und Jacques dort S. 15f. Zu Claude Dupuy vgl. ebd., S. 14f. Zur Haltung Pierre Dupuys vgl. Voss 1972, S. 149f. Vgl. ebd., S. 145-148. Zur humanistischen Historiographie vgl. die in der Einleitung, Kap. 2, Anm. 19, genannten Titel.
406 Sicherung von Herrschaft, dem Nachweis tradierter Rechte aus den Quellen und daraus abzuleitender Ansprüche, beteiligte sich die Gelehrtenrepublik. Gerade das Amt des Historiographen besaß einen hohen Stellenwert und eine eindeutig politische Attitüde. Pierre Dupuy, der seine Forschungen ganz in den Dienst dieser Aufgabe stellte, errang 1633 und 1634 das Amt des historiographe de France. Ab dem Jahre 1635 verwaltete er fur Nicolas Rigault das Amt des garde de la Bibliothèque du Roi; eine offizielle Bestallung dafür erhielt er gemeinschaftlich mit seinem Bruder aber erst 1645.97 Nach ihrem Tode - Pierre Dupuy starb 1651, sein Bruder fünf Jahre später - vererbten sie ihre umfangreiche, etwa 20.000 Bände mit Drucken und 1.200 Bände mit Handschriften zählende Büchersammlung an die königliche Bibliothek.98 Bis heute bildet die Collection Dupuy einen der großen geschlossenen Altbestände in der Pariser Nationalbibliothek. Die Handschriften der seit den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts angelegten Sammlung sind der wichtigste Fundort der Briefe, die Lingelsheim mit den französischen Gelehrten des Cabinet Dupuy wechselte. In neun der mehrere hundert Bände umfassenden Sammlung wird man auf der Suche nach Briefen von und an Lingelsheim fündig: Es handelt sich um Col. Dupuy 348, 490, 632, 639, 699, 706, 712, 797 und 836. Mit der Ausnahme von Col. Dupuy 797, »Epistolae doctorum virorum ad Philippum Melanthonem [sie!] et alios scriptae, et hue usque non editae«, die Briefkopien von der Hand Jacques Dupuys versammelt, legte dessen Bruder Pierre Dupuy diese Bände zwischen 1628 und 1648 an, wobei er jeweils bestimmte Kriterien für die Auswahl der in einem Band zusammengeführten Briefe zugrundelegte. So enthält Col. Dupuy 632, von Pierre Dupuy 1646 angelegt, »Lettres, mémoires & observations sur l'Histoire de Monsieur le Presidenc [sic!] de Thov«, Col. Dupuy 706, ebenfalls im Jahre 1646 zusammengestellt, vereint französische Briefe von Jacques-Auguste de Thou, Col. Dupuy 836, dessen Entstehungszeit nicht genau feststeht, aber wahrscheinlich ebenfalls in die vierziger Jahre fällt, versammelt wiederum Briefe an de Thou. Die anderen Bände, deren frühster, Col. Dupuy 348, bereits 1628 entstand, fuhren die »clarorum virorum epistolae« zusammen, jeweils mit Variationen in der Benennung, die Pierre Dupuy immer auf einem vorgebundenen Blatt dem Band voranstellte. Col. Dupuy 712 erfuhr allerdings im Jahre 1879 eine Ergänzung, als ein bis dato offenbar übersehener Brief Lingelsheims an Pierre Dupuy vom 2./12. März 1616 eingefugt wurde (als Bl. 70B und 70C).99 Neben de Thou war Pierre Dupuy der zweite wichtige Korrespondent Lingelsheims in Paris. Erhalten haben sich in der Collection Dupuy 18 Autographen Lingelsheims aus den Jahren 1613 bis 1620. Die Briefe Dupuys an Lingelsheim sind verloren. Auch in seinem Briefwechsel mit Lingelsheim darf man Pierre Dupuy als den Nachfolger de Thous bezeichnen. So bildet die Edition der Historia das zentrale Thema der Briefe. Es ist nicht mehr festzustellen, ob die
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Vgl. Balayé 1988, S. 64. Zu den Manuskripten ausfuhrlich Solente 1927, außerdem das Vorwort zur Bestandsgeschichte von Léon Dorez in dem grandlegenden Katalog von Dorez/Solente, Bd. 1. Vgl. die entsprechende Notiz in Col. Dupuy 712, Bl. 1'.
407 Korrespondenz nach Erscheinen der Genfer Ausgabe, die Lingelsheim übernommen hatte, abbrach. Zumindest im darauffolgenden Jahr schickte Dupuy noch einen Brief an Lingelsheim, der aber nicht mehr erhalten ist.100 Zwar tauschten Lingelsheim und Dupuy sich auch über andere gelehrte Projekte aus. So berichtet Lingelsheim häufiger in seinen Briefen von seinen Bemühungen, die Bibliothek des verstorbenen Marquard Freher zu restituieren.101 Doch sein Briefwechsel mit Pierre Dupuy ist hauptsächlich als gelehrte Begleitkorrespondenz zur Historia-Edition zu charakterisieren.102
3.5.2.
Nicolas Rigault
Obwohl Nicolas Rigault zusammen mit den Brüdern Dupuy die Betreuung der Historia von de Thou testamentarisch übertragen bekommen hatte, scheint er für Lingelsheims Edition des Geschichtswerkes kein Ansprechpartner gewesen zu sein. Es existieren weder Briefe aus den Jahren vor 1620 noch Hinweise in anderen Korrespondenzen auf einen brieflichen Kontakt der beiden. Nachzuweisen ist heute lediglich ein einziger Brief, den Rigault am 25. Februar 1624 aus Paris an Lingelsheim richtete und von dem mehrere Abschriften in den verschiedenen Sammlungen der Königlichen Bibliothek Kopenhagen vorhanden sind. Rigault,103 1577 in Paris geboren, war zunächst im Pariser Jesuitenkolleg erzogen worden, hatte danach Jurisprudenz in Poitiers studiert und sich dann in Paris als Advokat niedergelassen. Er trat in jungen Jahren als Verfasser von Satiren und Zeit seines Lebens durch Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen antiker Autoren hervor. Schnell gewann er Zugang zum gelehrten Kreis um de Thou. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit Pierre Dupuy, dessen panegyrische Vita er verfaßte.104 Bis in unsere Tage ist sein Name jedoch als Verfasser des ersten, 4.712 Handschriften und Drucke verzeichnenden Katalogs 100
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Daß die Korrespondenz über das Jahr 1620 hinaus bestand, ergibt sich aus einem Postscriptum Lingelsheims in seinem Brief an Sainte Catherine, wo er über diesen Dupuy für einen Brief danken läßt; Lingelsheim an Sainte Catherine, 22.09./02.10.1621 (BNP: Fr. 4122, Bl. 84 v ). Lingelsheim war offensichtlich auf Ersuchen Dupuys in dieser Sache tätig geworden. So heißt es in seinem Brief an Dupuy vom 02./12.03.1616 (BNP, Col. Dupuy 712, Bl. 70B [recto]): »Quand avx liures de mons. Freher, les tuieurs[!] n'ont pas encore recherché tout, pour auoir les liures que vous disirez, quoy que i'en aye donne des mémoires, & fait grande instance.« Insgesamt vier dieser Briefe gelangten zum Druck im Zusammenhang mit der Historia: die Briefe vom 17.12.1616 und 10./20.03.1618 in der Londoner Edition THUANUS 1733, die Briefe vom 28.10.1617 und 09.06.1619 neuerdings bei Kinser 1966. Eine Biographie Rigaults fehlt gänzlich. Neuerdings ist das Kapitel aus Balayé 1988, S. 5 7 64, zu konsultieren, das sich besonders seiner Tätigkeit als Bibliothekar widmet. Ansonsten bleibt man auch hier auf die großen biographischen Nachschlagewerke angewiesen, von denen zumindest die beiden französischen Universalbiographien seine Biographie ausführlicher wiedergeben. Vgl. Jöcher III, Sp. 1097f., u. X, Sp. 2165ff. (mit Werkverzeichnis), Michaud XXXIIX, S. 107-110, Hoefer XXXXII, Sp. 291f. Sie alle basieren weitgehend auf dem Lebensabriß von Perrault, Bd. II, S. 63f. (leicht greifbar als Nachdruck der Ausgabe von 1697). Rigault: Petri Puteani vita (1652). Vgl. dazu Fumaroli 1988.
408 der königlichen Bibliothek bekannt geblieben, den er im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit als garde de la bibliothèque du Roi anlegte. Mit diesem Amt hatte ihn de Thou 1615 als Nachfolger Casaubons versorgt. Nachdem die französischen Truppen 1633 Lothringen besetzt hatten, wurde Rigault zum conseiller des neueingerichteten Parlaments von Metz und zugleich zum General-Prokurator der souveränen Kammer von Nancy ernannt. Seitdem wirkte er als Intendant der ebenfalls neu geschaffenen Provinz Toul mit Sitz in der ehemaligen Bischofsstadt. Dort starb er 1654. 105 Sein Pariser Bibliothekarsamt ließ er seit 1635 ruhen.
3.5.3.
Nicolas Claude Fabri de Peiresc
Im Jahre 1605 besuchte der aus einer der angesehensten Familien der Provence stammende, 1580 in Beigentier geborene Nicolas Claude Fabri de Peiresc 106 erstmals Paris und trat dort ebenfalls in Kontakt mit dem Gelehrtenkreis um de Thou. Peiresc hatte eine zunächst hauptsächlich von Jesuiten geleitete Erziehung genossen und war nach Studien in Avignon, Padua und Montpellier 1604 in Aix-en-Provence zum Doktor beider Rechte promoviert worden. In den folgenden Jahren reiste er nach England und in die Vereinigten Niederlande, die ihn zu den herausragenden ortsansässigen Gelehrten führte.107 1607 wurde er zum conseiller au parlement in Aix-en-Provence ernannt und erhielt damit eine einflußreiche politische Position, die er bis an sein Lebensende 1637 bekleidete. Neben diesem Amt fand er ausreichend Muße für seine gelehrten Studien, die ihn in polyhistorischer Begeisterung nahezu in alle Winkel der Wissenschaft führten. Er veröffentlichte zu seinen Lebzeiten allerdings nur wenige Schriften.108 Peiresc verkörperte unter den Korrespondenten Lingelsheims den Typus des libertin
Zur Vereinigung von Metz und Toul mit Frankreich die ausfuhrlichen, allerdings ganz der französischen Perspektive entspringenden Werke von Pimodan 1885 und Zeller 1926. 106 D i e französische Wissenschaft beschäftigte sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich mit dem Leben und den verschiedensten Aspekten des Werkes Peirescs. Als Zentrum der Peiresc-Forschung etablierte sich das »Centre Peiresc« in der unweit von Avignon in Carpentras gelegenen Bibliothèque Inguimbertine, die neben der Pariser National-Bibliothek und der Bibliothèque Mejanes d'Aix-en-Provence über die reichsten Handschriftenbestände aus der Bibliothek Peirescs verfugt. Hier wurde 1987 auch eine Tagung veranstaltet, die die wesentlichen Aspekte der Peiresc-Forschung thematisierte: »Peiresc ou la passion de connaître« (Reinbold 1990); hier v.a. die Beiträge von Charles-Daubert 1990 und Feuillas 1990. Die erste Biographie Peirescs schrieb Pierre Gassendi (Paris 1641), jetzt leicht zugänglich in der französischen Übersetzung Gassendi: Peiresc von 1992. Im letzten Jahrhundert erschienen mehrere biographisch orientierte Darstellungen: Humbert 1933, Cahen-Salvador 1951, Cordier 1957, Fumaroli 1993. Hinzuweisen bleibt außerdem auf den schönen Katalog Peiresc 1980. 105
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Vgl. die Untersuchung von Lebèque 1943 zu seinen niederländischen Korrespondenzen und Norden 1949 zu seinen englischen Kontakten. Bereits sein erster Biograph Gassendi lobte die Vielfältigkeit der wissenschaftlichen Interessen des Peiresc, aufgrund derer ihn seine späteren Biographen als einen »amateur« titulierten: »Nihil exstare accepit ex mirabilibus seu artis, seu naturae operibus, quod non studiose spectaverit, veluti aedificia, opificia, machina, plantas, animalia, fossilia, omnia denique observatu digna.«; zitiert nach Hess 1939, S. 9.
409 érudit, der sich fast ganz seinen wissenschaftlichen Interessen verschrieb. Der persönliche Rückzug in die gelehrte Tätigkeit entsprach dem Lebensentwurf der libertins, die durch den Neostoizismus beeinflußt waren. In seiner religiösen Einstellung war Peiresc von einem irenischen Späthumanismus geprägt.109 Zwischen 1616 und 1623, bis 1621 als Sekretär des garde des sceaux Guillaume Du Vair,110 lebte Peiresc in Paris. In diesen Jahren war er ein ständiger Gast im Cabinet Dupuy, auf welches er auch nach seiner Rückkehr nach Aixen-Provence besonders über seine mit den Brüdern Dupuy geführte Korrespondenz maßgeblichen intellektuellen Einfluß ausüben konnte. 1 " Aus der Zeit seines langjährigen Parisaufenthalts stammen auch die sieben französischsprachigen Briefe an Lingelsheim, die sich heute im »Centre Peiresc« der Bibliothèque Inguimbertine in Carpentras befinden.112 Es handelt sich bei ihnen um eigenhändige Abschriften, die Peiresc in seiner nahezu unleserlichen Handschrift von den meisten seiner Briefe anfertigte. Diese Abschriften sind in insgesamt sieben, alphabetisch nach Empfängern geordneten Bänden gesammelt.113 Sie gehörten zu den insgesamt 118 Manuskript-Volumina aus der Bibliothek Peirescs, die 1747 in den Besitz des Bischofs von Carpentras, Malachie d'Inguimbert, übergingen." 4 Inhaltlich überwiegen in den Briefen an Lingelsheim, die zwischen dem 16. Dezember 1618 und dem 28. Januar 1620 entstanden, politische Nachrichten, die im Umkreis des Cabinet Dupuy diskutiert wurden. Auch hier aber bildet die Edition der Historia de Thous wiederum einen thematischen Schwerpunkt. Da sich zumindest die Briefe Peirescs in seinen Abschriften fast vollständig erhalten haben, ist von einer Fortsetzung dieser Korrespondenz nicht auszugehen. Erneut ist deshalb die Gleichzeitigkeit zwischen dem Erscheinen der Genfer Ausgabe und dem Ende dieses Briefwechsels augenfällig. Lingelsheims Briefe, auf die Peiresc regelmäßig Bezug nimmt, existieren nicht mehr.
109 Vgl. dazu oben in der Einleitung die in Anm. 70 des Kap. 2 genannte Literatur. 110 111
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1556-1621. Vgl. Perrault, Bd. I, S. 29f. Zum Verhältnis Peirescs zum Cabinet Dupuy vgl. neben den entsprechenden Passagen in den genannten Biographien Brown 1967, S. 1-16. MS 1874. Ich möchte an dieser Stelle Frau Anne Reinbold vom CNRS Paris für die Abschrift der äußerst schwer lesbaren Peiresc-Briefe danken. - Zu den sieben Briefen an Georg Michael Lingelsheim gesellt sich noch ein Brief Peirescs an einen Sohn Lingelsheims. Hierbei kann es sich nur um Paul Lingelsheim, den zweiten Sohn aus der Ehe mit Claudine Virot handeln. Vgl. zu ihm Lingelsheim 1922, S. 50. MS 1871-1877. MS 1877 enthält ausschließlich Briefe Peirescs an die Brüder Dupuy. MS 1878 versammelt Briefe an Peiresc. - Zu den zahlreichen Editionen der Briefe Peirescs bis 1980 vgl. die Bibliographie in Peiresc 1980, S. 196ff. Seitdem erscheinen immer wieder einzelne Briefwechsel in wissenschaftlichen Editionen, die alle in den einzelnen Jahrgängen des >Knapp< nachgewiesen sind. Auch an dieser regen Editionstätigkeit zeigt sich das Interesse der französischen Forschung an Peiresc. Eine kurze Einführung in die Geschichte dieser Bibliothek bieten Caillet 1929.
410 3.6.
Jean Hotman
Zum direkten Umkreis des Cabinet Dupuy gehörte auch Jean Hotman de Villiers,115 der Sohn François Hotmans, mit dem Lingelsheim in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts Briefe gewechselt hatte. 1552 in Lausanne geboren, teilte Jean Hotman in seiner Jugend das Flüchtlingsschicksal seines Vaters, der als französischer Calvinist und zudem enger Freund Calvins in den Religionskriegen massiv bedroht war. Später studierte Jean Hotman in Valence bei seinem Vater Jurisprudenz und wurde dort auch zum Doktor beider Rechte promoviert. Nachdem er ab 1579 als Tutor der Söhne des englischen Gesandten in Paris angestellt war und diese an die Universität von Oxford begleitet hatte, blieb er in England, seit 1582 in Diensten des Earl of Leicester (dem er zwischen 1585 und 1587 auch in die Niederlande folgte), dann in denen des Earl of Essex. Der Tod seines Vaters rief ihn 1590 nach Basel zurück, wo er die nächsten Jahre vornehmlich mit der Herausgabe der Schriften François Hotmans zubrachte.116 Noch im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts kehrte er nach Frankreich zurück und trat in die Dienste Heinrichs IV. Fortan vertrat er die Interessen des französischen Königs als Gesandter an den protestantischen Fürstenhöfen Deutschlands. Dieses Amt, das Hotman zum Kollegen von Bongars und Sainte Catherine machte, bekleidete er bis 1614, bevor ein Konflikt mit dem Pfalzgrafen von Neuburg zu seiner Abberufung führte. Danach ist bis zu seinem Tode 1636 keine weitere diplomatische Tätigkeit nachzuweisen. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in seiner Konfession gelegen haben, denn Hotman blieb Zeit seines Lebens Calvinist. Gleichzeitig bemühte er sich allerdings um einen irenischen Ausgleich der Konfessionen.117 Sein von Lingelsheim und Bernegger 1628 zum Druck beförderter Syllabus diente der gelehrten Beweisführung, daß pax und concordia in der gesamten res publica Christiana zu restituieren seien, wenn nur der >politische< Wille dafür vorhanden sei. Diese kleine Schrift ist ein spätes Zeugnis für das jenseits der konfessionspolitischen Konflikte des Zeitalters unter den späthumanistischen Gelehrten nach wie vor lebendige irenische Denken. Es ist erneut bezeichnend für die unter Ludwig XIII. gänzlich veränderte Situation in Frankreich, daß auch der Syllabus erst nach Hotmans Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst u n d - w i e de Thous Historia - nur außerhalb Frankreichs veröffentlicht werden konnte.118
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Jean Hotman fand anders als sein Vater kaum die Aufmerksamkeit der Forschung; heranzuziehen bleiben die älteren Aufsätze von Smith 1917 sowie - auf den Bänden der Bibliothek der Société de l'Histoire du Protestantisme Français basierend - von Schickler 1868. Franc. Hotmani [...] Operum Tomus [...]. Quorum quaedam nova, pleraque renovata & aucta [...]. Bde. I—III. (Genf: Vignon & Stoer 1599-1600). Bereits in j u n g e n Jahren entwickelte er den Plan einer gallikanischen Kirche, die nach d e m Vorbild der anglikanischen Kirche, die er während seines langjährigen Aufenthalts in England kennengelernt hatte, allen französischen Gläubigen eine religiöse Heimat werden sollte. Im Umkreis der französischen politiques entstand aus seiner Feder so ein großer Plan fur einen Ausgleich der Konfessionskonflikte in Frankreich innerhalb einer Staatskirche. Vgl. dazu Vivanti 1963, S. 189-245. Z u m Syllabus vgl. oben Teil I, Kap. 3.2.2.3.5.
411 Die Verbindung zwischen Lingelsheim und Hotman bestand seit dessen Aufenthalt im Reich. Seine Briefe aus den Jahren 1612 und 1613 adressiert Lingelsheim an den »ambassadeur resdident pour Sa M t è Treschrestienne à Dusseldorf«. Jean Hotman hielt sich damals als Vertreter der französischen Krone im Konflikt um die Erbschaft in den Herzogtümern Jülich, Kleve und Berg in Düsseldorf auf. In den Briefen Lingelsheims aus diesen beiden Jahren geht es ausschließlich um die niederrheinische Krise, seine Schreiben entstehen im Zusammenhang mit den Aktivitäten der kurpfölzischen Diplomatie in dieser Frage. Es handelt sich um politische Briefe, die der vorrangig mit der Pflege der kurpfalzischen Beziehungen zur französischen Krone betraute Lingelsheim an den offiziellen Vertreter Frankreichs richtete.119 Von Lingelsheims Hand haben sich sechzehn Briefe als Autographen erhalten, die alle in französischer Sprache geschrieben sind. Sie befinden sich seit 1867 in der Bibliothèque de la Société de l'Histoire du Protestantisme Français als Teil einer insgesamt sieben Konvolute umfassenden Sammlung »Papiers de Jean Hotman de Villiers Saint-Paul«, die zunächst viele Jahrzehnte einer niederländischen Privatsammlung angehörten.120 Die letzten drei Bände enthalten Briefe an Hotman von verschiedenen Verfassern, wobei die Briefe einzelner Verfasser zusammengeordnet sind: Lingelsheims Briefe eröffnen den fünften Band.121 Diese Briefe konzentrieren sich zeitlich auf eine sehr kurze Dauer zwischen Oktober 1612 und Mai 1613 und wurden-dies ist eindeutig aus den Briefen zu erschließen - von mindestens ebensovielen Briefen Hotmans beantwortet. Daß mit diesen Briefen keinesfalls die gesamte Korrespondenz zwischen Lingelsheim und Jean Hotman überliefert ist, daß diese Korrespondenz vielmehr über diesen kurzen Zeitraum hinaus bestand und sich bis in das hohe Alter beider Korrespondenten hinzog, läßt sich etwa aus zwei Briefen Lingelsheims an Sainte Catherine aus dem Jahre 1620 erschließen, in denen er jeweils berichtet, daß er einen Brief von Hotman empfangen habe.122 Außerdem existiert ein Brief Hotmans an Lingelsheim vom 27. August 1630. Er berichtet hier von Opitzens Aufenthalt in Paris. Hotman bewegte sich zu dieser Zeit im Umfeld des Cabinet Dupuy in Paris.123 Von diesem Brief finden sich zwei Abschriften in einem Sammelband in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha.124 Die-
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S. dazu die Ausführungen oben S. 142ff. Vgl. zur Geschichte dieser Hotmanniana Delaborde 1866, S. 401-405, Smith 1917, S. 162f. Sie tragen heute die Signaturen MSS 10I_V". MSS 10v: »Lettres autographes de Baugy, Curion, Lingelsheim, Sartorius, Zabel (1610— 1623)«. Lingelsheim an Sainte Catherine, 11721.05. und 17./27.05.1620 (BNP: Fr. 4122, Bl. 8' bzw. Bl. 90Opitz schrieb noch am 02.05.1630 aus Paris - noch unter dem Eindruck eines Besuches im Cabinet D u p u y - a n Lingelsheim (REIFFERSCHEID 1889, S. 398): »Clarissimus Tilenus et Hotomannus, senex opitmus, ipsi, uti puto, ad te perscribent.« Bei dem hier angekündigten Brief Hotmans könnte es sich um den erwähnten Brief vom 27.08.1630 handeln. Von einem Tilenus-Brief aus dieser Zeit habe ich dagegen keine Kenntnis. Cod. Chart. A 473.
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ser Band wurde 1801 in Danzig fiir die herzogliche Kammer gekauft125 und vereinigt Briefe von Grotius an Israel Jaski aus den Jahren 1636 bis 1642 (Bl. 1-39), weiterhin Briefe von Buchner, Coler, Tscherning, Nicolas Rittershausen, Grotius, Zincgref und anderen an Martin Opitz aus den Jahren 1626 bis 1639 aus der Sammlung Andreas Jaskis (Bl. 40-113), sowie die »Literae variorvm viror. illustr.« aus der gleichen Sammlung (Bl. 114-198). Es handelt sich bei den Briefen von Grotius überwiegend um Originale, während die Briefe an Opitz und die Briefe des letzten Teils hauptsächlich Abschriften sind, die offenbar von Andreas Jaski im Oktober 1669 angefertigt wurden.126 Dieser Sammelband dürfte demnach ursprünglich ebenfalls aus seinem Besitz stammen.127
3.7.
Estienne de Sainte Catherine
Das Jahr 1620, das Jahr der Edition der de Thouschen Historia also, markiert die Grenze, nach der ein engerer Kontakt Lingelsheims mit dem Cabinet Dupuy nicht mehr nachzuweisen ist. Der Brief von Rigault aus dem Jahre 1624 ist das einzige direkte Zeugnis aus dem engsten Kreis des Cabinets für eine auch nach der Flucht Lingelsheims aufrechterhaltene Verbindung. Wie bei dem Brief Hotmans aus dem Jahre 1630 handelt es sich um ein Einzelzeugnis. Auch wenn sicher von größeren Briefverlusten ausgegangen werden muß, die sich bereits in den Korrespondenzen mit de Thou, Dupuy und Hotman abzeichnen, bleibt festzuhalten, daß nach der Edition der Historia und spätestens mit Lingelsheims Flucht nach Straßburg seine französischen Korrespondenzen weitgehend zum Erliegen kamen. Über Gründe, die sich aus seinen Briefen nicht herauslesen lassen, soll hier nicht spekuliert werden. Insgesamt allerdings nahmen Lingelsheims Briefwechsel in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten ab. Ein wichtiges Bindeglied zwischen Lingelsheim und den Pariser Späthumanisten scheint allerdings Estienne de Sainte Catherine gewesen zu sein. Lingelsheims Briefen an ihn ist mehrfach zu entnehmen, daß auch nach 1620 der Kontakt nach Paris nicht abgerissen war, daß aber kein intensiver persönlicher Briefverkehr mehr bestand, sondern Nachrichten und Grüße von wenigen Ausnahmen abgesehen über Dritte ausgetauscht wurden. So ließ Lingelsheim beispielsweise in seinem Brief an Sainte Catherine vom 22. September 1621 über 125 126
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Vgl. die Notiz auf dem vor Bl. 1 eingelegten Blatt. Das ist zu erschließen aus den jedem einzelnen Teil vorangestellten einleitenden Bemerkungen, die durchgängig in der ersten Person reden. Sie lauten: »Literae Hugonis Grotii ad parentum meum[,] Israelem Jaske ab A° M D X X X V I usq. ad Ann: MDCXL1I scribae« (Bl. l r ); »V. cl. literae ad cl. Mart. Opitium ab anno M D C X X V I usq. ad ann: M D C X X X I X scriptae ex ipsis autographis desumptae qvas per Benevol. Joh. Starckii. A° D C L X I X Dant. mense Octobr. obtin[uit] Andr. Jaski« (Bl. 40 1 ); »Literae variorvm viror. illustr. ex ipsis autographus desumptae et eius viri liberalitate ä me obtentae anno et mense quo suprae« (Bl. 114 r ). Die Briefe von Grotius an Israel Jaski fanden alle 1670 in die Edition JASKI 1670 I Aufnahme. Die Briefe an Opitz aus dieser Sammlung erschienen im gleichen Jahr: JASKI 1670 II. Lingelsheims Schreiben ist nicht darunter.
413 diesen Pierre Dupuy für einen erhaltenen Brief danken und um Verständnis bitten, daß er in seiner augenblicklichen Lage nicht antworten könne. 128 Sainte Catherine ist für die Jahre zwischen 1620 und 1626 der wichtigste Briefpartner Lingelsheims. In diesen Zeitraum fällt der größte Teil ihrer Korrespondenz. Ein frühes einzelnes Zeugnis ist ein Schreiben Lingelsheims vom 13. August 1616. Seit dem Januar 1627 nahm die Zahl seiner Briefe an Sainte Catherine rapide ab. Der Briefwechsel mit Sainte Catherine ist die beste Quelle für die dramatischen Lebensjahre Lingelsheims nach seiner Flucht aus Heidelberg. 129 Erhalten haben sich ausschließlich die Autographen Lingelsheims, insgesamt 117 an der Zahl, die einen hohen biographischen Gehalt besitzen. Denn in ihnen verquicken sich politische Nachrichten über das Schicksal der Kurpfalz und der Reformierten im Reich sowie über die Aktivitäten der kurpfalzischen Exilregierung mit persönlichen Informationen, die in diesen Briefen so reich wie nur an wenigen anderen Stellen seiner Korrespondenz enthalten sind. Die diplomatischen Bemühungen der kurpfalzischen Administration und später der Exilregierung in Den Haag um militärische und finanzielle Unterstützung im Ringen um die Kurfürstenwürde oder Neuigkeiten über die Truppenbewegungen der Feldherren Mansfeld und Tilly teilt Lingelsheim seinem Freund ebenso mit wie Einzelheiten seiner Flucht aus Heidelberg, die Suche nach einer Wohnung in Straßburg, die Gefangenschaft seiner Söhne oder die Schicksale seiner Familie und seiner Freunde. 130 Es wird deutlich, daß Lingelsheim nach wie vor ein Verfechter der kurpfälzischen Politik und ein vehementer Verteidiger der calvinistischen Interessen blieb. Ein gelehrter Austausch fehlt in dieser Korrespondenz dagegen fast völlig. 131 Der Unterschied zu den früheren Korrespondenzen mit Bongars und Jean Hotman liegt zum einen in den nirgends sonst so reichen privaten Nachrichten, zum anderen aber darin, daß hier zwar das >Politische< dominiert, nunmehr jedoch zumindest bei Lingelsheim nicht mehr in direktem Zusammenhang mit Amtsgeschäften stand und also keinen offiziellen >Status< mehr besaß. Über das Leben Estienne (Baron) de Sainte Catherine ist so gut wie gar nichts bekannt und kaum etwas zu ermitteln. 132 Sein Name fehlt sowohl in den
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»II m'est impossible d'escrire a mess, du Puy et Grotius, i'ay receu leurs lettres tresagreables, et leur baise les mains.« Lingelsheim an Sainte Catherine, 22.09,/02.10.1621 (BNP: Fr. 4122, Bl. 84"). Sie waren dementsprechend wertvolle Quelle fur die Ausfuhrungen in Teil I, Kap. 2.4.1. Dem Historiker dürfte diese Korrespondenz eine interessante und ergiebige Quelle sein, v.a. für die Belagerung und Eroberung Heidelbergs sind aus ihr, da sie größtenteils aus den entscheidenden Jahren 1620-1622 stammt, viele authentische Einzelheiten zu erfahren. Lediglich ein Interesse Sainte Catherines an den geographischen Tafeln des gelehrten Kartographen Gerhard Mercator (1512-1594) ist festzustellen, die er anscheinend zu erwerben wünschte: vgl. die Briefe Lingelsheims an ihn vom 19./29.11.1620 und 22.09./02.10.1621 (BNP: Fr. 4122, Bl. 3 1 ' b z w . Bl. 84 r ). Bei den gewünschten »tables Géographiques« handelte es sich höchstwahrscheinlich um die Tabulas geographicas ad mentem Ptolemaei restituit, die zum ersten Mal in Köln 1581, drei Jahre später dann ebendort mit einer lateinischen Übersetzung des Ptolemäus-Textes erschienen. Das beklagte auch Sven Andolf 1980, S. 11, in seiner Vorrede zur bisher einzigen Edition von diplomatischen Papieren Sainte Catherines aus der BNP (Sainte-Catherine: Relation).
414 großen universalen Sammel-Biographien wie auch in den regionalen biographies collectives Frankreichs. Trotz intensiver Recherchen ist zu seiner Person kaum etwas zu finden.133 Die in den biographischen Lexika unter dem Nachnamen Sainte Catherine vermerkten Personen können aufgrund ihrer biographischen Daten, ihrer Herkunft, ihrer Tätigkeit usw. nicht in Frage kommen. Lediglich in Wrangeis Liste des diplomates français en Suède findet sich ein kurzer Eintrag ohne biographische Daten.134 Zahlreiche Briefe von und an Estienne de Sainte Catherine sowie für ihn bestimmte Instruktionen mit diplomatischen Aufträgen finden sich in verschiedenen Bänden verstreut in der Handschriftenabteilung der Bibliothèque Nationale in Paris. Unter ihnen auch die Briefe Lingelsheims, die zu einem Band zusammengefugt worden sind und bereits im 17. Jahrhundert in den Besitz der königlichen Bibliothek gelangten.135 Dieser Band ist der letzte von zehn Bänden einer »collection de dépêchés adressées ou reçues par le Sr de Sainte Catherine, entre les années 1612 et 1628«. 136 Aus diesen Briefen Lingelsheims sowie aus den anderen Schriftstücken in der Pariser Nationalbibliothek und in einigen wenigen Editionen lassen sich wenigstens einige wichtige biographische Informationen ermitteln. Sainte Catherine, den Lingelsheim durchgehend als »gentilhomme« anschrieb, gehörte dem französischen Adel an und war Mitglied des höchsten höfischen Gremiums, des Conseil du Roi.137 1613 wurde er französischer Resident in Heidelberg,138 wohin er bereits im Jahr zuvor den französischen Gesandten Ancel begleitet hatte.139 Damals lernte ihn auch Lingelsheim kennen und schätzen:
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REIFFERSCHEID 1889, S. 750, identifizierte den einige Male in Briefen von Grotius an Lingelsheim Genannten als Stephanus de Sancta Catharina, also in der latinisierten Namensform. In GROTIUS 1928ff., Bd. II, S. 106, ist entsprechend von Estienne de Sainte Catherine die Rede. Wrangel, S. 90. Fr. 4 1 2 2 (»Lettres de George Michel de Lingelshem[,] Conseiller d'état de son Altesse Electorale Palatine[,] Roy de Boheme[,] A Monsieur de saincte Catherine!,] Resident pour sa Maiesté très Chrestienne en Allemagne«). Aus der Signatur ist abzulesen, daß es sich bei diesem Band um einen der im Jahre 1860 reorganisierten und mit neuen Signaturen versehenen Handschriftenbestände, die sich bereits im Jahre 1682 in der Bibliothèque du Roi befanden und im damals fertiggestellten Katalog verzeichnet waren, handelt. Im Zuge dieser Reorganisation wurden die Handschriftenbestände der Bibliothek nach Sprachen geordnet und die alten französischen Manuskripte erhielten Signaturen von Fr. 1 - 6 1 0 7 ; vgl. Delisle, Bd. I, S. X X X V I I - X L I V . Auf keinen Fall gehörte dieser Band ursprünglich zur Collection Dupuy und ist evtl. aus ihr herausgetrennt worden; vgl. die Auflistung der entsprechenden Bände bei Solente 1927, S. 2 2 0 - 2 2 3 . Fr. 4113 bis Fr. 4 1 2 2 . Zum Conseil du Roi und seinen Mitgliedern vgl. Mousnier 1974, Bd. I, S. 32, 1 3 0 - 1 3 5 , 284-288. BRIEFE UND ACTEN 1 8 7 0 - 1 9 0 9 , Bd. X I , S. 155 u. 818f. Ebd., Bd. X , S. 5 1 2 . - Ü b e r Ancels Tätigkeit als französischer Gesandter - und damit direkter Kollege B o n g a r s ' - a n deutschen Fürstenhöfen vgl. Anquez 1887, S. 44ff. u.ö. Lingelsheim lernte Ancel ebenfalls über ihre dienstlichen Kontakte kennen, vgl. seinen B r i e f an Colli, 07.10.1594 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 57"). Ancel scheint ihn in der Folgezeit einerseits mit politischen Nachrichten aus Frankreich versorgt zu haben, die dieser dann
415 Votre advis, monsieur, que voz lettres soient com[m]unes entre mons. de S. Catharine et moy, est tresbon, nous suiurons aussi v[ot]ré conseil, nous som[m]es si estroitement ensemble, qu'il m'a fait l'honneur de leuer du Baptesme, mon fils, dont luy suis grandement obligé. 140
Von 1614 bis 1621 vertrat Sainte Catherine dann die Interessen des französischen Königs Ludwig XIII. als »résident en Allemagne«.141 Wie den Briefen Lingelsheims zu entnehmen ist, hielt er sich in dieser Funktion von April bis Mai 1620 in Amberg und von Juli 1620 bis April 1621 am Kaiserhof in Wien auf, bevor er über Straßburg und Metz nach Paris zurückkehrte. Mit seinem Rückzug aus Deutschland gab Sainte Catherine seine Pflichten als Gesandter auf, was Lingelsheim zutiefst bedauerte.142 Dennoch versuchte Lingelsheim in den folgenden Jahren offenbar, über ihn Kontakte der kurpfälzischen Exilregierung an den französischen Hof aufrechtzuerhalten. Seit Ende 1623 scheint Sainte Catherine in einen Prozeß verwickelt gewesen zu sein, der ihn nach Basel zog und dort band: »Ce m'est vn grand creuecoeur, de vous veoir si long tems languir en attente de l'issue de vostre procès«,143 klagt Lingelsheim, als er Sainte Catherine zur Hochzeit seines Neffen einlud. Dieser Prozeß, dessen Gegenstand aus den Briefen nicht erkennbar wird, zog sich bis in den Juni 1624, erst am 4./14. Juni kann Lingelsheim zum »victoire« gratulieren.144 Nach seinem Ende kehrte Sainte Catherine nach Paris zurück. Über seine dortigen Geschäfte ist ebensowenig zu erfahren. Bis 1626 muß Sainte Catherine allerdings noch in Staatsdiensten tätig gewesen sein, bevor er im Mai des Jahres entlassen wurde145 und sich aus Paris in die Bourgogne zurückzog.146 Nach diesem Rückzug wurden die Briefe Lingelsheims seltener, seit 1628 gibt es keine Hinweise auf einen weiteren Briefwechsel. Das allerdings scheint auf die Motivation hinzudeuten, mit der Lingelsheim diese Korrespondenz gefuhrt hat; zwar stand er nicht mehr im Amt, doch wirkte er in diesen Jahren ganz offensichtlich, daß zeigen auch seine übrigen Korrespondenzen dieser Zeit, zumindest als inoffizieller >Informator< der pfalzischen Exilregierung. Inwieweit
weiterleitete, so z.B. an Loefen am 15.04.1596 (SUH: Sup. ep. 14, Bl. 2 2 5 ' - e s handelte sich bei den Schreiben Ancels um die ebd., Bl. 22ff., enthaltenen Abschriften von der Hand Lingelsheims, die vom 03. bzw. 10.04.1596 datieren); andererseits scheint Ancel eine ähnliche Rolle wie Bongars fur Lingelsheim gespielt zu haben, gegenüber Junta bezeichnete er beide am 23.08.1602 als »lumina duo Galliae, summosque meos« (AYRMANN 1746, S. 58). Eine Korrespondenz zwischen ihnen bestand noch 1612, am 28.11. des Jahres berichtet Lingelsheim an J. Hotman, daß er von Ancel einen Brief empfangen habe (SHP: MSSV, Bl. 71). Briefe haben sich jedoch nicht mehr erhalten. 14 ° Lingelsheim an Hotman, 20.12.1612 (SHP: Mss 10v, Bl. 10r). 141 So wird Sainte Catherine in den »Relations diplomatiques et militaires entre la France et l'Allemagne: affaire de Cleves et de Juliers; diète de Ratisbonne, etc. (1606-1658)« (Fr. 15920-15933) zwischen 1614 und 1621 tituliert. 142 Vgl. die Briefe an Sainte Catherine vom 30.03./09.04., 12./22.04., 19./29.04., 28.05./07.06. und 29.06./09.07.1621. 143 Lingelsheim an Sainte Catherine, 17./27.11.1623 (BNP: Fr. 4122, Bl. 1 2 0 . 144 Lingelsheim an Sainte Catherine, 04./14.06.1624 (ebd., Bl. 131r). 145 Vgl. den Brief Lingelsheims vom 21.05.1626 (ebd., Bl. 142v). 14 « Vgl. die Briefe Lingelsheims vom 22.07. und 15./25.09.1626 (ebd., Bl. 146' bzw. 150").
416
er allerdings die ihn durch seine Briefwechsel erreichenden Informationen nach Den Haag weiterleitete oder gar von dort instruiert wurde, ist nicht festzustellen. Welche Rolle Sainte Catherine im geistigen Leben des späthumanistischen Paris zufiel, ist nicht festzustellen. Unter den Mitgliedern des Cabinet Dupuy, die Boer in ihrer Studie über »Men's Literary Circles in Paris« anfuhrt,147 fehlt sein Name. Gleichwohl dürfte er sich durchaus im Umkreis dieses Kreises bewegt haben; so sind persönliche Verbindungen mit Pierre Dupuy und Jean Hotman nicht nur aus den Briefen von Lingelsheim zu erschließen. Auch Grotius knüpfte in Paris gleich zu Anfang seines Aufenthalts Kontakt mit Sainte Catherine.148
3.8.
Falvigny
Unter den Gesandten des französischen Königs in Deutschland befand sich um 1620 auch ein gewisser Falvigny, über den überhaupt keine biographischen Informationen eruiert werden können. Lingelsheim richtete am 4./14. Dezember 1623 in französischer Sprache ein Schreiben an ihn, das als Autograph in die »Relations diplomatiques et militaires entre la France et l'Allemagne: affaire de Clèves et de Juliers; diète de Ratisbonne, etc.«, die die Jahre 1606 bis 1658 umfassen, in der Pariser Nationalbibliothek eingeordnet ist.149 Wie die Briefe an Sainte Catherine ist auch dieser offensichtliche Einzelbrief Lingelsheims von dem Interesse geprägt, für die kurpfälzischen Angelegenheiten in Frankreich Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erreichen. In ihm wird wie in den Briefen an Sainte Catherine deutlich, daß Lingelsheim nach 1621 seine offensichtlich guten Beziehungen zu französischen Diplomaten, die einstmals im Reich residiert hatten, im Interesse der Kurpfalz zu aktivieren versuchte. Es zeigt sich aber auch, daß diesem Bemühen kein Erfolg beschieden war, da die meisten seiner französischen Bekannten, auch Sainte Catherine, offenbar keinen großen Einfluß mehr auf den König auszuüben vermochten.
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149
Vgl. Boer 1938, S. 730-736. Lingelsheim hatte seinen aus den Generalstaaten nach Paris entkommenen Freund der Freundschaft Sainte Catherines anempfohlen, vgl. seinen Brief an Sainte Catherine, 17./27.07.1621 (BNP: Fr. 4122, Bl. 76 v ). Sainte Catherine scheint dieser Bitte gefolgt zu sein, denn Grotius berichtet kurze Zeit später an Lingelsheim: »Sancatharinum pro merito amo atque amplector« (Grotius an Lingelsheim, 09.09.1621 (GROTIUS 1928ff„ Bd. II, S. 130). Zum Verhältnis von Grotius und Sainte Catherine vgl. auch die Briefe Lingelsheims an Sainte Catherine vom 03./13.10. und 02./12.11.1622 (BNP: Fr. 4122, Bl. 110r"v bzw. Bl. 112') sowie Grotius' an Lingelsheim vom 10.05.1623 (GROTIUS 1928ff., Bd. II, S. 291). Wie eben Anm. 141. Hier finden sich zahlreiche Instruktionen, Berichte, Briefe usw. sämtlicher französischer Diplomaten unter den Korrespondenten Lingelsheims: von Bongars aus den Jahren 1606-1611, von Jean Hotman aus den Jahren 1608-1614, von Sainte Catherine aus den Jahren 1612-1621 und von Flavigny aus den Jahren 1615-1621. - Der Brief Lingelsheims an Falvigny ist im letzten Band erhalten.
417 3.9.
Daniel Tilenus
Unter den französischen Korrespondenten Lingelsheims bildet der Lebenslauf von Daniel Tilenus in mehrerer Hinsicht eine Ausnahme. 150 Zum einen stammte Tilenus nicht aus Frankreich oder einem französischsprachigen Land, sondern wurde 1563 in Goldberg in Schlesien geboren und erhielt erst nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Frankreich von Heinrich IV. die Naturalisierung geschenkt. Zum anderen stand er weder in einem politischen Amt noch in irgendeiner anderen Funktion in Diensten der französischen Krone, sondern vertrat, nachdem er sich zuvor bereits als calvinistischer Prediger in Frankreich einen Namen gemacht hatte, von etwa 1599 bis 1619 die Theologie und insbesondere die Ethik- und Morallehre an der calvinistischen Akademie in Sedan. Er stand also in Diensten des Herzog von Bouillon, der zeitweilig zu den offenen Gegnern Heinrichs IV. zählte. 151 Wegen seiner eindeutigen Ablehnung der Beschlüsse der Synode von Dordrecht mußte Tilenus demissionieren. Er wandte sich nach Paris, wo er als einer der fuhrenden französischen Arminianer gute Kontakte zu den niederländischen Glaubensflüchtlingen unterhielt und vor allem mit Hugo Grotius in enger Verbindung stand. Er gehörte dort allerdings nicht in den Umkreis des Cabinet Dupuy, sondern schloß sich einem anderen gelehrten Zirkel in der französischen Hauptstadt an.152 Sein von Jakob I. geförderter Plan, nach England überzusiedeln, scheiterte am Widerstand der englischen Puritaner, denn Tilenus hatte sich in seinen Schriften und in zahlreichen von ihm geleiteten Dissertationen stets als unbeugsamer Verfechter des königlichen ius circa sacra erwiesen und ein Widerstandsrecht der Untertanen abgelehnt. So verblieb Tilenus in Paris, wo er 1633 starb. Tilenus war in Sedan »der eigentliche Studienleiter« 153 des Kurprinzen Friedrich von der Pfalz gewesen und verfugte aus dieser Zeit über Verbindungen nach Heidelberg. Auch mit Lingelsheim scheint er schon frühzeitig in einen Briefwechsel eingetreten zu sein, der von beiden allerdings nur sehr sporadisch über die Jahre gefuhrt wurde. 154 Heute existieren davon nur noch zwei Briefe
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Auch hier fehlt eine Biographie, die die theologischen und politischen Positionen Tilenus' wissenschaftlich aufarbeitet. Einen ersten Ansatz, der leider nicht aufgenommen wurde, unternahm Kretzer 1975, der Tilenus im Rahmen seiner Untersuchung ein ausführliches Kapitel (S. 105-130) widmete, sich dabei allerdings v.a. auf die politische Lehre des Theologen Tilenus konzentrierte. So bleiben wir nach wie vor für alles andere auf die Darstellung von Mellon 1910 angewiesen. - Teilweise findet sich in der Literatur, so zuletzt noch von Bilhöfer 2000 aus Kretzer übernommen, auch 1565 als Geburtsjahr angegeben. Vgl. dazu auch oben S. 143 mit Anm. 278. Laut Boer 1938, S. 738, hielt sich Tilenus im Kreis um Nicolas Bourbon den Jüngeren auf. Kretzer 1975, S. 106. Vgl. die entsprechenden Bemerkungen von Tilenus in seinem Brief an Lingelsheim vom 17.12.1623 (REIFFERSCHEID 1889, S. 178). Diese Passage zeigt deutlich, in welcher Situation sich Tilenus als Gegner von Dordrecht befand. »Amicitiam ante viginti annos et quod excurrit mihi tecum institutam nullo infausti illius, quod cum Dordracena synodo exortum est, sideris afflatu labefactatam fuisse, quantopere laeter, nulla profecto verborum vi expresserim. Interim non diffiteor, me omnia tuta timentem, ad intermissum scribendi officium non prius redire ausum, quam istos veteris tuae erga me benevolentiae igniculos in iis
418 von Tilenus aus Paris, die er 1623 bzw. 1628 an Lingelsheim sandte. Sie finden sich jeweils wiederum in mehreren Abschriften in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen und sind späte Zeugnisse für Lingelsheims Verbindung in die französische Hauptstadt, die in jenen Jahren über Sainte Catherine, Grotius und eben Tilenus bestand. Tilenus ist einer der wenigen Theologen unter Lingelsheims Korrespondenten. Er repräsentierte wie alle französischen Korrespondenten Lingelsheims einen irenischen Späthumanismus. Allerdings ist aufgrund fehlender biographischer Kenntnisse nicht einzuschätzen, inwieweit dies auch auf Sainte Catherine und Falvigny zutrifft.
quas dixi literis micantes animadvertissem. Sententiarum in religigionis negotio discrepantiam animorum quoque dissidia gignere, non alienis solum exemplis edoctus, sed meo ipsius periculo expertus testor.«
4.
Niederlande
4.1.
Einleitung
Die habsburgischen Niederlande wurden seit 1566 von einem Aufstand erschüttert. Unter der Führerschaft von Angehörigen des niederländischen Adels erhoben sich die Niederländer gegen Spanien, dessen bankrotter König Philipp hohe finanzielle Forderungen stellte und eine rigorose Religionspolitik betrieb. Der Aufstand weitete sich bald zu einem größere Teile der Bevölkerung erfassenden Kampf gegen die Inquisition und die Katholiken aus. Treibende Kräfte der Aufständigen wurden die Reformierten vornehmlich Hollands und Seelands.1 Die europäischen Protestanten verfolgten diesen Konflikt mit großer Aufmerksamkeit. Die antihabsburgischen Staaten Europas ebenso wie die protestantischen Reichsstände, die den am Niederrhein immer wieder zu feindlichen Truppenkonzentrationen auf Reichsboden fuhrenden Kampf mit Sorge beobachteten, gewährten den Aufständischen allerdings nur zögerliche Unterstützung. 1579 schlössen sich die sieben nördlichen Provinzen in der Union von Utrecht zusammen, unter ihnen auch die wirtschaftlich mächtigste und politisch einflußreichste Provinz Holland mit dem Zentrum Amsterdam. Die Unabhängigkeit von Spanien und die staatliche Selbständigkeit dieser Provinzen erkannte erstmals der 1609 mit der spanischen Krone geschlossene Waffenstillstand an. Vollständige staatliche Souveränität gewann die Republik der Vereinigten Niederlande, nachdem 1621 die Kämpfe wieder ausgebrochen waren, jedoch erst durch den Westfälischen Friedensvertrag. In einer Zeit, in der sich Europa auf dem Weg zu absolutistischen Fürstenstaaten befand, entstand mit den Vereinigten Niederlanden ein förderalistischer Staatsverband. Alle gemeinsamen politischen Entscheidungen trafen die ständisch besetzten Generalstaaten, die sich aus Vertretern der ihre Souveränität wahrenden Provinzen zusammensetzten. Politische Trägerschicht dieses Staa-
Das Standardwerk stammt von Parker 1990, nunmehr in einer revised edition vorliegend, eine deutsche Übersetzung erschien 1979. Ich zitiere nach der deutschen Ausgabe. Weiterhin die reich illustrierte Einfuhrung von Elias 1977, der Band von Groenveld/Leeuwenberg 1979 zur Union von Utrecht, die wieder aufgelegte Darstellung von Geyl 1980 (erstmals 1958), die neben Parkers Arbeit grundlegenden Charakter besitzt (ebenfalls nur bis zum Waffenstillstand 1609 reichend), sodann Cazaux 1983 (von 1558 bis zum Westfälischen Frieden; ins Niederländische übersetzt 1985). Gewichtige Forschungsbeiträge zu den ersten Jahrzehnten der konfessionellen Bürgerkriege in Frankreich und den Niederlanden enthält jetzt der Band von Benedict [u.a.] 1999; vgl. auch Press 1984 zur Politik der Reichsstände zu Zeiten Wilhelms von Oranien. Zur endgültigen Klärung der niederländischen Frage auf dem Westfälischen Kongreß vgl. Lademacher 1998.
420 tenverbandes war das städtische Bürgertum, von dem sich im Laufe der Zeit ein Patriziat abhob, das die wichtigsten Ämter unter sich durch Kooptation aufteilte. Die wenigen Angehörigen des niederländischen Adels spielten mit Ausnahme des Hauses Oranien keine herausragende politische Rolle. Die Oranier stellten in dynastischer Erbfolge seit Wilhelm von Oranien die Statthalter und wurden in dieser Funktion von den europäischen Höfen als Repräsentanten der Staaten akzeptiert. Zwar gewannen die Statthalter neben den General Staaten entscheidenden politischen Einfluß und besaßen mit dem Recht auf die personelle Besetzung der städtischen Magistrate sowie dem Oberbefehl über die Truppen quasi landesherrliche Kompetenzen, doch ihr Amt blieb von den Staaten abhängig. 2 Die Republik der Vereinigten Niederlande bekannte sich offiziell zum Calvinismus, im Lande herrschte allerdings eine von den Zeitgenossen bewunderte religiöse Toleranz. Zu dieser gab es allerdings angesichts der konfessionellen Struktur der Bevölkerung kaum eine konfessionspolitische Alternative. Denn der weitaus größere Teil der Einwohner gehörte anderen Bekenntnissen an. Zudem bestand unter den Calvinisten keine Einheit, vielmehr existierten eine gemäßigte und eine orthodoxe Gruppe, die sog. rekkelijken und die preciezen. Zwischen dem Staat und der reformierten Kirche, die als publieke kerk, als Öffentlichkeitskirche konzipiert war, entwickelte sich eine Distanz, die für die niederländischen Verhältnisse spezifisch war. Daraus resultierte allerdings keine Säkularisierung des Staates; Ämter standen ausschließlich Calvinisten offen. Diesen Widerspruch zwischen der untrennbaren Einheit von Glauben und Amt einerseits und der Distanz von Staat und Kirche andererseits löste die niederländische Staatsrechtslehre auf, indem sie die Träger der öffentlichen Ämter mit dem Volk, einen Teil also mit dem Ganzen gleichsetzte. 3 Dieser multikonfessionelle status quo der Republik schuf die politischen Voraussetzungen relativer religiöser Toleranz, von der lediglich die Katholiken, soweit sich bei ihnen konfessionelle Interessen mit politischen Ambitionen Spaniens verbanden, ausgeschlossen blieben. 4 2
Das grundlegende Handbuch von Blok/Prevenier 1978-83 behandelt in seinen Bänden 5 bis 9 die politische, soziale, ökonomische, religiöse und kulturelle Geschichte der nördlichen und südlichen Niederlande zwischen 1500 und 1800 in zahlreichen Einzelartikeln und wurde auch für meine Darstellung immer wieder konsultiert. Von den deutschsprachigen Einführungen wurde v.a. auf Lademacher 1983 zurückgegriffen. Neuerdings liegt eine ausgezeichnete Gesamtdarstellung der Geschichte der Niederlande in der Frühen Neuzeit vor von Israel 1995. Als Spezialdarstellungen zum tachtigjarigen oorlog wurden-neben den in der vorigen Anmerkung genannten Werken - herangezogen Schilling 1976, Woltjer 1 9 7 9 . - Z u r Stellung der Oranier in den Niederlanden grundsätzlich Rowen 1988 sowie der Essay von Schutte 1992.
3
Dazu v.a. Mörke 1990. Eine knappe fundierte Einfiihrung in die Kirchengeschichte der Niederlande bieten Weiler [u.a.] 1962, für unseren Zeitraum S. 83-165. Zur Entwicklung des niederländischen Calvinismus bis zur Synode von Dordrecht vgl. Duke 1990. Zum Verhältnis von Staat und Kirche in den Niederlanden neben der eben genannten Studie von Mörke Schilling 1980. Die Forschung hat sich im Zusammenhang mit dem tachtigjarigen oorlog stets auch der Herausbildung der Gedanken von Toleranz und Widerstand in den Niederlanden zugewandt, vgl. etwa die staatstheoretische Studie von Saage 1981, S. 21-112, zum Kontext von frühneuzeitlichem Staatsbildungsprozeß, Toleranzgedanken und Widerstandsrecht. Zur Aus-
4
421 Wie schwer diese Trennung von Staat und Kirche realiter durchzuhalten war, wenn herausragende Vertreter politischer Ämter persönliches Machtstreben mit konfessionellen Interessen verbanden, wurde im Verlauf des Konflikts zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten deutlich. Die beiden maßgeblichen politischen Persönlichkeiten der Republik in den Jahrzehnten um 1600, der Landesadvokat der Staaten von Holland, Johan van Oldenbarnevelt,5 und der Statthalter von Holland, Seeland und Utrecht und Generalkapitän der Generalstaaten, Moritz von Oranien,6 stellten sich in diesem Streit aus politischem Kalkül jeweils auf die Seite einer Partei. Die beiden Leidener Theologen Jacob Arminius7 und Franciscus Gomarus8 waren über die Prädestination, einen der zentralen Punkte der calvinistischen Theologie, in Streit geraten. Dieser drang bald über die Universität hinaus in die gesamte reformierte Kirche der Niederlande. Nach dem Tode des Arminius verfaßten seine Anhänger im Jahre 1610 eine Remonstration, in der sie in fünf Artikeln ihre Auslegungen formulierten. Die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens überantworteten sie der Autorität der Staaten, was nichts anderes als die Anerkennung eines staatlichen ius circa sacra und damit eine Aufhebung der Distanz zwischen Kirche und Staat bedeutete. Die Anhänger des Gomarus, die 1611 in einer Kontraremonstration die Thesen der Arminianer widerlegten, wollten dagegen eine kirchliche Gewalt der Staaten nicht anerkennen und forderten die Entscheidung einer nationalen Synode.9 Für diese Synode liefen bereits seit 1607 Vorbereitungen. Ihre Einberufung wußte jedoch Oldenbarnevelt, der als Vertreter der Staaten den Remonstranten zuneigte, zunächst zu verhindern. Der Konflikt zwischen den beiden Parteien beruhigte sich jedoch nicht, die Kluft vertiefte sich vielmehr in den folgenden Jahren und eskalierte endgültig, als sich Moritz von Oranien 1617 demonstrativ auf die Seite der Kontraremonstranten schlug. Der konfessionelle Konflikt und
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prägung religiösen Toleranzdenken vgl. die in Anm. 57 in der Einleitung S. 22 genannten Titel (zu den Niederlanden insbes. Hsia 2002), zu den Grenzen des religiösen Toleranzdenkens in der hier angedeuteten politischen Realität vgl. jüngst Lademacher 1998. 1547-1619. Seine maßgebliche Biographie stammt von Tex 1973. 1567-1625. Zu Moritz von Nassau(-Oranien), von der Geschichtsschreibung häufig als >Retter der Republik< (so etwa die Überschrift des entsprechenden Kapitels bei Rowen 1988, S. 32-55, oder jüngst der Titel der populären Biographie von Beelaerts van Blokland 1999) apostrophiert, liegen zahlreiche Untersuchungen vor, zuletzt Deursen 2000 (von dems. 1985 auch ein biographischer Aufsatz in deutscher Sprache). 1560-1609. Das Grundwerk stammt von Bangs 1971. Weiterhin ist als deutschsprachige Darstellung der Artikel von Hoenderdaal 1982 heranzuziehen. Hier jeweils auch ausfuhrlich zu den dogmatischen Auseinandersetzungen mit Gomarus. 1563-1641. In welchem Maße sich die Situation nach dem Tode des Arminius bereits zugespitzt hatte, verdeutlichen die Reaktionen auf die Besetzung seines Lehrstuhls durch Conrad Vorstius im Jahre 1611. Gomarus legte sein Amt aus Protest nieder und wurde Pfarrer in Middelburg (später Professor in Saumur, dann seit 1618 in Groningen); sogar Jakob I. von England protestierte gegen diese Berufungsentscheidung und bewegte Oldenbarnevelt schließlich dazu, Vorstius zur Aufgabe seines Lehrstuhls zu drängen, vgl. Shriver 1970. Die Remonstration und die Akte der Kontraremonstranten sind synoptisch abgedruckt und mit einer Einfuhrung versehen von Hoenderdaal 1970-71.
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die politische Konkurrenzsituation zwischen dem republikanischen System und dem monarchischen Element in den Vereinigten Niederlanden waren nun unauflöslich miteinander verbunden. Es gelang Moritz von Oranien schließlich gegen den ungebrochenen Widerstand Oldenbamevelts und seiner Mitstreiter aus dem remonstrantischen Lager, eine Synode einzuberufen, die am 12. November 1618 in Dordrecht begann. Zu dieser Synode entsandten nicht nur die niederländischen Calvinisten, sondern die reformierten Kirchen des Reiches und Westeuropas - mit Ausnahme Frankreichs - Delegierte. Längst ging es nicht mehr nur um den Konflikt zwischen Kontraremonstranten und Remonstranten, die im übrigen von der Synode ausgeschlossen wurden. Dordrecht wurde zu einem internationalen calvinistischen Konvent, der in den canones die offizielle Lehre der Calvinisten auf der Basis des Heidelberger Katechismus und der Confessio Belgica festlegte. Die Remonstranten wurden verurteilt, Oldenbarnevelt, den Moritz von Oranien gemeinsam mit einigen seiner Anhänger, unter ihnen Hugo Grotius, hatte verhaften lassen, wurde eine Woche nach Abschluß der Dordrechter Synode am 13. Mai 1619 hingerichtet. Grotius und andere Arminianer erhielten lebenslange Festungshaft, remonstrantische Priester und Parteigänger der Remonstranten in öffentlichen Funktionen verloren in großer Zahl ihre Ämter.10 Dieser innere Konflikt lähmte die Niederlande gerade in dem Augenblick, als die Kurpfalz, die wie kein anderer Reichsstand die Aufständischen von Anfang an unterstützt hatte und durch die Hochzeit Friedrichs IV. wie durch die guten Kontakte zu den Wetterauer Grafen dynastisch und personell eng mit dem Hause Oranien verbunden war," die Hilfe des Nachbarn in Form von Geld und Truppen für den Krieg um die böhmische Krone dringend benötigte. Zudem flammte nach Ablauf des Waffenstillstandes 1621 der Krieg mit Spanien wieder auf, den besonders die orthodoxen niederländischen Calvinisten wünschten, der aber für die Republik im Vergleich zum Jahre 1609 keine wesentlichen territorialen Erfolge mehr brachte.12 Immerhin bewährte sich die Verwandtschaft zum 10
Dazu nach wie vor am ergiebigsten Glasius 1860-61. Teil 1 bietet eine historische Einleitung in die Dogmen und die Entstehung der reformierten Kirche sowie eine ausfuhrliche Darstellung des Praedestinations-Streits bis zu den die Nationalsynode vorbereitenden Provinzialsynoden, Teil 2 beschreibt auf breiter Materialbasis die Synode, wobei besonders die Auseinandersetzung mit den Remonstranten nachvollzogen wird. Weiterhin Eysinga 1948, van't Spijker 1987. Zu den theologischen Konflikten innerhalb der calvinistischen Kirche, die in Dordrecht gelöst wurden, vgl. aus religionsgeschichtlicher Perspektive wie immer auch Lecler 1965, Bd. II, S. 367-397; weiterhin - konzentriert auf die reformierte Lehre und Kirche - Möllmann 1961, S. 127-137.
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Zur Reichspolitik Moritz' von Oranien und der Bedeutung des Hauses Nassau-Oranien für die Verbindungen der Niederlande zu den Reichsfürsten vgl. die Studie von Mörke 1995; insgesamt zu den Beziehungen und insbes. der Publizistik im Achtzigjährigen Krieg Arndt 1998. Als die weitreichendste Folge dieser niederländischen Ereignisse für die politische Konstellation in Europa hebt Parker 1979, S. 303, hervor, »daß sie die Republik von auswärtigen Angelegenheiten ablenkte: eine entscheidende Gelegenheit, die Habsburger in ihrem eigenen Netz zu verstricken, wurde nicht wahrgenommen, weil Oldenbamevelt 1618 nicht mehr zur Stelle war, um dem Aufstand in Böhmen massive niederländische Unterstützung zukommen zu lassen. Und, was vielleicht noch wichtiger - wenngleich weniger drama-
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423 Hause Oranien für Friedrich V., der im Haag Asyl genießen durfte und dort eine pfälzische Exilregierung installieren konnte, die bis zur kurzzeitigen Restitution der kurpfälzischen Herrschaft unter schwedischer Protektion rege Aktivitäten entfaltete.13 Vom Interesse der internationalen protestantischen Diplomatie am Haager Hof profitierten auch die Niederlande, die eine politische Nähe zu den europäischen Großmächten gewinnen konnten. Das bedeutete zugleich eine Sicherheitsgarantie ftir ihre eigene Existenz. Durch die Dordrechter Synode und die kurpfälzische Exilregierung im Haag fiel der Glanz eines Machtzentrums der europäischen Konfessionspolitik auf die junge Republik. Diese prosperierte seit den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhundert im ökonomischen und kulturellen Bereich. Ihre finanzielle Kraft verdankten die Niederlande einem raschen wirtschaftlichen Aufschwung, der vor allem aus dem Seehandel, der bis in die neue Welt expandierte, resultierte und auch durch das Kriegsgeschehen nicht empfindlich gestört wurde. Mit der wirtschaftlichen ging eine kulturelle Blüte einher, die in besonderem Maße in der zeitgenössischen Malerei, dem eigentlichen Signum des >goldenen Zeitalters< der Niederlande, sichtbar wurde.14 Es entstand aber ebenso eine nationalsprachliche Kunstdichtung, die von der Tradition der Rederijkerkammers insofern abrückte, als auch hier die poetischen und rhetorischen Lehren der humanistisch-neulateinischen Gelehrtendichtung in die nationalsprachliche Dichtung transformiert wurde. Diese niederländische Kunstdichtung wirkte über ihr Grundwerk, die Nederduytschen Poemata des Daniel Heinsius, auf das neue poetische Programm des Martin Opitz ein, der sich aus Heidelberg zunächst nach Leiden gewandt hatte und dort mit dieser Dichtung vertraut worden war.15
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tisch - war, die Arminianische Kontroverse hinderte die Republik daran, das Wachsen einer unabhängigen und starken politischen Gemeinschaft in den südlichen Niederlanden zu unterlaufen und zu vereiteln. Wenn der Waffenstillstand von 1609 das Zeichen für die Errichtung eines unabhängigen nördlichen Staates setzte, machten die darauffolgenden zwölf Friedensjahre das Entstehen eines von ihm getrennten südlichen Staates möglich [...].« Zu ihren Aktivitäten und ihrer personellen Zusammensetzung s. oben S. 162f. Von den zahlreichen Studien zum goldenen Zeitalter der Niederlande sei neben dem einführenden Essay von Lademacher 1992, der in seinem Untertitel »Bemerkungen zum Werden und zur Blüte eines aus Aufstand geborenen Staates« die besonderen Entstehungsbedingungen reflektiert, nur auf die Studie von Wittmann 1975 verwiesen. Wichtig auch der Band von Belifin [u.a.] 1995 mit sozialgeschichtlichen Fallstudien der gesellschaftlichen Gruppen in den Niederlanden während des goldenen Zeitalters (zur besonderen Rolle des Adels auch im Zusammenhang mit dem Aufstieg des Hauses Oranien vgl. Nierop 1984). Es sei angesichts der Vielzahl der vorliegenden Darstellungen drauf verzichtet, weitere Untersuchungen zu diesem >großen< Jahrhundert der niederländischen Kultur aufzuführen. - Zur Blüte der nationalsprachlichen Literatur vgl. Haar 1988, ihre Entstehung im Kontext des konfessionellen Bürgerkriegs analysiert Ingen 1989. Weiterhin zur niederländischen Literatur dieser Zeit die beiden Studien von Schenkeveld 1991 und (wesentlich umfangreicher) Schenkeveld-van der Dussen 1994 sowie als guter Überblick für das 17. Jahrhundert Grootes 1988. Dieser Austauschprozeß ist inzwischen sehr gut untersucht, vgl. Trunz 1937, Schönle 1968, Bomemann 1976, Ingen 1981. Die vorangehende Epoche behandelt der Vortrag von Forster 1967a. Einen Überblick über den Einfluß der niederländischen Literatur auf die deutsche vom Mittelalter bis in die neueste Zeit bietet Dam 1962, am Beispiel der Rezeption der in den konfessionellen Bürgerkriegen entstandenen, in das die Lieder der Aufständigen
424 Wenige Jahre nach Beginn des Aufstandes wurde 1575 in Leiden eine Universität gegründet.16 Es war eine Gründung aus konfessionspolitischen Erwägungen heraus. Einheimische Calvinisten sollten, nachdem Löwen ausfiel, durch eine humanistische Ausbildung im eigenen Lande für zukünftige Aufgaben in Staat und Kirche qualifiziert werden, um beider Zustand zu festigen. Die Leidener Universität übte von Anfang an große Anziehungskraft auf Studenten und Gelehrte des protestantischen Europa aus. Es war gelungen, einige der größten Geister der Zeit an die Universität zu ziehen, deren Ruhm der Neugründung sehr bald große Reputation verschaffte.17 Zu den großen Gelehrtengestalten, die hier noch im 16. Jahrhundert wirkten, zählten Justus Lipsius18 und Joseph Justus Scaliger, die hier nacheinander lehrten und die philologische Schule Leidens begründeten, welche die Altertumswissenschaften in Europa richtungsweisend prägte.19 Als Lingelsheim im Frühjahr 1603 gemeinsam mit Johannes Gernand zu Moritz von Oranien reiste, um den Statthalter zur Übernahme der Vormundschaft für den Kurprinzen zu überreden, nutzten er und sein Begleiter ihre diplomatische Mission für einen längeren Besuch in Leiden. Dort wurden sie von Daniel Heinsius im philosophischen Hörsaal mit einer Oratio ehrenvoll begrüßt.20 Lingelsheim gewann während dieses Aufenthalts persönlichen Kontakt zu Joseph Justus Scaliger und seinem Schülerkreis. Aus dieser ersten und einzigen persönlichen Begegnung entstanden teilweise langjährige Korrespondenzen, die fortan den Heidelberger Politiker und Gelehrten mit den Leidener Späthumanisten verbanden. Neben Paris bildete Leiden mit seiner Universität den aner-
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vereinende Geusenliedboexken aufgenommenen, heutigen Nationalhymne »Wilhelmus van Nassauen« Nehlsen 1993. Wichtigste Vermittler niederländischer Literatur an deutschen Universitäten waren Bemegger, Buchner und Gruter (vgl. Bomemann 1976, S. 18-29). Zur Geschichte der Leidener Universität vgl. den zum vierhundertjährigen Jubiläeum erschienenen Sammelband von Lunsingh Scheurleer/Posthumus Meyjes 1975. Die Gründung der Leidener Universität behandelt der Vortrag von Jurriaanse 1965. Vgl. zur Wechselwirkung von Leidener Universität und europäischer res publica litteraria insbes. Dibon 1975, außerdem Schneppen 1960 sowie Dorsten 1962. Zum Leben und Werk von Justus Lipsius (1547-1606) wurden hier aus der Fülle der Literatur vornehmlich die Arbeiten von Gerhard Oestreich herangezogen, weil in ihnen die für meine Ausfuhrungen so wichtigen Verbindungen von Neostoizismus und Gelehrtenrepublik in ihrer Bedeutung für den neuzeitlichen Staat herausgearbeitet werden, so schon grundlegend in seiner Dissertation Antiker Geist und moderner Staat (jetzt erstmals als Buch erschienen: Oestreich 1989). Aufschlußreich für die Biographie Lipsius' die Aufsätze von Oestreich 1969c und 1980a. Lipsius' De Constantia ist leicht zugänglich in der Faksimile-Ausgabe der deutschen Übersetzung von 1601 durch Forster (= Lipsius: Von der Beständigkeit) und jetzt, mit reichen Kommentaren aber zu knappem Nachwort in der lateinisch-deutschen Ausgabe von Florian Neumann (= Lipsius: De constantia). Weitere Literatur in Auswahl wurde oben in Anm. 57 in Kap. 2 der Einleitung genannt. Vgl. die unentbehrliche Arbeit von Müller 1869 (für die hier relevante Zeit S. 24-42); weiterhin Sandys 1964, Bd. II, S. 300-332, sowie die kurze kompetente Einführung von Wilamowitz-Moellendorff 1921, S. 23-34. Diese Werke widmen sich ausfuhrlich der philologischen Schule Leidens, deren Niedergang, so Wilamowitz-Moellendorff 1921 (S. 34), in der Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzte, als die Wissenschaft zu bloßem »Epigonentum« erstarrt sei. Vgl. dazu oben S. 146.
425 kannten Mittelpunkt der europäischen Gelehrtenrepublik; zu beiden Zentren bestanden engere persönliche Verbindungen Lingelsheims. Mit Ausnahme Hubert Languets wirkten sämtliche seiner niederländischen Korrespondenten in Leiden als Professoren bzw. hatten die Universität absolviert. Intensive Briefwechsel, wie sie Lingelsheim unter seinen französischen Korrespondenten etwa mit Bongars und Sainte Catherine pflegte, entwickelten sich mit den niederländischen Späthumanisten jedoch nicht.
4.2.
Leiden
4.2.1.
Bonaventura Vulcanius
Einen offensichtlich singulären Brief richtete Lingelsheim am 31. März 1604 an den Leidener Professor für alte Sprachen, Bonaventura Vulcanius (1538— 1614).21 Der gebürtige Brügger hatte nach dem Studium in Löwen, wo er sich auf die Rechte und die Medizin verlegt hatte, lange Jahre in Spanien in Diensten des Bischofs von Burgos gelebt. Nach der Rückkehr in sein Vaterland übernahm er seit 1573 eine Stelle als Hauslehrer, wirkte dann in Genf bei Estienne und in Basel bei Froben als Korrektor und Kommentator, bevor er 1577 auf Vermittlung von Marnix Rektor der Lateinschule in Antwerpen wurde. Ein Jahr später erreichte ihn der Ruf aus Leiden, wo er von da an bis zu seinem Tode in der Lehre stehen sollte. Vulcanius veröffentlichte hauptsächlich philologischkritische Ausgaben antiker, hauptsächlich griechischer Autoren. Er hinterließ außerdem eine beachtliche Sammlung von Handschriften und Briefen, die heute im Besitz der Universitätsbibliothek Leiden ist.22 Dort findet sich auch das Schreiben Lingelsheims, der sich hier für die freundliche Aufnahme, die ihm Vulcanius im vorangehenden Jahr in Leiden gewährt hatte, bedankt und einen jungen Studenten, der an der damals berühmten medizinischen Fakultät der Universität studieren wollte, der Obhut des Professors anempfiehlt. Es handelt sich also um eines jener typischen Empfehlungsschreiben eines arrivierten Gelehrten an einen bedeutenden Gelehrten an einem anderen Ort, um so die Kontakte für junge Studenten, die dorthin auf ihren peregrinationes reisten, einzuleiten.23 Diese Empfehlungsschreiben mußten nicht notwendig Teil einer umfangreicheren Korrespondenz sein, sondern konnten auch singulare Zeugnisse eines Kontakts bleiben, der jederzeit innerhalb der res publica litteraria unter ihren anerkannten Gestalten herzustellen war. Auch Lingelsheims Brief an Vulcanius, der als Autograph in der Universitätsbibliothek Leiden erhalten ist, blieb ein Einzelzeugnis. Andeutungen auf
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Eine Biographie ist ein Desiderat. Sie besäße mit seiner umfangreichen Manuskriptsammlung die beste Ausgangssituation. Vorerst bleibt man auf die Artikel in den bekannten Nachschlagewerken angewiesen, am ausfuhrlichsten hier N N B W X, Sp. 1143ff., BNB V, Sp. 753-759, jeweils mit Hinweisen auf die ältere Literatur. Vgl. dazu den Katalog von Molhuysen. Vgl. auch den Brief Lingelsheims an Meursius vom 29.03.1618 (UBL: MS 0355, Bl. 54').
426 einen weiteren Briefwechsel zwischen ihnen sind Lingelsheims übrigen Korrespondenzen nicht zu entnehmen. Daß keine engere Bekanntschaft bestand, wird auch darin deutlich, daß Lingelsheim ganz offensichtlich glaubte, sich dem Leidener Gelehrten in Erinnerung rufen zu müssen, indem er seiner Unterschrift die Bemerkung nachstellte: »superiori anno legatione Electoris Palatina nomine functus apud Illmu[ml Mauricium.«24
4.2.2.
Joseph Justus Scaliger
Eine der überragenden Gestalten der späthumanistischen res publica litteraria um 1600 war Joseph Justus Scaliger.25 Sein Ruf war so bedeutend, daß seine bloße Anwesenheit zahllose Studenten und Besucher aus den Vereinigten Niederlanden und aus Europa an die Leidener Universität zog. Diese hatte, auf der Suche nach einem adäquaten Nachfolger für Justus Lipsius, Scaliger mit der Aussicht auf eine großzügige Entlohnung und dem Versprechen, keinen Lehrverpflichtungen nachkommen zu müssen, 1593 aus Frankreich nach Leiden gelockt. Obwohl Scaliger also nicht an der Universität lehrte, übte er dennoch maßgeblichen Einfluß auf die philologische Schule Leidens aus, denn um ihn versammelte sich ein größerer Kreis von Schülern, die durch seine Werke und den persönlichen Kontakt mit ihm geformt wurden. Unter diesen Schülern fanden sich berühmte späthumanistische Gelehrte der folgenden Generation wie Hugo Grotius, Daniel Heinsius oder Johannes Meursius. Mit diesen drei Namen sind zugleich die wichtigsten weiteren niederländischen Korrespondenten Lingelsheims benannt. So fuhrt die Korrespondenz Lingelsheims erneut in ein geistiges Zentrum des europäischen Späthumanismus, zugleich aber des europäischen Calvinismus auch Gomarus und Arminius lehrten in Leiden - und dort zu jenem Kreise von Gelehrten, der sich um den berühmten aquila in nubibus scharrte. Joseph Justus Scaliger, 1540 in Agen geboren, besuchte zunächst seit 1551 das Gymnasium in Bordeaux, bevor er die Stadt wegen der dort wütenden Pest drei Jahre später verließ und wieder zu seinem Vater, dem bekannten Verfasser der Poetices libri Septem, zurückkehrte. Diesem stand sein Sohn dann in dessen letzten Lebensjahren als Sekretär zur Seite. Nach dem Tode des Vaters im Jahre 1558 zog der junge Scaliger nach Paris,26 wo er sich hauptsächlich griechischen 24 25
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Lingelsheim an Vulcanius, 31.03.1604 (BRL: Vulc. 106 I, [recto]). Eine umfangreiche, materialreiche Biographie Scaligers mit einem Verzeichnis seiner Schriften stammt von Bemays 1885. Dieses Werk wird teilweise ergänzt, teilweise korrigiert, besonders in der Untersuchung und Einordnung Scaligers als Philologe des Humanismus bzw. Späthumanismus aber vielfach übertroffen von der neuen, zweibändigen Studie von Grafton 1983-93. Heranzuziehen stets auch die entsprechenden Abschnitte bei Jehasse 1976 (zu dieser Arbeit vgl. auch die Bemerkungen in Anm. 13 auf S. 387); zuvor zu Scaliger dementsprechend auch schon Nisard 1852, S. 149-308. Der gemeinsamen Betrachtung von Vater und Sohn widmet sich Jäger 1974, der anhand dieser beiden herausragenden Gestalten einen Transfer des europäischen Humanismus »vom Süden an den Westen Europa, vom 15. in das 17. Jahrhundert« (S. 255) nachvollzieht. Nach Marijke Spies war es v.a. seinem Sohn in dessen Leidener Zeit zu verdanken, daß die Reputation Julius Caesar Scaligers in den Niederlanden systematisch vermehrt wurde (Spies 1999). Unter dem Einfluß seiner Poetik versuchten dementsprechend auch Grotius
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Studien widmete, aber auch das Hebräische erlernte und Grundkenntnisse in einigen orientalischen Sprachen erwarb. In Paris trat er der hugenottischen Gemeinde bei und konnte die für seine nächsten Lebensjahre wichtige finanzielle Förderung der Familie de la Rochepozai gewinnen.27 Sie ermöglichte ihm längere Aufenthalte in Italien (1565 und 1566) und England (1566). Während er in Italien mit dortigen Gelehrten zusammentraf und eigene Forschungen betrieb, empfing Scaliger nach eigenem Bekunden in England keine Impulse und knüpfte auch keine gelehrten Kontakte. Zurückgekehrt nach Frankreich, geriet er in den Sog der Religionskriege, an denen er nach dem Verlust seines väterlichen Erbes sogar auf Seiten der Hugenotten kämpfte. Nach dem Frieden von St. Germain (1570), der den französischen Hugenotten verschiedene Sicherheitsplätze zugestand, wandte sich Scaliger nach Valence, um bei Cujas Jurisprudenz zu studieren,28 floh jedoch, nachdem die Verhältnisse zunehmend unsicherer wurden, kurz vor der Bartholomäusnacht nach Genf. Obwohl er Zeit seines Lebens keinen akademischen Grad erwarb, schien für ihn die akademische Laufbahn vorgezeichnet: Cujas bot ihm in Valence eine Rechtsprofessur an; seit 1572 aber lehrte Scaliger in Genf als Professor der Philosophie. Bereits in jungen Jahren hatte sich Scaliger durch philologische Studien einen hervorragenden Ruf erworben, dem er die Berufung an die Genfer Akademie verdankte. Sobald sich jedoch die Situation in Frankreich beruhigt hatte, kehrte er im Jahre 1574 zurück und lebte seitdem vorwiegend auf den Schlössern seiner Mäzene, der Familie de la Rochepozai. Ihre Unterstützung erlaubte ihm, frei von Verpflichtungen eines Amtes ganz seinen Studien zu leben. Das war das Lebensideal Scaligers, der deshalb auch seine Annahme des Leidener Rufes von der Zusicherung abhängig machte, von den Bürden der Lehre befreit zu bleiben. Im gelehrten Bereich liegen die Leistungen seiner ersten Lebenshälfte auf dem Gebiet der Kritik und Exegese antiker Texte, in späteren Jahren insbesondere auf dem Gebiet der historischen Chronologie, die er aus hebräischen, griechischen, lateinischen, aber auch aus orientalischen Quellen entwickelte und erstmals in seinem Werk De emendatione temporum zusammenfaßte.29 Dieses Werk erschien ein Jahr nach der Einfuhrung des gregorianischen Kalenders, den die Protestanten bekanntlich ablehnten, und setzte Scaliger jesuitischer Kritik aus, die sich mit dem Fortschreiten seiner chronologischen Studien verschärfte
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(Adamus exut) und Heinsius (Auriacus, sive libertas saucia) dem klassischen Trauerspiel in den Niederlanden neue Impulse zu geben (vgl. Bloemdal 1996). Scaligers Förderer war v.a. Henri-Louis Chateigner de la Rocheposai (1577-1651); zu seiner Person vgl. Michaud XXXVIII, S. 330f., Hoefer XXXVI, Sp. 241 f. In Valence lernte Scaliger de Thou kennen, mit dem ihn sein Leben lang eine Freundschaft verbinden sollte; vgl. Grafton 1983-93, Bd. I, S. 123 u.ö. Opvs De Emendatione Temporvm. Castigatius & multis partibus auclius, vt nouum videri possit. Item Vetervm Grtecorvm Fragmenta Selecta, Quibus loci aliquot obscurissimi Chronologice sacrce et Bibliorum illustrantur, cum Notis eiusdem Scaligeri. (Leiden: [o.D.] 1598). Diese Zweiteilung des wissenschaftlichen Werkes Scaligers in jungen und in späteren Jahren arbeitet Grafton 1983-93 in seiner Untersuchung deutlich heraus und teilt auch seine Bände entsprechend auf; so trägt der zweite Band den Untertitel »Historical Chronology«. - Zu Scaligers Bedeutung für die Chronologie vgl. auch Zemanek 1987, S. 61-70.
428 und bald in unflätigen Invektiven auf seine Herkunft und seine Person gipfelten, die Scaliger besonders trafen. 30 In den wenigen mit Lingelsheim gewechselten Briefen stehen dann auch die publizistischen Fehden zwischen Calvinisten und Jesuiten und in diesem Zusammenhang natürlich die gegen Scaliger gerichteten Angriffe im Mittelpunkt. Den Ausgangspunkt ihrer Korrespondenz bildete die Dissertatio de Idolo Hallensi, die Lingelsheim mit seinem ersten Brief am 20. März 1605 nach Leiden geschickt hat. 31 Aus dem gleichen Jahr sind zwei weitere Briefe nachzuweisen. Nach einer offenbar zweijährigen Unterbrechung nahm wiederum Lingelsheim den Kontakt auf, um Scaliger die Ankunft Hippolyt von Collis anzukündigen, der die Pfalz als Beobachter bei den Friedensverhandlungen zwischen den Staaten der Union von Utrecht und Spanien vertreten sollte. 32 Diese Schreiben und die drei weiteren Briefe aus den Jahren 1607 und 1608 drehen sich vorwiegend um die von Kaspar Schoppe gegen Scaliger geführte Polemik. Lingelsheim stand in diesem publizistischen Streit ganz auf Seiten Scaligers. Die sieben Briefe scheinen die komplette Korrespondenz zwischen Lingelsheim und Scaliger darzustellen, Hinweise auf weitere Briefe lassen sich bislang nicht finden. Die drei Briefe Scaligers sind alle in der 1628 von Heinsius veranstalteten Ausgabe seiner Briefe ediert, an deren Entstehung Lingelsheim tatkräftig mitgewirkt hatte. 33 Einzig von seinem ersten Brief an Lingelsheim vom 25. Mai 1605 hat sich eine Abschrift in der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg erhalten, die sich in einer Ende des 18. Jahrhunderts zusammengestellten Sammlung von Abschriften von Briefen und Gedichten vornehmlich aus dem Späthumanismus findet.34 Ob diese Abschrift auf dem Druck oder auf einem inzwischen verschollenen Autographen basiert, ist nicht mehr festzustellen. Von Lingelsheims Briefen haben sich dagegen in allen Fällen die Autographen erhalten, wobei auch hier wieder die heutigen Fundorte weit zerstreut liegen: Sein Brief vom 21. März 1605 befindet sich in der Camerarius-Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek," die Briefe vom 28. Juni 1605 und vom 1. November 1607 liegen in der Bibliothek der Reichsuniversität Utrecht, 36 sein letzter Brief vom 22. April 1608 schließlich ist in einen Band der British Library eingebunden. 37 Dieser Band befand sich ursprünglich im Besitz Petrus Burmanns, der alle 30
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Vgl. Hausmann 1977, der die weiten Kreise, die dieser Streit zog, und seine Boshaftigkeit nachzeichnet. Lingelsheim an Scaliger, 20.03.1605 (BSB: Clm 10361, Nr. 229). - S. dazu oben S. 211 mit den entsprechenden Zitaten. Lingelsheim an Scaliger, 01.11.1607 (BRU: Ms. 987, Bl. 235")SCALIGER 1628. Auch das bestärkt die Vermutung, in diesem Fall einmal einen kompletten Briefwechsel vorzufinden, wenngleich er nur geringen Umfang besaß. BNUS: MS 155, Bl. 39r_v. Diese Handschrift stammt aus dem Besitz eines Georg Neesenmeyer, der sie seinerseits von einem gewissen Hummel, von dem zumindest einige der Abschriften stammen, im Jahre 1788 erhalten hat. Der Besitzer vermerkte dazu (Bl. I1): »Paginarum siglas adscripsit Hum[m]elius, a quo volumen mancum accepi A. 1788.« Über Neesenmeyer konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Clm 10361, Nr. 229. Ms 987, Bl. 233-234 bzw. Bl. 235-236. Add. Ms. 5158, Bl. 23-24.
429 Briefe daraus in seine Sylloge
Epistolarum
a u f g e n o m m e n hat, in der übrigens
auch die heute in Utrecht befindlichen Briefe Lingelsheims erschienen sind. 3 8 Der Einsatzpunkt der Korrespondenz lag also knapp z w e i Jahre nach ihrer persönlichen B e g e g n u n g in Leiden. 3 ' Lingelsheim begleitete indes das gelehrte Wirken Scaligers stets mit großer Aufmerksamkeit, w i e nicht nur seine mit d e m Leidener Gelehrten g e w e c h s e l t e n Briefe belegen, 4 0 sondern auch der auf Ling e l s h e i m s Anregung für ihn v o m Altdorfer Mathematiker Johannes Praetorius verfaßte umfangreiche handschriftliche Kommentar beweist. Praetorius k o m mentierte hier A n f a n g 1607 für Lingelsheim Scaligers Cyclometrica
elementa
duo, die gleich nach seiner Übersiedlung nach Leiden erschienen waren, eine geometrische Schrift, 4 1 die Scaliger d e m Spott der Mathematiker aussetzte und später seinen jesuitischen Gegnern einen w i l l k o m m e n e n Angriffspunkt bot. 4 2
4.2.3.
Daniel Heinsius
Scaligers vertrautester Schüler war Daniel Heinsius (Heins). 4 3 Der 1580 in Gent geborene Heinsius traf gleich zu A n f a n g seiner 1598 an der Universität Leiden a u f g e n o m m e n e n Studien auf Joseph Justus Scaliger, der sein großer Förderer wurde. 4 4 Bereits 1602 hielt Heinsius, der inzwischen mehrere A u s g a b e n klassi-
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Dieser Band, der Briefe nahezu aller namhaften zeitgenössischen europäischen Späthumanisten vereint, ist - wie dem Rückenschild des Folianten zu entnehmen - im Jahre 1787 in den Besitz der British Library übergegangen. Er hat eine äußerst interessante Geschichte, die sich aus dem Brief, mit dem ein Thomas Philipps diese Sammlung dem British Museum überreichte, und aus einer Notiz auf einem vor Bl. 1 eingelegten Blatt erschließt. Dort heißt es über die Briefe des Bandes: »Omnes impressae in Tom. I et II. Sylloges Epistolarum a W . Jllustribus scriptorum, ä Petr. Burmanno editae, 5 Tom. Leiden 1727.« Zahlreiche Briefe tragen Bemerkungen von einer Hand, die in einem alten Katalog des British Museum als die Burmanns identifiziert ist. So scheint dieser Band also einst im Besitz des niederländischen Philologen gewesen zu sein. Von dort muß er seinen Weg in die Bibliothek von Gronovius gefunden haben, bei deren Versteigerung Philipps 1785 den Band erwarb. Lingelsheim übergab bei seinem Besuch den Sohn des Richius, den er in seinem eigenen Hause beherbergt und unterrichtet hatte (s. oben S. 234, Anm. 298), in die Obhut Paul Merulas und Scaligers: »Richij filius pridie aduenerat, com[m]endaui ipsum Scaligero et Rectori Merulae«, berichtet er Loefen am 07.05.1603 (SUH, Sup. ep. 14, Bl. 2561). Vgl. beispielsweise den Brief Lingelsheims an Scaliger vom 28.06.1605, als er sich dem »utilissimo operi [...] Eusebiano« zuwendet, also dem Thesaurus temporum, Eusebii Pamphili, Caesareae Palaestinae episcopi Chronicorum Canonum omnimodae hisloriae libri duo, [...] Item auctores omnes derelicta ab Eusebio, & Hieronymo continuantes. Ejusdem Eusebii utriusque partis Chronicorum Canonum reliquiae Graeca, quae colligi potuerunt, antehac non editae. Opera et studio Josephi Justi Scaligeri, Julii Caesaris a Bürden fllii. Ejusdem Josephi Scaligeri notae et castigationes in Latinam Hieronymi interpretationem, & Graeca Eusebii. Ejusdem Josephi Scaligeri Isagogicorum chronologiae libri tres, ad Eusebii chronica, & doctrinam de temporibus admodum necessarii. (Leiden: Basson 1606), in dem Scaliger seine Forschungen zur antiken Chronologie überarbeitet und ergänzt veröffentlichte (BRU: Ms. 987, Bl. 233"). Leiden: Plantin 1594. Zu Praetorius' Kommentar vgl. oben S. 346. Zur Reaktion der Gelehrten auf Scaligers Schrift vgl. Grafton 1983-93, Bd. II, S. 379-386. Biographien stammen von Becker-Cantarino 1978 und ter Horst 1934. Die Wirkung Scaligers besonders auf seine Schüler Grotius und Heinsius arbeitet Bruehl 1960-61 heraus. Auch Scaliger hatte in dem Streit zwischen Arminius und Gomarus der
430 scher Autoren veröffentlicht hatte, seine erste öffentliche Vorlesung. Vor ihm lag eine glänzende gelehrte Laufbahn, auch wenn er niemals einen akademischen Grad erwarb. 1603 berief ihn die Leidener Universität zum außerordentlichen Professor für Poetik, 1605 erhielt er dann eine ebenfalls außerordentliche, aber besser dotierte Griechisch-Professur und seit 1612 hatte er schließlich den Lehrstuhl für Politik und Geschichte inne, den er bis 1647 vertrat. Außerdem stand Heinsius seit 1607 der Universitätsbibliothek vor und wirkte von 1610 bis 1654, wenige Monate vor seinem Anfang 1655 erfolgten Tod, als Sekretär des Senats. Zusätzlich bekleidete er seit 1618 für einige Jahre das Amt eines schwedischen Historiographen.45 1627 erhielt er sogar eine Einladung nach Schweden, wohin Heinsius durch seinen Schwager Jan Rutgers, den Residenten Gustav Adolfs II. in Den Haag, gute Beziehungen unterhielt.46 Er lehnte diese aber ab, nachdem er zum Historiographen von Holland und West-Friesland ernannt worden war. Sehr viel wichtiger als der Kontakt nach Schweden war für Heinsius aber seine Verbindung zu Moritz von Oranien. In dem Konflikt zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten stand Heinsius als ein »cultured and enlightened but consistently orthodox member of the Reformed Church«47 anders als die übrigen niederländischen Korrespondenten Lingelsheims auf der Seite der Gomaristen. Er nahm als Sekretär der Laiendeputierten an der Dordrechter Synode teil, deren Beschlüsse er für eine Publikation redigierte. Heinsius war also durchaus aktiv in die konfessionspolitischen Geschehnisse in den Niederlanden involviert. Als Gelehrter erlangte er vor allem durch die Exegese und Kritik griechischer Autoren Verdienste, wobei er sich methodisch ganz seinem Lehrer verpflichtet zeigte.48 Seit den zwanziger Jahren des Jahrhunderts wandte er sich allerdings vermehrt theologischen Fragestellungen zu. Dies zeigt sich auch in seiner Dichtung. Heinsius trat vor allem als neulateinischer Poet hervor. Seine niederländische Dichtung nahm daneben nur einen geringen Raum ein. Gerade durch sie, weitgehend versammelt in den von Petrus Scriverius49 veröffentlichten Nederduytschen Poemata,50 übte Heinsius aber große Wirkung auf die Re-
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Lehre des ersteren zugeneigt, vgl. ebd., S. 47-54. Zu Scaligers Einfluß auf Heinsius auch der Aufsatz von Becker-Cantarino 1989, bes. S. 602f. Vgl. Schubert 1955, S.312f. Seine Aristoteles-Ausgabe von 1621 (s. unten Anm. 53) widmete Heinsius dem schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna; bei der bewußten Wahl der Widmungsempfänger durch die Späthumanisten ein untrügliches Zeichen dafür, daß sich Heinsius hier zumindest eine Opition fur eine spätere Tätigkeit offenhalten wollte. Sellin 1968, S. 21. Heinsius' Bedeutung für die Altertumswissenschaft betont Meter 1984, S. 27: »He was firmly convinced that culture lived or died with a knowledge of Greek letters. [...] With his virtually absolute veneration of the Greek and, to a lesser extent, latin sources of civilisation, he opposed the increasingly greater tendency during the later half of the sixteenth century and throughout the seventeenth to make the various disciplines independend from the authority of classical writers and to base them exclusively on experimental and rational principles.« 1576-1660. Philologe und Dichter, mit Meursius und Heinsius befreundet. Vgl. u.a. Van der Aa VI, S. 182-185, ADB XXXIII, S. 492 (Hoche). Heinsius' Nederduytsche Poemata sind neu herausgegeben und mit einer ausfuhrlichen Einleitung versehen von Becker-Cantarino. Zum nationalsprachlichen Literaturprogramm Heinsius' vgl. dies. 1989.
431 form der neuen deutschen Kunstdichtung aus. Denn hier stellte ein anerkannter späthumanistischer poeta doctus seine nationalsprachliche Dichtung gleichberechtigt neben seine neulateinische Poesie und legitimierte sie dadurch in hohem Maße. Die Nederduytschen Poemata sind das prägnanteste Beispiel für »die initiierende Wirkung der niederländischen Literatur«51 auf die deutsche, Martin Opitz erhielt durch dieses Werk entscheidende Anstöße. Ein brieflicher Kontakt mit Lingelsheim läßt sich anhand der heute bekannten Brieffunde allerdings erst für die Jahre 1624 und 1626 mit zwei einzelnen Briefe Heinsius' belegen, also mehr als zwanzig Jahre nach ihrer persönlichen Begegnung in Leiden, die durch Heinsius' Lobrede auf den Heidelberger geprägt war. Diesen Briefen ist jedoch zu entnehmen, daß gleichzeitig auch Lingelsheims an Heinsius geschrieben haben muß. Die Briefe finden sich, wie immer sogleich in jeweils mehreren Abschriften, in den Handschriftensammlungen der Königlichen Bibliothek Kopenhagen, die heute die weitaus ergiebigste Quelle für Lingelsheims Korrespondenzen mit den jüngeren, von Scaliger beeinflußten niederländischen Späthumanisten sind. Ein engerer Kontakt mit Heinsius scheint aber nicht bestanden zu haben, denn Lingelsheim mußte immer wieder von Meursius Nachrichten über ihn erfragen. Möglicherweise liegt dieser fehlende Kontakt in der Haltung des Niederländers im Streit zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten begründet, in dem Lingelsheim zu Grotius hielt. Wie sehr er Heinsius jedoch als Philologen schätzte, wird an der folgenden Stelle aus einem Brief an dessen Leidener Kollegen Meursius deutlich: Sed quid Heinsius noster? jam dudum nihil ejus monumentorum vidimus. Spes nobis facta fuerat insignis operis Politici, quo Aristoteles observationes ad nostrum saeculum accommodabat. jubetne nos porrö sperare, an aliud aliqvid adgreditur. scio non torpere ingenium tarn vegetum. 52
Lingelsheims Frage zielt auf Heinsius' Vorhaben einer Edition der Politik des Aristoteles, auf die sich der Leidener seit etwa 1613 in seiner Lehre konzentrierte, die er aber erst 1621 mit ausführlichen Kommentaren, auf die Lingelsheim so gewartet hatte, vorlegte.53
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Ingen 1981, S. 11. Lingelsheim an Meursius, 05.07.1617 (zitiert nach: KBK: Gl. kgl. S. 4°3072, Bl. 305v). Aristotelis Politicorvm libri VIII. Cum perpetua Danielis Heinsii in omnes libros Paraphrasi. Accedit accuratus rerum Index. (Leiden: Elzevier 1621). Zur Widmung siehe oben Anm. 46. - Daß er sich in seiner Lehre auf Aristotelis konzentrierte, bemerkt Meter 1984, S. 30.
432 4.2.4.
Hugo Grotius
Während Heinsius es mit den Kontraremonstranten und ihrem politischen Führer Moritz von Oranien hielt, stand Hugo Grotius als eine der zentralen Figuren auf der Seite Oldenbarnevelts und der Remonstranten. 54 Die Konfessionskonflikte, welche die niederländischen Protestanten spalteten, erschütterten auch den Schülerkreis Scaligers. Seine beiden begabtesten Schüler, die über den Bereich der eigentlichen Philologie hinaus in der Historiographie, der Jurisprudenz und der Theologie von ihrem Lehrer am meisten profitiert hatten und damit über eine gemeinsame gelehrte >Grundausstattung< verfugten, waren in den Sog der Konfessionspolitik geraten. In ihrer Jugend sich durchaus freundschaftlich zugetan, wurden sie in den niederländischen Auseinandersetzungen zu Gegnern. 55 Hugo Grotius absolvierte zunächst eine glanzvolle öffentliche Karriere. 56 1583 als Sohn einer calvinistischen Patrizierfamilie in Delft geboren, ließ sich der wegen seiner außergewöhnlichen Begabungen von den Zeitgenossen oft als Wunderkind gelobte Hugo de Groot nach einem Studium der Jurisprudenz bereits 1599 in Den Haag als Anwalt nieder. Schon im Jahr zuvor hatte er 01denbarnevelt auf einer Gesandtschaft zu Heinrich IV. von Frankreich begleiten dürfen und war während dieser Reise in Orléans zum Doktor beider Rechte promoviert worden. 1613 erwarb er das Amt eines Ratspensionärs des Rotterdamer Magistrats und damit verbunden die Mitgliedschaft in den Generalstaaten. Diese Stellung entschied über sein weiteres Schicksal, denn er spielte in dieser Funktion eine einflußreiche Rolle an der Seite Oldenbarnevelts in dem zwischen den Remonstranten und Kontraremonstranten schwelenden und sich immer weiter zuspitzenden Konflikt, in den er mit verschiedenen Schriften eingriff. Den Anfang machte sein noch 1613 in Leiden erschienenes Traktat Ordinum Hollandiae ac Westfrisiae Pietas, das vehement gegen das Prädikantentum der Gomaristen und bereits für ein ius circa sacra der Staaten eintrat. Grotius löste damit in den Vereinigten Niederlanden heftige Reaktionen aus und zog sich die endgültige Feindschaft der kontraremonstrantischen Partei zu. 57 Zu-
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Grotius' Rolle in diesem Streit wird deutlich durch die Quellensammlung von Fruin: Verhooren, die die Protokolle der Verhöre, einige Briefe Grotius', eine nach der »Verantwortung« entstandene weitere Rechtfertigung von seiner Hand sowie die wichtigsten Akten zusammenstellt. Z u m Einfluß Scaligers auf Grotius sowie zu dessen Verhältnis zu Heinsius und dem Kreis um Scaliger vgl. van D a m 1996; s. auch oben Anm. 44. H u g o Grotius gehört zu den am besten von den verschiedenen Disziplinen, insbesondere von der Theologie, der Jurisprudenz und der Literaturwissenschaft erforschten Persönlichkeiten des europäischen Späthumanismus. Für die folgende Darstellung wurden an Biographien herangezogen: Gellinek 1983, Nellen 1983, der fiir seine Arbeit die Korrespondenz von Grotius auswertet, daneben, dieses Mal den »gelehrten Staatsmann« Grotius in den Mittelpunkt stellend, Nellen 1985; vgl. dazu auch den biographischen Abriß von H o f m a n n 1995. Die wichtigsten Facetten seiner Biographie und insbes. seines Werkes und Wirkens werden ausgeleuchtet in dem Band Grotius Committee 1984. Grotius' völkerrechtliche Schriften stehen im Mittelpunkt der Aufsätze von Wehberg 1956, Z e m a n e k 1974 und jüngst im Beitrag von Janssen 1998. Grotius' Traktat i s t - m i t einer ausfuhrlichen Einleitung und einem umfangreichen Quellenanhang versehen — in einer jüngst erschienenen Edition mit englischer Übersetzung
433 sammen mit Oldenbamevelt wurde er noch im Verlauf der Dordrechter Synode verhaftet. Zwar blieb er von der Todesstrafe verschont, unter dem Einfluß Moritz von Oraniens verurteilte man ihn jedoch 1618 zu lebenslanger Festungshaft. 1621 gelang ihm eine abenteuerliche Flucht. Er wandte sich nach Paris. Dort fand Grotius Aufnahme in dem Kreis um die Brüder Dupuy. Bis 1631 lebte er in der Hauptstadt des europäischen Späthumanismus in engem Kontakt mit den dortigen Gelehrten, aber ohne Amt und von einer unregelmäßig gezahlten Pension des französischen Königs abhängig. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Niederlande gab er niemals auf. 1631/32 wagte er einen Versuch, mußte aber feststellen, daß sich an der Feindschaft der Generalstaaten gegen ihn nichts verändert hatte. Dies nötigte ihn abermals zur Flucht, die ihn dieses Mal nach Hamburg führte. Dort knüpfte er Kontakte zur schwedischen Krone, als deren Gesandter er 1635 noch einmal nach Paris zurückkehrte. Die folgenden zehn Jahre vertrat e r - v o n Mißerfolgen und mißgünstigem Verhalten gegen seine Person stetig begleitet - die schwedischen Interessen in Frankreich, bevor er resigniert demissionierte und nach Schweden reiste. Seine Hoffnung auf ein neues Amt erfüllte sich jedoch nicht, so daß er unverrichteter Dinge seine Rückreise nach Deutschland antrat, unterwegs aber Schiffbruch erlitt. An den Folgen dieses Unglücks starb er kurz darauf 1645 in Rostock. Grotius trat zunächst mit Arbeiten auf dem Gebiet der Philologie und mit neulateinischen Gedichten an die gelehrte Öffentlichkeit.58 Historische Bedeutung erlangte er aber durch seine völkerrechtlichen Schriften, die ihm in der Forschung den Ehrennamen >Vater des Völkerrechts< einbrachten und in der Rechtswissenschaft über Jahrhunderte rezipiert wurden. Daneben und auch damit verbunden beschäftigte er sich intensiv mit theologischen bzw. konfessionellen Fragen. Sein Anliegen war es, pax und concordia, zunächst noch unter
58
leicht zugänglich (Grotius: Ordinum Hollandiae ac Westfrisiae Pietas). Die Kommentare und Anlagen des Herausgebers beleuchten Grotius' Stellung in dem Streit zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten ausgiebig und sind zentral für eine Bewertung seiner Position in diesem Konflikt. Zu Grotius' neulateinischer Dichtung vgl. die Studien von Kluge 1940 und Eyffinger 1981; ein konzentrierter Überblick über Grotius' gesamtes poetisches Werk bei Eyffinger 1984. Langelsheim gehörte auch hier zu den Freunden Grotius', die er um Beurteilung seiner Dichtung bat und von denen er überaus günstige Rückmeldungen erhielt: So hielt der Niederländer Lingelsheim über den Druckprozeß seiner Poemata Collecta auf dem Laufenden und schickte die Gedichte bereits mit seinem Brief vom 24.09.1616 (GROTIUS 1928flf., Bd. I, S. 530) nach Heidelberg; Lingelsheim beurteilt sie in seinem Brief vom 21.12.1616 (ebd., S. 541 f.) überaus günstig; vgl. dazu Eyffinger 1981, S. 215-225 und 155ff. - Grotius trat auch als Dichter niederländischer Verse in Erscheinung, die größtenteils in der Zeit seiner Gefangenschaft entstanden; sie bilden im Vergleich zu seinen neulateinischen Gedichten nur einen kleinen - und eher unbedeutenden - Teil seines lyrischen Werkes. Eine Untersuchung v.a. der neulateinischen Dichtung Grotius' und schwerpunktmäßig der von seinem Bruder 1617 in Leiden publizierten Poemata Collecta bringt die Dissertation von Eyffinger 1981. - Daß neben Heinsius auch Hugo Grotius Einfluß auf die Dichtung - speziell auf die neulateinische - Opitzens ausgeübt habe, betont Gellinek 1980 und 1990. Vgl. jetzt auch Kühlmann 2002 und Ingen 2002: Opitz hat aus Grotius' Werk und seiner Bekanntschaft mit dem Niederländer ebenso Anregungen und Impulse für seine eigene irenische Haltung in konfessionspolitischen Fragen erhalten.
434 den niederländischen Calvinisten, dann nach seiner Flucht in der gesamten Christenheit zu befördern. Schon im niederländischen Konflikt zwischen Arminianern und Gomaristen hatte sich Grotius für die Sicherung des kirchlichen Friedens und für die Schaffung einer gesamtprotestantischen Union engagiert, war aber weitgehend ein Vertreter der Konfessionspolitik der Staaten geblieben. Im Kontakt mit den gemäßigten französischen Katholiken in Paris, den politiques im Umkreise der Dupuys, entwickelte Grotius dann seine irenischen Positionen weiter. In seinen Schriften, die in den letzten Lebensjahren nur noch diesem Problem gewidmet waren, entwickelte er den Gedanken einer Einheit der Universalkirche, vom pax Dei, der nach dem Wort Gottes allen Christen, und somit auch den Katholiken, gegeben sein sollte. Grotius ging sogar so weit, daß er in seinem Traktat De Antichristo die von den Reformierten unantastbar aufrechterhaltene Gleichsetzung von Papst und Antichrist negierte.59 Für diese Gedanken aber waren um 1640 weder die Fürsten und ihre Räte noch die Gelehrten und am wenigsten die Theologen zu gewinnen, von denen sich die meisten anders als Grotius nach wie vor nicht von den Schlacken unversöhnlichen konfessionspolitischen Denkens befreit hatten. Grotius war ein irenischer Vordenker, der die erasmische Irenik aus den Erfahrungen des konfessionellen Zeitalters heraus konsequent weiterentwickelte. Lingelsheim hatte ihn ebenfalls während seiner Gesandtschaft nach Holland im Frühjahr 1603 kennengelernt, wahrscheinlich direkt im Haag, wo Grotius damals als Anwalt praktizierte und Lingelsheim die Verhandlungen mit Moritz von Oranien führte.60 Ein erster Brief von Grotius an Lingelsheim datiert vom 25. Januar 1604, das letzte bekannte Schreiben dieser Korrespondenz vom 25. September 1631 stammt ebenfalls von ihm. Insgesamt sind heute 52 Briefe, darunter 36 von Grotius, aus diesen achtundzwanzig Jahren nachzuweisen. Es ist sicher, daß ihre Korrespondenz nur unvollständig überliefert ist. Lingelsheim und Grotius gehen mehrfach in ihren Schreiben auf Briefe ein, die verloren sind.61 Autographen sind lediglich von zehn Briefen Lingelsheims überliefert, von denen sich jeweils drei in den Universitätsbibliotheken von Leiden und Amsterdam,62 und jeweils einer in der Bibliothek der Remonstranten in Rotterdam, der Königlichen Bibliothek Den Haag, der British Library in London63 und 59
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Zu diesem Werk und Grotius' Irenik vgl. die Ausführungen oben S. 154 und die dort Anm. 326 genannte Literatur. Den Beginn seiner Freundschaft mit Grotius schildert Lingelsheim am 20./30.11.1618 in seinem Brief an Pierre Dupuy (BNP: Col. Dupuy 712, Bl. 71"): »La misere de mons. Grotius me touche fort en coeur, car ie l'amie enfrere, ayant fait amitié estraite auec luy l'an 1603 lors feu S.A. mon ministre m'auoit enuoyè vers mess, les Estats.« So ging beispielsweise Lingelsheims Brief vom 17.07.1621 ein Schreiben von Grotius voraus, und im Juli 1623 hatte Lingelsheim an Grotius einen Brief geschrieben, den dieser erst im Dezember erhielt und am 18.12.1623 (GROTIUS 1928ff., Bd. II, S. 322f.) beantwortete. Zu weiteren fehlenden Briefen vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 731 u. 734. Die Briefe vom 09.10.1614, 17.07.1621 und 17.04.1629 hier mit den Signaturen R 31, a bis c (die Blätter dieses Bestandes werden mit Buchstaben gezählt). Dieser Brief vom 08.11.1617 (BLL: Harleian 4936, Nr. 63) ist das Autograph des bei GROTIUS 1928ff., Bd. I, S. 589, zunächst unvollständig abgedruckten und vom Herausgeber auf Ende September datierten Schreibens. Das Londoner Autograph war damals offen-
435 der Bodleian Library in Oxford befinden. Grotius' Briefe liegen ausschließlich in späteren Abschriften vor, größtenteils finden sie sich in den Kopenhagener Handschriftensammlungen. Dieser Briefwechsel ist leicht zugänglich in der jüngst mit dem 17. Band abgeschlossenen Edition der Grotius-Korrespondenz.64 Zu diesen Abschriften kommen noch zwei weitere des Briefes vom 22. August 1630 in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha hinzu.65 Die meisten Briefe dieser Korrespondenz - wie übrigens auch seiner Briefwechsel mit Scaliger und Heinsius - nahm Reifferscheid in seine Sammlung auf. Aber bereits im 17. und 18. Jahrhundert wurden einzelne Briefe in verschiedenen Editionen gedruckt: Acht Briefe Lingelsheims und einen Brief von Grotius nahm Christian Hartsoeker in seinen Praestantium ac eruditorum virorum epistolae ecclesiasticae et theologicae66 auf, zwei Briefe Lingelsheims veröffentlichte Jan Willem van Meel in seinen Insignium virorum epistolae selectae,61 einen Brief von Lingelsheim enthält die Londoner Thuanus-Ausgabe,68 während ein Brief von Grotius, übrigens der gleiche, den auch Hartsoeker drei Jahre zuvor edierte, in die 1687 veranstaltete erste Ausgabe der Grotius-Briefe Aufnahme fand.69 Der Schwerpunkt dieses Briefwechsels lag in den Jahren zwischen 1613 und 1618, fiel also in die Zeit von Grotius' Tätigkeit als Rotterdamer Ratspensionär. Konfessionspolitische Themen dominieren,70 was angesichts der wichtigen politischen Ämter beider und vor dem Hintergrund der sich zunehmend dramatisierenden Ereignisse in den Vereinigten Niederlanden nicht überrascht. Es wird deutlich, in welchem Maße Grotius in die konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen involviert war und inwieweit er sich selber um Lösungen bemühte. Beispielsweise erbat er von Lingelsheim im Rahmen seiner Arbeit an der Schrift De imperio die Zusendung der Pfalzischen Kirchenordnung, um dort zu erfahren, »qua potestate ac mandatis utatur ecclesiasticus senatus, a quibus et ex quibus constituatur.«71 Dahinter stand wiederum der für Grotius ganz zentrale Gedanke des ius circa sacra, das auch die Remonstranten eingefordert hatten und das er als entschiedener Erastianer vertrat.72 Lingelsheim sandte ihm umgehend ein Exemplar zu und bot an, daß Abraham Scultetus und er jederzeit für sichtlich nicht bekannt; nunmehr ist der Brief im Supplement-Band nach diesem vollständig ediert (GROTIUS 1928ff., Bd. XVII, S. 156ff.) 64
GROTIUS I928ff.
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Chart. 473, Bl. 121' bzw. B1.129'. Die Lingelsheim-Briefe und den Brief von Grotius nahmen erst die zweite (Amsterdam 1684) und dritte Auflage (Amsterdam 1704) auf (für meine Arbeit wird die zweite Auflage herangezogen). In der ersten, 1660 in Amsterdam erschienenen Auflage dieser Sammlung von Briefen remonstrantischer Verfasser und zur Geschichte der Remonstranten fehlen sie noch.
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MEEL 1 7 0 1 .
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THUANUS 1 7 3 3 .
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Es handelt sich um Grotius' Brief vom 22.08.1630, der am häufigsten - in vier Abschriften (jeweils zwei in der KBK und in der FLG) und in vier Drucken (neben den beiden genannten Werken noch bei REIFFERSCHEID 1889 und GROTIUS 1928ff., Bd. IV) - überliefert ist. Vgl. oben S. 147f. mit Anm. 293. Grotius an Lingelsheim, 21.06.1613 (zitiert nach: GROTIUS 1928ff., Bd. I, S. 247). Grotius' Denken über Kirche und Staat, das sich in seinen Leidener Jahren ausprägte, analysiert Rabbie 1996.
70 71 72
436 weitere Fragen zur Verfugung ständen. 73 Ein führender Politiker der Kurpfalz unterbreitete also einem fuhrenden Politiker der Vereinigten Niederlande ein inoffizielles Hilfsangebot, die öffentliche Tätigkeit zweier Späthumanisten wirkte in diesem konkreten Beispiel, das aus anderen Briefen dieser Jahre zu ergänzen wäre, massiv in ihre private Korrespondenz hinein. Regelmäßig ließ Grotius seinem Heidelberger Freund auch seine Schriften, mit denen er mehrfach im Verlaufe des Konflikts in den Vereinigten Niederlanden hervortrat, zukommen. Stets konnte er sich - auch für sein Traktat Ordinum Hollandiae ac Westfrisiae Pietas - des Lobes Lingelsheims sicher sein, 74 der zu den Arminianern neigte und bis zuletzt auf einen friedlichen Ausgang des Streits in der niederländischen Kirche hoffte. Um so mehr erschütterte ihn die Festnahme von Grotius, die den offenen Bruch in den Niederlanden deutlich machte: »Vehementissime adficior gravissimo casu Grotii nostri. spe tarnen sustentor, fore ut eius et magni patroni tui Barnefeldii innotesco innocentia«, 75 reagiert er auf die Nachricht in einem Brief an Meursius am 12. September 1618. Nachdem Grotius in Paris Unterschlupf gefunden hatte, vermittelte maßgeblich Estienne de Sainte Catherine eine Wiederbelebung der während der Haftzeit abgebrochenen Korrespondenz, 76 die jedoch nie wieder die Intensität der Jahre davor erreichte. Lingelsheim blieb stets ein offener Bewunderer der Werke Grotius' und erhielt von diesem nach wie vor jede neue Veröffentlichung zugeschickt. Grotius seinerseits wußte mit Lingelsheim einen Fürsprecher seiner Schriften auf seiner Seite und bat jenen in den zwanziger Jahren mehrfach um Hilfe, einen deutschen Verleger für verschiedene Werke aus seiner und anderer Feder zu finden.77 Nachdem sich die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Briefen allmählich vergrößerten - auf die Zusendung von Grotius' Epicedium auf Gruter reagierte Lingelsheim erst nach fast einem Jahr 78 - fand die Korrespondenz ein überraschend abruptes Ende. Nach Grotius' Schreiben vom 25. September 1631, auf das übrigens nicht Lingelsheim, sondern Bernegger antwortete, sind keine weiteren Briefe mehr überliefert. 79
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79
Lingelsheim an Grotius, 24.07.1613 (GROTIUS 1928ff., Bd. I, S. 253). Vgl. Lingelsheim an Grotius, 13.12.1613 (KBK: Böll. Brevs. U. Fol., Nr. 41, S. 11). Lingelsheim an Meursius, 12.09.1618 (UBL: MS 0355, Bl. 55 1 ). Vgl. Lingelsheim an Grotius, 17.07.1621 (GROTIUS 1928ff., Bd. II, S. 106). Dazu oben S. 230 mit den Beispielen in den Anmerkungen. Grotius sandte Lingelsheim das Epicedium mit seinem Brief v o m 13.05.1628 (GROTIUS 1928ff., Bd. III, S. 300f.), Lingelsheim antwortete am 17.04.1629 (ebd., Bd. IV, S. 40). Grotius' letzter Brief ist zwar an Lingelsheim adressiert, richtet sich jedoch an diesen und Bemegger. - Eine Abkühlung des Verhältnisses zu Lingelsheim scheint auf jeden Fall von Seiten Grotius' nicht festzustellen, noch am 12.11.1631 charakterisiert er Lingelsheim in einem Brief an seinen Schwager van Reigersbach als »mijne beste vrundt« (ebd., S. 452f.).
437 4.2.5.
Johannes Meursius
Anders als Grotius und Heinsius zählte Johannes Meursius80 nicht zu den engsten Schülern Scaligers und absolvierte keine so gradlinige Karriere in den Niederlanden.81 Wie die beiden Genannten bewies jedoch auch der 1579 in der Nähe von Den Haag geborene Meursius große Begabung für die lateinische und griechische Sprache, denen er auch seine Studien in Leiden widmete. 82 Nach deren Abschluß nahm ihn Oldenbarnevelt als praeceptor seiner Kinder auf, die er später auf ihrer peregrinatio académica begleitete, die unter anderem auch nach Orléans führte, wo Meursius 1608 zum Doktor beider Rechte promoviert wurde. 1610 erhielt er einen Ruf nach Leiden, um dort Geschichte und Griechisch zu lehren,83 ein Jahr später wurde er zudem Historiograph der Staaten von Holland. In dieser Funktion verfaßte er 1612 eine Geschichte des niederländischen Freiheitskampfes, die als Auftragsarbeit einseitig im Sinne der Staaten ausfiel und deren Zustandekommen und Zielsetzung Parallelitäten zu den
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Eine Biographie fehlt. Die einzige mir bekannte Würdigung seiner Leistungen als klassischer Philologe stammt von Heesakkers 1994. So bleibt nur auf die zahlreichen Artikel in den universalen, den deutschen, niederländischen und dänischen Sammel-Biographien hinzuweisen, aus denen sich ein weitgehend vollständiges Bild von Meursius zusammensetzen läßt: Jöcher III, Sp. 492f„ u. VIII, Sp. 1592-1598 (Verzeichnis der Schriften), Michaud XXVIII, S. 487^»90, Van der Aa V, S. 231 ff. (mit dem üblichen ausführlichen Werkverzeichnis), Hoefer XXXV, Sp. 253-256, A D B XXI, S. 538 (Eyssenhardt), N N B W VII, S. 872f., DBL XV, S. 4 9 7 - 5 0 0 (die 3. Aufl. dieser Nationalbibiographie enthält Bd. IX, S. 526ff., lediglich eine kaum bearbeitete Fassung des Artikels). Wilamowitz-Moellendorff 1921, S. 34, sieht gerade in Meursius bereits einen Repräsentanten einer Philologie, die zu einem reinen Kompilieren antiker Quellen, zu einem Pedantismus als lebensfremde Buchgelehrsamkeit denaturiere. Müller 1869, S. 39f., lobt zwar seinen Eifer und den Wert seiner Editionen als »beinah unerschöpfliche, offen und heimlich ausgebeutete, Fundgrube antiquarischer und litterarhistorischer Sammlungen vornehmlich für das griechische Altertum« (S. 39), attestiert Meursius aber einen Mangel an Ordnung des Stoffes wie an philologischer Urteilskraft. Daß seine philologischen Arbeiten gegenüber den der übrigen Schüler aus dem Scaliger-Kreis und erst recht Scaligers selbst abfallen, scheint, ohne daß es in dieser Arbeit thematisiert werden kann, auch aus den weitgehend übereinstimmenden Urteilen in der Literatur eindeutig herzuleiten. So sieht Wilamowitz-Moellendorff 1921 Grotius als den einzigen, der Scaliger von seiner Begabung her ebenbürtig gewesen sei (S. 31; wohingegen, so S. 30, Heinsius als Philologe lediglich »Durchschnitt« geboten habe). Ähnlich auch Sandys 1964, Bd. II, S. 317, der, sieht man von Grotius' theologischen, rechtlichen, historischen Schriften ab, alleine schon in seinem philologischen Werk Grund genug dafür gegeben sieht, seinen Namen zu würdigen; auch hier fallt das Urteil über Heinsius dagegen ab, dessen hohe Wertschätzung durch die Zeitgenossen (S. 314) jedoch ausdrücklich hervorgehoben wird (wobei sich Sandys an dieser Stelle wie immer mit eigenen Werturteilen, wie sie Bursian und WilamowitzMoellendorf so gerne in ihre Charakterisierungen der Gelehrten einflechten, wohltuend zurückhält). Aus den wenigen Bemerkungen zu Meursius (S. 311) wird aber durchaus deutlich, daß dessen philologische Leistung im Vergleich mit denjenigen eines Grotius und auch Heinsius in der Geschichte der gelehrten Studien weniger Bedeutung zuzumessen ist. Auch Meursius veröffentlichte in jungen Jahren einen Band neulateinischer Gedichte: Meurius: Poemata (1602). Zu diesem Band steuerten u.a. Bonaventura Vulcanius, Janus Gruter und Hugo Grotius lateinische Widmungsgedichte bei. Daß Meursius zunächst nur über Byzantinische Geschichte lesen sollte und erst 1613 zum Professor für Griechisch berufen wurde, stellt der Artikel im DBL XV, S. 498, heraus. Sämtliche anderen Artikel berichten jedoch, daß beide Berufungen gleichzeitig erfolgten.
438 Plänen Pierre Dupuys als historiographe de France aufweisen.84 Hier wie dort besaß die Obrigkeit ein vitales Interesse an einer legitimierenden Geschichtsschreibung. Sehr viel ausgewogener in seiner Darstellung zeigte sich Meursius in seiner zwei Jahre später veröffentlichten Geschichte der Statthalterschaft des Herzogs von Alba (1567-1573), der er eine überarbeitete und sich nun ganz um Vermeidung von Parteilichkeit bemühende Version seiner Res Belgicarum beifugte.85 Lingelsheim nahm dieses Werk mit großer Zustimmung auf*6 und stellt Meursius in seinem Antwortschreiben in eine Reihe mit de Thou, ein deutliches Zeichen, daß Meursius seine Überarbeitung gelungen war: Legi tua maxima cum voluptate, et pro iudicio, quod a me postulas, acclamationes adfero, ut porrò pergas, reip.[ublicae] et Iltens plurimum prodesse. Exemplo magni Thuani id video te exactè praestare, ut veritatem ipsam sine studio partium proponas, neq; insimulari possis, affectibus te quidquam tribuisse, adeò ut hostis egregia facta saepius extollas, prae Ka8op8có(iaai pro patria & libertate praestitis. Quod deploras erepta tam exiguò tempore, lumina literarum, eundem tibi sensum nobiscum esse animaduerto. D e o gratiae agendae, qui tam insignes viros dederit. Laudabile hoc institutum vestratium, quod Groningae nouam sedem Musarum collocarunt. sie debet barbariem expugnare irruentem per impetum blasphemae illius Societatis, quae bellum indixit praeclaris ingenijs et bonis literis ipsis. Tu vero, vir magne, in proposito perseuera, et perge prodesse publicè. 87
Interessant ist, wie Lingelsheim dieses Geschichtswerk sofort in einen konfessionspolitischen Zusammenhang stellt, indem er sich mit der Klage über den Verlust glanzvoller Geister der res publica litteraria sogleich der Gründung der Groninger Universität zuwendet und dieser eine Stellung als künftiges geistiges Bollwerk gegen die gottlosen, den Wissenschaften feindlichen Jesuiten zuweist. Die konfessionspolitische Implikation Lingelsheims wird an dieser Stelle ganz deutlich und seine Aufforderung an Meursius, weiterhin der öffentlichen Sache nützlich zu sein, markiert erneut, in welchem Maße die Späthumanisten selbst ihre öffentliche Geltung im frühabsolutistischen Staat beanspruchten. Allerdings sollte sich Lingelsheims Wunsch im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten sehr bald erledigen. Meursius, der ebenfalls zu den Arminianern neigte, eine offene Stellungnahme jedoch vermied, sah sich ob seiner Verbindung zum Hause Oldenbarnevelt nach der Synode von Dordrecht Repressalien der Akademie ausgesetzt und mußte die Lehre ruhen lassen. Lingelsheim erbot sich sofort, ihm eine Stellung zu besorgen:88 »vel in hac nostra Universitate, vel in antiqvissima Bohemica, qvae, ut
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Meurius: Rervm Belgicarvm über vnvs (1612). Meursius: Rervm Belgicarvm libri quatuor (1614). Dieser Band ist den Staaten von Holland und Friesland gewidmet. Lingelsheims Briefe sind stets voll des Lobes fur Meursius - zumindest für seine historiographischen Schriften und seine Haltung im niederländischen Streit. Besonders deutlich bringt er seine Wertschätzung fur den Leidener Professor in seinem Brief an diesen vom 22.10.1616 zum Ausdruck (UBL: MS 0355, Bl. 490Lingelsheim an Meursius, 09.10.1614 (zitiert nach SUH: Sup. ep. 94, Bl. 16'). Lingelsheim an Meursius, 02.10.1619 (zitiert nach: ebd., Sup. ep. 60, Bl. 104 v -105 r ). Vgl. zu Meursius' Situation seine Briefe an Lingelsheim vom 04.09. und 01.11.1619 (ebd., Sup. ep. 13, Bl. 113r bzw. Bl. 1170-
439 facultatibus prae aliis insigniter instructa, ita Viris industriis et doctrina claris aliqvamdiu caruit.« Es ist nicht ersichtlich, wie weit Lingelsheims Bemühungen in dieser Richtung gediehen, denn nach Meursius' Antwortbrief fehlen fast zwei Jahre Zeugnisse einer Korrespondenz. Auf jeden Fall verlief die Angelegenheit ergebnislos, denn 1621 hielt sich Meursius noch immer in Leiden auf, wo sich seine Situation zwar stabilisiert hatte, aber doch nur mit späthumanistischer Beständigkeit zu ertragen war. Bezeichnenderweise hatte er zwar seine Professur und seinen Sitz im akademischen Senat zurückerhalten, durfte aber das Amt des Historiographen nicht mehr ausüben: Mihi, si privata quaeris, reddita Professio et Senatus; sed non munus Historiae scribendae, quod difiertur: sive ea, quod ego existimo, quaedam quasi est negatio. Cuperem tarnen, si hoc vellent, ut aperte potius facerent. Sed et istud tolerandum. Interim vivo, et tranquillo animo contemno inimicorum meorum malevolentiam; ac Museo me includo [...]. Quibus puto satis me declaraturum, animum mihi supra fortunam omnem positum, neq; facile ä statu suo deturbari. 89
Seine Lage änderte sich erst, als an Meursius 1625 endlich der ersehnte Ruf ins Ausland erging, der ihn als Professor für Geschichte und Staatswissenschaft an die gerade gegründete Universität im dänischen Sora führte, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1639 lehrte. Zusätzlich bekleidete er das Amt des dänischen Historiographen.90 Die Überlieferung seiner Korrespondenz mit Lingelsheim endet jedoch schon wesentlich früher mit dem eben zitierten Brief vom 10. September 1621. Insgesamt haben sich 14 Briefe und damit erneut nur ein Teil dieser Korrespondenz erhalten. Sie alle sind im vorletzten Band der zwischen 1741 und 1763 in Florenz edierten Opera omnia des Meursius zugänglich.91 Die Königliche Bibliothek in Kopenhagen besitzt alle 14, die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vier92 dieser Briefe in Abschriften. Zehn der Briefe sind als Autographen erhalten, von denen zwei von Meursius stammen und heute in der Staatsund Universitätsbibliothek Hamburg liegen,93 während sich von den acht Briefen von der Hand Lingelsheims fünf im Meursius-Nachlaß in der Universitätsbibliothek Leipzig,94 und jeweils einer wiederum in Hamburg95 und Kopenhagen96 sowie in der British Library London97 befinden.
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Meursius an Lingelsheim, 10.09.1621 (zitiert nach: KBK, Böll. Brevs. D., Bl. 647 v -648 r ). In dieser Funktion verfaßte er eine Christian IV. von Dänemark gewidmete Geschichte Dänemarks (Meursius: Historiae Danicae libri III. [1631]), die er in seinem Vorwort selbst in die Tradition de Thous stellt.
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MEURSIUS 1 7 6 2 .
92
Es handelt sich um die Briefe vom 09.10.1614, 13.06.1617, 12.09.1618 und 02.10.1619, die sich in Sup. ep. 60 (Bl. 101'-105 v ) finden. Die Briefe vom 04.09. und 01.11.1619 in Sup. ep. 13 (Bl. 113-114 bzw. 117). Die Briefe vom 12.10.1616, 22.10.1616, 13.06.1617, 29.03.1618 und 12.09.1618 sind dort hintereinander eingeordnet in MS 0355 (Bl. 49-55). Der Brief vom 09.10.1614: Sup. ep. 94, Bl. 16. Der Brief vom 08.07.1608: Thott. 1843, 4° (keine Seitenzählung). Der Brief vom 05.07.1617: Harleian 4936, Nr. 64, Bl. 67.
93 94
95 96 97
440 4.3.
Hubert Languet
Nicht zum Leidener Kreis zu rechnen ist Hubert Languet. Er gehörte nicht nur einer älteren Generation der europäischen Humanisten an, sondern entzieht sich aufgrund seines rastlosen Lebens, das ihn durch ganz Westeuropa führte, einer territorialen Zuordnung. Ihn zu den niederländischen Korrespondenten Lingelsheims zu zählen, ist einzig aus der Tatsache zu begründen, daß ihr Briefwechsel in die letzten Lebensjahre Languets fällt, die dieser in den - spanischen - Nie derlanden verbrachte.98 Er wurde 1518 in der Bourgogne als Sohn einer adligen Familie geboren. Nachdem er im Hause seiner Eltern durch einen praeceptor auf das Studium vorbereitet worden war, studierte er Jurisprudenz in Poitiers, später an verschiedenen italienischen Universitäten. 1548 wurde er wahrscheinlich in Padua zum Doktor beider Rechte promoviert." Danach wandte er sich nach Wittenberg, setzte aber seine Reisen, die ihn nach England, Dänemark, Schweden, ins Baltikum und wieder nach Italien führten, fort. 1556 hielt er sich in Wesel auf, um dort fiir die Rechte der Flüchtlingsgemeinde einzutreten, danach reiste er in die Niederlande und knüpfte am Ende des Jahrzehnts erste Kontakte zum Hause Nassau-Oranien. 1559 trat er in die Dienste des Kurfürsten August von Sachsen, dessen politische Interessen er unter anderem auf dem Fürstenkonvent von Naumburg, vor allem aber für lange Jahre als Gesandter in Frankreich vertrat.100 Die folgenden zwei Jahrzehnte waren durch eine ausgiebige diplomatische Tätigkeit geprägt; in dieser Zeit wählte Languet als seinen hauptsächlichen Aufenthaltsort Paris. Die Jahre 1572 bis 1574 brachten für ihn einschneidende Veränderungen. Vor der Bartholomäusnacht mußte er aus Frankreich fliehen. Wenig später geriet er in eine schwierige Situation, als der sächsische Kurfürst gegen die Kryptocalvinisten vorging.101 1577 quittierte er seinen Dienst. Die Frankfurter Versammlung der reformierten Kirchen Europas, die Johann Casimir im Einvernehmen mit der englischen Königin einberufen hatte, und deren Supplikation Languet redigieren sollte,102 führte ihn in die Dienste des Landesherren von Pfalz-Lautern. Aus diesen zog er sich noch 1579 wieder zurück und ließ sich in Antwerpen, dann in Delft nieder, wo er 1581 starb. Über seine Tätigkeit schreibt Nicollier-de Weck, die mit ihrer Languet-Biographie neben der
98
Zu ihm jetzt die Biographie von Nicollier-de Weck 1995, entstanden v.a. auf der Basis seiner weitreichenden Korrespondenzen. Sie ersetzt alle früheren Arbeiten. - Eine der umstrittensten Fragen in der Erforschung des französischen Hugenottentums war die Zuordnung der radikalsten monarchomachischen Schrift, der Vindicae contra tyrannos, die 1579 unter dem Pseudonym Stephanus Junius Brutus erschienen. Immer wieder wurde auch Languet als Verfasser vermutet. Auch Nicollier-de Weck 1995, S. 467, kann das geschickt gewählte Pseudonym nicht auflösen, führt aber überzeugende Gründe an, die gegen eine Verfasserschaft Languets sprechen.
99
Quellen dazu fehlen allerdings, vgl. ebd., S. 6. Neben Peucer war es auch Languet, der 1566 auf Kurfürst August von Sachsen Einfluß ausübte zugunsten der Kurpfalz, vgl. auch Hollweg 1964, S. 361-365. Vgl. dazu oben S. 129f. und 359. Heppe 1859, S. 73-82, Nicollier-de Weck 1995, S. 371-388.
100
101 102
441 Arbeit von Seidel über Domau die zur Zeit beste Biographie eines Späthumanisten im konfessionellen Zeitalter verfaßt hat: On peut cependant penser qu'il ne cherchait pas l'oisiveté ou le repos dus à son âge. Il aurait alors choisi de s'établir en Angleterre, où il aurait trouvé le meilleur accueil. Nul doute qu'il n'ait souhaité être utile au prince d'Orange et il faisait certainement partie de ceux dont ce dernier prenait conseil. Mais uns partie au moins de ses activités était plus spécifique: il s'agissait de faire, très officieusement, un lien entre Guillaume d'Orange et Auguste de Saxe. Les deux parties avaient certainement intérêt à communiquer. Orange ne pouvait négliger le puissant Electeur en cette période cruciale où s'amorçait la séparation des provinces de l'union d'Utrecht avec l'Espagne. 1 0 3
Aus den Jahren 1580 und 1581 stammen die beiden einzigen erhaltenen Zeugnisse eines Briefwechsels mit Lingelsheim. Beide Briefe entstanden im Zusammenhang mit Lingelsheims von Languet vermittelter Tätigkeit als praeceptor Robert Sidneys.104 Erhalten sind nur die Abschriften der Briefe Languets in der Collection Dupuy in Paris; die von Lingelsheim verfaßten Schreiben sind bislang noch nicht wieder nachzuweisen. Languet verkörperte jenen Typus des weltgewandten, hochgebildeten und beredten späthumanistischen Juristen, dem jede nationale Enge des Denkens fremd war. Selbst dem reformierten Bekenntnis zuneigend, durch einen langjährigen Aufenthalt in Wittenberg im Hause Melanchthons philippistisch geprägt, setzte er sich unermüdlich für einen Ausgleich unter den Protestanten ein. Er korrespondierte nahezu mit allen führenden Gelehrten seiner Zeit. Mit ihm gehörte bereits in jungen Jahren eine der großen Gestalten eines irenischen Späthumanismus im konfessionellen Zeitalter zu Lingelsheims Korrespondenten.
103 104
Nicollier-de Weck 1995, S. 432. Dazu oben S. 94ff. Dort Anm. 69 auch zu offensichtlich verlorenen Briefen.
5.
England
5.1.
Einleitung
England nimmt in der europäischen Geschichte des konfessionellen Zeitalters eine Sonderstellung ein. Politisch verlagerten sich die Interessen der englischen Könige vom Kontinent, wo sie bis ins 16. Jahrhundert, noch unter Heinrich VIII., in zahllosen Kriegen mit Frankreich um territoriale Ansprüche gerungen hatten, immer mehr auf eine expansive Kolonialpolitik. Konfessionell entstand in England mit der ecclesia Anglicana eine eigenständige, dogmatisch vom Protestantismus, in der äußeren Gestalt vom Katholizismus beeinflußte Staatskirche. Sozialpsychologisch entwickelte sich aus dem Bewußtsein der Insellage, dem Erkennen der Besonderheit des parlamentarischen Systems, der wachsenden Bindung an die anglikanische Kirche und durch die mythische Erhöhung der Tudor-Herrscher, besonders der kultisch-verehrten, sich selbst geschickt inszenierenden Virgin Queen, ein starkes Nationalgefiihl.1 Gleichwohl waren die Verbindungen des Inselreiches zum Kontinent im 16. und 17. Jahrhundert niemals unterbrochen, wirkten ganz im Gegenteil die großen geistigen und religiösen Bewegungen äußerst befruchtend auf die englische Entwicklung. Dies zeigte sich in der Entstehung der anglikanischen Kirche.2 Z u m folgenden vgl. die souveräne Einführung von Schulin 1979. A u ß e r d e m jetzt der schöne Band von M o n i l l 1996. Für die Epoche der Tudors Guy 1988, insbes. seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Palliser 1983 und Williams 1995, in deutscher Sprache für die Kultur des elisabethanischen Zeitalters Suerbaum 1991. Für die Stuarts Coward 1994, Worden 1986. Zum Kult u m Elisabeth vgl. Streng 1977; zur Herausbildung einer Elisabeth-Ikonographie Watkins 2002, der überzeugend die Entstehung des ElisabethBildes in den Kontext der Debatten über das Königtum und das Verhältnis zwischen K ö nig und Volk im Stuart-England einordnet. In deutscher Sprache für die Frühe Neuzeit Haan/Niedhart 1993. Einen Überblick über die kulturellen und religiösen Austauschprozesse zwischen England und d e m Kontinent gibt Elton 1979. Zur Entstehung des englischen Nationalbewußtseins, als deren wesentliche Voraussetzungen die politische Separation wie die unter den Tudors erreichte politische, administrative und kulturelle Integration der Bevölkerung benannt werden, vgl. den Aufsatz von Assmann 1989. Vgl. die Untersuchungen in dem Band von Baker 1979 sowie als Überblicke Chadwick 1959 und Sykes 1959, bes. S. 7 3 - 7 8 . Zur Stellung Englands innerhalb des europäischen Calvinismus vgl. Collinson 1985, zu den Einflüssen des niederländischen Arminianismus auf die anglikanische Kirche Colie 1957. Eine umfangreiche Geschichte der englischen Reformation von den A n f ä n g e n bis zum Regierungsantritt Jakobs I. verfaßte H u g h e s 1950-54. Zur Entwicklung des Katholizismus in England, der weniger die Impulse der Gegenreformation, als vielmehr die von Trient ausgehenden Ansätze zu einer katholischen Reform aufnahm, Watkin 1957, S. 1 - 7 7 . 1574 wurde das erste katholische Priesterseminar gegründet, seit 1580 gewannen die Jesuiten an Einfluß. Im Z u g e der sich verschärfenden Spannungen mit Spanien wurden die Rechte der Katholiken zunehmend beschnitten.
443 Nachdem Heinrich VIII., kurz zuvor wegen seiner vehementen Verteidigung gegen Luthers Angriffe auf die Sakramentslehre noch mit dem Titel eines defensor fidei vom Papst geehrt, seinen ersten Scheidungsprozeß dazu genutzt hatte, mit Hilfe des sog. Reformation-Parliament (1532-1536) die königliche Suprematie über die Kirche zu errichten, setzte die Diskussion um die dogmatische Richtung der englischen, zunächst noch rein katholischen Kirche ein. Das Luthertum hatte über William Tyndale, der in Wittenberg die erste englische Bibelübersetzung begonnen hatte, und über die Universität in Cambridge frühzeitig Einfluß auf England gewonnen. Melanchthon widmete 1538 sogar seine Loci Communes dem englischen König.3 Doch die Hoffnung der deutschen Protestanten auf Heinrich VIII. erfüllten sich nicht. Seine Trennung von Rom war kein religiös, sondern ein politisch motivierter Schritt, die Säkularisierung des Klosterbesitzes hatte dem bankrotten König vor allem eine neue, eng der Krone verbundene Klientel geschaffen. Erst in den folgenden Jahrzehnten gewann die anglikanische Kirche ihre eigene theologische Fundierung, mit dem elisabethanischen settlement von 1559 wurde England offiziell protestantisch. Die junge Königin, deren ganze Politik auf dem Prinzip von Konsens und Kompromiß basierte, löste die Religionsfrage - nach einer kurzen römischkatholischen Restaurationsphase unter ihrer Schwester Maria - gemeinsam mit dem Parlament. Nicht das Luthertum, sondern das reformierte Bekenntnis prägte die Glaubensgrundsätze der neuen Kirche, wobei nicht die strenge Richtung Genfs (die über John Knox in Schottland durchgesetzt wurde), sondern der Einfluß Zürichs maßgeblich waren;4 allerdings blieben wesentliche Elemente des katholischen Kultus und der katholischen Kirchenorganisation erhalten. Entstanden war eine Bischofskirche, an deren Spitze die Königin - allerdings ohne geistliche Funktion - stand. Wie stark die kontinentale Reformation auf England wirkte, zeigte sich auch darin, daß unter den von Elisabeth I. berufenen Bischöfen die meisten zu Zeiten ihrer Schwester im deutschen und eidgenössischen Exil gelebt hatten. Als Staatskirche verpflichtete auch die ecclesia Anglicana das Land zur Glaubenseinheit, doch blieb England ebensowenig wie der Kontinent von religiösen Spannungen verschont, ohne daß diese zunächst in einen konfessionellen Bürgerkrieg führten. Während die Puritaner, die der Genfer Kirchenzucht und Prädestinationslehre anhingen und sich 1563 als Minderheit innerhalb der anglikanischen Kirche formiert hatten, immer schärfere Kritik an der Bischofskirche wie an dem besonders von den ersten Stuart-Königen vertretenen Gottesgnadentum und Kirchenregiment übten, verbreitete sich unter 3 4
Zum Luthertum in England vgl. Hall 1979. Vgl. Locher 1975. Allgemein zur Bedeutung Zürichs für die europäische Reformation Muralt 1945, zu England S. 61 f. u.ö. Wegbereitend für die moderate, Elemente der verschiedenen Konfessionen verschmelzende Lehre der anglikanischen Kirche war erneut Martin Bucer, der bereits als Straßburger Reformator die Versöhnung der protestantischen Richtungen versucht hatte und nach der Annahme des Interims nach England geflohen war, wo er in seinen letzten Lebensjahren als Professor in Cambridge wirkte. So war Bucer an der Entstehung des zweiten Common Prayer Books, mit dem sich die englische Kirche eindeutig protestantisch formierte, beteiligt, vgl. zu seinem Einfluß den Aufsatz von Klingenspor 1992.
444 der Bevölkerung eine immer größere Angst vor einer internationalen katholischen Verschwörung, die zu einer zunehmend restriktiven Politik gegen die katholische Minderheit führte.5 Der Haß auf die Katholiken saß seit der Regierung der bloody Mary ebenso tief in der englischen Bevölkerung wie die Angst vor einem Vordringen der Katholiken, die unter Karl I., bei dem vermeintlich katholische Neigungen von den Zeitgenossen mit Sorge beobachtet wurden, ihren Höhepunkt erlebte.6 Beides resultierte aus der großen Feindschaft gegen Spanien, die die Aversion gegen den traditionellen >Erzfeind< Frankreich längst übertroffen hatte. Spanien war unter den beiden Marias, der englischen Tudor- und der schottischen StuartMonarchin, zum Hauptfeind geworden. Die Exkommunikation Elisabeths 1570, die Ereignisse in den Niederlanden und Frankreich zwischen 1567 und 1572, Englands von der Kriegspartei im Privy Council seit längerem geforderte militärische Intervention im niederländischen Aufstand und die Exekution Maria Stuarts verschärften den Gegensatz. Spanien rüstete die Armada aus, die von den englischen Schiffen mit sehr viel Kriegsglück geschlagen wurde - ein Sieg für das nationale Selbstbewußtsein, aber auch der Ausgangspunkt für ein stärkeres Engagement der Königin in den Existenzkämpfen der europäischen Protestanten: Seit 1589 unterstützte England Heinrich von Navarra und die Niederländer finanziell.7 Dennoch scheute Elisabeth I. vor der Aufgabe ihrer in den Grundzügen passiven Europapolitik zurück.8 Für einen großen Krieg fehlten der Königin die finanziellen Mittel. Die Tudors besaßen nur eine geringe Hausmacht und konnten kaum Steuereinnahmen verbuchen. Zudem taten sich am Ende ihrer langjährigen Regierungszeit innenpolitische Probleme auf: Die einst effiziente Verwaltung, die die Tudors auf der Basis der Loyalität des lokalen Adels aufgebaut hatten, griff nicht mehr, die Eroberung Irlands band die Kräfte. Die Gegensätze zwischen den religiösen Gruppen wuchsen. Jakob I., mit dem die Stuarts den englischen Thron bestiegen, suchte sogleich nach seinem Regierungsantritt den Frieden mit Spanien.9 Anders als die politisch zögerliche Elisabeth I. verfolgte der neue König einen eindeutigen Kurs. Er, der sich als Monarch allein im Besitz eines von Gott verliehenen, unantastbaren Rechtes sah, wollte ein Herrscher des Friedens sein, der Stifter einer neuen Einheit der christlichen Kirchen. Dem eigenen Lande brachte er die politische und religiöse Stabilität zurück, in Europa verfolgte er eine weitgesteckte Friedenspolitik. Lange Jahre hegte er den Zur heftigen Kontroverse um die Bischofskirche, die auch zu einer Auseinandersetzung um die Stellung des Monarchen in der anglikanischen Kirche wurde, besonders unter den Tudors vgl. Asch 1996. Insgesamt zur Kirchenpolitik unter Elisabeth Haugaard 1968, zum settlement Jones 1982. Vgl. zu den politischen Beziehungen Karls I. zu Spanien und zum Papsttum Albion 1935. Zur Politik Elisabeths I. gegenüber den deutschen Protestanten vgl. Heppe 1859, Hollweg 1964, S. 209-213. Als umfangreiche politische Biographie in deutscher Sprache liegt vor Lottes 1981. Zu ihm jetzt einführend Asch 1998 (mit der wichtigsten weiteren Literatur S. 373ff.). Zu den Grundzügen seiner Kontinentalpolitik vgl. Adams 1983, Lee 1970. Seine irenischen Pläne untersucht Ebert 1972.
445 Plan einer dynastischen Verbindung mit Spanien, die schließlich scheiterte. Dagegen kam die parallel betriebene Hochzeit seiner Tochter mit dem damals wichtigsten calvinistischen Herrscher Europas, dem Kurfürsten von der Pfalz, zustande.10 Es sollte eine folgenschwere Verbindung werden. Denn Friedrich V. und die kurpfälzischen Politiker überschätzten, als sie wenige Jahre später nach der böhmischen Krone griffen, nicht nur ihre eigenen Kräfte, sondern auch die Bereitwilligkeit der Union und ihrer Verbündeten, sie bei diesem waghalsigen Abenteuer zu unterstützen. Schon in Dordrecht hatte Jakob I., obwohl die anglikanische Staatskirche arminianisch gesinnt war, die Kontraremonstranten unterstützt, weil er durch die Remonstranten den kirchlichen Frieden gebrochen und die Autorität weltlicher Gesetze verletzt sah." Nun hatte sich sein Schwiegersohn gegen den Kaiser gestellt. Der englische König war nicht bereit, von seiner Politik abzurücken und den Kampf Friedrichs V. zu unterstützen.12 Doch dessen drohender Ächtung und dem Verlust seines angestammten Territoriums versuchte er auf diplomatischem Wege entgegenzuwirken. Er schickte einen Gesandten an den Kaiserhof und bemühte seine guten spanischen Beziehungen, um das Unvermeidbare doch noch zu verhindern. Allerdings vergeblich, die katholischen Sieger hatten das Fell des Kurpfälzers längst verteilt. Die englische Meinung stand hinter Elisabeth und ihrem Gemahl. Im Privy Council und im Parlament war die antispanische Opposition gewachsen. Verfolgte Jakob I. eine Friedenspolitik, betrieben diese Kreise eine protestantische Kriegspolitik. 1624 schien der König endlich bereit, aktiv in den Kampf einzugreifen und stellte dem Söldnerfuhrer Mansfeld ein bedeutendes Truppenkontingent zur Verfugung. Doch bevor der englische Einsatz überhaupt Wirkung zeigen konnte, starb Jakob I. Die Hoffnungen der Kurpfälzer ruhten nun auf Karl I., der seinem Vater 1625 nachgefolgt und entschlossen zum Schlag gegen Spanien war. Doch als er 1630 mit Spanien nach einem wenig erfolgreichen Krieg Frieden schloß, fiel England als Verbündeter im Kampf der europäischen Protestanten endgültig aus. Nach dem Friedensschluß geriet Karl I. ganz in den Sog der spanischen Politik.13 Die Unzufriedenheit in England wuchs, gegen den mächtigen Bischof Laud erwachte der puritanische Widerstand, gegen den absolutistischen Anspruch des Königs flammte die Diskussion um eine konstitutionelle Monarchie auf. Bald brach auch in England ein Bürgerkrieg aus, der den König seinen Kopf kostete. Der Laudianismus besaß an den englischen Universitäten, die unter Elisabeth I. und Jakob I. ganz in die Abhängigkeit der Krone geraten waren, eine
10 11 12
13
Vgl. oben S. 144. Vgl. Platt 1979. Zur kurpfälzischen Politik der beiden Stuart-Könige vgl. Weiß 1966; wie bereits zu Zeiten Elisabeths gab es in England allerdings auch jetzt wieder viele Stimmen, die für einen Kriegseintritt Englands plädierten, allerdings verbunden weniger mit der Verteidigung der kurpfälzischen Interessen, als vielmehr mit einem internationalen Krieg gegen Spanien, vgl. Smuts 2001. Vgl. Wedgwood 1954.
446 seiner S t ü t z e n . 1 4 D i e a l t e h r w ü r d i g e n U n i v e r s i t ä t e n v o n C a m b r i d g e und O x f o r d waren vornehmlich Ausbildungsstätten des Klerus geblieben, dessen Bildungsn i v e a u im
16. J a h r h u n d e r t ständig stieg, d e s s e n B e d e u t u n g
als S t a n d
aber
g l e i c h z e i t i g fiel. D i e j u r i s t i s c h e A u s b i l d u n g d a g e g e n e r f o l g t e an den Inns o f C o u r t , an d e n e n die m o d e r n e h u m a n i s t i s c h e J u r i s p r u d e n z g e l e h r t w u r d e . 1 5 N o c h i m 15. Jahrhundert hatte der H u m a n i s m u s d i e Insel erreicht u n d s i c h als m ä c h t i g e B i l d u n g s b e w e g u n g formiert. E n g l a n d w u r d e T e i l d e r e u r o p ä i s c h e n Gelehrtenrepublik, d e r H u m a n i s m u s als n e w learning w u r d e z u m K u l t u r - und G e s e l l s c h a f t s i d e a l . 1 6 B e s o n d e r s die e n g l i s c h e g e n t r y , die u n t e r den T u d o r s z u r
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16
Zum Laudianismus und Arminanismus in der anglikanischen Kirche vgl. Parker 1964. Einfuhrend in die Geschichte der englischen Universitäten Green 1969, S. 13-39. Zum Einfluß der Krone auch Hammerstein 1996a, S. 122-126. Ein großartiges Porträt der englischen Kultur im 16. Jahrhundert entwirft Meissner 1952, der allerdings, ausgehend von einer aus Burkhardt abgeleiteten Einschätzung von der Sonderentwicklung der europäischen Renaissance-Kulturen, die kontinentalen Einflüsse, die auch nach Erasmus und der Gründung der anglikanischen Staatskirche auf England wirkten, zu wenig einbezieht. Ihm zur Seite zu stellen ist die glänzende Untersuchung von Caspari 1988, entstanden in den vierziger Jahren, jetzt in deutscher Übersetzung vorliegend. Ihm geht es um die »Wirkung des englischen Humanismus auf die Ordnung der Gesellschaft und ihre Ideale« (S. 8), die eben nicht - wie beispielsweise Borinski 1975, S. 30, meint - bereits Mitte des Jahrhunderts endet, sondern bis Sidney und Spencer, deren Werk Caspari eingehend würdigt, reicht. Wie sehr selbst noch Shakespeare vom europäischen Humanismus beeinflußt war, zeigt Metscher 1989 auf. Vgl. auch die Einfuhrung von Uhlig 1988. Caspari unterteilt S. 2 2 - 2 8 die Geschichte des englischen Humanismus in vier Perioden und sieht: 1. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts eine begrenzte Nachahmung der italienischen Renaissancephilologie; 2. seit der Rückkehr von Colet u.a. aus Italien bis in die dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts die Entstehung der großen programmatischen Schriften von Thomas More (Utopia) und Thomas Elyot (The Governour) und die Festsetzung des Humanismus an den englischen Universitäten; 3. beginnend mit der Trennung von Rom und dem dadurch bedingten Fortfall der alten kirchlichen Bildungsinstitutionen bis zur Thronbesteigung Elisabeths und dem settlement die Neuorganisation des Erziehungsund Bildungswesens auf der Basis humanistischer Prinzipien. Diese beiden Humanistengenerationen der zweiten und dritten Phase wichen von den »theologischen Voreingenommenheiten« ihrer Vorgänger ab und machte »ihren Humanismus zu einer lebendigen Kraft in England [...], indem sie ihr Wissen auf die Erziehung der führenden Männer im Staate und die Ausbildung einer Gesellschaftstheorie verwandte. Dieser Schwerpunkt war in der Tat pädagogisch, aber vielmehr mit einem gesellschaftlichen und politischen als mit einem religiösen oder >puritanischen< Akzent.« (S. 27); 4. das elisabethanische Zeitalter, in welchem humanistische Bildung »praktisch zur Voraussetzung für politischen und gesellschaftlichen Aufstieg geworden« war (S. 22), zugleich der Humanismus aber die Kultur prägte und insgesamt das Gesellschaftsideal formte. Ähnlich bereits Schirmer 1936; vgl. auch die Ausführungen von Mann 1939 zur lateinischen Dichtung in England bis zum Regierungsantritt Elisabeths: Mann sieht durch diese humanistische Dichtung vorbereitet, was sich danach in der Dichtung, nunmehr in der Sprache des Volks, verwirklichte (siehe dazu die in der folgenden Anmerkung zitierte neuere Literatur). Neuerdings, aus der Perspektive eines radikalen« Humanismus heraus Baker 1999, der aufzeigen will, »that translations, popularizations, and >divulgings< of humanism - beginning with Sir Thomas Elyot in the 1530s and reaching a zenith at the midcentury with the 1549 Praise o f Folie and 1551 Utopia - constitute a crucial pivot upon which the politics o f later English humanism and, in particular, Spenser's poetry turned« (S. 3). Zur Bedeutung des erasmischen Humanismus für das englische Bildungswesen und die Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vgl. McConica 1965. Einen Überblick über die Entwicklung der Naturwissenschaften im elisabethamschen Zeitalter unter dem Einfluß des Humanismus bietet K o -
447 entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Kraft aufgestiegen war und von der Säkularisierung des Klosterbesitzes am meisten profitiert hatte, geriet unter den Einfluß des Humanismus. Der gentleman, von edler Geburt und humanistisch gebildet, wurde zum moralischen Ideal, das die gesellschaftliche Stellung legitimierte und den gehorsamen Staatsmann auszeichnete. Bereits unter Heinrich VIII. war der Königshof ein humanistisches Zentrum und blieb es auch unter Elisabeth I. und Jakob I. Die englischen Humanisten waren - wie die gesamte Nation - königstreu, propagierten aber in ihren Schriften, wie Morus, der große Geist der ersten Generation, oder Philip Sidney, der Idealtypus des elisabethanischen Hofmannes, die konstitutionelle Monarchie. Gleichzeitig entstand in ihrem Kreise eine nationale Geschichtsschreibung, die entscheidend zur Herausbildung eines kollektiven Nationalbewußtseins beitrug. Ebenso formierte sich eine muttersprachliche Gelehrtenliteratur, die die großen Paradigmen für alle literarischen Gattungen bis zum spezifisch englischen Drama eines Shakespeare und Johnson schuf. 17 Über Korrespondenzen, Bildungsreisen und literarische Kontakte standen die englischen Gelehrten mit dem Kontinent, besonders mit Frankreich und den Niederlanden im engen Austausch. 1 8 Doch führte umgekehrt der Weg kontinentaler Gelehrter und Studenten nur verhältnismäßig selten an englische Universitäten und Colleges, obgleich Anfang des 17. Jahrhunderts berühmte Männer wie Casaubon und Vossius in England lebten und vom König sogar mit Präbenden ausgestattet worden waren. 19
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eher 1952; mit dem Einsatz des Humanismus begründet McLean 1972 bereits für das 16. Jahrhundert den enormen Aufschwung, den die Wissenschaft, insbesondere die Pädagogik, die Mathematik, die Medizin und eben die Naturwissenschaften in England genommen haben (in ihrer Studie bleibt die Philologie ausgespart). Vgl. zu diesem zuletzt angedeuteten Kontext auch die in der Einleitung, Kap. 2, Anm. 18 zitierten Titel. Als gute Einführung in die englische Literaturgeschichte in deutscher Sprache bietet sich der Band von Seeber 1999 (1. Aufl. 1991) an, hier der Abschnitt über »Die Frühe Neuzeit: Von Morus bis Milton« von Manfred Pfister. Außerdem die beiden Überblicke von Uhlig 1975 und ders. 1988. In deutscher Übersetzung zugänglich ist die klassische Einführung von Evans 1983, für den hier behandelten Zeitraum S. 20-38 (zur Lyrik), S. 109-137 (zum Drama), S. 170-177 (zum Roman). Zum Kontext von nationalsprachlicher Dichtung und Herausbildung einer nationalen Identität vgl. für die englische Renaissance die Studie von Hadfield 1994. Zum englischen Theater außerdem Suerbaum 1991, S. 399-472. Auch hier liegt eine ausgezeichnete Studie zum Kontext nationalsprachliche Literatur und Ausbildung bzw. Formung einer nationalen Identität vor von Helgerson 1992. Jones 1976, S. 1-17, analysiert für die Jahrzehnte um und nach 1600 verschiedene gesellschaftliche Gruppen als Träger dieser Austauschprozesse: Die Politiker, die im Privy Council oder als Gesandte die englische Außenpolitik vertraten, die Mitglieder des Parlaments, die als Angehörige der nobility und der gentry einen Teil ihrer Erziehung auf dem Kontinent erhalten und teilweise als Soldaten gedient hatten (vgl. z.B. unter den hier vorgestellten Korrespondenten Lingelsheims die Biographie von Basil Feilding), die Gelehrten und Theologen, die Kaufleute und Seefahrer, die europäischen Exulanten, darunter die starke Gruppe der französischen Hugenotten (zu denen j a auch Casaubon zählte), und schließlich die politischen und konfessionellen Interessen kontinentaler Mächte in Schottland und Irland. Zur Bedeutung der Bildungsreisen auf dem Kontinent für den englischen Adel vgl. S. 94f. mit der in Anm. 58 genannten Literatur. Zum Einfluß insbes. Casaubons und anderer späthumanistischer Gelehrter des Kontinents auf die Entwicklung der englischen Gelehrsamkeit nach 1600 vgl. Watson 1911. Zur Frequenz ausländischer Studenten an englischen Universitäten vgl. Cross 1979, die die weni-
448 Lingelsheim verfugte nur über wenige Kontakte zu den englischen Späthumanisten. Will man eine Verortung versuchen, wäre zumindest für Savile, Murray und Wotton Oxford als die neben Cambridge fuhrende Universitätsstadt zu benennen; das aber ist mehr ein Zufall paralleler Karriereabschlüsse der drei englischen Gelehrten und deutet nicht auf einen Gelehrtenkreis hin, zumal sie alle in ihrem Schulamt aufeinander folgten. Anders als zu den späthumanistischen Gelehrtenkreisen in Leiden und Paris unterhielt Lingelsheim keine bedeutenden Korrespondenzen mit englischen Späthumanisten. Über einen Zeitraum von fünfzig Jahren sind gerade einmal 15 Briefe nachzuweisen. Wie überaus spärlich Lingelsheims Briefwechsel mit englischen Gelehrten und >Politikern< ausfiel, wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß er allein mit Casaubon nach dessen Flucht nach London zwischen 1611 und 1614 28 Briefe tauschte. Eine engere Freundschaft bestand lediglich mit Wotton und Savile. Aus seiner Zeit in Diensten Robert Sidneys hatten sich mit Ausnahme seiner Begegnung mit Henry Savile keine Verbindungen ergeben. Zwar beherrschte Lingelsheim als einer der wenigen am Heidelberger Hof die englische Sprache, doch in der kurpfalzischen Regierung war er mit den englischen Angelegenheiten nicht betraut. Gleichwohl handelt es sich bei den erhaltenen Briefen mit Ausnahme des Schreibens an Savile um politische Briefe, die im Zusammenhang mit den konfessionspolitischen Interessen der Kurpfalz entstanden.
5.2.
Sir Henry Savile
Sir Henry Savile (1549-1621) hatte seit Anfang der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts in Oxford an einem der dortigen Colleges studiert und war schon 1565 Fellow des Morton College geworden.20 Seit 1570 hielt er selbst Vorlesungen, die sich besonders mit der Mathematik und mit der griechischen Sprache befaßten. Das mathematische Interesse wird auch in dem deutschsprachigen Brief erkennbar, mit dem Lingelsheim den englischen Gelehrten 1582 über die Arbeiten des Dasypodius unterrichtet.21 Nach einer 1578 begonnenen mehrjährigen Reise durch den Kontinent wurde Savile zunächst zum Griechisch-Lehrer der Königin Elisabeth I., dann 1585 zum Rektor am Morton College, schließlich 1596 zum Leiter des berühmten Eton Colleges berufen. Zu seinen herausragenden philologischen Werken gehören die Übersetzung verschiedener Bücher des Tacitus ins Englische22 sowie eine griechische Ausgabe der Schriften von Chrysostomos.23
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gen eidgenössischen Studenten vorstellt, die im 16. Jahrhundert - protegiert von Heinrich Bullinger - die englischen Universitäten, vornehmlich Oxford, besuchten. Zu seiner Person vgl. Wood, Bd. IV, Sp. 310-317, Kunitz/Haycraft, S. 451. Zur Geschichte des Eton-College vgl. Maxwell-Lyte 1875, dort werden Savile, Murray und Wotton jeweils eingehender in ihrem Wirken für die Lehranstalt behandelt. Lingelsheim an Savile, 29.01.1582 (BLL: Cotton MS Galba D. XIII., Bl. 2 r ); vgl. auch oben S. 99; dort auch Anm. 75 zu einer möglichen Tätigkeit Saviles in Diensten Robert Sidneys. Vgl. dazu oben Kap. 3.2.2.2. In neun voluminösen Bänden (Eton: Norton 1612). Zur Bedeutung dieser Edition vgl. Pfeiffer 1982, S. 180, Sandys 1964, Bd. II, S. 333-336. An ihrer Entstehung beteiligte sich
449 Bei diesem Unternehmen unterstützten ihn seine Freunde in der europäischen Gelehrtenrepublik, mit der ihn zahlreiche Korrespondenzen verbanden. Auch Lingelsheim, der bereits Saviles Kommentar über das römische Militärwesen aus der englischen Sprache ins Lateinische übersetzt hatte, sammelte für diesen bei Hoeschel Informationen über das Augsburger Exemplar der Schriften des bedeutenden griechischen Kirchenvaters.24 Die erwähnte Anfrage bei Hoeschel und Lingelsheims Tacitus-Übersetzung weisen darauf hin, daß zwischen ihm und Savile über den erhaltenen Brief aus dem Jahre 1582 hinaus Kontakte bestanden haben müssen, die mindestens bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts aufrechterhalten blieben. Sie wechselten offenbar über mehrere Jahrzehnte Briefe. Noch 1608 berichtet Lingelsheim an Jungermann, einen Brief von Savile erhalten zu haben.25 Lingelsheims Autograph vom 29. Januar 1582, der sich unter den Cotton-Manuskripten in der British Library befindet,26 ist jedoch das einzige erhaltene Briefzeugnis.
5.3.
Sir Henry Wotton
Savile wurde ebenso wie Sir Henry Wotton im Jahre 1604 von Jakob I. zum Ritter geschlagen. Beide stammten aus der englischen gentry. Auch Wotton, 1568 geboren, besuchte in Oxford seit 1584 mehrere Colleges, die im 16. Jahrhundert zahlreich in den Universitätsstädten entstanden waren und besonders die philologisch-historische Ausbildung der jungen Studenten übernahmen. 1589 begann er eine mehrjährige Bildungsreise auf dem Kontinent, die ihn nach Heidelberg, Altdorf, Ingolstadt, Wien, Venedig, Rom und 1594 für einige Zeit nach Genf führte, wo er im Hause Casaubons logierte. Zurückgekehrt nach England trat er in die Dienste des Earl of Essex,27 floh aber nach dessen desa-
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die europäische Gelehrtenrepublik ganz intensiv - und zwar über die Konfessionsgrenzen hinweg; nicht nur in diesem Fall ist Walther 2000, S. 125, zuzustimmen, der gerade in diesem Beispiel einen Beleg daftir sieht, daß der Späthumanismus nicht notwendigerweise »zum Medium konfessioneller Kämpfe werden« mußte, sondern ganz im Gegenteil die »Bemühungen, im Dienste und zur Bestätigung der eigenen Konfession spätantike Quellen zu erschließen, dazu fuhren [konnten], daß religiöse Kontrahenten als Philologen einträchtig zusammenarbeiteten.« Vgl. auch oben S. 351 zu Lingelsheims Anfrage an Hoeschel. Lingelsheim an Jungermann vom 13.05.1608 (BLL: Harleian 4936, Nr. 62, BI. 64'). Weitere Hinweise in seinen Briefen an Bongars vom 13.12.1604 (BBB: Cod. 141, Nr. 77, Bl. 1060 und 21.03.1611 (BONGARS 1660, S. 302), wo Lingelsheim aber offenbar aus einem früheren Brief Saviles zitiert. Sir Robert Cotton (1571-1631) war ein Schüler Camdens. Er war einer der großen Sammler des 17. Jahrhunderts in England. Seine Manuskriptsammlung wurde 1700 der Royal Library einverleibt, wo sie sich noch heute, 1731 durch einen Brand in Teilen zerstört, befindet; vgl. Tite 1993. Zu Robert Devereux, Earl of Essex, liegt u.a. die populäre Biographie von Lacey 2001 (erstmals 1971) vor. Zu seiner Karriere am elisabethanischen Hof und der nicht zuletzt gerade mit ihm verbundenen Parteibildung in der englischen Politik zwischen radikalen und gemäßigten Kräften in Fragen der konfessionellen und kontinentalen Politik vgl. jetzt Hammer 1999.
450 strösem Irlandfeldzug und gescheiterten Aufstandsversuch gegen Elisabeth I. nach Italien. Erst nach dem Regierungsantritt Jakobs I. betrat er die Insel wieder, vom Herzog der Toskana zum englischen König gesandt, um diesen vor einem Anschlag zu warnen. Jakob I. übernahm ihn daraufhin in seine Dienste. Mit zwei längeren Unterbrechungen vertrat Wotton seit 1604 für zwanzig Jahre die englische Krone als Botschafter in Venedig. In der Republik regte sich damals eine protestantische Bewegung um den Kirchenhistoriker Paolo Sarpi,28 Wottons Haus wurde zu einem Treffpunkt dieser protestantischen Kreise. 1624 verließ er Italien, um als Nachfolger von Savile und Murray Leiter des Eton College zu werden und starb in diesem Amt im Jahre 1639.29 Wotton verkörperte den Typus des italianate Englishman,30 der für die späte Verbreitung der Renaissancekultur in England die maßgeblichen Anregungen und Leitbilder vom Kontinent vermittelte. In den counties baute die lokale gentry ihre Häuser zu prächtigen Höfen nach dem Vorbild italienischer Renaissancehöfe aus. Mit seinen Elements ofArchitecture, 1624 auf der Basis der Schriften von Vitruvius erschienen, schuf Wotton eines der theoretischen Grundwerke dieser Adelskultur in englischer Sprache.31 Es blieb sein einziges größeres Werk, das er zu Lebzeiten vollendete. Seine großen Pläne einer Geschichte Luthers, einer Geschichte der Reformation und einer Geschichte Englands konnte er nicht verwirklichen. Seine Elements und zwei kleinere seiner englischen Gedichte, die ihn als vom furor poeticus gepackten Dichter der englischen Renaissance zeigen, verschaffen Wotton in der englischen Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts seinen Platz als »one of the most interesting and remarkable figures, in what may be called the second rank of our English men of letters«.32 Wotton hatte Lingelsheim ebenfalls auf seiner peregrinatio kennengelernt, als er Heidelberg besuchte.33 Ein Briefwechsel zwischen beiden läßt sich jedoch 28
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Vgl. dazu Rein 1 9 0 4 . - A l s die Republik Venedig wegen ihrer Konflikte mit Habsburg 1614 um ein Bündnis mit Bern und Zürich warb, die beiden eidgenössischen Orte damit aber zunächst die Forderung der Religionsfreiheit verknüpften, antwortete der Doge, diese sei im privaten Raum längst gewährt und führte als Beleg gerade das Beispiel des englischen Botschafters an (vgl. Hagen 1865, S. 51). Zu Wottons Rolle in Venedig vgl. auch den Aufsatz von Ulianich 1976. - Den Hinweis von Press 1970, S. 371, daß Lingelsheim mit Sarpi eine Korrespondenz geführt habe, kann ich bislang nicht bestätigen. Vgl. zu ihm die wieder im Faksimile vorliegende erste Lebensbeschreibung von Walton 1670, S. 3 - 7 9 , dazu mit Ergänzungen zu Leben und Werk auf damaligem Forschungsstand Novarr 1958, S. 129-194. Außerdem liegt eine Biographie von Smith 1966 vor, die auf Wottons Korrespondenzen basiert. Weiterhin als erste Einführungen heranzuziehen die Essays von Asquith 1919 und Hard 1953. Schließlich die Artikel bei Wood, Bd. III, Sp. 6 4 3 646, Kunitz/Haycraft, S. 574f. Die klassische Studie zum Einfluß der italienischen Renaissance auf das englische Bildungs-, Kultur- und Gesellschaftsideal der Tudorzeit stammt von Einstein 1902, der in John Tiptoft, Earl of Worcester, bereits Ende des 15. Jahrhunderts das erste Beispiel eines ganz von Italien geprägten »italianate Englishman« sah. In der Ausgabe Wotton: The elements of architecture leicht greifbar und mit Anmerkungen und einer Einleitung von Frederick Hard versehen. Asquith 1919, S. 3; vgl. P a n y 1989, S. 72-78. Zu den beiden Gedichten »You meaner beauties of the night« und »The Character of a Happy Life« die Aufsätze von Leishman 1945 bzw. Main 1955. S. oben S. 155.
451
erst für die Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg nachweisen. Doch deutet die handschriftliche Widmung im Breslauer Exemplar der Militia Romana darauf hin, daß sie auch davor in Verbindung standen.34 Nachdem Kaspar Schoppe aus einem Augsburger Stammbuch ein verfängliches Epigramm Wottons-ein Botschafter wäre jemand, der für seinen Staat lüge (»Legatus est Vir bonus, peregre missus ad mentiendum Reipublicae causa«) - in seinem Ecclesiasticus35 zum Abdruck gebracht hatte, um in seinem »höhnischen Frontalangriff« 36 auf die Kirchenpolitik Jakobs I. den protestantischen Monarchen zusätzlich zu desavouiren, fiel Wotton in Ungnade und wurde aus Venedig abberufen.37 Erst 1616 entsandte der König Wotton erneut in die Republik. Auf dieser Reise schloß sich ihm Friedrich Lingelsheim an.38 Aus dem gleichen Jahre stammen auch zwei Briefe Wottons an Georg Michael Lingelsheim, die sich als Abschrift bzw. als Exzerpt unter den kurpfälzischen Papieren im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München erhalten haben. In ihnen mischen sich persönliche Beileidsbekundung, die auf ein sehr persönliches Verhältnis schließen läßt, und politische Nachrichten aus Venedig. Im Mittelpunkt aber stehen Berichte über de Dominis. Weitere Briefe existieren nicht, doch im Jahre 1620 berichtet Lingelsheim in zwei Schreiben an Sainte Catherine, von Wotton aus Wien, wo der Engländer im Auftrag seines Königs die kurpfälzischen Interessen vertrat, Briefe empfangen zu haben.39 Es handelt sich also auch hier, wie bei Bongars, Hotman und anderen, um eine politische Korrespondenz. Daß die erhaltenen Schreiben Wottons aus den Münchener Akten zu rekonstruieren sind, verweist darauf, daß ihnen dieser Charakter auch von den Zeitgenossen zugesprochen worden ist. Hier finden sich ja ebenfalls die Briefe von Solms und Gueretin.40 Zugleich aber wird an den Wotton-Briefen erkennbar, daß auch diese Form offizieller Berichte in persönlich adressierten Briefen durchaus private Mitteilungen enthält, daß also von den Zeitgenossen in ihren Korrespondenzen keineswegs zwischen der privaten, gelehrten und politischen Sphäre getrennt wurde.41
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40 41
Die Widmung stammt von Wotton, für wen sie bestimmt war, ist nicht erkennbar. Ecclesiasticus Auctoritati [...] Jacobi Magnae Britanniae regis oppositus. In quo [...] disputatur De amplitudine potestatis et Jurisdictionis Ecclesiae [...] De Regum ac Principum Christianorum erga ecclesiam [...] officio, De natura [...] Haereticorum [...]. (Medingen: Dabertshofer 1611). Vgl. auch oben die Ausführungen zu Schoppe in Teil I, Kap. 3.2.2.1.4. Jaumann in Killy X, S. 470. Dazu Hausmann 1995, S. 64ff. S. oben das Kap. 1.2.4.5. zu Friedrich Lingelsheim. Vgl. Lingelsheims Briefe an Sainte Catherine vom 25.09./Ol.10. und 13./23.11.1620 (BNP: Fr. 4122, Bl. 2 3 r b z w . B l . 29 v ). Vgl. dazu oben S. 269 und 288. Das sei noch einmal zur Bestätigung der oben (S. 244) vorgestellten Auswahlkriterien, die in dieser Arbeit fiir die Aufnahme von Briefen von und an Lingelsheim angewendet worden sind, wiederholt.
452 5.4.
Thomas Murray
Direkter Nachfolger Saviles als Leiter des Eton College wurde der 1564 als Sohn eines schottischen Adligen geborene Thomas Murray. Seine Amtszeit währte jedoch nur knapp zwei Jahre, denn er starb bereits 1623. Über sein Leben ist nur wenig bekannt:42 Offenbar kam er schon früh an den Hof König Jakobs VI. von Schottland, nach dessen englischer Thronbesteigung er die Erziehung des Kronprinzen Karl übernahm. Bis 1621 verblieb er im Haushalt des Thronfolgers, davon lange Jahre als sein Sekretär, dann folgte er dem Ruf ans Eton College. Von Murray sind mehrere neulateinische Gedichte erhalten, die meisten in der 1637 zu Amsterdam erschienenen Sammlung Delitiae Poetarum Scotorum,43 Es handelt sich um eine späte Fortsetzung der Gruterschen Anthologien.44 Außerdem sind in der Manuskriptsammlung des Erzbischofs von Canterbury, Thomas Tenison, mehrere Volumina mit Briefen überliefert, die sich heute in der Lambeth Palace Library in London befinden.45 Murray stand als Sekretär des englischen Thronfolgers im Zentrum einer umfangreichen diplomatischen Korrespondenz, die hier in Autographen und Abschriften vorliegt. Aus den Jahren 1612 bis 1621 finden sich fast vierzig Briefe Volrads von Plessen an ihn (in französischer Sprache), der hier einmal mehr als >Spezialist< für die englischen Angelegenheiten in der kurpfälzischen Regierung erkennbar wird.46 Erhalten hat sich hier aber auch ein Autograph von Lingelsheim aus dem Jahre 1611 in französischer Sprache, in dem es unter anderem um die niederrheinische Krise geht.
5.5.
William Trumbull der Ältere
Bei diesem Brief wie bei den Briefen Wottons an Lingelsheim handelt es sich um politische Schreiben, mit denen der Heidelberger Oberrat seine Korrespondenten mit Nachrichten aus der Kurpfalz und dem Reich versorgte oder von ihnen Neuigkeiten empfing. Im direkten Zusammenhang mit Lingelsheims Aufgaben in der kurpfälzischen Regierung stehen auch seine insgesamt sechs Briefe aus den Jahren 1613 und 1614, die er an William Trumbull den Älteren (um 1579-1635), von 1605 bis 1625 Botschafter des englischen Königs am Hofe Erzherzog Alberts in Brüssel, richtete.47 Sämtliche Briefe behandeln die 42 43 44 45
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Vgl. Wood, Bd. III, S. 646, DNB 13, S. 1301 (mit weiteren Quellenhinweisen). Delitiae poetarvm Scotorvm (1637). Vgl. zu diesen oben S. 173 mit Anm. 19. Kurze Einführungen in die Bibliotheks- und Bestandsgeschichte liegen vor von Cox-Johnson 1958 und Bill 1966. Sie finden sich verstreut in Cod. Tenison MSS 663 bis 669 (»Papers of Thomas Murray«) in den Volumina 663, 664, 665, 666 und 667. Zwar sind seine Briefe aus den Jahren 1605 bis 1618 ediert, doch fehlt m.W. bislang eine Biographie. Am ausfuhrlichsten zu ihm (mit weiteren Quellenangaben) der Artikel im DNB 19, S. 1191f.; vgl. außerdem die ausführlichen Einleitungen in den einzelnen Bänden
453 Jülich-Klevesche Erbschaftsfrage, die sich nach der Konversion des Pfalzgrafen von Neuburg zum Katholizismus und des Kurfürsten von Brandenburg zum Calvinismus zugespitzt und am Niederrhein die spanischen und niederländischen Truppen in Alarmbereitschaft versetzt hatte.48 Außerhalb dieses Zeitraums ist eine weitere Korrespondenz Lingelsheims mit Trumbull, der 1625, nachdem England den Krieg mit Spanien aufgenommen hatte, aus Brüssel abberufen wurde, nicht festzustellen. Das ist ein weiteres Indiz dafür, daß Lingelsheim nur kurzzeitig und nur im Zusammenhang mit den Ereignissen der Jahre 1609 bis 1614 mit den englischen Angelegenheiten der Kurpfalz betraut war. Die Autographen dieser Briefe befanden sich früher unter den »Trumbull papers« im Berkshire Record Office. Sie gelangten Anfang der neunziger Jahre als geschlossener Bestand in die British Library.49 Sämtliche Briefe Lingelsheims haben in die inzwischen abgeschlossene Ausgabe der TrumbullKorrespondenz Aufnahme gefunden. Dort allerdings sind lediglich englische Übersetzungen ohne die originalen Texte abgedruckt.50 Diese editorische Methode ist sicherlich überaus problematisch; dennoch ist diese Ausgabe neben der Edition der Grotius-Briefwechsel die einzige große Briefausgabe, in die im 20. Jahrhundert überhaupt Briefe Lingelsheims aufgenommen worden sind.
5.6.
Basil Feilding, Earl of Denbigh
Gehören die bisherigen englischen Korrespondenten Lingelsheims in der gerade in England streng beachteten gesellschaftlichen Hierarchie zur >zweiten< Klasse der gentry, so war Basil Feilding, second Earl of Denbigh (vor 1608-1674), ein Angehöriger des Hochadels, der nobility.51 Er sollte später im englischen Bürgerkrieg eine wichtige militärische und politische Figur werden, zunächst auf Seiten des um seine Rechte ringenden Parlaments, dann für die Partei des im Exil seine Rückkehr vorbereitenden Karl II. Lingelsheim wandte sich in den Jahren 1631 und 1632 mit insgesamt vier Briefen an den Adligen, der mit den englischen Truppen in den Niederlanden gekämpft und im Jahre 1630 in Straßburg für kurze Zeit studiert hatte.52 Aus diesem Straßburger Aufenthalt resultierte wohl seine Bekanntschaft mit Bem-
48 49
der Briefedition. - Sein gleichnamiger Sohn (1603-1678) war mit einer Tochter Georg Rudolf Weckherlins verheiratet. Dazu oben S. 138ff. Dort wird die Sammlung seit längerem katalogisiert und konnte deshalb für diese Arbeit von mir nicht mehr eingesehen werden. Dies wurde mir auf meine schriftliche Anfrage von Miss P. J. Porter, Kuratorin in der Handschriftenabteilung der British Library, mitgeteilt. Es ist zwar nicht auszuschließen, aber doch kaum wahrscheinlich, daß aus den Jahren nach 1618 noch weitere Briefe Lingelsheims existieren. Ihre Korrespondenz war, auch in ihrer Führung, ganz durch den aktuellen politischen Anlaß bestimmt. So findet sich Lingelsheim auch schon im sechsten und letzten Band der Briefedition nicht mehr unter Trumbulls Korrespondenten.
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TRUMBULL 1 9 3 6 - 9 5 .
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Zu seiner Person D N B VI, S. 1151ff. Nicht bei Knod.
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454 egger und Lingelsheim. Bernegger versuchte in jener Zeit, Feilding als Mäzen für seine geplanten Ausgaben der antiken Historiker zu gewinnen. Lingelsheim unterstützte ihn in diesem Vorhaben.53 Durch seine Freundschaft mit Wotton und seine ehemalige Tätigkeit als führender Politiker in Diensten des kurpfälzischen Schwagers des englischen Königs verfügte Lingelsheim offenbar über ausreichende Reputation, um sich persönlich an Feilding wenden zu können. Das Projekt kam allerdings nicht zustande. Über die Gründe ist aus den vorhandenen Briefen nichts zu erfahren, zumal sich die Antwortschreiben Feildings unter den Familienpapieren im Warwick County Record Office nicht erhalten haben. Vorhanden sind dort nur die Autographen Lingelsheims, der sich bezeichnenderweise hier der französischen Sprache bediente.54 Das zentrale Thema dieser Briefe bildet aber wiederum die Situation im Reich. Lingelsheim schildert vor allem die aktuellen militärischen Bewegungen. Wie stets in seinen Briefen aus der Straßburger Zeit zeigt er sich wohl informiert. Noch einmal erweist er sich als unverdrossener Anhänger des pfalzischen Kurfürsten und der Sache der deutschen Reformierten, wenn er in seinem letzten Brief vom 31. Oktober 1632 der Hoffnung Ausdruck gibt, daß der englische König die kurpfälzische Sache nicht aufgeben möge, auch nachdem er Frieden mit den unzuverlässigen Spaniern geschlossen habe.55
5.7.
Marco Antonio de Dominis
Im Jahre 1616 war es zu einem Vorfall gekommen, der in ganz Europa die Katholiken zutiefst erschütterte und die Protestanten begeisterte. Marco Antonio de Dominis (1566-1624), 56 von Jesuiten erzogen, einstmals Professor der Mathematik in Padua und Professor der Logik und Rhetorik in Brescia, seit 1602 Erzbischof von Spalato, war nach Venedig geflohen. Er hatte dort Zuflucht im Hause Wottons gefunden, der soeben als Botschafter des englischen Königs zurückgekehrt und in der mächtigen Republik ein heimliches Haupt der antirömischen Kreise war. Aus Venedig wandte sich de Dominis nach England, wo er mit allen Ehren empfangen wurde. Im folgenden Jahr konvertierte er zum Anglikanismus. De Dominis hoffte auf eine Vereinigung der Konfessionen, ein Gedanke, der natürlich bei Jakob I. auf besonderes Interesse stoßen mußte.57 Doch
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Vgl. REIFFERSCHEID 1889, S. 897f., der die hier zitierten Briefe allerdings nicht kannte. Im Warwickshire County Record Office ist der Bestand in den letzten Jahren komplett verzeichnet worden, weitere Briefe Lingelsheims konnten dabei nicht entdeckt werden. Mir liegt dank der freundlichen Hilfe der dortigen Archivisten eine Kopie des maschinenschriftlichen Index vor. WCRO: C 84, Nr. 2 (recto). Schon in früheren Briefen zeigte sich bei Lingelsheim ein spürbares Mißtrauen, ja eine eindeutige Abneigung gegen Spanien, die so bis an sein Lebensende als ein wesentlicher Grundzug seines konfessionspolitischen Denkens charakterisiert werden kann. Zu Briefzeugnissen s. oben S. 130. Zu ihm vgl. Malcolm 1984. Zu seinen Plänen einer Versöhnung zwischen Katholiken und Protestanten vgl. Cantimori 1958.
455 schon 1622 verließ er England wieder und kehrte in den Schoß der katholischen Kirche zurück, wo er allerdings ein unruhiger Geist blieb, der wegen seiner ketzerischen Ideen kurz vor seinem Tode in Rom verhaftet wurde und in der Haft starb. Die Motive seiner Flucht aus Dalmatien legte de Dominis in einer ausführlichen Verteidigungsschrift, datiert in Venedig auf den 20. September 1616, dar. In der British Libary in London existiert ein Konvolut mit 16 Nummern »Tracts by and relating to A. de Dominis«, dessen erstes Stück die englische Übersetzung seines Manifests ist, ergänzt um ein päpstliches Dekret, mit dem die Schriften de Dominis' indiziert werden (als lateinischer Text und englische Übersetzung). In einem ebenfalls angehängten Pamphlet gegen den Papst (in englischer Sprache) wird diesem jedes Recht zu dieser Indizierung abgesprochen. Abgeschlossen wird diese Schrift durch einen Brief Lingelsheims an de Dominis vom 19. Dezember 1616, der ebenfalls zunächst in seiner lateinischen Original Version und anschließend in einer englischen Übersetzung gedruckt ist.58 Lingelsheim informiert hier den Erzbischof darüber, daß dessen Rechtfertigung in der Kurpfalz publiziert worden sei und daß er alles unternähme, diese Schrift unter seinen Freunden zu verbreiten.59 In welchem Maße Lingelsheim an der Drucklegung der Verteidigungsschrift beteiligt war, ist aus seinen Briefen aus dieser Zeit nicht zu erkennen. Der Brief an de Dominis gewinnt durch seine Publikation, wie auch das von Lingelsheim zum Druck beförderte Schreiben Casaubons an ihn, den Charakter einer Flugschrift. Er wird dadurch zu einem öffentlichen konfessionspolitischen Bekenntnis, dem durch die Übersetzung in die englische Sprache eine weitere Verbreitung jenseits der Gelehrtenrepublik gesichert war.60 Gerade in den konfessionellen Konflikten kam den nationalen Sprachen besondere Bedeutung zu, um ein möglichst großes >Publikum< zu erreichen. Lingelsheim exponiert sich mit dieser Publikation weithin sichtbar als ein entschiedener Gegner der Jesuiten und der katholischen Partei. Es ist bezeichnend für Lingelsheims gelehrte Position einer späthumanistischen Irenik, daß er sich vehement für einen katholischen Theologen einsetzt, der nicht nur durch seine Flucht vom Bischofsstuhl, sondern vor allem in seiner Verteidigungsschrift seine irenische Gesinnung demonstriert hatte. Es ist aber nicht minder bezeichnend für Lingelsheims religiöse Einstellung, daß er sich gegen die jesuitischen »Feinde der Wahrheit«
58
MANIFESTATION 1 6 1 6 , BL. M 2 R - < M 3 " ) .
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»Scriptum tuum, uti iusseras hic recusum, & supra XL. exemplaria ego in omnes partes ad amicos meos misi« (ebd., Bl. M21). In welchem Maße Lingelsheim an der Drucklegung beteiligt war, ist aus seinen Briefen nicht zu erkennen. Gemeint dürfte sein: Marci Antonii De Dominis, Archiepiscopi Spalatensis, Cavsae Profectionis Svae Ex Italia. [o.O.u.D.] 1616, das sich in der Bibliotheca Palatina (F 5246) befand. Inwieweit man in diesem Schreiben womöglich sogar einen Vorläufer des >offenen Briefespolitischen< Charakters ist, erkennen könnte, sei hier nur zur Überlegung gestellt; Nickisch definiert diese Briefsorte dadurch, daß hier ein konkretes politisches Ereignis Anlaß stiftet, an einen bestimmten Adressaten ein Schreiben zu richten, das dann durch seine nachträgliche Veröffentlichung zu einem offenen Brief erklärt werde (Nickisch 1994a, S. 473).
60
456 wendet-und das meint keine konfessionelle, sondern eine einzig auf Gott begründete Wahrheit, die de Dominis mit Gottes Hilfe weiter unter der gesamten Christenheit verbreiten solle: »Deus suo sancto Spiritu tibi adsit, ut opus tuum absoluere, & plurimos iuuare, & in viam Veritatis ducere queas.«61
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MANIFESTATION 1 6 1 6 , BL. M 2 \
Zusammenfassung Georg Michael Lingelsheim ist zweifellos zu den bedeutenden Epistolographen in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik Europas zu zählen. Knapp 2.300 Briefe von ihm und an ihn sind heute noch als Autographen, in Abschriften, Editionen, als Konzepte, Exzerpte oder in Auszügen erhalten. Das aber ist nur ein Teil der von ihm über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten geführten Korrespondenzen. In den erhaltenen Briefen finden sich vielfach Hinweise auf heute verlorene Schreiben, der Überlieferungszustand gerade auch seiner >großen< Korrespondenzen ist überaus lückenhaft. So finden sich von den Briefwechseln mit Sainte Catherine und Junta nur Briefe von Lingelsheim, von seinen Korrespondenzen mit Loefen, Colli, Goldast sind von wenigen Ausnahmen abgesehen ebenfalls nur seine Schreiben, von seiner Korrespondenz mit Denaisius dagegen fast ausschließlich Briefe an ihn überliefert. Auch die Korrespondenzen mit Bongars und Grynaeus sind nicht mehr vollständig nachzuweisen. Verloren bzw. bislang nicht aufzufinden sind außerdem Zeugnisse von Briefwechseln mit weiteren Personen, etwa mit Andreas Dudith, mit dem französischen Diplomaten Ancel oder dem englischen Gesandten Le Sieur und anderen, mit denen Lingelsheim definitiv korrespondiert hat. Sowohl der Kreis seiner Korrespondenten als auch die Zahl der Briefe, die er verfaßte oder empfing, waren also umfangreicher, als es heute noch durch Briefzeugnisse zu belegen ist. Der Kreis der Korrespondenten indes scheint nicht wesentlich größer gewesen sein, als er anhand erhaltener Briefzeugnisse zu dokumentieren ist. Doch ist nicht abzuschätzen, wie viele Einzelbriefe verschiedener Personen einst existierten, die anlaßgebunden an Lingelsheim gerichtet oder von ihm geschrieben wurden und an die sich über den konkreten Anlaß hinaus keine weitere Korrespondenz anschloß. Derartige Anlässe brieflicher Kommunikation boten sich in der Gelehrtenrepublik zu Genüge: Empfehlungsschreiben für junge Studenten auf ihrer peregrinatio, Begleitschreiben zu übersandten Büchern, Dankesbriefe für empfangene Widmungen, sachgerichtete Anfragen im Rahmen gelehrter Studien (etwa Bücherwünsche) usw. Ebenso ist in diesem Zusammenhang an die Übermittlung >politischer< Informationen zu denken, die Lingelsheim in seiner Funktion als Oberrat erreichten oder von ihm ausgingen und die durchaus als >persönliche< Briefe konzipiert sein konnten. Beispiele dafür sind auch unter den erhaltenen Korrespondenzen mehrfach zu finden. Doch ist nicht davon auszugehen, daß >große< Briefwechsel vollständig verloren sind. Die Zahl der von Lingelsheim ursprünglich gewechselten Briefe liegt dagegen wohl wesentlich über deijenigen der bislang nachzuweisenden Zeugnisse. Es ist doch als überaus wahrscheinlich anzunehmen, daß zu den erhaltenen Brie-
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fen an Sainte Catherine, Junta, Loefen, Colli, Goldast und von Denaisius noch einmal Antwortschreiben in etwa der gleichen Größenordnung existiert haben dürften. Dann wäre alleine hier von einem Verlust von etwa 500 bis 600 Briefen auszugehen. Man wird auch bei äußerst vorsichtiger Schätzung letztlich mit einer Zahl von deutlich mehr als 3.000 und bis zu 4.000 Briefen rechnen dürfen, die Lingelsheim in seinem Leben wechselte. Für die Briefverluste gibt es verschiedene Gründe. Hier ist zum ersten der Verlust von Lingelsheim Bibliothek zu nennen, die er bei seiner Flucht in Heidelberg fast vollständig zurücklassen mußte. Zum zweiten bewahrten die Späthumanisten natürlich nicht alle Briefe auf, sondern sortierten in dem ihnen verinnerlichten Anliegen, der Nachwelt die Zeugnisse ihrer gelehrten Kommunikation im Druck zu überliefern, aus ihren Korrespondenzen durchaus jene Schreiben aus, die diese gelehrt-literarische Gravität nicht besaßen. Daß sich etwa die Billets, die Lingelsheim in Heidelberg an Schede Melissus richtete, erhalten haben, bildet eine Ausnahme. Zum dritten war es durchaus nicht unüblich, die Manuskripte jener Briefe, die in Editionen aufgenommen wurden, nach der Drucklegung zu vernichten. Damit ist also von Briefverlusten, nunmehr allerdings nicht mehr nur von Autographen, sondern auch von Abschriften anderer Hand, noch weit nach dem Tode Lingelsheims auszugehen. Beispiele dafür bieten etwa die Editionen der Korrespondenz zwischen Bongars und Lingelsheim oder der Goldast-Briefe; die dort versammelten Briefe sind von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen nur noch in diesen Drucken vorhanden. Und viertens sind schließlich über die Jahrhunderte stets >normale< Verluste unter Bibliotheksbeständen einzukalkulieren, etwa durch Diebstähle, äußere Einflüsse auf das Schreibmaterial (wie in der Bibliothèque municipale in Troyes) oder Kriegseinwirkungen (wie in Breslau). Die dominierende Sprache dieser Korrespondenzen ist das Latein. Es blieb das Idiom der gelehrten Kommunikation und ebenso bis in das 17. Jahrhundert hinein die übliche diplomatische Verkehrssprache. Die lateinische Gelehrtenkultur prägte allerdings die Heidelberger Zentralbehörden so sehr, daß dies bereits den Zeitgenossen besonderer Erwähnung wert schien. Daß aber Ludwig Camerarius als zeitweilig führende Gestalt in der kurpfälzischen Exilregierung aufgrund mangelnder französischer Sprachkompetenz am Lateinischen festhielt, ist ebenso erwähnenswert, nunmehr allerdings eher als Besonderheit in der europäischen Diplomatie. In den Korrespondenzen Lingelsheims wird die Wendung zum Französischen als Sprache der Höfe und auch der Politik durchaus sichtbar. Mit Jacques Bongars, der noch den Typus des späthumanistischen gelehrten Diplomaten verkörperte, korrespondierte er in lateinischer Sprache, ebenso mit seinen Heidelberger >Kollegen< wie Loefen, Grünrade, Grün u.a. In der nächsten Generation der Diplomaten und Räte gewann dann das Französische größere Bedeutung. Die Korrespondenzen mit Jean Hotman und Estienne de Sainte Catherine führte Lingelsheim ausschließlich in ihrer Muttersprache, wie auch in seinen Briefwechseln mit den kurpfälzischen Politikern, die im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges und nach der böhmischen Niederlage Einfluß gewannen (etwa Dohna, Karl Paul, der jüngere Joachim Camerarius), die französische Sprache
459 zur wichtigsten diplomatischen Verkehrssprache wurde. Lingelsheim, der das Französische glänzend beherrschte, schloß sich dieser Entwicklung an. Daß sich Johann Albrecht Graf von Solms in seinen beiden frühen Briefen an ihn aus dem Jahre 1587 ebenfalls des Französischen bediente, bildet hingegen (wie umgekehrt das Beispiel Ludwig Camerarius') eine Ausnahme, die wohl als ein Hinweis auf eine spezifisch adlige Sprachkultur zu deuten, aber keinesfalls überzubewerten ist. Ungebrochene Bedeutung behielt das Lateinische aber über den gesamten Zeitraum der nachzuweisenden Korrespondenzen als die Sprache der Gelehrten. Auch die jüngeren Dichter wie Opitz, Zincgref und Venator, die einer deutschsprachigen Kunstdichtung den Weg bereiteten, verfaßten ihre Briefe an Lingelsheim selbstverständlich in lateinischer Sprache. Gerade einmal 15 Briefe der gesamten Korrespondenzen sind auf Deutsch verfaßt (bzw. im Falle der beiden Exzerpte der Schreiben von Gueretin und Wotton überliefert), das als Sprache in diesen Korrespondenzen nur eine marginale Rolle spielte. Es ist bezeichnend, welche drei Briefwechsel Lingelsheims ausschließlich in deutscher Sprache gefuhrt wurden: Die Auseinandersetzung mit dem Basler Rat über die Bongars-Bibliothek, die Anfragen des Augsburger Kunsthändlers Hainhofer und der einzelne Brief, den Lingelsheim an seine zweite Frau richtete, sind alles Beispiele für Korrespondenzen, die außerhalb der üblichen gelehrten und diplomatischen Kommunikation Lingelsheims lagen. Latein blieb nicht nur die dominierende Sprache der Diplomatie und der Gelehrsamkeit, sondern es erfüllte auch eine doppelte Funktion: Zum einen stiftete und belegte es innerhalb der Gelehrtenrepublik Gemeinsamkeit, zum anderen aber stellte es einen verbindlichen sprachlich-intellektuellen Code gegenseitiger Verständigung über sämtliche Fragen der Zeit zur Verfügung, der sowohl benutzt wurde als auch entschlüsselt werden konnte von allen, die in der Gelehrtenrepublik an dieser Kommunikation partizipierten bzw. in sie integriert waren. Auch sprachlich wurde somit eine Exklusivität gewahrt. Die Benutzung der eigenen nationalen Sprache, also der Sprache des >gemeinen Volkesgemischter< bzw. mittlerer Stil, bleibt gleich, er ist aber immer rhetorisch ausgestaltet. Das gilt auch für die französischen Briefe. Die Korre-
460 spondenzen Langelsheims weisen das gesamte und multiple funktionale Spektrum auf, das die Gattung in der späthumanistischen Kommunikation ausfüllte. Der Übergang zu anderen >Textformen< war dabei fließend, wie im Falle der beiden Briefe von Casaubon bzw. an de Dominis konnte der privat adressierte Brief jederzeit auch ohne >Umarbeitung< für publizistische Zwecke genutzt werden. Die zeitgenössische Diplomatie basierte vor allem auf den Nachrichten, die über persönliche Briefe von persönlichen Bekannten übermittelt wurden. Informationen, die Lingelsheim etwa von Wotton erhielt, leitete er an Bongars weiter, Briefe von Bongars an ihn legte er seinem Kurfürsten bzw. im Oberrat vor. Eine Trennung zwischen politischer bzw. diplomatischer und gelehrter Korrespondenz ist im Falle Lingelsheims kaum zu erkennen, öffentliches Amt und gelehrtes Selbstverständnis verschmolzen in einem späthumanistischen Lebensentwurf. Das war vielen seiner Korrespondenten gemeinsam. Diese Ambivalenz der persönlichen Existenz bildete für sie keinen Widerspruch, obgleich die Klage über die Last des Amtes, das nur wenig Muße für die Studien ließe, immer wieder geführt und auch als drückend empfunden wurde. Der Stellenwert, der der Weitergabe von Nachrichten oder der >fachlichen< gelehrten Diskussion in den einzelnen Korrespondenzen zugewiesen ist, hängt aber zum einen natürlich von den Tätigkeiten ab, die der jeweilige Briefpartner ausübte, zum anderen ist er durch den Anlaß eines Briefes bestimmt. Das wird besonders deutlich an der Korrespondenz mit Grotius, die sich über mehr als zweieinhalb Jahrzehnte erstreckte: In den ersten Jahren steht der Austausch über Grotius' poetische und gelehrte Werke gleichrangig neben Klagen über das Schicksal der Reformierten in den Niederlanden und den niederländischen Aufstand; zwischen seiner Berufung als Ratspensionär und seiner Festnahme sind die Briefe von Grotius von konfessionspolitischen Themen dominiert, die nunmehr stets auch aus der Perspektive seines einflußreichen Amtes erwogen werden und bei beiden Korrespondenten einen spezifischeren, den jeweiligen Amtstätigkeiten verbundenen Informationsgehalt besitzen; nach beider Flucht, als sie ohne Amt waren und somit nur noch über indirekte Zugänge zu politischen Informationen verfugten, gewinnen das persönliche Schicksal und mehr noch die Verteidigung und Entwicklung irenischer Positionen nunmehr aus einer vornehmlich gelehrten Perspektive heraus an Bedeutung. Die Zusammenarbeit bei der Edition von Hotmans Syllabus bietet dafür das beste Beispiel. Lingelsheims Korrespondenz mit Scaliger, um nur ein anderes Beispiel aus dem gleichen späthumanistischen >Kreis< zu nehmen, dagegen beherrschen ausschließlich gelehrte Themen; als Universitätsprofessor besaß der Leidener keinerlei Einfluß und kaum Einblick in die konfessionspolitischen Entscheidungen auf der diplomatischen Bühne. Insgesamt lassen sich Lingelsheims Korrespondenzen in erster Linie als gelehrte Korrespondenzen charakterisieren, in denen späthumanistische Gelehrtenkommunikation ihren adäquaten Ausdruck fand. Dazu gehörte ganz selbstverständlich, zumal in den über gemeinsame Amtsinteressen eingeleiteten Korrespondenzen, der Austausch diplomatischer Nachrichten, so daß inhaltlich die typische >Mischform< späthumanistischer Briefe dominiert. Nur einige wenige
461 Briefwechsel waren ausschließlich politischen Inhalts und nur durch diplomatische Zusammenhänge motiviert. Der Gehalt >privater< Informationen in den einzelnen Briefen variiert. Das eigene biographische Moment ist aber immer vorhanden, nicht nur in dem Sinne, daß es natürlich die Schreibmotivation bot, sondern auch insofern, als das Persönliche und Individuelle ebenfalls in den Briefen thematisiert wurde. Inwieweit hier persönliche Existenz in Form eines bewußt gewählten späthumanistischen Lebensentwurfs stilisiert und zur Selbstdarstellung wird, ist im Einzelfall nicht immer zu entscheiden. Wenn etwa Krankheiten oder Todesfälle berichtet werden, ist zwar die Realität der biographischen Fakten eindeutig gewährleistet, die Darstellung jedoch ist selbstverständlich in ihrer Literarisierung durch die Haltung der Zeit zu diesen Lebensereignissen prädisponiert. Indes gibt es zahlreiche Belege in Lingelsheims Korrespondenzen, in denen das Persönliche, das PrivatIntime in den Mittelpunkt gestellt ist; so in seinem Schreiben an Borcke, den Lingelsheim damit zu seiner Hochzeit einlädt, so in dem Brief an seine Frau, so besonders in seinen Briefen an Sainte Catherine vor und nach seiner Flucht aus Heidelberg. Hier deuten sich Übergänge zu >Privatbriefen< an, wenngleich der literarische >Kunstcharakter< gewahrt bleibt. Die Entwicklung von Lingelsheims Korrespondenz, d.h. sowohl die Zahl der gewechselten Briefe als auch die Größe seines Korrespondentenkreises, spiegelt seine gelehrte und öffentliche >Karriere< als einen durchaus exemplarischen späthumanistischen Lebenslauf eines Angehörigen des bürgerlichem Standes wider. Vier Lebensabschnitte lassen sich markieren, die sich in anderen zeitgenössischen Biographien ganz ähnlich abbilden ließen: Die Jahre der akademischen Ausbildung als die Zeit der gelehrten Grundlegung, die Tätigkeit als praeceptor als Phase des Eintritts und der Installierung in der Gelehrtenrepublik, die dreißig Jahre im Heidelberger Oberrat als die Jahrzehnte der Etablierung und des Aufbaus einer weithin anerkannten Stellung in der europäischen res publica litteraria und schließlich die letzten eineinhalb Lebenjahrzehnte nach der Flucht aus Heidelberg als berühmte und renommierte Autorität für eine jüngere Generation. In den Jahren seiner akademischen Ausbildung in Straßburg, Heidelberg und Basel verfugte Lingelsheim nur über wenige Verbindungen in die Gelehrtenrepublik. Sie basierten ausschließlich auf Beziehungen, die in seiner patria hergestellt wurden. Als Sohn eines Lehrers konnte er in der res publica litteraria keine Kontakte seiner Familie aktivieren, wie sie etwa ein Sprößling der berühmten Familie Camerarius besaß oder wie sie später durch ihn selbst für seinen Sohn Friedrich aktiviert werden konnten. Lingelsheim war in dieser Zeit auf einflußreiche Förderer angewiesen, die für ihn die entscheidenden Kontakte vermittelten. Diese fand er in Hubert Languet, Johann Lobbetius und François Hotman, die alle einer älteren Späthumanistengeneration angehörten und in der Gelehrtenrepublik etabliert waren. In dieser Zeit bemühte er sich selbst aber auch darum, Kontakte anzubahnen. Mit seiner juristischen Promotion hatte er dann die unabdingbare Qualifikation für ein öffentliches Amt in Fürstendiensten erworben, blieb aber weiterhin auf Protektion angewiesen. Daß er diese erhielt, zeigt das soziale >Funktionieren< der Gelehrtenrepublik und die Stabilität ihrer
462 Beziehungen zwischen den Generationen. Erst mit seiner Berufung in den Heidelberger Oberrat verfugte Lingelsheim über die Basis, sich in der Gelehrtenrepublik zu reputieren und stetig wachsenden Einfluß zu gewinnen. Während seiner ersten beiden Lebensabschnitte pflegte er nur eine geringe Korrespondenz mit wenigen Korrespondenten, unter denen die ältere Generation führend war. Als Oberrat baute er seinen Korrespondentenkreis stetig aus und wurde nun selbst zu einer Person, deren Kontakt man suchte. Der größte Teil seiner Korrespondenzen entstand in den knapp drei Jahrzehnten, die Lingelsheim in diesem Amt wirkte. Nunmehr dominierten in seinem Korrespondentenkreis Personen seiner Generation. Zwischen 1605 und 1617 verstarben allerdings seine wichtigsten Korrespondenten. Nach der Flucht aus Heidelberg gehörte Lingelsheim dann selbst zur älteren Generation in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, während seine Korrespondenten fast alle jünger waren und in ihm eine fest etablierte und bekannte Gestalt suchten und respektierten. Sein Korrespondentenkreis wurde nun ebenso wie die Zahl seiner Briefe geringer. Auch in Straßburg aber blieb Lingelsheim über seine Briefwechsel zumindest als Vermittler von Nachrichten in die diplomatische Kommunikation der kurpfalzischen Exilregierung eingebunden und hielt auch mit einzelnen Mitgliedern der Exilregierung, also >Politikern< der jüngeren Generation, Kontakte, ohne indes >aktiv< über ein Amt in die Exilpolitik involviert zu sein. Lingelsheims Lebensweg bildet sich auch in der regionalen Verteilung seiner Korrespondenzen ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Mobilität ihrer Angehörigen ein Signum der humanistischen und späthumanistischen Gelehrtenrepublik war, die nicht nur im Zuge ihrer Studien, ihrer peregrinationes oder Kavaliersreisen, sondern auch im Rahmen ihrer diplomatischen oder gelehrten Tätigkeiten unter den Bedingungen konfessioneller Wechsel in den Territorien und des konfessionellen Drucks auf den Einzelnen in allen Biographien festzustellen ist. Daraus resultiert eine >personelle< Fluktuation in den regionalen Gelehrtenkreisen. Gerade die Späthumanisten der ersten Generation wie François Hotman oder Languet sind regional kaum zu fixieren und wirkten an verschiedenen Stationen. Der Zeitraum einer Korrespondenz bietet so hinsichtlich des Aufenthaltsortes oft nicht mehr als eine biographische Momentaufnahme. Dies gilt zumal dann, wenn nur einzelne Briefzeugnisse festzustellen sind, die an bestimmte Anlässe gebunden waren und aus denen sich keine längerfristige Korrespondenz ergab. In diesem Zusammenhang ist die jeweilige Lebensphase des Korrespondenten zu berücksichtigen. Ein junger Student auf seiner peregrinatio, wie etwa Albert von Sebisch, kann nicht einfach mit jenem Ort verbunden werden, an dem er sich in dem Moment aufhielt, als er mit Lingelsheim korrespondierte; bei seinem mit der Aufnahme des Studiums zu markierenden Eintritt in die Gelehrtenrepublik verfugte ein junger Gelehrter in der Regel noch nicht über tragfähige Verbindungen zu den gelehrten Kreisen dieses Ortes, sondern wollte ja gerade diese Verbindungen aufbauen. Hier ist dann das Kriterium der regionalen Herkunft als prägender Raum relevant, nicht aber der zufällige und kurzzeitige Aufenthaltsort und auch nicht ein späterer Lebensmittelpunkt nach dem
463 Ende der festzustellenden Korrespondenz. Nicht zwangsläufig führte eine peregrinatio zu stabilen Kontakten und d.h. auch anschließenden Korrespondenzen mit den Gelehrten eines Ortes; Lingelsheim selbst verdankte seiner kurzen Reise nur wenige tragfähige Verbindungen in die Gelehrtenrepublik. Anders liegt der Fall bei Angehörigen einer älteren Generation, die über lange Zeiträume an einem Ort wirkten und dort möglicherweise wichtige Rollen im gelehrten Leben gespielt haben, zum Zeitpunkt eines brieflichen Kontaktes aber aus den unterschiedlichsten Gründen andernorts lebten; sie dürfen nicht sozusagen retrospektiv verortet werden, sondern sind ihrem jeweils aktuellen Aufenthaltsort zuzuordnen, will man nicht geistige Verbindungen konstruieren, die zu dem Zeitpunkt eines Briefwechsels keine prägende Relevanz mehr besaßen bzw. nicht mehr existierten. Als Lingelsheim mit Caspar Peucer korrespondierte, hielt sich dieser im anhaltinischen Exil auf; zuvor war er aber in Kursachsen über Jahrzehnte eine der zentralen Gestalten des dortigen gelehrten Lebens gewesen. Sein Schreiben wiederum erreichte Lingelsheim aus Altdorf. Ähnlich verhält es sich mit de Dominis. Die territoriale oder nationale Abstammung kann hier dann nicht das entscheidende Kriterium werden, nach dem Zugehörigkeiten zu gelehrten Kreisen zu bestimmen sind. Unter den älteren kurpfälzischen Korrespondenten Lingelsheims findet sich beispielsweise kein Kurpfälzer, nur Johann Christoph von der Grün entstammte zumindest dem oberpfälzischen Adel. Gleichwohl läßt sich die regionale Struktur der Gelehrtenrepublik im Korrespondentenkreis Lingelsheims deutlich abbilden. Zu fixieren sind im Bemühen einer regionalen Strukturierung des Korrespondentenkreises die Orte oder Regionen bzw. (Territorial-)Staaten, die über den Zeitraum des jeweiligen Briefwechsels für den Einzelnen einen fast immer durch ein Dienstverhältnis begründeten Lebensmittelpunkt bildeten. In der Regel fallen die regionalen Zuordnungen eindeutig aus. In der regionalen Struktur des Lingelsheimschen Korrespondentenkreises bildet sich eine gut organisierte und funktionierende res publica litteraria ab, in der sich gelehrtes und literarisches Leben an einzelnen Orten um herausragende Einzelgestalten oder Institutionen in Zirkeln formierte, die ein gemeinsames Verständnis einer spezifischen intellektuellen Kultur und einer besonderen gesellschaftlichen Stellung zusammenschloß und deren Angehörige mit Gelehrten anderer Kreise über charakteristische Formen der Kommunikation verbunden waren. Über die prosopographische Analyse hinaus werden institutionelle Anbindungen, das personelle Beziehungsgeflecht und individuelle Netzwerke erkennbar. Für den Einzelnen ist damit das gelehrte Umfeld zu definieren, in das er durch das allen gemeinsame intellektuelle Selbstverständnis und Selbstbewußtsein integriert war und in dem er sich zu etablieren hatte. Über ein Drittel seiner Korrespondenten ist Lingelsheims direktem Heidelberger Umfeld zuzuordnen. Es handelt sich überwiegend um weltliche Beamte sowie um Personen, die dem späthumanistischen Heidelberger Dichter- und Gelehrtenkreis zuzurechnen sind. An Lingelsheims kurpfalzischem Korrespondentenkreis ist festzustellen, wie sehr die späthumanistische Gelehrtenkultur die politischen Gremien durchdrang; viele der >Beamten< gehörten in das Umfeld des
464 Dichter- und Gelehrtenkreises und traten selbst mit gelehrten oder poetischen Werken in Erscheinung. Mitglieder des Kirchenrates befinden sich unter seinen kurpfalzischen Korrespondenten nur vereinzelt; einen intensiveren Briefwechsel pflegte Lingelsheim hier nur mit Otto von Grünrade - allerdings stammt die Mehrzahl der Briefzeugnisse aus ihrer gemeinsamen Tätigkeit als Erzieher des Kurprinzen und war somit >dienstlich< motiviert. Die kurpfälzischen Korrespondenzen Lingelsheims entstanden zum einen aus seinen Verbindungen mit >Kollegen< heraus, sie sind deshalb vielfach von dem Austausch bzw. der Weiterleitung politischer Informationen dominiert. Zum anderen kommt in ihnen seine herausragende Stellung im Heidelberger Späthumanismus zum Ausdruck. Eine Besonderheit dieses Korrespondentenkreises ist, daß verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Lingelsheim und einigen Korrespondenten geknüpft wurden, daß die adlig-bürgerliche Führungsschicht also auch so ihre Geschlossenheit dokumentierte. Besonders eng gestalteten sich seine Kontakte auch in seine patria Straßburg, die Lingelsheim in offizieller Mission oder privat mehrfach besuchte und in der er nach seiner Flucht aus Heidelberg weit über ein Jahrzehnt lebte. Zwar gibt es nur wenige erhaltene Korrespondenzen mit Straßburgern, doch lassen sie bereits erkennen, daß seine persönlichen Verbindungen um 1600 ausschließlich zur dortigen calvinistischen Minorität bestanden und wiederum mit Personen, die politische Ämter bekleideten. Mit Matthias Bernegger wurde bezeichnenderweise ein irenischer Späthumanist, der selbst in den Verdacht kryptocalvinistischer Tendenzen geriet, Lingelsheims wichtigster Korrespondent in seinen letzten Lebensjahren. Über Heidelberg und Straßburg bahnten sich auch seine Briefkontakte mit Schlesiern an. Allerdings ist es keinswegs so, daß sich in Lingelsheims schlesischen Korrespondenzen die bekannten äußerst engen Kontakte zwischen Schlesien und der Kurpfalz widerspiegelten. Mit Ausnahme Dornaus waren seine schlesischen Korrespondenten um 1600 geboren und traten als Studenten in Verbindung mit Lingelsheim als einer einflußreichen Gestalt des oberrheinischen Gelehrtenkreises. Abgesehen von seiner Korrespondenz mit Martin Opitz, der eine sehr enge und vertraute Beziehung zu seinem ehemaligen Hauspatron pflegte, lassen sich zu anderen Schlesiern jedoch nur einzelne und seltene Briefkontakte feststellen. Das gilt auch für seine übrigen Briefwechsel im Reich. Sie verbanden Lingelsheim in Nürnberg vor allem mit Gelehrten der dortigen Universität und hier in Gestalt von Giphanius (den er noch als seinen Lehrer in Straßburg kennengelernt hatte), von Rittershausen und Gentiiis mit den wichtigsten Exponenten der französischen Rechtsschule von Cujas und Donellus in Deutschland. Nur sporadisch waren seine Kontakte nach Augsburg und nach Anhalt. Hier sind es fast immer Einzelbriefe bzw. wenige Schreiben, die ganz eindeutig an einen Anlaß bzw. einen >Vorgang< gebunden waren und denen keinerlei Hinweise auf engere Beziehungen Lingelsheims zu den dortigen Gelehrtenkreisen zu entnehmen sind. Spätestens an diesen beiden Beispielen, insbesondere an >AnhaltMitglieder< eines dortigen Gelehrtenkreises zu betrachten; daß sie jeweils in Anhalt Aufnahme finden konnten, weist allerdings auf dortige spezifische konfessionspolitische Konstellationen hin. Blotius dagegen ist zwar eine wichtige Figur des späthumanistischen Kreises um den Kaiserhof, mit ihm ist jedoch über einen wiederum aus einem konkreten Anlaß entstandenen Brief hinaus kein Kontakt festzustellen, wie überhaupt engere Verbindungen Langelsheims zum Prager bzw. Wiener Späthumanismus nicht bestanden zu haben scheinen. Einzelgestalten, für die er die Rolle eines Mentors einnahm, über die allerdings keinerlei Verbindungen zu regionalen Gelehrtenkreisen hergestellt wurden, waren auch Jungermann und Goldast. Intensiv gestalteten sich Lingelsheims briefliche Verbindungen nach Frankreich, das während der Herrschaft Heinrichs IV. der wichtigste >Partner< der kurpfalzischen Politik auf europäischer Bühne war. Bezeichnenderweise sind fast alle französischen Korrespondenten Lingelsheims zu den politiques zu zählen, denen ein irenischer Späthumanismus gemein war. Mit Jacques Bongars findet sich hier sein hinsichtlich des Umfangs der gewechselten Briefe bedeutendster Korrespondent. Der gelehrte Diplomat ist zum Umfeld des Pariser Späthumanismus zu zählen, der sich in der französischen Hauptstadt wie nirgends sonst in verschiedenen Zirkeln organisierte. Auch Casaubon und Sainte Catherine können dort verortet werden, Tilenus bleibt aufgrund seiner Biographie eine Einzelgestalt, über Falvigny ist so gut wie gar nichts bekannt. Auch wenn Casaubon sich später nach England wandte, ist er in der europäischen res publica litteraria doch eindeutig dem französischen Späthumanismus zuzuordnen. Einer der wichtigsten Kreise in der europäischen Gelehrtenrepublik formierte sich in Paris um Jacques-Auguste de Thou und später im Cabinet Dupuy. Lingelsheims Verbindungen dorthin basierten jedoch weitgehend auf seiner Anteilnahme bzw. Beteiligung am >Projekt< der de Thouschen Historia. Ansonsten waren es vor allem Diplomaten in Diensten der französischen Krone, mit denen er über längere Zeiträume und intensiver korrespondierte. Ihnen war er persönlich während verschiedener Missionen, die sie nach Heidelberg führten, begegnet, mit ihnen verbanden ihn über gemeinsame gelehrte Interessen hinaus ihre Amtsgeschäfte. Gerade an Lingelsheims französischen Korrespondenten wird so die enge Verbindung von Diplomatie und Gelehrtenkultur auch personell noch einmal sehr deutlich. Ganz offensichtlich aber war Lingelsheim in der damaligen Gelehrtenrepublik ein wichtiger Verbindungsmann zum französischen Späthumanismus und ebenso für die dortigen Späthumanisten ins Reich. Gerade seine französischen Korrespondenten fanden in ihm jene Gestalt, die die Veröffentlichung von Schriften ermöglich konnte, die in einem nach der Ermordung Heinrichs IV. wieder eine größere Nähe zu Rom suchenden Frankreich wegen ihrer späthumanistisch-irenischen Grundpositionen nicht mehr zu veröffentlichen waren. Die konfessionspolitischen Beziehungen der Kurpfalz zu den Niederlanden waren ebenfalls überaus eng. Lingelsheims Korrespondenz mit Hugo Grotius be-
466 handelt das ganze Spektrum der gelehrten, konfessionellen und politischen Verbindungen zwischen der Kurpfalz und den Niederlanden und ist insofern für die besonderen Beziehungen zwischen diesen beiden >Staaten< und zwischen den gelehrten Kreisen in Heidelberg und Leiden im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges geradezu paradigmatisch. Doch entstanden die niederländischen Briefwechsel Lingelsheims vor allem aus gelehrten Interessen heraus. Während einer Mission in die Niederlande war er im Jahre 1603 den Leidener Späthumanisten persönlich begegnet. Nach dieser Reise begannen seine Korrespondenzen, die ihn wie andererseits seine Kontakte nach Paris mit einem zweiten Zentrum des europäischen Späthumanismus, der Universität Leiden, verbanden. Languet ist diesem Leidener Kreis allerdings nicht zuzuordnen, er aber nimmt unter den niederländischen Korrespondenten insofern eine Sonderstellung ein, als er als Angehöriger einer älteren Späthumanistengeneration ganz am Anfang der öffentlichen Laufbahn Lingelsheims eine entscheidende Rolle spielte und lange vor der Formierung jenes gelehrten Kreises um Scaliger verstorben war. Lingelsheims Briefkontakte in die Eidgenossenschaft wiederum fuhren in zwei Orte, die für die Reformation bzw. den Humanismus am Oberrhein von großer Bedeutung gewesen sind. Basel besaß neben Heidelberg (und später Straßburg) die wichtigste Universität in diesem Raum, die Studierende aus dem gesamten protestantischen Europa und insbesondere den oberrheinischen Territorien anzog. Zudem war die Stadt von Anfang an eines der Zentren des europäischen Humanismus gewesen. Lingelsheim selbst hatte hier studiert, seine Korrespondenzen entstanden allerdings nicht aus diesem Aufenthalt heraus. Die entscheidende Kontaktperson nach Basel war für ihn Johann Jakob Grynaeus, den Lingelsheim in Heidelberg, als Grynaeus die dortige Universität reformierte, kennengelernt hatte. Grynaeus bildete den eindeutigen Mittelpunkt des Basler Korrespondentenkreises Lingelsheims. Der ältere Buxtorf und Ludwig Lucius verdankten ihm ihre Berufungen an die Universität. Allerdings unterhielt Lingelsheim zu seinen übrigen Basler Korrespondenten, die alle wie auch Grynaeus als Professoren an der Universität lehrten, nur Briefwechsel geringen Umfangs. Grynaeus ist insofern eine exzeptionelle Gestalt im gesamten europäischen Korrespondentenkreis Lingelsheims, als dieser bei jenem stets als Theologe Rat suchte und auch in allen Fragen fand. Grynaeus, der ein überzeugter Calvinist der strengen Genfer Prägung war, scheint so großen Einfluß auf die Ausformung der persönlichen Glaubenshaltung Lingelsheims ausgeübt zu haben, wenngleich Lingelsheims Calvinismus stark irenisch geprägt gewesen ist; er stand den Gedanken der französischen politiques und der Philosophie des niederländischen Neostoizismus sehr viel näher als einem Calvinismus im Sinne Calvins, Bezes und der Gomaristen. Das dürfte auch ein Grund für seine kaum nennenswerten Kontakte nach Genf sein, dem calvinistischen Zentrum des damaligen Europa. Briefkontakte Lingelsheims dorthin sind nur in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts, also zu einem sehr frühen Zeitraum seiner damals zudem noch insgesamt weniger umfangreichen und weitreichenden Korrespondenzen festzustellen. Während Lingelsheim als junger Gelehrter mit dem >großen< Beze offenbar vergeblich einen Kontakt herzustellen versuchte, scheint sein Briefwechsel
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mit François Hotman aus einer persönlichen Bekanntschaft zu resultieren, die nun wahrscheinlich in seiner Basler Studienzeit angeknüpft worden war, wohl aber nicht mehr auf Hotmans Tätigkeit am Straßburger Gymnasium zurückzufuhren ist. Nur eine marginale Bedeutung in Lingelsheims Korrespondentenkreis besaßen seine englischen Briefwechsel. Aus seiner Tätigkeit in Diensten Robert Sidneys resultierten keine engeren Verbindungen auf die Insel. Lingelsheims Kontakte reichten weder an den Königshof noch an eine Universität oder in einen größeren gelehrten Kreis. Allenfalls wäre das Eton-College in Oxford als gewisser institutioneller Sammelpunkt zu bezeichnen, doch wirkten hier Savile, Murray und Wotton nacheinander als Rektoren. Mit Savile und Wotton verbanden Lingelsheim zwar engere Freundschaften, die auf persönlichen Begegnungen beruhten, die sich jedoch offensichtlich nicht in regelmäßigen Korrespondenzen artikulierten. Erneut finden sich zwei Diplomaten unter seinen englischen Korrespondenten (Wotton und Trumbull); mit seinen Briefen an den Earl of Denbigh versuchte Lingelsheim jenen als Mäzen für ein Berneggersches Editionsvorhaben zu gewinnen. Letztlich aber bestehen zwischen seinen englischen Korrespondenten kaum Verbindungen, die auf mehr als nur den gemeinsamen späthumanistischen Bildungshintergrund und ihre >Nationalität< zu gründen wären. Marco Antonio de Dominis hielt sich nur kurzzeitig im englischen Exil auf; da Lingelsheims Brief an ihn ein Einzelzeugnis ist, das gerade diese Entscheidung des Bischofs fur eine Flucht nach England betrifft, kann de Dominis anlaßgebunden unter die englischen Korrespondenten eingereiht werden. Aus der regionalen Verteilung der Korrespondenten Lingelsheims wird indes nicht nur deutlich, daß er wenigstens über längere Zeiträume enge Verbindungen zu den gelehrten Zentren der internationalen res publica litteraria unterhielt. Es wird ebenso offenkundig, wie eng sowohl die politischen Verbindungen der Kurpfalz als auch seine Amtsgeschäfte mit den persönlichen Kontakten Lingelsheims verzahnt waren. Die Straßburger Angelegenheiten und der diplomatische Austausch mit der französischen Krone fielen in seinen Aufgabenbereich in der Heidelberger Regierung. Gerade für die französischen Kontakte waren seine persönlichen Korrespondenzen in dieser Zeit, in der Personenbeziehungen in der diplomatischen Realität noch eine gewichtige Rolle spielten, das Medium politischer Kommunikation. Daß auch hier dem gelehrten Austausch ein hoher Stellenwert eingeräumt blieb, wurde bereits hervorgehoben. Auffällig ist jedoch, daß Briefkontakte Lingelsheims in die südöstlichen Teile Europas bislang nicht nachzuweisen sind. So bestanden, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen (Blotius, Dudith) nicht nur so gut wie keine Verbindungen zu den späthumanistischen Kreisen am Kaiserhof; es sind bislang auch keine Belege fur Kontakte nach Böhmen oder Siebenbürgen nachzuweisen, zu Regionen also, in denen die kurpfälzische Diplomatie überaus aktiv war. Die Mehrzahl der Korrespondenten Lingelsheims stand in >politischen< Ämtern. Dazu gehört die große Gruppe der kurpfälzischen Beamten, dazu gehören ebenso die Straßburger Lobbetius, Junta und Glaser, die Schlesier Nüssler und in wechselnden Dienstverhältnissen - Opitz, zeitweilig auch Goldast, die mei-
468 sten seiner französischen Korrespondenten (Bongars, Jean Hotman, Sainte Catherine, de Thou, Peiresc, später Rigault, wohl auch Falvigny), Languet und Grotius, Wotton, Trumbull; auch aus dem Umfeld des Heidelberger Dichterund Gelehrtenkreises übernahmen einige, Denaisius und aus der jüngeren Generation Zincgref und Venator, politische Funktionen. Neben ihren Amtstätigkeiten widmeten sie sich alle gelehrten Studien, viele pflegten auch die Dichtkunst. Die für Lingelsheim angesprochene Ambivalenz der persönlichen Existenz im politischen Späthumanismus des konfessionellen Zeitalters spiegelt sich in ihrer aller Biographien wider. Die andere große Gruppe bilden diejenigen, die in g e lehrten Berufen< tätig waren: als Universitätsprofessoren, als Bibliothekare oder als Schullehrer. Oft bekleideten sie mehrere Tätigkeiten gleichzeitig oder aber nacheinander, teilweise erfüllten sie auch diplomatische Aufgaben. Zu den Universitätsprofessoren gehören Gruter, Scultetus, Bernegger, Giphanius, Rittershausen, Gentiiis, Praetorius, Tolmann, Grynaeus, die beiden Buxtorf, Lucius, Bèze, François Hotman, Casaubon, Vulcanius, Scaliger, Heinsius und Meursius; auch Murray, Savile und Wotton dürfen als Rektoren des Eton-Colleges dieser Gruppe zugerechnet werden. Als Bibliothekare wirkten Schede Melissus, Gruter, Coler, Hoeschel, Casaubon, de Thou, Dupuy, Rigault und Heinsius. Lehrer an Gymnasien und Akademien waren Pareus, Dornau, Hoeschel und Becmann. Die übrigen Korrespondenten Lingelsheims wirkten in den verschiedensten Ämtern, als Hofprediger und Kirchenräte oder als Ärzte. Existenzen ohne festes Amt, wie es zeitweilig Goldast als Privatgelehrter versuchte oder wie es der Kunsthändler Hainhofer erfolgreich verwirklichte, bilden die Ausnahme. Der Korrespondentenkreis Lingelsheims weist also eine relativ einheitliche >Berufsstruktur< auf. Innerhalb der beiden großen Gruppen sind natürlich eindeutige Abstufungen in der Bedeutung der ausgeübten Tätigkeit festzustellen: Nicht nur zwischen einem Oberrat und einem Sekretär, sondern ebenso zwischen einem Universitätsprofessor und einem Lehrer auf einem gymnasium illustre bestanden gravierende soziale Rangunterschiede, die sich auch in der dem Einzelnen eingeräumten Stellung in der Hierarchie der Gelehrtenrepublik reflektierten. Unter Lingelsheims Korrespondenten dominierten promovierte Juristen bzw. Personen, die die Jurisprudenz studiert hatten. Die Diplomaten und Beamten in Diensten der frühabsolutistischen Fürstenstaaten hatten alle wie Lingelsheim jenen Bildungsgang gewählt, der für diese öffentlichen >Karrieren< qualifizierte. Unter den Angehörigen der >gelehrten Berufe< verschiebt sich dann das Bild: Hier finden sich Absolventen aller vier Fakultäten. Die Anteile der studierten Juristen sind in dieser Gruppe nahezu gleich groß wie die der Theologen und der >PhilologenBerufsstruktur< und unterstreicht die herausragende Bedeutung der Jurisprudenz im Zuge des Ausbaus der frühabsolutistischen Staaten. Sichtbar wird daran aber auch, daß die Theologen und die Mediziner in der europäischen Gelehrtenrepublik gegenüber den Vertretern der beiden anderen Disziplinen eine nachgeordnete Rolle gespielt haben. Deutlich mehr als
469 die Hälfte der Lingelsheimschen Korrespondenten hatten die Rechte studiert, zwanzig Prozent sich ausschließlich auf philologisch-historische Studien konzentriert, fünfzehn Prozent die theologische Fakultät absolviert. Festzustellen ist aber ebenfalls, daß längst nicht alle ihr Studium mit einem Abschluß beendet haben: Unter den adligen Korrespondenten Lingelsheims war das der Regelfall, unter den bürgerlichen Späthumanisten eine Ausnahme, die aber etwa für Goldast oder Opitz zu vermerken ist. Sowohl hinsichtlich der Verteilung der gewählten Studiengänge als auch des für den Adel typischen Fehlens universitärer Abschlüsse lassen sich die Beobachtungen, die am Beispiel des Korrespondentenkreises Lingelsheims gemacht werden können, als signifikant für die gesamte späthumanistische Gelehrtenrepublik bezeichnen. Für den Adel bedeutete der Nachweis eines Studiums eine Ergänzung seiner durch die Geburt gesicherten Privilegien, um seine Ansprüche auf öffentliche Ämter gegen die bürgerlichen Gelehrten zu behaupten, für die wiederum ein Studienabschluß die unabdingbare Voraussetzung war, überhaupt Zugang zu diesen Ämtern zu gewinnen. Nicht der Studienabschluß, sondern die darauf folgende Tätigkeit aber bestimmten die Stellung des Einzelnen in der res publica litteraria. Hinsichtlich seiner >ständischen< Struktur weist Lingelsheims Korrespondentenkreis das für die europäische Gelehrtenrepublik signifikante Profil auf. Es handelt sich um eine Schicht aus Angehörigen zumeist des niederen Adels und des gelehrten Bürgertums, in der das späthumanistische Gelehrtenideal verankert war und die sich über dieses als eigener Stand definierte. Daß sich unter Lingelsheims kurpfälzischen Korrespondenten mit Ludwig Graf zu Wittgenstein, Johann Albrecht Graf zu Solms und Achaz Burggraf und Herr zu Dohna Mitglieder des höheren Reichsadels befinden, resultiert aus ihrer gemeinsamen Tätigkeit in der kurpfalzischen Regierung. Lediglich Wittgenstein, der bezeichnenderweise in der Geschichtsschreibung als >der Gelehrte< apostrophiert wird, wird man der späthumanistischen Gelehrtenrepublik im engeren Sinne zurechnen dürfen. Auch für die französischen und englischen Korrespondenten Lingelsheims bestätigt sich diese spezifische gesellschaftliche Struktur; nur Basil Feilding, Earl of Denbigh, gehörte der nobility an. An ihn schrieb Lingelsheim übrigens in französischer Sprache, die auch Solms und Dohna in ihren Briefen selbstverständlich wählten; erneut signalisiert also bereits der Sprachstand der Briefe eine Trennung dieses Standes von der Gelehrtenrepublik. Lingelsheim darf als Exponent eines politischen Späthumanismus und d.h. eines unter den veränderten Bedingungen der frühmodernen Staatsbildung und der Konfessionalisierung politisierten Humanismus gesehen werden, eines Späthumanismus also, der sich im konfessionellen Zeitalter ausprägte. Seine Begabung und seine juristische Ausbildung qualifizierten ihn für die Übernahme eines öffentlichen Amtes und verschafften ihm somit die Basis, den genuinen humanistischen Anspruch öffentlicher Wirksamkeit einzulösen. Durch sein Amt war er in die politischen und konfessionellen Entscheidungsprozesse involviert. Seine Aufgaben lagen aber vornehmlich im Bereich der Kanzlei, also der inneren Verwaltung des Landes, als Diplomat fand er nur sehr selten Verwendung; die Spezialisierungsprozesse innerhalb der Behörden eines frühmodernen Territori-
470 alstaates werden daran erkennbar. Mit der lateinischen Übersetzung von Saviles Tacitus-Kommentar griff Lingelsheim als Gelehrter ebenso in die politische Debatte< um ein wichtiges Thema der inneren Festigung des Territorialstaates ein, wie er durch seine Korrespondenzen mit fuhrenden Diplomaten der französischen und englischen Krone verbunden war und so zu einer wichtigen Vermittlergestalt für politische Nachrichten zwischen den Höfen wurde. Eine der entscheidenden Funktionsoptionen persönlicher Briefwechsel in der Politik des konfessionellen Zeitalters wird an diesen Korrespondenzen deutlich erkennbar. Das bedeutet keineswegs, daß in ihm auch eine der maßgeblichen Gestalten in der kurpfälzischen Konfessionspolitik zu sehen ist. Er füllte zu keiner Zeit eine führende Rolle in der zunehmend militanten Heidelberger Politik aus - und beanspruchte sie auch nicht. Geprägt durch die neostoizistische Philosophie und von einem irenischen Humanismus gehörte er ganz im Gegenteil zu den moderaten Kräften in der Heidelberger Regierung. Daß in deren kollegialen Organen die Einflußmöglichkeiten eines Einzelnen begrenzt sein mußten, einen entsprechenden konfessionspolitischen Kurs zumal gegen eine >radikalere< Mehrheit durchzusetzen, liegt auf der Hand. In seinen Briefen jedoch finden sich immer wieder Kommentare und Ermahnungen, nicht die Konfrontation herbeizuführen, sondern den Ausgleich zu suchen. Gleichwohl vertrat Lingelsheim während seiner fast 30jährigen Tätigkeit als Oberrat keine deutlich erkennbaren Gegenpositionen zu den Grundlinien der kurpfälzischen Konfessionspolitik. Vielmehr blieb er ein Verfechter kurpfälzischer Interessen auch noch nach dem katastrophalen Scheitern dieser Politik. Ihre Ziele teilte er in unverbrüchlicher politischer und konfessioneller Loyalität. Nicht als Späthumanist, sondern als Calvinist war er überzeugt davon, von Gott an die richtige Stelle gesetzt worden zu sein, um sich für das Wohl des >Vaterlandes< und die Verteidigung des Glaubens einzusetzen. Die Grenzen seiner irenischen Haltung waren ganz eindeutig markiert: Der katholischen >ParteiAusländern< dominiert wurde und die deutsche Libertät bedrohte, stand er zutiefst mißtrauisch, ja weitgehend unversöhnlich gegenüber, gerade gegenüber Spanien und den Jesuiten blieb ein feindseliges Mißtrauen bis an sein Lebensende prägend. Auch hier ist der Blick auf seinen Korrespondentenkreis überaus aufschlußreich. Gemeinhin wird den Späthumanisten attestiert, daß gerade sie eine Überkonfessionalität bewahrt hätten, daß die konfessionellen Konflikte also aus der Gelehrtenrepublik weitgehend ausgelagert geblieben seien. Unter Lingelsheims Korrespondenten findet sich jedoch kein einziger Katholik mit der bezeichnenden Ausnahme der französischen politiques. Daß Giphanius zum katholischen Glauben konvertierte, verurteilte Lingelsheim und führte das Beispiel seines ehemaligen Straßburger Lehrers noch Jahre später Casaubon als Warnung vor Augen, als dieser Frankreich nach der Ermordung Heinrichs IV. aus Sorge um die Zukunft der dortigen Reformierten verlassen wollte. Justus Lipisus schätzte er zwar als Gelehrten, verachtete ihn aber wegen seines katholischen Glaubens. Lingelsheims Korrespondenten sind alle durch ihre antihabsburgische und antipäpstliche Einstellung verbunden. Im Kreise seiner Korrespondenten finden
471 sich ausschließlich Vertreter jener Glaubenshaltungen und politischen Vorstellungen, die gegen die katholische Orthodoxie und die Suprematieansprüche des Papstes opponierten. Dies ist nicht als Indiz einer grundsätzlichen Konfessionalisierung der Gelehrtenrepublik zu interpretieren. Es ist aber dennoch festzustellen, daß sich in der konfessionspolitischen Realität der unerbittlichen Konflikte und des Ringens um den wahren Glauben zumindest in diesem Korrespondentenkreis zwar die moderaten intellektuellen Kräfte jenseits eines gegenreformatorischen und somit ebenfalls orthodoxen Katholizismus sammelten, wie sich andererseits keine orthodoxen Lutheraner unter Lingelsheims Korrespondenten finden und auch Verfechter eines strengen Calvinismus Genfer Prägung mit der einzigen Ausnahme des Basler Antistes Johann Jakob Grynaeus nicht präsent sind, daß aber doch die Korrespondenten untereinander in religiösen Grundeinstellungen durch eine weitgehende Übereinstimmung verbunden waren, die für die Partizipation an der freundschaftlich-gelehrten und politischen Kommunikation dieses Kreises ein wichtiges Kriterium darstellte. Ein dezidiert konfessionelles Engagement bedeutete für Lingelsheim keinen Konflikt mit den Idealen der Gelehrtenrepublik. Das ist nicht zu reduzieren auf die Wahrung eines späthumanistischen Gelehrtenideals als ein in den persönlichen >Rückzugsraum< verlagerter Lebensentwurf, der sich auf Freundschaft, intellektuellen Austausch, >projektbezogene< eruditäre Zusammenarbeit konzentrierte und jenseits des öffentlichen Amtes verwirklicht wurde. Ganz im Gegenteil kommt in Lingelsheims Korrespondenzen und in den wenigen Schriften, an deren Entstehung er beteiligt war, der zwar ambivalente, aber keinesfalls dualistische Charakter des Späthumanismus im konfessionellen Zeitalter zum Ausdruck. So sehr er ein scharfer Gegner der politischen Ansprüche des internationalen Katholizismus war, der sich nicht scheute, Bongars' Schrift gegen die potestatem Papae oder seinen Brief an de Domini s zum Druck zu bringen, so trat er doch als ebenso vehementer Verfechter und Verteidiger einer Irenik in Erscheinung, die in erster Linie für die Versöhnung der Protestanten plädierte, durchaus aber auch den Katholiken angeboten wurde. Seine eindeutige Neigung zu den Arminianern im niederländischen Konflikt wie auch seine überschwengliche Begeisterung für de Thous Historia, deren erste Gesamtausgabe er bezeichnenderweise übernahm, zeigen ihn als uneingeschränkten Anhänger eines ius circa sacra. Das Angebot einer Aussöhnung mit den Katholiken allerdings, deren Möglichkeit mit dem Syllabus belegt werden sollte, erfolgte erst aus der Erfahrung des Krieges heraus, der in Deutschland die Existenz des >Vaterlandes< bedrohte; es zielt somit auch auf eine konfessionellen Interessen übergeordnete >nationale EinigungNeuem< gegenüber war er nicht nur in den Naturwissenschaften, denen die Zeit überhaupt großes Interesses entgegenbrachte, äußerst aufgeschlossen. Lingelsheim vertrat somit einen politischen Späthumanismus, der in den Idealen der Gelehrtenrepublik fest verankert und gleichzeitig von jeglichem konfessionellen Eifer frei war. Als kurpfälzischer Oberrat bekleidete er zudem ein exponiertes öffentliches Amt, das ihm in begrenztem Rahmen Einflußmöglichkeiten eröffnete, den humanistischen Anspruch auf öffentliche Wirksamkeit einzulösen. Er wußte diese Möglichkeiten zugunsten seiner gelehrten Freunde zu nutzen. Vor allem aber waren es eben seine zahlreichen und intensiven Korrespondenzen, über die Lingelsheim zu einer wichtigen und durchaus einflußreichen Figur in der europäischen Gelehrtenrepublik wurde und aus denen er in >hermeneutischer Rückübersetzung< einer von den Zeitgenossen erfahrenen sozialen wie individuellen Realität als Repräsentant des Späthumanismus im konfessionellen Zeitalter zu erkennen ist, eines Späthumanismus, der bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein als gesellschaftliche, intellektuelle und literarische Formation lebendig blieb, der keineswegs in lebensweltlichem Rückzug sich entfaltete, sondern sich den konfessionspolitischen Zeitverhältnissen anpaßte und sie mitzugestalten suchte, und der insofern eine entscheidende geistesgeschichtliche und historische Signatur dieser Epoche ist.
ANHANG
A.
Briefverzeichnis
Zum Aufbau des Repertoriums Das Repertorium ist alphabetisch nach den Korrespondenten Georg Michael Lingelsheims geordnet; innerhalb der einzelnen Korrespondenzen sind die Briefe chronologisch verzeichnet. Briefe an Lingelsheim sind kursiv gesetzt. Jeder einzelne Brief ist nach dem folgenden Schema erfaßt: In einer >Kopfzeile< sind das Datum und der Ort sowie der Sprachstand aufgeführt. Sämtliche zu ermittelnde Exemplare bzw. Versionen jedes Briefes sind in den folgenden Zeilen belegt. Anmerkungen zu einzelnen Briefen bleiben auf die notwendigsten Kommentare zu Fragen der Datierung und Überlieferung beschränkt. Die Datumsangaben wurden mit Hilfe der gängigen Hilfsmittel in die heutige Form übertragen, sie sind der Übersichtlichkeit halber in der Reihenfolge Jahr-Monat-Tag aufgenommen. Abweichungen in der chronologischen Folge ergeben sich aus den konkurrierenden julianischem und gregorianischem Kalendern. Für die Anordnung der Briefe innerhalb einer Korrespondenz ist die Datierung nach dem »alten Stil« entscheidend, da dieser zu Lebzeiten Lingelsheims im protestantischen Raum nach wie vor maßgeblich war; Datierungen nach dem »neuen Stil« sind durch ein nachgestelltes [greg.] gekennzeichnet, wenn der Briefschreiber einen entsprechenden Hinweis darauf gibt, sich nach diesem Kalender gerichtet zu haben. Führt der Schreiber beide Daten an, werden sie übernommen. Briefe, deren Datum unsicher oder nicht zu erschließen ist, sind jeweils am Ende der Briefe eines Korrespondenten aufgeführt. Der von den Verfassern angegebene >Schreibort< ist ebenfalls in der heutigen Form angesetzt. Die Sprachstände sind mit Abkürzungen notiert (lat., frz., dt., it.). Innerhalb der handschriftlichen Überlieferung der Briefe ist grundsätzlich zu differenzieren zwischen Autographen und Apographen. Dabei können Autographen als Konzepte und Exzerpte, Autographen und Apographen in Regestenoder Exzerptform vorliegen. Ob ein Konzept oder ein Exzerpt vorliegt, also eine Vorformulierung für eine spätere Reinschrift oder ein nachträglich angefertigter Extrakt, ist nicht immer zu entscheiden. Aus praktischen Erwägungen ist deshalb so verfahren worden, daß Briefzeugnisse in Briefbüchern (wie den »Mémoires« von Bongars oder Wittgenstein) stets dann als Konzepte verzeichnet sind, wenn sie sich auf einen Brief des >Besitzers< dieser Bände beziehen lassen; als Exzerpte werden generell Briefauszüge von anderer Hand als der des Verfassers eines Briefes bezeichnet, die eindeutig als Extrakte angelegt sind, also nicht Abschriften darstellen, bei denen kürzere Teile eines Briefes ausgelassen wurden.
476 Bei der Mehrzahl der Apographen handelt es sich jedoch um Abschriften bzw. Kopien von Briefen, die entweder vollständig sind oder eben nur einige Auslassungen aufweisen. Letzteres ist auch bei Drucken häufiger zu erkennen; in diesen Fällen wird dem jeweiligen Exemplar eines Briefes ein [A] nachgestellt. Fehler in den Abschriften können nicht im einzelnen markiert werden. In den Anmerkungen wird lediglich auf defekte Handschriften verwiesen. Einige wenige Briefe sind in Übersetzungen ediert; sie werden ebenfalls gesondert ausgewiesen. Die Briefe sind somit nach den folgenden Kategorien sortiert: Autographen: Konzepte: Exzerpte: Abschriften / Kopien: Drucke / Editionen: Übersetzungen:
A K E H D Ü
Eine weitergehende Differenzierung, die ausgehend von den Überlieferungsarten bereits auf eine Bestimmung des Quellenwertes eines jeden Briefes zielt,1 kann nicht vorgenommen werden; sie wäre für ein Repertorium eher verwirrend als hilfreich. Die Bibliotheksstandorte der Briefe und die Editionen sind jeweils mit den bereits in der Einleitung eingeführten und im Quellenverzeichnis des Anhangs wiederholten Kürzeln nachgewiesen. Bei Handschriften folgen darauf die genauen Bestandsbezeichnungen. Angegeben sind die Seitenzahlen bzw. Blattnumerierungen, auf denen sich der Brieftext findet; auf die Blattangaben der Adressen bei Autographen wurde verzichtet. Nicht für das Repertorium erfaßt wurden die verstreuten Briefe, d i e - z u meist in Auszügen, vielfach mit Übersetzungen - in der wissenschaftlichen Literatur zitiert sind (etwa Bünger 1893, Kühlmann 1981), sofern es sich nicht um erstmalige Abdrucke aus Handschriften handelt (wie bei KINSER 1966).
Vgl. etwa den anhand der Korrespondenzen Weckherlins und Otts entwickelten Vorschlag von Forster 1978.
477 Repertorium
Verzeichnis der Korrespondenten Bürgermeister und Rat zu Basel Christian Becmann Matthias Bernegger Théodore de Bèze Hugo Blotius Jacques Bongars Adrian von Borcke Johannes Bosch Johann Buxtorf d.Ä. Johann Buxtorf d.J. Joachim Camerarius (II) Ludwig Camerarius Joachim Camerarius (IV) Isaac Casaubon Christoph Coler Hippolyt von Colli Petrus Dathenus d.J. Petrus Denaisius Achaz Burggraf und HerT zu Dohna Marco Antonio de Dominis Caspar Domau Piene Dupuy Falvigny Basil Feilding, Earl of Denbigh Marquard Freher Scipio Gentiiis Johannes Gemand Obertus Giphanius Josias Glaser Melchior Goldast von Haiminsfeld Hugo Grotius Johann Christoph von der Grün Otto von Grünrade Janus Gruter Johann Jakob Grynaeus Gueretin Philipp Hainhofer Daniel Heinsius David Hoeschel François Hotman Jean Hotman Gottfried Jungermann
S. 478 S. 478 S. 478 S. 479 S. 479 S. 480 S. 496 S. 496 S. 496 S. 496 S. 497 S. 497 S. 497 S. 497 S. 499 S. 499 S. 501 S. 501 S. 510 S. 510 S. 510 S. 511 S. 511 S. 511 S. 511 S. 512 S. 513 S. 513 S. 513 S. 513 S. 515 S. 518 S. 518 S. 519 S. 522 S. 526 S. 526 S. 526 S. 526 S. 526 S. 527 S. 527
Joseph Junta Hubert Languet Friedrich Lingelsheim Johann Lobbetius Agnes Loefen Michael Loefen Ludwig Lucius Johannes Meursius Thomas Murray Bernhard Wilhelm Nüssler Martin Opitz Johann Philipp Pareus Andreas Paul Karl Paul Nicolas Claude Fabri de Peiresc Caspar Peucer Bartholomäus Pitiscus Volrad von Plessen Johannes Praetorius Nicolas Rigault Conrad Rittershausen Johann Joachim von Rusdorf Estienne de Sainte Catherine Henry Savile Joseph Justus Scaliger Paul Schede Melissus Abraham Scultetus Albert von Sebisch Johann Albrecht Graf zu Solms Jacques-Auguste de Thou Daniel Tilenus Simon Tolmann William Trumbull Balthasar Venator Bonaventura Vulcanius Ludwig Graf von Wittgenstein Henry Wotton Julius Wilhelm Zincgref Juristische Fakultät der Universität Heidelberg Unbekannte Empfanger
S. 527 S. 529 S. 529 S. 529 S. 529 S. 529 S. 532 S. 532 S. 533 S. 533 S. 533 S. 534 S. 534 S. 534 S. 534 S. 534 S. 534 S. 534 S. 535 S. 535 S. 535 S. 535 S. 535 S. 538 S. 538 S. 538 S. 539 S. 539 S. 539 S. 539 S. 540 S. 540 S. 540 S. 540 S. 542 S. 542 S. 544 S. 544 S. 545 S. 545
478 Bürgermeister und Rat zu BASEL 1632.01.19 Straßburg H: SKB: A V 402, Bd. D, S. 363f.
[dt.]
1632.04.28 Basel SKB: A V 402, Bd. D, S. 417f.
[dt.]
1633.09.04 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4"32, Bl. 94r-95r D: BERNEGGER 1670, S. 35-37; SCHEID 1889, S.
H:
1632.05.09 Straßburg [dt.] H: SKB: A V 402, Bd. D, S. 433^35 Christian BECMANN
REIFFER-
914f.6
1633.09.12 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 16, Bl. 41' D: BERNEGGER 1670, S. 37-39 [A]; SCHEID 1889, S. 520f.
1633.10.06 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4"32, Bl. 98"
Matthias BERNEGGERÀ
D: BERNEGGER 1670, S. 42f. [A]; SCHEID 1889, S. 9148
1633.07.22
[o.O.]
[lat.]
1633.07.31 Heidelberg [lat.] D: BERNEGGER 1670, S. 20-22; REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 5 1 5 f .
1633.08.01 K: SUH:
[o.O.]
[fot.]
Sup. ep. 4°32, BL. 89R~V
D: BERNEGGER 1670, S. 23-25; SCHEID 1889, S.
1633.08.09
9134
[Heidelberg]
[o.O.]
K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 91' * D: BERNEGGER 1670, S. 28-30 [AJ; SCHEID 1889, S. 9125
1633.08.18
[lat.]
[o.O]
[fot.] REIFFER-
[lat.]
K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 91"-93R D: BERNEGGER 1670, S. 30-33 [A]
1633.08.26
REIFFER-
SCHEID 1 8 8 9 , S. 5 2 1
1633.10.13
[lat.] REIFFER-
Heidelberg
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 4 4 f .
1633.10.20 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 99-100v D: BERNEGGER 1670, S. 45-47 SCHEID 1889, S. 916*
[AJ;
[lat.] REIFFER-
1633.10.28 Heidelberg [lat.] D: BERNEGGER 1670, S. 47-49; REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 5 2 3
REIFFER-
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 2 5 - 2 8 ; REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 5 1 6
1633.08.11
[lat.]
1633.09.25 Heidelberg [lat.] A: SUH: Sup. ep. 16, BL. 42r"v7 D: BERNEGGER 1670, S. 39-41; REIFFER-
1626.08.22 Bernburg [fot.] H: KBK: Gl. kgl. S. 4°2133, Nr. 96; KBK: Boll. Brevs. U. 4°, Nr. 69; KBK: Ny kgl. S. 617, S. 76f.
K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 8T D: BERNEGGER 1670, S. 19F; REIFFERSCHEID 1889, S. 9121
[lat.]
Heidelberg
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 3 3 - 3 5
2
[lat.]
1633.11.24 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. lOl'-lOI D: BERNEGGER 1670, S. 49-51; SCHEID 1889, S. 524
[lat.]
REIFFER-
1633.12.01 Heidelberg [lat.] D: BERNEGGER 1670, S. 52-54; REIFFERSCHEID 1889, S. 524f. 1633.12.16 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 103'-105' D: BERNEGGER 1670, S. 54-56 SCHEID 1889, S. 9171 o
[A];
[lat.] REIFFER-
1634.01.06 Heidelberg [lat.] D: BERNEGGER 1670, S. 56-58; REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 9 1 7 "
Weder die Konzepte in Sup. ep. 4°32 noch die in BERNEGGER 1670 edierten Briefe Berneggers tragen Ortsangaben; es ist jedoch als Absendeort sämtlicher Bemeggerscher Briefe aufgrund seiner Biographie Straßburg anzunehmen. 3 Auszug aus Sup. ep. 4°32. 4 Dito. 5 Dito. 6 Dito. 7 Defekt. 8 Ergänzt die Auslassungen aus Sup. ep. 4°32. 9 Dito. '0 Dito. 11
A u s z u g a u s BERNEGGER 1670.
479 1634.01.16 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 10T~V D: BERNEGGER 1670, S. 58-60 SCHEID 1889, S.
[A];
[lat.]
1634.02.06 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4"32, Bl. 108™ 1634.02.09
[lat.]
D: BERNEGGER 1670, S. 83-85 SCHEID 1889, S.
Heidelberg Heidelberg
1634.03.09 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. Uff
[lat.]
D: BERNEGGER 1670, S. 86f.
[lat.]
1635.01.26 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 135'-I36r D: BERNEGGER 1670, S.
1635.02.20
1634.03.28 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4"32, Bl. 110"-III' 1634.04.22
1634.04.25
[lat] [A]
Heidelberg
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 69F.; REIFFERSCHEID
1889, S. 925
[o.O.]
MANN 1722, 11, S. 403/.;
[lat.]
Frankenthal
[lat.]
[lat.]
D: BERNEGGER 1670, S.
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 1 0 4 - 1 0 6 ; REIFFER-
[o.O.]
[lat.] [lat.]
102-104
Frankenthal
[lat.]
SCHEID 1 8 8 9 , S. 5 5 4 HEU-
REIFFERSCHEID
918F.
1636.03.31 Frankenthal [lat.] D: BERNEGGER 1670, S. 107f.; REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 5 5 5
1634.07.28 [o.O.] [lat.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 124r (Regest) 1634.07.29
Frankenthal
1636.02.26 Frankenthal D: BERNEGGER 1670, S. lOOf.
121R-123"
Sup. ep. 4"32, Bl.
S.
1635.12.29
1636.03.25
[o.O.]
D: BERNEGGER 1670. S. 74-77[A]^: 1889,
[lat.]
1635.11.06 Frankenthal [lat.] D: BERNEGGER 1670, S. 95-97; REIFFERSCHEID 1889, S. 552f.
1636.03.11
1634.06.10 Heidelberg D: BERNEGGER 1670, S. 72-74 K: SUH:
88f.
Frankenthal
[lat.]
K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. U3"-U5r D: BERNEGGER 1670, S. 70-72 [A]
1634.07.10
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 9 7 - 9 9
13
1634.05.08
[A]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 9 1 - 9 5
117-113'
D: BERNEGGER 1670, S. 67f.
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 9 0 f .
1635.03.25
[A]
[o.O.]
K: SUH: Sup. ep. 4"32, Bl.
[lat.]
[lat.]
[A]; REIFFER-
1635.01.02 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 133v-134*
1889, S. 918
D: BERNEGGER 1670, S. 66f.
[lat.]
92411
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 6 4 f .
D: REIFFERSCHEID
1634.12.13 [o.O.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 133"
60f.
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 6 1 - 6 3
1634.02.18
Frankenthal
SCHEID 1 8 8 9 , S. 5 4 1 f.
REIFFER-
917n
D: BERNEGGER 1670, S.
1634.11.23
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 8 1 - 8 3 ; REIFFER-
Heidelberg
[lat.]
D : BERNEGGER 1 6 7 0 , S. 7 7 f . [ A ] ; REIFFERSCHEID 1889, S. 9 1 9 ' S
Théodore de BÈZE 1588.10.26 Heidelberg A: FLG: Chart. 405, Bl. 226'
[lat.]
1634.09.07 [o.O] [lat.] K: SUH: Sup. ep. 4°32, Bl. 12T-12ST
Hugo BLOTIUS
D: BERNEGGER 1670, S. 79-81 SCHEID 1889, S. 91916
1582.01.15 Straßburg [lat.] A: ÖNB: Cod. 9737 Z I 6 , Bl. 216r-217v
12
[A];
REIFFER-
Ergänzt die Auslassungen aus Sup. ep. 4°32. Auszug aus BERNEGGER 1670. Ergänzt die Auslassungen aus Sup. ep. 4°32. 15 Auszug aus BERNEGGER 1670. 16 Ergänzt die Auslassungen aus Sup. ep. 4°32. 17 Dito. 13
14
480 Jacques BONGARS 1 8
1595.11.01 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 138'
[lat.]
1595.11.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 139'
[lat.]
[lat.]
[lat.]
1595.04.08 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 124'
[lat.]
1595.11.11 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 140'
[lat.]
1595.11.17 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 141'
[lat.]
1595.04.18 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 125r
[lat.]
1595.12.05 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 142'
[lat.]
1595.05.01 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 126' 1595.05.12 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 127'
[lat.]
1595.12.17 Straßburg K: BBB: Cod. B 149, Nr. 264, Bl. 294'
1595.05.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 128'
[lat.]
1595.12.21 Straßburg [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 265, Bl. 294""
1595.06.10 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 129'
[lat.]
D: BONGARS 1660, S.
1595.06.14 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 130'
[lat.]
1595.12.19 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 143'
1595.06.19 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 131'
[lat.]
1596.01.01 Straßburg [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 268, Bl. 295"v
1595.03.05 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 122r v
[lat.]
1595.03.17 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 123r"v
D: BONGARS 1660, S.
[lat.]
15f.
25f.
D: BONGARS 1660, S. 16f.
[lat.]
[A]
[lat.]
1595.12.23 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 144'
[lat.]
1595.07.19 Straßburg [lat.] K: BBB: Cod. B ¡49, Nr. 297, Bl. 309"
1596.02.26 [greg.] Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 145'
[lat.]
1595.08.07 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 133'
[lat.]
1596.02.27 Straßburg [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 276, Bl. 300"-301r
1595.09.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 134'
[lat.]
D: BONGARS 1660, S.
1595.09.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 135'
[lat.]
1595.10.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 136'
[lat.]
1595.10.25 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 137'
[lat.]
1595.07.05 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 132'
18
12-14
1596.03.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 146'
[lat.]
1596.03.17 Straßburg [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 283, Bl. 303"" D: BONG ARS 1660, S. 33-35 1596.03.09 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 147'
[lat.]
Eine Schwierigkeit taucht bei der chronologischen Ordnung dieses Briefwechsels auf: Bongars richtete sich im Gegensatz zu Langelsheim bereits nach dem gregorianischen Kalender (der in Frankreich vom 09. auf den 20.12.1582 eingeführt worden war). Da Bongars seine Datumsangaben nur sehr selten als nach dem neuen Kalender datiert kennzeichnete, mußte es im Einzelfall durch Vergleiche mit Lingelsheims Briefen verifiziert werden. Häufig bedankt sich Lingelsheim bei Bongars ftir Briefe, die Daten tragen, die chronologisch erst nach dem Tag der Abfassung des jeweiligen Antwortbriefes liegen: Aus vielen Beispielen dafür sei nur eines - willkürlich - herausgegriffen, in dem Lingelsheim diese unterschiedliche Datierung sogar explizit anspricht: So beginnt er seinen Brief vom 28.08.1605 mit den Worten: »Ex litteris tuis 2. Sept. st. n. datis [...]« (zit. nach HAGEN 1879, S. 190). Ich habe deshalb bei der Anordnung des Repertoriums die Briefe von Bongars alle als nach dem gregorianischen Kalender datiert behandelt. Erst dadurch wird die wirkliche Abfolge dieser Korrespondenz abgebildet.
481 1596.03.30 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 148'
[lat.]
1596.12.17 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 171'
[lat.]
1596.04.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 149'
[lat.]
1597.01.26 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 172'
[lat.]
1596.05.05 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 150'
[lat.]
1597.02.04 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 173'
[lat.]
1596.06.20 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 151'"v
[lat.]
1597.02.09 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 174'
[lat.]
1596.07.09 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 152'
[lat.]
1597.02.23 Straßburg [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 472, Bl. 454'
1596.07.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 153'
[lat.]
D: BONGARS
[lat.]
1597.03.03 Amberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 175'
[lat.]
1596.07.30 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 154'
[lat.]
1597.03.19 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 176'
[lat.]
1596.08.06 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 155'
[lat.]
1597.04.01 Schrissen A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 177'
[frz.]
1596.08.19 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 156' 1596.08.20 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 157'
[lat.]
1597.04.12 Heidelberg [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 216, Bl. 263' *
1660,
S. 3 l f .
D: BONG ARS 1660, S.
24f.
1596.08.27 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 158'
[lat.]
1597.04.05 Mosbach A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 178'
[lat.]
1596.09.04 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 159r
[lat.]
1597.06.08 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 179""
[lat.]
1596.09.13 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 160r
[lat.]
1597.08.20 Straßburg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 180'"v
[lat.]
1596.09.17 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 161'
[lat.]
[1597].09.19 Straßburg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 181'"v
[lat.]
1596.09.30 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 162'-163'
[lat.]
1597.10.10 Straßburg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 182'"v
[lat.]
1596.10.08 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 164'11
[lat.]
1597.12.18 [o.O.] A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 183'"v
[lat.]
1596.10.20 Frankfurt/M. [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 341, Bl. 327-32%
1597.12.30 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 184'"v
[lat.]
1596.10.15 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 165'"v
[lat.]
1598.01.02 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 185'
[lat.]
1596.10.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 166'
[lat.]
1598.01.23 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 186'""
[lat.]
1596.11.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 167'
[lat.]
1598.04.15 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 186b'"v
[lat.]
1596.11.12 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 168'
[lat.]
1598.05.26 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 187'"v
[lat.]
1596.11.19 Mosbach A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 169'"v
[lat.]
1598.05.29 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81,B1. 188'
[lat.]
1596.12.03 Mosbach A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 170'
[lat.]
[1598.06.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 14'
[lat]
482 [1598.06.] [o.O.] K: BNP 7128. Bl. 14v'9
[lat.]
1599.01.28 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 202'
[lat.]
1598.06.14 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 189'""
[lat.]
1599.03.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 203'
[lat.]
1598.06.26 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 190r
[lat.]
1599.03.07 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 204'
[lat.]
1598.06.29 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 191'
[lat.]
1599.03.08 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 206'
[lat.]
1598.07.10 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 192r
[lat.]
1599.03.15 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 205'
[lat.]
1598.07.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 193r
[lat.]
1599.03.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 207'
[lat.]
1598.08.14 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 194'
[lat.]
1599.03.28 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 208'-209'21
[lat.]
1598.09.11 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 195'
[lat.]
1599.03.31 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 209b'
[lat.]
[1598.09./.10.] [o.O] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 25™
[lat.]
1599.04.13 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 210'
[lat.]
1598.10.
[lat.]
1599.05.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 211'
[lat.]
1598.10.02 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 196™
[lat.]
[1599.05.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 39™
[lat.]
1598.10.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 197'""
[lat.]
1599.05.25 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 212'
[lat.]
1598.10.17 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 198'
[lat.]
[1599J.06.07 Hanau K: BNP: Fr. 7128, Bl. 49~"
[lat.]
1598.11.05 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 199'
[lat.]
1599.06.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 216'
[lat.]
1598.11.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 234'"v
[lat.]
1599.06.08 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 213'
[lat.]
[1598]. 12.04 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 25'
[lat.]
[1599J.06.20 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 5(f
[lat.J
[1598].12.14 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 28"
[lat.]
1599.06.22 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 215'
[lat.]
1598.12.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81.B1. 200'
[lat.]
1599.06.29 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 214'
[lat.]
[1598].12.27 [o.O] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 28r
[lat.]
[1599J.07.il [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 52"
[lat.J
1599.01.09 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 201'"v
[lat.]
1599.07.05 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 217'"v
[lat.]
[1599J.01.19 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 28"
[lat.]
[1599J.07.18 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 128"
[lat.J
[o.O.]
D: BONGARS ¡660, S. 43f.
19 20
21 22
Zur Datierung vgl. Lingelsheims Brief vom 26.06.1598. Vgl. den vorangehenden Brief; auf jeden Fall entstand dieses Konzept vor dem 04.12. des Jahres. Bl. 209' trägt ein Postscriptum von der Hand Lingelsheims. Auf diesen Brief bezieht sich Lingelsheim in seinem Schreiben vom 25.05.1599.
483 [1599]. 08.08 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 129"
flai.J
[1599], 10.24 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 150"
[1599.08.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 131™
[lai.]
1599.10.18 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 228'
[lat.]
1599.08.10 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 245'"v
[lat.]
1599.10.25 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 227'
[lat.]
1599.08.13 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 218'
[lat.]
[1599.11.; Anf.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 153™
1599.08.20 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 219'
[lat.]
1599.11.02 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 229'
[lat.]
[1599].09.03 [o.O] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 134"
[lat.]
1599.11.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 230'
[lat.]
[1599].09.05 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 132r
[lat.]
1599.11.09 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 231'
[lat.]
1599.08.27 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F81,B1. 220'
[lat.]
[1599],11.21 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 15T
[1599.09.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 132™
[lat.]
1599.11.16 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 232'
1599.09.03 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 221'
[lat.]
[1599].11.28 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 158v
[1599],09.19 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 132v
[lat.]
[lat.]
[lat.] [lat.] [lat.]
[lat.]
1599.11.28 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 233'"v
[lat.]
1599.09.12 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81.Bl. 222'
[lat.]
1599.11.30 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 235'
[lat.]
1599.09.20 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 223'
[lat.]
1599.12.07 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 236'
[lat.]
[1599]. 10.01 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 141*
[lat.]
1599.12.14 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 237'"*
[lat.]
1599.09.27 [o.O.] A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 224'
[lat.]
1599.12.23 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 238'
[lat.]
[1599.10.J17 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 143v
[lat.]
1599.12.30 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 239'
[lat.]
[1599]. 10.19 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 149"
[lat.]
1600.01.06
[lat.]
1599.10.11 Heidelberg A: ZBZ: Ms.F81,Bl. 225'
[lat.]
1599.10.12 Heidelberg A: ZBZ: Ms. F 81, Bl. 226'
[lat.]
23 24
25 26
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 9 7 f . [ A ]
[1600]. 01.21 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 4™
[lat.]
1600.02.08
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 9 9 f . [ A ]
Bezieht sich auf Bongars' Brief vom 11.08.[1599] an Moritz von Hessen (Bl. 130"). Zwischen dem 05.09. und 19.09.1599 entstanden, vgl. die beiden entsprechend datierten Konzepte. Lingelsheim bestätigt in seinem Brief vom 12.09.1599 den Empfang dieses und des Briefes vom 19.09.1599 [greg.]. Vgl. den Brief vom 03.11.1599 Die »Mémoires« erstrecken sich über die Jahre 1600-1602, das ist auf dem Deckblatt (nicht paginiert) entsprechend angegeben. Die Entstehungsjahre der einzelnen Briefe konnten deshalb ergänzt werden. Bongars hat seine »Mémoires« chronologisch gefuhrt; soweit zu den einzelnen Briefen nichts anderes vermerkt ist, ergeben sich die ergänzten Datierungen aus der Position der jeweiligen Briefkonzepte in den »Mémoires«.
484 1600.02.14
Heidelberg
[lat.]
1600.02.21
Heidelberg
[lat.]
Heidelberg
[lat.]
fo.O.J
[lat.]
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 0 7 - 1 0 9 [ A ]
[1600.03.] 26
[o.O.] Heidelberg
[lat.]
[o.O]
[lat.]
[o.O.]
[lat]
Heidelberg
[lat]
Straßburg
[lat.]
Heidelberg
[lat.]
[o.O]
[lat.]
Heidelberg
[lat]
[o.O.J
[lat.]
Heidelberg
[lat.J
Heidelberg
[lat.]
[o.O.J
[lat.]
Straßburg
[lat.J
[o.O]
[lat.J
[o.O.J
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 26'
27
[lat.J
2'/71
Heidelberg
[lat.]
[1600J.06.il
[o.O.J
[lat.J
[1600J.06.18
[o.O.J
[lat.J
[1600J.06.25
[o.O.J
[lat.J
1600.06.16
Heidelberg
[lat.]
1600.06.27
Heidelberg
[lat.]
[1600J.07.16
[o.O.J
[lat.J
[1600J.07.23
[o.O.J
[lat.J
[1600J.08.03
[o.O.J
[lat]
1600.07.25
Heidelberg
[lat.]
[1600J.08.06 [1600J.08.16
[o.O]
[lat.]
38v-39r
[o.O.J
[lat.J
[1600J.08.20
[o.O.J
[lat.J
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 78'
[lat]
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 24"-25r
[1600J.05.17
[o.O.J
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 7T
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 24'
[1600J.05.14
1600.06.01
K: BNP: Fr. 7130, Bl.
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 22"-23'
[1600J.05.07
[1600J.06.04
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 2 9 - 1 3 1 [ A ]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 1 1 9 - 1 2 1 [ A ]
[1600J.04.23
[lat.]
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 73'
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 1 7 - 1 1 9
1600.04.13
Heidelberg
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 38"
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 21""
1600.04.09
1600.05.19
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 3T
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 1 5 - 1 1 7 [ A ]
[1600J.04.16
[lat.J
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 2 8 f . [ A ]
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 20"
1600.04.05
[o.O.J
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 2 5 f . [ A ]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 1 4 f .
[1600J.04.il
[1600J.05.28
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 35'~"
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 1?
1600.04.01
[lat.]
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 32"-33'
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 1 1 - 1 1 4
[1600J.04.09
Heidelberg
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 32'
K: BNP: Fr. 7130,Bl. 17'-"
1600.03.26
[lat.J
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 2 6 f .
K: BNP: Fr. 7130, Bl. IT
[1600.04.; Anf.J
1600.05.12
K: BNP: Fr. 7130, Bl.
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . l l O f . [ A ]
[1600].03.29
[o.O.J
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 2 4 f .
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 15"
1600.03.19
1600.05.21
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 28"
K: BNP: Fr. 7130, Bl. IV
1600.03.12
[lat.J
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 2 1 - 1 2 4 [ A ]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 0 3 - 1 0 7 [ A ]
[1600J.03.18
[o.O.J
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 2S
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 0 2 f .
1600.03.06
[1600J.05.19
K: BNP: Fr. 7130. Bl. 26'
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 0 0 - 1 0 2 [ A ]
1600.09.04
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 3 1 f . [ A ]
[lat.J
[1600J.09.26
[o.O.J
[lat.J
K: BNP: Fr. 7130, Bl. 96"
Bongars trug unter dieses Konzept das Datum des 04.05. ein; da es in der Handschrift jedoch direkt auf ein Konzept an Lingelsheim vom 28.05. folgt und sich deutlich darauf bezieht, ist anzunehmen, daß es sich um einen Schreibfehler handelt und daß der 04.06. gemeint ist.
485 [1600].10.02 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 97
[iat.J
[1601J.01.14 Frankfurt/M. K: BNP: Fr. 7130, Bl. 121'
[1600].10.04 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 97
[lat.]
[1601J.01.21 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 123'
[lat.J
[1600].10.08 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. iOff~"
[lat.]
[1601J.02.il [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 12T
[lat]
[1600]. 10.14 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 100"
[lat.]
[1601J.02.18 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 129"
[lat.J
[1600],10.15 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 101'
[lat.]
1601.02.13
[lat.]
[1600].10.22 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 102""
[lat.]
[1600].10.29 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 102"
[lat.]
1600.10.26
[lat.]
[1601J.03.02 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 131'
[lat.J
1600.11.05 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 103'
[lat.]
[1601.03.J [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 131™
[lat]
[1600].11.12 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. lOff
[lat]
[1601J.03.14 Frankfurt/M. K: BNP: Fr. 7130, Bl. 133"
[lat.J
[1600].11.20 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl I06"-107
[lat.]
1601.03.18 Frankfurt/M. K: BNP: Fr. 7130, Bl. 133"
[lat.J
[1600].11.26 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 108T
[lat.]
[1601J.03.24 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 135'
[lat.J
1600.11.20
[lat.]
[1601J.03.30 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 136"
[lat.J
[1600]. 12.09 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 109"-llff
[lat]
[1601J.04.01 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 137
[lat]
[1600].12.20 Straßburg K: BNP: Fr. 7130, Bl. 113'
[lat]
[1601J.04.07 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 13?
[lat.J
1600.12.24 Straßburg K: BNP: Fr. 7130, Bl. 114"-115r
[lat]
[1601J.04.18 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 139
[lat.J
[lat.]
[1601J.04.23 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 139"
[lat.J
[lat]
[1601J.04.24 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 140"
[lat.J
[lat.]
[1601J.04.29 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 141"
[lat.J
[1601J.01.06 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 119
[lat]
[1601J.05.27 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 145'
[lat]
[1601J.01.12 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 128"
[lat]
[1601J.06.03 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 148T-149
D : BONGARS 1660, S. 139-141
Heidelberg
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 134-136
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 1 3 6 f .
1600.12.29 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 116' 1600.12.26 D: BONGARS
28
Heidelberg 1660, S. I38f.
[1601J.02.25 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 13(f
[lat.]
1601.02.20
[lat.]
Heidelberg
D: BONGARS 1660, S. 141-143
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 133f.
1600.12.18
Heidelberg
[lat]
[A]
[lat.J
Bezieht sich auf das Schreiben Lingelsheims vom 20.02.1601; da der 20.02. nach dem alten Kalender dem 02.03. nach gregorianischer Datierung entspricht, muß dieses Konzept von Bongars nach dem 02.03. niedergeschrieben worden sein.
486 flat.]
[1601J.09.02 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 165""
[lat.J
1601.05.31 Heidelberg [lat.] A: BBB: Cod. 141, Nr. 62, Bl. 88r-89v D: HÄGEN 1879, S. 165-167
[1601J.09.09 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 16T
[lat.J
[1601J.06.09 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. ¡49"
[lat.]
1601.09.08 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 146-148
[lat.]
[1601].06.15 Straßburg K: BNP: Fr. 7130, Bl. I49"-15ff
[lat.]
[1601J.09.20 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 16&
[lat.J
[1601] .06.17 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 15ff"
[lat.]
[1601J.09.23 Frankfurt/M. K: BNP: Fr. 7130, Bl. 169*
[lat.J
1601.06.13
[lat.J
1601.09.16 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 148-151 [A]
[lat.]
[1601J.06.24 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. I50"-151'
1601.09.18
[lat.]
[1601J.07.01 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 151™
[lat.J
D : BONGARS 1660, S. 151f. [A]
[lat.]
[1601J.09.30 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 170" & 17/3°
[lat.]
1601.06.22
[lat.J
[1601]. 10.10 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 173"
[lat.J
[1601J.07.05 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 152"
[lat.J
[1601J.10.14 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 174"
[lat.J
[1601J.07.08 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 153'
[1601.10.J [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 175'3 •
[lat.J
1601.10.16 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 152-154 [A]
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 143f. [A]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 145f.
1601.07.02 Speyer [lat.] A: BBB: Cod. 141, Nr. 63, BL. 90 r -91 r D: HAGEN 1879, S. 167-169
Heidelberg
[1601J.07.12 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 153""
[lat.J
[1601]. 10.28 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 175'
[lat.J
[1601J.07.15 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 154'
[lat.]
[1601].11.04 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 17ff
[lat.J
[1601J.07.22 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 155™
[lat.]
[1601.11.; Anf.] [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 17
[lat.J
[1601.07.; Ende] [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 157™
[lat.]
[1601J.ll.il [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 17T
[lat.J
[1601J.08.05 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 1ST
[lat.J
[1601J.11.15 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 17g
[lat.J
[1601J.08.12 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 161™
[lat.J
[1601J.11.18 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 178"
[lat.J
[1601J.08.19 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 162' "
[lat]
[1601J.12.01 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 17T
[lat.J
[1601J.08.26 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 164'
[lat.J
[1601J.12.02 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 196'
[lat.J
29
31 32
In der Zeit vom 17.06. bis zum 09.09.1601 läßt sich deutlich erkennen, daß Bongars streng die wöchentliche Regelmäßigkeit der Korrespondenz mit Lingelsheim einhielt (vgl. dazu oben S. 391 f.); dieses Konzept dürfte deshalb von Ende Juli stammen. Bl. 17V" ist unbeschrieben. Zwischen dem 14.10. und 28.10.1601 (nach gregorianischem Kalender) entstanden. Bezieht sich auf das Konzept vom 04.11.1601.
487 [1602J.03.31 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 213"™
[lat.J
1602.03.27
[lat.]
1601.12.14 Frankfurt/M. K: BNP: Fr. 7130, Bl. 19(f33
[lat.]
[1601].12.16 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 196"
[lat.]
[1601], 12.17 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 197"
[lat.]
[1602J.04.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 214"
[lat.J
[1601],12.23 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 19V
[lat.]
[1602J.04.07 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 215'
[lat.J
[1602.12.; Ende] [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 198134
[lat.]
[1602J.04.10 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 215""
[lat.J
1602.01.02 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 199"
[lat.]
[1602J.04.14 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 215"
[lat.J
[1602.01.; Anf.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 199
[lat.]
[1602J.04.22 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 216
[lat.J
[1602J.01.08 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 200"-201'
[lat.]
[1602J.04.29 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 216"
[lat.J
[1602.01.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 202"36
[lat.]
[1602J.05.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 218T
[lat.J
[1602J.01.20 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 203'
[lat.]
1602.05.27
[lat.]
[1602J.01.25 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 203"
[lat.]
[1602J.06.07 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 21?
[lat.J
1602.01.24
[lat.]
[1602J.06.09 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 219T
[lat.J
[1602J.02.16 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 204'
[lat.]
[1602J.06.10 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 219"
[lat.J
[1602.02.] [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 206"-207r"
[lat.J
1602.06.03
[lat.]
[1602J.02.25 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 208r~"
[lat.J
[1602J.06.16 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 219"-22V
[lat.J
1602.02.18 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 156-158
[lat.]
[1602J.06.23 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 223"-224'
[lat.J
[1602J.03.03 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 208"
[lat.J
1602.06.17
[lat.]
[1602J.03.09 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 209T
[lat.]
[1602J.06.30 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 226"-22T
[lat.J
[1602J.03.28 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 213'
[lat.J
[1602J.07.04 Frankfurt/M. K: BNP: Fr. 7130, Bl. 227"
[lat.J
[1602J.03.31 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 213"
[lat.J
[1602J.07.08 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 22T
[lat.J
Heidelberg
34
35 36 37 38
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 159f.
D : BONGARS 1660, S. 155f.
33
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 158f.
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 160f.
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 161 f.
An Lingelsheim und Michael Loefen gerichtet. Dieses Konzept und das Bl. 199" folgende gehören in den inhaltlichen Zusammenhang der anderen - datierten - Konzepte Bongars' aus der Zeit des Jahreswechsels 1601/1602. Bezieht sich auf das Konzept vom 04.11.1601. Bongars antwortet auf »redditae litterae tuae scriptae 17. Ian.« Zur Entstehung dieses Konzepts fuhrt Bongars aus: »XVI. Febr. litteras ad te raptim dedi.« Zweites Konzept vom gleichen Tag.
488 [1602J.07.14 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 228r-229*
[lat.]
[1602J.09.29 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 244'
[lat.J
[1602J.07.15 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 229"
[lat.]
[1602J.09.30 [o.O] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 244'
[lat.]
[1602J.07.21 Straßburg K: BNP: Fr. 7130, Bl. 230"
[lat.]
[1602J. 10.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 244"-245'
[lat.J
[1602J.08.04 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 230v
[lat.]
[1602J.10.07 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 245"
[lat.J
[1602J.08.il [o.O] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 232"-233'
[lat.]
[1602.10.J [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 245"43
[lat]
[1602.08.18] [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 234™
[lat.]
[1602].10.13 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 246'
[lat.J
[1602],08.25 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 23T
[lat.]
[1602J.10.20 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 247
[lat.J
[1602.08.; Ende] [o.O] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 23?*°
[lat.]
[1602J.10.27 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 248r
[lat.J
1602.08.30
[lat.]
[1602J.11.03 [o.O] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 25(1
[lat.]
[1602].09.09 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 241'
[lat.]
[1602.11] [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 250v
[lat.J
1602.09.02
[lat.]
[1602J.12.01 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 254'~"
[lat.J
[1602J.09.13 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 241"
[lat.]
[1602J.12.08 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 256'
[lat.J
[1602.09.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 241"4I
[lat.]
[1602J.12.15 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 259'
[lat.J
[1602J.09.22 [o.O] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 241
[lat.J
[1602J.12.24 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 261r
[lat.J
[1602.09.J [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 242"n
[lat.J
1603.01.05 [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 261"
[lat.J
1602.09.26
[lat]
[1603.01.; Anf.J [o.O.J K: BNP: Fr. 7130, Bl. 261"44
[lat.J
[lat.J
1603.01.01 Heidelberg D: B O N G A R S 1660, S. 165f.45
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 6 2 f . [ A ]
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 6 3 - 1 6 5 [ A ]
D: BONGARS
Frankfurt/M. 1660,
S.
80f.
[1602J.09.27 [o.O] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 243"-244'
39
40 41
42 43
44 45
Dieses Konzept bezieht sich explizit auf ein Schreiben Bongars' an Kurfürst Friedrich IV. vom gleichen Tag (Bl. 234"). Dieses Konzept handelt von einem Schreiben Bongars' an Friedrich IV. vom 30.08. Nach den beiden vorangehenden Konzepten entstanden. Bongars schreibt hier: »litteras ad te binas dedi IX. & XIII Septi. nisi fallor«. Wahrscheinlich zwischen dem 22. und 26.09.1602 entstanden. Dieses Konzept ist vor dem 14.10.1602 entstanden: An jenem Tag schreibt Bongars im Straßburger Bistumsstreit an das dortige Kapitel, in diesem Konzept kündigt er sein entsprechendes Schreiben an. Schließt an das Konzept vom 05.01.1603 an. Der Brief trägt ein Postscriptum vom 02.01. - Diesem Brief legte Lingelsheim die Kopie eines anderen Schreibens bei, mit folgenden Worten darauf hinweisend: »Hodie ä Bullionia tabellarius ad Electricem missus litteras mihi attulit ä Tileno, quarum exemplum tibi mitto.« (S. 165)
489 [1603].Ol. 13 [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 264'
[lat.]
[1604J.02.03 [o.O.Jv K: BBB: Cod. B 149, Nr. 203, Bl. 255"
[1603J.02.27 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 181"
[lat.]
[1604J.02.09 [o.O.] [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 206, Bl. 256"
1603.03.03
[lat.]
[1604J.02.15 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 207, Bl. 257'
[1603J.03.16 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 178"'
[lat.]
[1604J.02.17 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 208, Bl. 257"
1603.03.29 Metz K: BNP: Fr. 7128, Bl. 17 ff
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 167-169 [A]
1603.04.22
Den Haag
[lat-]
1889, S.9f.
D: BONGARS 1660, S. 63f.
[lat.]
Den Haag
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 7 2 ; REIFFERSCHEID
1889, S. lOf. 1603.06.13
Heidelberg
[lat.]
1604.02.14
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 1 8 0 f . [ A ]
[1604J.02.24 [o.O.]™ [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 209, Bl. 257" [1604J.03.02 [o.O.Jw [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 210, Bl. 25T
[A]
[1603J.05.28 Paris [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 124, Bl. 196" 1603.05.24
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 1 7 8 f . [ A ]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 169; REIFFERSCHEID
1603.05.16 Paris K: BBB: Cod. B 149, Nr. 190, Bl. 250r
1604.02.10
[lat.]
[lat.]
[1604J.03.10 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 212, Bl. 258' 1604.05.15
Heidelberg
[lat.]
D: BONGARS 1660, S. 181-183
1604.06.04
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 1 8 3 f . [ A ]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 173f.
[1603].10. [o.O.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 255, Bl. 291'
[lat]
[1603]. 10.14 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 256, Bl. 291™ [1603J.10.20 [o.O] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 258, Bl. 291" 1603.10.31 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 250, Bl. 288" 1603.12.20
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 175f. [ A ]
1604.01.19 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 200, Bl. 255' D: BONGARS 1660, S. 62f. 1604.01.12
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 1 7 6 f . [ A ]
[1604J.01.26 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 202, Bl. 255" 1604[.01./02.J
Paris
D: BONGARS 1660, S. 91 f.«
46 47 48 49 50
[lat.]
1604.07.09
Heidelberg
[lat.]
D: BONGARS 1660, S. 1 8 4 - 1 8 6 [A]
1604.09.22
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 1 8 6 f . [ A ]
[1604J.11.26 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 188'
[lat.J
[1604J.11.29 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 188'-189'
[lat.J
[1604J.12.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 189""50
[lat.J
[1604J.12.13 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 189"-19CT
[lat.J
[1604]. 12.20 [o.O] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 190"-191r
[lat.J
1604.12.11 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 76, Bl. 105r_v
[lat.]
D : HAGEN 1 8 7 9 , S. 171 f.
1604.12.13 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 77, Bl. 106r~v D: HAGEN 1879, S. 172-174
Vgl. den Brief Langelsheims vom 10.02.1604. Zuweisung nach Breuer 1905, S. 125, Anm. 9. Zuweisung nach ebd., S. 127, Anm. 23 Zuweisung nach ebd., S. 126, Anm. 16 Lingelsheim als Empfänger ergibt sich aus seinem Brief vom 13.12.1604.
[lat.]
490 [I604J.12.30 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 191"-192'
[lat.]
1605.04.24 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 194-196 [A]
[lat.]
[1605J.01.01 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 191
[lat.]
[1605J.05.15 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 209ry»
[lat.J
[1605].01.03 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 192"
[lat]
1605.05.07 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 196-198;
[lat.]
1604.12.27 [o.O.] A: BBB: Cod. 141, Nr. 78, Bl. 108'
[lat.]
D : HAGEN 1879, S. 174f.
REIFFERSCHEID 1889, S. 15f.
[1605J.05.20 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 207
[lat.J
[1605J.01.10 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 193v-194'
[lat]
[1605.05.31] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 2 0 ^
[lat.J
[1605J.01.il [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 194"
[lat.]
[1605].06.04 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 208v
[lat.J
[1605].01.17 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 195'
[lat.]
[1605J.06.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 209"55
[lat.J
[1605J.01.24 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 19&-I97
[lat]
1605.05.28 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 198-200 [A]
[lat.]
[1605J.01.29 [o.O] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 19T
[lat]
[1605J.06.13 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 21ff
[lat.J
[1605J.01.31 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 198'
[lat.J
[1605J.02.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 198"-199r
[lat.J
[1605J.02.14 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 199"-200r
[lat.J
1605.02.05 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 187-190 [A]
[lat.]
D : HAGEN 1879, S. 178f.
[lat.]
1605.06.22 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 85, Bl. 116" D: HAGEN 1879, S. 179f.
[lat.]
1605.02.09 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 190-192 [A]
[1605J.02.25 [o.O.J5' [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 148, Bl. 206'
[1605J.07.09 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 217
[lat.J
[1605J.03.05 [o.O.J52 [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 152, Bl. 20T
[1605J.07.10 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 212"
[lat.J
[1605J.03.27 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 205v
[lat.J
[1605.J 07.18 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 213v
[lat.J
1605.04.15 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 192-194 [A]
[lat.]
[1605J.07.19 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 218
[lat.J
51
52
53 54
55 56
1605.06.11/10 Heidelberg [lat.] A: BBB: Cod. 141, Nr. 87/88, Bl. U8'-119 v « D : HAGEN 1879, S. 175f. u n d 177f.
1605.06.16 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 200-202 [A]
[lat.]
1605.06.18 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 92a, Bl. 124'
[lat.]
Zuweisung nach Breuer 1905, S. 131, Anm. 17; bei HAGEN 1875 auf 1606 datiert, zur Datierung auf 1605 vgl. Breuer S. 128, Anm. 1 Zuweisung nach Breuer 1905, S. 131, Anm. 18; bei HAGEN 1875 auf 1606 datiert, zur Datierung auf 1605 vgl. Breuer S. 128, Anm. 1 Bongars bedankt sich hier für die Briefe vom 15. und 24.04.1605. In seinem Brief vom 10.06.1605 bestätigt Lingelsheim: »Quas vlt. Maii et 4. Junii ad me dedisti, recte accepi«. Vgl. Lingelsheims Briefe vom 28.05. und 09.06.1605. Lingelsheim schreibt am 10.06.1605 einen Brief an Bongars; diesen fertigen, bereits unterschriebenen Brief führte er einen Tag später, am 11.06., auf dem gleichen Blatt fort. HAGEN 1879 teilte den Brief in zwei Briefe, die er getrennt abdruckte.
491 1605.09.07 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 83, Bl. 114'
[1605J.07.23 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 21?
flat.]
[1605].07.25 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 214™
flat.]
[1605J.07.27 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 214""
[lat.J
[1605J.08.01 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 215'
[lat.J
D : HÄGEN 1879, S. 192f.
[1605J.08.01 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 217™
[lat.J
1605.09.15 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 86, Bl. 117v
1605.07.23 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 90, Bl. 122'
[lat.]
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 191f.
[1605J.09.20 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 223v
[lat.J
1605.09.11 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 84, Bl. 115v
[lat.]
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 193f.
D : HÄGEN 1879, S. 181f.
[1605J.08.08 [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 220"
[lat.]
1605.07.30 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 91. Bl. 123™ D: HÄGEN 1879, S. 182-184
[lat.]
[1605J.08.15 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 221™
[lat.J
1605.08.07 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 69, Bl. 97" v D: HÄGEN 1879, S. 184-186
[lat.]
[1605J.08.22 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 22T
[lat.J
1605.08.19 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 203f.
[lat.]
1605.08.20 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 57, Bl. 82'-" D: HÄGEN 1879, S. 186-188 1605.08.22 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 66, Bl. 94'
1605.09.18 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 204f.
[lat.]
1605.09.20 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 71, Bl. 99'
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 195
1605.09.21 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 73, Bl. 101'
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 195f.
1605.09.24 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 92 c, Bl. 126'
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 196f.
[1605J.10.06 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 226"
[lat.J
1605.10.01 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 70, Bl. 98'
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 197f.
[1605J. 10.24 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 22?
[lat.J
[lat.]
1605.10.17 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 79, Bl. 109' v D: HÄGEN 1879, S. 198-200
[lat.]
[lat.]
[1605J.10.28 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 228v
[lat.J
1605.10.21 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 68, Bl. 96' D: HÄGEN 1879, S. 200f.
[lat.]
[lat.]
[lat.J
1605.11.11 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 80, Bl. 110'
[lat.]
[1605J.10.04 [o.O.J K: BNP: Fr. 7128, Bl. 224"59 1605.08.28 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 72, Bl. 100'
[lat.]
D : HÄGEN 1879, S. 188f.
1605.08.26 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 75, Bl. 104' D : HÄGEN 1879, S. 189f.
D : HÄGEN 1879, S. 190f.
57
59 60
D : HÄGEN 1879, S. 201f.
1605.12.02 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 74, Bl. 102'"v D: HÄGEN 1879, S. 202-204
[lat.]
Vgl. den Brief vom 07.08.1605. Dito. Er bedankt sich hier für den Brief vom 18.09.1605. Der Brief scheint nicht am 24.10.1605 abgesandt worden zu sein, Bongars ergänzt das Konzept noch am 28.10.
492 1605.12.09 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 81, Bl. 11 lr_v
[lat.]
D : HAGEN 1 8 7 9 , S. 2 0 4 f .
1605.12.13 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 82, Bl. 113'
[lat.]
[1606J.02.24 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 144, Bl. 205'~" [1606J.03.02 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 151, Bl. 20T~" 1606.03.10
D : HAGEN 1 8 7 9 , S. 2 0 5 f .
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 2 1 2 f .
[1606].01.01^ [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 129, Bl. 199v
[1606J.04.03 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 157, Bl. 21(f
1605.12.23 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 67, Bl. 95" v
[1606J.04.06 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 160, Bl. 211'
[lat.]
D : HAGEN 1 8 7 9 , S. 2 0 6 - 2 0 8
1605.12.27
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 2 0 6 f . [ A ]
[1606J.01.10 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 131, Bl. 20V-201' [1606J.01.12 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 132, Bl. 201' [1606J.01.15 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 134, Bl. 201"-202' 1606.01.05
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 0 7 - 2 0 9 ;
[1606J.04.24V [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 61, Bl. 85r~" [1606J.05.09 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 166, Bl. 213" [1606J.05.il [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 167, Bl. 214' [1606J.05.12 [o.O.J K: BRA: K103, S. I64
[1606J.05.18 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 168, Bl. 214" [1606J.05.21 [o.O.J K: BRA: K103, S. 2
REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 18f.
[lat]
[lat.J
[1606.01.J19 [o.O.J [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 135, Bl. 202"
[1606J.05.25 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 171, Bl. 215'
[1606J.01.21./22.62 [o.O.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 136, Bl. 202"
[lat]
[1606J.05.31 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 173, Bl. 215"
[1606J.02.05 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 139, Bl. 203""
[1606J.06.06 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 175, Bl. 216"
1606.01.27
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 2 1 0
[1606J.06.07 [o.O.J K: BRA: K103, S. 3
[1606J.02.12 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 140, Bl. 204'
[1606J.06.14/1565 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 178, Bl. 217"
1606.02.06
[lat.]
[1606J.06.20 [o.O.J K: BRA: K103, S. 6
[lat.J
D : BONGARS 1660, S. 2 1 0 f .
[1606J.02.20 [o.O.J [lat.J K: BBB: Cod. B 149, Nr. 143, Bl. 205'
[1606J.06.29 [o.O.J K: BRA: K103, S. 10
[lat.J
61
62 63
64
65
Heidelberg
Heidelberg
[lat.]
[lat.J
Das Konzept trägt das Datum vom 01.01.1605; dabei dürfte es sich um eine Verschreibung handeln, da sich die diesem Konzept in Cod. B 149 inhaltlich folgenden Briefe Nr. 134 und Nr. 135 durch Vergleich mit Lingelsheims Briefen vom 13.12.1605 und 23.12.1605 bzw. vom 05.01.1606 eindeutig in das Jahr 1606 einordnen lassen. Dem Konzept ist ein Postscriptum nachgesetzt, das vom 22.01 .datiert. Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief an den Landgrafen von Hessen vom 21.04.1606 (BBB: Cod. B 149, Nr. 60). Die Datierung dieser Briefkonzepte in das Jahr 1606 erfolgte aufgrund der Übereinstimmung der Briefkonzepte vom 16. und 20.07. (greg.) mit dem Brief von Lingelsheim an Bongars vom 14.07.1606. D e r erste T e i l d i e s e s K o n z e p t s ist a u f d e n 14., d e r z w e i t e T e i l a u f d e n 15.07. datiert.
493 [1606J.07.03 [o.O.] K: BRA: K103, S. 10
[lat.]
[1606].07.16 [o.O.] K: BRA: K103, S. 13
[lat.]
1606.07.07
[lat.]
Heidelberg
D: BONGARS 1660, S. 213f.
[lat.]
[1606J.07.23 [o.O.] K: BRA: K103, S. 15
[lat]
Heidelberg
Heidelberg
[lat.
1607.12.26 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 237f.
[lat.
1608.01.09
[lat.
Heidelberg
D: BONGARS 1660, S. 2 3 9 - 2 4 1
[1606J.07.20 [o.O.] K: BRA: K103, S. 14
1606.07.14
1607.12.12
D: BONGARS 1660, S. 2 3 5 - 2 3 7
1608.01.23
Heidelberg
[lat.
D : BONGARS 1660, S. 241f.
1608.02.01
Heidelberg
[lat.
D: BONGARS 1660, S. 2 4 2 - 2 4 4
[lat.]
1608.02.05 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 244f.
[lat.
1608.02.06 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 245f. [A]
[lat.
1608.03.12 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 246f.
[lat.
D : BONGARS 1660, S. 2 1 8 - 2 2 0 [A]
1608.03.19 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 94'~"66
[lat.
1606.09.26 Heidelberg [lat.] D: BONGARS 1660, S. 220f.; REIFFERSCHEID 1889, S. 19
1608.04.01 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 248f.
[lat.
1607.01.08 Paris K: ZBZ: Ms. F 77 Nr. 430
[lat.]
1608.05.06 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 249f.
[lat.
1607.04.20
[lat.]
1608.05.27 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 250f. [A]
[lat.
1607.05.05 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 222f.
[lat.]
1608.06.03 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 95r
[lat.
1607.05.06
[lat.]
1608.06.17
[lat.
D: BONGARS 1660, S. 2 1 4 - 2 1 7
[1606J.07.30 [o.O.] K: BRA: K 103, S. 16
[lat.]
1606.08.04
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 217f. [A]
1606.08.17
Heidelberg
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 221 f.
Heidelberg
D: BONGARS 1660, S. 2 2 4 - 2 2 6 [A]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 251 f.
1607.07.13 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 226f. [A]
[lat.]
1607.09.13
[lat.]
1608.09.12 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 61, Bl. 87r"v D: HAGEN 1879, S. 208f.
[lat.
1607.09.26 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 229f. [A]
[lat.]
1608.12.18 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 59, Bl. 84'
[lat.
1607.10.16
[lat.]
D : HAGEN 1879, S. 2 0 9 - 2 1 0
1607.10.31 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 232f.
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 5 4 - 2 5 5
1607.11.07
[lat.]
1609.02.05 Heidelberg [lat. A: BBB: Cod. 141, Nr. 89, Bl. 120r-121v
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 2 2 7 - 2 2 9 ; REIFFERSCHEID 1889, S. 22f.
Straßburg
D: BONGARS 1660, S. 231
Heidelberg
D: BONGARS 1660, S. 2 3 3 - 2 3 5 [A]
66
1608.09.05
Heidelberg
[lat.
D : BONGARS 1660, S. 2 5 2 - 2 5 4
1609.01.01
Heidelberg
[lat.
D : HAGEN 1879, S. 2 1 0 - 2 1 2
Dieser Brief ist in Supellex epistolica nicht unter Lingelsheims Briefen aufgeführt. Zuordnung zu Lingelsheim ergibt sich zum einen daraus, daß es sich eindeutig Lingelsheims Handschrift handelt, zum anderen aus der inhaltlichen Übereinstimmung vorangehenden Briefen Lingelsheims an Bongars (vgl. insbes. den Brief v o m 12.03.) dem Jahre 1608.
Die um mit aus
494 1609.02.26 Heidelberg H: SUH: Sup. ep. 4°50, Bl. 56v-57r
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 255f.
1609.03.05 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 60, Bl. 85r_v
1610.06.08 [lat.]
Heidelberg Heidelberg
[lat.] [lat.]
D : BONGARS 1660, S. 259f.
1609.06.04
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 6 0 f .
1609.07.07
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 6 1 - 2 6 3
1609.07.21
Heidelberg
[lat.]
Heidelberg
[lat.]
Heidelberg
[lat.]
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 267f.
1609.12.08
Heidelberg
[lat.] [lat.]
1610.04.16 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 271-273
[lat.]
1610.05.05 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 273-275 [A]
[lat.]
1610.05.07 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 275-277
[lat.]
[lat.]
1610.07.04 Heidelberg H: SUH: Sup. ep. 4°50, Bl. 49v-50'«7
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 8 9 f .
1610.09.05
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 290f.
1610.10.10
Heidelberg
[lat.]
1610.10.17
Heidelberg
[lat.]
1610.10.19
Heidelberg
[lat.]
1610.10.24
Heidelberg
[lat.]
1610.12.31
Heidelberg
[lat.]
1610.05.09
[lat.]
1611.02.08
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 297f.
1611.03.06
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 9 8 f . [A]
1611.03.13
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 300f.
1611.03.21
Heidelberg
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 3 0 2 f . [A]
D : BONGARS 1660, S. 2 8 3 - 2 8 5
[lat.]
1611.03.23 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 303-305 [A]
[lat.]
1611.04.03
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 305f. [A]
REIFFERSCHEID 1889, S. 34f.
1610.05.13 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 279-281 [A]
[lat.]
1610.05.19 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 281-283 [A]
[lat.]
67
1610.07.01 Hagenau A: KBK.: Thott. 503, 2°
D : BONGARS 1660, S. 2 9 5 f .
1610.03.04 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 269-271
1610.05.11 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 277-279;
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 9 4 f .
D : BONGARS 1660, S. 2 6 8 f . [A]
Heidelberg
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 2 9 3 f.
D : BONGARS 1660, S. 2 6 6 f . [A]
1609.10.30
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 2 9 2 f .
D : BONGARS 1660, S. 264f. [A]
1609.08.11
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 291 f.
D : BONGARS 1660, S. 263f.
1609.07.28
[lat.]
D : BONGARS 1660, S. 288f.
D : BONGARS 1660, S. 2 5 7 - 2 5 9 [A]
1609.05.14
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 2 8 6 f .
1610.06.18
D : HÄGEN 1879, S . 2 1 2 f .
1609.04.14
1610.05.30
D : BONGARS 1660, S. 285
1611.04.06 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 306-308 [A]
[lat.]
1611.04.17
[lat.]
Heidelberg
D : BONGARS 1660, S. 308f. [A]
Die Abschrift ist mit zwei Daten unterzeichnet: dem 04.07. und dem 24.06. Der Brief trägt in BONGARS 1660 als Datum nur den 04.07. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß es sich bei der Datierung der Abschrift um eine Zurückrechnung des zweiten Datums vom 04.07. aus handelt, die der Schreiber selbständig vorgenommen hat in dem-irrigen Glauben, Lingelsheim benutze den gregorianischen Kalender. Für diese Annahme einer falschen Zurückrechnung spricht der Brief vom 26.02.1609, der ebenfalls in SUH: Sup. ep. 4 ° 5 0 , BL. 56 v , und in B O N G A R S 1660, S. 2 5 5 , enthalten ist: hier stimmen die Daten überein.
495 lat.
1611.12.02 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 108r_v
[lat.]
lat.
1611.12.10 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 109r"v
[lat.]
lat.
1611.12.10 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 110r"v
[lat.]
1611.05.11 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 58, Bl. 83' D: HAGEN 1879, S.213f.
lat.
1611.12.16 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. lll'- v
[lat.]
lat.
1612.01.06 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 112-113"
[lat.]
1611.05.16 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 64, Bl. 92r"v
Heidelberg 1612.01.20 A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 114r_v
[lat.]
1612.01.21 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 115'-"
[lat.]
lat.
1612.01.28 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 116'"v
[lat.]
lat.
1612.01.28 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 117'"v
[lat.]
lat.
[1612J.02.13 Hanau A: SUH: Sup. ep.4. Bl. 82™
[lat.]
lat.
1612.02.09 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 118r_v
[lat.]
1611.07.29 Heidelberg D: BONGARS 1660, S. 320f.
lat.
1612.02.13 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 119'""
[lat.]
1611.09.21 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 9 6 "
lat.
1612.02.17 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 120'"v
[lat.]
1611.09.30 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, Bl. 97™
lat.
1612.02.18 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 121r_v
[lat.]
1611.10.07 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 98™
lat.
1612.02.22 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 122r"v
[lat.]
1611.10.14 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 99""
lat.
1612.02.24 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 123r_v
[lat.]
1611.10.21 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 100r"
lat.
1612.02.25 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 124r"v
[lat.]
1611.10.27 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 101r v
lat.
1612.03.02 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 125'""
[lat.]
1611.11.03 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 102'"v
lat.
1612.03.03 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 126'~v
[lat.]
1611.11.11 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 103'"v
lat.
1612.03.07 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 127'"v
[lat.]
1611.11.17 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 104"v
lat.
1612.03.16 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 128r-129v
[lat.]
1611.11.24 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14,Bl. 106r_v
lat.
1612.04.02 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 132'-133v
[lat.]
1611.11.26 SUH: Sup. ep.
frz
1612.04.09 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 134r"v
[lat.l
1611.04.19
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 3 1 0 f .
1611.04.24
Heidelberg
D : BONG ARS 1 6 6 0 , S . 3 1 l f .
1611.05.04
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 3 1 2 f . [ A ]
D : HAGEN 1 8 7 9 , S . 2 1 4 f .
1611.05.18 Heidelberg A: BBB: Cod. 141, Nr. 65, Bl. 93'
lat.
D : HAGEN 1 8 7 9 , S . 2 1 6
1611.06.24
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S . 3 1 4 f .
1611.07.14
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 3 1 5 f . [ A ]
1611.07.19
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 3 1 7 f . [ A ]
1611.07.25
Heidelberg
D : BONGARS 1 6 6 0 , S. 3 1 8 f .
A:
A:
A:
Heidelberg 14, BL. 1 0 7 "
496 1612.04.10 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 135r_v
[lat.]
[O.J.] [o.O.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 247, Bl. 287"
1612.04.11 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 136™
[lat.]
[o.J.].08.19 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 249, Bl. 288"
1612.04.15 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 137r'v
[lat.]
[o.J.].09.26 [o.O.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 401, Bl. 355'
1612.04.30 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 130-131"
[lat.]
1612.05.13 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 138' v
[lat.]
1612.05.25 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 139'"v
[lat.]
1612.06.02/12 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 140'"v
[lat.]
[1600 Spätsommer] [o.O.] K: BNP: Fr. 7130, Bl. 94'
[lat.]
1602 [Sommer]
[lat.]
S. 43
1660,
S. 85F.
[o.J.].07.19 D: BONGARS
[o.O.]
1660,
Straßburg
[o.J.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 17T
[lat.] [lat] [lat.]
[o.J.].04.30 [o.O] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 186, Bl. 224' [o.JJ.07.07 Meldis [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 195, Bl. 252"" [o.J.].06.23 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 197, Bl. 253"" [o.J.] [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 198, Bl. 253%» [o.J.].09.08^ [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 241, Bl. 285v~286' [o.J.].09.16 [o.O.] [lat.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 243, Bl. 286"
68 69
[lat.]
Johannes BOSCH 1628.01.13 [o.O.] A: BSB:Clm 10388, Bl. 38r
[lat.]
1628.01.27 [o.O.] A: BSB: Clm 10388, Bl. 39""
[lat.]
1628.09.14 [o.O.] A: BSB: Clm 10388, Bl. 40r"v
[lat.]
1628.09.21 [o.O.] A: BSB: Clm 10388, Bl. 41" v
[lat.]
Johann BUXTORF d.Ä. [lat.]
[o.JJ.04.07 [o.O] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 68, Bl. 87'
1596.08.27 Speyer A: SUH: Sup. ep. 4, Bl. 28V
[lat.]
[o.J.] [o.O.] K: BNP: Fr. 7128, Bl. 175'
[o.J.].06.21 [o.O.] K: BBB: Cod. B 149, Nr. 16, [o.Pag.]
[lat]
Adrian von BORCKE
Unsichere Datierungen
D: BONGARS
[lat]
1618.06.09 Heidelberg A: BUB: G I 60, Bl. 8r 2 H: BUB: G II 24, Bl. 32'"v
[lat.]
1618.10.13 Heidelberg A: BUB: G I 60, Bl. 9r 2 H: BUB: G II 24, Bl. 34'"v
[lat.]
1619.11.01 Heidelberg A: BUB: G l 60, Bl. 11'"" 2 H: BUB: G II 24, Bl. 35 r -36 r
[lat.]
1619.11.29 Heidelberg [lat.] A: BUB: G l 60, Bl. 10' H: BUB: G2 I 22,1, Bl. 169r v; BUB: G2 II 24, Bl. 37'"v Johann BUXTORF d.J. 1619.11.29 Heidelberg A: BUB: G 160, Bl. 13r H: BUB: G2 II 25, Bl. 55'
[lat.]
1630.02.12 Straßburg A: BUB: G 160, Bl. 14' H: BUB: G2 II 25, Bl. 56'"v
[lat.]
Text am Ende verstümmelt. Dieses und die Briefkonzepte vom 08.09., 16.09., 19.08. stammen entweder aus dem Jahre 1603 oder 1604. Gleiches gilt für das gänzlich undatierte Konzept Nr. 247, das im Sommer eines der beiden Jahre entstanden ist; es ist dementsprechend unten aufgeführt.
497 1630.02.25 Basel [lat.J H: KBK: Gl. kgl. 4°2133, Nr. 146; KBK: Ny kgl. S. 617, S. U6f.; KBK: Boll. Brevs. U 4°, S. 153 D: REIFFERSCHEID 1889, S. 390f.
1630.03.12 Straßburg A: BUB: G l 60, Bl. 15' H: BUB: G 2 II 25, Bl. ST"
[lat.]
1633.10.07 Heidelberg A: BUB: G 160, Bl. 16' H: BUB: G 2 II 25, Bl. 58'
[lat.]
Joachim C A M E R A R I U S (II) 1596.11.26 Mosbach A: BSB:Clm 10361, Nr. 230 70
[lat.]
Ludwig CAMERARIUS 1623.03.16/26 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 231
[lat.]
1623.09.06/16 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 232
[lat.]
1624.06.20/30 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 233 71
[lat.]
1624.07.04/14 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 234
[lat.]
1624.07.10/20 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 235
[lat.]
1624.10.17 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 236
[lat.]
I98f.
[lat.]
1625.04.06 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 238
[lat.]
1625.04.10/20 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 239
[lat.]
1625.04.24/05.03 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 240
[lat.]
71
72
73
74
1628.12.28/[ 1629],01.07 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 242 73
[lat.]
1629.04.05 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 243
[lat.]
1629.06.28/07.08 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 244
[lat.]
1629.12.13/23 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 245
[lat.]
1629.05.09/19 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 246
[lat.]
1630.09.04 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 247
[lat.]
1631.02.07 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 248 74
[lat.]
1635.12.23 Frankenthal A: BSB: Clm 10361, Nr. 249
[lat.]
1626.04.26 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 250
[frz.]
Isaac C A S A U B O N 1604.05.22 D: CASAUBONUS 1656,
1624.12.12/22 Straßburg A: BSB: Clm 10361, Nr. 237 72
70
[lat.]
Joachim C A M E R A R I U S (IV)
1624.11.08/18 [o.O.] [lat.] H: KBK: Gl. kgl. 4°2133, Nr. 56; KBK: Ny kgl. S. 617, S. 45f. D: REIFFERSCHEID 1889, s.
1628.10.31 [o.O.] A: BSB: Clm 10361, Nr. 241
S. 388/.;
Paris 1638,
S. 225;
CASAUBONUS
[lat.] CASAUBONUS 1709,
S.
210
1604.06.05 Heidelberg [lat.] A: BLL: Burney MS 365, Nr. 83, Bl. 106' 1604.09.03 D: CASAUBONUS
[o.O.] 1638,
S. 226;
[lat.] CASAUBONUS
1656, S. 403f.; CASAUBONUS 1709, S. 217f.
1604.10.21 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 84, Bl. 107' 1605.02.24 D: CASAUBONUS 1656,
Paris 1638,
S. 435-437;
[lat.]
S. 226/.;
CASAUBONUS
CASAUBONUS
1709,
S.
233
1605.09.01 D: CASAUBONUS 1656,
S. 466/.;
Paris 1638,
S. 227/.;
CASAUBONUS
[lat.] CASAUBONUS 1709,
S.
248
Der Bestand hat keine Seitenzählung. Der Brief trägt keine Anschrift, gehört aber in den Zusammenhang der folgenden Briefe Lingelsheims an Camerarius. Die in diesem Brief erwähnten Namen sind mit Zahlen chiffriert, Lingelsheim selbst unterschrieb mit »156«. Der Brief trägt als Datumsangabe »28.12./07.01.1628«; die Jahresangabe bezieht sich dabei auf das Datum alten Stils. Auch diesen Brief unterzeichnet Lingelsheim mit einer Chiffre, diesmal mit »152«.
498 1605.09.17 Heidelberg [lat.] A: BLL: Burney MS 365, Nr. 85, Bl. 108'~v 1606.03.30 D: CASAUBONUS
Paris
[lat.]
1638, S. 229;
Paris
[lat.]
1656, S. 690F.; CASAUBONUS
CASAUBONUS 1709, S.
371
1611.03.24 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 91, Bl. 118r"v
CASAUBONUS
1656, S. 497f. 1606.06.24
1611.02.23 [greg.] London D: CASAUBONUS 1638, S. 237F.;
[lat.]
1611.08.01
[o.O.J [lat.] 1638, S. 238f.; CASAUBONUS 1656, S. 80lf.; CASAUBONUS 1709, S. 429f.
D: CASAUBONUS 1638. S. 229f.; CASAUBONUS 1656, S. 510; CASAUBONUS 1709, S. 268
D: CASAUBONUS
1606.08.29
1611.10.01 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 92, Bl. 120r
D: CASAUBONUS
La Bretonnière 1638, S. 230;
[lat]
CASAUBONUS
1656, S. 518f.; CASAUBONUS 1709, S. 273/.
1 606.09.02 D: CASAUBONUS
1611.11.27
La Bretonnière [lat.] 1638, S. 230f.;
1656, S. 521; CASAUBONUS
CASAUBONUS
1709, S.
275
1607.08.10 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 87, Bl. 112' D: CASAUBONUS 1656, S. 568F;
1607.11.17 D: CASAUBONUS
Paris
[lat]
Paris
[lat.] CASAUBONUS
1656, S. 578f. 1608.03.09
[lat]
D: CASAUBONUS 1638, S. 232f. [A]; CASAUBONUS 1656, S. 587/.; CASAUBONUS 1709, S.
308f. 1608.07.04 Heidelberg [lat.] A: BLL: Burney MS 365, Nr. 88, Bl. 113r 1608.09.01
Paris
[lat.]
D: CASAUBONUS 1638, S. 233f. [A]; CASAUBONUS 1656, S. 599-601; CASAUBONUS
D: CASAUBONUS
Paris 1638, S. 235;
[lat]
Paris
1656, S. 839-841;
Paris
CASAUBONUS
CASAUBONUS
1709,
S.
453/.
1612.03.22 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 93, Bl. 121'
London
[lat]
1638, S. 241/.;
CASAUBONUS
1612.04.27 D: CASAUBONUS 461/.
London
[lat]
1638, S. 242/.;
CASAUBONUS
1612.08.05 D: CASAUBONUS
1656, S. 883-885;
1612.08.09
CASAUBONUS
London
D: CASAUBONUS-LINGELSHEM BONUS 1638, S. 808-813; S. 886-892;
1709, S.
CASAUBONUS
480
[lat] 1612;
CASAU-
CASAUBONUS 1709, S.
1656, 481-484
1612.10.23 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 96, Bl. 126'
327
1612.11.26
[lat]
D: CASAUBONUS 1638, S. 244; CASAUBONUS 1656, S. 938; CASAUBONUS 1709, S. 507
D: CASAUBONUS 1638, S. 236f.; CASAUBONUS 1656, S. 611 f . ; CASAUBONUS 1709, S. 328
1609.09.05
[lat]
1638, S. 240F.;
CASAUBONUS
1656, S. 61 Of.; CASAUBONUS 1709, S.
1609.03.23
439
1612.08.12 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 95, Bl. 125r_y
1709, S. 321 1609.03.19
1709, S.
London
D: CASAUBONUS
1709, S.
Paris
CASAUBONUS
[lat.] CASAUBONUS
1612.04.07 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 94, Bl. 123'"v
1638, S. 231; CASAUBONUS CASAUBONUS 1709, S. 298
1638, S. 231 f . ;
1656, S. 820F;
1612.02.29
1606.10.03 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 86, Bl. 110r v
1607.08.23
London
D: CASAUBONUS 1638, S. 239;
[lat.]
London
[lat.]
1613.01.21 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 97, Bl. 127'
S.
1613.02.04 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 98, Bl. 128'
1609.10.09 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 89, Bl. 114r-l 15r
D: CASAUBONUS 1638, S. 244/.; CASAUBONUS 1656, S. 952/.; CASAUBONUS 1709, S. 516
1610.05.30 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 90, Bl. 116'"v
1613.02.11 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 99, Bl. 129'
D: CASAUBONUS 1638, S. 236[A]; CASAUBONUS 1656, S. 623f.; CASAUBONUS 1709,
335
1613.02.07
London
[lat.]
1613.02.19 D: CASAUBONUS1638,
London
flat.]
S. 245f.;
CASAUBONUS
1656, S. 959; CASAUBONUS 1709, S.
1613.04.10
London
D: CASAUBONUS 1638, S. 246;
519
flat.] CASAUBONUS
1656, S. 964; CASAUBONUS 1709, S. 529
1613.05.23
Oxford
[lat.]
D: CASAUBONUS 1638, S. 247f.;
CASAUBONUS
1656, S. 973-975; CASAUBONUS 1709, S. 535 1613.08.09
London
D: CASAUBONUS 1638, S. 248;
[lat.] CASAUBONUS
1656, S. 983f.; CASAUBONUS 1709, S. 540 1613.09.12 Heidelberg [lat.] A: BLL: Burney MS 365, Nr. 100, Bl. 130' 1614.01.29
London
D: CASAUBONUS 1638, S. 248/.;
[lat.] CASAUBONUS
1589.03.31 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 27R
A:
1589.06.08 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, BL. 28'-29' 1589.10.21 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, BL. 30'-31' 1590.01.15
Heidelberg
A : S U H : S u p . e p . 14, BL. 3 2 ' - 3 3 '
1590.04.25 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 3 4 '
A:
1590.10.28 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 35'" V
A:
1591.04.22 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 3 6 '
A:
1592.05.04 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 1 9 2 '
A:
1656, S. 1001 f . ; CASAUBONUS 1709, S. 553
1592.07.24 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 3 7 '
1614.02.24" Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 101, Bl. 131'"v
A:
1614[.02./03.]
A:
London
D: CASAUBONUS 1638, S. 24916;
[lat.] CASAUBONUS
1656, S. 1005f; CASAUBONUS 1709, S. 555 1614.03.10 Heidelberg [lat.] A: BLL: Bumey MS 365, Nr. 102, Bl. 133' 1614.04.11
London
D: CASAUBONUS 1638, S. 249f.;
[lat.] CASAUBONUS
1592.12.12 [o.O.] SUH: Sup. ep. 14, BL. 3 8 ' 1592.12.26 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 3 9 '
A:
1593.02.27 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 40'
A:
1593.03.13
[o.O.]
A : S U H : S u p . e p . 14, B 1 . 4 1 '
1656, S. 1007-1009; CASAUBONUS 1709, S. 1593.11.14 Mosbach 557f. A : SUH: Sup. ep. 14, BL. 4 2 ' 1593.11.23 Amberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 43'
Christoph COLER
A:
1629.08.25 Straßburg D: COLER [1639], Bl. C3'(A) 77
[lat.]
1593.12.25 [o.O.] SUH: Sup. ep. 14, BL. 4 4 '
A:
[1630].05.08
Straßburg
[lat.]
D : REIFFERSCHEID 1 8 8 9 , S. 4 0 1
1594.02.06 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 4 6 '
Hippolyt von COLLI
A:
1584.01.06 Straßburg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 23'
[lat.]
1587.02.20 [o.O.] A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 24'
[lat.]
1587.04.05 [o.O.] A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 25'
[lat.]
1589.03.24 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 26'
[lat.]
75 76 77
1594.01.21 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 4 5 ' "
A:
1594.02.12 [o.O.] SUH: Sup. ep. 14, BL. AT"
A:
1594.03.06
Heidelberg
A : S U H : S u p . e p . 14, BL. 4 8 M 9 '
1594.07.30 Heidelberg SUH: Sup. ep. 14, BL. 5 0 '
A:
1594.08.02 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, BL. 51'-52'
Bezieht sich auf den Brief vom 29.01.1614. Lediglich »Nonis« ohne Monatsangabe datiert; folgt auf den vorangehenden Brief. Bogen fälschlich als D3 kollationiert.
500 1594.08.18 Straßburg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 53r-54r
[lat.]
1596.12.18 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 76'
[lat.]
1594.08.20 Colmar A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 55'
[lat.]
1596.12.24 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 77'
[lat.]
1594.08.26 Mömpelgard A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 56'
[lat.]
1597.01.25 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 78r
[lat.]
1594.10.07 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 57'
[lat.]
1597.02.05 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 79'"v
[lat.]
1594.10.16 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 58'
[lat.]
1597.03.02 Amberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 80'
[lat.]
1594.11.25 Amberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 59'
[lat.]
1597.04.07 Mosbach A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 81'
[lat.]
1594.11.30 Amberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 60'"v
[frz.]
1597.04.29 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 82'
[lat.]
1595.04.21 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14,B1.61'
[lat.]
1597.05.04 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 83'
[lat.]
1595.05.01 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 62'
[lat.]
1597.05.09 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 84'
[lat.]
1595.08.20 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 63'
[lat.]
1597.06.28 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 85'
[lat.]
1595.09.01 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 64'
[lat.]
1597.07.02 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 86'
[lat.]
1595.09.03 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 65'
[lat.]
1597.07.23 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 87'7«
[frz.]
1595.09.10 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 66'
[lat.]
1597.07.29 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 88'
[lat.]
1596.01.25 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 67'"v
[lat.]
1597.09.11 Straßburg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 89'
[lat.]
1596.01.30 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 68'
[lat.]
1597.09.18 Straßburg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 90'
[lat.]
1596.09.10 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 69'
[lat.]
1597.10.01 Straßburg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 91'
[lat.]
1596.09.13 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 70'
[lat.]
1597.10.13 Straßburg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 92'
[lat.]
1596.11.08 Mosbach A: SUH: Sup.ep. 14, B1.71'
[lat.]
1598.02.14 Neumark A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 93'
[lat.]
1596.11.15 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 72'
[lat.]
1598.08.21 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 193'
[lat.]
1596.12.02 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 73'
[lat.]
1601.07.08
[lat.]
1596.12.04 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 74'
[lat.]
1596.12.17 Mosbach A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 75'
[lat.]
Heidelberg
D: MlEG 1701, S.
1602.01.12 D: MlEG 1701,
S.
110-114
Straßburg 114-116
1602.04.30 D: MlEG 1701, S. 117
Nur der letzte Absatz ist in lateinischer Sprache verfaßt.
Schriesheim
[lat.] [lat.]
501 1608.04.18 Den Haag D: MlEG 1701, S. 118
[frz.]
1586.02.08 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34. Bl. ff
[lat.]
1608.04.25 Den Haag D:MIEG 1701, S. 119
[frz.]
1586.02.10 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. T~"
[lat.]
1608.06.13 Den Haag D: MlEG 1701, S. 119f.
[frz.]
1586.02.11 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. T
[lat.]
1608.10.27 Den Haag D: MlEG 1701, S. 120f.
[frz.]
[1586].02.12 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 8r~"
[lat.]
Unsichere Datierungen [it.]
1586.02.16 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 81'-9
[lat.]
[o.J.] [o.O.] A: SUH: Sup. ep. 4, Bl. 136r
[lat.]
1586.02.26 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 9r~"
[lat.]
[o.J.]
1586.12.10 Straßburg H: SUH: Sup. ep. 4"34, Bl. 9"-l(T
[lat.]
¡586.12.27 Straßburg H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 10"
[lat.]
1587.05.23 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 3'
[lat.]
1587.05.29 Frankfurt/M. H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 11'-"
[lat.]
[1587J.07.03 Warschau H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 12™
[lat.]
1590.01.29 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 25"-26'
[lat.]
1590.11.08 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 12"-13'
[lat]
[o.O.]
A: SUH: Sup. ep. 4,BI. 141™
Petrus DATHENUS d.J. 1612.10.14 [o.O.] [frz.] A: BHA: Kasten schwarz 16729, Bl. 345'-" 1612.10.20 London [frz.] A: BHA: Kasten schwarz 16729, Bl. 362'363' 1612.10.30 [o.O.] [frz.] A: BHA: Kasten schwarz 16729, Bl. 388'390™ 1612.11.27 London [frz.] A: BHA: Kasten schwarz 16729, Bl. 469'470* l Petrus DENAISIUS 1584.06.18 Straßburg H: SUH: Sup. ep. 4"34, Bl. 1""
[lat.]
1590.11.10 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 13'
[lat.]
1584.06.27 Straßburg H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 2""
[lat.]
1590.11.17 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 14""
[lat.]
1584.07.14 Straßburg H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 3'-4r
[lat.]
1590.11.20 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 15'
[lat.]
1584.08.02 Straßburg H: SUH: Sup. ep. 4°34. Bl. 4""
[lat.]
1590.12.02 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4"34, Bl. 15"-lff
[lat]
1586.01.28 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 5""
[lat.]
1590.12.08 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. I f f
[lat.]
[1586J.01.30 Worms H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. ff
[lat.]
1590.12.12 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 17'~"
[lat.]
79 80
81
82
An Colli und Denaisius gerichtet. Bl. 389 hat nur die Größe eines viertel Bogens; es enthält eine teilweise verschlüsselte Botschaft, die wahrscheinlich dem Brief beigelegt war. Es folgen zwei Blätter, die beide die Größe eines achtel Bogens haben und als Bl. 471 und 472 gezählt sind. Beide tragen diplomatische Nachrichten, Bl. 472 ist chiffriert. Da beide Nachrichten von der Hand Dathenus' stammen, waren sie wahrscheinlich - wie die dem Schreiben vom 30.10.1612 beigelegte Botschaft - dem vorangehenden Brief beigelegt. Diese Abschrift gibt versehentlich das Jahr 1507 an.
502 1590.12.15 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 1T-18'
[lat.]
1591.03.22 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 9™
[lat.]
1590.12.16 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 4'~v
[lat.]
1591.03.28 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 3F-33"
[lat.]
[1590].12.18 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 1X-1?
[lat.]
1591.03.29 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 10r
[lat.]
1590.12.22 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 1^-2(1
[lat.]
1591.04.05 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 6'
[lat.]
1590.12.26 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 2(T"
[lat.]
1591.04.06 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 33"-34r
[lat.]
1591.01.01 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 20"-22'
[lat]
1591.04.08 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 11'
[lat.]
1591.01.06 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 2T"
[lat]
1591.04.09 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 34™
[lat]
1591.01.10 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4"34, Bl. 23'
[lat]
1591.04.13 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 34"-35r
[lat.]
1591.01.12 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 23""
[lat]
1591.04.16 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 35"
[lat]
1591.01.15 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 23"-24'
[lat.]
1591.04.18 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 12'-13r
[lat.]
1591.01.19 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 24'-25r
[lat]
1591.04.19 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 3ff~"
[lat.]
1591.01.22 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 25™
[lat]
1591.04.22 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 14'-"
[lat.]
[1591.01.; Ende] [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 27™
[lat.]
1591.04.23 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 36"-37
[lat]
1591.02.12 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 2ff~"
[lat]
1591.04.24 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 15'-16r
[lat.]
1591.02.16 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4"34, Bl. 26"
[lat]
1591.04.26 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 17'
[lat.]
[1591.02] [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 27™
[lat]
1591.04.27 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 37-3K
[lat.]
1591.02.23 [o.O.] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 27-29
[lat.]
1591.04.29 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14,Bl. 18'"v
[lat.]
1591.02.26 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 29"-31'
[lat]
1591.04.30 Speyer H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 38™
[lat.]
1591.03.04 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. 5'
[lat.]
1591.05.03 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 19'"v
[lat.]
1591.03.11 Heidelberg A: SUH: Sup. ep. 14, Bl. T "
[lat.]
1591.05.04 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 38"-39r
[lat.]
[lat]
1591.05.06 Heidelberg A: SUH: Sup.ep. 14, Bl. 20'
[lat.]
[lat.]
1591.05.07 [o.O] H: SUH: Sup. ep. 4°34, Bl. 3