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German Pages 287 [288] Year 2007
Claudia Law Sprachratgeber und Stillehren in Deutschland (1923-1967)
W G DE
Studia Linguistica Germanica
Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger
84
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Claudia Law
Sprachratgeber und Stillehren in Deutschland
(1923-1967) Ein Vergleich der Sprach- und Stilauffassung in vier politischen Systemen
Walter de Gruyter · Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-018363-4 ISSN 1861-5651 Bibliografische Information der Deutseben Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Dieses Buch ist meinen Eltern Paul (1934-2002) und Ursula gewidmet.
Vorwort Das vorliegende Buch stellt die überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Doktorarbeit dar, die ich im Frühjahr 2004 an der University of Manchester abgeschlossen habe. Es war Professor Stephen Parker, der im Rahmen seines durch den Arts und Humanities Research Board geförderten Projektes The Modern Restoration: the discourse of style in German literature 1930-1960 diese Arbeit anregte und ermöglichte. Mein besonderer Dank gilt meinen Doktorvätern, Herrn Professor Martin Durrell und Herrn Professor Stephen Parker, die diese Arbeit betreuten und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Mein ganz großer Dank gilt meiner Familie: meiner Mutter Ursula und meinem Mann David, die mich in so vieler Hinsicht unermüdlich, geduldig und liebevoll unterstützt haben und meinem Sohn Alexander, der sich nie darüber beschwert hat, dass seine Mutter so oft am Schreibtisch saß. Manchester im Oktober 2006
Claudia Law
Inhaltsverzeichnis 1 Einführung und Rahmen der Untersuchung
1
1.1 Thema und Forschungsüberblick
1
1.2 Die Textsorte der 'Sprachratgeber' und 'Stillehren'
7
1.3 Der Begriff des Sprachkonservatismus, die Untersuchung und ihre Durchführung 1.3.1 Der Begriff des Sprachkonservatismus 1.3.2 Die Untersuchung und ihre Durchführung 1.4 Zum Textkorpus 1.4.1 Bibliographische Angaben zum Textkorpus in chronologischer Aufstellung in vier politischen Epochen 1.4.1.1 Untersuchte Werke aus der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933) 1.4.1.2 Untersuchte Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) 1.4.1.3 Untersuchte Werke aus der Zeit der BRD (1949-1967) 1.4.1.4 Untersuchte Werke aus der Zeit der D D R (1949-1965) 1.4.2 Erläuterungen zum Textkorpus 1.4.2.1 Kategorien: 'Kontinuierlich aufgelegte Werke' und 'Momentaufnahmen' 1.4.2.2 Qualifikation der einzelnen Werke im Textkorpus für die Rubrik 'kontinuierlich aufgelegt' 1.4.2.3 Qualifikation der Werke im Textkorpus für die Rubrik 'Momentaufnahmen' 1.4.2.4 Qualifikation der DDR-Werke im Textkorpus
14 14 17 21 21 21 21 21 22 22 22 25 27 28
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Inhaltsverzeichnis
2 Sprachratgeber u n d Stillehren in der W e i m a r e r Republik (1919-1933)
31
2.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren 2.1.1 Sprachzustand 2.1.2 Sprachgeschichte 2.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit 2.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit 2.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen 2.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel 2.1.4 Sprachrichtigkeit 2.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik 2.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl 2.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen 2.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und der Medizin 2.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben 2.1.6 Die Funktion der Sprache auf politischer Ebene 2.1.6.1 Zeitspiegel 2.1.6.2 Verbindung von Sprache und Nation 2.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich
31 32 33 33 34
2.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der WR-Stilautoren 2.2.1 Aussagen zum Stil 2.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters 2.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil 2.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 2.2.2.1 „Schreibe, wie du sprichst!" 2.2.2.2 „Brauche, wo es irgend möglich ist, Zeitwörter!" 2.2.2.3 „Brauche öfter die Tätigkeits- als die Leideform." 2.2.2.4 „Schachtle nicht, sondern schreibe Neben- oder Hauptsätze!" 2.2.2.5 „Meide Fremdwörter!" 2.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil 2.2.3.1 Wer ist Vorbüd? 2.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache
52 52 52 54 56 57 58 60
2.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der WR-Werke 2.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den WR-Werken
35 36 38 38 41 42 42 43 45 45 47 48
61 63 67 67 68
77 77
Inhaltsverzeichnis
XI
2.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten 2.3.1.2 Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung 2.3.2 Der Sprachkonservatismus in den WR-Werken
77 79 81
3 Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
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3.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren 3.1.1 Sprachzustand 3.1.2 Sprachgeschichte 3.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit 3.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit 3.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen 3.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel 3.1.4 Sprachrichtigkeit 3.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik 3.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl 3.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen 3.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und der Medizin 3.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben 3.1.6 Die Funktion der Sprache auf politischer Ebene 3.1.6.1 Zeitspiegel 3.1.6.2 Verbindung von Sprache und Volk 3.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich 3.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der NS-Stilautoren 3.2.1 Aussagen zum Stil 3.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters 3.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil 3.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 3.2.2.1 „Schreibe muß die treffendste Rede sein." 3.2.2.2 „Die Seele des Satzes ist das Zeitwort." 3.2.2.3 „Schreibe nie mehr ein Passivum!" 3.2.2.4 „Die Naturform unseres Satzes ist die Beiordnung.".. 3.2.2.5 „Das Welschwort ist der häßlichste Fleck auf dem Ehrenkleid unserer geistigen Mutter." 3.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil 3.2.3.1 Wer ist Vorbild? 3.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache
84 84 86 86 87 87 88 90 90 91 92 92 93 94 94 96 98 99 99 99 102 104 104 105 108 110 112 116 116 118
XII
Inhaltsverzeichnis
3.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs derNS-Werke 3.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den NS-Werken im Vergleich zu den WR-Werken.. 3.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede 3.3.1.2 Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung 3.3.2 Der Sprachkonservatismus in den NS-Werken 4 Sprachratgeber und Stillehren in der B R D (1949-1967)
125 125 125 127 128 132
4.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren 4.1.1 Sprachzustand 4.1.2 Sprachgeschichte 4.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit 4.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit 4.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen 4.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel 4.1.4 Sprachrichtigkeit 4.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik 4.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl 4.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen 4.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und Medizin 4.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben 4.1.6 Funktion der Sprache auf politischer Ebene 4.1.6.1 Zeitspiegel 4.1.6.2 Verbindung von Sprache und Volk 4.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich
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4.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der BRD-Stilautoren 4.2.1 Aussagen zum Stil 4.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters 4.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil 4.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 4.2.2.1 „Schreibe muß die treffendste Rede sein." 4.2.2.2 „Die Seele jedes Satzes ist das Verbum!" 4.2.2.3 „Schreibe nie mehr ein Passivum!" 4.2.2.4 „Die Naturform unseres Satzes ist die Beiordnung.".. 4.2.2.5 „Das Welschwort ist der häßlichste Fleck auf dem Ehrenkleid der geistigen Mutter."
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Inhaltsverzeichnis
4.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil 4.2.3.1 Wer ist Vorbüd? 4.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache 4.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der BRD-Werke 4.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den BRD-Werken im Vergleich zu den WRund NS-Werken 4.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede 4.3.1.2 Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung 4.3.2 Der Sprachkonservatismus in den BRD-Werken
5 Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
XIII
161 161 163
167
167 167 169 170
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5.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren 5.1.1 Sprachzustand 5.1.2 Sprachgeschichte 5.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit? 5.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit 5.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen? 5.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel 5.1.4 Sprachrichtigkeit 5.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik 5.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl 5.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen 5.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und Medizin 5.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben 5.1.6 Die Funktion der Sprache auf politischer Ebene 5.1.6.1 Zeitspiegel 5.1.6.2 Verbindung von Sprache und Volk 5.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich
174 174 175 175 177
5.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren 5.2.1 Aussagen zum Stil 5.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters? 5.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil 5.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 5.2.2.1 „Schreibe so natürlich, wie du sprichst!"
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XIV
Inhaltsverzeichnis
5.2.2.2 „Das Zeitwort [.. .ist] der eigentliche Satzgestalter." 5.2.2.3 Aktiv oder Passiv? 5.2.2.4 „Nehmt es mit dem Rahmensatz genau!" 5.2.2.5 „[Wir müssen] aber nicht zu kurzsichtigen Ultrapuristen werden und unterschiedslos jegliches Fremdwort verdammen." 5.2.3 Die Vorbüder für Sprache und Stil 5.2.3.1 Wer ist Vorbüd? 5.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache 5.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der DDR-Werke 5.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den DDR-Werken im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken 5.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede 5.3.1.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Sprachbetrachtung 5.3.2 Sprachkonservatismus in den DDR-Werken?
6 Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
195 198 199 202 205 205 208
213
213 213 215 216
217
6.1 Gesamtvergleich des Sprach- und Stildiskurses zwischen 1923 und 1967 217 6.1.1 Gemeinsamkeiten in den WR-, NS-, BRDund DDR-Werken 217 6.1.2 Gemeinsamkeiten in den NS- und DDR-Werken 220 6.1.3 Gemeinsamkeiten in den BRD- und DDR-Werken 222 6.1.4 Gemeinsamkeiten in den WR-, NS- und BRD-Werken im Vergleich zu den Unterschieden in den DDR-Werken 223 6.1.5 Fazit 228 6.2 Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken 6.2.1 Die Produzenten und Konsumenten der Sprachratgeber und Stillehren 6.2.2 Das TJildungsbürgertum' und die Standardsprache 6.2.3 Die politischen Umstände des Sprachkonservatismus 6.2.4 Fazit
229 230 236 239 241
Inhaltsverzeichnis
6.3 Zur Abkehr vom Sprachkonservatismus in den DDR-Werken 6.3.1 Die politischen Umstände nach 1945 im Osten Deutschlands 6.3.2 Das 'Bildungsbürgertum' und die 'Bildung' in der DDR 6.3.3 Die Standardsprachenideologie und die Standardsprache in der DDR 6.3.4 Fazit 6.4 Zusammenfassung und Ausblick
XV
242 242 243 245 248 248
Literaturverzeichnis
251
Namenregister
263
Sachregister
269
1 Einführung und Rahmen der Untersuchung 1.1 Thema und Forschungsüberblick Diese Arbeit untersucht die Sprach- und Stilauffassung in einer Auswahl von populären laienlinguistischen Werken des 20. Jahrhunderts in Deutschland. In der für Laien und oft auch von Laien verfassten Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren untersuche ich, ob die unterschiedlichen politischen Systeme und Ideologien im politisch turbulenten Deutschland vom Anfang der zwanziger Jahre (1923) bis zur Mitte der sechziger Jahre (1967) einen Einfluss auf die Sprach- und Stilauffassung hatten oder ob sich die Ansichten über Sprache und Stil unbeeinflusst vom herrschenden politischen System gehalten haben. Als leitenden hermeneutischen Begriff verwende ich bei der Analyse auf der Suche nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten die in den Sprachratgebern und Stillehren dominante Eigenschaft des Sprachkonservatismus. Das Textkorpus setzt sich aus Sprachratgebern und Stillehren zusammen, die im Untersuchungszeitraum populär waren und in der abgesteckten Zeitspanne entweder kontinuierlich aufgelegt wurden oder in einer politischen Epoche erschienen und bald vergriffen waren. Kontinuierlich aufgelegt wurden bspw. Werke wie Wustmanns Sprachdummheiten und die Stilkunst von Eduard Engel und Ludwig Reiners, während sich Ewald Geißlers Stillehre Vom deutschen Stil zur Zeit des Nationalsozialismus oder Sprachratgeber von Eduard Koelwel, Helmut Ludwig und Georg Möller in der DDR großer Beliebtheit erfreuten. Bevor wir das Textkorpus im Einzelnen beschreiben und die Werke für die Untersuchung qualifizieren (siehe 1.4), ist es nötig, die Rahmenbedingungen der Untersuchung selbst abzustecken, und zwar durch einen Forschungsüberblick, durch die theoretische Definition und Zuordnung der Primärquellen (1.2), durch eine Auslegung des Leitbegriffs des Sprachkonservatismus und die Beschreibung der Untersuchung und ihrer Durchführung (1-3). Soweit mir bekannt ist, ist eine Untersuchung mit diesem Thema in Bezug auf diese Textsorte und diesen Zeitraum noch nicht durchgeführt worden. Nach Albrecht Greule ist die Textsorte 'Sprachratgeber', die seit 500 Jahren Anweisungen zum „Guten Deutsch in allen Lebenslagen" versprechen, von der Sprachwissenschaft bislang weitgehend unbeachtet
2
Einführung und Rahmen der Untersuchung
geblieben. 1 Ende des 20. Jahrhunderts sei die Literaturlage zu diesem Themenbereich schlecht und als Hauptaufgaben der Erforschung dieser Textsorte fordert er „die Einführung und Rahmen der Untersuchung Deskription, die Kritik und die Aufarbeitung der Geschichte der Sprachratgeber". 2 Es gibt einzelne sprachwissenschaftliche Arbeiten, die der Erforschung der Textsorte der Sprachratgeber der letzten 500 Jahre gewidmet sind.3 Mit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Albert Bremerich-Vos und Gerd Antos. Während Albert Bremerich-Vos historisch-semantische Untersuchungen zu praktischen Rhetoriken zwischen 1945 und 1986 durchgeführt hat und sie mit antiken Texten verglichen hat, widmet sich Gerd Antos Sprachratgebern und Kommunikations trainings des ausgehenden 20. Jahrhunderts und untersucht ihre Bedeutung für die Öffentlichkeit und ihr Verhältnis zur wissenschaftlichen Linguistik.4 Einige wissenschaftliche Arbeiten beziehen sich teilweise auf die Werke im Textkorpus meiner Untersuchung oder diskutieren darin enthaltene Einzelaspekte. 5 Der Stilistik-Experte Willy Sanders hat das Verhältnis von populärer Stilkritik und Sprachwissenschaft beleuchtet und die jeweiligen Standpunkte und Argumente im sprachkritischen Diskurs im 20. Jahrhundert untersucht. Er bezieht sich dabei auf Glossen, Sprachratgeber und Stillehren und erwähnt u. a. die laienlinguistischen Autoren Eduard Engel, Ludwig Reiners und Eduard Koelwel, deren Werke in meinem Textkorpus erscheinen. 6 Reinhard Nickisch hat 1975 vier maßgebliche praktische 1
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Albrecht Greule, „Die 'Buchsorte' Sprachratgeber. Definition, Subsorten, Forschungsaufgaben" in Textsorten und Textsortentraditionen, F. Simmler (Hrsg), (Bern u.a.: Lang, 1997), S. 239-269 (S. 239). Greule 1997:247, 248. Ursula Götz, Die Anfinge der Grammatikschreibung des Deutschen in Formularbüchem des frühen 16. Jahrhunderts (Heidelberg: Winter, 1992). Stefan Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen (Berlin/New York: de Gruyter, 1981). [15. Jahrhundert bis Ende des 18. Jahrhunderts]. Horst-Volker Krumrey, 'Entwicklungsstrukturen von Verhaltensstandarden. Eine soziologische Pro^essanaljse auf der Grundlage deutscher Anstands- und Manierenbücher von 1870-1970 (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1984). Reinhard M.G. Nickisch, Die Stilprin^ipien in den Deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1969). Susanne Ettl, Anleitungen tpr schriftlichen Kommunikation. Briefsteller von 1880 bis 1980 (Tübingen: Niemeyer, 1984).
4
Albert Bremerich-Vos, Populäre rhetorische R e i f e r (Tübingen: Niemeyer, 1991). Gerd Antos, Laien-Linguistik. Studien %u Sprach- und Kommunikationsproblemen im Alltag. Am Beispiel von Sprachratgebern und Kommunikationstrainings. (Tübingen: Niemeyer, 1996), S. 1. Antos diskutiert auf S. 56-61 u.a. Aspekte der Stilfibel von Ludwig Reiners. Ludwig Reiners, Stilfibel. Der sichere Weg ^um guten Deutsch (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1963).
5 6
Textkorpus, siehe 1.4. Willy Sanders, Sprachkritikastereien, 2. Auflage (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998). Willy Sanders, „Die Faszination schwarzweißer Unkompliziertheit.
Thema und Forschungsüberblick
3
Stillehren der deutschen Gegenwartssprache kritisch auf ihre Verwendbarkeit im Bereich der praktischen Stilistik in der Universitätsgermanistik geprüft.7 Zwei der vier bei Nickisch untersuchten Autoren tauchen in meinem Textkorpus auf, nämlich Ludwig Reiners und Georg Möller.8 Kerstin Meyer hat die Originalausgabe von Gustav Wustmanns Sprachdummheiten (1891) im Zusammenhang mit der sprachkritischen Literatur und der Biographie Wustmanns sowie die Rezeption des Werkes zur Jahrhundertwende untersucht.9 Wustmanns Sprachdummheiten erscheinen ebenfalls in meinem Textkorpus, allerdings nicht die Originalausgabe von 1891, sondern Auflagen zwischen 1923 und 1966. Es gibt eine Reihe von Artikeln zu verschiedenen Aspekten der Sprachdummheiten, die sich zum Teil auf die verschiedenen Auflagen beziehen.10 Theodor Ickler hat sich 1988 mit Eduard Engel und seiner Deutschen Stilkunst befasst und in einem
7 8
9 10
Zur Tradition deutscher Stillehre im 20. Jahrhundert (E. Engel - L. Reiners - W. Schneider)", Wirkendes IPW 38 (1988), 376-394. Reinhard M.G. Nickisch, Gutes Deutsch? Kritische Studien den maßgeblichen praktischen StiUehren der deutschen Gegenwartssprache (Göttiiigen: Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen, 1975). Nickisch 1975:32-71 über Ludwig Reiners und auf S. 109-129 über Georg Möller; allerdings nicht über die Werke, die diese Arbeit untersucht. Außerdem hat Nickisch einen Artikel über Ludwig Reiners geschrieben, der inhaltlich dem Kapitel über Reiners in seinem Buch von 1975 ähnelt, vgl. Reinhard M.G. Nickisch, ,Das gute Deutsch des Ludwig Reiners" in Deutsche Gegenwartssprache, Peter Braun (Hrsg.), (München: Wilhelm Fink Verlag, 1979), S. 122-148. Kerstin Meyer, „'Wustmanns Sprachdummheiten' Untersuchungen zu einem Sprachratgeber des 19. Jahrhunderts", Sprachwissenschaft 18 (1993), 223 - 315. Artikel über Wustmanns Sprachdummheiten·. Susanne Thiemann, „Einfach unverwüstlich, diese Sprachdummheiten", Der Sprachdienst, 9/10 (1985), 129-139, beschäftigt sich vor allem mit der ersten Ausgabe von 1891 und beschreibt Wustmanns Ziele und Prinzipien, sowie seine Behandlung der 'Sprachdummheiten'. Arne Dittmer, „Entwicklungstendenzen der deutschen Gegenwartssprache. Ein Vergleich zwischen Gustav Wustmanns 'Sprachdummheiten' 1891, 1943 und 1966" in Dieter Nerius (Hrsg.), 'Entwicklungstendenzen der deutschen Sprache seit dem 18. Jahrhundert (Oberlungwitz: Akademie der Wissenschaften der DDR, 1983), S. 126-134. Der Artikel beschäftigt sich hauptsächlich mit einem Vergleich sprachlicher Erscheinungen (z. B. Dativ-e, Binde-s, „würde"-Umschreibungen, Modewörter, etc.) in den drei Ausgaben. Janos Juhasz, „Zur sprachlichen Norm - Aus Anlaß der 14. Auflage von Wustmanns Sprachdummheiten", Muttersprache 77 (1967), 333-343, beschreibt die aus Sicht der Sprachwissenschaft veralteten Ansichten in der 14. Auflage der Sprachdummheiten. Helmut Henne, „Punktuelle und politische Sprachlenkung — zu 13 Auflagen von Gustav Wustmanns 'Sprachdummheiten'", Zeitschrift für deutsche Sprache 21 (1965), 175-184. Henne vergleicht u. a. drei Kapitel der 'Sprachdummheiten' in verschiedenen Auflagen und kommt zu dem Ergebnis, dass die dort punktuell ansetzenden Sprachlenkungsversuche keinen Erfolg gehabt haben (S. 178). Heinz Rupp, „Über die Notwendigkeit von und das Unbehagen an Stilbüchern" in Sprachnormen in der Diskussion (Berlin, New York: Walter de Gruyter, 1986), S. 102-115. Rupp kritisiert Wolf Schneiders 1982 erschienene populäre Stillehre Deutsch fir Profis und erwähnt „Wustmann" im letzten Paragraphen auf S. 115: „Schade, dass auch Schneiders Buch trotz viel Nützlichem eher verwirrt als fördert, ähnlich wie andere, der 'Wustmann' etwa [...]." Zu weiteren Arbeiten über die neuere Stillehre siehe Willy Sanders, Stil und Stilistik (Heidelberg: Julius Groos Verlag, 1995), S. 36-37.
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
Artikel ge2eigt, wie ausgeprägt Arthur Schopenhauer als stilistisches Vorbild für Engels Werk dient.11 Andreas Schulze hat die Rezeption und Wirkungsgeschichte verschiedener Ausgaben von Reiners' Stilkunst mit Hinblick auf die Frage untersucht, ob Reiners' Stilkunst 1995 noch zeitgemäß ist.12 Karin Müller stellt historisch-systematische Untersuchungen über die Maxime „Schreibe wie du sprichst!" an und bezieht sich u. a. auf die Autoren Engel, Reiners, Geißler und Möller, die auch in meinem Textkorpus auftauchen. 13 Wie der Forschungsüberblick zeigt, ist eine Untersuchung dieser Textsorte für den Zeitraum der zwanziger Jahre bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der politischen Verhältnisse in Deutschland noch nicht durchgeführt worden. Die Absteckung des Zeitraumes hängt hauptsächlich mit der Fragestellung meiner Untersuchung zusammen, wobei die Jahresdaten von 1923 und 1967 auf die Auflagedaten der Werke in meinem Textkorpus zurückzuführen sind. Die sechziger Jahre wurden als zeitlicher Endpunkt der Untersuchung gewählt, da es zu der Zeit in Deutschland zu einem bewussten Bruch der Sprachwissenschaft mit der laienlinguistischen Sprachkritik kommt. Vordergründig war bei der Absteckung des Zeitraums jedoch die Fragestellung meiner Untersuchung. Der Zeitraum ermöglicht einen synchronen Uberblick über die Sprach- und Stilauffassung in populären laienlinguistischen Werken in einer politischen Periode sowie einen diachronen Vergleich in vier politischen Epochen vor dem Hintergrund wechselnder demokratischer und totalitärer Verhältnisse in Deutschland: in den Demokratien von Weimar und der Bundesrepublik sowie in den totalitären Regimes des Nationalsozialismus und der DDR. Es erhebt sich die Frage, ob und in welcher Form sich aufgrund der traditionell engen Verbindung von Sprachbewusstsein und Nationalbewusstsein in Deutschland die turbulenten und teils extremen politischen Verhältnisse auf die Sprach- und Stilauffassung in dieser Textsorte auswirken. 14 Dass es zum Einfluss durch das herrschende politische System kommen kann, vermerkt jedenfalls
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Theodor Ickler, „Arthur Schopenhauer als Meister und Muster in Eduard Engels "Deutscher Stilkunst'", Muttersprache 98 (1988), 297-313. Im Rahmen seines Artikels versucht Ickler auf S. 297-8 zu zeigen, dass Engel zu Unrecht als „chauvinistischer Purist" von Peter von Polenz beim Germanistentag 1966 abgestempelt wurde. Antos (1996:56) schließt sich Icklers Meinung an und spricht von dem „zu Unrecht verteufelte[n] Eduard Engel". Andreas Schulze, „Ist Ludwig Reiners' Stilkunst noch zeitgemäß?" Muttersprache 3 (1995), 227-242. Karin Müller, „Schreibe wie du sprichst!" Eine Maxime im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Frankfurt/Bern/etc: Peter Lang, 1990). Zur traditionell engen Verbindung von Sprache und Nation siehe Claus Ahlzweig, Muttersprache - Vaterland (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994) und Michael Townson, Mothertongue andfatherland (Manchester: Manchester University Press, 1992), S. 79-80.
Thema und Forschungsüberblick
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Helmut Henne, der mehrere Auflagen von Gustav Wustmanns Sprachdummheiten, einem der berühmt-berüchtigtsten Werke aus meinem Textkorpus, auf die Wirksamkeit der von Wustmann beabsichtigten Sprachlenkung untersucht hat. Henne spricht von einer „Anpassung an die aktuelle politische Wirklichkeit" und sogar von „Zäsuren" der überarbeiteten Ausgaben aus dem Nationalsozialismus (1935) und der BRD (1949).15 Ordnet man die laienlinguistischen Werke über gutes Deutsch der Sprachpflege zu,16 dann sollten allerdings Kontinuitäten und keine Zäsuren für den von mir abgesteckten Zeitraum von 1923 bis 1967 zu erwarten sein. Das hat jedenfalls Ingrid Hillen festgestellt, die eine Untersuchung über die Sprachpflege in Deutschland für den Zeitraum von 1885 bis 1975 unternommen hat und bis Mitte der sechziger Jahre in beiden Teilen Deutschlands in der Sprachauffassung u.a. die Kontinuität der „nationalethische[n] Betrachtungsweise" von Sprache konstatiert.17 Wie Hillen scheint Albert Bremerich-Vos, der praktische Rhetoriken zwischen 1945 und 1986 untersucht hat, eher Kontinuitäten zu vermuten, wenn er es als „eine reizvolle Aufgabe" bezeichnet, im Zusammenhang mit politischen Verhältnissen nach Kontinuitäten in populären Ratgebern zu suchen, die sich aus der Zeit des Nationalsozialismus bis in die BRD gehalten haben.18 Meine Untersuchung der Sprachratgeber und Stillehren beschäftigt sich nicht nur mit einer Forschungslücke in Bezug auf diese Textsorte und die Fragestellung der politisch-ideologischen Beeinflussung der Sprachund Stilauffassung im kaum erforschten Zeitraum von 1923-1967, sondern sie leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Erforschung der Sprachbewusstseinsgeschichte einer breiten Schicht der Sprachteilnehmer im 20. Jahrhundert in Deutschland. Die Untersuchung konzentriert sich nämlich nicht auf die Sprachauffassungen und Sprachreflexionen eines kleinen Kreises von Sprachwissenschafdern und Germanisten für ihresgleichen, sondern beschäftigt sich vor allem mit der Sprach- und Stilauffassung, die einem sprachlich interessierten Laienpublikum dargeboten wird, das gemäß den Auflagezahlen der Werke Zehntausende von Lesern umfasst. Nach Antos wird in keinem „außerwissenschaftlichen ('natürlichen') Kon15
Henne 1965:181-3. Diese Zäsuren stellt er fest in Bezug auf das Vorwort und die Abschnitte über Neu- und Modewörter in den Ausgaben von 1935 und 1949. Kerstin Meyer (1993:303-304) bezieht sich auf Henne und spricht vom deutlichen politischen Einfluss des Nationalsozialismus, liefert aber bis auf zwei Sätze aus dem Vorwort der Ausgaben der Sprachdummheiten von 1935 und 1943 keine weiteren Belege oder Untersuchungen. Zu „berühmt-berüchtigt" siehe Sanders 1998:10, 18.
16 17
Siehe 1.2: Zu der Textsorte 'Sprachratgeber' und 'Stillehre' und ihrer Zuordnung. Ingrid Hillen, Untersuchungen Kontinuität und Wandel der Sprachpflege im Deutschen Reich, in der Bundesrepublik und in der DDR (1885 bis %ur Gegenwart), (Dissertation: Bonn, 1982), S. 165-66, 143 (DDR). Bremerich-Vos 1991:16.
18
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Einfuhrung und Rahmen der Untersuchung
text" so explizit und so viel über Sprache und Kommunikation reflektiert wie in der Laienlinguistik. Man habe es mit dem „größten nichtwissenschaftlkh elizitierten, d. h. alltagsweltlich konstituierten metalinguistischen Korpus der Linguistik" zu tun.19 Dass Untersuchungen über die Sprachreflexion und das Sprachbewusstsein in der von der Sprachwissenschaft bis jetzt meist ignorierten Volks- oder Laienlinguistik von steigendem Interesse für die germanistische Sprachwissenschaft geworden sind, zeigen nicht nur Greules Forschungsdesiderat und die neuen Arbeiten von Bremerich-Vos und Antos, sondern auch umfangreiche Projekte in der Bundesrepublik und in der Auslandsgermanistik.20 Nach Antos ist die Linguistik um eine vorurteilslose Aufarbeitung der Kernbereiche der Laien-Linguistik bemüht. „Anstelle früherer Ignoranz, Vorurteile oder gar Arroganz greift das Bemühen um sich, diese Art der Sprach- und Kommunikationsreflexion ernst zu nehmen." 21 Der Forschungsüberblick hat also ergeben, dass die vorliegende Untersuchung eine Forschungslücke füllt, da sie sich mit einem von der Sprachwissenschaft bis jetzt meist vernachlässigten Gebiet beschäftigt, das von neu entdecktem Interesse für die wissenschaftliche Linguistik geworden ist. Bei der Untersuchung handelt es sich um die Erforschung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Sprach- und Stilauffassung in laienlinguistischen Werken über „gutes Deutsch" unter spezieller Berücksichtigung der sich ändernden, teils extremen politischen Verhältnisse in Deutschland zwischen 1923 und 1967.
19
Antos 1996:54.
20
Ich denke dabei an Dr. Winifred V. Davies von der University o f Wales, Aberystwyth und Dr. Nils Langer von der Bristol University in Großbritannien, die das durch den Arts and Humanities Research Board geförderte Projekt über die Geschichte und den gegenwärtigen Zustand von 'schlechtem Deutsch' als Konzept in der deutschen Volks-/Laienlinguistik erforscht haben. Vgl. dazu http://www.aber.ac.uk/eurolangs/research/badlang.shtml vom 1 9 / 0 7 / 0 6 . Ebenso: Professor Dr. Andreas Gardt und das laufende Forschungsprojekt: Rhetorik und Stilistik, ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung vgl. http://www.uni-kassel.de/hrz/db4/extern/gardthome/forschung/ vom 1 9 / 0 7 / 0 6 . In Kapitel XIII geht es um ,Rhetorik und Stilistik in der Anwendung II: didaktische Aspekte (Rhetorische Ratgeber fiir Beruf und Alltag, praxisbezogene Stillehren, Stilkritik und Sprachkritik, etc), vgl. http://www.uni-kassel.de/hrz/db4/extern/gardthome/Konzept/ vom 1 9 / 0 7 / 0 6 . An der Universität zu Regensburg wurde unter der Leitung von Professor Albrecht Greule eine umfassende Bibliographie der Sprachratgeber vom 15. bis 20. Jahrhundert als Datenbank erstellt. Vgl. http://www.sprachratgeber.uni-regensburg.de/ vom 19/07/06.
21
Antos 1996:53.
Die Textsorte der 'Sprachratgeber' und 'Stillehren'
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1.2 Die Textsorte der 'Sprachratgeber' und 'Stillehren' Bevor wir uns der Beschreibung der Untersuchung und den Einzelheiten des Textkorpus widmen, ist es erforderlich, die Untersuchung durch Erläuterungen über die Textsorte näher zu bestimmen. Durch die Definition der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren, ihre Einbettung in verschiedene Sprachdisziplinen und die Zuordnung zur Laienlinguistik sollen zunächst auf hypothetischer Basis der Rahmen für die Untersuchung weiter eingegrenzt und entscheidende Begriffe erläutert werden. Ich benutze den Begriff 'Sprachratgeber' im Sinne einer Subsorte gemäß der Textsortenklassifizierung von Albrecht Greule, der den Begriff 'Sprachratgeber' aufgrund der „noch in den Kinderschuhen steckenden Forschung" als „Oberbegriff und als „Unterbegriff' verwendet. Als wichtigste Subsorten des Typus 'Sprachratgeber' listet er die folgenden auf: „Anstandsbuch, Antibarbarus, Briefsteller, Deklamierbuch, "Dichtkunst', Formularbuch, Gesprächsbuch, Grammatiklehrbuch, Kanzleibuch, Komplimentierbuch, Notariatsbuch, Populärrhetorik, Rechtschreibbuch, Schreibmeisterbuch, Stilistik, Titularbuch" und „Sprachratgeber". Die Subsorte 'Sprachratgeber' sei als Teil der sprachkritischen Literatur ein Sprachpflegebuch, das durch die „Intention, [vom Standard abweichende] Sprachverstöße zu benennen und zugleich über den richtigen Sprachgebrauch zu belehren", charakterisiert sei.22 In Greules Aufzählung der Subsorten des Typus 'Sprachratgeber' taucht die Subsorte 'Stilistik' auf. Diesen Begriff der 'Stilistik' möchte ich für meine Untersuchung durch den Begriff der 'Stillehre' ersetzen, da ich mit Sowinskis Begriffsabgrenzung zwischen 'Stilistik' und 'Stillehre' übereinstimme. Danach dominiert der Begriff 'Stilistik' dort, wo es um die wissenschaftliche Lehre und Forschung aller sprachstilistischen Erscheinungen geht, während der Begriff 'Stillehre' Lehrbücher für die „Vermittlung und Einübung stilistischer Formen" und „Anleitungen zum guten Stil" bezeichnet. 23 Auch Nickisch und Sanders benutzen den Begriff der 'Stillehre'. 24 Nickisch definiert die Absicht der Stillehre als eine „Stilunterweisung", es handle sich um eine „Lehre vom vorbildlich angemessenen Ausdruck in der schriftsprachlichen [Gebrauchs-JProsa". 25 Allerdings sehen Nickisch und Sanders den Begriff der Stillehre nicht so eng, da sie unter diesem Begriff auch Werke auflisten, die nach Greules Definition der Subsorte Sprachratgeber angehören müssten, d. h. die Werke konzent22 23 24 25
Greule 1997:241. Meyer 1993:233. Bernhard Sowinski, Stilistik: Stiltheorien und Stilanalysen, 2. Überarb. u. akt. Auflage (Stuttgart: Metzler, 1999), S. 5-6. Sanders 1998:37 und 1988:376. Nickisch 1975:17, 32-71, 109-129. Nickisch 1975:17.
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
deren sich eher auf den richtigen Sprachgebrauch als auf den vorbildlich angemessenen Ausdruck. 26 Die Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren wird mit dem Bereich der 'Sprachkritik' in Verbindung gebracht. Wie wir oben sahen, ordnet Greule die Sprachratgeber der sprachkritischen Literatur zu.27 Sanders bezeichnet Stillehrer als Sprachkritiker. 28 Aus dem umfangreichen Bereich der Sprachkritik beziehe ich mich zur Abgrenzung meiner Untersuchung auf Hans Jürgen Heringer, der drei Arten von Sprachkritik unterscheidet, die er als historische Entwicklungslinien „Stränge" nennt: 29 der erste Strang ist die Sprachkritik als universalsprachliche Erkenntniskritik, die seit der Antike hinterfragt, wie sich Sprache zur Vernunft und zur Wirklichkeit verhält. 30 Der zweite Strang ist die einzelsprachliche Sprachentwicklungskritik, die sich seit der Entstehung von Nationalsprachen durch das Interesse an Einzelsprachen und ihrer Verbesserung definiert und im Deutschen durch die Schaffung einer einheitlichen Nationalsprache bestimmt ist. Die Sprachentwicklungskritik setzt ein Bewusstsein von der eigenen Sprache und einen Abgrenzungswunsch zu anderen Sprachen voraus. In Deutschland diente diese Art der Sprachkritik als Mittel, um eine standardisierte Sprache zu schaffen, Normierungen durchzusetzen, die genaue Unterscheidung von richtig und falsch festzulegen und das Deutsche vor Neuem und Fremdem zu bewahren. 31 Der dritte Strang besteht aus der Sprachkritik als Stilkritik oder Textkritik, als Kritik an den sprachlichen Produkten einzelner Sprecher, wobei sich die Sprachkritik auf einzelne Presseerzeugnisse, die öffentliche Sprache, Gesellschaft und Politik konzentriert. 32
26
27 28 29
30 31 32
Nickisch (1975:187-196) macht allerdings eine Unterscheidung, da er auf S. 187 von „deutsche^] Stillehren und verwandte[n] Werken" spricht, während Sanders (1998:197-201) die Begriffe „Stillehre" und „Sprachglosse" verwendet. Greule (1997:241) bezieht sich auf Meyer (1993:232-233). Sanders 1998:17, 37-38. Hans Jürgen Heringer, Holtfeuer im hölzernen Ofen, 2. Auflage (Tübingen: Gunter Narr, 1988), S. 5. Peter von Polenz, Deutsche Sprachgeschichte, 3 Bände (Berlin/New York: de Gruyter, 1999), III, S. 294. Zur Literatur über den Bereich der Sprachkritik, siehe auch von Polenz (1999:335-337), der nach Themenbereichen sortiert wie 'Sprachkritik allgemein', 'Philosophische Sprachkritik', 'Grammatikalische Sprachkritik', 'Sprachverfall', 'Praktische Stilkritik', etc. Dazu zählt Heringer (1988:5-7) u. a. Heraklit, die Empiristen, die Aufklärer, Swift, Locke, Leibniz, Descartes, Hamann, Humboldt, Max Müller, Fritz Mauthner. Heringer 1988:5, 8-11. Dazu zählt er die Aktivitäten von Harsdörffer, Opitz, Schottel, Gottsched, Leibniz, die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts, Campe, Wustmann. Heringer 1988:5, 11-13. Dazu zählt Heringer u. a. F. Kürnberger, Karl Kraus, Klemperer, Seidel/Slotty, Berning, Sternberger/Storz/Süskind, Karl Korn, den Vergleich der Sprachentwicklung in der BRD/DDR.
Die Textsorte der 'Sprachratgeber' und 'Stillehren'
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Nach dieser Unterteilung der Sprachkritik und den obigen Definitionen der Textsorte passen die Sprachratgeber und Stillehren zu diesem Zeitpunkt in der Untersuchung vor allem zu Heringers zweitem Strang der Sprachkritik. Ihre Intention der Sprachverbesserung, d.h. den richtigen Sprachgebrauch und den vorbildlichen Ausdruck zu vermitteln, deckt sich mit dem Ziel der einzelsprachlichen Sprachentwicklungskritik, die geschaffene Einheitssprache mit ihren überlieferten Normen aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Zudem verweisen das nationalsprachliche Element des zweiten Stranges und der Abgrenzungswunsch zu fremden Sprachen auf eine Politisierung der Sprachkritik und untermauern so die Fragestellung meiner Untersuchung, ob verschiedene politische Systeme einen Einfluss auf die Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren ausüben. Die Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren wird nicht nur mit der Sprachkritik in einen Zusammenhang gebracht, sondern die Textsorte wird auch als Organ der 'Sprachpflege' gewertet. Hillen bezieht sich in ihrer Untersuchung über die Sprachpflege auf verschiedene Textsorten unterschiedlichster Herkunft und zitiert u.a. aus Sprachratgebern und Stillehren, die auch in meinem Textkorpus erscheinen, wie z. B. Eduard Engels Stilkunst, Gustav Wustmanns Sprachdummheiten und Koelwel & Ludwigs Gepflegtes Deutsch.33 Greule bezeichnet Sprachratgeber als „Sprachpflegebücher" und rechnet Sprachratgeber und Stillehren, wie bspw. die Stilkunst von Ludwig Reiners, zur praktischen Sprachpflege. 34 Durch die Definitionen von Sprachratgebem und Stillehren als Anleitungen zum richtigen Deutsch und vorbildlichen Ausdruck wird ihre Sprachpflegeintention deutlich. Nickisch und Heringer diskutieren das Thema Sprachpflege und kritisieren dabei die Methode der Sprachpflege, „bestimmte Wörter, Formen, Wendungen und Fügungen an[zu]greifen, [zu] verwerfen oder gar [zu] tabuisieren, [...] andere wiederum gut[zu]heißen und [zu] empfehlen," also die Methode der Beurteilung der Sprache und der Einschränkung der sprachlichen Mittel durch eine Auswahl an beste-
33
34
Zum Textkorpus, siehe 1.4. Vgl. Hillen 1982:176-230. Unterschiedliche Textsorten: z. B. Bücher und Artikel aus wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie bspw. aus der Zeitschrift fiir deutsche Wortforschung oder der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins-, Herkunft: z. B. von selbsternannten Sprachschützern wie Hermann Riegel und Hermann Dunger bis zu bekannten Germanisten und Sprachwissenschaftlern wie z. B. Adolf Bach, Friedrich Kluge und Leo Weisgerber. Greule 1997:241 und Albrecht Greule / Elisabeth Ahlvers-Liebel, Germanistische Sprachpflege: Geschichte, Praxis und Zielsetzung (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1986), S. 40. Greule erwähnt in diesem Zusammenhang zwei weitere Werke aus meinem Textkorpus: Schlechtes Deutsch von Ernst Wasserzieher und Was ist gutes Deutsch von Karl Schneider (siehe 1.4).
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
henden Alternativen. 35 In Bezug auf die vorliegende Untersuchung wird es interessant sein, herauszuarbeiten, wie ausgeprägt die Beurteilung von Sprache und die Auswahl der sprachlichen Mittel in den Sprachratgebern und Stillehren sind, und ob oder inwieweit die jeweilige politische Situation und Ideologie diese Beurteilung und Auswahl beeinflussen. Des Weiteren können Sprachratgeber und Stillehren mit ihrem sprachkritischen Engagement und der dahinter liegenden Sprachpflegeabsicht dem Bereich der 'Sprachkultur' zugeordnet werden. In diesem Zusammenhang haben Davies und Langer laienlinguistische Auffassungen über gutes und schlechtes Deutsch in der Sprachkultur analysiert und benutzten Sprachratgeber, Stilfibeln und Sprachglossen als laienlinguistische Primärquellen. Ein wichtiges Ergebnis ihres Vergleichs, der u. a. Konzepte wie Verständlichkeit, Klarheit und Genauigkeit untersucht, ist, dass die beiden letzteren im laienlinguistischen Diskurs im Gegensatz zum sprachwissenschaftlichen mit 'Moral' und 'gutem Benehmen' verbunden werden. 36 Für die vorliegende Untersuchung lässt sich davon die Frage ableiten, ob und in welchem Maße moralische Werte eine Rolle in der Sprach- und Stilauffassung in den Werken in meinem Textkorpus in den unterschiedlichen politischen Verhältnissen spielen. Schließlich werden die Sprachratgeber und Stillehren der Laienlinguistik zugeordnet. Ein Exkurs über das bis hierhin schon verwendete aber noch nicht konkret definierte Attribut 'laienlinguistisch' soll weitere Aufschlüsse über die Textsorte ergeben. Wie Antos gebe ich bei der Zuordnung der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren dem Zusatz 'laienlinguistisch' den Vorzug vor dem Attribut 'volkslinguistisch', obwohl die letztere Beifügung unter bestimmten Definitionsvorgaben ebenso möglich wäre. 37 Da sich der Begriff c Volkslinguistik' in terminologischer Nähe zum 'Volksmärchen' und Volkslied' befindet, kann er in dem Kontext dieser Untersuchung Assoziationen hervorrufen, die nicht angebracht sind, wie z.B. die Assoziation der Schlichtheit und der Überlieferung von Sprache. Diese Assoziationen treffen auf die Sprachratgeber und Stillehren nicht
35 36 37
Nickisch 1985:15-16. Heringer 1988:9, 11. Davies, Winifred und Nils Langer, The Making of Bad Language: Lay Linguistic Stigmatisation: in German, Past and Present (Frankfurt/Main: Peter Lang, 2006). Antos 1996:17-19. Aus Gründen des begrenzten Umfangs der Arbeit kann ich an dieser Stelle nicht auf die umfangreiche Debatte um die Begriffe und Unterschiede zwischen Volkslinguistik und Laienlinguistik eingehen und führe hier nur die wichtigsten Gründe an, warum ich mich für die Zwecke meiner Untersuchung für den Begriff 'Laienlinguistik' entschieden habe. Zur Volks- und Laienlinguistik siehe: Herbert E. Brekle, „Volkslinguistik: ein Gegenstand der Sprachwissenschaft bzw. ihrer Historiographie?" in Franz Januschek (Hrsg.), Politische Sprachwissenschaft. Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1985), S. 145-156. Herbert E. Brekle, Utz Maas (Hrsg), Sprachwissenschaft und Volkskunde (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1986). Antos 1996.
Die Textsorte der 'Sprachratgeber' und 'Stillehren'
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zu, da die Verwissenschaftlichung des Alltags im 20. Jahrhundert auch das Verständnis von Sprache in diesen Werken berührt hat.38 Sprachratgeber und Stillehren beschäftigen sich nicht mit einem 'schlichten' Thema sondern mit komplexen Sprachfragen, wobei die gegenwärtige Sprachsituation und nicht Uberlieferungen im Vordergrund stehen. Zweitens finde ich den Begriff Taien' in der Zusammensetzung mit 'Linguistik' angebrachter als Volk', weil der *Laie' laut Definition als 'Nichtfachmann' einschränkend auf einen Bereich oder ein Fach verweist, in unserem Fall auf das Fach 'Sprache'. 39 Diese Einschränkung ist m. E. wichtig in Bezug auf die Autoren und die Leserschaft der Textsorte. Bei den Autoren handelt es sich nicht vage um das 'Volk', sondern um Angehörige der gebildeten Schicht, um Tiildungsbürger', und teilweise um Sprach-Experten, wie bspw. promovierte Sprachwissenschaftler oder Germanisten. 40 Diese bildungsbürgerliche Herkunft der Autoren wird in der abschließenden Analyse der Daten eine wichtige Rolle spielen.41 Zudem handelt es sich bei dem Zielpublikum der Textsorte um Sprachteilnehmer, die ein aus privaten oder beruflichen Gründen erhöhtes Interesse am Fach Sprache haben. Man könnte hier zwischen einfacher und doppelter Laien-Linguistik unterscheiden: bei der 'einfachen' handelt es sich um ein Werk eines Germanisten/Sprachwissenschafders für Laien, bei der 'doppelten' um ein Werk eines Sprachliebhabers/eines Laien für Laien. Antos definiert die Laien-Linguistik als eine an die „Öffentlichkeit gerichtete praxisorientierte Sprach- und Kommunikationslehre zur Lösung muttersprachlicher Probleme", als eine „handlungsorientierte Thematisierung des Gebrauchs von Sprache in Kommunikation." 42 Seine Definition deckt sich in der Sprachberatung intentional mit den obigen Textsortendefinitionen (Vermittlung und Anleitungen zur korrekten Gebrauchssprache/zum angemessenen Stil), ist aber ausführlicher und klingt durch „muttersprachliche Probleme" milder als die obigen „Sprachverstöße". Antos führt in seiner Beschreibung der Laien-Linguistik zudem einen Punkt an, der auf eine weitere wichtige Eigenschaft der Textsorte hinweist. „Der Begriff 'Laien-Linguistik' deckt sich [...] in weiten Teilen mit
38 39 40
41 42
Vgl. Antos 1996:18. Wahrig, Gerhard, Deutsches Wörterbuch (München: Mosaik Verlag, 1986), S. 810. Vgl. Antos 1996:13: „[...] für und bisweilen auch von (gebildeten) Laien". In Bezug auf mein Textkorpus: Fast alle Autoren haben promoviert, einige in der Germanistik, teilweise waren sie als Germanisten tätig. Weimarer Republik: Eduard Engel war promovierter Altphilologe (vgl. Sanders 1998:39). Emst Wasserzieher war Germanist. Nationalsozialismus: Ewald Geißler war Professor für Germanistik in Erlangen. DDR: Eduard Koelwel war Professor und Germanist. Siehe 6.2.1, 6.3.2. Siehe 6.2.1, 6.2.2 und 6.3.2. Antos 1996:13.
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
dem, was man 'normative' oder 'präskriptive Linguistik' nennen könnte." 43 Die Eigenschaft der Normativität wurde schon in Heringers Sprachentwicklungskritik mit dem Bestreben angedeutet, im Rahmen einer standardisierten Sprache, 'Normierungen' durchzusetzen. Allerdings beschreibt Antos die Normativität der Laienlinguistik detaillierter: sie funktioniere auf zwei Ebenen: zum einen propagiere sie bestimmte sprachliche Normen und trete damit als 'Normenüberwacher' auf, zum anderen betätige sich die Laienlinguistik auch als 'Normensetzer', wenn sie bspw. stilistische Ratschläge gebe. 44 Die Prägung des Begriffs 'normativ' in Bezug auf die Laien-Linguistik geht auf die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, wo es durch die Rezeption des Strukturalismus in Deutschland zum oben erwähnten Bruch der Sprachwissenschaft mit der laienlinguistischen Sprachkritik kommt. 1963 konstatiert der französische Strukturalist Andre Martinet: „Der Sprachwissenschaft geht es um wissenschaftliche, nicht um normative Betrachtung. Wissenschaftlich' steht [...] im Gegensatz zu normativ."45 Als Wissenschaft sei die Linguistik deskriptiv, sie habe es mit sprachstrukturellen Phänomenen der *Langue' zu tun. Da es Fehlentwicklungen in der Sprache als *Langue' (Sprachsystem) nicht geben könne, sei die Grundlage für Wertungen und Kritik überhaupt nicht vorhanden. Somit wird die Sprachkritik zur außerwissenschaftlichen Form der Sprachreflexion. „Die ursprüngliche Einheit von Sprachwissenschaft einerseits und Sprachkritik sowie Sprachpflege andererseits löst sich a u f 4 6 und führt zur Spaltung von Sprachwissenschaft und Sprachkritik/Sprachpflege. Die Unterteilung in wissenschaftliche = deskriptive und normative = präskriptive, d. h. 'unwissenschaftliche' Betrachtungsweise wird geprägt.47 Die Klassifizierung von Sprachratgebern und Stillehren als 'unwis43
Antos 1996:25.
44
Antos 1996:20.
45
Andre Martinet 1963 zitiert bei Antos 1996:19.
46
Antos 1996:22-23. Auf S. 134: „Die akademische Linguistik macht in ihrer überwiegenden Mehrheit Aussagen zur Sprachstruktur bzw. zur Funktionsweise von Kommunikation. Die Laien-Linguistik hingegen thematisiert Probleme sprachhandelnder Menschen, die bei der Produktion bzw. Rezeption akut werden. Dazu gehören natürlich auch sprachstrukturelle, insbesondere grammatische Probleme, aber diese interessieren nicht als Gegenstände für wissenschaftliche Erklärungsversuche, sondern als Probleme beim Vollzug sprachlicher Handlungen."
47
Antos (1996:19) kritisiert die Deskription-Präskription-Dichotomisierung, da die Präskriptivität der Laien-Linguistik heterogene Dinge wie Normen, Geschmacksurteile, zweckrationales Wissen, Präferenzen und Strategien umfasse, viele deskriptiv zu verstehende Aussagen verwende (z. B. in Gebrauchsgrammatiken und muttersprachlichen Wörterbüchern; zudem könne auch eine deskriptive Grammatik normativ gelesen oder verwendet werden) und dem Problem der impliziten Normativität der Wissenschaften nicht gerecht werde.
Die Textsorte der 'Sprachratgeber' und 'Stillehren'
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senschaftliche' Textsorte erklärt ihre bis dato mangelnde Erforschung und Vernachlässigung durch die Sprachwissenschaft, die ihr meist mit „kühler Distanziertheit", bzw. „snobistischer Nichtbeachtung" gegenübersteht.48 Die Kerndefinition der Textsorte Sprachratgeber und Stillehren als Anweisungen über den richtigen Sprachgebrauch und den vorbildlichen Ausdruck im Bereich der Gebrauchsprosa erlaubt eine Zuordnung der Textsorte zu drei umfangreichen Sprachdisziplinen der Sprachkritik, der Sprachpflege und der Sprachkultur und zum Bereich der Laien-Linguistik. Dominante Charakteristiken und Aspekte dieser Disziplinen lassen auf inhaltliche Aspekte und methodische Ansätze in der Textsorte schließen: die einzelsprachliche Sprachentwicklungskritik mit ihrer Propagierung und beabsichtigten Verbesserung der standardisierten Nationalsprache lässt einen politisierten Diskurs in den Stillehren und Sprachratgebern vermuten. Die Zuordnung zur Sprachpflege deutet auf die dort übliche Verfahrensweise der Sprachbeurteilung und Sprachauswahl und die Verbindung zur laienlinguistischen Sprachkultur legt die Haltung der moralischen Wertung in der Sprachbetrachtung nahe. In Bezug auf das Untersuchungsthema der politisch-ideologischen Beeinflussung der Stillehren und Sprachratgeber stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit es im Untersuchungszeitraum zu Kontinuitäten oder Diskontinuitäten dieser Inhalte und Haltungen kommt.
48
Sanders 1998:13.
14
Einführung und Rahmen der Untersuchung
1.3 Der Begriff des Sprachkonservatismus, die Untersuchung und ihre Durchführung 1.3.1 Der Begriff des Sprachkonservatismus Als leitenden hermeneutischen Begriff bei der Untersuchung der Sprachund Stilauffassung verwende ich, wie oben angekündigt, den Begriff des Sprachkonservatismus. Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, ist der Sprachkonservatismus die dominante Eigenschaft in der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren.49 Zudem lassen sich unter dem Begriff des Sprachkonservatismus viele Punkte vereinen, die wir durch die Definition und Zuordnung der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren erarbeitet haben. Zur Darstellung des Sprachkonservatismus beziehe ich mich auf den Stilistik-Experten Sanders, der sich mit populären deutschen Stillehren und Sprachratgebern beschäftigt hat, und auf Rodney Ball, der Werke über gutes Französisch untersucht hat. Lehrbücher über den guten Sprachgebrauch sind keinesfalls eine deutsche Spezialität, sondern sie existieren in allen Kultursprachen, besonders in Frankreich.50 Nach Sanders haben die Autoren der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren den Ruf, sprachlich konservativ zu sein: D i e m e i s t e n Stillehrer u n d Sprachkritiker zeichnet eine u n v e r k e n n b a r k o n s e r v a t i v e G r u n d h a l t u n g aus, die zuweilen rigide F o r m e n a n n e h m e n kann: S p r a c h e ist so, hat so zu sein. U n d w i e ? W i e sie f r ü h e r , u n d das heißt nichts anderes als in der eigenen Jugendzeit, w a r ; eine P h i l o s o p h i e der Sprachskepsis, v e r b u n d e n m i t d e m nostalgischen M o t i v d e r „guten, alten Zeit". [...] D a s A l t h e r g e b r a c h t e w i r d als u n a n f e c h t b a r e s Ideal verteidigt, das sich V e r ä n d e r n d e o f t n u r d e s w e g e n attackiert, weil es eine W a n d l u n g bedeutet. 5 1
Nach Sanders lassen sich also die folgenden vier Elemente im Sprachkonservatismus identifizieren: eine konkrete, eng gefasste Vorstellung von Sprache, die keinen Spielraum duldet, eine Orientierung am vermeintlichen Sprachideal der Vergangenheit, Kritik an der Gegenwartssprache und Bekämpfung des Sprachwandels.52 49
Dabei benutze ich den Begriff nicht im Sinne des Sprachkonservatismus von „Varietäten, die Altertümliches bewahren", also im Sinne einer konservativen Sprachvarietät im Vergleich zur Standardsprache, die Altertümliches bewahrt hat, wie z. B. die Wallis-Endungen im Althochdeutschen. Vgl. dazu Renate Schrambke, „Die Gliederung des alemannischen Sprachraumes". http://www.alemannisch.de/Aufsaetze_Verzeichnis/Gliederung_des_ alemannischen_s/ body_ gliederung_des allemannischen_s.ht vom /07/06.
50
Nickisch 1975:157 (Fußnote 2).
51
Sanders 1998:75-76.
52
Anspielungen auf eine konservative Haltung der Sprachkritiker oder den „Konservativismus" in Bezug auf Sprachratgeber bei Heringer, Juhasz und Antos. Heringer (1988:10)
Der Begriff des Sprachkonservatismus, die Untersuchung und ihre Durchfuhrung
Rodney Ball hat Abhandlungen und Werke über den richtigen Sprachgebrauch im Französischen untersucht und stößt dabei auf den Sprachkonservatismus („linguistic conservatism") als eine zentrale Eigenschaft, der sich in den Sprachratgebern und im sprachkritischen Dialog seit 300 Jahren, aber besonders seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute in Frankreich hält.53 Er weist darauf hin, dass der Sprachkonservatismus unterschiedliche Formen annehmen kann, konzentriert sich aber auf zwei Positionen: auf die extreme Position, die er als Purismus bezeichnet und auf die eher gemäßigte Position, die er als Sprachlenkung („dirigisme") bezeichnet. Anhänger des Purismus lehnten jeglichen Sprachwandel ab, während die Anhänger der Sprachlenkung bereit seien, einige Erneuerungen und Veränderungen zu tolerieren. Diese Haltung des Sprachkonservatismus setzt er in den Gegensatz zum Deskriptivismus, der den Sprachgebrauch beobachtet und „objektiv" analysiert, ohne Wertungen oder Empfehlungen abzugeben. 54 Balls Ausgangspunkt sind die Wehklagen in den Werken über den vermeintlich schlechten Sprachzustand in Frankreich. Im extremen Sprachkonservatismus erarbeitet er sechs Argumente, von denen die ersten vier im 19. und die letzten beiden im 20. Jahrhundert wiederholt auftauchen. 55 Das erste Argument der Puristen ist ihre Forderung nach sprachlicher Einheitlichkeit, die sich am Französisch der Oberklasse aus Paris orientiert und die Dialekte und andere regionalsprachliche Varietäten verpönt. 56 Das zweite Argument bezieht sich auf den Geist der französischen Sprache und ihre einzigartigen Eigenschaften. Der sprachliche Status-quo (der Pariser/Versailler Kultur des Ancien Regime) sei aufgrund des Geistes der Sprache beizubehalten. 57 Drittens wird das Argument über die Aufrechterhaltung der kulturellen Tradition angeführt, das eine Rückkehr zu den Normen des 'Grand Siecle' fordert, wobei die Dichter und Schriftsteller diese Normen fesdegen. 58 Viertens geben die Puristen des französischen Sprachkonservatismus an, dass es ihnen darum gehe, durch die sprachliche Einheitlichkeit das kulturelle Niveau der Volksmassen,
53 54 55 56 57 58
spricht von der „konservativen Haltung der Sprachkritiker, die Verfall und Verderb der Sprache in allem Neuen witterten." Auch Juhasz (1967:333-334) und Antos (1996:15) erwähnen den Ausdruck „Konservativismus", Juhasz in Bezug auf Wustmanns Sprachdummheiten und Antos in Bezug auf praxisorientierte [Sprach]Ratgeber. Rodney Ball, „Plus 9a change ...? The enduring tradition of linguistic conservatism", French Cultural Studies, 6 (1995), 61-78 (S. 62). Ball 1995:62. Ball 1995:61-62. Ball 1995:64: ,,[U]niformity argument and deprovinicalization as its main corollary". Ball 1995:64. Ball 1995:66. ,,Le meilleur code grammatical se trouve dans les grands ecrivains d'une nation." Auch Sanders (1998:67-70) weist auf das Vorbild der Dichtkunst hin.
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
besonders der unteren Schichten, zu verbessern. 59 Diese ersten vier Argumente erscheinen nach Ball wiederholt in Werken des 19. Jahrhundert. 60 Nach Ball gesellt sich im 20. Jahrhundert die moralische Dimension mit dem fünften Argument der geistigen Disziplin dazu. Das Beherrschen komplexer Grammatik und Rechtschreibung trainiere den Geist und forme den Charakter. Eine Folge dieses Grundes führt Ball zum sechsten Argument, nämlich zur Verknüpfung sprachlicher Normabweichungen mit moralischer und sozialer Dekadenz. 61 Nach Ball tauchen diese sechs Argumente bis heute im sprachkritischen Diskurs in Frankreich auf.62 Die Vertreter der eher gemäßigten Tradition der Sprachlenkung („dirigisme") wiesen eine wissenschaftlichere Haltung auf als die Puristen. Ihre Werke seien nicht nur eine Zusammenstellung von Fehlern und Irrtümern, sondern seien umfangreich und lang und enthielten sorgfältige Diskussionen einzelner Punkte sowie Vergleiche mit den Meinungen von Vorgängern und Zeitgenossen. Die Sprachlenker seien sich des Sprachwandels bewusst und stellten ungern feste Regeln auf. Das mache sie auf den ersten Blick akzeptabler als die Puristen. Da viele ihrer Regeln letztendlich doch auf ihrer persönlichen Einschätzung beruhten, seien ihre Kommentare genauso willkürlich wie die der Puristen. Unter den Sprachlenkern bestünden zudem unzählige Unstimmigkeiten hinsichtlich bestimmter Aspekte des Sprachgebrauchs. 63 Angefangen beim extremen Purismus können wir Balls Sprachkonservatismus in französischen Werken über den richtigen Sprachgebrauch also auf die folgenden Punkte bringen: Kritik am Sprachzustand, Ablehnung des Sprachwandels, Propagierung einer Einheitssprache und Unterdrückung von Varietäten, Berufung auf den Sprachgeist und die Einzigartigkeit der Sprache, Aufrechterhaltung der kulturellen Tradition und der tradierten Normen durch die Orientierung an der erfolgreichen, schriftstellerischen Tradition der Vergangenheit, die erstrebte kulturelle Erziehung des Volkes und moralische Erziehung des Einzelnen sowie die Auffassung von Sprache als Reflektion von Gesellschaft und Moral im Allgemeinen. Die Merkmale des gemäßigten Sprachkonservatismus sind nach Ball die Länge und Ausführlichkeit der Diskussionen sprachlicher Phänomene, die Anerkennung des Sprachwandels und eine gewisse Scheu
59
Ball 1995:68. „[...] toutes les classes de la societe, mais particulierement les classes ouvrieres, [apprennent] ä ne pas defigurer notre belle langue par des expressions triviales, burlesques et souvent grossieres."
60
Ball 1995:69.
61
Ball 1995:69. In diesem Zusammenhang erwähnt Ball, dass die Annäherung der förmlichen Schriftsprache an die ungezwungene Sprechsprache abgelehnt wird.
62
Ball 1995:71-73.
63
Ball 1995:70-71.
Der Begriff des Sprachkonservatismus, die Untersuchung und ihre Durchfuhrung
vor festen Regeln, eine den Regeln unterliegende Subjektivität und Willkür sowie ein Mangel an deren inhaltlicher Kongruenz. Als erstes stellen wir fest, dass es bei Sanders und Ball zu Übereinstimmungen in Bezug auf den extremen Sprachkonservatismus kommt. Die konkrete, intolerante Vorstellung einer richtigen Sprache bei Sanders erinnert an die Forderung nach einer Einheitssprache bei Ball. Kongruent sind beide Autoren in Bezug auf die Kritik an der Sprache, die Orientierung an der Vergangenheit und die Bekämpfung des Sprachwandels. Der Sprachkonservatismus ist nicht nur ein geeigneter Begriff, weil er die dominante Eigenschaft der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren darstellt, sondern auch, weil er in seiner extremen Ausprägung viele Punkte aufgreift und vereint, die wir durch die Definition und Zuordnung der Textsorte erarbeitet haben. So können bspw. Greules Definition der Textsorte hinsichtlich der Belehrung über Sprachverstöße und Heringers Element der Sprachverbesserung in der Sprachentwicklungskritik im Sprachkonservatismus unter der Kritik am Sprachzustand und der Propagierung einer Einheitssprache zusammengefasst werden. Heringers Ablehnung des Neuen passt zur Ablehnung jeglichen Sprachwandels im Sprachkonservatismus. Die Auswahlmethode von Sprache in der Sprachpflege und der Wunsch der Sprachentwicklungskritik nach einer standardisierten, normierten Nationalsprache mit ihrer Unterscheidung von richtig und falsch passen im Sprachkonservatismus zur Forderung nach sprachlicher Einheitlichkeit mit ihrer Unterdrückung unliebsamer Varietäten, zur Berufung auf die Einzigartigkeit der Sprache und zur Sprachbeherrschung als geistige Disziplin. Die Normensetzer in der Laienlinguistik von Antos finden sich im Sprachkonservatismus bei den Dichtern und Schriftstellern wieder. Deckungsgleich ist Davies' Aspekt der moralischen Bewertung von Sprache in der laienlinguistischen Sprachkultur mit der moralischen Dimension des Sprachkonservatismus. Die Punkte des gemäßigten Sprachkonservatismus können wir zu diesem Zeitpunkt nicht in der Definition oder der Zuordnung der Textsorte identifizieren.
1.3.2 Die Untersuchung und ihre Durchführung Schließlich bietet sich der Sprachkonservatismus als leitender hermeneutischer Begriff für diese Arbeit an, weil er dazu beiträgt, die Grundlage für die Untersuchung zu schaffen. Die Untersuchung prüft, ob die unterschiedlichen politischen Systeme und Ideologien im politisch turbulenten Deutschland vom Anfang der zwanziger Jahre bis zur Mitte der sechziger Jahre einen Einfluss auf die Sprach- und Stilauffassung hatten, oder ob
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
sich die Ansichten über Sprache und Stil unbeeinflusst vom herrschenden politischen System gehalten haben. Um die Sprach- und Stilauffassung in den laienlinguistischen Werken auf synchroner Ebene zu erarbeiten und auf diachroner Ebene zu vergleichen, werden Sprachdaten des Sprachund Stildiskurses in Form von metasprachlichen Aussagen gesammelt. Meine Untersuchung der Werke im Textkorpus beruht also auf einer empirischen Analyse von Sprachdaten. Die metasprachlichen Aussagen beziehen sich zum großen Teil auf die Punkte im Sprachkonservatismus. Zudem wird bei der Zusammenstellung der Themen und Aspekte berücksichtigt, dass sie mit einer gewissen Verschiedenheit und Breite dem Ziel dienen, ein möglichst abgerundetes Bild über die Sprach- und Stilauffassung in den Werken zu vermitteln, um letztendlich Kontinuitäten und Diskontinuitäten in verschiedenen politischen Epochen zu erarbeiten. Die Untersuchung für jede politische Periode unterteilt sich in drei Abteilungen: in den Sprachdiskurs, in den Stildiskurs und in die Analyse des Sprach- und Stildiskurses. Da es meine Absicht ist, einen Einblick in die Sprach- und Stilauffassung zu geben, die uns in jeder politischen Periode in der Textsorte Sprachratgeber und Stillehre begegnet, wird nicht jedes Werk einzeln dargestellt, sondern es wird themenbezogen gearbeitet, d.h. die Aussagen aller Autoren in einer Epoche werden unter der Uberschrift des jeweiligen Themas oder Aspektes zusammengestellt und analysiert.64 In Bezug auf die Sprachauffassung legt der Leitbegriff des Sprachkonservatismus die folgenden Themen und Aspekte nahe: Die Kritik an der Gegenwartssprache fragt nach der Einschätzung des Sprachzustandes (...1.1); die Orientierung an der Sprachvergangenheit führt zur Darstellung und Sicht der Sprachgeschichte (...1.2); die Ablehnung des Sprachwandels erfordert es, einen Blick auf Aussagen bezüglich des zeitgenössischen Sprachwandels zu werfen (...1.3); die Forderung nach einer standardisierten Sprache und das Argument der Beherrschung der Grammatik als geistige Disziplin legen einen Blick auf die Sprachrichtigkeit (.. .1.4) und die Darstellung der Sprache nahe (...1.5); durch die Forderung nach einer einheitlichen Sprache unter Berufung auf ihre Einzigartigkeit und ihren Geist und nicht zuletzt durch das Untersuchungsthema selbst, bietet sich die Erläuterung der Funktion der Sprache auf politischer Ebene an (...1.6). Die Stilauffassung wird erarbeitet, indem die folgenden Themen und Aspekte des Stildiskurses untersucht werden: Zur Einsicht in die Stilauf64
Die einzige Ausnahme bildet die quantitative Darstellung der Vorbilder für Sprache und Stil, „Wer ist Vorbild?", siehe ...2.3.1. Drei Punkte „..." vor einer Zahl bedeuten, dass es sich um Abteilungen in den Kapiteln über die politischen Perioden handelt, also um Abschnitte in den Kapiteln 2, 3, 4, 5.
Der Begriff des Sprachkonservatismus, die Untersuchung und ihre Durchführung
fassung bietet es sich an, die Aussagen über den Stil anzusehen (...2.1); um herauszufinden, was nun auf der Basis der Sprachauffassung konkret 'gutes Deutsch' bedeutet, werden fünf Stilanweisungen im Einzelnen betrachtet (...2.2). Sie beschäftigen sich mit den Anweisungen zu den Registern 'Schreib- und Redesprache', zu den Wortarten 'Verb und Substantiv', zu den Genera Verbi 'Aktiv und Passiv', zum Satzbau und zum Fremdwortgebrauch. 65 Dabei verweist die letzte Stilanweisung mit ihren oft politischen Untertönen wieder direkt auf das Untersuchungsthema. An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung der Stilauffassung, also der Aussagen zum Stil und den Stilanweisungen, nicht die stiltheoretische Analyse und die sprachwissenschaftliche Kritik und Prüfung der Stilanweisungen auf ihre praktische Anwendbarkeit im Vordergrund stehen. Die Zielsetzung der Untersuchung ist vielmehr das Herausarbeiten der ideologischen Voraussetzungen, die der Begründung der Stilauffassung und Stilanweisungen unterliegen. Das letzte Thema des Stildiskurses ist dann wieder direkt aus dem Leitbegriff des Sprachkonservatismus abgeleitet. Angeregt durch die dortige Vorbildlichkeit der Dichter fragt die Abteilung 'Vorbilder für Sprache und Stil' (...2.3), wer, wie und warum als Vorbild dient. Ein wichtiges Element des Sprachkonservatismus, nämlich seine moralische Dimension, kann nicht direkt einem Aspekt des Sprach- und Stildiskurses zugeordnet werden. Nach der moralischen Dimension wird also im Allgemeinen Ausschau gehalten. In der Analyse (...3) werden die Hauptmerkmale des Sprach- und Stildiskurses zusammengefasst, analysiert und auf den Leitbegriff des Sprachkonservatismus bezogen. Mit dem Kapitel über die Werke der Weimarer Republik wird der Ausgangspunkt für den Vergleich in den politischen Perioden geschaffen. Sollte es nötig sein, wird in diesem Kapitel der Sprachkonservatismus neu definiert und auf die Werke der Weimarer Republik zugeschnitten. Der Vergleich beginnt dann mit den Werken des Nationalsozialismus, wird mit den Werken der BRD-Zeit weitergeführt und endet mit der Auswahl der Werke aus der DDR. Um eindeutig zu kennzeichnen, aus welcher politischen Periode das Werk, die Ausgabe und der Autor stammen, habe ich die folgenden Zusätze in der Untersuchung verwendet: 'WR' für die Werke und ihre Autoren der Weimarer Republik, TSIS' für die Werke und ihre Autoren aus der Zeit des Nationalsozialismus, 'BRD' für die Werke und ihre Autoren aus der Zeit der Bundesrepublik Deutschland und T)DR' für die Werke und 65
Für den Zweck dieser Untersuchung benutze ich den Begriff 'Stilanweisung' als Oberbegriff für die Ratschläge, Anleitungen und Belehrungen über den guten Stil. Der Ausdruck 'Stilvorschriften' von Sanders (1998:37) ist mir nicht breit genug und die Unterteilung von Nickisch in „Stilregeln, Stilprinzipien und Stilideale" ist für den Zweck meiner Untersuchung nicht vonnöten. Vgl. dazu Nickisch 1969:14-16.
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Einfuhrung und Rahmen der Untersuchung
ihre Autoren aus der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik. Dabei ist lediglich die Buchstabenkombination t WR' meine Prägung und stellt keine übliche, allgemein verwendete Abkürzung für die politische Periode oder die Staatsform dar, erleichtert aber für den Zweck meiner Untersuchung die Identifizierung der Werke und ihrer Verfasser. Um die Verfasser der Werke im Textkorpus von anderen Autoren abzugrenzen, benutze ich die Bezeichnung 'Stilautor' (Sprachratgeber- und Stilautor ist zu lang!). Damit ergeben sich also Bezeichnungen wie bspw. WR-Stilautor Engel' oder "DDR-Stilautor Faulseit'. Sollte ein Werk von einem anderen Autor als dem ursprünglichen Verfasser bearbeitet und herausgegeben worden sein, wird zur eindeutigen Kennzeichnung mit doppelter Namensangabe gearbeitet, also Stubenrauch/Wustmann, Schulze/Wustmann, und Flad/Wasserzieher. Bevor wir uns nun der Darstellung des Textkorpus zuwenden, können wir festhalten, dass wir die extreme Form des Sprachkonservatismus als den geeigneten Leitbegriff für die Untersuchung der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren gewählt haben, weil er die dominante Eigenschaft der Textsorte ist und Elemente der Textsorte in sich vereint, wie ihre Definition, ihre Zuordnung zur Sprachkritik, Sprachpflege, Sprachkultur und Laienlinguistik erbracht haben. Ausgehend von einem modernen sprachwissenschaftlichen Ansatz wird eine empirische, themenbezogene Analyse von metasprachlichen Daten in Bezug auf eine Reihe von Aspekten des Sprach- und Stildiskurses durchgeführt, die größtenteils auf die Elemente des Leitbegriffs des Sprachkonservatismus zurückzuführen sind. Bei der Analyse, die auf einer Vergleichsbasis nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Sprach- und Stilauffassung in vier politischen Perioden sucht, stellen die Werke der Weimarer Republik den Ausgangspunkt dar.
Zum Textkorpus
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1.4 Zum Textkorpus 1.4.1 Bibliographische Angaben zum Textkorpus in chronologischer Aufstellung in vier politischen Epochen 1.4.1.1 Untersuchte Werke aus der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933) (Abkürzung: WR-Werke) Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, ,Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen", 9. von Dr. Herbert Stubenrauch verbesserte Auflage (Berlin/Leipzig: Walter de Gruyter & Co, 1923). Ernst Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, Der Kampf gegen das Falsche, Schwerfällige, Geschmacklose und Ondeutsche, 3. Auflage (Berlin: Dümmler, 1925). Karl Schneider, Was ist Gutes Deutsch? (München: Beck, 1930).**66 Eduard Engel, Deutsche Stilkunst, 31. Auflage (Leipzig/Wien: G. Freytag, 1931).
1.4.1.2 Untersuchte Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus (19331945) (Abkürzung: NS-Werke) Wustmann, Sprachdummheiten, 10. vollständig von Werner Schulze erneuerte Auflage (Berlin/Leipzig: Walter de Gruyter, 1935) und 11. neu bearbeitete Auflage (1943). Ewald Geißler, Vom deutschen Stil, Lockrufe und Warnungen (Leipzig: Bibliographisches Institut, 1937).** Ernst Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, 7. von Eugen Flad umgearbeitete Auflage (Bonn, Berlin: Ferd. Dümmlers Verlag, 1942). Ludwig Reiners, Deutsche Stilkunst (München: Beck'sche Verlagsbuchhandlung, 1944).
1.4.1.3 Untersuchte Werke aus der Zeit der B R D (1949-1967) (Abkürzung: BRD-Werke) Ludwig Reiners, Stilkunst, 2. verbesserte und ergänzte Auflage (München: Biederstein Verlag, 1949), 9. Auflage (München: C.H. Beck Verlag, 1961) und 12. Auflage (1967).
66
** stehen fur die Rubrik 'Momentaufnahme'. Das sind Werke, die nur in einer politischen Periode erschienen sind (siehe 1.4.2.1 und 1.4.2.3).
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
Wustmann, Sprachdummheiten, 12. erneuerte Auflage von Dr. Werner Schulze (Berlin: de Gruyter, 1949) und 14. erneuerte Auflage (1966). Ernst Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, 8. Auflage besorgt von Dr. Eugen Flad (Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag, 1951) und 9. Auflage (1961). Franz Thierfelder, Wege ψ besserem Stil (Mainz: Matthias-GrünewaldVerlag, 1950) und 2. verbesserte Auflage (München: Max Hueber Verlag, 1955).** 1.4.1.4 Untersuchte Werke aus der Zeit der DDR (1949-1965) (Abkürzung: DDR-Werke) Eduard Koelwel, Wegweiser ψ einem guten deutschen Stil (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1954). Georg Möller, Guter Stil im Alltag - Eine neuartige Sat^bauschule (Leipzig: Verlag Enzyklopädie, 1958). Eduard Koelwel, Helmut Ludwig, Gepflegtes Deutsch, 3. Auflage, (Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie, 1964).67 Dieter Faulseit, Gutes und schlechtes Deutsch (Einige Kapitel praktischer Sprachpflege), (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1965).
1.4.2 Erläuterungen zum Textkorpus 1.4.2.1 Kategorien: 'Kontinuierlich aufgelegte Werke' und 'Momentaufnahmen' Meine Primärquellen stammen aus der von Nickisch zusammengestellten Liste „Verzeichnis deutscher Stillehren und verwandter Werke des 20. Jahrhunderts", die eine fast vollständige Liste der Textsorte der Stillehren und Sprachratgeber darstellt, die seit 1900 bis zum Anfang der 1970er Jahre erschienen sind.68 Stillehren und Sprachratgeber sind durch ihre Zielsetzung, gutes Deutsch zu vermitteln, so eng verwandt, dass es legitim ist, sie unter derselben Fragestellung gemeinsam zu untersuchen. Um den Rahmen der Untersuchung nicht zu sprengen, habe ich eine Auswahl aus 165 Titeln bei Nickisch getroffen und mich auf jeweils vier Werke pro politische Periode beschränkt. Bei drei Werken handelt es sich jeweils um populäre, 'kontinuierlich aufgelegte Werke', d. h. um Werke, die in drei 67
Die 3. Auflage ist ein unveränderter Nachdruck der 1. Auflage von 1962, vgl. Nickisch 1975:190.
68
Nickisch 1975:187-196 (mit Ausnahme von SchuUehrbiichern). Zu „fast vollständig" vgl. Sanders 1988:392.
Zum Textkorpus
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politischen Perioden, nämlich in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik überarbeitet und aufgelegt wurden. Das vierte Werk stellt eine 'Momentaufnahme' dar, d. h. es wurde ausschließlich in einer politischen Periode aufgelegt (im Textkorpus mit ** gekennzeichnet). Die Ausnahme im Textkorpus sind Werke aus der DDR-Zeit. Da zuverlässige Informationen über den Verkauf oder Gebrauch von den seit der Weimarer Republik kontinuierlich aufgelegten Werken in der DDR nicht vorhanden oder zugänglich sind, mussten vier 'neue' Werke ausgewählt werden, die seit Bestehen der DDR veröffentlicht wurden. Damit definieren sie sich alle als 'Momentaufnahmen'. Die kontinuierlich aufgelegten Werke erfüllen den oben schon erwähnten synchronen und insbesondere den diachronen Aspekt meiner Untersuchung: einerseits geben die populären Werke auf synchroner Ebene einen Einblick in die Sprach- und Stilauffassung der jeweiligen politischen Periode, andererseits ermöglichen die in den politischen Perioden ab und inklusive der Weimarer Republik überarbeiteten und neu aufgelegten Werke durch einen Vergleich auf diachroner Ebene, nach Spuren des Einflusses durch das herrschende politische System zu suchen. Die 'Momentaufnahme' sollte auf synchroner Ebene zwei Vorteile erbringen: Erstens sollte es dadurch, dass das Werk zur Zeit einer bestimmten politischen Epoche verfasst wurde und aus ihr stammt, die Strömungen dieser Epoche gut widerspiegeln bzw. vom wesentlichen Kern der Epoche geprägt worden sein. Zweitens lässt sich durch den Vergleich der 'Momentaufnahme' mit den 'kontinuierlich aufgelegten Werken' sozusagen die Probe machen, um es mathematisch auszudrücken. Das bedeutet, wir können testen, inwieweit die Überarbeitungen der 'kontinuierlich aufgelegten Werke' die Strömungen der Zeit widerspiegeln, ob es zu einem einheitlichen Erscheinungsbild in jeder politischen Periode kommt, oder ob sich eventuelle Zuspitzungen und Abweichungen ergeben. Bevor ich meine Auswahl der Werke im Textkorpus im einzelnen begründe, möchte ich kurz erläutern, warum sich einige, teils sehr bekannte laienlinguistische Werke über Sprache und Stil nicht für mein Textkorpus qualifiziert haben. Ich habe ein populäres Werk und zwei weitere Werke, deren Erscheinungsdaten sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die junge BRD erstrecken, nicht in meine Auswahl der 'kontinuierlich aufgelegten Werke' aufgenommen, weil sie wichtige Kriterien nicht erfüllen. Als 'kontinuierlich aufgelegte Werke' wären drei Titel in Frage gekommen: Broder Christiansens Kunst des Schreibens /Eine Prosaschule, das zwischen
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Einfuhrung und Rahmen der Untersuchung
1918 und 1958 bzw. 1966 über 12 Mal aufgelegt wurde,69 K.G. Andresens Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im Deutschen mit 12 Auflagen zwischen 1880 und 1967 sowie M. Übelackers Richtig Deutsch %um Selbstunterricht, das zwischen 1889 und 1955 mehrmals erschien.70 Broder Christiansen wurde nicht aufgenommen, da sich sein Werk ausdrücklich an angehende Schriftsteller richtet und keine Anweisungen für die Gebrauchsprosa geben will, sondern sich auf die literarische Prosa spezialisiert.71 Damit erfüllt es nach seiner Intention nicht das Kriterium eines laienlinguistischen Werkes. K.G. Andresen wurde nicht ausgewählt, da sein Werk seit 1923 keine Überarbeitung mehr erfuhr; die 12. Auflage von 1967 war lediglich ein Abdruck der 11. Auflage von 1923.72 Das bedeutet, dass kein politischer Einfluss aus der Zeit des Nationalsozialismus oder der jungen Bundesrepublik festzustellen sein wird. Übelacker wurde nicht ausgewählt, da er mehrere Bücher mit ähnlichem Inhalt und Titeln veröffentlicht hat und die eindeutige Zuweisung der Auflagen nicht möglich ist.73 Hier könnten keine eindeutigen, wissenschaftlich abgesicherten Quellenangaben geleistet werden. Als 'Momentaufnahme' für die Zeit des Nationalsozialismus hätte das Laienbrevier über den Umgang mit der Sprache von Gerhard Storz mit seinem Erscheinungsdatum von 1937 ausgewählt werden können, aber dem Werk von Eduard Geißler wurde aus Gründen der Nähe Geißlers zum politischen Regime der Vorzug gegeben.74 Schließlich soll die 'Momentaufnahme' die politischen Strömungen der Zeit so ausgeprägt wie möglich repräsentieren. Das bekannte Werk Wilhelm Süskinds Vom ABC %um Sprachkunstwerk qualifiziert sich durch seine Erscheinungsdaten von 1940 bis 1955 weder als 'kontinuierlich aufgelegtes Werk' noch als 'Momentaufnahme'. Es gibt keine Ausgabe für die Zeit der Weimarer Republik und die Auflagen beschränken sich nicht auf eine politische Periode. 75
69 70 71 72 73 74 75
Vgl. Sanders 1998:197 und Nickisch 1975:188. Vgl. Meyer 1993:228-9. Vgl. Nickisch 1975:74 und Sanders 1998:43. Vgl. Meyer 1993:228. Vgl. Meyer 1993:229. Gerhard Storz, Laienbremer über den Umgang mit der Sprache (Frankfurt: Societäts-Verlag, 1937). Zu Geißler, siehe 1.4.2.3. W.E. Süskind, Vom ABC 3um Sprachkunstwerk, (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1940). Weitere Auflagen: 1942, 1943, 1946, 1953, 1955, vgl. Nickisch 1975:195.
Zum Textkorpus
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1.4.2.2 Qualifikation der einzelnen Werke im Textkorpus für die Rubrik 'kontinuierlich aufgelegt' Im Hinblick auf die Fragestellung der Untersuchung soll im folgenden Abschnitt die Auflage-Kontinuität der Werke in der Weimarer Republik, in der Zeit des Nationalsozialismus und der jungen Bundesrepublik durch die verschiedenen Erscheinungsdaten und Überarbeitungen belegt und Anzeichen für ihre Popularität durch die Auflagenanzahl und Auflagenhöhe geliefert werden. 76 Gegebenenfalls werden einzelne zeitgenössische oder rückblickende Kommentare zitiert, die den populären Ruf des Werkes oder des Autors unterstreichen. An dieser Stelle sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keinerlei Anstalten unternommen werden, eine Rezeptionsgeschichte der teilweise heftig kritisierten Werke aufzuzeigen, da diese Angaben den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen würden. Gustav Wustmanns Sprachdummheiten wurden 75 Jahre lang von 1891 bis 1966 insgesamt vierzehn Mal aufgelegt: 1891, 1886, 1903, 1908, 1911 (bearbeitet), 1912, 1917 (bearbeitet), 1920, 1923 (verbessert von Dr. Herbert Stubenrauch), 1935 (vollständig erneuert von Dr. Werner Schulze), 1943 (neubearbeitet von Werner Schulze), 1949 (erneuert von Dr. Werner Schulze), 1955, 1966 (erneuert von Dr. Werner Schulze). 77 Die Auflagenhöhe zwischen 1935 und 1966 betrug 40.000 Exemplare. 78 Die Sprachdummheiten galten zu Anfang des 20. Jahrhunderts als Modebuch und Pflichdektüre für Gebildete. 79 Sanders bezeichnet die Sprachdummheiten als ein „seinerzeit sehr erfolgreiches Buch" und nach Antos handelt es sich bei dem Werk um einen „Stil-Klassiker". 80 Ernst Wasserziehers Schlechtes Deutsch wurde 41 Jahre lang zwischen 1920 und 1961 neun Mal aufgelegt und erreichte insgesamt eine Auflagenhöhe von 34.000.81 Das „Büchlein", wie Ernst Wasserzieher es aufgrund
76 77 78
79 80 81
Die Auflagenhöhe wird nur angegeben, wenn zuverlässige Informationen in den Werken selbst oder vom Verlag vorliegen. Nickisch 1975:196. Sanders 1998:201. Meyer 1993:302-303. Die ersten vier Auflagen beliefen sich insgesamt auf 120.000 Exemplare! Vgl. Meyer 1993:298-99 und auf S. 302 (Fußnote 277): „Nach Auskunft des Walter de Gruyter Verlags sind die Sprachdummheiten seit 1935 mit folgenden Auflagenhöhen verbreitet worden: 15.000 Exemplare (1935), 8.000 (1942) [sollte 1943 heißen], 6.000 (1949), 6.000 (1955), 5.000 (1966)." Leider konnte meine Anfrage beim Verlag de Gruyter in Berlin über die Auflagenhöhe der Ausgabe von 1923 nicht beantwortet werden, da jegliche Aufzeichnungen über die 20er Jahre vollständig fehlen. Meyer 1993:298-99. Sanders 1998:18. Antos 1996:56. Einige Ausfuhrungen zur Rezeptionsgeschichte bei Meyer 1993 und Thiemann 1985. Siehe Deckblatt der 9. Auflage von 1961: „30. bis 34. Tausend".
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Einführung und Rahmen der Untersuchung
seines Umfangs und seines Formates nennt (rund 60-70 Seiten je nach Ausgabe, Umfang: 8"), wurde in den folgenden Jahren überarbeitet und aufgelegt: 1920, 1921 (vermehrt und verbessert), 1925 (vermehrt und verbessert), 1926, 1930 (verbessert von Prof. Dr. Paul Herthum), 1939 (besorgt von Dr. Paul Herthum), 1942 (umgearbeitet von Dr. Eugen Flad), 1951 (neu bearbeitet von Dr. Eugen Flad), 1961 (Auflage besorgt von Dr. Eugen Flad).82 Der Germanist Professor Dr. Karl Scheffler, ein Zeitgenosse Wasserziehers und „Freund" des Buches, bezeichnet Schlechtes Deutsch als „ein sehr beachtenswertes Büchlein", das „massenhaft" an alle verteilt werden sollte, die zu schreiben hätten. 83 Dass Ernst Wasserziehers Werke zu ihrer Zeit ein Begriff waren, bestätigt auch Sanders, wenn er von Wasserziehers „damals weitbekannten sprachgeschichtlichen Schriften" spricht.84 Als drittes 'kontinuierlich aufgelegtes Werk' qualifiziert sich die Deutsche Stilkunst von Eduard Engel und Ludwig Reiners. Sanders, Ickler und Stave weisen aufgrund frappierender Ähnlichkeiten und Parallelen nach, dass Ludwig Reiners die Deutsche Stilkunst des 1938 verstorbenen Eduard Engel als Vorlage benutzt und umgearbeitet hat.85 Nach Andreas Schulze habe Reiners Engels Deutsche Stilkunst „erbarmungslos" ausgeschlachtet. 86 Die Auflagedaten und —zahlen der Deutschen Stilkunst oder Stilkunst, wie sie ab 1949 hieß, belegen ihre Popularität und Kontinuität. Engels Werk wurde innerhalb von zwanzig Jahren einunddreißig Mal aufgelegt, zwischen 1911 und 1931 kamen 64.000 Exemplare auf den Markt. 87 Reiners' Werk erfuhr zwischen 1944 und 1967 zwölf Auflagen, mit einer GesamtAuflagenhöhe von 100.000 Exemplaren: 1944, 1949 (verbessert und ergänzt), 1950, 1951, 1953, 1955, 1957, 1959, 1961 (Sonderausgabe), 1962,
82
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Vgl. Nickisch 1975:195 und den Katalog der Staatsbibliothek in Berlin: http://www.stabikat.de. http://stabikat.staatsbibliothekberlin.de:8080/DB=l/SET=5/TTL=l/CMD?ACT=SRCH/ vom 14/03/04. Da die 5. und 6. Auflage von Paul Herthum mit der 3. Auflage gewissermaßen identisch sind und keine nennenswerten Änderungen aufweisen, wurden sie nicht extra angeführt. (Die Änderungen bestehen aus ein oder zwei hinzugefügten Sprachbeispielen auf den Seiten 17, 18, 27, 28, 30, 35, 36, 37, 53, 56, 60 und einer Inhaltsübersicht auf S. 61). Vgl. Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, 2. Auflage (Berlin: Ferd. Dümmlers Verlag, 1921), S. 7, 62.
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86 87
Sanders 1998:127. Sanders 1988:377-79, 392 (Fußnote 6). Ickler 1988:298-99. Joachim Stave, „Bemerkungen über den unvollständigen Satz in der der Sprache der Werbung", Muttersprache 83 (1973), 210-224 (S. 213). Andreas Schulze, „Ist Ludwig Reiners' Stilkunst noch zeitgemäß?", Muttersprache 3 (1995), 227-242 (S. 234). Vgl. Engel 1931:111.
Zum Textkorpus
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1964, 1967.88 Engels Deutsche Stilkunst wurde noch zu seinen Lebzeiten zum Standardwerk. 1932 vermerkt der Germanist Theodor Steche: W e n n man früher feststellen wollte, was gutes oder richtiges Deutsch sei, dann sah man nach, wie Goethe, Lessing oder andere bedeutende Dichter in solchen Fällen geschrieben hatten. Heute dagegen schlägt man nach in Eduard Engels Deutscher Stilkunst, in d e m Buch Sprachleben und Sprachschäden von Matthias oder im
Duden.89
Einen ebenso guten Ruf genoss die Stilkunst unter der Reinersschen Federführung. In zahlreichen Zeitschriftenbeiträgen und Büchern der 1950er und 1960er Jahre wird lobend auf die Stilkunst verwiesen, Reiners habe sich selbst das „bleibendste Denkmal" gesetzt.90 Rückwirkend bezeichnet Antos Engels Stilkunst als einen „Stil-Klassiker" und Sanders nennt Engel und Reiners „Stilpäpste" und „Markdeader des 20. Jahrhunderts". Engel sei der „namhafteste[...] Stillehrer der ersten Jahrhunderthälfte" und Reiners sei sein Nachfolger.91 1.4.2.3 Qualifikation der Werke im Textkorpus für die Rubrik 'Momentaufnahmen' Ich bewerte Karl Schneiders Was ist gutes Deutsch? als eine geeignete 'Momentaufnahme' für die Weimarer Republik, da das Werk ausschließlich in einer politischen Periode aufgelegt wurde und als populär einzustufen ist. Ein Jahr nach seinem Erscheinen (1930) war es schon vergriffen und musste neu aufgelegt werden (1931). Im Vorwort zur zweiten Auflage spricht Schneider nämlich von der „rasch nötig gewordene[n] zweite[n] Auflage dieses Buches".92 Die Rezension in der Muttersprache von 1930
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89
90 91
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Vgl. Reiners 1967:IV. Sanders 1998:199. Nickisch 1975:192. Bei der 12. Auflage handelt es sich keineswegs um die letzte Auflage, vgl. Sanders 1998:199: Die 16. Auflage erschien 1988, eine Neubearbeitung von Stephan Meyer/Jürgen Schiewe erschien 1991. Zur Neubearbeitung von 1991 siehe Schulze 1995:233-234. Theodor Steche, „Die gegenwärtige 'Verlotterung' der deutschen Sprache", Zeitschrift für Deutschkunde, 46 (1932), 412-425 (S. 421). Das Werk von Theodor Matthias Sprachleben und Sprachschäden (Leipzig: Brandstetter, 1892) eignet sich aufgrund seiner Auflagedaten weder als Momentaufnahme noch als kontinuierlich aufgelegtes Werk: 1. Auflage 1892, 2. Auflage 1898, 6. Auflage 1930. Schulze 1995:234-5, z.B. in den Zeitschriften Muttersprache LX (1950) und Wirkendes Wort VII (1957). Antos 1996:56. Sanders 1998:25, 37, 39. Ludwig Reiners war ebenfalls sehr erfolgreich mit seiner Stilfibel, die zwischen 1951 und 1996 achtundzwanzig Mal aufgelegt wurde. Ich habe die Stilfibel nicht untersucht, da sie als vereinfachte Kurzfassung der Stilkunst nicht als Nachfolgewerk von Engels Deutscher Stilkunst eingestuft werden kann. Vgl. Schulze 1995:227. Sanders 1998:199. Karl Schneider, Was ist gutes Deutsch? 2. Auflage (München: Beck'sche Verlagsbuchhandlung, 1931), S. XII.
28
Einführung und Rahmen der Untersuchung
empfiehlt das Werk trotz einiger kritischer Anmerkungen als „lehrreich" und „anregend" und vergleicht es mit Wustmanns Sprachdummheiten.93 Als 'Momentaufnahme' für die Zeit des Nationalsozialismus habe ich Ewald Geißlers einmalig aufgelegte Stillehre Vom deutschen Stil. Lockrufe und Warnungen ausgewählt. Dass der Germanistikprofessor Geißler in der Zeit des Nationalsozialismus als Autorität für Sprach- und Stilfragen galt, zeigt die Tatsache, dass er 1934 von der Dudenredaktion dazu eingeladen wurde, die Einleitung zum Duden-Stilwörterbuch zu verfassen. 94 Nickisch bezeichnet diese Einleitung als „ein abstoßendes Dokument sich spreizender nazistisch-chauvinistischer Blu-Bo-Geistigkeit" und nennt es ein deprimierendes Beispiel für die Bestechlichkeit der vormaligen Sprachwissenschaft. 95 Hillen stuft Geißlers Beiträge als antisemitisch ein.96 Geißlers Stillehre sollte also die Strömungen der Zeit durch die Popularität des Autors im Nationalsozialismus und seine Nähe zum politischen System gut wiedergeben. Als 'Momentaufnahme' für die BRD wurde Franz Thierfelders Stillehre Wege besserem Stil gewählt, da sie mit den Auflagedaten in den Jahren 1950 und 1955 das Kriterium der Publikation in einer politischen Periode erfüllt und die zwei Auflagen innerhalb kurzer Zeit auf Popularität unter der Leserschaft deuten.97 Nicht nur in Deutschland, sondern sogar im Ausland wird Thierfelders Werk geschätzt und allen Deutschstudenten wärmstens empfohlen, wie eine Rezension von David Brett-Evans aus Nottingham zeigt.98 1.4.2.4 Qualifikation der DDR-Werke im Textkorpus Wie oben erwähnt, kann nicht nachgewiesen werden, ob und inwieweit die 'kontinuierlich aufgelegten Werke' in der DDR verkauft wurden oder für die Bevölkerung allgemein zugänglich waren. 99 Daher musste eine 93 94
Bücherschau, Muttersprache (10) 1930, 267-8. Ewald Geißler, „Vom deutschen Stil. Lockrufe und Warnungen" in Der Große Duden, Stilworterbuch der deutschen Sprache (Leipzig: Bibliographisches Institut, 1934), S. 1-16. In der BRD wurde Geißlers Einleitung übrigens mit einer Einleitung von Reiners ersetzt: Ludwig Reiners, „Vom deutschen Stil", in Der Große Duden - Stilwörterbuch, 4. Auflage (Mannheim: Bibliographisches Institut, 1956), S. 9-25.
95 96
Nickisch 1975:67. Hillen 1982:65-69 und ihr 'Literaturverzeichnis' auf S. 188-189. Siehe insbesondere Ewald Geißler, Sprachpflege als Rassenpßcht (Berlin: Deutscher Sprachverein, 1937). Hillen bezieht sich in ihrer Untersuchung nicht auf Geißlers Stillehre. Vgl. Nickisch 1975:195 und Sanders 1998:201. David Brett-Evans, „Buchbesprechung der 2. Auflage von Thierfelders Wege ψ besserem S t i f , Zeitschrift fir deutsche Philologie, 78 (1959), 109-110. Nach Nickisch und Möller wurden bspw. Werke von Ludwig Reiners nicht in der DDR verkauft. Vgl. Nickisch 1975:32, 160: „Hier stütze ich mich einesteils auf Angaben des Ver-
97 98 99
Zum Textkorpus
29
Auswahl von vier 'neuen' Stillehren und Sprachratgebern getroffen werden. Bei dieser Auswahl ging es darum, Werke zu identifizieren, deren mehrmalige Auflagen auf Popularität in der Leserschaft schließen lässt und deren Autoren zu den fuhrenden Stillehrern der DDR zählen. Außerdem wurde versucht, die Werke so auszuwählen, dass die Erscheinungsdaten der ersten Auflagen sich über den Zeitraum von 1949 bis 1965 erstrecken, um somit einen Einblick in mögliche Entwicklungsstufen der Sprach- und Stilauffassung laienlinguistischer Werke der jungen DDR zu geben. Die folgenden Auflagedaten weisen auf die Popularität der Werke hin. Koelwels 1954 veröffentlichter Wegweiser ψ einem guten deutschen Stil erschien 1961 erneut als Taschenbuch-Auflage. Möllers 1958 erschienene Stillehre Guter Stil im Alltag - Eine neuartige Sat^bauschule wurde 1964 zum zweiten Mal und 1965 zum dritten Mal aufgelegt. Gepflegtes Deutsch von Koelwel & Ludwig wurde zwischen 1962 und 1969 viermal aufgelegt. Faulseits Gutes und schlechtes Deutsch wurde zwischen 1965 und 1980 sieben Mal aufgelegt, wobei die erste Auflage bereits 10.000 Exemplare umfasste.100 Eduard Koelwel hat mehrere Bücher über Sprache und Stil veröffentlicht und gilt als „Altmeister der DDR-Stilistik". 101 Georg Möller wird als Koelwels Nachfolger betrachtet und zählt zu den angesehensten ostdeutschen Stilpraktikern; er hat ebenfalls eine Reihe von laienlinguistischen Werken publiziert. 102 Helmut Ludwig hat mit Eduard Koelwel zusammengearbeitet und publiziert und ist als Lehrer der praktischen Stillehre
lages C.H. Beck, München - für die ich Dr. Ernst-Peter Wieckenberg zu danken habe und andernteils auf solche, die ich dankenswerterweise von dem fuhrenden praktischen Stilistiker in der DDR, Oberstudienrat Georg Möller, erhalten habe." Ebenso Andreas Schulze 1995:239: „Nahezu vollständig übergangen wurde Reiners übrigens seinerzeit in der DDR. In den von Fix, Fleischer, Michel, Möller und anderen verfassten Büchern und Aufsätzen zum Thema Stil wird man ihn in aller Regel vergebens suchen." 1 0 0 Nickisch 1975:188-191. Für Koelwel 1954 siehe Nickisch 1975:190. Für Möller 1958 siehe http://www.zvab.de, insbesondere: http://cgi.zvab.com/SESSl 3 2 4 3 1 5 0 1 1 1 5 2 0 1 6 6 8 2 1 1 1 0 0 0 1 7 / c g i bin/search.cgi?term=moeller vom 14/03/04. Für Koelwel&Ludwig siehe http://www.stabikat.de, insbesondere: http://stabikat.staatsbibliothekberlin.de:8080/DB=l/SET=2/TTL=ll/NXT?FRST=l vom 14/03/04. Für Faulseit siehe http://www.zvab.de, insbesondere: http://cgi.zvab.eom/SESS132431501115201668211100017/cgibin/search.cgi?term=faulseit vom 14/03/04. 101 Sanders 1998:43. Siehe eine Auswahl von Koelwels Veröffentlichungen im Literaturverzeichnis. 102 Sanders 1998:42-43. Nickisch 1975:32, 160. Siehe eine Auswahl von Möllers Veröffentlichungen im Literaturverzeichnis.
30
Einfuhrung und Rahmen der Untersuchung
ebenfalls in Koelwels Fußstapfen getreten. 103 Dieter Faulseit hat seit Mitte der sechziger Jahre eine Reihe von mehrmals erfolgreich aufgelegten Sprach- und Stilratgebern publiziert.104 Nickisch zählt alle vier Autoren zu den führenden praktischen Stillehrern in der DDR. 1 0 5 Bevor wir uns ihrer Untersuchung und Analyse zuwenden, fassen wir also noch einmal kurz die Auswahlkriterien der Primärquellen zusammen: Im Rahmen der Fragestellung der Untersuchung wurden vier Werke pro politische Periode ausgewählt, die als 'kontinuierlich aufgelegte Werke' oder als 'Momentaufnahmen' den synchronen Aspekt der Darstellung der Sprach- und Stilauffassung in einer politischen Periode und den diachronen Vergleich unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse ermöglichen. Einige bekannte Sprachratgeber und Stillehren haben sich aufgrund der Definitionsvorgaben nicht zur Untersuchung qualifiziert. Mit ihren Auflagedaten, der Auflagenhöhe, den Überarbeitungen in den drei politischen Perioden und ihrem Ruf erfüllen die ausgewählten Sprachratgeber und Stillehren die Kriterien der 'kontinuierlich aufgelegten Werke' für den diachronen Aspekt der Untersuchung sowie das Kriterium der Popularität für den synchronen Aspekt. Aufgrund der Erscheinungsdaten, der Auflagen der Werke und des Rufes von Autoren und Werken handelt es sich bei der Auswahl der 'Momentaufnahmen' um beliebte Sprachratgeber und Stillehren in den einzelnen politischen Perioden.
103 Sanders 1998:43, 146, 153. Siehe eine Auswahl von Ludwigs Veröffentlichungen im Literaturverzeichnis. 104 Siehe eine Auswahl von Faulseits Veröffentlichungen im Literaturverzeichnis. 105 Nickisch 1975:109.
2 Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933) Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, „Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen", 9. von Dr. Herbert Stubenrauch verbesserte Auflage (Berlin/Leipzig: Walter de Gruyter & Co, 1923). Ernst Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, Der Kampf gegen das Falsche, Schwerfällige, Geschmacklose und Undeutsche, 3. Auflage (Berlin: Dümmler, 1925). Karl Schneider, Was ist Gutes Deutsch? (München: Beck, 1930). Eduard Engel, Deutsche Stilkunst, 31. Auflage (Leipzig/Wien: G. Freytag, 1931). In diesem Kapitel wird die Sprach- und Stilauffassung in den populären Sprachratgebern und Stillehren der Weimarer Republik in zwei Abteilungen erarbeitet, im Sprachdiskurs (2.1) und im Stildiskurs (2.2). Dazu werden einzelne Aspekte und Themen im Sprach- und Stildiskurs untersucht, die größtenteils aus Elementen des Sprachkonservatismus abgeleitet worden sind. In ihrer Darstellung und anschließenden Analyse in Bezug auf den Leitbegriff des Sprachkonservatismus (Abteilung 2.3) sollen sie dazu beitragen, die Grundlage für den diachronen Vergleich der Sprach- und Stilauffassung in den kommenden politischen Perioden zu schaffen.
2.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren In dieser Abteilung wird die Sprachauffassung der WR-Stilautoren untersucht, indem metasprachliche Aussagen zu den folgenden Themen und Aspekten gesammelt werden: zum Sprachzustand, zur Sprachgeschichte, zum Sprachwandel, zur Sprachrichtigkeit, zur Darstellung der Sprache und ihrer Funktion auf politischer Ebene.
32
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
2.1.1 Sprachzustand Der Leitbegriff des Sprachkonservatismus legt Unzufriedenheit mit dem Sprachzustand nahe. Tatsächlich betrachten alle vier WR-Stilautoren den Zustand der Sprache als schlecht und konstatieren Sprachverfall. Stubenrauch/Wustmann beklagt die Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit im Sprachgebrauch.1 Wasserzieher behauptet, dass in Deutschland schlechtes Deutsch gesprochen werde und dass die Sprache vernachlässigt oder misshandelt werde.2 Nach Schneider befinde sich die deutsche Sprache „in einem Zustand völliger Verwirrung" oder „Auflösung", und zeige „Züge der Erstarrung". 3 Engel kritisiert das niedrige Niveau der deutschen Prosa. Die Deutschen seien unter allen schreibenden Kulturvölkern das Volk mit der „sprachlich mangelhaftesten und unkünstlerischsten Prosa". Das sei ein Makel deutscher Geistesbildung im In- und Ausland.4 Während Stubenrauch/Wustmann und Wasserzieher ihre Behauptungen über den Sprachzustand nicht beweisen, versucht Schneider seine Sprachverfallsklage mit der Sprachgeschichte zu belegen. Formgesetze und Sprachgebräuche von früher seien sinnvoll und deshalb wohlbegründet und sollten nicht leichtfertig aufgegeben werden.5 Engel behauptet, dass der niedrige Sprachzustand von „den berufenen Kennern der Sprache und des Stiles" im In- und Ausland festgestellt worden sei.6 Die Kriterien und die Begründung für die negative Beurteilung des Sprachzustandes seitens der WR-Stilautoren sind subjektiv und vage. Subjektiv, da sie auf der persönlichen Einschätzung beruhen, das Deutsch sei schlecht; vage, da sie sich auf nicht weiter umrissene Größen wie „berufene Sprachkenner" und „Sprachgeschichte" berufen. Anhand der emotional gefärbten Wortwahl zur Beschreibung des Sprachzustandes (misshandelte Sprache, Zustand der Verwirrung oder Auflösung) ist zu erkennen, dass es den WR-Stilautoren nicht nur darum geht, sprachlichen Rat zu geben und einen guten deutschen Stil zu lehren. Sie befinden sich auf einer Mission zur Verbesserung der deutschen Sprache.
1
Wustmann 1923:V.
2
Wasserzieher 1925:9, 13.
3
Schneider 1930:VII.
4
Engel 1931 :IX, 1 , 2 .
5
Wustmann 1923:V. Wasserzieher 1925:9. Schneider 1930:VII.
6
Engel 1 9 3 1 : 1 , 2 1 2 .
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
33
2.1.2 Sprachgeschichte Im Sprachkonservatismus fungiert die Sprachvergangenheit als ein wichtiger Maßstab und Orientierungspunkt. In den WR-Werken fallen dann auch drei Aspekte bei der Darstellung, Sicht und Funktion der Sprachgeschichte auf. 2.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit Die WR-Stilautoren stufen die Sprache der Vergangenheit oder 'das Alte' als besser ein als die Sprache der Gegenwart und das Neue. Stubenrauch/Wustmann ist der Ansicht, dass man früher besser mit der Sprache umgegangen sei. Er beschreibt Sprachentwicklungen und den Sprachwandel im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen neutral, während er die zeitgenössische Sprache kritisiert.7 Schön sind für ihn z.B. die alten Adjektivformen der Städte- und Ländernamen auf „—isch"; auf ihnen liege „ein feiner Hauch des Altertümlichen und - des Vornehmen, manche sind wie Stücke schönen alten Hausrats"; die neuen Bildungen auf „-er" wirkten dagegen oft nüchtern. 8 Engel gibt der schönen Prosa im Deutschen konkrete zeitliche Ausmaße, vom 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, von Meister Eckhart bis Luther. 9 Er lobt ebenfalls die „edle Literatursprache und [...] herrliche Literatur" der Klassik. 10 Wasserzieher fordert dazu auf, nicht „aus bloßer Neuerungssucht Altes, Gutes [zu] verwerfen, um neues, vielleicht Schlechteres an seine Stelle zu setzen." 11 Für Schneider sind ältere Sprachformen „voll- und wohlklingend [...], „sinnvoll oder unzweideutig", „gesetzmäßig", „gut", ,"erzhaft" und „kräftig".12 Beispielsweise laute „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne" unvergleichlich klangvoller als „was hälfe es dem Menschen, so er [...] gewänne". 13 Aus welcher Zeit die angepriesene Sprachtradition stammt, die der „eingerissenen sprachlichen Verwirrung
7
Wustmann 1923: Kritik an zeitgenössischer Sprache auf S. 126, 258-294. Positiv über Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch auf S.30: der Unterschied der Formen „ladet" und „lädt" sei auf althochdeutsch „ladon (einladen)" und althochdeutsch „hladan (aufladen)" zurückzufuhren. Auf S. 34: Mittelhochdeutsche Unterschiede bei Vokalen im Präteritum „er half' aber „wir hülfen". Weitere Beispiele auf S. 48, 73, 99.
8
Wustmann 1923:122.
9
Engel 1931:2, 516.
10
Engel 1931:153.
11
Wasserzieher 1925:13, 26, 50.
12
Schneider 1930:268, 32-33, 175.
13
Schneider 1930:32.
34
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
entgegenf.. .jwirken" kann und die für Schneider eine sinnvolle Ordnung darstellt, bleibt vage. 14 Alle vier WR-Stilautoren idealisieren demnach bestimmte Aspekte der Sprachvergangenheit. Zwischen ihnen herrscht insofern eine Ubereinstimmung, als dass sie die 'alte' Sprache, z. T. definiert als Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und als Sprache Luthers und der Klassiker, als durchgehend positiv einstufen und ihnen emotional unterlegte Eigenschaften wie 'gut', 'schön', 'herzhaft', 'kräftig' und 'wertvoll' zuschreiben und im Gegensatz zur 'verwirrten, aufgelösten, erstarrten' Gegenwartssprache sehen (siehe 2.1.1). Diese Aussage beruht auf subjektiven Empfindungen, die sie nicht begründen, und auf persönlichem Geschmack. Aus der idealisierten Sprachvergangenheit kann man also folgern, dass die WRStilautoren von zwei Sprachnormen ausgehen: die abgelehnte, kritisierte, zeitgenössische Gebrauchsnorm und die vergangene Idealnorm, für deren Wiederherstellung sie sich einsetzen. 2.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit Der Kontakt der deutschen Sprache mit fremden Sprachen wie Latein und Französisch in der Sprachvergangenheit wird bei den WR-Stilautoren negativ interpretiert, allerdings erst ab dem Zeitalter des Humanismus. Den Fremdsprachenkontakt in althochdeutscher Zeit beurteilen Stubenrauch/Wustmann, Engel und Schneider positiv. Die lateinischen und griechischen Wörter seien als Lehnwörter einzuordnen. Sie sähen deutsch aus, seien durch ihre angepasste Form nicht mehr fremd und als 'unentbehrliche Bereicherung' der Sprache einzustufen. 15 Stubenrauch/Wustmann und Schneider fuhren Sprach- und Ausdrucksfehler ihrer Gegenwartssprache auf den nachhaltigen Einfluss des Lateinischen zurück. Es sei beklagenswert, dass lateinische Endungen an deutsche Städte- und Ländernamen angehängt werden, wie „Hallenser, Jenenser, Badenser". 16 Stubenrauch/Wustmann kritisiert seiner Meinung nach schlechte Konstruktionen wie „auf erhaltenen mündlichen Befehl". Diese Partizipzusätze stammten aus schlechtem Lateinunterricht. 17 Wasserzieher und Engel beklagen die „Deutschverderbung durch die Humanisterei", den Einfluss der französischen Sprache im 17. und 18.
14
Schneider 1930:158.
15
Schneider 1930:204. Wustmann 1923: 16, 316. Engel 1931: 147-8.
16
Wustmann 1923:39-40. Schneider 1930:239 (Überbleibsel gelehrter Fremdwortfreudigkeit aus der Humanistenzeit seien Wörter wie „Badenser, Weimaraner, Kasselaner" - sie sollten „Badener, Weimarer, Kasseler" heißen).
17
Wustmann 1923:211; ähnlich auf S. 9, 97, 9 9 , 1 9 4 , 195, 197, 218, 236-8, 251, 256, 258, 277.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
35
Jahrhundert sowie den Mangel an deutscher Sprachpflege. 18 Die mangelhafte deutsche Schriftsprache der Gegenwart sei ein stark vom Lateinischen geprägtes Erzeugnis der deutschen Gelehrten, die Jahrhunderte hindurch die deutsche Gesellschaft darstellten.19 Wasserzieher, Schneider und Engel preisen in diesem Zusammenhang die Sprachpflege im Sinne von Fremdwortbekämpfung, so wie die Fruchtbringende Gesellschaft und einzelne Personen wie Philipp von Zesen und Campe es sich in der Vergangenheit zur Aufgabe gemacht hätten. 20 Die oben festgestellte Verklärung des Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen (2.1.2.1) manifestiert sich also auch in Bezug auf den Fremdsprachenkontakt und zwar insofern, als dass er in dieser Zeit als bereichernd dargestellt wird. Diese positive Sichtweise ist sicherlich vom zeitlichen Abstand beeinflusst, der dazu geführt hat, dass sich Fremdwörter als Lehnwörter in der deutschen Sprache etablieren konnten. In der Zeit des Neuhochdeutschen wird der Fremdsprachenkontakt und die Aufnahme fremden Wortgutes besonders seitens der Gelehrten als einseitig negativ eingestuft und so dargestellt, dass er für die Probleme des Gegenwartsdeutschen mit verantwortlich sei. Die Möglichkeit zur Bereicherung und Entwicklung der deutschen Sprache durch Fremdwörter wird für die Neuzeit nicht in Erwägung gezogen. 2.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen Des Weiteren sind Bezüge zur Sprachvergangenheit bei Stubenrauch/ Wustmann, Wasserzieher und Schneider Teil ihrer Lehrmethode. Gemäß dem Motto „Tieferes Verständnis unserer Sprache schafft die Sprachgeschichte" 21 und der Einstellung, dass sich Zweifelsfragen „am besten mit Hilfe der Sprachgeschichte beantworten" lassen, 22 versuchen sie, durch sprachgeschichtliche Erläuterungen die Regeln der Gegenwartssprache näher zu bringen. So erklären sie bspw. den Wandel in der Ausdrucksund Inhaltsseite einzelner Wörter in Bezug auf die 'ältere Sprache', womit sie oft das Althochdeutsche und das Mittelhochdeutsche meinen. 23 Wasserzieher erklärt den Unterschied von 'das' und 'daß' anhand von Ausfuh-
18
Engel 1931:2. Wasserzieher 1925:13.
19
Engel 1931:24-25.
20
Schneider 1930:X. Engel 1931:229-234. Wasserzieher 1925:50.
21
Wasserzieher 1925:13.
22
Wustmann 1923:192.
23
Wustmann 1923:30, 34, 48, 73, 99, 1 1 1 , 187. Schneider 1930:27, 29-30. Wasserzieher 1925:22.
36
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
rungen über das 16. Jahrhundert. 24 Auch für Engel, der sich hauptsächlich auf Stilfragen konzentriert, dienen Texte aus der Sprachvergangenheit zur Illustration von Stilregeln der Gegenwart. So zitiert er bspw. seiner Meinung nach gute Bilder aus der Bibel, aus der Sprache Lessings, Goethes, Bismarcks, Kellers und Kleists. 25 Es ist festzustellen, dass die Sprachgeschichte bei den WR-Stilautoren in pädagogischer Hinsicht eine ähnliche und wichtige Rolle spielt. Sie dient den WR-Stilautoren als bedeutsamer Bezugspunkt für Erklärungen der Gegenwartssprache. Die Darstellung vergangener Entwicklungen in der deutschen Sprache soll letztendlich der Verbesserung der Gegenwartssprache dienen. Vielleicht werfen die WR-Stilautoren diese sprachgeschichtlichen Anmerkungen auch ein, um die Leser durch ihr Wissen zu beeindrucken und so ihre Rolle als Sprachautoritäten zu etablieren.
2.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel Die Haltung dem zeitgenössischen Sprachwandel gegenüber ist ein wichtiger Bestandteil des Sprachkonservatismus. Wie die WR-Stilautoren dazu stehen, wird neben allgemeinen Aussagen besonders anhand ihrer Darstellung von Neu- und Modewörtern untersucht, da sich daran der zeitgenössische Wandel der Sprache besonders deutlich macht. Obwohl Stubenrauch/Wustmann zugibt, dass eine Sprache ständig neuer Wörter bedarf, kann er die zeitgenössischen Neuwortbildungen nicht akzeptieren, da sie seine Forderung der „einleuchtende [n] Deutlichkeit" und der regelrechten und gesetzmäßigen Bildung selten erfüllen.26 E r kritisiert Wörter wie „Vorjahr", „Übersee", „erhältlich", „erstklassig", „belichten", „Heizkörper" und „Einäscherung". 27 Neu - und besonders Modewörter bedrohten den Reichtum der Sprache und führten durch ihre Ungenauigkeit zur Oberflächlichkeit und Unklarheit des Denkens. 28 Der übermäßige Gebrauch von Modewörtern sei ein Zeichen für ein „entartetes" Sprachgefühl der Deutschen. 29 Engel ist für die Bereicherung des Wortschatzes durch Neuschöpfungen solange die Neubildungen „funkelnagelneu" sind, „dem Fremdwörtler [...] aufs äußerste mißfallen", „den Sprachsinnigen reizen, packen, zum
24
Wasserzieher 1925:26.
25
Engel 1931:437-439 und passim.
26
Wustmann 1923:258-9.
27
Wustmann 1923:260-262.
28
Wustmann 1923:284; auf S. 258-284: „Neue Wörter" und „Modewörter".
29
Wustmann 1923:283.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
37
Nach- und Einfühlen zwingen" und „selbstverständlich klingen". 30 Er zitiert seiner Meinung nach gelungene Neuwortbildungen, die Ubersetzungen für Fremdwörter darstellen, wie „Gefühl" für „Sentiment" und „Fahrrad" für „Veloziped" und schlägt „Brettschuh" für „Ski" vor. 31 Aufgrund ihrer angeblich fehlenden Eigentümlichkeit des Ausdrucks und ihrer Abgedroschenheit ist Engel gegen einheimische oder fremdsprachliche Modewörter und Wendungen, wie bspw. „voll und ganz, ausgeschlossen, roter Faden, springender Punkt, restlos, eine Frage anschneiden." 32 Obwohl Sprachwandel und -erneuerungen ganz natürlich seien, warnt Wasserzieher vor unbedachten Änderungen, Erneuerungen und Modewörtern im Sprachgebrauch. 33 Er kritisiert Bildungen wie „der Atlantik" (besser: „der Adantische Ozean"), das „Informationsbüro" (besser: „Auskunftei") und das aus dem Englischen stammende „erstklassig" (besser: „vortrefflich", „hervorragend"). 34 Er erkennt die Macht des Sprachgebrauchs („der Sprachgebrauch steht über der Sprachregel und durchbricht sie") nur bedingt an, da der Sprachgebrauch oft grammatisch falsch und inkonsequent sei oder sich nach „Wohlklang" oder „Bequemlichkeit" richte.35 Das Neue müsse dem „Geschmack und dem Sprachgefühl der sprachlich Gebildeten und fein Fühlenden entsprechen." 36 Schneider akzeptiert, dass die Sprache sich ändert und dass es überholte oder veraltete Fügungen gibt, die nicht mehr angebracht sind, wie bspw. das von Goethe gebrauchte Genitiv „s" im Titel „Die Leiden des jungen Werthers". 37 Allerdings kann er die sich immer mehr durchsetzende Weglassung des Umlauts nicht akzeptieren. Der Umlaut mache ein Wort lautlich kräftiger, wärmer und saftiger und stamme „aus tiefster Verbundenheit mit dem Geiste" der deutschen Sprache. Besser wäre also „ämtlich" statt „amtlich" und „Bötin" statt „Botin". Die Form „Puppchen" drohe „gesunde Formen" wie „Süppchen" anzustecken. 38 Schneider ist ebenfalls gegen den Gebrauch der seiner Ansicht nach kurzlebigen Modewörter wie „auslösen", „hochgradig" und „untragbar". 39 Modewör-
30
Engel 1931:96-97.
31
Engel 1931:97-98.
32
Engel 1931:87-96, Beispiele auf S. 90-1.
33
Wasserzieher 1925:13, 37 (Sprachwandel theoretisch ja); abgelehnter Sprachwandel auf S. 22, 24,-26, 38, 60; gegen Modewörter auf S. 5, 53, 57-60. Wasserzieher 1925:51, 5.
34 35
Wasserzieher 1925:12. Auf S. 30: „Kriegsbeschädigte" müsste eigentlich „Kriegsgeschädigte" heißen. Weitere Beispiele auf S. 36.
36
Wasserzieher 1925:13.
37
Schneider 1930:11.
38
Schneider 1930:182-3.
39
Schneider 1930:193-199.
38
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
ter gehörten zu den „unedlen Wörtern und schiefen Wortgebräuchen" und seien zu vermeiden. 40 Diese Beispiele machen deutlich, dass es einen Meinungskonsens zwischen den WR-Stilautoren gibt. Trotz des theoretischen Wissens um eine sich ändernde, wandelnde Sprache und den Bedarf an Neuwörtern, können die WR-Stilautoren viele Aspekte des zeitgenössischen Sprachwandels nicht akzeptieren und verurteilen sie aufgrund subjektiver Kriterien. Als Maßstab dienen der eigene Geschmack, sprachliche Vorurteile, bspw. in Bezug auf die Herkunft der Wörter oder die Sprachrichtigkeit. Die WRStilautoren versuchen, ihre Behauptungen mit vom heutigen sprachwissenschaftlichen Standpunkt vagen aber für sie autoritativen Größen wie 'entartetes Sprachgefühl', 'sprachlich Gebildete' oder mit dem 'Geist der deutschen Sprache' zu untermauern. Die Kriterien für gute Neuwörter basieren wiederum auf subjektivem Sprachempfinden. Wie entscheidet man, ob und für wen ein Neuwort von 'einleuchtender Deutlichkeit' ist oder 'selbstverständlich klingt' und ob es dem Geschmack der Gebildeten entspricht? Wer qualifiziert sich als Gebildeter und wie definiert sich ihr Geschmack? Mit diesen Kriterien können die WR-Stilautoren Neuwörter nach Belieben verurteilen. Anzumerken ist noch, dass sich die WR-Stilautoren mit ihren Sprachprognosen irren, wie die Beispiele zeigen. Die Tatsache, dass sich alle oben als 'schlecht' ausgewiesenen Neu- und Modewörter durchgesetzt haben und bis heute im Sprachgebrauch gängig sind, beweist, dass sie eine Lücke im Sprachgebrauch gefüllt haben.
2.1.4 Sprachrichtigkeit Die Forderung des Sprachkonservatismus nach einer standardisierten Einheitssprache und dem Beherrschen der Grammatik führt zur Untersuchung der Aussagen über Sprachrichtigkeit. 2.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik Die Sprachrichtigkeit ist für alle vier WR-Stilautoren ein zentrales und wichtiges Element. Sie haben konkrete und sehr ähnliche Vorstellungen von einer richtigen Sprache, die auf den überlieferten Regeln der deutschen Grammatik beruht. So verurteilen bspw. alle vier Stilautoren die von Engel als „Hauptsünden" identifizierten Fehler: die Verwechslung
40
Schneider 1930:191.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
39
von „als" und „wie", den Satzdreh nach „und" und den Gebrauch von „derselbe". 41 Stubenrauch/Wustmann will in Zweifelsfragen „Ordnung und Regel" schaffen. 42 Eine grammatisch falsche Sprache sei eine 'hässliche, geschmacklose und undeutsche' Sprache.43 Er rechtfertigt die einzelnen Sprachregeln gar nicht oder mit seiner eigenen Meinung. Diejenigen, die seine Meinung nicht teilten, verstünden nichts von Sprache und hätten kein Sprachgefühl. 44 Für Wasserzieher gibt es eine „richtige, natürliche und schöne" Sprache. Sprachrichtigkeit sei anzustreben und der fehlerhafte Sprachgebrauch zu bekämpfen. 45 Die von ihm aufgestellten Grundsätze und Regeln reflektierten zwar seine eigene Meinung, beruhten jedoch auch auf ,,Gründe[n] der Sprachlehre" und auf dem „gesunden Menschenverstand" und könnten mit der „sprachgeschichtlichen Entwicklung" begründet werden.46 Engel betrachtet Sprachbeherrschung, Sprachrichtigkeit oder „eine saubere Sprache" als Voraussetzung für einen guten Stil.47 Sein Grundsatz lautet: „Im Notwendigen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit." 48 Er versteht sich als Vertreter größtmöglicher Freiheit in allen Fragen deutscher Sprache und Stiles, da es mehr Zweifelhaftes als unerschütterlich Notwendiges gebe. Freiheit bedeute aber keine willkürliche Handhabung der Sprache, da die Grammatikregeln weiterhin befolgt werden müssten. Freiheit bedeute, innerhalb der verschiedenen Möglichkeiten das „Vernünftige" zu wählen, so wie die großen deutschen Dichter es getan hätten.49 Besonders gebildete Sprecher und gute Schriftsteller seien führend in der Sprachrich tigkeit.50 Schneiders Wortwahl zur Bezeichnung von vermeintlichen Sprachfehlern illustriert seine strenge Haltung der Sprachrichtigkeit gegenüber. Die umgangssprachliche Verwendung des Adverbs „ungefähr" als Adjektiv in 41
Engel 1931:56-61. Siehe „als, wie": Wustmann 1923:192, Wasserzieher 1925:34, Schneider 1930:74, 75. Siehe „derselbe": Wustmann 1923:158-163, Wasserzieher 1925:21, Schneider 1930:78-79. Siehe Satzdreh nach „und": Wustmann 1923:223, Wasserzieher 1925:26, Schneider 1930:248-249.
42
43 44
Wustmann 1923:20. Diese Aussage macht er bei der Deklination der Adjektive im Genitiv der Mehrzahl. Zudem sei es peinlich, wenn Deutsche Ausländern gegenüber eingestehen müssten, dass sie die Sprachregeln nicht kennen oder beherrschen würden (siehe S. 17). Wustmann 1923:41 -42, 55, 218-9. Wustmann 1923:91.
45
Wasserzieher 1925:9.
46
Wasserzieher 1925:10. Für die sprachgeschichtliche Entwicklung siehe bspw. den Unterschied von „ d a s " und „daß" auf S. 26.
47
Engel 1931:53.
48
Engel 1931:79.
49
Engel 1931:80.
50
Engel 1931:49.
40
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
„eine ungefähre Vorstellung" sei eine „Sprachwidrigkeit" 51 , das Schwinden der Genitivendung bei Berg- und Flussnamen („des Himalaya, des Tiber") eine „schwere Entartungserscheinung". 52 Der „Zwiespalt zwischen Alltagssprache und Sprachrichtigkeit" ist für ihn ein Ausdruck des Sprachverfalls.53 Eine gesetzmäßige Sprache bedeute eine natürliche Sprache und ,,gesunde[s] Leben". 54 Nur die bewusste Erkenntnis der sprachlichen Gesetzmäßigkeiten könne den Folgen des Verfalls entgegenwirken. 55 Für ihn stammen Sprachrichtigkeit und einzuhaltende Regeln und Vorschriften aus der „Erinnerung an bessere Übungen und Gebräuche". 56 Die Zitate belegen, dass sich die WR-Stilautoren über die zentrale Rolle der Sprachrichtigkeit einig sind, und dass sie im Allgemeinen die Regeln überlieferter Grammatik als maßgebend betrachten. Die Begründung für ihre Sprachgesetze ist jedoch subjektiver Natur, da sich die WRStilautoren auf Undefinierte Größen wie ihr 'Sprachgefühl', den 'gesunden Menschenverstand', das 'Vernünftige', die Sprachgeschichte und die TSIatürlichkeit' berufen und damit die Autorität ihrer Aussagen zur Sprachrichtigkeit untermauern wollen. Wasserzieher gibt als einziger das subjektive Element seiner Regeln zu, während Engel sich als freiheitlich versteht. Dabei bedeutet die Wahl des 'Vernünftigen' bei Engel erstens das Einhalten der Grammatikregeln und zweitens die Orientierung an der Sprachrichtigkeit der gebildeten Schriftsteller und Dichter seiner Wahl. Die WR-Stilautoren haben ein unreflektiertes Sprachrichtigkeitsverständnis, weil die Einhaltung der Regeln für sie eine Selbstverständlichkeit bedeutet und sie ihre Begründungen nicht hinterfragen, bzw. die Subjektivität ihrer Begründung nicht sehen. Auffällig ist, mit welchen Eigenschaften die WR-Stilautoren Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit aufladen und somit emotionalisieren: sie seien 'hässlich, unnatürlich, geschmacklos, undeutsch, eine schwere Entartung, eine Hauptsünde gegen die deutsche Sprache'. Sprachfehler als eine 'schwere Entartung' oder 'Hauptsünde' zu bezeichnen, gibt der Sprachrichtigkeit eine moralische Dimension und lässt sie zu einer Angelegenheit der Sittlichkeit werden. Mit einer richtigen Sprache werden dann die Eigenschaften 'schön, natürlich, sauber und gesund' assoziiert. Diese kom-
51
Schneider 1930:85.
52
Schneider 1930:12. Oder auf S. 49, 85: ,,[S]chwereQ sprachliche^ VerstößeO" und auf S. 10: „Zerstörungswerk". A u f S. 201: „Wahlen in U.S.A." sei „ein in seiner Vereinigung von Undeutschheit und Rohheit kaum zu überbietendes Beispiel der heutigen Entartung unserer Sprache [ • .]."
53
Schneider 1930:89.
54
Schneider 1930:268-9.
55
Schneider 1930:VIII, IX.
56
Schneider 1930:268.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
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promisslosen Gegensätze fuhren zu einem 'Schwarzweiß-Bild', das durch seinen Autoritätsanspruch keinen Raum für Kritik oder Alternativen lässt. 2.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl Für alle vier WR-Stilautoren steht das Sprachgefühl im Zusammenhang mit der Sprachrichtigkeit und gutem deutschen Stil. Für Stubenrauch/Wustmann verhindert ein geschärftes Sprachgefühl das Aufkommen neuer Fehler.57 Engel sieht in der Bekämpfung der „Schwindsucht des Sprachgefühls" eine der großen Aufgaben der Stilarbeit. 58 Für Wasserzieher ist die Voraussetzung zur Sprachverbesserung ein verfeinertes Sprachgefühl. Es werde durch ein erhöhtes Sprachbewusstsein geleitet, verstärkt und vertieft. 59 Nach Schneider ist die Fehlerhaftigkeit der Sprache auf ein erschüttertes Sprachgefühl des Volkes zurückzuführen. 60 Mit seinem Buch will Schneider das natürliche Sprachgefühl des Sprachteilnehmers wecken. 61 Fehlerhafte Konstruktionen zeigten, „wie sehr und in wie weiten Kreisen das natürliche Sprachgefühl bei uns bereits geschwunden ist und wie sehr uns in sprachlichen Dingen eine "Rückkehr zur Natur' durch gründliche Selbstbesinnung not tut."62 Das Sprachgefühl verhilft also nach Meinung der WR-Stilautoren zur Sprachrichtigkeit. Ist es geschärft oder verfeinert, wird die Sprache richtig. Das Sprachgefühl ist jedoch eine subjektive Größe, da sich die Entwicklung dieses Gefühls auch immer nach dem sozialen und pädagogischen Umfeld des Sprachteilnehmers richtet. Damals und heute wird ein Sprachteilnehmer, der ein Gymnasium und eine Universität besucht hat und vielleicht aus beruflichen Gründen viel liest und schreibt, ein ganz anderes Sprachgefühl besitzen als ein Sprachteilnehmer, der sprachlich nicht herausgefordert wird. Unter der geforderten Schärfüng des Sprachgefühls verstehen die WR-Stilautoren m. E. eine Spracherziehung in ihrem Sinne.
57
Wustmann 1923:V, 100, 257-8.
58
Engel 1931:48-49.
59
Wasserzieher 1925:10.
60
61
Schneider 1930:VII. Und auf S. X: „Da es freilich kaum einen Bereich unseres Sprachlebens gibt, in dem die allgemeine Schwächung des Sprachgefühls nicht sichtbar würde, [·••]" Schneider 1930:269.
62
Schneider 1930:174 (fugungsloses Nebeneinander); siehe ebenfalls S. 54-56, 99, 242-3.
42
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
2.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen Alle vier WR-Stilautoren vergegenständlichen die Sprache, indem sie die Sprache wie ein Lebewesen darstellen und ihr in Bildern und Vergleichen konkrete Eigenschaften zuschreiben. Allen vier WR-Stilautoren gemein ist die Bildersprache aus der Natur und Medizin. 2.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und der Medizin In unterschiedlichem Maße gebrauchen alle vier WR-Stilautoren Bilder aus der Natur und Medizin, um den Sprachverfall zu illustrieren und die Gefahren für das Lebewesen Sprache zu verdeutlichen. Stubenrauch/Wustmann bezeichnet Präpositionen wie „in, an, zu, aus, von" als „lustiges kleines Gesindel", die „von schwerfälligen, schleppenden Ungetümen" der Kanzleisprache wie „behufs, vermittelst, ausweislich" verdrängt würden. 63 Er spricht von abscheulichen Konstruktionen mit Modalverben, die eine „dauernde [] Geschwulst am Leibe der Sprache" darstellten. 64 „Bezw." sei der „Wortkrüppel" für das lange „beziehungsweise". 65 Nach Engel hätten die Fremdwörter schon „manchen triebkräftigen Keim für immer zerstampft, so daß die fremde Saat an gewissen Wucherstellen nicht mehr auszurotten ist: man denke an Natur, Musik, Religion, Humor, Drama, Interesse, naiv, spazieren." 66 Die Hauptaufgaben der Sprachpflege sei es, „die Franzosenkrankheit der Fremdwörterei [...], die Rückgratverkrümmung des unnatürlichen Preziösentums, die Elephantiasis der Riesenschachtelsätze, die Schwindsucht des Sprachgefühls" zu bekämpfen. 67 Seine Untersuchungen seien „stilärztlich": „das unbarmherzig schneidende Messer des Stilarztes findet noch für lange an ganz anderen Leibesschäden der deutschen Sprache dringendere Arbeit." 68 Wasserzieher und Schneider benutzen hauptsächlich medizinische Bilder und vergleichen unliebsame Spracherscheinungen wie Ausdrücke aus der Kanzleisprache mit einer ,,wahre[n] Mißgeburt", „absterbenden Lebensgebilden", mit einer „Endebendigung der Sprache" und „schwere[n] Gebrechen". 69
63
Wustmann 1923:304.
64
Wustmann 1923:212.
65
Wustmann 1923:312.
66
Engel 1931:96.
67
Engel 1931:48.
68
Engel 1931:322, 94.
69
Wasserzieher 1925:25. Schneider 1930:VII, 174, 58.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
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Die von den WR-Stilautoren mit Vorliebe gebrauchten Bilder und Vergleiche aus der Natur und Medizin können bei dem Leser zwei Funktionen erfüllen: erstens dienen Bilder und Vergleiche zur Erklärung, d.h. sie werden dazu eingesetzt, um eine Vorstellung von weniger vertrauten oder fremden Dingen zu vermitteln. Bekannte und vertraute Dinge werden als Vergleichsbegriffe herangezogen, damit der Gegenstand oder der Inhalt verständlich wird. Zweitens können Bilder und Vergleiche zur Manipulation dienen, da die Vorstellungskraft der Leser durch sie in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Bei den WR-Stilautoren steht eher die zweite Funktion im Vordergrund, da die behandelten Spracherscheinungen keine unbekannten Größen darstellen und keiner besonderen Erklärung bedürfen. Durch die Wahl der Bilder und Vergleiche rufen die WR-Stilautoren bestimmte Assoziationen hervor, wenn sie die für sie unliebsamen Spracherscheinungen wie Fremdwörter und die Kanzleisprache mit Krankheit, Missbildung und Tod in Verbindung bringen. Solche Bilder und Vergleiche dienen zur Emotionalisierung des Lesers. 2.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben Alle vier WR-Stilautoren schreiben der deutschen Sprache Eigenschaften wie Kraft und Leben zu. Für Stubenrauch/Wustmann drücken sich Kraft und Leben durch einzelne Wörter und Konstruktionen aus. Das Wort „zuverlässig" sei „ein schönes, kräftiges Wort". 70 Hilfszeitwörter wie „ist, sei, war, wäre, hat, habe, hatte, hätte am Ende eines Nebensatzes" gäben einem Modus „Kraft und Bedeutung". 71 Außerdem werden Kraft und Leben in bestimmten Merkmalen der Sprache gesehen, die nach Meinung der WR-Stilautoren als typisch und ursprünglich deutsch gelten. Für Schneider ist die „starke Beugung der deutschen Zeitwörter [...] die ursprüngliche", ein „eigentümliche[r] Wesenszug", den es zu erhalten gelte, da sonst die Sprache „einförmiger und schwächlicher" werde. 72 Schneider und Wasserzieher sind der Ansicht, dass Kraft und Leben der deutschen Sprache gefährdet würden, wenn man die Beugung nicht benutze; es komme zu „Erstarrungserscheinungen", die Sprache werde „roh, formlos, starr und tot". Wie wir oben sahen, ist für Schneider der Umlaut ebenfalls ein „saftiges, kräftiges" Merkmal der deutschen Sprache. 73 70
Wustmann 1923:269.
71
Wustmann 1923:93.
72
Schneider 1930:25. Zu 'Kraft' und 'Leben' siehe S. 5 8 , 1 7 4 , 175, 183.
73
Schneider 1930:170-1: „Löwenbräu München" oder „Studentenhilfswerk Hamburg". Wasserzieher 1925:47-48: „Lederfabrik Karl Schulze, Gastspiel Hedwig Müller". Für Schneider (1930) ist der Umlaut ein weiteres Kennzeichen von Kraft, Leben und Stärke
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Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
Ein weiteres beliebtes Merkmal, das der Sprache nach Meinung der WR-Stilautoren Kraft und Leben verleiht, sind die Mundarten, die alle vier positiv darstellen. Besonders bei Engel und Schneider gelten sie als „lebensspendend" und werden im Gegensatz zur toten Schriftsprache gesehen. 74 Schneider bezeichnet die Mundarten als „ererbt", „befruchtend", „kräftig" und „ursprünglich". 75 Nach Engel liefern Mundarten brauchbare Neuwörter und machen die Sprache der Klassiker „wie eine edle Feinwürze" herzlich vertraut: 76 „Ohne Mundarten wird der Sprachleib zum Sprachleichnam." 77 Außerdem schreibt er ihnen „unbestechliche Ehrlichkeit" zu: „Gefremdwörtelt oder erlogen gebildert kann in ihr nicht werden; sie ist 'von allem, was undeutsch ist, abgesondert' (Goethe)." 78 Die zahlreichen Beispiele belegen, wie wichtig es den WR-Stilautoren ist, die deutsche Sprache mit positiven Eigenschaften wie 'Kraft, Leben und Ehrlichkeit' zu assoziieren. Zu diesem Zweck wählen sie ihrer Meinung nach typisch deutsche Sprachphänomene aus (die Beugung, die Mundarten) und laden sie mit den positiven Eigenschaften von Kraft und Leben auf. Engel weist Mundarten sogar als ,ehrlich" und ,fremdwortfrei" aus.79 Allerdings begründen die WR-Stilautoren die Verbindung dieser tugendhaften Eigenschaften mit den Sprachphänomenen nicht, die Verbindung entsteht nur durch ihre Behauptungen. Mit diesen Behauptungen stehen die WR-Stilautoren in der Tradition des im 19. und 20. Jahrhundert aufblühenden Germanenmythos, der Eigenschaften der Sprecher auf die Sprache überträgt. Nach Gardt zählen im Germanenmythos u.a. die folgenden Eigenschaften zum Katalog der Tugenden: Kraft, Mut, Festigkeit des Charakters, Ehrlichkeit, Natürlichkeit und Abneigung gegen alles Künstliche und Affektierte. 80
74
75 76 77 78 79
80
(siehe S. 183-4). Lebendige Formen und Bildungen seien „unsertwegen", „worin" statt „in dem", „hierher, dorthin, woher" (S. 77, 82, 91). Er spricht von einem ,,starke[n] Sprachgesetz" (S. 129). Wustmann 1923:185-6 (aber auf S. 315-6 spricht er negativ über Provinzialismen aus Österreich in der deutschen Sprache). Wasserzieher 1925:39. Schneider 1930:79. Engel 1931:103. Schneider 1930:26. Engel 1931:103,104. Engel 1931:104 (zitiert Jahn). Engel 1931:106. Das ist Wunschdenken, denn man denke nur an den Text des mit Fremdwörtern gespickten mundartlichen Volksliedes „Auf der Schwäb'sche Eisenbahne" mit ihren „viele Haltstatione" und „Restauratione" wo sich der Passagier ein „Billetle" kauft und sich beim „Konduktor" beschwert. Siehe Das große Buch der schönsten Volks- und Heimatäeder (Bindlach: Gondrom Verlag, 1991), S. 120-121. Ebenso: Walter Hansen (Hrsg.), Das große Hausbuch der Volkslieder {München: Mosaik Verlag, 1978), S. 234. Andreas Gardt, Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland (Berlin, New York: de Gruyter, 1999), S. 309.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
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Schließlich fällt auch hier der Gebrauch emotionalisierender Bilder und Vergleiche auf, die oft in einem krassen, schwarzweißen Gegensatz stehen (z. B. 'schwächlich' und 'Sprachleichnam' im Gegensatz zu 'kräftig' und 'lebensspendend').
2.1.6 Die Funktion der Sprache auf politischer Ebene Die Forderung des Sprachkonservatismus nach einer einheitlichen Nationalsprache und vor allem das Untersuchungsthema, das nach der Beeinflussung der Sprach- und Stilauffassung durch unterschiedliche politische Systeme fragt, fuhren zur Untersuchung der Funktion der Sprache auf politischer Ebene. 2.1.6.1 Zeitspiegel Die Sprache fungiert als politischer Zeitspiegel, da alle vier WRStilautoren in Sprachbeispielen auf die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Situation ihrer Gegenwart verweisen und so ihre zeitgenössischen Verhältnisse und Ereignisse reflektieren. Oft kommentieren die WR-Stilautoren den Inhalt der Sprachbeispiele mit An- oder Nebenbemerkungen. Die vielleicht sogar unbewussten Kommentare der Sprachbeispiele und ihre Behandlung lassen teilweise Rückschlüsse auf die Einstellung der WR-Stilautoren den Themen gegenüber zu. Die wirtschaftliche Not der zwanziger Jahre wird bei Stubenrauch/ Wustmann und bei Wasserzieher angesprochen. Stubenrauch/Wustmanns Vorwort von 1923 spielt auf die herrschende wirtschaftliche Not in Deutschland an, die zu sparsamster Textveränderung bei der Überarbeitung seines Buches gezwungen habe. Es sei trotzdem versucht worden, den Stoff zeitgemäß zu gestalten.81 Ein Beispiel Wasserziehers illustriert das rationierte Essen: ,,[D]ie Brotmarken kommen zur Ausgabe." 82 Bei Stubenrauch/Wustmann enthalten die folgenden Sprachbeispiele zum Gebrauch von „besitzen" und zur Anwendung des Konjunktivs einen judenfeindlichen Inhalt: „[UJnsere Juden besitzen nicht die Feinheit der Empfindung, vor dieser deutlichen Ablehnung zurückzutreten." 83 Und: „Es ist eine Lüge, wenn man behauptet, daß wir die Juden nur angreifen,
81
Wustmann 1923:VII. Wasserzieher 1925:18-19 (verweist bspw. auf das „Preuß. Finanzministerium").
82
Wasserzieher 1925:18.
83
Wustmann 1923:301.
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Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
weil sie Juden sind" - hier müsste es „angriffen" heißen. 84 Die Behandlung dieser Sprachbeispiele bei Stubenrauch/Wustmann legt eine Duldung der Judenfeindlichkeit nahe, denn nicht der antisemitische Inhalt des Beispiels ist für ihn anstößig, sondern die mangelnde Sprachrichtigkeit. Es gibt eine Reihe von Anspielungen auf Kriege in den WR-Werken. Stubenrauch/Wustmann kritisiert die Bildung von Adjektiven in Werken über die Befreiungskriege. Er beanstandet die Form „Grimmaer" Tor, es sollte „Grimmisches" Tor heißen. 85 Engel illustriert eine erlaubte umgangssprachliche Redewendung mit: „Und gegen das Ran an den Feind! für unsre ruhmreiche Flotte im Heldenjahre 1914 ist gar nichts zu sagen." 86 Den Sprachzustand stuft er allerdings nicht als ruhmreich ein, denn es heißt: „Unser Sprachzustand strich uns schon vor dem Weltkrieg aus der Reihe der wahren Herrenvölker." 87 Anlass zu dieser Bemerkung ist die Aufschrift auf der Schleife an einem Lorbeerkranz, der anlässlich des hundertsten Gedenktages des Befreiungskrieges am Sarge des deutschen Kaisers (Kaiser Wilhelm der I.) niedergelegt wurde. Die Aufschrift habe französische Wörter enthalten: „Die maison militaire". 88 Aus Wasserziehers Beispielsatz, „dank der Siege unseres tapferen Heeres", ist nicht ersichtlich, auf welchen Krieg er sich bezieht. 89 Das folgende Beispiel scheint aus dem 1. Weltkrieg zu stammen: „Tiefbetrübt erhielten wir die erschütternde Nachricht, daß unser lieber Sohn an einer sich im Felde zugezogenen Krankheit im Lazarett zu X gestorben ist." 90 Wasserzieher merkt dazu an: „Man ist nicht tiefbetrübt, ehe man die Nachricht erhielt; statt 'sich zugezogenen' Krankheit muß es natürlich heißen, Krankheit, die er sich zugezogen hatte." 91 Auch Stubenrauch/Wustmann stellt den richtigen Gebrauch des Konjunktivs anhand einer Kriegs situation dar: ,,[E]r hatte vor seinem Tode den Wunsch geäußert, die Soldaten mögen (möchten!) nicht auf seinen Kopf zielen [.. ,]." 92 Diese Kriegsbeispiele deuten auf eine selbstverständliche Annahme des Kriegsgeschehens. In Anbetracht des traurigen und fürchterlichen Inhalts der Beispiele bei Wasserzieher und Stubenrauch/Wustmann (Verlust des Sohnes, Bild einer Exekution) erscheinen die Sprachfehler äußerst banal. Die Unbekümmertheit der WR84
Wustmann 1923:101. Vielleicht sind das Überbleibsel der Originalausgabe von 1891, die eindeutige antisemitische Züge trug, besonders in der Einleitung (1891:3-32). Es gibt die Einleitung in der Ausgabe von 1923 nicht mehr, vgl. dazu auch Meyer 1993:255-6.
85
Wustmann 1923:123. Wasserzieher 1925:47 („Geschichte der Freiheitskriege").
86
Engel 1931:77.
87
Engel 1931:266, 34. Siehe auch Schneider 1930:78 („Weltkrieg").
88
Engel 1931:266.
89
Wasserzieher 1925:24, auf S. 54: „Kriegsgefangene" im Beispiel.
90
Wasserzieher 1925:30.
91
Wasserzieher 1925:30.
92
Wustmann 1923:101.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
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Stilautoren bei der Wahl dieser Beispiele ließe sich vielleicht damit erklären, dass Kriege und das Elend, das sie bringen, zum nationalen Alltag gehörten. Politische Figuren und die politische Einstellung tauchen auf, wenn es bei Wasserzieher heißt: „Der Kaiser kommt zur Einweihung" 93 und „er ist republikanisch gesinnt". 94 Engel beklagt das fehlende sprachliche Ehrgefühl und die mangelnde Sprachpflege im öffentlichen Leben und spielt dabei u. a. auf das Vielparteiensystem in der Weimarer Republik an: „Deutschnationale, Demokraten und Sozialisten beider Flügel, Nationalsozialisten, Agrarier und Anarchisten, Juden und Antisemiten, alle, alle lassen sich in holder Eintracht dieses Verschandeln der Deutschen Sprache gefallen und wirken unterstützend oder doch duldend dabei mit." 95 Schneider illustriert einen echten Beziehungssatz mit den Worten: „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre." 96 Stubenrauch/Wustmann benutzt eine außenpolitische Situation für sein Beispiel zum Gebrauch des Modeworts „zwecks": ,,[E]in Bündnis Englands mit Russland zwecks Niederhaltung Deutschlands". 97 Beim Lob der tapferen, ruhmreichen Soldaten und bei dem Appell an das nationale Ehrgefühl wird eine nationale Gesinnung der WR-Stilautoren ganz deutlich. National-defensiv ist auch die Darstellung der europäischen Nachbarstaaten mit ihrer vermeintlich deutschfeindlichen Haltung. Die außenpolitische Situation wirkt problematisch und spannungsgeladen. 2.1.6.2 Verbindung von Sprache und Nation Eine wichtige politische Funktion der deutschen Sprache ist ihre Funktion als Nationalsymbol. Sie manifestiert sich durch die Verbindung von Sprache und Nation, die von allen vier WR-Stilautoren in unterschiedlichem Maße erwähnt und betont wird. Stubenrauch/Wustmann impliziert diese Verbindung lediglich, wenn er zur Sprachpflege aufruft: „Man pflegt jetzt eifrig die 'Volkskunde', sucht überall die Reihe volkstümlicher alter Sitten und Gebräuche zu retten und zu erhalten. Gehört dazu nicht vor allem die Sprache des Volks?" 98 Wasserzieher dagegen stellt die eindeutige Gleichung auf: „Erhöhtes Sprachgefühl und Sprachbewußtsein haben im Gefolge erhöhtes 93
Wasserzieher 1925:17; weitere Beispiele mit dem Kaiser auf S. 25, 33, 34, 48.
94
Wasserzieher 1925:32; auf S. 44 „Roosevelt" und auf S. 46 „der Reichskanzler".
95
Engel 1931:267.
96
Schneider 1930:249. Auch Wustmann 1923:239: ,,[D]as nationale Gefühl ist durch Jahrhunderte lange Trennung geschwächt."
97
Wustmann 1923:305.
98
Wustmann 1923:40 (Fußnote 1).
48
Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
Volksbewußtsein" und zitiert die Bandmetapher: „Nur noch ein einzges Band ist uns geblieben, das ist die Sprache, die ihr sonst verachtet. Nun müßt ihr sie als euer Einzges lieben."99 Für Schneider ist eine „gefestete[...] Sprache" wichtig für die staatliche Einheit, den geistigen Verkehr und die Volksgemeinschaft.100 Auch für Engel sind Sprachbewusstsein und Volksbewusstsein eng mit einander verbunden. „Ohne Sprachgefühl kein Volks- und Staatsgefühl".101 Sprachpflege bedeute Dienst am Vaterland, denn schließlich schulde der Deutsche seiner Muttersprache „nichts Geringeres als ein Vaterland": „Vor allem andern war es [das Buch Deutsche Stilkunst] gemeint als Dank aus den Tiefen des Herzens für den Heimatstolz, die Arbeitsfreuden, die Kunstentzückungen, die ich dir, ο Muttersprache, reichste aller Zungen, schulde."102 Die obigen Zitate illustrieren in welchem Maße die deutsche Sprache nach Meinung der WR-Stilautoren das Nationalbewusstsein und die Gemeinschaft formt und bestimmt. Diese nationsstiftende Funktion der Sprache ist ein zentrales Element der Sprachauffassung der WRStilautoren, da sie ihre Sprachpflege-Mission begründet. Aus ihr leiten die WR-Stilautoren auch ihre Forderung nach Sprachpflege durch die Allgemeinheit ab. Sprachpflege ist erste Bürgerpflicht, denn durch die enge Verbindung von Sprache und Nation bedeutet Sprachpflege gleichzeitig Pflege der Volksgemeinschaft und der Nation. Was für eine ernste und ernstzunehmende Angelegenheit die Sprachpflege ist, zeigt sich zudem an der emotionalen Ausdrucksweise. Sprachpflege wird zur Herzensangelegenheit, wie WR-Stilautor Engel es so treffend ausdrückt. 2.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich Nach den eher 'innenpolitischen' Funktionen der Sprache (Sprache als gesellschaftlicher und politischer Zeitspiegel Deutschlands; Sprache als Nationalsymbol) betrachten wir nun einen konkreten 'außenpolitischen' Aspekt der deutschen Sprache, um mehr Licht auf die Funktion der Sprache auf politischer Ebene zu werfen. Dazu dient die Frage: Wie steht die deutsche Sprache nach Einschätzung der WR-Stilautoren im Fremdsprachenvergleich da? Engel, Schneider und Wasserzieher betrachten insbesondere die französische Sprache hinsichtlich der Sprachpflege und der Sprachpflegeinsti99 100 101 102
Wasserzieher 1925:10, 4. Schneider 1930: IX. Engel 1931:265. Engel 1931:XI. Dort auch: „Was kann ich für die Heimat tun, bevor ich geh' im Grabe ruhn?"
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
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tutionen als vorbildlich und beispielhaft und in diesem Punkt der deutschen Sprache durchaus überlegen. Die Franzosen pflegten ihre Sprache liebevoll, achteten und ehrten sie wie ein Heiligtum und betrachteten sie als ein kostbares Vermächtnis ihrer Ahnen. Einfache Franzosen handhabten ihre Sprache geschickter als die deutschen Gebildeten ihre Muttersprache. Wie in Frankreich sollte in Deutschland „jeder Volksgenosse [...] mit Achtung, Liebe, Ehrfurcht das Heiligste behandeln, was wir außer der Religion besitzen: unsere Muttersprache." 103 Es wird deutlich, dass insbesondere Frankreich ein beneideter Nachbar hinsichtlich Sprachzustand und Sprachpflege für die WR-Stilautoren ist. Ihrer Meinung nach hat die Sprache dort schon einen Zustand erreicht (gepflegt, von allen Sprachteilnehmern beherrscht und geliebt), den sie sich für Deutschland erhoffen. Inwieweit sich ihre Behauptungen auf echte Informationen über den Sprachzustand in Frankreich stützen oder inwieweit es sich bei ihrem Eindruck um ein Vorurteil handelt, da sie vom politischen Zustand (eine geeinte Nation) den sprachlichen (eine geeinte Sprache) ableiten, ist nicht klar. Für die mangelnde Liebe zur Muttersprache und Sprachpflege in Deutschland identifizieren die WR-Stilautoren die vermeintlich typisch deutsche Veranlagung, das Fremde aus Eitelkeit, „Schwindelprotzertum", Wichtigmacherei und Vornehmtuerei mehr zu lieben als das Heimische. 104 Engel betrachtet die Leidenschaft für das Fremde als Urtrieb der deutschen Seele; der Reiz des Fremden habe feindselig gegen das eigene Volkstum gewirkt. 105 Fleiß und Eifer beseelten den Deutschen beim Erlernen fremder Sprachen mehr als bei der Pflege der Muttersprache. 106 Den Deutschen mangele es an sprachlicher Selbständigkeit, sie misstrauten der Ausdruckskraft der eignen Sprache. 107 Der Vorwurf der mangelnden Sprachpflege, des mangelnden Vertrauens in die eigene Sprache und des fehlenden sprachlichen Selbstbewusstseins gründet sich auf das völkerpsychologische Vorurteil der WR-Stilautoren, dass die übertriebene Liebe des Fremden irgendwie bei den Deutschen seelisch verankert sei. Dieser Vorwurf ist nicht neu, denn schon im 17. Jahrhundert warf der Sprachforscher Justus Georg Schottelius den Deutschen „Frömdgierigkeit" vor. 108
103 104 105 106 107 108
Wasserzieher 1925:4, 6,10, 14, 49. Ähnlich Engel 1931:7, 50,192 und Schneider 1930:IX. Wustmann 1923:320, 332-333. Engel 1931:212,166-8, 259. Engel 1931:515. Wasserzieher 1925:10-11. Schneider 1930:205. Engel 1931:96. Vgl. Alan Kirkness, Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789-1871, 2 Bände (Tübingen: Verlag Gunter Narr, 1975), I, S. 37.
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Während die deutsche Sprache im Hinblick auf ihre Pflege der französischen Sprache unterlegen zu sein scheint, deutet sich bei den WRStilautoren ein gewisser Sprachenstolz an, der sich u. a. auf die Fähigkeit der Wortzusammensetzungen im Deutschen gründet. Stubenrauch/ Wustmann kommentiert den Spott der seiner Meinung nach unwissenden Engländer und Amerikaner über lange Wortzusammensetzungen im Deutschen mit einem bissigen Vergleich: „Das Englische kennt scheinbar keine Wortzusammensetzungen. Die Wörter kollern da aufs Papier wie die Pferdeäpfel auf die Straße."109 Wasserzieher bezeichnet Wortzusammensetzungen als „herrliche Fähigkeit der deutschen Sprache", warnt aber davor, sie zu missbrauchen.110 Engel teilt Wasserziehers Ansicht. Das Deutsche lasse in Bezug auf Wortzusammensetzungen alle europäischen Sprachen weit hinter sich zurück; dafür seien die anderen Sprachen aber geschützt vor „geschmacklose [n] Wortzusammensetzungen" wie bspw. „Persönlichkeitsglaubensbekenntnis", „Reichskanzleramtspräsidentenstelle" oder „Puritinkesselsteinverhinderungsmittelerzeugungsgesellschaft".111 Die WR-Stilautoren Stubenrauch/Wustmann, Wasserzieher und Engel leben aber ihre Liebe zur deutschen Sprache und ihren Sprachenstolz nicht auf Kosten anderer Sprachen aus.112 Engel sieht das so: die deutsche Sprache sei wettbewerbsfähig, sie könne sich „an Adel und feinstem Reize der Form mit der jedes noch sprachkünsderischen Volkes messen", andererseits halte „jedes ehrliebende Volk auf dem weiten Erdenrund" seine eigene Sprache für die „schönste, reichste, edelste".113 Ein anderes Bild im Fremdsprachenvergleich bietet sich mit WRStilautor Schneider. Für ihn ist die deutsche Sprache eindeutig überlegen: Die Fähigkeit unserer Sprache, durch Zusammensetzung vorhandener Wörter in weitem Umfang neue Wortgebilde zu schaffen, stellt ohne Zweifel einen ihrer größten Vorzüge, vielleicht ihren größten dar; das dem Französischen oder Englischen so unendlich überlegene Ausdrucksvermögen des Deutschen, seine unvergleichliche Schmiegsamkeit, die ihm fur die feinsten Inhalte und Bewegungen des Geistes und für alle Regungen und Erschütterungen der Seele aus eigenem Sprachgut Ausdruckswerte entströmen läßt, beruhen neben dem von Hause aus reicheren Wortschatz vor allem auf dieser Fähigkeit, und die sprachliche Schöp-
109 Wustmann 1923:155. 1 1 0 Wasserzieher 1925:5. Aber auf S. 55-56 negativ über „besonders lange Zusammensetzungen". Zum 'Sprachenstolz' siehe S.10, wo er im Zusammenhang mit der Sprachpflege bemerkt: „Und wir sollten unsere so viel reichere und wertvollere deutsche Sprache nicht ebenso achten und ehren wie die Franzosen die ihre?" 1 1 1 Engel 1931:63 (Bei diesen Beispielen handele sich nicht um erfundene Wörter!). 1 1 2 Zu Engel vgl. auch Ickler 1988:298. 1 1 3 Engel 1931:1, 267. Auch im konkreten Fremdsprachenvergleich auf S. 53 schneidet Deutsch bei Engel nicht überlegen ab. Deutsch sei formenreicher als Englisch, jedoch formenärmer als alle übrigen Hauptliteratursprachen.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der WR-Stilautoren
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ferkraft unserer großen Geister hat v o n jeher a m sichtbarsten in W o r t s c h ö p f u n gen dieser A r t ausgesprochen. 1 1 4
Er betrachtet also die „Wortzusammensetzungen" im Gegensatz zu Engel und Wasserzieher als eindeutigen Vorzug. Das zweite „Uberlegenheitsmerkmal" des Deutschen ist für Schneider die Beugung. Allerdings sei sie gefährdet, wie das bloße Nebeneinander von Hauptwörtern in „Löwenbräu München" (statt „Münchener Löwenbräu") und „Studentenhilfswerk Hamburg" (statt „Hamburger Studentenhilfswerk") beweise. Er wertet diese unflektierte Aneinanderreihung als „rückläufige Bewegung", die von „der erreichten hohen Stufe der Wiedergabe geistiger Inhalte" wieder zu einem „roheren Zustand" zurückführe, wie er im Chinesischen, in manchen „Negersprachen", in gewissem Umfang auch im Französischen und im heutigen Englischen vorliege.115 Mit diesen Aussagen steht WRStilautor Schneider in der Tradition des 19. Jahrhunderts, wo die Praxis des Vergleichs von Sprachen eurozentrisch geprägt war und Sprachen in eine wertende Hierarchie gebracht wurden, in dem stets der flektierende Sprachtyp dominierte. Schneiders Verbindung einer „hohen Stufe der Wiedergabe geistiger Inhalte" mit bestimmten grammatischen Strukturen impliziert eine Herabsetzung von Sprachen, denen es an solchen Strukturen mangelt. Diese Haltung schafft die Grundlage dafür, dass „unterschiedliche sprachliche Inhalte bzw. Strukturen und damit Weltansichten von Nationen bzw. Völkern [...] dann als qualitativ vermeintlich überoder unterlegen gegeneinander ausgespielt werden [können]."116 Damit entsteht die Basis für ein nationalistisch geprägtes Weltbild. Abschließend können wir festhalten, dass die Einstellung der WRStilautoren in Bezug auf den Vergleich der deutschen Sprache mit Fremdsprachen auf der Skala von 'gleichberechtigte Sprache' über 'Sprachenstolz' bis 'überlegene Sprache' wandert und somit kein einheitliches Bild liefert. Während Stubenrauch/Wustmann, Wasserzieher und Engel ihren Sprachenstolz andeuten, präsentiert Schneider die deutsche Sprache auf Kosten anderer Sprachen als überlegen und weist durch die implizite Herabsetzung der anderen Sprachen nationalistische Tendenzen auf. 117 Seine Argumente sind allerdings auf sprachwissenschaftlicher Ebene leicht zu widerlegen. Engel fällt unter den WR-Stilautoren auf, indem er ein gleichberechtigtes Nebeneinander der Sprachen und die Liebe jeder Nation zu ihrer Sprache akzeptiert. In diesem Punkt ist er ein eindeutiges Gegen-
114 115 116 117
Schneider 1930:138-9. Schneider 1930:170. Gardt 1999:238,303. Vgl. Gardt 1999:303.
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stück zu Schneider und auch viel besser als sein Ruf, ein fanatischer Deutschtümler und militanter Chauvinist zu sein.118
2.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der WR-Stilautoren In dieser Abteilung soll die Stilauffassung der WR-Stilautoren untersucht werden, indem die Aussagen zum Stil (2.2.1), fünf Stilanweisungen (2.2.2) und die Vorbilder für 'gutes Deutsch' (2.2.3) untersucht werden. Aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte von Sprachratgebern und Stillehren kommen die meisten Aussagen zum Stil (2.2.1) aus Engels Deutscher Stilkunst. Stubenrauch/Wustmann, Wasserzieher und Schneider äußern sich nur fragmentarisch zum Thema Stil, was darauf schließen lässt, dass sie kein durchdachtes oder ausgefeiltes Stilkonzept haben. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da sie sich in der Subsorte Sprachratgeber hauptsächlich auf der Stufe der Sprachlehre oder der Sprachrichtigkeit bewegen, die für sie gleichbedeutend für 'gutes Deutsch' und eine gute Ausdrucksweise ist. Engel betrachtet die Sprachrichtigkeit als selbstverständliche Voraussetzung und konzentriert sich in seiner Stillehre auf Fragen des Ausdrucks und des Stils.119 Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung der Stilanweisungen nicht die sprachwissenschaftliche Prüfung und Kritik der Stilanweisung im Vordergrund steht, sondern das Herausarbeiten ihrer Begründungen.
2.2.1 Aussagen zum Stil 2.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters Für Engel gibt es nur den subjektiven Stil, der einerseits Charaktersache andererseits Erziehung ist. Er teilt und zitiert Schopenhauers Ansicht, dass der Stil durch den Charakter des Schreibers bedingt sei: „Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher als die des Leibes. [...] Der Stil zeigt die formelle Beschaffenheit eines Menschen, welche sich stets 118 Zu Engel als Deutschtümler und Chauvinist siehe Peter von Polenz, „Sprachpurismus und Nationalismus", in Germanistik eine deutsche Wissenschaft, Eberhart Lämmert (Hrsg.), (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1967), S. 111-165 (S. 116). Von Polenz sagt auf S. 116, dass Engels' Purismus in der Tonart selbst von den nationalsozialistischen Sprachreinigern nicht mehr überboten werden konnte. 119 Engel 1931:V-VI. Zum Aufbau der Deutschen Stilkunst. Nur Buch [=Kapitel] 2 beschäftigt sich mit Sprachrichtigkeit, während sich sieben andere Bücher/Kapitel auf den Stil und Ausdruck (Grundfragen, Ausdruck, der Satz, der Aufbau, der Ton, Schönheit, Stilgattungen) konzentrieren.
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gleichbleiben muß, was und worüber er auch denken möge." 120 Engel fügt hinzu: „Stil [...] ist die Seele des Schreibers." 121 Er steht auf dem Standpunkt, dass der Mensch weder sein Inneres von Grund aus wandeln noch seine Persönlichkeit verleugnen könne und dass sich diese Persönlichkeit, dieses Innere durch den Stil ausdrücke. 122 Der Stil wird zum Abbild der Persönlichkeit. Diese Ansicht teilt Schneider, für den Stil „letztlich persönlicher Wesensart" entstammt. 123 Engel glaubt zudem an die Lehrbarkeit des guten Stiles durch Charakterschulung. Gute, durch den äußeren Einfluss zum Teil verdeckte oder verdorbene Veranlagungen könnten mit Selbsterkenntnis und gutem Willen wieder belebt und ausgebaut werden.124 Engel steht mit seiner Auffassung, der Stil sei Ausdruck des Charakters, in der Tradition des späten 18. Jahrhunderts in Deutschland. Zu der Zeit erfuhr die Auffassung der Prägung des Stils durch die Persönlichkeit des Autors durch Buffons Antrittsrede in der Academie Frangaise („Le style c'est l'homme meme") eine größere Resonanz und wurde auch von den Klassikern Herder, Lessing, und Goethe angenommen: „Im ganzen ist der Styl eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Innern. (Goethe)". 125 Die Ableitung von Charaktereigenschaften aus dem Stil ist jedoch problematisch, da viele große Demagogen der Weltgeschichte blendende Stilisten waren, aber keineswegs auch charakterlich vorbildlich.126 Den 'guten Stil' definiert Engel, indem er mit Gegensätzen arbeitet. Der „Urgrund aller echter Stilkunst" sei „die Wahrheit, die Natürlichkeit jedes [...] geschriebenen Wortes", die „unverzeihliche Todsünde des Stils" sei „die Unwahrheit". 127 Der „unwahre[...] Stil" entstehe durch die Eitelkeit des Schreibers, „zum Selbstbespiegeln, zur Schaustellung des eignen unvergleichlichen Ichs". 128 Stilistisch unwahr seien nicht etwa mangelnde Sprachrichtigkeit, eine unbeholfene Ausdrucksweise, ein schwerfälliger Satzbau oder ungeordnete Gedanken, denn diese Fehler ließen sich beheben. Stilistisch unwahr ist für ihn „der geckenhaft gesuchte Ausdruck, die geistreiche Bilderei, das überflüssige Lesefrüchteln, das Prunken mit eilig zusammengerafftem Lesewissen, das eitle Auskramen von Brocken aus 120 Engel 1931:21. 121 Engel 1931:21. 122 123 124 125
Engel 1931:22, 13-14,381. Schneider 1930:X. Engel 1931:23-4, 461, 462. Sowinski 1999:21. J. G. Hamann hat Buffons Antrittsrede 1776 editiert. Goethe-Zitat auch bei Engel 1931:22. 126 Siehe Willy Sanders, Gutes Deutsch - besseres Deutsch, 3. Auflage (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996), S. 261. 127 Engel 1931:VII, 13. 128 Engel 1931:19.
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allen möglichen fremden Sprachen, die verstiegene Fremdwörtelei, die 'preziöse', sich kostbar machende, Vornehmtuerei, die Unnatur des Schwulstes." 129 Der Urgrund aller Stillaster ist für Engel ein Charakterfehler, die „Unwahrhaftigkeit im Seelenkern des Schreibers". 130 Vorbildlich oder stilistisch wahr sei „das Freisein von Eitelkeit", ein Merkmal des Klassischen oder Bleibenden. Jeder redliche Schreiber versuche, die Eitelkeit zu bekämpfen. Das Freisein von Eitelkeit drücke sich durch die Anwendung des geringsten Mittels oder die Schlichtheit aus.131 Für Engel gibt es also nur zwei Stilarten, die er ganz klar ausweist, bewertet und als Gegensatz darstellt: den guten und den schlechten Stil. Zur Darstellung der Stilarten wählt Engel ganz bestimmte Begriffe, ohne diese Wahl zu begründen. Er benutzt die von ihm nicht weiter erklärten, aber inhaltsträchtigen, moralisch wertenden Begriffe Wahrheit/Natürlichkeit und Unwahrheit/Unwahrhaftigkeit und lädt sie durch die Wortwahl emotional auf (Unwahrheit als „unverzeihliche Todsünde"). Durch den schwarzweißen Gegensatz und die autoritäre, auf Sittlichkeit und Moral basierende Bewertung ohne Begründung entsteht der Eindruck einer kompromisslosen Haltung. Sucht man sich die Gegensätze zu Engels Beschreibung des „unwahren Stils" zusammen, so entsteht für einen guten Stilisten das Bild eines gebildeten, ehrlichen und bescheidenen Patrioten. Gebildet, weil er über 'Lesewissen' verfugt; ehrlich oder redlich und bescheiden, weil er der Versuchung widersteht, sich zu profilieren und nicht eitel ist; patriotisch, weil er sich 'deutsch' ausdrückt, d.h. Brocken aus fremden Sprachen und Fremdwörter vermeidet. Erinnern wir uns zudem, dass Sprachpflege für Engel Dienst am Vaterland ist, so ist das Streben nach einem guten Stil die Pflicht eines jeden Bürgers mit nationalem Ehrgefühl. 2.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil Engel, Schneider und Stubenrauch/Wustmann ziehen eine Verbindung zwischen Denken und Sprache und Stil. Engel transponiert Stil von der Ebene des Geistes auf die Ebene der Ausdrucks form, wenn er sagt: „Schriftlicher Stil ist sprachliche Gedankenform." 132 Schneider beschreibt
129 Engel 1931:13. 130 Engel 1931:13. 131 Engel 1931:15, 58, 389-396. Im Gegensatz zu Engels Stiltheorie siehe Nebenbemerkung bei Stubenrauch/Wustmann (1923:234) wo es heißt, fließender Stil beruhe „zum größten Teil [...] auf gewissen technischen Handgriffen beim Satzbau." Auf S. 241: von der Lehrund Lernbarkeit der Technik der Schriftstellerei. 132 Engel 1931:9. Vgl. Willy Sanders, Linguistische Stiltheorie (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1973), S. 14.
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den Stil als eine „eng mit dem Inhalt verbundene Art des Gedankenausdrucks". 133 Für Stubenrauch/Wustmann ist „die Klarheit des Denkens und die Folgerichtigkeit der Gedankenentwicklung" Voraussetzung für einen fließenden Stil.134 Diese Aussagen werden nicht weiter erläutert oder ausgeführt und wir können nur vermuten, dass die WR-Stilautoren ihre Auffassungen aus der Sprachvergangenheit übernommen haben. Die Annahme einer engen Verbindung von Sprache und Denken findet sich bei Leibniz und Christian Wolff im deutschen Rationalismus des 18. Jahrhunderts. Entscheidendes Kennzeichen der rationalistischen Sprachgebundenheit des Denkens ist, dass die Prägung des Denkens durch die Sprache grundsätzlich erkennbar ist. Wo sie zu falschen Urteilen über die Wirklichkeit führt, ist sie korrigierbar. Im 19. Jahrhundert geht Wilhelm von Humboldt von der Annahme aus, dass die Sprache das Denken konstituiert, sie sei „das bildende Organ des Gedankens". 135 Auf das 19. Jahrhundert verweist auch die Verbindung von Denken und Stil, deren Gleichsetzung durch Arthur Schopenhauer etabliert wurde. Heutzutage geht man davon aus, dass der sprachliche Aufbau keine einfache Widerspiegelung des Gedankenaufbaus ist und die Sprache nicht Ausdruck eines fertigen Gedankens ist. 136 Im Gegensatz zu der nicht weiter erläuterten Verbindung von Denken und Sprache/Stil führen die WR-Stilautoren eine Reihe von Voraussetzungen für den guten Stil an. Nach Engel und Wustmann/Stubenrauch ist die Stoffbeherrschung die Voraussetzung für das erfolgreiche Schreiben.137 Eine weitere Bedingung des guten Stils ist für Engel „die sorgsame Rücksicht auf den Leser". 138 Besonders schwierig sei es, für eine unbekannte, zusammengewürfelte Lesergruppe zu schreiben, leichter hingegen, für einen begrenzten, dem Autor bekannten oder „ihm bildungsverwandten Leserkreis" zu schreiben. 139 Daher gelte der Grundsatz: „Höchste Zweckmäßigkeit ist höchster Stil."140 Zweckmäßigkeit bedeutet bei Engel, die einzelnen Stilarten der Situation, dem Gegenstand und den Lesern anzupassen, um die Leser durch die „lückenlose Gedankenvermitdung" zu überzeugen: „Ob im einzelnen Falle dichterischer oder prosaischer Stil, feierlicher oder alltäglicher, ernster oder heiterer, stiller oder bewegter, 133 Schneider 1930:X. 134 Wustmann 1923:234. 135 Vgl. Gardt 1999:234-5. 136 Sowinski 1999:4-5 bezieht sich auf L.S. Wygotski. Detailliert zu Denkstil und Sprachstil auch Sanders 1996:31. 137 Engel 1931:15-16, 84. Wustmann 1923:234. 138 Engel 1931:11. 139 Engel 1931:12. 140 Engel 1931:10.
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schlichter oder geschmückter Stil vorzuziehen, ist einzig nach dem Zweck des Schreibenden und seiner Schrift zu entscheiden." 141 So zwinge bspw. der Gegenstand den Schreiber zu einem bestimmten Ton und Stil. „Zusammenklang von Gegenstand und Ton ist Stil, ist innere Form;" 142 oder anders ausgedrückt: „Jeder Gegenstand hat seinen Stil; der Widerspruch zwischen Gegenstand und Stil ist die Stillosigkeit oder Stilwidrigkeit." 143 Anders als in der moralisch wertenden Stiltheorie mit ihren charakterlichen Ansprüchen klingen die Voraussetzungen für das gute Schreiben mit der Stoffbeherrschung, der Rücksicht auf den Leser, mit dem Erwägen verschiedener Stilebenen und der Forderung nach Zweckmäßigkeit nach emotionslosen, sinnvollen Kriterien, die einleuchten und ideologisch unbelastet sind. Tatsächlich handelt es sich um zeitlose Forderungen für effektives Schreiben, die jedoch nicht leicht zu verwirklichen sind.144 Engels Aussagen über die 'Zweckmäßigkeit' würde man heutzutage als 'Angemessenheit in Ton und Sache' beschreiben, ein seit der Antike gültiges Postulat, das als Stilideal im 19. Jahrhundert wieder auflebt und bis heute von Bedeutung ist.145
2.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen Betrachten wir nun eine Auswahl von Stilanweisungen, die in ihrer Verschiedenheit einen Einblick darüber geben soll, was vor dem Hintergrund der Sprachauffassung und der Stiltheorie 'gutes Deutsch' konkret bedeutet. Aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte in Stillehren und Sprachratgebern finden sich nicht alle fünf Stilanweisungen bei allen vier WR-Stilautoren wieder. Die einzelnen Anweisungen finden sich aber immer bei mindestens zwei WR-Stilautoren.
141 Engel (1930:9, 10, 13, 470-514) unterscheidet dort zwischen sechs Stilgattungen: Belehrungsstil oder wissenschaftlicher Stil, Zeitungsstil, Kunstschreiberstil, Kanzleistil, Rednerstil und Briefstil. 142 Engel 1931:380. 143 Engel 1931:385. 144 Vgl. bspw. Sanders 1996:126: „[...] zwischen Wahrnehmung oder Vorstellung eines Sachverhalts und seiner verbalen Darstellung liegen komplizierte Vorgänge der gedanklichen Verarbeitung." 145 Sanders 1996:123. Nickisch 1975:216. Marie-Luise Linn, Studien ?ur deutschen Rhetorik und Stilistik im 19. Jahrhundert (Marburg: N.G. Elwert Verlag, 1963), S. 102.
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2.2.2.1 „Schreibe, wie du sprichst!" 146 Zwei WR-Stilautoren empfehlen die Sprechsprache aus verschiedenen Gründen als Orientierungspunkt für die Schriftsprache. Stubenrauch/ Wustmann geht vom Gegensatz 'lebendige, gesunde Sprechsprache/Sprache des Volkes' - 'unlebendige, gekünstelte Schreibsprache/ Papiersprache' aus.147 Obwohl er die Regel 'Schreibe, wie du sprichst' nicht wörtlich empfiehlt, betrachtet er die Sprechsprache als Orientierungspunkt für die geschriebene Sprache: Jeder, der „unbefangen schreibt, aus der lebendigen Sprache [...] in die Feder", schreibe grammatisch oft richtig, erst durch das „Drechseln und Feilen" entstünde die „Unnatur". 148 Damit weist er die gesprochene Sprache als Weg zur korrekten Schriftsprache aus. Im Gegensatz zu Stubenrauch/Wustmann verweisen Wasserzieher und Engel auf die potentielle Fehlerhaftigkeit und der Unmittelbarkeit der Sprechsprache. 149 Wasserzieher warnt davor, den oft fehlerhaften mündlichen Ausdruck als Maßstab zu nehmen und empfiehlt das sorgsame Uberarbeiten der Schriftsprache. 150 Anders als Wasserzieher nimmt Engel die Fehlerhaftigkeit der Sprechsprache als Preis für die „Tugend" der „Lebensechtheit" gern in Kauf. Die Schule und verschiedene Einflüsse im Leben hätten dem Schreiben die Lebensechtheit genommen. Daher empfiehlt Engel die „Rückkehr zur eigenen Natur" durch die Orientierung am „eigentlichen" Redestil.151 Anzustreben sei allerdings die gehobene Redesprache: „Schreibe, wie du aus Achtung vor dir und dem besten deiner Leser sprechen würdest, und dieser beste Leser kann ein weiser Fürst sein oder gar der Fürst der Schriftsteller." 152 Stubenrauch/Wustmann und Engel ähneln sich insofern, als dass sie die Orientierung an der Sprechsprache empfehlen, weil sie mit dieser Sprachform positive Eigenschaften wie Lebendigkeit und Lebensechtheit assoziieren. Wie wir in der Sprachauffassung sahen, war es den WRStilautoren wichtig, der deutschen Sprache die Eigenschaften und vermeintlich germanischen Tugenden von Leben und Kraft zuzuweisen (2.1.5). Stubenrauch/Wustmann verbindet die Sprechsprache ebenfalls 146 Engel 1931:26. 147 Wustmann 1923: Sprechsprache positiv auf S. 168-9, 305-6, 312. Schreibsprache negativ auf S. 57, 75, 8 5 - 6 , 1 0 1 , 118, 119, 137, 181, 218, 226, 266, 268, 279, 312, 307, 196, 251. 148 Wustmann 1923:226-7 (Fußnote). 149 Engel 1931:25-26. A u f S. 25 spricht Engel über den „Vorsprung alles Gesprochenen" durch „Haltung, Stimmklang, Redepuls, Atem, Augenblitz, Muskelspiel des Antlitzes, Geberden." 150 Wasserzieher 1925:11. 151 Engel 1931:26. 152 Engel 1931:26-27.
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Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
mit dem für die WR-Stilautoren zentralen Aspekt der Sprachrichtigkeit (2.1.4), während Engel im Gegensatz dazu und mit Recht auf ihre potentielle Fehlerhaftigkeit verweist. 153 Engel akzeptiert die Fehlerhaftigkeit jedoch als Preis für die tugendhafte Lebensechtheit der Sprechsprache, allerdings nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick fordert er auch das Beachten der Sprachregeln (2.1.4), da sein Maßstab die gehobene Redesprache ist. Zudem scheint Engel die gehobene Form der Redesprache mit einem bestimmten Klassenverständnis und einem gewissen Bildungsanspruch zu verbinden, denn mit dem „besten Leser" und „dem weisen Fürst" oder dem „Fürst der Schriftsteller" orientiert er sich an der gebildeten Klasse, die ein gutes Deutsch spricht. Damit besteht die Gefahr eines Widerspruches in Engels Vorwurf, die Schule, also das Bildungssystem, verderbe den Stil, wenn er die gehobene Sprechsprache als Ausdrucksziel darstellt. Diese gehobene Sprechsprache erwirbt man nämlich in erster Linie durch die Bildung und das Bildungssystem. Bei Engel deutet sich die Auffassung von Stil als Ausdruck des Charakters an (2.2.1), wenn er die Sprechsprache mit einer „tugendhaften Lebensechtheit" belegt, die durch ihre eingeschlossene Wirklichkeitsnähe und Unverdorbenheit an Ehrlichkeit erinnert. Bei Stubenrauch/Wustmann findet sich der aus Abteilung „Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen" (2.1.5) bekannte schwarzweiße, emotional aufgeladene Gegensatz von Leben (lebendig) und Tod (unlebendig) in den Sprachregistern der gesprochenen und geschriebenen Sprache wieder. Die Spontaneität und Lebendigkeit der gesprochenen Sprache ist zwar einleuchtend, doch die prinzipielle Verschiedenheit zwischen Gesprochenem und Geschriebenem in den Gegensatz von 'Leben' und 'Tod' zu zwängen ist künstlich und basiert auf der subjektiven Antipathie von Stubenrauch/Wustmann der Schreibsprache gegenüber. 2.2.2.2 „Brauche, wo es irgend möglich ist, Zeitwörter!" 154 Drei WR-Stilautoren betonen die Wichtigkeit der Zeitwörter für gutes Deutsch und einen guten Stil. Nach Stubenrauch/Wustmann erhielten die Zeitwörter den Satzbau geschmeidig und flüssig und verhinderten, dass Sätze „beschwert" oder „schleppend" würden. 155 Engel erinnert: „Im Anfang war die Tat!" und fordert „Verbum! Leben! Handlung! Leidenschaft!" 156 Er empfiehlt den verstärkten Gebrauch des Zeitwortes zur 153 Bei Sanders (1996:46) heißt es, dass die Sprechsprache oft Defizite wie unschickliche Saloppheit oder potentielle Fehlerhaftigkeit aufweise. 1 5 4 Wasserzieher 1925:4. 155 Wustmann 1923:237. 156 Engel 1931:68 (Goethe-Zitat), 360 (Herder-Zitat).
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Stilbelebung. 157 „Wer das Zeitwort [grammatisch] beherrscht, der beherrscht die Sprache und ist auf dem Wege zum Stil." 158 Wasserzieher rät in seiner Zusammenstellung der wichtigsten sieben Sprachregeln in der ersten Regel zum Gebrauch von Zeitwörtern, da sie „das Rückgrat der Sprache" seien und ihr „Kraft und Klarheit" gäben. 159 In diesem Zusammenhang konstruieren alle vier WR-Stilautoren den Gegensatz gutes Zeitwort — schlechtes Hauptwort, wobei sie sich bei der Diskussion von Hauptwörtern meist auf Verbalsubstantive beziehen. Schneider weist darauf hin, dass Verbalsubstantive durch die Ableitung von Zeitwörtern entstünden, oft nicht wohllautend seien und die Sprache „klanglich dumpf und schleppend" machten. 160 Auch Wasserzieher bevorzugt Verben, wenn er das Umschreiben von „längstieligefn]" Konstruktionen empfiehlt. Besser als ,,[d]er Vorsitzende gab der Hoffnung Ausdruck" sei „[der Vorsitzende] sprach die Hoffnung aus, oder noch kürzer: hoffte!" 161 Stubenrauch/Wustmann rät dazu, Verbalsubstantive zu vermeiden und stattdessen Verben zu benutzen. Der Einfluss der lateinischen Sprache gilt bei ihm als mögliche Ursache für die „Unsitte" der Verbalsubstantive. 162 Es sollte nicht heißen: „beim Unterbleiben einer baldigen Inangriffnahme des Projekts", sondern „wenn das Projekt nicht bald in Angriff genommen wird".16^ Hier wird der Gebrauch der abgelehnten Verbalsubstantive auf den vermeintlich negativen Einfluss des Lateinischen zurückgeführt, das schon bei der Betrachtung der Aussagen zur Sprachgeschichte als Sündenbock für vermeintlich negative Spracherscheinungen diente (2.1.2.2). Er empfiehlt, „Satz für Satz entzweizuschlagen, mit andern Worten: Satz für Satz aus der Substantivsprache umzuschreiben und in die Satzsprache zu übersetzen." 164 Engel betont, dass das Zeitwort und nicht das Hauptwort die „Wirbelsäule des Satzes" sei.165 Damit impliziert er nicht nur eine Rivalität zwischen beiden Wortarten, sondern er stellt das Zeitwort über das Hauptwort. Er bezieht sich nicht auf das Verbalsubstantiv.
157 Engel 1931:360. 158 Engel 1931:68. 1 5 9 Wasserzieher 1925:4. 160 Schneider 1930:54, 57-58. 161 Wasserzieher 1925:4. 162 Wustmann 1923:236-237. Allerdings heißt es auf S. 237 in Fußnote 2: „Was ist an sich an einem Verbalsubstantiv wie Eroberung auszusetzen? Durch den Missbrauch solcher Hauptwörter wird der Stil schlecht [...] richtig verwendet leistet auch ein solches Wort wertvolle Dienste." Diese Fußnote entfällt in späteren Ausgaben. 163 Wustmann 1923:235-6. 164 Wustmann 1923:237. 165 Engel 1931:68.
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Sprachratgeber und Süllehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
In der Abhandlung der Zeitwörter wird die im Sprachdiskurs festgestellte „Darstellung der Sprache als Lebewesen" mit ihrem Gebrauch der emotionalen Bildersprache (2.1.5) und die in den Stilaussagen erarbeitete Auffassung von Stil als Ausdruck des Charakters (2.2.1) erneut deutlich, wenn die WR-Stilautoren positive Eigenschaften und Tugenden wie Geschmeidigkeit, Handlung, Leben und Kraft mit dieser Wortart assoziieren und sie als Wirbelsäule' und 'Rückgrat' beschreiben. Die WR-Stilautoren arbeiten weiterhin in schwarzweißen Gegensätzen, was sich an der einseitigen Darstellung von 'schlechten' Verbalsubstantiven/Substantiven und 'guten' Zeitwörtern zeigt. Hauptwörter werden verurteilt und Verben vorurteilslos gelobt, ohne die Stilebene oder Verwendungsart in Betracht zu ziehen. Besonders von WR-Stilautor Engel wäre zu erwarten, dass er die Stilebene in Betracht zieht, da ihre Erwägung nach seinen eigenen Angaben eine wichtige Voraussetzung für den guten Stil darstellt.166 Die WR-Stilautoren belegen ihre autoritären, teils aggressiv formulierten Behauptungen nicht (einen ,Satz entzweischlagen"). 2.2.2.3 „Brauche öfter die Tätigkeits- als die Leideform." 167 Analog zum Zeitwort-Hauptwort-Gegensatz stellen zwei WR-Stilautoren einen Aktiv-Passiv-Gegensatz auf. Sie empfehlen den Gebrauch des Aktivs und warnen vor dem Passiv. Wasserzieher rät dazu, die kürzere Tätigkeitsform der längeren, oft pedantisch klingenden Leideform vorzuziehen. 168 Für Engel ist Reden und Schreiben ein Ausdruck bewegter, vorwärts strebender Gedanken. Daher sei das Zeitwort in handelnder Form der Leideform vorzuziehen, da die handelnde Form „Bestimmtheit und Klarheit" ausdrücke, während die Leideform „Umschweif, Abschwächung, Trübung" darstelle. Die Wahl der Leideform billigt Engel nur, wenn der Schreiber aus Bescheidenheit sein Ich in den Hintergrund stellen will.169 Beide WR-Stilautoren, aber besonders Engel, besetzen folglich das Aktiv und das Passiv mit positiven und negativen Begriffen, hinter denen sich konkrete Tugenden und Laster verbergen. Hier deutet sich wieder die Auffassung von Stil als Ausdruck des Charakters an (2.2.1). Das Passiv wird mit der negativen Pedanterie, Umständlichkeit und Schwäche in Verbindung gebracht. Moralische Unaufrichtigkeit wird durch die angebliche 166 Sowinski 1999:111-112 (Der Verbalstil ist bei Erzählungen, Schilderungen und Berichten angebracht, während der Nominalstil eher in wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Texten zu finden ist). 167 Wasserzieher 1925:5. 168 Wasserzieher 1925:4-5, 16. 169 Engel 1931:68-69.
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'Umschweife' und die Trübung' des Passivs angedeutet und steht im Gegensatz zur implizierten 'Aufrichtigkeit' durch die vermeintliche 'Klarheit' des Aktivs. Wieder werden bei der Abhandlung der Genera Verbi sprachliche Pauschalurteile gefällt, ohne zu differenzieren und die Stilebene oder die Textgattung in Betracht zu ziehen.170 2.2.2.4 „Schachde nicht, sondern schreibe Neben- oder Hauptsätze!" 171 An den Anweisungen zum Satzbau zeigen sich inhaltliche Gemeinsamkeiten und individuelle Schwerpunkte der Sprach- und Stilauffassung der WR-Stilautoren. Alle vier WR-Stilautoren sprechen sich vehement gegen Schachtelsätze aus. 172 Stubenrauch/Wustmann und Engel führen Satzbauprobleme und lange, komplizierte Satzkonstruktionen u.a. auf den nachhaltigen negativen Einfluss des Lateinischen und Französischen zurück. Für Stubenrauch/Wustmann geht der Stilfehler, langatmige Attribute zwischen Artikel und Hauptwort einzuschieben, auf das schon bekannte Konto der lateinischen Sprache. 173 Engel sieht in Konstruktionen wie „Cäsar, nachdem er die Gallier besiegt hatte, begab sich nach R o m " eine Nachahmung des lateinischen Satzbaus, der nicht im Sprachwesen des Deutschen wurzele und stellt daran den Einfluss des Lateinischen und Französischen auf das Deutsche fest.174 Ihre Sprachauffassung wird hier insofern deutlich, als dass sie stilistische Satzbaufehler auf den Kontakt mit Fremdsprachen zurückfuhren, also 'undeutsche' Einflüsse der Vergangenheit für Satzbauprobleme verantwortlich machen (2.1.2.2). Des Weiteren gehen Satzbauprobleme für die WR-Stilautoren auf 'Denkfehler' zurück. Schneider vertritt die Ansicht, dass ein guter Satz nicht versuche, einen „zweiteiligen" Inhalt, also zwei Gedanken, in einen einzigen Satz zu forcieren, sondern sich in zwei Sätze aufteile.175 Auch 170 So ist bspw. der Passivmodus typisch und angebracht für wissenschaftliche Texte, da er es erlaubt, das handelnde Subjekt auszuklammern, um so den erörterten Sachverhalt in den Vordergrund zu stellen. Passivformulierungen ermöglichen unterschiedliche Akzentsetzungen im Hinblick auf eine bestimmte Ausdrucksabsicht, vgl. dazu Sanders 1996:204-207. 171 Wustmann 1923:241. 172 Wustmann 1923:241. Engel 1931:308. Wasserzieher 1925:11. Schneider 1930:257 (gegen die „Abart" des Schachtelsatzes). 173 Wustmann 1923:235, z. B.: ,,[M]it einem von dem auf der nach dem Wasser zu gelegenen Veranda aufgestellten Musikkorps des ersten Gardedragonerregiments geblasenen Choral wurde die Feierlichkeit eröffnet." Engel (1931:320) verpönt den „Stopfstil" und zitiert zur Illustration folgendes Beispiel: „Ein ihm zeitgenössischer Meißnischer Pfarrer predigte von der an dem bei der in dem Dorfe Lerche entstandenen unglücklichen Feuersbrunst geretteten Ziegenbocke erwiesenen Gnade Gottes." 174 Engel 1931:308. 175 Schneider 1930:247.
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Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
Wasserzieher empfiehlt, dass jeder Satz nur einen Gedanken enthalten sollte.176 Die Forderung 'ein Gedanke pro Satz' verweist auf den in der Stiltheorie angenommenen Zusammenhang von Denken und Sprache (2.2.1.2).
Die WR-Stilautoren setzen bei ihren Ratschlägen zum Satzbau unterschiedliche Schwerpunkte. Schneider fordert nachdrücklich dazu auf, beim Satzbau die Sprachgesetze einzuhalten. 177 Seiner Meinung nach erreicht man einen guten Satzbau hauptsächlich durch die Einhaltung der Wortordnungsregeln, wobei sich die Sprachrichtigkeit für ihn hauptsächlich an der Sprachvergangenheit orientiert (2.1.4). Stubenrauch/Wustmann legt dem Leser als erste „stilistische Haus und Lebensregelf...]" ans Herz: „Schreibe Neben- oder Hauptsätze!" 178 Auch Engel empfiehlt den Gebrauch von Hauptsätzen und die Abwechslung in der Reihenfolge von Haupt- und Nebensätzen. Allerdings sei das Nebenordnen, also der Gebrauch von Hauptsätzen, „das Hochziel des lebendigen Satzbaues", da Nebensätze „schwächer als Hauptsätze" seien.179 Während an Engels Rat, Haupt- und Nebensätze abzuwechseln, auf den ersten Blick nichts auszusetzen ist, ist seine Verurteilung von Nebensätzen als 'schwach' wieder ein Ausdruck davon, bestimmte Eigenschaften willkürlich auf sprachliche Phänomene zu projizieren (2.1.5). Aus Gründen der Verständlichkeit raten zwei WR-Stilautoren zu kurzen Sätzen. Wasserzieher ist allerdings der einzige, der ausdrücklich kurze Sätze empfiehlt. Bei ihm gilt „Schreib kurz, einfach und natürlich", da langatmige Sätze oft schwerfällig wirkten. 180 Schneider warnt vor langen Sätzen, die leicht unübersichtlich und unklar sein können. 181 Auch Engel ist im Allgemeinen für Kürze, da sie das Verständnis durch klare Gedankenvermitdung erleichtere.182 Allerdings gibt er zu, dass nicht immer die Länge oder Kürze eines Satzes sondern seine Gliederung über seine Verständlichkeit entscheide. 183 In diesem Punkt differenziert Engel und reflektiert damit eine bis heute gültige Ansicht. 184 Engel warnt weiterhin vor der Gefahr des Gestammels bei kurzen Sätzen.185 Der wichtigste Aspekt 176 Wasserzieher 1925:11. 177 Schneider 1930:248, 248-260 (Diskussion häufiger Satzbaufehler). 178 Wustmann 1923:241. 179 Engel 1931:324, 360, 304, 306; auf S. 322: Wichtiges gehöre nicht in einen Nebensatz. 1 8 0 Wasserzieher 1925:11. 181 Schneider 1930:247. 182 Engel 1931:347. 183 Engel 1931:290-3. 184 Nicht Länge oder Kürze entscheiden über die Verständlichkeit von Sätzen, sondern die Satzbildung, die erwartbare Aufnahmefähigkeit des Lesers und die Formulierungsfähigkeit des Schreibers, vgl. dazu Sanders 1996:180-182 und Sowinski 1999:90-93. 185 Engel 1931:369.
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der Kürze ist für Engel, dass sie für ihn ein Ausdruck von Tugend ist. Bündige Kürze zeuge von Wahrhaftigkeit und Redlichkeit, im Gegensatz zur „überflüssigen, unredlichen Länge", die sich in „Wortmacherei", „sprachlichem Verwässern" und „Schwulst" äußere. 186 Das passt wiederum zu seiner Einstellung, dass Sprache und Stil Ausdruck des Charakters seien (2.2.1.1). Tatsächlich ist für ihn der Satzbau auch eine Charakterfrage. Er ist der Ansicht, dass Satzbauprobleme wie die „Schachtelei" oder der „Stopfstil" nicht nur auf die mangelnde „Selbstzucht" der Deutschen zurückzuführen sei, ihre Gedankenflut zu ordnen, sondern auch auf die Eitelkeit des Schreibers, jedes noch so unwichtige bisschen Wissen mitteilen zu wollen.' 87 Engel belegt also bestimmte Satzbauphänomene mit konkreten Lastern und Tugenden: Schachtelsätze und lange Sätze sind seiner Meinung nach Ausdruck von Eitelkeit, mangelnder Disziplin und Unredlichkeit, kurze Sätze bezeugten Wahrhaftigkeit und Redlichkeit. 2.2.2.5 „Meide Fremdwörter!" 188 Alle vier WR-Stilautoren äußern sich in teilweise langen, ausführlichen Diskussionen zum Thema Fremdwörter und lehnen sie ab. Sie plädieren für eine fremdwortfreie Sprache, bzw. für eine Sprache, die „frei von entbehrlichen Fremdwörtern" ist.189 Dabei ist die Definition von 'entbehrlich' ziemlich ungenau. Für Engel sind alle Fremdwörter entbehrlich, 190 Wustmann erlaubt international gebräuchliche, technische Ausdrücke 191 und für Wasserzieher soll das Takt- und Sprachgefühl des einzelnen über die Entbehrlichkeit entscheiden. 192 Die Ablehnung der Fremdwörter zeigt sich daran, dass die WRStilautoren sie mit negativen Eigenschaften besetzen. Fremdwörter seien „verschwommen" und „albern", 193 „schleimig, breiig, dunstig, neblig, wolkig, schleierhaft, schillernd, flimmernd, schwankend" 194 und „formelhaft" und „unpersönlich", da man sie weder „fühlen noch denken noch träumen" könnte.195 186 Engel 1931:367-9, 372-3, 375, 378. 187 Engel 1 9 3 1 : 3 1 5 , 3 2 2 . 1 8 8 Wasserzieher 1925:6. 189 Wasserzieher 1925:11. Wustmann 1923:316, 316-333. Engel 1931:96, 138-278. Schneider 1930:203. 190 Engel 1931:196. 191 Wustmann 1923:316. 192 Wasserzieher 1925:11-12. 193 Wustmann 1923:326. 194 Engel 1931:177; auf S.176-7 befinden sich Otto Sarrazins 34 deutsche Wörter für 'Idee'. 1 9 5 Engel 1931:23; auf S. 175: In Gefühlsfragen (Gebet, Leid, Lust, mit Freunden, Kindern, Eltern, etc.) gäbe es keine Fremdwörter.
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Die WR-Stilautoren arbeiten mit schwarzweißen Gegensätzen: Hunderte von Fremdwörtern seien „nichtssagend", während deutsche Wörter „voll frischen Lebens" seien.196 Das Fremdwort „Solidarität" sei ein „blutund farbloses" Zeichen für das deutsche und viel anschaulichere Wort „Schicksalsverbundenheit". 197 Die hässliche Sprache der „fremdwörtelnden Tages- und Modeschriftsteller" wird der deutschen Sprache der „großen Sprachmeister" gegenübergestellt. 198 Oder es heißt, das Fremdwort stamme aus dem kalten Verstand, während das deutsche Wort aus dem Gemüt stamme. 199 Alle vier WR-Stilautoren behaupten, Fremdwörter seien unverständlich und ziehen daraus schwerwiegende Konsequenzen. Für Stubenrauch/ Wustmann führt das auf sprachstruktureller Ebene zu fehlerhaften Wortzusammensetzungen und zum fehlerhaften Gebrauch der Wörter und bedroht die anzustrebende Sprachrichtigkeit. 200 Auf sprachpädagogischer Ebene kritisieren Engel und Stubenrauch/Wustmann besonders das „fremdwortdurchsetzte Deutsch" der Wissenschafder und Lehrer und fragen sich, wie sie das Volk mit so einer unverständlichen Sprache erziehen können. 201 Auf sprachsoziologischer Ebene werfen Engel und Schneider den Fremdwortbefürwortern vor, eine „granitne Mauer" zwischen den Gebildeten und den nach Bildung ringenden Klassen zu schaffen und die „sprachliche[...] Gliederung des Deutschen Volkes in Sprachkasten" zu verursachen. 202 Auch sprachideologische Argumente werden angeführt: „Wie der Volksstolz nach außen, so verlangt daher auch die innere Einheit und Geschlossenheit unseres Volkes die Vermeidung und Verdrängung der Fremdwörter." 203 Damit bedrohen Fremdwörter ihrer Meinung nach die nationale Einheit, die ja durch die Sprache geschaffen werden soll.204 Auf moralischer Ebene wird der Fremdwort196 197 198 199 200
201 202 203 204
Wasserzieher 1925:12. Schneider 1930:209. Schneider 1930:210. Schneider 1930:208. Wustmann 1923:327. Dort auch fehlerhafte Kombinationen wie „vorübergehende Passanten, dekorativer Schmuck, Grundprinzip". Auf S. 321: fehlerhafte Zusammensetzungen wie „anormal" (sollte entweder „anomal" oder „abnorm" sein). Auf S. 330: Gebrauch in falscher Bedeutung, bspw. sollte „Epoche" nicht als „Zeitabschnitt" sondern im Sinne von „Halte- oder Wendepunkt" gebraucht werden. Engel 1931:211, 217, 208-216 („die unwissenschaftliche Wissenschaft"). Wustmann 1923:316, 322. Engel 1931:183, 276. Schneider 1930:208 („Geheimsprache der Gebildeten"). Schneider 1930:208. Zu sprachstrukturellem, sprachpädagogischem, sprachsoziologischem und sprachideologischem Fremdwortdiskurs siehe Andreas Gardt, „Das Fremde und das Eigene" in Neues und Fremdes im deutseben Wortschatz Gerhard Stickel (Hrsg.), (Berlin, New York: de Gruyter, 2001), S. 30-58.
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gebrauch zum Ausdruck eines unlauteren Charakters, da Schneider und Engel Fremdwörter aufgrund ihrer vermeintlichen Unverständlichkeit als „unehrlich" oder als „Werkzeuge [...] des Schwindels" ausgeben. 205 Schließlich weist Engel darauf hin, dass unverständliche Fremdwörter dem Zweck allen Schreibens, nämlich der „vollkommnen, der ungetrübten Gedankenübertragung", also der klaren Kommunikation, widersprächen.206 Des Weiteren behaupten die WR-Stilautoren, Fremdwörter seien gefährlich, da sie die deutsche Sprachsubstanz bedrohten und die reiche deutsche Sprache durch das „Massengewelsch" verarme: „Jedes Fremdwort wirkt wie ein Schimmelpilz anfressend und zerstörend auf die in seiner Begriffsnähe blühenden Deutschen Wörter. Zahllose herrliche Ausdrücke sind auf solche Weise verdrängt, ja ausgerottet." 207 Besonders gefährlich sei die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus fremden Sprachen im Deutschen. Unflektierte Zusammensetzungen wie „Hotel Hauffe" oder „der Konkurs Schmidt" (früher: „Hauffes Hotel" und „der Schmidtsche Konkurs") und „Signet Galerie Ernst Arnold Dresden" (eigentlich: „das Signet der Galerie von Ernst Arnold in Dresden") seien undeutsch, fälschten das Wesen der Sprache und zerstörten ihren Organismus. 208 Die WR-Stilautoren behaupten, Fremdwörter seien überflüssig, da die deutsche Sprache ein „Selbstversorger" sei. Wasserzieher bezeichnet Fremdwörter als „überflüssige und hässliche Neubildungen". 209 Engel meint, nicht nur die deutsche Sprache, sondern „die Sprache eines jeden großen Bildungsvolkes" besitze genügend eigene Wörter und brauche keine Fremdwörter, um Wordücken zu füllen oder um Nuancierungen auszudrücken. 210 Sollten die Deutschen nicht aus ihrem Sprachschatz schöpfen, gibt es für ihn nur eine Konsequenz: „Ein Volk, das seine eigne Sprache nicht mehr sprechen kann oder will, ist reif, von Fremden regiert zu werden." 211 Auch für Schneider offenbart der Gebrauch von Fremdwörtern Lücken oder Armut in der Ausdrucksfähigkeit der eigenen Sprache und deutet auf die Überlegenheit einer fremden Sprache. Damit riskiere man den „Hohn des Auslandes". Würden Fremdwörter jedoch gemieden oder gar verdrängt werden, erwiese sich die deutsche Sprache
205 Schneider 1930:210. Engel 1931:174, 179. 206 Engel 1931:175. 207 Wasserzieher 1925:12. Engel 1931:270. 208 Wustmann 1923:138-141. Schneider 1930:170-171. 209 Wasserzieher 1925:51. 2 1 0 Engel 1931:85, 141, 1 8 7 - 1 9 6 , 1 9 3 - 5 ; Zitat auf S. 196. 211
Engel 1931:265.
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als gleichwertig und den „Mischsprachen" wie dem Englischen gegenüber sogar als überlegen.212 Diese Stilanweisung und ihre Begründungen stehen im Einklang mit der politischen Funktion der Sprache als Nationalsymbol (2.1.6.2), wobei sich die deutsche Sprache abgrenzt und das Fremde abweist. Engel setzt den Einlass fremder Wörter mit dem Einlass fremder politischer Herrschaft gleich, für ihn bedeutet der Fremdwortgebrauch die Aufgabe der politischen Freiheit oder Selbständigkeit. Schneider sieht Deutschland im sprachlichen Konkurrenzkampf. Für ihn kann es sich nur als selbstbewusste, gleichberechtigte Nation präsentieren, wenn es keine Fremdwörter benutzt. Bei den Zitaten zu dieser Stilanweisung werden Fremdwörter gemäß der Darstellung von Sprache als Lebewesen (2.1.5) durchgehend mit negativen Eigenschaften durch die Bildersprache und Vergleiche belegt, wobei es zu einer Anhäufung von extremen, negativen Eigenschaften kommt ('unverständlich, gefährlich, überflüssig, breiig, schleimig, das Deutsche anfressend und zerstörend', etc.). Die Sprache wird eindeutig zum Ausdruck des Charakters, wenn die moralische Untugend des Schwindels oder der Unehrlichkeit mit dem Fremdwortgebrauch verbunden wird (2.2.1.1). In emotionaler Bildersprache werden schwarzweiße Gegensätze zwischen 'schlechten' Fremdwörtern und 'guten' deutschen Wörtern konstruiert und so die verstandesmäßig-distanzierte Auseinandersetzung mit dem Thema verhindert. Die Haltung der WR-Stilautoren ist insofern wenig differenzierend, als dass sie ihre Behauptungen über die Unverständlichkeit, Gefährlichkeit und Uberflüssigkeit der Fremdwörter mit weiteren Behauptungen begründen, ohne die theoretisch geforderten Voraussetzungen des guten Schreibens wie die Stilebenen, den 'Leserkreis' oder die 'Zweckmäßigkeit' (2.2.1.2) praktisch umzusetzen. Die WR-Stilautoren ziehen weder den Wortgebrauch im Kontext in Betracht, noch erwägen sie die Möglichkeit der Sprachbereicherung oder der stilistischen Funktionen der Fremdwörter.213
212 Schneider 1930:207-8; auf S. 210: Reine, schöne Sprachen seien Lateinisch, Griechisch, Sanskrit, Altsächsisch. Hässliche Mischsprachen seien Persisch, Englisch oder Französisch. 213 Nicht die Herkunft der Wörter sondern ihr Kontext (z. B.: wer sagt was, wann, zu wem) entscheidet über die Verständlichkeit für den Sprachteilnehmer. Vgl. dazu Peter von Polenz „Fremdwort und Lehnwort sprachwissenschaftlich betrachtet" in Fremdwortdiskussion, Peter Braun (Hrsg.), (München: Wilhelm Fink Verlag, 1979), S. 9-31 (S. 19, 23-24). In Bezug auf stilistische Funktionen erlaubt nur Wasserzieher (1925:12, 57) zur Vermeidung der Wortwiederholung „Zeitabschnitt" für „Periode" und das kurze englische Wort „streiken" für den langen, umständlichen Ausdruck „in den Ausstand treten".
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2.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil Der Leitbegriff des Sprachkonservatismus legt eine Analyse der Vorbilder und ihrer Funktion nahe. In dieser Abteilung soll also untersucht werden, wer für die WR-Stilautoren die Vorbilder für Sprache und Stil sind, wie sie eingesetzt werden und warum sie die sprachliche Idealnorm verkörpern. 2.2.3.1 Wer ist Vorbild? Bei Stubenrauch/Wustmann befinden sich auf 330 Seiten über 100 Bezugnahmen zu deutschen Dichtern und zur deutschen Literatur. Am häufigsten erwähnt er Goethe, Lessing, Schiller und Luther. 214 Andere Dichter wie Klopstock, Heine und Keller erscheinen ebenfalls, allerdings seltener.215 Bei Wasserzieher gibt es auf 60 Seiten 25 Bemerkungen über Dichter und ihre Werke. Am häufigsten erwähnt er Goethe und Schiller. Ebenfalls angeführt werden Lessing, Luther, Heine und Bismarck.216 Schneider bezieht sich relativ selten auf die Literatur, auf 275 Seiten 48 Mal. Erwähnt werden Goethe, Schiller, Grillparzer, Lessing, Luther, Uhland, Fontane u. a.; Goethe und Schiller kommen jedoch am häufigsten vor. 217 Engels „Blattweiser" gibt Auskunft über die Häufigkeit der zitierten Dichter, Schriftsteller und Philosophen. Dabei fallen unter über 500 Namen die folgenden durch die große Anzahl der Seitenzahlen hinter ihrem 214 Wustmann 1923: Goethe (49x, davon 10x Faust): 5, 14, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 34, 44, 56, 58, 61, 65, 73, 77, 81, 106, 109, 121, 131, 132, 133-4, 155, 156, 159, 168, 170, 171, 177, 179, 182,193, 195,198,199, 224, 225, 238, 245, 255, 264-5, 267-8, 272, 284, 290, 301, 302, 309. Lessing (13x): 3, 20, 28, 47, 70, 76, 91, 121, 175, 195, 196, 231, 291. Schiller (13x): 31, 46, 73, 77, 105, 130,132, 183,190,195, 198, 230, 301. Luther (10x): 17, 23-4, 73, 9 9 , 1 5 6 , 1 7 2 , 175,192,195,265. 215 Wustmann 1923: Adelung: 89. Brentano: 181. Heine: 30, 44. Hölty: 74. Jean Paul: 31, 47, 55, 91. Gottfried Keller: 30, 74, 281. Klopstock: 83, 193. Nietzsche: 230. Schopenhauer: 257. Uhland: 74, 150-1, 171. Walther von der Vogelweide: 196 und andere. Mittelwert bei Wustmann 333 Seiten:110 Bezugnahmen= alle drei Seiten eine Bezugnahme. 216 Wasserzieher 1925: Goethe: 4, 4, 11, 12, 21, 23, 28, 29, 31, 32, 37, 41, 42, 43, 44, 46, 48. Schiller: 21, 29, 43, 47, 48. Lessing: 55. Luther: 37. Bismarck: 34. Freytag: 5. Hauptmann: 19. Heine: 44. Jean Paul: 36. Keller: 39. Klopstock: 4. Mörike: 39. Rückert: 4. Storm. Uhland: 48. Mittelwert bei Wasserzieher: 60 Seiten:25 Bezugnahmen= alle drei Seiten eine Bezugnahme. 217 Schneider 1930: Goethe (18x): 2,11, 37, 43, 65, 68, 82, 83, 93, 143, 160, 174, 183, 232, 250, 252, 258, 261. Schiller (8x): 37, 92, 118, 180, 213, 232, 250, 258. Lessing: 69. Luther: 54. Bismarck: 232. Chamisso: 250. Theodor Fontane: 52. Franz Grillparzer: 252, 260. Hamlet. 75, 262. Rudolf Hawel: 49. Herder: 250. Otto Ludwig: 213. Schopenhauer: 92, 160. Ludwig Thoma: 52. Uhland: 250. Allgemein „dichterische Rede": 98, 131, 154, 156, 160, 229. Mittelwert bei Schneider: 275 Seiten:48 Bezugnahmen = alle sechs Seiten eine Bezugnahme.
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Namen auf: Goethe (179), Lessing (104), Schiller (70), Schopenhauer (62), Bismarck (48), Erich Schmidt (44), G. Keller (36), Fr. Vischer (35), Luther (35), Moltke (34), J. Grimm (27), Heine (27), Hebbel (23).218 Auf die Vorbildfunktion deutet, dass die erwähnten Dichter von den WR-Stilautoren durch Zusätze, Kommentare und Anmerkungen als sprachlich führend ausgewiesen werden. Für Stubenrauch/Wustmann ist Lessings Sprache „musterhaft". 219 Wasserzieher bezeichnet Goethe und Schiller als „große Dichter" und Schiller als den „größten deutschen Dramatikerß". 220 Engel hat seine Vorbilder für Sprache und Stil im Abschnitt „Deutsche Prosameister" chronologisch zusammengestellt. 221 Herausragend sind für ihn darin die „sechs eigentlichen Klassiker" Goethe, Schiller, Lessing, Klopstock, Wieland und Herder. 222 Die „drei Größten" seien jedoch Goethe, Lessing und Schiller, wobei Goethe „der größte von allen" wäre. 223 Goethe ist für Engel „der Meister in allen Grundfragen der Wortkunst". 224 Engel bezeichnet Lessing als den ,,Wahre[n]" und den „Klare [n]".225 Bedenkt man, dass die Wahrheit für Engel „der Urgrund aller Stilkunst" ist, so ist dieser Zusatz eindeutig als Zeichen der Wertschätzung auszulegen. Es wird deutlich, dass in diesem Punkt ein Einvernehmen besteht, da eine bestimmte Auswahl von Dichtern und Schriftstellern bei allen WRStilautoren auftaucht. Sie stammen großenteils aus der kanonisierten Nationalliteratur (Goethe, Schiller, Lessing, Herder) und sind Figuren, die sich um Muttersprache und/oder Vaterland verdient gemacht haben (Luther, Bismarck, Moltke), wie wir im Folgenden sehen werden. 2.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache Hinsichtlich der Funktionen der Vorbilder gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Stubenrauch/Wustmann, Wasserzieher, Schneider und Engel, obwohl sie auf verschiedenen Sprachstufen arbeiten (Sprachrichtigkeit/Sprache und Ausdruck/Stil) und die Vorbilder mit unterschiedlicher Häufigkeit verwenden.
2 1 8 Engel 1931:523-529. 2 1 9 Wustmann 1923:91. 220 Wasserzieher 1925:21, 47. 221
Engel 1931:514-522.
222 Engel 1931:517. 223 Engel 1931:131 121, 154. 224 Engel 1931:112. 225 Engel 1931:15, 68.
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Die erste Funktion der Vorbilder ist, dass ihre Namen und ihre Werke als 'Rohstoff zur Illustration der Sprachregeln der WR-Stilautoren dienen. So illustriert Stubenrauch/Wustmann die Regel zum Superlativ nach einem unbestimmten Artikel mit: „Lessings Andenken wird gepflegt wie eine seltenste Blume im Treibhause." 226 Wasserzieher erklärt Präpositionen und Fälle so: ,,[M|it und ohne Glück, in und um uns, Briefe an und von Goethe. Hier kann Glück, uns, Goethe der 3. oder der 4. Fall sein." 227 Schneider warnt, dass in den Formulierungen „Schillers 'Die Räuber' und Otto Ludwigs 'Der Erbförster' der Artikel „widernatürlich" sei.228 In der Abteilung 'Sprachdiskurs' sahen wir, dass die Verbreitung der Sprachrichtigkeit ein zentrales Anliegen der Sprachmission der WR-Stilautoren ist (2.1.4). Die Vorbilder und ihre Werke unterstützen dieses Anliegen insofern, indem sie die Sprachregeln illustrieren. Sie stellen also bewusst oder unbewusst einen Bezugspunkt für die WR-Stilautoren dar. Für den Leser entsteht durch das Erwähnen der Dichter und ihrer Werke ein Gefühl ihrer Präsenz. Zweitens dient die Sprache der Vorbilder dazu, um den Sprachwandel zu veranschaulichen, d. h., die WR-Stilautoren benutzen Sätze, Formulierungen oder den Wortgebrauch der Vorbilder, um zu zeigen, was früher richtig und gebräuchlich war im Vergleich zum veränderten, korrekten Sprachgebrauch der Gegenwartssprache. Stubenrauch/Wustmann belehrt den Leser, dass Luther das Wort „voller" nur vor dem Femininum und der Mehrzahl gebraucht habe, während es heute bedenkenlos überall anwendbar sei229 oder illustriert die heute als veraltet und falsch geltende Komparation mit „als" mit Luthers Bibelübersetzung: ,,[W]er nicht das Reich Gottes empfängt als ein Kind - du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst". 230 Wasserzieher erklärt, dass die doppelte Verneinung, die heutzutage als Bejahung zu verstehen sei, von großen Schriftstellern wie Luther und Goethe zur Verstärkung der Aussage diente: „Wir sind niemand nichts schuldig." 231 Schneider weist darauf hin, dass Zusammensetzungen wie Schillers „'segenreiche' Himmelstochter" und Hölderlins „'schicksalkundige' Burg" in der Gegenwartssprache ein Binde-s enthielten.232 Diese zweite Funktion, die Beschreibung des 226 Wustmann 1923:175. Insgesamt 23 Beispielsätze dieser Art bei Wustmann 1923: Lessing: 70, 175, 291. Goethe: 25, 29, 58, 65, 81, 97, 106, 131, 156, 159, 179, 182, 198, 225, 238, 267-8, 272. Schiller: 190, 198, 301. Einzelne Wörter wie „Goethe-Denkmal" wurden nicht mitgezählt. 227 Wasserzieher 1925 23, weitere Beispiele auf S. 21, 47. 228 Schneider 1930:213, weitere Beispiele auf S. 68-69, 75, 82, 83, 93, 160, 174, 175, 260, 261. 229 Wustmann 1923:175. 230 Wustmann 1923:192, weitere Beispiele: Goethe auf S. 5, 73, 121, 171, 177, 193, 195. Schüler auf S. 31, 46, 73, 132, 195. Lessing auf S. 3, 47, 121. Luther auf S. 73. 231 Wasserzieher 1925:37.
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ten.232 Diese zweite Funktion, die Beschreibung des Sprachwandels anhand der Vorbildersprache, steht durchaus im Zusammenhang mit der Sprachauffassung der WR-Stilautoren. Wir sahen, dass die WR-Stilautoren die Sprachvergangenheit auf erzieherischer Ebene dazu benutzen, um sprachliche und stilistische Fragen ihrer Gegenwartssprache zu erläutern und zu beantworten (2.1.2.3). Die Dichtersprache der Vergangenheit dient den WR-Stilautoren also als Quelle, um den Sprachwandel und letztendlich die Sprachregeln ihrer Gegenwartssprache zu illustrieren. Das Anfuhren sprachgeschichtlich-literarischer Informationen könnte auch von den WR-Stilautoren bewusst eingesetzt worden sein, um die Leser mit umfangreichem Wissen zu beeindrucken und so die eigene Position der Autorität zu festigen. Die dritte Funktion der Vorbilder ist ihre Hauptfunktion: sie repräsentieren das sprachliche und stilistische Ideal. Die Dichter werden als sprachlich 'ideal' dargestellt, indem die WR-Stilautoren die Dichtersprache dazu benutzen, um die Sprachregeln ihrer Gegenwartssprache zu illustrieren. Nach Stubenrauch/Wustmann sollte „man" dekliniert werden wie Lessing es getan habe: „macht man das, was einem so einfällt? — so was erinnert einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will." 233 Nach Engel darf die Vergangenheitsform „frug" neben „fragte" bestehen, da Bürger, Schiller, Storm und Goethe sie benutzt hätten: „Niemals frug ein Kaiser nach mir." 234 In der Diskussion über das grammatische und natürliche Geschlecht zitiert Wasserzieher Goethe: „Seht ihr das Mädchen? Sie hat die Puppe gewickelt [...]; dienen lerne beizeiten das Weib nach ihrer Bestimmung" und „jenes Mädchen ist's, das vertriebene, die du gewählt hast" und erlaubt nach diesem literarischen Vorbild den Wechsel zu femininen Artikeln und Pronomen aufgrund des natürlichen Geschlechts.235 Die nicht absichtorientierte Bedeutung von „um zu" illustriert Schneider mit einem Satz Goethes über dessen letzte Begegnung mit Schiller: „So schieden wir vor seiner Haustüre, um uns niemals wieder zu sehen." 236 Wie wir anhand dieser Beispiele sehen, dient die Dichtersprache dazu, um grammatische Regeln oder Wortschatz fragen der Gegenwart zu illustrieren, die genaue Unterscheidung von 'richtig und falsch' zu belegen und so die Idealnorm der WR-Stilautoren zu verkörpern. In der dritten 232 Schneider 1930:118-9, weitere Beispiele auf S. 37, 156, 229. 233 Wustmann 1923:28, weitere Beispiele: Goethe auf S. 14, 23, 28, 168, 199, 224. Schiller auf S. 7 7 , 1 0 5 , 1 8 3 . 234 Engel 1931:51, weitere Beispiele auf S. 66, 67, 71. 235 Wasserzieher 1925:28-29, weitere Beispiele auf S. 15, 32. 236 Schneider 1930:258, weitere Beispiele auf S. 26-27, 43, 49, 52, 65, 81, 92, 98, 118-9, 131-2, 143 (Kritik an Goethes Wortprägung „Silberhochzeit"), 154, 160, 1 8 0 , 1 8 3 , 232 (große Taten und Verdienste Bismarcks, Goethes, Schillers), 238 (zwar regelwidrig aber besonders gelungene dichterische Schöpfung), 250-1, 252, 258, 262.
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Funktion setzen die WR-Stilautoren die Vorbilder also gezielt für ihre Sprachmission ein. Die Sprache und der Stil der Vorbilder werden so dargestellt, dass sie den eigenen, subjektiven Ansichten über Sprachrichtigkeit und guten Stil entsprechen. Nach dem Motto „Normen? Ja — aber meine" suchen sich die WR-Stilautoren die Zitate und Sprachfragmente heraus, die in ihr eigenes Konzept der Idealnorm von Sprache passen. 237 Damit untermauern sie ihre eigene Autorität und ihren Anspruch, Sprache vorzuschreiben. Sollte die Sprache der Vorbilder den Sprachregeln der WR-Stilautoren allerdings widersprechen oder die Regeln nicht befolgen, dann werden die Vorbilder von den WR-Stilautoren kritisiert.238 Stubenrauch/Wustmann bemängelt die Unterdrückung des Subjektes bei Goethe und beklagt einen Wortfehler beim „scharfen Denker" Lessing. 239 Wasserzieher beanstandet den Gebrauch des falschen doppelten Superlativs „größtmöglichste" bei Goethe und Heine 240 Schneider kritisiert Goethes Wortschöpfung „Silberhochzeit", die eigentlich „silberne Hochzeit" heißen müsste und im Gegensatz zu Wasserzieher lehnt er Goethes Wechsel von „dem Gretchen" zu „der Gretchen" ab. In gutem Deutsch mache die Verkleinerungssilbe jedes menschliche Wesen geschlechtslos und deshalb sächlich.241 Diese Unvollkommenheit der sprachlichen Vorbilder wird aber von den WR-Stilautoren nicht so stehen gelassen. Den Ausweg bietet die Entschuldigung der 'dichterischen Freiheit': „Was für uns gewöhnliche Sterbliche gilt, gilt nicht für hervorragende Schriftsteller, für große Dichter. Wer die Sprache künsderisch handhabt, braucht unsere Regeln nicht; er weiß ohne uns, wie er zu schreiben hat, und viel besser, als wir es ihn lehren könnten." 242 Dieser Freibrief für Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit findet sich auch bei Stubenrauch/Wustmann und Schneider; im Falle eines Fehlers handelt es sich eben um eine „besonders gelungene dichterische Schöpfüng". 243 Durch die Entschuldigung von Übertretungen oder Fehlern mit der dichterischen Freiheit wird die Autorität der Vorbilder und damit die Autorität der WR-Stilautoren gewahrt. 237 Überschrift nach Hans Jürgen Heringer, „Normen? Ja - aber meine!" in Heringer (1988), S. 94-105 (S. 94) 238 Z.B. beklagt Engel (1931:6-7) die „argen Sprach- und Stilgebrechen": „Uneingeschränkt mustergültige Sprache schreibt weder Lessing noch Goethe noch Schiller, weder Jakob Grimm, noch Gustav Freytag, noch Gottfried Keller, Moltke oder Treitschke." Ebenso Schneider 1930:143: „[· • •] es gibt keinen Sprachfehler, der sich bei diesem und jenem Großen nicht fände." 239 Wustmann 1923:56, 196. 240 Wasserzieher 1925:44, weitere Beispiele auf S. 12, 38, 39, 42. 241 Schneider 1930:143, 2. 242 Wasserzieher 1925:11. 243 Schneider 1930:238, 52, 98, 183. Wustmann 1923:91.
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Analog zu ihrer sprachlichen Vorbildlichkeit werden die Dichter als 'stilistisch vorbildlich' dargestellt, d. h. sie scheinen die Stilauffassung der WR-Stilautoren zu teilen und ihrem Stilideal zu entsprechen. Diesen Eindruck erzielen die WR-Stilautoren, indem sie Fragmente in Form von Vorbilder-Zitaten zur Untermauerung der eigenen Aussagen über den Stil anfuhren, Behauptungen über den Stil der Vorbilder aufstellen oder entsprechende Ausschnitte aus der Dichtersprache zitieren. So belegt Engel jede seiner Aussagen über Sprache und Stil mit Zitaten seiner Vorbilder. Mit einem Goethe-Zitat unterstützt er seine Meinung, dass der Stil eines Schreibers Ausdruck seiner individuellen Persönlichkeit und seines Charakters sei: „Im ganzen ist der Stil eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Innern; [...] und will jemand einen großartigen Stil schreiben, so habe er einen großartigen Charakter!" 244 Seiner Forderung nach Wahrheit als Basis für einen guten Stil verleiht er Nachdruck mit Worten von Lessing („Wahrheit allein gibt echten Glanz.") und Uhland („An deiner Sprache rüge Du schärfer nichts denn Lüge, Die Wahrheit sei ihr Hort!"). 245 Auch die einzelnen Stilanweisungen werden unterstützt mit Aussagen von und über die Dichter. Luther, Lessing, Herder, Winckelmann und Goethe hätten ihre Schriftsprache an der Sprechsprache orientiert. Luther habe mit der Feder geredet, Lessing gelte mit seiner „geschriebenen Menschenrede" als Sprachumwälzer 246 Engel beruft sich bei seiner Aufforderung, Verben zu gebrauchen auf Zitate Herders und Goethes. 247 Er lobt den klaren, nebenordnenden Satzbau Moltkes und führt Beispiele an.248 Engel und Schneider behaupten, dass „die edelsten Schöpfungen der deutschen Dichtung so gut wie ganz frei von Fremdwörtern" seien, bzw. dass „jeder unserer größten Dichter und Schriftsteller" ein Purist gewesen sei.249 Was passiert aber, wenn die Vorbilder den Stilidealen nicht gerecht werden und bspw. nachweislich Fremdwörter gebrauchen? Denn dass die Dichtung nicht fremdwortfrei ist, lässt sich leicht beweisen. Engels Vorbilder Gottfried Keller und Goethe haben Fremdwörter benutzt. Das elfte Buch von Goethes Dichtung und Wahrheit enthält allein 400 Fremdwörter, das sind durchschnittlich 10-12 pro Seite.250 Engel nimmt dazu Stellung und beeilt sich, den Fremdwörtergebrauch bei Goethe, Lessing und 244 245 246 247 248 249 250
Engel 1931:22. Engel 1931:13. Engel 1931:24-25. Engel 1931:68, 360. Engel 1931:306, 355. Schneider 1930:209. Engel 1931:258-9, 223-4. Vgl. Uwe Förster, „Das Fremdwort als Stilträger", Der Sprachdienst, Jg. 28 (1984), H. 7/8, S. 97-107, S. 106. Professor Dr. Jöris, „Goethes Stellung zu Fremdwort und Sprachreinigung", Preußische Jahrbücher, 145 (1911), 422-467 (S. 465-466).
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Schiller zu erklären.251 Schriftsteller, die im französischen Zeitalter erzogen worden seien, dürften keine uneingeschränkten Vorbilder sein, da sie „sich selbst erst mit gewaltigem innerm Ringen sprachlich aus fremdem Joche erlösen" mussten. 252 Goethe sollte zwar Vorbild in allem Schönen und Edlen sein, aber nicht, wo er als Sohn des „französischen Zeitalters" geirrt habe. 253 In einem langen Abschnitt versucht Engel zu beweisen, dass sein größtes Stilvorbild Goethe ein Purist war. 254 Er weigert sich, positive Aussagen Goethes zum Fremdwort zu erwägen, da sie „vereinzelte^..] verwehende[...] Aussprüche[...] des leidenschaftlichen Mannes in einer gelegentlichen, doch nicht wortgetreu überlieferten Unterhaltung" seien.255 Doch schon 1911 zeigt Professor Dr. Jöris anhand von GoetheZitaten, wie einfach es ist, passende Aussprüche Goethes für die eigene Sache zu finden, besonders, wenn sie aus dem Zusammenhang heraus zitiert werden. Goethe gegen die Puristen: „[...] daß es eigentlich geisdose Menschen sind, welche auf die Sprachreinigung mit so großem Eifer dringen" oder für die Sprachreinigung: „Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern ist das Geschäft der besten Köpfe." 256 In Goethes Aussagen zum Thema Sprachreinigung findet sich eigentlich keine eindeutige Linie, aber es ist Engel wichtig, Goethe als Verfechter des Purismus darzustellen. Wie ist dieses Muster der WR-Stilautoren, die Vorbilder als 'ideal' darzustellen und ihre Vergehen, d.h. ihre angeblichen sprachlichen und stilistischen Verstöße zu entschuldigen, zu erklären? Der erste Grund für diese idealisierte Darstellung liegt auf der Hand: als anerkannte Vorbilder tragen die zitierten Dichter und Schriftsteller eine gewisse Autorität in sich, von der die WR-Stilautoren profitieren. Nach dem Motto 'Goethe macht es auch so', werden den Sprach- und Stilregeln durch den allseits bekannten und berühmten Dichtermeister Nachdruck verliehen. Die Vorbilder bürgen für die Wertigkeit und Richtigkeit der Sprach- und Stilregeln der WRStilautoren, verleihen ihnen Nachdruck und untermauern die Autorität der WR-Stilautoren. Dadurch, dass die WR-Stilautoren die Autorität der Vorbilder für sich in Anspruch nehmen, haben sie die Pflicht, die Autorität der Vorbilder zu wahren. Denn wenn die Autorität der Vorbilder in Frage gestellt wird, ist auch ihre eigene Autorität gefährdet. Der zweite Grund für die idealisierte Darstellung hängt ebenfalls mit der Autorität der Vorbilder zusammen, allerdings nicht nur auf sprachli251 Engel 1931:220-1. 252 Engel 1931:252. 253 Engel 1931:259. 254 Engel 1931:259-264. 255 Engel 1931:261. 256 Jöris 1911:455.
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eher Ebene. Betrachten wir dazu die Darstellung Luthers und der Klassiker. Engel preist Luthers Bibel als Widerstand gegen das „lateinische Blutgift" der Humanistenzeit, das die Muttersprache geschädigt und in ihrer Entwicklung nachhaltig behindert habe.257 Luther habe sich seine Vorbilder fürs Deutsche nicht „von den humanistischen Deutschen Affen der Römer" genommen, sondern sich am gesprochenen Deutsch des gemeinen Mannes orientiert. Engel bezeichnet Luther als „unsterbliche Größe" und „Spracherneuerer". 258 Stubenrauch/Wustmann lobt Klopstock als einen der ersten, „der die Nachahmung des Franzosentums verwirft" 259 und Engel rühmt Lessing als den „Vernichter der geistigen Franzosenherrschaft in Deutschland." 260 In der „Deutschen Franzosenzeit unserer Sprache" hätten die Klassiker Goethe, Schiller, Lessing, Klopstock, Wieland und Herder das Gewaltigste geleistet, „was in aller Geistesgeschichte je in den Bereichen der Sprache und der Dichtung geleistet wurde: eine edle Literatursprache und eine herrliche Literatur zu schaffen nach wüster Barbarei." 261 Goethe verdankten wir es, dass die Schriftsprache kein „lateinisch gedachtes Deutsch" mehr sei.262 Das positive Urteil über die sprachliche Leistung der Vorbilder ist also davon geprägt, dass sie nach Meinung der WR-Stilautoren entscheidend zur Entwicklung der deutschen Sprache beitrugen. Die deutsche Sprache wiederum ist für die WRStilautoren das Fundament für die Nation und das Vaterland (2.1.6.2). Das gute Deutsch stammt von einem guten Deutschen, von einem „Nationalhelden". Der zweite Grund für die idealisierte Darstellung der Vorbilder und ihrer Sprache ist also, dass die Vorbilder der WR-Stilautoren nicht nur auf sprachlicher Ebene sondern auch auf nationaler Ebene eine Autorität darstellen. Prüfen wir dieses Ergebnis, indem wir es umdrehen! Aus dieser Verbindung von 'Sprachheld' gleich 'Nationalheld' folgt dann nämlich, dass ein 'Nationalheld', also jemand, der sich um das Vaterland verdient gemacht hat, auch ein vorbildliches Deutsch schreiben muss. 263 Diese Glei-
257 258 259 260 261 262 263
Engel 1931:515. Engel 1931:25. Wustmann 1923:83. Engel 1931:10. Engel 1931:153. Engel 1931:24. Evelyn Ziegler: „Es ist der Mythos der Klassikersprache bzw. die Schaffung dieses Mythos, der eine nationalsprachliche Identität ermöglichte und festigte. So wie der BismarckMythos einen Kristallisationspunkt der nationalstaatlichen Identitätsfindung darstellt, stiftet der Klassikermythos eine kollektive Sprachidentität, ein einheitliches Sprachideal, eine ideelle Realität im Bewußtsein der Sprecher." Vgl. Evelyn Ziegler, „Deutsch im 19. Jahrhundert: Normierungsprinzipien und Spracheinstellungen", in Beiträge historischen
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chung geht bei Engel auf. Er beschreib den preußischen Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke als „Klassiker unsrer Dichtung und Prosa", denn er gehöre „zu den allerbedeu tends ten und sprachreinsten Schriftstellern". 264 Engel nennt ihn den „erstefn] Schlachtendenker und Lenker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts" 265 und vergleicht seinen Satzbau mit „einzelne [n] Schützenzüge [n]":266 Nicht minder wirksam jedoch schließt Moltke seine Geschichte des Krieges von 1 8 7 0 mit dem einen, in seiner Schlichtheit großartigen Satze: Straßburg und Metz, in Zeiten der Schwäche dem Vaterlande entfremdet, waren wieder zurückgewonnen, und das Deutsche Kaisertum war neu entstanden. W e r einen solchen Satz nach seinem vollen Werte zu schätzen vermag, dem braucht nicht ausfuhrlich erklärt zu werden, was Stil ist. 267
Engels Beschreibung von Moltkes Schreibart lässt vermuten, dass sein Lob nicht nur auf der stilistischen Kompetenz Moltkes beruht, sondern dass die Person des Autors und der Inhalt des Textes sein Urteil beeinflussen. Die Großartigkeit des Satzes, auf die Engel anspielt, liegt nämlich eher im Inhalt als in seiner Konstruktion. Im Krieg von 1870 wurde nicht nur Frankreich geschlagen, sondern der Krieg und der Sieg bildeten den Auftakt zur Reichsgründung am 18. Januar 1871. Für viele nationalgesinnte Deutsche wurde dann ein lang gehegter Traum wahr, zu dem Moltke mit seinem militärischen Können entscheidend beigetragen hatte.268 Die Autorität der Vorbilder erhält durch die enge Verbindung von Muttersprache und Vaterland eine nationale Komponente, die zu einer Argumentation im Kreis führt: gutes Deutsch stammt von guten Deutschen, weil gute Deutsche ein gutes Deutsch schreiben. Die Darstellung eines weiteren Stilvorbildes bei Engel unterstützt die These, dass ein guter Deutscher gutes Deutsch schreibt. Als die zentrale Figur der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert muss Bismarcks Deutsch vorbildlich sein.269 Engel preist Bismarck als einen wahrhaft großen Mann und lobt sein Deutsch, auch wenn es „Kardinalfehler" enthält. 270 So fällt
264 265 266 267 268
269 270
Stadtsprachenforschung, Helga Bister-Broosen (Hrsg.), (Wien: Ed. Praesens, 1999), S. 79-100 (S. 95). Engel 1931:151, 198. Engel 1931:281. Engel 1931:306. Engel 1931:355-6. Meyers "Enzyklopädisches Lexikon, 25 Bände (Mannheim: Bibliographisches Institut, 1976), XVI, S. 406: Moltke (1800-1891) habe die entscheidende Verantwortung für die strategische Anlage und den militärischen Verlauf des Deutschen Krieges 1866 und des DeutschFranzösischen Krieges 1870/71 getragen. Seine dominierende Stellung dauerte bis zum Ende der Monarchie und wirkte noch in der Weimarer Republik nach. Vgl. Ziegler 1999:95. Engel 1931:25. Engel kannte Bismarck durch seine Funktion als Reichstagsstenograph persönlich. Vgl. auch Ickler 1988:297.
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sein Urteil über Bismarcks Deutsch in der Emser Depesche trotz der darin enthaltenen, normalerweise verpönten 'dass-Nebensätze' positiv aus. Meisterhaft habe sich Bismarck die Nebensätze in der Emser Depesche, in den „zwei verhängnisreichen, weltbekannten Sätze [n] neuhochdeutscher Prosa" zu Willen gemacht. 271 Die Depesche führte 1870 zur französischen Kriegserklärung an Deutschland und zum deutsch-französischen Krieg. Außerdem ist Bismarcks reichlicher Fremdwortgebrauch für den leidenschaftlichen Bekämpfer des „Massengewelsch" kein Problem. Die Fremdwörter seien „aufgezwungene Berufssprache" gewesen: „Bismarcks Fremdwörterei war die herkömmliche Handwerksprache der Gesandtschaften und Ministerien. [...] So kam es, daß der ganz deutschdenkende Landjunker Bismarck als Gesandter mit den Wölfen heulen, also ihre Fremdwörtersprache reden mußte." 272 Schließlich bestätigt Engel selbst die Vermutung, dass die Person des Autors und der Inhalt des Textes das stilistische Urteil beeinflussen: „Bismarck stellt eine Gattung ganz für sich dar: des Redners, dessen Formenmängel durch die Gewalt des Inhalts, zuweilen allerdings nur durch die Gewalt seiner Taten, fast ausgetilgt wurden." 273 Abschließend sei noch auf zwei allgemeine Probleme in der Vorbilderfunktion hingewiesen. Problematisch ist bei den Vorbildern, dass die WRStilautoren 'textsortenwidrig' vorgehen, d. h. die Textsorte der schönen Literatur dient als Vorlage und Referenzpunkt für die Gebrauchsprosa oder gehobene Schriftsprache (öffentlicher Verkehr, Wissenschaft, Publizistik, Alltagsverkehr). 274 Diese Methode wenden Stubenrauch/Wustmann, Engel, Wasserzieher und Schneider an. Es besteht also ein Widerspruch, wenn die WR-Stilautoren vorgeben, Anleitungen für die Gebrauchsprosa zu geben und sich dennoch am literarischen Kunstwerk
271 Engel 1931:308. Die Emser Depesche: „Nachdem die Nachricht von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der kaiserlich französischen Regierung von der königlich spanischen amtlich mitgeteilt worden ist, hat der französische Botschafter in Ems an Seine Majestät den König noch die Forderung gerichtet, ihn zu autorisieren, daß er nach Paris telegraphiere, daß seine Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe." 272 Engel 1931:167. Vgl. Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (Frankfurt/M: Büchergilde Gutenberg, 1966). Mann 1966:319: „Seine [Bismarcks] Sprache und Schriftstellerei war mit Fremdworten, meist französischen, reichlich durchsetzt, auch illustriert durch Zitate aus dem Lateinischen, aus Shakespeare und Schiller, die er beide sehr liebte." 273 Engel 1931:503. 274 Sanders 1973:87-89 (in Anlehnung an E. Riesel).
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orientieren. 275 Ein weiteres Problem ist das der Zeitwidrigkeit. Das Deutsch der Klassiker ist in der ersten Hälfte des 2wanzigsten Jahrhunderts weder zeitgemäß noch praktikabel. Obwohl Engel dieses Problem erkennt, endet sein Ausweg wieder am Ausgangspunkt. Nach Engel sollte letztendlich der „Sprachgebrauch der Gebildetsten" entscheidend sein.276 Aber die „Gebildetsten" schreiben nach Engels Vorgaben und orientieren sich an den Klassikern und der Literatur. Ergebnis der Vorbilder-Analyse ist, dass das größte Vorbild für Sprache und Stil der WR-Stilautor selbst ist! Die WR-Stilautoren betrachten die Sprache als homogene Einheit, als ahistorische Größe und wenden ihre eigene Vorstellung von der Idealnorm als Maßstab an. Diese Idealnorm wird auf die Vergangenheit projiziert, Vorbilder werden im Licht dieser Idealnorm gesehen und werden, wenn nötig, auf diese Idealnorm zugeschnitten. Dabei beeinflusst die politische Ideologie des WR-Stilautors sein sprachliches und stilistisches Urteil.
2.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der WR-Werke Bevor wir die Ergebnisse des Sprach- und Stildiskurses auf den Leitbegriff des Sprachkonservatismus beziehen, sollten wir die Hauptpunkte und die Gemeinsamkeiten im Sprach- und Stildiskurses der WR-Stilautoren kurz zusammenfassen.
2.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den WR-Werken 2.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten In Bezug auf den Inhalt haben wir die folgenden Gemeinsamkeiten der WR-Stilautoren festgestellt: der Sprachzustand wird als schlecht beschrieben, vor dem Verfall der deutschen Sprache wird gewarnt. Sprachgeschichtlich wird das 'Alte' als gut und schön dargestellt, der Fremdsprachenkontakt ab 1500 als nachhaltig negativ eingestuft, und Fakten aus der Sprachgeschichte werden dazu benutzt, Regeln der Gegenwartssprache zu verdeutlichen. Wenn das 'Alte' gut und schön ist, sind Neu- und Modewörter als Ausdruck des zeitgenössischen Sprachwandels ein Zei275 Sanders 1998:67-70, 69. 276 Engel 1931:50-51.
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chen des Sprachverfalls. Wichtiges Ziel bzw. Voraussetzung für ein gutes Deutsch ist das Streben nach Sprachrichtigkeit, die auf den Regeln überlieferter Grammatik beruht und u. a. mit Hilfe eines geschärften Sprachgefühls erreicht werden soll. Die Sprache wird als Lebewesen dargestellt und anhand von Bildern und Vergleichen aus der Natur und Medizin werden meist unliebsame Spracherscheinungen charakterisiert. Ganz wichtig ist, der deutschen Sprache aufgrund bestimmter Merkmale die germanischen Tugenden von Kraft und Leben zuzuschreiben. In den Werken fungiert die Sprache auf politischer Ebene. Durch Beispiele und Anmerkungen wird auf die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der Zeit und auf eigene politische Einstellungen verwiesen. Die Wirtschaftskrise, der Antisemitismus, Anspielungen auf politische Figuren, wie den Kaiser, und die Gegenwärtigkeit der Kriege erscheinen als Hintergrund des Sprach- und Stildiskurses. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist die Verbindung von Sprache und Nation und die Funktion der deutschen Sprache als Nationalsymbol und Einheitsträger. Der Sprachenvergleich mit dem Ausland bleibt nicht aus. Dabei ist das Deutsche dem Französischen hinsichtlich Sprachpflege und —zustand zwar unterlegen, hat jedoch das Potential führend zu sein. Die Deutschen sollen selbstbewusst ihrer Sprache vertrauen und sie pflegen. Der Sprachenstolz wird deutlich, z. T. überschreitet er die Grenzen der Liebe zur Muttersprache und schwenkt in Chauvinismus um. Der Stil wird hauptsächlich als Ausdruck des Charakters bzw. der Person des Schreibers ausgelegt. Daraus folgt, dass Stilerziehung mit Charaktererziehung gleichgesetzt wird. Bestimmte Charakterzüge, wie bspw. Bescheidenheit und Ehrlichkeit, fuhren zu einem guten Stil. Weitere Aspekte des guten Stils sind die Stoffbeherrschung, die Rücksicht auf den Leser und die verschiedenen Stilebenen und das klare Denken, das durch die Sprache konstituiert wird. Diese Punkte spielen jedoch bei den konkreten Stilanweisungen nur eine sehr begrenzte Rolle; im Vordergrund stehen konkrete mit den Stilanweisungen assoziierte Charaktereigenschaften und die oben beschriebene Sprachauffassung. In diesem Sinne ist 'Schreibe, wie du sprichst' eine Tugend, da die Sprechsprache mit Lebendigkeit) assoziiert wird und im Gegensatz zur vom Lateinischen geprägten Schriftsprache steht. Zeitwörter und das Aktiv werden als Ausdruck von Tat und Handlung und Bestimmtheit empfohlen, während Hauptwörter, besonders Verbalsubstantive, und das Passiv als Zeichen von Schwerfälligkeit, Schwäche und Trübung abgelehnt werden. Lange, komplizierte Sätze gelten als Nachahmung des Lateinischen als undeutsch und werden als Ausdruck eines eiden, unredlichen Charakters gewertet. Sie zeugen zudem von mangelnder Denkdisziplin. Der Fremdwortgebrauch wird hauptsächlich aus moralischen, sprachlichen und politi-
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sehen Gründen untersagt. Fremdwörter sind wegen ihrer vermeintlichen Unverständlichkeit unehrlich und gefährlich, weil sie die deutsche Sprachsubstanz und die nationale Einheit bedrohen. Vor diesem ideologischpolitischen Hintergrund werden dann auch die stilistischen Vorbilder geschildert. Sie stammen aus der kanonisierten Nationalliteratur (Goethe, Lessing, Schiller, Luther) und haben sich um Muttersprache und Vaterland (Moltke, Bismarck) verdient gemacht. Die Vorbilder und ihre Sprache verkörpern in sprachlicher und politischer Hinsicht meist die Idealnorm der WR-Stilautoren. Eventuelle Abweichungen von der Idealnorm werden von den WR-Stilautoren entschuldigt, um die Autorität der Vorbilder und letztendlich die eigene Autorität zu wahren. 2.3.1.2 Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung Neben den inhaltlichen Gemeinsamkeiten traten drei Gemeinsamkeiten in der Darstellung und Betrachtung von Sprache und Stil ausgeprägt zu Tage: Erstens wird klar, dass die meisten Aussagen der WR-Stilautoren subjektiver Natur sind, ihren eigenen Standpunkt wiedergeben und auf ihrem eigenen Geschmack beruhen, entweder nicht begründet oder mit Behauptungen begründet sind und die eigenen Vorurteile widerspiegeln. Rufen wir uns noch einmal einige dieser Behauptungen in Erinnerung: die Sprache befinde sich in einem Zustand völliger Auflösung, wie von berufenen Sprachkennern festgestellt worden sei (2.1.1); ältere Sprachformen seien vorzuziehen, weil sie vornehmer oder schöner klängen (2.1.2); Neuwörter müssten dem Geschmack der sprachlich Gebildeten und fein Fühlenden entsprechen (2.1.3); die Sprachregeln richteten sich nach dem gesunden Menschenverstand und dem Vernünftigen (2.1.4); Zeichen einer lebendigen, kräftigen Sprache seien die Mundarten und die Beugung im Deutschen (2.1.5); Wortzusammensetzungen seien ein Zeichen der Überlegenheit im Fremdsprachenvergleich (2.1.6). Schlechter Stil entstehe durch die Eitelkeit des Schreibers (2.2.1). Die Sprechsprache sei lebensecht, Hauptwörter machten die Sprache schleppend, das Passiv sei ein Zeichen von Schwäche und Umschweife, kurze Sätze seien redlich und Fremdwörter bedrohten die nationale Einheit (2.2.2). Luthers Bibel sei vorbildlich, weil sie das 'lateinische Blutgift' bekämpft habe und Moltkes Sätze großartig, weil sie einzelnen Schützenzügen glichen (2.2.3). Bei den sich stark ähnelnden Aussagen handelt es sich also um ein Netzwerk der Behauptungen mit gleichen Schaltstellen. Ein zweites ausgeprägt auftretendes Merkmal ist die schwarzweiße Darstellung der WR-Stilautoren, also das Arbeiten in vereinfachten Gegensatzpaaren von gut/richtig versus schlecht/falsch oder alt versus neu
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und deutsch versus fremd. 277 Die Haltung 'alles was alt und/oder deutsch ist, ist gut - alles was neu und/oder fremd ist, ist schlecht' wird an der Darstellung der Sprachgeschichte (2.1.2), des zeitgenössischen Sprachwandels (2.1.3) und am Kampf um die Sprachrichtigkeit (2.1.4) deutlich. Die 'schlechte' lateinische und französische Sprache hätten seit der Zeit des Humanismus die gute deutsche Sprache nachhaltig negativ beeinflusst. Schlechte neue Wörter verdrängten gute alte Wörter in der zeitgenössischen Sprachentwicklung. Gute, alte Sprachgesetze müssten eingehalten werden, damit ein gutes, richtiges und kein schlechtes, falsches Deutsch geschrieben werde. Auch bei den Stilanweisungen (2.2.2) werden Gegensatzpaare benutzt: die natürliche (lebensechte) Sprechsprache sei der gekünstelten Schriftsprache vorzuziehen, Verben und das Aktiv seien stilistisch gut, während Hauptwörter und das Passiv stilistisch schlecht seien; lange, komplizierte Sätze seien schlecht und undeutsch (Erbe des Lateinischen) während kurze, einfache Sätze gut seien; schlechte Fremdwörter bedrohten die gute deutsche Sprachsubstanz. An den Gegensatzpaaren deutet sich schon die dritte Gemeinsamkeit an: die WR-Stilautoren laden ihre Aussagen über Sprache und Stil durch ihre Wortwahl emotional auf. Mit Vorliebe charakterisieren sie akzeptierte Spracherscheinungen als lebendig und gesund und schlechte, zu bekämpfende Spracherscheinungen als tot und krank. Ältere Sprach- und Wortformen seien herzhaft und kräftig oder lebendig, eine gesetzmäßige Sprache sei gesund, ein Zeichen des gesunden Menschenverstandes und die Mundarten seien lebensspendend. Eine sich auflösende Sprache weise Zeichen der Erstarrung auf wie ein absterbendes Lebewesen. Modewörter hätten wie die (todbringende) Pest um sich gegriffen und Fremdwörter hätten manchen triebkräftigen Keim für immer zerstampft. Die Schriftsprache sei tot und die Kanzleisprache trage Zeichen der Entlebendigung in sich. Diese drei Elemente der subjektiven, schwarzweißen und emotionalen Betrachtungs- und Darstellungsweise von Sprache und Stil bauen m. E. aufeinander auf, ergänzen sich und erzielen eine ganz bestimmte Wirkung. Bremerich-Vos bezeichnet „Geschmacksurteile", also Aussagen subjektiver Natur, in den Ratgebern als „assertorische Sätze mit wertenden Prädikaten [...] für die Rechtfertigungen nicht gegeben werden." 278 Seines Erachtens besteht die soziale Funktion dieser Geschmacksurteile in der „Aufwertung des empfohlenen und in der Abwertung des inkriminierten Verhaltensstandards (und derer, die sich ihm gemäß verhalten)." 279
277 Vgl. die „schwarzweiße Unkompliziertheit" von Sanders 1988. 278 Bremerich-Vos 1991:15. 279 Bremerich-Vos 1991:15.
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Die Schwarzweißdarstellung von Sprache bedeutet die Reduktion von sprachlicher Komplexität. Sanders meint, dass Stilautoren ihr Lesepublikum dadurch faszinierten und zufrieden stellten, indem sie einen festen Standpunkt bezögen und „mit vergnüglicher Unkompliziertheit" die breite Palette der Stilmöglichkeiten reduzierten. 280 Meines Erachtens geht es den WR-Stilautoren bei der Reduktion der Möglichkeiten und dem festen Standpunkt nur in zweiter Linie um die Sprachberatung und kaum um die Unterhaltung. In der mit tödlichem Ernst und leidenschaftlichem Eifer betriebenen Sprachmission geht es den WR-Stilautoren in ihrer Schwarzweißdarstellung in erster Linie darum, den Leser durch die Auswahl von eindeutig positiv und negativ bewerteten Sprachformen in bestimmte Bahnen zu lenken und zu erziehen. Die emotionale Darstellungs- und Betrachtungsweise der Sprache hemmt schließlich die objektive und differenzierende Auseinandersetzung mit der (eindeutig bewerteten Auswahl von) Sprache. Die Wirkung, die durch das Zusammenspiel der subjektiven, schwarzweißen und emotionalen Darstellungs- und Betrachtungsweise erzielt wird, ist eine Untergrabung des kritischen Denkens des Lesers. Die eigenständige, kritische Reflektion über Sprache wird verhindert und das Einverleiben gewisser vorgegebener Ideale von Sprache ermöglicht. 281 2.3.2 Der Sprachkonservatismus in den WR-Werken Im Folgenden wollen wir feststellen, inwieweit der eingangs erörterte Begriff des Sprachkonservatismus, den Sanders und Ball auf die Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren anwenden, durch die Untersuchung des Sprach- und Stildiskurses in den laienlinguistischen Werken der Weimarer Republik modifiziert wird. Welche Punkte und Aspekte von Sanders und Ball können übernommen werden, welche müssen geändert oder hinzugefugt werden, damit wir den Begriff des Sprachkonservatismus als Leitbegriff für unsere Untersuchung definieren und in den weiteren politischen Perioden anwenden können? Dabei berücksichtigen wir alle Punkte, die Sanders und Ball in ihren Aussagen über den Sprachkonservatismus aufgeworfen haben, d. h. auch Balls extreme und gemäßigte Form des Sprachkonservatismus. 282
280 Sanders 1988:391-2. 281 Damit setzt sich dann eine Tradition in den Sprachratgebern und Stillehren fort, die Ameri in der konservativen Sprachbewegung im Wilhelminischen Reich festgestellt hat. Sie nennt es „Rhetorikverachtung und die Pädagogik des unkritischen Denkens". Vgl. Sussan Milantchi Ameri, Die deutscbnationale Sprachbewegung im Wilhelminischen Reich (New York, u.a.: Peter Lang, 1991), S. 75-110. 282 Für eine Zusammenfassung des Sprachkonservatismus bei Sanders und Ball siehe 1.3.1.
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Sprachratgeber und Stillehren in der Weimarer Republik (1919-1933)
Beginnen wir mit den Aspekten in den WR-Werken, die mit Sanders und/oder Ball übereinstimmen: an der Beurteilung des Sprachzustandes (2.1.1) wird die Kritik am Sprachzustand und an der Gegenwartssprache deutlich. Die Darstellung der Sprachgeschichte (2.1.2) macht den Mythos des vergangenen goldenen Sprachzeitalters bzw. die Orientierung am vermeintlichen Sprachideal der Vergangenheit deutlich. Die Bekämpfung und Ablehnung des zeitgenössischen Sprachwandels (2.1.3) entspricht auch der Ausgangsdefinition, allerdings müssen wir den Aspekt der theoretischen Anerkennung des Sprachwandels von der gemäßigten Version des Sprachkonservatismus auch hinzuziehen. Diese Anerkennung bleibt aber nur Theorie, da die WR-Stilautoren letztendlich doch den Wandel nach ihren Kriterien beurteilen. Die Ausfuhrungen zur Sprachrichtigkeit (2.1.4) belegen eine konkrete, eng gefasste Vorstellung von einer richtigen Sprache und somit die Propagierung einer einheitlichen Sprache. Die Vorbildfunktion der Dichter und Schriftsteller der Vergangenheit (2.2.3) deckt sich mit Balls festgestellter Orientierung an der schriftstellerischen Tradition der Vergangenheit. Die Auffassung von Stil als Ausdruck des Charakters (2.2.1) und die Assoziation von Tugenden und Charaktereigenschaften mit einzelnen Stilanweisungen (2.2.2) entsprechen Balls Auffassung von Sprache als Reflektion moralischer Zustände und illustrieren diesen Punkt. Folgende Aspekte im Sprachkonservatismus der WR-Werke stellen sich anders dar als bei Ball: Die Berufung auf den Sprachgeist kommt zwar an einer Stelle vor (2.1.3), sie ist aber nicht so ausgeprägt wie bei Ball. Das Lob der Mundarten im Zusammenhang mit dem Organismuskonzept und der Darstellung einer lebendigen und kräftigen Sprache (2.1.5) passt nicht zu Balls Punkt der Unterdrückung von Varietäten. Im Gegensatz zu Balls Sprachkonservatismus ist die politische Funktion von Sprache ein zentraler Aspekt der WR-Werke (2.1.6).283 Die politische Funktion von Sprache als einheitsstiftendes Nationalsymbol und die enge Verbindung von Muttersprache und Vaterland ziehen sich durch den gesamten Diskurs der WR-Werke. Sie erscheinen im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenvergleich der Gegenwart (2.1.6.3 - dort taucht übrigens Balls Argument der Einzigartigkeit von Sprache auf), in der kategorischen Ablehnung der Fremdwörter (2.2.2.5) und bei der Beurteilung der Vorbilder (2.2.3). Man könnte Balls Punkt der Auffassung von Sprache als Reflektion sozialer Zustände durch die Politisierung von Sprache in den WRWerken eher als Auffassung von Sprache als Reflektion politischer Zustände beschreiben. Im Sprachkonservatismus der WR-Werke spielt Balls
283 Ball (1995:71, 75) spielt nur in zwei Nebenbemerkungen auf die mögliche Verbindung von Sprache und Nation/Politik in Frankreich an.
Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der WR-Werke
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Stichwort der Kultur und ihre Aufrechterhaltung keine beachtenswerte Rolle. Als wichtige Elemente des Sprachkonservatismus der WR-Werke möchte ich unbedingt die drei oben beschriebenen Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung hervorheben, die bei Ball entweder gar nicht erwähnt werden oder nur anklingen: die emotionale Darstellung durch die Bilder- und Vergleichssprache (2.1.5, 2.2.2), die durchgehende Schwarzweißmalerei und die überall anzutreffende subjektive Sprachbetrachtung. Ball erwähnt die Subjektivität nur im Zusammenhang mit der Form des gemäßigten Sprachkonservatismus. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass wir in den WR-Werken kaum Aspekte von Balls gemäßigtem Sprachkonservatismus finden: es besteht entweder keine Scheu vor festen Regeln oder die vermeintlich tolerante Einstellung der Sprachrichtigkeit gegenüber unterliegt doch wieder einer Reihe von Kriterien, die die Sprachfreiheit beträchtlich einschränken und kontrollieren (2.1.4). Es konnte auch kein Mangel an inhaltlicher Kongruenz der Sprachregeln festgestellt werden, im Großen und Ganzen herrschte Eintracht unter den WR-Stilautoren. Wie wir an der kategorischen Ablehnung der Fremdwörter im ausführlichen Fremdwortdiskurs der WR-Stilautoren sahen (2.2.2.5), zeugen die Länge und Ausführlichkeit der Diskussion in den WR-Werken nicht von einer gemäßigten Haltung. Drei Punkte von Balls gemäßigtem Sprachkonservatismus können wir in den WR-Werken nicht feststellen — daraus ist zu schließen, dass wir es in den WR-Werken eher mit der extremen Form des Sprachkonservatismus zu tun haben. An dieser Stelle können wir festhalten, dass der Begriff des Sprachkonservatismus für die Stillehren und Sprachratgeber der Weimarer Republik durchaus angebracht ist. Allerdings wurde Sanders' Begriff des Konservatismus ausgebaut und Balls Begriff des Sprachkonservatismus modifiziert und somit der Sprachkonservatismus als Leitbegriff für unser Thema und die Untersuchung der folgenden politischen Perioden präzisiert und definiert. Inhaltlich bedeutet der Sprachkonservatismus: Sprachverfallsklage, Verherrlichung der Sprachvergangenheit, Ablehnung des zeitgenössischen Sprachwandels, Verfechten der überlieferten Sprachrichtigkeit, Organismuskonzept, Sprache mit einer nationalpolitischen Funktion, Sprache und Stil im Allgemeinen und im Speziellen als Ausdruck des Charakters, meist literarische und nationale/politische Größen der Vergangenheit als Vorbilder für Sprache und Stil. Hinsichtlich der Sprachbetrachtung und -darstellung gehören Subjektivität, Schwarzweißmalerei und Emotionalität zum Sprachkonservatismus und sind Ausdruck des unkritischen Denkens.
3 Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945) Wustmann, Sprachdummheiten, 10. vollständig von Dr. Werner Schulze erneuerte Auflage (Berlin/Leipzig: Walter de Gruyter, 1935) und 11. von Werner Schulze neu bearbeitete Auflage (1943). Ewald Geißler, Vom deutschen Stil, hockrufe und Warnungen (Leipzig: Bibliographisches Institut, 1937).** Ernst Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, 7. von Dr. Eugen Flad umgearbeitete Auflage (Bonn, Berlin: Ferd. Dümmlers Verlag, 1942). Ludwig Reiners, Deutsche Stilkunst (München: Beck'sche Verlagsbuchhandlung, 1944). Im folgenden Kapitel wird untersucht, inwieweit die politische Periode des Nationalsozialismus die Sprach- und Stilauffassung in den ausgewählten populären Stillehren und Sprachratgebern beeinflusst, und ob die Diktatur den in den WR-Werken festgestellten Sprachkonservatismus modifiziert. Zu diesem Zweck werden in neu bearbeiteten und neu aufgelegten Ausgaben der kontinuierlich aufgelegten Werke sowie in einer 'Momentaufnahme' die Aussagen zu denselben Punkten und Aspekten des Sprach- und Stildiskurses untersucht wie in den WR-Werken.
3.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren 3.1.1 Sprachzustand Wie WR-Stilautor Engel kritisiert NS-Stilautor Reiners den niedrigen Zustand des Prosastils in Deutschland. Allerdings betont er die Möglichkeit der deutschen Sprache, fast alle lebenden Sprachen an Kraft des Ausdrucks zu überragen: „Noch besitzen wir die schönste und stärkste Sprache der Welt, ein Instrument, das nirgends seinesgleichen hat." 1 Im Unterschied zu den WR-Stilautoren ist die Sprachverfallsklage bei den anderen drei NS-Stilautoren milde oder fehlt ganz. Ein 'nicht perfekter' Sprachzustand wird bei Schulze/Wustmann, Geißler und Flad/Wasser1
Reiners 1944:V, 13, 23 (Zitat).
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren
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zieher zwar angedeutet, sie heben jedoch eher den Wunsch der Bevölkerung nach Sprachpflege hervor, den das neue politische System geweckt habe und fördere. 2 Für Schulze/Wustmann begünstigen die neuen politischen Verhältnisse die Sprachpflege und versprechen ein „artgemäßes, schlichtes, klares und reines Deutsch": „Immer vernehmlicher klingt seit der Aufrichtung des dritten Reiches der Ruf durch Deutschland, auch auf dem Gebiet der Muttersprache den Kampf um das Bodenständige und echt Deutsche entschieden aufzunehmen." 3 Nach Geißler befinde sich Deutschland 1937 in einer „Ubergangszeit" und steige aus der „Sprachverwüstung" wieder empor: „[...] denn Deutschland will nicht zurück, es will voran in ein neues Volkstum, das in neuer Volksgemeinschaft die in Jahrhunderten errungene Bildung mit dem aus Jahrtausenden überkommenen Bluterbe zu neuer Einheit verschmilzt." 4 Flad/Wasserzieher vermutet den Ruf des Volksgeistes der Sprache hinter dem Wunsch nach Sprachpflege. Sie stehe im Dienst des Volkes und bewahre Sprache und Volkstum vor Schaden. 5 Mit der Ausnahme von Reiners stellen also drei NS-Stilautoren den Sprachzustand anders dar als die WR-Stilautoren. Man stehe an einem sprachlichen Wendepunkt zum Besseren. Die stark abgeschwächte Sprachverfallsklage hängt mit dem neuen politischen System zusammen. Die neuen politischen Umstände geben ihres Erachtens der Sprachpflege Auftrieb. Für sie strebt Deutschland sprachlich vorwärts und bricht in ein neues Zeitalter auf. Die NS-Stilautoren erhoffen sich aktive Unterstützung in der Spracharbeit durch die Nationalsozialisten in der Erwartung, dass diese politische Partei gemeinsam mit ihnen für ihre Sache kämpft und den Sprachzustand in ihrem Sinne verbessert. Auffällig ist in diesem Zusammenhang der Sprachgebrauch bei Schulze/Wustmann, Geißler und Flad/Wasserzieher, wie bspw. das vermehrte Auftauchen von Zusammensetzungen mit den Begriffen Volk' (Volksgeist, Volkstum, Volksgemeinschaft), "Blut' (Bluterbe) und 'Art' (artgemäß). Damit deutet sich schon an, dass mythisch aufgeladene Zentralbegriffe und Schlüsselwörter des Natio-
2
Wustmann 1935/43:VI. [Zur Angabe von mehr als einer Auflage, also 1935/43:VI = Das bedeutet, dass sich die Information oder das Zitat in beiden Ausgaben, also der Ausgabe von 1935 und der von 1943 auf Seite VI befindet. Sollten die Seiten in den Ausgaben abweichen, wird folgende Angabe gemacht: 1935/43:297/302. Eine Angabe wie 1935/43:2/bedeutet, dass dieser Bezug in der Ausgabe von 1943 entfallt ] Geißler 1937:5. Wasserzieher 1942:9, 14.
3
Wustmann 1935/43:VI.
4 5
Geißler 1937:20, 8. Wasserzieher 1 9 4 2 : 1 0 , 1 4 .
86
Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
nalsozialismus in den Sprachpflegediskurs der Stillehren und Sprachratgeber aufgenommen werden. 6 3.1.2 Sprachgeschichte Die bei den WR-Stilautoren festgestellten drei Aspekte der Sprachgeschichte bestehen weiterhin in den NS-Werken und gleichen der sprachgeschichtlichen Auffassung der WR-Stilautoren. 3.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit Dieser Aspekt wird besonders deutlich bei Flad/Wasserzieher und Schulze/Wustmann. Sie bezeichnen alte deutsche Wörter als „gut" oder „schön". 7 Auch die positiv eingestufte sprachliche Vergangenheit des Deutschen ist zeitlich deckungsgleich mit der Auffassung der WRStilautoren. Reiners preist das Mittelhochdeutsche und Geißler das ausgehende Mittelalter als „sprachlich noch durch keine Humanisterei verstörte^ ..] deutsche[...] Eigenzeit". 8 Luther, als erster großer Verkünder des Neuhochdeutschen und die Literatur der „Sturm und Drangzeit" bzw. die Zeit der „deutschefn] Höhe der zwei Menschenalter um 1800" werden hervorgehoben. 9 Neu ist im Zusammenhang der positiv dargestellten Sprachvergangenheit das Erwähnen sprachlicher Vorfahren. Flad/Wasserzieher beschreibt die Rolle der germanischen Stämme, ihrer gemeinsamen Sprache und ihres Gemeinschaftsgefühls für die Entwicklung des deutschen Volkes.10 Geißler hebt die Kostbarkeit der Sprache als das lebendige Vermächtnis der Ahnen hervor.11 Das Einbauen der Ahnen und der germanischen Vorfahren ist auf den Einfluss des politischen Systems zurückzuführen, da die germanischen Ahnen im Nationalsozialismus einen
6
Zu "Volk' vgl. Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus (Berlin/New York: de Gruyter, 1998), S. 642-644. R. E. Keller, The German Language (London: Faber and Faber, 1978), S. 606. Victor Klemperer, LT1,17. Auflage (Leipzig: Reclam, 1998), S. 45. Zu 'Art' siehe Schmitz-Berning 1998:63-64 (Artbewusstsein) und Willi Minnerup, „Pressesprache und Machtergreifung am Beispiel der Berliner Germania" in Konrad Ehlich (Hrsg.), Sprache im Faschismus, 3. Auflage (Frankfurt: Suhrkamp, 1995), S.198-236 (S. 206). Zu 'Blut': siehe Schmitz-Berning 1998:109. Keller 1978:605.
7 8 9 10 11
Wasserzieher 1942:37. Wustmann 1935/43:2/-, 58, 297/302. Reiners 1944:163. Geißler 1937:26. Reiners 1944:163-164. Geißler 1937:29, 47. Wasserzieher 1942:7. Geißler 1937:53.
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Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren
wichtigen Bestandteil der rassenbiologisch verstandenen Identität des Volkes ausmachen. 12 3.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit Auch diese aus den WR-Werken bekannte Auffassung übernehmen alle vier NS-Stilautoren. 13 Für Reiners hat das Lateinische und Französische in den letzten drei Jahrhunderten die deutsche Umgangssprache „entkräftet und verseucht" und ,,[f]urchtbare Narben und Wundmale am deutschen Sprachkörper" verursacht. 14 Geißler beklagt die „humanistische und französische Dünkelei" und wirft der lateinischen Sprache vor, sie habe das Deutsche nachhaltig verformt. Besonders die fremdwortfreundliche Haltung der Gelehrten hätte diesen Zustand begünstigt. Es bestehe die Gefahr, dass das Vorbild der alten Sprachen die Deutschen aus ihrem Selbst dränge. 15 Wie in den WR-Werken handelt es sich bei den Aussagen der NS-Stilautoren zur Sprachgeschichte um unbegründete Behauptungen in emotionaler Sprache. 3.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen Auch in den NS-Werken gilt: „In Zweifelsfällen wollen wir [...] aus der Sprachgeschichte die Entwicklung zu erkennen suchen." 16 Die sprachliche Vergangenheit dient den vier NS-Stilautoren also weiterhin dazu, sprachliche Fragen und Zweifelsfälle zu erläutern.17 Wie WR-Stilautor Engel benutzt Reiners seiner Meinung nach vorbildliche Texte aus der Sprachvergangenheit, um stilistische Fragen der Gegenwart zu erläutern. Er zitiert bspw. aus der Lutherbibel, um Lautsymbolik, Rhythmus und Satzmelodie darzustellen. 18
12
Schmitz-Berning 1998:16.
13
Wustmann 1935/43:96/97, 97/98, 1937:47. Reiners 1944:20-22, 24. Reiners 1944:20-22, 24.
14
236/239,
312/-.
Wasserzieher
1942:24.
Geißler
15
Geißler 1937:46-47, 19, 29.
16
Wasserzieher 1942:14.
17
Wustmann 1935/43:211/213-14, 41. Wasserzieher 1942:16, 27, 34, 37. Reiners 1944:133, 155. Geißler 1937:34.
18
Reiners 1944:347.
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Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
3.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel Anhand der Aussagen zum Sprachwandel und zu Mode- und Neuwörtern präsentiert sich in den NS-Werken kein so einheitliches Bild wie in den WR-Werken, wo der zeitgenössische Sprachwandel, Neu- und Modewörter kritisiert und abgelehnt wurden. Einerseits geben sich die NS-Stilautoren tolerant dem zeitgenössischen Sprachwandel gegenüber. Schulze/Wustmann will „die lebendige Sprache nicht in ihrem Schnürleib [...] halten", Geißler fordert dazu auf, eine wachsende, sich wandelnde Sprache nicht mit Verboten und Geboten totzuschlagen, für Reiners besteht „das ganze Sprachgebäude [...] aus legitim gewordenen Sprachschnitzern" und Flad/Wasserzieher meint, sich entwickelnde und ändernde Sprachgesetze könnten nur beobachtet werden.19 Aussagen dieser Art fanden wir nicht bei den WR-Stilautoren. Andererseits behalten sich die NS-Stilautoren eine Kontrollfunktion vor. Schulze/Wustmann will regelnd eingreifen, „wo Lässigkeiten oder Übermut drohten, wertvollen alten Bestand zu gefährden." 20 Geißler ermahnt vor „Überfremdung und Verstümmelung des Wortschatzes" in sprachlicher Wende- und Notzeit. 21 Reiners plädiert für Sprachlenkung bei „Sprachverlotterung" und „Abschleifungen" 22 und Flad/Wasserzieher kann die „liberalistische Auffassung", der Sprache einfach „freien L a u f zu lassen, nicht gutheißen, da diese manchmal „seltsame Sprünge" mache.23 Mit diesen vagen Einschränkungen, die auf dem subjektiven Urteil basieren, können die NS-Stilautoren nach Gutdünken Sprachentwicklungen verurteilen und gleichen somit wieder der Haltung der WRStilautoren. Im Gegensatz zu den WR-Stilautoren äußern sich alle vier NSStilautoren positiv über Neuwörter und begrüßen sie, solange sie aus deutschem Sprachstoff gebildet würden. 24 Schulze/Wustmann lobt Wortneuschöpfungen aus dem Bereich der Erblehre und Technik wie: „Erblehre, Erbpflege (für Rassenhygiene) und Erbhege", „Katzenauge", „Rückstrahler", „entregnen", „Fließkohle", und „Fluginsel" 25 Nach Flad/Wasserzieher habe das „völkische Erwachen" in der Sprache zur Bereicherung 19
Wustmann 1935/43:VI. Geißler 1937:5. Reiners 1944:210. Wasserzieher 1942:3, 13.
20
Wustmann 1935/43:VI.
21
Geißler 1937:27. A u f S. 12 lobt Geißler Wustmanns kompromisslose Verurteilung des Sprachwandels.
22
Reiners 1944:213-214.
23
Wasserzieher 1942:32.
24
Geißler 1937:19. Reiners 1944:490-1, 517-8 (Neuwörter aus Mundarten).
25
Wustmann 1935/43:288-9/292. Schmitz-Berning 1998:203 (Erbpflege als Verdeutschung für Eugenik von Prof. Eugen Fischer vorgeschlagen). „Entregnen" auch bei Reiners 1944:288.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren
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durch deutsche, verständliche Neuwörter geführt: „Lebender Volksgeist schlägt nicht mehr mit einem griechisch-lateinisch-französisch-englischen Bastard dem Volksgenossen die Türe des Verständnisses zu, sondern öffnet ihm weit das Tor zur Teilnahme an den geistigen Gütern der Zeit." 26 Auch in Bezug auf die von den WR-Stilautoren abgelehnten Modewörter gibt es eine Änderung bei zwei NS-Stilautoren. Während Reiners Modewörter wie WR-Stilautor Engel kompromisslos verurteilt, mildert Flad/Wasserzieher seine Kritik an ihnen ab, indem er die fünfte Sprachregel streicht, die dringend vom Modewörtergebrauch abriet.27 Im Werk ihres heftigsten Kritikers, in Wustmanns Sprachdummheiten, werden einige Modewörter als „an sich famos" (z. B. „meckern"), „nicht schlecht und von bildlicher Kraft" (z. B. „anschneiden") oder als „richtig gebildet" (z. B. „restlos") bezeichnet. 28 Politische Mode- und Schlagwörter seien „Waffen in der Hand der Staatsmänner [...] mit bestimmtem Gehalt gefüllt", drängten nach „Annahme und Verbreitung" und müssten als Werbeworte laut sein.29 Als Bereicherung und nicht als Modewort betrachtet Schulze/Wustmann das Wort „Gleichschaltung", da es die große Bewegung von 1933 in Deutschland beschreibe. 30 An dem Aspekt der Neu- und Modewörter wird der Einfluss des politischen Systems in drei Hinsichten deutlich. Erstens geben sich die NSStilautoren im Einklang mit den fortschrittlich-radikal anmutenden Machthabern selbst fortschrittlich. Das wird am Versuch der NSStilautoren deutlich, sprachlich vorwärts zu gehen, d.h., wie die Nationalsozialisten das Organische und naturhaft Gewachsene zu begrüßen und dem zeitgenössischen Sprachwandel tolerant und beobachtend zu begegnen.31 Letztendlich können sie sich aber nicht von der präskriptiven und richtenden Tradition frei machen. Das zeigen ihre vagen und subjektiven Kriterien, die ihr lenkendes Einschreiten angeblich erfordern. Zweitens wird wie beim Sprachzustand (3.1.1) wieder auf den Anbruch eines neuen Sprachzeitalters hingewiesen, dieses Mal inspiriere es zu gelungenen Wortneuschöpfungen, ein Bereich, in dem die Nationalsozialisten selbst aktiv waren. 32 Im Zusammenhang damit suggeriert Flad/ Wasserzieher in ungeniert chauvinistischem Sprachgebrauch einen gesell26
Wasserzieher 1942:65-66. Er bringt keine Beispiele.
27
Reiners 1944:139-148. Wasserzieher 1942:12, 65 (Kritik) und 1925:5 (Regel), 60 (Kritik). Geißler äußert sich nicht zu Modewörtern.
28
Wustmann 1935/43:305/308, 295/300, 308/312.
29
Wustmann 1935/43:306/309 (1943 gestrichen: „Waffen in der Hand der Staatsmänner").
30
Wustmann 1935/43:306-7/310, 308-9/312.
31
Klemperer 1998:65.
32
Z. B. im Bereich der Abkürzungswörter, vgl. Klemperer 1998:19.
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Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
schaftlichen Umbruch. Danach förderten die politischen Verhältnisse durch die Orientierung am Deutschen die Verständlichkeit der Sprache und demokratisierten so den Bereich der Bildung. Seine nicht einmal durch Beispiele belegte Aussage setzt voraus, dass Neuwörter bis dahin alle fremden Ursprungs und unverständlich waren. Drittens beeinflusst das System die Beurteilung von Neu- und Modewörtern. Man ist Neuwörtern gegenüber toleranter als in den WR-Werken und begrüßt Modewörter im Fall von Schulze/Wustmann sogar als „Bereicherung". Allerdings zeigen die Beispiele, dass diese positive Beurteilung vom Inhalt der Wörter abhängt: sie sind deutsch, sie stammen aus dem von den Nationalsozialisten geförderten Bereich der Technik, sie sind nationalsozialistische Schlagwörter (Gleichschaltung) und sie sind die sprachlichen Bausteine der nationalsozialistischen Rassenlehre (Erbhege, Erbpflege). 33 Die Bereiche, aus denen akzeptable Neu- und Modewörter stammen, stehen also im direkten Zusammenhang mit den herrschenden politischen Verhältnissen.
3.1.4 Sprachrichtigkeit 3.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik Wie in den WR-Werken stellt die Einhaltung der Sprachgesetze bzw. die Unterscheidung von falsch und richtig ein wichtiges Element der Sprachauffassung der NS-Stilautoren dar.34 Nach Reiners ist diese Unterscheidung eine Frage der Konvention und beruhe auf einer „ästhetische [n] Grammatik", die sich auf den Sprachgebrauch der großen Dichter und Schriftsteller der Gegenwart verlasse. Als „glühendstef...] und erfolgreichste^ ..] Liebhaber" seien sie die besten Kenner." 35 Mit dieser Auffassung ähnelt er WR-Stilautor Engel, der auch die Dichtersprache als Richtlinie betrachtete. Sprachschnitzer werden mit strengen Worten gerügt und als „sündigen", „offenkundige [...] Schlamperei" oder „unerträglich" und „besonders häßlich" bezeichnet. 36 Schulze/Wustmann begrün33
Schmitz-Berning 1998:277-280, 203. Minnerup 1995:205.
34
Wustmann 1935/43:90/91. Geißler 1937:46. Wasserzieher 1942:13-14.
35
Reiners 1944:212. Auf S. 209 sagt Reiners, dass Sprache nicht logisch sei.
36
Wasserzieher 1942:22. Reiners 1944:204. Wustmann 1935/43:250/252, 149/151. Bei Schulze/Wustmann, Flad/Wasserzieher und Reiners herrscht weiterhin Übereinstimmung in Bezug auf die in den WR-Werken diskutierten „Hauptsünden" gegen die Sprachrichtigkeit. Zu „derselbe" siehe Wustmann 1935/43:176-181/177-183, Wasserzieher 1942:29 und Reiners 1944:132-4, 160. Zum Satzdreh nach „und" siehe Wustmann 1935/43:244-5/2479, Wasserzieher 1942:36 und Reiners 1944:155-6. Zu „als/wie" siehe Wustmann 1935/43:216-7/218-20, Wasserzieher 1942:27 und Reiners 1944:155.
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det seine Aussagen, wie in der WR-Ausgabe, mit dem ,,gesunde[n] Sprachgefühl", während die anderen NS-Stilautoren nach subjektivem Ermessen Sprachformen als richtig oder falsch ausgeben. 37 Neu ist das Entschuldigen von Fehlern im Sprachgebrauch der „Volkssprache". Schulze/Wustmann bezeichnet die Unterdrückung des Subjektes in der volkstümlichen Rede als nachzufühlende „Herzlichkeit und Innigkeit". 38 Der Germanistikprofessor Geißler sagt von sich, dass er eine „herzliche Verbundenheit" mit dem Sprachteilnehmer empfinde, der frage: „Wem ist denn der Hut?" Er passe sich mit Humor an: „Das ist meiner Frau ihrer."» Die Propagierung der Sprachrichtigkeit, die klare Unterscheidung von falsch und richtig, die Berufung auf die Dichtersprache sowie die mangelnde oder subjektive Begründung der Aussagen in den NS-Werken stellen eine Kontinuität mit der Auffassung der WR-Stilautoren dar. Allerdings sind die Bezeichnungen für falsches Deutsch durch eine geänderte Wortwahl nicht mehr so scharf: so ist bspw. die „schwere Entartungserscheinung" der WR-Werke einer „offenkundigen Schlamperei" gewichen. In der Begründung der Aussagen fehlt das Pochen auf die Tradition und die Sprachgeschichte. Das könnte damit zu erklären sein, dass sich die NS-Stilautoren einen fortschrittlicheren Anstrich geben wollen. Die herzliche Verbundenheit mit der fehlerhaften "Volkssprache' deutet auf eine bewusst anti-intellektuelle Haltung, eine Haltung, die die Nationalsozialisten propagierten und auf die Idealisierung der von der Kritik ausgenommenen, mythisch aufgeladenen Größe Volk. 40 3.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl Wie in den WR-Werken sind drei NS-Stilautoren der Ansicht, dass das Sprachgefühl der Sprachrichtigkeit diene. Geißler und Reiners beklagen ein mangelndes Sprachgefühl bei Sprach- und Stilfehlern. 41 Nach Schul37 38 39 40
41
Wustmann 1935/43:107/109, 214-5/217. Z. B. Reiners und der Maßstab des Sprachgebrauchs der Dichter. Wustmann 1935/43:72 [nicht 1923:56], 20 [nicht 1923:14], Geißler 1937:63. Zu 'anti-intellektuell' vgl. Cornelia Berning, Vom Abstammungsnachweis" %um „Zuchtwart" (Berlin: de Gruyter, 1964), S. 106-7: „Intellekt bedeutet in der NS-Sprache im Gegensatz zu Instinkt keine schöpferische Kraft, sondern ein kritisch zergliederndes, unfruchtbares, 'zersetzendes' Vermögen." Der Intellekt werde zum Urfeind selber gestempelt. [...] Der intellektuelle Mensch läßt sich mehr vom Verstand und Gehirn leiten als vom Gefühl und vom Urdrang; bei seinen Anschauungen, Urteilen und Entschlüssen entscheidet die gliedernde Überlegung, nicht das Gemüt und die Eingebung des Bluts." Zu ^Volk' siehe Sprachzustand (3.1.1). Geißler 1937:16. Reiners 1944:138, 289.
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ze/Wustmann werde das feinere Sprachgefühl durch Fehler „beleidigt" oder „litte [...] not", während richtiger Sprachgebrauch jedes Sprachgefühl befriedige. 42 Neu ist, dass Schulze/Wustmann von einem natürlichen, „eingeborenen" Sprachgefühl ausgeht, das u. a. schon bei Kindern im Alter von vier Jahren vorhanden sei.43 Die Idee eines natürlichen, angeborenen Sprachgefühls passt zu den anti-intellektuellen Tendenzen und zur Betonung von Gefühl, Eingebung und Gemüt im Nationalsozialismus.
3.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen 3.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und Medizin Wie in den WR-Werken betrachten alle vier NS-Stilautoren die Sprache als Lebewesen und gebrauchen Vergleiche oder Bilder aus der Natur und Medizin. Reiners vergleicht Wörter mit verwurzelten Pflanzen und Schulze/Wustmann betrachtet unliebsame Abkürzungswörter als Papierblumen in einem lebendigen Strauß.44 In seiner Aufforderung zur Sprachpflege warnt Flad/Wasserzieher davor, den „Sprachgarten" zu einem undurchsichtigen, verschlungenen Urwald werden zu lassen, in dem das Leben sich selber auffresse. 45 Explizite Vergleiche werden aus dem Bereich der Medizin angewendet. Deutsche Wörter mit fremden Endungen (z.B. Goethenaum, Stiefeletten), sind für Schulze/Wustmann „Mißgeburt[en]" oder „Bastarde", 46 schlecht gebildete Neuwörter „Fehlgeburten". 47 Reiners geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet schlecht gebildete Neuwörter als „Totgeburten" oder „Leichen". 48 Zudem warnt er vor „Satzfäulnis" und der „Sprachpest" und ihrer „krankhaften Ausweitung". 49 Geißler konstatiert eine „Fremdwörterseuche" und „Hauptwörterkrankheit". 50 Wie die WR-Stilautoren bringen die NS-Stilautoren unliebsame Spracherscheinungen wie hybride Sprachformen und schlechte Neuwörter mit Krankheit, Missbildung und Tod in Verbindung. Allerdings tauchen die Bilder ver42 43 44
Wustmann 1935/43:161/164, 168/170, 209/212. Siehe auch Wustmann 1935:26: „Übrigens benennen auch die Schweizer ihre Flugzeuge mit richtigem Sprachgefühl männlich." Wustmann 1935/43:192/195, 127-8/130, 48/47-48.
45
Reiners 1944:237. Wustmann 1935/43:384/385. Andere Naturmetaphern bei Wustmann 1935/43:36, 108/109, 137/140, 240/243, 306/310. Wasserzieher 1942:13.
46
Wustmann 1935/43:56.
47
Wustmann 1935/43:289/293, weitere Krankheitsmetaphern auf S. 255/258, (Seuche), 356/359, 381/382.
48
Reiners 1944:488, 511, 502 („das totgeborene [Wort] Fernsprecher").
49
Reiners 1944:116, 298.
50
Geißler 1937:10.
311/314
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mehrt und zugespitzt auf. So werden in der Wustmann-Ausgabe von 1935 nicht nur viele Ausdrücke und Beschreibungen aus der 1923er Ausgabe übernommen, 51 sondern viele Vergleiche und Bilder aus der Medizin und der Natur hinzugesetzt. 52 In den NS-Werken sind die Bilder krasser; bspw. verwendet der sich explizit ausdrückende WR-Stilautor Engel nicht die Ausdrücke "Bastard', 'Totgeburt' oder 'Leiche'. Die Verwendung von extremen Bildern und Vergleichen ist m. E. auf den Einfluss des politischen Systems zurückzuführen, denn die Nationalsozialisten bedienten sich mit Vorliebe medizinischer Bilder.53 Durch diese Bilder wird der Leser stärker emotionalisiert als in den WR-Werken. 3.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben Den NS-Stilautoren ist das Herausstellen der Kraft der deutschen Sprache ganz besonders wichtig. Wie bei den WR-Stilautoren werden konkrete Sprachmerkmale wie die Zeitwörter und die Mundarten als 'kräftig' gewertet.54 Im Nationalsozialismus kommen abstrakte Aussagen über die Kraft als allgemeine Eigenschaft der deutschen Sprache hinzu. Nach Reiners ist die Sprache eine im Nährboden des Volkstums fest eingewurzelte Kraft, Flad/Wasserzieher glaubt an die „Wärme und Wirkkraft" und Geißler an die „Strahlungsgewalt" der deutschen Sprache. 55 Als die Sprache schwächend wird der Schwulst im Gegensatz zur starken Schlichtheit dargestellt. Schwulst mache die kräftige, natürliche Sprache mit ihren urgegebenen Wörtern „marklos und unmännlich." 56 Ein schlichter Ausdruck ohne Umschweife wie „Ich danke dir" habe „ungeheure Wucht und gewaltige Triebstärke" und präsentiere „die nackten Wortleiber in ihrer Kraft!" 57 Für Geißler enthalten Wörter einen „kraftströmenden" Segen. Das Wort sei mehr als ein Name, es sei „die mit geistiger Kraft ergriffene Sache 51
52
53 54
55 56 57
Siehe bspw. Wustmann 1935/43:336/339 („Gesindel") [wie 1923:304]; 1935/43:92/93 [wie 1923:74]; 1935/43:240/243 [wie 1923:215]; 1935/43:137/140 [wie 1923:118]; 1935/43:108/109 [wie 1923:91], Bspw. Wustmann 1935/43:6 [nicht 1923]; 1935/43:36 [nicht 1923:27]; 1935/43:56 [nicht 1923:40]; 1935/43:69 [nicht 1923:50-51]; 1935/43:306/310 (Abschnitt über politische Schlagwörter neu); 1935/43:336/339 („Mißgebilde") [nicht 1923:304]; 1935/43:348/352 [nicht 1923:316]; 1935/43:360/362 [nicht 1923]; 1935/43:380/381 [nicht 1923]; 1935/43:384/385 (Abschnitt über Aküsprache neu). C. J. Wells, German. . 4 Linguistic History to 1945 (Oxford: Clarendon Press, 1985), S. 416-7. Keller 1978:606. Reiners 1944:18-19, 517-9. Wasserzieher 1942:15. Wustmann 1935/43:282/286 (Weglassen von Vorsilben „be, ge, ent, ver" ist Zeichen von Stärke), S. 109/110 (Kraft einer Aussageweise durch Hilfszeitwörter). Reiners 1944:9. Wasserzieher 1942:9. Geißler 1937:58. Wustmann 1935/43:326/330, 328/331. Geißler 1937:65-66.
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Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
selbst".58 Im Vergleich zu den WR-Stilautoren wird die Kraft und Gewalt der deutschen Sprache bei den NS-Stilautoren häufiger betont; neu ist auch das Herausstellen der sprachlichen Wirkung. Dadurch bekommt die Sprache einen aggressiven Charakter. Die Verstärkung des Organismuskonzeptes ist ein Ergebnis des herrschenden politischen Klimas, in dem eine Atmosphäre der Tatkraft herrscht. Den Nationalsozialisten war es wichtig, den Eindruck einer dynamischen, mächtigen Bewegung zu vermitteln, die etwas bewirkt.59
3.1.6 Die Funktion der Sprache auf politischer Ebene 3.1.6.1 Zeitspiegel Bei allen vier NS-Stilautoren finden sich in unterschiedlicher Anzahl Verweise auf die damaligen politischen Verhältnisse durch das Anspielen auf nationalsozialistische Einrichtungen oder das Einbauen von führenden Nationalsozialisten in Beispielsätzen.60 Schulze/Wustmann ersetzt den Satz der Ausgabe von 1923 „In Nachahmung einer bei der Kreuzschule bestehenden Einrichtung wurden zwei Diskantistenstellen begründet" 1935 mit „In Nachahmung der neuen Staatsform führten fast alle Verbände den Führergrundsatz ein".61 Die Überschrift „Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem Werte?" wird 1935 zu „Mit erhobenem rechten oder rechtem Arm?"62 Bei Reiners finden sich wenige und unverfängliche Verweise auf das Zeitgeschehen.63 Er ist bspw. der einzige, der Hider, Goebbels oder andere fuhrende Nationalsozialisten nicht erwähnt. Neuer Aspekt im Zeitspiegel ist, dass Schulze/Wustmann, Flad/Wasserzieher und Geißler vom neuen politischen System einen konkreten Sprachgebrauch erwarten. Diese drei NS-Stilautoren glauben, dass das Regime ihre Vorstellungen teilen und sie in Sachen Sprache unterstützen sollte, wie die folgenden Belege zeigen. Besonders der Gebrauch von Verbalsubstantiven, Abkürzungs- und Fremdwörtern ließe sich nicht mit
58 59 60
61 62 63
Geißler 1937:60, 54, 57. Schmitz-Berning 1998:101 („nationalsozialistische Bewegung"). Wustmann 1935/43:18 („SA-Männer"), 25 („Dr. Goebbels"), 43/42 („Hitler"). Geißler 1937:56 („Hitlerjugend"), 57 („nationalsozialistisch"), 79 („Adolf Hitler"). Wasserzieher 1942:5 (2 Aussprüche Hitlers über Sprache). Reiners 1944:516 („BDM-Mädel"). Wustmann 1935/43:138/141 [vgl. 1923:119], Wustmann 1935/43:28 [vgl. 1923:19], Auf 644 Seiten bei Reiners 1944 kaum Verweise, siehe lediglich auf S. 169, 284-5, 289-90, 440, 473, 490, 516, 539.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren
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den neuen politischen Umständen vereinbaren. Verbalsubstantive passten nicht ins „jugendfrische[...] Dritte[...] Reich", 64 sie drückten Vorgänge zu starr aus.65 Abkürzungswörter wie HJ für die „fröhliche Hitlerjugend" seien „Retortenmischungen" und keine „lebendige [n], d. h. aus deutschem Blut und Boden geborene[n] Wörter" 66 oder „tote Unwörter", „Hottentottendeutsch" und „Stummelwörter", die das heutige Deutsch entseelten und seine „arteigene Ausdruckskraft" lähmten. 67 Schulze/Wustmann beklagt, dass 1935 „Restaurants" immer noch nicht „Gaststätten" hießen: „Am empfindlichsten stört noch immer das Straßenbild unserer Großstädte ein wahrhaft deutsches Empfinden. Bis heute spürt man hier nur wenig von der 'Gleichschaltung', die sich überall so siegreich vollzogen hat." 68 Geißler liest aus den nicht „aus deutscher Ursprünglichkeitstiefe quellen[den]" Verbalsubstantiven, Aküwörtern und Fremdwörtern eine politische Gesinnung. Ihr Gebrauch sei „demokratisch und bolschewistisch aber niemals nationalsozialistisch". 69 Wie bei den WR-Stilautoren werden bei den NS-Stilautoren abgelehnte Sprachformen (hier: Aküwörter, Verbalsubstantive) mit negativen Eigenschaften (starr, tot, undeutsch) besetzt. Im Gegensatz zu den WR-Stilautoren erwarten die NS-Stilautoren aber, dass diese abgelehnten Sprachformen im Rückgang oder Verschwinden begriffen sein sollten, weil das politische System für sie die Gegensätze dieser negativen Eigenschaften verkörpert. Das Aufleben der neuen positiven Eigenschaften (frisch, lebendig, deutsch) müsste veränderte, positive Sprachformen mit sich bringen. Da der Sprachgebrauch der Nationalsozialisten den Forderungen der NS-Stilautoren oft und offensichtlich widerspricht, - bspw. prägten und gebrauchten die Nationalsozialisten viele Abkürzungs- und Fremdwörter 70 - bleibt als Ausweg aus diesem Dilemma nur eine Entschuldigung oder Ausnahmeerteilung für die Sprache der Machthaber. Flad/Wasserzieher erlaubt Abkürzungswörter in längeren Schriftstücken, Verordnungen oder Gesetzen, also im von den Nationalsozialisten beherrschten Schriftwesen 7 1 Geißler meint, dass begabte Redner - dabei bezieht er sich wohl auf Hitler — die schlechten Eigenschaften der Abkürzungswörter, Fremdwör64
Wustmann 1935/43:255-6/258-9 („in einem frisch fröhlichem Aufbau").
65
Geißler 1937:56: „Mein Junge nimmt heute seinen Eintritt in die Hitlerjugend vor und mein Junge tritt heute in die Hiderjugend ein. [...] Beim zweitenmal [ = im zweiten Satz] aber eilt das Bübchen fröhlich in die Reihen der Kameraden, in die Kampfschar fürs Leben."
66
Wustmann 1935/43:383-4/384-5 („fröhliche" gestrichen).
67
Geißler 1937:56-57. Wasserzieher 1942:66-67.
68
Wustmann 1935/43:363-4/365 („Umbruch" statt „Gleichschaltung").
69
Geißler 1937:57.
70
Klemperer 1998:19, 324. Von Polenz 1999:278. WeUs 1985:418.
71
Wasserzieher 1942:66-67.
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Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
ter und Verbalsubstantive wettmachten: „Wohl kann ein gefühlswallender, ungewöhnliche Strahlkräfte sprühender Sprecher auch die toten Wörter mit überströmen: er spricht zündend t r o t z ihnen." 72 Sprachliche Abweichungen von ihren Erwartungen werden entschuldigt, da Sprachkritik in einem totalitären Regime nicht angebracht ist und sie sich vielleicht auch ihre Illusionen über das neue Regime nicht rauben lassen wollen. 3.1.6.2 Verbindung von Sprache und Volk Wie die WR-Stilautoren sehen die NS-Stilautoren Geißler, Flad/Wasserzieher und Reiners eine enge, wechselseitige Verbindung von Sprache und Volk. Sie betrachten Sprache als maßgeblich für die nationale Identität und Einheit bzw. stufen sie als Reflektion des moralisch-politischen Zustandes im Land ein. Für Geißler und Flad/Wasserzieher sind das „Blut" und vor allem die Sprache als „wirkende Kraft" die „bestimmende Gemeinschaftsäußerung eines Volkes". 73 Reiners sieht in der Schriftsprache ein Band der Einigung, das den Deutschen einen entscheidenden Zusammenhalt in den trübsten Zeiten deutscher Geschichte gegeben habe, ein geistiges und inniges Element des Volkes. 74 Aus dem Sprachzustand lesen die drei Autoren den nationalen Zustand ab. Geißler meint die Zeitungssprache im Weimarer Parteienstaat sei ein „wüstes Gewirr" gewesen, während eine klare politische Führung das echte Wort mit Wahrheit und Kraft gebrauche. 75 Für Reiners stehen „Volkscharakter und Volksgeist in unlöslicher Wechselwirkung", „Sprachschäden" seien „Volksschäden": 76 Von der Verfassung, in der sich eine Sprache befindet, hängt es ab, was in ihr gedacht und gesagt wird. Eine saftlose Sprache bedeutet ein verwaschenes Denken. Jeder Verfall des Volksgeistes schlägt sich in der Sprache nieder, jede Krankheit in der Sprache zieht den Volksgeist mit herab.77
Auch für Flad/Wasserzieher ist Sprache der „unmittelbarste und sichtbarste Ausdruck der artgemäßen geistig-seelischen Haltung eines Volkes". Zudem sei die Sprache durch die „rassische Zusammensetzung" des Volkes bedingt. 78
72
Geißler 1937:57, 79-80.
73
Geißler 1937:3. Wasserzieher 1 9 4 2 : 7 , 1 0 .
74
Reiners 1944:1, 517-8.
75
Geißler 1937:55.
76
Reiners 1944:12, 11.
77
Reiners 1944:10.
78
Wasserzieher 1942:7-8.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der NS-Stilautoren
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Die Verbindung von Sprache und Volk ist für Flad/Wasserzieher und Reiners ein ausschlaggebendes Werkzeug politischer Macht im „Volkstumskampf' 7 9 und allgemein im „Kampf der Nationen". 80 Reiners versucht, diese Behauptung mit der jahrhundertelangen Vormachtstellung Frankreichs in Europa zu belegen. Die französische Sprache habe das französische Nationalgefuhl gestärkt und dazu geführt, dass Europa Frankreich als „natürlichen Führer" des Erdteils anerkannt habe. Mit der französischen Sprache seien die französische Kultur und der französische Machtanspruch bis in den letzten Winkel Europas gedrungen. 81 Für Flad/Wasserzieher war die Sprache nach dem [Ersten] Weltkrieg entscheidend im Kampf der Grenz- und Auslandsdeutschen um die Erhaltung ihres Volkstums: „[...] wenn ein Volkstum mit einem andern Volkstum im Kampfe liegt, erweist sich die Muttersprache als stärker denn das Blut, das ohne ihre Pflege nicht zum völkischen Bewußtsein erwacht. Die Grenzdeutschen ernten jetzt die Früchte ihres Sprach- und Volkstumskampfes." 82 Wie in den WR-Werken stellt die Verbindung von Sprache und Volk als Identitäts- und Einheitsstifter ein zentrales Element von drei NSStilautoren dar. Allerdings bringen Geißler und Flad/Wasserzieher eine weitere, von den Nationalsozialisten mythisch aufgeladene Größe, als Identitätsstifter ins Spiel: das Blut. 83 Die NS-Stilautoren richten ihren Blick bei der Gleichung Sprache = Volk nicht ausdrücklich nach „innen" auf die Sprachpflege in Deutschland wie die WR-Stilautoren, sondern eher nach „außen" auf die politische Konfliktsituation und den Kampf mit dem Nachbarn um politische Macht. Dadurch entsteht der Eindruck, dass das Nationalsymbol Sprache aggressiver aufgeladen ist. Auffällig ist der schon im Sprachzustand festgestellte veränderte Sprachgebrauch, wie bspw. die terminologische Verschiebung von „Vaterland" und „Staat" zu „Volk". Bei Flad/Wasserzieher fällt auch in diesem Punkt wieder die Aufnahme nationalsozialistischer Schlüsselbegriffe auf, wie bspw. 'artgemäße Haltung eines Volkes' (Art) und Völkisches Sosein' (Volk) aufgrund 'rassischer Zusammensetzung'(Rasse).
79 80 81 82 83
Wasserzieher 1942:9. Reiners 1944:9. Reiners 1944:9-10. Wasserzieher 1942:9. Schmitz-Berning 1998:109-110.
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Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
3.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich Reiners und Flad/Wasserzieher betrachten die deutsche Sprache als überlegen. Reiners versucht, sprachliche Gründe für diese Behauptung zu finden, und führt „Wortreichtum, Wurzelhaftigkeit, freie Wortstellung, Logik der Betonung" an.84 Er behauptet, dass der deutsche Wortschatz durch Verbenvielfalt und Wortzusammensetzungen größer sei als der englische und französische. 85 Deutsch beruhe durchgängig auf deutschen Wurzeln, Französisch hauptsächlich und Englisch teilweise auf lateinischen. Die Mischung germanischer und romanischer Wurzeln habe das Englische anfällig für den „Einfall" immer neuer Fremdwörter gemacht. 86 Ein weiterer Vorteil des Deutschen sei die Freiheit der Wortstellung, die es im Englischen und Französischen nicht gebe.87 Da die Deutschen immer die Stammsilbe betonten, sei die deutsche Betonung schöner als im Französischen.88 Auch beim Klangvergleich unterlägen Englisch und Französisch. Im Gegensatz zum anspruchsvollen Deutschen, empfänden englische und französische Sprecher aufeinander folgende, gleich gebaute Sätze nicht als eintönig. 89 Bei all diesen „Gründen" handelt es sich entweder um unbewiesene Behauptungen oder um subjektives Empfinden. Für Flad/Wasserzieher ist die deutsche Sprache überlegen, weil er davon überzeugt ist, dass sie aufgrund der politischen Verhältnisse zur Weltsprache werde: „Die politischen Kräfte, die von Großdeutschland in Zukunft ausstrahlen, erhalten Wärme und Wirkkraft von der deutschen Sprache. Sie ist heute schon die Sprache Europas. Sie wird die Weltsprache sein kraft der in ihr formgewordenen Geisteskräfte unseres Volkes." 90 Von den WR-Stilautoren betrachtete lediglich Schneider die deutsche Sprache aufgrund der Wortzusammensetzungen und der Beugung als überlegen. In diesem Punkt ist in den NS-Werken deutlich eine nationalistische Zuspitzung festzustellen, da Reiners mehrere Gründe findet, um die deutsche Sprache auf Kosten der englischen und französischen Sprache als überlegen zu präsentieren. Flad/Wasserzieher betrachtet die deutsche Sprache nicht nur als überlegen, sondern sogar als zukünftige Weltsprache. Der noch in den WR-Werken bekundete Neid auf die fortschrittliche Sprachpflege in Frankreich entfällt völlig.
84
Reiners 1944:17.
85
Reiners 1944:14.
86
Reiners 1944:15.
87
Reiners 1944:16.
88
Reiners 1944:17.
89
Reiners 1944:343.
90
Wasserzieher 1942:9.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der NS-Stilautoren
99
3.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der NS-Stilautoren Wie in den WR-Werken soll in dieser Abteilung auf der Suche nach Spuren des Einflusses durch das politische System die Stilauffassung der NSStilautoren untersucht werden, indem die Aussagen zum Stil (3.2.1), fünf Stilanweisungen (3.2.2) und die Vorbilder für 'gutes Deutsch' (3.2.3) untersucht werden. Aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte von Sprachratgebern und Stillehren stammen die meisten Aussagen zum Stil (3.2.1) von Reiners und Geißler. Es sei wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung der Stilanweisungen das Herausarbeiten ihrer Begründungen im Vordergrund steht und nicht ihre stilistische Anwendbarkeit.
3.2.1 Aussagen zum Stil 3.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters Reiners übernimmt die Grundideen über den Stil von WR-Stilautor Engel. Der Stil sei Ausdruck der Persönlichkeit und des Charakters. Der Stil widerspiegele den Menschen und sei so zuverlässig wie ein Fingerabdruck. 91 Die meisten Stilkrankheiten gingen auf Schwächen des Charakters zurück, folglich bedeute Stilschulung Charakterschulung. 92 Wie Engel nennt Reiners die Wahrhaftigkeit „die erste Quelle guten Stils" und fordert den Verzicht auf alle eiden Abschweifungen und darauf, „den banalsten Gedanken durch ausgefallene Worte oder tönende Phrasen den Anstrich der Bedeutung zu verleihen." 93 Reiners glaubt ebenfalls an die Lehrbarkeit des guten Stils.94 Auch Geißler verbindet Charaktereigenschaften bzw. Tugenden und Laster mit dem Sprachstil. Eine einfache, schlichte Ausdrucksweise drückt für Geißler die Tugend der Wahrheit aus, der Gebrauch von „Leerwörtern" wie Superlativen hingegen sei ein sittlicher Makel. 95
91 92
Reiners 1944:48 (Goethe-Zitat), 36 (Schopenhauer), 395, 389. Reiners 1944:50, 54. Auf S. 12: „Wer den Stil bessert, schult Denken und Charakter". Auf S. 36 stimmt Reiners Nietzsches Aussage zu: „Den Stil verbessern heißt den Gedanken verbessern."
93 94 95
Reiners 1944:36-37. Reiners 1944:54, 49. Geißler 1937:35, 38. Geißlers Aussage steht auch hier im Widerspruch zum gängigen Sprachgebrauch der Nationalsozialisten, deren hohe Emotionalität der Sprache sich u. a. durch Superlative ausdrückte. Vgl. Walther Dieckmann, Sprache in der Politik (Heidelberg: Carl Winter, 1969), S. 108.
100
Spcachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
Bei NS-Stilautor Schulze/Wustmann taucht die Idee eines natürlichen, angeborenen Stiltalentes auf. Bei Kindern bis zum elften oder zwölften Lebensjahr manifestiere sich dieses Talent. Durch Bildungseinflüsse bzw. die „lesende Aufnahme der verschiedensten fremden Stilarten" gehe es meistens verloren. 96 Worum es sich bei den „fremden Stilarten" handelt, ist nicht ersichtlich. Aufgrund der natürlichen Begabung betrachtet Schulze/Wustmann Stil als begrenzt erlernbar, „handwerkliche[...] Regeln" als bloße „Fingerzeige" der Stilkunst.97 Schulze/Wustmanns Idee des angeborenen Stiltalentes ist neu und passt zu seiner Auffassung eines „eingeborenen Sprachgefühls" (vgl. 3.1.4.2) und zum anti-intellektuellen Trend der nationalsozialistischen Ideologie. 98 Im Gegensatz dazu steht Geißlers Meinung, für den guter Stil fleißige Beschäftigung mit der Muttersprache und harte Arbeit bedeutet und keineswegs ein intuitiver, inspirierter Vorgang oder „ein Hagel von Musenküssen" ist.99 Er fordert eine gewisse sprachliche Sensibilität und Kompetenz als Basis für das Erlernen eines „deutsch-echten Stil[s]". Auf der Basis einer traditionellen sprachpädagogischen Methode empfiehlt er die Stilschulung durch die private Beschäftigung und das sorgfältige Studium der Muttersprache anhand der Lektüre von Sprachbüchern. 100 Die Hauptaussagen über den Stil aus den WR-Werken werden also übernommen, teilweise ausgebaut und durch neue, sich widersprechende Ideen ergänzt: Stil ist Ausdruck der Persönlichkeit und des Charakters (Reiners), Stil ist eine Sache der Bildung (Geißler) und Stil ist angeborenes Talent (Schulze/Wustmann). Wie für WR-Stilautor Engel ist der gute Stil für Reiners Charaktersache und durch die anzustrebende Tugend der Wahrhaftigkeit und das Ablehnen des Lasters Eitelkeit zu erreichen. Auch Geißler verbindet positive und negative Charaktereigenschaften mit dem Stil. Anders als WR-Stilautor Engel, betonen Reiners und Geißler nicht nur den individuellen Charakter im Sprachstil, sie verallgemeinern und identifizieren vermeintlich nationale Charaktereigenschaften im Schreibstil. So sei bspw. der Nordländer „wortkarger" als andere Rassen. Die 96 97 98
Wustmann 1935/43:252/254. Wustmann 1935/43:252/255. Für 'anti-intellektuell' siehe 3.1.4. Ich bin mir dessen bewusst, dass die Bezeichnung einer „nationalsozialistischen Ideologie" aufgrund der Heterogenität und Widersprüchlichkeit des nationalsozialistischen Ideologiekonglomerats problematisch ist. Vgl. dazu Von Polenz 1999:46-47. 99 Geißler 1937:77. 100 Geißler 1937:7-9, 81. Geißler empfiehlt die folgenden Werke: Schlessing und Wehrle, Deutscher Wortschatz 1927. Otto Sarrazin, Verdeutschungs-Wörterbuch, 1986. Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1934. Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 1935. Zeitschrift Muttersprache.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der NS-Stilautoren
101
Deutschen seien „Sachmenschen" und keine „Sprachmenschen"; diese Eigenschaft bewahre sie „vor dem Kult leeren Schaugepränges" und vor der „Überschätzung stilistischer Putzmacherei". 101 Bei Geißler findet sich ebenfalls die Idee der deutschen „Sachmenschen" oder der „nordischen Leistungsmenschen" im Unterschied zu den „romanischen Wortmenschen". 102 Geißler spricht von ,,unser[em] Deutsch in seiner nordischedlen Gehaltenheit" und von den „von Haus aus südlich grelleren Mittelmeersprachen". 103 Diese Aussagen erinnern an die Klimatheorie, die im 18. Jahrhundert die Identifizierung eines Sprachcharakters mit einem Volkscharakter stützt. Nach Gardt schrieb August Wilhelm Schlegel, dass „Die gemäßigten Klimate [...] im ganzen genommen die schönsten und geistvollsten Menschen und auch die schönsten Sprachen hervorgebracht [haben]." Südliche Sprachen und Menschen galten als harmonisch und elegant und nördliche Sprachen und Menschen als bestimmt und markant. Nach Gardt ist diese Sicht von Schlegel in keiner Weise nationalistisch verstanden worden. In ideologisch gefärbten Auslegungen werde allerdings mit germanischen Sprachen und speziell mit dem Deutschen „Natürlichkeit, Aufrichtigkeit, und Beständigkeit" assoziiert, während den romanischen Sprachen und ihren Sprechern dagegen „Oberflächlichkeit, Unehrlichkeit und Affektiertheit" zugeschrieben werde. 104 Reiners und Geißler scheinen diese Sicht übernommen zu haben, denn durch ihre qualitativ wertenden Beschreibungen der nordischen Leistungsmenschen und romanischen Wortmenschen erhalten ihre Aussagen eine eindeutige ideologische Färbung. 105 Beide NS-Stilautoren stellen allerdings auch Stilarten in Deutschland fest, die sie als nationales Laster einstufen. Nach Reiners ist der Papierstil (Beamtendeutsch/Kanzleistil) ein Ausdruck von Unterwürfigkeit und bezeuge einen Mangel an natürlichem Selbstgefühl. 106 Als nationales Laster oder „Erblaster der Deutschen" beklagt Geißler den „verfluchte[n] Objektivitäts'stil", der für ihn einen „Mangel an Entscheidungsfreudigkeit" ausdrückt. 107 Im Vergleich zu den WR-Werken bauen Reiners und Geißler die individuelle Charakteranalyse mit Behauptungen über nationale Eigenschaften und national-typische Stilarten aus. Dabei wird deutlich, dass Reiners und 101 102 103 104 105 106
Reiners 1944:31, 38, 40. Geißler 1937:36, 68. Geißler 1937:57. Gardt 1999:309. Gardt 1999:240,308. Reiners 1944:166. Engel (1931:495) hatte im Kanzleistil keine Gefahr gesehen, für ihn handelte es sich lediglich um „sachliche Langeweile in schwerfälliger Form". 107 Geißler 1937:35.
102
Sprachratgeber und Stillehren im Nationalsozialismus (1933-1945)
Geißler einigen Deutschen mangelndes Selbstbewusstsein und eine schwächliche, intellektuelle und liberale Vorurteilslosigkeit unterstellen (Papierstil/Objektivitätsstil), 108 sie aber im Vergleich zu anderen Völkern und Sprachstilen durch Bezeichnungen wie „Sach- und Leistungsmenschen" als überlegen abschneiden lassen. Der Stildiskurs wird dazu benutzt, um sich national zu profilieren. 3.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil Während einige Voraussetzungen für den guten Stil, wie bspw. die Rücksicht auf den Leser, die Erwägung der Stilebenen und die Stoffbeherrschung gleich bleiben, werden andere Voraussetzungen in den NSAusgaben geändert. Wie die WR-Stilautoren Engel und Stubenrauch/Wustmann fordern Reiners und Schulze/Wustmann die Stoffbeherrschung. 109 Geißler und Reiners sprechen die schon aus den WRWerken bekannte Rücksicht auf den Leser an; die Schriftsteller sollten ihre Aufmerksamkeit nicht dem Gegenstand des Buches, sondern der Figur des Lesers widmen. 110 Beide sprechen die verschiedenen, für jeden Gegenstand angemessenen Stilebenen an.111 Für Geißler und Reiners ist das Zusammenspiel von Inhalt und angemessener Form ein wichtiger Stilaspekt. 112 Auffällig ist allerdings die Reinerssche Definition der Angemessenheit, um bestimmte Wirkungen und Emotionen hervorzurufen. Für Reiners ist ein Stil „angemessen", wenn er dazu beiträgt, bestimmte Wirkungen, Gedanken, Gefühle oder Stimmungen beim Leser zu erreichen. 113 Damit unterscheidet sich Reiners von WR-Stilautor Engel, für den die Angemessenheit (Zweckmäßigkeit) bedeutete, die einzelnen Stilebenen zu berücksichtigen und den Leser auf rationaler Ebene durch die lückenlose Gedankenübertragung und Nachvollziehbarkeit des Argumentes zu überzeugen. 114 Damit besteht bei Reiners eine Verlagerung auf die emotionale Ebene. Auch dieses Phänomen passt in die Zeit, denn im Nationalsozialismus wurden „Gefühl", „Urdrang", „Gemüt" und „die Eingebung des Bluts" über „Verstand" und „Gehirn" gestellt.115 Reiners hat die Verbindung von Denken und Sprache bzw. Denkstil und Sprachstil übernommen und setzt eindeutig die Sprache dem Denken 108 Vgl. Schmitz-Berning 1998:445 (Bedeutung von 'Objektivität' im Nationalsozialismus). 109 Reiners 1944:39, 49. Wustmann 1935/43:251/254. 1 1 0 Geißler 1937:58, 41. Reiners 1944:V-VI. 111
Reiners 1944:52, 242. Geißler 1937:5, 62.
1 1 2 Geißler 1937:49. Reiners 1944:39. 1 1 3 Reiners 1944:43. 1 1 4 Engel 1 9 3 1 : 1 0 , 1 3 , 9. 1 1 5 Berning 1964:106-7.
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gegenüber als apriorisch an.116 Diese Hierarchie hatten wir in den WRWerken nur vermutet. Er beruft sich auf Wilhelm von Humboldt und schreibt: „Die Sprache zwingt uns, in bestimmten Formen zu denken, zu fühlen, ja sogar wahrzunehmen. [...] Das Netz von Denkmöglichkeiten, das die Sprache über die bunte Welt der Erscheinungen geworfen hat, hält unser Denken gefangen." 117 Das „Zepter der Sprache" bestimme, ,,[o]b das Denken erstarrt oder beweglich bleibt, ob das Urteil lebendig ist oder konventionell, ob die Geisteshaltung kraftvoll ist oder schlaff und der Geist schwungvoll oder papieren." 118 Die Sprache bestimme Denken und Handeln, denn: „Wenn ein Volk gleichartig denkt, so beruht dies zum guten Teile auf den gemeinsamen Sprachformen." 119 Jemand, der einen schwerfälligen Papierstil schreibe und Taten nicht als Taten ausdrücke, der sehe, urteile und handele auch anders als natürliche, schwungvolle Menschen.120 Die Verbindung von Denken und Sprache ist bei Reiners insofern ausgebaut, als dass die Sprache nicht nur das Denken konstituiert, sondern die Gefühle, die Erkenntnis, das Weltbild und das individuelle Handeln. Zudem fordert er von der das Denken beherrschenden Sprache Tugenden, die im Nationalsozialismus betont werden: Schwung, Kraft, Tatkraft, Dynamik und Beweglichkeit. 121 Neu ist, dass die für den Sprachkonservatismus typische Auswahl von Sprache in den Ausführungen über Denken und Sprache zutage tritt. Denn die von NS-Stilautor Reiners geforderten gemeinsamen Sprachformen, die für das gleichartige Denken notwendig sind, kommen nur durch eine Begrenzung und Auswahl zustande. Rückblickend und im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus beschwört die von Reiners vielleicht unpolitisch gemeinte Aussage über gleichartiges Denken durch gemeinsame Sprachformen die Assoziation der Sprachlenkung zu politischen Zwecken. Schließlich ist zu vermerken, dass das Arbeiten in schwarzweißen Gegensätzen (erstarrt - beweglich, kraftvoll - schlaff, usw.) und die fehlenden Begründungen der Behauptungen eine Kontinuität in der Sprachbetrachtung mit den WR-Werken darstellt.
1 1 6 Vgl. WR-Stilautor Engel 1931:9: „Schriftlicher Stil ist sprachliche Gedankenform." 1 1 7 Reiners 1944:8. 1 1 8 Reiners 1944:12. 1 1 9 Reiners 1944:8. 120 Reiners 1944:174. Dort auch: „[W]er in dieser verzweifelten Papiersprache von der Welt redet, der wird sie weder verstehen noch verändern." 121 Schmitz-Berning 1998:101 („Bewegung").
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3.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 3.2.2.1 „Schreibe muß die treffendste Rede sein." 122 Im Unterschied zu den WR-Werken, in denen nur zwei WR-Stilautoren die Sprechsprache empfahlen, betrachten alle vier NS-Stilautoren die gesprochene Sprache als wichtigen Orientierungspunkt für die Schriftsprache. 123 Sie tritt in den NS-Werken insofern verstärkt und zugespitzt auf, als dass alle vier NS-Stilautoren die Orientierung an der Sprechsprache empfehlen und sie mit zusätzlichen, ihres Erachtens positiven Eigenschaften verknüpfen. Schulze/Wustmann übernimmt die Auffassung, dass die Sprechsprache die Eigenschaft der Sprachrichtigkeit und Natürlichkeit besitze. 124 Wie WR-Stilautor Engel wünscht sich Reiners die grammatisch korrekte Sprechsprache als Vorbild (d. h. „eine Sprache, die nur die Vorzüge, nicht die Schwächen des Alltagsdeutschs aufweist, eine Sprache, die stilistisch so lebendig ist wie geredetes Deutsch und grammatisch so sorgfältig wie geschriebenes") und preist insbesondere ihre Lebendigkeit. 125 Zu diesen aus den WR-Werken bekannten Eigenschaften der Sprechsprache fügen drei NS-Stilautoren weitere positive Merkmale hinzu. Geißler und Flad/Wasserzieher betonen ihre Ursprünglichkeit. Flad/Wasserzieher weist darauf hin, dass das Sprechen dem Schreiben stets vorausgehe und Geißler betrachtet die „Redende Kunst" als „Keim" und „Ursprung" des Stils.126 Geißler preist die „Lebensnähe" und „selbstverständliche^ . .]Kraft" der Sprechsprache, obwohl er vor der wörtlich genommenen Regel „Schreib, wie du sprichst!" aufgrund der Verschiedenheit von Schrift- und Sprechsprache warnt. 127 Reiners fügt zu den Eigenschaften der Lebensnähe und Kraft Bestimmtheit, Anschaulichkeit, Gefühl und eine dem Menschen zugekehrte Wirklichkeit hinzu. Die langweilige Schriftsprache hingegen sei ein Produkt des Verstandes und behandle
122 Wasserzieher 1942:12. 123 Wustmann 1935/43:248/251-2, 107/108. Geißler 1937:68-69. Wasserzieher 1942:11, 12, 69. Reiners 1944:235. 124 Wustmann 1935:248/251-2. Auf S. 107/108: „Halten wir uns, wie immer, an die lebendige Sprache. Tatsache ist, dass in der unbefangenen Umgangssprache das Hilfszeitwort noch recht selten weggelassen wird." 125 Reiners 1944:235, 223. 126 Wasserzieher 1942:35. Geißler 1937:68-69. 127 Geißler 1937:58-59. Auf S. 69: Das geschriebene Wort sei eine Welt aus sich selber geworden. „Gute Prosa kann Sätze enthalten, wie kein Mensch sie mündlich baute und bauen könnte." Also ist es nicht richtig, dass Geißler ein kompromissloser Verfechter der Mündlichkeit war, so wie Müller (1990:140-41) es darstellt.
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Probleme zu abstrakt.128 Die Sprechsprache mit ihrem „fest zupackenden G r i f f und ihrer „Wärme des Lebens" stehe im Gegensatz zum „Buchdeutsch" oder „Papierdeutsch", der ,,toteste[n] aller toten Sprachen". 129 Die Sprechsprache wird also mit einer Reihe von Eigenschaften wie Wärme, Leben, Gefühl, Kraft, Zupacken und Wirklichkeitsnähe assoziiert und im Gegensatz zur langweiligen, verstandesmäßigen, abstrakten, toten Schriftsprache/Kanzleisprache gesehen. Bei der Darstellung dieser Stilanweisung lassen sich wieder das Arbeiten in schwarzweißen Gegensätzen, der emotionale Sprachgebrauch und die unbewiesenen Behauptungen feststellen. Die Beschreibung der Schriftsprache als langweilig und abstrakt deutet wieder auf eine anti-intellektuelle Tendenz, die wir schon in Bezug auf die Sprachrichtigkeit und das Sprachgefühl (siehe 3.1.4.2) sowie im Stildiskurs (3.2.1.1) festgestellt haben. Neu sind im Zusammenhang mit dieser Stilanweisung auch Flad/Wasserziehers Ratschläge zum öffentlichen Reden, die es bei WRStilautor Wasserzieher nicht gibt.130 Diese Ratschläge können als konkreter Einfluss der politischen Umstände gewertet werden, denn für die Nationalsozialisten waren Reden auf dem Weg zur Machtergreifung und während der Zeit ihrer Regierung ein zentrales Propagandamittel. Himmler gründete 1929 eine Rednerschule, die systematisch und gezielt Parteiredner ausbildete.131 Flads Zusat2 über das öffentliche Reden könnte auf die damalige propagandistische Funktion der Rede zurückzuführen sein. 3.2.2.2 „Die Seele des Satzes ist das Zeitwort." 132 Im Vergleich zu den WR-Stilautoren wird die Empfehlung, Zeitwörter zu gebrauchen, bei den vier NS-Stilautoren ausgebaut. Ihre Begeisterung für diese Wortart zeigt sich an ihrer Ausdrucksweise und Behandlung dieses Themas. Für Reiners sind Zeitwörter die „wichtigsten aller Wortarten" — er widmet ihnen ein ganzes Kapitel.133 Auch Geißler betrachtet das Zeitwort als „das wichtigste Wort lebendiger Sprechsprache". 134 Beide be-
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Reiners 1944:223-4, 227, 236. Reiners 1944:174-5, 232, 158 („Buchdeutsch"). Geißler 1937:67. Wasserzieher 1942:12 (Leitlinie 5). Reiners 1944:348. Vgl. Randall L. Bytwerk, „Fritz Reinhardt and the Redmrschule der NSDAP", Rhetorik, 2 (1981), 7-18. Auf S. 16: Im September 1930 sprachen 40 ausgebildete Redner auf 1000 Versammlungen. Ein Redner konnte bis zu 32 Reden in 2 Monaten halten. Siehe auch der nachhaltige Eindruck der Führerreden bei Johannes Volmert, „Politische Rhetorik des Nationalsozialismus" in Ehlich 1995: 137-161 (S. 137).
132 Geißler 1937:11. 133 Reiners 1944:14, 113-123 (Kapitel: „Das Zeitwort stirbt"). 134 Reiners 1944:14. Geißler 1937:9.
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zeichnen es als die „Seele des Satzes". 135 Flad/Wasserzieher und Reiners bezeichnen das Zeitwort als „Rückgrat" des Satzes, 136 Schulze/Wustmann nennt es das „Herzstück" oder das „lebendige Herz des Satzes", in dem „das strömende Leben [...] flutet",137 ändert die drei „stilistischefn] Hausund Lebensregeln" und legt dem Leser jetzt als erste Regel den Gebrauch des Zeitwortes ans Herz (das Zeitwort kam in der Weimarer Ausgabe von 1923 gar nicht darin vor). 138 Die NS-Stilautoren assoziieren weiterhin Kraft und Klarheit mit Zeitwörtern. 139 Für Reiners und Geißler geben sie zudem die Bewegung und das Ereignis wieder und nicht den Zustand oder die Vorstellung. 140 Neu ist, dass alle vier NS-Stilautoren die Wortart als Ausdruck der deutschen Sprache, des individuellen oder des deutschen Charakters darstellen. Reiners geht vom „prädikativen Geist" der deutschen Sprache aus.141 „In unserer Sprache herrscht das Zeitwort. [...] Unser Satzbau ist prädikativ, nicht attributiv, zu Deutsch: er verlangt Aussagen nicht Beifügungen." 142 Schulze/Wustmann verbindet den Gebrauch von Zeitwörtern mit klarem, sauberem Denken und der Ehrlichkeit des Sprechers. 143 Flad/Wasserzieher meint: „Benütze [...] das Tunwort! (Tun und Handeln entsprechen dem deutschen Wesen mehr als Betrachten und Hinnehmen.)" 144 Durch den Gebrauch von Zeitwörtern erreiche man Wahrheit: „Nach Klarheit und Wahrheit strebt der faustische deutsche Mensch." 145 Für Geißler ist die Liebe zur Tat Ausdruck des nationalen Stolzes und eine nationalsozialistische Eigenschaft. 146 Auch der aus den WR-Werken bekannte Gegensatz 'gutes Zeitwort schlechtes Hauptwort' findet sich bei den NS-Stilautoren wieder und wird ausgebaut. Schulze/Wustmann empfiehlt als Gegenmittel zur „Hauptwörtersucht" den Gebrauch von Zeitwörtern. 147 Für Geißler ist das Zeitwort Bewegung, während das Hauptwort Ruhe und Starre ausdrücke. Auch er 135 136 137 138 139 140 141 142
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Geißler 1937:11. Reiners 1944:113. Wasserzieher 1942:15. Reiners 1944:113. Wustmann 1935/43:258/261, 253/256, 254/257. Wustmann 1935/43:258/261 [vgl. 1923:241]. Reiners 1944:114 . Geißler 1937:37. Wasserzieher 1942:15. Reiners 1944:113-114. Geißler 1937:10. Reiners 1944:203. Reiners 1944:106. Auch auf S. 120: „[...] die Hauptwörterei verstößt gegen einen Grundgedanken unseres Sprachbaus: [...] der deutsche Satzbau ist nicht attributiv, sondern prädikativ, nicht anreihend, sondern aussagend." Wustmann 1935/43:237/240-1. Wasserzieher 1942:11. Wasserzieher 1942:12 (Leitlinien 5, 3). Geißler 1937:7-8, 53. Wustmann 1935/43:258/261.
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warnt vor der „Hauptwörterkrankheit". 148 Während diese beiden Autoren hauptsächlich Verbalsubstantive in ihren Beispielen zitieren, verallgemeinert Reiners. Ein Satz mit Verben wirke „schlank, handlich, beweglich, frisch und anschaulich [und sei] leichter zu verstehen [und] lebendig", während er durch Hauptwörter „steif, schwerfällig und weltfremd, schlaff, langweilig, schwunglos und schwerverständlich, abstrakt" werde. 149 Neu ist die Charakteranalyse im Zusammenhang mit dem WortartenGegensatz. Nach Reiners ist das Zeitwort die Sprache von Willensmenschen und Staatsmännern, ein Zeichen von Ehrlichkeit, Genauigkeit, Entschlossenheit und Mut.150 Der Gebrauch von Hauptwörtern dagegen deute auf einen Mangel an Tatendrang, auf Schwäche und Undurchschaubarkeit und auf eine „schwankende Natur". 151 Schulze/Wustmann verbindet soziale Gruppierungen mit den Wortarten. Der unverbildete Volksgenosse sei gegen den Hauptwörtergebrauch gewappnet. Er verlache diese Ausdrucksweise, als „dürre Schreibtischweisheit, Ausgeburt von Büchern, auf denen sich der Staub verfilzt, [und als] markloses Geschwätz". 152 Reiners zieht einen weiteren soziologischen Schluss aus dem Wortgebrauch. Die Hauptwörterei sei eine geistige Ermüdungserscheinung, wobei die Menschen die Welt nicht mehr in Bewegung, sondern in Erstarrung sähen und eine Alterserscheinung am Ende großer Kulturepochen.153 Im Hinblick auf diese Stilanweisung lässt sich bei den NS-Stilautoren nicht nur eine Übernahme der Auffassungen aus den WR-Werken feststellen, sondern auch eine Zuspitzung und Verschärfung. Übernommen wird die Auffassung von Sprache als Lebewesen, wobei den Verben die positiven Eigenschaften der Klarheit und Kraft zugeschrieben werden. Die Betonung von Handlung sowie der Gegensatz von schlechtem Hauptwort und gutem Zeitwort finden sich ebenfalls wieder. Die Zuspitzung und Verschärfung der Stilanweisung entsteht auf drei Weisen: Erstens wird der Gebrauch der Wortarten ausführlich diskutiert
1 4 8 Geißler 1937:10. 149 Reiners 1944:119, 114, auf S. 122, 247 Lob der Zeitwörter. A u f S. 121 erlaubt Reiners Hauptwörter lediglich als stilistisches Mittel, wenn man sich absichtlich unbestimmt ausdrücken wolle. 1 5 0 Reiners 1944:114-115. A u f S.115: „Ob man in Verben schreibt oder in Hauptwörtern, ist eine Charakterfrage. Entschlossene Charaktere, die den Mut zu unwiderruflichen Erklärungen haben, bevorzugen unbewußt das Tatwort. Schwankende Naturen halten sich mit Hauptwörtern ein Hintertürchen offen." Auf S. 119: „Substantive machen die Sprache abstrakt." 151 Reiners 1 9 4 4 : 3 0 6 , 1 1 4 - 1 1 5 . 152 Wustmann 1935/43:254/257 [nicht 1923:236-7], 153 Reiners 1944:123.
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und mit verstärkt emotionaler Sprache beschrieben. 154 Zweitens werden konkrete individuelle und nationale Charaktereigenschaften auf die Wortarten projiziert. Dabei wird unter anderem versucht, die vermeintlich positiven Eigenschaften und Tugenden als typisch deutsch zu beanspruchen. Die Wortart agiert als ein sprachliches Ventil für bestimmte Werte. Drittens wird eine anti-intellektuelle Haltung durch die Darstellung bestimmter Eigenschaften gefördert: anzustreben ist das Tun und Handeln, der Tatendrang, die Bewegung, verpönt werden das Betrachten, das Studieren (Sitzen am Schreibtisch), Bücher und Bildung. Besonders an diesem Punkt lässt sich der Einfluss der NS-Bewegung feststellen, da sie bewusst auf Dynamik, Bewegung und Handlung setzte und das Intellektuelle verpönte.' 55 Schließlich sei noch einmal betont, dass der Gebrauch von Zeit- und Hauptwörtern in den NS-Werken wie in den WR-Werken undifferenziert dargestellt wird. Die NS-Stilautoren sind weiterhin in schwarzweißen Gegensätzen, einer emotionalen Sprache und im Netzwerk unbegründeter Behauptungen verfangen. 3.2.2.3 „Schreibe nie mehr ein Passivum!" 156 Im Gegensatz zu den WR-Werken, in denen sich zwei Stilautoren negativ im Hinblick auf das Passiv äußerten, kritisieren alle vier NS-Stilautoren die Leideform und äußern sich ausführlicher und eingehender zu diesem Punkt als die WR-Stilautoren. Dadurch erscheint diese Stilanweisung in den NS-Werken zugespitzt. Schulze/Wustmann fügt einen Abschnitt über das Passiv hinzu.157 Geißler bezeichnet die Leideform als „unanschaulich" 158 und Flad/Wasserzieher als lang und „ganz schwerfällig". 159 Reiners beklagt die stilistisch umständliche Bildung, weil es keine eigene Form für die Leideform gebe und sie mit „werden" umschrieben werden müsse. 160 Schulze/Wustmann weist darauf hin, dass sie „keine Urform" sondern eine zusammengesetzte Wortgruppe sei.161
154 Beispielsweise spielt das Zeitwort bei Reiners eine weitaus größere Rolle als bei Engel, der zwar in ein paar Zeilen den Gebrauch des Zeitwortes empfahl, sich dann aber ausschließlich grammatischen Fragen widmete, vgl. Engel 1931:68-69, 360. 155 Keller 1978:605. Berning 1964:106-7. 156 Wustmann 1935/43:80. 157 Wustmann 1935/43:78-80. 158 Geißlet 1937:10. 159 Wasserzieher 1942:20. 160 Reiners 1944:167. 161 Wustmann 1935/43:78.
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Analog zum „Zeitwort-Hauptwort-Gegensatz" konstruieren Reiners und Schulze/Wustmann den Aktiv-Passiv Gegensatz und verbinden die Genera Verbi mit bestimmten Charaktereigenschaften. Nach Reiners betont die bildhafte, anschauliche Tatform die Handlung, die Leideform hingegen das Ergebnis. 162 Die Leideform sei der Ausdruck einer ängstlichen, kraftlosen Natur. 163 „Die Leideform ist die Sache der EwigDabeistehenden, die nur Geschehnisse, nicht Taten kennen, sich furchten, Täter offen an die Rampe treten zu lassen, namentlich, wenn sie es selber sind."164 Auch für Schulze/Wustmann steht das handelnde Subjekt in der Tatform klar und bestimmt im Vordergrund. 165 Der Sprecher bekenne sich mutig als Subjekt und trage Verantwortung. Die Tatform sei Ausdruck von Jugend, Energie und wahrhafter Männlichkeit. 166 Die Leideform hingegen mache den Handelnden gelegentlich zweifelhaft; sie sei „Sinnbild und Träger einer energielosen Zeit". 167 Besonders willensschwache Menschen, die sich treiben und stoßen ließen, benutzten die Leideform. Daher bedeute bewusste Stilpflege, die Leideform zu verbannen. 168 Während der Gegensatz zwischen Tatform und Leideform in den WR-Werken lediglich angedeutet war, wird er in den NS-Werken ausgebaut. Beide Genera Verbi werden mit konkreten menschlichen Tugenden und Lastern belegt. Bei der Beurteilung steht die Tat im Mittelpunkt der Bewertung. Die Tatform verkörpert auf sprachlicher Ebene die vom politischen System gepriesenen Tugenden Jugend, Kraft, Mut und Energie. Damit steht die Beurteilung der Tatform im Einklang mit der Beurteilung des Zeit- oder Tatwortes. Die Leideform steht für Angst, Willenlosigkeit und Schwäche - also für Eigenschaften, die vom NS-Regime verpönt wurden. 169 Die Leideform ist damit das Gegenstück zum verpönten Hauptwort (siehe 3.2.2.2).
162 Reiners 1944:167, 257. 163 Reiners 1944:175, 166-7. 164 Reiners 1944:167. Reiners erlaubt die Leideform nur, wenn der Täter nicht genannt werden soll, weil er ganz unwichtig ist: „Das Museum wird um 3 Uhr geschlossen". 165 Wustmann 1935/43:79. 166 Wustmann 1935/43:80/79-80. 167 Wustmann 1935/43:79/-. Es handelt sich um eine Aussage von Dr. Rosenthal, sie wird 1943 entfernt. Vielleicht ist Rosenthal jüdischer Abstammung. 168 Wustmann 1935/43:79. 169 Vgl. Schmitz-Berning 1998:295: „Der härteste Mann ist für die eiserne Zukunft gerade noch hart genug." Oder Hitler in einer Rede an die Jugend 1938: „Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. [...] Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich." Vgl. Max von der Grün, Wie war das eigentlich? Kindheit und Jugend im Dritten Reich, 2. Auflage (Darmstadt: Luchterhand, 1982), S. 100.
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Wie bei den WR-Stilautoren werden weder die Textssorte noch die Stilebene in Betracht gezogen, es handelt sich um eine pauschale Verurteilung der Leideform und ein unkritisches Lob der Tatform. Die NSStilautoren belegen ihre Behauptungen nicht. 3.2.2.4 „Die Naturform unseres Satzes ist die Beiordnung." 170 Hinsichtlich der Ratschläge zum Satzbau gibt es viele Ubereinstimmungen zwischen den WR- und den NS-Stilautoren. So warnen alle vier vor dem Schachtelsatz und machen weiterhin die lateinische Sprache und das vom Lateinischen geprägte Gelehrtendeutsch für Satzbauprobleme verantwortlich.171 Der „unverbildete Mensch" hingegen bilde gute Sätze, da er sich von Haus aus in beigeordneten Sätzen ausdrücke und Riesen- oder Bandwurmsätze meide. 172 Auch die Verbindung von gut gebauten Sätzen durch richtiges Denken sowie der Ratschlag „ein Gedanke pro Satz" finden sich bei den NS-Stilautoren wieder. 173 Wie WR-Stilautor Engel führt NSStilautor Reiners den komplizierten Satzbau auf die „Zuchdosigkeit des Denkens" zurück. 174 In Bezug auf Schachtelsätze und Satzbauprobleme stellen also der vermeintlich negative Einfluss des Lateinischen, die Gelehrtenschelte sowie die Verbindung von Denken und Satzbau eine Kontinuität mit den WR-Werken dar. Auf den ersten Blick gleichen sich auch die Ratschläge zum Satzbau. Wie in den untersuchten WR-Werken taucht der Aspekt der Neben- oder Beiordnung auf, er wird allerdings ausgebaut und von allen vier NSStilautoren empfohlen. 175 Neu ist die Begründung dieser Anweisung bei Geißler und Reiners mit dem Charakter der deutschen Sprache. Die Beioder Nebenordnung sei die „eigentliche Form", bzw. die „Naturform des deutschen Satzes". 176 Zwei NS-Stilautoren, Flad/Wasserzieher und Reiners, raten zu kurzen Sätzen, begründen sie aber nicht nur mit der Verständlichkeit wie die WR-Stilautoren, sondern damit, dass einfache, kurze Sätze „das [für uns] beste Ausdrucksmittel unsrer Gedanken und Gefühle" sei.177 Auch Schulze/Wustmann meint, dass gewisse Satzbaumerkmale,
170 Reiners 1944:102. 171 Schulze/Wustmann 1935/43:258/261, 259/262. Geißler 1937:27 (allerdings erlaubt Geißler den literarischen Großsatz - siehe 3.2.3). Wasserzieher 1942:12, 70. Reiners 1944:104 (Bandwurmsatz), 89 (Gelehrtendeutsch). 172 173 174 175 176 177
Wustmann 1935/43:261/264 [nicht 1923:219, 234], Wasserzieher 1942:11 (Leitlinie 1), 12 (Leitlinie 4). Reiners 1944:95, 86, 89. Reiners 1944:89. Wustmann 1935/43:259/262. Geißler 1937:32. Wasserzieher 1942: 11. Reiners 1944:102. Geißler 1937:32. Reiners 1944:102. Reiners 1944:102. Ähnlich Wasserzieher 1942:12.
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wie die Vorwegnahme des gemeinsamen Subjektes „germanischem Empfinden [...] immer fremd" gewesen sei.178 Obwohl die Ratschläge zum Satzbau sich inhaltlich gleichen, ändert sich ihre Begründung: sie impliziert, dass es intrinsische Merkmale im Deutschen gibt, denen man gerecht werden müsse, um gute Sätze zu bauen. Dabei handelt es sich um eine deutsch-orientierte „Begründung" der Ratschläge zum Satzbau durch das Pochen auf einen vermeintlich typisch deutschen Charakter bzw. auf eine für das Deutsche typische Natur. Akzentuiert werden zwei Punkte in Bezug auf den Satzbau. WRStilautor Engel hatte zwar auf die „schwachen" Nebensätze hingewiesen, aber NS-Stilautor Reiners betont den Aspekt, dass alle Sätze Kraft und Leben enthalten sollten. Dafür sei Kleist beispielhaft: „Mit hartem Schritt marschiert Kleists Prosa stahlgeschient auf, voll Nerv und Wucht in jedem Satz." 179 Um den Sätzen Kraft und Leben zu verleihen, rät er, das Sinnwort im Hauptsatz voranzuziehen, bzw. ein stark betontes Wort an die Spitze des Satzes zu stellen, so wie Kleist, Treitschke, die Alltagssprache und die Mundarten es täten.180 Die Notwendigkeit von Kraft und Leben der Sätze sind Eigenschaften, die auch bei anderen Stilanweisungen der NS-Stilautoren schon vorhanden waren. Dabei ist es interessant, dass diese als germanische Tugenden identifizierten Eigenschaften (siehe 2.1.5.2) durch die stilistische Orientierung an der Alltagssprache und den Mundarten erreicht werden soll — volkstümliche Sprache wird also mit diesen Tugenden assoziiert. Dieser Hinweis und Schulze/Wustmanns Lob der angeblichen Satzbildungs Fähigkeiten der „unverbildeten" Sprachteilnehmer lassen auch bei dieser Stilanweisung auf eine verschärfte antiintellektuelle Tendenz schließen (vgl. 3.1.4.2, 3.2.1.1 und 3.2.2.1). Stärker ausgeprägt als in den WR-Werken ist zudem der Aspekt von Sprache und Satzbau als Ausdruck des Charakters, bzw. die individuelle Charakteranalyse auf der Basis des Satzbaus. Während WR-Stilautor Engel komplizierte Sätze pauschal auf die Eitelkeit oder Unredlichkeit des Schreibers zurückführte, ist Reiners' Urteil detaillierter. Er vergleicht „schlechtes" Juristendeutsch und Sätze von Grillparzer und Unger mit „dem durchsichtigen Deutsch" einer Wehrmachtsanweisung und folgert:181 Das ist kein Unterschied der Satzlänge, der Stilgewohnheiten, das ist ein Unterschied der Weltanschauung. Es ist ein harter, kühner, zupackender Geist, der die-
178 Wustmann 1935/43:261/263. Z. B.: „[D]er Verband der Sattler, obwohl er erst ein Jahr besteht, umfaßt bereits 37 Vereine." 179 Reiners 1944:331. 180 Reiners 1944:71-73. 181 Reiners 1944:93-94.
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Bei seiner Beurteilung mischt Reiners verschiedene Textsorten und Stilebenen wie Essays, amtliches Juristendeutsch und einen Soldatenbefehl, wobei die Soldatensprache mit ihrer im Nationalsozialismus betonten Tugend der Tatkraft positiv abschneidet. Schließlich fällt der Aspekt der Überlegenheit des deutschen Satzbaus auf, den Reiners impliziert, wenn er den freiheitlichen deutschen Satzbau mit der „Eintönigkeit" der Wortfolge im Englischen und Französischen vergleicht. 183 Zudem verwandelt Reiners seine Kritik an langen deutschen Sätzen in ein Lob: „Eine so genaue, fast pedantische Sprache wie das Deutsche kann viel schwerer Perioden bilden als das leichtsinnige, großzügige Englisch." 184 Was Reiners unter einer genauen oder leichtsinnigen Sprache versteht, bleibt allerdings im Dunkeln. Dieser Überlegenheitsanspruch der deutschen Sprache im Rahmen des Satzbaus ist folglich neu. Im Gegensatz zu WR-Stilautor Engel, der keine Vergleiche des Deutschen auf Kosten fremder Sprachen anstellte oder den deutschen Satzbau als überlegen darstellte, bekommt der Satzbau-Diskurs bei Reiners einen nationalistischen Beigeschmack, da er dieses Thema dazu benutzt, um das Deutsche gegenüber dem Englischen und Französischen zu profilieren. 3.2.2.5 „Das Welschwort ist der häßlichste Fleck auf dem Ehrenkleid unserer geistigen Mutter." 185 In Bezug auf den Gebrauch von Fremdwörtern gibt es viele Parallelen zwischen den WR-Stilautoren und den NS-Stilautoren. Wie die WRStilautoren sprechen sich alle vier NS-Stilautoren entschieden gegen den Gebrauch von „entbehrlichen" Fremdwörtern aus. Erlaubt werden weiterhin Fremdwörter mit „übervölkischem Gemeinrecht" aus dem Bereich von Wissenschaft und Technik, Fachwörter und etablierte „Gastwörter" wie „Kultur, Religion, Alkohol". 186 Bei allen vier NS-Autoren finden sich die aus den WR-Werken bekannten Behauptungen wieder, Fremdwörter seien unverständlich, gefährlich und überflüssig. Aus ihrer vermeintlichen Unverständlichkeit ziehen die vier NS-Stilautoren allerdings hauptsächlich die sprachsoziologische
182 Reiners 1944:94. 183 Reiners 1944:86. 184 Reiners 1944:92. 1 8 5 Wasserzieher 1942:60. 1 8 6 Wasserzieher 1942:64. Wustmann 1935/43:348/351-2. Geißler 1937:17-18. Reiners 1944: 508-9, 463-465.
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Konsequenz der gefährdeten Volksgemeinschaft. 187 Nach Schulze/ Wustmann schadet die Fremdwörterei „der Vollendung echter Volksgemeinschaft", da ein „schlichterer Volksgenosse" nicht mit dem so genannten Gebildeten verkehren könne.188 Für Geißler bezeugen Fremdwörter die „Unfähigkeit zu deutschem Gemeinschaftsdenken". 189 Reiners meint, sie schafften eine „Bildungsmauer" und gefährdeten die „Volksgemeinschaft". 190 Flad/Wasserzieher bezeichnet es als „unbrüderlich" und „eine Sünde gegen die Volkskameradschaft", unverständliche Fremdwörter zu gebrauchen. 191 Die NS-Stilautoren und WR-Stilautoren gleichen sich nicht nur hinsichtlich der Behauptung der gefährdeten deutschen Sprachsubstanz sondern auch in der emotionalen, schwarzweißen Darstellung von deutschen und fremden Wörtern. Fremdwörter hielten sich „zäh" und störten die Laut- und Sprachgesetze der „eigengewachsenen deutschen Sprache". 192 Geißler und Schulze/Wustmann beklagen hybride Formen oder „Bastarde" wie „Badenser, Hegelianismus, halbieren, Wagnerianer" und „Stiefeletten", da sie das „inkräftige Wachstum" deutscher Wörter erstickten.193 Deutsche Ableitungssilben hingegen, wie bspw. „Drogner" statt „Drogist", machten Wörter „vertrauter und vertrauenweckender." 194 Bei Reiners und Flad/Wasserzieher finden sich emotionale Behauptungen wie: „Fremdwörter fressen gute deutsche Wörter auf' 1 9 5 oder: „Jedes Fremdwort [...] tötet ein gutes, uns artgemäßes deutsches Wort oder läßt es verkümmern" und es sei „unentschuldbar, den Fremdling dem eigenen Kinde vorzuziehen." 196 Alle vier NS-Stilautoren betonen, dass der Reichtum oder „Riesenschatz" der deutschen Sprache die Fremdwörter überflüssig mache. Das „Sprachgold" befinde sich besonders in den Hochwerken deutschen Schrifttums, in der Mundart und in der Kindersprache. 197 Reiners bestrei187 Sprachliche Konsequenz durch fehlerhafte Wortzusammensetzungen bei Wustmann 1935/43:368/369, 372-4/373-4. Moralische Konsequenz durch Fremdwörter als „Werkzeuge des Schwindels" bei Reiners 1944: 45, 466-7. „Unaufrichtige" Fremdwörter bei Wustmann 1935/43:356/359. 188 Wustmann 1935/43:366/367. 189 Geißler 1937:8, 20. 190 Reiners 1944:21,468. 191 Wasserzieher 1942:61. 192 Wustmann 1935/43:350/353, 376/377. 193 Geißler 1937:19-20. Wustmann 1935/43:56. 194 Geißler 1937:19-20. 195 Reiners 1944:468. 196 Wasserzieher 1942:60-61, 63. 197 Wustmann 1935/43:1-2, 9 („Riesenschatz"), 140/142, 240/243. Geißler 1937:9, 19, 62. Wasserzieher 1942:60, 64. Reiners 1944:466.
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tet, dass das Fremdwort durch eine Ausdrucksstufung eine Bereicherung darstelle; durch seine Unverständlichkeit und Ungenauigkeit verwische es Nuancen.198 Außerdem sei der Preis für eventuelle Nuancierungen zu hoch: „Denn wir tun besser, uns einige Ausdrucksstufungen abzuschneiden, als daß die ganze Sprache herniederfährt in die Hölle einer unverständlichen, buntscheckigen Sprachzersetzung."199 Wie die WR-Stilautoren Schneider und Engel verbinden NS-Stilautoren Schulze/Wustmann und Reiners die Nachahmung fremder Sprachen oder die Aufnahme „artfremden Geistes" mit Erniedrigung und politischer Abhängigkeit.200 Im Vergleich zu den WR-Werken kehren folglich in den NS-Werken schon bekannte Ansichten wie die Unverständlichkeit und Überflüssigkeit der Fremdwörter und die Gefährdung der deutschen Sprachsubstanz und der nationalen Unabhängigkeit wieder. Allerdings werden einige Aspekte dieser Basisargumente hervorgehoben und ausgebaut, wie bspw. die bedrohte Volksgemeinschaft durch unverständliche Fremdwörter und das deutsche „Sprachgold" in den Mundarten und der Kindersprache. Diese betonten Aspekte sind propagierte Ideen im Nationalsozialismus: der Mythos der Volksgemeinschaft und der Anti-Intellektualismus durch bodenständige Mundarten und eine unverbildete Kindersprache. In nationalsozialistischer Sprachverpackung bewegen sich die NS-Stilautoren weiterhin in einem Netzwerk der unbewiesenen Behauptungen, die auf emotional beschriebenen Gegensatzpaaren basieren, wobei das Deutsche immer gut und das Fremde immer schlecht ist. Schließlich fallen in der Fremdwortdiskussion zwei Aspekte auf, die im Vergleich zu den WR-Werken neu sind. Sie stehen im Zusammenhang mit der oben beschriebenen Erwartungshaltung, die die NS-Stilautoren an das politische Regime stellen (3.1.6.1). Schulze/Wustmann schreibt 1935 über den Kampf gegen die Fremdwörter: Soll die siegreiche deutsche Revolution, die uns auf so vielen Gebieten zur Selbstbesinnung rief, es nicht auch auf diesem schaffen? Warum soll gerade das stärkste und urschöpferische der Volksgüter [Sprache] in der allgemeinen Erneuerung zu kurz kommen? [...] die deutsche Revolution ist ihrem Wesen nach kämpferisch; soll nicht auch hier der Kampf auf der ganzen Linie entbrennen, um der vaterländischen Erneuerung halber?201
Dieser leidenschaftliche Aufruf zur Vermeidung der Fremdwörter zeigt, wie sehr Schulze/Wustmann auf die Unterstützung durch das neue politische System hofft. Auch in der neu bearbeiteten Ausgabe von 1943 behält 198 Reiners 1944:465-6. Das steht im Widerspruch zur Funktion der Ausdrucksstufung für eine tiefere, sprich niedrigere Stilschicht, die Reiners auf S. 463 beschreibt. 199 Reiners 1944:505. 200 Wustmann 1935/43:153/156. Reiners 1944:24. 201 Wustmann 1935:365-6.
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er diesen Aufruf, allerdings in gekürzter Form. 202 Dagegen heißt es bei Flad/Wasserzieher im Jahre 1942: Überzeugt von der völkisch-rassischen Grundlage der Sprache, darf er [der Kämpfer gegen das Fremdwort] sich nicht dazu hinreißen lassen, einem Volksgenossen völkisch-vaterländische Gesinnung abzusprechen, weil er Fremdwörter gebraucht. Wir stehen alle unter den Gesetzen unserer Zeit, unserer Entwicklung, unserer Umgebung. Wir leiden alle an den Schäden unserer geschichtlichen Entwicklung. Der Weg ist falsch, etwa Staatsmänner oder Wirtschaftler sprachmesserisch zu beurteilen. Wir achten viel besser darauf, wie sie aus dem Urboden ihres Empfindens, ihres völkischen Gefühls gerade heute oft Neues und Kühnes, bisher Ungehörtes auch in sprachlicher Hinsicht schaffen. Es ist ein langer Weg völkischer Entwicklung etwa vom alten Fritz über den Freiherrn vom Stein, über Bismarck bis zum Führer. Sprachgeschichtlich läuft die Linie nicht anders. Mit dem völkischen Bewußtsein wächst und stärkt sich auch das Sprachbewußtsein. 203
Flad/Wasserziehers Entschuldigung für den Fremdwortgebrauch steht nicht unbedingt im Widerspruch zu Schulze/Wustmanns Kampfruf, sondern ist sein Ausweg aus dem Dilemma der enttäuschten Erwartungen und reflektiert die sprachpolitischen Ereignisse. Die Nationalsozialisten teilten nämlich die Ansichten der Fremdwortgegner nicht, im Gegenteil. Hitler selbst setzte dem von Sprachschützern leidenschaftlich geführten Fremdwortkampf im November 1940 offiziell durch einen Führererlass ein Ende, da er und seine Gefolgsleute sich mit Vorliebe der Fremdwörter bedienten.204 Als Euphemismen verschleierten sie grausame Tatsachen, waren für die Mehrheit der Sprachteilnehmer oft unklar, beeindruckten und machten 'kritikunfähig'.205 Die beiden neuen Aspekte bei Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher lassen sich also mit den politischen Umständen erklären. Wie schon im Sprachzustand festgestellt, reflektiert Schulze/Wustmann die Hoffnung der Unterstützung seiner Sprachmission durch die neuen politischen Verhältnisse und macht im Gegensatz zu Flad/Wasserzieher keine Zugeständnisse. Der letztere umgeht mit seinem Freibrief zum Fremdwortgebrauch die Kritik an der Sprache der Machthaber und wahrt so sein und deren Gesicht.
202 Wustmann 1943:367. 203 Wasserzieher 1942:62. Interessant bei diesem Zitat sind die Ähnlichkeiten in der Formulierung des DSV-Vorsitzenden Buttmann von 1937: „Wir rücken ab von der haidosen Verdeutscherei und Sprachschöpferei [...] daß die vaterländische Gesinnung sich niemals beurteilen läßt nach dem Gebrauch von Fremdwörtern [...] der eigentliche Sprachschöpfer ist der Mund des Volkes, der Dichter, der Redner, der Gesetzgeber, ist heute besonders auch die politische Führerschaft, der Führer." Zitat bei von Polenz 1999:280. 204 Von Polenz 1967:137-8. 205 Von Polenz 1999:278. Klemperer 1998:324. WeUs 1985:418.
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3.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil In dieser Abteilung soll untersucht werden, ob die Vorbilder der NSStilautoren und ihre Funktionen den Vorbildern und Funktionen der WRStilautoren gleichen, oder ob das politische System des Nationalsozialismus diesen Aspekt beeinflusst und ändert. 3.2.3.1 Wer ist Vorbild? Bei Geißler befinden sich auf 80 Seiten Text fast 90 Bezüge zu Dichtern, Schriftstellern, Politikern und zur Literatur.206 A m häufigsten werden Goethe, Luther, Schiller und Lessing erwähnt.207 Bezüge zu Hitler tauchen auf zwei Seiten auf 208 Bei Schulze/Wustmann gibt es auf fast 400 Seiten über 200 Bezüge zu Dichtern, Schriftstellern, Sprachwissenschafdern und Politikern und zu ihren Werken, also doppelt so viele wie in der WR-Ausgabe. Am häufigsten erwähnt er Goethe, Schiller, Lessing und Luther. Des Weiteren werden Hider, Jacob Grimm, Paul Ernst, Goebbels, Gottfried Keller, Bismarck, Jean Paul, Eichendorff, Uhland und Klopstock mehr als einmal erwähnt.209 206 Eigene Zusammenstellung von Vorbildern bei Geißler 1937: Goethe auf S. 13, 15, 21, 22, 26, 30, 38, 40, 41, 42, 43, 47, 48, 55, 63, 68. Luther auf S. 9, 13, 27, 36, 47, 58, 59, 73, 74 (2x), 79. Schiller auf S. 13, 15, 27, 32, 40, 54, 66, 68, 71, 79. Lessing auf S. 33, 38, 46, 72 (2x), 77, 79 (2x). Des Weiteren: Andersen: 49. Fichte: 74. Gottsched: 9. Hans Grimm: 27, 31. Wilhelm Grimm: 48-49. Hebbel: 7-8, 23, 34, 75. Hebel: 48. Hegel: 36. Herder: 47. Jean Paul: 79. Kleist: 27, 37, 71. Morgenstern: 48. Nietzsche: 23, 41, 43, 48, 69, 74, 77. Opitz: 47. Josef Ponten: 35. Schopenhauer: 8, 24, 29, 71, 75. Storm: 60. Treitschke: 8. Uhland: 59. Vischer: 21, 69, 78. Dichter allgemein: 35. Bibelsprache: 33, 73. 'Ausländer': Demosthenes: 78. Horaz: 48. Quintilian: 72. Shakespeare: 24. Mittelwert bei Geißler 1937: auf 80 Seiten (Text): 90 Bezüge = jede Seite ein Bezug. 207 Quantitativ und nicht chronologisch: Goethe (16), Luther (11), Schiller (10), Lessing (8); für Einzelheiten siehe vorige Fußnote. 208 Geißler 1937:56, 79. 209 Eigenen Zusammenstellung von Vorbildern bei Wustmann 1935/43 (quantitative Aufzählung): Goethe (59x): 6, 9, 10, 12/11, 13, 15/14, 32 (2x), 33/32, 34/33, 35/34, 36/35, 38, 40, 43, 46, 47, 49, 56/-, 57, 59, 66, 72, 78, 92/93, 95/96, 97/98, 113/114, 127/129, 132/134, 141/144, 147/150, 148/, 152/155, 170/171, 174-5/175, 177/179, 186/187, 189/190, 203/206, 206/209, 212/215, 216/219, 219/222, 223/226, 233/237, 246/249, 247/251, 260/263, 261/264, 262/265, 271/273, 297/302, 305/308, 329/332, 330/333, 348/351, 349/352, 377/378. Schiller (17x): 12/11, 15, 16, 43, 64, 92/93, 95-96/96, 121/123, 136/138, 147/150, 148/151, 152/155, 214/216, 219/-, 262/265, 325/329, 349/352. Lessing (15x): 3/2, 38/37, 56/57, 64, 95/96, 107/108, 158/161, 201/204, 219/221, 220/222, 264/267, 321/324, 349/352, 360/361, 368/369. Luther (10x): 27, 92, 174-5/175, 190/191, 200/203, 216/219, 219/221, 281/-, 325/328, 329/332. Hider (8x): 43/42, 122/123, 134/136 (Führer), 141/144, 142/145, 148/151 (3x), -/285. Jacob Grimm (6x): 1, 15, 41, 96/97, 183-4/185, 320/323. Paul Ernst: 51, 86/87, 217/219, 261/264,
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Flad/Wasserzieher hat die Dichter und Literaturbezüge der Ausgabe von 1925 fast wörtlich übernommen, auf 70 Seiten befinden sich 33 Bezüge. A m häufigsten werden nach wie vor Goethe und Schiller erwähnt. 210 Der Bezug zu Heine als „guter Schriftsteller" wurde entfernt. 211 Neu sind auch die Bezüge zu Hider.212 Bei Reiners tauchen unter einer Vielzahl von Namen im Großen und Ganzen dieselben Namen auf wie bei WR-Stilautor Engel, allerdings nicht mit derselben Häufigkeit. Zitiert werden Goethe (83), Schopenhauer (42), Lessing (39), Schiller, (37), Luther (31), Nietzsche (30), J. Grimm (25), Bismarck (20), G. Keller (19), Treitschke (15), Hebbel (11), Moltke (8), Fr. Vischer (8). Im Vergleich zu WR-Stilautor Engel zitiert Reiners Heine nicht mehr. 213 Im Unterschied zu den anderen NS-Stilautoren erwähnt Reiners Hider und die Nationalsozialisten mit keinem Wort. Er zitiert den
283/286. Goebbels: 12, 25, 307/310, 367/368. Gottfried Keller: 92/93, 117/118, 132/134, 311/315. Bismarck: 16, 33, 43/-, -/143. Jean Paul: 65/66, 72, 107/108. Eichendorff: 16, 137/139, 166/169. Uhland: 10, 92/93, 166/169. Klopstock: 63, 99/100, 216/219, -/254. Des weiteren werden erwähnt (alphabetische Aufstellung): Allmers: 121/122. E.M. Arndt: 159/162. Billinger: 215/217. Binding: 224/227, 238/241. Brentano: 204/207. Brust 215/217. Busch: 95/96. Bürger: 96/97. Dichter und Schriftsteller allgemein: 3/2, 19, 32/31, 234/238, 235/238. Campe: 377/378. Chamberlain: 1. Chamisso: 107/108. Richard Dehmel: 334/338. H. Dunger: 370/371. Ebner-Eschenbach: 6. Wolfram von Eschenbach: 15. Ludwig Finckh: 380/381. Fontane: 87/88. Geliert: 10, 36, 246/249, 360/361. W. Gensel: 368/369. Stefan George: 263/266. Otto Gildemeister: 245/249. Gottsched: 10/-. Wilhelm Grimm: 326/329. Hauptmann: 166/169. Hebbel: 46. Heine: 330/-. Hoffmann von Fallersleben: 15, 16. Rudolf Hildebrand: -/297. Hölty: 92/93. Wilhelm von Humboldt: 71. Georg Kaiser: 193/-. Alfred Kerr: 262. Kleist: 148/151. Hans Kyser: 310/314. Leibniz: 11/10. Lenz: 148/151, 178/180. Liliencron: 260/263. Liscow: 175/177. Logau: 368/369. Marlin: 334/338. C.F. Meyer: 334/337. Agnes Miegel: 6. Alfred Neumann: 334/337. Nietzsche: II, 259/261, 262/265. Perkonig: 334/338. Raabe: 86/87. Leopold von Ranke: 15, 16. Oswald Reiße«: 313/317. Rilke: 193/196. Hans Rosier: 335/338. Rosenberg: 8/7. Rosegger: 318/322. Hermann Rossmann: 334/338. Rückert: 47. Hans Sachs: 358/361. Scheffel: 235/238. A.W. Schlegel: 176/178. Schopenhauer: 287/291, 311/315. Schuchhardt: 8/7. Ina Seidel: 8, 17, 217/219. Shakespeare: 120/122, 311/315. Sophokles: 12/11. Sternheim: 262/265. Storm: 86/87. David Strauß: 263/267. Wilhelm Streit: -/292. Vischer. 348/351. Walther von der Vogelweide: 15, 16. Burkhard Waldis: 34/33. Wehner: 114/116. Ernst Wiechert: 132/134. Wieland: 285/289, 325/329. Wippchen: 228/232, 239/243. Arnold Zweig: 310/313. Mittelwert bei Wustmann 1935/43: auf 384 Seiten (Text) ca. 210 Bezüge = alle zwei Seiten ein Bezug. 210 Eigene Zusammenstellung von Vorbildern bei Wasserzieher 1942: Goethe: 5 (3x), 7, 23, 30, 33, 39, 43, 48, 51, 52, 54, 55. Schiller: 23, 26, 30, 41, 51. Klopstock: 5 (anderes Zitat als 1925). Storm, Mörike, Keller: 49. Uhland: 22. Friedrich Vischer: 26. Freytag: 16. Bismarck: 46. Luther: 48. Dichter und Schriftsteller allgemein: 27, 49, 63, 64, 69. Mittelwert bei Wasserzieher 1942: auf 70 Seiten (Text) 33 Bezüge = alle zwei Seiten ein Bezug. 211 Wasserzieher 1925:44 [vgl. Wasserzieher 1942:52], 212 Wasserzieher 1942:5: 2 Zitate (Aufruf zur Sprachpflege, Sprache als „göttliches Geschenk"), weitere Bezüge auf S. 23, 35, 51, 54. 213 Reiners 1944:635-644 („Namen- und Sachverzeichnis"), vgl. Engel 1931:523-529 und 2.2.3.
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Schriftsteller jüdischer Abstammung Hugo von Hofmannsthal zehn Mal, allerdings nur einmal mit Namensangabe, die anderen Male anonym. 214 Hinsichtlich der Vorbilder besteht eine Kontinuität, da trotz unterschiedlicher Häufigkeit im Allgemeinen dieselben Vorbilder in den NSWerken auftauchen wie in den WR-Werken. Goethe, Lessing, Schiller und Luther erscheinen weiterhin am häufigsten. Die Unterschiede in der Häufigkeit der literarischen Referenzen bei Schulze/Wustmann und Reiners ließen sich mit literarischen Vorlieben oder der Bildung der einzelnen Stilautoren erklären. So sind vielleicht die zahlreichen Literaturbezüge bei WR-Stilautor Engel auf seine „kaum vorstellbare [...] Belesenheit" zurückzuführen. 215 Die Aufnahme von Nationalsozialisten wie Hitler und Goebbels bei drei NS-Stilautoren (mit Ausnahme von Reiners) und die Entfernung des im Nationalsozialismus geächteten Heines reflektieren die herrschenden politischen Verhältnisse. Reiners muss den Nationalsozialisten nicht viel Bildung oder Kenntnis der Literatur zugetraut haben, denn an sieben Stellen zitiert er längere Sprachbeispiele aus Hofmannsthals Werken als beispielhaft, ohne dessen Namen zu nennen. 216 Das zeugt von einer gewissen Verachtung für die Machthaber. 3.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache Die Namen von Vorbildern und ihren Werken erscheinen bei den NSStilautoren in Beispielen zur Illustration von Sprachregeln wie bei den WR-Stilautoren. Bei Schulze/Wustmann trägt ein Abschnitt zur richtigen Bildung und Schreibung des Genitivs von Eigennamen den Titel „Franz' oder Franzens? Goethe's oder Goethes?" oder die Beugung von Titeln vor Eigennamen ohne Artikel wird mit „Doktor Fausts Höllenfahrt" illustriert.217 Die Sprache der Vorbilder dient wie in den WR-Werken dazu, den Sprachwandel zu illustrieren. Schulze/Wustmann zeigt bspw., dass die ältere Sprachstufe artikellose Fügungen mit „nach" erlaubte: „Im 'Nathan' 214 Reiners 1944:146 (Sprachbeispiel mit Namensangabe). Weitere Sprachbeispiele von Hofmannsthal ohne Namensangabe auf S. 62, 122, 240, 256, 258, 568 (Zitat von H.), 570, 572. Hofmannsthal erscheint im Zitat auf S. 560. Zur Abstammung von Hofmannsthal siehe Hermann Broch, Hofmannsthal und seine Zeit (Frankfiirt/M: Suhrkamp Verlag, 2001), S. 8688.
215 Vgl. Sanders 1988:1. 216 Siehe oben, 3.2.3.1. 217 Wustmann 1935/43:9, 13; weitere Beispielsätze 1935/43: (Goethe) auf S. 10, 15/14-1, 35/34, 40, 56, 59, 113/114, 141/144, 147/150, 148/151, 152/155, 174-5/175, 177/179, 203/206, 206/209, 212/215, 247/251, 260/263, 271/273. (Schiller) auf S. 15, 16, 148/151, 152/155, 214/216. Ebenso Wasserzieher 1942:26, 30.
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spottet der Klosterbruder über den Patriarchen: Ihr solltet ihn erst sehen nach Hofe sich erheben." 218 Flad/Wasserzieher weist auf Freytags Gebrauch von „er frug" hin, der seiner Meinung nach als überholt gilt.219 Wie die WR-Stilautoren stellen die NS-Stilautoren ihre Vorbilder als sprachlich 'ideal' dar, indem sie die Dichtersprache dazu benutzen, um die von ihnen aufgestellten Sprachregeln zu illustrieren. 220 Den richtigen Indikativgebrauch nach „wie wenn" illustriert Schulze/Wustmann bspw. mit Worten Schillers: „Das wallet und siedet und brauset und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich menget." 221 Flad/Wasserzieher benutzt Goethes Hermann und Dorothea, um den Unterschied zwischen „Worten" und „Wörtern" zu erklären: „[...] er sprach die bedeutenden Worte." 222 Wie WRStilautor Schneider wendet Geißler Goethes Sprache an, um die verschiedenen Bedeutungen von „um zu" zu illustrieren.223 Wie die WRStilautoren machen sich die NS-Stilautoren also die Autorität der Dichtersprache zunutze, um die Wertigkeit und Richtigkeit ihrer Sprachregeln zu untermauern. Sollten Sprachformen der Vorbildersprache den eigenen Vorstellungen von Sprachrichtigkeit widersprechen, wird bei Ablehnung der Sprachform kritisch darauf hingewiesen oder es werden Ausnahmen geschaffen, wenn die NS-Stilautoren diese Form als akzeptabel betrachten.224 Flad/Wasserzieher kritisiert bspw. die doppelte Höchststufe „der einzigste" bei Goethe, während Schulze/Wustmann Goethes Formulierung des „letztesten Kusses" in der Manenbader Elegie als Ausdruck der Leidenschaft erlaubt.225 Dadurch wahren die NS-Stilautoren das Ansehen der Vorbilder und ihre eigene Autorität. Diese Haltung stellt eine Kontinuität mit den WR-Werken dar. Analog zur sprachlichen Vorbildfunktion stellen wir die stilistische Vorbildfunktion fest. In bekannter Manier stellen die NS-Stilautoren eine Mischung aus Zitaten der Vorbilder, Sprachbeispielen und Behauptungen zusammen, die ihre eigenen Stilansichten widerspiegeln. Reiners führt bspw. dasselbe Goethe-Zitat über den Schreibstil als Ausdruck des Charakters an wie WR-Stilautor Engel und beruft sich in seinen Ausführungen
2 1 8 Wustmann 1935/43:201/204, weitere Beispiele auf S. 12/11, 92/93. 2 1 9 Wasserzieher 1942:16; doppelte Verneinung bei Luther auf S. 48. 220 Wustmann 1935/43:107/108, 38/37. Wasserzieher 1942:39, 43, 55. 221 Wustmann 1935/43:121/123, weitere Beispiele auf S. 233/237, 246/249, 137/139. 222 Wasserzieher 1942:43, weitere Beispiele auf S. 39, 55. 223 Geißler 1937:15: „[...] und so schieden wir vor seiner Haustüre, um uns niemals wiederzusehen" - nicht absichtorientert, sondern waltendes Schicksal [wie bei WR-Stilautor Schneider 1930:258]. 224 Wasserzieher 1942:16, 49, 52, 55 (Kritik). Wustmann 1935/43:92/93, 136/138, 217/219, 283/286 (Kritik), 36/35, 107/108, 304-5/308 (Ausnahmen). 225 Wasserzieher 1942:52. Wustmann 1935/43:305/308.
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zur Redesprache auf Herder, Bismarck, Goethe und Lessing. 226 Zur Illustration für den stilistisch perfekten Tonfall und Klang im Satzbau zitiert Geißler Sätze aus Goethes Werth er und aus den Briefen Schillers.227 Drei NS-Stilautoren stellen ihre Vorbilder als Fremdwortgegner dar. Nach Geißler habe sich Goethe auf dem Gebiet der Fremdwortverdeutschung betätigt, z. B. habe er „großweltisch" für „kosmopolitisch" geprägt. 228 Schulze/Wustmann beruft sich auf Worte Goethes und eine Anekdote über Lessing, der den Fremdwortgebrauch seiner Zeitgenossinnen belächelt haben soll.229 Reiners behauptet, dass „große Sprachmeister" wie Goethe, Leibniz, Schopenhauer und Jacob Grimm die Fremdwörter bekämpft hätten.230 Wie in den WR-Werken werden die Meinungen der Vorbilder nur fragmentarisch wiedergegeben. Manchmal sind die Behauptungen über die Sprache und Ansichten der Vorbilder auch einfach falsch. Wir sahen im Kapitel über die WR-Werke (2.2.3), dass Goethe kein Purist war. Leibniz setzte sich zwar für „Reinigkeit und Selbstand der uralten teutschen Haubtsprache" ein, verfasste allerdings kaum Schriften auf Deutsch. Zudem bedeutete „rein" zu seiner Zeit vor allem „grammatisch richtig". 231 Dass Schopenhauer Fremdwörter mit Vorliebe gebrauchte, beklagte schon WR-Stilautor Engel.232 Jacob Grimm hatte die Puristen heftig kritisiert.233 Sollte der Schreibstil der Vorbilder offensichtlich den Regeln widersprechen, finden die NS-Stilautoren, so wie die WR-Stilautoren, dafür eine Erklärung oder Entschuldigung, denn Mitglieder der kanonisierten Nationalliteratur wie Goethe, Schiller und Lessing sind wie in den WR-Werken auch bei ihnen von der Kritik ausgenommen. Ein langer, unklarer Großsatz von Schiller wird von Reiners nicht kritisiert, sondern aufgrund seines vermeintlich spannenden Rhythmus gelobt. 234 Reiners bezeichnet die Un226 Reiners 1944:48 und Engel, 1931:22. Reiners 1944:164 (Herder), 221-222 (Bismarck, Goethe, Lessing). 227 Geißler 1937:68, auch S. 13 (Schillers Reiterlied). 228 Geißler 1937:26. 229 Wustmann 1935/43:348/351, 360/361. 230 Reiners 1944:505-508. 231 Peter von Polenz, Deutsche Sprachgeschichte, 3 Bände (Berlin: de Gruyter, 1994), II, S. 54-55. Kirkness 1975:44. 232 Engel 1931:216. Ickler 1988:304-5. 233 „Deutschland pflegt einen schwärm von puristen zu erzeugen, die sich gleich fliegen an den rand unserer spräche setzen und mit dünnen fuhlhörnern sie betasten." Jacob Grimm, „Uber das Pedantische in der deutschen Sprache", in J.G., Kleinere Schriften, Eduard Ippel (Hrsg.), 2. Auflage (Berlin: F. Dümmler, 1879) S. 328-374 (S. 348). 234 Reiners 1944:101: „Es gibt Augenblicke in unserem Leben, wo wir der Natur in Pflanzen, Mineralen, Tieren, Landschaften sowie der menschlichen Natur in Kindern, in den Sitten des Landvolks und der Urwelt, nicht weil sie unseren Sinnen wohltut, auch nicht weil sie unseren Verstand oder Geschmack befriedigt (von beiden kann oft das Gegenteil stattfin-
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terlassung des „ich" als „grammatischefn] Selbstmord", entschuldigt dieses Phänomen jedoch in der Korrespondenz Goethes: „Mit unbewusster Diplomatie wollte er alles Persönliche zurückdrängen; obendrein konnte er mit der Weglassung des ich seiner Abkürzungsgrille frönen." 235 Dieses Entschuldigungsprinzip zur Wahrung der Autorität der Vorbilder stellt eine Kontinuität dar, denn wir hatten es auch in den WR-Werken festgestellt. Dort wurde es auf die Verbindung von sprachlichen und nationalen Verdiensten zurückgeführt, bzw. damit begründet, dass ein „Sprachheld" eine nationale Autorität darstellt. Prüfen wir diese These, wie in den WRWerken, mit ihrer Umkehrung: ein guter Deutscher, also jemand, der sich um das Vaterland verdient gemacht hat, schreibt ein gutes Deutsch! Wie sehr der ideologische Inhalt des Satzes bei der stilistischen Beurteilung eine Rolle spielt, soll das folgende Beispiel belegen. Oben sahen wir, dass Geißler vor dem Schachtelsatz warnt (siehe 3.2.2.4); er erlaubt allerdings den „gut gebauten Großsatz", so wie man ihn bspw. bei Hans Grimm fände, dem „größte [n] unserer lebenden Erzähler": 236 Die ureigentliche Not ist, daß das zahlreichste und im Querschnitte tüchtigste und leistungsfähigste Volk der Erde - als es verspätet in sein Mannesalter gelangte, als die langsame Saat des Menschengeistes aufging für die Massen der Welt, da es beginnen konnte und beginnen sollte und beginnen mußte, sich auszuwirken mit jeder Tat und Fähigkeit und Leistung - räumlich beschränkt war, daß es beschränkt war für alle seine Klassen und Stände an deutschem Land, an Sonnenschein, an Gelegenheiten des Mannesmutes, des Ungestüms, daß die riesenhaften und wie nirgendwoanders plötzlich freigesetzten und mannbar gewordenen Kräfte des Geistes, des Willens, der Seele, des Armes fortwährend wider Gott und Natur verzwungen und verbogen werden mußten: weil sie wuchsen, trotz alledem wuchsen über ihre Gelegenheiten, über die deutsche Gelegenheit hinaus. 237
Dieser Satz erfordere zwar „einen gewissen gedanklichen Einsatz", doch es bebe die typisch deutsche gezügelte, überzeugende Leidenschaft in ihm. 238 Bei seinem Lob übersieht Geißler, dass die Konstruktion viele seiner eigenen Satzbau- und Stilanweisungen bricht. Das Wichtige befindet sich nicht im Hauptsatz, sondern in drei langen, nicht parallel konstruierten Nebensätzen. 239 Des Weiteren hängen von zwei Nebensätzen weitere Nebensätze ab und verstoßen somit gegen sein Postulat der nebenordnenden Unterordnung (Hauptsatz-Nebensatz) im deutschen Großden), sondern bloß weil sie Natur ist, eine Art von Liebe und von rührender Achtung widmen. (Schiller)." 235 Reiners 1944:135-136. 236 Geißler 1937:27, 32. 237 Geißler 1937:31-32. 238 Geißler 1937:32. 239 Geißler 1937:28. Subjekt im ersten und zweiten „daß"-Satz: „Volk" und „es", im dritten jedoch „die Kräfte".
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satz.240 Lange Aufzählungen in den Nebensätzen und das Nachklappen des Zeitwortes werden ebenfalls nicht vermieden: „(D]aß das [...] Volk der Erde [es folgt ein Einschub von 38 Wörtern!] räumlich beschränkt war." 241 Die drei Superlative sind für Geißler an dieser Stelle kein Ausdruck eines „sittlichen Makels". 242 Geißler lobt den stilistisch schlecht gebauten, unübersichtlichen Satz, weil er sich vom Inhalt blenden lässt. Der Satz handelt von einem mächtigen deutschen „Volk ohne Raum", das nicht aufzuhalten ist, und entspricht den im Nationalsozialismus herrschenden Wunschvorstellungen. 243 Ähnliche Beispiele finden sich bei NS-Stilautor Reiners. Für ihn gehören die erfolgreichen preußischen Generalfeldmarschälle Gneisenau, Schlieffen, Moltke und General Clausewitz zu den „größten deutschen Stilmeistern" denn „ihre Sätze marschieren so übersichtlich' und entschlossen wie ihre Regimenter." 244 Als Reiniger der Wehrmachtssprache hätten sie „siegreiche Schlachten" geschlagen. 245 Reiners lobt den Stil Gneisenaus, des ,,Besieger[s] Napoleons", Schlieffens „prachtvollen Feldherrenstil", Moltkes „knappen, edlen Stil" und Bismarck als den „größten deutschen Briefschreiber. " 246 Ganz ausgeprägt ist die „ideologische" Beurteilung von Sprache und Stil jedoch im folgenden Beispiel: Ich kann dich fuhr dieses mahll nichts besonderes schreiben, als dass wihr Sigreich Fort gehen. Als Frau Feldmarschalün musst du nun anstendig leben und sey nur nicht geizig und laß dich was abgehen [...] mit die Ordens weiß ich mich nun kein Raht mehr ich bin wie ein allt kuttsch perd behangen, aber der gedanke lohnt mich über alles daß ich derjenige wahr den den übermüttigen tihrannen demütigte. 247
Reiners zitiert den von Grammatik- und Rechtschreibefehlern nur so wimmelnden Text als „ein Vorbild lebendigen Briefstils"; der Kasus ma240 Geißler 1937:32: „[·•·] daß das Volk [...] der Erde, als es verspätet in sein Mannesalter" und „daß die [...] Kräfte [...] verbogen werden mußten: weil sie wuchsen [...]." 241 Geißler 1937:29: „[...] beschränkt an deutschem Land, an Sonnenschein, an Gelegenheiten des Mannesmutes, des Ungestüms" und „Kräfte des Geistes, des Willens, der Seele, des Armes". 242 Geißler 1937:37-38: „[Zahlreichste, tüchtigste, leistungsfähigste". 243 Hans Grimm (1875-1959), deutscher Schriftsteller, lebte 13 Jahre als Kaufmann in der Kapprovinz. Er begründete mit den Südafrikanischen Novellen (1913), die ihn bekannt machten, die dt. Kolonialdichtung. Sein tendenziöser Kolonialroman Volk ohne Raum (2 Bände, 1928-30), dessen Titel zum nationalsozialistischen Schlagwort wurde, schildert das Schicksal eines deutschen Kolonisten. In einigen seiner Werke aus der Zeit nach 1945 bestritt Grimm die alleinige deutsche Kriegsschuld. Vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 25 Bände (Mannheim: Bibliographisches Institut, 1974), X, S. 803. 244 Reiners 1944:321. 245 Reiners 1944:476. 246 Reiners 1944:270, 426-7, 280, 222. 247 Reiners 1944:215.
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che ihn lachen und die Fehler nehme man gern in Kauf, denn der Text stamme von „einer so großartigen Natur wie Blücher" und sei nach der Schlacht bei Leipzig verfasst worden. 248 Offensichtlich macht Blüchers Erfolg in den Befreiungskriegen die sprachlichen Unzulänglichkeiten mehr als wett. Bei anderen Schriftstellern zeigt Reiners diese tolerante, humorvolle Haltung nicht. Die Konstruktion: „Ich möchte meiner Tochter [statt: meine Tochter] nicht einer Blamage aussetzen" kritisiert er als „offenkundige^..] Schlamperei". 249 Dieser Satz stammt allerdings auch nicht von einem erfolgreichen Feldherrn, sondern aus der Feder des expressionistischen Schriftstellers Georg Kaiser. 250 Reiners macht aus seiner Verurteilung des Expressionismus keinen Hehl. Er bezeichnet ihn als „literarische Dekadenz", seine „sprachlichen Unregelmäßigkeiten" seien ihm zuwider.251 Der Stil der [expressionistischen] Schriftsteller Carl Sternheim und Kasimir Edschmid sei „krank", „ein K r a m p f , ein „Brüllstil".252 Auch Schulze/Wustmann bezeichnet den Stil von Carl Sternheim und Alfred Kerr als „lächerlich und abstoßend", als eine „Sprachunart sich modern gebärdender Schriftsteller". 253 Wie lässt sich die negative Beurteilung der expressionistischen Schriftsteller erklären? Oben sahen wir, dass der Inhalt und der Verfasser von Texten bei ihrer Beurteilung eine wichtige Rolle spielen. Gute Deutsche, die sich auf sprachlicher oder politischer Ebene um das Vaterland verdient gemacht haben, schreiben ein gutes Deutsch und Texte, die Deutschland preisen, sind stilistisch gut. Daraus folgt, dass Texte, die Deutschland kritisieren, stilistisch schlecht sein müssen. Das führt zu einer möglichen Erklärung dafür, warum die Schriftsteller des Expressionismus in den NS-Werken auf Ablehnung stoßen und kritisiert werden. Der Expressionismus protestiert nämlich gegen das auf alten Autoritätsstrukturen ruhende Wilhelminische Bürgertum und gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem mit seiner zunehmenden Industrialisierung und Mechanisierung des Lebens. Seine Vertreter lehnen sich gegen
248 Reiners 1944:215. 249 Reiners 1944:204. 250 Zu Georg Kaiser als einem der bedeutendsten und produktivsten Dramatiker des Expressionismus siehe Kurt Böttcher, Herbert Greiner-Mai, u.a., (Hrsg.), Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller, 20. Jahrhundert, 2 Bände (Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag, 1993), II, S. 371. 251 Reiners 1944:185, weitere Kritik auf S. 180, 204. 252 Reiners (1944) über Carl Sternheim auf S. 186, 180-1, 185, über Kasimir Edschmid auf S. 248, 360, Kritik an Frank Wedekind auf S. 171. Zu Sternheim, Edschmid und Wedekind siehe Böttcher, u.a. (Hrsg.), 1993. Zu Wedekind siehe auch Helmuth Nürnberger, Geschichte der deutschen Literatur; 24. Auflage (München: Bayerischer Schulbuch Verlag, 1998). 253 Wustmann 1935:262. Im Wustmann 1943:265 setzt Schulze „Juden" vor die Schriftstellernamen.
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die herrschende Ordnung auf und fordern sie heraus. 254 Carl Sternheim übt scharfe Kritik an der wilhelminischen Gesellschaft, ihrem Zusammenbruch und dem Weltkrieg und verfällt nach 1933 der Verfemung. 255 Der Expressionismus kritisiert also die Gesellschaft und ihre Ordnung, die die NS-Stilautoren ak2eptieren, denn Wasserzieher schreibt: „Der vernunftbegabte Mensch scheidet zwischen Gutem und Schlechtem und stellt das Lebendige in den Dienst einer Ordnung." 256 Reiners meint: „Der Mensch ist nicht dem Chaos verhaftet, er strebt zum Kosmos, zur Ordnung, zur Symmetrie. Er liebt es zu spüren, daß im Lebendigen dasselbe immer wiederkehrt, daß ein Gesetz herrscht und ein Gleichmaß die Welt erfüllt." 257 Diese Ordnung wird für die beiden NS-Stilautoren u. a. durch die Sprache geschaffen: „Die Sprache ordnet die Welt, und eben darum regiert sie zum guten Teil den geistigen Haushalt der Nation." 258 Dabei verstehen Reiners und Flad/Wasserzieher unter Sprache natürlich ihre Idealnorm. Gerade gegen diese Idealnorm widerspricht der Expressionismus nicht nur auf inhaltlich-ideologischer Ebene sondern auch auf sprachlicher Ebene. Der expressionistische Wirbel von „Kritik, Protest und Aufbruch" mit seinem experimentellen Stil drückt sich durch eine radikale Missachtung der überlieferten Sprachregeln aus, die für die NSStilautoren aufgrund ihrer Sprachrichtigkeitsauffassung völlig unakzeptabel ist (siehe 3.1.4) 259 Zusammenfassend können wir also festhalten, dass wir bei den NSStilautoren dieselbe Vorgehensweise und dieselben Funktionen der Vorbilder finden wie bei den WR-Stilautoren, und dass somit eine Kontinuität besteht: Die Namen von Vorbildern und ihren Werken erscheinen in Beispielen zur Illustration von Sprachregeln, die Sprache der Vorbilder dient dazu, den Sprachwandel zu illustrieren. Sprachlich und stilistisch werden die Vorbilder und ihre Sprache so dargestellt, dass sie die subjektive Idealnorm der NS-Stilautoren repräsentieren und ihre Ansichten teilen. Sollte es zu Gegensätzen und Widersprüchen kommen, werden die Unstimmigkeiten meistens wegerklärt oder entschuldigt. Die Vorbilder dienen also dazu, die Autorität der Aussagen der NS-Stilautoren zu stärken 254 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 25 Bände (Mannheim: Bibliographisches Institut, 1973), VIII, S. 404-5. Nürnberger 1998: 269. 255 Böttcher 1993:711-712. Nürnberger 1998:277-8. 256 Wasserzieher 1942:13. 257 Reiners 1944:569. 258 Reiners 1944:9. Ähnlich Wasserzieher 1942:13. 259 Nürnberger 1998:269. Bei Nürnberger auf S. 275 siehe bspw. das Gedicht „Patrouille" von August Stramm, einem der radikalsten Revolutionäre der Sprache: „Die Steine feinden, Fenster grinst Verrat, Äste würgen, Berge Sträucher blättern raschlig, Gellen, Tod." Worte erscheinen vereinzelt, aus ihrem grammatischen Zusammenhang gelöst, Substantive werden verbalisiert oder Verben adjektiviert.
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und ihnen in ihrer Sprachmission Beistand zu leisten. Die ideologische Basis, die der Beurteilung von Sprache und Stil unterliegt, beruht nach wie vor auf der engen Verbindung von Muttersprache und Vaterland. Schließlich gilt es noch, in diesem Punkt auf eine weitere Kontinuität hinzuweisen. Wie die WR-Stilautoren gehen die NS-Stilautoren textsorten- und zeitwidrig vor, d. h., sie benutzen die schöne Literatur als Vorbild für die Gebrauchsprosa und das Deutsch der Vergangenheit als Muster für ihre Gegenwartssprache.
3.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der NS-Werke 3.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den NS-Werken im Vergleich zu den WR-Werken 3.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede Fassen wir die Aussagen des Sprach- und Stildiskurses in den NS-Werken im Überblick zusammen und vergleichen sie mit denen der WRStilautoren. Im Gegensatz zu den untersuchten WR-Werken ist die Sprachverfallsklage bei drei NS-Stilautoren abgemildert oder nicht existent und einer optimistischen Zukunftsvision gewichen. Die Sicht und Verwendung der Sprachgeschichte bleibt in den NS-Werken gleich: Das 'Alte' ist weiterhin gut und schön und der Einfluss des Lateinischen und Französischen negativ. Sprachgeschichtliche Ausführungen dienen nach wie vor zur Belehrung, neu ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf die germanischen Vorfahren. Im Gegensatz zu den WR-Stilautoren versuchen die NS-Stilautoren, dem zeitgenössischen Sprachwandel gegenüber toleranter zu sein und akzeptieren trotz ihrer Vorbehalte deutschsprachige Neu- und Modewörter, allerdings nur aus den Bereichen Rassenlehre, Technik und Politik. Die Haltung der NS-Stilautoren der Sprachrichtigkeit gegenüber scheint etwas gelockert zu sein, denn Sprachfehler werden nicht mehr so scharf gerügt wie bei den WR-Stilautoren. Durch die 'herzliche Verbundenheit' mit der 'Volkssprache' sind Sprachfehler dieser Varietät von der Sprachkritik ausgenommen. Das Sprachgefühl, das nach wie vor zur Sprachrichtigkeit verhilft, wird u. a. als 'angeboren' ausgegeben. Das Organismuskonzept mit seiner Auffassung von Sprache als Lebewesen wird übernommen, ist aber durch vermehrte und extreme Vergleiche aus der Natur und Medizin zugespitzter. Auffällig ist auch die Betonung von der Kraft und der Gewalt der deutschen Sprache, die stärker herausgestellt werden als in den WR-Werken. Im Zeitspiegel der politischen
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Sprache gibt es bei drei NS-Stilautoren (mit der Ausnahme von Reiners) direkte, positive Anspielungen auf das herrschende System. Sie erwarten von der nationalsozialistischen Bewegung einen konkreten Sprachgebrauch, der ihren subjektiven Kriterien vom guten Deutsch entsprechen soll. Dadurch geraten die Autoren in ein Dilemma, weil die Sprachwirklichkeit nicht mit ihren Forderungen übereinstimmt. Hinsichtlich ihrer politischen Funktion wird die deutsche Sprache wie bei den WRStilautoren als Träger und Verkörperung der Volksgemeinschaft und als Meßlatte für den politisch-moralischen Zustand des Volkes gesehen. Die Überlegenheit der deutschen Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen wird klarer herausgestellt als bei den WR-Stilautoren. Neu ist die Ansicht, die deutsche Sprache werde in der Welt führend sein, sowie die Rolle der Muttersprache bzw. der deutschen Sprache in ihrer Verwendung als politisches Machtmittel im Kampf der Nationen und im Kampfzustand allgemein. Im Stildiskurs wird die Auffassung vom Persönlichkeitsstil zwar übernommen, wird jedoch spezifiziert. Auf seiner Basis werden die Idee der individuellen und nationalen Stilarten sowie positive und negative Verallgemeinerungen hinsichtlich des deutschen Volkscharakters (bspw. Leistungsfähigkeit und Unterwürfigkeit) abgeleitet und ausgebaut. Neu formuliert wird die Auffassung des angeborenen natürlichen Stiltalentes. Mit der geforderten Rücksicht auf den Leser, der Diskussion der verschiedenen Stilebenen und der Forderung nach Angemessenheit bleiben sich die Voraussetzungen für einen guten Stil in den WR- und NS-Werken gleich. Allerdings gilt als Schreibzweck, bestimmte Wirkungen' und 'Stimmungen' durch 'Gefühle' zu erzielen und nicht mehr, den Leser mit Argumenten zu überzeugen. Die Verbindung von Denken und Sprache wird auch übernommen, wobei jedoch die Sprache dem Denken übergeordnet und zum Denken das Handeln hinzugefügt wird. Sprache bestimmt nunmehr Denken und Handeln. Alle fünf, die Sprach- und Stilauffassung reflektierenden Stilanweisungen werden übernommen, erscheinen jedoch verstärkt, da im Gegensatz zu den WR-Stilautoren alle vier NS-Stilautoren diese fünf Anweisungen empfehlen. Zudem werden sie ausführlicher diskutiert und im Gegensatz zu den WR-Werken mit einer Reihe von konkreten, teilweise als deutsch ausgewiesenen Charaktereigenschaften, Tugenden und Lastern assoziiert. Die Sprechsprache wird als lebendig, warm, kräftig, zupackend und wirklich dargestellt und im Gegensatz zur toten, langweiligen, abstrakten Schriftsprache präsentiert. Verben und das Aktiv werden als Ausdruck von typisch deutscher Tatkraft, von Handlungsfähigkeit, Mut und Energie empfohlen und von Hauptwörtern und vom Passiv wird als unmännlich, schlaff, ängstlich, willensschwach und energielos abgeraten. Die Neben-
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und Beiordnung wird im Satebau als typisch deutsch empfohlen, die Notwendigkeit kraftvoller Sätze betont und auf die Entlarvung des Charakters durch den Satzbau hingewiesen: ein lebensuntüchtiger Mensch bilde komplizierte Sätze. Kraftvolle Sätze erhalte man durch die Orientierung an volkstümlichen Sprachvarietäten. Die Verurteilung der Fremdwörter verlässt sich weiterhin darauf, dass Fremdwörter unverständlich, gefährlich und überflüssig sind. Neu ist die Ausnahme-Erteilung für den Fremdwortgebrauch, die auf den Führererlass gegen den Fremdwortpurismus zurückzuführen ist. Hinsichtlich der stilistischen Vorbilder besteht eine Kontinuität in den NS-Werken, da trotz geringer Unterschiede in der Häufigkeit der Bezugnahmen und trotz der Aufnahme führender Nationalsozialisten weiterhin die Vorbilder hauptsächlich aus der kanonisierten Nationalliteratur stammen (Goethe, Schiller, Lessing, Luther) und Personen sind, die sich um die Sprache und Nation verdient gemacht haben (Moltke, Schlieffen, Bismarck). Durch vermehrte Beispiele ist die Haltung, dass die Person des Verfassers und der ideologische Inhalt das stilistische Urteil beeinflussen, in den NS-Werken ausgeprägter und deutlicher als in den WRWerken. In diesem Sinne werden sprachliche Abweichungen der Nationalhelden von der Idealnorm entschuldigt oder wegerklärt (siehe Blüchers Sprache) und das Deutsch von ideologisch nicht Gleichgesinnten oder Systemkritikern gerügt. 3.3.1.2 Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung Die einzelnen Punkte im Sprach- und Stildiskurs haben gezeigt, dass die Darstellung und Betrachtung von Sprache und Stil in den NS-Werken dieselbe bleibt wie in den WR-Werken. Die Subjektivität ist weiterhin ausgeprägt, da die Mehrzahl der Aussagen der NS-Stilautoren auf ihrem eigenen Standpunkt und Geschmack beruhen, entweder nicht begründet oder mit Behauptungen begründet werden. Weiterhin arbeiten die NSStilautoren mit vereinfachten, schwarzweißen Gegensatzpaaren wie bspw. gut/schlecht, richtig/falsch, deutsch/fremd, alt/neu, lebendig/tot, etc. Auch die emotionale Ausdrucksweise findet sich bei den NS-Stilautoren wieder. Wie besonders am Organismuskonzept deutlich wurde, ist sie bei den NS-Stilautoren sogar noch ausgeprägter als bei den WR-Stilautoren. Wir können also wie in den WR-Werken von einer nicht differenzierenden, unkritischen Betrachtungsweise ausgehen.
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3.3.2 Der Sprachkonservatismus in den NS-Werken Die Frage, die sich nach diesem Vergleich stellt, ist, ob wir im Nationalsozialismus weiterhin vom Sprachkonservatismus in den untersuchten Stillehren und Sprachratgebern sprechen können. Wie wir im Kapitel über die WR-Werke feststellten, basiert der Sprachkonservatismus auf einer Reihe von Kriterien und einer gewissen Betrachtungs- und Darstellungsweise von Sprache (2.3.2). Zu den inhaltlichen Komponenten zählen die Sprachverfallsklage, die Verherrlichung der Sprachvergangenheit, die Ablehnung des Sprachwandels, das Verfechten der überlieferten Sprachrichtigkeit, das Organismuskonzept, Sprache mit einer nationalpolitischen Funktion, die Auffassung von Sprache und Stil im Allgemeinen und im Speziellen als Ausdruck des Charakters, die Vorbilderrolle von meist literarischen und nationalen/politischen Größen der Vergangenheit. Zu der Darstellungsweise gehören eine ausgeprägt subjektive, schwarzweiße und emotionale Sprachbetrachtung mit der Wirkung des unkritischen Denkens. Wie jeder einzelne Aspekt in der Diskussion des Sprach- und Stildiskurses gezeigt hat, können wir die drei Elemente der Subjektivität, der Schwarzweißmalerei und der Emotionalität in der Sprachbetrachtung als unveränderte Kontinuität in den NS-Werken verbuchen. Wie sieht es auf der Inhaltsebene aus? Die Erörterung des Sprach- und Stildiskurses und der zusammenfassende Vergleich haben deutlich gemacht, dass die grundlegenden Ansichten und Aspekte der Sprach- und Stilauffassung in den NS-Werken übernommen wurden. Mit Ausnahme der stark abgemilderten Sprachverfallsklage (3.1.1) begegnen uns keine neuen Argumente oder Einsichten. Die Grundhaltung in populären Stillehren und Sprachratgebern im Nationalsozialismus kann also weiterhin mit dem Leitbegriff des Sprachkonservatismus beschrieben werden. Allerdings kommt es zu einer Reihe von Modifizierungen oder Färbungen der einzelnen Aspekte. In der Diskussion des Sprach- und Stildiskurses in NSWerken wurde versucht, diese Färbungen auf Einflüsse des herrschenden politischen Systems und seiner Ideologie zurückzuführen. Fassen wir diese Färbungen, die sich auf der Ebene des Ausdrucks und des Inhalts manifestieren, noch einmal unter dem Gesichtspunkt ihres systembezogenen Ursprungs zusammen. Auf der Ausdrucksebene bzw. der Ebene des Sprachgebrauchs wird insbesondere bei der Diskussion des Sprachzustandes, der politischen Funktion der Sprache und des Fremdwortgebrauchs deutlich, dass nationalsozialistische Schlag- und Stichwörter in den Diskurs aufgenommen werden. Entweder handelt es sich um terminologische Verschiebungen, d.h., die Nation, der Staat und das Vaterland werden mit dem Volk und
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der Volksgemeinschaft ersetzt, oder es handelt sich um neu hinzugesetzte Begriffe wie Blut und Rasse. Zudem kommt es zu häufigen Kompositabildungen mit beliebten Schlag- und Stichwörtern. Auf der Inhaltsebene wird die Färbung des Sprachkonservatismus durch das politische System deutlich, indem über das Medium Sprache bestimmte Werte vermittelt werden. So kommt es zu Zuspitzungen und Verschärfungen bestimmter, schon in den WR-Werken existenter Tendenzen, Konzepte und Ideen, die als Tugenden im Zeitalter des Nationalsozialismus hervorgehoben werden.260 Die Tendenz von Gewalt und Aggression wird durch die krasse Bildersprache, den Überlegenheitsanspruch der deutschen Sprache und durch die Rolle der Sprache in einer kriegerischen Konfliktsituation verstärkt. Die vom Nationalsozialismus gepriesene Dynamik wird durch die Konkretisierung des Persönlichkeitsstils und der Stilanweisungen hervorgehoben, indem die als erstrebenswert ausgegebenen Charaktereigenschaften von Lebendigkeit, Tatkraft, Handlungsdrang, Mut und Zupacken mit einer Reihe sprachlicher Phänomene wie Sprechsprache, Verben, Aktiv und kurze, nebengeordnete Sätze belegt werden. Durch die Aufnahme bestimmter ideologischer Tendenzen kommt es zu einer Schwerpunktverlagerung, die dazu fuhrt, dass Aspekte des Sprachkonservatismus neben Aspekten der NS-Ideologie stehen oder ihnen widersprechen. Es gibt den Versuch der NS-Stilautoren, sich im Sinne der Machthaber auch auf sprachlicher Ebene radikal-fortschrittlich zu geben (siehe Neu- und Modewörter 3.1.3), aber es bleibt nur bei einem inkonsequenten Versuch, da man letztendlich in der präskriptiven Tradition verhaftet bleibt und nur vom politischen System beherrschte Bereiche frei gibt (Technik, Rassenlehre und Politik). Der vom Nationalsozialismus vertretene Anti-Intellektualismus, der sich im Herausstellen angeborener Naturtalente und der Gefühlsbetonung ausdrückt, wird hervorgehoben und schafft einen Gegensatz zu den traditionellen Werten, die auf Bildung und Studium fußen. Da erscheint das angeborene Stiltalent neben dem durch das Sprachstudium geschulten Stil; die oft fehlerhafte Volkssprache ergattert einen gleichberechtigten Platz neben der durch Bildung erworbenen Sprachrichtigkeit; der Schreibzweck betont nicht die rationelle sondern die emotionale Uberzeugung des Le260 Betrachtet man den Sprachkonservatismus als Teil des Sprachnationalismus passt dieses Ergebnis zu der Aussage von Gardt (1999:303-4): „Das vielleicht überraschendste Ergebnis des Studiums einschlägiger Quellen ist die Tatsache, daß sämtliche Motive, Themen und Argumentationsweisen des Sprachnationalismus, die sich in deutschsprachigen Texten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 nachweisen lassen, bereits spätestens um die Mitte des 19. Jahrhunderts existieren. [...] Der Unterschied zur Zeit des Nationalsozialismus scheint eher in der Konzentration und der Radikalität sprachnationalistischer Themen und Motive zu liegen als in ihrem grundsätzlichen Vorhandensein, doch ist eben dieser Unterschied entscheidend."
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sers, denn der Verstand gilt als langweilig und abstrakt, während das Gefühl als lebendig und wirklichkeitsnah ausgegeben wird. Anti-intellektuell ist auch, dass das Denken durch das Handeln ergänzt oder ersetzt wird. Schließlich entsteht eine Konfliktsituation zwischen drei NSStilautoren (Geißler, Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher) und dem politischen System. Es wird deutlich, dass die NS-Stilautoren die Nationalsozialisten als Gleichgesinnte betrachten und von den Machthabern einen Sprachgebrauch in ihrem Sinne erwarten. Allerdings müssen die NS-Stilautoren feststellen, dass die nationalsozialistische Sprachwirklichkeit oft gar nicht mit ihrer sprachlichen Idealnorm übereinstimmt. In einem totalitären Regime gibt es dann nur noch einen Ausweg. Durch eine Entschuldigung oder 'Erklärung' entgeht man dem Vorwurf der offenen Sprachkritik und tröstet sich über enttäuschte Erwartungen hinweg. Bei NS-Stilautor Reiners kommt es erst gar nicht zu diesem Konflikt, da er eindeutige positive Bezugnahmen zum Regime meidet. Sein heimliches Einbauen von Sprachbeispielen des im Nationalsozialismus verbotenen Hugo von Hofmannsthal zeugt von einer Distanz zu den herrschenden politischen Verhältnissen oder gar von einer gewissen Verachtung für das Regime. Am Beispiel der vier populären NS-Werke wird klar, dass der Sprachkonservatismus im Nationalsozialismus weiterlebt und nicht mit seiner Ideologie deckungsgleich ist. Es kommt zur Fehleinschätzung des Regimes seitens der NS-Stilautoren. Uberträgt man das Folgende auf den politischen Zustand gemünzte Zitat auf die Sprache, dann beschreibt es diese Fehleinschätzung: „Die politischen Ordnungsvorstellungen des deutschen Konservatismus, seine Betonung von Autorität besonders, haben ihn in die Nähe eines Regimes gebracht, das versprach, alte konservative Werte wieder ans Licht zu heben." 261 Diese Fehleinschätzung wurde aktiv von den Nationalsozialisten gefördert, um so viele Gesellschaftsschichten wie möglich auf ihre Seite zu ziehen. Die Ausnutzung der konservativen Sprachpfleger seitens der Nationalsozialisten wird deutlich, als sich die Nationalsozialisten nach ihrer Machtkonsolidierung, nach Blitzkriegen und imperialistischen Erfolgen in Europa von der Rücksicht auf die „deutschtümelnden" Sprachpfleger befreiten, ihren „ideologischen Ballast über Bord" warfen und sprachliche Maßnahmen ergriffen, die ganz und gar nicht im Sinne der Sprachpfleger waren. Der Führererlass vom November 1940 machte dem Fremdwortkampf ein Ende, im Januar 1941 erließ Hitler das Frakturverbot und Anfang 1943 wurde der Deutsche Sprachverein, die größte Vereinigung von Sprachpflegern in
261 Martin Greiffenhagen, „Konservatismus" in Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 25 Bände (Mannheim: Bibliographisches Institut, 1975) XIV, S. 157-161 (S. 160).
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Deutschland, durch die Einstellung seiner Zeitschrift Muttersprache mundtot gemacht.262 Schließlich ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die NS-Stilautoren ein zentrales ideologisches Element des Nationalsozialismus nicht aufgreifen: weder in Reiners Stilkunst, noch in Flad/Wasserziehers Sprachratgeber Schlechtes Deutsch oder in Geißlers Stillehre tauchen antisemitische Bemerkungen auf. In der Ausgabe der Sprachdummheiten von 1935 entfernt Schulze/Wustmann die verbliebenen antijüdischen Anspielungen der Originalausgabe.263
262 Von Polenz 1999:47. Helmut Bernsmeier, „Der Deutsche Sprachverein im Dritten Reich" Muttersprache 93 (1983), 35-58 (S. 45). 263 Vgl. Wustmann 1923:101, 301 mit 1935:118, 270. Das Vorwort von Wustmanns Originalausgabe von 1891 enthält antisemitische Bemerkungen (vgl. dazu Meyer 1993:256 und Thiemann 1985:130-131), war aber in der 9. Auflage von 1923 schon entfallen. Ich stimme nicht mit Juhasz (1967:333) überein, der den Antisemitismus in den Sprachdummheiten als einen der Gründe für ihre Wiederauflage nach 1933 zitiert. Erst einmal ist es falsch, wenn er behauptet, dass das Vorwort von Gustav Wustmann mit seinen antisemitischen Bemerkungen erst in den Ausgaben nach 1945 entfallt! Zudem enthält die Ausgabe von 1935 keine antijüdischen Anspielungen. Der Zusatz „Juden" vor den Schriftstellernamen Sternheim und Kerr in der Ausgabe von 1943 (S. 265) ist kein überzeugender Beweis von Antisemitismus, wenn sich sonst auf 384 Seiten Text keine weiteren Anspielungen finden. Zum überzeugten Nationalsozialisten Geißler: Interessanterweise taucht seine Stillehre Vom deutschen Stil, die hier untersucht wurde, bei Hillen nicht auf. Hillen zitiert hauptsächlich aus Geißlers Sprachpflege als Knssenpflicht, siehe Hillen 1982:66-68, 188-189.
4 Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967) Ludwig Reiners, Stilkunst, 2. verbesserte und ergänzte Auflage (München: Biederstein Verlag, 1949), 9. Auflage (München: C.H. Beck Verlag, 1961) und 12. Auflage (1967). Wustmann, Sprachdummheiten, 12. erneuerte Auflage von Dr. Werner Schulze (Berlin: de Gruyter, 1949) und 14. erneuerte Auflage von Dr. Werner Schulze (1966). Ernst Wasserzieher, Schlechtes Deutsch, 8. Auflage besorgt von Dr. Eugen Flad (Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag, 1951) und 9. Auflage (1961). Franz Thierfelder, Wege ψ besserem Stil (Mainz: Matthias-GrünewaldVerlag, 1950) und 2. verbesserte Auflage (München: Max Hueber Verlag, 1955).** Im folgenden Kapitel wird untersucht, inwieweit die BRD-Stilautoren unter den neuen politischen Verhältnissen der jungen BRD den Sprachund Stildiskurs in den drei kontinuierlich aufgelegten Stillehren und Sprachratgebern Stilkunst, Schlechtes Deutsch und Sprachdummheiten verändern, d. h. ob und inwieweit sich die neuen politischen Verhältnisse manifestieren und den in den WR- und NS-Werken bisher festgestellten Sprachkonservatismus modifizieren. Zu diesem Zweck werden Ausgaben untersucht, die vom Beginn der BRD bis Mitte der sechziger Jahre veröffentlicht wurden. Dieser Zeitraum erlaubt nicht nur, mögliche Unterschiede am politischen Schnittpunkt Diktatur/Demokratie in Deutschland zu beleuchten, sondern die Entwicklung bis zum Bruch der Sprachwissenschaft mit der Sprachkritik Mitte der sechziger Jahre zu untersuchen. Wie schon im ersten Kapitel erklärt wurde, soll Franz Thierfelders Stillehre als 'Momentaufnahme' untersuchen, inwieweit sich die Inhalte dieser populären Neuerscheinung mit den Inhalten der kontinuierlich aufgelegten Werke deckt und ob sie die Ideen und Konzepte über Sprache und Stil teilt. Als Vergleichsmuster dienen die schon auf den WR- und NS-Werken bekannten Themen und Aspekte des Sprach- und Stildiskurses.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
133
4.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRDStilautoren 4.1.1 Sprachzustand In den BRD-Werken kommt es zu Änderungen hinsichtlich der Aussagen zum Sprachzustand. Die Sprachverfallsklage wird im Vergleich zu den NS-Werken wieder intensiviert, da die Erwartung auf eine bessere Zeit und auf staatliche Unterstützung in der Sprachpflege fehlt. Im Gegensatz zu den NS-Ausgaben fehlt in den BRD-Ausgaben von Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher die optimistische Aussage, dass Deutschland am Beginn eines neuen besseren Sprachzeitalters stünde. Die Verweise der NS-Werke, dass das politische System die Sprachpflege begünstige, erscheinen nicht länger, stattdessen wird die Notwendigkeit der Sprachpflege herausgestellt. 1 Auffällig sind die Umformulierungen im Aufruf zur Sprachpflege. Flad/Wasserzieher entfernt nach Möglichkeit das Wort „Volk". Die „Volksgenossen" der NS-Ausgabe werden 1961 zu „Angehörige[n], gleich welcher Sprache", die alle ein Recht auf ihre Muttersprache hätten; der „Volksgeist" wird zum „Geist der Sprache" und die „volkhafte und volkszugewandte Sprachpflege" wird in der BRD einfach zur „Sprachpflege." 2 Ging es bei Schulze/Wustmann 1935/43 noch um „den Kampf um das Bodenständige und echt Deutsche", bzw. um den „Kampf um ein artgemäßes schlichtes, klares und reines Deutsch", heißt es 1949: „der 'Neue Wustmann' [will] ein Helfer für jeden Deutschen sein, der ehrlich um eine schlichte, klare und reine Sprache ringt." 3 Reiners, der in der NS-Ausgabe nicht auf die Unterstützung des politischen Systems in der Sprachpflege gesetzt hatte, fordert weiterhin mit den Worten von 1944 zur Pflege des Prosastils auf. 4 Allerdings ändert er die Aussage aus der Originalausgabe, dass die Deutschen die schönste und stärkste Sprache der Welt besäßen und schreibt nun: „Noch besitzen wir eine der schönsten und stärksten Sprachen der Welt, [.. .]." 5 Thierfelder ist der einzige, der einen Zusammenhang zwischen der konkreten politischen Situation eines geteilten Deutschlands und der Notwendigkeit der Sprachpflege schafft. Die Dringlichkeit seiner Sprach-
1
Wustmann 1949/66:VI/XIV, XV. Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 1 .
2
Wasserzieher 1961:11, 12, 1 5 [noch nicht 1951:11, 12, 15].
3
Wustmann 1949/66:VI/XIV [vgl. 1935/43:VI].
4
Reiners 1949:VII, 13 und 1961/67:VI1-VIII, 15. [Die drei untersuchten Ausgaben erscheinen aus Gründen der Übersicht nicht als 1949/61/67 sondern als 1949 und 1961/67.] Reiners 1949:23 und 1961/67:28 [vgl. 1944:23],
5
134
Sprachratgeber und Süllehren in der BRD (1949-1967)
Verfallsklage erinnert an die Formulierungen der WR-Stilautoren. Er ist vom akuten Sprachverfall überzeugt: „[...] denn wir leben in einer Zeit der Stilauflösung, der sprachlichen Entwertung, wie sie unsere Geschichte bisher nur selten und nur in bestimmten Schichten des Volkes gekannt hat." 6 Wegen der Aufteilung Deutschlands in Zonen wünscht sich Thierfelder 1950 einen „Mittelpunkt sprachpflegerischer Bemühungen", da er durch eine lange Besatzungszeit eine „tatsächliche^..] sprachliche[...] Auseinanderentwicklung Deutschlands" befürchtet. 7 Auffällig ist also, dass der Sprachgebrauch in den BRD-Werken durch das Entfernen nationalsozialistischer Schlagwörter wie 'Volk, Blut und Art' entnazifiziert wird. Die Ausdrucksweise wirkt weniger aggressiv und militärisch, da bspw. bei Schulze/Wustmann der 'Sprachkampf zur 'Sprachhilfe' wird. Flad/Wasserziehers Forderung nach 'gleichem Sprachrecht für alle' verweist auf eine neue weltoffene, nicht auf das Deutsche fokussierte Haltung. Auch Reiners scheint seinen Uberlegenheitsanspruch der deutschen Sprache abzuschwächen, indem er sie nicht an die Spitze stellt, sondern in die Gemeinschaft der Sprachen einreiht. Diese Änderungen zeigen, dass sich der Einfluss der neuen politischen Umstände in diesem Punkt bemerkbar macht.
4.1.2 Sprachgeschichte Die folgende Zusammenstellung und Untersuchung der Äußerungen hinsichtlich der Sprachgeschichte zeigt, dass die Ideen der BRD-Stilautoren denen der WR- und NS-Stilautoren in allen drei Hauptpunkten gleichen, und es sich somit um eine Kontinuität von der Weimarer Zeit über den Nationalsozialismus bis in die BRD handelt. 4.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit Reiners hat die zeitlichen Ausmaße der sprachlichen Blüte übernommen und preist das Mittelhochdeutsche, Luther und die „Sturm und Drangzeit". 8 Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher vertreten weiterhin den Standpunkt, dass alte deutsche Wörter schön seien.9 Auch Thierfelder trauert dem goldenen Sprachzeitalter nach, indem er die schönen einfachen Formen des Mittelhochdeutschen „swer" und „swaz" [statt „wer
6
Thierfelder 1950/55:7/3, 189/209, 197/218.
7
Thierfelder 1950:117 (nicht 1955, da Abschnitt entfallt).
8
Reiners 1949:163-164 und 1961/67:196-7.
9
Wusttnann 1949/66:58. Wasserzieher 1951 /61:45/44.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
135
auch immer"] lobt und ihren Verlust bedauert. 10 Er preist die Assimilation der sprachlichen Fremdlinge in der „Frühzeit unserer Geschichte" und schwärmt für die „Harmonie" oder den „Höhepunkt" der Weimarer Klassik.11 Im Gegensatz zu den NS-Ausgaben gibt es bei den BRD-Stilautoren keine Verweise mehr auf die germanischen Ahnen wie im Nationalsozialismus oder direkte Anspielungen auf die sprachlichen Vorfahren. 12 Durch die ideologische Nähe der Ahnen for schung zur Abstammungs- und Rassenlehre ist das Erwähnen der Vorfahren im Licht der zwölfjährigen nationalsozialistischen Vergangenheit und unter den neuen politischen Umständen in der BRD nicht mehr angebracht. 4.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit Schulze/Wustmann und Reiners übernehmen ihre Meinung vom ausgesprochen negativen Einfluss der lateinischen und französischen Sprache auf das Deutsche. 13 Thierfelder schließt sich an und erklärt, dass die Nachahmung des Lateinischen bei der Bildung von Relativsätzen zu Satzkonstruktionen geführt habe, die dem „Geist" und dem „Wesen" der deutschen Sprache zuwiderliefen. 14 Wie die anderen BRD-Stilautoren erklärt Thierfelder den Einfluss der lateinischen Sprache mit der Haltung der deutschen Gelehrten, die aus Standesdünkel heraus das Lateinische nachgeahmt und somit einen schlechten Stil herausgebildet hätten. 15 4.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen Wie in den NS-Ausgaben dient die Sprachgeschichte für Schulze/Wustmann, Flad/Wasserzieher und Reiners weiterhin dazu, um sprachliche und stilistische Fragen und Zweifelsfälle der Gegenwartssprache zu erläutern. 16 10
Thierfelder 1950/55:69-70/88, 100-1/123-4.
11 12
Thierfelder 1950/55:42/46, 118-9/42-43. Thierfelder 1950/55:10-11/7 (Verweis auf den „Geist der Sprache", aus dem „eine unübersehbare Geschlechterreihe" spreche). Wustmann 1949/66:97, 98. Reiners 1949:20-22, 24 und 1961/67:24-26, 28-29.
13 14
15
16
Thierfelder 1950/55:69/87-88: „Das Spinnen, welche Arbeit früher die weibliche Dorfjugend in hohem Maße beanspruchte [...]." Beispiele fiir weitere negative Einflüsse: 1950/55:39, 86/106, 8 8 / 1 0 9 , 1 6 4 / 1 8 2 , 1 6 7 / 1 8 5 . Thierfelder 1950/55:196-7/217, 88/109 (das Gerundivum - „ein für die nächste Stunde zu bearbeitendes Thema" - widerspreche dem deutschen Sprachempfinden). Ähnlich 1950/55:69-70/88. Weitere Gelehrtenschelte 1950/55:15/12, 37/36. Wustmann 1949/66:212, 40. Wasserzieher 1951/61:37, 38, 41, 45/44. Reiners 1949:133, 347 und 1961/67:162, 419-20.
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
Trotz der anfänglichen Beteuerung, auf sprachgeschichtliche Erläuterungen zu verzichten, liefert Thierfelder eine Reihe von historischen Erklärungen. So sei „es" in Redensarten wie „ich bin es gewöhnt" nicht etwa ein neutraler Akkusativ, sondern der alte Genitiv Singularis der dritten Person männlichen und sächlichen Geschlechts. 17
4.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel Auch in diesem Punkt bleibt die Grundhaltung dieselbe wie in den anderen untersuchten Zeiträumen, es kommt lediglich in einigen Punkten aufgrund der neuen politischen Verhältnisse zur Anpassung. Schulze/Wustmann, Flad/Wasserzieher und Reiners behalten ihre zweideutige Haltung dem Sprachwandel gegenüber bei und übernehmen ihre Aussagen aus den NS-Werken teilweise wörtlich in die BRDAusgaben. Sie betrachten den Sprachwandel theoretisch als ein legitimes, ja sogar notwendiges Phänomen, praktisch behalten sie sich aber ein Einspruchsrecht vor, wenn der Sprachwandel nicht ihren subjektiven Vorstellungen entspricht. 18 Auch Thierfelder bejaht einerseits den unablässigen Sprachwandel, stellt aber andererseits die Bedingung, dass sich in ihm „der Wandel des nationalen Wesens" ausdrücke. Wandel bedeute nicht die „Preisgabe des Wesentlichen" und ein gewisser „sprachlicher Konservativismus" sei durchaus vertretbar. 19 Die Bildung des Konjunktivs der Vergangenheit mit „würde" sei „miserables Deutsch" und ein Zeichen der fortschreitenden Auflösung der Sprache. 20 Sprache dürfe nicht wild wachsen, und das Volk solle sich in sprachlichen Entscheidungen einer anerkannten Führung unterordnen. 21 Die zweideutige Haltung dem zeitgenössischen Sprachwandel gegenüber, die wir im Ansatz in den WR-Werken und ausgeprägt in den NSWerken feststellten, setzt sich in den BRD-Werken fort und stellt eine Kontinuität dar. Akzeptabel ist trotz des theoretischen Wissens um das Phänomen Sprachwandel letztendlich nur, was den eigenen Vorstellungen entspricht. Thierfelders Forderung, Wörter müssten den Wandel des nationalen Wesens ausdrücken, zeigt, wie vage die Beurteilungskriterien in dieser Hinsicht bleiben. Seine Ablehnung des Konjunktivs II mit 'würde' 17
Thierfelder 1950/55:62/79. Verzicht auf Sprachgeschichte: 1950/55:6/2. Weitere Beispiele: 1950/55:52/68-69, 58/76,71/89-90.
18 19
Wustmann 1949/66:VI/XIII-XIV. Wasserzieher 1951/61:14, 39/38. Reiners 1949:210, 2 1 3 - 2 1 4 und 1961/67:254, 258. Thierfelder 1950/55:101/123, 45/61.
20 21
Thierfelder 1950/55:89/110. Thierfelder 1 9 5 0 / 5 5 : 1 8 - 1 9 / 1 5 - 1 6 , 1 0 8 / 1 3 1 .
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
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2eugt von Subjektivität und ist zudem eine Fehleinschätzung der Sprachentwicklung, denn diese Form des Konjunktivs hat sich durchgesetzt und wird heute in angesehenen Grammatiken akzeptiert. 22 Fehleinschätzungen dieser Art stellen ebenfalls eine Beständigkeit dar, da wir sie schon in den WR-Werken festgestellt hatten. Bei seinen Aussagen zum zeitgenössischen Sprachwandel spricht Thierfelder offen aus, was bei allen Stilautoren vorhanden ist: der Anspruch auf Autorität in Sprachfragen durch eine Führungsrolle der Sprachexperten und die konservative Haltung. In Bezug auf die Neuwörter haben sich die Aussagen von Reiners und Schulze/Wustmann im Vergleich zu den NS-Ausgaben kaum geändert. Der Bedarf an Neuwörtern solle hauptsächlich durch deutsche Wortschöpfungen gedeckt werden. 23 Als gelungen listet Schulze/Wustmann 1949 und 1966 weiterhin „Katzenauge, Rückstrahler, entregnen, Fließkohle, Fluginsel" auf sowie die Wörter „Erblehre, Erbpflege und Erbhege", allerdings ohne den Zusatz, dass „Erbpflege" die „Rassenhygiene" ersetzt.24 Im Licht der politischen Vergangenheit mutet es unangenehm an, dass Schulze/Wustmann 1966, also nach 17 Jahren BRD, immer noch nationalsozialistische Prägungen aus dem heiklen Bereich der Vererbungslehre lobt. Das geschieht wohl eher unbewusst und ohne politische Hintergedanken, denn er verweist ausdrücklich auf Klemperers und Bertlings Werke, die sich eingehend und kritisch mit dem nationalsozialistischen Sprachmissbrauch auseinandersetzen (siehe unten). Schulze/Wustmann ergänzt seine positive Neuwörterliste 1966 mit „Anlasser, Vergaser, Gang, Getriebe, Kuppelung, Schalter, Lenker, Blinklicht, Fahrerflucht, Blechschaden" und weist auf schlechte oder „scheußliche" Bildungen hin wie „Gebrauchtwagen" und „Entnazifizierung". 25 Bei dem Aspekt des Sprachwandels wird besonders bei Flad/Wasserzieher die Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse durch das Entfernen bzw. Überarbeiten von Textstellen deutlich. Er streicht in der BRD-Ausgabe seinen nicht mehr angebrachten Neuwörter-Abschnitt der NS-Ausgabe, der in überschwänglich-chauvinistischen Tönen das „völkische Erwachen" im Nationalsozialismus als Inspiration für deutsche Wortneuschöpfungen gepriesen hatte. 26 Thierfelder äußert sich nicht zum Thema Neuwörter. Die Forderung bleibt also weiterhin bestehen, dass akzeptable Neuwörter wie 22
23 24 25 26
Heinz Griesbach und Dora Schulz, Grammatik der deutschen Sprache, 11. Auflage (München: Max Hueber Verlag, 1982), S. 53-55. Duden Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut, 1973), S. 114f. Monika Reimann, Grundstufen-Grammatik, 2. Auflage (Ismaning: Max Hueber Verlag, 1997). Reiners 1949:480-1, 489-91 und 1961/67:583, 592-3. Mundarten als Quelle für Neuwörter bei Reiners 1949:517-9 und 1961/67:623-4. Wustmann 1949/66:289-91 /290. Wustmann 1966:291-293. Wasserzieher 1951 /61:75/72-3.
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
in den WR- und NS Ausgaben in erster Linie deutsch sein müssen. Wie in der NS-Ausgabe stammen viele akzeptable Neuwörter aus dem Bereich der Technik, dieses Mal wird die Liste mit Wörtern aus dem wirtschaftlichen blühenden Bereich der Kfz-Industrie ergänzt. Hinsichtlich der Modewörter übernehmen Reiners und Flad/Wasserzieher ihre ablehnende bzw. kritische Haltung aus den NS-Ausgaben. 27 Thierfelder schließt sich ihrer Meinung an und bezeichnet Modewörter als „abscheuliches Deutsch!" 28 Wie in den NS-Ausgaben billigt Schulze/Wustmann trotz seiner Kritik eine Reihe von Modewörtern in der BRD-Ausgabe wie bspw. „beachtlich und beachtsam" oder „angeben" 29 und bezeichnet sie als „nicht übel" 30 oder „nicht schlecht und von bildlicher Kraft". 31 Allerdings entfernt er seine 1949 nicht mehr passende positive Beurteilung der nationalsozialistischen politischen Modewörter (z. B. „Gleichschaltung") und der Abschnitt über politische Mode- und Schlagwörter entfällt 1949 ersatzlos. Im Jahre 1966 wird der Abschnitt jedoch aktualisiert wieder aufgenommen. 32 Wie in den NS-Ausgaben von 1935/43 bezeichnet Schulze/Wustmann 1966 politische Modewörter als Waffen in der Hand der jeweiligen Regierungen oder Parteien und als laute Werbeworte. Er erinnert an die Modewörter „Sofortprogramm" und „Junktim" aus der Weimarer Zeit. Beispiele aus der nationalsozialistischen Zeit bringt er nicht, verweist aber auf Werke über den nationalsozialistischen Sprachgebrauch wie Klemperers Buch L77 als ein „dauernd wirksames Denkmal" und Bernings Vom Abstammungsnachiveis bis ψπι Zuchtwart.33 Hinsichtlich der Nachkriegszeit unterscheidet Schulze/Wustmann zwischen politischen Modewörtern im Osten und im Westen Deutschlands. Im Osten gäbe es mehr als im Westen. Trotz einiger guter Bildungen wie „Werktätige, friedliebende Bevölkerung, volkseigene Betriebe, Zwei- oder Fünfjahresplan" beurteilt er die Modewörter des Ostens negativ. Sie durchdrängen die Massen mit einer ganzen Staats- und Weltanschauungslehre. Besonders die aus der sowjetischen Staatslehre eingeführten Wörter wie „Aggressionen" und „Invasionen", „Brigadiers" oder „Kombinate" trügen „sprachlich schon das Undeutsche an der Stirn". Das 27
29 30
Reiners 1949:143, 145- 148 und 1961/67:174, 176- 180. Wasserzieher 1951/61:75/72-3. Modewörter gefährden das Denken bei Wasserzieher 1951/61:75/72-3 [wie 1942:65], Reiners 1949:143 und 1 9 6 1 / 6 7 : 1 7 4 und bei Thierfelder 1950/55:149-150/165-166. Thierfelder 1950/55:149/165 (bezieht sich u. a. auf den Ausdruck „laufend", den er als „ein Rest der nationalsozialistischen Klischee-Sprache" bezeichnet). Wustmann 1949/66:296-7/298-9. Wustmann 1949/66:295/299.
31
Wustmann 1949/66:297/300. Allgemeine Kritik der Modewörter: 1949/66:294-5/296-7.
28
32
Vgl. Wustmann 1935/43:306-7/309-10 mit 1949/66:306-7/307-309.
33
Wustmann 1966:307.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
139
Wort „Funktionäre" habe keinen „guten Klang" und werde oft mit bedeutungsvollen oder hinterlistigen Anfuhrungszeichen gesprochen. 34 Modewörter des Westens wie bspw. „Wirtschaftswunder, multilateral, Gipfelkonferenz, Supermächte" und „Koexistenz" seien dagegen „weniger fest, beweglicher, vergänglicher" und lebten im Zeichen der Integration über alle nationalen Grenzen hinweg. 35 Seine erneute Diskussion der politischen Modewörter in der Ausgabe von 1966 lässt wieder eine von der politischen Lage beeinflusste, subjektive Beurteilung der Wörter erkennen. Er gibt nämlich keine konkreten sprachlichen Gründe dafür an, warum er die westlichen Bildungen als „flexibel" und „international" und als Zeichen der Wiederaufnahme Deutschlands in das internationale politische Geschehen akzeptiert und die Mehrzahl der ostdeutschen Bildungen als „undeutsch" und „hinterlistig" ablehnt.
4.1.4 Sprachrichtigkeit 4.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik Wie in den WR- und NS-Werken plädieren alle vier BRD-Stilautoren für die Einhaltung der Sprachgesetze und die Unterscheidung von richtig und falsch.36 Thierfelder fordert „Ehrfurcht vor den Gesetzen der Sprache". 37 Bei Reiners und Thierfelder setzt sich die schon bei WR-Stilautor Engel festgestellte Auffassung fort, dass der Sprachgebrauch der Dichter und Schriftsteller als Orientierung für grammatische Richtigkeit dienen sollte.38 Damit ist die Forderung nach der Einhaltung der überlieferten Sprachregeln als Kontinuität zu werten, da sie ein zentrales Element in allen drei Epochen darstellt. Während Flad/Wasserzieher, Reiners und Schulze/Wustmann Sprachschnitzer mit gleichen oder ähnlichen Worten wie in den NSAusgaben rügen und als „Schlamperei", „unerträglich", „recht unerfreulich" und „besonders häßlich" bezeichnen, ist Thierfelders Sprache emo34
Wustmann 1966:307-8.
35
Wustmann 1966:309.
36
Wustmann 1949/66:91. Wasserzieher 1951/61:14-15. Reiners 1949:212 und 1961/67:256. Thierfelder 1950/55:41/40. Sie teilen ähnliche Ansichten in Bezug auf die Sprachrichtigkeit, z. B. siehe Aussagen zum Satzdreh nach „und" bei Thierfelder 1950/55:83/103, bei Reiners 1949:155 und 1961/67:188, bei Wasserzieher 1951/61:44/43 und bei Wustmann 1949/66:246-7. Aussagen zu „derselbe" bei Thierfelder 1950/55:64/82, bei Reiners 1949:132-34 und 1961/67:160-62, bei Wasserzieher 1951/61:36-37/35-36 und bei Wustmann 1949/66:176-181.
37 38
Thierfelder 1950/55:212/235-6. Reiners 1949:212 und 1961/67:256. Thierfelder 1950/55:41/40.
140
Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
tionaler und erinnert an die Ausdrucksweise in den WR-Werken. Sprachfehler verstießen gegen „den Geist der Sprache", bereiteten „physischen Schmerz", seien ein „Unheil" oder gar ein „sprachliches Kapitalverbrechen", ein „Schlag ins Gesicht". 39 Für Thierfelder ist die Einhaltung der Sprachgesetze und die Beherrschung der Form eine „Tugend". 40 Zudem weist er darauf hin, dass Sprachgesetze von Germanisten in mühevoller philologischer Forschung harmonisch zusammengestellt worden seien.41 Für seine Regeln liefert er allerdings oft subjektive Erklärungen. Ein „goldnes" Halsband klinge gefälliger als ein „goldenes". 42 Alles sträube sich in ihm, die Präposition „laut" mit dem Genitiv zu verbinden und die Umschreibung mit „von" im Ausdruck „die Hosen vom Vater, das Kleid von der Mutter" müsse abgelehnt werden. 43 Auch Schulze/Wustmann begründet seine Sprachregeln nach wie vor mit dem subjektiven Element des eigenen Sprachgefühls. 44 Auf diese meist subjektiven Begründungen zur Einhaltung der Sprachregeln trafen wir schon in den WR- und NSWerken. Allerdings scheint man in einer anderen Hinsicht in den BRDWerken wieder zu den WR-Werken zurückzukehren. Erstens wird der im Nationalsozialismus festgestellte anti-intellektuelle Trend, der sich in einer etwas gelockerten Haltung in Bezug auf die Sprachrichtigkeit äußerte, dadurch abgeschwächt, dass zwei BRD-Stilautoren die Anerkennung der sprachlichen Autorität von Dichtern und Schriftstellern, also von der gebildeten Schicht, fordern (im Nationalsozialismus war es nur Reiners). Zweitens werden Sprachfehler durch schärferes Rügen und durch die Verbindung von Sprachrichtigkeit und Tugend wieder stärker emotionalisiert. Drittens soll der Wert und die Autorität der Sprachgesetze durch einen Verweis auf die Arbeit der Germanisten, also der Gebildeten und der Intellektuellen untermauert werden. Anzumerken ist noch, dass Schulze/Wustmann seine anti-intellektuelle Überzeugung bewahrt und die in den NS-Werken festgestellte Immunität der Volkssprache fortsetzt, d. h. Sprachfehler dieser Varietät werden von ihm nicht gerügt. 45 Er ist der einzige, der die Volkssprache
39
Thierfelder 1950/55:22/19-20, 72/91, 80-81/100-1, 34/33, 31/29. Reiners 1949:204 und 1961/67:247 („Schlamperei"). Wustmann 1949:251 („unerträglich"), 1966:251 („recht unerfreulich"), 1949/66:150 („besonders häßlich"). Ebenso Wasserzieher 1951/61:27 („sündigen") [wie 1942:22).
40
Thierfelder 1950/55:41/40.
41
Thierfelder 1950/55:18/15.
42
Thierfelder 1950/55:53/70.
43 44
Thierfelder 1950/55:81/101, 31/29. Ähnlich 1950/55:25/23, 66/85, 67/86, 71/89. Wustmann 1949/66:109: „Wer das bestreitet, hat eben kein Sprachgefühl." 1935/43:107/109], Siehe auch 1949/66:216 [wie 1935/43:214-5/217].
45
Wustmann 1949/66:20, 72, 199 [wie 1935/43:20, 72, 197/200],
[wie
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141
eindeutig von der Kritik ausnimmt, die anderen Stilautoren gewähren ihr diese Freiheit nicht. 4.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl Wie in den WR- und NS-Werken sind drei BRD-Stilautoren der Ansicht, dass ein „gesundes", „unverdorbenes" Sprachgefühl zu richtigem Deutsch und zu einem guten Stil verhelfe.46 Auch für Thierfelder verbürgt das Sprachgefühl Sprachrichtigkeit.47 Außerdem ist er der Ansicht, dass der Durchschnittsdeutsche in vielen Fällen „aus natürlichem Instinkt das Richtige" treffe.48 Schulze/Wustmann hält weiterhin und als einziger an seiner Idee eines natürlichen, angeborenen Sprachgefühls fest, das schon im Kindesalter vorhanden sei.49
4.1.5 Das Organismuskonzept Sprache als Lebewesen 4.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und Medizin Wie in den WR- und NS-Werken betrachten alle vier BRD-Stilautoren die Sprache als Lebewesen und gebrauchen Vergleiche oder Bilder aus der Natur und Medizin, um meist unliebsame Spracherscheinungen zu kennzeichnen. Flad/Wasserzieher, Reiners und Schulze/Wustmann übernehmen ihre Vergleiche und Bilder aus den NS-Ausgaben in die BRDAusgaben.50 Thierfelder verfährt entsprechend und spricht vom „sprach46 47 48 49 50
Reiners 1949:138 und 1961/67:168. Wustmann 1949/66:7, 63, 136, 162, 169 [wie 1935/43:8/7, 63, 134/136, 161/164,168/170]. Thierfelder 1950/55:83/103. Thierfelder 1950/55:106/129. Wustmann 1949/66:194, 130, 47 [wie 1935/43:192/195, 127-8/130, 48/47-48], Vergleiche mit Gartenbau, Pflanzen und Sprachgarten siehe Wasserzieher 1951/61:15 [wie 1942:13]. Sprache werde „roh, formlos, starr und tot" siehe Wasserzieher 1951/61:27 [wie 1942:21], Für „Mißgeburt" siehe Wasserzieher 1951/61:42/41 [wie 1942:35], Worte als Pflanzen bei Reiners 1949:237 und 1961/67:288 [wie 1944:237], Für Krankheitsmetaphem siehe Reiners 1949:488, 511 und 1961/67:590, 616 [wie 1944:488, 511]. „Das totgeborene Fernsprecher" siehe Reiners 1949:502 und 1961/67:606 [wie 1944:502], „Satzfäulnis" und „Hauptwörterkrankheit" siehe Reiners 1949:116 und 1961/67:142 [wie 1944:116], „Sprachpest" und ihre „krankhafte Ausweitung'" siehe Reiners 1949:298 und 1961/67:360 [wie 1944:298], Vergleiche bei Wustmann 1949/66:334/337 [wie 1935/43:336/339]; 1949/66:56 [wie 1935/43:56]; 1949/66:346/349 [wie 1935/43:348/352]; 1949/66:6 [wie 1935/43:6]; 1949/66:35 [wie 1935/43:36]; 1949/66:375/381 [wie 1935/43:384/385]; 1949/66:356/362 [wie 1935/43:360/362]; 1949/66:371/376 [wie 1935/43:380/381], Für Krankheitsmetaphern bei Wustmann, z. B. „steif und leblos gewordene Gebilde" siehe 1949/66:256 [wie 1935/43:255/258], „Verheerende Seuche" siehe 1949/66:309/313 [wie 1935/43:311/314], „Bazillen einer ewigen Krankheit" siehe 1949/66:353/360 [wie
142
Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
gesund[en] Empfinden", vergleicht Wortbildungen mit „Fehlgeburten", konstatiert den „Krebsschaden" der Gegenwartssprache und warnt vor der „Fremdwörterseuche" und vor modischen Unarten, die sich wie ein „Steppenbrand weiter fressen" würden. 51 Die Arbeit am Stil vergleicht er mit dem Unkrautjäten auf einem Gemüsebeet. 52 An diesem Punkt wird klar, dass die BRD-Stilautoren nicht nur das Konzept von Sprache als Lebewesen, sondern auch die im Nationalsozialismus geprägten zugespitzten Bilder und Vergleiche in den Sprachgebrauch der BRD-Werke übernehmen. 4.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben Wie in den NS-Ausgaben betonen Reiners, Schulze/Wustmann und Flad/ Wasserzieher in den BRD-Ausgaben das im Nationalsozialismus hervorgehobene Element der Kraft und die Lebendigkeit der deutschen Sprache, die sich ihrer Meinung nach in konkreten sprachlichen Phänomenen wie in Zeitwörtern, in den Mundarten und im Modus ausdrückten, und die sie der deutschen Sprache als abstrakte Eigenschaften zuschreiben. 53 Bei Thierfelder findet sich diese Haltung ebenfalls, er passt sich auf der Inhalts- und Ausdrucksebene in diesem Punkt an. Er bezeichnet den Genitiv als ein „Hauptgewürz kraftvollen Stils". 54 Kraft drücke sich außerdem durch Flexionsendungen aus, also dadurch, dass Substantive ohne „fremde" Hilfe wie „präpositionale Krücken" ihren Fall ändern. 55 Wenn man die deutsche Grammatik und Syntax beherrsche, erwache auch die Freude und Kraft am eigenen Stil wieder. 56
1935/43:356/359], 1935/43:381/382],
„Gefahr
der
Ansteckung
lauert"
siehe
1949/66:373/377
[wie
51
Thierfelder 1950/55:54/71, 8 0 / 1 0 0 , 1 9 3 / 2 1 4 , 41/-, 192/213.
52
Thierfelder 1950/55:17/14.
53
Reiners 1949:517, 1961/67:623 [wie 1944:517, 623]. Wustmann 1949/66:284, 1 1 0 [wie 1935/43:282/286, 109/110], Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 6 [wie 1942:15], „Kraft" bei Reiners 1949:9 und 1961/67:11. „Kraft" bei Wustmann 1949/66:324/327, 326/329 [wie 1935/43:326/330, 328/331], „Kraft" bei Wasserzieher, 1951/61:7-8.
54
Thierfelder 1950/55:23/20, 29/27, 66/84.
55
Thierfelder 1950/55:27/25, 28/26.
56
Thierfelder 1950/55:17/14.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
4.1.6 Die Funktion der Sprache auf politischer Ebene 4.1.6.1 Zeitspiegel Die neuen politischen Verhältnisse werden insofern reflektiert, als dass alle Bezüge zum Nationalsozialismus und zu seinem Sprachgebrauch gestrichen oder ersetzt werden. Die Aussagen werden inhaltlich angepasst, indem der im Nationalsozialismus ungeniert ausgelebte Chauvinismus entfernt wird. In Beispielsätzen kommt es zu Anspielungen auf das Nachkriegsdeutschland und die neuen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in der BRD. So fällt im Zeitspiegel bei zwei BRD-Stilautoren der Aspekt der 'Entnazifizierung' auf, d. h., alle Verweise auf den Nationalsozialismus oder auf nationalsozialistische Einrichtungen oder Personen werden in den Beispielsätzen entfernt. Schulze/Wustmanns Überschrift „Mit erhobenem rechten oder rechtem Arm?" wird 1949/66 zu „Mit echtem Kölnischen oder Kölnischem Wasser?"57 Flad/Wasserzieher ersetzt „eine Rede von Hider" mit einer „Rede von Fichte".58 Da Reiners in seiner NS-Ausgabe kaum Anspielungen auf die herrschenden politischen Verhältnisse gemacht hatte, muss er seine BRD-Ausgabe diesbezüglich kaum überarbeiten. Das Beispiel von 1944: „Oder sollte man statt VDA-Mitglied künftig sagen: Verein-für-das-Deutschtum-im-Ausland-Mitglied oder statt BDMMädel Bund-Deutscher-Mädel-Mädel?" wird in der BRD zu „Oder sollte man statt Datsch-Mitglieder künftig sagen: Deutscher-Ausschuß-fürtechnisches-Schulwesen-Mitglieder?"59
57
Wustmann 1935/43:28 und 1949/66:27. Weitere 'entnazifizierte' Beispiele bei Wustmann 1935/43:18: „SA-Männer" wird 1949/66:17-18 zu „Feuerwehrmännern]". 1935/43:25: „Dr. Goebbels flog mit der 'Generalfeldmarschall von Hindenburg' nach Warschau" wird 1949/66:25 zu: „Die 'Storch' verunglückte mit drei Insassen". 1935/43:43/42: „Hitler hat eine neue Form des deutschen Staates geschaffen" wird 1949/66:42 zu: „Hier hat der Künstler eine wundervolle Büste geschaffen." In Bezug auf 'entnazifizierte' Beispiele vergleiche ebenso Wustmann 1935/43:262/265 mit 1949/66:263; 1935/43:130/132 mit 1949/66:132; 1935/43:113/114 mit 1949/66:114; 1935/43:148/151 mit 1949/66:150; 1935/43:1 mit 1949/66:1; 1935/43:380/381 mit 1949:371/1966:376; 1935/43:138/141 mit 1949/66:40; 1935/43:97/98 mit 1949/66:97-98.
58
Wasserzieher 1951/61:29/28 [vgl. 1942:23]. Weitere 'entnazifizierte' Beispiele, siehe 1942:23: „[E]ine Rede von Goebbels" wird 1951/61:29: ,,[E]ine Rede von Schulz". 1942:35: „[Anläßlich des Geburtstags des Führers" wird 1951/63:43/42: „[Anläßlich der Festspiele". Vergleiche ebenso Wasserzieher 1942:36 mit 1961:42 [1951:43 noch „Heldengedenktag"!]; 1942:50 mit 1951/61:59/57; 1942:51 mit 1951/61:60/58; 1942:54 mit 1951/61:63/61.
59
Vergleiche Reiners 1944:516 mit 1949:516 und 1961/67:622. Vergleiche ebenso Reiners 1944:516 mit 1949:516 und 1961/67:622; 1944:169 mit 1949:169 und 1961/67:204; 1944:473 mit 1949:473 und 1961/67:574.
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
Auch der Sprachgebrauch wird überarbeitet, d. h., Mode- und Schlagwörter aus dem Nationalsozialismus werden entfernt. Dieser Aspekt zeichnete sich schon bei dem Sprachzustand ab (4.1.1). 1935/43 bezeichnet Schulze/Wustmann Abkürzungswörter noch als keine „lebendige [n], d. h. aus deutschem Blut und Boden geborene[n] Wörter", 1949/66 sind sie dann einfach keine „lebendige[n] Wörter". 60 In Flad/Wasserziehers Aussage, dass sich der Sprachteilnehmer die Sinnes- und Geisteswelt zu Eigen machen sollte, wird der Zusatz von 1942 „gemäß den Anlagen seines Blutes" in den BRD-Ausgaben zu „gemäß seinen Anlagen." 61 Er ersetzt die „Blutelemente" der NS-Fassung mit „körperliche[r] und geistige[r] Artung" und streicht den „Volksgenossen" und die „völkische" Aufgabe. 62 Außerdem bedeutet Entnazifizierung auch, den Inhalt der Aussagen der neuen politischen Situation anzupassen und chauvinistische Aussagen umzuformulieren. 1935/43 vertrat Schulze/Wustmann die Ansicht, dass Aküwörter nicht „in das Gesicht einer deutschen Straße" gehörten, 1949/66 gehören sie nicht „in das Gesicht einer öffentlichen Straße". 63 War die Zeit 1935/43 für Schulze/Wustmann noch „deutschgesinnt", so ringt man 1949 „überall um den Bestand des Deutschtums". 64 In der Ausgabe von 1949 streicht er die Aufforderung, dass der deutsche Name für eine deutsche Ware eine Selbstverständlichkeit sein sollte.65 Wie wir schon im Sprachzustand feststellten, erscheinen Anspielungen auf die herrschenden politischen Verhältnisse in den BRD-Werken. Das Nachkriegsdeutschland wird in Thierfelders Sprachbeispielen lebendig. Der Satz: „Die Flüchtlinge brauchen dringende Hilfe" würde mit der Genitiv-Form „bedürfen dringender Hilfe" den Sachverhalt viel intensiver ausdrücken. Unzufrieden ist Thierfelder auch mit dem als untrennbar behandelte Verb im Satz „Flüchtlinge übersiedeln neuerdings von der Ost- in die Westzone". 66 Flad/Wasserzieher erwähnt die D-Mark und rät dazu „Sowjetrepublik" statt der Abkürzung UdSSR zu sagen.67 Schulze/Wustmann kritisiert ebenfalls „Aküwörter" wie „SED", „CDU", „FDGB", „DDR" und „UdSSR" und erwähnt damit Parteien in beiden 60
Wustmann 1935/43:383-4/384-5 und 1949/66:374/379.
61 62
Wasserzieher 1942:10 und 1951/61:12. Wasserzieher 1942:7 und 1951/61:8; 1942:57, 54 und 1951/61:66/64, 63/61. Weitere Beispiele: 1942:56, 1951/61: 65/62; 1942:5 und 1951/61:5; 1942:10 und 1951/61:12.
63
Wustmann 1935/43:381/382 und 1949/66:372-3/377.
64
Wustmann 1935/43:360/362 und 1949:356. Diese Aussage wird 1966 ersatzlos gestrichen, vgl. 1966:362.
65
Wustmann 1935/43:362/363 und 1949:356.
66
Thierfelder 1950/55:30/28, 80/100. Siehe auch Kriegserlebnisse in Beispielen bei Thierfelder 1 9 5 0 / 5 5 : 7 8 - 9 / 9 8 , 1 0 8 / 1 3 1 , 1 5 9 / 1 7 6 .
67
Wasserzieher 1951:62 [„UdSSR" noch nicht in der Ausgabe von 1951:76] und 1961:60, 74.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
145
Teilen Deutschlands, die Gewerkschaften in Deutschland und zwei Ostblockstaaten.68 Thierfelder macht als einziger der vier BRD-Stilautoren direkte Anspielungen auf die nationalsozialistische Vergangenheit. Die „geistige Verwirrung der nationalsozialistischen Herrschaft" verschwinde zwar immer mehr aus dem öffentlichen Leben, aber die Sprache, die zu Lebzeiten Hitlers „sofort zu entarten begann", sei noch nicht besser geworden. „Was gesagt wird, ist das Gegenteil der Lehren Hiders, wie es gesagt wird, verrät den Grad der Ansteckung, unter der alle Deutschen leiden."69 In Thierfelders Vergangenheitsbetrachtung sind zwei Punkte interessant. Erstens bewegt er sich mit dem Bild der „Ansteckung" und der „entarteten Sprache" selbst auf der Ausdrucksebene des von ihm kritisierten nationalsozialistischen Sprachgebrauchs, ist sich dessen allerdings nicht bewusst. Damit scheint Thierfelder der beste Beweis für seine eigene Annahme zu sein, dass Aspekte des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs in unterschiedlichem Umfang in der BRD weiterleben. Zweitens stellt er den Nationalsozialismus mit der „geistigefn] Verwirrung", und der „Ansteckung" als Krankheit dar und impliziert so eine Opferrolle, die von Verantwortung enthebt. Auffällig ist auch, dass Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher im Unterschied zu den NS-Ausgaben keinen besonderen Sprachgebrauch vom neuen politischen System erwarten und ihre entsprechenden Aussagen neutralisiert haben.70 4.1.6.2 Verbindung von Sprache und Volk Die schon in den WR- und NS-Kapiteln festgestellte enge Verbindung von Volk und Sprache, die Wechselwirkung von Sprachzustand und Volkszustand, die Auffassung von Sprache als Identität- und Einheitsstifter und die Idee von Sprache als Band finden sich auch in den BRDWerken wieder. Dabei ist auffällig, dass diesbezügliche Aussagen nur allgemein und ohne Bezug auf die deutsch-deutsche Situation gemacht werden. So hat Reiners viele seiner Formulierungen wörtlich übernommen. Er betont weiterhin die einheitsstiftende Funktion der Sprache durch die
68 69 70
Wustmann 1949:375 (SED, CDU, FDGB) und 1966:380-1 (SED, CDU, DGB, DDR, UdSSR). Thierfelder 1950/55:15/12,184/204. Wustmann 1949/66:257: „Sollte es nicht möglich sein, in frischfröhlichem Wollen hier einmal ganze Arbeit zu leisten?" entpolitisiert die Aussage, dass im „jugendfrischen Dritten Reich" keine Verbalsubstantive gebraucht werden sollten [vgl. 1935/43:255-6/258-9]. Vgl. auch Wustmann 1935/43:363-4/365 mit 1949:357 und Wasserzieher 1942:66-67 mit 1951/61:76/73.
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
Bandmetapher und stellt den Sprachzustand als Reflektion des moralischpolitischen Zustandes des Volkes dar.71 Thierfelder hält die Sprache für den „kostbarsten Besitz eines Volkes", betrachtet die Sprachpflege als „vornehmste Pflicht" und sieht in der Stilkunst einen Beitrag zur nationalen Gemeinschaft. Deutschland würde nicht untergehen, solange die deutsche Sprache gesprochen, geschrieben, gepflegt und fortentwickelt werde. 72 Mit Reiners teilt Thierfelder die Idee von Sprache als Band: „Die Sprache ist vielleicht das wichtigste einigende Band, das uns nach der Katastrophe geblieben ist, das Symbol, an dem wir uns untereinander noch erkennen [.. .]."73 Flad/Wasserzieher hatte in der NS-Ausgabe auf die Sprache, das Blut und die rassische Zusammensetzung als Bausteine der Volksgemeinschaft hingewiesen. 74 Flad/Wasserzieher entnazifiziert und entpolitisiert seine Aussagen in den BRD-Ausgaben, indem er das Tilut' und die 'rassische Zusammensetzung' als volksstiftende Elemente streicht. In den BRDAusgaben erwähnt er lediglich die Schaffung einer Gemeinschaft durch die Muttersprache, und zwar losgelöst von den äußerlichen politischen Bedingungen: „Die Sprachgemeinschaft steht vor jeder staatlichen Gemeinschaft." 75 In diesem Sinne seien weder staatlich-völkische Grenzen noch die rassische Zusammensetzung von Bedeutung. 76 Flad/Wasserziehers Betonung der „Sprachgemeinschaft", die unabhängig von staatlichen Grenzen existiert, erinnert an die Ideen des konservativen und damals einflussreichen Sprachwissenschafders Leo Weisgerber, für den der „tragende Pfeiler" des sprachlichen Lebens die „Sprache als Kulturbesitz einer Gemeinschaft" ist. Danach gliedere sich die gesamte Menschheit in Sprachgemeinschaften, deren Kennzeichen die jeweilige Muttersprache sei.77 Reiners und Flad/Wasserzieher übernehmen ihre Ansichten über die Sprache als politisches Machtmittel im „Kampf der Nationen", allerdings nur in Bezug auf Sprache im Allgemeinen und nicht in Bezug auf die deutsche Sprache oder politische Konflikte. Denn Flad/Wasserzieher überarbeitet seine Aussagen nicht nur sprachlich und inhaltlich und entfernt alle NS-Schlagwörter, sondern er spricht nur noch von „Volkstü71 72 73 74 75 76 77
Reiners 1949:1, 10-11, 12, 517 und 1961/67:1, 13, 15, 624 [wie 1944:1, 10-11, 12, 517], Thierfelder 1950/55:212/236, 175/194, 108/131. Thierfelder 1950:116 [nicht 1955], aber siehe 1950/55:108/131: Die Sprache sei „das letzte Band", das alle Deutschen noch miteinander verbinde. Wasserzieher 1942:7-8. Wasserzieher 1951/61:7-11, 7 (Zitat). Wasserzieher 1951/61:7-8. Vgl. Hillen, 1982:84. Leo Weisgerber, „Die tragenden Pfeiler der Spracherkenntnis", Wirkendes Wort, 51 (1950), 1-12, S. 1.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der BRD-Stilautoren
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mer[n]" (und nicht mehr von Deutschland), die aus Liebe zur bedrohten Muttersprache in „Sprachenkämpfe" verwickelt werden, ohne Anspielungen auf Landesgrenzen oder eine präzise, politische Situation zu machen. 78 4.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich Wie sich schon im Sprachzustand abzeichnete, gibt es bei Reiners in der BRD-Ausgabe insofern eine Änderung, als dass er seine Aussagen bezüglich des Überlegenheitsanspruchs der deutschen Sprache dämpft. Hieß es 1944 noch, dass der deutsche Wortschatz größer als der englische und weitaus größer als der französische sei, liest man in der BRD-Ausgabe: „Der deutsche Wortschatz scheint größer zu sein als der englische und der französische [.,.]." 79 In der NS-Ausgabe verweist Reiners auf Fichte, der die unvergleichliche Überlegenheit der deutschen Sprache nachwies, in den BRD-Ausgaben versucht Fichte lediglich, diese Überlegenheit nachzuweisen. 80 Trotz der abgeschwächten Überlegenheit herrscht bei Reiners noch Sprachenstolz, denn er betont unverändert die Vorteile der deutschen Sprache: „Wortreichtum, Wurzelhaftigkeit, freie Wortstellung, Logik der Betonung". 81 Ahnlich klingt Thierfelder, wenn er den Wörter- und Formenreichtum, die Freiheit der Wortstellung, den langen Atem der Sätze und die nahezu unbeschränkte Fähigkeit zu Neubildungen preist und auf den Nuancenreichtum und die Schmiegsamkeit der deutschen Sprache hinweist: „Unsere Sprache kann hell und durchsichtig sein wie das Französische, gedrungen wie das Englische und klangreich wie das Italienische." 82 Einen völlig anderen Ton schlägt Flad/Wasserzieher bei seinem Fremdsprachenvergleich an. 1942 war er noch davon überzeugt, dass Deutsch die Weltsprache werden würde. 83 Neun Jahre später schreibt er:
78
Reiners 1949:9-10 und 1961/67:12-13. Vgl. Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 0 und 1942:9.
79
Vgl. Reiners 1944:14 mit 1949:14 und 1961/67:16.
80
Vgl. Reiners 1944:19-20 mit 1949:19-20 und 1961/67:23. Weitere 'Abschwächungen' bei Reiners 1944:15 (in Bezug auf den Reichtum der deutschen Sprache im Vergleich zum Französischen): „Ein Mann, der im Deutschen, Französischen und Englischen wie in drei Muttersprachen aufgewachsen war, Houston Stewart Chamberlain, erklärte schlechthin: wenn Montaigne heute lebte, müßte er deutsch schreiben oder stillschweigen." 1949:15 und 1 9 6 1 / 6 7 : 1 7 - 1 8 ist der Satz entfernt worden. Siehe auch Reiners 1944:27: „Die Deutschen sind ohne Zweifel das führende Volk in der Wissenschaft der Welt" wird 1949:27 und 1961/67:31 zu: „Die Deutschen sind sicherlich eines der führenden Völker in der Wissenschaft der Welt."
81
Reiners 1949:17 und 1961/67:20-21.
82
Thierfelder 1950/55:15/12.
83
Wasserzieher 1942:9.
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967) Erwachendes Volksbewußtsein scheint leider nicht zu dem Bewußtsein zu fuhren, dass der gottgewollte Sinn der Sprachverschiedenheit der ist, die Eigenwilligkeiten jeder Sprache auszuschöpfen und die sprachlichen Weltbilder zu erweitern, um in geistigem Wettstreit zum großen Menschheitsbild beizutragen. Die Völker müssen Rechts- und Staatsformen finden und entwickeln, in denen diese höchste Menschheitsaufgabe erfüllt werden kann. Bisher haben sie sich damit begnügt, oft mit roher Gewalt fremdes Sprachtum zu unterdrücken oder gar Mitglieder fremder Sprach- und Volksgemeinschaften auszutreiben. Den naturgegebenen, gottgewollten Sinn der Verschiedenheiten der Muttersprachen haben die Staatsmänner offenbar noch nicht erkannt. Die Völker zerreiben sich [offen oder im Stillen] in Machtkämpfen, anstatt staatliche Formen zu suchen, in denen Sprachgemeinschaften nebeneinander bestehen können, wie es beispielsweise bisher nur die Schweiz fertig gebracht hat. 84
Vergessen ist der Anspruch der deutschen Sprache, führend in der Welt zu werden, vergessen sind die politischen Kräfte, die von Deutschland ausstrahlen und die Welt erobern. Flad/Wasserzieher fordert sprachliche Offenheit und Toleranz für ein friedliches politisches Nebeneinander von Staaten. Kriegerische Konflikte fuhrt er auf Intoleranz und linguistische Uneinsichtigkeit, insbesondere von Staatsmännern, zurück. Durch die Pflege der eigenen Muttersprache wachse die Toleranz für fremde Sprachen und fremde Völker: „[...] es wächst seine [des Sprachpflegers] Achtung vor den Aufgaben und Leistungen der Sprachgemeinschaften überhaupt, in die nun einmal die Menschheit naturgesetzlich geteilt ist. So erweitert sich der Dienst an der Muttersprache zum Dienst an der Menschheit." 85 Mit diesen Worten wird Sprachpflege zur Friedensarbeit. Hinsichtlich der Aussagen zum Fremdsprachenvergleich können wir folglich feststellen, dass wir fast wieder bei der Haltung der WR-Werke angelangt sind. Dort trafen wir auf einen ausgeprägten Stolz auf die Sprache. Lediglich bei einem WR-Stilautor (Schneider) fanden sich Hinweise auf die Überlegenheit der deutschen Sprache. Nach dem Überlegenheitsanspruch und dem Sprachimperialismus der NS-Werke findet sich in den BRD-Werken der schon bekannte Sprachenstolz wieder, der allerdings durch die Forderung nach einem gleichberechtigten Nebeneinander gleichwertiger Sprachen abgemildert wird. Zwar sprach schon WR-Stilautor Engel von gleichwertigen Sprachen, doch diese Idee wird bei Flad/Wasserzieher in seinem BRD-Werk ausgebaut und ausführlicher dargestellt.
84 85
Wasserzieher 1951:10-11 und 1961:10 ( Zusatz in [...] nur 1961). Wasserzieher 1951/61:11.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren
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4.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren 4.2.1 Aussagen zum Stil 4.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters In den Aussagen zum Stil in den BRD-Werken finden sich alle Hauptelemente der WR- und NS-Werke wieder. Reiners übernimmt seine Aussagen aus der NS-Ausgabe in Bezug auf den Stil wörtlich und geht weiterhin vom Stil als Ausdruck des Charakters und von der Stilschulung als Charakterschulung aus.86 Auf dem Weg zum guten Stil fordert er „Wahrhaftigkeit" und warnt vor Eitelkeit.87 Die Auffassung vom Stil als Ausdruck der Persönlichkeit und des Charakters teilt BRD-Stilautor Thierfelder mit Reiners. 88 „Stil in Rede und Schrift [ist] nichts anderes als die jedem Menschen eigentümliche Art, sein Denken und Empfinden andern Menschen kundzutun." 89 Heutzutage sei allgemein anerkannt, dass Stil in unauflösbarem und wechselseitigem Zusammenhang mit der Charakteranlage der Persönlichkeit stehe:90 „Wir bemerkten bereits, daß nicht nur der Charakter auf den Stil, sondern auch umgekehrt der Stil auf den Charakter einwirkt." 91 Wie bei Reiners folgt dann die Gleichung, dass Stilschulung Charakterschulung ist: „Stilmängel sind in erster Linie Charaktermängel, und nur insoweit, als diese überwunden werden, wandelt sich der Stil gleichsam von selbst zum Besseren." 92 Auch Thierfelder fordert die Wahrheit als Ausgangspunkt für einen guten Stil. Die Wahrheit des Stiles werde durch die Ubereinstimmung zwischen moralischer Anlage und sprachlichem Ausdruck bedingt. 93
86
Reiners 1949:48, 36, 395 und 1961/67:54, 42, 479. Für Stilschulung = Charakterschulung siehe Reiners 1949:50, 5 4 , 1 2 und 1961/67:56, 6 1 , 1 5 . Reiners glaubt an die Lehrbarkeit des guten Stils, siehe 1949:54 und 1961/67:61.
87
Reiners 1949:36-37 und 1961:42/43.
88
Thierfelder 1950/55:185/205. Stil bedeute im Grunde nichts anderes als die Widerspiegelung des Bildes des Sprechers/Schreibers in der Eigenart seines sprachlichen Ausdrucks.
89
Thierfelder 1950/55:6/1-2. Siehe auch 1950/55:198/219: Der Stil der Alltagssprache sei wahrscheinlich nichts anderes als das Spiegelbild unserer seelischen und charakterlichen Verfassung.
90
Thierfelder 1950/55:5/1.
91
Thierfelder 1950/55:15/12.
92
Thierfelder 1950/55:6/2, 8/4. Siehe auch 1950/55:7/3: Stilwandel ist „innere Umkehr". 1950/55: 9/6: ,,[E]in edlerer Stil läutert notwendig auch den Charakter."
93
Thierfelder 1950/55:10/6: „Ob einer schlicht oder bombastisch, lapidar oder verschnörkelt, einfaltig oder zweideutig spricht und schreibt, ist in erster Linie Sache des Charakters und der persönlichen Erziehung."
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
Unverändert manifestieren sich nationale Charakterzüge nach Meinung der BRD-Stilautoren im Sprachstil. Denn wie Reiners leitet Thierfelder nicht nur individuelle sondern auch nationale Charakterzüge vom Sprachstil ab. Reiners beschreibt die Deutschen weiterhin als „wortkarge Sachmenschen", die gefeit vor Übertreibungen und stilistischer Putzmacherei im Papierstil mit einem Mangel an natürlichem Selbstgefühl zu kämpfen haben. 94 Auch Thierfelder stellt mangelndes Selbstwertgefühl bzw. „deutschen Untertanengeist" oder „Servilismus" im Sprachstil fest.95 Dieser Mangel an Selbstachtung habe das nationale Leben von jeher schwer belastet. 96 Nicht nur die Vorwürfe des mangelnden Selbstbewusstseins der Deutschen, sondern auch die Annahme eines gefühlsarmen Behördenstils halten sich hartnäckig. Thierfelder teilt nämlich die Reinerssche Ablehnung des Papierstils, den er Behördensprache nennt und meint, dass die „Entseeltheit" und „Empfindungsarmut" der Behördensprache ein „sehr ernster, tief in unser nationales Dasein hineinwirkender Mangel" sei.97 Zudem beurteilt Thierfelder den im Vergleich zum Lateinischen weniger scharfen deutschen Zeitbegriff als Ausdruck der ,,romantische[n] Seelenhaltung des Deutschen, der mit Vorliebe nicht in der Zeit lebt, die ihm angemessen ist". 98 Wie sehr Thierfelder von der Idee eines „nationalen Sprachstils" überzeugt ist, zeigt seine Warnung vor den „charakterlichen Gefahren" der Mehrsprachigkeit. Diese entstünden dadurch, dass ein mehrsprachiger Mensch wegen des Geistes der jeweiligen Sprache in jeder Sprache stilistisch als ein Anderer erscheine. 99 Wie in den NS-Ausgaben kommt es in den BRD-Werken zum Meinungskonflikt in Bezug auf die Stilkompetenz. Die in den NS-Werken festgestellten, sich widersprechenden Ansichten über einen angeborenen oder anerzogenen Sprachstil finden sich weiterhin in den BRD-Werken. Schulze/Wustmann vertritt in den BRD-Ausgaben weiterhin die Auffassung eines angeborenen Stiltalentes und hält guten Stil daher für begrenzt erlernbar. 100 Dem gegenüber stehen Thierfelders Kriterien für einen guten Stil, die auf richtiger Wortwahl, dem Rhythmus des Satzes, der Reinheit der Sprache und der Beherrschung der deutschen Grammatik und Syntax
94
Reiners 1949:31, 38, 40, 166 und 1961/67:36, 44, 46, 200.
95
Thierfelder 1950/55:95/117 (bspw. in der Konstruktion: dürfen.") Siehe auch 1950/55:83/103-4.
„Ich bitte auf Urlaub gehen zu
96
Thierfelder 1950/55:39/38-39. Ebenso 1950/55:40, 60-61/78.
97
Thierfelder 1950/55:30/28,188/209.
98
Thierfelder 1950/55:88/109.
99
Thierfelder 1950/55:11/7.
1 0 0 Wustmann 1949/66:253.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren
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beruhen. 101 Damit ruft er also wie NS-Stilautor Geißler zum Studium der deutschen Sprache auf und setzt einen gewissen Bildungsstand als Grundlage für ein gutes Deutsch voraus. 4.2.1.2 Weitere Voraussetzungen für einen guten Stil Die Voraussetzungen für einen guten Stil haben sich bei Reiners in den BRD-Ausgaben nicht geändert. Er fordert nach wie vor die Rücksicht auf den Leser, die Einhaltung verschiedener Stilebenen, das harmonische Zusammenspiel von Inhalt und Form, die Stimmungen und Gefühle hervorrufende Darstellung und die Stoffbeherrschung. 102 Thierfelder bespricht ebenfalls die verschiedenen Stilebenen, steht aber auf dem Standpunkt, dass die Persönlichkeit des Verfassers trotz der Stilebene immer an der Schreibart zu erkennen sei.103 Die Verbindung von Denken und Sprache findet sich bei drei BRDStilautoren wieder. Für Reiners ist es nach wie vor das „Zepter der Sprache", welches das Denken, das Urteil, die Geisteshaltung und den Geist bestimmt. 104 Eine „schlechte" Sprache oder eine „Stilkrankheit" schädige Denken und Handeln, und eine „gemeinsame Sprache" entstehe durch ,"leichartiges Denken". 105 Für Flad/Wasserzieher und Thierfelder beeinflussen sich Denken und Sprache ebenfalls. Flad/Wasserzieher zitiert den Nietzsche-Ausspruch „Den Stil verbessern — das heißt den Gedanken verbessern und nichts weiter!"106 und für Thierfelder führt die „Sauberkeit des Denkens" zur Sprachrichtigkeit. 107 Im Vergleich zu den WR- und NS-Werken können wir folglich festhalten, dass sich die Stilvoraussetzungen gleich bleiben, und dass die schon bekannte Verbindung von Denkstil und Sprachstil weiterhin betont wird. Es gibt also keine neuen Ansätze und Ideen in den Aussagen zum Stil in den BRD-Werken.
101 Thierfelder 1950/55:10/9. Siehe auch 1950/55:175/194: „Wie ein Architekt das Material kennen muß, mit dem er bauen will, wie er die Gesetze der Statik erlernt hat, [...] so muß sich der Stilist Grammatik und Syntax angeeignet haben, ehe er zu schreiben beginnt." 102 Reiners über den Leser: 1949/61/67:VII-VIII. Reiners über Stilebenen: 1949:52, 242 und 1961/67:58, 295. Reiners über Inhalt und Form: 1949:36, 39 und 1961/67:42, 45-46. Reiners über Angemessenheit: 1949:43 und 1961/67:49 und über Stoffbeherrschung: 1949:39, 49 und 1961/67:46, 55. 103 Thierfelder 1950/55:185-212/205-236,185/205, 188/208. 104 Reiners 1949:12 und 1961/67:15. 105 Reiners 1949:174, 8 und 1961/67:210, 11. 106 Wasserzieher 1951/61:48/47. 107 Thierfelder 1950/55:75/94,142/157-8.
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
4.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 4.2.2.1 „Schreibe muß die treffendste Rede sein." 108 An der Stilanweisung „Schreibe, wie du sprichst" hat sich bei den drei Stilautoren Schulze/Wustmann, Reiners und Flad/Wasserzieher nichts geändert; sie übernehmen ihre Aussagen aus den NS-Ausgaben wörtlich in die BRD-Ausgaben und betrachten die als lebendig und natürlich eingestufte Sprechsprache in grammatisch korrekter Form als wichtigen Orientierungspunkt und als vorbildlich für die geschriebene Sprache. 109 Reiners preist weiterhin ihre Kraft, Bestimmtheit, Anschaulichkeit, Wärme und Lebens- und Wirklichkeitsnähe und stellt den schon bekannten Gegensatz zur langweiligen, abstrakten, toten Schriftsprache her.110 Flad/Wasserzieher übernimmt ebenfalls seine Anweisungen zum öffentlichen Reden.111 Thierfelder hält die Stilanweisung „Schreibe, wie du sprichst" für „gut" und gleicht in dieser Hinsicht den anderen BRD-Stilautoren. 112 Allerdings baut er diese Anweisung nicht weiter aus und verbindet auch keine konkreten Eigenschaften mit der Schriftsprache. Er sieht sie nicht im negativen Gegensatz zur Schriftsprache, sondern verweist lediglich auf die Unterschiede zwischen Schrift- und Sprechsprache, d. h. auf die Notwendigkeit graphischer Hilfsmittel, da das gesprochene Wort viel nuancenreicher dargeboten werden könne als das geschriebene. 113 Die in den NS-Werken festgestellte Verstärkung und Zuspitzung dieser Stilanweisung wirkt bei den Stilautoren Reiners, Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher in den BRD-Werken nach, da sie ihre Aussagen und Argumentationsweise aus den NS-Ausgaben zu diesem Punkt nicht ändern. Obwohl Thierfelder im Prinzip mit der Stilanweisung übereinstimmt, ist seine Haltung durch die fehlende Assoziation der Sprech-
1 0 8 Wasserzieher 1951/61:14. 109 Wustmann über Natürlichkeit und Sprachrichtigkeit: 1949/66:250, 108 [wie 1935/43: 248/251-2, 107/108]. Reiners über grammatisch korrekte Sprache und Lebendigkeit: 1949: 235, 223 und 1961/67:286, 271-2 [wie 1944:235, 223], Wasserzieher über Sprachpflege und Sprechen, Anweisungen zum öffentlichen Reden und Sprechen und Schreiben: 1951/61: 13, 14, 43/42 [wie 1942:11, 12, 35], 1 1 0 Reiners 1949:223-4, 227, 236 und 1961/67:271-3, 276, 287. 1 1 1 Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 4 (Leitlinie 5). 1 1 2 Thierfelder 1950/55:113/-. 1 1 3 Thierfelder 1950/55:113/-. „Nuancenreich" ähnlich bei Reiners 1949:235 und 1961/67: 286.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren
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spräche mit Charaktereigenschaften und durch den fehlenden Gegensatz zur Schriftsprache gemäßigter als die der anderen drei BRD-Stilautoren.114 4.2.2.2 „Die Seele jedes Satzes ist das Verbum!"115 Die in den NS-Werken durch Emotionalität und hinzugefügte Werturteile zugespitzte und verschärfte Stilanweisung findet sich fast unverändert in den BRD-Werken wieder. Reiners, Flad/Wasserzieher und Schulze/ Wustmann übernehmen ihre Begeisterung für das Zeitwort und ihre emotionale Ausdrucksweise in die BRD-Werke.116 Wie in den NS-Ausgaben betonen sie die Kraft, Klarheit und Handlungsbezogenheit dieser Wortart und weisen sie als typisch für die deutsche Sprache aus.117 Nach wie vor verbinden sie Tugenden wie Ehrlichkeit, Wahrheit, Mut, Entschlossenheit, Bewegung und Lebendigkeit mit dem Gebrauch von Zeitwörtern und setzen diese Wortart in einen schwarzweißen Gegensatz zu den negativ belasteten Hauptwörtern und Verbalsubstantiven (Zeichen von Schwäche, mangelndem Tatendrang, Undurchschaubarkeit, Starre).118 Flad/Wasserzieher streicht allerdings den expliziten Zusatz der NSAusgabe, dass Tun und Handeln dem deutschen Wesen entsprächen, und dass der faustische deutsche Mensch nach Wahrheit strebe.119 Für dieses Entfernen gibt es m. E. zwei Erklärungen. Erstens klingt die Aussage mit dem Sprachgebrauch (deutsches Wesen, faustischer deutscher Mensch) zu sehr nach Deutschtümelei und ist somit den neuen Verhältnissen nicht mehr angepasst. Zweitens ist es im Licht der nationalsozialistischen Vergangenheit höhnisch, den deutschen Tatendrang, der weltweit Elend, Vernichtung, Leid und Tod brachte, zu loben. Schulze/Wustmann vertritt 114 Die Tatsache, dass die Paragraphen über die Schriftsprache in der überarbeiteten Ausgabe von 1955 entfallen, deuten darauf, dass ihm diese Stilanweisung nicht so am Herzen liegt. 115 Reiners 1949:113 und 1961 /67:139. 116 Sie bezeichnen es als 'Seele', 'Rückgrat' oder 'Herzstück' des Satzes. Siehe dazu Reiners 1949:14, 113-123 und 1961/67:17, 139-151 [wie 1944:14, 113-123], Siehe ebenso Wasserzieher 1951/61:16 [wie 1942:15] und Wustmann 1949/66:259, 254, 255 [wie 1935/43: 258/261, 253/256, 254/257], 117 'Kraft, Klarheit und Bewegung' bei Reiners 1949:113-114 und 1961/67:139-140 [wie 1944: 113-114] und bei Wasserzieher 1951/61:16 [wie 1942:15], "Typisch für die deutsche Sprache' bei Reiners 1949:203, 106, 120 und 1961/67:245, 127, 147 [wie 1944:203, 203,120], 118 Für 'Ehrlichkeit' siehe Wustmann 1949/66:239 [wie 1935/43:237/240-1], Für "Wahrheit durch Zeitwörter' siehe Wasserzieher 1951/61:13-14 (Leitlinien 5 und 3) [wie 1942:11-12], Für 'Tugenden' siehe Reiners 1949:114-115 und 1961/67:140-41 [wie 1944:114-115], Für den Gegensatz Zeitwort - Hauptwort siehe Wustmann 1949/66:259 [wie 1935/43: 258/261] und Wasserzieher 1951/61:16-17, 24-26 [wie 1942:15, 19-21] und Reiners 1949: 113, 114, 119, 257 und 1961/67:139, 140, 146, 312 [wie 1944:119, 113, 114, 257], Hauptwörterei als eine Alterserscheinung am Ende großer Kulturepochen bei Reiners 1949:123 und 1961/67:150 [wie 1944:123], 119 Wasserzieher 1951/61:13-14 [vgl. 1942:11],
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weiterhin die anti-intellektuell gefärbte Haltung, dass der „unverbildete Deutsche" [nicht mehr „Volksgenosse"] gegen den Hauptwörtergebrauch gewappnet sei.120 Das Entfernen des „Volksgenossen" ist wieder ein Hinweis für den überarbeiteten Sprachgebrauch. In seinen Aussagen zum Tätigkeitswort betont Thierfelder, dass Verben durch die Beschreibung des Vorgangs anschaulicher seien und der Klarheit dienten.121 Er warnt vor Verbalsubstantiven, da sie das Verb verabsolutierten und entpersönlichten. 122 Durch den Gebrauch starker Verben verwirklicht sich für Thierfelder die Kraft der Sprache: 123 Strenge, aber zugleich s c h ö n e F o r m e n begegnen u n s v o r allem i m I m p e r f e k t d e r starken V e r b e n ; w e r sich u m ein k r a f t v o l l e s D e u t s c h b e m ü h t , w i r d i m m e r heimlich nach s o l c h e n F o r m e n A u s s c h a u halten, d e r e n G e d r u n g e n h e i t in w o h l t u e n d e m G e g e n s a t z zu d e n a u f g e w e i c h t e n V e r b a l u m s c h r e i b u n g e n steht, die heute ja Regel zu w e r d e n d r o h t . 1 2 4
In „aufgeweichte[n] Tätigkeitswörter[n]" sieht Thierfelder den „Krebsschaden der Gegenwartssprache." 125 Thierfelder teilt also die positive Meinung über Zeitwörter und passt in seiner Grundhaltung zu den anderen BRD-Stilautoren. Seine Begeisterung für die Wortart hält sich allerdings im Vergleich mit den anderen BRD-Stilautoren wegen fehlender Lobeshymnen auf das Verb und einer nicht so ausgeprägten Verbindung von Charaktereigenschaften mit dem Zeitwort in Grenzen. Andererseits steht er mit seiner Bildersprache (aufgeweichte Wörter, Krebsschaden) in der Tradition der WR- und NS-Werke. 4.2.2.3 „Schreibe nie mehr ein Passivum!" 126 Die bei den NS-Stilautoren zugespitzte Stilanweisung gegen den Gebrauch des Passivs findet sich unverändert in den BRD-Ausgaben wieder. Die schon bekannten schwarzweißen charakterlichen Gegensätze werden weiterhin auf die Genera Verbi projiziert. In den BRD-Ausgaben kritisieren Reiners, Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher weiterhin die Bildung der Leideform als stilistisch umständlich, schwerfällig und zopfig. 127 Nach wie vor assoziieren Reiners und Schulze/Wustmann das Passiv mit 1 2 0 Wustmann 1949/66:255 [vgl. 1935/43:254/257]. 121 Thierfelder 1950/55:156-157/173-4, 160/178, 135-6/149-150. 122 Thierfelder 1950/55:160/178: „Deshalb treibt es [= das Verbalsubstantiv] mit Vorliebe sein Wesen im Dunstkreis der Bürokratie; auf Verbotstafeln feiert es wahre Orgien." 123 Thierfelder 1950/55:100/123. 124 Thierfelder 1950/55:87/108. 125 Thierfelder 1950/55:193/214. 126 Wustmann 1949/66:80. 127 Reiners 1949:167 und 1961/67:200-201 [wie 1944:167]. Wustmann 1949/66:78 [wie 1935/43:78], Wasserzieher 1951/61:20, 25-26 [wie 1942:17, 20],
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negativen Charaktereigenschaften des Schreibers wie Angst, Schwäche und Verantwortungslosigkeit und setzen es in einen Gegensatz zum positiv eingestuften Aktiv, das für Mut, Handlung, Verantwortungsbewusstsein, Jugend, Energie und wahrhafte Männlichkeit steht.128 Thierfelder erhebt ähnliche Vorwürfe gegen das Passiv. Auf sprachlicher Ebene beklagt er, dass das deutsche Verb die meisten Tempora und Modi mit komplizierten Hilfszeitwörtern entwickeln müsse, und dass die Hilfszeitwörter die Verba überwucherten. 129 In Bezug auf den Charakter assoziiert er indirekt die Eigenschaft des mangelnden Tatendrangs mit dem Passiv: „Volkspsychologisch mag auch die Abneigung erklärlich sein, die wir gegen das Passivum empfinden. Es liegt unserer zu aktivem Handeln drängenden Anlage ferner." Allerdings fügt er hinzu, dass diese Eigenschaft nicht nur für die Deutschen, sondern für die Mehrzahl der abendländischen Völker gelte.130 An Thierfelders Aussage wird klar, dass sich auch bei ihm das Vorurteil zu halten scheint, dass die Deutschen zum Handeln prädestiniert seien. Durch die Ausweitung des Handlungstriebes auf die abendländischen Völker ist der nationalistische Unterton der Aussage jedoch abgemildert. 4.2.2.4 „Die Naturform unseres Satzes ist die Beiordnung." 131 Unverändert übernehmen die Stilautoren Reiners, Flad/Wasserzieher und Schulze/Wustmann ihre Aussagen zum Satzbau aus den NS-Ausgaben in ihre BRD-Ausgaben. Sie kritisieren weiterhin den Schachtelsatz und machen die lateinische Sprache, die dem Latein verhafteten deutschen Gelehrten und die 'Verbildung' für diverse Satzbauprobleme verantwortlich.132 Reiners und Flad/Wasserzieher vertreten nach wie vor den Standpunkt, dass man durch „richtiges" Denken zum guten Satzbau komme. 133 Die technischen Ratschläge konzentrieren sich auf die Nebenoder Beiordnung und auf kurze Sätze und berufen sich bei ihrer Begründung auf vermeintlich intrinsische Merkmale des Deutschen. 134 Unbeirrt 128 Reiners 1949:175, 166-7, 257 und 1961/67:212, 200-2, 3 1 3 [wie 1 9 4 4 175, 166-7, 257]. Wustmann 1949/66:79-80 [wie 1935/43:79-80]. 1949 wird der Verweis auf Dr. Rosenthal wieder eingesetzt, aber 1966 wieder entfernt. 129 Thierfelder 1950/55:85/105, 106/129. 1 3 0 Thierfelder 1950/55:88-89/109-110. 131
Reiners 1949:102 und 1961/67:123.
132 Wustmann 1949/66:259, 263 [wie 1935/43:258/261, 261/264], Wasserzieher 1951/61:13, 80/77-78 [wie 1942: 12, 70], Reiners 1949:104, 89 und 1 9 6 1 / 6 7 : 1 2 6 , 1 0 6 . 133 Reiners 1949:86, 89, 95 und 1961/67:102, 106, 1 1 4 [wie 1944:86, 89, 95], Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 3 [wie 1942:11, 12]. 134 Wustmann 1949/66:260, 263 [wie 1935/43:259/262, 261/264], Wasserzieher 1951/61:13 [wie 1942:11], Reiners 1949:102 und 1961/67:123 [wie 1944:102],
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
fordert Reiners Kraft und Leben durch die Orientierung an der Alltagssprache und den Mundarten, interpretiert den Satzbau als Ausdruck bestimmter Charaktereigenschaften und impliziert die Überlegenheit des freiheitlichen deutschen Satzbaus im Vergleich zur angeblich eintönigen Wortfolge im Englischen und Französischen. 135 Bis auf den ausdrücklichen Ratschlag, kurze Sätze zu bauen, teilt BRD-Stilautor Thierfelder jede der hier aufgeführten Ansichten. Er sagt den verschlungenen Sätzen den Kampf an und macht den Einfluss der lateinischen Sprache und die deutschen Gelehrten für Satzbauprobleme verantwortlich. 136 Auch er empfiehlt die Nebenordnung und stellt eine Verbindung zwischen Denken und Satzbau her.137 Bei seinen Begründungen geht Thierfelder ebenfalls vom Charakter der Sprache aus und behauptet, dass gewisse Konstruktionen „undeutsch" seien oder dem „deutschen Sprachempfinden" widersprächen. 138 Er verweist auf das reflexive Verb als Satzklammer „allerstärkster Kraft". 139 Wie Reiners analysiert Thierfelder die Persönlichkeit des Schreibers anhand seines Satzbaus, denn im Satzgefüge könne sich „der Rhythmus der Persönlichkeit" voll entfalten. Im Hauptsatz präge sich der Charakter des Menschen kräftig und selbstbewusst aus, im Nebensatz kämen mindere Anlagen wie subalterne Gesinnung, Umständlichkeit und Spitzfindigkeit zu Worte. Freilich könnten sich dort auch logische Schärfe und ordnende Klugheit finden. 140 Die „Primitiven" und die „Undisziplinierten" gebrauchten bspw. „und da — und da — und da" am Satzanfang einer Erzählung. Es handele sich dabei um „Menschen ohne Formgefühl und Schönheitssinn, für die das Dasein nur eine Summierung von Tatsachen und nicht ein Gewirke von sinnvollen Abhängigkeiten bedeutet." 141 Schließlich impliziert Thierfelder wie Reiners die Überlegenheit des deutschen Satzbaus im Vergleich zu anderen Sprachen: „Die Wortstellung ist bei uns nicht weniger streng als in anderen Sprachen — sie ist jedoch viel reicher entwickelt und bietet viel
135 Reiners 1949:71-73, 92-94 (hier entfällt das „durchsichtige Deutsch" der Wehrmacht von 1944), 86 und 1961/67:85-87, 1 1 0 - 1 1 3 , 102 [wie 1944:71-73, 92-94, 86], 136 Thierfelder 1950/55:180/200, 196-7/217-18. 137 Thierfelder 1950/55:161/178-9, 154/170-1, 136-7/151. Aber wie NS-Stüautor Geißler erlaubt Thierfelder (1950/55: 175/194) den Uterarischen Großsatz. 1 3 8 Thierfelder 1950/55:168-169/188, 88/109. Z. B. relativische Verschränkungen („Da sind eine Menge Aushöhlungen in dem Felsen, aus denen man nicht weiß, was man machen soll") oder das Gerundivum („ein fur die nächste Stunde zu bearbeitendes Thema"). 139 Thierfelder 1950/55:63/81. 1 4 0 Thierfelder 1950/55:155-6/171-2. 141 Thierfelder 1950/55:82/102.
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verschiedenere Ausdruckmöglichkeiten." 142 Wie die anderen BRD-Stilautoren, begründet Thierfelder keine seiner Behauptungen. Bei dieser Stilanweisung finden sich nicht nur Ideen aus den WRWerken sondern auch die in den NS-Werken neu aufgenommenen Aspekte oder Hervorhebungen. Die Ablehnung der Schachtelsätze, der negative Einfluss der lateinischen Sprache, die Gelehrtenschelte, die Verbindung von Satzbau und Denken sowie die technischen Ratschläge der Bei- oder Nebenordnung stellen eine Kontinuität seit den WR-Werken dar. Aus den NS-Werken finden sich bei den BRD-Stilautoren die deutsch orientierte Begründung der Ratschläge, die Betonung von Kraft und Leben, die antiintellektuelle Tendenz und die weiterhin ausgeprägte Interpretation von Charakter, Weltanschauung und Lebensphilosophie des Schreibers aufgrund seines Satzbaus. Das Lob des deutschen Satzbaus im Vergleich zu fremden Sprachen deutet nicht nur auf eine feste Uberzeugung in diesem Punkt, sondern auch auf ungebrochenen Sprachenstolz. 4.2.2.5 „Das Welschwort ist der häßlichste Fleck auf dem Ehrenkleid unserer geistigen Mutter." 143 In der Fremdwortdiskussion übernehmen Flad/Wasserzieher, Schulze/ Wustmann und Reiners ihre Behauptungen aus den NS-Werken. Die neuen politischen Umstände fuhren allerdings zu einer Überarbeitung des Sprachgebrauchs, d. h. zum Entfernen nationalsozialistischer Schlüsselwörter. Diese Tendenz wurde schon im Sprachdiskurs beim Sprachzustand (4.1.1) und bei der Funktion der Sprache auf politischer Ebene (4.1.6) festgestellt. Die Stilautoren erlauben nach wie vor internationale oder unentbehrliche Fremdwörter in Fachsprachen, wie z. B. in der Wissenschaft, Kunst und Technik. 144 Sie beschreiben Fremdwörter weiterhin als unverständlich, gefährlich und überflüssig und leiten die schon bekannten Konsequenzen daraus ab.145 Durch die Unverständlichkeit ist bei 142 Thierfelder 1950/55:122/134. Vgl. auch 1950/55:43/-: Das deutsche Ohr sei nämlich im Vergleich zum englischen viel empfindlicher bei Wortwiederholungen und zu musikalisch, um sie zu tolerieren. 143 Wasserzieher 1951/61:70/68 [wie 1942:60], 144 Wasserzieher 1951/61:74/72 [wie 1942:64]. Wustmann 1949:346 und 1966:348-9 [wie 1935/43:348/351-2], Reiners 1949:508-9, 463-465 und 1961/67:613-14, 563-565 [wie 1944: 508-9, 463-465], 145 Sprachliche Konsequenz der Unverständlichkeit bei Wustmann 1949/66:360/366, 3645/369-70 [wie 1935/43:368/369, 372-4/373-4] durch den falschen Gebrauch und durch fehlerhafte Wortzusammensetzungen (z.B.: meine Tochter absorbiert die Schule, vorübergehende Passanten, neu renovierter Saal). Reiners und Wustmann ziehen moralische Konsequenzen: Reiners 1949:446-7, 445 und 1961/67:566-7, 543 [wie 1944:446-7, 445] betrachtet Fremdwörter als Werkzeuge des Schwindels. Wustmann 1949/66:353/360 [wie 1935/43: 356/359] meint, Fremdwörter seien unaufrichtig.
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Schulze/Wustmann nicht mehr die „Vollendung echter Volksgemeinschaft" sondern die „brüderliche[] Verschmelzung unserer Stände" gefährdet, da ein „schlichterer Bruder" [1935/43: „Volksgenosse"] durch Fremdwörter ausgeschlossen werde.146 Flad/Wasserzieher bezeichnet den Gebrauch von Fremdwörtern 1961 als „Sünde gegen die Gemeinschaft" und nicht mehr als „Sünde gegen die Volkskameradschaft" wie 1942. 147 Reiners vertritt wie zuvor die Ansicht, dass unverständliche Fremdwörter eine Bildungsmauer schafften und die Volkseinheit gefährdeten.148 Im Zusammenhang mit der vermeintlichen Gefährdung der deutschen Sprache durch Fremdwörter behalten alle drei Stilautoren ihre emotionale Bildersprache aus den NS-Werken bei.149 Schulze/Wustmann bezeichnet weiterhin hybride Formen als „Bastarde", für Reiners fressen auch in der BRD-Ausgabe die Fremdwörter gute deutsche Wörter auf und Flad/ Wasserzieher meint, im Vergleich zu heimischen Wörtern oder „eigenen Kindern" seien Fremdwörter „Fremdlinge" und würden artgemäße deutsche Wörter töten.150 Als Beweis ihrer Uberflüssigkeit führen alle drei Stilautoren auch in den BRD-Ausgaben den Reichtum der deutschen Sprache an, betonen die Genauigkeit deutscher Wörter und bezweifeln die stilistische Möglichkeit der Nuancierung durch Fremdwörter.151 Auf politischer Ebene wird die Aufnahme fremden Wortgutes immer noch mit Erniedrigung vor dem Ausland und mit Abhängigkeit gleichge-
146 Wustmann 1949:358 [vgl. 1935/43:366/367], 147 Vgl. Wasserzieher 1951/61:71/70 mit 1942:61. Weitere Ersetzungen bei Wasserzieher, 1951/61:71/69: ,,[A]us kameradschaftlichen Gründen" ersetzt 1942:61: ,,[A]us volkskameradschafilichtn Gründen". Ebenso 1951/61:75/72: „Für alle [...] gilt die Verpflichtung: Vom Fremden laß nur stehen, was du stehen lassen mußt, aber mehr auch nicht!" ersetzt 1942: 65: „Für alle [...] gilt die völkische Verpflichtung [...]." 148 Reiners 1949:468 und 1961/67:568 [wie 1944:468]. 149 Reiners 1949:461, 467-8 und 196/67:560, 567-8 (Fremdwörter seien eine Bedrohung für deutsche Wörter, weil sie „den Makel ihrer Herkunft nicht überwinden"). Wustmann, 1949/66:368/373 [wie 1935/43:376/377] beklagt die bedrohte Sprachsubstanz (die Lautund Sprachgesetze der eigengewachsenen deutschen Sprache würden durch ausländische Einschiebsel gestört). Wasserzieher 1951/61:71/69 [wie 1942:61] sieht die Wortbildung bedroht: „Schlaff und träge bildet er [der deutsche Sprachgeist] keine Wörter mehr aus den Urstämmen unserer Sprache und mit ihren Bildungsmitteln. Er schöpft nicht mehr aus dem Urquell unseres Denkens, sondern bildet Mischlinge aller Sprachen für Schöpfungen deutscher Menschen." 150 Wustmann 1949/66:56 [wie 1935/43:56], Reiners 1949:468 und 1961/67:568 [wie 1944: 468], Wasserzieher 1951/61:73/71, 71/69 [wie 1942:63, 60-1], 151 'Reichtum' bei Reiners 1949:466 und 1961/67:566 [wie 1944: 466], bei Wasserzieher 1951/61:71/69, 74/71-72 [wie 1942:60, 64] und bei Wustmann 1949/66:1-2, 142 [wie 1935/43:1-2, 140/142]; 1949/66:241/242, 354/361, 362/367, 373/377 [wie 1935/43: 240/243, 357/360, 370/371, 381/382], 'Genauigkeit' bei Wustmann 1949/66:361/368 [wie 1935/43:370-1/371-2] und bei Wasserzieher 1951/61:70-71/69 [wie 1942:60], 'Nuancierung' bei Reiners 1949:465-6, 505 und 1961/67:565-6, 609 [wie 1944:465-6, 505],
Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren
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setzt.152 In den BRD-Werken fehlt allerdings der in den NS-Werken festgestellte Anspruch der Unterstützung des Fremdwortkampfes durch die herrschenden politischen Verhältnisse. Hieß es 1935/43 noch bei Schulze/Wustmann, dass der „vaterländische Stolz" und die „siegreiche deutsche Revolution" den „Kampf" gegen das Fremdwort um der „vaterländischen Erneuerung halber [...] auf der ganzen Linie entbrennen" lassen sollte, so appelliert er in der BRD-Ausgabe lediglich an das „vaterländische Bewußtsein", die Sprache nicht aufzugeben und ihren Geist zu pflegen.153 Auch Flad/Wasserzieher erhofft sich durch die politischen Verhältnisse in der BRD 1961 keinen Auftrieb mehr und entfernt sein in der NS-Ausgabe angestrebtes „Hochziel" und „Traumbild" einer „fremdwortreinen deutschen Muttersprache". 154 Eine weitere Änderung in der BRDAusgabe von Flad/Wasserzieher ist, dass er seine Entschuldigung bzw. seinen Freibrief für den Fremdwortgebrauch von Staatsmännern und Wirtschafdern streicht.155 Obwohl die neuen demokratischen Verhältnisse nicht mehr zum Optimismus im Fremdwortkampf inspirieren, besteht indes auch kein Konflikt oder Dilemma mehr zwischen den Ansprüchen der BRD-Stilautoren und dem Sprachgebrauch der politischen Führung. Die BRD-Stilautoren können ihre fremdwortfeindliche Haltung frei und offen deklarieren und müssen aufgrund der neuen freiheitlichen Verhältnisse keine Entschuldigung mehr finden. In der Ausgabe der Sprachdummheiten von 1966 ist Schulze/Wustmanns Hinweis auf die „Sturmflut des Angloamerikanischen" neu. Er reflektiert mit seiner Stellungnahme zu den Angloamerikanismen gängige sprachliche Trends. Obwohl er diese Entwicklung mit dem politischen Einfluss der „Beschützer und Freunde" und einer „jugendlichen und sehr artverwandten Weltmacht" erklärt, kann er Angloamerikanismen mit Ausnahme von ein paar einverleibten Wörtern wie „Babysitter, Swimming Pool, Camping, Trip, Supermarkt, Festival, Fan, Trend, Hobby, New Look" nicht gutheißen. 156 Trotz der freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu ihrem Herkunftsland USA fordert er nach bekannter Manier dazu auf, ihnen das „Bürgerrecht auf deutschem Boden" zu verweigern. 157 BRD-Stilautor Thierfelder behauptet, einen mittleren Weg einzuschlagen, liefert aber keinen neuen Beitrag in der Fremdwortdiskussion. Zwar 152 Wustmann 1949/66:155 [wie 1935/43:153/156], 1949/66:366/371 [wie 1935/43:374/ 375]. Reiners 1949:24 und 1961/67:28-29. 153 Wustmann 1949:358 und 1935/43:365-6/366-367 (1943:367: „siegreiche deutsche Revolution" gestrichen). Ähnlich Wustmann 1935/43:377-8/378-79 und 1949/66:369/374. 154 Wasserzieher 1961:71 [vgl. 1942:63]. 155 Wasserzieher 1951/61:72/70 [vgl. 1942:62]. 156 Wustmann 1966:351-352. 157 Wustmann 1966:354-355.
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Sprachratgeber und Stillehren in der B R D (1949-1967)
erlaubt er Fremdwörter zur „Begriffsschattierung" und zur Vermeidung von Wortwiederholungen, erhebt aber wie die anderen BRD-Stilautoren die drei Vorwürfe der unverständlichen, gefährlichen und überflüssigen Fremdwörter mit ähnlichen Konsequenzen. Aufgrund seiner fehlenden Beziehung zum „sprachlichen Urgrund" und seiner Wurzellosigkeit sei ein Fremdwort unklar.158 Die „nationale Sünde", das Fremdwort zu suchen, hätte zur Absonderung von der sozialen Gemeinschaft geführt und besonders die Gelehrten hätten durch ihren Fremdwortgebrauch „die Spaltung der Nation in Gelehrte und Ungelehrte" gefördert. 159 Moralisch bedeutet für ihn die Vermeidung von Fremdwörtern Tugendhaftigkeit: „Fremdwörterarmes Deutsch dagegen, [...] verrät Gedankenzucht, Geschmack und ein schlichtes Herz." 160 Thierfelder warnt vor der Daseinsbedrohung der deutschen Sprache durch Fremdwörter, wie sie sich bspw. im 17. Jahrhundert vollzogen hätte, und meint: „Die Fremdwörterseuche ist [...] für den Laien nicht ohne weiteres zu erkennen." 161 Anhand der reichen und unabhängigen deutschen Sprache will er die Uberflüssigkeit vieler Fremdwörter beweisen, die „sprachliche Schöpferkraft" erproben und durch die „gründliche Eindeutschung" „Eigenerzeugnisse" einführen.162 Die Grundhaltung zum Fremdwortgebrauch ändert sich in den BRD-Werken folglich nicht und Thierfelder fügt sich mit seiner Argumentation problemlos ein. Übernommen werden die schon in den WRWerken formulierten Hauptvorwürfe der Unverständlichkeit, Gefährlichkeit und Überflüssigkeit von Fremdwörtern sowie die in den NS-Werken zugespitzte emotionale Bildersprache.
158 Thierfelder 1950:42-43, umformuliert aber ähnlich 1955:55-56 (Begriffsschattierung), 58 (Vermeidung von Wiederholungen), 56-57 (unverständlich). In der Ausgabe von 1955 überarbeitet Thierfelder seine Aussagen über das Fremdwort, wobei es zu ausführlicheren Darstellungen und einigen Umformulierungen kommt. Sie unterscheiden sich inhaltlich jedoch nicht wesentlich von der ersten Ausgabe. 159 Thierfelder 1950:42, umformuliert aber ähnlich 1955:47 (Kluft zwischen Klerikern und Laien), 58 (durch eine fremdwortfreie Sprache alle Glieder eines Volkes am geistigen Besitz der Nation teilhaben lassen). 160 Thierfelder 1950/55:45/60. 161 Thierfelder 1950:42, umformuliert aber ähnlich 1955:43 (Kommentar zum Sprachzustand um 1650: Deutsch sei ein „verkümmertes Gewächs", in der Gewalt fremder Sprachen zersetzt und abgestürzt). 162 Thierfelder 1950/55:42-43/56-57, 44/59.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren
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4.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil 4.2.3.1 Wer ist Vorbüd? Bei Schulze/Wustmann erscheinen in der BRD-Ausgabe fast dieselben Bezüge zu Dichtern, Schriftstellern und Sprachwissenschafdern und zu ihren Werken wie in der NS-Ausgabe.163 Entfernt werden allerdings alle Bezüge zu Hider und Goebbels, sowie Zitate von Rudolf Binding und H. S. Chamberlain.164
163 Wustmann 1949/66: Am häufigsten erwähnt er Goethe, Schiller, Lessing und Luther. Des Weiteren werden Jacob Grimm, Paul Emst, Gottfried Keller, Jean Paul, Eichendorff (3x), Uhland (3x) und Klopstock (3x) mehr als einmal erwähnt. Goethe: 1949/66:5, 9, 10, 11, 13, 14, 15, 19, 32 (2x), 33, 34, 35, 37, 39, 42, 46, 47, 48, 56, 57, 59, 66, 72, 78, 93, 96, 98, 114, 129, 134, 148, 149, 154, 170, 174-5, 177, 186, 189, 205, 208, 213, 218, 220, 225, 235, 247, 261, 262, 264, 271, 285, 299/301, 304-5/321, 327/330, 328/331, 345/348, 346/349, 369/374 [vgl. dazu 3.2.3.1 für Goethe-Bezüge in den Ausgaben von 1935/43]. Lessing: 1949/66:2, 37, 57, 64, 96,108, 160, 175, 203, 220, 221, 265. 1949: 318/322, 346/349, 3556/361-2, 360/366 [vgl. dazu 3.2.3.1 für Lessing-Bezüge in den Ausgaben von 1935/43]. Schiller: 1949/66:11, 15 (2x), 42, 64, 93, 96, 98, 123, 138, 149, 150, 154, 215, 264, 323/326, 346/349 [vgl. dazu 3.2.3.1 für Schiller-Bezüge in den Ausgaben von 1935/43]. Luther: 1949/66:27, 92, 174, 175, 190, 202, 218, 220, 322-3/325-6, 327/330 [vgl. dazu 3.2.3.1 für Luther-Bezüge in den Ausgaben von 1935/43]. Jacob Grimm: 1949/66:1, 15, 41/40, 97, 183-4/184 [vgl. dazu 3.2.3.1 für J. Grimm-Bezüge in den Ausgaben von 1935/43]. Paul Ernst: 1949/66:87, 218, 262, 284. Gottfried Keller 1949/66:93, 118, 134, 309/313. Jean Paul: 1949/66:66, 72, 108. Eichendorff: 1949/66:16, 139, 168. Uhland: 1949/66:10, 93, 168. Klopstock: 1949/66:63, 100, 218 [vgl. dazu 3.2.3.1 für 1935/43]. Des Weiteren werden bei Wustmann 1949/66 erwähnt [vgl. dazu 3.2.3.1 für 1935/43]: AUmers: 122. E.M. Arndt: 161. Bergengruen: -/326. Binding: 226. Bismarck: 32 (2 wurden 1949 entfernt). Brentano: 206. Otto Briegleb: 370/374. Brust und Feuchtwanger: 216. Bürger: 97. Busch: 96. Chamisso: 108. Dichter und Schriftsteller allgemein: 2, 19, 31, 236, 237. Richard Dehmel: 332/335. H. Dunger: 362/368. Ludwig Erhardt: -/365. Ebner-Eschenbach: 6. Wolfram von Eschenbach: 14. Ludwig Finckh: 372/372. Fontane: 88, 351. Geliert: 10, 35, 247, 355/361. W. Gensei: 360/366. Stefan George: 264. Otto Gildemeister: 247. Wilhelm Grimm: 1, 324/327. Hauptmann: 122, 167. Hebbel: 46. Hegel: 345/358. Heine: 41, 328/331. Hoffmann von Fallersleben: 15 (2x). Hofmannsthal: 347/350. Hildebrand: 294/296. Ricarda Huch: 6. Wilhelm von Humboldt: 71. Georg Kaiser: 195. Alfred Kerr: 263. Kleist: 13, 149, 150. Hans Kyser: 308/-. Lenz: 150, 178. Liliencron: 261. Liscow: 175. Logau: 360/366. Thomas Mann: -/351. Marlitt: 332/335 (Kritik auch bei Reiners). C.F. Meyer: 332. Alfred/Robert Neumann: 332/335. Nietzsche: II/V, 260, 263. Chr. Morgenstern: 333/336. Robert Musil: -/296. Perkonig: 332/-. Raabe: 87. Leopold von Ranke: 14, 15. Oswald Reißert: 311/315. Rilke: 194. Rosegger: 316/319. Hermann Rossmann: 332/335. Rückert: 47. Hans Sachs: 355/-. Scheffel: 237. A.W. Schlegel: 176. Schopenhauer 289. Schuchardt:7 (ersetzt Rosenberg). Ina Seidel: 7, 17, 218. Shakespeare: 122, 309/313. Sophokles: 11. Sternheim: 263. Storm: 87. David Strauß: 265. Vischer: 345/- (ersetzt mit Reiners). Walther von der Vogelweide: 15 (2x). Burkhard Waldis: 33. Leo Weisgerber: /287. Wieland: 286, 323/326. Wippchen: 231, 241. Arnold Zweig: 308/-. Zuckmayer: /363. 164 Wustmann 1949/66:1, 240 [vgl. 1935/43:1, 238/241],
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
Flad/Wasserzieher übernimmt die meisten Bezüge der NS-Ausgabe von 1942 mit der Ausnahme der Bezugnahmen zu Hider, Goebbels und Horst Wessel. 165 Reiners zitiert in den BRD-Ausgaben dieselben Personen wie in der NS-Ausgabe und fügt die Namen und längere Abschnitte über Heinrich Heine und Thomas Mann hinzu.166 Hinter dem Namen von Hugo von Hofmannsthal erscheinen jetzt alle elf Seitenangaben, während 1944 bei elf Zitaten nur eine Seitennummer angegeben wurde. 167 Für Reiners besteht das fuhrende „Dreigestirn der Prosameister" im neuen deutschen Schrifttum aus Friedrich Nietzsche, Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal. Sie hätten der deutschen Sprache Leistungen abgezwungen, die man bei den Klassikern vergeblich suchen würde. 168 Reiners lobt Heines stilgeschichtliche Verdienste und bezeichnet ihn trotz zwei kritischer Anmerkungen als ,,eine[n] der witzigsten Köpfe der Welt und ein[en] wirkliche[n] Dichter."169 165 Wasserzieher 1951/61. Goethe: 5 (3x), 7, 28, 29, 37/36, 40/39, 47/46, 52/50, 57/55, 60/58, 61/59, 63/61, 64/-, 70/68 [fur 1942, vgl. 3.2.3.1]. Schiller: 1951/61: 28, 32/31, 37/36, 49/48, 60/58 [ für 1942, vgl. 3.2.3.1]. 1951/61: Uhland: 28/28, Klopstock: 5/5, Vischer: 32/32, Freytag: 17/17, Luther: 57/55 [für 1942 vgl. 3.2.3.1]. Dichter allgemein: 1951/61: 31/33, 58/57, 73/71, 79/76 [für 1942 vgl. 3.2.3.1]. 1951/61 neu: Nietzsche: 5, 48/47. Jacob Grimm: 5. Wilhelm Müller: 33. Goethe: 70/68. Entfallt 1951/61: Keller, Mörike, Storm: 58/57 [vgl. 1942:49], Bismarck: entfällt erst 1961:54 [vgl. 1951:55, 1942:46], 166 Nach Häufigkeit: Goethe, Schopenhauer, Lessing, Schiller, Nietzsche, Luther, Herder, Bismarck, Moltke, Treitschke, etc . Vgl. „Namen- und Sachverzeichnis" bei Reiners 1949: 645-654 und 1961/67:771-784. Zu Thomas Mann siehe Reiners 1949:554-562, 601-2 und 1961/67:669-678, 724-726. Neu sind ebenfalls die Namen Ludwig Bamberger, Rudolf Borchardt, Karl Krauss und Heinrich Mann. 167 Vgl. Reiners 1944:638 mit 1949:648 und 1961/67:777. 168 Reiners 1949:562 und 1961/67:678. 169 Reiners 1949:366-7 und 1961/67: 42-3. Kritisch über Heine 1949:250, 539 und 1961/67: 303, 650. Nickisch (1975:60, 67) will Reiners nationalsozialistische Tendenzen anhand der Zusammensetzung seiner Vorbilder nachweisen. Um Reiners in einem bestimmten Licht zu präsentieren, zitiert Nickisch (1975:57) lediglich eine negative Anmerkung von Reiners über Heine (vgl. Reiners 1961/67:303) und unterschlägt den positiven Abschnitt über Heine (vgl. Reiners 1961/67:442-4). Den Abschnitt über Thomas Mann erklärt Nickisch (1975:56) damit, dass Reiners die Notwendigkeit verspürt haben müsse, sein Buch zu modernisieren und sich einen Schriftsteller ausgesucht habe, der ihm stilistisch zusage. Dieser Modernisierungsdrang ist fraglich, da Reiners 99% seines Buches stehen lässt und lediglich im Nationalsozialismus geächtete Schriftsteller in die BRD-Ausgaben aufnimmt. Das klingt eher nach Änderungen aufgrund von Meinungsfreiheit in der BRD. Außerdem 'frisiert' Nickisch die Darstellung der Reinersschen Vorbilder, indem er Textstellen aus dem Zusammenhang oder falsch zitiert. Nach Nickisch (1975:55) stellt Reiners Kolbenheyer, Binding, Hans Grimm, Wiechert, Carossa und Ruth Schaumann als Prosameister der Gegenwart hin. Das ist falsch, denn Reiners zitiert sie keinesfalls als Prosameister sondern als Schriftsteller der Gegenwart mit einem eigenwilligen Stil. Als Prosameister bezeichnet er Lessing, Kleist, Goethe, Storm und Löns (vgl. Reiners 1944/49:388-90 und 1961/67:468-471). Nickisch setzt außerdem den Maßstab der Quantität (wie oft wird der Autor zitiert) als Zeichen der Reinersschen Wertschätzung an und geht etwas unbekümmert mit den Quellenangaben um (Nickisch 1975:55-6). Danach brächten es Keyserling und Thoma auf „drei"
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Obwohl Thierfelder ausdrücklich angibt, sich von der Literatur als Stilvorbild zu distanzieren, bezieht er sich des Öfteren auf Goethe, Schiller und Jean Paul.170 Er zitiert Großsätze von J. Ph. Fallmerayer und längere Passagen von Friedrich Nietzsche, dem „Meister des Stiles" und „vorzüglichsten Stilisten".171 Des Weiteren werden Klopstock, Kleist, Matthias Claudius, Hebel, Heine und Kant erwähnt.172 Die Zusammensetzung der Vorbilder bleibt mit den am häufigsten zitierten Dichtern des Nationalkanons Goethe, Lessing und Schiller weiterhin gleich. Eine Änderung im Vergleich zu den NS-Werken besteht darin, dass in den BRD-Werken Bezugnahmen auf führende Nationalsozialisten oder Anhänger des nationalsozialistischen Regimes entfernt werden (Hitler, Goebbels, H. S. Chamberlain) und im Nationalsozialismus geächtete Dichter und Schriftsteller ungehindert in die BRD-Ausgaben aufgenommen werden (Thomas Mann, Heinrich Heine, Hugo von Hofmannsthal). 4.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache Wir stellen in den BRD-Werken dieselben Funktionen der Vorbilder fest wie in den WR- und NS-Werken. Wie in den NS-Ausgaben erscheinen die Namen von Vorbildern und ihren Werken in den BRD-Ausgaben bei Schulze/Wustmann und Flad/Wasserzieher in meist wörtlich übernommenen Beispielen zur Illustration von Sprachregeln wie bspw. zum Genitiv und zur Apposition: „Franz' oder Franzens? Goethe's oder Goethes?"
positive Stilniuster und Löns, Keyserling, Bahr, Watzlik, Thoma, Spengler, Ricarda Huch, Rilke, Fallada, Ina Seidel und Eugen Roth „fast durchweg nur" auf „ein" positives Sülmuster. Die Untersuchung dieser Aussage ergibt Folgendes: Auf fünf positive Sprachbeispiele bringen es Bahr (Reiners vgl. 1961/67:274, 284-5, 683, 707, 731), Thoma (vgl. Reiners 1961/67:78, 176, 399, 339, 445, 735, 750) und Spengler (vgl. Reiners 1961/67:328, 432, 692, 705, 731), auf vier Ricarda Huch (vgl. Reineres 1961/67:328, 416, 457, 735), tatsächlich auf drei Eduard Keyserling (vgl. Reiners 1961/67:300, 314, 730), auf zwei Fallada (vgl. Reiners 1961/67:63, 730) und Löns (vgl. Reiners 1961/67:76, 470) und lediglich auf ein positives Stilmuster Ina Seidel, Rilke, Eugen Roth und Watzlik (vgl. Reiners 1961/67:321, 329, 397, 326). 170 Thierfelder 1950/55:212/235. Goethe: 16/13, 23/21, 52/69, 55/72, 68/86, 93/115, 94/116, 132/146, 133/147, 143/158, 201/223. Schiller: 16/13, 72/91, 140/155, 168/186, 195/216, 201/223. Jean Paul: 32/30,127/140,177-8/196-7. 171 Thierfelder 1950/55:Fallmerayer: 178-180/198-200, 195/216. Nietzsche: 120/132, 1814/200-4, 195/216. 172 Thierfelder 1950/55. Burckhardt: 195/216. Chamisso: 41/40. Claudius: 23/20. Kant: 1756/195-6. Frau Rat Goethe: 119/-. Grimm: 111/-. Gutzkow: 167/186, 168/186. Hauptmann: 107/130. Hebel: 144/160. Heine: 202-203/224-5. Herder: 107/131. Kleist 103/126. Klopstock: 56/73. Lessing: 55/72. Lichtenberg: 111/-. Luther: 195/216, 159/176. Lieselotte von der Pfalz: 10/6. Ranke: 195/216. Riehl: 195/216. Oswald Spengler: 195/217.
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und „ein Werk Schillers, des größten deutschen Dramatikers". 173 Auch bei Thierfelder dient der Name Goethes in Beispielsätzen zur Illustration von Frage- und Aussagesätzen. 174 Die Sprache der Vorbilder dient Flad/Wasserzieher und Schulze/ Wustmann weiterhin dazu, um den Sprachwandel zu illustrieren. 175 Thierfelder macht ebenfalls sprachgeschichtliche Ausführungen anhand der Dichtersprache. So seien die Formen „liebet", „tuet", und „sehet" heutzutage altertümlich und nur noch in der dichterischen Sprache erlaubt.176 Er verweist auf die Elision auslautender Vokale bei mittelhochdeutschen Dichtern und auf die heute als falsch empfundene Deklination von Adjektiven bei Goethe: „Beim Vergessen empfangenes Guten". 177 Wie in den WR- und NS-Ausgaben werden die Vorbilder auch in den BRD-Werken als sprachlich 'ideal' dargestellt, indem die BRD-Stilautoren anhand von Sprachbeispielen ihrer Vorbilder die von ihnen aufgestellten Sprachregeln illustrieren. Schulze/Wustmann erklärt die Beugung von „man" mit Lessings Worten: ,,[M]acht man das, was einem so einfällt?" 178 Flad/Wasserzieher erlaubt neben dem grammatischen das natürliche Geschlecht nach Mädchen und Fräulein und illustriert mit Goethe: „Seht ihr das Mädchen? Sie hat die Puppe gewickelt." 179 Auch Thierfelder benutzt diese Methode und veranschaulicht das Umsetzen einer Aussage in die indirekte Rede mit einem Goethe-Vers. 180 Er hofft, dass Schillers Gebrauch von „alle" im Sinne von „aufgebraucht" weiterlebt. 181 Die BRD-Stilautoren machen sich nach wie vor die Autorität der Dichter und ihrer Sprache zunutze, um die Wertigkeit und Richtigkeit ihrer Aussagen über Sprache und Grammatik zu untermauern und letztendlich ihre eigene Autorität zu festigen. Wie in den NS-Werken entschuldigen oder kritisieren Flad/Wasserzieher und Schulze/Wustmann die Sprache der Vorbil173 Wustmann 1949/66:9 [wie 1935/43:9]. Wasserzieher 1951/61:32/31 [wie 1942:26]. Weitere Beispiele bei Wasserzieher 1951/61: 37/36 [wie 1942:30] und bei Wustmann 1949/66: Goethe oder seine Werke: 9, 10, 13, 14, 15, 34, 39, 56, 59, 114, 148, 149, 154, 174-5, 177, 205, 208, 213, 261, 271 [wie 1935/43, vgl. dazu 3.2.3.2], Schiller oder seine Werke im Beispiel bei Wustmann 1949/66:15 (2x), 149, 154, 2 1 5 [wie 1935/43, vgl. dazu 3.2.3.2], 174 Thierfelder 1950/55:132/146, 133/147. 175 Wasserzieher 1951/61:57/55 [wie 1942:48] über die doppelte Verneinung bei Luther. Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 7 [wie 1942:16] über die Problematik von 'frug und fragte' bei Freytag. Wustmann 1949/66:203, 11, 93 [wie 1935/43:201/204, 12/11, 92/93], 176 Thierfelder 1950/55:102/125. 177 Thierfelder 1950/55:35-36/34, 52/69. 178 Wustmann 1949/66:37 [wie 1935/43:38]. Weitere Beispiele: 1949/66:123, 235, 247 [wie 1935/43:121/123, 233/237, 246/249], 179 Wasserzieher 1951/61:47/46 [wie 1942:39], Weitere Beispiele: 1951/61:52/50, 64/61 [wie 1942:43, 55], 1 8 0 Thierfelder 1950/55:94/116. 181 Thierfelder 1950/55:72/91.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der Stilautoren
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der, wenn sie den eigenen Vorstellungen von Sprachrichtigkeit widerspricht.182 Thierfelder verfährt ähnlich. Einerseits erlaubt er im Rahmen der dichterischen Freiheit grammatische Verstöße und Fehler, wenn sie ihm gefallen, andererseits kritisiert er sie, wenn sie seinem Sprachempfinden widersprechen. Lobend hebt er eine grammatische Schöpfung Goethes hervor: „Von Helios gezeugt? Von wer geboren?" Mit dieser Zusammenziehung von „welcher" habe Goethe einen Dativ erfunden, um schlagend auszudrücken, was er ausdrücken wollte. 183 Andererseits beanstandet er die Superlative „reingewölbeste Stirn" und „schwachdenkendsten Teil" von Goethe und Lessing. 184 Auch in den BRD-Ausgaben werden die Vorbilder weiterhin so dargestellt, als ob sie auf stilistischer Ebene das Ideal der Stilautoren verkörperten. Zitate, Sprachbeispiele und Behauptungen, die größtenteils aus den NS-Ausgaben übernommen werden, unterstützen die Auffassung vom Persönlichkeitsstil und die einzelnen Stilanweisungen hinsichtlich Redestil und Fremdwörtergebrauch. 185 Bei Thierfelder finden sich Zeilen aus Gedichten von Goethe, Schiller und Heine, die den Rhythmus im Satzbau darstellen sollen.186 In den BRD-Werken findet sich weiterhin die in den NS- und WR-Werken festgestellte Beurteilung von Sprache und Stil nach der Persönlichkeit des Schreibers, also nach dem Motto: ein guter Deutscher schreibt ein gutes Deutsch. Das bedeutet, dass der Schreibstil guter Deutscher, also von Personen, die sich um Muttersprache und Vaterland verdient gemacht haben, als vorbildlich dargestellt wird und dass ein den Stilanweisungen offensichtlich widersprechender Schreibstil der guten Deutschen entschuldigt oder 'wegerklärt' wird. Die guten Deut-
182 Entschuldigungen bei Wustmann 1949/66:35, 108 [wie 1935/43:36/35, 107/108]. Kritik bei Wustmann 1949/66:93, 138, 284, 2 1 8 [wie 1935/43:92/93, 136/138, 217/219, 283/286]. Kritik bei Wasserzieher 1 9 5 1 / 6 1 : 1 7 [wie 1942:16]; 1951/61:58/57 [wie 1942:49]; 1 9 5 1 / 6 1 : 6 1 / 5 9 [wie 1942:52]; 1961: 64/61 [wie 1942:55], 183 Thierfelder 1950/55:68/86. Weitere 'Ausnahmen': 1950/55:91/112, 93/115, 98/121, 123/136. 184 Thierfelder 1950/55:55/72. Weitere Kritik an Dichtersprache bei Thierfelder 1950/55: 103/126,143/158. 185 Persönlichkeitsstil bei Reiners 1949:48 und 1961/67: 54 [wie 1944:48]. Redesprache bei Reiners 1949:164, 221-2 und 1961/67:197, 268-271 [wie 1944:164, 221-2]. Fremdwörter bei Reiners 1949:505 und 1961/67:610. Reiners beruft sich auf Leibniz (1949:505 und 1961/67:610), Goethe (1949:507 und 1961/67:611-12), Kant, Hegel und Schopenhauer (1949:507 und 1961/67:612), Lessing, Wieland und Jakob Grimm (1949:508 und 1961/67: 613) [wie 1944:505-508]. Fremdwörter bei Schulze/Wustmann (er zitiert Lessing, Goethe, Hegel und Vischer/Reiners) siehe Wustmann 1949:345, 355, 372 und 1966:348, 361-2, 376 [ähnlich 1935/43:348/351, 360/361-2, 380/381]. Fremdwörter bei Wasserzieher 1951/61: 70/68 (er zitiert Goethe). 186 Thierfelder 1950/55: 201-2/223-4.
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sehen stammen dabei oft aus den Reihen der Dichter, Staatsmänner oder Feldherrn. 187 Auch bei Thierfelder beeinflussen die Person und der Inhalt der Aussage das sprachliche und stilistische Urteil. Bismarcks „Wir Deutsche furchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt" sei gerade wegen der fehlerhaften Form „wir Deutsche" so beeindruckend, „denn die Wirkung der n-losen Form war in diesem Zusammenhang und jenem historischen Augenblick unbestreitbar besonders stark." 188 Die durchschlagende Wirkung sprenge die grammatische Regel. 189 Es liegt nahe zu vermuten, dass sich Thierfelder vom dem Autor (der Gründer des Deutschen Reiches) und vom Inhalt (die mutigen Deutschen) blenden lässt, denn es setzt ein detailliertes Wissen über die Deklinationsformen voraus, um diese Form als fehlerhaft zu erkennen und deren „starke Wirkung" zu fühlen. Vom liberal eingestellten, Deutschland kritisierenden Heine hat Thierfelder hingegen keine gute Meinung; als Prosaiker sei er kein Vorbild: „Charakterliche Größe kann ihm auch der ehrlichste Freund nicht nachrühmen, und ohne sie ist eben großer Stil nicht denkbar." 190 Der Inhalt des Textes scheint bei seiner stilistischen Beurteilung eine Rolle zu spielen, wenn Thierfelder die folgenden Beispiele aufgrund ihrer Versfüße als Sätze „von innerer Sicherheit und herzhaftem Selbstbewußtsein" beschreibt: „Ich stand im Feld, zu der letzten Entscheidung bereit." Und: „Zu Land, in der Luft, auf dem Meer sucht der Mensch sich alle Kräfte dienstbar zu machen." 191 Es ist wohl eher die Tapferkeit und der Todesmut im Krieg und die Überlegenheit des Menschen als der schwer zu identifizierende Versfuß im Satzbau, der hier 'Sicherheit' und 'Selbstbewusstsein' vermittelt. Im Zusammenhang mit der Haltung, dass die Persönlichkeit der Autoren und der Inhalt der Texte das stilistische Urteil beeinflussen, steht dann auch die in den BRD-Werken weitergeführte Verurteilung des Expressionismus und seiner Schriftsteller, die die überlieferten Autoritätsstrukturen und die bürgerliche Ordnung in Frage stellen. Der experimen-
187 Schiller und Goethe bei Reiners 1949:101, 135-6 und 1961/67:121-2, 164-5 [wie 1944:101, 135-6]. Blücher bei Reiners 1949:215 und 1961/67:259-60 [wie 1944:215], Ebenso Gneisenau, Schlieffen, Clausewitz, Moltke und Bismarck bei Reiners 1949:321, 476, 270, 426-7, 280, 407, 222, 350 und 1961/67:389, 577-8, 326, 517, 338, 494, 270, 423 [wie 1944:321, 476, 270, 426-7, 280, 407, 222, 350], 1 8 8 Thierfelder 1950/55:40. Siehe voUes Bismarck-Zitat bei Reiners 1949:74 und Engel 1931: 45. 189 Thierfelder 1950/55:40. 1 9 0 Thierfelder 1950/55:203/225. 191 Thierfelder 1950/55:128/141.
Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der BRD-Werke
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teile Stil der Expressionisten, der zur Missachtung der überlieferten Sprachregeln führt, ist auch in den BRD-Werken inakzeptabel. 192 Wie ihre Vorgänger in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus können sich die BRD-Stilautoren nicht von der dichterischen oder literarisch überformten Prosa als Stilmuster für die Gebrauchsprosa freimachen. Auch Thierfelder verfällt durch das Zitieren vorbildlicher Großsät2e und Perioden von Jean Paul und Fallmerayer in die altbekannte Vorgehensweise, die literarische Sprache als Vorlage für die tägliche Gebrauchsprosa auszuweisen. 193 Zudem ist sein Kommentar über Fallmerayers Perioden bei Satzbaufragen nicht besonders hilfreich: „Fallmerayer wandert, in seiner Sprache wehen Mantel und Haar und seine Augen sind wie Falken, die schon aus der Ferne Liebliches und Großartiges mit sicherem Blick erfassen." 194 Das Dichterische bleibt weiterhin die höchste Autorität in allen Sprachfragen. 195
4.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der BRD-Werke 4.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den BRD-Werken im Vergleich zu den WR- und NS-Werken 4.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede Fassen wir die Aussagen des Sprach- und Stildiskurses in der BRD im Uberblick zusammen und vergleichen sie mit denen der NS- und WRStilautoren. Im Gegensatz zu den NS-Werken ist die Sprachverfallsklage durch den fehlenden Optimismus auf 'bessere Sprachzeiten' und die dringliche Betonung der Sprachpflege wieder intensiviert und erinnert in 192 Reiners 1949:185, 204 und 1961/67:224, 247 [wie 1944:185, 204] über den Expressionismus als literarische Dekadenz. Reiners 1949:248, 360 und 1961/67:301, 435 [wie 1944:248, 360] über Edschmid. Reiners 1949:171 und 1961/67:206-7 [wie 1944: 171] über Wedekind. Reiners 1949:180-1, 185-6 und 1961/67:218-9, 225 [wie 1944:180-1, 185-6] über Sternheim. Reiners 1949:204 und 1961/67:247 [wie 1944:204] über Georg Kaiser. Reiners 1949:9, 577 und 1961/67:11, 694 [wie 1944:9, 569] über die 'Ordnung'. Wustmann 1949/66:261, 263 [wie 1935/43:260/263, 262/265] gegen Liliencron, Alfred Kerr und Sternheim. Thierfelder (1950/55:85/106, 78-79/98) meint, der Wunsch nach sprachlicher Ordnung sei Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses nach Ordnung im Leben und Ausdruck dafür, „das Leben durch Ein- und Unterordnungen übersichtlich zu machen". 193 Thierfelder 1950/55:127/140, 177-9/196-98. 194 Thierfelder 1950/55:179/199. 195 Thierfelder 1950/55:41/40. Reiners 1949:566 und 1961:682 [wie 1944:558].
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Sprachratgeber und Stillehren in der BRD (1949-1967)
ihren Formulierungen an die WR-Werke. Die Sicht und Funktion der Sprachgeschichte stellt eine Kontinuität mit den WR- und NS-Werken dar, da die deutsche Sprache der Vergangenheit idealisiert wird und die lateinische und französische Sprache sowie der Einfluss der deutschen Gelehrten der Vergangenheit als negativ und schädigend für das Deutsche gesehen werden. Die Sprachgeschichte fungiert in allen drei Zeiträumen als Mittel zur Sprachbelehrung. Die in den NS-Werken hinzugefugten Verweise auf die germanischen Vorfahren werden aufgrund von Assoziationen mit dem nationalsozialistischen Ahnenkult in den BRD-Werken wieder entfernt. Die BRD-Stilautoren zeigen sich wie die NS-Stilautoren dem zeitgenössischen Sprachwandel tolerant gegenüber und akzeptieren weiterhin eine Auswahl von technischen Neuwörtern und politischen Modewörtern. Wie in den NS-Werken ist diese Auswahl durch die als positiv empfundenen politischen und wirtschaftlichen Umstände bestimmt und reflektiert sie (Kfz-Industrie, politische Integration). Im Vergleich zu den NS-Werken wird die Sprachrichtigkeit durch eine Abschwächung des anti-intellektuellen Trends wieder stärker betont und hervorgehoben und ähnelt in ihrer Darstellung eher den WR-Werken. Der in den NS-Werken zugespitzte Sprachgebrauch im Organismuskonzept zum Thema Sprache als Lebewesen sowie die Betonung der germanischen Tugenden von Kraft und Leben werden in die BRD-Werke übernommen. Durch das Entfernen von nationalsozialistischen Schlagwörtern und Einrichtungen dominiert im Zeitspiegel der politischen Funktion von Sprache der Aspekt der Entnazifizierung. Im Gegensatz zu den NS-Werken und im Einklang mit den WR-Werken wird in den BRD-Werken keine sprachliche Erwartungshaltung mit dem herrschenden politischen System verbunden. Die aus den WR- und NS-Werken bekannten Auffassungen von Sprache als Identitäts- und Einheitsstifter, die Bandmetapher sowie die Reflektion des moralisch-politischen Zustandes durch die Sprache finden sich auch in den BRD-Werken und stellen somit eine Kontinuität dar. Die Idee von Sprache als politisches Machtmittel wird durch den fehlenden Bezug zur deutschen Sprache und zu Deutschland entschärft. Der in den NS-Werken festgestellte Sprachimperialismus und Chauvinismus weicht einer Forderung nach einem gleichberechtigten Nebeneinander der Sprachen, die noch ausgeprägter ist als in den WR-Werken. Allerdings herrscht nach wie vor Stolz auf die deutsche Sprache, was eine Kontinuität in den drei untersuchten Zeiträumen darstellt. Im Stildiskurs dominiert weiterhin die Auffassung vom ausgeprägten Persönlichkeitsstil, der sich auf individueller und nationaler Basis durch Charakteranlagen manifestiert. Auch die Auffassung des angeborenen Stiltalentes sowie die Voraussetzungen für einen guten Stil, also die Rücksicht auf den Leser, die Wahrung der Stilebenen, die Angemessenheit
Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der BRD-Werke
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sowie die Verbindung von Denken und Sprache, werden übernommen. Alle fünf Stilanweisungen finden sich bei allen vier BRD-Stilautoren in unterschiedlicher Ausprägung wieder. Während Reiners, Flad/Wasserzieher und Schulze/Wustmann die fünf im Nationalsozialismus zugespitzten Stilanweisungen in entnazifiziertem Sprachgebrauch in die BRDWerke übernehmen, erscheinen die Anweisungen Thierfelders zum Gebrauch der Sprechsprache, der Verben und des Aktivs durch einen begrenzten Bezug zum Charakter des Schreibers gemäßigter. Allerdings teilt er die Ideen der anderen BRD-Stilautoren in Bezug auf den Satzbau und das Fremdwort. Danach lässt der Satzbau Rückschlüsse auf den Charakter und die Lebenseinstellung des Schreibers zu, und Fremdwörter werden weiterhin als unverständlich, gefährlich und überflüssig eingestuft. Aus den NS-Werken wird der stark emotionalisierte Sprachgebrauch in der Fremdwortdiskussion übernommen. Allerdings regen die neuen freiheitlichen Verhältnisse in der BRD nicht mehr zum Enthusiasmus im Fremdwortkampf an wie in den NS-Werken. Andererseits gibt es aufgrund der Meinungsfreiheit und der fehlenden Erwartungshaltung an die politische Führung keine Notwendigkeit mehr für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für den Fremdwortgebrauch. In Bezug auf die stilistischen Vorbilder besteht eine Kontinuität zu den NS- und WR-Werken, da die am meisten zitierten Vorbilder weiterhin aus der kanonisierten Nationalliteratur stammen (Goethe, Schiller, Lessing) oder Personen sind, die sich um Sprache und Nation verdient gemacht haben (Luther, Bismarck, Moltke). In den BRD-Ausgaben werden alle Bezüge zu den Nationalsozialisten entfernt und im Nationalsozialismus geächtete Schriftsteller aufgenommen (Heine, Hofmannsthal, Mann). Hauptfunktion der Vorbilder ist es, wie auch in den WR- und NS-Werken, die subjektiv definierte Idealnorm von Sprache des jeweiligen Stilautors zu illustrieren und so seine Autorität zu untermauern. Die Beurteilung von Sprache und Stil wird auch in den BRD-Werken weiterhin von der Persönlichkeit des Autors, dem Inhalt des Textes und dem Kontext beeinflusst. Schließlich ist als Kontinuität mit den WR- und NS-Werken zu verbuchen, dass auch in den BRD-Werken literarische Vorlagen als Muster für die Gebrauchsprosa dienen. 4.3.1.2 Gemeinsamkeiten in der Sprachbetrachtung Die einzelnen Punkte im Sprach- und Stildiskurs haben auch in den BRDWerken gezeigt, dass die Darstellung und Betrachtung von Sprache und Stil dieselbe bleibt wie in den WR- und NS-Werken. Die Subjektivität ist weiterhin ausgeprägt, da die Mehrzahl der Aussagen der BRD-Stilautoren auf ihrem eigenen Standpunkt und Geschmack beruhen, entweder nicht
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begründet oder mit bloßen Behauptungen begründet werden. Weiterhin arbeiten die BRD-Stilautoren mit vereinfachten, schwarzweißen Gegensatzpaaren und einer emotionalen Ausdrucksweise. Wir können also wie in den WR- und NS- Werken von einer nicht differenzierenden, unkritischen Betrachtungsweise ausgehen.
4.3.2 Der Sprachkonservatismus in den BRD-Werken Im WR-Kapitel erarbeiteten wir eine Reihe von inhaltlichen Kriterien und Elementen, die den Sprachkonservatismus definieren (2.3.2). Wie die Diskussion des Sprach- und Stildiskurses gezeigt hat, können wir anhand der Präsentation der Argumente der BRD-Stilautoren feststellen, dass uns die drei Elemente der Subjektivität, der Schwarzweißmalerei und der Emotionalität unverändert in den BRD-Werken begegnen. Die Diskussion des Sprach- und Stildiskurses in den BRD-Werken lieferte inhaltlich auch keine neuen Einsichten oder Ansatzpunkte und greift die Elemente des Sprachkonservatismus auf. Alle Aussagen in den BRD-Werken sind schon aus den WR- oder NS-Werken bekannt. Die Grundhaltung bleibt gleich und verweist auf eine Kontinuität des Sprachkonservatismus in den laienlinguistischen Stillehren und Sprachratgebern von der Weimarer Republik bis in die sechziger Jahre der BRD. In den drei politischen Perioden bleiben die folgenden Aspekte im Grunde gleich: die positive Sicht und pädagogische Funktion der Sprachgeschichte, die Skepsis dem zeitgenössischen Sprachwandel gegenüber, das Festhalten an überlieferten Regeln der Sprachrichtigkeit, die Auffassung von Sprache als Lebewesen mit ihrer Bildersprache, die politische Funktion der deutschen Sprache als einheitsschaffendes, die Deutschen verbindendes Symbol, die Auffassung von Sprache und Stil als Ausdruck des Charakters sowie die Unantastbarkeit der Vorbildfunktion der kanonisierten Nationalliteratur mit den Hauptvertretern Goethe, Lessing und Schiller.196 Wie in den NS-Werken kommt es in den BRD-Werken allerdings zu einer Reihe von Färbungen oder Modifizierungen, die auf die Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse zurückzuführen sind. Das bedeutet, dass alles, was direkt und indirekt an den Nationalsozialismus erinnert, entfernt wird, und die vom Nationalsozialismus beeinflusste politische Funktion der Sprache überarbeitet wird. Eine direkte 'Entnazifizierung' findet auf sprachlicher Ebene statt. Der Sprachgebrauch wird auf nationalsozialistische Schlagwörter und Anspielungen überprüft und überarbeitet. Besonders das Wort 'Volk' fällt dem Rotstift zum Opfer und wird gar nicht oder mit dem unverfänglichen 196 Vgl. 2.3.2,3.3.2.
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Wort 'Gemeinschaft' ersetzt. Politische Sprachvorbilder des Nationalsozialismus wie Hitler und Goebbels werden gestrichen, ihr Platz wird mit den schon in den WR-Werken populären Dichtern und Schriftstellern Goethe oder Fichte gefüllt und nicht mit fuhrenden Politikern der BRD. Anklänge an nationalsozialistisch geförderte Ideen, wie der Ahnen-Kult in der Sprachgeschichte, werden entfernt. Auch der im Nationalsozialismus betont anti-intellektuelle Trend wird abgeschwächt, was sich an der wieder gefundenen Strenge in der Sprachrichtigkeit zeigt, die wiederum an die Haltung in den WR-Werken erinnert. Eine indirekte Entnazifizierung findet dadurch statt, dass die Verbindung zwischen politischer Führung und Sprachentwicklung in den BRDWerken gelöst wird. Es herrscht keine Erwartungshaltung mehr, dass die politische Führung die Sprachmission unterstützen würde, oder dass die neuen politischen Umstände Anlass zu Optimismus in der Sprachentwicklung gäben — im Gegenteil. In Bezug auf den Sprachzustand und den Fremdwortkampf herrscht wieder Untergangsstimmung wie in den WRWerken. Andererseits bedeutet die Lösung der Verbindung von politischer Führung und Sprachentwicklung, dass auch auf sprachlicher Ebene wieder Meinungsfreiheit herrscht und ungehindert Kritik geübt werden kann wie zur Zeit der Weimarer Republik. Es herrscht keine Notwendigkeit mehr, Entschuldigungen oder Erklärungen für den Sprachgebrauch der politischen Führung zu finden, der nicht in das sprachliche Idealbild passt. Schließlich versucht man im Rahmen der Anpassung, sich nicht nur auf politischer Ebene sondern auch auf sprachlicher Ebene in die Staatengemeinschaft einzufügen. Die aggressive Idee der deutschen Sprache als mögliches Machtmittel in der politischen Auseinandersetzung wird durch verallgemeinernde Aussagen über die Selbstbehauptung bedrohter Sprachen entschärft und entpolitisiert. Die im Nationalsozialismus verkündete Überlegenheit der deutschen Sprache weicht der Auffassung einer gleichwertigen deutschen Sprache im gleichberechtigten Nebeneinander der Sprachen, eine Idee, die in den WR-Werken schon von Engel formuliert wurde und in der BRD weiter ausgebaut wird. Obwohl der sprachliche Chauvinismus entfernt wird, bleiben das Konkurrenzdenken, der Sprachenstolz und die Liebe zur Muttersprache bestehen. Vielleicht beschreibt man die Färbungen und Modifizierungen in den NS- und BRD-Werken im Vergleich zum Ausgangspunkt der WR-Werke am besten mit einem Bild: Das Sprachpendel, das in einigen Punkten im Nationalsozialismus ausgeschlagen hatte, beruhigt sich in der BRD wieder und schlägt wieder im Takt, dessen Rhythmus meistens an die Weimarer Republik erinnert.
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Worin liegt also das Erbe des Nationalsozialismus in den Stillehren und Sprachratgebern der BRD? Welche Modifizierungen oder Färbungen wurden aus der 12-jährigen Diktatur übernommen? Betrachtet man die Untersuchungsergebnisse des Sprach- und Stildiskurses, dann stellt man fest, dass man seit den NS-Werken in Bezug auf den zeitgenössischen Sprachwandel mehr Toleranz gezeigt hat. Allerdings wird diese Toleranz im Nationalsozialismus und in der BRD von den als positiv eingestuften politischen und wirtschaftlichen Trends geprägt. In den NS-Werken handelte es sich um akzeptable Neu- und Modewörter der Technik, der Rassenlehre und der politischen Bewegung. In den BRD-Werken sind es Wörter, die die politische Integration Deutschlands implizieren und aus einem wirtschaftlich blühenden Industriezweig stammen. In dieser Hinsicht verhält man sich also durchaus opportun und schwimmt mit dem Strom der herrschenden politischen Verhältnisse. Wie der Stildiskurs und die einzelnen Stilanweisungen in den NS- und BRD-Werken gezeigt haben, wird seit den NS-Werken eine noch engere und detailliertere Verbindung zwischen Sprache und Charakter gezogen als in den WR-Werken, wobei bestimmte Sprach- und Stilformen für konkrete menschliche Eigenschaften und Tugenden stehen. Dabei dominieren die Tatkraft und der Handlungsdrang; verstärkt gefordert werden von den Stilautoren über das Medium Sprache aber auch Mut, Selbstbewusstsein, Stärke, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, also Tugenden, deren Ursprung nicht im Nationalsozialismus liegt, sondern die sich teilweise schon im Germanenmythos früherer Jahrhunderte finden (vgl. 2.1.5.2). Unabhängig von den politischen Verhältnissen lebt allerdings eine Tendenz weiter, die sich eindeutig aus dem Zeitraum des Nationalsozialismus vererbt hat, und zwar die ausgeprägte Auffassung von Sprache als Lebewesen mit ihrem vermehrten Gebrauch krasser Bilder aus der Medizin und der Natur sowie der Betonung von Kraft und Lebendigkeit der Sprache. Diese Verrohung des Sprachgebrauchs, die ja schon Thierfelder andeutete, ist ein im Unterbewusstsein nachwirkendes Erbe, denn der offensichtlich nationalsozialistische Sprachgebrauch wurde ja bewusst entfernt, wie wir oben sahen. Das Uberleben dieser zugespitzten Bildersprache könnte man damit erklären, dass sie den leidenschaftlichen, sprachmissionarischen Nerv im Sprachkonservatismus getroffen hat. Bevor wir uns nun fragen, wie die Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken zu erklären ist, gilt es, einen Blick in den Osten Deutschlands zu werfen und herauszuarbeiten, ob sich der Sprachkonservatismus im Untersuchungszeitraum auch in den populären Sprachratgebern und Stillehren DDR hält.
5 Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965) Eduard Koelwel, Wegweiser ψ einem guten deutschen Stil (Leipzig: V E B Bibliographisches Institut, 1954). Georg Möller, Guter Stil im Alltag — Eine neuartige Satvfyauschule (Leipzig: Verlag Enzyklopädie, 1958). Eduard Koelwel, Helmut Ludwig, Gepflegtes Deutsch, 3. Auflage, (Leipzig: V E B Verlag Enzyklopädie, 1964). 1 Dieter Faulseit, Gutes und schlechtes Deutsch (Einige Kapitel praktischer Sprachpflege), (Leipzig: V E B Bibliographisches Institut, 1965). Im folgenden Kapitel wird untersucht, inwieweit der in den WR-, NS- und BRD-Werken festgestellte Sprachkonservatismus in den Sprachratgebern und Stillehren der jungen D D R weiterlebt. Die Kontinuitäten und Unterschiede werden herausgearbeitet, indem die Meinungen und Ansichten der DDR-Stilautoren zu den einzelnen Aspekten des Sprach- und Stildiskurses mit denen der WR-, NS- und BRD-Stilautoren verglichen werden. Bei eventuellen Unterschieden wird erarbeitet, inwieweit sie auf die veränderten politischen Verhältnisse zurückzuführen sind. Wie eingangs erwähnt wurde (1.4.2.4), kann nicht nachgewiesen werden, ob und inwieweit die seit der Weimarer Republik 'kontinuierlich aufgelegten Werke' in der D D R verkauft wurden oder für die Bevölkerung allgemein zugänglich waren. Daher wurde eine Auswahl von vier populären Stillehren und Sprachratgebern getroffen, die im Untersuchungszeitraum in der D D R neu erschienen sind.
1
Die 3. Auflage ist ein unveränderter Nachdruck der 1. Auflage von 1962, vgl. Nickisch 1975:190. Das Werk wird als Koelwel & Ludwig zitiert, d. h. ein „&"-Zeichen wird verwendet. Ein Schrägstrich „ / " konnte zwischen den beiden Autorennamen nicht verwendet werden, da er zur Kennzeichnung des Uberarbeiters/ursprünglichen Verfassers dient, ζ. B. Stubenrauch/Wustmann, siehe 1.4.2.
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
5.1 Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren 5.1.1 Sprachzustand Im Gegensatz zu den WR- und BRD-Werken aber im Einklang mit drei NS-Werken gibt es in den DDR-Werken keine Sprachverfallsklage. Möller stellt einleitend lediglich fest, dass Sprachsünden in der Presse diskutiert würden. 2 Wie in den NS-Werken betonen die DDR-Stilautoren positive Aspekte in den neuen politischen Verhältnissen. Koelwel und Faulseit stellen ein verstärktes Streben nach gutem Deutsch fest.3 Möller lobt die Fortschritte im Deutschunterricht, der die Kinder zum freien, ungezwungenen Gebrauch der Muttersprache hinleite.4 Koelwel & Ludwig diagnostizieren allgemein ein erhöhtes Sprachbewusstsein, das den Wunsch nach Sprachpflege und gutem Stil fördere. 5 Diese sprachpflegerisch vorbildliche Haltung führen sie darauf zurück, dass Wissenschafder, Schriftsteller, Funktionäre und Werktätige im Arbeiter-und-Bauern-Staat es sich in den Anfangsjahren der DDR zur Aufgabe gemacht hätten, den Notstand der Sprache zu bekämpfen und heute Lehrer, Dozenten, Lektoren, Professoren, „namenlose schreibende Arbeiter und Genossenschaftsbauern" und unzählige Sprachfreunde aus allen Schichten des Volkes vorbildliche Spracharbeit leisteten. 6 Faulseit macht darauf aufmerksam, dass sich die Republik zum Ziel gesetzt habe, Vorbild für ganz Deutschland zu sein, und daher auch in der Sprachpflege mit bestem Beispiel vorangehe, „um eine hohe Sprachkultur zu erreichen." 7 Dieser Aspekt stellt insofern eine Parallele zur NS-Zeit dar, da in beiden Epochen die Sprachverfallsklage der WR- und BRD-Werke einer positiven Beurteilung des Sprachzustandes weicht. Während die NSWerke eher eine optimistische Sicht der sprachlichen Zukunft vermitteln, stellen die DDR-Werke den Sprachzustand schon als verbessert und gut dar. In beiden totalitären Regimes besteht die Wechselwirkung zwischen politischem System und der Beurteilung des Sprachzustandes darin, den positiven Einfluss der herrschenden politischen Verhältnisse durch ein 2
Möller 1958:7 (Kritik an Verben wie „auslasten, auswerten, durchfuhren" und an der Häufung von ,,-ung" Wörtern). Keine Verweise auf einen schlechten Sprachzustand im Vorwort, vgl. Koelwel 1954:6-8. Koelwel & Ludwig 1964:7. Faulseit 1965:5-6.
3
Koelwel 1954:8. Faulseit 1965:5.
4
Möller 1958:7.
5
Koelwel & Ludwig 1964:7.
6
Koelwel & Ludwig 1964:70-71.
7
Faulseit 1965:5. Ebenso Koelwel & Ludwig 1964:71, 72 (Sprache sei „ein Werkzeug der Kultur", das ,,wertvollste[...] Kulturgut").
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
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vermeintlich erhöhtes Sprachbewusstsein im Volk und durch ein verstärktes Streben nach gutem Deutsch auszuweisen. Im Gegensatz zu den Werken der anderen Epochen, in denen abstrakt vom Volk gesprochen wurde, wird das Volk in den DDR-Werken durch eine Aufzählung verschiedener Schichten definiert. Allerdings gibt es auch in den DDR-Werken nach wie vor die Kontinuität, dass die DDR-Stilautoren ihre Behauptungen zum Sprachzustand nicht belegen. Schließlich verweist Faulseits Bemerkung über das Ziel der hohen Sprachkultur in der DDR und die sprachliche Vorbildlichkeit der DDR für ganz Deutschland auf die Rivalität um den sprachlichen Führungsanspruch in den beiden Teilen Deutschlands. 8 5.1.2 Sprachgeschichte 5.1.2.1 Verklärte Sicht der Sprachvergangenheit? Im Gegensatz zu den anderen drei Epochen gibt es die verklärte Sicht einer vage definierten Sprachvergangenheit in den DDR-Werken nicht mehr. Koelwel erwähnt zwar an einer Stelle den lebhaften Vokalwechsel der „alten deutschen Sprache" 9 aber Möller geht kaum in die Vergangenheit zurück, wenn er die vermeintlich bessere Ausdrucksweise der älteren Generation durch einen breiteren Wortschatz lobt.10 Konkrete Zeitangaben über positive Sprachformen und Sprachereignisse der Vergangenheit liefern Faulseit und Koelwel & Ludwig, wenn sie die „volksnahen Minnesängerlieder" des 12. Jahrhunderts als „schlicht, wahrhaftig und innig-dichterisch" preisen.11 Luthers Bibelübersetzung habe im 16. Jahrhundert wesentlich zur Verbreitung der gemeinen deutschen Sprache beigetragen und sei ein Zeichen dafür, dass die starke Volkssprache über die volksfremde Kanzleisprache gesiegt habe. 12 Im 8
Die DDR behauptet in den 50er und besonders in den 60er Jahren, der wahre Vertreter der deutschen Sprache zu sein, da sich dort die deutsche Sprache progressiv weiterentwickle, während das Deutsch in der BRD durch den politischen Einfluss der USA fest in der faschistisch-kapitalistischen Tradition verankert sei. Vgl. Dirk Bauer, „Zwei deutsche Staaten! - zwei deutsche Sprachen?" Deutsche Sprache 18 (1990), 218-240 (S. 222-3). Zur selben Zeit erklärt die BRD, sie sei „das wahre Zuhause der deutschen Sprache" und betrachtet die Sprache in der DDR als Sowjetdeutsch, das von der ideologischen Herrschaft befreit werden müsse. Vgl. Michael Townson, "East German — West German: Two Languages or One?", Modern German Studies 4 (1984), 38-49 (S. 41).
9 10
Koelwel 1954:73. Möller 1958:45. Dadurch würden blasse, hilflose Ausdrücke vermieden. So sei bspw. ein Protokoll „fähren" besser als ein Protokoll „machen". Koelwel & Ludwig 1964:12. Faulseit 1965:36. Koelwel & Ludwig 1964:14, 31.
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Gegensatz zu den Stillehren und Sprachratgebern der anderen drei Epochen wird die Zeit der Klassiker in den DDR-Werken nicht als sprachliche Blütezeit hervorgehoben, obwohl Lessing, Goethe und Schiller mit anderen Schriftstellern wie Friedrich Engels, Franz Mehring und Kurt Tucholsky als große Dichter und verantwortungsbewusste Menschen für ihre sprachfördernden Leistungen gelobt werden. 13 Koelwel und Möller betonen die zentrale Rolle des Volkes in der Sprachentwicklung der Vergangenheit. Koelwel beschreibt Jean Pauls Kampf gegen das Binde —s als vergeblich, weil ihn das Volk als treibende Sprachkraft nicht unterstützt habe. 14 Für Möller hat das Volk einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Schriftsprache gehabt: D e m S c h r i f t d e u t s c h d r o h t f o r t w ä h r e n d die G e f a h r der Erstarrung, u n d die G e schichte u n s e r e r S p r a c h e u n d Literatur zeigt, d a ß P e r i o d e n solcher E r s t a r r u n g d u r c h B e s i n n u n g a u f die lebendige m ü n d l i c h e S p r a c h e des V o l k e s ü b e r w u n d e n w u r d e n . Sicherlich ist die g e s p r o c h e n e S p r a c h e d e r J u n g b r u n n e n f ü r die g e h o b e ne U m g a n g s - u n d die Literatursprache. 1 5
Danach gebührt dem Volk als Motor für die Sprachentwicklung der Vergangenheit ein ebenso großes Lob wie den Klassikern. Wie die obigen Belege zeigen, kommt es bei dem Aspekt der Sprachgeschichte zu einigen Veränderungen in den DDR-Werken. Die in den WR-, NS- und BRD-Werken festgestellte Kontinuität der verklärten Sicht der Sprachvergangenheit gibt es nicht mehr. In diesem Zusammenhang entfallen dann auch sprachgeschichtliche Erläuterungen zur sprachlichen Belehrung (siehe 5.1.2.3). Das deutet auf eine Lösung vom Mythos des goldenen Sprachzeitalters, den wir in den Werken der anderen Epochen feststellten. Diese Lösung ist mit der neuen, von der kommunistischen Ideologie beeinflussten Interpretation der Geschichte zu erklären. Die traditionelle, 'spießige' Sichtweise einer glorifizierten Sprachvergangenheit ist nicht mehr angebracht, da es im Kommunismus keine glorreiche Vergangenheit in früheren, das Volk unterdrückenden und ausbeutenden Gesellschaftsstrukturen geben kann. Die glorreiche Sprachzeit bricht erst mit dem neuen System an. Ideologisch lässt sich auch die Betonung der Rolle der Volkssprache im Zusammenhang mit der Sprachvergangenheit begründen. Dabei geht es darum, positive Sprachformen als 'volksnah' oder 'aus dem Volke 13
Faulseit 1965:37 (Friedrich Engels, Franz Mehring, Kurt Tucholsky, Franz Carl Weiskopf, Johannes R. Becher). Koelwel & Ludwig 1964:42, 47, 48, 31-60 (Lob der sprachpflegerischen Aktivitäten und Leistungen von Christian Thomasius, Grimmelshausen, Gottsched, Adelung, Campe, Wieland, Jean Paul, Heine, Georg Herwegh, Georg Büchner, Kleist, Hölderlin, den Gebrüdern Grimm, Wustmann, Schopenhauer, Konrad Duden, Franz Dornseiff).
14
Koelwel 1954:15-16.
15
Möller 1958:112.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
stammend' auszuweisen und die Macht des Volkes in der Sprachentwicklung herauszustellen. Ob der Minnesang des 12. Jahrhunderts mit seiner Herkunft in der höfischen Ritterliteratur wirklich die angegebene Volksnähe besaß, ist fraglich. 16 Luther wird nicht mehr als Begründer des Neuhochdeutschen gerühmt, sondern als Sprachrohr für die schon existente, positiv bewertete Sprache des Volkes dargestellt. Die nicht aus dem Arbeiter-und-Bauern-Stand stammenden Klassiker Goethe, Lessing und Schiller werden zwar weiterhin gelobt, verlieren aber in der sprachgeschichtlichen Darstellung ihr Gütesiegel des sprachlichen Höhepunktes und müssen sich zu anderen Größen und Vorbildern reihen. Zudem wird dem Volk aufgrund seiner Antriebs- oder Bremsfunktion in der Sprachentwicklung die Rolle des Richters zugesprochen. 5.1.2.2 Der Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit Wie in den WR-, NS- und BRD-Werken findet sich auch in den DDRWerken die negative Beurteilung des Einflusses der lateinischen und französischen Sprache auf das Deutsche bei Koelwel, Koelwel & Ludwig und Faulseit.17 Allerdings spielen sprachliche Probleme in diesem Zusammenhang eine zweitrangige Rolle, im Vordergrund stehen das Volksfremde' Element dieses Einflusses und seine gesellschaftlichen Konsequenzen. Koelwel & Ludwig weisen darauf hin, dass Latein im Mittelalter zur Sprache des Klerus geworden sei, zur „Sprache einer gewissen Bildungsschicht", die das Volk ausgeschlossen habe.18 Im 17. Jahrhundert habe sich aus dem mit Latein vermanschten Deutsch der Rechtsgelehrten „eine geschraubte, volksfremde Ausdrucksweise" entwickelt. 19 Für Faulseit und Koelwel & Ludwig liegt der Grund für den Einfluss der französischen Sprache im 17. Jahrhundert im Verhalten der deutschen Adligen: „An den deutschen Fürstenhöfen und —höfchen fanden Wesen und Treiben des französischen Hofes rückhaldose Bewunderung und sklavische Nachahmung, und die charakterlose Bürgerschaft schloß sich diesem Tun in Sit-
16 17
18 19
Vgl. Werner König, dtv-Atlas Deutsche Sprache, 12. Auflage (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998), S. 79. Koelwel 1954:46 (gegen das Gerundivum wie bspw. das zu lesende Buch), 52 (gegen das lateinische Consecutio Temporum im Deutschen). Koelwel & Ludwig 1964:13 (gegen die übernommene Infinitivendung -ieren), 14 (gegen den Einfluss des Französischen im 30jährigen Krieg). Faulseit 1965:36. Koelwel & Ludwig 1964:11. Koelwel & Ludwig 1964:14. Versteckte Wissenschaftsschelte bei Möller (1958:9), der beklagt, dass ein Großteil der deutschen wissenschaftlichen Literatur des vorigen Jahrhunderts ohne Rücksicht auf den Leser geschrieben worden sei und daher außerordentlich schwer verständlich gewesen sei.
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ten und Sprache an."20 Koelwel & Ludwig bezeichnen die Bemühungen des Fürsten von Anhalt-Köthen und seiner Fruchtbringenden Gesellschaft, die Überfremdung der deutschen Sprache zu bekämpfen, als „vornehme Vereinsmeierei". Die wichtigsten Sprachpfleger seien Bürgerliche gewesen, während die „pompösen Namen und Titel der großen Schar von Grafen und Fürsten" längst vergessen seien.21 In Bezug auf den Fremdsprachenkontakt der Vergangenheit findet in den DDR-Werken eine Verlagerung von den sprachlichen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen statt, da die sprachlichen Aspekte im Gegensatz zu den anderen drei Epochen kaum diskutiert werden. Der Sprachenkontakt der Vergangenheit wird mit dem kommunistischen Verständnis einer das Volk unterdrückenden Klassengesellschaft interpretiert. Die Darstellung des Sprachenkontaktes der Vergangenheit fungiert mit seiner Kritik des Klerus, der Rechtsgelehrten, der Adligen und der die Adligen nachahmenden Bürgerschaft als Medium zur Verbreitung der kommunistischen Gesellschaftsideologie. 5.1.2.3 Die Sprachgeschichte zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen? Im Gegensatz zu den WR-, NS- und BRD-Werken finden sich keine sprachgeschichtlichen Erläuterungen zur Erklärung sprachlicher und stilistischer Fragen zur Belehrung in den DDR-Werken. 22 Das Wegfallen lässt sich mit der veränderten Sicht der Sprachgeschichte erklären. Es lässt sich also feststellen, dass die herrschende politische Ideologie die Sicht der Sprachgeschichte beeinflusst.
5.1.3 Zeitgenössischer Sprachwandel Alle DDR-Stilautoren sind sich darüber einig, dass Sprache und Stil einem ständigen Wandel unterliegen und geben sich in diesem Punkt tolerant.23 Nach Möller schaffe die Sprache neue sinnvolle Ausdrucksweisen, die man nicht pedantisch ablehnen dürfe, nur weil sie ungewohnt seien. In diesem Sinne sei „abgeben in" statt „an" im folgenden Satz richtig: „Der
20 21 22 23
Koelwel & Ludwig 1964:16. Faulseit 1965:36. Koelwel & Ludwig 1964:49, 19. Mit Ausnahme der Vorbilder-Sprache bei Koelwel 1954 (siehe 5.2.3). Koelwel 1954:11, 17. Auf S. 39 akzeptiert Koelwel bspw. aufgrund des Sprachwandels „trotzdem" an Stelle von „obwohl". Möller 1958:50. Koelwel & Ludwig 1964:10. Faulseit 1965:10,129.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
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vom VEB Möve-Werk erzeugte Strom wird in das öffentliche Netz abgegeben." 24 In diesem Punkt scheint sich in den DDR-Werken tatsächlich ein Wandel im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken zu vollziehen, da Koelwel als Einziger den zeitgenössischen Sprachwandel an einigen Stellen kritisiert und seine Aussagen, wie seine Ablehnung von „würde" im Bedingungssatz 25 oder vom Ausdruck „ab Montag" 26 gar nicht oder mit subjektiven „Gefuhlsmomentefn]" begründet, die bei der guten Ausdrucksweise wichtig seien.27 In den Werken von Faulseit und Koelwel & Ludwig findet sich keine Kritik am zeitgenössischen Sprachwandel. Während BRD-Stilautor Thierfelder in Sprachfragen die Unterordnung des Volkes unter eine anerkannte Führung fordert, wird in den DDR-Werken die maßgebende Rolle des Volkes beim Sprachwandel betont. Möller meint: „Hier trifft jeder, der Sprache schriftlich niederlegt, echte Entscheidungen! Wie wir uns heute gewöhnen, Sprache zu gebrauchen, so wird sie morgen aussehen!" 28 Es sei „das sprachliche Empfinden [des] Volkes", das die Sprachentwicklung beeinflusse. 29 Koelwel, Möller und Koelwel & Ludwig preisen zudem die WortbildungsFähigkeiten des Volkes. 30 Die „namenlosen" Wortschöpfer, die „Ungenannten aus dem Volk", seien in der Gegenwart am Werk. „Sie formen heute, den Sinn in eine hellere Zukunft gerichtet, erfreulichere Wörter als damals [zur Zeit des Hiderfaschismus] (etwa Ferienspiele, Freundschaftsrat, Friedenslager [...]). Das Volk prägt nicht nur die neue Zeit, es prägt auch das neue Wort." 31 Das Thema der Mode- und Neuwörter spielt in den DDR-Werken keine sehr große Rolle mehr, da die DDR-Stilautoren sich entweder nicht oder in sehr geringem Umfang dazu äußern. Für Möller und Faulseit ist dieses Thema kein zentraler Aspekt für gutes Deutsch, da sie es nicht behandeln. 32 Für Koelwel gehören Modewörter oder „Klischeewörter" auf die schwarze Liste und sind ein Ausdruck von „Unkultur". 33 Koelwel 24 25 26 27 28 29 30 31 32
33
Möller 1958:50. Koelwel 1954:37. Möller (1958:82-83) lehnt ebenfalls „würde" im Bedingungssatz ab. Koelwel 1954:35. Weitere Kritik auf S. 24, 27, 28-29, 30-31, 33. Koelwel 1954:39. Möller 1958:28. Möller 1958:45. Koelwel 1954:20, 76. Möller 1958:31. Koelwel & Ludwig 1964:60-61. Weiteres Lob des Volkes auf S. 28 (gutes Sprachempfinden für Verdeutschungen). Möller und Faulseit äußern sich nicht zu Mode- oder Neuwörtern. Faulseit (1965:67) erwähnt lediglich im Zusammenhang mit der Dingwortkrankheit „das nichtssagende Modewort erfolgen." Koelwel 1954:55. Als Beispiele zitiert er u. a. „Engpaß, letzten Endes, geht in Ordnung."
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
& Ludwig plädieren für die Abkehr von Modewörtern und definieren sie als meist längst bekannte Wörter, die nur in anderem Zusammenhang und gelegentlich mit veränderter Bedeutung allzu häufig gebraucht würden (z. B. „entwickeln", „ansprechen" und „durchführen"). 34 Sie unterscheiden zwischen Modewörtern und „wirklich neue[n] Wörtern" wie „volkseigen, selbstkritisch, weltweit, Neuerer, Bestarbeiter, Friedensfreund", die sie willkommen heißen. 35 Bei Koelwel & Ludwig fällt auf, dass sie in ihrem Sprachratgeber versuchen, eine sprachliche Definition der Modewörter zu geben, und dass sie sie nicht in emotionalisierender Sprache verurteilen, wie es bisher in den anderen Epochen geschah. Wie in den NS- und BRD-Werken steht die Beurteilung der Neuwörter im direkten Zusammenhang mit der politisch-ideologischen und wirtschaftlichen Situation. Als positiv werden Neuwörter gewertet, die eigene, vermeintlich gute oder wichtige Einrichtungen, Institutionen, Aspekte und Ideen reflektieren. Während BRD-Stilautor Schulze/Wustmann das Thema der politischen Modewörter zum Anlass nimmt, um eine Reihe von ostdeutschen Wörtern zu kritisieren, benutzen DDR-Stilautoren Koelwel & Ludwig das Thema der modischen Abkürzungswörter dazu, um westdeutsche Prägungen zu kritisieren. Sie geben zwar zu, dass es auch in der DDR hässliche Abkürzungswörter gebe, behaupten jedoch, dass der „Wortverstümmelungswahn" in der BRD weitaus schlimmer sei als in der DDR, da man in der BRD Verzeichnisse herausbringen müsse, die bis zu zweitausend Abkürzungen enthielten.36 Die Behauptung über das schlechte Abschneiden der BRD beim Gebrauch der Abkürzungswörter in beiden Teilen Deutschlands untermauert wiederum als Ausdruck der sprachlichen OstWest-Debatte den Anspruch der DDR, auf sprachlicher Ebene besser, also führend, zu sein. In Bezug auf den Aspekt des zeitgenössischen Sprachwandels können wir also feststellen, dass sich in den DDR-Werken tatsächlich eine Änderung abzeichnet. Mit der Ausnahme von Koelwel (1954), der mit seiner subjektiv-präskriptiven Haltung zu den BRD-Stilautoren passt, gibt es konkrete Ansätze dafür, den Sprachwandel zu beobachten und ihn nicht zu be- oder verurteilen. Faulseit schenkt diesem Thema keine Beachtung. Möller und Koelwel & Ludwig machen deutlich, dass sie nicht den in den BRD-Werken festgestellten Anspruch der Präskription erheben, sondern dass sie das Volk als entscheidenden Sprachgestalter betrachten. Im Ge34
Koelwel & Ludwig 1964:75, 77-79. Auf S. 76-77, 81 heißt es, Modewörter entstünden durch Gedankenlosigkeit oder Denkträgheit und führten zu einer „sprachlichen Entwertung", zum Zusammenschrumpfen des Wortschatzes und einer verblassten Anschaulichkeit der Rede.
35
Koelwel & Ludwig 1964:76.
36
Koelwel & Ludwig 1964:87-89.
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gensatz zu den BRD-Stilautoren fordern oder implizieren sie nicht, als Sprachexperten das letzte Wort zu haben, sondern stellen die Verdienste des Volkes in der sprachlichen Entwicklung heraus, wie bspw. bei der Neuwortprägung durch das „namenlose" Volk. Beide Aspekte, die Rolle des Volkes und die mangelnde Kritik am zeitgenössischen Sprachwandel können mit den herrschenden politischen Verhältnissen erklärt werden. Die kommunistische Ideologie stellt die Verdienste des Volkes in jeder Hinsicht in den Mittelpunkt, und in einer Diktatur ist Sprachkritik, die auf zeitgenössische Prägungen des Systems abzielt, zu gefährlich.
5.1.4 Sprachrichtigkeit 5.1.4.1 Sprachrichtigkeit und Grammatik Wie in den WR-, NS- und BRD-Werken sind für die DDR-Stilautoren die Sprachrichtigkeit, bzw. das Erlernen der Grammatik und die Einhaltung der „sprachlich-stilistischen Grundregeln" wichtig. 37 Die Forderung nach Einhaltung der Sprachgesetze stellt also eine Kontinuität in allen vier Epochen dar. Allerdings warnen Möller und Koelwel & Ludwig ausdrücklich vor einer „pedantischen Einstellung zur Muttersprache", bzw. davor, die Unterscheidung von richtig und falsch oder gut und schlecht mit dem pedantischen Einhalten von grammatischen Regeln zu verwechseln, da diese nicht immer logisch seien.38 Auf diese Warnung vor der Unlogik der Sprache trafen wir auch in den anderen Zeiträumen (das Zweifelhafte bei WR-Stilautor Engel, NS/BRD-Stilautor Reiners). Die Rüge von Sprachfehlern erscheint im Vergleich zu der strengen Haltung in den WR- und BRD-Werken und auch zu der gelockerten Haltung in den NS-Werken abgeschwächter, da nur an wenigen Stellen grammatische Fehler in den DDR-Werken gerügt werden. In den vier DDR-Werken erscheinen insgesamt nur drei vertraute Bezeichnungen: Fehler seien eine „Sprachschlamperei", eine „Sünde" oder „häßlich". 39 Dazu gesellt sich Faulseits Vorwurf der „Liederlichkeit" bei Zeichensetzungsfehlern und seine Warnung vor peinlichen Rechtschreibefehlern als 37
Koelwel 1954:8, 13, 77. Koelwel & Ludwig 1964:65. Faulseit 1965:6. Möller 1958:41.
38
Möller 1958:41. Koelwel & Ludwig 1964:65-67, Beispiele auf S. 66 (Komparativ): Ein älterer Arbeiter sei stets jünger als ein alter Arbeiter, während ein junger Arbeiter immer jünger als ein jüngerer Arbeiter sei. A u f S. 67 (Geschlecht): Fräulein Werner ist krank, sie (nicht „es") kommt nicht zur Arbeit; die Wache der Nationalen Volksarmee besteht aus Männern.
39
Koelwel 1954:49, 26 („Sprachschlamperei, häßlich"). MöUer 1958:28 („Schlamperei"). Möller 1958:41 (Regelverletzungen werden implizit als „Sprach- und Sprechsünden" dargestellt). Faulseit 1965:50 („Sprachsünder").
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Zeichen mangelnder Bildung.40 Die Tatsache, dass die Fehlerrüge aufgrund selten gewordener und milder Schelte stark abgeschwächt ist, könnte auf mehr Toleranz in der Sprachbeobachtung deuten oder darauf, dass Sprachfehler nicht mehr als sittlicher Verfall betrachtet werden. Vergeblich sucht man nach den „schweren Entartungserscheinungen" der WRWerke, nach den „unerträglichen und besonders hässlichen Fehlern" der NS-Werke oder dem „sprachlichen Kapitalverbrechen" der BRD-Werke. Der Versuch, Begründungen für die Einhaltung der Sprachregeln zu finden, scheint in den DDR-Werken ausgeprägter zu sein als in den Werken anderer Epochen, wo diese Begründungen nur vereinzelt auftreten. Die DDR-Stilautoren führen verschiedene Argumente an. Koelwel und Faulseit betrachten die Einhaltung der Sprachregeln als Voraussetzung für einen guten Stil.41 Koelwel geht davon aus, dass die Grammatik die gemeinsame Sprache trotz des unterschiedlichen Wortgebrauchs in einzelnen Provinzen und Bevölkerungsschichten in einem Land zusammenhält.42 Außerdem betont er die Grammatik als eine intellektuelle Leistung des Menschen, vor der man Achtung haben sollte: „Die Grammatik ist das Ergebnis einer langen abstrahierenden Arbeit des menschlichen Denkens, ein Gradmesser für die gewaltigen Erfolge des Denkens." 43 Möller plädiert für die Einhaltung der Gesetze aus „Achtung vor der Nationalsprache".44 Faulseit schafft eine Analogie: „So wie der Mensch sich an die gesellschaftlichen Normen des Zusammenlebens zu halten hat, so hat sich auch das einzelne Wort, sobald es in die Wortverbindung eintritt, nach den Gesetzmäßigkeiten und Regeln dieser Wortgesellschaft' zu richten."45 Im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken versuchen die DDRStilautoren also die Einhaltung der Sprachregeln mit sprachlichen, politischen und intellektuellen Argumenten zu begründen und nicht einfach zu fordern. Im Unterschied zu den Werken anderer Epochen verliert sich die ausgesprochene Vorbild- und Leitfunktion der Dichter und Schriftsteller in Bezug auf die Sprachrichtigkeit. Nur bei Möller wird diese Rolle noch angedeutet, wenn es heißt: „Wenn selbst namhafte Schriftsteller und Redner gegen die 'Regel' verstoßen - kann man dann überhaupt noch von 40 41 42 43
44 45
Faulseit 1965:117, 131. Auf S. 114 ist er für die Einhaltung von Rechtschreibe- und Zeichensetzungsregeln. Koelwel 1954:13. Faulseit 1965:6. Wie WR-Sülautor Engel 1931:V-VI, siehe 2.2. Koelwel 1954:8. Koelwel bezieht sich hier auf Stalin. Koelwel 1954:77 (Stalin-Zitat). Diese Begründung erinnert teilweise an BRD-Stilautor Thierfelder, der die Erstellung der Grammatik konkret als Leistung der Germanisten ausweist, siehe 4.1.4.1. Möller 1958:28. Faulseit 1965:46. Verwandt mit der Forderung nach Ordnung von NS-/BRD-Stilautor Reiners, vgl. 3.2.3.2.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
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'Regel' sprechen?" 46 An die Stelle der Dichter und Schriftsteller tritt in den DDR-Werken das Volk. Wie schon im zeitgenössischen Sprachwandel angedeutet, messen die DDR-Stilautoren dem Volk nicht nur eine entscheidende Rolle in der Sprachentwicklung sondern auch hinsichtlich der Sprachrichtigkeit zu, indem sie die Autorität des Sprachgebrauchs im Gegensatz zu den WR-, NS- und BRD-Stilautoren anerkennen. Nach Koelwel setzt der Sprachgebrauch bestimmte Regeln durch und entscheidet sich für bestimmte Fügungen. 47 Möller betont die Wichtigkeit eines jeden Sprachteilnehmers. Jeder entscheide mit, wie das Deutsch von morgen aussehe. Allerdings erfordere diese Teilnahme, mit den Normen vertraut zu sein.48 „Als richtig hat zu gelten, was sich im Laufe der Sprachentwicklung durchgesetzt hat und üblich geworden ist." 49 Koelwel & Ludwig bezeichnen den „Sprachgebrauch" als „obersten Richter in allen Entscheidungsfragen". 50 Es deutet auf eine Verschiebung zur Sprachbeobachtung der Alltagssprache hin, wenn die Dichter und Schriftsteller ihre Führungsposition als Vorbilder in Bezug auf die Sprachrichtigkeit verlieren und an ihre Stelle der Sprachgebrauch des Volkes tritt. Diese Verschiebung ist durch die herrschenden politischen Verhältnisse ideologisch motiviert. 5.1.4.2 Sprachrichtigkeit und Sprachgefühl DDR-Stilautor Koelwel stellt den schon aus anderen Epochen bekannten Zusammenhang zwischen dem Sprachgefühl oder der Intuition und der Sprachrichtigkeit her. Ein „richtiges" Sprachgefühl führe zu richtigem Deutsch und gutem Stil, mangelndes Sprachgefühl zu Deutschfehlern. 51 Er betont den sicheren Sprachinstinkt und das gut entwickelte Sprachgefühl des Volkes. 52 DDR-Stilautor Möller betont das Lernen in Bezug auf das Sprachgefühl. Das Sprachgefühl oder muttersprachliche Empfinden beruhe darauf,
46
Möller 1958:80. A u f S. 41 bezeichnet er die Dichter allerdings als „berufene[...] Sprachschöpfer".
47
Koelwel 1954:31, 52.
48
Möller 1958:80.
49
Möller 1958:48.
50
Koelwel & Ludwig 1964:69.
51
Koelwel 1954:26, 5 1 , 4 7 .
52
Koelwel 1954:32, 50.
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Sprachratgeber und Stillehren in der D D R (1949-1965)
dass man Deutsch als Muttersprache gelernt habe. 53 Sprachrichtigkeit erwerbe man ebenfalls durch das Lesen guter Literatur.54 In den sechziger Jahren lassen DDR-Stilautoren Koelwel & Ludwig und Faulseit das Sprachgefühl nicht mehr uneingeschränkt als Weg zur Sprachrichtigkeit gelten. Nach Faulseit könne es zwar zum richtigen und guten Deutsch verhelfen, bspw. bei der Beugung der Wörter und beim Ausdruck,55 andererseits reiche es nicht aus: „Das 'Sprachgefühl', auf das sich so mancher beruft, tut es allein noch nicht; es kann uns trügen. Unser Sprachgefühl muß sich mit sicheren sprachlich-stilistischen Kenntnissen paaren, wenn wir gutes Deutsch sprechen und schreiben wollen." 56 Auch Koelwel & Ludwig vertreten 1964 die Ansicht, dass das Sprachgefühl über Schwierigkeiten hinweghelfen könne, aber: „Ganz sicher im Schreiben ist aber nur der, der sich in der Grammatik auskennt. Sprachgefühl ist gut; Grammatikkenntnisse sind besser." 57 In Bezug auf das Sprachgefühl kommt es in drei DDR-Werken demnach zu einer Änderung im Vergleich zu den anderen Epochen. Es wird durch zwei Aspekte quasi entmythologisiert. Einmal wird der Erwerb des Sprachgefühls als Lernprozess dargestellt, und dann wird das Sprachgefühl in den sechziger Jahren der bewussten, angelernten Sprachkompetenz untergeordnet. Durch diese neue Sicht des Sprachgefühls entfallen dort dann auch die gefühlsorientierten, subjektiven Begründungen für Sprachregeln.
5.1.5 Organismuskonzept: Sprache als Lebewesen 5.1.5.1 Bildersprache aus der Natur und Medizin Obwohl alle DDR-Stilautoren die Sprache als Lebewesen betrachten und Bilder und Vergleiche gebrauchen, geht dieser Sprachgebrauch in den DDR-Werken im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken anzahlmäßig auffallend zurück.58 Aus der Natur liefern Blumen für drei D D R 53
Möller 1958:15, 81.
54
Möller 1958:47 (Sicherheit in Bezug auf stehende Wendungen und Wortverbindungen und Präpositionen), S. 48 (über Fehler, wie z. B. falsche Präpositionen, die durch geringe Belesenheit entstünden).
55
Faulseit 1965:46-47, 50, 67.
56
Faulseit 1965:133.
57
Koelwel & Ludwig 1964:70.
58
Anzahl der Vergleiche und Bilder wurden bei den DDR-Stilautoren gezählt, weil es so wenige gibt - insgesamt: 38. Koelwel 1954 (9x): 7, 23, 39, 40, 55, 56, 74, 130, 138. Möller 1958 (8x): 27, 31, 32, 45, 47, 49, 57, 88). Koelwel & Ludwig 1964 (12x): 7, 62, 66, 76, 81, 86, 91, 94, 95, 98, 99, 102). Faulseit 1965 (9x): 13-14, 19, 51, 54, 55, 67 (2x), 68, 119. Im Durchschnitt gebraucht jeder 9 - 1 0 Vergleiche und Bilder dieser Art. Demgegenüber eine
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
185
Stilautoren das Material für Vergleiche und Bilder. Koelwel vergleicht die Vokalfülle im Gedicht mit einem „beglückend buntefn] Blumenstrauß", 59 während Faulseit von der „üppige [n] Blüte" des Modewortes „erfolgen" spricht 60 und Koelwel & Ludwig die „üppigeren Blüten" der Fremdwortsucht beklagen. 61 Bei allen vier DDR-Stilautoren finden sich Krankheitsmetaphern. Koelwel mahnt vor dem „seuchenhaft" angeschwollenen Gebrauch der „Mißgebilde anfallen und erstellen",62 Möller bezeichnet Wortzusammensetzungen aus mehr als zwei Bestandteilen als „eine Krankheit unserer Zeit", beklagt die „Vermehrung der Bandwurmwörter" und spricht von „Wortungetümen". 63 Koelwel & Ludwig sind der Ansicht, dass der Bestand jeder Sprache von ihrer „Gesundheit" abhänge und bezeichnen Abkürzungen als „Sprachseuche". 64 Faulseit ereifert sich am meisten über die „Substantivitis" oder Dingwortkrankheit: „Der Bazillus greift um sich. Viele Leute werden angesteckt [...]. Helfen wir alle mit, die Infektionsquellen zu beseitigen, damit unsere Sprache wieder gesunden kann! Beginnen wir damit, erst einmal uns selbst vor den Krankheitserregern zu schützen." 65 Die Intensität der Bilder- und Vergleichssprache wird durch eine reduzierte Anzahl in den DDR-Werken abgeschwächt. Wir hatten festgestellt, dass die Bildersprache dazu benutzt wird, um weniger vertraute Dinge zu erklären, und dass sie den Leser durch ihre vereinfachte und emotionalisierende Darstellung oft manipuliert. Die Abnahme der Bilder und Vergleiche könnte zum einen darauf deuten, dass die DDRStilautoren einen geringeren Bedarf an sprachlichen Erklärungen beim Leser vermuten, dass sie also einen höheren Vertrautheitsgrad mit dem Thema Sprache und ein gewisses Sprachbildungsniveau annehmen. Zum anderen deutet der Rückgang der Bildersprache auf eine Abkehr von der emotionalen Lesermanipulation.
Auswahl von Bildern und Vergleichen in den WR-, NS- und BRD-Werken, z. B. bei WRStilautor Engel 1931 (24 Beispiele): 48-49, 94, 96, 103, 104, 106, 112, 126, 127, 145, 146, 148, 157, 290, 293, 310, 322, 329, 348, 389, 430, 464, 466, 508. Bei NS-Stilautor Reiners 1944 (21 Beispiele): 14, 89, 72, 95, 113, 116, 117, 124, 132, 139, 168, 175, 217, 237, 283, 298, 331, 343, 488, 502, 511. Bei BRD-Stilautor Schulze/Wustmann 1949/66 (23 Beispiele): 6, 35, 56, 108, 109, 110, 139, 241, 284, 93, 97, 256, 289/291, 309/313, 324/327, 326/329, 334/337, 346/349, 353/360, 356/362, 371/376, 373/377, 375/381. 59
Koelwel 1954:74, weitere Vergleiche auf S. 40, 55,76, 81, 130, 138.
60
Faulseit 1965:67, ebenso auf S. 55.
61
Koelwel & Ludwig 1964:62, ebenso auf S. 94.
62
Koelwel 1954:56, 23.
63
Möller 1958:9, 31, 32.
64
Koelwel & Ludwig 1964:7, 86, 99, 102.
65
Faulseit 1965:51, 67, weitere Beispiele auf S. 68, 119.
186
Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
5.1.5.2 Eigenschaften von Kraft und Leben Auch für die DDR-Stilautoren ist es wichtig, der deutschen Sprache Kraft und Leben zuzuweisen. Allgemein gehen Koelwel & Ludwig und Faulseit von der Kraft der deutschen Sprache aus.66 Faulseit meint, man solle die „zündende Kraft" der Sprache dazu nutzen, um Menschen „für wichtige gesellschaftliche Vorhaben" zu gewinnen, um sie zu überzeugen, mitzureißen und zu beeinflussen. 67 Wie auch in den Werken der anderen Epochen verbinden die DDRStilautoren konkrete sprachliche Elemente, wie die gesprochene Sprache bzw. die Umgangssprache und Verben mit „Leben". 68 Faulseit betont insbesondere die „Kraft" der letzten Sätze des Kommunistischen Manifests.69 Bei Faulseit wird ganz deutlich, dass er der Sprache diese Eigenschaften nicht abstrakt zuweist, sondern sie als Mittel zum Zweck sieht — die Kraft der Sprache soll der erfolgreichen Verbreitung der kommunistischen Ideologie dienen.
5.1.6 Die Funkdon der Sprache auf politischer Ebene 5.1.6.1 Zeitspiegel Wie in den WR-, NS- und BRD-Werken werden die herrschenden politischen Verhältnisse durch Verweise auf die DDR in Sprachbeispielen oder Anmerkungen reflektiert. Koelwel erläutert den Genitiv mit „des Fünfjahresplans (nicht —planes)",70 Möller spricht von der „volkseigenen Wirtschaft", „Konsumgenossenschaften" und der „Brigade". 71 Koelwel & Ludwig erwähnen die „Nationale Volksarmee, Aktivisten und den jungen Pionierchor". 72 Faulseit erklärt, dass die Wörter „Demokratie, Sozialismus, Kollektiv" einem Bedeutungswandel unterlegen seien.73
66
Koelwel & Ludwig 1964:9.
67
Faulseit 1965:54.
68
Möller 1 9 5 8 : 1 1 2 (gesprochene Sprache ist lebendig). Faulseit 1965:55 (Umgangssprache ist reich an „lebensvollen" Redewendungen). Koelwel 1954:39, 42 (Verben bedeuten „Auftrieb und Leben", von starken Verben gehe „mehr Kraft und überzeugende Wirkung" aus). Koelwel & Ludwig 1964:100 (verbinden Verben mit Leben). Faulseit 1965:19. Koelwel & Ludwig 1964:31 (Luther habe ein erstaunliches Gefühl für die Kraft und Musikalität des Satzgefüges gehabt). Koelwel 1954:15.
69 70 71
Möller 1958:7, 53, weitere Verweise auf S. 54, 59, 124.
72
Koelwel & Ludwig 1964:67, weitere Verweise auf S. 74, 76, 79, 87.
73
Faulseit 1965:10, weitere Verweise auf S. 6, 7, 18, 19.
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
Es erinnert an die NS-Werke, wenn die DDR-Stilautoren Koelwel und Faulseit im Rahmen der herrschenden politischen Umstände eine bestimmte Aus drucks weise fordern. Besonders die sprachlichen Uberreste des feudalistischen, kapitalistischen Systems wie „Arbeitgeber, Arbeitnehmer, gnädige Frau, gnädiger Herr" seien aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr zeitgemäß. 74 Untertänige Wendungen wie „hoher Besuch" oder kapitalistische Ausdrücke wie „eine Aktie an etwas haben" seien zu verbannen, da sie in der neuen gesellschaftlichen Ordnung nicht zum allgemeinen Umgangston gehörten. 75 Allerdings betrifft der in den DDR-Werken geforderte Sprachgebrauch nicht so sehr die konkreten Wortformen - in den NS-Werken wurden Abkürzungswörter, Verbalsubstantive und Fremdwörter verpönt — sondern eher ihre ideologische Inhaltsseite. Weil man der inhaltlich-ideologischen Seite des Sprachgebrauchs in der DDR folgt und sich nicht auf bestimmte Wortformen versteift, wie im Nationalsozialismus, bleibt der in den NS-Werken festgestellte Konflikt zwischen dem Anspruch an den Sprachgebrauch und dem tatsächlichen Sprachgebrauch in den DDR-Werken aus.76 Die Sprache, bzw. die Sprachpflege, wird für Koelwel & Ludwig Mittel zum Zweck, wenn die Funktion einer einfachen, klaren Sprache für sie darin besteht, die Menschen vom Sozialismus und von den Lehren von Marx, Engels und Lenin zu überzeugen und so der ganzen Menschheit Frieden und Glück zu bringen.77 Dieser Anspruch, Weltfrieden als Ziel der Sprachpflege zu schaffen, ähnelt dem der BRD-Werke; die Sprachpflege erhält also eine betont friedliche außenpolitische Funktion oder gar Mission. Der Unterschied zu den BRD-Werken besteht lediglich darin, dass BRD-Stilautor Flad/Wasserzieher allgemein Toleranz und Weltoffenheit durch die Beschäftigung mit Sprache schaffen will, während die DDR-Stilautoren Koelwel & Ludwig den ihrer Meinung nach zum Weltfrieden führenden Sozialismus über das Medium Sprache etablieren wollen. Der Sprachdiskurs wird insofern zum politischen Zeitspiegel, als dass Bemerkungen und Sprachbeispiele zum Anlass werden, um den verpönten Kapitalismus anzugreifen und außenpolitische Sympathien und Antipathien zu bekunden. Faulseit spricht von den ,,Wolfsgesetze[n] der kapita74
Koelwel 1954:8. Auf S. 7 heißt es, bestimmte Ausdrücke würden die Klassenunterschiede begünstigen.
75
Faulseit 1965:52, 74, ebenso S. 53.
76
In den DDR-Werken übt lediglich Faulseit an zwei Stellen milde Kritik am Sprachgebrauch der „maßgebenden Stellen", vgl. Faulseit 1965:68, 78-79.
77
Koelwel & Ludwig 1964:73 (zitieren Otto Grotewohl). Auf S. 71 heißt es, dass Sprachpflege aus allen Schichten des Volkes (also von Lehrern Dozenten, Lektoren, Professoren, namhaften Schriftstellern, namenlosen Arbeitern und Genossenschaftsbauern, in Büros, Werkstätten, Amtern, Redaktionen, Schulstuben, etc.) eine klassenlose Gesellschaft schaffe.
188
Sprachratgeber und Stillehren in der D D R (1949-1965)
listischen Profitwirtschaft" 78 und illustriert die effektive Anwendung von Redewendungen mit: „Im Kapitalismus ist der Proletarier gezwungen, seine Haut ψ Markte ψ tragen."79 Kuba und die UdSSR schneiden in ihrer Darstellung positiv ab. Faulseit lobt die „unbeugsame Siegeszuversicht" der kühnen Losung der kubanischen Revolutionäre „Vaterland oder Tod wir siegen!" 80 Die korrekte Form der indirekten Rede illustriert er anhand eines Berichts über einen erfolgreichen Weltraumflug russischer Kosmonauten.81 Die Rivalität zwischen West und Ost wird deutlich, wenn Faulseit ein vermeintlich falsch gesetztes Komma in einer Aussage eines USamerikanischen Politikers korrigiert: „Wir, nicht die Kommunisten, sind im Vormarsch" sei falsch und entspreche nicht dem Gang der Weltgeschichte. Richtig müsse es heißen: „Wir nicht, die Kommunisten sind im Vormarsch." 82 Die problematischen Beziehungen zwischen der DDR und der BRD werden angesprochen, wenn Faulseit die BRD als einen „Gegner im politischen K a m p f bezeichnet. 83 Wie in den WR-, NS- und BRDWerken machen ideologisch gefärbte Sprachbeispiele und Randbemerkungen die untersuchten Sprachratgeber und Stillehren der DDR zu einer politischen Plattform, die keine Zweifel über Sympathien und Antipathien aufkommen lässt. In zwei DDR-Werken deuten Aussagen über die Sprache im Nationalsozialismus auf eine ähnliche Art der Vergangenheitsbewältigung wie bei BRD-Stilautor Thierfelder, der die Deutschen als Opfer des Nationalsozialismus darstellte. In der Auseinandersetzung mit der NS-Sprachvergangenheit enthebt man sich, wie in den BRD-Werken, der Verantwortung. Die Rolle von Verfolgten impliziert DDR-Stilautor Koelwel, wenn er meint, dass die Muttersprache eines der wenigen Güter sei, die man aus dem faschistischen Wahnwitz habe retten können. 84 DDR-Stilautoren Koelwel & Ludwig gehen noch einen Schritt weiter und vermitteln die Idee des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, wenn sie von der „Niederwerfung des Hitlerfaschismus" reden. Die sprachlichen Missstän78
Faulseit 1965:20.
79
Faulseit 1965:56, weitere Hiebe gegen den Kapitalismus auf S. 60, 97, 99, 109. Ebenso Koelwel 1954:36 und MöUer 1958:102.
80
Faulseit 1965:77, auf S. 13 positiv über Kuba.
81
Faulseit 1965:89-91. Interessant ist bei Möller (1958:28, 42, 44, 90) der Begriff „Nationalsprache", der zusätzlich zum Begriff „Muttersprache" auftaucht. Das deutet auf die Zusammenarbeit der DDR-Sprachwissenschaft mit der russischen Sprachwissenschaft, da es sich bei diesem Ausdruck um eine Ubersetzung aus dem Russischen handelt.
82
Faulseit 1965:110. Faulseit 1965:110 und Möller 1958:39, 84 äußern sich negativ über die USA.
83
Faulseit 1965:75-76, weitere Anspielungen auf problematische Beziehungen mit der BRD aufS. 71,75-76. Koelwel 1954:145.
84
Sprachdiskurs: Die Sprachauffassung der DDR-Stilautoren
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de der Vergangenheit sind für sie behoben, wenn sie die „Überwindung des üblen Spracherbes des Nazismus" und das erneut geschärfte Gefühl für ein „sauberes, echtes Deutsch" betonen.85 Die Behauptung der Uberwindung der „nazistischen Sprachpest" und der Reinigung der deutschen Sprache soll letztendlich ein weiterer Bestandteil sein, der den sprachlichen Führungsanspruch der DDR untermauert.86 5.1.6.2 Verbindung von Sprache und Volk In den WR-, NS- und BRD-Werken wurde die deutsche Sprache als 'Band' und zentrales Symbol für die politische Einheit Deutschlands gesehen. Diese Auffassung findet sich bei DDR-Stilautor Koelwel wieder, der 1954 im Angesicht der drohenden Spaltung Deutschlands in der Sprachpflege, bzw. im „rechten deutschen Wort", das „Band" sieht, „das Ost und West verknüpft." 87 Koelwels Terminologie lässt darauf schließen, dass er sich ein geeintes Deutschland unter DDR-Bedingungen wünscht. Das ganze deutsche Volk solle wieder in einem „einheitlichen, demokratischen Deutschland" zusammengeführt werden, bzw. „in der ungeteilten deutschen Republik" leben.88 Bei Koelwel (1954) treffen wir zum letzten Mal in den untersuchten DDR-Werken auf die Bandmetapher, die im Gegensatz zu den BRD-Werken dann in den DDR-Werken fallen gelassen wird. An ihre Stelle treten die ausdrückliche Warnung vor einer möglichen Sprachspaltung zwischen Ost- und Westdeutschland und der Wunsch nach einer Wiedervereinigung Deutschlands unter sozialistischer Herrschaft, auch nach dem Mauerbau 1961. Bei Koelwel & Ludwig heißt es nämlich 1964, dass allen wahrhaften Patrioten die friedliche Wiedervereinigung des deutschen Vaterlandes am Herzen liege.89 Um eine Sprachentfremdung zwischen Ost und West zu verhindern, fordern sie die „Verantwortlichen der kulturellen Fortentwicklung der Nation" dazu auf, das ererbte Sprachgut aufs sorgfältigste zu hüten und alles Neue zur klaren Fortentwicklung der gemeinsamen Sprache zu gestalten.90 Allerdings rückt der Wunsch nach der deutschen Wiedervereinigung bei Faulseit 1965 in die Ferne, wenn er auf die damit verbundenen ungelösten Probleme und 85
Koelwel & Ludwig 1964:60-61, 71-72. Faulseit (1965:39) distanziert sich vom nationalsozialistisch-chauvinistischen Purismus des Hitlerfaschismus. Widerstand wird bei Möller (1958:60) impliziert, wo in einem Sprachbeispiel ein Vater versucht, den Sohn vom Hiderirrsinn zu überzeugen.
86
Vgl. Bauer 1990:222.
87
Koelwel 1954:6, 8, 145.
88
Koelwel 1954:8, 142.
89
Koelwel & Ludwig 1964:93.
90
Koelwel & Ludwig 1964:72. Sie beziehen sich u. a. auf Aussagen von F.C. Weiskopf (1955) und Victor Klemperer (1953).
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Schwierigkeiten hinweist. 91 Damit widerspiegeln die DDR-Werke die Haltung des sozialistischen Regimes, das gegen Ende der sechziger Jahre von einer möglichen Wiedervereinigung absieht, eine antigesamtdeutsche Haltung einnimmt und eine Politik der Abgrenzung praktiziert. 92 Diese Haltung, dass eine Wiedervereinigung eher unwahrscheinlich erscheint, passt zu BRD-Stilautor Schulze/Wustmanns Darstellung des unterschiedlichen politischen Modewortvokabulars in beiden Teilen Deutschlands im Jahre 1966, wo er durch seine faktische Beschreibung und das fehlende Ansprechen einer Wiedervereinigung den Eindruck erweckt, dass er den politischen Status quo von zwei deutschen Staaten akzeptiert. Anzumerken ist noch, dass eine mögliche Sprachspaltung im Gegensatz zu den DDR-Werken in den BRD-Werken nicht diskutiert wird, obwohl sich die Sprachwissenschaftler in der BRD mit diesem Thema nach dem Mauerbau auseinandersetzen. 93 5.1.6.3 Die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich Im Gegensatz zu den WR-, NS- und BRD-Werken findet sich lediglich bei DDR-Stilautor Koelwel ein Fremdsprachenvergleich. Das Deutsche sei in der Zeitenfolge „lebendiger und wendiger als Latein und Französisch". 94 Bei den anderen DDR-Stilautoren gibt es weder wertende Vergleiche mit Fremdsprachen noch abwertende Aussagen über fremde Sprachen. 95 Im Unterschied zu den Werken der anderen Epochen findet sich also in den DDR-Werken kein Anspruch auf die Überlegenheit der deutschen Sprache, weder explizit, noch implizit. Möller erwähnt den Reichtum der deutschen Sprache und ihre schöpferischen Wortbildungsfähigkeiten. 96 Auch Koelwel & Ludwig und Faulseit verweisen auf den reichen Wortschatz im Deutschen. 97 Faulseit empfiehlt sprachliche Entdeckungsreisen zu den „Tiefen [der] schönen
91 92
93 94 95
96 97
Faulseit 1965:51-52. Siehe Renate Baudusch, „Fremdheit und Vertrautheit", Muttersprache, 4 (1995), 302-314 (S. 304). Die angestrebte Eigenstaatlichkeit soll durch Eigensprachlichkeit untermauert werden. Siehe Hugo Moser und das Symposium über die Sprache in der BRD und der DDR auf Schloss Auel 1962 und das Aueler Protokoll von 1964 bei Bauer 1990:221. Koelwel 1954:52. Möller 1958:117. Auf S. 117 kritisiert Möller die „Südländer", die sich durch „abgerissene, unrhythmische Silbengruppen" über die Sprechweise der Deutschen lustig machten. Auf S. 62 heißt es, das Deutsche benutze weniger „Mittelwörter" [Partizipien] als viele Nachbarsprachen. Möller 1958:41, 31-32. Koelwel & Ludwig 1964:60. Faulseit 1965:10, 45, 49, 55.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren
191
Muttersprache".98 Diese Aussagen bekunden zwar die Liebe zur Muttersprache, aber durch fehlende, wertende Vergleiche mit anderen Sprachen wird die Liebe nicht auf Kosten fremder Sprachen ausgelebt. Allerdings stellt die Behauptung, dass die deutsche Sprache einen großen Wortschatz habe, eine Kontinuität mit den Werken der anderen Zeitabschnitte dar.
5.2 Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren 5.2.1 Aussagen zum Stil 5.2.1.1 Stil als Ausdruck des Charakters? Im Gegensatz zu den anderen DDR-Stilautoren schafft DDR-Stilautor Koelwel als Einziger die aus den WR-, NS- und BRD-Werken bekannte Verbindung zwischen Stil und Charakter. Das Wesen des Schreibers drücke sich im Werk aus, doch die bekannte Aussage „der Charakter formt den Stil (Der Stil ist der Mensch)" müsse umgedreht werden zu: „Der Stil formt den Charakter."99 Er distanziert sich also von der Gleichung, dass die Sprache den Charakter widerspiegelt und glaubt an die Erziehbarkeit des Charakters durch gutes Deutsch, wenn er sagt, dass gutes Deutsch zu Ehrlichkeit und Klarheit erziehe.100 Damit liegt bei ihm der Schwerpunkt auf der Charakterbildung durch Stilbildung. In den anderen drei untersuchten DDR-Werken finden sich keine Verweise auf den Charakter des Schreibers hinsichtlich der Stilfragen. Für Möller ist der Satzbau bzw. der Satz „Grundlage und Ausgangspunkt" für den guten Stil: „Nur wer richtig Sätze baut, sie geschmeidig miteinander verbindet und die zweckentsprechende Satzform im gegebenen Augenblick zu finden weiß, wird klar, gefällig und eindrucksvoll schreiben."101 Im Gegensatz zu Möller sind für Koelwel & Ludwig Fragen der Wortwahl die wichtigsten Stilangelegenheiten; sie fordern daher, den Wortschatz zu erweitern und der Wortwahl größte Aufmerksamkeit zu schenken.102 Für Faulseit kann sich Stil nur innerhalb der sprachlichen Gesetzmäßigkeiten und Regeln entfalten. Er schafft einen Kompromiss zwischen Möller und 98 Faulseit 1965:81 (durch aufmerksame Zeitungslektüre). 99 Koelwel 1954:11, 12. 100 Koelwel 1954:145. Siehe auch S. 11: Guter Stil setze Ordnung voraus. Diese Ordnung sei erlernbar und bedeute besonders die Ordnung der Gedankengänge: „Ein Mensch kann zu einer klaren Ausdrucksweise gefuhrt werden, und diese vermag dann seine Denkart so zu beeinflussen, dass sein eigenes Wesen an Klarheit gewinnt." 101 Möller 1958:7. 102 Koelwel & Ludwig 1964:90.
192
Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Koelwel & Ludwig, wenn er eine gute Kenntnis des Wortschatzes und des Satzbaus fordert. Beide Elemente, Satzbau und Wortwahl, seien gleich wichtig für eine klare, einprägsame, überzeugungskräftige Aussage und stünden in einem „sehr engen Wechselverhältnis". 103 Obwohl bei den drei DDR-Stilautoren keine Ubereinstimmung in Bezug auf die Grundlage für einen guten Stil herrscht, haben sie eines gemeinsam: sie brechen mit der traditionellen Auffassung von Stil als Charaktersache und rücken sprachtechnische Fragen wie eine gute Kenntnis der Sprache, der Syntax und des Wortschatzes in den Mittelpunkt. Durch die Lösung vom Stil als Ausdruck des Charakters entfallen die aus den anderen Epochen bekannten Aussagen über einen angeblichen Nationalstil der Deutschen. 104 Die logische Folge der Stilauffassungen von Möller, Koelwel & Ludwig und Faulseit ist, dass das Stiltalent bzw. guter Stil als anerzogen, also als „lehrbar und lernbar" gilt.105 Möller will allerdings höchstens Ratschläge geben, da es kaum ein „richtig" und „falsch" in Fragen des sprachlichen Ausdrucks gebe. Es gehe ihm darum, das „Fingerspitzengefühl" zu entwickeln. Zu diesem Zweck empfiehlt er die Lektüre guter Literatur. 106 Koelwel & Ludwig raten dazu, nach dem „bezeichnendsten Ausdruck" zu suchen, das besondere Wort zu wählen und nach Anschaulichkeit und Klarheit zu streben.107 Das häufige Lesen guter Bücher sei ebenfalls stilbildend. 108 Faulseit vergleicht die Erlernbarkeit des Stils mit der Erlernbarkeit der Mathematik. Es käme vor allem auf Fleiß und auf guten Willen an.109 Zudem empfiehlt er „aufmerksames Lesen guter Texte" und „kleine]] sprachliche^ Übungen".' 10 Er warnt vor instinktivem „Drauflosschreiben" und ermuntert zum sorgsamen und bedachten Umgang mit der Sprache. Nur wirkliche Beherrschung führe zu „höchster Aussagewirkung". 111 Hinsichtlich der Erlernbarkeit des Stils, der in gewisser Weise die Aussagen zum 'erlernten' Sprachgefühl reflektiert (siehe 5.1.3.2), setzen die DDR-Stilautoren also eher auf Ratschläge als auf feste Regeln und empfehlen insbesondere die Beschäftigung mit der Sprache.
1 0 3 Faulseit 1 9 6 5 : 6 , 1 1 , 60-61. 104 Allerdings erwähnt Möller (1958:87) den „Funktionärstil", der sich durch die Vorliebe für Dingwörter, das Passiv und überladene Satzklammern auszeichne. 105 Ausdruck nach Koelwel & Ludwig 1964:90: „Guter Stil ist lehrbar und somit auch lernbar." 106 Möller 1958:47, 5 0 , 1 0 6 . 107 Koelwel & Ludwig 1964:90. 1 0 8 Koelwel & Ludwig 1964:70. 109 Faulseit 1965:6. 1 1 0 Faulseit 1965:24, 133. 111
Faulseit 1965:72, 133.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren
193
5.2.1.2 Weitere Vorausset2ungen für einen guten Stil Die weiteren Voraussetzungen für einen guten Stil sind aus den anderen Epochen bekannt. Möller fordert die Rücksicht auf den Leser/Hörer, da sie der Ausdruck einer sozialen Haltung sei. Den Bedürfnissen eines lesenden oder zuhörenden Mitmenschen entgegenzukommen, der selbst weniger von der Sache wisse, offenbare die soziale Einstellung zum Mitmenschen. 112 Möllers Forderung nach der gemeinschaftsfördernden, alle integrierenden Rücksicht auf den Leser/Hörer könnte insofern ideologisch gefärbt sein, als dass in der sozialistischen Gemeinschaft niemand ausgeschlossen werden soll. Wie BRD-Stilautor Reiners erstellt DDR-Stilautor Koelwel einen Zusammenhang von Inhalt und Form, wobei der Inhalt die Form bestimmen solle.113 Möller verweist auf die verschiedenen Stilebenen oder „Darstellungsarten", die alle ihre besonderen sprachlichen Eigentümlichkeiten hätten. 114 Die Stoffbeherrschung oder Sachkenntnis ist für Möller und Koelwel & Ludwig eine notwendige Voraussetzung für einen guten Stil.115 Die Verbindung von Denken und Sprache ist bei den DDR-Stilautoren ausgeprägter als in den anderen Epochen, da sich alle zu diesem Thema äußern. Für Koelwel ist „klares Denken das Primäre, die Voraussetzung zu klarem Schreiben". 116 Wie für BRD-Stilautor Reiners steht die Sprache für DDR-Stilautoren Möller, Koelwel & Ludwig und Faulseit in der Verbindung von Denken und Sprache an erster Stelle.117 Für Möller und Faulseit ist die Sprache die Voraussetzung für das Denken und die Kommunikation: 118 „Wie sollten wir Gedanken fassen, wenn wir sie nicht in die Form der Sprache kleiden könnten!" 119 Die Verbindung von Denken und Sprache ist in den DDR-Werken derart ausgeprägt, weil sie Teil der herrschenden Auffassung ist, dass man die Menschen durch das richtige Denken und die richtige Sprache zum Sozialismus erziehen könne. Neu ist die politische Färbung der Verbindung von Denken und Sprache, wenn sich Koelwel und Koelwel & Ludwig auf Karl Marx beziehen, für den „die Sprache [...] die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens
1 1 2 Möller 1958:10. 1 1 3 Koelwel 1954:12, 146, 127. 1 1 4 Möller 1958:120-21 (Bericht, Nachweis, Weisung, Ersuchen, Aufruf, Beschreibung, Kundgaben). Koelwel 1954:9, 13, 127 (Anspielungen auf Stilebenen). 1 1 5 Möller 1958:9. Koelwel & Ludwig 1964:73. 1 1 6 Koelwel 1954:11. 1 1 7 Koelwel & Ludwig 1964:72, 74-75, 91, 102. 1 1 8 Möller 1958:33, vgl. auch S. 8: Stil sei der eigentümliche Vorgang, Gedanken in Worte zu kleiden. Das erinnert an WR-Stilautor Engel 1931:9: „Stil ist sprachliche Gedankenform." 1 1 9 Faulseit 1965:7.
194
Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
[ist]."120 Marx habe die bürgerlichen Philosophen gegeißelt, für die die Idee und die Sprache von der Wirklichkeit und vom Leben losgelöst seien.121 Auch Faulseit lässt den Einfluss der politischen Ideologie erkennen, wenn er zu den Wesenszügen des Menschen „Denken und Sprache" ein zentrales Element des Kommunismus, nämlich „die Arbeit" als dritten Wesenszug hinzufügt.122
5.2.2 Vergleich einer Auswahl von Stilanweisungen 5.2.2.1 „Schreibe so natürlich, wie du sprichst!"123 Im Gegensatz zu den anderen Epochen, in denen die Regel „Schreibe, wie du sprichst" in mindestens zwei Werken entweder ausdrücklich empfohlen wurde oder als wichtiger Orientierungspunkt für die Schriftsprache galt, findet sich nur noch in einem DDR-Werk die eindeutige Befürwortung dieser Regel. Nach Koelwel & Ludwig verhelfe die korrekte Sprechsprache zu einer klaren und überzeugenden Formulierung der Gedanken.124 DDR-Stilautor Möller teilt diese Meinung nicht. Die Niederschrift habe ihre eigenen, strengeren Gesetze und niemand spreche in der Alltagssprache beim unverbindlichen Plaudern Schriftdeutsch, im Gegenteil führe die Ungezwungenheit der mündlichen Äußerung oft zu Fehlern oder Nachlässigkeit.125 Deshalb unterscheidet er zwischen mündlicher Alltagssprache, Rededeutsch und Schriftsprache. Rededeutsch sei dabei die „Sprechweise der geschlossenen, zweckbestimmten Äußerung, [... die Sprechweise von] Menschen im Sitzungszimmer, am Verhandlungstisch, oder am Vortragspult."126 Zudem verweisen drei DDR-Stilautoren ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen Schriftsprache und Sprechsprache. Möller und Koelwel meinen, dass die gesprochene Sprache durch Betonungsmöglichkeiten, 120 121 122 123 124
Koelwel 1954:4. Koelwel & Ludwig 1964:74-75. Koelwel & Ludwig 1964:74-75. Faulseit 1965:9-10. Koelwel & Ludwig 1964:94. Koelwel & Ludwig 1964:94, 103. Jeweils eine positive Anmerkung zur Sprechsprache bei Koelwel 1954 und Faulseit 1965. Koelwel 1954:91:bei Schreib- und Formulierungsschwierigkeiten solle man sich vorstellen, dass man einem Freund gegenübersitze und ihm die Sache erkläre. Faulseit 1965:66:die Sprechsprache vermeide eine Überdehnung des Satzrahmens.
125 Möller 1958:112, 25. Auch auf S. 119 heißt es, die lebendige Sprache kümmere sich wenig um die Bedenken des Grammatikers. 126 Möller 1958:113.
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Dehnungen oder Kürzungen eine größere Freiheit als das Schriftdeutsch habe. „Das ist der, der der Frau den Korb gestohlen hat" sei in der Sprechsprache durchaus möglich. 127 Faulseit sieht die schriftliche Form als die „höhere Form" der Sprache; die Entwicklung der Schriftsprache sei ein langer Weg gewesen. Gedanken aufzuschreiben setze einen hohen sprachlichen Entwicklungsstand voraus. 128 Die obigen Ausfuhrungen zeigen, dass sich die Haltung der DDRStilautoren in Bezug auf diese Stilanweisung von den Werken der anderen Epochen unterscheidet. Die Sprechsprache wird nur in einem der vier untersuchten DDR-Werke als Schreibhilfe empfohlen, in der Weimarer Republik waren es zwei Werke (Engel, Stubenrauch/Wustmann) und in den untersuchten NS- und BRD-Werken empfahlen alle vier Stilautoren diese Anweisung. Zudem fällt eine allgemeine Tendenz zur unterscheidenden Betrachtung von Schrift- und Sprechsprache auf, die in den Werken der anderen Epochen nur vereinzelt vorhanden war (WR — Wasserzieher; NS - Geißler; BRD - Thierfelder). Besonders Möllers Dreiteilung in Alltagssprache, Rededeutsch und Schriftsprache ist neu und deutet auf eine veränderte Sprachbetrachtung mit Ansätzen eines modernen Registerkonzeptes, wobei der Verwendungszweck, der Verwendungskontext, die Textsorte und die stilistische Variation eine Rolle spielen.129 Der wichtigste Unterschied besteht jedoch darin, dass die DDRWerke die Sprechsprache nicht mehr in einen wertenden Gegensatz zur Schriftsprache stellen. Faulseit bezeichnet die Schriftsprache als intellektuelle Leistung zwar als „höhere Form", aber dennoch stellen wir in den DDR-Werken nicht länger den schwarzweißen, emotional aufgeladenen Gegensatz von „warmer, lebendiger Sprechsprache" und „toter, starrer Schriftsprache" fest, den wir bisher ausgeprägt in den WR-, NS- und BRD-Werken fanden. Die fehlende Emotionalität und die Ansätze eines modernen Registerkonzeptes vermitteln bei diesem Punkt den Eindruck einer differenzierenden Sprachbetrachtung in den DDR-Werken. 5.2.2.2 „Das Zeitwort [... ist] der eigentliche Satzgestalter." 130 Bei DDR-Stilautor Koelwel, von dem das Zitat im Untertitel stammt, finden wir die aus den anderen Epochen bekannte positive Einstellung dem Zeitwort gegenüber. Es drücke ein Tun aus, gebe einem Satz „Auf-
127 Koelwel 1954:28. Möller 1958:23. 128 Faulseit 1965:8. 129 Vgl. Stephen Barbour und Patrick Stevenson, Variation im Deutschen (Berlin, New York: de Gruyter, 1998), S. 4. 130 Koelwel 1954:39.
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trieb und Leben" und sei „der eigentliche Satzgestalter".131 Koelwel empfiehlt lautnachahmende Verben, mundartliche Verben und starke Verben, „weil von diesen Formen mehr Kraft und überzeugende Wirkung ausgeht und die volltönenden Vokale dem ganzen Satzgefüge Wohlklang verleihen." 132 Sonst taucht das Verb in den DDR-Werken nur in der ZeitwortDingwort-Debatte auf, die auf den ersten Blick an den HauptwortZeitwort-Gegensatz der Werke aus den anderen Epochen erinnert. 133 Allerdings erscheint nur an einer Stelle bei DDR-Stilautor Koelwel die pauschale Aufforderung, dem Tätigkeitswort den Vorzug vor dem Dingwort zu geben. 134 Ansonsten konzentriert sich die Debatte konkret auf den Gebrauch von Verbalsubstantiven und Verben. Während Koelwel die „unanschaulichen", „toten" ,,-ung-Wörter" kompromisslos ablehnt und zum Gebrauch ,,lebendige[r] Tätigkeitswörter" aufruft, betrachten die anderen DDR-Stilautoren die Angelegenheit differenzierter. 135 Möller sieht als Grund für die „verhängnisvolle Neigung" zum Gebrauch von Verbalsubstantiven, dass der Autor suggerieren wolle, dass ein Ergebnis erzielt oder eine unwiderlegliche Tatsache geschaffen worden sei.136 Er empfiehlt Verben, da sie zum Mitdenken anregten und die Sätze weniger starr und somit leichter verständlich machten. 137 Besonders der Amtsstil benutze Dingwörter aus Bequemlichkeit. Daher regt er zum Test an: „Geht's auch 'verbal'?" 138 Andererseits gibt er zu Bedenken, dass Dingwörter in wissenschaftlichen Büchern angebracht seien, in denen Feststellungen oder Untersuchungsergebnisse mitgeteilt würden. Man könne pauschal kein Verbot für Wörter auf —ung erteilen, denn dann müsste man auf viele gängige Wörter auf —ung verzichten, wie „Anwendung, Bedingung, Dichtung, Entwicklung, Forderung". 139 Dingwörter würden benutzt, weil man meine, sich durch sie knapp auszudrücken oder die Gedanken zu raffen. 140 Auch Koelwel & Ludwig sind gegen den übermäßigen Gebrauch von Verbalsubstantiven und unterscheiden zwischen der bedenklichen, aber noch heilbaren Substantivitis ersten und zweiten Grades und der holpri131 Koelwel 1954:39. 132 Koelwel 1954:41-42. 133 In den DDR-Werken wird Substantiv mit „Dingwort" und nicht mit „Hauptwort" übersetzt. 134 Koelwel 1954:13. 135 Koelwel 1954:141. 136 Möller 1958:87. 137 Möller 1958:87-89. Beispiele auf S. 89: „die Aufrollung der Streitfrage", „das Heiserwerden von Sängern" oder die „Inaugenscheinnahme". 138 Möller 1958:90-91. 139 Möller 1958:88. 140 MöUer 1958:89.
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gen und schwerverständlichen Substantivitis dritten Grades, vor der sie warnen. 141 „Das übertriebene Substantivieren raubt der Sprache Klarheit und Glanz und läßt jeden Satz zu einer bludosen Wortreihe erstarren." 142 Andererseits weisen sie darauf hin, dass Substantive im Falle von „zergliedernder Gelehrsamkeit" ihren Platz hätten und im Zweckstil der Zeitungsüberschriften und Transparente berechtigt seien, wo das Wesentliche in die Augen springen solle.143 Auch Faulseit warnt davor, das einfache Zeitwort zum Dingwort aufzublähen und die Sprache dadurch zu verunstalten. Im Gebrauch der Verbalsubstantive sieht er den Wunsch des Sprachteilnehmers, seiner Aussage Gewicht zu verleihen, sie bedeutungsvoll und wirksam zu machen.144 Obwohl er vor der Dingwortkrankheit warnt, kann er die oft gehörte stilistische Forderung, das Zeitwort zu bevorzugen, nicht uneingeschränkt gelten lassen. „Wenn die Stilkundler immer wieder dazu anhalten, das Zeitwort zu verwenden, so nicht, weil etwa das Dingwort von Haus aus 'schlechter' wäre, sondern weil es von den Sprachträgern, also von uns, vielfach mißbraucht wird." 145 Er weist zudem auf die stilistischen Vorzüge der Verbalsubstantive hin, die zur „Verdichtung einer Aussage" beitragen könnten und einer weniger wesentlichen Aussage im Sinnzusammenhang eine weniger betonte Ausdrucksform verleihen könnten. 146 Im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken kommt es in den DDR-Werken zu beachtlichen Änderungen hinsichtlich dieser Stilanweisung. Das Lob für das Zeitwort wird stark reduziert, da es nur bei einem DDR-Stilautor vorkommt (Koelwel) und er sich mit der Zuweisung von Kraft und Leben einer gemäßigten Terminologie bedient. Die emotional gefärbten Beschreibungen vom Zeitwort als 'Herz, Rückgrat' oder 'Seele' tauchen in den DDR-Werken nicht mehr auf. Das aus den WR-, NS- und BRD-Werken bekannte Muster 'gutes Verb - schlechtes Hauptwort' findet sich nur bei DDR-Stilautor Koelwel wieder. Die anderen drei DDR-Werke beschränken sich bei ihrer Hauptwort-Verb-Debatte auf Verbalsubstantive. In keinem der drei Werke präsentiert sich jedoch eine schwarzweiße Betrachtungsweise der beiden 141 Koelwel & Ludwig 1964:98-102 pingwortkrankheit), 99-100 (Grade der Substantivitis). Beispiel für Substantivitis 3. Grades: „Die wichtigste Lehre aus den durchgeführten Rechenschaftslegungen ist, daß die Betriebsgewerkschaftsleitungen die Organisierung der ständigen Kontrolle der Erfüllung der Verpflichtungen in den Betriebskollektivverträgen [...]." 142 Koelwel & Ludwig 1964:100. 143 Koelwel & Ludwig 1964:100. Sie beziehen sich auf Walter Jungs Kleine Grammatik deutschen Sprache. 144 Faulseit 1965:50-51. 145 Faulseit 1965:67. 146 Faulseit 1965:70.
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Wortarten oder eine pauschale Verdammung der Verbalsubstantive. Die DDR-Stilautoren differenzieren, d. h., sie unterscheiden bei ihrer Beurteilung die Art und die Häufigkeit der Verbalsubstantive und ziehen bei ihren Erläuterungen die verschiedenen Textsorten, Stilebenen und Schreibabsichten in Betracht. Sie akzeptieren, dass auch Verbalsubstantive wichtige stilistische Funktionen erfüllen und in bestimmten Sprachbereichen ihren Platz haben. Besonders Faulseit weist darauf hin, dass Dingwörter an sich nicht 'schlecht' seien, sondern dass Probleme durch den schlechten Gebrauch entstünden. Schließlich besteht ein großer Unterschied darin, dass bei keinem der DDR-Stilautoren irgendwelche Charaktereigenschaften mit den Wortarten oder mit ihrem Gebrauch assoziiert werden. Es werden weder individuelle Charakteranalysen des Schreibers vorgenommen, noch ein pauschaler nationaler Stil identifiziert, wie in den WR-, NS- und BRD-Werken. 5.2.2.3 Aktiv oder Passiv?147 Im Gegensatz zu den Werken der anderen Epochen, in denen die Stilautoren den Gebrauch von Aktiv und Passiv zum Teil lebhaft diskutierten, beschäftigt sich nur DDR-Stilautor Möller mit dieser Frage.148 Zwar weist er einleitend darauf hin, dass Sätze im Passiv oft schwerfällig klängen und im Aktiv besser „fließen" würden, räumt jedoch dem Passiv stilistisch seine Berechtigung ein. Das Passiv sei am Platze, wenn wir den Täter oder Urheber nicht zu erwähnen brauchten, weil er entweder unbekannt oder unwichtig sei, oder weil er implizit verstanden würde („Das Klubhaus wird heute schon um 20 Uhr geschlossen."). Es sei richtig, das Passiv zu gebrauchen, wenn es auf das Ergebnis ankomme („Hier wurde der Dichter beigesetzt."). Das Passiv sei berechtigt, wenn Personen, die eine Handlung ausführen, nicht erst besonders bezeichnet werden müssten („Heute wird getanzt.").149 Außerdem verhelfe eine Passivkonstruktion in einigen Fällen zur „Eindeutigkeit der Aussage" und sei damit als „elementares Erfordernis guten Stils" zu werten. (Z.B.: „Unverhofft besucht sie ihre Tante" sei eindeutiger als Passivkonstruktion: „Unverhofft wird sie von ihrer Tante besucht.")150
147 MöUer 1958:92. 148 Koelwel 1954:140 (nur eine Nebenbemerkung über das Passiv: es werde als törichte Gepflogenheit bewertet, die Handlung in die Leideform zu setzen). Faulseit (1965:50) verbessert bei der Diskussion um Verbalsubstantive einen Satz und setzt ihn dabei ins Aktiv: „Die Maschinen wurden planmäßig eingesetzt. Oder noch besser in der persönlich gehaltenen Tatform: Die Bauern setzten die Maschinen planmäßig ein." 149 Möller 1958:94. 150 Möller 1958:98.
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Nicht angebracht sei das Passiv, wenn die Aktivkonstruktion die „schlechthin selbstverständliche, normale" sei („Die Hausfrau kochte das Mittagessen."). Bei Zeitungsschreibern und Verwaltungsleuten und in Referaten stellt Möller eine „bedauerliche Vorliebe für das Passiv" fest. („Das benötigte Material wird seitens der Verwaltung zur Verfugung gestellt." Statt: „Die Verwaltung stellt das benötigte Material zur Verfügung."). 151 Schließlich benutzten einige Schreiber das Passiv mit Absicht zur Verschleierung, wenn sie Dinge, bewusst oder unbewusst, im Unklaren lassen wollten. („Den Kollegen müßte immer wieder erläutert werden, daß ihre berechtigten Forderungen nur erfüllt werden können, wenn alle Voraussetzungen dazu geschaffen worden sind.")152 Die Tatsache, dass die Ausführungen über das Aktiv und Passiv im Unterschied zu den Werken der anderen Epochen nur noch für einen DDR-Stilautor zum guten Deutsch oder guten Stil gehören, bedeutet wohl, dass die DDR-Stilautoren dieses Thema nicht mehr als brisant betrachten. Möllers Behandlung des Themas unterscheidet sich insofern von den anderen Epochen, als dass er kein pauschales Urteil über den Gebrauch fällt oder einen schwarzweißen Gegensatz aufstellt, der das Passiv verurteilt und das Aktiv lobt. Durch die Auflistung stilistischer Möglichkeiten und das Zitieren von Beispielen entsteht der Eindruck einer distanzierten Sprachbeobachtung und nicht einer emotionalen Sprachverurteilung, wie wir es in diesem Zusammenhang aus den anderen Epochen gewöhnt sind. Die Genera Verbi werden nicht mehr mit bestimmten Charaktereigenschaften belegt oder als Ausdruck des Charakters des Schreibers bewertet (Aktiv bedeutete Mut, Energie, Männlichkeit; Passiv bedeutete Angst, Schwäche, Verantwortungslosigkeit). Selbst bei der Darstellung des Passivs als Möglichkeit zur Verschleierung, geht es Möller nicht darum, irgendwelche charakterliche Schlüsse zu ziehen, sondern die stilistische Funktion herauszuarbeiten. 5.2.2.4 „Nehmt es mit dem Rahmensatz genau!" 153 Die in den WR-, NS- und BRD-Werken ausgeprägte Verbindung zwischen dem Satzbau und dem Charakter des Schreibers findet sich in den DDR-Werken nicht.154 Im Gegensatz zu den Werken der anderen Epochen betrachten die DDR-Stilautoren die Bei- oder Nebenordnung nicht mehr als typische Charakteristik des deutschen Satzbaus und räumen der 151 152 153 154
Möller 1958:95. Auf S. 98 heißt es, die Schriftsprache neige über Gebühr zum Passiv. Möller 1958:96. Möller 1958:108. Angedeutet nur bei Koelwel 1954:12 (Wenn der Schriftsteller eine der Wirklichkeit zugewandte Lebensanschauung vertrete, drücke sich das im Satzbau aus).
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Unterordnung ihren Platz ein. DDR-Stilautor Koelwel betrachtet sie als „einfach und natürlich". 155 Möller hält sie bei der Gedankenfuhrung mit Begründung, bei der Folgerung, der Widerlegung und dem Vergleich für notwendig, obwohl er vor allzu weit getriebener Unterordnung warnt. Bei der Entscheidung Unterordnung/Nebenordnung müsse man der Sache und dem Leser gerecht werden. 156 Als typische und positive Charakteristik der deutschen Sprache betrachten DDR-Stilautoren Möller und Faulseit den Rahmensatz oder die Prädikatsklammer. Spannung werde erzeugt, indem der Sinn in der Schwebe gehalten werde, bis das letzte Wort gefallen sei.157 Möller sorgt sich allerdings um die Erhaltung dieses Wesenszuges. Die sprunghafte technische Entwicklung, das beschleunigte Tempo der Lebensführung und die Rationalisierung hätten auch in der Sprache zu „Sparformen" geführt und den „unbequemen" Rahmensatz mit Ausklammerungen ersetzt.158 Als zweite Charakteristik des deutschen Satzes identifiziert Möller die „Beweglichkeit der Satzglieder unter Einwirkung von Gemütsbewegungen des Sprechers oder des Schreibers." 159 Die Änderung der Nullstellung sei akzeptabel, wenn sie durch die seelische Augenblicksverfassung (Freude, Wut, Entsetzen) motiviert sei.160 Faulseit verweist ebenfalls auf gewisse Freiheiten im Satzbau, die stilistische Effekte ermöglichten, wie bspw. die Wahl der Anfangsstellung zur Betonung bestimmter Satzteile.161 Bei drei DDR-Stilautoren taucht die aus den WR-, NS- und BRDWerken bekannte Ansicht auf, dass man durch klares und folgerichtiges Denken gute Sätze bilde, bzw. dass Satzbauprobleme durch mangelnde
155 Koelwel 1954:82. 156 Möller 1958:66, 67, 71, 75. 157 Möller 1958:14-15, 24, 25, 108 (Rahmensatz) und auf S. 16-17, 18 (Schwebe). Faulseit 1965:65-66, Beispiel: „Sie haben gestern den Wettkampf [...] gewonnen/verloren/abbrechen müssenImit einigen Ersatzspielern bestritten/im Fernsehen übertragen." 158 Möller 1958:108-9, Beispiel: „Ich werde mit dir an die Ostsee fahren für ein paar Wochen." Er bezieht sich u. a. auf Untersuchungen von E. Riesel. 159 Möller 1958:20. 160 Möller 1958:20-22. Auf S. 20 heißt es, die „normale" Wortstellung oder Nullstellung (Subjekt - Prädikat - Objekt) sei bei wissenschaftlichen Darlegungen, beim Behördendeutsch, bei Gebrauchsanweisungen, Protokollen, Sachberichten, zweckbestimmten Beschreibungen u. ä. angebracht. Beispiel für Änderung: „Gefreut hab' ich mich wie ein Schneekönig über die Einladung!" 161 Faulseit 1965:62-63. „Wegen des guten Rufs der sowjetischen Turner waren in der geräumigen Sporthalle kaum noch leere Plätze zu finden." Oder: „Leere Plätze waren in der geräumigen Sporthalle wegen des guten Rufs der sowjetischen Turner kaum noch zu finden." Oder: „In der geräumigen Sporthalle waren wegen des guten Rufs der sowjetischen Turner kaum noch leere Plätze zu finden."
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„Denkdisziplin" oder mangelndes Sortieren der Gedanken entstünden. 162 Sie empfehlen „für jeden Satz nur einen Gedanken." 163 In Bezug auf die konkreten Anweisungen zum Satzbau warnen Koelwel und Möller vor schwerfälligen, erweiterten Attributen. 164 Koelwel und Koelwel & Ludwig raten im Allgemeinen zu kurzen Sätzen und warnen vor schwer verständlichen Treppensätzen oder Schachtelsätzen. Obwohl der lange Satz seinen Platz habe, sei er schwieriger zu bilden und erfordere eine gewisse Stilerfahrung. 165 Möller empfiehlt keine kurzen Sätze, sondern „wenig Inhalt für jeden Satz!" sowie die „Jagd auf entbehrliche Wörter".166 Faulseit gibt keine Anweisungen zum Satzbau, sondern beschreibt die stilistischen Ausdruckswerte des Frage-, Aufforderungs- und Ausrufesatzes und warnt vor großen, überdehnten Satzrahmen, die zu unklaren Sätzen führen könnten. 167 Bei dieser Stilanweisung finden sich einige Elemente wieder, die aus den WR-, NS- und BRD-Werken bekannt sind, wie bspw. der Hinweis auf die Freiheit der Wortstellung, die Verbindung von Satzbau und Denken, die Warnung vor Schachtelsätzen, der Rat zu kurzen Sätzen oder zu einem Gedanken pro Satz. Die inhaltlichen Unterschiede zu den anderen Epochen überwiegen jedoch die Gemeinsamkeiten: Die Charakteranalyse des Schreibers aufgrund seines Satzbaus fehlt. Nicht die Nebenordnung, sondern der Rahmensatz wird als typisch für die deutsche Sprache herausgestellt. Die Unterordnung wird nicht mehr als negativ betrachtet oder mit Schwäche assoziiert, sondern als legitimes Satzbauphänomen gesehen. Satzbauprobleme werden nicht auf den Einfluss der lateinischen Sprache, auf die Gelehrtensprache oder Verbildung zurückgeführt. 'Kraft oder Leben' der Sätze werden nicht mehr angesprochen. Die Freiheit der Wortstellung wird nicht als Möglichkeit dazu benutzt, um die deutsche Sprache im Fremdsprachenvergleich als überlegen darzustellen. Zudem wird diese Freiheit durch die konkrete Bedingung der emotionalen Motiviertheit eingeschränkt. Der größte Unterschied besteht jedoch in der Argumentations- und Vorgehensweise, insbesondere von zwei DDR-Stilautoren. Die Erläuterungen zu den einzelnen Aspekten des Satzbaus zeigen, wie sie im Ver162 Koelwel 1954:85. Möller 1958:68. 163 Möller 1958:68. Koelwel & Ludwig 1964:94 (nach Schopenhauer). 164 Koelwel 1954:81. Möller 1958:99-100. Möllers Beispiel: „Der Vorsitzende ließ sich beim Eröffnungskonzert der Mozart-Gedenkwoche entschuldigen, da er mit der von ihm aus diesem Anlaß morgen ψ haltenden Festansprache beschäftigt sei." 165 Koelwel 1954:85, 89,127. Koelwel & Ludwig 1964:93-94, 98. 166 Möller 1958:29, 37, 50, 57 (Manche Sätze müssten lang sein, das Streben nach Knappheit könne zu linkischen Konstruktionen fuhren). 167 Faulseit 1965:72-81, 64-66.
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gleich zu ihren WR-, NS- und BRD-Kollegen versuchen zu differenzieren und keine absoluten, schwarzweißen Gegensätze aufstellen (z. B. Möller: Neben-/Unterordnung). Sie beschreiben, ohne zu werten (z. B. Faulseit und die verschiedenen Satzarten) und versuchen, Erklärungen für Entwicklungen zu finden (Möller: Gefährdung des Rahmensatzes) und Bedingungen für Satzbauanweisungen zu erläutern (Möller und Faulseit zur Freiheit des Satzbaus). 5.2.2.5 „[Wir müssen] aber nicht zu kurzsichtigen Ultrapuristen werden und unterschiedslos jegliches Fremdwort verdammen." 168 Wie in den WR-, NS- und BRD-Werken versuchen die DDR-Stilautoren zwischen notwendigen und entbehrlichen Fremdwörtern zu unterscheiden. Koelwel, Koelwel & Ludwig und Faulseit erlauben den Gebrauch von Fremdwörtern in den Bereichen Politik, Wissenschaft und Technik. 169 Faulseit betont sogar die Wichtigkeit von Fremd- und Fachwörtern in diesen Bereichen, da der hergebrachte Wortschatz nicht ausreiche und Fremdwörter oder Internationalismen umständlichen und missverständlichen Benennungen vorbeugten. 170 Für Koelwel & Ludwig sind Fremdwörter akzeptabel, wenn sie vom Gegenüber verstanden würden. 171 Andererseits fordert Koelwel, dem guten deutschen Wort unbedingt den Vorzug vor einem Fremdwort zu geben. 172 Koelwel & Ludwig meinen, dass die Hälfte aller Fremdwörter vermieden werden könnte. 173 Faulseit ist gegen das unnötige, nicht etablierte Fremdwort im täglichen Gebrauch und lehnt „modische" Fremdwörter ab, für die es deutsche „Gleichwörter" gebe (z. B. für „optimal"). 174 Wie in den anderen Epochen wird die vermeintliche Unvers tändlichkeit der Fremdwörter angesprochen und Folgerungen daraus gezogen. Koelwel und Koelwel & Ludwig behaupten, dass Fremdwörter vieldeutig bzw. unverständlich seien und im Gegensatz zum einfachen, klaren deutschen Wort stünden.175 Koelwel & Ludwig und Faulseit verweisen auf mögliche Fehler im Sprachgebrauch durch unverstandene Fremdwörter 168 Faulseit 1965:37. 169 Koelwel 1954:54. Koelwel & Ludwig 1964:81. 170 Faulseit 1965:33, 39. 171
Koelwel & Ludwig 1964:81.
172 Koelwel 1954:54 (zitiert Martin Opitz aus dem Jahre 1524). 173 Koelwel & Ludwig 1964:81. Sie berufen sich dabei auf Liebknecht. 174 Faulseit 1965:35-36, 39. Faulseit (1965:41-42) schlägt seine Verbesserungen eines „modischen" Fußballkommentars in Klammern vor, z. B. Match (Spiel), Effet (Drehball), Paß (Vorlage), es ist passiert (geschehen), den Ball servieren (vorlegen), mit Vehemenz (kraftvoll). Etabliert seien hingegen „Friseur, reparieren". 175 Koelwel 1954:55. Koelwel & Ludwig 1964:82.
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(z.B. „rohe Brachialgewalt", „reale Wirklichkeiten"). 176 Koelwel & Ludwig behaupten, dass Fremdwörter die Kommunikation mit dem „einfachen Arbeiter oder dem werktätigen Bauern" erschwerten. Schon Lenin habe vor der Verwendung unnötiger Fremdwörter gewarnt, da sie den Einfluss auf die Volksmassen erschwerten.177 Im Gegensatz zu den Werken anderer Epochen wird die vermeintliche Bedrohung der Sprachsubstanz durch Fremdwörter nicht angesprochen und der Aspekt der sprachlichen Selbstversorgung nur von zwei DDR-Stilautoren impliziert.178 Koelwel & Ludwig und Faulseit weisen darauf hin, dass es manchmal präzisere deutsche Ausdrücke für Fremdwörter gebe. 179 Positive Aspekte des Fremdwortes findet DDR-Stilautor Möller, wenn er einige seiner stilistischen Auswirkungen auf den Satz diskutiert. Das einfache, nicht mit deutschen Bestandteilen zusammengesetzte fremde Verb befreie vom Klammerzwang, da es niemals trennbar sei. Die Vorliebe für das fremde Verb beruhe weniger darauf, dass uns das fremdartige Wort gefalle, als auf der Erleichterung, die es beim Satzbau schaffe. Beispielsweise sei „qualifizieren" einfacher als „die Befähigung erwerben" oder „definieren" besser als „den Begriffsinhalt bestimmen". Das Fremdwort könne auch ermöglichen, ungenau zu bleiben. Das könne ein stilistischer Vorteil sein.180 Schließlich vergleicht DDR-Stilautor Faulseit den Fremdwörtergebrauch in Ost- und Westdeutschland. Faulseit ist der Ansicht, dass die Russismen im Deutschen wie bspw. „Kolchose, Komsomol, Jarowisation, Sputnik oder Lunik" vom „Triumph der sozialistischen sowjetischen Wissenschaft" und von „gesellschaftlichen Fortschritten und Errungenschaften des ersten sozialistischen Staates der Welt" zeugten und „in der ganzen Welt verstanden" würden.181 Als unnötiges russisches Wort identifiziert er lediglich „Exponat"; dafür solle man lieber „Schaustück, Ausstellungsgegenstand, Muster" sagen.182 Es sei nicht ratsam, den russischen Wortschatz „unbesehen" in die deutsche Sprache zu verpflanzen, so wie es in Westdeutschland mit „einer großen Zahl englischamerikanischer Wörter" geschehe. Dort machten sich fremdwörtliche
176 Koelwel & Ludwig 1964:82. Faulseit 1965:43 177 Koelwel & Ludwig 1964:81-82, 83-84. 178 Koelwel (1954:54) empfiehlt lediglich, den eigenen Wortschatz zu benutzen, anstatt Fremdwörter zu gebrauchen. 179 Koelwel & Ludwig 1964:82-83. Faulseit 1965:43-44. Beide belegen diese Aussage mit deutschen Wörtern für „konkret" und „interessant". 180 Möller 1958:84-85. 181 Faulseit 1965:38. 182 Faulseit 1965:39.
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Bezeichnungen wie „party, teenager, ticket, quiz, Show, call-girl, striptease, play-boy, baby-sitter, thriller, sales-promoter" breit und überfluteten die deutsche Sprache. Dabei handele es sich oft um eine sprachliche Widerspiegelung negativer gesellschaftlicher Erscheinungen. Faulseit ruft dazu auf, diese Anglizismen im alltäglichen Sprachgebrauch zu vermeiden, denn eine Missbilligung dieser Wörter sei zugleich eine Missbilligung der Erscheinungen. Die DDR-Presse würde solche Wörter nur verwenden, „um diese unserer sozialistischen Lebensauffassung fremden Erscheinungen der amerikanischen Lebensweise zu charakterisieren." 183 Vergleichen wir die Ausführungen zum Fremdwörtergebrauch in den DDR-Werken mit denen der anderen Zeiträume, dann fällt auf, dass die Überlegungen zu entbehrlichen und nötigen Fremdwörtern bei den DDRStilautoren ausführlicher sind. Fremdwörter in der Technik und Wissenschaft werden nicht nur erlaubt, sondern sogar als notwendig ausgewiesen. Die Aussage von Koelwel & Ludwig, Fremdwörter zu akzeptieren, wenn sie vom Gegenüber verstanden werden, mutet durch ihre Kommunikationsorientierung fortschrittlich an. Das aus den WR-, NS- und BRD-Werken bekannte Vorurteil „einfaches deutsches Wort — unverständliches fremdes Wort" taucht auch in den DDR-Werken auf. Aus dem vermeintlichen Unverständnis resultiert für die DDR-Stilautoren in erster Linie die Konsequenz der Sprachfehler. Auf politischer Ebene dominiert nicht die Spaltung des Volkes untereinander wie in den anderen Epochen (WR: 'granitne Mauer', NS/BRD: 'Bildungsmauer'), sondern die erschwerte Kommunikation der politischen Machthaber mit dem Volk, d. h. der gefährdete Einfluss auf das Volk. Das lässt wiederum eine Kommunikationsorientierung bei der Beurteilung des Fremdwortgebrauches erkennen, die von ideologisch-politischen Absichten gesteuert wird. Auf sprachlicher Ebene ist die Aufstellung der stilistischen Möglichkeiten des Fremdwortes neu. In der Stilanweisung zu Fremdwörtern besteht der Hauptunterschied in den DDR-Werken jedoch darin, dass das emotionale und nationalistische Element stark reduziert wird. Die DDR-Stilautoren distanzieren sich von der emotionalen Bildersprache; Ausdrücke wie „Bastarde" oder „Fremdwörterseuche" erscheinen nicht mehr. Die Fremdwortdiskussion ist nicht länger Anlass für Liebeserklärungen oder Treuebezeugungen an die deutsche Sprache. Die nationalistisch motivierte Behauptung der vermeintlichen Bedrohung der Sprachsubstanz und der oft chauvinistisch angehauchte Anspruch auf sprachliche Selbstversorgung unter Berufung auf eine reiche, überlegene deutsche Sprache entfallen. Das nationalistische Element wird allerdings mit der innerdeutschen Sprachrivalität er183 Faulseit 1965:38.
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setzt. Faulseit gebraucht die Gegenüberstellung vom Fremdwortgebrauch in Ost- und Westdeutschland dazu, um die DDR als sprachlich und gesellschaftlich überlegen zu präsentieren, indem er russische Fremdwörter im Osten als ein Zeichen von sozialistischen Errungenschaften und Fortschritt wertet, angloamerikanische Fremdwörter im Westen hingegen als ein Zeichen von Dekadenz und Kapitalismus sieht.184
5.2.3 Die Vorbilder für Sprache und Stil 5.2.3.1 Wer ist Vorbüd? DDR-Stilautor Koelwel bezieht sich des Öfteren auf die Dichtung und Literatur und erwähnt am häufigsten Goethe, Schiller und Heine.185 Des Weiteren erscheinen Thomas Mann, Bert Brecht, Martin Luther, Lessing, Jean Paul, und Ludwig Börne. 186 Eine Reihe von Namen taucht im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken zum ersten Mal auf, wie bspw. Franz Mehring oder Erwin Strittmatter.187 Zahlenmäßig auffällig sind Bezüge zu Friedrich Engels (12), Karl Marx (9) und Stalin (5).188
184 Seine Aussagen entsprechen nicht den sprachlichen Tatsachen, da sich auch in der DDR Anglizismen in Bereichen wie Politik, Sport, Jugendsprache, Mode, Technik und Nahrungs- und Genussmittel ausbreiten, die sich nicht nur auf westlich-kapitalistische Sachverhalte sondern auch auf DDR-spezifizische Verhältnisse beziehen, wie bspw. „Live-ShowClub, Vitaminbar, HO-Milchbar, Nuklear-Hearing". Vgl. dazu Martin Lehnert, AngloAmerikanisches im Sprachgebrauch der DDR (Berlin: Akademie-Verlag, 1990), S. 70-110, 70, 155-56. Und Peter Braun, Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache, 4. Auflage (Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 1998), S. 70. 185 Koelwel 1954: Goethe (27x): 12,14 (2x), 15,16 (2x) 23, 24, 28, 36-7, 37, 38, 43, 58, 60, 61, 64, 64-5, 66, 67-8, 68, 75, 82, 90, 99, 118, 122. Schiller (17x): 14 (2x), 19, 22, 37 (2x), 44, 53, 58, 64, 70, 83, 121, 132. Heine (13x): 26, 28, 30, 34 (2x), 35 (Loreley), 53, 60, 61, 75, 97, 108, 123. 186 Koelwel 1954: Thomas Mann (9x): 22, 29 (2x), 43, 53, 79, 80, 117, 128. Brecht (8x): 44, 72, 83 (3 x), 110-111, 113, 120. Luther (8x): 11, 18, 20, 41, 42, 43, 104, 114. Lessing (6x): 12, 82, 121, 124 (2 Fabeln), 130. Jean Paul (5x): 15, 22, 53, 96, 104. Börne (4x): 40, 104, 106-7, 119-20. 187 Koelwel 1954: Mehring: 36, 59,105. Strittmatter: 40, 61, 105-6. 188 Koelwel 1954: Engels (12x): 17, 30 (2x), 53 (2x), 62, 67, 80 (2 x) 122, 123, 131. Marx (9x): 4, 18, 30, 36, 40-41, 67, 86, 120, 135. Stalin (5x): 6, 6-7, 8, 77, 86. Erscheinen jeweils dreimal: Gottfried Bürger 37, 44, 66. Matthias Claudius: 37, 112-3, 114. Eduard Engel: 30, 48, 109-110. Christian Geliert: 58, 84, 124. Stefan George: 42, 61, 134. Ludwig Hölty: 17, 58, 71. Heinrich von Kleist: 19, 61, 129. Rainer Maria Rilke: 22, 60-61, 71. Eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern erscheinen ein- oder zweimal (vgl. dazu eine komplette Übersicht im Namensverzeichnis bei Koelwel 1954: 150-151), z. B.: W. Busch: 76. Döblin: 83, 90. Kasimir Edschmid: 61. Fontane: 60. Hebel: 58, 108-110. Herder: 61. Georg Herwegh: 103. Friedrich Hölderlin: 35. E.T.A. Hoffmann: 44. Georg Kaiser: 121. Klopstock: 43, 68. Heinrich Mann: 43, 59. C.F. Meyer: 72. Rückert: 70. Schopenhauer: 52, 104. Anna Seghers:
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Bei Koelwel & Ludwig steht Goethe mit 15 Bezugnahmen an der Spitze, gefolgt von Lessing (5x) und Schiller (5x), Otto Grotewohl (4x), Karl Marx (4x), Jean Paul (3x) und F.C. Weiskopf (3x). Unter anderen werden Klopstock, Wieland, Heine, Herwegh, Engels, Klemperer und Lenin erwähnt.189 Richtet man sich nach der Häufigkeit der Namen von Dichtern und Schriftstellern bei Faulseit, dann stehen Goethe und Schiller mit jeweils sieben Bezugnahmen an der Spitze, gefolgt von Friedrich Engels, Karl Marx und Rosa Luxemburg mit jeweils vier Referenzen. Des Weiteren werden Lessing, Mehring und Strittmatter erwähnt.190 Als geistig und sprachlich führend werden Georg Weerth, Dieter Noll, Anna Seghers und Christa Wolf ausgewiesen.191 Wie BRD-Stilautor Thierfelder will sich DDR-Stilautor Möller bewusst von der Literatur als Stilvorbild freimachen. Ihm gehe es darum, das praktische Stilkönnen zu fördern und zu entwickeln und nicht den Spiegel
22. Storm: 45. Tucholsky: 64, 138. Ludwig Uhland: 60. Walther von der Vogelweide: 68. Wieland: 14, 131. Arnold Zweig: 16, 116. Stefan Zweig: 35, 70. Mittelwert bei Koelwel 1954: 242 Bezüge auf 151 Seiten = mehr als ein Bezug pro Seite. 189 Koelwel & Ludwig 1964: Goethe: 39-40, 47-48 (7x), 49, 65, 75 (2x), 103 (2x). Lessing: 41, 42, 49, 89, 92. Schiller: 47, 47-48, 48 (2x), 49. Grotewohl: 72, 73, 74, 75. Marx: 74 - Kommunistisches Manifest. 51, 52, 73, 74. Jean Paul: 49, 50 (2x). Weiskopf: 70, 71, 72. Des Weiteren erscheinen Adelung: 41, 42, 43. Otto Behagel: 62. Büchner 51, 52. Bürger: 54. Campe: 44, 45. Dornseiff: 58. Duden: 58. Eduard Engel: 42, 48, 57. Friedrich Engels: 73, 74. Gottsched: 36-41, 46. Jacob Grimm: 55, 69. Wilhelm Grimm: 55. Grimmelshausen: 36. Hebbel: 103. Heine: 48, 50. Herwegh: 51. Hölderlin: 52, 54. M.I. Kalinin: 81. Kant: 83. Kleist: 52, 54. Klemperer: 71, 72. Klopstock: 46, 57. Friedrich Kluge: 62. Leibniz: 32, 33. Lenin: 8384, 91. Lichtenberg: 55, 88. Liebknecht: 81. Logau: 24, 35. Luther: 14, 16, 31. Moscherosch: 24. Opitz: 20, 34. Hermann Riegel: 61. Johann Rist: 28. Rompier von Löwenhalt: 28. Schopenhauer: 57, 94. Schottel: 22, 23, 35. Streicher: 64. Strittmatter: 50. Thomasius: 31. Walter Ulbricht: 94-95. Walther von der Vogelweide: 12. Wieland: 44, 47. Wustmann: 41, 56-57. Zesen: 29. Zitierte Werke: Hildebrandslied: 11. Manessische Handschrift: 12. Nürnberger Trichter: 28. Pferdesegen: 11. Mittelwert bei Koelwel & Ludwig: 74 Bezüge auf 124 Seiten = alle 2 Seiten ein Bezug. 190 Faulseit 1965: August Bebel: 119. Johannes R. Becher: 37. Ludwig Börne: 6. Bert Brecht: 24. Georg Büchner: 77. Courts-Mahler: 86. Konrad Duden: 120, 127. Engels: 19, 24 (2x), 106. Wolfram von Eschenbach: 100. Louis Fürnberg: 108, 115. Lion Feuchtwanger: 24-25, 25, 116. Fontane: 24. Goethe: 11, 24 (2x), 37 (2x), 100, 125. Otto Grotewohl: 20. Karl Heinz Hahn: 24. Hebbel: 24. Heine: 24. Herbert Jobst: 55. Heinrich von Kleist: 24. Eduard Koelwel: 67. Karl Kraus: 86-87. Heinz Krentzlin: 124. Lenin: 31. Lessing: 24, 37, 80. Wilhelm Liebknecht: 24, 127. Rosa Luxemburg: 20 (2x), 24, 106. Heinrich Mann: 24. Karl Marx: 19, 24, 106, 107. Franz Mehring: 24, 37 (2x). Dieter NoU: 24. Jean Paul: 103. Schiller: 24 (2x), 37 (2x), 119, 125, 131. Max Walter Schulz: 92, 93. Anna Seghers: 24. Erwin Strittmatter: 24, 105, 106. Kurt Tucholsky: 24. Georg Weerth: 24. F.C. Weiskopf: 37. Christa Wolf: 21-22, 22, 24. Wustmann: 37. Philipp von Zesen: 37. Mittelwert bei Faulseit: 76 Bezüge auf 135 Seiten = alle zwei Seiten ein Bezug. Luther erscheint nicht. 191 Faulseit 1965:24.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren
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der Dichtung vorzuhalten. 192 Trotzdem tauchen Dichter und Schriftsteller auf, wie bspw. J.R. Becher, Engels, Feuchtwanger, Glasbrenner, Goethe, Keller, Lessing, Luther, H. Mann, C.F. Meyer, Schiller, Seghers, Wieland und Zweig.193 Die Zusammenstellung der Bezüge zur Literatur hat gezeigt, dass die Klassiker Goethe, Schiller und Lessing weiterhin in den DDR-Werken erscheinen und auch andere aus den WR-, NS- und BRD-Werken vertraute Namen wie Keller, Klopstock, Wieland und Jean Paul auftauchen. Dazu gesellen sich allerdings neue Namen wie Marx, Engels, Brecht, Mehring, Strittmatter, Weerth, Noll, Seghers und Wolf, die mit häufiger Regelmäßigkeit in den DDR-Werken zitiert werden. Diese neuen Namen gehören entweder zu den Begründern des Kommunismus oder sind führende DDR-Autoren, die aufgrund ihrer politischen Einstellung und ihres Engagements in die DDR-Werke aufgenommen worden sind:194 „Beispiele für wirksame, beeindruckende, überzeugende Aussageformung finden wir in Hülle und Fülle bei den Klassikern des Marxismus-Leninismus, bei all jenen, die das Wort zur Waffe im Kampf um den gesellschaftlichen Fortschritt gemacht haben."195 Nach Faulseits Begründung gehen also politische Einstellung und sprachliche Leistung Hand in Hand. 192 MöUer 1958:8. 193 Möller 1958: Becher: 28. Engels: 64. Feuchtwanger: 53, 99. Adolf Glasbrenner: 102. Goethe: 88 (2x), 90. Gutzkow: 90. Hebbel: 87, 98. Keller: 27. Lessing: 43. Jack London: 44. Georg Lukacs: 62. Luther: 27. Heinrich Mann: 28, 64. C.F. Meyer: 41. Novalis: 90. Ostrowksi: 38. Max Planck: 88. Ludwig Reiners: 12, 56, 74. Schiller: 43, 59. Seghers: 28, 54. Adalbert Stifter: 62. Bodo Uhse: 62. Wieland: 43. Zweig: 64. Mutter Courage·. 23. Mittelwert bei Möller: 32 Bezüge auf 124 Seiten= alle vier Seiten ein Bezug. 194 Z. B. stellt Erwin Strittmatter „einfache" Leute ins Zentrum seiner Bücher, die auf der Suche nach dem eigenen Lebenssinn und den Möglichkeiten eines produktiven gesellschaftlichen Miteinanders sind. Er erhielt 1953 und 1955 einen Nationalpreis der DDR, vgl. dazu Böttcher (u.a.) 1993:712 und Herbert A. und Elisabeth Frenzel, Daten deutscher Dichtung, 32. Auflage, 2 Bände (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999), II, S. 661. Franz Mehring war ein führender Publizist des linken Flügels der deutschen Sozialdemokratie und der erste bedeutende deutsche marxistische Literatur- und Geschichtswissenschaftler nach Marx und Engels, vgl. dazu Günter Albrecht, u.a. (Hrsg.), Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller, 2 Bände (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1974), II, S. 81. Die marxistische Position wies Anna Seghers' schriftstellerischem Schaffen Richtung. Die bestimmenden Inhalte des Werkes von Anna Seghers sind ,,[d]er Kampf der Arbeiter, der Entrechteten und Verfolgten, der Aufeinanderprall der gesellschaftlichen Kräfte, das Aufspüren revolutionärer Potenzen und die Parteinahme für Menschen, die sich in den Kämpfen der Zeit bewähren." 1947 wurde Seghers Vizepräsidentin des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und 1950 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Schriftstellerverbandes, vgl. dazu Böttcher (Hrsg.), 1993:683 und Frenzel II, 1999:582. Georg Weerth war nach Engels „der erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats" und wandte sich mit politischen und satirischen Gedichten vor allem gegen die Ausbeutung der Arbeiter, vgl. dazu Albrecht (Hrsg.), 1974:432 und Frenzel 1,1999:406. 195 Faulseit 1965:19.
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Die Tendenz, „ideologisch geeignete" Schriftsteller zu vereinnahmen oder politische Führungsfiguren aufzunehmen ist nicht neu, wir sahen sie schon in der Epoche des Nationalsozialismus, wo Hitler und Goebbels in den Sprachratgebern und Stillehren auftauchten. 5.2.3.2 Die Funktionen der Vorbilder und ihrer Sprache Bei drei DDR-Stilautoren tauchen die Namen der Vorbilder in Beispielsätzen zur Illustration von Sprachregeln auf. Während diese Funktion bei Koelwel und Faulseit je zweimal auftaucht, benutzt Möller die Namen der Vorbilder neun Mal auf diese Weise, bspw. bei der Illustration von Satzbaufehlern: „Diese Sätze könnten stehen auch in J.R. Bechers Poetischer Konfession."196 Oder: „In dem Gedicht Friedrich Hebbels Welt und ich' vergleicht er die Herausbildung eines Charakters mit der Entstehung einer Perle."197 Im Vergleich zu den Werken aus anderen politischen Perioden erscheinen die Namen der Vorbilder und ihrer Werke in den DDR-Werken in dieser Funktion selten, hier ist eindeutig ein Rückgang zu bemerken. Der Rückgang ließe sich damit erklären, dass die Sprachbeispiele meistens den kommunistischen Alltag reflektieren, der sich auf die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen konzentriert (vgl. 5.1.6.1). Literarische Texte, die diesen Alltag widerspiegeln, sind zu dem Zeitpunkt noch selten. Die Funktion, dass die Sprache der Vorbilder den Sprachwandel veranschaulicht, ist in den DDR-Werken fast verschwunden, da nur ein DDR-Stilautor, nämlich Koelwel, an einigen Stellen die Sprache der Vorbilder dazu benutzt, um Ausfuhrungen zur Sprachentwicklung zu machen. Die Genitivformen für Eigennamen seien im Gegensatz zur Goethe-Zeit s-los geworden. Früher habe man gesagt Die leiden des jungen Werthers, heute heiße es Die leiden des jungen Werther;198 Aufgrund der geringen Beispiele für diese Funktion lässt sich feststellen, dass die Sprache der Vorbilder in den DDR-Werken kaum benutzt wird, um konkrete sprachgeschichtliche Ausführungen zu machen. Der Rückgang der Illustration des Sprachwandels passt zu der im Sprachdiskurs bereits festgestellten veränderten Sicht der Sprachvergangenheit (vgl. 5.1.2). Diese Funktion verliert
196 Möller 1958:28. Koelwel 1954:66, 90. Faulseit 1965:119, 131. 197 Möller 1958:87, ebenso S. 44, 27, 27, 38, 54, 59, 23. 1 9 8 Koelwel 1954:15, 36 (Unterschied zwischen „denn" und „dann" illustriert mit Worten Johannes Kesslers aus dem Jahre 1539). Obwohl die erste Hälfte des Buches von Koelwel & Ludwig (1964) aus einem sprachgeschichtlichen Überblick besteht, gibt es keine konkreten Sprachbeispiele, sondern allgemeine Beschreibungen der Vorbilder und ihrer Sprache; bspw. heißt es auf S. 48, Goethes Prosa sei durchsichtig und bildhaft und Schillers Sprache sei mitreißend und großartig.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren
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ihre Rolle durch die eher gesellschafts- als sprachbezogene Interpretation der Vergangenheit und durch die Fokussierung auf eine neue kommunistische Zukunft. Wir treffen auf eine Kontinuität mit den anderen Epochen, wenn die Vorbilder und ihre Sprache dazu eingesetzt werden, um das sprachliche und stilistische Ideal zu repräsentieren. DDR-Stilautor Koelwel benutzt nach Möglichkeit die Sprache der Vorbilder, um die von ihm zusammengestellten Sprachregeln zu illustrieren. Wie die Klassiker sollte man „mehre" statt „mehrere" gebrauchen und könne ruhig „frug" statt „fragte" sagen.199 Die Bedeutung und Funktion des Bindewortes „weil" erklärt er mit einem Satz aus Goethes Dichtung und Wahrheit, während Schillers Sprache den richtigen Gebrauch von „so" statt „wenn" im Bedingungssatz illustriert.200 Sätze aus dem Kommunistischen Manifest und aus Heines Har%reise erklären den Gebrauch der fürwörtlichen Umstandswörter (womit, woran). 201 Regelübertretungen in der Vorbildersprache spielen bei Koelwel keine große Rolle, da er nur an einer Stelle auf einen Fehler eines Vorbildes hinweist, den er folgendermaßen entschuldigt: die falsche Stellung des Reflexivpronomens „sich" in zwei Textauszügen von Friedrich Engels sei damit zu erklären, dass das Sprachgefühl zu der Zeit noch nicht so weit entwickelt gewesen wäre.202 Im Allgemeinen fordert Koelwel Freiheit von „kleinen" Regeln für den echten Dichter, der als Stilschöpfer der Volkssprache nahe stehe.203 Wie in den anderen Epochen, stellen die DDR-Stilautoren ihre Vorbilder auf stilistischer Ebene als ideal dar und benutzen Zitate, um die eigene Stiltheorie und einzelne Anweisungen zu untermauern. Worte von Marx illustrieren die von Koelwel vertretene Auffassung von Sprache und Denken. 204 Bei der Anweisung „Schreibe, wie du sprichst!" berufen sich Koelwel & Ludwig auf Goethes Rat an dessen Schwester. 205 Faulseit erinnert an Worte Börnes hinsichtlich der Erlernbarkeit des Stils.206 Seinen Aufruf zu Fleiß und harter Arbeit beim Verfassen eines guten Schriftstückes sollen Zitate von Schiller, Engels und Weiskopf veranschauli-
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Koelwel 1954:32, 44. Koelwel 1954:36-37: „Ist es gleich Nacht, so leuchtet unser Recht." Koelwel 1954:33-34. Es finden sich auf fast jeder Seite Beispiele dieser Art. Koelwel 1954:30. Koelwel 1954:16. Siehe auch S. 27, wo es heißt, die Fügung „der Mutter ihr Hut" sei als Kunstmittel eines echten Dichters zur volkstümlichen Charakterisierung der Gestalten akzeptabel.
204 Koelwel 1954:4, 99 (Goethe-Zitat über die Anschaulichkeit), 132 (Schüler-Zitat über die Kunst des Weglassens). 205 Koelwel & Ludwig 1964:103. 206 Faulseit 1965:6.
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Sprachratgeber und Stillehren in der D D R (1949-1965)
chen. 207 Während Koelwel & Ludwig Goethes Ablehnung der Fremdwörter und seine Verdeutschungen hervorheben, 208 erinnert der den Fremdwörtern tolerant gegenüber eingestellte Faulseit an Goethes und Schillers negative Meinung über die Puristen. 209 Konkret dient die Sprache der Vorbilder als Quelle zur Illustration der einzelnen Anweisungen. Möller veranschaulicht gut gebaute Sätze, in diesem Fall gelungene Mittelwortkonstruktionen, mit Beispielen von Friedrich Engels, Heinrich Mann und Arnold Zweig. Er zitiert aus der Grabrede von Friedrich Engels für Karl Marx: „Und er ist gestorben, verehrt, geliebt, betrauert von Millionen revolutionärer Mitarbeiter." Bei Heinrich Mann heiße es: „Bedenken wir: ein Fünfzigjähriger (Victor Hugo), schon erfolggewöhnt, im Staat schon unter den Ersten [-..]" und Arnold Zweig schreibe: „Grischa gelingt es, zu entfliehen; er wird, erkannt, für einen Spion gehalten." 210 Als Beispiel für einen gelungenen Ausrufesatz zitiert Faulseit Georg Büchners Kampfruf aus seiner Flugschrift Oer hessische handbote·. „Friede den Hütten, Krieg den Palästen". 211 Koelwel & Ludwig illustrieren die Stilfigur des Chiasmus anhand von Georg Herweghs „Bundeslied" und die musikalische Wortwiederholung im Kehrreim mit Heinrich Heines „Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch". 212 In den DDR-Werken erscheint nur ein Beispiel für einen stilistischen Regelübertritt, der mit einer Ausnahmeerlaubnis entschuldigt wird. Lediglich DDR-Stilautor Möller erlaubt den „namhaften Schriftstellern" Heinrich Mann und Anna Seghers im Rahmen des künstlerischen Ausdrucks die sonst so streng verbotene Ausklammerung, verbindet diese Erlaubnis aber mit der Warnung, behutsam zu verfahren. 213 Indirekt geht es bei Koelwel und Koelwel & Ludwig um dichterische Freiheit, wenn sie „kühne" Wortprägungen und „ungewöhnliche" Wortzusammensetzungen in der Dichtersprache gutheißen (z.B.: Klopstocks „blütenumduftet", Herders „bepurpuren", Heines „schmunzlächeln" oder Strittmatters „wei-
207 Faulseit 1965:24-5. 208 Koelwel & Ludwig 1964:48 (z. B. „Gegenbilder" für Pendants, „Geschwindschreiber" für Stenograph). 209 Faulseit 1965:37. 210 Möller 1958:64, siehe auch S. 99, wo Möller den gelungenen Wechsel von Aktiv und Passiv mit zwei Beispielen Lion Feuchtwangers illustriert. Weitere Beispiele auf S. 43, 62, 53, 88, 90, 9 8 , 9 1 , 1 0 2 . 211 Faulseit 1965:77. 212 Koelwel & Ludwig 1964:51: „Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die N o t der Sklaverei! Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!" Auf S. 50: „Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch. Wir weben hinein den dreifachen Fluch, Wir weben, wir weben!" aus Die schlesischen Weber. 213 Möller 1958:28,109. Auf S. 28 heißt es, „der Meister" könne die Form zerbrechen und sprachliche Experimente versuchen.
Stildiskurs: Die Stilauffassung der DDR-Stilautoren
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mern"). 214 Dadurch, dass in den DDR-Werken im Unterschied zu den WR-, NS- und BRD-Werken kaum sprachliche oder stilistische Regelübertretungen der Vorbilder angeprangert werden, vermitteln die DDR-Stilautoren ein durchweg positives Bild der Sprache der Vorbilder und stärken somit deren Autorität. Es liegt nahe zu vermuten, dass dieses Urteil in einem totalitären Staat erwartet wird. Wie in den WR-, NS- und BRD-Werken wird auch in den DDRWerken deutlich, dass die Person des Autors das Sprachurteil beeinflusst. Weiterhin gilt, dass eine politische Führungsrolle mit einer sprachlichen Vorbildrolle gleichgesetzt wird, ein guter Deutscher schreibt ein gutes Deutsch. Vor dem politischen Hintergrund der DDR bedeutet es, dass die kommunistischen Führer ein gutes Deutsch schreiben. So preisen Koelwel & Ludwig die klare Ausdrucksweise der „großen Söhne [des] Volkes, Karl Marx und Friedrich Engels". 215 Faulseit lobt die Sprache von Louis Fürnberg, den er als einen „unermüdliche[n] Kämpfer für die Einheit der Arbeiterklasse und die Einheit ihrer Partei" bezeichnet. 216 Er rühmt die sprachlichen Leistungen Wilhelm Liebknechts, der durch sein „Volksfremdwörterbuch", den im Kapitalismus unterdrückten und um Wissen und Welterkenntnis ringenden Arbeitern schwierigere wissenschaftliche Texte zugänglich gemacht habe.217 Die Auffassung, dass gutes Deutsch und kommunistische Ideologie scheinbar Hand in Hand gehen, führt dazu, dass die großen Dichter der Vergangenheit ebenfalls auf eine besondere Art dargestellt werden. Koelwel & Ludwig verweisen auf „volksnahe Wörter und volksnahen Satzbau" in der Sprache Goethes und Schillers und darauf, dass ihre Werke inhaltlich „Unfreiheit und Ungerechtigkeit" bekämpft hätten.218 Bei der sprachlichen Beurteilung von Werken ist der ideologische Inhalt ebenfalls ausschlaggebend. Als sprachlich vorbildlich werden Textstellen ausgewiesen, die die kommunistische Ideologie vertreten. Den wirkungsvollen Einsatz von Redewendungen veranschauliche ein Auszug aus dem Roman Der Findling von Herbert Jobst, in dem die Romanfigur nach einem politischen Standort zwischen der monarchisch-nationalistischen Tradition und der untergebenen linksgesinnten Arbeiterschaft suche. 219 Sätze aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels (u. a. die Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!") und eine Textstelle aus 214 Koelwel & Ludwig 1964:46. Koelwel 1954:60-62. 215 Koelwel Sc Ludwig 1964:73 (beziehen sich auf Otto Grotewohl). 216 Faulseit 1965:108. [Zum Wortlaut des Parteiliedes siehe Horst Dieter Schlosser, Die deutsche Sprachein der DDR, 2. Auflage (Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, 1999), S. 35], 217 Faulseit 1965:127. 218 Koelwel & Ludwig 1964:47-48, ähnlich das Lob über Grimmelshausen auf S. 35-36. 219 Faulseit 1965:55, weitere Beispiele auf S. 20, 21-22, 92, 93.
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Sprachratgeber und Stillehren in der DDR (1949-1965)
Rosa Luxemburgs Im Asyl gelten bei Faulseit als beispielhaft für sprachliche Wirksamkeit und die Bildkraft der Sprache. 220 Er erklärt die Textstelle folgendermaßen: Rosa Luxemburg bringt dem Leser mit diesen Zeilen ein wichtiges Stück marxistischer Erkenntnis näher: die Verelendung des Proletariats im Kapitalismus, das Mehrwertgesetz der kapitalistischen Produktionsweise, die Ausbeutung des Proletariats durch die Besitzer der Produktionsmittel, die Profitsucht der Kapitalisten, das Vorhandensein der industriellen Reservearmee — alles tragende Begriffe und wichtige Erkenntnisse der marxistischen Theorie, alles grundlegende Erscheinungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. 221
Mit diesem Kommentar beschreibt Faulseit den Inhalt, aber nicht die sprachlich-stilistischen Mittel wie die Bildkraft der Sprache. 222 Allerdings gehen die DDR-Stilautoren bei ihrem „ideologischen Urteil" nicht so weit, fehlerhaftes Deutsch oder schwerfällige Konstruktionen als vorbildlich auszuweisen wie NS-/BRD-Stilautor Reiners es mit der Sprache Blüchers tat oder NS-Stilautor Geißler mit der Sprache Hans Grimms. Die dritte Funktion, die Repräsentation des sprachlichen und stilistischen Ideals durch die Vorbilder und die Beurteilung von Sprache nach der Person des Autors und dem ideologischen Inhalt, besteht also weiterhin und stellt eine Kontinuität in allen vier Epochen dar. In den DDRWerken liegen dem Beurteilungsmaßstab allerdings Kriterien zugrunde, die vom kommunistisch-sozialistischen Gedankengut geprägt sind. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich auch die DDR-Stilautoren noch nicht davon befreit haben, literarische Texte als Vorlage für die Gebrauchsprosa zu benutzen.
220 Faulseit 1965:19, 106. 221 Faulseit 1965:20. 222 Weitere Beispiele dieser Art bei Faulseit 1965:53-54 (Beschreibung von Ausdrücken von Walter Ulbricht und Ernst Thälmann), 19-20, 106 (Kommentar zum Kommunistischen Manifest. Ebenso Koelwel & Ludwig 1964:51-52, 51, 58-59 (Dingwort-Wendungen und Sprachschablonen, wie bspw. „Aufbau des Sozialismus" und „Einbeziehung der Werktätigen" oder „qualitäts- und sortimentgerechte Produktion" seien durchaus akzeptabel, weil sie gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse widerspiegelten).
Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der DDR-Werke
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5.3 Der Sprachkonservatismus im Sprach- und Stildiskurs der DDR-Werke 5.3.1 Zusammenfassung der Hauptpunkte des Sprach- und Stildiskurses in den DDR-Werken im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken 5.3.1.1 Inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede Fassen wir die Aussagen des Sprach- und Stildiskurses in den DDRWerken im Überblick zusammen und vergleichen sie mit denen der anderen untersuchten Epochen. Wie in den NS-Werken ist die Sprachverfallsklage einer positiven Betrachtung des Sprachzustandes gewichen. Jeder Bürger engagiere sich für die Sprachpflege und das Deutsch werde immer besser. Anders ist die Darstellung der Sprachvergangenheit, die nicht mehr idealisiert wird und nicht länger als Mittel zur Sprachbelehrung fungiert, sondern soziolinguistische Aspekte in den Vordergrund stellt, wie bspw. die Errichtung der Klassengesellschaft und die Diskriminierung des gemeinen Volkes durch den Gebrauch von Fremdsprachen in kirchlichen und adligen Kreisen. Mit Ausnahme von Koelwel entwickelt sich bei den DDR-Stilautoren die für die Stillehren und Sprachratgeber neue Tendenz, den zeitgenössischen Sprachwandel zu beobachten und zu beschreiben. Im Gegensatz zu den Werken der anderen Epochen wird dem Volk von allen DDR-Stilautoren der entscheidende Einfluss bei der Sprachentwicklung zugesprochen. Wie in den NS- und BRD-Werken werden Neuwörter und Modewörter akzeptiert, sofern sie eigene, vermeintlich positive, politische und wirtschaftliche Verhältnisse reflektieren. Wie in den BRDWerken wird der Aspekt des zeitgenössischen Sprachwandels dazu ausgenutzt, um den Sprachzustand im anderen Teil Deutschlands zu kritisieren. In Bezug auf die Sprachrichtigkeitsauffassung kommt es zu Änderungen in den DDR-Werken: die Fehlerrüge ist gemäßigt und die DDRStilautoren suchen nach Erklärungen und Begründungen für die Sprachregeln, die sich nicht länger auf Sittlichkeit und Moral berufen. Zum ersten Mal sollen nicht die Dichter, sondern das Volk über die Sprachrichtigkeit entscheiden. Das Sprachgefühl bürgt nicht mehr für Sprachrichtigkeit, sondern wird der angelernten Sprachkompetenz untergeordnet. Die mit dem Organismuskonzept assoziierte emotionalisierende Bildersprache ist in den DDR-Werken rückläufig. Kraft und Leben der Sprache spielen nach wie vor eine Rolle, sollen aber insbesondere der Verbreitung der kommunistischen Ideologie durch eine starke Sprache dienen. Wie in den WR-, NS- und BRD-Werken dominieren im Zeitspiegel Verweise auf die herrschenden innen- und außenpolitischen Verhältnisse. In den DDRWerken sind sie von der Rivalität der wirtschaftlichen und politischen
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Sprachratgeber und Stillehren in der D D R (1949-1965)
Ideologien des Kommunismus und des Kapitalismus geprägt. Wie die NSStilautoren fordern die DDR-Stilautoren eine Ausdrucksweise, die den neuen politischen Umständen entsprechen soll. Der Aspekt der Sprachpflege als Weg zum Weltfrieden ähnelt Aussagen in BRD-Werken. Allerdings ist die Sprachpflege in den DDR-Werken nicht der direkte, sondern der indirekte Weg zum Weltfrieden, da eine gepflegte Sprache letztendlich der Verbreitung der vermeintlich Frieden bringenden Ideologie dienen soll. Die Funktion der deutschen Sprache als Einheitsträger besteht nur noch indirekt, und zwar nicht mehr durch die Bandmetapher, sondern durch Warnungen vor einer angeblich drohenden Sprachspaltung zwischen Ost und West. Im Gegensatz zu den BRD-Werken wird in den fünfziger Jahren und am Anfang der sechziger Jahre in diesem Zusammenhang der Aufruf zur Wiedervereinigung laut. In den DDR-Werken wird der Stolz auf die eigene Sprache nur noch angedeutet, es werden keine abwertenden Vergleiche zu anderen Sprachen gezogen. In der Stiltheorie und den Stilanweisungen kommt es in den DDRWerken zu einer Reihe von Änderungen im Vergleich zu den WR-, NSund BRD-Werken. Mit Ausnahme von Koelwel steht der Charakter nicht länger im Mittelpunkt der Stildefinition. An seine Stelle tritt eine lehr- und lernbare Technik, die sich auf die lexikalische und syntaktische Sprachkompetenz konzentriert. Der fehlende Charakterbezug in der Stildefinition macht sich zudem insofern bemerkbar, als dass die in den WR-, NSund BRD-Werken gemachte Behauptung eines für die Deutschen typischen nationalen Schreibstils entfällt. Auch Koelwel verändert den Charakterbezug und präsentiert ihn optimistisch, indem er die Sprache nicht länger als Ausdruck des [negativen] Charakters darstellt, sondern gutes Deutsch als charakterbildend und -bessernd unterbreitet. Die Voraussetzungen für einen guten Stil bleiben im Grunde gleich, werden aber teilweise mit der politischen Ideologie untermauert. In diesem Sinne wird die Rücksicht auf den Leser als Ausdruck des sozialen Miteinanders gefordert, während in der ausgebauten Verbindung von Sprache und Denken die angeblich die Wirklichkeit reflektierende Sprache letzten Endes zum sozialistischen Denken führen soll. Im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken kommt es in den DDR-Werken zu Modifikationen in den fünf untersuchten Stilanweisungen. Die Sprechsprache wird nicht länger als entscheidende Schreibhilfe eingestuft, sondern als ein gleichberechtigtes Register gesehen. Der emotional aufgeladene Gegensatz 'warme, lebendige Sprechsprache' und 'tote, langweilige Schriftsprache' bleibt aus. In Bezug auf Verben entfallen emotionale Lobpreisungen für diese Wortart. Die Hauptwort-Verb-Debatte beschränkt sich hauptsächlich auf Verbalsubstantive, wobei die Verbalsubstantive nicht unterschiedslos verurteilt werden, sondern ihre stilisti-
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sehen Funktionen und ihre Angemessenheit in bestimmten Textsorten in Betracht gezogen werden. Es werden keine Charaktereigenschaften mit den Wortarten assoziiert. Zu ähnlichen Änderungen kommt es bei der Stilanweisung zum Gebrauch von Aktiv und Passiv, wo die Genera Verbi nicht mehr mit bestimmten, gegensätzlichen Charaktereigenschaften assoziiert werden und die stilistischen Anwendungen des Passivs erläutert und erklärt werden. Bei den Erläuterungen zum Satzbau entfallen die Charakteranalyse des Schreibers, die Ablehnung der Unterordnung, die Rückführung von Satzbauproblemen auf das Lateinische oder die Gelehrten und der vermeintliche Überlegenheitsanspruch der deutschen Sprache. Satzbaumöglichkeiten werden erklärt und beschrieben. Die Diskussion der Fremdwörter ist im Vergleich zu den anderen Epochen nicht so einseitig, da die DDR-Stilautoren Fremdwörter nicht pauschal ablehnen, sondern ihren Gebrauch nach Fachbereichen, stilistischen Anwendungen und Kompetenz des Sprachteilnehmers beurteilen. Obwohl sich die Fremdwortdiskussion nicht mehr auf einer emotional-chauvinistischen Ebene bewegt, ist sie durch den deutsch-deutschen Vergleich (akzeptable Russismen im Osten, negativ eingestufte Anglizismen im Westen) noch immer politisiert. Hinsichtlich der stilistischen Vorbilder besteht insofern eine Parallele zu den NS-Werken, als dass sich politische Führungspersonen zu den Klassikern reihen. Ausgeprägt ist die Aufnahme ideologisch akzeptabler Schriftsteller. Die Hauptfunktion der Vorbilder besteht wie in den WR-, NS- und BRD-Werken darin, das sprachliche und stilistische Ideal zu repräsentieren. Dabei wird das sprachliche Urteil der DDR-Stilautoren nach wie vor von der politischen Einstellung des Autors und vom ideologischen Inhalt des Textes beeinflusst. Trotz rückläufiger Tendenz haben sich die DDR-Stilautoren noch nicht völlig davon befreit, literarische Texte als Vorlage für die Gebrauchsprosa zu benutzen. 5.3.1.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Sprachbetrachtung Die einzelnen Punkte im Sprach- und Stildiskurs der DDR-Werke haben gezeigt, dass sich die Darstellung und Betrachtung von Sprache und Stil von der Darstellung und Betrachtung in den WR-, NS- und BRD-Werken ändert. Das Element der Subjektivität ist stark abgeschwächt, da die DDR-Stilautoren im Allgemeinen versuchen, ihre Aussagen zu begründen. Wir treffen kaum noch auf vereinfachte, schwarzweiße Gegensatzpaare oder einen emotionalen Sprachgebrauch. Wir können also kaum mehr von methodischen Gemeinsamkeiten in der Darstellung von Sprache und Stil sprechen, sondern müssen von Unterschieden im Vergleich zu den WR-,
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Sprachratgeber und Stülehren in der DDR (1949-1965)
NS- und BRD-Werken ausgehen. Diesen Punkt werden wir im let2ten Kapitel im erläuternden Gesamtvergleich eingehend untersuchen.
5.3.2 Sprachkonservatismus in den DDR-Werken? Aufgrund der Untersuchung des Sprach- und Stildiskurses wurde im Kapitel über die WR-Werke eine Reihe von inhaltlichen Kriterien und Elementen erarbeitet, die den Sprachkonservatismus für unsere Untersuchung definieren. Diese Kriterien trafen wir in unterschiedlicher Ausprägung und Färbung in den NS- und BRD-Werken und konnten somit auf eine Kontinuität des Sprachkonservatismus in den untersuchten Perioden schließen. Wie die Diskussion und die obige Zusammenfassung des Sprach- und Stildiskurses gezeigt haben, kommt es in den DDRWerken im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken zu einer Reihe von inhaltlichen Änderungen und Unterschieden in der Sprachbetrachtung. Die Frage ist, ob wir trotz dieser Änderungen und Unterschiede über ausreichende Kontinuitäten verfügen, um in den untersuchten Sprachratgebern und Stillehren der DDR in den ersten zwei Jahrzehnten weiterhin vom Sprachkonservatismus sprechen zu können. Ingrid Hillen geht jedenfalls davon aus, dass es in Bezug auf die Sprachpflege in den Anfangsjahren der DDR zu keinem nennenswerten Wandel kommt: „Die während der beiden ersten Nachkriegsjahrzehnte in der DDR vorherrschende Sprachauffassung divergiert nicht wesentlich von dem für die erste Phase der Bundesrepublik charakteristischen 'konservativen' Sprachverständnis." 223 Im folgenden Schlusskapitel wird ein abschließender Vergleich aller vier Epochen gezogen, in denen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zusammengestellt und analysiert werden. Diese Zusammenstellung liefert dann die Grundlage zur Beantwortung der Frage, ob man in den ersten zwanzig Jahren der DDR noch vom Sprachkonservatismus in den Stilund Sprachratgebern sprechen kann. Aus der Antwort auf diese Frage ergibt sich dann die Antwort auf unser Untersuchungsthema: Haben die unterschiedlichen politischen Systeme und Ideologien im politisch turbulenten Deutschland vom Anfang der zwanziger Jahre (1923) bis zur Mitte der sechziger Jahre (1967) einen Einfluss auf die Sprach- und Stilauffassung in populären laienlinguistischen Werken ausgeübt oder haben sich die Ansichten über Sprache und Stil unbeeinflusst vom herrschenden politischen System gehalten?
223 Hillen 1982:143.
6 Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung 6.1 Gesamtvergleich des Sprach- und Stildiskurses zwischen 1923 und 1967 Der folgende erläuternde Gesamtvergleich stellt im Überblick die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zusammen, die sich in den WR-, NS-, BRD- und DDR-Werken befinden, um die Frage nach der Kontinuität des Sprachkonservatismus in den untersuchten populären Sprach- und Stilratgebern in Deutschland zwischen 1923 und 1967 zu beantworten.
6.1.1 Gemeinsamkeiten in WR-, NS-, BRD- und DDR-Werken Als erstes fassen wir die Aspekte zusammen, die in allen vier politischen Perioden in den untersuchten WR-, NS-, BRD- und DDR-Werken eine Gemeinsamkeit darstellen. Allen gemein ist, dass der Sprach- und Stildiskurs das politische Zeitgeschehen in den jeweiligen Epochen reflektiert. Das zeigt sich gut anhand des Zeitspiegels, wo sich Sprachbeispiele auf Institutionen, Ereignisse und Erscheinungen beziehen, die für das jeweilige politische System spezifisch sind (...1.6.1). In den WR-Werken finden wir bspw. Hinweise auf die wirtschaftliche Not, den Antisemitismus, Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg und den Vielparteienstaat. In den NSWerken werden u. a. nationalsozialistische Institutionen wie die SA, die HJ und der BDM erwähnt oder die Deklinationsendungen des „erhobenen, rechten Armes", also des Hidergrußes, diskutiert. In den BRD-Werken tauchen zum Beispiel die Ost- und die Westzone, das Flüchtlingselend, die D-Mark und die CDU auf. In den DDR-Werken erscheinen u. a. die Nationale Volksarmee, Konsumgenossenschaften, die Brigade und der Pionierchor in Sprachbeispielen. Diese Gemeinsamkeit der Zeitbezüge ist darauf zurückzuführen, dass die Stilautoren ihr Beispielmaterial für ihre Sprachanweisungen zum Teil aus dem Sprachgebrauch des aktuellen politischen und sozialen Umfeldes entnehmen und sich deshalb darauf beziehen.
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Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
Weitere Gemeinsamkeiten finden sich in allen vier Epochen bei dem Aspekt der Vorbilder für Sprache und Stil (...2.3). Erst einmal besteht eine Gemeinsamkeit darin, dass in allen vier Epochen Bezugnahmen zu einer Reihe von Dichtern und Schriftstellern und ihren Werken erscheinen. Obwohl sich einige Stilautoren bewusst vom Sprachvorbild der Literatur freimachen wollen (z. B. BRD-Stilautor Thierfelder und DDR-Stilautor Möller), zitieren alle Stilautoren in unterschiedlichem Ausmaß Sprachbeispiele aus literarischen Kunstwerken, wobei in allen vier Epochen u. a. die Sprache der Klassiker Goethe, Lessing und Schiller die Muster für Sprachund Stilregeln liefern und wiederholt Beispiele von Herder, Jean Paul, Keller, Klopstock und Uhland auftauchen. Das bedeutet, dass die Stilautoren textsortenwidrig vorgehen, da literarische Texte als Vorlage und Beispiele für die Gebrauchsprosa dienen. Hinzu kommt, dass die Stilautoren Sprache als eine ahistorische Größe betrachten und anachronistisch vorgehen, wenn bspw. das Deutsch des ausgehenden 18. Jahrhunderts als Vorlage für die Gebrauchsprosa des 20. Jahrhunderts benutzt wird, in dem eine Reihe neuer sprachlicher Herausforderungen durch technische, politische und soziale Entwicklungen an die Sprache gestellt werden. 1 Wie ist zu erklären, dass die Literatur und insbesondere die Klassiker kontinuierlich als Vorbilder auftauchen? Alle Stilautoren weisen sich durch ihr Unternehmen, einen Sprachratgeber oder eine Stillehre zu schreiben, als Sprachliebhaber aus. Zum Verfassen des Sprachwerkes gehört eine intensive Beschäftigung mit der Sprache, die dazu führt, dass die Stilautoren sich als Sprachexperten einstufen. Es ist nicht verwunderlich, dass der 'qualitativ hervorgehobene' Stil der Sprache, das formvollendete literarische Sprachkunstwerk, eine Anziehung für den Sprachliebhaber und Experten ausübt und für ihn als offensichtlicher sprachlicher Bezugspunkt fungiert. 2 Wichtiger noch als die Anziehungskraft der Klassikersprache ist jedoch, dass die allseits akzeptierte Autorität der Sprachvorbilder den Anspruch auf die Legitimität der eigenen Aussagen der Stilautoren untermauert. Wenn Goethe, Lessing und Schiller so schreiben, dann muss es richtig sein! In engem Zusammenhang damit steht die Gemeinsamkeit, dass in allen vier Epochen die Vorbilder nicht nur zur Untermauerung einzelner Sprach- und Stilregeln von den Stilautoren eingesetzt werden, sondern dass sie auch die Aussagen und Behauptungen der Stilautoren in sprachund stiltheoretischer Hinsicht zu stützen scheinen. Die Vorbilder werden 1
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Zu Textsorten' und dem Textsorten-Stil' vgl. Sanders 1973:87-92. Siehe auch E. Riesel in Sanders 1973:89. Zu 'anachronistisch': Sanders fragt bspw., wie zeitgemäß und praktikabel das anerkannt gute Deutsch unserer alten Sprachmeister sei, vgl. Sanders 1998:67-70, 69. Zum literarischen Stil und anderen Stilarten siehe E. Riesel, Stilistik der deutschen Sprache (Moskau: Staatsverlag Hochschule, 1963), S.14-17 und Sanders 1973:34.
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von den Stilautoren so dargestellt, als ob sie ihre Sprach- und Stilauffassung teilten, indem ihre Zitate und Aussprüche über Sprache und Stil die Sprach- und Stilauffassung des Stilautors 'belegen'. So wurde bspw. in jeder Epoche Goethes vermeintlicher Rat, Fremdwörter zu vermeiden, von wenigstens einem Stilautor zitiert. Diese Gemeinsamkeit ist ebenfalls damit zu erklären, dass die Vorbilder bewusst oder unbewusst von den Stilautoren eingesetzt werden, um die eigene Autorität zu bekräftigen. Zudem verstärken die Zitate den Eindruck, dass es sich bei den Stilautoren um belesene Sprachexperten handelt. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht im ideologischen Element der Vorbilder, das in allen vier Epochen festzustellen ist. Die Wahl und die Darstellung der Vorbilder sind von der politischen Ideologie der Stilautoren beeinflusst, d. h. ihr Bewertungsmaßstab von vorbildlicher Sprache ist subjektiv, da er von ihrer politischen Ideologie geprägt ist. Dabei lässt sich in allen vier Epochen die folgende Gleichung für die Stilautoren anwenden: ein guter Deutscher, also jemand, der sich gemäß der gängigen oder eigenen politischen Ideologie um Muttersprache und Vaterland verdient gemacht hat, schreibt ein gutes Deutsch, 3 oder es handelt sich um gutes Deutsch, wenn der Text die eigene oder gängige politische Ideologie verkörpert, 4 oder um schlechtes Deutsch, wenn der Text der eigenen oder gängigen politischen Ideologie zuwiderläuft. 5 Etablierte Vorbilder wie bspw. Luther oder Goethe und Schiller werden zudem ins 'richtige', d. h., Ideologie-konforme Licht gerückt, indem Aspekte und Elemente hervorgehoben werden, die der politischen Ideologie des Stilautors oder der Epoche entsprechen. Der vehemente Fremdwortgegner WR-Stilautor Engel betont bspw. Luthers angeblichen Kampf gegen das 'lateinische Blutgift', der konservative NS-/BRD-Stilautor Reiners preist das Deutsch des Reichsgründers Bismarcks und die DDR-Stilautoren Koelwel & Ludwig beschreiben Goethes und Schillers Werke im kommunistischen Sinn als 'volksnah' und als Kampf gegen Unfreiheit und Ungerechtigkeit. Eine Konsequenz der ideologisch geprägten Wahl und Darstellung ist, dass das mustergültige Image der Vorbilder um jeden Preis bewahrt werden muss, weil sonst nicht nur das sprachliche und stilistische Ideal als Maßstab gefährdet wird, sondern auch die eigene Autorität ins Wanken gerät und indirekt Kritik an der Ideologie geübt wird. So kommt es seitens der Stil-
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Z. B. WR-Stilautor Engel über Luther und Moltke (2.2.3.2), NS/BRD-Stüautor Reiners über Blücher und Bismarck (3.2.3.2, 4.2.3.2), DDR-Stilautoren Koelwel & Ludwig über Marx und Engels (5.2.3.2).
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Z. B. NS-Stilautor Geißler über Hans Grimm (3.2.3.2) oder DDR-Stilautor Faulseit über Rosa Luxemburg (5.2.3.2).
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Ganz deutlich wurde diese Haltung bei NS/BRD-Stilautor Reiners und dem Expressionismus (3.2.3.2).
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autoren zu den Erklärungen oder Entschuldigungen von Fehlern und sprachlichen Übertretungen der Vorbilder, die wir in allen vier Epochen finden.6 6.1.2 Gemeinsamkeiten in den NS- und DDR-Werken Im Sprach- und Stildiskurs der NS- und DDR-Werke, also in den Werken der totalitären Regimes, fallen drei Gemeinsamkeiten auf. Die erste Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich die Behauptungen der Stilautoren in Bezug auf den Sprachzustand in den Diktaturen ähneln (3.1.1 und 5.1.1). Die Sprachverfallsklage, die normalerweise Ausgangspunkt und Antrieb der Sprachmission des Stilautors und ein wichtiger Bestandteil des Sprachkonservatismus ist, erscheint stark abgeschwächt oder entfällt und wird mit einer optimistischen Beurteilung der Sprachlage (DDR-Werke), bzw. der sprachlichen Zukunft (NS-Werke) ersetzt. Diese positive Einschätzung des Sprachzustandes steht im direkten Zusammenhang mit dem herrschenden politischen System und deutet auf die besonders enge Wechselwirkung zwischen Sprache und politischer Ideologie im totalitären Regime. Einerseits scheint die politische Ideologie der Sprache zu dienen: Die Ideologie pflegt und fördert die Sprache, die Verwirklichung der sprachlichen Idealnorm scheint näher zu rücken. Andererseits scheint die Sprache der politischen Ideologie zu dienen: der Sprachdiskurs bereitet den Hintergrund und liefert den Anlass, die politische Ideologie zu verbreiten und für sie zu werben. Diese Verbreitung der politischen Ideologie erfordert es, ein bestimmtes Bild der Sprache und Sprachpflege zu zeichnen. Unter den neuen politischen Umständen des Nationalsozialismus und der D D R 'geht es eben auch sprachlich voran'; Sprachkritik im und am eigenen ideologischen System ist nicht mehr angebracht, kritisiert werden nur ideologiefremde Systeme wie die Weimarer Republik im Nationalsozialismus oder der Nationalsozialismus und die B R D in der DDR. Schließlich muss man sich fragen, ob die abgeschwächte oder fehlende Sprachverfallsklage und die positive Einschätzung der Sprachlage wirklich ernst zu nehmen ist, denn die Sprachlage ist wohl doch noch nicht so gut, als dass sich ein Verfassen des Sprachratgebers oder der Stillehre für die Stilautoren erübrigt!
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Z. B.: (WR, siehe 2.2.3.2) die Klassiker gebrauchten Fremdwörter, weil sie sich sprachlich nur langsam vom 'fremden J o c h ' befreien konnten; ( N S / B R D , siehe 3.2.3.2) bei Goethe ist die sonst verpönte Unterlassung von 'ich' ein Ausdruck unbewusster Diplomatie; (DDR, siehe 5.2.3.2) das Sprachgefühl von Friedrich Engels war noch nicht so entwickelt, deshalb gibt es einige Ausdrucksmängel.
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Die zweite Gemeinsamkeit, die sich in den Werken der totalitären Regimes findet, besteht darin, dass Forderungen nach einer den politischen Verhältnissen angemessenen Sprache laut werden. Die politische Ideologie soll eine bestimmte Ausdrucksweise bedingen, bzw. die Sprache soll Charakteristiken oder Kernelemente des politischen Systems und seiner Ideologie reflektieren. In den Werken des vermeintlich lebendigen, tatkräftigen Nationalsozialismus fordern die Stilautoren den Verzicht auf tote, starre Wortformen, wie Verbalsubstantive und Abkürzungswörter. In der kommunistischen DDR verlangen sie die Vermeidung von Wörtern des kapitalistischen Wortschatzes im Sprachgebrauch. Das politische System soll sich durch die Sprache manifestieren und identifizieren. Drittens werden die Politiker und die ideologischen Führungspersonen, politisch engagierte Schriftsteller oder solche, die ideologisch geeignet sind, als Sprachvorbilder in die Werke der totalitären Regimes aufgenommen und gesellen sich zu den schon bekannten literarischen Größen. In den NS-Werken tauchen bspw. Zitate von Hitler, Goebbels und H.S. Chamberlain auf, in den DDR-Werken sind es Marx, Engels, Grotewohl und Lenin. Hinzu kommt die vermehrte Aufnahme der politisch engagierten Schriftsteller. Während sich eine Reihe von Schriftstellern in den DDR-Werken für die kommunistische Sache engagiert, wie z. B. Brecht, Mehring und Strittmatter, werden in den NS-Werken Schriftsteller aufgenommen, die zur nationalsozialistischen Ideologie passen, wie bspw. Hans Grimm oder Rudolf Binding. Diese drei Gemeinsamkeiten in den NS- und DDR-Werken deuten darauf hin, dass es eine andere Haltung in der Sprachpolitik in Demokratien und in den Diktaturen in den untersuchten Werken gibt. Die Wechselwirkung zwischen Sprache und politischer Ideologie ist in den totalitären Regimes intensiver als in den Demokratien von Weimar und der BRD. Im Faschismus und im Kommunismus wird diese Wechselwirkung seitens der von der politischen Ideologie überzeugten Stilautoren intensiviert. Die Stilautoren stellen eine bestimmte sprachliche Erwartungshaltung an das politische System, indem sie eine vermehrte positive Einflussnahme vom politischen System auf die Sprache erwarten. Sie sehen im Staat und im System einen Anfuhrer und einen Verbündeten in Sachen Sprachpflege. Diese Erwartungshaltung wird sicherlich auch vom totalitären Regime geschürt, denn es will sich ja auf allen Gebieten als erfolgreich erweisen. Andererseits fordern die Stilautoren im Rahmen des Regimes eine bestimmte Aus drucks weise von den Sprachteilnehmern und beschränken so die Sprachfreiheit. Die demokratischen Systeme bleiben eher im Hintergrund, sie bieten nicht so viel Unterstützung, erlauben aber dadurch mehr Freiheit.
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6.1.3 Gemeinsamkeiten in den BRD- und DDR-Werken In den BRD- und DDR-Werken treffen wir auf eine Gemeinsamkeit, die durch die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen politischen Systeme in den zwei Teilen Deutschlands besonders deutlich wird. Beide Seiten benutzen den Sprach- und Stildiskurs, um Sprachkritik am anderen System zu üben. Bei dieser Kritik geht es nicht nur um den sprachlichen Führungsanspruch in der Ο st-West-Debatte, sondern auch darum, die politische Ideologie des Bruderstaates zu diskreditieren. Die DDR-Stilautoren benutzen bspw. die Fremdwortdebatte, um die angeblich von Angloamerikanismen überflutete Sprache in Westdeutschland als kapitalistischdekadent zu kritisieren (5.2.2.5). Die BRD-Stilautoren wenden die Darstellung der Neu- und Modewörter dazu an, um das Deutsch der DDR als 'undeutsch' und als 'hinterlistiges [Sowjet]deutsch' auszuweisen (4.1.3). Fassen wir an dieser Stelle zusammen, welcher Natur die oben identifizierten Gemeinsamkeiten sind. Bis auf die inhaltliche Gemeinsamkeit, dass alle Werke in den vier Epochen die Klassiker als Sprachvorbilder ausweisen, befinden sich bis zu diesem Zeitpunkt im Vergleich alle Gemeinsamkeiten auf einer funktionalen Ebene: die Sprachbeispiele reflektieren unterschiedliche inhaltliche Aspekte der jeweiligen, politischen Periode, fungieren aber alle als Zeitspiegel; die unterschiedliche politische Ideologie fungiert in allen Epochen als Bewertungsmaßstab bei der Auswahl und Darstellung der Sprachvorbilder; unterschiedliche 'ideologische' Vorbilder fungieren zur Untermauerung der Autorität des Stilautors; unterschiedliche politische Ideologien fungieren als Antrieb für die Sprachpflege und fordern eine bestimmte, der Ideologie angepasste Ausdrucksweise; die Sprachkritik fungiert als Basis für die Kritik des anderen politischen Systems. Die Kontinuität der Gemeinsamkeiten beruht also nicht auf inhaltlichen Aspekten, sondern in der Funktion der Stillehren und Sprachratgeber als politische Plattform, als Sprachrohr für die herrschende politische Ideologie. Die Tatsache, dass der Sprach- und Stildiskurs in der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren so politisiert wird, ist ein weiterer Beleg für die eingangs erwähnte, traditionell enge Verbindung von Sprache und politischem Zustand, von Sprach- und Nationalbewusstsein in Deutschland. 7 Abschließend gilt es, die letzte und größte Gruppe der Gemeinsamkeiten zusammenzufassen, nämlich die Gemeinsamkeiten in den WR-, NS- und BRD-Werken, und sie den Unterschieden und neuen Aspekten in den DDR-Werken gegenüberzustellen, um die Frage nach der Kontinuität und Diskontinuität des Sprachkonservatismus in den vier Epochen zu beantworten.
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Siehe 1.1.
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6.1.4 Gemeinsamkeiten in den WR-, NS- und BRD-Werken im Vergleich zu den Unterschieden in den DDR-Werken Betrachten wir nun die Gemeinsamkeiten und Ubereinstimmungen der WR-, NS- und BRD-Werke, die die Basis für den Sprachkonservatismus in den drei Epochen liefern und stellen sie den Unterschieden in den DDR-Werken gegenüber. Bei diesem zusammenfassenden Vergleich ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass wir die Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken mit der Bedingung verbunden haben, dass der Sprachkonservatismus Färbungen und Modifizierungen durch das jeweilige politische System unterliegt. Im Nationalsozialismus wurden eine Reihe schon bestehender Tendenzen und Aspekte des Sprachkonservatismus verstärkt, wovon viele in der B R D wieder abgeschwächt wurden. Wir hatten den Sprachkonservatismus in den untersuchten Werken mit dem Bild eines Pendels verglichen: im NS schlägt es aus, in der B R D beruhigt es sich wieder und schlägt in einem Takt, der an die Weimarer Republik erinnert. Um die Übersichtlichkeit des nun folgenden Vergleiches nicht zu beeinträchtigen, gehen wir nicht noch einmal auf die jeweiligen Modifizierungen und Färbungen im Sprachkonservatismus in den NS- und BRD-Werken ein. Worin bestehen nun die Gemeinsamkeiten im Sprach- und Stildiskurs der WR-, NS- und BRD-Werke im Vergleich zu den Unterschieden in den DDR-Werken? Die WR-, NS- und BRD-Werke glorifizieren die Sprachvergangenheit und liefern mit Vorliebe historische Erläuterungen zu Wortformen oder Sprachphänomenen. Auf den Mythos eines vergangenen goldenen Sprachzeitalters und auf teils verklärte historische Sprachbetrachtungen und Erläuterungen treffen wir in den DDR-Werken aus ideologischen Gründen nicht mehr. Unter feudalen, das Volk ausbeutenden Herrschaftsformen kann es kein goldenes Sprachzeitalter geben. Die Interpretation der Sprachgeschichte wird von der kommunistischen Ideologie geprägt, welche die wichtige Rolle des Volkes in der Sprachentwicklung der Vergangenheit betont und auf die 'sprachliche Unterdrückung' des Volkes hinweist. In diesem Sinne ist auch die Darstellung des Fremdsprachenkontaktes der Vergangenheit in den DDR-Werken zu verstehen. Während die WR-, NS- und BRD-Werke den Fremdsprachenkontakt auf sprachlicher Ebene diskutieren und als sprachschädigend ausweisen, interpretieren die DDR-Werke den Gebrauch von Latein und Französisch vornehmlich als Möglichkeit der herrschenden Klassen (Adel und Klerus), das einfache Volk auszugrenzen und zu unterdrücken. In Bezug auf den zeitgenössischen Sprachwandel fallen in den WR-, NS- und BRD-Werken die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der wiederholten Kritik an unliebsamen Spracherscheinungen und die fuhrende Rolle
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Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
von Experten, Dichter und Sprachliebhabern in der Sprachentwicklung auf. Diese beiden Punkte begegnen uns nicht in den DDR-Werken. Die Kritik an der zeitgenössischen Sprachentwicklung ist stark abgeschwächt und wird von Beschreibungen der Veränderungen im Sprachgebrauch ersetzt. Ebenso sollen nicht mehr Experten, Dichter oder Sprachliebhaber die Sprachentwicklung bestimmen, wie in den WR-, NS- und BRDWerken, sondern der Sprachgebrauch des Volkes wird durchgehend als maßgeblich hervorgehoben. Dass nicht mehr eine Elite von Sprachexperten die Sprachentwicklung bestimmen soll, sondern das gesamte Volk, entspricht ebenfalls der Ablehnung der Klassengesellschaft in der kommunistischen Ideologie. Das Thema der Neu- und Modewörter findet im Gegensatz zu den untersuchten Werken der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der BRD in den DDR-Werken weniger Beachtung, wobei besonders Neuwörter aus dem Bereich der Politik im Einklang mit der nicht angebrachten Sprachkritik in einem totalitären Regime als positiv ausgewiesen werden. Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht in Bezug auf die Sprachrichtigkeit, denn die WR-, NS-, BRD- und DDR-Werke fordern alle die Einhaltung der Sprachregeln. Während die WR-, NS- und BRD-Werke Sprachfehler scharf rügen, fällt auf, dass die Fehlerrüge in den DDR-Werken abgeschwächt ist. Sprachfehler werden dort distanzierter diskutiert, indem sie nicht länger als unsittlich oder unmoralisch dargestellt werden und vermehrt Begründungen für die Einhaltung von Sprachregeln angeführt werden. Während die WR-, NS- und BRD-Werke Dichter und 'fuhrende' Schriftsteller als Sprachrichter ausweisen, wird diese Rolle in den DDRWerken dem Volk und seinem Sprachgebrauch zugewiesen. Den WR-, NS- und BRD-Stilautoren dient das Sprachgefühl im Zusammenhang mit der Sprachrichtigkeit als wichtiger Bezugspunkt und Freibrief für ihre Regeln und unterstützt so ihre Auffassung von Sprachrichtigkeit. In den DDR-Werken verliert das Sprachgefühl diese Rolle, es wird sozusagen 'entthront', indem es der angelernten und anerzogenen Sprachkompetenz untergeordnet und somit nachprüfbar wird. Die Darstellung der Sprache als Organismus mit ihrer natursprachlichen Metaphorik und der Betonung von Kraft und Leben steht bei den WR-, NS- und BRD-Stilautoren in der Tradition von Jacob Grimm. 8 Es fällt auf, dass diese Auffassung in den DDR-Werken durch eine deutliche Reduzierung der Anzahl von emotionalisierenden Vergleichen und Bildern in den Hintergrund tritt. Während die WR-, NS- und BRD-Werke die Kraft der deutschen Sprache abstrakt preisen, betonen die DDR-
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Zu Sprache als Organismus und Jacob Grimm siehe Gardt 1999:263-4 und Ahlzweig 1994: 137.
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Werke die Kraft der deutschen Sprache als Mittel zur Verbreitung der kommunistischen Ideologie. Eine wichtige Gemeinsamkeit in den WR-, NS- und BRD-Werken ist die politische Funktion der deutschen Sprache. Durch das in allen drei Epochen verwendete, klassische Nationalsymbol der Bandmetapher wird deutlich, dass die deutsche Sprache als Einheitsträger dient. Die Bandmetapher wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit Vorliebe dazu verwendet, um die deutsche Sprache im Rahmen der 'Muttersprache-VaterlandIdeologie' als Einheits- und Identitätsstifter auszuweisen. 9 Die einheitsstiftende Funktion der Sprache scheint sich in den DDR-Werken zu ändern, denn lediglich Koelwel (1954) erwähnt noch die Bandmetapher, in den anderen DDR-Werken erscheint sie nicht mehr. Die Aufrufe nach Wiedervereinigung in den frühen DDR-Werken berufen sich auch nicht mehr auf die einheitsstiftende deutsche Sprache, sie sind als Reflektion der offiziellen DDR-Politik politisch-ideologisch und nicht sprachlich motiviert. Mit der antigesamtdeutschen Haltung und der Politik der Abgrenzung verstummen diese Aufrufe dann auch in den untersuchten DDR-Werken der sechziger Jahre. Bei den Warnungen vor einer vermeintlichen Sprachspaltung zwischen Ost- und Westdeutschland handelt es sich dann eher um ideologiebedingte Systemkritik im 'SprachmanteP. Die unterschiedliche nationalpolitische Funktion der deutschen Sprache wird ebenfalls in Bezug auf den Fremdsprachenvergleich deutlich. In den WR-, NS- und BRD-Werken herrscht ausgeprägter Stolz auf die eigene Sprache, der zum Teil in Überheblichkeit umschlägt. In den DDR-Werken gibt es keinen ausgeprägten Sprachenstolz mehr, anmaßende Vergleiche der deutschen Sprache mit fremden Sprachen fehlen ganz. In Bezug auf die Stiltheorie und Stilanweisungen gibt es in den WR-, NS- und BRD-Werken Gemeinsamkeiten, die in den DDR-Werken nicht mehr erscheinen. 10 Im Gegensatz zu der in den WR- NS- und BRDWerken ausgeprägten Auffassung des Persönlichkeitsstil und seiner engen Verknüpfung mit Tugend und Moral wird der Stil in den DDR-Werken als eine lehr- und erlernbare Technik angesehen, die sich auf die gute Kenntnis der Sprache, des Wortschatzes und der Syntax gründet. Die Sprechsprache verliert die Stellung als Schreibhilfe, die sie in den WR-, NS- und BRD-Werken innehat, steht nicht länger im Gegensatz zur Schriftsprache und wird als gleichberechtigtes Register diskutiert. Das in 9
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Evelyn Ziegler, „Die Band-Metapher im nationalsprachlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts" in Neue deutsche Sprachgeschichte, Cherubim, Jakob, Linke (Hrsg.), (Berlin, New York: de Gruyter, 2002), S. 111-138 (S. 116.) Zur Bestimmung der Begriffe „Muttersprache" und „Vaterland" vgl. Townson 1992 und Ahlzweig 1994. Bei Koelwel (1954) finden sich noch 'Überreste' der Ideen und Auffassungen aus den WR-, NS- und BRD-Werken.
226
Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
den WR-, NS- und BRD-Werken oft überschwängliche Lob für die Wortart der Verben und die pauschale Ablehnung der Hauptwörter, insbesondere der Verbalsubstantive, entfallen in den DDR-Werken. Dort wird das Hauptwort nicht länger als Rivale des Verbes betrachtet, und die Verwendung des Verbalsubstantivs wird in Bezug auf verschiedene Textsorten, Stilebenen und Schreibabsichten als angebrachte Wortform erläutert. Inhaltlich verliert die in den WR-, NS- und BRD-Werken intensiv geführte Diskussion um Aktiv und Passiv die Wichtigkeit in den DDR-Werken, da nur noch ein DDR-Stilautor den Gebrauch der Genera Verbi in Bezug auf verschiedene stilistische Funktionen diskutiert, ohne beide Genera in einen Gegensatz zu stellen. In Bezug auf die Stilanweisung zum Satzbau kommt es ebenfalls zu inhaltlichen Unterschieden. Die WR-, NS- und BRD- Werke empfehlen die Nebenordnung als typisch deutsch, verschmähen die Unterordnung und preisen die Freiheit der Wortstellung als Überlegenheit in Bezug auf fremde Sprachen. Die DDR-Werke betrachten den Rahmensatz als typisch deutsch, erlauben die Unterordnung und schränken die Freiheit der Wortstellung durch Bedingungen ein. In den WR-, NS- und BRD-Werken fallen in der Fremdwortdiskussion abwertende Bilder und Vergleiche für Fremdwörter auf. Diese entfallen in den DDR-Werken, der Fremdwortgebrauch wird nicht länger mit nationalistischen Begründungen abgelehnt und die stilistischen Möglichkeiten seines Gebrauchs werden diskutiert. All diese Unterschiede in den DDR-Werken weisen auf eine grundlegende inhaltliche Änderung in der Sprach- und Stilauffassung im Vergleich zu den Werken der anderen Epochen: Im Gegensatz zu den WR-, NS- und BRD-Werken werden die Sprache und der Stil in den DDRWerken nicht länger mit menschlichen Charaktereigenschaften, sittlichen, moralischen und nationalen Werten oder mit organischen Eigenschaften verbunden und aufgeladen. In den DDR-Werken wird Sprache zum erlernbaren Gegenstand. So erklärt sich, dass Stil in den DDR-Werken als Technik eingestuft wird und nicht länger als Ausdruck der Persönlichkeit des Schreibers gilt. Ein schlechter Stil und Sprachfehler sind kein Zeichen einer dunklen Seele oder des sittlichen Verfalls sondern ein Ausdruck fehlender Sprachbildung. Die Schriftsprache gilt nicht als 'tot' und die Sprechsprache nicht als 'lebendig'. Das Verb wird nicht als 'Seele' oder 'Herz' des Satzes und das Hauptwort nicht als 'starr' bezeichnet. Das Passiv ist kein Ausdruck von Schwäche oder von 'Unmännlichkeit' und das Aktiv steht nicht mehr für Tatendrang. Der Gebrauch von Nebensätzen bedeutet nicht, dass der Schreiber eine untertänige Mentalität hat und komplizierte Sätze gelten zwar noch immer als schwer verständlich, werden aber nicht als Zeichen eines labilen Charakters mit einer verworrenen
Gesamtvergleich des Sprach- und Stildiskurses zwischen 1923 und 1967
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Lebenseinstellung gewertet. Der Gebrauch des Fremdwortes gilt nicht als 'unehrlich' oder als Zeichen mangelnden Nationalbewusstseins. Zusammenfassend können wir feststellen, dass von den inhaltlichen Kriterien des Sprachkonservatismus nur noch drei Kriterien in modifizierter Form in den DDR-Werken zutreffen: In Bezug auf die Sprachrichtigkeit beharren die DDR-Stilautoren weiterhin auf die Einhaltung von Sprachregeln, ersetzen allerdings die aus den WR-, NS- und BRD-Werken bekannte Fehlerrüge meistens mit Erklärungen und weisen das Volk als Sprachrichter aus; das Organismuskonzept ist in den DDR-Werken zwar noch vorhanden, aber wenig ausgeprägt; nicht nur literarische oder politische Größen der Vergangenheit, sondern auch zeitgenössische Größen dienen als Vorbilder für Sprache und Stil, allerdings in geringerem Umfang. Die folgenden fünf Kriterien des Sprachkonservatismus der WR-, NS- und BRD-Werke treffen in den DDR-Werken nicht mehr zu: Sprachverfallsklage, Verherrlichung der Sprachvergangenheit, Ablehnung des Sprachwandels, Sprache mit einer nationalpolitischen Funktion, Sprache und Stil im Allgemeinen und im Speziellen als Ausdruck des Charakters. Wie sieht es auf der Ebene der Sprachbetrachtung und -darstellung aus? Auf dieser Ebene stellten wir für die WR-, NS- und BRD-Werke eine ausgeprägt subjektive, schwarzweiße und emotionale Sprachbetrachtung als Ausdruck des unkritischen Denkens fest. Wie schon in der inhaltlichen Diskussion der einzelnen Punkte deutlich wurde, ändert sich die Sprachbetrachtung und -darstellung in den DDR-Werken. Im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken unterlassen es die DDR-Stilautoren im Allgemeinen, subjektive Sprachurteile abzugeben, d. h., sie verzichten auf Aussagen, die sich nach dem individuellen Geschmack, den eigenen Vorlieben oder Gefühlen richten, und bemühen sich, ihre Aussagen zu begründen. Die Aspekte des zeitgenössischen Sprachwandels und der Sprachrichtigkeit machen diese veränderte Haltung besonders gut deutlich. Der Sprachwandel und der veränderte Sprachgebrauch werden hauptsächlich beschrieben und erklärt und nicht kritisiert. In der Sprachrichtigkeit versuchen die DDR-Stilautoren nach Möglichkeit, Erklärungen für die Einhaltung der Sprachregeln zu liefern. Im Gegensatz zu den anderen Epochen tauchen keine subjektiv-autoritären Kommentare auf wie bspw.: „Wer diese Regel bestreitet, hat kein Sprachgefühl!" (Wustmann). Anstatt Sprache zu werten und vorzuschreiben wie in den Werken der anderen drei Epochen, tendieren die DDR-Stilautoren dazu, die Sprache zu beobachten, zu beschreiben und zu erklären. Die Diskussion der Stilanweisungen machte klar, dass die WR-, NSund BRD-Stilautoren mit Vorliebe mit Schwarzweißmalerei arbeiten. Die pauschalen Gegensatzpaare, wie z. B.: gute Sprechsprache - schlechte
228
Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
Schriftsprache, gutes Verb - schlechtes Hauptwort, gutes Aktiv - schlechtes Passiv, gute Nebenordnung - schlechte Unterordnung, fehlen in den DDR-Werken. Stattdessen versuchen die DDR-Stilautoren zu differenzieren, indem sie verschiedene Register unterscheiden und die jeweiligen Ausdrucks- und Wortformen in einen Kontext setzen. Dabei erwägen sie im Gegensatz zu den WR-, NS- und BRD-Stilautoren unterschiedliche Stilebenen und Stilfunktionen, Textsorten und Sprachsituationen und fällen keine Pauschalurteile. In den WR-, NS- und BRD-Werken fiel der emotionale Sprachgebrauch auf, der sich besonders in der Bildersprache und in den Vergleichen äußerte. Dieser Sprachgebrauch hat in den DDR-Werken nachweislich abgenommen. Wie wir oben sahen, wird die Sprache nicht mehr emotional aufgeladen wie in den anderen Epochen, da organische Eigenschaften und menschliche Charakterzüge kaum auf Sprache und Stil projiziert werden. In Bezug auf die Darstellung der einzelnen Aspekte des Sprach- und Stildiskurses lässt sich also feststellen, dass die drei sich ergänzenden methodischen Kernelemente des Sprachkonservatismus, nämlich die Subjektivität, die Schwarzweißmalerei und die Emotionalität, die letztendlich zur Verhinderung der kritischen Reflektion über Sprache führen, im Vergleich zu den WR-, NS- und BRD-Werken nur noch in geringem Maße in den DDR-Werken vorhanden sind. Die DDR-Stilautoren ersetzen die Kernelemente mit Sachlichkeit, Differenzierung und emotionaler Distanzierung. Die Haltung, Erklärungen zu finden und Sprachphänomene sachlich zu beobachten und im Kontext zu beschreiben, deutet auf ein reflektierendes, kritisches Sprachbewusstsein und auf ein verändertes Autoritätsverständnis. Die DDR-Stilautoren betrachten ihren Expertenstatus nicht länger als Freibrief zum autoritären Vorschreiben wie die Stilautoren der anderen Epochen. Diese Methode der Sprachbetrachtung und behandlung deutet darauf, dass sich in den untersuchten laienlinguistischen Stillehren und Sprachratgebern der DDR ein Übergang von der traditionellen präskriptiven zur modernen deskriptiven Haltung vollzieht.
6.1.5 Fazit Die Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Sprachund Stilauffassung der WR-, NS- und BRD-Werke im Vergleich zu den DDR-Werken hat also ergeben, dass wir aufgrund wesentlicher Unterschiede in Bezug auf den Inhalt und die Sprachbetrachtung in den populären Sprachratgebern und Stillehren der ersten zwei Nachkriegsjahrzehnte der DDR nicht mehr vom Sprachkonservatismus sprechen können. In
Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken
den laienlinguistischen Werken der DDR findet Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre eine Abkehr vom Sprachkonservatismus statt. Während Eduard Koelwel einige 'Überreste' der 'alten', präskriptiven Tradition des Sprachkonservatismus aufweist, deutet sich besonders bei den DDR-Stilautoren Möller (1958) und Faulseit (1965) der Beginn einer 'neuen', eher deskriptiven Sprach- und Stilbetrachtung in dieser Textsorte an, die nicht mehr viel vom „charakteristischen 'konservativen' Sprachverständnis" enthält, das Hillen in ihrer Untersuchung der Sprachpflege in Bezug auf die Sprachauffassung der jungen DDR feststellte. Im Gegensatz zur BRD ist die DDR in der Laienlinguistik zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zu einer neuen, modernen Stillehre.11 Der erläuternde Gesamtvergleich des Sprach- und Stildiskurses in den populären Sprachratgebern und Stillehren in Deutschland zwischen 1923 und 1967 hat aufgrund der festgestellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede gezeigt, dass wir in den laienlinguistischen Werken der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik auf die Kontinuität des (vom jeweiligen politischen System gefärbten und modifizierten) Sprachkonservatismus treffen, während wir in den untersuchten Werken der DDR eine Abkehr vom Sprachkonservatismus feststellen. Im Folgenden wird versucht, Gründe für die Kontinuität und die Abkehr vom Sprachkonservatismus zu finden.
6.2 Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken Bevor wir versuchen, die Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken zu erklären, sei darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis zu Hillens Feststellung von Kontinuitäten in der Sprachauffassung der Sprachpflege zwischen 1875 und 1975 passt und die von Bremerich-Vos vermuteten Kontinuitäten bestätigt, es widerspricht allerdings Hennes Behauptung von Zäsuren im Nationalsozialismus und in der BRD (siehe 1.1). Denn obwohl es zu Modifizierungen und Färbungen in 11
Hillen 1982:143. Damit könnte man die untersuchten Sprachratgeber und Stillehren der fünfziger und sechziger Jahre in der DDR gewissermaßen als Vorläufer der sprachwissenschaftlichen Stilistik in der DDR betrachten, die mit der Stilistik der deutschen Gegenwartssprache von Fleischer und Michel Anfang der siebziger Jahre ein modernes, als Hochschullehrbuch anerkanntes Werk vorlegten. Dieses Werk war allerdings auch für den sprachlich interessierten Laien geeignet. Bis Anfang der achtziger Jahre gab es in der BRD noch kein Gegenstück dazu. Wolfgang Fleischer, Georg Michel, Stilistik der deutschen Gegenwartssprache (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1975). Vgl. Uwe Förster, „Georg Möller und die Lehre vom Stil", Muttersprache 91 (1981), 241-243 (S. 243).
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Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
den drei politischen Perioden kommt, bewegen sich diese letztendlich nur auf der Oberfläche. Wie wir anhand der Sprach- und Stilauffassung sahen, wird der Sprachkonservatismus in der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren in den drei politischen Perioden nicht erschüttert. Wie ist diese Kontinuität des Sprachkonservatismus in den drei Epochen zu erklären? Betrachten wir auf der Suche nach einer Erklärung die Produzenten (Stilautoren) und Konsumenten (Leser) der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren (6.2.1), ihr Verhältnis zur Sprache (6.2.2) und die politischen Umstände (6.2.3).
6.2.1 Die Produzenten und Konsumenten der Sprachratgeber und Stillehren Wir können in Bezug auf die untersuchten Sprachratgeber und Stillehren zwei offensichtliche Gruppen identifizieren: die verhältnismäßig kleine Gruppe der Produzenten der Textsorte, die Stilautoren, und die zahlenmäßig große Gruppe der Konsumenten der Textsorte, die Leser. Dabei kommt den Stilautoren als Produzenten der Textsorte eine aktive Rolle zu, während wir bei den Lesern als Konsumenten nur von einer passiven Rolle ausgehen können. Beide Gruppen ergänzen sich, weil sie gemeinsam die erfolgreiche Existenz der Sprachratgeber und Stillehren ermöglichen. Die Verkaufserfolge wurden eingangs anhand der Auflagezahlen und der Auflagedauer dargestellt und belegt (1.4.2). Worauf beruhen die Verkaufserfolge und was können wir über die Gruppe der Leser sagen? Ohne eine Rezeptionsgeschichte der Textsorte seitens der Leser zu erstellen, d. h. darüber zu spekulieren, wie und in welchem Umfang die einzelnen Leser die in der Textsorte verbreitete Sprach- und Stilauffassung rezipiert haben, lassen sich einige allgemeine Feststellungen machen.12 Die Popularität der Sprachratgeber und Stillehren deutet darauf hin, dass sie bei den Lesern einen 'Nerv treffen'. Vielleicht spielt, wie Sanders vorgeschlagen hat, die vergnüglich unkomplizierte Sprachdarstellung mit ihrer unterhaltenden Seite eine nicht unbedeutende Rolle dabei (siehe 2.3.1.2). Sicherlich ist aber ein 'wichtiger Nerv' oder Hauptbeweggrund der Leser für den Kauf eines Sprachratgebers oder einer Stillehre die zuverlässige Sprachberatung
12
Vgl. dazu bspw. von Polenz (1999:311) über die Unmöglichkeit, den Erfolg von Sprachratgebern zu messen: „Es kann leider nicht gemessen werden, in wie vielen Fällen Leser sprachkritischer Bücher das Kritisierte fortan meiden und sich situationsangemessen einen reflektierteren, differenzierteren, gewählteren Formulierungsstil angewöhnen."
Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken
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aufgrund der eigenen Unsicherheit in Sprach fragen. 13 Antos sieht sogar in dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach unumstrittenem und gesichertem Wissen den Grund für den Konservativismus. Die Öffentlichkeit wolle sich nicht nach wechselnden „Wissenschaftsmoden" ausrichten. Wissensrevisionen durch Wissenschaftsentwicklung würden den Laien verunsichern, daher böten die Ratgeber gesicherte, risikolose, d. h., bewährte, konservative Erkenntnisse. 14 Schließlich steht hinter der gewünschten Sprachberatung die Sprachverbesserung. Der Leser will nicht nur gut und richtig, sondern auch 'besser' schreiben als zuvor. Dieses Ziel der Leser deckt sich mit der Absicht der Stilautoren, denn die Sprachverbesserung ist ihre Mission (siehe 2.1.1). Im Gegensatz zu den eher allgemeinen Aussagen über die Gruppe der Leser ist es in Bezug auf die Stilautoren einfacher, präzise Angaben über sie zu machen. Welche Eigenschaften können wir nun bei den Stilautoren feststellen? Zunächst teilen sie alle den gleichen missionarischen Eifer und die leidenschaftliche Liebe zur Sprache, denn sonst hätten sie sich nicht dazu berufen gefühlt, einen Ratgeber über gutes Deutsch und guten Stil zu verfassen. Doch sie teilen nicht nur die Liebe zur Sprache, sie teilen auch die Uberzeugung, dass sie über die Kompetenz verfügen, über Sprache und Stil zu lehren. Sie betrachten sich gewissermaßen als Sprachexperten oder Sprachautoritäten. Es liegt nahe, den Grund dafür in ihrer Ausbildung und in ihrer beruflichen Tätigkeit zu suchen. Betrachten wir also kurz, soweit vorhanden, einige relevante biographische Einzelheiten der Stilautoren. Alle Stilautoren der WR-Werke gehören zur gebildeten Schicht, denn sie haben studiert (einige sogar Germanistik), promoviert und sind z. T. Professoren und bekannte oder erfolgreiche Autoren. 15 Gustav Wustmann (1844-1910) studierte klassische und deutsche Philologie und Archäologie und promovierte nach dem Staatsexamen im Jahre 1866 über den griechischen Maler Apelles. Er arbeitete als Gymnasiallehrer, Leiter der Leipziger Stadtbibliothek, war Direktor des Leipziger Ratarchivs und erster Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Leipzigs. 1897 wurde er zum Professor ernannt. 16 Uberarbeitet wurden seine Sprachdummheiten in der Wei-
13
Vgl. Sanders 1988:391-2. Siehe ebenfalls Albrecht Greule, „Sprachkultivierung — Theorie und Praxis in Deutschland" in Europäische Sprachkultur und Sprachpflege, Albrecht Greule und Franz Lebsanft (Hrsg.), (Tübingen: Narr, 1998), S. 25-36 (S. 34).
14 15
Antos (1996:15) benutzt den Ausdruck 'Konservativismus' und nicht 'Konservatismus'. Eine Auswahl ihrer Veröffentlichungen befindet sich im Literaturverzeichnis unter dem Namen des jeweiligen Stilautors. Diese Auswahl von Veröffentlichungen weist die Stilautoren nicht nur als 'Bildungsbürger' aus, sondern stützt auch die in 1.4 gemachte Aussage, dass die untersuchten Stilautoren zu den führenden Stillehrern ihrer Zeit gehören. Vgl. Meyer 1993:239-240, 311.
16
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marer Republik von Dr. Herbert Stubenrauch. 17 Eduard Engel (18511938) ist als Literaturwissenschaftler und Schriftsteller in die Geschichte eingegangen. Er studierte Sprachwissenschaften und klassische und romanische Philologie und promovierte 1874 zum Dr. Phil. Er arbeitete als Schreiber im preußischen Abgeordnetenhaus und als amtlicher Stenograph im Deutschen Reichstag. Er verfasste eine Reihe von erfolgreichen Büchern über Sprache, Literatur und Geschichte, die nach 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft verboten wurden. 18 Ernst Wasserzieher (18601927) war studierter und promovierter Germanist, erfolgreicher Schriftsteller und arbeitete als akademischer Oberlehrer und Studiendirektor. 19 Karl Schneider war promovierter Sprachgelehrter und publizierte in den zwanziger und dreißiger Jahren Beiträge über die deutsche Sprache. 20 Ähnliche biographische Einzelheiten finden wir bei den NS- und BRD-Stilautoren. NS-/BRD-Stilautor Ludwig Reiners (1896-1957) studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in München und Breslau und schloss sein Studium 1920 mit der Promotion ab. Er war hauptberuflich im kaufmännischen Bereich tätig und wurde vor allem als erfolgreicher Sachbuchautor bekannt. 21 NS-Stilautor Ewald Geißler (1880-1946) studierte Theologie, Germanistik und Philosophie, promovierte 1904 und habilitierte sich 1925 in Erlangen für T)eutsche Sprachkunst'. 1932 wurde er zum Professor ernannt und veröffentlichte Abhandlungen zur geschichtlichen Entwicklung der deutschen Hochsprache. 22 Der Überarbeiter der NS- und BRD-Ausgaben der Sprachdummheiten, Werner Schulze, und der Überarbeiter der NS- und BRD-Ausgaben von Wasserziehers 17
18
19
Dabei könnte es sich um den Buchhändler Dr. Herbert Stubenrauch handeln, der 12 Jahre (1923 — 1935) fiir die deutsche Volkskunde in der Verlagsbuchhandlung tätig war. Vgl. CD-Nachschlagewerk: Deutsche Biographische Enzyklopädie fi)BE), Deutscher Biographischer Index (DBI) (München: K.G. Saur Verlag, 2001). ISBN 3-598-40360-7. [Im Folgenden als „DBE/DBI" abgekürzt]. Suchwort: Herbert Stubenrauch. Siehe auch http://www.stabikat.de, insbesondere: http://stabikat.staatsbibliothekberlin.de:8080/DB=l/SET=7/TTL=l/NXT?FRST=ll vom 14/03/04. DBE/DBI 2001: Suchwort 'Eduard Engel'. Neue Deutsche Biographie, 21 Bände (Berlin: Duncker & Humboldt, 1959), IV, S. 499-500. Siehe eine Auswahl von Engels Publikationen im Literaturverzeichnis. DBE/DBI 2001: Suchwort 'Ernst Wasserzieher'. Kürschners Deutscher Literaturkalender (Berlin: de Gruyter, 1907-1952), Spalte 768. Wasserziehers Lehrertätigkeit nach Auskunft des Stadtarchivs Flensburg, Quelle XIII Bü 2244-8: Wasserzieher war Ende des 19. Jahrhunderts am Staatlichen Oberlyzeum zu Flensburg beschäftigt. Siehe auch Deckblatt Schlechtes Deutsch, 3. Auflage (1925).
20 21
Wustmann (1935:291) bezeichnet Dr. Karl Schneider als „modernen Sprachgelehrten". Börsenvertreter einer Bank, Direktionsassistent in der Schwerindustrie, Holzhändler auf dem Balkan, Verkaufsdirektor einer Textilfabrik in München, siehe DBE/DBI 2001, Suchwort 'Ludwig Reiners'.
22
DBE/DBI 2001: Suchwort 'Ewald Geißler'. In seinem pädagogischen Wirken erlag Geißler dem Nationalsozialismus. 1946 nahm er sich zusammen mit seiner Frau das Leben.
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Schlechtem Deutsch, Eugen Flad, waren ebenfalls promoviert. 23 Franz Thierfelder (1896-1963) war Politikwissenschaftler. Er promovierte zum Dr. phil. und Dr. rer. pol. und arbeitete als Referent an der Deutschen Akademie in München und im hessischen Kultusministerium, als Generalsekretär des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen sowie als freier Schriftsteller. Er beschäftigte sich mit Völkerpsychologie, Kulturgeschichte der Balkanvölker und internationaler Kulturpolitik und veröffentlichte u.a. Umgang mit Völkern (1949).24 Diese biographischen Angaben verweisen auf eine grundlegende Gemeinsamkeit der Stilautoren: Als studierte und promovierte Männer mit ihren beruflichen und schriftstellerischen Aktivitäten teilen sie einen hervorstechend 'bildungsbürgerlichen' Hintergrund. Nun kann man aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen schon Ende des 19. Jahrhunderts nur noch mit Vorbehalten vom 'Bildungsbürgertum' sprechen. 25 Trotzdem finde ich die Bezeichnung der 'Bildungsbürger' für die Stilautoren im 20. Jahrhundert geeignet, da sie die 'klassischen' Kriterien des Bildungsbürgertums erfüllen. Der Historiker Thomas Nipperdey definiert Leute des ausgehenden 19. Jahrhunderts als 'Bildungsbürger', die ein akademisches Studium absolviert und mit Prüfungen sowie dem Erwerb von 'Bildungspatenten' abgeschlossen haben, und die auf Grund dieser Tatsache ihren Beruf ausüben und ihr Einkommen beziehen. Dabei kann ihre Klassenposition selbständig, angestellt oder beamtet sein. Die Einkommensverhältnisse variieren von einem reichen Rechtsanwalt bis zum armen Gymnasiallehrer, ermöglichen aber einen Lebensstandard oberhalb der handarbeitenden Klassen. Das Beamtentum und freie Berufe sind charakteristisch für das Bildungsbürgertum, wobei das Erziehungsmilieu, die Umgangsgemeinschaft, die Staatsnähe und das Berufsverständnis sowie der Standesethos gemeinsame Klammern bilden. Dabei bleibt die akademische Bildung das Α und O, auf das man sich bezieht. Für den Bildungsbürger ist sein Beruf ein Stand, der mit Standesehre und Standesmoral verbunden ist. Er ist geprägt durch den Dienst am Allgemeinen, durch Pflicht, Fürsorge und Loyalität, den bürgerlichen Weg des Fortschritts, durch Recht, Wohlfahrt und Kultur. Die Bildungsbürger genießen soziales Ansehen, sie gehören zu den höheren Schichten, sie sind in der Nähe der kulturellen, sozialen und politischen Macht angesiedelt. Die Bildungsbürger teilen nicht nur die Gemeinsamkeit der Ausbildung, sondern auch einen gemeinsamen Stil der Lebensformen (Verkehrs-, Geselligkeit-, Heiratskreise) und gemeinsame 23 24
Siehe eine Auswahl ihrer Veröffentlichungen im Literaturverzeichnis. DBE/DBI 2001: Suchwort 'Franz Thierfelder'.
25
Klaus J. Mattheier, „Standardsprache als Sozialsymbol. Uber kommunikative Folgen gesellschaftlichen Wandels" in Das 19. Jahrhundert, Rainer Wimmer (Hrsg.), (Berlin, New York: de Gruyter, 1991), S. 41-72 (S. 49).
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ratskreise) und gemeinsame kulturelle Aktivitäten (Hausmusik, Theater, Bücher). Umgang mit der Kultur ist ein Teil des täglichen Lebens dieser Schicht und bedeutet den Umgang „mit literarischer Lebensdeutung und reflexion, mit Künsten und Wissenschaften, mit hochkomplizierten Vermitdungssystemen". 26 Zum Umgang mit der Kultur gehört die Orientierung an einer komplexen und literarischen Hochsprache. Die Folge ist eine erhöhte sprachliche Ausdrucks- oder mindestens VerstehensFähigkeit.27 Als Zeichen des Bildungsbürgertums, als Signal der Kulturbeflissenheit und der Bildung gelten die Klassikerkenntnis und die Verwendung von Klassiker-Deutsch. 28 Wie wir sehen, erfüllen alle Stilautoren das Ά und O' der Ausbildung, haben durch ihr Studium 'Bildungspatente' erworben und üben auf Grund ihrer Ausbildung ihren Beruf aus. Sie sind meistens beamtet und als Lehrer oder Professoren tätig. Die von Nipperdey als kultureller Umgang beschriebene Orientierung an der Hochsprache' könnte kaum ausgeprägter sein. Die schriftstellerischen Aktivitäten, das Verfassen von Sprachratgebern und Stillehren, die Auseinandersetzung mit dem hochkomplizierten Vermitüungssystem 'Sprache' ordnen die Stilautoren den Bildungsbürgern zu. Die Stilautoren erfüllen ebenfalls das Kriterium der Klassikerkenntnis, wie wir in ihren Vorbildern für Sprache und Literatur sahen. Während wir keine Informationen über die Umgangsgemeinschaft der Stilautoren haben, können wir aufgrund des Inhalts ihrer schriftstellerischen Produkte etwas über die Staatsnähe und den Standesethos sagen. Ihre Staatsnähe drückt sich bspw. durch die fehlende Kritik an den politischen Machthabern und die Akzeptanz der politischen Situation aus, denn keiner der Stilautoren übt in den Stillehren und Sprachratgebern ernsthafte oder offene Kritik am eigenen politischen System. Ihr Standesethos drückt sich in den Werten aus, mit denen sie die Sprache 'aufladen': Ehre, Moral, Pflicht, Fürsorge — das sind alles bildungsbürgerliche Begriffe und Wertvorstellungen, die uns in den Sprachratgebern und Stillehren begegnen 26 27 28
Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 3 Bände (München: Beck, 1998), I, S. 382-7 (S. 383). Nipperdey 1998:383. Mattheier 1991:48, 60-61. Für Harth deutet der „Klassikerkult" auf das Bildungsbürgertum. Dietrich Harth, „Nationalliteratur" in Nation und Sprache, Andreas Gardt (Hrsg.), (Berlin, New York: de Gruyter, 2000), S. 349-381 (S. 364). Büdung bezeugte man bspw. durch Zitate aus dem „Büchmann". Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Zitaten, Redensarten und Sentenzen aus der Klassikersprache, von dem Philologen Georg Büchmann (1822-1884) zusammengestellt und im Jahre 1864 erstmals veröffentlicht als: Geflügelte Worte. Der Citatenschat^ des Deutschen Volks. Das Buch erreichte im Jahre 1900 eine Auflage von 100000 Exemplaren und fand in den weitesten Kreisen der Gebildeten lebhaftesten Anklang als „ein Denkstein unserer nationalen Bildung". Vgl. Wolfgang Frühwald, „Büchmann und die Folgen", in Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Reinhart Koselleck (Hrsg.), (Stuttgart: Klett, 1990), S.197-219 (S. 198-199).
Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, N S - und BRD-Werken
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und die wir ausführlich diskutiert haben: die Pflege und Fürsorge der Sprache ist eine Pflicht, zur Ehre des Vaterlandes, eine falsche, schlechte Sprache ist unmoralisch und unsittlich. M. E. können wir die Stilautoren durchaus als 'Bildungsbürger' bezeichnen, denn trotz der gesellschaftlichen Veränderungen verschwindet das Bildungsbürgertum im 20. Jahrhundert nicht. Nach Mattheier wird das Bildungsbürgertum im Laufe des 19. Jahrhundert lediglich „entkonturiert", d. h., es verwischt seine Grenzen, da seine kulturellen Lebensformen und bildungsbürgerlichen Ausdrucksformen vom Besitzbürgertum, Kleinbürgertum und gegen Ende des Jahrhunderts auch von der Arbeiterschaft als Leit- und Orientierungsnormen angenommen werden.29 Ulrich Engelhardt verfolgt verschiedene Stadien in der Entwicklung des Bildungsbürgertums bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. 30 Wir können die WR-, NS- und BRD-Stilautoren also zu der gesellschaftlichen Schicht der Bildungsbürger zählen. Aber wie sieht es mit den Lesern aus? Wie oben erwähnt, können wir keine präzisen Angaben über die Leser machen. Wir können nur davon ausgehen, dass die Stilautoren erwarten, für einen 'bildungsverwandten Leserkreis' zu schreiben. Indiz dafür sind die häufigen Zitate der Klassikersprache in der Abteilung der Vorbilder für Sprache und Stil (.. .2.3). Die Stilautoren erwarten, dass ihre Leser ihre auf Bildung beruhenden Zitate, Anspielungen und Querverweise verstehen und zu schätzen wissen.31 Die Stilautoren und die Leser sind als Mitglieder des 'Bildungsbürgertums' eine wichtige Voraussetzung für den Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken, bieten aber trotzdem noch keine Erklärung für seine Kontinuität. Zu diesem Zweck ist es nötig, das Verhältnis des Bildungs bürger turns zur Hochsprache oder Standardsprache näher zu untersuchen.
29
Mattheier 1991:49.
30
Ulrich Engelhardt, „Bildungsbürgertum" Begriffs- und Dogmengeschichte eines "Etiketts (Stuttgart: Klett, 1986), S. 180-225. Auf S. 185: Um die Jahrhundertwende wurde der Begriff des Bürgertums „immer häufiger zu einer inhaltlich verschwommenen und sozialanalytisch fließenden, daher leicht ausufernden Typusbezeichnung, zu einem syndromartigen 'Vorstellungskomplex' mit unterschiedlichen 'Affektstrukturen', wenn nicht zu einer existentialontologisch aufgeladenen Mentalchiffre — (Bildungs-)Bürgerlichkeit."
31
'Bildungsverwandter Leserkreis' nach WR-Stilautor Engel (2.2.1.2).
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6.2.2 Das 'Bildungsbürgertum' und die Standardsprache Was ist die Verbindung vom Bildungsbürgertum und der deutschen Standardsprache? „Das Bildungsbürgertum hat im 19. Jahrhundert [...] die Durchsetzung und Ausbreitung der Standardsprache, insbesondere auch in ihrer sprechsprachlichen Variante, veranlasst und geprägt." 32 Mit anderen Worten: die Schicht des Bildungsbürgertums war im 19. Jahrhundert der Träger der Standardsprache. Trotz der Entkonturierung des Bildungsbürgertums und der sich verwischenden Klassengrenzen im 20. Jahrhundert stoßen wir nach wie vor bei den Stilautoren und Lesern auf genau diese Verbindung: Als 'Bildungsbürger' oder Mitglieder der gebildeten Schicht bemühen sie sich im 20. Jahrhundert weiterhin um die Durchsetzung und Verbreitung der Standardsprache, um die Pflege des guten Deutsch und des guten deutschen Stils — die Stilautoren als Lehrer (und Produzenten) und die Leser als Lernende (und Konsumenten). 33 Doch an der Standardsprache und ihrer Durchsetzung, und zwar nicht nur an der deutschen Standardsprache, sondern an der Standardsprache schlechthin, hängen eine Reihe bestimmter Vorstellungen und Ideen, wie John E. Joseph und Milroy & Milroy gezeigt und untersucht haben. 34 Betrachten wir einige für unsere Untersuchung relevante Punkte ihrer Standardsprachenforschung. Unterschiedliche soziale, politische und wirtschaftliche Bedürfnisse motivieren den Standardisierungsprozess, der mit dem Ziel, eine einheitliche Standardsprache zu schaffen, mehrere Stadien durchläuft. Zunächst wird eine Varietät ausgewählt, von einflussreichen Sprachteilnehmern akzeptiert und auf sozialer und geographischer Ebene verbreitet (z. B. durch das Schulwesen, die Schreibung oder die Diskriminierung von Nicht-Standard-Sprechern). Nach ihrer Etablierung beginnt für die Standardsprache das Stadium ihrer Aufrechterhaltung und Pflege durch ihre Kodifizierung und Präskription (bspw. durch Grammatik- und Wörterbücher). 35 Obwohl die Standardsprache ein künstliches Konstrukt linguistischer Normen ist, genießen die Standardsprache und ihre Sprecher ein hohes Ansehen, weil sie den ursprünglichen, perfekten Zustand der Sprache darzustellen scheinen. 36 Mythologische und ideologische Elemente werden mit der perfekten Standardsprache assoziiert: der Mythos eines
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Mattheier 1991:42. Interessanterweise bezeichnet Heringer (1988:10) Wustmanns Sprachdummheiten als Überzeugungen eines „konservativen Bildungsbürgers". James Milroy & Lesley Milroy, Authority in language: investigating Standard English, 3. Auflage (London, New York: Routledge, 1999). John E. Joseph, Eloquence and Power (London: Frances Pinter, 1987). Milroy & Milroy 1999:19, 22-23. Milroy & Milroy 1999:22-23. Joseph 1987:125-6.
Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken
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goldenen Zeitalters, wo sprachliche, kulturelle, geistige und rassische Harmonie herrschte, sowie die Ideologie nationalistischer Identität und Einheit. 37 Oft wird die Standardsprache zum entscheidenden Nationalsymbol. 38 Nach ihrer Verbreitung und Durchsetzung stellt die Überwachung und Kontrolle der Standardsprache ein übliches Phänomen in der Geschichte der Standardsprachen dar. Einige Sprachteilnehmer ernennen sich selbst zu 'Kontrolleuren' oder 'Sprachwächtern'. 39 Standardsprachen sind nicht nur durch ihr Streben nach Einheitlichkeit sondern auch durch die vollständige Rangordnung ihrer Normen gekennzeichnet. 40 Da der Standardisierungsprozess auf der Idee basiert, mit allen möglichen Mitteln sprachliche Einheitlichkeit zu erzielen, ist sein Hauptmerkmal die Intoleranz von sprachlicher Variabilität. 41 Diese Intoleranz setzt sich auch im Uberwachungs- und Kontrollstadium fort. Die Kontrolleure oder Wächter sehen ihre Aufgabe darin, neue, in die Sprache eindringende Elemente zu begrenzen, sie in die Hierarchie einzuordnen und manchmal, sie zu beseitigen. 42 Es geht also um die Bewertung, Auswahl und Reduktion der sprachlichen Varianten, und zwar in jedem Bereich — in Bezug auf die Aussprache (Phonologie), die Rechtschreibung, die Grammatik (Morphologie und Syntax) und den Wortschatz. Aufgrund der angestrebten Einheitlichkeit der Sprache fühlen sich die Sprachwächter dazu gezwungen, nur eine Variante von vielen als 'korrekt' auszusuchen. Ihre Präskription ist oft willkürlich, da die anderen Varianten durchaus zweckmäßig wären. 43 Gemäß der sozialen und politischen Identität stehen den Kontrolleuren bei ihrer Auswahl und Bewertung sieben Standards oder Kriterien als Beurteilungshilfen zur Verfügung: Das Kriterium der Autorität (1) verlässt sich bspw. auf ein Sprachamt oder ein Ministerium. Das geographische Kriterium (2) geht davon aus, dass in einer Region eines Landes die 'beste' oder 'reinste' Form der Standardsprache gesprochen wird. Das literarische Kriterium (3) sucht Rat bei den 'besten' Schriftstellern, bewegt sich mit seiner Argumentation aber im Kreis: „Die beste Sprache steht bei den besten Schriftstellern und die besten Schriftsteller schreiben die beste Sprache." Das aristokratische Kriterium (4) empfiehlt, den Sprach37
Joseph 1987:109.
38
Joseph 1987:72, 47.
39
Joseph 1987:109. Auf S. 144 heißt es bei Joseph, dass oft Lehrer die Funktion der Kontrolleure übernähmen. Milroy & Milroy 1999:10. Joseph 1987:118. Milroy & Milroy (1999:44-45) weisen daraufhin, dass die präskriptive Tradition einen Konsens in Bezug auf die Normen der Schreibsprache erreicht hat, aber nicht in Bezug auf die sprechsprachliche Variante. Milroy & Milroy 1999:22-23. Joseph 1987:109. Milroy & Milroy 1999:14, 30, 44-45.
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gebrauch der Oberklasse(n) nachzuahmen. Das demokratische Kriterium (5) rät dazu, den Sprachgebrauch der Mehrheit zu übernehmen. Das Problem ist allerdings die Feststellung der Mehrheit! Wie zählt man am besten, wer welche Sprachform benutzt? Das Kriterium der Logik (6) sagt, dass richtig sei, was mit den universellen Gesetzen des Denkens übereinstimme. Dabei werden die universellen Gesetze des Denkens häufig von der Struktur der griechischen und lateinischen Sprache abgeleitet. Das Kriterium der Ästhetik (7) verlässt sich auf das ästhetische Gefühl (welches Sprachelement ist schöner?) bei der Auswahl und Bewertung. 44 Die Kontrolle und Überwachung der Sprache wird mittels der Sprachverfallsklage durchgeführt. Sie dient den Kontrolleuren und Sprachwächtern dazu, die Idee der Standardsprache am Leben zu erhalten.45 Dabei richtet sich die Idee des Sprachverfalls meistens direkt an die Sprachrichtigkeitstradition. 46 Die Sprachverfallsklage wird normalerweise in einen Zusammenhang mit dem moralischen Verfall in der Gesellschaft gebracht. 47 Das bedeutet, dass sprachliche Abweichungen von der korrekten Norm von den Verfechtern der Standardsprache als Barbarismen oder als ein Zeichen von Analphabetentum, Dummheit, Unwissen, Perversion und moralischem Verfall bewertet werden. 48 Was bedeutet die Standardsprache und ihre Standardisierung, also die 'Standardsprachenideologie', in Bezug auf Deutschland und die untersuchten WR-, NS- und BRD-Werke? 49 Durch die traditionell enge Verbindung von Muttersprache und Vaterland liegt es nahe, in Deutschland politische Bedürfnisse als wesentlichen Antrieb im Standardisierungsprozess zu vermuten. Für das Bildungsbürgertum ist die Standardsprache seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Symbol einer deutschen Staatsnation. 50 Außerdem fallen in der Standardsprachenideologie eindeutige Parallelen zum Sprachkonservatismus in den untersuchten Werken auf. Im 20. Jahrhundert in Deutschland setzen wir mit den Sprachratgebern und Stillehren im Stadium ihrer Überwachung und Kontrolle ein. Die Stilautoren übernehmen die Rolle der Sprachwächter oder Kontrolleure, arbeiten in der Tradition der Sprachverfallsklage und der Präskription und werben für die Pflege einer einheitlichen, perfekten deutschen Sprache. In ihrer verklärten 44
Joseph 1987:115-6, 118.
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Milroy & Milroy 1999; 18, 24-46, 30.
46
Milroy & Milroy 1999:32.
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Milroy & Milroy 1999:33.
48
Joseph 1987:165.
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Für Milroy & Milroy (1999:19) ist eher die Standardisierung eine Ideologie und nicht so sehr die Standardsprache - ich verwende hier der Einfachheit halber allerdings den Ausdruck Standardsprachenideologie, um die Gesamtheit der Anschauungen des Bildungsbürgertums über die Standardsprache zu beschreiben.
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Mattheier 1991:49.
Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken
Darstellung der Sprachvergangenheit treffen wir auf den Mythos des goldenen Sprachzeitalters. Ihre Ablehnung des zeitgenössischen Sprachwandels entspricht der Intoleranz der sprachlichen Variabilität. Das Pochen auf das Einhalten überlieferter Sprachgesetze entspricht der Verbundenheit der Standardsprache mit der Sprachrichtigkeitstradition und ihrer Normenfixierung. Die Beschreibung der Funktion der Standardsprache als Gemeinschafts-, Einheits- und Nationsstifter in der Standardsprachenideologie finden wir ebenfalls im Sprachkonservatismus, wo sie von eminenter und zentraler Wichtigkeit ist. Schließlich kommen die willkürliche Sprachbewertung und Auswahl mit ihrer moralischen Dimension und die Reduktion der Varianten durch die Subjektivität, die Schwarzweißmalerei und die Emotionalität im Sprachkonservatismus zum Ausdruck. Drei der sieben Beurteilungskriterien der Sprachwächter können wir in den WR-, NS- und BRD-Werken feststellen: das literarische Kriterium in den Vorbildern für Sprache und Stil [wobei die Vorbilderrolle nicht nur sprachlich sondern auch politisch motiviert ist], das ästhetische Kriterium in den auf Schönheit basierenden Geschmacksurteilen der Stilautoren und ein abgewandeltes Klassen-Kriterium: nicht der Sprachgebrauch der aristokratischen Klasse ist maßgeblich, sondern der Sprachgebrauch der gebildeten Schicht, also der 'geistigen Oberklasse' sozusagen. Der für die untersuchten Sprachratgeber und Stillehren charakteristische Sprachkonservatismus hat sich also auf der Basis der Standardsprachenideologie des Bildungsbürgertums entwickelt. Mit der Standardsprachenideologie haben wir zwar eine zweite Voraussetzung des Sprachkonservatismus erarbeitet, aber noch nicht seine Kontinuität erklärt. Werfen wir aufgrund der engen Verbindung von Sprache und Nation einen Blick auf die politischen Umstände.
6.2.3 Die politischen Umstände des Sprachkonservatismus Die enge Verbindung von Sprache und Nation, von Sprachbewusstsein und Nationalbewusstsein in Deutschland wurde bei der Untersuchung der Sprachratgeber und Stillehren in den Epochen der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der BRD durch die Färbung des Sprachkonservatismus deutlich. Wir hatten festgestellt, dass der Sprachkonservatismus auf der Standardsprachenideologie des Bildungsbürgertums beruht. Inwieweit tragen die drei politischen Systeme nun zu seiner Kontinuität bei? Was geschieht mit der Basis des Sprachkonservatismus, mit der Standardsprachenideologie in den drei politischen Systemen? Die Antwort ist, dass die drei politischen Systeme der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der jungen BRD die Standardsprachenideologie und das
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Bildungsbürgertum nicht bedrohen oder erschüttern. Sie enthalten nämlich politisch konservative Strömungen, die dem sprachlichen Konservatismus entsprechen. Nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und dem Zusammenbruch der Monarchie wird am 11. August 1919 die Weimarer Republik als parlamentarische Demokratie gegründet. Als politisch führende Kraft streben die Sozialdemokraten zwar grundlegende Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft an, wollen jedoch gleichzeitig eine Radikalisierung nach russischem Vorbild verhindern und arbeiten daher mit dem alten Militärapparat und der kaiserlichen Verwaltung zusammen. Die obrigkeitsstaatlichen, konservativen Kräfte werden in der Weimarer Republik nicht gebrochen. Sie manifestieren sich in der Wahl des kaisertreuen Generalfeldmarschalls von Hindenburg zum zweiten Reichspräsidenten im Jahre 1925. Dieser wird durch die Parteien- und Staatskrise 1930 sogar zu einer politischen Schlüsselfigur und regiert am Ende der Weimarer Republik durch die Schwäche des Parlaments fast wie der Kaiser. 51 Nach den Wirren der Weimarer Republik nutzen Hider und die Nationalsozialisten in weiten Teilen der Bevölkerung, besonders in Kreisen der Rechten und des Bürgertums, den Wunsch nach der Wiederaufrichtung traditioneller, althergebrachter Werte aus und propagieren die „konservative Erneuerung" von Staat und Gesellschaft. 52 Was konservative Erneuerung nun genau bedeutet, bleibt vage, doch das nationalsozialistische Ideologiekonglomerat enthält durchaus vertraute, herbeigewünschte Werte der konservativ eingestellten Bevölkerungsschichten. 53 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernimmt der dreiundsiebzigjährige CDU-Politiker Konrad Adenauer als Bundeskanzler (1949-63) und zeitweise gleichzeitig als Außenminister (1951-1955) die politische Führung in der Bundesrepublik. Die Ära Adenauer ist politisch konservativ, denn der Aufbau der Demokratie knüpft personell und in den politischen Konzeptionen vielfach an 51
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In Bezug auf die Verbindung von Nationalbewusstsein und Sprachbewusstsein ist in dem Zusammenhang der politischen Krisensituation die Mitgliederzahl des sprachlich konservativ eingestellten Deutschen Sprachvereins interessant, die 1930 mit 49744 Mitgliedern ihren Höchststand erreichte. Das deutet darauf hin, dass man zu der Zeit in konservativen Kreisen versucht, politischen Krisenzeiten u.a. mit Sprachpflege zu begegnen. Vgl. Helmut Bernsmeier, „Der Allgemeine Deutsche Sprachverein in der Zeit von 1912 bis 1932", Muttersprache 90 (1980), 117 - 142 (S. 137). Frage» an die deutsche Geschichte, 10. Auflage (Bonn: Deutscher Bundestag, Presse- und Informationszentrum, 1984), S. 236-239, 286. Siehe auch Zitat von Greiffenhagen (1975) im Abschnitt 3.3.2. Die Nationalsozialisten propagieren bspw. Härte. Dieser Begriff ist eine vertraute Größe für konservative Kreise, und zwar in der traditionellen Bedeutung von kühnem, mannhaftem, unerschütterlichem Mut. Allerdings verstehen die Nationalsozialisten darunter eine geistige und seelische Abgehärtetheit und Unempfindlichkeit, vgl. dazu Berning 1964:99, 100.
Zur Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRD-Werken
die Weimarer Tradition an. Adenauers Regierungszeit ist durch innenpolitische Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung charakterisiert. Die Grundlinien seiner Außenpolitik sind die Anlehnung an die Vereinigten Staaten, die Aussöhnung mit Frankreich und die unbedingte Mitwirkung bei der beginnenden europäischen Integration. Adenauer erfüllt für einen großen Teil der mitderen und älteren Generation eine außergewöhnlich wichtige Brückenfunktion zwischen obrigkeitsstaatlicher Vergangenheit und pluralistisch-demokratischer Gegenwart. Doch seine Politik stößt nicht nur auf Zustimmung. In den Augen der linken Intellektuellen besteht Adenauers größtes Versagen darin, dass er kein neues Deutschland geschaffen hat, sondern an den Endpunkten der Weimarer Republik anknüpft. Ihre Kritik an der Adenauer-Ära fassen die Intellektuellen unter dem Begriff der 'Restauration' zusammen. 54 Die Kontinuität des Sprachkonservatismus in den Sprachratgebern und Stillehren der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik findet also seine Entsprechung in kontinuierlich konservativen politischen Tendenzen in den jeweiligen Regierungssystemen. Die politischen Umstände erschüttern die Grundlage oder Voraussetzungen des Sprachkonservatismus, nämlich die 'Standardsprachenideologie' und das 'Bildungsbürgertum', nicht. Außerdem kommt es in den drei Epochen zu einer wichtigen Ubereinstimmung in der politischen Ideologie und der Sprachauffassung: die Funktion der deutschen Sprache als Nationalsymbol bleibt bestehen.
6.2.4 Fazit Die Kontinuität des Sprachkonservatismus in den WR-, NS- und BRDWerken ist damit zu erklären, dass sich Mitglieder des Bildungsbürgertums, das sich in Deutschland traditionell im Sinne der Standardsprachenideologie um die Durchsetzung und Ausbreitung der deutschen Sprache gekümmert hat, auch im 20. Jahrhundert der Pflege der Standardsprache verschreiben, und zwar in Form von Sprachratgebern und Stillehren. Diese Textsorte zeichnet sich durch einen kontinuierlichen Sprachkonservatismus aus, da die bildungsbürgerliche Weltanschauung und die Basis der Standardsprachenideologie in ihren Grundfesten in den unterschiedlichen politischen Systemen zwischen 1925 und 1967 nicht erschüttert werden und weiterleben, wie bspw. an der elementaren Funktion der deutschen Sprache als Nationalsymbol deutlich wird. Die Textsorte der Sprachratge-
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Vgl. Fragen an die deutsche Geschichte 1984:334-388. Martin Kitchen, Germany (Cambridge: CUP, 1996), S. 292-303.
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ber und Stillehren ist ein weiterer Beleg für die enge Verbindung von Sprachbewusstsein und Nationalbewusstsein, bzw. von Sprache und Nation in Deutschland.
6.3 Zur Abkehr vom Sprachkonservatismus in den DDRWerken Untersuchen wir für die Erklärung der Abkehr vom Sprachkonservatismus in den DDR-Werken dieselben Größen wie zur Erklärung für seine Kontinuität in den WR-, NS- und BRD-Werken: also das 'Bildungsbürgertum' (6.3.2), die Standardsprachenideologie (6.3.3) und die politischen Umstände in der DDR (6.3.1). Wir beginnen allerdings mit einer kurzen Charakterisierung der politischen Umstände, da sie die beiden anderen Größen Bildungsbürgertum und Standardsprachenideologie entscheidend beeinflussen und prägen.
6.3.1 Die politischen Umstände nach 1945 im Osten Deutschlands Der DDR-Historiker Joachim Streisand schreibt über das Ende des Zweiten Weltkrieges: „Das Ende des fürchtbarsten aller Kriege, des zweiten Weltkrieges, in den der deutsche Imperialismus Deutschland, Europa und die Welt gestürzt hatte, konnte für das deutsche Volk ein neuer Anfang sein." 55 Aus Sicht der DDR wird nach 1945 im Osten Deutschlands nach der „Befreiung vom Faschismus" ein „neuer Anfang" mit einer neuen sozialistischen Staatsform angestrebt. 56 Die Errichtung des Sozialismus mit seiner „antifaschistisch-demokratische [n] Umwälzung" versteht man im Osten als eine Abkehr vom Imperialismus, Militarismus und Kapitalismus, eine Abkehr von traditionellen, das Volk unterdrückenden, spießig-konservativen Strukturen und Werten. Die „imperialistische deutsche Großbourgeoisie" ist in den Augen der neuen politischen Führung des Ostens am Ende des Zweiten Weltkrieges machtlos geworden, ihr zentraler Staats- und Wirtschaftsapparat ist zerschlagen. Es sei jetzt möglich, „Imperialismus und Militarismus nun endlich endgültig zu beseitigen, ihre Wurzeln auszureißen und auf dem so bereiteten Boden ein neues, demokratisches Staatswesen und eine fortschrittliche Gesellschaftsordnung zu
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Joachim Streisand, Deutsche Geschichte, 5. Auflage (Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1980), S. 223. Streisand 1980:223.
Zur Abkehr vom Sprachkonservatismus in den DDR-Werken
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errichten." 57 Die neuen politischen Verhältnisse wirken sich auch auf gesellschaftlicher und sprachlicher Ebene aus und fuhren zu einer 'Umwälzung', die dem Sprachkonservatismus lebenswichtige Voraussetzungen entzieht.
6.3.2 Das 'Bildungsbürgertum' und die ^Bildung' in der DDR Für die Klasse oder Schicht des 'gebildeten Bürgertums', so wie es vom ideologischen Standpunkt der jungen DDR unter kapitalistischen und imperialistischen Zuständen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus existierte und im Westen Deutschlands noch existiert, gibt es im sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern keinen Platz mehr. Das gebildete Bürgertum muss den früher ausgebeuteten und unterdrückten, aber nun machtvollen Arbeitern und Bauern weichen. Obwohl die neue Gesellschaftsordnung mit vereinten Kräften angestrebt wird, nicht zuletzt durch ein komplett überarbeitetes Bildungssystem (siehe unten), stellen wir in den untersuchten DDR-Werken in Eduard Koelwels Stillehre von 1954 noch 'Überreste' der bildungsbürgerlichen Tradition fest. Von allen DDR-Stilautoren finden wir bei Koelwel, der mit seinen biographischen Angaben alters- und bildungsmäßig den BRD-Stilautoren ähnelt, die meisten Affinitäten mit der Tradition des Sprachkonservatismus. 58 Trotz dieser Uberreste können wir mit der Größe des Bildungsbürgertums in der DDR nicht mehr rechnen, denn die Strukturen bürgerlicher Bildungsprivilegien werden bewusst beseitigt. 59 Damit verliert sich eine lebenswichtige Voraussetzung des Sprachkonservatismus in der DDR. Die Auflösung des Bildungsbürger turns bedeutet aber nicht, dass ein 'Bildungs-Vakuum' entsteht, denn das Thema 'Bildung' ist in der neuen politischen Ideologie von akutem Interesse. Schon ab 1945 kümmert sich die neue politische Führung in der Ostzone um die Erziehung der Kinder und die Bildung des Volkes. Im Oktober 1945 wird der Schulunterricht wieder aufgenommen, sechs Monate später wird die 'Freie Deutsche Jugend (FDJ)' gegründet. Im September 1946 wird das Gesetz zur Demokratisierung der Schule und zur Schaffung einer demokratischen Einheitsschule erlassen, das die
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Streisand 1980:223-225. Professor Eduard Koelwels Ausbildung fallt mit seinen Lebensdaten von 1882-1966 in die Zeit des Kaiserreichs. Koelwel studierte Kunst in Karlsruhe, Antwerpen und München und später Germanistik in München und Genf. Er arbeitete als Maler und Schriftsteller, übersiedelte später nach Berlin und war dort als Dozent an der Ingenieursschule Gauß und als wissenschaftliche Lehrkraft an der Humboldt-Akademie tätig, vgl. dazu DBE/DBI 2001: Suchwort 'Eduard Koelwel'. Zum „Professor" siehe Koelwel & Ludwig 1964:4. Vgl. DDR-Handbuch, 2. Auflage (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1984), S. 469.
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gesamte Erziehung vom Kindergarten bis zur Hochschule umfasst. Die Ausbildung der Kinder wird mit der 1948 gegründeten Kindergruppe der 'Jungen Pioniere' weiter überwacht und gesteuert. Im Oktober 1949 richtet die neu konstituierte DDR 'Arbeiter und Bauern Fakultäten' (ABF) an allen Hochschulen der DDR zur Schaffung einer 'neuen Intelligenz' ein. 1954 wird die allgemeine Jugendweihe proklamiert, in deren Gelöbnis die Jugendlichen u. a. versprechen, „getreu der Verfassung, für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten", nach hoher Bildung und Kultur zu streben, im Geiste des proletarischen Internationalismus zu kämpfen, den Frieden zu schützen und den Sozialismus gegen jeden imperialistischen Angriff zu verteidigen. 1958 formuliert die SED die Aufgaben der Universitäten und Hochschulen beim „Aufbau des Sozialismus".60 Wie die letzten Sätze andeuten, geht es bei diesen intensiven, durchorganisierten Aktivitäten im Bildungsbereich um ein Ziel: es geht der politischen Führung der DDR darum, den „bewußten sozialistischen Staatsbürger" heranzubilden, damit er im Sinne des vierten Gebotes der 1958 verkündeten „Zehn Gebote der sozialistischen Moral" gute Taten für den Sozialismus vollbringe; schließlich führe der Sozialismus zu einem besseren Leben für alle Werktätigen.61 Schlosser beschreibt die 'Bildung' in der 60
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Schlosser 1999:83-4, 86. Auf S. 32 macht Schlosser darauf aufmerksam, dass das Schlüsselwort 'Sozialismus' in der Ostzone bewusst eingesetzt wurde, um scheinbar an die sozialdemokratische Tradition anzuknüpfen und für Deutschland eine neue Politik unter Umgehung extrem kommunistischer Positionen verwirklichen zu können. Dabei sei der Sozialismus in der kommunistischen Theorie nur eine historische Übergangsstufe zum Kommunismus, vgl. dazu DDR-Handbuch 1984:267. Anspielungen auf die zentrale Rolle der Bildung finden sich auch bei DDR-Stilautor Faulseit, der im Jahre 1965 konstatiert, dass die DDR einen „weit höheren Bildungsgrad der Menschen in [der] sozialistischen Gesellschaft" erreicht habe, vgl. dazu Faulseit 1965:11, 8. Vgl. DDR-Handbuch 1984, S. 468: „Wenn festgestellt wird, daß eine der beeindruckendsten Leistungen, die in der DDR erreicht wurden, die Entwicklung eines bewußten sozialistischen Staatsbürgers ist, der von den Gedanken des Friedens und der Völkerfreundschaft, der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und allen sozialistischen Bruderstaaten, des Kampfes gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Kolonialismus und Rassismus durchdrungen ist und sein Wissen und Können für den Sozialismus und den Fortschritt in der Welt einsetzt, so hat das Bildungswesen daran bedeutenden Anteil." Schlosser (1999:87) verweist auf die im Juli 1958 von Walter Ulbricht verkündeten „Zehn Gebote der sozialistischen Moral", die bis 1976 gelten, darunter: Nr. 1: Du sollst Dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen. Nr. 4: Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. Nr. 8: Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Mensche erziehen. Nr. 10 Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.
Zur Abkehr vom Sprachkonservatismus in den DDR-Werken
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DDR so: „Bildung Gebildet-sein ('allseitig gebildet'), Begriffe, um deren Inhalte in der Bundesrepublik seit Jahren heftig gerungen wird, wurden ohne Umschweife mit 'sozialistischem Bewußtsein', also mit innerer Zustimmung zur Staatsideologie der DDR gleichgesetzt." 62 In der DDR ist die Bildung ein Werkzeug für die Ideologie auf dem Weg in ein vermeintlich besseres Leben, das Ziel der Bildung ist die erfolgreiche Errichtung des Sozialismus. Inwieweit beeinflusst der von der politischen Führung beherrschte Bildungsbereich und ihr Bildungsziel das Verständnis der Standardsprache und die Standardsprachenideologie, also die Basis des Sprachkonservatismus?
6.3.3 Die Standardsprachenideologie und die Standardsprache in der DDR Was geschieht mit der Standardsprachenideologie als Basis für den Sprachkonservatismus unter den neuen politischen und ideologischen Verhältnissen in der DDR? Das ist eine berechtigte Frage, denn Standardsprachen-Experte Joseph meint: „Any number of specific religious and political ideologies, including Protestantism and communism, have influenced the standardization of particular languages, and each would merit a study in its own right." 63 Eine Studie über die Entwicklung von Standardsprachen unter der kommunistischen Ideologie würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Beschränken wir uns also darauf, die nach Milroy & Milroy und Joseph erarbeitete Standardsprachenideologie mit dem Untersuchungsergebnis der DDR-Werke zu vergleichen. Eingangs sei darauf verwiesen, dass die neuen ideologischen Verhältnisse in der DDR der Standardsprache grundsätzlich ein Problem bereiten, denn: Die deutsche Hochsprache [= Standardsprache], die praktisch mit der hochdeutschen Schriftsprache gleichgesetzt wurde, war Resultat des Absolutismus und der nachfolgenden bürgerlichen Nationalstaaten. Im „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat" konnte die Sprache der ehemals herrschenden Bourgeoisie nicht mehr die herrschende Sprache sein.64
In den DDR-Werken finden wir nur noch wenige Elemente der Standardsprachenideologie wieder. Wir treffen auf zwei Bewertungsaspekte in der Kontrolle/Überwachung: das literarische Kriterium (3) in den klassischen 62 63 64
Schlosser 1999:89. Joseph 1987:45. Joachim Gessinger, „Die Sprachnormdebatte in der DDR bis 1978" in Sprachliche Normen und 'Normierungsfolgen in der DDR, Friedhelm Debus, Manfred Hellmann, Horst Dieter Schlosser (Hrsg.), (Hüdesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag, 1986), S. 35-51 (S. 36).
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Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
und sozialistischen Dichter-Vorbildern von Sprache und Stil (5.2.3) und das demokratische Kriterium (5) in der geforderten Übernahme des Sprachgebrauchs der Mehrheit, d. h. des Volkes (5.1.3, 5.1.4). Das Überleben des literarischen Kriteriums ist damit zu erklären, dass die DDR ihren sprachlichen Führungsanspruch als wahrer Vertreter der deutschen Sprache auch in Bezug auf die deutsche Literatur als Verwalter des Sprachkulturerbes ausdehnt (vgl. 5.1.1). Das demokratische Kriterium entspricht der aus ideologischen Gründen zugewiesenen Führungsrolle des Volkes (vgl. 5.1.3, 5.1.4). Zusätzlich deutet die Sprachnormenforschung der DDR auf zwei weitere Berührungspunkte mit der Standardsprachenideologie, die wir teilweise in den DDR-Werken festgestellt haben. In der DDR werden ein stark ausgeprägtes Normbewusstsein und eine mit Nachdruck vertretene Erziehung zu normrichtigem Sprachgebrauch konstatiert, und zwar bis zum Anfang der achtziger Jahre.65 Diese Haltung entspricht dem Normenbewusstsein der Standardsprachenideologie und deckt sich durchaus mit unserem Untersuchungsergebnis der Forderung aller DDR-Stilautoren nach Einhaltung der Sprachrichtigkeitsgesetze (siehe 5.1.4). Außerdem wird für die fünfziger Jahre festgestellt, dass der sprachliche Normbegriff zu der Zeit in der DDR traditionell geprägt ist und sich ausschließlich darauf konzentriert, standardsprachliche Normen durchzusetzen und nicht-standardsprachliche Varietäten, wie bspw. die Mundarten, zu unterdrücken.66 Das würde in der Standardsprachenideologie nach Milroy & Milroy und Joseph dem Streben nach sprachlicher Einheitlichkeit und der Intoleranz sprachlicher Variabilität entsprechen. Damit erschöpft sich die Liste der Übereinstimmungen von Merkmalen in den DDR-Werken und der Sprachpflege und Aspekten der Standardsprachenideologie. In den DDR-Werken waren der Mythos des goldenen Zeitalters, die Funktion der Standardsprache als Nationalsymbol, die willkürliche Präskription, das Bewertungskriterium der Autorität (1), das geographische (2), aristokratische (4), logische (6) oder ästhetische (7) Bewertungskriterium nicht festzustellen. Außerdem fehlt in den DDRWerken ein entscheidendes Element der Standardsprachenideologie: die für die Kontrolle und Überwachung bedeutsame Sprachverfallsklage und die davon abgeleitete Theorie des moralischen Verfalls in der Gesellschaft. Das Fehlen einiger Aspekte, wie bspw. das Fehlen der Sprachverfallsklage oder des Mythos des goldenen Zeitalters hatten wir mit der politischen Ideologie erklärt: im voranstrebenden sozialistischen Staat gibt es keine schlechte Sprache (5.1.1) und ein vergangenes goldenes Zeitalter kann es 65 66
Rudolf Giesinger, „Zum Normenbewusstsein in der DDR-Sprachdidaktik" in Debus, Hellmann, Schlosser (Hrsg.), (1986), S. 89-99. Gessinger 1986:35.
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in der ehemaligen feudalistischen, ausbeuterischen Klassengesellschaft nicht geben (5.1.2). Völlig unmöglich wäre natürlich auch das Bewertungskriterium der aristokratischen Klasse im Sozialismus. Wie dieser Vergleich zeigt, erschüttern die politischen Verhältnisse und die politische Ideologie in der DDR die Standardsprachenideologie, so wie wir sie nach Milroy & Milroy und Joseph erarbeitet haben, und entziehen dem Sprachkonservatismus eine weitere lebenswichtige Voraussetzung. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Standardsprachenideologie in der DDR gab. Analog zu der Umwälzung der politischen Verhältnisse in der DDR können wir m. E. von einer Umwälzung der Standardsprachenideologie sprechen. Dabei konzentriert sich die Umwälzung auf eine grundlegende Funktion der Standardsprache. In der Sprachwissenschaft wird diese Änderung zu Beginn der 60er Jahre durch eine Umorientierung in Bezug auf die Sprachnormentradition deutlich: „Nicht mehr Bewahrung der alten hochsprachlichen Norm, sondern die Anpassung der Sprache als Verständigungsmittel an die Erfordernisse der komplexer werdenden Gesellschaft in der DDR wurde als wissenschaftliche und politische Aufgabe neu formuliert." 67 Die kommunikative Adäquatheit, also der situationsangemessene Gebrauch verschiedener Varietäten, wird Anfang der siebziger Jahre in der DDR dann zu einem wichtigen Aspekt der Sprachkultur. Dazu passt Hillens Ergebnis, die seit dem Beginn der siebziger Jahre in der DDR ein „nüchterne [s] Sprachverständnis" und die Tendenz feststellt, sich der Sprache als Instrument der gesellschaftlichen Entwicklung zu bedienen. Im Unterschied zur BRD werde die Sprache als „wichtiges Arbeitselement vieler Berufsgruppen" gewertet, als Mittel zur Bewältigung der objektiven Realität, als „Handlungsinstrument" zur Durchsetzung kollektiver Interessen mit den für das sozialistische Gesellschaftssystem charakteristischen Funktionen der Produktionsorganisierung und der Bewusstseinsbildung. 68 Die Änderung besteht also darin, dass die Standardsprache in der DDR 'entmythologisiert' wird. Sie ist nicht länger das entscheidende Nationalsymbol in der politischen Ideologie, sondern sie wird zum sachlich-nüchternen Werkzeug. Die Standardsprache in der DDR wird zur 'Dienerin', sie soll der Vermittlung und Durchsetzung der politischen Ideologie, des weltweit angestrebten Sozialismus, dienen. Gemeinsam mit dem Bildungssystem und der Bildung wird sie zur Errichtung des Sozialismus und zur Formung des sozialistischen Bewusstseins eingesetzt. Diese veränderte Funktion der Standardsprache kündigt sich in den untersuchten DDR-Werken durch die Abkehr vom
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Gessinger 1986:35-6.
68
Hillen 1982:143-4.
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Erläuternder Gesamtvergleich und Versuch einer Erklärung
Sprachkonservatismus an, und 2war schon Ende der fünfziger Jahre mit DDR-Stilautor Möller.
6.3.4 Fazit Abschließend können wir also feststellen, dass die politischen Verhältnisse und die sozialistische Ideologie in der DDR die Basis oder die Voraussetzungen des Sprachkonservatismus beseitigen bzw. erschüttern und umwälzen: Das 'Bildungsbürgertum' wird abgeschafft, die Bildung — traditionell der Bereich des Bildungsbürgertums — wird von der politischen Führung mit ihrem Ziel der ^Bildung zum Sozialismus' kontrolliert. Dazu beeinflussen und erschüttern die politisch-ideologischen Verhältnisse die Standardsprachenideologie derart, dass dem Sprachkonservatismus auch in dieser Beziehung die Basis entzogen wird. Die wichtigste Änderung in der Vorstellung der Standardsprache besteht darin, dass die Standardsprache in der DDR den Status eines Werkzeuges zur Durchsetzung der politischen Ideologie erhält und nicht länger die mythisch aufgeladene Funktion eines Nationalsymbols erfüllt. Die Abkehr vom Sprachkonservatismus in den DDR-Werken ist also eine Folge der sozialistischen Ideologie. Damit besteht ebenfalls eine Wechselwirkung zwischen Sprachzustand und Nationalzustand.
6.4 Zusammenfassung und Ausblick Diese Arbeit hat die Sprach- und Stilauffassung in einer Auswahl von populären laienlinguistischen Werken des 20. Jahrhunderts in Deutschland unter der Fragestellung untersucht, ob die unterschiedlichen politischen Systeme und Ideologien im politisch turbulenten Deutschland vom Anfang der zwanziger Jahre (1923) bis zur Mitte der sechziger Jahre (1967) einen Einfluss auf die Sprach- und Stilauffassung hatten, oder ob sich die Ansichten über Sprache und Stil unbeeinflusst vom herrschenden politischen System in der Textsorte der Sprachratgeber und Stillehren gehalten haben. Als leitender hermeneutischer Begriff wurde bei der Analyse und dem Vergleich der laienlinguistischen Sprachratgeber und Stillehren aus der Zeit der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, der BRD und der DDR der Begriff des Sprachkonservatismus verwendet, da er als dominante Eigenschaft der Textsorte ihre sprachpflegerischen, sprachkritischen und sprachkulturellen Aspekte vereint. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die politischen Verhältnisse in den WR-, NS- und BRDWerken durch Färbungen und oberflächliche Modifizierungen bemerkbar
Zusammenfassung und Ausblick
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machen, dass sie aber die Kontinuität des Sprachkonservatismus nicht brechen. Erklärt wurde die Kontinuität des Sprachkonservatismus mit seinen Voraussetzungen: dem Bildungsbürgertum und der Standardsprachenideologie. Als wichtige Voraussetzungen für den Sprachkonservatismus wurden die Autoren der WR-, NS- und BRD-Werke als 'Bildungsbürger' definiert, die sich im 20. Jahrhundert im Sinne der Standardsprachenideologie als Wächter und Kontrolleure der deutschen Standardsprache ihrer Pflege verschreiben. Die Kontinuität des Sprachkonservatismus kommt zustande, weil der bildungsbürgerliche Status und die Basis der Standardsprachenideologie mit der zentralen Funktion der deutschen Sprache als Nationalsymbol durch politisch konservative Strömungen in den drei politischen Epochen nicht bedroht oder erschüttert wird. Im Gegensatz dazu erbringt die Untersuchung der DDR-Werke eine Abkehr vom Sprachkonservatismus. Die Diskontinuität des Sprachkonservatismus kommt zustande, weil die dortigen politischen und ideologischen Verhältnisse zu gesellschaftlichen und sprachlichen Umwälzungen führen, die dem Sprachkonservatismus lebenswichtige Voraussetzungen entziehen: Das Bildungsbürgertum wird aufgelöst und die Standardsprachenideologie wird erschüttert. In der DDR erfüllt die Standardsprache nicht länger die mythische Funktion eines Nationalsymbols, sondern sie wird ein Werkzeug zur Durchsetzung der sozialistischen Ideologie. Die Untersuchung hat also zweierlei gezeigt: Die Sprach- und Stilauffassung wird von den politischen Systemen und Ideologien der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik zwar gefärbt aber nicht grundlegend bestimmt. Nur ein politisches System und seine Ideologie beeinflussen und verändern die Sprach- und Stilauffassung in der Textsorte der populären Sprachratgeber und Stillehren im Zeitraum von 1923 bis 1967 entscheidend: die DDR und der Sozialismus. Beschließen wir unsere Untersuchung mit einem kurzen Blick auf heute. Nach wie vor überschwemmen laienlinguistische Werke über 'Gutes Deutsch' und 'Deutsch fürs Leben' den Büchermarkt. Treffen wir darin immer noch auf den Sprachkonservatismus? Sanders ist der Ansicht, dass sich der Tenor in beliebten Sprachratgebern und Stillehren bis heute nicht geändert hat und zieht eine Linie erfolgreicher, populärer Stillehrer von [WR-Stilautor] Engel über [NS-/BRD-Stdlautor] Reiners bis zu Wolf Schneider, der seit 20 Jahren Bestseller in ähnlichem Stil über gutes Deutsch verfasst. 69 Heringer bezeichnet Wustmanns Sprachdummheiten als 69
Sanders 1988:376-7 und Sanders 1998:39-40; bspw. Wolf Schneider, Deutsch für Profis: Wege ^u gutem Stil, 16. Auflage (München: Goldmann, 1998). Siehe eine Liste von Wolf Schneiders Veröffentlichungen bei Sanders 1998:200. Sanders' Aussage wird bestätigt durch den Vortrag von Winifred V. Davies „Truth and fiction in the depiction of gate-keepers' activities of ther years" an der 'University of Manchester', 19. Februar 2004, der sich u. a. mit
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„Überzeugungen eines konservativen Bildungsbürgers", die im ausgehenden 20. Jahrhundert genauso beliebt seien wie früher. 70 Auch heutzutage treffen wir in Deutschland auf Gruppen sprachinteressierter, oft gebildeter Bürgerinnen und Bürger, denen die Pflege und die Entwicklung der deutschen Sprache am Herzen liegen.71 Dabei wird das Sprachpflegebedürfnis einiger moderner Bildungsbürger von der vermeintlichen Bedrohung der deutschen Sprache durch den Einfluss des Englischen besonders geprägt. In diesem Zusammenhang stoßen wir dann wiederum auf die schon aus unserer Untersuchung bekannte Funktion der deutschen Sprache als Nationalsymbol, als Träger des Nationalgefühls, als Identitätsstifter.72 Im Sinne der Standardsprachenideologie scheint die deutsche Sprache weiterhin ihre Wächter, Verfechter, Ritter und Pfleger auf der Suche nach der Verwirklichung der perfekten Standardsprache anzuziehen. Das deutet darauf, dass der Sprachkonservatismus auch im 21. Jahrhundert in Deutschland eine Basis hat.
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Wolf Schneider beschäftigt und die aus dem Sprachkonservatismus vertrauten Elemente wie die Sprachverfallsklage, eine moralisierende Sprachbetrachtung und strenge Sprachrichtigkeitsvorstellungen aufgreift: „Wenn hunderttausend Lehrer und Journalisten ihre historische Pflicht gegenüber der Sprache nicht mehr erfüllen wollen, weil sie es nicht mehr zeitgemäß finden oder weil es ihnen zu mühsam ist, dann freilich hat Volkes Maul gesiegt." (Schneider 2001). Heringer 1988:10. Vgl. dazu die Ausführungen über die neuesten sprachkulturellen Aktivitäten in Deutschland bei Davies & Langer 2006. Die akademische Linguistik setzt sich immer mehr mit der von den Laien bekundeten Sprachverfallsklage auseinander, siehe bspw. Karin M. Eichhoff-Cyrus und Rudolf Hoberg, (Hrsg.), Die deutsche Sprache %ur Jahrtausendwende, Sprachkultur oder Sprachverfall? (Mannheim: Dudenverlag, 2000). Dabei bemüht sie sich, das Wissen sprachinteressierter Laien über die deutsche Sprache zu fördern. Ich denke da speziell an die Gründung des Deutschen Sprachrats im Mai 2003, dem die Gesellschaft fir deutsche Sprache, das Goethe-Institut und das Institut fir Deutsche Sprache angehören. Siehe „Sprachverfall oder Sprachreichtum? Die Freude an der deutschen Sprache beleben", Sprachdienst 1 (2004), 2729 und Davies & Langer 2006. Claudia Law, „Das sprachliche Ringen um die nationale und kulturelle Identität Deutschlands", Muttersprache 112 (1/2002), 67-83. Siehe ebenfalls Falco Pfalzgraf, Neopuristismus in Deutschland nach der Wende (Frankfurt/Main: Peter Lang, 2006).
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Namenregister Adelung, Johann Christoph 67,176, 207
Brett-Evans, David 28
Ahlvers-Liebel, Elisabeth 9
Briegleb, Otto 161
Ahlzweig, Claus 4, 224, 225
Broch, Hermann 118
Albrecht, Günter 207
Büchmann, Georg, 234
Ameri, Sussan M. 81
Büchner, Georg 176, 206, 210
Andersen, Hans-Christian 116
Bürger, Gottfried August 117,161, 205, 206
Antos, Gerd 2, 6, 10, 11, 12, 14, 15, 17,
Busch, Wühelm 117,161,205
25, 27, 231 Arndt, Ernst Moritz 117, 161
Bytwerk, Randall L. 105 Campe, Joachim Heinrich 117,176, 206
Bahr, Hermann 163 Ball, Rodney 14,15-17, 81, 82, 83 Bamberger, Ludwig 162 Barbour, Stephen 195 Baudusch, Renate 190 Bauer, Dirk 175,189,190 Bebel, August 206
Carossa, Hans 162
Becher,Johannes Robert 176, 206, 207, 208 Behagel, Otto 206 Berning, Cornelia 8, 91, 102, 108, 240 Bernsmeier, Helmut 131, 240 Billinger, Richard 117 Binding, Rudolf 117,161,162, 221 Bismarck, Otto von 67, 70, 74, 75, 76, 115, 116, 117, 120, 122, 127, 161, 162,166,169,219 Bister-Broosen, Helga 75 Börne, Ludwig 205, 206, 209 Böttcher, Kurt 123, 124, 207 Borchardt, Rudolf 162 Braun, Peter 3, 66, 205 Brecht, Bert 205,206, 207, 221 Breide, Herbert E. 10 Bremerich-Vos, Albert 2, 5, 6, 229 Brentano, Clemens 67,117,161
Courts-Mahler, Hedwig 206
Chamberlain, Houston Stewart 117, 147, 161, 163, 221 Chamisso, Adelbert von 6 7 , 1 1 7 , 1 6 1 , 1 6 3 Cherubim, Dieter 225 Claudius, Matthias 163, 205 Clausewitz, Karl von 166
Davies, Winifred 6, 10,17, 249, 250 Debus, Friedhelm 245, 246 Dehmel, Richard 117 Demosthenes 116 Dieckmann, Walther 99 Dittmer, Arne 3 Döblin, Alfred 205 Dornseiff, Franz 176, 206 Duden, Konrad 176,206 Dunger, H.. 117,161 Ebner-Eschenbach, Marie Freifrau von 117, 161 Edschmid, Kasimir 167 Ehlich, Konrad 86,105 Eichendorff, Joseph Freiherr von 116, 117, 161
264
Namenregister
Eichhoff-Cyrus, Karin M. 250 Engel, Eduard 1, 2, 3, 4, 9, 20, 21, 26, 27, 31-42, 44, 46-68, 70, 72-77,139, 148, 171, 166, 182, 185, 193, 205, 206, 219, 232, 235,249 Engelhardt, Ulrich 235 Engels, Friedrich 176, 187, 205, 206, 207, 209, 210, 211, 219, 220, 221 Erhardt, Ludwig 161 Ernst, Paul 116, 161 Eschenbach, Wolfram von 117, 161, 206 Ettl, Susanne 2 Fallada, Hans 163 Fallmerayer, J. Ph. 162, 163, 167 Faulseit, Dieter 20, 22, 29, 30, 173-182, 184-195, 197, 198, 200-212, 219, 229,244 Feuchtwanger, Lion 161, 206, 207, 210 Fichte, Johann Gottlieb 116, 143, 147, 171 Finckh, Ludwig 117, 161 Flad, Eugen 2 0 , 2 1 , 2 2 , 2 6 , 2 3 3 Flad/Wasserzieher 84-86, 88, 89, 9298, 104-106, 108, 110, 113, 115, 117, 119, 124, 130, 131, 132-139, 141-148, 151-155, 157-159, 162164,169,187 Fleischer, Wolfgang 29, 229 Fontane, Theodor 67, 117, 161, 205, 206
Geißler, Ewald 1, 4, 11, 21, 24, 28, 84-89, 91-97, 99-102, 104-108, 110, 112, 113, 116, 119-122, 130, 131, 151, 156, 195, 212, 219,232 Geliert, Christian Fürchtegott 117, 161, 205 Gensei, W. 117,161 George, Stefan 117,161, 205 Gessinger, Joachim 245, 246, 247 Giesinger, Rudolf 246 Gildemeister, Otto 117, 161 Glasbrenner, Adolf 207 Gneisenau, Augustus von 166 Goethe, Johann W. von 27, 53, 58, 67, 69, 70, 71, 72, 99, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 127, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 169, 170, 171, 176, 177, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211,218, 219, 220 Goebbels, Paul Joseph 94, 116, 117, 118, 143,161,162,163,171,208,221 Gottsched, Johann Christoph 116, 117, 176, 206 Greiffenhagen, Martin 130, 240 Greiner-Mai, Herbert 123 Greule, Albert 1, 2, 6, 7, 8, 9,17, 231 Grillparzer, Franz 67,111 Grimm, Hans 116, 121, 122, 162, 212, 219, 221 Grimm, Jacob 68, 71, 116, 117, 120, 161, 162,163,165,176,206,224 Grimm, Wilhelm 116,117,161,176, 206 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von 176,206, 211
Förster, Uwe 72, 229 Frau Rat Goethe 163 Frenzel, H. A. und E. 207 Freytag, Gustav 67, 71, 117, 119, 162, 164
Grotewohl, Otto 187, 206, 211, 221
Frühwald, Wolfgang 234 Fürnberg, Louis 206,211
Hansen, Walter 44
Grün, Max von der 109 Gutzkow, Karl 163, 207 Hahn, Karl Heinz 206 Harth, Dietrich 234 Hauptmann, Gerhart 67, 117, 161, 163
Gardt, Andreas 6, 44, 51, 55, 64, 101, 129, 224,234
Hebbel, Friedrich 68, 116, 117, 161, 206, 207, 208
Namenregister
265
Hebel,Johann Peter 116,163,205 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 116, 161,165
Juhasz, Janos 3,14,15,131
Heine, Heinrich 67, 68, 71, 117, 118, 161, 162, 163, 165, 166, 169, 176,
Kalinin, Μ. I. 206
205, 206,209, 210 Hellmann, Manfred 245, 246 Henne, Helmut 3, 5, 229 H e r d e r j o h a n n Gottfried 53, 58, 67, 68, 72, 74, 116, 120, 162, 163, 205, 210, 218
Keller, Gottfried 36, 67, 68, 71, 72, 116,
Heringer, Hans Jürgen 8, 9, 10, 12, 14, 17,71,236, 249,250 Herwegh, Georg 176, 205, 206, 210 Hüdebrand, Rudolf 117,161 Hillen, Ingrid 5, 9, 28, 131, 146, 216, 229, 247 Hider, Adolf 94, 95, 109, 115, 116, 117, 118, 130, 143, 145, 161, 162, 163, 171,208, 221,240 Hoberg, Rudolf 250 Höchli, Stefan 2 Hölderlin, Friedrich 69, 176, 205, 206 Hölty, L.C.H. 67, 117,205 Hoffmann, E.T.A 205 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 117,161 Hofmannsthal, Hugo von 118,130,161, 162,163,169 Horaz 116 Huch, Ricarda 161,163 Humboldt, Wilhelm von 103,117,161
Kaiser, Georg 117,123, 161, 167, 205 Kant, Emmanuel 163, 165, 206 117,161,162,207,218 Keller, R.E. 86, 93 Kerr, Alfred 117, 123, 131, 161, 167 Keyserling, Eduard 162, 163 Kirkness, Alan 49,120 Kitchen, Martin 241 Kleist, Heinrich von 116, 161, 162, 163, 176,205,206 Klemperer, Victor 8, 86, 89, 95, 115, 137, 138,189, 206 Klopstock, Friedrich Gottlieb 38, 67, 74, 116, 117, 161, 162, 163, 205, 206, 207, 210, 218 Kluge, Friedrich 9,100, 206 Koelwel, Eduard 1, 2, 9, 11, 22, 29, 30, 173177, 179-180, 182, 183, 185-191, 193197, 200-202, 205, 208-210, 213, 214, 225, 229, 243 Koelwel & Ludwig 173-181, 183-194, 196, 197, 201-204, 206, 209-211, 219, 243 König, Werner 177 Kolbenheyer, Erwin Guido 162 Koselleck, Reinhard 234 Kraus, Karl 162, 206 Krentzlin, Heinz 206 Krumrey, Horst-Volker 2 Kyser, Hans 117,161
Ickler, Theodor 3,4, 26, 50, 75,120 Ippel, Eduard 120
Lämmert, Eberhart 52 Langer, Nils 6, 10, 250
Januschek, Franz 10
Law, Claudia 250
Jean Paul 67, 116, 117, 161, 163, 167,
Lehnert, Martin 205
176,205,206,207,218 Jobst, Herbert 206, 211
Leibniz, Gottfried Wilhelm 117, 120, 165, 206
Jöris 72, 73
Lenin, Wladimir 187, 203, 206, 221
Joseph J o h n E. 236-238, 245-247
Lenz J a c o b Michael Reinhold 117, 161
266
Namenregister
Lessing, Gotthold Ephraim 27, 36, 53, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 79, 116, 117, 118, 120, 127, 161, 162, 163, 164, 165, 169, 170, 176, 177, 205, 206, 207,218 Lichtenberg, Georg Christoph 163, 206 Liebknecht, Wilhelm 202, 206, 211 Liliencron, Rochus von 117,161,167 Linke, Angelika 225 Linn, Marie-Luise 56 Löns, Hermann 162,163 Löwenhalt, Rompier von 206 Logau, Friedrich Freiherr von 117, 161, 206 London, Jack 207 Ludwig, Helmut 1, 9, 22, 29, 30, 173181, 183-194, 196, 197, 201-204, 206, 209-211,219,243 Ludwig, Otto 39, 67 Lukacs, George 207 Luther, Martin 33, 34, 67, 68, 69, 72, 74, 79, 86, 87, 116, 117, 118, 119, 127, 134, 161, 162, 163, 164, 169, 175, 177,186,205, 206,207,219 Luxemburg, Rosa 206, 212, 219 Mann, Golo 76 Mann, Heinrich 162, 205, 206, 207, 210 Mann, Thomas 162, 163,169, 205 Marlitt, Eugenie 117,161 Marx, Karl 187, 193, 194, 205, 206, 207, 209,210,211,219,221 Mattheier, Klaus J. 233-236, 238 Matthias, Theodor 27 Mehring, Franz 176, 205, 206, 207, 221 Meyer, Conrad Ferdinand 117, 161, 205, 207
Miegel, Agnes 117 Milroy, James & Lesley, 236-238, 245, 246, 247 Minnerup, Willi 86, 90 Möller, Georg 1, 3, 4, 22, 28, 29, 173-186, 188-196, 198-203, 206, 208, 210, 218, 229, 248 Mörike, Eduard 6 7 , 1 1 7 , 1 6 2 Moltke, Helmuth Graf von 68, 71, 72, 75, 7 9 , 1 1 7 , 1 2 2 , 1 2 7 , 1 6 2 , 1 6 6 , 1 6 9 , 219 Morgenstern, Christian 116, 161 Müller, Karin 4, 104 Müller, Wilhelm 162 Musil, Robert 161 Nerius, Dieter 3 Neumann, Alfred 117 Neumann, Robert 161 Nickisch, Reinhard M.G. 2, 3, 7, 8, 9, 10, 14, 19, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 56, 162,173 Nietzsche, Friedrich 67, 99, 116, 117, 151, 161,162,163 Nipperdey, Thomas 233, 234 Noll, Dieter 206, 207 Novalis 207 Nürnberger, Helmuth 123, 124 Opitz, Martin, 116, 202, 206 Pfalz, Lieselotte von der 163 Pfalzgraf, Falco 250 Planck, Max 207 Polenz, Peter von 4, 8, 52, 66, 95, 100, 115, 120,131,230 Ponten, Josef 116
Meyer, Kerstin 3, 5 , 7 , 8, 24, 25, 46,131, 231
Quintilian 116
Meyers Enzykloppädisches Lexikon 75, 122,124,130 Michel, Georg 229
Raabe, Wilhelm 117,161 Ranke, Leopold von 117,161,163 Reimann, Monika 137
Namenregister Reiners, Ludwig 1, 2, 3, 4, 9, 21, 26, 27, 28, 29, 84-94, 96-114, 117-124, 126, 130, 131, 132-143, 145-147, 149159, 162, 165-167, 169, 181, 182, 185, 193, 207, 212, 219, 232,249 Reißert, Oswald 117,161 Riegel, Hermann 206 Riehl, Wilhelm Heinrich 163 Riesel, Elise 7 6 , 2 0 1 , 2 1 8 Rilke, Rainer Maria 117,161,163, 205 Rist,Johann 206 Rosier, Hans 117 Rosegger, Peter 117,161 Rosenberg, Alfred 117,161 Rossmann, Hermann 117, 161 Roth, Eugen, 163 Rückert, Friedrich 67,117, 161, 205 Rupp, Heinz 3 Sachs, Hans 117, 161 Sanders, Willy 2, 5, 7, 8, 11, 13, 14, 15, 17, 19, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 53, 54, 55, 56, 58, 61, 62, 76, 77, 80, 81,82, 8 3 , 1 1 8 , 2 1 8 , 2 3 0 , 2 3 1 , 2 4 9 Sarrazin, Otto 163,100 Schaumann, Ruth 162 Scheffel, Joseph Victor von 117,161 Schiller, Friedrich von 67, 68, 69, 70,71, 73, 74, 76, 79, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 127, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 169, 170, 176, 177, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 218, 219 Schlegel, August Wilhelm 101,117, 161 Schlessing 100
267
Schopenhauer, Arthur 52, 67, 68, 99, 116, 117, 120, 161, 162, 165, 176, 201, 205, 206 Schottel, Justus Georg 206 Schlieffen, Alfred von 166 Schrambke, Renate 14 Schulz, Max Walter 206 Schulze, Andreas 4, 26, 27, 29 Schulze, Werner 20, 21, 22, 25,132, 232 Schulze/Wustmann 84-86, 88, 89, 90-92, 94, 95, 100, 102, 104, 106-111, 113-116, 118-120, 123, 130, 131, 132-145, 150, 152-155, 157-9, 161, 163-165, 169, 180, 185,190 Seghers, Anna 205, 206, 207, 210 Seidel, Ina 117,161,163 Shakespeare, William 116,117,161 Simmler, F. 2 Sophokles 117,161 Sowinski, Berhard 7, 53, 55, 60, 62 Spengler, Oswald 163 Stalin.Josef 182,205 Stave J o a c h i m 26 Steche, Theodor 27 Sternheim, Carl 1 1 7 , 1 2 3 , 1 2 4 , 1 3 1 , 161,167 Stevenson, Patrick 196 Stickel, Gerhard 64 Stifter, Adalbert 207 Storm, Theodor 67, 70, 116, 117, 161, 162, 206 Storz, Gerhard 8, 24 Strauß, David Friedrich 117,161 Streisand J o a c h i m 242, 243 Streit, Wilhelm 117
90, 94, 9 7 , 1 0 2 , 1 0 3 , 1 0 9 Schneider, Karl 9, 21, 27, 31-35, 37-44,
Strittmatter, Erwin 205, 206, 207, 210, 221 Stubenrauch, Herbert 20, 21, 25, 232 Stubenrauch/Wustmann 31-36, 39, 41-43, 45-47, 50-52, 54, 55, 57-59, 61-62, 64, 67-71,74, 76,102, 173,195 Süskind, W. E. 8, 24
47-55, 59, 61-72, 76,119,148, 232 Schneider, Wolf 3, 249, 250
Thälmann, Ernst 212
Schlosser, Horst Dieter 211, 244-246 Schmidt, Erich 68 Schmitz-Berning, Cornelia 86, 87, 88,
268
Namenregister
Thiemann, Susanne 3, 25,131 Thierfelder, Franz 28,132-142, 144-147, 149-152, 154-157, 159, 160, 163167, 169, 172, 179, 182, 188, 195, 206,218, 233 Thoma, Ludwig 67,162, 163 Thomasius, Christian 176, 206 Townson, iMichael 4,175, 225 Treitschke, Heinrich von 71, 111, 116, 117,162 Tucholsky, Kurt 176, 206 Uhland, Ludwig 67, 72, 116, 117, 161, 162,206,218 Uhse, Bodo 207 Ulbricht, Walter 206, 212, 244 Vischer, Friedrich Theodor 68, 116, 117, 161, 162, 165 Vogelweide, Walther von der 67, 117, 161,206 Volmert, Johannes 105 Wahrig, Gerhard 11 Waldis, Burkhard 117,161 Wasserzieher 84-90, 92-98,
104-106,
108, 110, 112, 113, 115, 117-119, 124, 130, 131, 132-148, 151-155, 157-159,162-165,169 Wasserzieher, Ernst 9, 11, 20, 21, 22, 25, 26, 31-35, 37, 39-52, 57-65, 67-71, 76,132,187,195, 232
Watzlik, Hans 163 Wedekind, Frank 167 Weerth, Georg 206, 207 Wehner, Josef Magnus 117 Weisgerber, Leo 9, 146,161 Weiskopf, F.C. 176,189, 206, 209 Wells, C.J. 93,95,115 Wessel, Horst 162 Wiechert, Ernst 117,162 Wieland, Christoph Martin 68, 74, 117, 161, 165, 176, 206, 207 Wimmer, Rainer 233 Wippchen 117,161 Wolf, Christa 206, 207 Wustmann, Gustav 1, 3, 5, 9, 21, 25, 100, 131,227,231,232 Wustmann 8, 15, 20, 22, 28, 31-36, 39, 4143, 45-47, 50-52, 55, 57-59, 61-64, 6771, 74, 76, 84-86, 87, 88, 89, 90-92, 93, 94, 95, 100, 102, 104, 106-116, 118-120, 123, 130, 131, 132-145, 150, 152-155, 157-9, 161, 163-165, 169, 176, 206, 227, 232 Zesen, Philipp von 206 Ziegler, Evelyn 74, 75, 225 Zweig, Arnold 117,161, 206, 210 Zweig, Stefan 206, 207 Zuckmayer, Carl 161
Sachregister Abkürzungswörter (Aküwörter) 89, 92, 95,144,180,187,221 Aktiv 19, 60, 61, 78, 80, 109, 126,129, 155,169,198-199, 210, 215, 226, 228 „als" und „wie" 39, 90
111,119,127,128,149,155-157, 169,170,172,191,192,198,199, 208, 214, 226, 227 Charaktereigenschaften 53,78, 82, 99, 100,108,109,126,129,153-156, 198,199,215,226
Althochdeutsch 14, 33, 34, 35
Charaktererziehung 78
Anglizismen 204, 205, 215
Charakterfehler 54
Anglo-Amerikanismen 159, 222
Charakterschulung 53, 99, 149
anti-intellektuell 91, 92, 100,105,108, 111,130,140, 154,157,168,171 antisemitisch, Antisemitismus 46, 78, 131,218
DDR-Werke 22, 28,173-216, 217, 220228, 242, 243, 245, 246, 248, 249 Denkdisziplin 78, 201 „derselbe" 39,90, 139
Band (der Sprache) 96, 189 Bandmetapher 4 8 , 1 4 6 , 1 6 8 , 1 9 0 , 214, 225
Dichter 15,17,19, 27, 39, 40, 67-73, 82,
Bandwurmsatz 110 Beiordnung 110,127,155, 200 Beugung 43, 44, 51,79, 98,118,164, 184
207, 209, 211,213, 218, 224, 246
Bibelsprache 116 Bildersprache 42-43, 60, 66, 92-94,129, 141-142, 154, 158,160, 170, 172, 184-185,204,213,228 Bildungsbürger 11,233-236, 249, 250 Bildungsbürgertum 233-243, 248, 249 Blut 85, 86, 91, 95, 96, 97,102,129, 134,144,146 Blutgift 74, 79, 219 BRD-Werke 21, 132-172,173, 174, 176182,184-191,195,197-202, 204, 205, 207, 211, 213-216, 217, 222229, 235, 238, 239, 241, 242, 249 Charakter 16, 44, 52, 53, 58, 60, 63, 65, 66, 72,78, 82, 83, 9 9 , 1 0 0 , 1 0 6 , 1 1 0 ,
90,91,115-117,139,140,161-164, 166, 171, 176,182,183, 198,205Dingwort 185, 196-197,212 Disziplin 1 6 , 1 7 , 1 8 , 63 Ehrlichkeit 48, 5 8 , 7 8 , 1 0 6 , 1 0 7 , 1 5 3 , 172,191 Erziehung 16, 52,159, 243, 244, 246 Expressionismus 123,124,166, 219 Expressionisten 167 Fehler 38,41, 53, 54, 71, 91, 92,123, 1 6 5 , 1 8 1 , 1 8 2 , 1 8 4 , 1 9 4 , 202, 209, 220 Fehlerrüge 182, 213, 224, 227 Fremdwörter 35, 37, 42, 43, 54, 63-66, 72, 76, 79, 80, 82, 83, 94, 95, 98, 112-115,120,127,157,158,160, 165,169,187, 202-205, 210, 215, 219,220,226
270
Sachregister
Fremdwörterseuche 92,142, 204 Fremdwortgebrauch 19, 35, 66,76, 78,
Krankheit 42, 43, 46, 92,96,141,145, 185
159,160,169,204,205, 226 laienlinguistisch 1, 2, 4, 5, 6, 10, 12, 13, Gebrauchsprosa 13, 24, 76, 125, 167, 169,212,215,218 Genitiv 37, 39, 40,118,136,140,142,
18, 23, 24, 29, 81,170, 216, 228, 229, 248, 249 Leben 40, 43, 44, 47, 57, 58, 60, 64,78,
144,163,186,209
92, 93-94,105,106,111,123,142,
Germanenmythos 44, 172
145,146,150, 156,157,168,186,
Gerundivum 135,156,177 gesprochene Sprache 57, 58,104,176, 186,194 goldenes (Sprach)Zeitalter 82,134,176, 223, 237, 239, 246 Großsatz 110,120,121,156 Hauptsatz 111, 121,156 Hauptwörterkrankheit 107, 141 Hauptwort 59-61,106,107,109,153, 196,197,214, 226,228 Hitlerfaschismus 179, 188, 189 Idealnorm 34, 67, 70, 71, 77, 79,124, 127, 130,169, 220 Ideologie 1,10,17, 77,100,128,129, 130,176,178,181,186,194,211, 213, 214, 216, 219-223, 225, 237, 238, 243,245-249 Kanzleistil 56,101 Kommunismus 176, 194, 207, 214, 221, 244 Kommunistisches Manifest 186, 206, 209,211,212 Konjunktiv 45, 46, 136, 137 kontinuierlich aufgelegte Werke 22-28, 30, 84,132,173 Kraft 43-45, 49, 57, 59, 60, 78, 84, 89, 91,93, 94, 96,103-107,109,111, 125,138,142,152-154,156,157, 168,172,186,196,197, 201, 213, 224, 225, 240
194,196 197,201,213,224 Lebendigkeit 57, 58,104,129,142,152, 153,172 Leser 5, 36, 43, 55, 56, 57, 58, 62, 69, 70, 78, 81, 93,102,106,126,129, 151,168,177,185,193,200, 212, 214, 230, 231,235, 236 Leserschaft 11,28, 29 Literatur 33, 67, 74, 76, 77, 86, 116,118, 125, 127,163,176,177,184,192, 205-207,218, 232, 234,246 Lutherbibel 87 Medizin 42-43, 78, 92, 93,125,141-2, 172,184-185 Mittelhochdeutsch 33, 34, 35, 86,134, 164 Modewörter 3, 5, 36, 37, 38, 77, 80, 8890,125,129, 138-9,168,172,179180, 213,222, 224 Momentaufnahme 21, 22-24, 27, 28, 30, 84,132 Mundarten 44,79, 80, 82, 88, 93,111, 113,114,137,142,156,246 Mythos des goldenen (Sprach)Zeitalters 82,176, 223, 236,239,246
Nationalbewusstsein 4, 48, 222, 227, 239, 242, 240 Nationalliteratur 68, 79, 120, 169, 170 Natürlichkeit 40, 44, 53, 54,101,104, 152
Sachregister Nebenordnung 110,156-157,199, 200, 201,226,228 Nebensatz 43, 62,111,121,122,156 Neuwörter 38, 44, 79, 88, 89, 90, 92, 137-138,168,172,179,180, 213, 224 Neuwortbildungen 36, 37 Normen 9,12,15,16, 71, 182,183, 236, 237,246 Normensetzer 12,17 Normenüberwacher 12 NS-Werke 21, 84-131,132,133,136, 139-141,148-154,157-160,163, 164,167-170,172,174,181,182, 187,213,215,217,220, 221 Papierstil 101,102,103,150 Passiv 19, 60, 61, 78, 79, 80,108-110, 126,154-155,192,198-199,210, 215,226, 228 Persönlichkeitsstil 126,129,165,168, 225 Rasse 97,100,129 Rassenlehre 90,125,129, 135,172 rassisch 96,97,115,146, 237 Reinheit 150
Satzbau 19, 53, 54, 58, 61, 62, 63, 72, 75, 106,110-112,120,121,127,155157,165-167,169,191,192,199203, 211,215, 226 Satzdreh nach „und" 39, 90,139 Schachtelsatz 42, 61, 63,110,121, 155, 201
271
Sprache als Lebewesen 42-45, 58, 60, 66, 92-94, 107,125,141-142,168, 170,172,184 Sprachenstolz 50, 51, 78, 147, 148, 157, 171,225 Spracherziehung 41 Sprachgefühl 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 47, 48, 63, 78,91-92,100,105,125, 140,141,183-184,192, 209, 213, 220, 224, 227 Sprachgeschichte 18, 31, 32-36, 40, 59, 77, 80, 82, 86-87, 91,125,134-136, 168,170,171,175-178, 223 Sprachkonservatismus 1,14-20, 31, 32, 33,36, 38,45, 67,77,81-83, 84, 103,125-131,132, 167-172,173, 213-216, 217, 220, 222, 223, 227230, 235, 239, 241-243, 245, 247250 Sprachpest 92,141,189 Sprachratgeber 1,2, 5, 7-14, 15,17, 18, 20,22, 29, 30, 31, 52, 56, 81, 83, 84, 86, 99,128,131,132, 170, 172,173, 176,180,188, 208,213,216,218, 220, 222, 228-230, 234, 238, 239, 241,248, 249 Sprachrichtigkeit 18, 31, 38-41, 46, 52, 53, 58, 62, 64, 68, 69, 71, 78, 80, 82, 83, 90-92,104,105,119,124,125, 128,129,139-141,151,152,165, 168,170,171,181-184,213,224, 227
Schriftsprache 16, 35,44, 57, 72, 74, 76, 78, 80, 96,104,105,126,152,153, 176,194,195,199, 214, 225, 226, 245
Sprachvergangenheit 18, 33-36, 55, 62, 70, 83, 86-87,128,134,175-176, 188,208,213,223,227,239 Sprachwandel 14-18, 36-38, 69, 70, 77, 80, 82, 83,88-90,118,124,125, 128,136-139,164,168,170,172, 178-181,183,208, 213, 223, 227, 239
Sozialismus 186,187,193, 212, 242, 244, 245, 247, 248, 249
Sprachzustand 15-18, 31, 32, 46, 49, 77, 82, 84-86, 89,91, 96, 97,115,128,
272
Sachregister
133-134,144-147,157,160,171, 174-5,213,220, 248 Sprechsprache 16, 57, 58, 72, 78, 79, 80, 1 0 4 , 1 0 5 , 1 2 6 , 1 2 9 , 1 5 2 , 1 6 9 , 194, 195,214,225,226, 227 Standardsprache 14, 235-239, 245-250 Standardsprachenideologie 238, 239,
Textkorpus 1, 2, 3, 4, 5 , 7 , 9 , 1 0 , 1 8 , 20, 21-
241,242,245-250 Stü 1 , 7 , 1 9 , 32, 52-56, 58-60, 63, 67, 68, 71, 72,75, 77-80, 82, 83, 99-100, 102,103,122,128,132,135,141, 142,149-151,161,165-167,169, 170,174,178,191-193,196,198, 199, 214-216, 218, 219,225-228, 231,235,239, 2 4 6 , 2 4 8 , 2 4 9 Stilanweisungen 19, 52, 56-66, 72, 78, 80,99,104-115,121,126,129,152160,165,169,172,194-205, 214, 225-227
Überlegenheitsmerkmal 51
Stilarten 54, 5 5 , 1 0 0 , 1 0 1 , 1 2 6 , 218 Stildiskurs 18,19, 20, 31, 52, 77, 78, 81, 84, 9 9 , 1 0 2 , 1 0 5 , 1 2 5 - 1 2 8 , 1 3 2 , 1 4 9 , 167,168,169,170,172,173,191, 213, 215, 216, 217, 220, 222, 223, 228, 229 Stilerziehung 78 Stilgattungen 52, 56 Stilistik 2, 3, 7,229 Stilkrankheit 99,151 Stillehre 1, 2, 3, 5, 7 - 1 4 , 1 7 , 1 8 , 20, 22, 27, 29, 30, 31, 52, 56, 81, 83, 84, 86, 99,128,131,132,170,172,173, 176,188, 208, 213, 216, 218, 220, 222, 228, 229, 230, 234, 238, 239, 241-243,248,249 Stilschulung 9 9 , 1 0 0 , 1 4 9 Stopfstil 61, 63 Strukturalismus 12 Substantiv 19, 60,107,124, 142,196, 197 Substantivitis 185,196,197
30 Überlegenheit 65, 79, 112, 126, 147, 148, 156,166,171,190,226 Überlegenheitsanspruch 112, 129, 134, 147, 148,215
Verb 19, 59, 60, 72, 80, 107, 126, 129, 174, 186,196-198, 203, 214, 226, 228 Verbalsubstantiv 59, 60, 78, 94, 95, 96, 107, 145, 153, 154, 187, 196-198, 214, 221, 226 Volk 32, 41,47, 50, 57,64, 65, 85-87, 91,96, 97, 98, 103, 115, 121, 122, 126, 128, 133, 134, 136, 145, 146, 147, 160, 170, 174-181, 183, 187, 189, 204, 211, 213, 223, 224, 227, 242-244, 246, 250 Volksgeist 85,89, 96,133 Volksgemeinschaft 48, 85, 113, 114, 126, 128,146,148,158 Volkslinguistik, volkslinguistisch 6, 10, 11, 16 Volkstum 49, 85, 93,97 Vorbilder 18, 19, 52, 67-77, 79, 82, 83, 99, 116-125, 127, 161-167, 169, 171, 177, 178, 183, 205, 208-212, 215, 218, 219, 220, 222, 227, 234, 235, 239, 246
Wortbildung 142,158 Wortzusammensetzungen 50, 51, 64, 79, 98, 113,157,185,210 WR-Werke 21, 31-83, 84, 87, 88, 90-93, 97104, 106, 108-112, 114, 118-121, 125131, 136, 137, 140, 148, 157, 160, 165, 168,169,171,172, 182, 216, 217, 231 Zeitwort 58, 59, 60, 105-108, 109, 122, 153, 154,195-198