Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler: Kommunikation zwischen Europäern und Außereuropäern (16.-20. Jahrhundert) 3515097791, 9783515097796

Die überseeische Expansion brachte europäische Seefahrer, Händler, Missionare, Forscher und Kolonisten mit einer Vielzah

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German Pages 421 [427] Year 2010

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
Einleitung
I. FRÜHNEUZEITLICHE MISSIONAREALS LINGUISTEN UND KULTURELLE VERMITTLER
II. DIE VIELFALT KULTURELLER VERMITTLER
III. VERWISSENSCHAFTLICHUNG VON SPRACHE SPRACHPOLITIK UND KOLONIALHERRSCHAFT IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT
IV. KONTAKT- UND VERKEHRSSPRACHEN, SPRACHWANDEL, SPRACHZERFALL
PERSONENREGISTER
ORTSREGISTER
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Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler: Kommunikation zwischen Europäern und Außereuropäern (16.-20. Jahrhundert)
 3515097791, 9783515097796

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Mark Häberlein / Alexander Keese (Hg.) Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler

Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte vormals: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte

---------------------------------------Im Auftrag der Forschungsstiftung Europäische Überseegeschichte Herausgegeben von Markus A. Denzel Hermann Joseph Hiery Eberhard Schmitt

Band 97

Mark Häberlein / Alexander Keese (Hg.)

Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler Kommunikation zwischen Europäern und Außereuropäern (16.–20. Jahrhundert)

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2010

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09779-6 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2010 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort...........................................................................................................................7 Mark Häberlein, Bamberg / Alexander Keese, Porto: Einleitung........................................................................................................................9 I. Frühneuzeitliche Missionare als Linguisten und kulturelle Vermittler Renate Dürr, Kassel: Übersetzung als Wissenstransfer: Das Beispiel des Guaraní-Wörterbuchs von Antonio Ruiz de Montoya SJ (1639–1640) ..................................................................31 Michael Müller, Mainz: Das ethnolinguistische Werk des Chilemissionars P. Bernhard Havestadt ..................47 Christian Windler, Bern: Konfessioneller Anspruch und kulturelle Vermittlung: Katholische Missionare im Safavidenreich ..................................................................75 Susanne Lachenicht, Bayreuth: Mehrsprachigkeit, kultureller Austausch und Multikulturalität in der Nouvelle France (16.–19. Jahrhundert) .......................................................................................95 Mark Meuwese, Winnipeg: Language, Literacy and Education: Native Peoples and Dutch Protestant Missions in Southwestern Taiwan and Northeastern Brazil, 1624–1662...................107 II. Die Vielfalt kultureller Vermittler Miorita Ulrich, Bamberg: Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung (1519–1522). Magellans Chronist Antonio Pigafetta als „naiver Linguist“ .....................................131 Felix Hinz, Hildesheim: Traduttore, traditore. „Gefangene“ und „befreite“ Dolmetscher als argwöhnisch betrachtete Kulturvermittler während der spanischen Conquista Amerikas .............157 Mark Häberlein, Bamberg: Kulturelle Vermittler in der atlantischen Welt der Frühen Neuzeit ...........................177

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Inhaltsverzeichnis

Beatrix Heintze, Frankfurt am Main: Luso-afrikanische Dolmetscher und kulturelle Vermittler in Angola im 19. Jahrhundert ....................................................................................203 Andreas Weber, Leiden: Sprache im ‚Zwischenraum‘: Adriaan David Cornets de Groot jun. (1804–1829) als multilingualer Grenzgänger im zentraljavanischen Surakarta .............................223 III. Verwissenschaftlichung von Sprache, Sprachenpolitik und Kolonialherrschaft im 19. und 20. Jahrhundert Markus Messling, Potsdam: Repräsentation und Macht. Selbstkritik der Philologie in Zeiten ihrer Ermächtigung (Jean-Pierre Abel-Rémusat, Eugène Jacquet, Wilhelm von Humboldt) ........247 Jürgen G. Nagel, Hagen: Sprachschule oder kolonialwissenschaftliches Zentralinstitut? Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen zwischen linguistischer Forschung und kolonialer Praxis, 1887–1914 .....................................261 Armin Owzar, San Diego: Swahili oder Deutsch? Zur Sprach- und Religionspolitik in Deutsch-Ostafrika........281 Almut Steinbach, Clausthal: Herrschaftssprache und imperiale Integration. Britische Sprachpolitik in Ceylon und den Föderierten Malaiischen Staaten ...........305 Dmitry Shlapentokh, South Bend/Indiana: Civilization: Linguistic and Cultural Construct or Product of Power? The Case of the Soviet Union ....................................................................................325 IV. Kontakt- und Verkehrssprachen, Sprachwandel, Sprachverfall Maria Johanna Schouten, Covilhã/Portugal: Malay and Portuguese as Contact Languages in the Southeast Asian Archipelago, 16th–18th Centuries ...............................................................................345 Michaela Schmölz-Häberlein, Bamberg: Kekchi als Verkehrssprache und Forschungsgegenstand. Kontakte zwischen Maya-Indianern und deutschen Pflanzern in Guatemala 1870–1944 .........................355 Swintha Danielsen, Leipzig / Katja Hannß, Konstanz: Working with Dying Languages: Two Bolivian Cases in Comparison......................379 Personen- und Ortsregister..........................................................................................409

VORWORT Der vorliegende Sammelband geht auf eine Jahrestagung der Gesellschaft für Überseegeschichte (GÜSG) zurück, die die Herausgeber im Mai 2008 an der Universität Bamberg veranstalteten. Die Tagung wurde von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert und von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bamberger Lehrstuhls für Neuere Geschichte – namentlich Angelika Glodeck, Christian Kuhn, Heinrich Lang, Tanja Metzger, Matthias Schönhofer und Jörg Stuhlmüller – organisatorisch und logistisch unterstützt. Wir danken ferner den Herausgebern der Beiträge zur europäischen Überseegeschichte, Prof. Dr. Markus A. Denzel (Leipzig) und Prof. Dr. Hermann J. Hiery (Bayreuth), für die Aufnahme des Bandes in ihre Schriftenreihe, Thomas Lehner und Johannes Staudenmaier für Unterstützung bei den redaktionellen Arbeiten, Ingrid Vornberger und Gabi Schopf für die Erstellung des Registers sowie den Autorinnen und Autoren des Bandes für die gute Zusammenarbeit. Bamberg und Porto, im Mai 2010

Mark Häberlein und Alexander Keese

Einleitung Mark Häberlein, Bamberg / Alexander Keese, Porto

I. KONTAKTSITUATIONEN UND DER EUROPÄISCHE VORTEIL Begegnungen zwischen Europäern und Außereuropäern in der Geschichte waren stets von Problemen der sprachlichen Verständigung begleitet. Der Prozess der überseeischen Expansion brachte europäische Seefahrer, Händler, Missionare, Forscher und Kolonisten mit einer Vielzahl von Sprachgruppen in Kontakt, die in Europa zuvor wenig oder überhaupt nicht bekannt gewesen waren. Umgekehrt sahen sich auch außereuropäische diplomatische Missionen nach Europa vor erhebliche Sprachprobleme gestellt.1ҏ Einen besonders heiklen Moment in diesen Begegnungssituationen stellte naturgemäß das Szenario des Erstkontaktes dar.2 Da die Bezugsschemata und Interpretationshorizonte der beiden beteiligten Seiten sehr weit auseinander liegen konnten, war in diesen Situationen grundsätzlich alles möglich, von vorsichtigen, tastenden ‚Kulturberührungen‘ bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die im Extremfall zur physischen Vernichtung sowohl der Ankömmlinge als auch der aufnehmenden Gruppe führen konnten.3 Ein klassischer und kontrovers diskutier1

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Vgl. für frühe diplomatische Missionen aus dem afrikanischen Raum: David NORTHRUP, Africa’s Discovery of Europe 1450–1850, New York/Oxford 2002, S. 3–6; für amerindianische Gesandtschaften im frühneuzeitlichen Europa: Alden T. VAUGHAN, Transatlantic Encounters: American Indians in Britain, 1500–1776, Cambridge u.a. 2006. Sowohl europäische als auch außereuropäische Sichtweisen auf die jeweils ‚Anderen‘ behandeln die Beiträge in Stuart B. SCHWARTZ (Hrsg.), Implicit Understandings: Observing, Reporting, and Reflecting on the Encounters between Europeans and Other Peoples in the Early Modern Era, Cambridge u.a. 1994. Stephen GREENBLATT, Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Berlin 1994; I.C. CAMPBELL, The Culture of Culture Contact: Refractions from Polynesia, in: World History 14/1 (2003), S. 63–86. Urs Bitterli hat diese Kontaktsituationen in drei Grundformen – Kulturberührung, Kulturzusammenstoß und Kulturbeziehung – unterteilt: Urs BITTERLI, Alte Welt – neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontakts vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, München 1986, S. 17–54. Für eine Differenzierung von Bitterlis Modell, die Abgrenzungspraktiken und kulturelle Kontaktsituationen gleichermaßen berücksichtigt und die den unterschiedlichen politischen und sozialen Strukturen, auf die Europäer außerhalb Europas trafen, stärker Rechnung trägt, vgl. Jürgen OSTERHAMMEL, Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas, in: Saeculum 46 (1995), S. 101–138.

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ter Fall in diesem Zusammenhang ist das Missverständnis – oder gesuchte Missverständnis –, welches 1779 in Hawaii zur Tötung von Captain James Cook führte.4 Die Verständigung in solchen frühen Kontaktsituationen erfolgte zunächst über Kommunikationsformen wie Gabentausch und Zeichensprache. Jenseits dieser einfachen Formen der Kommunikation waren Europäer wie Außereuropäer auf bi- oder multilinguale Vermittler vor Ort angewiesen, oder sie mussten diese selbst ausbilden. Die Vermittler waren einerseits in lokale soziale, ökonomische und politische Netzwerke eingebunden, andererseits waren sie in der Lage, über geographische und kulturelle Grenzen hinweg Beziehungen zwischen lokalen Gemeinschaften und größeren regionalen und internationalen Systemen herzustellen. Dazu mussten sie über die Fähigkeit verfügen, über das Medium der Sprache auch fremdartige Rituale, politische und soziale Vorstellungen, Weltbilder und Sinnsysteme verständlich zu machen.5 Über kürzere oder längere Zeiträume hinweg konnten ein Kräftegleichgewicht zwischen europäischen und außereuropäischen Gruppen, das Interesse beider Seiten an einer Kooperation und die Abhängigkeit von Vermittlern zur Entstehung eines kulturellen Zwischenraums, eines middle ground, führen.6 Auf lange Sicht brachten die Kontaktsituationen allerdings einer spezifischen Gruppe von Europäern, die als gatekeepers fungierten, unschätzbare Vorteile gegenüber ihren lokalen Gesprächspartnern. Selbst wenn die praktischen linguistischen Fähigkeiten, die zur Aufrechterhaltung der Kontakte vonnöten waren, oftmals weiterhin bei den „indigenen“ Partnern oder bei Dolmetschern und Übersetzern lagen, verfügten diese Europäer über eine Routine im praktischen Kulturkontakt, welche ihren Kontaktpersonen vor Ort fehlte. Das Know-How, das mit dieser aus zahlreichen Begegnungen erwachsenen Routine einherging, half europäischen Kaufleuten und 4



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Auch die teilweise recht ruppig geführte akademische Debatte über diesen Zwischenfall kann in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht bereits als ‚klassisch‘ bezeichnet werden. In dieser über Jahre hinweg weitergeführten Auseinandersetzung wurde vor allem diskutiert, ob die indigenen Gesprächspartner die Natur ihrer europäischen Besucher missverstanden oder missverstehen wollten. Siehe Marshall SAHLINS, How “Natives” Think: About Captain Cook, for Example, Chicago/London 1995; Gananath OBEYESEKERE, The Apotheosis of Captain Cook: European Mythmaking in the Pacific, Chicago 1992. Die ethnologisch ausgerichtete Kolonialgeschichtsschreibung hat sich seit den 1980er Jahren vor allem im angelsächsischen Raum intensiv mit solchen bi- oder multilingualen Vermittlern zwischen den Kulturen beschäftigt. Vgl. exemplarisch Daniel K. RICHTER, Cultural Brokers and Intercultural Politics: New York-Iroquois Relations, 1664–1701, in: Journal of American History 75/1 (1988), S. 40–67; Frances KARTTUNEN, Between Worlds: Interpreters, Guides, and Survivors, New Brunswick (N.J.) 1994; Margaret Connell SZASZ (Hrsg.), Between Indian and White Worlds: The Cultural Broker, Norman (Okla.) 1994; James E. MERRELL, Into the American Woods: Negotiators on the Pennsylvania Frontier, New York 1999; Edward G. GRAY/Norman FIERING (Hrsg.), The Language Encounter in the Americas, New York/Oxford 2000; George E. BROOKS, Eurafricans in Western Africa: Commerce, Social Status, Gender, and Religious Observance from the Sixteenth to the Eighteenth Century, Athens (Ohio) 2003; Alida C. METCALF, Go-betweens and the Colonization of Brazil, Austin (Tex.) 2005. Richard WHITE, The Middle Ground: Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650–1815, Cambridge u.a. 1991.

Einleitung

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Residenten vor 1800 ganz entscheidend, die Kontaktsituation zu ihrem Vorteil zu gestalten. Lokale Machthaber an den Küsten West- und Zentralafrikas oder in Südostasien mochten zwar durchaus in der Lage sein, in den ersten drei Jahrhunderten nach dem Beginn der portugiesischen Ostindienfahrten Gewinn aus Kontakten mit Europäern zu ziehen und die andere Seite zu manipulieren. Auf lange Sicht waren es jedoch die europäischen gatekeepers, die über das maßgebliche Wissen hinsichtlich der Gestaltung der Kontaktsituationen – einschließlich der sprachlichen Gestaltung – verfügten. Darüber hinaus besaßen Europäer in Übersee einen weiteren strukturellen Vorteil, der die Kommunikation mit Nichteuropäern wesentlich beeinflusste. Die Tatsache, dass sich europäische Seefahrer und Kolonisatoren überseeischen Gesellschaften zumindest oberflächlich mit dem Ziel christlicher Mission näherten, gab ihren Unternehmungen ein kohärentes Programm, welches seinen Eindruck in vielen Fällen nicht verfehlte. Der Umstand, dass christliche Missionare sich auch um die Beherrschung der lokalen Sprachen bemühten, verstärkte diesen Effekt. Als „humanistisch geschulte Philologen“ setzten sie auf eine „pragmatische Zweisprachigkeit“. Mit Hilfe einheimischer Informanten erarbeiteten sie Vokabellisten und grammatikalische Regelwerke, auf deren Grundlage sie religiöse Texte verfassten und die Bibel in außereuropäische Sprachen übersetzten. Wolfgang Reinhard zufolge „hat die humanistisch vervollkommnete abendländische Philologie entscheidend zur Verwirklichung von Sprachbeherrschung beigetragen“ und den europäischen Kolonisatoren ein wichtiges „Beeinflussungs- und Herrschaftsinstrument“ an die Hand gegeben.7 Die philologischen Bemühungen der Missionare trugen in jedem Fall langfristig zur Festigung kolonialer Herrschaft bei und schufen zudem wichtige Grundlagen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit außereuropäischen Sprachen.8 Diese Grundkonstellation liefert beispielsweise eine Erklärung für die scheinbaren Triumphe der Mission auf dem afrikanischen Kontinent, besonders im Königreich Kongo und an der Küste Westafrikas.9 Hier feierten die Missionare überraschend schnelle Erfolge schon in der Anfangsphase europäischer Entdeckungsreisen an Afrikas Küsten, doch waren diese scheinbaren Massenkonversionen alles andere als nachhaltig. Dabei spielte sicherlich auch eine Rolle, dass die lokalen Machthaber eigene strategische Ziele verfolgten, welche ihre Entscheidung zur 



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Wolfgang REINHARD, Sprachbeherrschung und Weltherrschaft. Sprache und Sprachwissenschaft in der europäischen Expansion, in: DERS. (Hrsg.), Humanismus und Neue Welt, Weinheim 1987 (Mitteilung XV der Kommission für Humanismusforschung), S. 1–36 (Zitate S. 5, 14, 20, 27). Vgl. Reinhard WENDT (Hrsg.), Wege durch Babylon. Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation, Tübingen 1998; Wulf OESTERREICHER/Roland SCHMIDT-RIESE, Amerikanische Sprachenvielfalt und europäische Grammatiktradition. Missionarslinguistik im Epochenumbruch der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 116 (1999), S. 62–100; Reinhard WENDT (Hrsg.), Sammeln, Vernetzen, Auswerten: Missionare und ihr Beitrag zum Wandel europäischer Weltsicht, Tübingen 2001. Chantal Luís da SILVA, L’Evêché du Congo et de l’Angola (1596–1760), in: Anais da História do Além-Mar 4 (2003), S. 295–334, bes. S. 302–303.

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Konversion beeinflussten. Die Übernahme der neuen Religion konnte, wie im Falle der Machthaber des Kongo in São Salvador, den Zugang zu europäischer Waffenhilfe sichern und hatte insofern zweifellos eine taktische Komponente.10 Auf der anderen Seite sorgte das engagierte Auftreten der Vertreter europäischer Missionen jedoch auch dafür, dass afrikanische Eliten den christlichen Glauben als eine attraktive Alternative betrachteten und ihn in ihr Repertoire an religiösen Mustern eingliederten, wenngleich sie offensichtlich keinesfalls bereit waren, den von den Europäern in der Regel ohnehin nur zurückhaltend vermittelten Absolutheitsanspruch des Christentums zu akzeptieren.11 An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wandelte sich die Rolle der christlichen Mission. Letztere gestaltete die Kontaktsituationen zwar weiterhin mit, und nach der Gründung protestantischer Missionsgesellschaften wie der London Missionary Society oder der Church Missionary Society erhielt sie sogar neuen Auftrieb. Dennoch war der Missionsgedanke nun nicht mehr das einzige moralische Programm, mit welchem die europäische Seite operierte, sondern er wurde von anderen Tendenzen überlagert. Einer von der Aufklärung geprägten Neugier gegenüber den Strukturen (mancher) nichteuropäischer Gesellschaften12 folgte rasch die Idee europäischer Überlegenheit und einer spezifischen Zivilisierungsmission.13 Ab etwa 1800 agierten Europäer in außereuropäischen Regionen mit einem klaren commitment, das sich nicht mehr primär aus religiösen Motiven speiste. Freilich ließen sich nicht alle außereuropäischen Bevölkerungen vom Auftreten der Europäer wirklich beeindrucken. Die Vertreter prosperierender Reiche, wie etwa Kaiserhof und Adel im China der Qing-Dynastie, verfügten selbst über ein kohärentes politisches, ideologisches und moralisches System, das sie den entschlossen auftretenden Europäern entgegensetzen konnten.14 Dies wurde etwa an der strikten Reglementierung des Umgangs mit europäischen Gesandten deutlich, der am chinesischen Hof noch am Ende des 18. Jahrhunderts üblich war.15 In anderen Weltregionen lagen die Dinge hingegen völlig anders. In den Küstenregionen des subsaharischen Afrika verlieh die starke Identifikation der Europäer mit „Zivilisationsprinzipien“ wie der Bekämpfung des Sklavenhandels, welche die Briten seit ihrem eigenen Verbot (1807) propagierten, den europäischen Residenten vor der Mitte des 19. Jahrhunderts hohes Prestige. In Regionen wie dem späte10 Vgl. John THORNTON, The Kingdom of Congo: Civil War and Transition, 1641–1718, Madison/London 1983. 11 Vgl. John THORNTON, The Kongolese Saint Anthony: Dona Beatriz Kimpa Vita and the Antonian Movement, 1684–1706, Cambridge 1998. 12 Vgl. Hans-Jürgen LÜSEBRINK (Hrsg.), Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, Göttingen 2006. 13 Vgl. Boris BARTH/Jürgen OSTERHAMMEL (Hrsg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005. 14 Vgl. Pamela Kyle CROSSLEY, A Translucent Mirror: History and Identity in Qing Imperial Ideology, Berkeley/Los Angeles/London 1999. 15 Vgl. James L. HELVIA, Cherishing Men from Afar: Qing Guest Ritual and the Macartney Embassy from 1793, Durham/London 1995.

Einleitung

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ren Sierra Leone fungierten solche Residenten wiederholt als diplomatische Vermittler auf Friedenskonferenzen; ihr entschiedenes Eintreten für freie Handelsrouten und den Abschluss umfassender Friedensverträge sowie ihre Bereitschaft, etwa im Falle Sierra Leones in der lokalen lingua franca, dem Temne, zu kommunizieren, verhalf den Europäern zu einer hohen Reputation als scheinbar altruistische Vermittlungspersonen. Die zwischen 1750 und 1850 praktizierte ‚Zivilisationsdiplomatie‘, die noch nicht die politische Kontrolle größerer Territorien implizierte, vermittelte also den lokalen afrikanischen Partnern den Eindruck, die europäische Seite betätige sich uneigennützig als externer Berater und neutraler Makler. Der vergleichsweise einfühlsame Einsatz von Sprache als Teil dieser Diplomatieform stärkte die Rolle der Europäer in dieser Hinsicht zusätzlich.16 Man könnte nun fragen, ob sich diese Merkmale europäischer Kulturbegegnungen mit Nichteuropäern nicht auch in Kulturkontakten zwischen Nichteuropäern verschiedener Regionen finden lassen. Dabei stellt man jedoch rasch fest, dass in anderen Räumen vergleichbare interkulturelle Konstellationen insgesamt seltener auftreten. Vergleicht man etwa die christliche Missionserfahrung in West- und Zentralafrika mit der Ausbreitung des Islam im Mittleren Osten und im nördlichen Afrika, so zeigt sich, dass der Islam zwar in weiten Teilen Afrikas nördlich des Äquators langfristig wesentlich erfolgreicher war als die christliche Mission, die muslimische religiöse Durchdringung dieser Regionen jedoch mit anderen Vermittlungsmechanismen funktionierte. In Westafrika waren muslimische Prediger als mandinka-sprachige Wanderhändler und Mitglieder von Kaufmanns- und Söldnerdynastien, so genannten Dyula, eng in bestehende lokale Strukturen eingebunden. Obgleich im heutigen Senegal bereits im 17. Jahrhundert, im heutigen Sierra Leone und Guinea-Conakry dann im 18. Jahrhundert muslimische Bewegungen auftraten, die zum Teil von „fremden“ Marabouts (zumeist aus dem heutigen Mauretanien kommenden sufitischen Wandergelehrten) getragen wurden und stärker mit moralischen Prinzipien argumentierten, waren auch diese sehr viel stärker als christliche Missionare in lokale Strukturen integriert. Als der Islam mit den Jihads des 19. Jahrhunderts schließlich den Charakter eines gewaltsamen moralischen Reformprogramms annahm, waren seine Träger lokale Anführer, und ihr Auftreten erfolgte zudem zu spät, um das europäische Vordringen, welches nunmehr auf territoriale Expansion setzte, noch aufhalten zu können. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass das europäische Programm christlicher missionarischer Durchdringung auf den Einsatz lokaler Sprachen baute, während die muslimischen Bewegungen unter nordafrikanischem Einfluss zwar Mandinka und Fulfulde als Sprachen religiöser Expansion einsetzten, aber das Koranstudium in arabischer Sprache in den Mittelpunkt ihrer Konversionsaktivitäten stellten.17 16 Alexander KEESE, Mit „Primitiven“ verhandeln: Die britische Campbell-Mission von 1836/37 und die Redefinition von Diplomatiestilen in Sierra Leone, in: Hillard von THIESSEN/Christian WINDLER (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen: Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln u.a. 2010, S. 352–367. 17 Zu den Dyula-Netzwerken als Motor kulturellen und politischen Wandels vgl. David E. SKINNER, Mande Settlement and the Development of Islamic Institutions in Sierra Leone, in: International Journal of African Historical Studies 11/1 (1978), S. 32–62; zum Vordringen

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Kontaktsituationen zwischen Europäern und Nichteuropäern hatten demnach spezifische Charakteristika, die sie von Kulturkontakten, die ohne europäische Beteiligung abliefen, wesentlich unterscheiden. Zudem müssen auch die höchst unterschiedlichen Anforderungen, vor die sich Europäer in verschiedenen außereuropäischen Kontaktregionen gestellt sahen, beachtet werden: Die spezifischen Merkmale geographischer Großräume prägten auch die Sprachkontakte entscheidend mit.

II. GEOGRAPHISCHE KONTAKTZONEN: AMERIKA Sprachkontakte im Kontext der europäischen Eroberung und Kolonisation der Amerikas zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert waren durch zwei grundlegende Prozesse geprägt: den demographischen Niedergang der amerindianischen Bevölkerungen und den atlantischen Sklavenhandel. Das Verschwinden amerindianischer Kulturen in Folge eingeschleppter Krankheiten war auch von einem Sprachensterben begleitet, und in den amerikanischen Siedlergesellschaften hatten europäische Sprachen eine Vormachtstellung, die in Afrika oder Asien undenkbar war. Selbst in Gebieten mit indigener Bevölkerungsmehrheit, etwa in Mexiko, war die Verständigung mit den lokalen Eliten auf der Basis des Spanischen möglich.18 Im Andenraum, in den Waldregionen im Norden Südamerikas und in Brasilien behielten Verkehrssprachen wie Aymara, Quetchua und Tupi allerdings noch lange Zeit eine Schlüsselrolle. Im Vizekönigreich Peru beispielsweise bildete ein standardisiertes verschriftlichtes Quetchua seit dem späten 16. Jahrhundert die sprachliche Grundlage der Evangelisierung der andinen Bevölkerung.19 Die Afrikaner, die als Sklaven in die Plantagenzonen Brasiliens, Nordamerikas, der Karibik und Spanisch-Amerikas gebracht wurden, wurden aufgrund ihrer Herkunft aus unterschiedlichen geographischen und sprachlichen Räumen sowie fehlender eigener Gestaltungsmöglichkeiten linguistisch im Allgemeinen rasch absorbiert, oder sie verständigten sich untereinander in Kreolsprachen, die afrikanische und europäische Elemente kombinierten. In einigen Regionen waren bestimmte sprachlich-kulturelle Gruppen unter den eingeführten Sklaven allerdings stark und einheitlich genug, dass sie ihre Sprachen – etwa Twi, Kimbundu, Um-

des Islam im westlichen Afrika siehe Jillali el ADNANI, La Tijâniyya, 1781–1881: les origines d’une confrérie religieuse au Maghreb, Rabat 2007; A. Dedoud Ould ABDELLAH, Le passage au sud. Muhammad al-Hafiz et son héritage, in: Jean-Louis TRIAUD/David ROBINSON (Hrsg.), La Tijâniyya. Une confrérie musulmane à la conquête de l’Afrique, Paris 2000, S. 69–100; David ROBINSON, Muslim Societies in African History, Cambridge 2004. 18 Vgl. Yanna YANNAKAKIS, The Art of Being In-Between: Native Intermediaries, Indian Identity, and Local Rule in Colonial Oaxaca, Durham/London 2008. 19 Dazu ausführlich: Alan DURSTON, Pastoral Quechua. The History of Christian Translation in Colonial Peru, 1550-1650, Notre Dame (Ind.) 2007.

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bundu, oder Mandinka – über eine oder sogar mehrere Generationen hinweg bewahren konnten.20 Auf lange Sicht reichten diese sprachlichen Bindungen und Solidaritäten in amerikanischen Plantagenregionen jedoch zur Erhaltung der Ausgangssprachen nicht aus. Die Interaktion mit Sklaven aus anderen Herkunftsregionen und die Erfahrung der Beherrschung in Gestalt der Plantagenbesitzer und des auf den Plantagen tätigen europäischen Personals führten zu einer graduellen Adaption an die europäischen Sprachen. Dieser Prozess wurde indessen durch die ständigen Importe neuer Sklaven aus dem subsaharischen Afrika verzögert, die vor allem in den karibischen Plantagenkolonien bis ins 19. Jahrhundert hinein angesichts der hohen Mortalität und geringen Reproduktionsraten der Sklavenpopulation zur Aufrechterhaltung des Arbeitskräftereservoirs nötig waren. Der sprachlichkulturelle Adaptionsprozess begann vor diesem Hintergrund mit jeder neuen Sklavengeneration von Neuem.21 Da es auf Sklavenplantagen mitunter zu Konzentrationen von Sprechern verschiedener afrikanischer Sprachen kam und die europäischen Sklavenhalter auf die Etablierung sprachlicher Vermittlungsinstanzen weitgehend verzichteten, konnten die Sprachen der Sklaven „subversive“ Funktionen erfüllen. Besonders in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren afrikanische Sprachen ein wichtiges Medium bei der Organisation von Sklavenrevolten. Beispielsweise verwendeten die Anführer (ring-leaders) von Tacky’s Revolt auf Jamaika (1760) bei der Vorbereitung des Aufstands das Fon aus dem heutigen Benin als eine Art Geheimsprache.22 Unter den Bedingungen der Sklaverei konnten nichteuropäische Sprachen als „Gegensprachen“ eingesetzt werden – ihre Nutzung konnte symbolisch aufgeladen werden als Teil des kulturellen Widerstands gegen die kolonialen Eliten. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind ähnliche Phänomene in den neuen kolonialen Besitzungen europäischer Mächte sowohl im subsaharischen Afrika als auch im südlichen und südöstlichen Asien zu finden. Offene Kontaktsituationen, in denen Europäer und Außereuropäer unter Einbeziehung sprachlicher Vermittler in Aushandlungsprozesse eintraten, waren auf dem amerikanischen Doppelkontinent vor allem für periphere Zonen der europäischen Kolonialreiche bzw. der späteren Nationalstaaten charakteristisch. Dies gilt etwa für das Gebiet südlich und westlich der Großen Seen in Nordamerika bis zum Ende des 18. Jahrhunderts,23 für die Regionen südlich der spanischen Sied20 Vgl. John THORNTON, Africa and Africans in the Making of the Atlantic World, 1400–1800, 2. Aufl. Cambridge u.a. 1998, S. 320–322, 328–329; James H. SWEET, Recreating Africa: Culture, Kinship, and Religion in the Afro-Portuguese World, 1441-1770, Chapel Hill/London 2003, passim. 21 Philip D. MORGAN, Slave Counterpoint: Black Culture in the Eighteenth-Century Chesapeake and Lowcountry, Chapel Hill/London 1998, S. 560–580; Ira BERLIN, Generations of Captivity: A History of African-American Slaves, Cambridge (Mass.)/London 2003. 22 Michael CRATON, Testing the Chains: Resistance to Slavery in the British West Indies, Ithaca (N.Y.) 1982, S. 125–139. 23 WHITE, Middle Ground.

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lungsgrenze im heutigen Chile und Argentinien, für das lange Zeit schwer zugängliche Amazonasbecken, für die nördliche Peripherie Mexikos vor der Mitte des 19. Jahrhunderts und für Teile Zentralamerikas bis ins 20. Jahrhundert hinein.24 In diesen Räumen finden wir ähnliche Muster des Kulturkontakts vor, wie sie oben für Asien und das subsaharische Afrika vor 1850 beschrieben wurden.

III. GEOGRAPHISCHE KONTAKTZONEN: AFRIKA UND ASIEN In großen Teilen Afrikas, Süd- und Ostasiens erfolgte der Übergang zu kolonialer Herrschaft wesentlich später als auf dem amerikanischen Doppelkontinent und vollzog sich unter den spezifischen Bedingungen eines massiv gestärkten Nationalgefühls europäischer Gesellschaften und der Verwissenschaftlichung der Linguistik. Besonders in Afrika ging es den europäischen Kolonisatoren nicht um eine gemeinsame Basis sprachlicher Verständigung, sondern um die einseitige Durchsetzung europäischer Sprachvorstellungen und -praktiken. Auch unter den Vorzeichen kolonialer Durchdringung im 19. und 20. Jahrhundert waren der Verlauf und die Ergebnisse der Sprachkontakte jedoch keineswegs einheitlich. Die Kolonialherren setzten vor Ort zu verschiedenen Zeiten, bisweilen aber auch zeitgleich unterschiedliche Strategien ein und verknüpften diese miteinander. Zum einen installierten die kolonialen Verwaltungen die eigene europäische Sprache als Verkehrssprache der lokalen Eliten. Lediglich erfolgreiche Schüler der europäischen Sprache konnten darauf hoffen, in den niederen Verwaltungsdienst einzutreten und auf diesem Wege an der Macht der Kolonialverwaltung zu partizipieren. Zweitens spannten die Kolonialmächte in der Regel auch die christlichen Missionare für eigene Ziele und Zwecke ein und unterstützten deren Bemühungen, die afrikanischen Sprachen zu verschriftlichen. Die Missionare etablierten unter diesen Bedingungen sprachliche Standards durch autorisierte Übersetzungen der Bibel und anderer religiöser Texte. Mit der Intensivierung der kolonialen Durchdringung der außereuropäischen Welt verfestigten sich drittens Tendenzen, das „Herrschaftswissen“ über Sprache nicht mehr lokalen Mittlerpersonen zu überlassen. Die einsetzende wissenschaftliche Klassifizierung außereuropäischer Sprachen, die teilweise an ältere Traditionen einer „Missionarsphilologie“ anknüpfte, stand einerseits im Kontext der sich entwickelnden Disziplinen der Ethnologie und Linguistik, andererseits leistete sie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Etablierung und Festigung kolonialer Herrschaft. Auch unabhängig von Missionsbemühungen setzten die Kolonialverwaltungen Akzente durch die Festlegung von Kriterien und Kategorien für die „eingeborenen“ Sprachen, die sie vorfanden. Auf diese Weise gewannen sie Einfluss darauf, wie afrikanische und asiatische Sprachen in Zukunft gelehrt und verwendet werden würden. Dies gilt ganz besonders für vormals schriftlose Sprachen auf dem afrikanischen Kon24 Vgl. die Beiträge von Michael Müller, Michaela Schmölz-Häberlein sowie Katja Hannß und Swintha Danielsen in diesem Band.

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tinent. Zusammengenommen repräsentieren diese drei Entwicklungen eine dramatische Veränderung der Sprachkontakte zwischen Nichteuropäern und Europäern, die sich durchaus als qualitativer Wandel von ausgehandelten zu aufoktroyierten Sprachbeziehungen bezeichnen lässt.25 Ebenso wichtig ist freilich der Hinweis, dass die kolonisierten Bevölkerungen diese Entwicklungen keineswegs passiv hinnahmen, sondern sie vielmehr zu ihrem eigenen Vorteil zu gestalten versuchten. So konnte in der Praxis vor Ort keineswegs auf sprachliche und kulturelle Vermittler verzichtet werden. Auch in der Phase der kolonialen Durchdringung zwischen 1850 und 1920 war der Rückgriff auf Dolmetscher unumgänglich. In Guinea-Conakry etwa beklagten französische Verwaltungsbeamte den Einfluss dieser Dolmetscher, welche sich demnach während des Aufbaus eines von indigenen Helfern getragenen Verwaltungssystems in Szene setzten, sich bereicherten und versuchten, in einflussreiche Positionen zu gelangen.26 Diese Situation blieb für koloniale Herrschaftsverhältnisse sowohl im subsaharischen Afrika als auch im südlichen und südöstlichen Asien charakteristisch. Da die kostenbewussten Kolonialadministrationen auf den Einsatz von Chiefs und Headmen angewiesen waren, die einen wesentlichen Teil der Steuereinziehung und der Rekrutierung für Zwangsarbeitsdienste organisierten, waren sie zugleich von lokalen Einflusspersonen abhängig, welche die kolonialen Sprachen nur unzureichend beherrschten. Der Schulbesuch von Söhnen „traditioneller Machthaber“, den die kolonialen Verwaltungen vor allem im subsaharischen Afrika förderten, entfaltete nur langsam seine Wirkung. Das gleiche gilt für die nur allmählich wachsende Sprachkompetenz europäischer Kolonialbeamter. Zwar schufen die Franzosen, die Portugiesen sowie, in weniger zentralisierter Form, auch die Briten und vor dem Ersten Weltkrieg die Deutschen Ausbildungsinstitutionen, die zukünftigen Mitgliedern der Kolonialverwaltung wenigstens rudimentäre Kenntnisse der örtlichen Sprachen vermitteln sollten. Die Grenzen dieser Entwicklung waren vor 1945 aber eng gezogen, und selbst in der Folge der Reformversuche nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die sprachlichen Fähigkeiten der meisten Kolonialbeamten unzureichend. Zudem verhinderte die Rotation des Verwaltungspersonals zwischen verschiedenen Kolonien, wie sie in den europäischen Kolonialreichen üblich war, eine stärkere Vertrautheit der europäischen Kolonialbeamten mit lokalen außereuropäischen Sprachen und Kulturformen. Bis

25 Zur Sprachpolitik in verschiedenen europäischen Kolonien im subsaharischen Afrika siehe Johannes FABIAN, Language and Colonial Power: The Appropriation of Swahili in the Former Belgian Congo 1880–1980, Cambridge 1986; Benjamin N. LAWRANCE, Most Obedient Servants: The Politics of Language in German Colonial Togo, in: Cahiers d’Etudes Africaines 40/159 (2000), S. 489–518; DERS., The History of the Ewe Language and Ewe Language Education, in DERS. (Hrsg.), A Handbook of Eweland: The Ewe of Togo and Benin, Accra 2005, S. 215–229; Andreas ECKERT, Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920–1970, S. 63–71. 26 Emily Lynn OSBORN, ‘Circle of Iron’: African Colonial Employees and the Interpretation of Colonial Rule in French West Africa, in: Journal of African History 44/1 (2003), S. 29–50.

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zur Entkolonialisierung der 1950er bis 1970er Jahre blieben koloniale Imperien somit auf nichteuropäische Mittler angewiesen.27

IV. DIE BEITRÄGE IN DIESEM BAND Mit der Zielsetzung, die skizzierten Fragestellungen und Themenfelder weiter zu verfolgen und zu vertiefen, haben die Herausgeber im Mai 2008 an der Universität Bamberg die Jahrestagung der Gesellschaft für Überseegeschichte zum Thema der europäisch-außereuropäischen Sprachbeziehungen organisiert. Mit wenigen Ausnahmen konnten die Tagungsbeiträge auch für die vorliegende Publikation gewonnen werden. Sie nehmen insbesondere vier Bereiche in den Blick: erstens die linguistischen Aktivitäten frühneuzeitlicher Missionare und ihre Rolle als Kulturvermittler; zweitens die Vielfalt der Personenkreise, die als Kulturvermittler in Erscheinung traten; drittens die Verwissenschaftlichung außereuropäischer Sprachen im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Zusammenhänge zwischen Sprachwissenschaft und Kolonialismus; viertens schließlich die ganz unterschiedlichen „Karrieren“ von Sprachen unter den Bedingungen europäisch-außereuropäischer Kulturkontakte. Die ersten fünf Beiträge befassen sich mit Aspekten frühneuzeitlicher Überseemission und machen anhand konkreter Fallstudien sowohl die sprachlichen und kulturellen Transferleistungen der Missionare als auch die Grenzen der Verständigung deutlich. Am Beispiel der 1639/40 gedruckten, aber wahrscheinlich schon Jahrzehnte früher entstandenen Guaraní-Wörterbücher des Jesuitenmissionars Antonio Ruiz de Montoya thematisiert Renate Dürr die mit sprachlicher Übersetzung verbundenen Prozesse des Kultur- und Wissenstransfers. Die Untersuchung der Wörterbücher zeigt, dass das Wissen des Missionars über die Alltagskultur der Guaraní dort in sehr differenzierter Form repräsentiert ist, was auf umfassende Erfahrungen im Missionsalltag und die Berücksichtigung sozialer Kontexte schließen lässt. Mit diesem differenzierten Alltagsvokabular kontrastiert die geringe Zahl christlich-theologischer Termini und Redewendungen. So gab Ruiz de Montoya ein breites Spektrum christlicher Glaubensinhalte einheitlich mit dem Begriff „tupã“, dem Guaraní-Wort für Donnergott, wieder, was ihm innerkirchlich den Vorwurf der Verwendung häretischer Begriffsformen eintrug. Dürr knüpft daran die These an, dass Ruiz de Montoya auf Ähnlichkeiten zwischen dem christlichen Glauben und der Glaubenswelt der Guaraní rekurrierte und seine Übersetzungsleistung auch in einer Integration indianischer Auffassungen be27 Vgl. Ralph A. AUSTEN, Interpreters Self-Interpreted: The Autobiographies of Two Colonial Clerks, in: Benjamin N. LAWRANCE/Emily Lynn OSBORN/Richard L. ROBERTS (Hrsg.), Intermediaries, Interpreters, and Clerks: African Employees in the Making of Colonial Africa, Madison/London 2006, S. 159–179; Maurice Nyamanga AMUTABI, Power and Influence of African Court Clerks and Translators in Colonial Kenya: The Case of Khwisero Native (African) Court, 1946–1956, in: ebenda, S. 202–219, bes. 210–211 und 215–216.

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stand. Im Sinne Anselm Haverkamps betrachtet Dürr Übersetzungsprozesse als „Agentur der Differenz“. Wie Montoya gehörte der von Michael Müller vorgestellte Kölner Jesuitenpater Bernhard Havestadt (1714–1781) zu jenen Missionaren, die außereuropäische Sprachen systematisch in Grammatiken und Wörterbüchern erfassten. Sein 1777 in Münster publiziertes dreibändiges Werk Chilidúgú, die Frucht eines rund zwanzigjährigen Aufenthalts mit Missionsarbeit im südlichen Chile, gilt bis heute aufgrund der Fülle an landeskundlichen, linguistischen und ethnographischen Informationen als Grundlagenwerk über die amerindianischen Ureinwohner dieser Region. Müller zufolge ist Havestadts Werk sowohl das Resultat einer ausgeprägten Sprachbegabung und einer gediegenen Ausbildung in den klassischen und modernen europäischen Sprachen als auch der praktischen Einweisung in die Mapuche-Sprache durch den erfahrenen Missionar Franz-Xaver Wolfwisen. Müller situiert die linguistischen und ethnographischen Arbeiten Havestadts einerseits im Kontext der für Südchile charakteristischen Wandermission, für die indigene Laienkatecheten (Fiscales) als bilinguale Vermittler zwischen Missionaren und Indios eine große Bedeutung hatten, als auch im Kontext jesuitischer Sprachpolitik, die auf indigene Verkehrssprachen als Medium zur Vermittlung religiöser Heilslehren und paternalistischer sozialer Leitvorstellungen setzte. Christian Windler thematisiert am Beispiel der katholischen Missionare im Safavidenreich das Spannungsverhältnis zwischen religiösem Wahrheitsanspruch einerseits, den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen vor Ort andererseits. Die Konkurrenz verschiedener Missionsorden, ihre diplomatischen Funktionen im Auftrag katholischer Mächte, die Beziehungen zur Hofgesellschaft in Isfahan und Kontakte mit muslimischen Gelehrten erforderten vielfältige Anpassungs- und Vermittlungsleistungen. Wie Windler am Beispiel des Kapuziners Raphaël du Mans, der sich über ein halbes Jahrhundert (1644–1696) am Safavidenhof aufhielt, und des Karmeliten Angelus a Sancto Ioseph ausführt, konnten Anpassung und Vermittlung „im Extremfall zu einer weitgehenden Integration in fremde soziale Systeme führen, d.h. zu einer Art soziokultureller Konversion der Missionare.“ Während seine Mathematik- und Astronomiekenntnisse du Mans die Anerkennung persischer Gelehrter eintrugen, wurde seine Übersetzungs- und Dolmetschertätigkeit von europäischen Beobachtern mit Argwohn betrachtet. Der Karmelitenpater Angelus a Sancto Ioseph wirkte seinerseits durch Übersetzungen christlich-theologischer Werke ins Persische, eines persischen medizinischen Werks ins Lateinische und eines Sprachlehrwerks als Vermittler in beide Richtungen. Obwohl die Perser für ihn „Ungläubige“ waren, genoss ihre Gesellschaft die Bewunderung Angelus a Sancto Iosephs, weil sie Gelehrsamkeit hoch schätzte. Darüber hinaus illustriert die beim Einsatz von Weihwasser zum Ausdruck kommende „enge Verbindung von Alltagsmagie, Medizin und missionarischer Tätigkeit“ die ambivalente Stellung der Ordensleute in der persischen Gesellschaft. Die Ausrichtung auf den Hof und das Gelehrtenmilieu führte überdies dazu, dass diese Missionare sich auf die persische und türkische Sprache konzentrierten und das Armenische tendenziell vernachlässigten, obgleich ihre Aufgabe vor Ort eigentlich in der Mission der armenischen Christen bestand.

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In ihrem Überblick über die Herausbildung von Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in Französisch-Kanada schreibt Susanne Lachenicht der Sprachpolitik und Sprachpraxis der Missionsorden (Jesuiten, Ursulinen, Récollets, SaintSulpiciens) gleichfalls große Bedeutung zu. Insbesondere die Jesuiten, die sich amerindianische Sprachen vor Ort in den Missionssiedlungen aneigneten, diese in Wörterbüchern und Grammatiken kodifizierten und sich in die indigenen Gemeinschaften zu integrieren bemühten, trugen zur Bewahrung dieser Sprachen bei. Während die Jesuiten die Missionssiedlungen von europäischen Einflüssen zu isolieren versuchten, verfolgte die französische Kolonialpolitik, welche die Amerindianer ursprünglich als „Français potentiels“ betrachtete, eine Strategie der Amalgamierung der Kulturen. Obwohl diese Politik im 18. Jahrhundert angesichts des Widerstands der betroffenen indianischen Gruppierungen aufgegeben und das Indianerbild der Franzosen zunehmend negativer wurde, prägte sich in Kanada eine besondere Form der Multikulturalität aus. Diese wurde durch die Tatsache erleichtert, dass die Mischlingsbevölkerung der Métis mehrsprachig war, mit der frühzeitigen Standardisierung des Französischen in der Nouvelle France eine französische „Leitkultur“ entstand, die auch nach 1763 unter britischer Herrschaft dominant blieb, und sich zumindest in einigen Regionen unter den Bedingungen des Kulturkontakts neue Kreolsprachen entwickelten. Während die Forschung den Missionsbemühungen der protestantischen Niederländer im 17. und 18. Jahrhundert lange Zeit nur eine geringe Bedeutung beimaß, finden diese Missionen in jüngster Zeit stärkere Beachtung. Ausgehend von diesem Perspektivenwechsel untersucht Mark Meuwese die Erziehungsprogramme der protestantischen Missionen in den niederländischen Kolonien auf Taiwan und in Brasilien im 17. Jahrhundert sowie die Reaktionen der indigenen Bevölkerungen auf ein derartiges Bildungsangebot. In diesen von sprachlicher Vielfalt und dezentralen sozio-politischen Organisationsformen der lokalen Bevölkerungsgruppen geprägten Kolonialgebieten war die Mission für die großen niederländischen Handelsgesellschaften – die Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC) auf Taiwan und die West-Indische Compagnie (WIC) in Brasilien – ein strategisches Instrument zur Festigung interkultureller Allianzen. Indessen war der Erfolg der niederländischen Mission in hohem Maße von der Kooperation der Einheimischen abhängig. Auf Taiwan verschriftlichten die Missionare Candidius und Junius die Sprache der Siraya und setzten indigene Katecheten und Laienprediger in den Missionsschulen ein. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts gab es rund 50 einheimische Lehrer auf der Insel, und die reformierte Kirche erstellte Pläne für ein Lehrerseminar. In Brasilien konnten die Niederländer auf die schriftliche Fixierung der Tupi-Sprache durch die Jesuiten während der portugiesischen Kolonialherrschaft zurückgreifen; die Zahl der einheimischen Lehrer war hier jedoch viel geringer, und die Einbindung der Tupi in die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Niederländern und Portugiesen schwächte die Missions- und Erziehungsbemühungen. Meuwese argumentiert, dass die aktive Beteiligung an den Erziehungsprogrammen der reformierten Mission den Einheimischen einige Vorteile brachte: Sie konnten dadurch ihre Allianzen mit den Niederländern stär-

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ken, an der kolonialen Marktwirtschaft partizipieren sowie ihre ethnisch-kulturelle Autonomie und Identität über das Medium der Schriftsprache bewahren. Neben Missionaren trat in der Geschichte der europäisch-außereuropäischen Kulturkontakte eine Reihe weiterer Gruppen als Sprach- und Kulturvermittler in Erscheinung. Dazu gehörten Außereuropäer, die als Gefangene, Geiseln oder Freiwillige in etablierte Kolonien oder nach Europa gebracht und dort zu Dolmetschern ausgebildet wurden; europäische Händler, die in den Siedlungen ihrer außereuropäischen Handelspartner lebten, dort Familien gründeten und sich an die Lebensformen ihrer Gastgeber assimilierten; Offiziere und Kolonialbeamte, die selbst linguistische Kompetenzen erwarben oder für die Ausbildung und Rekrutierung von Dolmetschern und Übersetzern sorgten; und schließlich auch professionelle Dolmetscher, die in offiziellem Auftrag bei Vertragsverhandlungen und Geschäftsabschlüssen übersetzten. Diesen Personengruppen war gemeinsam, dass sie über die Fähigkeit verfügen mussten, im Medium der Sprache auch fremdartige Rituale, Vorstellungen und Weltbilder verständlich zu machen. Die vier Beiträge der Sektion über kulturelle Vermittler machen sowohl die Vielfalt der an sprachlichen Verständigungsprozessen beteiligten Individuen und Gruppen als auch die Leistungen und Grenzen ihrer Vermittlungstätigkeit deutlich. Die Romanistin Miorita Ulrich porträtiert den aus Vicenza stammenden Antonio Pigafetta, der an der ersten Weltumseglung Ferdinand Magellans (1519– 1522) teilnahm und dessen Bordtagebuch die wichtigste Quelle zur Magellanischen Reise darstellt, als „naiven Linguisten“. Ulrich zufolge war Pigafetta durch seine Mehrsprachigkeit – er beherrschte Italienisch, Spanisch, Französisch und Portugiesisch – bereits für das Phänomen sprachlicher Vielfalt, mit dem er auf der Reise konfrontiert wurde, sensibilisiert. In Pigafettas Reisebericht finden sich sowohl primärsprachliche Informationen wie Objektbezeichnungen in fremden Sprachen als auch metasprachliche Angaben, d.h. Aussagen über die Sprache selbst. Das besondere Augenmerk Ulrichs gilt den vier Wortlisten außereuropäischer Sprachen, die Pigafetta jeweils am Ende jeder größeren Reiseetappe in seinen Bericht einfügte. Diese Listen brasilianischer, patagonischer, philippinischer und malaiischer Wörter verfolgten keinen didaktischen Zweck, sondern dienten der Repräsentation neu entdeckter, fremder Welten. Pigafetta sammelte die Informationen durch Befragung von Einheimischen und Informanten und ging onomasiologisch vom gezeigten Objekt zu dessen Benennung vor. Sein wachsendes Interesse an außereuropäischen Sprachen und seine zunehmende Erfahrung mit deren Erfassung äußerten sich nicht nur im steigenden Umfang und der zunehmenden Systematik der Listen, sondern auch in der Aufnahme von abstrakten Begriffen, Fachtermini, Verben, Redewendungen und kurzen Sätzen. Ausgehend von der Redewendung „traduttore, traditore“ thematisiert Felix Hinz die Identitäten und Loyalitäten von Dolmetschern im Prozess der spanischen Eroberung Amerikas. In den Biographien der von ihm untersuchten Vermittler – des Converso Luis de Torres, der Kolumbus auf seiner ersten Fahrt begleitete, hispanisierter Indios wie Hernán Cortés’ Begleiterin Malinche und Diego de Almagros Dolmetscher Felipillo sowie indianisierter Spanier wie Gonzalo Guerrero und Jerónimo de Aguilar – entdeckt er vielfältige Brüche und Identitätswechsel.

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Die Erfahrungen von Gefangenschaft, Entwurzelung sowie physischer und sexueller Gewalt untergruben die Identitäten dieser Dolmetscher, und in interkulturellen Kontaktsituationen sahen sie sich mit konkurrierenden Loyalitätsforderungen konfrontiert. Aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit übten sie zwar wichtige Funktionen aus, doch waren sie auch häufig dem Verdacht des Verrats und der Manipulation ausgesetzt. Wie das Beispiel Malinches zeigt, konnten sich diese Topoi sogar in der Historiographie und nationalen Mythologie amerikanischer Staaten verfestigen. Mark Häberlein nähert sich der ethnischen und sozialen Vielfalt kultureller Vermittler im atlantischen Raum über vier exemplarische Lebensläufe aus Yucatan, Südafrika, Surinam und Britisch-Nordamerika und stellt auf dieser Grundlage Überlegungen zu einer Typologie kultureller Vermittler an. Mitgliedern amerindianischer Gemeinschaften ermöglichte die Adaption europäischer Lebensformen und die Beherrschung der Schrift die Übernahme von Vermittlerrollen, doch liefen diese akkulturierten Indianer zugleich Gefahr, als Spione, Informanten und kulturelle Überläufer denunziert zu werden. Amerindianische und afrikanische Frauen spielten aufgrund ihrer Heirats- und Sexualbeziehungen mit europäischen Männern sowie aufgrund ihrer kommerziellen Funktionen häufig eine zentrale Rolle in interkulturellen Verständigungsprozessen. Die kulturelle Hybridität vieler Vermittler führte dazu, dass sie in Kontaktsituationen von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich wahrgenommen wurden – ein Phänomen, das Ethnohistoriker mit dem Terminus „situative Ethnizität“ zu erfassen suchen.28 Ähnlich wie Hinz argumentiert Häberlein schließlich, dass sich cultural brokers auf einem schmalen Grat zwischen Macht- und Vertrauenspositionen einerseits, latentem Misstrauen und Manipulationsvorwürfen andererseits bewegten. Wie Beatrix Heintze ausführt, spielten in Angola seit dem 17. Jahrhundert Luso-Afrikaner eine wichtige Rolle als sprachliche und kulturelle Vermittler. Neben luso-afrikanischen Sekretären in den Küstengebieten, die unter portugiesischem Einfluss eine eigene Schriftkultur entwickelten und diese den lokalen Machthabern zur Verfügung stellten, hebt sie die Bedeutung der so genannten Ambakisten für Handels- und Kulturbeziehungen im Landesinneren während des 19. Jahrhunderts hervor. Die Angehörigen dieser portugiesisch-afrikanischen Mischkultur, die in der Regel sowohl Portugiesisch als auch Kimbundu sprachen sowie lesen und schreiben konnten, fungierten als Experten im Karawanenhandel, erprobten neue Fernhandelsrouten und trugen maßgeblich zur Verbreitung neuer Nutzpflanzen, gewerblicher und kultureller Techniken bei. Obwohl sie stark von den Sprachkenntnissen und dem Wissen dieser luso-afrikanischen Informanten abhängig waren, tendierten europäische Afrikareisende dazu, die Ambakisten in ihren Reiseberichten zu marginalisieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurden derartige Vermittler zwischen europäischer und „traditioneller“ afrikanischer Kultur auch von der Forschung lange Zeit wenig beachtet.

28 Vgl. Jonathan Y. OKAMURA, Situational ethnicity, in: Ethnic and Racial Studies 4/4 (1981), S. 452–465.

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Mit Adriaan David Cornets de Groot jun. (1804–1829) stellt Andreas Weber einen Dolmetscher und Übersetzer vor, der in der kritischen Phase vor und während des Java-Kriegs (1825–1830) für die niederländische Kolonialverwaltung in Indonesien eine wichtige Mittlerfunktion einnahm. Der vielsprachige Cornets de Groot vermochte mehrfach heikle Situationen im Verhältnis zwischen der Kolonialregierung und dem Fürstenhof von Surakarta durch diplomatisches Geschick zu meistern und erlangte trotz seines jugendlichen Alters zeitweilig erheblichen politischen Einfluss. Auch in einer Zeit der expandierenden Kolonialherrschaft trug Surakarta noch Züge eines middle ground, auf dem die Niederländer behutsam vorgehen und auf lokale Machtverhältnisse Rücksicht nehmen mussten. Darüber hinaus betrieb Cornets de Groot intensive linguistische und literarische Studien und arbeitete in Zusammenarbeit mit einheimischen Gelehrten an einer systematischen lexikalischen und grammatikalischen Erfassung der in Europa bis dahin weithin unbekannten javanischen Sprache. Obwohl diese Bemühungen mit dem frühen Tod Cornets de Groots abbrachen, bildeten sie die Grundlage für weitere Sprachstudien in den Niederlanden wie auf Java selbst. Eine dritte Sektion des vorliegenden Bandes gruppiert sich um die Themenbereiche Sprachwissenschaft, Sprachenpolitik und Kolonialherrschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Markus Messlings Beitrag widmet sich anhand dreier prominenter Vertreter der neuen philologischen Wissenschaften, die sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert konstituieren, der „vergessene[n] Selbstkritik der noch jungen europäischen Wissenschaftsdisziplin“. So kritisierte der französische Sinologe Jean-Pierre Abel-Rémusat 1814 die Indienstnahme essentialistischer Vorstellungen über die ‚orientalischen‘ bzw. ‚asiatischen‘ Bevölkerungen für Projektionen europäischer intellektueller Überlegenheit und kolonialer Herrschaft. In seinem Briefwechsel mit Wilhelm von Humboldt übte der Asienforscher Eugène Vincent Stanislas Jacquet scharfe Kritik am Umgang der frühneuzeitlichen Jesuitenmissionare mit der Tagalog-Sprache, deren originäre Quellen sie ignorierten und die sie in ein europäisches alphabetisches System zwängten. Für Jacquet kam dies einer fundamentalen Verfälschung der Identität der kolonisierten Bevölkerungen gleich, der er sein Verständnis der prinzipiellen Andersartigkeit fremder Sprachen und Kulturen und ihrer Gleichwertigkeit mit den europäischen gegenüberstellte. Die Forderung nach einer immanenten Betrachtung außereuropäischer Sprachen wurde von Humboldt geteilt. Wie Jacquet war Humboldt Messling zufolge bemüht, „neue Beschreibungs- und Darstellungslösungen für die den fremden Sprachen, Schriften und Texten inhärenten Strukturen zu finden, die diese Strukturen selbst ins Zentrum rücken.“ Die Analyse dieser selbstkritischen Haltung zeigt zugleich, dass die zivilisatorische Stoßrichtung der europäischen Sprachwissenschaft im Hinblick auf nichteuropäische Sprachen und Kulturen im frühen 19. Jahrhundert noch keineswegs eindeutig war. In seinem Beitrag über das 1887 gegründete Berliner Seminar für Orientalische Sprachen, dessen Entwicklung in engem Zusammenhang mit der Geschichte des deutschen Kolonialreichs zu sehen ist, beleuchtet Jürgen G. Nagel sowohl die praktische Sprachausbildung am Seminar als auch dessen Forschungsaktivitäten. Nagel zufolge hatte das Berliner Seminar als zunächst einzige auf außereuropäi-

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sche Sprachen spezialisierte Einrichtung im Deutschen Reich eine wichtige Funktion bei der Ausbildung von Kolonialbeamten und Offizieren. Im Mittelpunkt des Curriculums stand der Unterricht in Swahili, während andere afrikanische oder gar ozeanische Sprachen, die in den deutschen Schutzgebieten gesprochen wurden, kaum nachgefragt waren. Dagegen baute das Seminar sein Angebot an sogenannten Realien-Kursen sukzessive aus, was der Intention des Gründungsdirektors Eduard Sachau entsprach, das Seminar zu einer „Kolonialakademie des Reichs“ weiterzuentwickeln. Obwohl diese Pläne in Ansätzen stecken blieben und die vom Seminar initiierten sprachwissenschaftlichen Sammlungs- und Forschungsaktivitäten qualitativ ausgesprochen heterogene Ergebnisse hervorbrachten, sind diese Aktivitäten nach Nagels Auffassung höher zu bewerten, als dies bislang der Fall gewesen ist. Die am Berliner Seminar entstandenen Arbeiten leisteten demnach einen wichtigen Beitrag zur Genese der Ethnolinguistik in Deutschland und legten den Grundstein für die weitere Erfassung der jeweiligen Sprachen auch nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft. Armin Owzar beschreibt die Ausbreitung des Swahili im heutigen Tansania um 1900 als nicht-intendierte Konsequenz der Sprachpolitik der deutschen Kolonialmacht. Die Kolonialverwaltung, die in hohem Maße auf einheimisches Hilfspersonal angewiesen war, rekrutierte bevorzugt die alphabetisierten und als besonders loyal geltenden, Swahili sprechenden muslimischen Küstenbewohner, über die sich sowohl die Sprache als auch die islamische Glaubensausübung im Binnenland verbreiteten. Dieser Diffusionsprozess rief unter Geistlichen, Missionswissenschaftlern und Politikern im Deutschen Reich wie in der Kolonie selbst lebhafte Diskussionen hervor. Die Debatte um schul- und sprachpolitische Konsequenzen aus der vermeintlichen Herausforderung durch den Islam zeitigte bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft zwar keine konkreten Ergebnisse, verdeutlicht aber gleichwohl das Geflecht unterschiedlicher und teilweise widerstreitender Interessen, die auf die Kolonialpolitik Einfluss zu nehmen versuchten. Während Missionare und Missionswissenschaftler vor Swahili als Vehikel einer Islamisierung Deutsch-Ostafrikas warnten, die bevorzugte Anstellung christlicher Afrikaner forderten und den Ausbau des Deutschunterrichts in den Missionsschulen propagierten, hielt die Kolonialverwaltung aus pragmatischen Gründen an Swahili als Verkehrssprache und an der Rekrutierung muslimischen Personals fest. Die Mission reagierte schließlich darauf, indem sie Swahili ebenfalls als Unterrichtssprache einsetzte. Zugleich verschob sich in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg die Wahrnehmung des Islam, der nun weniger als religiöse Konkurrenz denn als politische Bedrohung angesehen wurde – eine Entwicklung, die Owzar zufolge auch eine integrierende Wirkung auf die seit dem Kulturkampf konfessionell fragmentierte deutsche Gesellschaft hatte. Wie Almut Steinbach am Beispiel Ceylons und der Malaiischen Staaten zeigt, ging auch der Aufbau eines globalen Britischen Empire im 19. Jahrhundert keineswegs mit einer einheitlichen und konsequenten Sprachpolitik einher. Wurde auf Ceylon im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts noch eine Anglisierungspolitik verfolgt, die Sprache als Medium der „Verbesserung“ der kolonialen Bevölkerung betrachtete und anglisierten Ceylonesen den Zugang zu Positionen innerhalb des

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britischen Civil Service eröffnete, verabschiedete sich die Kolonialverwaltung nach negativen Erfahrungen mit den Anglisierungsbestrebungen in Indien von dieser Linie. In den Malaiischen Staaten setzte man stattdessen im späten 19. Jahrhundert gezielt auf Unterricht in malaiischer Sprache, ohne damit freilich verhindern zu können, dass sich Teile der dortigen Elite Englisch für ihre eigenen Zwecke aneigneten. Der Status des Englischen als Herrschaftssprache trug dadurch zur Ausbildung neuer gesellschaftlicher und politischer Hierarchien bei. Im letzten Teil ihres Beitrags geht Steinbach den Konsequenzen der Sprachpolitik in der Phase der Dekolonisation nach. In den vielsprachigen Gesellschaften Sri Lankas und der Malaiischen Staaten wurde nach dem Rückzug der britischen Kolonialherren die Sprachenfrage virulent und löste Konflikte aus, die bis in die Gegenwart nicht gelöst sind. Einen sprachpolitischen Sonderfall stellen das Zarenreich und die Sowjetunion dar. Wie Dmitry Shlapentokh ausführt, sahen Linguisten der frühen Sowjetzeit wie Nikolai Marr Sprache weniger als Manifestation einer bestimmten Kultur und Ethnizität denn als Ausdruck eines sozio-ökonomischen Entwicklungsstadiums. Die von den Bolschewiken erwartete Weltrevolution würde letztlich mit einer Perfektionierung und Vereinheitlichung der Sprache einhergehen. Unter emigrierten Intellektuellen, die in den 1920er und 30er Jahren die Ideologie des „Eurasianismus“ entwickelten, aber auch unter einigen regimetreuen Linguisten während des Stalinismus, wich diese utopische Vorstellung dem Konzept einer russischen Identität, die andere eurasische Völker einschloss, sich gleichzeitig aber von westlichen und panslawischen Identitätskonzepten abgrenzte. Der Gedanke einer gemeinsamen eurasischen Kultur und Zivilisation beeinflusste unter anderem die Arbeiten der Linguisten Nikolai Trubetskoy und Roman Jakobson. Trubetskoy schrieb den „eurasischen“ Bevölkerungsgruppen zudem eine moralische Überlegenheit gegenüber dem Westen zu, und Lev Gumilev erweiterte den Gedanken der linguistischen und kulturellen Einheit der eurasischen Bevölkerungen um eine quasi-biologische Komponente. Shlapentokh zufolge vernachlässigten die „Eurasianisten“ jedoch den Aspekt der Machtausübung, der sowohl bei der Entstehung und Konsolidierung der Sowjetunion als auch bei deren Auflösung eine sehr viel zentralere Rolle spielte als mögliche linguistische oder kulturelle Bindungen. Das Schicksal außereuropäischer Sprachen im Kontext der europäischaußereuropäischen Beziehungen konnte höchst unterschiedlich sein: Während einzelne Sprachen wie das Malaiische in Südostasien, Kimbundu in Angola oder Swahili in Ostafrika als Kontakt- und Verkehrssprachen an Bedeutung gewannen, starben zahlreiche andere Sprachen infolge demographischer, politischer und sozio-ökonomischer Wandlungsprozesse aus. Die drei abschließenden Beiträge dieses Bandes zu Kontakt- und Verkehrssprachen sowie zu Phänomenen des Sprachwandels und Sprachverfalls verdeutlichen diese unterschiedlichen Entwicklungslinien in exemplarischer Weise. Die Kontaktsprachen im Malaiischen Archipel zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert sind das Thema des Beitrags von Maria Johanna Schouten. Als die Portugiesen sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Region festsetzten, fungierte das Malaiische dort als Sprache des Handels und der Diplomatie. Während

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viele portugiesische Händler, Soldaten und Seeleute in der Lage waren, sich mit Einheimischen in einer vereinfachten Form des Malaiischen zu verständigen, war der Einsatz von Dolmetschern und Übersetzern bei offiziellen Verhandlungen angesichts des hohen Stellenwerts, den diplomatisches Protokoll und eine zeremonielle Sprache in Südostasien hatten, unumgänglich. Als kulturelle Vermittler zwischen Portugiesen und einheimischen Herrschern fungierten sowohl Malaien, die wie Magellans aus Sumatra stammender Sklave Enrique längere Zeit in Diensten der Europäer gestanden waren, als auch Portugiesen mit langjähriger Erfahrung im Malaiischen Archipel. Der Niederländer Frederik de Houtman lernte während einer zweijährigen Gefangenschaft in Aceh genügend Malaiisch, um nach seiner Rückkehr nach Amsterdam 1603 eine Art Sprachführer publizieren zu können. Die niederländische Ostindienkompanie (VOC) beschäftigte professionelle Dolmetscher und Übersetzer, und auch die Sprachkenntnisse von Missionaren spielten in diesem Raum eine wichtige Rolle. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts trat das Portugiesische als Kontaktsprache zunehmend an die Stelle des Malaiischen und behielt diese Funktion auch während der Vorherrschaft der VOC in Südostasien. So war Portugiesisch die Sprache der Bevölkerungsmehrheit in der niederländischen Kolonialmetropole Batavia und trat dort auch als Schriftsprache auf, etwa in der Bibelübersetzung des Protestanten João Ferreira de Almeida. Der Niedergang des Portugiesischen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert schließlich hatte eine Renaissance des Malaiischen als Verkehrssprache zur Folge. Trotz einer fast dreihundertjährigen spanischen Kolonialherrschaft blieben indigene Sprachen auch in etlichen Bereichen Lateinamerikas als Verkehrssprachen bis in die Zeit der Nationalstaaten hinein bedeutsam. Wie Michaela SchmölzHäberlein für die guatemaltekische Region Alta Verapaz zeigt, trafen deutsche Pflanzer, die dort im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Kaffeeplantagen errichteten, auf eine indianische Bevölkerungsmehrheit, die sich weitgehend in der Mayasprache Kekchi verständigte und auch schriftliche Dokumente wie Testamente und Landtitel in dieser Sprache produzierte. Die deutschen Pflanzer erlernten Kekchi im alltäglichen Umgang mit indigenen Arbeitskräften und Lebensgefährtinnen, setzten sich aber auch aus wissenschaftlichem Interesse mit Sprache und Kultur der Kekchi-Indianer auseinander. Eine besondere Bedeutung als sprachliche und kulturelle Vermittlerinnen zwischen den Einwanderern und der indigenen Bevölkerung kam Kekchi-Frauen zu, da zahlreiche deutsche Pflanzer Lebenspartnerschaften mit Maya-Indianerinnen eingingen. Die Nachkommen aus diesen Beziehungen blieben einerseits sozial in die indigenen Gemeinschaften integriert, auf der anderen Seite erhielten sie häufig eine Schulbildung und materielle Versorgung und wurden von ihren Vätern rechtlich anerkannt. Im abschließenden Beitrag dieses Bandes vergleichen die Ethnolinguistinnen Swintha Danielsen und Katja Hannß die historische Entwicklung zweier „sterbender“ bolivianischer Indiosprachen, des gegenwärtig nur noch von wenigen Dutzend Menschen in Amazonien gesprochenen Baure und des um die Mitte des 20. Jahrhunderts ausgestorbenen Uchumataqu bzw. Uru. Die Ursachen für den Verfall dieser indigenen Sprachen waren grundsätzlich ähnlich und sind in politischen und sozio-ökonomischen Wandlungsprozessen – der spanischen Eroberung

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und Kolonisierung, der Nationalstaatsbildung des 19. Jahrhunderts, dem Kautschukboom in Amazonien, Arbeits- und Siedlungswanderungen – zu suchen. Zugleich zeigen sich jedoch auch signifikante Unterschiede. So waren die Baure Teil der jesuitischen Missionsprovinz Moxos, und ihre Sprache wurde bereits im 18. Jahrhundert von Missionaren aufgezeichnet; Studien des Uchumataqu beschränken sich hingegen auf den Zeitraum von 1894 bis 1952, als die Sprache bereits vom Aussterben bedroht war. Ferner wurde Baure zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert durch den vermehrten Gebrauch des Spanischen sukzessive zurückgedrängt, während die Uchumataqu sprechenden Uru in einem längerfristigen Prozess, der offenbar bereits in der präkolumbianischen Epoche einsetzte, von der zahlenmäßig größeren Gruppe der Aymara-Sprecher allmählich „aufgesaugt“ wurden. Nicht zuletzt zeigt der Beitrag von Danielsen und Hannß, dass die Beschäftigung mit indigenen Sprachen im Kontext aktueller Entwicklungen in Bolivien auch wichtige kultur- und identitätspolitische Funktionen erfüllt.

I. FRÜHNEUZEITLICHE MISSIONARE ALS LINGUISTEN UND KULTURELLE VERMITTLER

Übersetzung als Wissenstransfer Das Beispiel der Guaraní-Wörterbücher von Antonio Ruiz de Montoya S.J. (1639/40) Renate Dürr, Kassel Für den Missionar seien Sprachreflexionen und Grammatik eine heilige Wissenschaft, schreibt der jesuitische Linguist und Theologe Bartomeu Melià; denn ohne Übersetzung gebe es keine Evangelisation.1 Dabei meint Übersetzung zweierlei: Erstens in metaphorischem Sinne die Übertragung der göttlichen Botschaft auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gemeinden; zweitens den sprachlichen Transfer, den die Missionare unternahmen, um diese Botschaft in alle Teile der Welt zu entsenden, wie es ihrem Selbstverständnis entsprach. Darum gibt es wohl wenige Bereiche, in denen das Schlagwort von der „Kultur als Übersetzung“ so augenscheinlich deutlich wird, wie in den frühneuzeitlichen Missionsstationen als Kontaktund Konfliktzonen mindestens zweier Kulturen und Sprachen.2 Mit der Umschreibung „Kultur als Übersetzung“ ist gemeint, dass Kultur, insofern sie auf Kommunikation basiert, immer das Produkt von kleineren wie größeren Übersetzungsprozessen ist.3 Allein schon aufgrund der großen sprachlichen und kulturellen Unterschiede war demzufolge der Übersetzungsprozess in den frühneuzeitlichen Missionsstationen erheblich. Aber weil darüber hinaus die Schaffung einer

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Dieser Beitrag wurde im September und Oktober 2008 in verschiedenen Fassungen auch auf dem Historikertag in Dresden (Sektion: Mission und Wissenstransfer, 17.–19. Jahrhundert; geleitet von PD Dr. Anne-Charlott Trepp und mir) sowie auf einem Workshop des Forschungsschwerpunktes „Konstruktion von Kulturräumen“ an der Universität Kassel vorgetragen. Durch die vielfältigen Anregungen der anschließenden Diskussionen hat meine Argumentation zweifellos an Klarheit gewonnen. Für eine genaue Lektüre und Diskussion einer dieser Fassungen aus linguistischer Perspektive danke ich insbesondere Prof. Dr. Andreas Gardt (Kassel) und Prof. Dr. Roland Schmidt-Riese (Eichstätt). Bartomeu MELIA, La lengua Guaraní en el Paraguay colonial que contiene: La creación de un lenguaje cristiano en las reducciones de los Guaraníes en el Paraguay, Asunción 2003, S. 162. Doris BACHMANN-MEDICK, Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, S. 7–57, 238–284; Martin FUCHS, Übersetzen und Übersetzt-Werden: Plädoyer für eine interaktionsanalytische Reflexion, in: Doris BACHMANN-MEDICK (Hrsg.), Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin 1997, S. 308–328, hier S. 311–316; Homi BHABHA, Die Verortung von Kultur, Tübingen 2000; Jürgen OSTERHAMMEL, Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft, in: DERS., Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001, S. 11–45; Mary Louise PRATT, Imperial Eyes: Travel Writing and Transculturation, London 1992; DIES., The Traffic in Meaning: Translation, Contagion, Infiltration, in: Profession – Modern Language Association Journal (2002), S. 25–36. BACHMANN-MEDICK, Cultural turns, S. 238–239.

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„neuen Kultur“ als Ergebnis von Übersetzungsprozessen geradezu das Ziel jeder Mission war, verliefen hier die Übersetzungsprozesse besonders vielschichtig. In Abwandlung des Begriffes von der „Kultur als Übersetzung“ kann man insofern von „Mission als Übersetzung“ sprechen. Dies impliziert, Übersetzung als eine Missionspraxis zu verstehen und folglich handlungstheoretisch zu kontextualisieren und zu interpretieren.4 Wie nur wenige Europäer agierten die Missionare als kulturelle Vermittler zwischen europäischen und einheimischen Gesellschaften.5 Doch trotz der kulturellen Vermittlungsposition ist diese In-between-Situation keineswegs mit Neutralität zu verwechseln oder einfach als Resultat hybrider Kulturvermischungen zu interpretieren. Die Missionare waren schließlich in dem Bewusstsein in die entlegensten Teile der Welt gezogen, dass sie diejenigen seien, die diesen Prozess gestalten würden. Schnell zeigte sich indessen, dass die bewusst von den Missionaren unternommenen Übersetzungen nur einen Teil der vielfältigen sprachlichen wie kulturellen Übersetzungsprozesse ausmachten. Explizite und implizite Prozesse dieses Typus, und zwar entgegen der ursprünglichen Vorstellung der Missionare in jeweils wechselseitiger Richtung, beeinflussten die neu entstehende Kultur in den Missionsstationen in einer so komplexen Weise, dass sich viele Missionare seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gezwungen sahen, sich grundsätzlich mit der Frage der Übersetzungsprozesse in ihrer Mission auseinanderzusetzen. Im Folgenden möchte ich darum zunächst die so genannte Missionarslinguistik skizzieren und anschließend die Wörterbücher des Antonio Ruiz de Montoya S.J. ausschnittsweise als eine bestimmte Repräsentation von Wissen6 der Jesuiten über die Sprache und Kultur der Guaraní sowie als das zentrale Instrument für jede zukünftige Verständigung in den Jesuitenreduktionen von Paraguay untersuchen, in denen das Guaraní grundsätzlich die einzige Verkehrssprache war.7 Ob und in welcher Weise diese Wörterbücher auch den Wandel in den Reduktionen reflektieren, soll der punktuelle Vergleich mit einer 80 Jahre später erschienenen Überarbeitung durch den Jesuiten Paolo Restivo zeigen. 4

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Vgl. dazu aus Sicht der neueren Translationstheorie: Eugene A. NIDA/Charles R. TABOR, The theory and practice of translation, 2. Ausg. Leiden 1982; Katharina REISS/Hans VERMEER, Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Tübingen 1984; aus soziologischer Sicht: Hubert KNOBLOCH, Kommunikationskultur. Die kommunikative Konstruktion kultureller Kontexte, Berlin/New York 1995. Reinhard WENDT, Einleitung, in: DERS. (Hrsg.), Wege durch Babylon. Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation, Tübingen 1998, S. 7–42, hier S. 24. BACHMANN-MEDICK, Cultural turns, S. 7. Von der ausufernden Forschungsliteratur sei vor allem hingewiesen auf: Horst GRÜNDER, Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit, Gütersloh 1992; Peter Claus HARTMANN, Der „Jesuitenstaat“ in Südamerika: 1609–1768 – eine christliche Alternative zu Kolonialismus und Marxismus, Weißenhorn 1994; M.M. MARZAL, La utopía posible. Indios y jesuitas en la América colonial (1549–1767), Bd. 1: Brasil, Peru, Paraguay y Nuevo Reino, Lima 1992; Bartomeu MELIÀ SJ, El Guaraní conquistado y reducido, Ensayos de etnohistoria, Asunción 1988; DERS., El Guaraní: experiencia religiosa, Asunción 1991; Michael SIEVERNICH SJ, Die Jesuitenmissionen in Amerika (16.–18. Jahrhundert). Ein Überblick über die neuere Forschung, in: Theologie und Philosophie 76 (2001), S. 551–567.

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I. JESUITISCHE MISSIONARSLINGUISTIK Lag die Etablierung einer sprachlichen Einheit als Zeichen herrschaftlicher Durchdringung im Interesse der spanischen Krone, so unterstützten dennoch die spanischen Könige auch eine Mission in der jeweiligen indigenen Sprache.8 Folglich berief man sich auf der einen Seite auf den Humanisten Elio Antonio de Nebrija, welcher in der ersten volkssprachlichen Grammatik des Kastilischen mit Blick auf das alte Rom betont hatte, dass Sprache das perfekte Instrument von Herrschaft sei, mehr noch: dass eine sprachliche Einheit als Zeichen für Aufstieg oder Niedergang des Imperiums zu gelten habe.9 Auf der anderen Seite lösten die allenthalben immer deutlicher werdenden Misserfolge in der Mission seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Debatte über den Wert der indigenen Sprachen und den Nutzen dieser Sprachen für eine bessere Verständigung mit der einheimischen Bevölkerung aus.10 Insbesondere die verschiedenen Missionsorden waren sich schnell darin einig, dass erfolgreiche Mission auf der Kenntnis der einheimischen Sprache basiere. Umstritten war indessen, in welchem Ausmaß man diese Sprachen akzeptieren müsse, wie man mit explizit christlichen Begrifflichkeiten umzugehen habe, und ob man die Mission in der einheimischen Sprache als eine Phase des Übergangs hin zu einer letztlich spanisch sprechenden Gesellschaft anzusehen oder als Mittel für eine Bewahrung kultureller Eigenarten zu perpetuieren habe. Nicht zuletzt aufgrund der missionstheoretischen Schriften von José de Acosta nahm der Jesuitenorden in all diesen Fragen eine besonders pointierte Haltung ein.11 In der Folge verfügte man in der Societas Jesu, dass in Amerika kein Jesuit zum Priester geweiht werden solle, der nicht vorher eine Indianersprache Richard KONETZKE, Die Bedeutung der Sprachenfrage in der spanischen Kolonisation Amerikas, in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 1 (1964), S. 72–116; Wolfgang REINHARD, Sprachbeherrschung und Weltherrschaft. Sprache und Sprachwissenschaft in der europäischen Expansion, in: DERS. (Hrsg.), Humanismus und Neue Welt, Weinheim 1987, S. 1–36; Henrike FOERTSCH, Spracharbeit zwischen Theorie und Praxis: frühneuzeitliche Jesuiten in Südostindien, Nordwestmexiko und Peru, in: Reinhard WENDT (Hrsg.), Wege durch Babylon: Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation, Tübingen 1998, S. 75–129, hier S. 75. 9 Elio Antonio de NEBRIJA, Gramática castellana, hrsg. von Miguel Ángel ESPARZA, Madrid 1992; Vicente L. RAFAEL, Contracting Colonialism: Translation and Christian Conversion in Tagalog Society under Early Spanish Rule, Durham/London 1993, S. 23. 10 Jacob BAUMGARTEN, Evangelisierung in indianischen Sprachen. Die Bemühungen der Ordensleute um das wichtigste Hilfsmittel zur Verkündung der Frohbotschaft und zur Unterweisung im christlichen Leben, in: Michael SIEVERNICH u.a. (Hrsg.), Conquista und Evangelisation: 500 Jahre Orden in Lateinamerika, Mainz 1992, S. 313–347; Bernd HAUSBERGER, Für Gott und König. Die Mission der Jesuiten im kolonialen Mexiko, Wien/München 2000. 11 Michael SIEVERNICH, Vision und Mission der Neuen Welt bei José de Acosta, in: DERS./Günter SWITEK (Hrsg.), Ignatianisch: Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu, Freiburg i.Br. 1990, S. 293–313; Jesús García RUIZ, Missionare, Mayasprachen und Übersetzung, in: Birgit SCHARLAU (Hrsg.), Übersetzen in Lateinamerika, Tübingen 2002, S. 27–51. Die Förderinstrumente waren vielfältig. So beschloss das Konzil von Lima 1567 zum Beispiel, dass die Pfarrgeistlichen die Sprache ihrer Pfarrkinder sorgfältig zu erlernen hätten, ansonsten würden sie ein Drittel ihres Gehaltes verlieren; vgl. KONETZKE, Bedeutung, S. 79. 8

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gelernt hätte.12 Um dieses Ziel auch umsetzen zu können, errichtete man Sprachenkollegs wie in Lima und erstellte verbindliche Lehrpläne.13 Damit ist allerdings über den Erfolg dieser und anderer Maßnahmen noch nicht alles gesagt. So gab es zweifellos einen Grund für die Einführung einer zusätzlichen Sprachprüfung innerhalb des Jesuitenordens noch im 18. Jahrhundert.14 Dennoch: Generationen von Jesuiten lernten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert indigene Sprachen.15 Nur selten äußerten sich die Jesuiten allerdings in ihren Berichten so unverblümt wie P. Florian Paucke S.J., der schrieb: „Es ware mir nichts härter, als die Sprach zu begreifen, von welcher ich bishero wenig erlehrnet hatte, obschon ich öfters bis Mitternacht mich quällete. Wie oft fielen mir die Thränen aus den Augen und überfiele mich ein tieffe Traurigkeit, daß die Sprach nicht so bald in mir haften wollte, wie ich verlangte. Weil mir diese Traurigkeit so merklich ware und mich nur etwas mit einer Kleinmüthigkeit überwältigte, tröstete mich öfters mein Commissarius P. Burges, und machte mir Hoffnung, daß ich eher als er diese Sprache begreifen würde. […] Er gab mir auch etwelche Anweisungen und ein halb und halb angefangenes geschriebnes WörterBuch […].“16 Für das Erlernen der fremden Sprachen fertigte man also kleinere Wörterbücher an, hielt Sprachwendungen fest und erläuterte grammatikalische Besonderheiten. Diese Wörterbücher sind darum eng mit den jeweiligen Erfordernissen des Alltags verschränkt; sie sind Ergebnis von Alltagspraxis und prägten diese wiederum. Gerade die Praxisnähe, die eine von innen, von der jeweiligen Sprachlogik her begründete Systematik vermissen ließ, hatte dazu geführt, dass die so genannte „Missionarslinguistik“ unter Linguisten lange Zeit negativ beurteilt wurde.17 Seit einiger Zeit jedoch untersuchen Linguisten wie Historiker genau diesen Praxisbezug der Wörterbücher und betonen die zugrunde liegende Systematik dieser HAUSBERGER, Für Gott und König, S. 230. 13 WENDT, Einleitung Wege durch Babylon; FOERTSCH, Spracharbeit, S. 89–90; Liam Matthew BROCKEY, Journey to the East. The Jesuit Mission to China, 1579–1724, Cambridge (Mass.)/ London 2007, S. 259. 14 HAUSBERGER, Für Gott und König, S. 235. 15 Pedro LOZANO S.J., Historia de la Compañia de Jesus en la Provincia del Paraguay, 2 Bde., Madrid 1754–1755, hier Bd. 1, S. 259: So berichtete P. Pedro Lozano über die Missionare in Paraguay, dass sie zumeist in zwei bis drei Monaten genügend Kenntnisse des Guaraní erworben hätten, um die Sakramente zur Zufriedenheit aller auszuteilen. Nach wenigen weiteren Monaten hätten sie die Sprache oft besser als die Einheimischen beherrscht. 16 Florian PAUCKE S.J., Zwettler-Codex 420. Hin und Her, Hin Süße, und vergnügt, Her bitter und betrübt. Das ist: Treu gegebene Nachricht durch einen im Jahre 1748 aus Europa in West-America, nahmentlich in die Provinz Paraguay abreisenden und im Jahre 1769 nach Europa zurückkehrenden Missionarium, hrsg. von Etta BECKER-DONNER und Gustav OTRUBA, 2 Bde., Wien 1959, hier Bd. 1, S. 289. 17 Even HOVDHAUGEN, Missionary Grammars – An Attempt at Defining a Field of Research, in: DERS. (Hrsg.), “… and the Word was God”. Missionary Linguistics and Missionary Grammar, Münster 1996, S. 9–22; Klaus ZIMMERMANN, La construcción del objeto de la historiografía de la lingüistica misionera, in: Otto ZWARTJES/Even HOVDHAUGEN (Hrsg.), Missionary linguistics, Amsterdam 2004, S. 7–32. 12

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linguistischen Hilfsmittel.18 Wörterbücher und Grammatiken zu erstellen, impliziert nämlich die Suche nach einem systematischen Zugang zu einer fremden Sprache, der stark von der „Grammatikalisierung“ auch der europäischen Sprachen seit etwa 1500 profitierte.19 So wie man mit den antiken Sprachen als Vorbildern zahlreiche europäische Volkssprachen zu beschreiben begann, übertrugen die Missionare als humanistisch geschulte Philologen die Grundlagen des Lateinischen auch auf die indigenen Sprachen. Dies bezog sich zum einen auf die Verschriftung dieser Sprachen in lateinischen Buchstaben mit diakritischen Zeichenzusätzen; zum anderen auf die Aufbereitung der Grammatiken anhand lateinischer Grundlagen. Indigene Sprachen über das Lateinische zu systematisieren, trug im Übrigen zur Aufwertung dieser Sprachen unter den Missionaren bei. Nicht nur P. Juan Romero verglich etwa das Guaraní in Bezug auf dessen Schönheit, Schwierigkeit und Abstraktionsmöglichkeit mit dem Griechischen.20 Außerdem begann man anhand dieser aus der Praxis des Spracherwerbs entstandenen Grammatiken und Wörterbücher gerade auch die Differenz zum Lateinischen zu reflektieren.21 So wurden, wo das Lateinische den Regeln der indigenen Sprachen ganz offensichtlich nicht genügte, manchmal neue Formen geschaffen. Antonio Ruiz de Montoya hat darum etwa die im Lateinischen unbekannte „gemischte Zeitform“ eingeführt und für die doppelte Wir-Form des Guaraní, nach der zwischen dem Wir, das das

18 Wulf OESTERREICHER/Roland SCHMIDT-RIESE, Amerikanische Sprachenvielfalt und europäische Grammatiktradition. Missionarslinguistik im Epochenumbruch der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 116 (1999), S. 62–100; Wulf OESTERREICHER, Differenzerfahrung und Wissenstransformation – Projektions- und Retrospektivhorizonte frühneuzeitlicher Kolonialgrammatik, in: Volker NOLL/Haralambos SYMEONDIS (Hrsg.), Sprache in Iberoamerika. Festschrift Wolf Dietrich, Hamburg 2005, S. 105–119; Roland SCHMIDT-RIESE, Réduire en art les langues de l’Amérique, in: Pascal DUBOUR/Hélène VERIN (Hrsg.), Réduire en art. La technologie de la Renaissance aux Lumières, Dijon-Quetigny 2008, S. 115–132; Manuel BREVA-CLARAMONTE, Specialized lexicography for learning Spanish in sixteenth-century Europe, in: Sylvain AUROUX u.a. (Hrsg.), History of Linguistics 1999, Amsterdam 2003, S. 83–97; Nicholas OSTLER, The Social Roots of Missionary Linguistics, in: Otto ZWARTJES/Even HOVDHAUGEN (Hrsg.), Missionary Linguistics, Amsterdam 2004, S. 33–46; Reinhardt WENDT, Einleitung. Missionare als Reporter und Wissenschaftler in Übersee, in: DERS. (Hrsg.), Sammeln, Vernetzen, Auswerten. Missionare und ihr Beitrag zum Wandel europäischer Weltsicht, Tübingen 2001, S. 7–23; Graciella CHAMORRO, Una etnografía histórica, sowie die vielfältigen Arbeiten von Bartomeu Melià. 19 RAFAEL, Contracting Colonialism, S. 23–54; REINHARD, Sprachbeherrschung; Peter BURKE, Languages and Communities in early modern Europe, Cambridge 2004; Manuel BREVACLARAMONTE, The European Linguistic Tradition and Early Missionary Grammars in Central and South America, in: Douglas A. KIBBEE (Hrsg.), History of Linguistics 2005, Amsterdam/Philadelphia 2007, S. 236–251; Roland SCHMIDT-RIESE, Colonial grammars. How to talk about difference, in: Barbara JOB/Sebastian THIES/Rosa H. YÀNEZ ROSALES (Hrsg.), Colonialism and the culture of writing. Language and cultural contact in colonial discourse traditions, Guadalajara/Mexiko [im Druck]. 20 LOZANO S.J., Historia, Bd. 1, S. 259. 21 OESTERREICHER, Differenzerfahrung, S. 105–119.

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„Ihr“ ausschließt, und dem Wir, das alle einschließt, unterschieden wird, eine Entsprechung gefunden.22 Wichtig ist dabei, dass diese Grammatiken und Wörterbücher in erster Linie als Instrumente des Lernens für die jeweils neu angekommenen Europäer gedacht waren.23 Aus dieser didaktischen Perspektive ist es offensichtlich sinnvoll, an bekannte Sprachmuster anzuknüpfen. Jedenfalls wird deutlich, dass die Grammatiken und Wörterbücher keine einfachen Instrumente für Übersetzung waren, erst recht keine Abbilder der indigenen Sprachen, sondern zunächst einmal Resultate einer Übersetzung europäischer Kategorisierung und Begrifflichkeit, und dass sie damit als ein Ergebnis der Situation vor Ort zu begreifen sind, die sie dann ihrerseits wiederum in mindestens vier Hinsichten prägten. Erstens wirkten diese Grammatiken und Wörterbücher durch Festlegung von grammatischen Regeln sowie durch die Schaffung neuer Begrifflichkeiten verändernd und normierend auf die indigenen Sprachen ein.24 Bartomeu Melià prägte dafür den Begriff der „sprachlichen Reduktion“, mit dem er auf den engen Zusammenhang zwischen kulturellem und sprachlichem Wandel in den Jesuitenreduktionen von Paraguay verweisen wollte.25 Eng damit verbunden sind zweitens die Veränderungen, die sich aus der Verschriftung einer bislang allein mündlichen Sprache ergaben. Drittens förderten die Missionare durch solche Wörterbücher und Grammatiken eine bestimmte Sprache als neue lingua franca und etablierten damit fest umrissene Sprachgrenzen, wie sie zuvor häufig nicht bestanden hatten.26 Viertens stellten die Missionare durch diese Anstrengungen Wissensbestände her, die auf der einen Seite Sprachen sowie Wissen über Sprachen gerettet haben, welche sonst vermutlich verloren gegangen wären, die auf der anderen Seite aber im Sinne der neueren Wissenschaftsgeschichte unter dem Aspekt der Wis22 Harald THUN, „Inklusiv“ und „exklusiv“ in Guaraní, in: Bruno STAIB (Hrsg.), Linguistica romanica et indiana. Festschrift Wolf Dietrich, Tübingen 2000, S. 601–617; Otto ZWARTJES, Modo, tiempo y aspecto en las gramáticas de las lenguas mapuche, millcayac, y guaraní de Luis de Valdivia y Antonio Ruiz de Montoya: La categoría de los ‘tiempos mixtos’, in: DERS. (Hrsg.), Las gramáticas misioneras de tradición hispánica (siglos XVI–XVII), Amsterdam/Atlanta 2000, S. 205–256; Garciella CHAMORRO, Auf dem Weg der Vollkommenheit. Theologie des Worts unter den Guaraní in Südamerika, Münster u.a. 2003, S. 58. 23 Bartomeu MELIÀ, Antonio Ruiz de Montoya y el arte de gramática de la lengua guaraní, in: Antonio Ruiz de MONTOYA, Arte de la lengua Guaranì (1640), hrsg. von Antonio CABALLOS mit einer Einführung von Bartomeu MELIÀ, Asunción 1993, S. 11–55, hier S. 32. 24 BAUMGARTNER, Evangelisierung, S. 326–327; WENDT, Einleitung Wege durch Babylon, S. 29; Wulf OESTERREICHER, Mission am Rande der Alten Welt und die Christianisierung Amerikas, in: Sabine HOFMANN/Monika WEHRHEIM (Hrsg.), Lateinamerika. Orte und Ordnungen des Wissens. Festschrift Birgit Scharlau, Tübingen 2004, S. 27–43. 25 Vgl. Bartomeu MELIÀ, El Guaraní conquistado y reducido, Ensayos de etnohistoria, Asunción 1993; ähnlich: Wolf DIETRICH, Das Studium der Eingeborenensprachen Südamerikas: Guaraní, in: Sylvain AUROUX u.a. (Hrsg.), History of the Language Sciences / Geschichte der Sprachwissenschaften, Bd. 1, Berlin/New York 2000, S. 960–965, hier S. 964. 26 WENDT, Einleitung Wege durch Babylon, S. 27; DERS., Mission in vielen Zungen. Der Beitrag der Jesuiten zu Erfassung und Klassifizierung der Sprachen der Welt, in: Johannes MEIER (Hrsg.), „… usque ad ultimum terrae“. Die Jesuiten und die transkontinentale Ausbreitung des Christentums, 1540–1773, Göttingen 2000, S. 53–67, hier S. 55.

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sensproduktion selbst und der dahinter stehenden Praxis vielfach noch zu untersuchen sind.27 So haben die Jesuiten nach der Zählung von Reinhardt Wendt 123 Sprachen verschriftet; 55 davon kamen aus Lateinamerika. Bis zu ihrem Verbot im Jahre 1773 haben die Jesuiten mindestens 164 Wörterbücher, 165 Grammatiken, 167 Katechismen, 430 andere Texte in 134 Sprachen und sechs Dialekten erstellt.28

II. DIE WÖRTERBÜCHER DES ANTONIO RUIZ DE MONTOYA Zu diesen Werken gehören auch die Wörterbücher des Antonio Ruiz de Montoya,29 auf die ich im Folgenden eingehen möchte. Montoyas Kenntnisse des Guaraní lassen sich nicht mit seiner kreolischen Herkunft erklären, weil er in Lima geboren und aufgewachsen und folglich mit dem Kechua, aber nicht mit dem Guaraní in Kontakt gekommen ist. Sie sind stattdessen als eine Frucht der so genannten Schule von Juli zu interpretieren.30 Hier entstanden so wichtige Werke, wie das von Diego González Holguín S.J. über das Kechua31 oder das von Ludovico Bertonio S.J. über die Sprache der Aymara.32 Von Juli kam außerdem der Begründer der Paraguay-Reduktionen, P. Diego de Torres Bollo S.J., von dem es zwei Instruktionen über das Erlernen der Sprache als Kern der Mission gibt.33 27 So hat sich Wolfgang Reinhard noch gegen die vereinfachende These der „kolonialistischen Sprachenfresserei“ gewandt, vgl. REINHARD, Sprachbeherrschung, S. 6. 28 WENDT, Mission, S. 56–57. Vgl. die höheren Zahlenangaben bei Henrike FOERTSCH, Jesuiten als Sprachensammler. Zum Umfang der philologischen Arbeit der Jesuiten in Asien, Afrika und Lateinamerika, in: WENDT (Hrsg.), Wege durch Babylon S. 43–73, hier S. 58; vgl. allgemein Hans-Joseph NIEDEREHE, Die spanischen Missionare und das Studium der amerindischen Sprachen (16. Jh.), in: NOLL/SYMEONIDIS (Hrsg.), Sprache in Iberoamerika, S. 85–105. 29 Zu seiner Biographie, auf die hier aus Platzgründen nicht genauer einzugehen ist: Hugo STORNI S.J., Antonio Ruiz de Montoya, in: Archivum Historicum Societatis Iesu 53 (1984), S. 425–442; José Luis Rouillon ARRÓSPIDE, Antonio Ruiz de Montoya. Biografía, Lima 2001; Jurandir Coronado AGUILAR, Conquista spiritual. A História da Evangelização na Província Guairá na obra de Antônio Ruiz de Montoya S.J. (1585–1652), Rom 2002; Franz OBERMEIER, Art. Ruiz de Montoya, Antonio, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 22, Hamm 2004, Sp. 1231–1248 (http://www.bautz.de/bbkl/r/ruiz_d_m_a.shtml; Zugriff: 18.01.2009). 30 FOERTSCH, Spracharbeit, S. 90; Bartomeu MELIÀ, Einführung, in: Antonio Ruiz de MONTOYA, Vocabulario de la lengua Guaraní, hrsg. von Antonio CABALLOS, Asunción 2002, S. V–XIX, hier S. VII–IX. 31 Diego González HOLGUÍN, Gramática y arte nueva de la lengua general de todo el Perú, llamada lengua quichua, e lengua del inca [1606], ND Vaduz/Georgetown 1975; DERS., Vocabulario de la lengua general de todo el Perú llamada lengua quichua o del incao [1608], 2. Aufl. Lima 1989. 32 Ludovico BERTONIO, Vocabulario de la lengua Aymara [1612], ND Cochabamba 1984. 33 Diego de TORRES BOLLO, Grammatica Y Vocabulario En La Lengva General Del Peru, llamada Quichua, y en la lengua Española, Sevilla 1603; DERS., Brevis relatio historica rerum in provincia Peruana apud Indos a patribus societatis Iesu gestarum / a Iacobo Torrensi. Ac-

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Von P. Diego González Holguín S.J. mag Montoya auch die Methode des systematischen Spracherwerbs übernommen haben, zu welcher er in der Einführung zu seinem Kechua-Wörterbuch schrieb, dieses Werk sei nicht in erster Linie sein eigenes, habe er doch die wichtigsten Fragen mit vielen Indianern von Cuzco besprochen, so dass sie als die eigentlichen Autoren anzusehen seien.34 Fast zeitgleich mit P. Diego González Holguín, der in der Zwischenzeit Rektor des dortigen Jesuitenkollegs geworden war, kam jedenfalls Antonio Ruiz de Montoya nach Asunción. 1608 gab es sieben Jesuiten in Asunción; alle lernten in erster Linie das Guaraní.35 Dafür konnten sie auf Vorarbeiten zurückgreifen, in erster Linie auf die Tupí-Grammatik von Joseph de Anchieta36 und die Bemerkungen von Luis Bolaños.37 Montoya selbst unterschied allerdings zwischen dem Tupí und dem Guaraní.38 Außerdem hielt er sich gezielt unter den Einwohnern von Asunción auf – besonders die Gasthäuser werden in diesem Zusammenhang immer gern erwähnt. Darüber hinaus besprach er sich explizit mit kreolischen und indigenen Einwohnern dieser Gegend, wie er in einem Brief an P. Comental betonte.39 Schließlich werden Rodrigo Melgarejo, ein in Asunción lebender kreolischer Priester, und der spanische Kapitän Bartholomé de Escobar, nach P. Pedro Lozano der beste Kenner der Gegend, immer wieder erwähnt.40 Jedenfalls sprach man schon seit 1611 unter seinen Mitbrüdern von einer Grammatik des Montoya. Nach anderen Zeugnissen war sie im Jahre 1613 so gut wie fertig. Seit seiner Ankunft in der Reduktion Loreto wenige Jahre später arbeitete Montoya außerdem an seinem Vocabulario, das vermutlich in engstem Zusammenhang mit der Grammatik entstanden ist.41 Ab wann sich Montoya oder seine Mitbrüder mit dem Gedanken einer Veröffentlichung trugen, weiß man nicht. Gesichert ist nur, dass die Patres zwischen 1632 und 1637 wiederholt um

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cessere annuae literae rerum ab iisdem gestarum in insulis Philippinis, Mainz 1604; vgl. auch Rodrigo MORENO JERIA, El padre Diego de Torres Bollo, fundador de la provincia jesuítica del Paraguay, in: Notas históricas y geográficas 11 (2000), S. 151–164. HOLGUÍN, Vocabulario, S. 8: „así son ellos los principales autores de esta obra“, zit. in Bartomeu MELIÀ, Einführung, in: Ruiz de MONTOYA, Vocabulario, S. IX. MELIÀ, Antonio Ruiz de Montoya y el arte de gramática, S. 24–27; NIEDEREHE, Missionare, S. 99; CHAMORRO, Etnografía histórica, S. 38. Joseph de ANCHIETA, Arte de grammatica da lingoa mais usada na costa do Brasil, Coimbra 1595. Vgl. auch MELIÀ, Einführung, in: Ruiz de MONTOYA, Vocabulario, S. XI. Wolf DIETRICH, La importancia de los diccionarios guaraníes de Montoya para el estudio comparativo de las lenguas tupí-guaraníes de hoy, in: Amerindia 19/20 (1995), S. 287–299, hier S. 290. Allerdings betonte auch Montoya die große Verbreitung der Sprache der Guaraní, die „so universal [sei, R.D.], dass sie beide Meere beherrschte, das des Südens in ganz Brasilien, und die Küste von ganz Peru, einschließlich der beiden größten Flüsse, welche der Welt bekannt sind, nämlich der [Rio de la, G.Ch.] Plata, […] und der große Marañón […].“, zit. in CHAMORRO, Auf dem Weg zur Vollkommenheit, S. 36. MELIÀ, Lengua, S. 282. MELIÀ, Einführung, in: Ruiz de MONTOYA, Vocabulario, S. VII. Ebenda S. VI.

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die Erlaubnis zum Druck der Wörterbücher und der Grammatik Montoyas baten.42 Insgesamt verfasste Montoya drei linguistische Werke, die in den Jahren 1639 und 1640 in Madrid erschienen sind. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen seiner Arte de la lengua Guaraní43 genannten Grammatik sowie seinen beiden Wörterbüchern, dem Tesoro44 und dem Vocabulario.45 Der Tesoro geht vom Guaraní aus und gibt auf 802 Seiten unzählige sprachliche und kulturelle Informationen. Das Vocabulario wiederum mit seinen 508 Seiten integriert sich in die beiden anderen Werke, weil es wie ein Index von Informationen funktioniert, die dann im Tesoro weiter vervollständigt werden können. Dieser Index allein umfasst – grob geschätzt – 16.000 Einträge mit zumeist mehreren Verweisen auf den Tesoro. Im Folgenden wende ich mich einigen Einträgen im Vocabulario zu, das 2002 von Bartomeu Melià und Antonio Caballos neu herausgegeben wurde. Der Vorteil dieser Edition besteht darin, dass die beiden Herausgeber zu allen Lexemen auch die verstreuten Redewendungen und Halbsätze als Verweise zusammengestellt haben, die Montoya jeweils alphabetisch nach dem ersten Wort und nicht nach dem semantischen Feld des zentralen Wortes aufgeführt hatte. Mit dieser Edition kann man darum das gesamte, im Wörterbuch greifbare semantische Feld eines Begriffes finden. Diese Wörterbücher können auf der einen Seite als Repräsentation des vorhandenen Wissens über die Alltagskultur der Guaraní gelesen werden. So werden sechs Arten von Mais erwähnt, achtzehn Kartoffelsorten, fünf Sorten der CaráKnollenfrucht, zehn Bohnenarten, fünf Pfeffersorten sowie unzählige nicht genau bestimmte Wurzeln und Kräuter.46 Entsprechend der Praxisnähe der Wörterbücher nehmen andererseits Begrifflichkeiten und Redewendungen, die im Alltag der Reduktionen relevant waren, großen Raum ein. In nicht weniger als 87 Einträgen, in denen das Wort „Wasser“ eine Rolle spielt, werden von den mit Wasser gefüllten Wolken und dem Platzregen über das Bad in warmem Wasser und das Ertrinken bis hin zum Kochen mit Wasser alle möglichen Bereiche abgedeckt. In ähnlicher Weise enthalten 66 Einträge den Begriff „Erde“. Hier kann man die Begriffe und Redewendungen nachschlagen für die Tiere, die auf der Erde kriechen, wie Schnecken, Regenwürmer oder Ameisen, oder die Pflanzen, die auf der Erde wachsen, wie Gras, Bohnen oder der Feigenbaum. Mit all diesen Worten und Halbsätzen konnte man – wie in einem heutigen Sprachführer – erste Konversationen üben und in Ruhe nachschlagen, auch wenn die Vielzahl der Einträge die Handhabung nicht unbedingt erleichterte. Vermutlich darum stellte ein Pater im Jahre 1687 für einen leichteren Einstieg in die Sprache der Guaraní eine Auswahl

42 MELIÀ, Antonio Ruiz de Montoya y el arte de gramática, S. 17. 43 Ruiz de MONTOYA, Arte de la lengua Guaranì. 44 Antonio Ruiz de Montoya, Tesoro de la lengua Guaraní (1640), hrsg. von Julius PLATZMANN, Leipzig 1876; im Folgenden: Tesoro. 45 Ruiz de MONTOYA, Vocabulario. Im Folgenden: Vocabulario. 46 CHAMORRO, Auf dem Weg zur Vollkommenheit, S. 47.

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aus dem Tesoro zusammen.47 Dass Erfahrungen eine Rolle spielten, über die man sich besonders zu unterhalten hatte, machen die unzähligen Einträge zum semantischen Feld von Flucht und Vertreibung, aber auch zu Schutz und Schutzräumen sehr deutlich. Gerade noch entkommen, kann man da nachschlagen; verletzt entkommen, heimlich geflüchtet, dem Tod entronnen, dem Gast Schutz geben, nicht geschützt sein – und das in allen möglichen synonymen Wendungen. Allen diesen Einträgen stehen ein oder mehrere Übertragungen ins Guaraní gegenüber, deren genaue Verwendung man im Tesoro nachschlagen kann. Vermutlich kann man davon ausgehen, dass zahlreiche Übersetzungsvorschläge auf eine übliche Praxis und lange bestehende Relevanz unter den Guaraní verweisen. So gibt es allein für das Lexem „enfermedad – Krankheit“ vier mögliche GuaraníÜbersetzungen, die kaum den fünf möglichen Übersetzungen des Wortes „enfermo – krank“ entsprechen, welches noch einmal anders wiedergegeben wird, wenn es um das Krankwerden geht.48 Die wortbildungsmorphologisch recht weit auseinander liegenden Wendungen im Guaraní machen deutlich, warum Montoya so viele Einzelsituationen auflisten musste. Offenbar musste er sprachliche wie gesellschaftliche Kontexte skizzieren, um die Bedeutungen der Guaraní-Formen verständlich zu machen. Umso auffälliger sind diejenigen Bereiche, die durch Montoya insgesamt eher knapp abgehandelt werden. Über Jesus Christus kann man allein die Wendung „Ursprung und Grund aller unserer Güter“ sowie „Fleischwerdung von Jesus Christus“ nachschlagen; über Maria die Begriffe „Mariae Verkündigung“, „Mariae Empfängnis“ und die Litanei der Marienanrufungen. Zur Predigt wiederum finden sich drei kleine Einträge mit jeweils einem einzigen Übersetzungsvorschlag, der zeigt, in welcher Weise man christliche Inhalte in die Gedankenwelt der Guaraní zu übertragen versuchte. Denn alle Lexeme des semantischen Feldes „Predigt“ werden unter Bezugnahme auf die Wendung „Wort werden“ übersetzt.49 Das Wort aber galt in der Philosophie der Guaraní als Ursprung allen Seins und hatte somit eine eigene tief religiöse Bedeutung. Dies führt zu der grundsätzlichen Frage, wie man christliche Dogmen in die indigenen Sprachen übertragen sollte. Seit dem 16. Jahrhundert diskutierte man darüber, ob man dafür indigene Begrifflichkeiten verwenden, Umschreibungen 47 MELIÀ, Lengua, S. 151. Das Titelblatt des bis heute nicht edierten Manuskriptes lautet: “Phrases selectas, y modos de hablar escogidos, y usados en la lengua Guaraní Sacados del Thesoro escondido que compuso el venerable Padre Antonio Ruiz de nuestra Compañia de Iesus para consuelo y alivio delos fervorosos missioneros, principiantes en la dicha lengua“; ungewiss ist, ob es sich bei dem Autor um Paolo Restivo S.J. handelt, der im Jahre 1687 allerdings noch nicht in Paraguay war. Dann wäre die Jahreszahl ein Fehler des Kopisten, vgl. ebenda, S. 177, 332. 48 Vocabulario: enfermedad: mba‘e asy, temimborara, marã mbara‘a; enfermo: hasýva‘e, mba‘e porarahára, tasyvo, bara‘a, ijaguyje‘ǔva’e; enfermo caer: mba’e asy ho’a che ri, che rero’a che mba’e rasy, che mombara’a tasy, che reity mba’e asy, a’a mba’e asýgui. Der Wortstamm „mba’e“ findet sich in vielen, aber längst nicht allen Wendungen zum semantischen Feld „Krankheit“. 49 Vocabulario: predicador: ñemoñe‘Ɵngára; predicar: añemoñe‘Ɵ; sermón: ñemoñe’Ɵ; vgl. dazu CHAMORRO, Auf dem Weg zur Vollkommenheit, S. 73.

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finden oder einfach spanische bzw. lateinische Lehnworte einführen sollte. So wurden nach Henrike Foertsch im Kechua-Katechismus folgende Begriffe nicht übersetzt: Glaube, bekreuzigen, Heiliger Geist, Gott, Heilige Dreieinigkeit und Amen, weil man davon ausging, dass sie nicht übersetzt werden könnten.50 Dies ist bei Montoya eindeutig anders. Das Konzept für „Dreieinigkeit“ beispielsweise umschrieb er in der folgenden Weise: Jede eine der drei Personen ist im Rang wahrer Gott. „MbohapƱ cƱ persona Tûpâ eteramo nânga“.51 Zwei Sachverhalte werden hier deutlich. Erstens: das lateinische „persona“ wurde nicht übersetzt, um den Unterschied zwischen dieser abstrakten Person und der menschlichen wie göttlichen Person zu markieren. Zweitens: der Begriff für „Gott“ dagegen wurde nicht als Lehnwort integriert wie im Kechua-Katechismus, sondern mit „tupã“ übersetzt. Dies zeigt sich auch bei der Aufzählung der drei Personen der Dreieinigkeit mit den Guaraní-Begriffen für Vater, Sohn und Heiliger Geist; allein der „Heilige Geist“ blieb als Lehnwort bestehen.52 Doch scheint man dessen Bedeutung durch den Zusatz „tupã“ ebenfalls erst eigentlich deutlich gemacht zu haben. Dass alles, was mit christlichem Glauben zu tun hatte – von dem Begriff Gott selbst über die Kirche, den Tabernakel und die Kommunion bis hin zu den Heiligen – unter Rückgriff auf den Begriff „tupã“ übersetzt wurde, war keinesfalls zufällig und erst recht keine Selbstverständlichkeit, weil „tupã“ das alte Wort auf Guaraní für Donnergott war.53 Und Montoya wusste, dass manche Schamanen sich mit „tupã“ ansprechen ließen. Die Kritik der Verwendung häretischer Begriffe ließ denn auch nicht auf sich warten. Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Tesoro und des Vocabulario musste sich Montoya gegenüber dem Bischof Bernardino de Cárdenas OFM (1579–1668) verantworten, der meinte, mit „tupã“ bezeichne man Dämonen.54 Unmöglich könne man darum diesen Begriff für den christlichen Gott verwenden. Damit bezog der Bischof eine typisch franziskanische Position, wie sie vor ihm im 16. Jahrhundert – damals vor allem gegenüber Dominikanern – häufig vertreten worden war.55

50 FOERTSCH, Spracharbeit, S. 107. 51 Julius PLATZMANN (Hrsg.), Der Sprachstoff der Guaranischen Grammatik des Antonio Ruiz de Montoya, übersetzt und hier und da erläutert von Julius Platzmann, Leipzig 1898, S. 19. 52 Tesoro: Tûpã tuba = el padre; Tûpã taƱra = el hijo; Tûpã Spiritu santo = el Espiritu Santo. 53 Bartomeu MELIÀ, Teoría y prática de la traducción según un manuscritto de Antonio Ruiz de Montoya S.J. (1651), in: Otto ZWARTJES u.a. (Hrsg.), Missionary linguistics III, Amsterdam/Philadelphia 2006, S. 107–121; vgl. allgemein auch L. TORMO, Lenguaje y evangelización del indio, in: Luciano PEREÑA (Hrsg.), Inculturación del Indio, Salamanca 1988, S. 263– 308, hier S. 276–277. 54 Zu den jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen den Jesuiten und dem Bischof Cárdenas vgl. Mercedes AVELLANDEA, Estrategias del conflicto Cárdenas – jesuitas por el control de las reducciones en el Paraguay, in: Manuel M. MARZAL/Sandra NEGRO (Hrsg.), Un reino en la frontera. Las misiones jesuitas en la América colonial, Quito 2000, S. 73–94. 55 RUIZ, Missionare, S. 35–37.

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Montoya antwortete mit einer ausführlichen Schrift, in der er mit Bezug auf die Positionen des portugiesischen Jesuiten Manuel de Nóbrega56 seine Vorstellungen von Sprache und Bedeutung grundsätzlich erläuterte.57 Darin verteidigte er die Verwendung des Begriffes damit, dass der Begriff „tupã“ für die Guaraní den unbekannten Gott bezeichne. Er gab dafür vor allem eine etymologische Erklärung. Denn das Wort „tupã“ setze sich aus zwei Partikeln zusammen („tu“ und „pã“), die beide bewundernde und verwunderte Fragepartikel seien und sich folglich gegenseitig verstärkten, so dass man sie letztlich übersetzen könne mit: „qué es esto!“58 Genau so eine Verblüffung hätten auch die Hebräer geäußert, als Gott ihnen das Himmelsbrot schickte und sie verwundert fragten: „manhu?“, was in der heiligen Schrift in folgender Weise erläutert worden sei, „Quod significat, quid est hoc?“ (2 Mos. 16,15). Sie hätten also nicht gewusst, was das war, fährt Montoya fort. Seither heiße dieses Brot Manna. Und so verwendeten auch die Guaraní den Begriff „tupã“ für Gott, der ihnen eigentlich unbekannt sei, weil ihnen die Predigten des Heiligen Thomas letztlich unverständlich geblieben seien. Mit dem beiläufig angefügten Hinweis auf den Heiligen Thomas betonte Montoya – wie zahlreiche andere Missionare dieser Zeit – die eigentlich christliche, oder zumindest potentiell christliche Lebens- und Denkart der Guaraní, die nur über die Jahrhunderte wieder verloren gegangen sei. Im Folgenden ging Montoya aber mit seiner Argumentation noch einen Schritt weiter, wenn er behauptete, diese zwei verwunderten und bewundernden Fragewörter würden mehr über Gott aussagen, als wenn man ihn mit vielen Wörtern und Konzepten zu definieren versuche. Denn mit dieser Bewunderung verweise man auf seine überkreatürliche Wesensart, seine Einfachheit, seine Unsterblichkeit. Die Guaraní äußerten damit Hochachtung gegenüber seinen göttlichen Attributen und bewunderten also das, was sie nicht verstehen und nicht erklären könnten, so wie die Christen das mit dem Begriff „Dios“ ausdrückten.59 Meine These ist nicht, dass Montoya einen explizit christlichen Gottesbegriff ablehnte oder auch nur für unwichtig hielt. Im Gegenteil zeigen andere Schriften des Jesuiten, wie seine Conquista espiritual60 und sein Guaraní-Katechismus, dass 56 Franz OBERMEIER, Manuel de Nóbrega, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 22, Hamm 2003, Sp. 920–928 (http://www.bautz.de/bbkl/n/nobrega_m_d.shtml; Zugriff: 18.01.2009). 57 MELIÀ, Lengua, S. 79. 58 Tesoro: Tûpã: [c.d. tu, admiración; y pa, pregunta. Manhu? Quid est hoc?], nombre que aplicaron a Dios; MELIÀ, Teoría y prática, S. 115–116. 59 Vgl. das ausführliche Zitat der Schrift bei Bartomeu MELIÀ, Etimología y semántica en un manuscrito inédito de Antonio Ruiz de Montoya (1651), in: Amerindia 19/20 (1995), S. 331– 340, hier S. 339: „[…] que dicen más de Dios que si con multiplicidad de palabras y conceptos quisieran definirle, porque en esta admiración encierran su ser increado, su simplicidad, su inmortalidad y hacen aprecio y estimación de sus divinos atributos y así en una admiración adoran lo que no pueden entender ni explicar como nosotros con el nombre Dios.“ 60 Antonio Ruiz de MONTOYA, La conquista espiritual del Paraguay: hecha por los religiosos de la Compañía de Jesús en las provincias de Paraguay, Paraná, Uruguay y Tape, hrsg. von Ernesto J.A. MAEDER, Asunción 1996 [engl.: Spiritual Conquest, St. Louis 1993].

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er sich bewusst als christlicher Missionar verstand.61 Aber man wird die Zurückhaltung, mit der christliche Dogmen in das Wörterbuch Eingang gefunden haben, auch nicht nur als geschickte „Bauernfängerei“ abtun dürfen, in der Weise, dass man die Guaraní nicht zu schnell mit diesen Fragen überfordern dürfe. Meine These lautet stattdessen, dass Montoya durch seine Beschäftigung mit dem Glauben der Guaraní bestimmte Vorstellungen und Haltungen der Guaraní in christliches Gedankengut übersetzen konnte. Darum musste er sie auch nicht mehr ähnlich machen. Umgekehrt konnten möglicherweise viele Guaraní eine Reihe von christlichen Haltungen und Grundsätzen so gut in ihre Lebenswelt übersetzen, dass ihnen das Verbindende näher als das Trennende erschien. Nach den Forschungen von Melià und Chamorro bestanden Ähnlichkeiten zwischen beiden Religionen vor allem im Paradiesbegriff (der bei den Guaraní allerdings irdisch gefasst war),62 außerdem in einer Auffassung von Welt, die vom Geist des Wortes ausgeht (wenn auch ohne den christlichen Körper-Geist-Dualismus), und in einer spirituell gefassten Vorstellung von Vollkommenheit und Glück.63 Die Übersetzungsleistung, die die hier vorgestellten Wörterbücher spiegeln, wäre demzufolge keine einseitige gewesen. In Ansätzen lässt sich dies vielleicht sogar in den Wörterbüchern selbst greifen. 80 Jahre nach Montoya gab etwa Paolo Restivo eine Überarbeitung der Wörterbücher heraus.64 In der Vorrede erörterte er die großen sprachlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Reduktionen und erläuterte, dass er Worte, die in der Zwischenzeit ungebräuchlich geworden seien, weggelassen habe. Andere, inzwischen gebräuchliche Wendungen habe er dagegen hinzugefügt. Diese betrafen auch genuin christliche Begrifflichkeiten. So hatte Montoya in Bezug auf die Übersetzung von „Christ“ und „Heide“ ausschließlich auf Lehnworte oder mit Lehnworten zusammengesetzte Wendungen zurückgegriffen.65 Paolo Restivo dagegen listete auch eine Reihe von reinen GuaraníÜbertragungen auf.66 Interessant erscheinen mir hier die Begriffe für Christ zu sein, die das Wort „karai“ integrierten, weil dies eigentlich den indigenen religiö61 Antonio Ruiz de MONTOYA, Catecismo de la lengua guaraní, Madrid 1640; DERS., Apología en defensa de la doctrina cristiana escrita en lengua guaraní, hrsg. und komm. durch Bartomeu MELIÀ, Lima 1996. Eine ausführliche Zusammenfassung des Katechismus findet sich bei MELIÀ, Lengua, S. 282–287. 62 Interessanterweise führt Montoya in seinem Vocabulario nur das Lexem „irdisches Paradies“ auf. Vocabulario: „paraiso terrenal: yváy angapyhytýva rokái“. 63 Bartomeu MELIÀ, El “modo de ser” Guaraní en la primera documentación jesuítica (1594– 1639), in: Archivum Historicum Societatis Iesu 99 (1981), S. 212–233; DERS., De la religión Guaraní a la religiosidad Paraguaya: una substitución, in: DERS., El Guaraní conquistado y reducido, Ensayos de etnohistoria, Asunción 1993, S. 160–173; DERS., El Guaraní: experiencia religiosa, Asunción 1991; CHAMORRO, Auf dem Weg zur Vollkommenheit. 64 Lexicon Hispano-Guaranicum „Vocabulario de la lengua Guaraní” inscriptum a Reverendo Patre Jesuita Paulo Restivo secundum Vocabularium Antonii Ruiz de Montoya anno 1722 in Civitate S. Mariae Majoris […], hrsg. von Christian Friedrich SEYBOLD, Stuttgart 1893; im Folgenden: Vocabulario Restivo 1722. 65 Vocabulario: cristiano: christiano; Christo reheguára; ibaptizapyre. 66 Vocabulario Restivo 1722: Cristiano: cristiano; Jesu Christo rehegua; cotƱgua; Jesu Christo rerobiaha renoindara; rerecohara; ycaraibaecue; ymongaraipƱre.

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sen Anführer, den Schamanen also, bezeichnet.67 Es ist m.E. unwahrscheinlich, dass diese Sprachpraxis von den Europäern und Missionaren initiiert worden war. Hier haben wir es wohl eher mit einer Übersetzungsleistung der Guaraní zu tun, die die Tradition im Wandel spiegelt und ein sprachlicher Hinweis darauf sein kann, dass mit der Annahme des Christentums die alten Werte nicht vollkommen aufgegeben worden waren.68 Dementsprechend werden manche Übersetzungen explizit mit der Sprachpraxis der Guaraní erklärt. So erläutert Restivo im Tesoro das Lexem „tupã“ als „Namen, den sie Gott geben“69 und präzisiert unter „tupã boyâ“ – Diener Gottes –, dass sie so auch die Heiligen bezeichnen würden.70

III. ZUSAMMENFASSUNG In diesem Beitrag wurden einige Übersetzungsprozesse untersucht, die vor allem im religiösen Bereich angesiedelt waren. Diese erscheinen mir interessant, weil die Missionare diesbezüglich besonders bewusst vorgingen, und zwar nicht nur, weil die Missionierung das eigentliche Ziel dieser Reduktionen darstellte, sondern auch, weil Sprache überhaupt als Medium der „himmlischen Doktrin“ galt, die vom Priester empfangen und weitergegeben werde.71 Die Misserfolge in der Mission um die Mitte des 16. Jahrhunderts zeigten den Missionaren indessen, dass Sprache nicht einfach universell war, sondern dass man – wenn man verstanden werden wollte – auch die kulturellen Inhalte zu übersetzen hatte. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts reflektierte man darum die Übersetzungsprozesse in den Missionsstationen neu. Vor diesem Hintergrund diskutierte man darüber, in welcher Sprache man eine Mission zu betreiben habe. Während man aber mit dem Konzept einer einheitlichen Kolonialsprache tendenziell kulturelle Unterschiede nivellierte, basierte das Konzept einer pädagogischen Nutzung der indigenen Sprachen im Dienste der Mission auf der Anerkennung dieser Unterschiede, die es ernst zu nehmen gelte. Damit reagierte man auf die Erfahrung, dass Übersetzung nicht einfach als „Brückenbauen“ zwischen Sprachen und Kulturen zu begreifen ist, sondern mit Anselm Haverkamp wohl eher als „Agentur der Differenz“72 verstanden werden

67 MELIÀ, El Guaraní conquistado y reducido, S. 28. 68 Anders lautet diesbezüglich die Interpretation von CHAMORRO, Auf dem Weg der Vollkommenheit, S. 79–80. 69 Vocabulario Restivo 1722: “Tûpã: [c.d. tu= admiración; y pa=pregunta: Manhú? Quid est hoc?], Nombre que aplicaron a Dios”. 70 Vocabulario Restivo 1722: „Tûpã boyâ: los siervos a Dios ; y assi llaman a los santos.“ 71 RAFAEL, Contracting Colonialism, S. 31–33. 72 Anselm HAVERKAMP, Zwischen den Sprachen. Einleitung, in: DERS. (Hrsg.), Sprache der Anderen: Übersetzungspolitik zwischen den Kulturen, Frankfurt am Main 1997, S. 7–12, hier S. 7.

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kann, beruhen doch geglückte Übersetzungen auf dem Verständnis der kulturellen Unterschiede zweier Sprachen oder Kulturen.73 Außerdem impliziert die Auseinandersetzung mit den Übersetzungsprozessen, darüber nachzudenken, auf welche Weise das Verständnis von den Kulturunterschieden zu erwerben sei. Verstehen selbst ist ja als Übersetzung zu begreifen.74 Verstehen ist aber nicht nur ein aktiver, sondern auch ein rezeptiver Prozess. Man eignet sich nicht nur Wissen an; dieses Wissen verändert auch denjenigen, der etwas versteht. Übersetzungsprozesse sind folglich von den damit einhergehenden beiderseitigen Akkulturations- und/oder Transkulturationsprozessen nicht zu trennen.75 Auch diese Dimension kann man an zeitgenössischen Debatten verfolgen,76 im vorliegenden Material in erster Linie an den Auseinandersetzungen um die Übersetzung christlicher Dogmen in die indigenen Sprachen. Sie zeigen, dass auch zu dieser Zeit Sprache nicht nur als Instrument für eine Übersetzung begriffen wurde, sondern auch als Ergebnis von Übersetzungsleistungen, dass folglich Sprache selbst schon als Ausdruck einer spezifischen Kultur angesehen wurde. Letztlich ging es dabei um die Frage der „Dekontextualisierung“ und „Rekontextualisierung“ bestimmter Begriffe, ein Prozess, den jedoch die Missionare keineswegs allein zu prägen im Stande waren.77 Und das wiederum war für die Europäer des 16., 17. und 18. Jahrhunderts – aber wohl nicht nur für diese – eine ungeheure Herausforderung.

73 Clifford GEERTZ, Found in Translation: On the Social History of the Moral Imagination, in: DERS., Local Knowledge: Further Essays in Interpretive Anthropology, New York 1983, S. 36–54; PRATT, Traffic; BACHMANN-MEDICK, Cultural turns, S. 254; Jörn LEONHARD, Von der Wortimitation zur semantischen Integration. Übersetzung als Kulturtransfer, in: Werkstatt Geschichte 48 (2008), S. 45–63. 74 Peter BURKE, Cultures of translation in early modern Europe, in: Peter BURKE/Ronnie POCHIA HSIA (Hrsg.), Cultural translation in early modern Europe, Cambridge/New York 2007, S. 7–39, hier S. 8. 75 Vgl. u.a. Mariano DELGADO, Inkulturation oder Transkulturation? Der missionstheologische Charakter der Evangelisierung der altamerikanischen Kulturen am Beispiel der Übertragung des abendländisch geprägten trinitarischen Gottesbegriffs, in: Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft 48 (1992), S. 161–189; PRATT, Imperial Eyes; Federico CELESTINI/Helgo MITTERBAUER (Hrsg.), Ver-rückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tübingen 2003. 76 Bekannt sind vor allem die Debatten im Zusammenhang mit dem so genannten „Ritenstreit“ über die Frage nach dem notwendigen Grad einer kulturellen Annäherung jesuitischer Missionare an die chinesische Kultur als Voraussetzung für einen geglückten Übersetzungsprozess; vgl. dazu Wolfgang REINHARD, Gelenkter Kulturwandel im 17. Jahrhundert. Akkulturation in den Jesuitenmissionen als universalhistorisches Problem, in: Historische Zeitschrift 223 (1976), S. 529–590; Claudia VON COLLANI, Aspekte und Problematik der Akkommodation der Jesuiten in China, in: MEIER (Hrsg.), „…usque ad ultimum terrae“, S. 99–119; BROCKEY, Journey to the East. 77 Ines G. ZUPANOV, Missionary Tropics: The Catholic Frontier in India (16th–17th Centuries), Ann Arbor 2005, S. 253; BURKE, Cultures, S. 10.

Das ethnolinguistische Werk des Chilemissionars P. Bernhard Havestadt Michael Müller, Mainz Die ethnolinguistischen Studien der Jesuiten1 in der Frühneuzeit sind ein illustres Beispiel für das Thema dieses Bandes, „Sprachgrenzen, Sprachkontakte und kulturelle Vermittler in der Geschichte der europäisch-überseeischen Beziehungen“. Die Patres haben, wie Studien von Schlieben-Lange, Oesterreicher, SchmidtRiese, Tovar und Mitre2 zeigen, seit den Anfängen ihrer außereuropäischen Missionstätigkeit im 16. Jahrhundert die zahlreichen Sprachen in ihren Missionsgebieten systematisch in Wörterbüchern und Grammatiken erfasst. Ausgangspunkt dafür war das III. Provinzialkonzil von Lima von 15823, welches die Evangelisie1

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Der Beitrag basiert auf dem Forschungsprojekt „Jesuiten zentraleuropäischer Provenienz in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika, 17./18. Jahrhundert“ (DFG-Projekt ME 1439/3, Leitung: Johannes MEIER, Universität Mainz) unter Mitarbeit des Verfassers für die Provinzen Chile und Paraguay. Dokumentiert werden in standardisierten Personenartikeln die Lebensläufe aller Jesuiten, die aus den fünf Ordensprovinzen Rhenania Inferior bzw. Superior, Germania Superior, Bohemia und Austria im 17. und 18. Jahrhundert nach Ibero-Amerika gingen. Ergebnis wird ein bio-bibliographisches Handbuch in mehreren Teilbänden sein, dessen Publikation schrittweise schon seit 2005 erfolgt. Der vom Verfasser erstellte Band zu Chile wird 2010 erscheinen. Darin wird die Biographie Havestadts ausführlich dokumentiert. Weitere Informationen: http://www.uni-mainz.de/FB/kath/projekt/index.htm. Die Quellen in chilenischen Archiven und Bibliotheken wurden vom Verfasser 2001 in Santiago de Chile ausgewertet, in Zusammenarbeit mit dem chilenischen Partnerprojekt „Los Jesuitas Germanos en Chile del siglo XVIII: Aporte y Legado“ (1999–2002) von P. Mauro MATTHEI PUTTKAMER OSB und Rodrigo MORENO JERIA, Santiago de Chile. Vgl. Brigitte SCHLIEBEN-LANGE, Missionarslinguistik in Lateinamerika. Zu neueren Veröffentlichungen und einigen offenen Fragen, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Sonderheft hrsg. von Brigitte SCHLIEBEN-LANGE, Nr. 116 (1999), S. 34–61; Wulf OESTERREICHER/Roland SCHMIDT-RIESE, Amerikanische Sprachenvielfalt und europäische Grammatiktradition. Missionarslinguistik im Epochenumbruch der Frühen Neuzeit, in: ebenda, S. 62–100; Antonio TOVAR/Bartolomé MITRE, Catálogo de las lenguas de América del Sur (Sudamericana), Buenos Aires 1961; Antonio TOVAR/Consuelo LARRUECA DE TOVAR, Catálogo de las lenguas de América del Sur. Con clasificaciones, indicaciones tipológicas, bibliografía y mapas. Nueva ed. Refundida, 2. Aufl. (Ed. Gredos, Colección Grandes Manuales 27), Madrid 1984; Bartolomé MITRE, Lenguas Americanas. Estudio bibliográficolingüistico de las obras del P. Luis de Valdivia sobre el araucano y el allentiak, con un vocabulario razonado del allentiak, La Plata 1894; DERS., Obras completas. Edición ordenada por el H. Congreso de la Nación Argentina, Ley No. 12.328, Buenos Aires 1938; DERS., Catálogo razonado de la sección lenguas americanas. Con una introducción de Luis María Torres, 3 Bde., Buenos Aires 1909–1910. Vgl. Nobert M. BORENGÄSSER, Turibius von Lima (Toribio Alfonso de Mogrovejo), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 12, Hamm 1997, S. 715–718. Zu den Kon-

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rung der indianischen Ureinwohner in ihrer jeweils eigenen Sprache forderte – was nur mit Hilfe von entsprechenden Katechismen, Wörterbüchern und Grammatiken möglich war. Der auf dem Konzil verabschiedete Indianerkatechismus des José de Acosta (1540–1600) in den Sprachen Quechua und Aymara4 – er erschien 1584 als erstes in Amerika gedrucktes Buch – wurde zum Vorbild aller späteren vergleichbaren Arbeiten, wie etwa – um nur ein prominentes Beispiel stellvertretend für viele weitere zu nennen – das ebenfalls in diesem Tagungsband von Renate Dürr vorgestellte Guaraní-Wörterbuch des Antonio Ruiz de Montoya (1585–1652)5, aber auch das Werk Bernhard Havestadts (1714–1781).6 Dieser

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zilien von Lima vgl. Enrique DUSSEL, Les évêques hispano-américains. Défenseurs et évangélisateurs de l’indien 1504–1620 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Abendländische Religionsgeschichte 58), Wiesbaden 1970, S. 167–180. Dieses „amerikanische Tridentinum“ blieb das einzige südamerikanische Konzil, dessen Dekrete sowohl von der Krone als auch vom Papst bestätigt wurden, so dass sie 1590 gedruckt wurden. Vgl. Horst RZEPKOWSKI, José de Acosta, in: Lexikon der Mission. Geschichte, Theologie, Ethnologie, Graz u.a. 1992, S. 14; Jeffrey KLAIBER, Los jesuitas Acosta y Oliva, in: Johannes MEIER (Hrsg.), Cristianismo y mundo colonial. Tres estudios acerca de la evangelización de Hispanoamérica (Spanische Forschungen der Goerres-Gesellschaft 31), Münster 1995, S. 38– 41; Iñigo ÁLVAREZ DE TOLEDO, P. José de Acosta, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 17, 2000, S. 4–13; Laurenz KILGER, Die Peru-Relation des José de Acosta 1576 und seine Missionstheorie, in: Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft 1 (1945), S. 24–38; Anton POTT, Der Acosta-Text vom Weihehindernis für Indianer, kritisch geprüft und erklärt, in: Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft 15 (1959), S. 167–180. Der Spanier P. Antonio Ruiz de Montoya veröffentlichte nicht nur die Geschichte der „Conquista Espiritual” Paraguays, sondern auch bereits 1640 die erste Grammatik des Guaraní: P. Antonio RUIZ DE MONTOYA SJ, Arte de la lengua guarani (1640). Ed. facsimilar y notas con introducción y notas por Bartomeu MELIÀ SJ, Asunción 1993; DERS., Conquista espiritual hecha por los religiosos de la Compañía de Jesús en las provincias del Paraguay, Paraná, Uruguay y Tape, Bilbao 1892; DERS., Conquista Espiritual: feita pelos Religiosos da Companhia de Jesus nas províncias do Paraguai, Paraná, Porto Alegre 1985; DERS., Conquista espiritual hecha por los religiosos de la Compañía de Jesús en las provincias de Paraguay, Rosario 1989; José Luis ROUILLON ARROSPIDE, Antonio Ruiz de Montoya y las Reducciones del Paraguay, Asunción 1997. Die Verschriftlichung und Etablierung des Guaraní ist, wie Studien von Bartomeu Melià belegen, ein bleibendes Erbe nicht zuletzt der Jesuiten. Zur Geschichte des Guaraní vgl. Bartomeu MELIÀ, El Guarani: Experiencia religiosa, Asunción 1991; DERS., El Guarani a su alcance: Un método para aprender la lengua Guarani del Paraguay, Asunción 1992; DERS., El guaraní conquistado y reducido, Asunción 1993; DERS., El guarani y su reducción literaria, in: Actes du XLIIe Congrès International des Américanistes 1976, S. 541–548; DERS., El Paraguay inventado, Asunción 1997; DERS., La agonía de los Aché-Guayakí: Historia y cantos, Asunción 1973; DERS., La lengua guaraní del Paraguay: Historia, sociedad y literatura, Madrid 1992; DERS., La lengua guaraní del Paraguay, in: Bernard POTTIER (Hrsg.), América latina en sus lenguas indígenas, Caracas 1983, S. 43–60; DERS., O guarani: Uma bibliografia etnológica, Santo Angelo 1987; DERS., Os mil rostos do guarani, in: Khipu 19 (1987), S. 33–36; DERS., Una nación – dos culturas, Asunción 1990; DERS., La lengua guaraní en tiempos de la colonia: Versión castellana, corregida y aumentada, 2. Aufl. Asunción 1993. Im Folgenden wird einheitlich die heutige übliche Schreibweise „Havestadt“ verwendet. Der Name taucht in den Jesuitenkatalogen in vielen Varianten auf: „Havestad, Havelstadt, Havestatt, Haverstadt, Havesteds, Habelstad, Habestadt, Habestad, Habestadts, Habestads, Hoff-

Das ethnolinguistische Werk Havestadts

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hochgebildete, sprachbegabte und erfolgreiche Indianermissionar im Chile des 18. Jahrhunderts beschrieb in seinem dreibändigen, 1777 in Münster erschienenen ethnolinguistischen Hauptwerk Chilidúgú7 die Sprache und Kultur der Mapuche

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stadt“. Der Familienname wird in den Pfarrmatrikeln als „Hoffstadt“ wiedergegeben (Nordrhein-Westfälisches Personenstandsarchiv, Schloss Augustusburg, Brühl; im Folgenden NRW PSA), St. Laurenz, Sign. LK 124, S. 40, Auskunft Dr. Steinberg, 24. Juli 2003). Er ist wohl nicht kölnischer, sondern westfälischer Herkunft und bedeutet soviel wie „Hofstatt“ (Hovestad), d.h. ein Landgut. Durch die Hispanisierung kam die Variante „Havertad“ hinzu. Eine Liste aller Varianten mit Nachweisen bietet das o.g. Handbuch (siehe Anm. 1). Der komplette Titel des lateinischen Werkes lautet: P. Bernhard HAVESTADT SJ, Chilidúgú sive Res Chilenses vel Descriptio Status tum naturalis, tum civilis, tum moralis Regni populique Chilensis, inserta suis locis perfectae ad Chilensem Linguam Manuductioni, Deo D.M. multis ac miris modis iuvante opera, sumptibus, periculisque, Bernardi Havestadt Agrippinensis quondam Provinciae Rheni Inferioris primum Hostmariae in Westphalia, deinde in Americae Meridionalis Regno Chilensi e Societate Jesu Missionarii. Permissu Superiorum ac Rmi & Eximii D. Ordinarii Colonienses facultate speciali. Monasterii Westphaliae Typis Achendorfianis 1777. 3 Bde in 8°, Münster 1777, im Folgenden Chilidúgú genannt. Bibliographisch nachweisbare Exemplare der Erstausgabe u.a.: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Sign. 73.Aa.28, sowie Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. Gx 188. Bei dem Exemplar in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln mit dem Imprimatur „Köln 23. März 1775“ (Verlagsangabe: „Köln, bei Herz, 1775“) handelt es sich um dasjenige, welches Havestadt dem Erzbischöflich-Kölnischen Bücherzensor (Censor librorum) Dr. theol. J.G. Kaufmann zur Begutachtung vorlegte, denn dessen Druckerlaubnis datiert vom 23. März 1775. Die Bayerische Staatsbibliothek München besitzt eine Ausgabe mit der abweichenden Ortsangabe „Westphalium Monasterium“ (ohne Jahr) statt „Monasterii Westphaliae“. Außerdem verfügen die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart und die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden über eine Ausgabe „Münster bei Coppenrath 1777“. Das früher in der Staatsbibliothek Berlin vorhandene Exemplar mit der Sign. Zs 2492 ging im II. Weltkrieg verloren (Staatsbibliothek Berlin, Abt. Historische Drucke, Auskunft Eva Rothkirch, 30. Juni 2004). Auch im Jesuitenarchiv von Santiago de Chile ist ein Exemplar der Erstausgabe vorhanden, jedoch nur der erste Band (Mitteilung P. Eugenio Rooney SJ, Santiago de Chile, 20./21. Dezember 2004). Vollständige lateinische Neuausgabe u.d.T.: Chilidúgú sive Tractatus linguae Chilensis opera Bernardi HAVESTADT. Editionem novam immutatam curavit Dr. Julius PLATZMANN. Lipsiae, in aedibus B.G. Teubneri, 2 Bde., Leipzig 1883. Exemplare: Universitätsbibliothek Leipzig Orient. Lit. 1672if sowie Biblioteca Nacional de Chile (BNC), Santiago, Museo Bibliográfico AAC4005. Teiledition in spanischer Sprache u.d.T.: Chilidugu o tratado de la lengua chilena. VII parte: Diario de la misión entre los indios chilenos, 1752. Introducción, traducción y notas del P. Mauro MATTHEI PUTTKAMER OSB, in: Misioneros en la Araucanía, 1600–1900. Un capítulo de historia fronteriza en Chile, Bd. II: Documentos, Bogotá 1990 (Consejo Episcopal Latinoamericano, CELAM), S. 35–84. Bibliographische Angaben: P. Carlos SOMMERVOGEL SJ (Hrsg.), Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. 12 Bde. (Neudruck der Ausgabe Brüssel, Paris 1890–1900, Toulouse 1909–1932 in 9 Bdn.), Héverlé-Convain 1960, hier Bd. IV, Sp. 157–158, Nr. 2; José Toribio MEDINA, Noticias bio-bibliográficas de los jesuitas expulsos de América en 1767, Santiago de Chile 1914, S. 160–161; P. Walter HANISCH-ESPINDOLA SJ, Itinerario y pensamiento de los jesuitas expulsos de Chile (1767–1815), Santiago de Chile 1972, S. 289–290; Friedrich Matthias DRIVER, Bibliotheca Monasteriensis sive Notitia de Scriptoribus MonasterioWestphalis. Münster/Westfalen 1799, S. 54–55; Ernst RASSMANN, Nachrichten von dem Leben und den Schriften Münsterländischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, Münster/Westfalen 1866, S. 141.

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bzw. „Araukaner“8 – ein damals wie heute im deutschen Sprachraum einzigartiges Fundamentalwerk, eine Landes- und Missionsgeschichte sowie Grammatik und Wörterbuch des Araukanischen.9 Zuerst sind Werdegang und Missionstätigkeit Havestadts darzustellen, anschließend Aufbau und Inhalt seines Chilidúgú sowie die Rahmenbedingungen und Organisationsformen der Chilemission, um anschließend seine linguistische und ethnohistorische Bedeutung als Sprachvermittler im europäisch-indianischen Kulturkontakt und die Frage einer jesuitischen „Sprachpolitik“ zu beleuchten.

I. WERDEGANG UND MISSIONSTÄTIGKEIT Der spätere Jesuitenmissionar wurde am 25. Februar 1714 in Köln als Sohn von Franz Wilhelm und Anna Elisabeth Havestadt geboren und am 27. Februar 1714 in der Pfarrei St. Laurenz auf die Namen Franciscus Bernardus Ignatius Petrus getauft.10 Nach dem Philosophiestudium von 1729 bis 1732 am Trierer Jesuiten-

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Die Indianer des chilenischen Festlands werden in den frühen spanischen Quellen als „Araucanos“ (dt. „Araukaner“) bezeichnet, das Gebiet südlich des Bíobío-Flusses als „Araukanie“, nach der Araukarie, dem für diese Landschaft typischen Nadelbaum. Die Indigenen selbst nannten sich „Mapuche“ (d.h. „Menschen dieses Landes“). Die ethnographische Forschung über die indigenen Bevölkerungen Chiles unterscheidet die Pichunches, Mapuches und Huilliches, doch gilt „Mapuches“ auch als Oberbegriff für die genannten Ethnien. Zur Ethnographie vgl. u.a. Agnes Teresa MOLLENHAUER, Die Mapuche-Huilliche. Eine archäologische und ethnohistorische Untersuchung zur Besiedlung Südchiles (Arbeiten zur Urgeschichte des Menschen 13), Frankfurt am Main u.a. 1989; Ricardo E. LATCHAM ALFARO, Die Kriegskunst der Araucanos. Chiles Ureinwohner gegen die Conquista. Hrsg. und eingeleitet von Ralf SEIFFERT. Mit einem Beitrag von Paulo SUESS (Sammlung Junius), Hamburg 1988. 9 Zur Bedeutung Havestadts für die Linguistik des Mapudúngún vgl. u.a. Vicente D. SIERRA, Los Jesuitas Germanos en la conquista espiritual de Hispano-América, siglos XVII y XVIII. Prólogo de Ricardo W. STAUDT (Institución Cultural Argentino-Germana, Publicación Nr. 15), Buenos Aires 1944, S. 94; MATTHEI, Havestadt, S. 35–36; P. Eduardo TAMPE MALDONADO SJ, En la huella de San Ignacio. Semblanzas de Jesuitas en Chile, Santiago de Chile 1996, S. 70; Theodore Edward TREUTLEIN, Non-Spanish Jesuits in Spain’s American Colonies, in: Greater America. Essays in Honor of Herbert Eugene Bolton, Berkeley/Los Angeles 1945, S. 219–242, hier S. 231–232. Im Archiv der Deutschen Provinz der Societas Jesu, Münchener Archiv (ADPSJ, Abt. 00/161) ist ein Exemplar der „Tipos Araucanos“ erhalten, darin handschriftliche Eintragungen von P. José Harter SJ vom 16. Juli 1920, in denen er unter den ca. 20 deutschen Mapuchemissionaren des 18. Jahrhunderts besonders Havestadt hervorhebt. Nach Dr. Clemens Brodkorb, 19. März 2003 handelt es sich um ein Bändchen (Santiago de Chile, Manuskript ohne Verfasser- und Jahresangabe) mit 18 Bildtafeln von Mapuche-Indianern. 10 NRW PSA, St. Laurenz, Sign. LK 124, S. 40 (Auskunft Dr. Steinberg, 24. Juli 2003). Im Taufbucheintrag werden die Eltern als „nobiles“ geführt. Geburtsdatum: Archivum Romanum Societatis Iesu (ARSI), Rhen. Inf. 33, fol. 37v (Cat. Prim. 1737); ARSI, Chil. 3, fol. 109r (Cat. Prim. 1751): „Germanus Coloniensis Agripinas.“; ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 355 (Nachlass A. Huonder).

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kolleg11, das er mit dem akademischen Grad eines Magisters abschloss12, trat er am 20. Oktober 1732 in Trier in die Niederrheinische Provinz des Jesuitenordens ein13 und absolvierte ebendort 1732–1734 das Noviziat14, das in die Ablegung der einfachen Gelübde am 21. Oktober 1734 mündete.15 Es folgten die im Jesuitenorden obligatorischen Lehrtätigkeiten in den Klassen der Grammatik und Poetik, zuerst 1735/36 in Hadamar16 und 1736–1740 in Neuss.17 Anschließend absolvierte er 1740–1743 das Theologiestudium in Büren18 und 1743/44 in Münster.19 Am 24. September 1743 empfing er in Büren die Priesterweihe.20 Im Jahr darauf, 11 ARSI, Rhen. Inf. 33, fol. 37v (Cat. Prim. 1737), Chil. 3, fol. 109r (Cat. Prim. 1751). 12 ARSI, Rhen. Inf. 33, fol. 37v (Cat. Prim. 1737): „A.A.L.L. ac Phil. Mag.“. 13 ADPSJ, Sign. 0 - A 14, S. 19v (Arch. Prov. Rhen. Inf. S.J. Liber Sextus. Habet nomina eorum qui emittunt vota Solemnia et Simplicia); ARSI, Rhen. Inf. 33, fol. 37v (Cat. Prim. 1737); Archivo Histórico Nacional Madrid (AHN), Jesuitas, Leg. 826 (8); Archiv des Erzbistums Paderborn, Archiv des Paderborner Studienfonds Paderborn Pa 25, fol. 52–71, hier fol. 61v (Prov. Rhen. Inf. 1676–1753, Auskunft Hermann Josef Schmalor, 27. Februar 2003); ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 355 (Nachlass A. Huonder); Hugo STORNI SJ, Catálogo de los Jesuitas de la Provincia del Paraguay (Cuenca del Plata) 1585–1768 (Bibliotheca Instituti Historici Societatis Iesu, Subsidia ad Historiam Societatis Iesu, Series Minor 9), Rom 1980, S. 137; José Toribio MEDINA (Hrsg.), Diccionario Biográfico Colonial de Chile, Santiago de Chile 1906, S. 393–395. 14 ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 192v (Cat. Brev. 1732/33), fol. 206r (Cat. Brev. 1733/34). Auch 1734/35 in Trier unter „Repetentes“ geführt: Rhen. Inf. 41, fol. 219v (Cat. Brev. 1734/35). 15 ANPSJ, Sign. 0 - A 14, S. 19v. ARSI, Rhen. Inf. 34 I, fol. 19v (Cat. Prim. 1746). 16 ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 235v (Cat. Brev. 1735/36). 17 ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 249v (Cat. Brev. 1736/37), fol. 264r (Cat. Brev. 1737/38), fol. 277v (Cat. Brev. 1738/39), fol. 291v (Cat. Brev. 1739/40), Rhen. Inf. 33, fol. 37v (Cat. Prim. 1737), Rhen. Inf. 33, fol. 168r (Cat. Prim. 1740); AHN, Jesuitas Leg. 826 (8); Gerd WUNDER, P. Bernhard Havestadt, ein deutscher Chilereisender des 18. Jahrhunderts, in: Deutsche Monatshefte für Chile 15 (Concepción de Chile 1934), S. 3–12, hier S. 3. 18 ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 304v (Cat. Brev. 1740/41), fol. 316r (Cat. Brev. 1741/42), fol. 328v (Cat. Brev. 1742/43); AHN, Jesuitas Leg. 826 (8); WUNDER, Havestadt, S. 3. 19 ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 351r (Cat. Brev. 1743/44); MEDINA, Diccionario, S. 393–395; WUNDER, Havestadt, S. 4; zum Gymnasium Paulinum unter Leitung der Jesuiten 1588–1773 vgl. die Festschrift von Rudolf SCHULZE (Hrsg.), Das Gymnasium Paulinum zu Münster 797– 1947. Zur 1150-jährigen Jubelfeier der ältesten humanistischen Lehranstalt Deutschlands, (Geschichte und Kultur 2/3), Münster/Westfalen 1948, hier Kap. 6, S. 41–60; weiteres Zeugnis von Havestadts Wirken am Paulinum: „Theses Physicae. Ex Prologomenis, et de Corpore Naturali in genere [...] 12 Theses I–XII. Defendit in Aulâ Publicâ Gymnasii Paulini Soc. Jesu Monast. Westph. pro mense Martio 1744 menstruam Michael Antonius Frese, Monasteriensis. Opponet manè R. P. Bernard. Havestadt, S.J. AA.LL. ac Phil. Magister à prando ex Physica“. Das Blatt liegt lose einem Exemplar des Jahreskatalogs der Niederrheinischen Jesuitenprovinz von 1746 bei, das sich im Besitz Havestadts befand, heute in: BNC, Sala Medina, Museo Bibliografico Sign AAC 5601: Catalogus personarum et officiorum provinciae Societatis Jesu ad rhenum inferiorem á prima novembris anni MDCCXLV in anni MDCCXLVI. Coloniae, in officina Noetheniana, 1746. Vgl. José Toribio MEDINA (Hrsg.), Biblioteca Hispano-Chilena (1523–1817), 3 Bde., Santiago de Chile 1897–1899, Faksimile Santiago de Chile 1963; Nachdruck Amsterdam 1965, hier Bd. 2, S. 446, Nr. 364. 20 ANPSJ, Sign. 0 - A 14, S. 363r (Arch. Prov. Rhen. Inf. S.J. Liber Septimus. In eo scribuntur qui sacris initiantur); ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 361v (Suppl. Cat. Brev. 1743/44): „Sacris Ordinibus

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1744/45, durchlief er in Haus Geist das Tertiat, d.h. das dritte, abschließende Noviziatsjahr21 und wirkte dann bis 1746 als Volksmissionar in Horstmar.22 Seiner Berufung folgend, in Übersee unter den „Heiden“ den christlichen Glauben zu verbreiten, bewarb Havestadt sich über mehrere Jahre für die Mission, bevor er schließlich zugelassen wurde.23 Eine besondere Qualifikation, die ihm sehr zugute kam, war seine Sprachbegabung – eine Grundvoraussetzung für die Indianermission: Er beherrschte, neben den für Jesuitenpatres obligatorischen klassischen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch auch Spanisch, Französisch, Englisch, Italienisch, Flämisch und Portugiesisch.24 Im Sommer 1746 reiste er von Köln über Amsterdam, Lissabon25, Rio de Janeiro und Buenos Aires26

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Initiati“. Die niederen Weihen (1. Tonsur) hatte er am 31. Mai 1735 in Trier nach dem Noviziat empfangen. Es folgten nach dem 3. Studienjahr der Theologie Subdiakonat, Diakonat und Priesterweihe am 22., 23. und 24. September 1743. ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 371r (Cat. Brev. 1744/45); AHN, Jesuitas Leg. 826 (8). ARSI, Rhen. Inf. 34 I, fol. 19v (Cat. Prim. 1746), Rhen. Inf. 41, fol. 393r (Cat. Brev. 1745/46); Cat. Brev. (Rhen.Inf. 1746), Sp. 33, Nr. 9; AHN, Jesuitas Leg. 826 (8); WUNDER, Havestadt, S. 4; MEDINA, Diccionario, S. 393–395; Erwin BÜCKEN SJ, Havestadt, Bernhard, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 8, Berlin 1969, S. 138. HAVESTADT, Chilidúgú, S. 553. Havestadt war einer von Tausenden junger Jesuiten, die sich im 17. und 18. Jahrhundert für Übersee bewarben. Lebenswege und Motivationen dieser sog. „Indipetae“ untersucht Christoph NEBGEN in seiner Dissertation: Missionarsberufungen nach Übersee in drei deutschen Provinzen der Gesellschaft Jesu im 17. und 18. Jahrhundert (Jesuitica 14), Regensburg 2007. Vgl. DERS., „... dahin zillet mein verlangen und begierd.“ Epistolae Indipetarum der Deutschen Assistenz SJ als Quellengattung, in: Johannes MEIER (Hrsg.), Sendung – Eroberung – Begegnung. Franz Xaver, die Gesellschaft Jesu und die katholische Weltkirche im Zeitalter des Barock (Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika) 8), Wiesbaden 2005, S. 67–97. – Dass ein Bewerber mehrere Missionsgesuche einreichte, bevor er die Bewilligung erhielt, war keine Ausnahme. Die Oberen wollten die Bewerber durch Proben der Geduld und des Willens testen. Die mehrfache Ablehnung bezweckte, nur die Ausdauerndsten zu selektieren. P. Bernhard DUHR SJ, Deutsche Auslandssehnsucht im achtzehnten Jahrhundert. Aus der überseeischen Missionsarbeit deutscher Jesuiten (Schriften des Deutschen Auslands-Instituts Stuttgart, Reihe A: Kulturhistorische Reihe 20), Stuttgart 1928, hier S. 10–33 bietet viele Beispiele für später erfolgreiche Missionare, die erst nach Jahren zugelassen wurden. ARSI, Rhen. Inf. 33, fol. 280v (Cat. Prim. 1743); SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158; WUNDER, Havestadt, S. 4. P. Bernhard HAVESTADT, Des Herrn Abbé Bernhard Havestadt Reise nach Tschile, bis zum Jahr 1748, dessen dortiger Aufenthalt bis zum Jahr 1768, und seine Rückreise nach Westphalen im Jahr 1770, in: Christoph Gottlieb VON MURR (Hrsg.), Nachrichten von verschiedenen Ländern des spanischen Amerikas. Aus eigenhändigen Aufsätzen einiger Missionare der Gesellschaft Jesu, 2 Bde., Halle 1808–1811, Bd. II, Nr. 5, S. 462–496, hier S. 462: „Im Jahr 1746 war ich Missionar zu Horstmar in Westphalen, und sehnte mich bereits seit vielen Jahren, als Glaubensprediger in Indien angestellt zu werden. Unverhofft ward ich nach Chile im mittäglichen Amerika berufen, und reiste über Cöln nach Amsterdam, wo ich 9 Tage blieb. Am 22ten August 1746 kam ich nach Lissabon. Nach zehnmonatlichem Aufenthalt schiffte ich mich den 14ten May des folgenden Jahres nach Rio Janeiro in Brasilien ein, wo wir am 14ten Julius anlangten. Am 10ten November kamen wir nach Buenos Ayres; am 2ten Februar 1748 legte ich das vierte Gelübde ab. Nach einer 41tägigen Reise gelangte ich durch Las Pampas nach Mendoza. Wir verließen daselbst unsere Wagen und ritten auf Mauleseln über die Cordillera, und kam ich nach 14tägiger höchst beschwerlichen Reise mit meinen Reisege-

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nach Santiago de Chile, wo die unter Leitung des Paters Karl Haimhausen (1692– 1767) stehende Expedition am 27. April 1748 ankam.27 Noch während der Reise hatte Havestadt am 2. Februar 1748 in Buenos Aires das vierte, jesuitentypische Professgelübde des besonderen Papstgehorsams abgelegt28 und damit seine Ausbildung komplett abgeschlossen. In Chile, wo er bis 1767 fast zwei Jahrzehnte seines Lebens verbrachte29, wurde er wunschgemäß zum Indianermissionar be-

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fährten nach Sant Yago in Chile, von da nach Concepción, und dann reiste ich bis zum 39sten Grade Süderbreite“. ARSI, Rhen. Inf. 41, fol. 410v (Cat. Brev. 1746/47); SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158. Haimhausens Reisegruppe wie auch die späteren nahmen den Weg über Buenos Aires nach Chile. Die erste deutsche Expedition hingegen war 1685/86 über Panama und Lima gereist, mit katastrophalen Folgen: während der strapaziösen Überfahrt verstarben sechs der 18 Jesuiten an Hunger, Durst, Krankheiten, drangvoller Enge und mangelnder Hygiene. Vgl. Brief des P. Georg Brandt vom 1. Februar 1686 aus Panama, in: P. Joseph STÖCKLEIN SJ (Hrsg.), Der Neue Welt-Bott mit allerhand Nachrichten dern Missionariorum Soc. Jesu. Allerhand so Lehr- als Geist-reiche Brieff, Schrifften und Reise-Beschreibungen, welche von denen Missionariis der Gesellschafft JESU aus den Beyden Indien, und anderen über Meer gelegenen Ländern, meistentheils von 1730. bis 1740. in Europa angelangt seynd. Jetzt zum erstenmal theils aus Hand-schrifftlichen Urkunden, theils aus denen Französischen Lettres Edifiantes verteutscht und zusammengetragen, von Joseph Stöcklein gedachter Societät Jesu Priester, 5 Bde., Augsburg/Graz/Wien 1726–1761, hier Bd. I, Teil 1, Nr. 27, S. 71–73; Literatur: Michael MÜLLER, P. Johann Anton Speckbacher (1652–1685). Ein Passauer Jesuit auf dem Weg nach Übersee, in: Ostbairische Grenzmarken 46 (2004), S. 119–132, hier S. 127–128. ARSI, Chil. 3, fol. 70r (Suppl. Cat. Brev. 1747/48); STORNI, Catálogo, S. 137. Der Münchener Karl Haimhausen ging 1724 nach Chile und wurde dort 1740 zum Prokurator der Provinz in Europa ernannt, um zahlreiche Kandidaten nach Chile zu bringen. Es gelang ihm, 1746– 1748 eine Expedition von 43 Jesuiten ins Land zu holen, davon 14 Spanier (10 Patres und 4 Brüder) und 29 Deutsche (10 Patres und 19 Laienbrüder), d.h. fast 40 Prozent der „deutschen“ Jesuiten (darunter Havestadt) kamen 1748 unter Haimhausen ins Land. Vgl. Michael MÜLLER, Der bayerische Jesuit Karl Haimhausen (1692–1767). Sein Beitrag und seine Korrespondenz zur Organisation der deutschen Chilemission im 18. Jh., in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 67/2 (2004), S. 297–330; SIERRA, Jesuitas, S. 238–251; P. Walter HANISCH-ESPINDOLA SJ, El P. Carlos Haimbhausen S.J. precursor de la industria Chilena, in: Jahrbuch für die Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Lateinamerika 10 (1973), S. 133–206, hier S. 157–172; DERS., Calera de Tango, cuna industrial de Chile, in: Boletín de la Academia Chilena de Historia 93 (1982), S. 159–189, hier S. 167; DERS., El Barroco Jesuita Chileno Siglos XVII y XVIII, in: Archivum Historicum Societatis Iesu 53 (1984), S. 161–191, hier S. 187, Anm. 98. ARSI, Hisp. 30/I, fol. 422 (Vota prof. 4 vot. 1745–1749), Chil. 3, fol. 71v (Suppl. Cat. Brev. 1747/48); ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 355 (Nachlass A. Huonder); STORNI, Catálogo, S. 137. ANPSJ, Sign. 0 - A 14, S. 19v: „in Indiis.“; Francisco ENRICH, Historia de la Compañía de Jesús en Chile, 2 Bde., Barcelona 1891, hier Bd. II, S. 213, 244, 294, 299, 352–353; Victor RONDÓN, 19 canciones misionales en mapudúngún contenidas en el Chilidúgú (1777) del misionero jesuita, en la Araucanía, Bernardo de Havestadt (1714–1781), in: Revista Musical Chilena, Universidad de Chile, Facultad de Artes 187 (1997), S. 5–61; DERS., Música jesuita en Chile en los siglos XVII y XVIII. Primera aproximación, in: Revista Musical Chilena, Universidad de Chile, Facultad de Artes 188 (1997), S. 7–39, hier S. 24–25; Johannes MEIER, Chiloé – Ein Garten Gottes am Ende der Welt, in: Johannes MEIER (Hrsg.), „...usque ad ultimum terrae“. Die Jesuiten und die transkontinentale Ausbreitung des Christentums 1540–

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stimmt und wirkte in Concepción30, Arauco31, San Cristóbal32, San Juan Nepomuceno bei Santa Fé33, Nacimiento34, La Mocha35 und Mendoza.36 Seine missionarische Praxisausbildung erhielt er durch P. Franz-Xaver Wolfwisen (1679–1755), einen erfahrenen, schon siebzigjährigen oberbayerischen Jesuitenpater, der damals bereits seit drei Jahrzehnten (seit 1715) als Indianermissionar gewirkt hatte.37 Von ihm erlernte Havestadt die indigene Sprache des Mapudúngún, in der Wolfwisen ein Meister war.38 Von Ende Oktober 1751 bis März 175239 unternahm er seine erste Missionsreise in das Gebiet zwischen Concepción und Valdivia, worüber er in seinem Tagebuch berichtet. Er reiste von Dorf zu Dorf und vollzog überall seine priesterlichen Aufgaben nach einem bestimmten

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1773 (Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika) 3), Göttingen 2000, S. 183–201, hier S. 195; P. Walter HANISCH-ESPINDOLA SJ, Historia de la Compañía de Jesús en Chile (1593–1955) (Biblioteca Francisco de Aguirre 51), Buenos Aires/Santiago de Chile 1974, hier Bd. II, S. 213–214; DERS., Itinerario, S. 236–239, 289; P. László POLGAR SJ, Bibliographie sur l’histoire de la Compagnie de Jésus 1901–1980, 3 Bde., Rom 1981–1990, hier Bd. III/2, S. 125; SIERRA, Jesuitas, S. 187–190, 298–299, 321–323, 384; Christoph Gottlieb von MURR (Hrsg.), Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur, 17 Theile, Nürnberg 1775–1789 (Deutsche Zeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts), Mikrofiche-Ausgabe Hildesheim 1994, Bd. I, S. 122–123; Johann Christoph ADELUNG, Mithridates, oder allgemeine Sprachenkunde mit dem Vater Unser als Sprachprobe in bey nahe fünf hundert Sprachen und Mundarten, mit Benützung einiger Papiere desselben fortgesetzt und aus zum Theil ganz neuen Hülfsmitteln bearbeitet von Dr. Johann Severin Vater, Berlin 1806–1817, hier Bd. III/2 (1816), S. 404. MEDINA, Diccionario, S. 393–395. Archivo General de Indias, Sevilla (AGI), Audiencia de Chile 154 (Cat. Minist. 1750). Archivo Nacional Histórico de Chile (ANHC), Jesuitas, Bd. 14, Nr. 4, fol. 174. ARSI, Chil. 3, fol. 258v (Cat. Minist. 1755), fol. 144r (Cat. Prim. 1755). Archivo de la Provincia de Chile SJ, Santiago de Chile (APChSJ), Cat. A II 8b, pág 11 (Cat. Minist. 1751); AGI, Chile 99 (Cat. Minist. 1751); ARSI, Chil. 3, fol. 248r (Cat. Minist. 1751), fol. 109r (Cat. Prim. 1751). ARSI, Chil. 3, fol. 254v (Cat. Minist. 1753). AGI, Chile 240 (Cat. Minist. 1764). Vgl. den Missionsbericht Wolfwisens an den Oberdeutschen Provinzial P. Rudolph Burckart vom 1. Februar 1742 aus Santiago de Chile mit vielen landeskundlichen und ethnographischen Beschreibungen in: STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, hier Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, S. 130–140; spanische Edition: P. Mauro MATTHEI PUTTKAMER OSB, Visión de Chile a traves de una carta de un misionero bávaro en 1742, in: Anuario de Historia de la Iglesia en Chile 1 (1983), S. 201–210; DERS./Rodrigo MORENO JÉRIA (Hrsg.), Cartas e informes de misioneros jesuitas extranjeros en Hispanoamérica. Selección, Traducción, Introducción y Notas, 5 Bde. (Anales de la Facultad de Teología. Pontificia Universidad Católica de Chile, Santiago de Chile, 20, 21/3, 23, 48/3 und 52/1), Santiago de Chile 1969–2001, hier Bd. IV, Nr. 99, S. 151–163; Textauszug: DUHR, Auslandssehnsucht, S. 32–33; Literatur: Robert STREIT u.a. (Hrsg.), Bibliotheca Missionum. Bd. III: Amerikanische Missionsliteratur 1700–1909 (Veröffentlichungen des Internationalen Instituts für Missionswissenschaftliche Forschung), Freiburg i.Br. 1927, hier S. 131, Nr. 465; SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. VIII, Sp. 1201. Einen ausführlichen bio-bibliographischen Artikel zu Wolfwisen mit Lebensdaten und Schriften bietet der 2010 erscheinende Band 2 (Chile) des genannten Handbuchs (siehe Anm. 1). TAMPE, Huella, S. 69; MATTHEI, Havestadt, S. 37; MEDINA, Biblioteca Hispano-Chilena, Bd. III, S. 58; WUNDER, Havestadt, S. 4; BÜCKEN, Havestadt, S. 138. Spanische Übersetzung: MATTHEI/MORENO, Cartas, hier Bd. V, Nr. 117, S. 45–74.

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Ablauf: „Der Altar wurde in einem Zelte oder einer Laube aufgestellt, wenn keine Kapelle vorhanden war. Dort wurde Messe gelesen, gepredigt, katechisiert, und wurden die Sakramente gespendet“.40 Am 14. Dezember 1751 erreichte Havestadt mit der Vulkanregion um Villarica die äußerste Grenze seines Missionsgebiets und kehrte zurück in die Basisstation Santa Fé, wo er am Neujahrstag 1752 ankam. Bereits wenige Wochen später, Ende Januar, ging er wieder auf Missionsfahrt, diesmal ostwärts über die Anden-Kordilleren zu den Pehuenches in der transandinen Region Mendoza/Cuyo, von wo er am 25. März 1752 nach Santa Fé zurückkehrte. Havestadt, ein genauer Beobachter und penibler Berichterstatter, dokumentierte sein Itinerar und seine Tätigkeiten in beachtlicher Ausführlichkeit in seinem Tagebuch, das landeskundlich und ethnographisch sehr wertvolle Schilderungen der lokalen Bevölkerungen enthält und dem er eine selbstgezeichnete Karte seines Missionsgebiets beifügte.41 Im Jahre 1751 legte er, stets zu Fuß, in 108 Tagen insgesamt 462 Meilen zurück, im folgenden Jahr in 152 Tagen über 600 Meilen. Dies entsprach einer Wegstrecke von mehr als 2.000 km zwischen dem Rio Maule und dem Vulkan von Villarica.42 Als Bilanz seiner Missionsreise hielt er fest, 1751 800 Paare, darunter 26 Kaziken, verheiratet und 2.130 Kinder getauft zu haben, von denen im Jahr darauf bereits 200 verstorben waren. 1752 spendete er 812 Taufen und 400 Trauungen, darunter die des Häuptlings Anugru. Havestadt errichtete im ersten Jahr 30, im zweiten 16 große Missionskreuze unter den indigenen Gemeinschaften.43 Das Missionstagebuch ist nur für 1751/52 erhalten. Über die drei späteren jährlichen Reisen in den Jahren 1753 bis 1755 liegen daher keine so detaillierten Daten vor. Havestadts aktive Missionstätigkeit endete bereits nach wenigen Jahren – die langen, beschwerlichen und entbehrungsreichen Fahrten forderten ihren Tribut. Gesundheitliche Beschwerden zwangen ihn, sich 1756 ins Hauptstadtkolleg San Pablo zurückzuziehen44, wo er bis 1767 blieb45 und sich der Niederschrift seiner Missionsaufzeichnungen widmete. Dort entstand die erste 40 P. Carlos LEONHARDT SJ, Deutsche Kultur in Chile vor 200 Jahren, Santiago de Chile 1917 (Ms. im ADPSJ München), S. 27–28; ENRICH, Historia, Bd. II, S. 213; J. FERNÁNDEZ, Conocimiento geográfico del Neuquén en el siglo XVIII. Viaje de Bernardo Havestadt a los ríos Varvarco y Neuquén (1752), in: Humanitas 22 (1970), S. 152–163; ausführliche Auszüge aus den Tagebüchern: ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile (Nachlass A. Huonder); WUNDER, Havestadt, S. 4–9. 41 Siehe die Karte auf S. 67: „Mappa Geographica exhibens Provincias, Oppida, Sacella etc., quae mensibus Novembri et Decembri anni 1751 et Januario Februario et Martio anni 1752 peragravit ad Indorum Chilensium terras excurrens P. Bernardus Havestadt è Soc. JESU Missionarius [...].”; Literatur: ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 357 (Nachlass A. Huonder); SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158, Nr. 2; STREIT, Bibliotheca, Bd. III, S. 291–292, Nr. 1004; RONDÓN, Música jesuita, S. 17. 42 Zu dieser Missionsreise ausführlich: WUNDER, Havestadt, S. 4–6; MEDINA, Biblioteca Hispano-Chilena, Bd. III, S. 55–61; spanische Übersetzung: P. Mauro MATTHEI PUTTKAMER OSB in: Sergio VILLALOBOS, Los pehuenches en la vida fronteriza, Santiago de Chile 1989, S. 83–91. 43 WUNDER, Havestadt, S. 9. 44 ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 355 (Nachlass A. Huonder). 45 ARSI, Chil. 7 (Cat. Suj. 1767); HANISCH, Itinerario, S. 289–290.

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Textfassung seines Chilidúgú.46 Bis 1765 war das spanische Manuskript vollendet, das er später in Deutschland ins Lateinische übersetzte und 1777 publizierte.47 König Karl III. setzte mit seinem Edikt vom 27. Februar 176748 den Jesuitenmissionen in ganz Spanisch-Amerika ein gewaltsames Ende – der katholische Monarch, zugleich Patronatsherr über die Kirche in seinen außereuropäischen Territorien49, befahl die rücksichtslose Ausweisung aller Jesuiten, mit Ausnahme weniger transportunfähiger Alter und Kranker. So wurden 1767/68 auf einer Vielzahl von Schiffstransporten unter meist katastrophalen und menschenunwürdigen Bedingungen insgesamt 2.617 Jesuiten nach Europa deportiert, darunter die 360 Angehörigen der Provinz Chile50, so auch Pater Havestadt, der Zeuge der Zerstö46 TAMPE, Huella, S. 69. 47 TAMPE, Huella, S. 69–70; WUNDER, Havestadt, S. 9. 48 ANHC, Jesuitas, Bd. 90, Nr. 1, fol. 1r–2v sowie Bd. 236, fol. 13r–13v. Edition: Colección General de Providencias hasta aquí tomadas por el Gobierno sobre el estrañamiento y ocupación de temporalidades de los regulares de la Compañía, que existían en los Dominios de S.M. de España, Indias, e Islas Filipinas, a consequencia del Real Decreto de 27 de febrero, y Pragmática Sanción de 2 de abril de este año, Madrid 1767, hier Teil I, S. 1–2. Ebenso in: Memorias de los Vireyes que han gobernado el Perú, durante el tiempo del coloniaje español. Bd. IV: Don José Antonio Manso de Velasco, conde de Superunda. Don Manuel Amat y Yunient, caballero de la órden de San Juan (Librería Central de Felipe Bailly), Lima 1859, hier S. 493–494; Teilabdruck: Graciela Fuentes SEPÚLVEDA, Actividad misional jesuita y forma de expresión religiosa en el archipiélago de Chiloé, siglos XVII y XVIII, Santiago 2000, hier S. 73–74. 49 Zum Patronatsrecht der iberischen Kronen Spanien und Portugal in der überseeischen Welt vgl. Johannes MEIER, Conquista, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 2, 3. Aufl. Freiburg i.Br. 1994, Sp. 1298–1300; DERS., Patronat in den Missionen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 3. Aufl. Freiburg i.Br. 1998, Sp. 1484–1486; Michael MÜLLER, Patronat II: Spanische Besitzungen, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6, 4. Aufl. Tübingen 2003, Sp. 1022. 50 P. Anton HUONDER SJ, Deutsche Jesuitenmissionäre des 17. und 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Missionsgeschichte und zur deutschen Biographie (Ergänzungshefte zu den Stimmen aus Maria Laach 74), Freiburg i.Br. 1899, S. 31, Anm. 2; Johannes MEIER, Los Jesuitas expulsados de Chile (1767–1839), sus itinerarios y sus pensamientos, in: Manfred TIETZ/Dietrich BRIESEMEISTER (Hrsg.), Los Jesuitas españoles expulsos. Su imagen y su contribución al saber sobre el mundo hispánico en la Europa del siglo XVIII. Actas del coloquio internacional de Berlin (7–10 de abril de 1999), Madrid/Frankfurt am Main 2001, S. 423–441. Weitere Angaben zur Jesuitenvertreibung aus Chile wird das bio-bibliographische Handbuch (vgl. Anm. 1) bieten. Während die chilenischen und spanischen Jesuiten 1769 in den Kirchenstaat, u.a. nach Imola, geschafft wurden, konnten die meisten Deutschen nach kurzer Haft in ihre Heimat zurückkehren. Die weiteren Lebenswege der „Heimkehrer“ untersucht die Mainzer Dissertation von Uwe GLÜSENKAMP, Das Schicksal der Jesuiten aus der Oberdeutschen und den beiden Rheinischen Ordensprovinzen nach ihrer Vertreibung aus den Missionsgebieten des portugiesischen und spanischen Patronats (1755–1809) (Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft, Reihe 2, 40), Münster/Westfalen 2008; DERS., „Reditus ex missione“. Jesuiten aus der Oberdeutschen und den beiden Rheinischen Provinzen nach der Vertreibung aus den Ländern des spanischen und portugiesischen Patronats, in: MEIER (Hrsg.), Sendung – Eroberung – Begegnung, S. 383–404. Allgemein zur Ausweisung der Jesuiten, vgl. Francisco Javier BRABO, Colección de documentos relativos a la expulsión de

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rung seines Lebenswerkes wurde: Die Mapuche-Mission kam mit der Jesuitenausweisung vielerorts für lange Zeit zum Erliegen. Zwar wurden Franziskanermissionare des südchilenischen Kollegs von Chillán von der römischen Congregatio de Propaganda Fide beauftragt, die Evangelisierung der Indianer fortzusetzen, doch hatten sie nur wechselhafte Erfolge und gaben im Laufe der Zeit eine Reihe von Missionsstationen ganz auf.51 Erst im 19. Jahrhundert nahmen zuerst italienische, dann bayerische Kapuziner das von Jesuiten wie Havestadt begonnene Missionswerk wieder auf, um es, freilich unter völlig veränderten Rahmenbedingungen, bis in die Gegenwart fortzusetzen52, wie z.B. Pater Siegfried von Frauenhäusl, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im gleichen Gebiet wie eineinhalb Jahrhunderte zuvor auch Havestadt wirkte. Auch diese Kapuziner haben das ethnolinguistische Wissen, das sie in jahrelanger Mission sammelten, in Form von Wörterbüchern und Grammatiken festgehalten.53 Bei der Verkündung der Jesuitenausweisung am 26. August 1767 – Havestadt hielt sich zu dieser Zeit noch immer am Kolleg San Pablo in Santiago auf54 – wurden gemäß der königlichen Order alle Papiere und Bücher beschlagnahmt. Sein spanisches Manuskript, an dem er fast ein Jahrzehnt geschrieben und das er

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los Jesuitas de la República Argentina y del Paraguay, en el reinado de Carlos III, Madrid 1872; José Francisco de ISLA SJ, Historia de la Expulsión de los jesuitas (memorial de las cuatro provincias de España de la Compañía de Jesús desterradas del reino a S.M. el Rey Don Carlos III). Estudio introductorio y notas de Enrique Giménez López (Instituto de Cultura «Juan Gil-Albert», Diputación provincial de Alicante), Alicante 1999; sowie P. Francisco SJ MATEUS, La Colección Bravo de documentos jesuíticos sobre América, in: Missionalia Hispánica. Revista Cuatrimestral, editada por el Departamento de Misionología Española XX/59 (Mai–August 1963), S. 129–176. Fr. Joseph GONDAR DE SANTA BÁRBARA O.F.M., Misiones del Colegio de Chillán (Publicaciones del Archivo Franciscano 10), Santiago de Chile 1990; Fray P. Roberto LAGOS O.F.M., Historia de las Misiones del Colegio de Chillán, Barcelona 1908; Holdenis Casanova GUARDA, Presencia franciscana en la Araucanía. Las misiones del Colegio Propaganda Fide de Chillán, 1756–1818, in: Jorge PINTO u.a. (Hrsg.), Misioneros en la Araucanía, 1600–1900, Temuco 1988, S. 121–198; Karin PEREIRA CONTARDO, Educación Indígena en el Reino de Chile: El Real Colegio de Naturales, 1775–1811. Tésis, Pontificia Universidad Católica (Publicaciones del Archivo Franciscano 73), Santiago de Chile 2002; Rodolfo URBINA BURGOS, Las misiones franciscanas de Chiloé a fines del siglo XVIII: 1771–1800 (Serie Monografías Históricas 4), Viña del Mar 1990, S. 6–7; Enrique BRUDNY, Die Wiederaufnahme der Mission in der Araukanie im 18. Jahrhundert: Ein Beitrag zur chilenischen Kirchengeschichte, Diss. Münster 1971, S. 211–276. Albert Othmar NOGGLER OFMCap, 450 Jahre Araukanermission. 100 Jahre Missionsarbeit der Bayerischen Kapuziner, in: Hermann HOLZBAUER (Hrsg.), „Sage nicht: ich bin zu jung...“. 100 Jahre Mission der Bayerischen Kapuziner bei den Araukaner-Indianern in Chile. Dokumentation und Katalog der Ausstellung der Universitätsbibliothek Eichstätt (Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt 32), Frankfurt am Main 1996, S. 69–105. Vgl. María CATRILEO, Glossar der Wörter in der Sprache der Mapuche (mapudungun), in: Carmen ARELLANO HOFFMANN/Herrmann HOLZBAUER/Roswitha KRAMER (Hrsg.), Die Mapuche und die Republik Chile. Pater Siegfried von Frauenhäusl und das Parlament der Mapuche von 1907 in Coz Coz (Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt 56), Wiesbaden 2006, S. 433–472. AHN, Jesuitas Leg. 826 (8); STORNI, Catálogo, S. 137; HANISCH, Itinerario, S. 289–290.

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achtmal überarbeitet hatte, wurde ihm entrissen. Nur einen Teil erhielt er später von einem spanischen Soldaten zurück.55 Zusammen mit den übrigen Jesuiten wurde er am 20. Juni 1768 aus Valparaíso zurück nach Europa verschifft.56 Sein Weg führte über Callao bei Lima, Panama, Porto Bello, Cartagena und Havanna nach Cádiz. Dort wurde er am 26. Mai 1769 verhört57 und blieb bis zum 4. September 1770 im Kloster Victoria inhaftiert.58 Aus spanischer Haft entlassen, kehrte er Ende 1770 nach Münster zurück59, wo über zwei Jahrzehnte zuvor seine Reise begonnen hatte. Noch 1771 zog er nach Haus Geist um, wo er bis zur Ordensaufhebung 1773 blieb60 und als Seelsorger und Beichtvater fungierte.61 Er nutzte die ihm verbleibende Zeit zur Vollendung seines literarischen Lebenswerkes. Die erhalten gebliebenen Teile seines Manuskripts übersetzte er ins Lateinische: Am 26. August 1772 stellte er seine araukanische Grammatik fertig, zwölf Tage später das Itinerar, am 27. September das Wörterbuch, zuletzt am 9. Oktober 1772 die Widmung. 1773 war sein Werk druckreif, doch vereitelten die Wirren der weltweiten Ordensaufhebung vorerst eine rasche Publikation: Im November 1773 wurde das Breve Dominus ac Redemptor noster von Papst Clemens XIV. vom 21. Juli 177362 im Fürstbistum Münster verkündet und damit auch die Kommunität auf Haus Geist aufgelöst.63 Havestadt musste zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre auf Druck kirchlicher wie staatlicher Behörden seinen gewohnten Wirkungskreis verlassen, wenngleich die Ordensauflösung in der Germania Sacra deutlich weniger gewaltsam vollzogen wurde als in Ibero-Amerika oder den bourbonischen Staaten Europas.64 Aus dem Vermögen der Ex-Jesuiten 55 56 57 58 59 60

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WUNDER, Havestadt, S. 10. WUNDER, Havestadt, S. 10, gibt abweichend den 29. Juni an. AHN, Jesuitas Leg. 826 (8). WUNDER, Havestadt, S. 10. Stationen der Rückkehr bei: MURR, Nachrichten, S. 491. HAVESTADT, Chilidúgú, S. 533–536; BNC, Sala Medina, Bd. 194, Nr. 4575, fol. 78; ANHC, Jesuitas, Bd. 431, Nr. 103, fol. 274; ANHC, Eyzaguirre, Bd. 15, Nr. 3, fol. 8; HANISCH, Itinerario, S. 289; MEDINA, Diccionario, S. 393–395; SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158; WUNDER, Havestadt, S. 9–10; BÜCKEN, Havestadt, S. 138. Staatsarchiv Münster, Studienfonds Münster, Nr. 4821, fol. 289 (Jesuitenkatalog Hochstift Münster 1773). Vgl. Karin FRAMMELSBERGER, „Dominus ac Redemptor“. Die Aufhebung des Jesuitenordens im 18. Jahrhundert, in: Geist und Leben. Zeitschrift für Christliche Spiritualität 63 (1990), S. 373–382. Auf Haus Geist lebten 1773 35 Jesuiten: 24 Priester (darunter Bernhard Havestadt), ein Scholastiker und zehn Laienbrüder: StA Münster, Studienfonds Münster, Nr. 4821, fol. 292. Vgl. Michael MÜLLER, La suppression des Jésuites dans le Royaume de France en 1764 et la réorganisation du Collège de Louis-le-Grand par le Parlement de Paris. Analyse des sources manuscrites conservées dans les Archives Nationales et dans la Bibliothèque Nationale de France, Paris, in: Francia 28/2 (2001), S. 155–161; DERS., Ausgewählte Quellen zur Jesuitenaufhebung in Frankreich 1761–1765, in: Francia 30/2 (2003), S. 159–212. Zur Zerstörung der Jesuitenbibliotheken vgl. DERS., Die Bibliothèque Desbillons in Mannheim (1764–1789) als Beispiel französisch-jesuitischer Gelehrsamkeit im Umfeld des Mannheimer Hofes des Kurfürsten Karl-Theodor. Ein bibliotheksgeschichtlicher Beitrag zum Karl-Theodor-Jahr 1999/2000, in: Mannheimer Geschichtsblätter 6 (1999), S. 255–264; DERS., Der Pollinger Prälat Franz Töpsl (1711–1796) und die Jesuitenbibliotheken. Ein Kapitel bayerischer Biblio-

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wurde ein Fonds geschaffen, der u.a. zur Versorgung der ehemaligen Ordensangehörigen diente. Daraus wurde Havestadt mit einer Pension von 135 Reichstalern abgefunden65 und zog noch 1773 zurück nach Münster.66 Erst im März 1775 konnte er in Köln die erzbischöfliche Druckerlaubnis erhalten, doch fehlte ihm das Geld für den Druck. Sein früherer Schulfreund Johann Wilhelm von Oidtmann (1712–1789)67, zu dieser Zeit Stiftsgeistlicher in St. Mauritz zu Münster, stellte ihm die nötigen Mittel zur Verfügung.68 Ein wichtiger Helfer und Ratgeber war auch der Nürnberger Verleger Christoph Gottlieb von Murr (1733–1811)69,

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theksgeschichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Bibliotheksforum Bayern 28/3 (2000), S. 285–293; zur Situation in Kurmainz vgl. DERS., Die Jesuiten (1542–1773), in: Friedhelm JÜRGENSMEIER (Hrsg.), Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte, 3. Teil: Neuzeit und Moderne, Teilband 3/1, Würzburg 2002 (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6/3), S. 642–699; DERS., Ein Mainzer Ex-Jesuit in Paris: Theodor Roppelt, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 52 (2000), S. 231–237. Staatsarchiv Münster, Studienfonds Münster, Nr. 4821, fol. 105r; Staatsarchiv Münster, Fürstbistum Münster, Kabinettsregistratur 2937, fol. 14r, 27r (Aufhebungsakten Jesuiten Fürstbistum Münster 1773ff.). Havestadt zog am 6. November 1773 von Haus Geist nach Münster um. HAVESTADT, Chilidúgú, S. 535: „[...] Geistam, ubi haec scribebam 15. Septembris 1772, qui modo sum Monasterii Westphaliae apud Consanguineos Uedinck”; Literatur: BÜCKEN, Havestadt, S. 138. Zu dessen Vita vgl. Herbert M. SCHLEICHER, Ernst von Oidtman und seine genealogischheraldische Sammlung in der Universitäts-Bibliothek zu Köln. Aus den handschriftlichen Aufzeichnungen für den Druck bearbeitet, ergänzt und mit Registern versehen, 18 Bde. (Veröffentlichungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde e.V. 58), Köln 1992– 1999, hier Bd. I, S. 94. „At nunc 1777 ad hunc meum librum, cum sub praelo moraretur diutius, quantocius finiendum, perhumaniter mihi dedit mutuos centum imperiales, brevi ut spero, Deo juvante, solvendos“: HAVESTADT, Chilidúgú, S. 951; LEONHARDT, Chile, S. 29. Zur Vita vgl. die Biographie des protestantischen Pfarrers Johann Ferdinand Roth, die dieser kurz nach Murrs Tod veröffentlichte, zusammen mit einem Auktionskatalog von Murrs Bibliothek: Johann Ferdinand ROTH, Catalogus Librorum quos V.C. Christophorus Theophilus de Murr [...] collegerat, Nürnberg 1811, S. III–XXVII, sowie die Beiträge von: Ernst MUMMENHOFF, Murr, Christoph Gottlieb von, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 23, ND Berlin 1970, S. 76–80; Peter WOLF, Protestantischer „Jesuitismus“ im Zeitalter der Aufklärung. Christoph Gottlieb von Murr (1733–1811) und die Jesuiten, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 62 (1999), S. 99–137; Alois HOCH, Christoph Gottlieb von Murr, in: Christoph von IMHOFF (Hrsg.), Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, 2. Aufl. Nürnberg 1989, S. 225–227; Christoph NEBGEN, Murr, Christoph Gottlieb von, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5, 4. Aufl. Tübingen 2002, Sp. 1590. Murr war einer der produktivsten Publizisten des 18. Jahrhunderts. Ein komplettes Werkverzeichnis findet sich bei Clemens Alois BAADER, Lexikon verstorbener baierischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, Augsburg 1824, ND Hildesheim 1971, S. 51–59; Christoph HAMBERGER/Johann Georg MEUSEL, Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, 5. durchaus vermehrte und verbesserte Ausgabe, Bd. V, Lemgo 1797, S. 361–366. Der Nachlass Murrs befindet sich zum umfangreicheren Teil in der Bayerischen Staatsbibliothek München, Murriana, Clm 27161, der kleinere Teil im Historischen Archiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.

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der später separat den Reisebericht edierte.70 Havestadt, der beim Erscheinen seines Hauptwerks 1777 bereits entkräftet und fast erblindet war71, überlebte die Veröffentlichung nur um wenige Jahre und starb Ende Januar 1781 mit 67 Jahren in Münster/Westfalen.72 In seinen letzten Lebensjahren hat er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seiner Krankheiten nicht mehr an seinen übrigen Werken weiter arbeiten können – er hatte eine verbesserte und erweiterte Neuausgabe des chilenisch-spanischen Wörterbuchs des P. Luis de Valdivia geplant73, doch blieb es bei der Absicht, weil nicht nur seine Gesundheit, sondern auch die Knappheit der Finanzen weitere Publikationen vereitelten.74

II. AUFBAU UND INHALT DES CHILIDÚGÚ Das dreibändige, mit fortlaufender Seitenzählung durch alle Bände versehene Werk ist – in der mit Kupferstichen von Hieronymus Strübel verzierten75 Erstausgabe – in sieben Teile (Partes I-VII) und 866 Paragraphen gegliedert76: Auf die 70 MURR, Nachrichten, S. 462–496; DERS., Journal, Bd. I, S. 122–123: Zur Sprachenkunde, Abt. 3: „Von der Sprache in Chili“; Literatur: ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 356 (Nachlass A. Huonder); SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158, Nr. 1; BÜCKEN, Havestadt, S. 138; MEDINA, Diccionario, S. 393–395; DERS., Noticias, S. 159; STREIT, Bibliotheca, Bd. III, S. 508, Nr. 1479. 71 Vgl. MURR, Nachrichten, hier Bd. II, S. 454–455. 72 Bistumsarchiv Münster, PfA Münster St. Martini, KB 15, Bl. 84 (Totenbuch 1759–1810): Beerdigung am 30. Januar 1781 auf dem Martinikirchhof: „R. D. Bernardus Havestadt, exjesuita, senio et subita morte abruptus, hora quarta sepultus in coemiterio summae aedis“ (Auskunft Barbara Steinberg, 7. Oktober 2003, sowie Dr. Jörg Wunschhofer, 7. Oktober 2003). Das Todesdatum geht aus dem Eintrag nicht hervor. Den „21. Januar 1781“ nennen: P. Joseph FEJÉR SJ, Defuncti secundi saeculi Societatis Iesu, 1641–1740, 5 Bde., Rom 1985–1990 (Curia Generalis Societatis Iesu, Institutum Historicum Societatis Iesu), Bd. 2, S. 287; ARSI, Hist. Soc. 50, 116r (Rhen. Inf.); MURR, Nachrichten, Bd. II, S. 455; STORNI, Catálogo, S. 137; HANISCH, Itinerario, S. 289–290; SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158. Dagegen „28. Januar 1781“: WUNDER, Havestadt, S. 11 und BÜCKEN, Havestadt, S. 138. 73 ADELUNG, Mithridates, Bd. III/2, S. 404. 74 SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158; DRIVER, Bibliotheca, S. 54–55. 75 SIERRA, Jesuitas, S. 312–313. Hieronymus Strübel war seit ca. 1750 in Münster tätig. Im Bistumsarchiv Münster ist belegt, dass er am 17. September 1751 heiratete und am 19. September 1811 starb. Literatur zu Leben bzw. Werk existiert nicht. Strübel hat für Aschendorff als Petschierstecher und Graveur gewirkt und schuf die Frontispizien von Gebetbüchern (Westfälisches Landesmuseum Münster, Dr. Gerd Dethlefs, 21./28. Juli 2003). 76 Vgl. Herbert E. BREKLE/Hans Jürgen HÖLLER, Havestadt, P. Bernhard SJ, in: Herbert E. BREKLE u.a. (Hrsg.), Bio-bibliographisches Handbuch zur Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts. Die Grammatiker, Lexikographen und Sprachtheoretiker des deutschsprachigen Raums mit Beschreibungen ihrer Werke, Bd. 4, Tübingen 1996, S. 131–133; Friedrich Karl Theodor ZARNCKE, Literarisches Centralblatt für Deutschland Nr. 299 (Leipzig 1883/84), Sp. 693; TOVAR/LARRUCEA DE TOVAR, Catálogo de las lenguas, S. 362; Carlos KELLER, Por la Gloria de Díos. La obra de Jesuitas de la Asistencia Germana en la América Española durante el Barroco y en especial la del misionero araucano, padre Bernardo Havestadt, Santiago de

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(I.) Grammatik folgt (II.) eine Übersetzung des Indiculus von P. Franciscus Pomey77 ins Araukanische, einer umfassenden Beschreibung aller Dinge im Himmel und auf Erden, beginnend mit der Erschaffung der Welt ex nihilo durch Gott, Beschreibungen der Dreieinigkeit, der Heiligen Familie, der Erzengel, Engel, Heiligen, Seligen, Propheten, Apostel, Märtyrer und Patriarchen sowie der Sakramente der Kirche. Es folgen die natürlichen Dinge, Sterne, Planeten, Meteore, Luft, Erde, Wasser und Feuer, Tiere und Pflanzen etc., (III.) ein araukanischer Katechismus, (IV.–V.) das chilenisch-lateinische Wörterbuch sowie eine Probe seines spanischen Manuskripts, das ihm 1768 weggenommen wurde, (VI.) eine Abhandlung über die Mapuche-Musik mit einigen Seiten Musikpartituren von ihm übersetzter christlicher Gebete und Lieder78 und (VII.) das lateinische Diarium79, d.h. der detaillierte Reisebericht über seine Missionsfahrten durch bis dahin von Europäern fast unberührte Landschaften (mit Kartenanhang), den Murr ins Deutsche übersetzte, sowie das in lateinischen Konsonantenversen verfasste und in drei Gesänge untergliederte Gedicht Lachrymae salutares.80 Havestadts Chilidúgú enthält

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Chile 1967 (Ms.); ADPSJ, Abt. 47, Mappe Chile, S. 357–360 (Nachlass A. Huonder); MEDINA, Noticias, S. 161; DERS., Biblioteca Hispano-Chilena, Bd. III, Nr. 543, S. 55–61; STREIT, Bibliotheca, Bd. III, S. 291–292, Nr. 1004, S. 635, Nr. 1946. „Indiculus universalis R.P. Pomey SJ in linguam chilensem translatus, additisque exemptis quamplurimis ad facilius addiscendum auctus“, Lyon 1705. Notenbeispiele aus den Missionsliedern im Chilidúgú bietet: Victor RONDÓN, Música y Evangelización en el cancionero „Chilidúgú“ (1777) del padre Havestadt, misionero jesuita en la Araucanía durante el siglo XVIII, in: Manfred TIETZ/Dietrich BRIESEMEISTER (Hrsg.), Los Jesuitas españoles expulsos. Su imagen y su contribución al saber sobre el mundo hispánico en la Europa del siglo XVIII. Actas del coloquio internacional de Berlin (7–10 de abril de 1999), Madrid/Frankfurt am Main 2001, S. 557–579, hier S. 564–567. Havestadts Missionserlebnisse in Tagebuchform in der Erstausgabe, S. 893ff. Originaltitel Bd. II: Chilidúgú pars tertia. Catechismus in prosa & versu. Tomus II. Monasterii Westphaliae Typis Aschendorfianis 1777. Neuausgabe: Bd. II, S. 537–810. Band II enthält die pars tertia (Catechismus in prosa et versu) und pars quarta (voces Indicae ordine alphabetico, adjectis numeris, ubi singulae plenius & copiosus explicantur). Pars quinta (voces latinae eodem ordine & adjectis numeris), hier eingeschoben eine Probe des spanischen Texts; pars sexta (Notae Musicae ad canendum in Organo cantiones Partis tertiae a n. 650 usque ad n. 676) und pars septima (Mappa geographica cum Diario & ). Band III (in der Neuausgabe Bd. II, S. 811– 954). Titel: Chilidúgú pars quinta. Voces latinae eodem ordine et adjectis numeris Tomus III. Monasterii 1777. Enthält: Chilidúgú, pars sexta (Notae Musicae...) u. pars septima (Mappa Geographica...). Diese enthält den Reisebericht in Latein und Auskünfte über die Jesuiten in Chile. Dieser Bericht endet auf S. 951 der Leipziger Neuausgabe von Platzmann mit einem Dank an den Dekan und Senior von St. Mauritz, Johann Wilhelm von Oidtmann aus Köln. Dann folgen die Noten zu den Liedern in Pars III, Nr. 650–676, zuletzt die Karte. SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. IV, Sp. 157–158, Nr. 2. HAVESTADT, Chilidúgú, S. 599: Lachrymae Salutares, quibus per Dei Omnipotentis misericordiam, Verbi Incarnati merita, Sanctorumque et praecipue B. V. Mariae immaculatè conceptae Intercessionem impetremus; ut Post lacrymarum Salutarium nubila in Terris, Phaebus occasum nesciens nobis feliciter oriatur in Coelis. Edition: Lachrymae salutares. Opera Bernardi Havestadt. Editionem novam immutatam curavit Dr. Julius Platzmann. Lipsiae, in Aedibus B.G. Teubneri, Leipzig 1898. Format 8°, 78 Seiten. Exemplare: BNC, Sala Medina AAC5954 sowie Biblioteca Pública de Turín (P. José Eugenio de URIARTE SJ, Catálogo razonado de obras anónimas y seudónimas de autores de la Compañía de Jesús con un

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nicht zuletzt eine ausgesprochen eindrucksvolle Sammlung von chilotischen Liedern, die eine große Bedeutung im Missionsalltag hatten, insbesondere für die Jugendkatechese. Dabei wurden nämlich stets Lieder gesungen sowie Feste und Theaterspiele inszeniert, welche die lokalen religiösen Traditionen, Mythen, Glaubensinhalte, Tänze und Bräuche mit berücksichtigten. Dass es ihm gelang, grundlegende Begrifflichkeiten des christlichen Glaubens in die MapucheSprache zu übersetzen – angesichts der eingeschränkten abstrakten Ausdrucksmöglichkeiten dieser Sprache eine äußerst schwierige Aufgabe – war eine Frucht seiner jahrelangen Missionsarbeit.

III. DIE CHILEMISSION – RAHMENBEDINGUNGEN UND ORGANISATIONSFORMEN Havestadt war einer von insgesamt 74 zentraleuropäischen Jesuiten (35 Patres und 39 Brüder), die im 17. und 18. Jahrhundert nach Chile kamen.81 Zur Zeit der Ausweisung 1767 lebten noch 42 dieser „Deutschen“ im Lande, davon 16 Patres, 24 Brüder und zwei Novizen.82 Die restlichen 32 waren entweder bereits ausgeschieden (zwei Laienbrüder) oder verstorben (18 der 35 Patres sowie zwölf der 39 Brüder) – als letzter starb Haimhausen am 7. April 1767 in Santiago de Chile, wenige Monate vor der Ausweisung.83 Diese 42 „Deutschen“ – sie machten knapp 12 Prozent der insgesamt 360 Jesuiten zählenden Provinz Chile aus84 – waren bis

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apéndice de otra las mismas, dignas de especial estudio bibliográfico, 5 Bde., Madrid 1904– 1916, hier Bd. II, Nr. 3408, S. 477–478); Literatur: MEDINA, Biblioteca Hispano-Chilena, Bd. III, S. 56). Da das der Platzmann-Edition von 1883 zugrunde liegende Exemplar unvollständig war, wurde das Poem 1898 von ihm separat ediert. MEDINA, Noticias, S. 161; STREIT, Bibliotheca, Bd. III, S. 683, Nr. 2176. Offenbar ging Platzmann irrigerweise davon aus, das Chilidúgú und die Lacrymae seien verschiedene Werke. HANISCH, Itinerario, S. 289–290. Erstmals können in dem 2010 erscheinenden bio-bibliographischen Band über Chile verlässliche Zahlen geboten werden: Michael MÜLLER, Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesischund Spanisch-Amerika. Ein bio-bibliographisches Handbuch mit einem Überblick über das außereuropäische Wirken der Gesellschaft Jesu in der frühen Neuzeit, Bd. 2: Chile (1618– 1772), hrsg. von Johannes MEIER, Münster, voraussichtlich 2010. Einen ersten Überblick bietet Michael MÜLLER, Zentraleuropäische Jesuiten in Chile im 17./18. Jahrhundert – Eine Bilanz der bio-bibliographischen Forschung, in: Rolf DECOT (Hrsg.), Expansion und Gefährdung – Amerikanische Mission und Europäische Krise der Jesuiten im 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 63), Mainz 2004, S. 41–65; DERS., Das soziale, wirtschaftliche und politische Profil der Jesuitenmissionen. Versuch einer umfassenden Annäherung am Beispiel der Provinzen Chile und Paraguay, in: MEIER (Hrsg.), Sendung – Eroberung – Begegnung, S. 179–222. ANHC, Eyzaguirre, Bd. 15, Nr. 3, fol. 8–11, SILVA, Catálogo Eyzaguirre, S. 101. Vgl. MÜLLER, Haimhausen, S. 297–330. ADPSJ, Sign. Abt. 0, Nr. V 1, Abdruck: P. Auguste CARAYON SJ (Hrsg.), Documents inédits concernant la Compagnie de Jésus, 23 Bde., Poitiers 1863–1886, Bd. XVI (1867), S. 307 sowie: Anales de la Universidad de Chile. Memorias científicas y literarias, Bd. XXXIII, Santiago de Chile 1874, Memorias literarias, S. 107; Dt.: LEONHARDT, Chile, S. 52–57.

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1767 zu einem ganz überwiegenden Teil in den südchilenischen Indianermissionen eingesetzt gewesen. Hierbei sind zwei Gebiete zu unterscheiden, in denen die Evangelisierung denkbar unterschiedliche Erfolge zeitigte, nämlich einerseits das festländische Mapuchegebiet südlich des Rio Bíobío, die Araukanie, und andererseits der Archipel von Chiloé.85 In beiden Gebieten begannen die Jesuiten, von vereinzelten früheren Versuchen abgesehen, etwa zur gleichen Zeit, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, mit ihren Wandermissionen.86 Diese Wandermission war kennzeichnend für die Frühphase jesuitischer Glaubensverkündigung in Übersee. Wo immer möglich, versuchten die Missionare im Laufe der Zeit die Sesshaftmachung der Indigenen, so etwa in Paraguay. Dort aber, wo es die äußeren Umstände – die Lebensweise der Indigenen, aber auch die Geographie und das Klima – erforderten, wurde die mobile Mission beibehalten, so besonders in Chile. Während dieses Modell in der Araukanermission von Anfang an mit großen, schier unlösbaren Problemen belastet war, die bereits an anderer Stelle ausführlich dargestellt wurden87, funktionierte es auf Chiloé über gut 150 Jahre mit großem Erfolg. Diese im 17. und 18. Jahrhundert kaum erschlossene, unwegsame und ausgedehnte Inselwelt vor der südchilenischen Küste, bestehend aus der Isla Grande und über 20 kleineren Inseln88 mit mehr als 25.000 Quadratkilometern Gesamtfläche, zählte über 10.000 Gläubige in 77 von den Jesuiten gegründeten Kapellengemeinden, sog. Capillas – halbnomadische christianisierte Dorfgemeinschaften mit zumeist wenigen Dutzend Familien. Chiloé wurde bis 1767, abgesehen von wenigen Weltpriestern, ausschließlich von Jesuiten betreut.89 Der Personalmangel 85 Vgl. MEIER, Chiloé, S. 183–201; P. Walter HANISCH-ESPINDOLA SJ, La isla de Chiloé, capitania de rutas australes (Academia Superior de Ciencias Pedagógicas de Santiago, Serie Editorial), Santiago de Chile 1982; Jorge SCHWARTZENBERG/Arturo MUTIZÁBAL, Monografía geográfica e histórica del archipiélago de Chiloé, Santiago de Chile 1926; Macarena PONCE DE LEÓN ATRIA, Historia institucional de la iglesia de Chiloé en los siglos XVII, XVIII y XIX, Santiago de Chile 1996; Fernando SILVA VARGAS, Chiloé, a fines del siglo XVIII, in: Boletín de la Academia Chilena de la Historia 99 (1988), S. 489–493; Juan CONTRERAS A. u.a., La Población y la economía de Chiloé durante la Colonia (1567–1826). Un ensayo de interpretación (Universidad de Concepción, Instituto Central de Historia), Concepción 1971; P. Gabriel GUARDA GEYWITZ OSB, Centros de Evangelización en Chile 1541–1826 (Anales de la Facultad de Teología, Pontificia Universidad Católica de Chile 35/1984), Santiago de Chile 1986. 86 Vgl. Rodrigo MORENO JERIA, Fundamentos misioneros de la Compañía de Jesús y su primera incorporación a la evangelización de América, in: Intus-Legere 3 (2000), S. 247–255; P. Carlos LEONHARDT SJ u.a. (Hrsg.), Cartas anuales de la provincia del Paraguay, Chile y Tucumán, de la Compañía de Jesús. Bd. 1: 1609–1614 (Universidad de Buenos Aires, Facultad de Filosofía y Letras, Instituto de Investigaciones Históricas XIX), Buenos Aires 1927, S. LXVI; RONDÓN, Música y Evangelización, S. 569. 87 Vgl. MÜLLER, Profil der Jesuitenmissionen, S. 179–222 (dort Quellen und Literatur). 88 STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, S. 133, hier die Zahl von 21 Inseln. 89 Rodolfo URBINA BURGOS, Aspectos de la actividad misional del colegio Jesuita de Castro en los siglos XVII y XVIII, in: Anuario de Historia de la Iglesia en Chile 4 (1986), S. 77–96; DERS., El tiempo religioso en las misiones jesuiticas de Chiloé en los siglos XVII y XVIII, in: Actas de la 1a y 2a jornadas internacionales entorno al Barroco Europeo y Americano,

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erlaubte nicht, jeder der zahlreichen Gemeinden dauerhaft einen eigenen Missionar zuzuweisen, so dass stattdessen zwei Patres von Castro aus – dem Hauptort des Archipels, zugleich Standort des damals südlichsten Jesuitenkollegs nicht nur der Provinz Chile, sondern der ganzen Welt – alle Kapellen jährlich einmal für wenige Tage besuchten, Messen zelebrierten, Prozessionen abhielten, Sakramente spendeten und Katechese erteilten. Anschließend zogen sie weiter zur nächsten Gemeinde. Diese Misión circular war keine von den Bedingungen des Augenblicks inspirierte Improvisation, sondern ein effizient geplantes System der Wandermission, deren Ablauf in zeitgenössischen Texten minutiös beschrieben wurde, so z.B. von den Patres José García90 und Franz Xaver Wolfwisen.91 Die Route und die Reihenfolge der zu besuchenden Capillas waren genau festgelegt, ebenso die Dauer des jeweiligen Aufenthalts in jeder Gemeinde. Anders wäre es gar nicht möglich gewesen, wirklich alle 77 Gemeinden jährlich zu besuchen und seelsorgerisch zu betreuen. Ausdrücklich betonte die Instruktion des Provinzials Balthasar Hueber von 1764, die Indianermissionare müssten sich, trotz aller Arbeitsbelastung, Zeit für jeden Einzelnen nehmen und sich sehr gut auf die Sakramentespendung vorbereiten: Schließlich müssten die Patres immer an ihren religiösen Vorbildcharakter denken, da sie zumeist die ersten und einzigen weißen Christen waren, mit denen die Indianer auf Dauer mit einer gewissen Regelmäßigkeit in Kontakt kamen.92

IV. SPRACHVERMITTLUNG IM EUROPÄISCH-AMERINDISCHEN KULTURKONTAKT Nur einmal jährlich konnten die Patres die Gemeinden besuchen, das restliche Jahr über wurden sie von indigenen Laienkatecheten, den sog. Fiscales betreut.93

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Valparaíso 1981–1983, hrsg. von der Universidad Católica de Valparaíso, Serie Conclusiones IV, Valparaíso 1985, S. 151–158; DERS., La periferia meridional indiana. Chiloé en el siglo XVIII. Prólogo de Luis NAVARRO GARCÍA (Universidad Católica de Valparaíso, Serie Investigación), Valparaíso 1983; DERS., Las misiones franciscanas de Chiloé a fines del siglo XVIII: 1771–1800 (Serie Monografías Históricas, Editorial Elártole 4), Viña del Mar 1990. P. José GARCIÁ SJ, Diario del viaje i navegacion hechos por el Padre José Garcia de la Compañía de Jesús desde su misión de Cailín, en Chiloé, hacia el sur en los años 1766 i 1767, in: Anuario Hidrográfico de la Marina de Chile 14 (Santiago de Chile 1889), S. 3–47. STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, S. 132–133. „Instrucción para los misioneros de Chile“ (Mocha, 30. Juli 1764). Das Original blieb im Besitz des Don Pedro G. de Echenique, des Gobernadors von Valdívia. Abschrift von P. Benito Delgado im Franziskanerarchiv Chillán. Editionen: Fray P. Roberto LAGOS O.F.M., Historia de las misiones del colegio de Chillán, Barcelona 1908, Bd. I, S. 40, 175; ENRICH, Historia, Bd. II, S. 270–277; LEONHARDT, Chile, S. 63. STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, S. 132; Esteban BARRUEL, Los Fiscales de Chiloé: una ruta devocional (Ediciones Orígines), Santiago de Chile 1997; Soledad NARANJO MELO, Aproximación a las expresiones religiosas contemporáneas de Chiloé: sincretismo y religiosidad. Tesis de Antropología, Universidad Austral, Valdivia

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Auch für die Verständigung mit den Indigenen waren die Jesuiten auf diese bilingualen Vermittler angewiesen, die ihnen vor Ort wichtige Dienste leisteten: Es waren lokale Bewohner, die rascher als andere Gruppenmitglieder Vertrauen zu den Missionaren fassten und auch umgekehrt schnell deren Vertrauen gewannen. Wegen der großen Verantwortung, die mit dem Amt des Fiscal verbunden war – er hatte nicht nur die Katechese während seiner Abwesenheit fortzusetzen, immerhin mehr als 98 Prozent des Jahres, sondern auch die Gemeinde stellvertretend zu überwachen – musste sichergestellt sein, dass nur zuverlässige Personen damit betraut wurden und der Missionar ihnen genaue Instruktionen gab und Rechenschaft abverlangte. Somit kam ihnen durchaus die Funktion von „Agenten“ des Missionars zu, insbesondere im Hinblick auf die Jugenderziehung. Dazu mussten die Fiscales über die Fähigkeit verfügen, über das Medium ihrer Sprache, des Veliche, die fremdartigen religiösen Inhalte, Rituale und Vorstellungen des christlichen Glaubens den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft verständlich zu machen. Im Rahmen der Katechese wurden aber auch verstärkt nonverbale Instrumentarien eingesetzt, wie z.B. religiöse Feste und Theaterspiele in chilotischer Sprache, die das lokale Kolorit und den geistigen Horizont der Insulaner einbezogen. So konnten deren Mythen, Glaubensinhalte, Tänze und Bräuche in den Missionsalltag Eingang finden. Eine eindruckvolle Sammlung von solchen chilotischen Missionsliedern enthält auch Havestadts Chilidúgú.94 Die Fiscales wuchsen in die Rolle als Sprachvermittler hinein, lernten Spanisch und brachten umgekehrt dem Missionar die indigene Sprache bei. Später 1993; Fr. Luis Alberto NAHUELANCA MUÑOZ O.F.M., Los Apóstoles del Archipiélago: un estudio misionológico de la institución laical de los fiscales en la iglesia local de Chiloé (Chile). Tesis de Licenciatura en Misionología, Cochabamba/Bolivia 1998; P. Gabriel GUARDA GEYWITZ OSB, El Apostolado seglar en la Cristianización de América: la institución de los fiscales, in: Historia (Santiago de Chile) 7 (1968), S. 205–225; Hernán MONTECINOS BARRIENTOS/Ignacio SALINAS JAQUE/Patricio BASÁEZ YAU, Las iglesias misionales de Chiloé. Documentos (Universidad de Chile, Facultad de Arquitectura y Urbanismo), Santiago de Chile 1995; P. José HARTER SJ, Los jesuítas en Chiloé y Valdivia 1610–1767 (Suplemento a la Revista San Javier), Puerto Montt 1934; P. Eduardo TAMPE MALDONADO SJ, Chiloé: Misión circular, in: Mensaje. Un mensaje cristiano para el mundo de hoy XLII/420 (Santiago de Chile 1993), S. 224–227; Irene ÁLVAREZ, El método misional jesuita en el archipiélago de Chiloé (1608–1767). Seminario de Tesis de Profesor de Estado en Historia y Geográfia, Universidad de Playa Ancha, Valparaíso 1988; Graciela FUENTES SEPÚLVEDA, Actividad misional jesuita y forma de expresión religiosa en el archipiélago de Chiloé, siglos XVII y XVIII. Tesis de Licenciatura en Historia, Pontificia Universidad Católica, Santiago de Chile 2000. 94 220 Jahre nach der Publikation hat der chilenische Musikwissenschaftler Victor Rondón (Santiago de Chile) 19 der darin abgedruckten Missionslieder wieder zum Leben erweckt und durch einen Chor von 20 Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren der Huilliche-Gemeinschaft von Compu/Chiloé unter Leitung von Gabriel Coddou neu vertonen lassen. – Gabriel CODDOU, Cancionero Jesuita Mapuche o Chili Dugu. Bernardo de Havestadt (1717–1781). Coro de Niños de la Comunidad Huilliche de Chiloé, dirigido por Dn. Gabriel Coddou. 140 Años 1859–1999 Colegio San Francisco Javier, Puerto Montt 1999. Die Aufnahme liegt auf einer Musik-CD vor. Vgl. RONDÓN, 19 canciones misionales, S. 5–61; DERS., Música y Evangelización, S. 557–579.

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lernten die Patres die indigenen Idiome oft schon vor dem Einsatz im Missionsgebiet anhand gedruckter Grammatiken und Wörterbücher bzw. erlernten sie von älteren erfahrenen Missionaren und vervollkommneten ihre Sprachkompetenz dann im Missionsalltag. Die sprachliche Anpassung der Missionare an die Einheimischen war typisch für die Jesuitenmission und zeigte sich auf Chiloé am Vorrang des Veliche als Verkehrssprache und bei den gemeinsamen Gottesdiensten.95 Die eingeborenen Fiscales waren wesentlich enger in die lokalen sozialen, ökonomischen und politischen Netzwerke ihrer Kapellengemeinden eingebunden, als dies der Missionar, der jeweils nur wenige Tage im Jahr zur Visite anreiste, jemals sein konnte. Sie besaßen somit gegenüber dem Pater einen immensen Vorsprung an Vertrautheit mit den sprachlich-kulturellen Gepflogenheiten ihrer Gemeinschaften. Und sie besaßen den Vorteil, das ganze Jahr über mit den Mitgliedern der Kapellengemeinde in aktiven Kommunikationsbeziehungen zu stehen, während sich diese Möglichkeit für den Missionar jeweils nur für sehr kurze Zeit ergab. Daraus folgte zwingend, dass der Pater dem jeweiligen Fiscal auf Grundlage eines uneingeschränkten Vertrauensverhältnisses einen relativ weitreichenden eigenverantwortlichen Gestaltungsspielraum lassen musste. Die indianischen Laienkatecheten übernahmen wichtige und verantwortungsvolle Aufgaben und agierten aufgrund dieser Umstände weitaus selbständiger als vergleichbare indigene Funktionsträger in allen anderen Missionsgebieten des Kontinents. Eine solche Institution war im zeitgenössischen Kontext einzigartig und konnte sich nur unter den spezifischen Rahmenbedingungen Chiloés entwickeln – ein Beispiel für die Herausbildung einer indigenen Funktionselite, die selbst die Ausweisung der Jesuiten 1767 überdauerte und die, wenn auch unter gänzlich anderen Voraussetzungen, bis heute auf Chiloé besteht. Die Kapellengemeinden waren und sind besondere Gemeinwesen mit einem unverwechselbaren religiösen und kulturellen Profil96, das sich insbesondere in der bis in die Gegenwart lebendigen Volksreligiosität mit ihren Prozessionen, Patronatsfesten und vielfältigen Formen der Heiligenverehrung manifestiert, die den Besucher Chiloés ungemein beeindrucken und bis heute viele Menschen faszinieren.97 Die schlichten Holzkirchen, darunter die in den 1730er Jahren von dem Tiroler Laienbruder Anton Miller errichtete Kirche von Achao, die älteste heute 95 STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, S. 132–140; MEIER, Chiloé, S. 195– 196. 96 Vgl. Renato CÁRDENAS ÁLVAREZ, Diccionario de la lengua y de la cultura de Chiloé, 2. Aufl. Chiloé 1996; DERS., El libro de los lugares de Chiloé, Chiloé 1997; DERS./Carlos Alberto Trujillo A., Caguach, Isla de Devoción. Religiosidad popular de Chiloé, Santiago de Chile 1986; DERS./Catherine Grace HALL, Chiloé. Manual del pensamiento mágico y la creencia popular, 2. Aufl. Valdivia 1989; DERS. u.a., Los Chonos y los Veliche de Chiloé, Santiago de Chile 1993; Fernando CASANUEVA, La evangelización periférica en el reino de Chile (1667– 1796), in: Nueva Historia. Revista de Historia de Chile 2/5 (1982), S. 5–30; DERS., Chiloé, el jardin de la iglesia. Notas para la historia de una evangelización colonial lograda, in: María Justina SARABIA VIEJO (Hrsg.), Europa e Iberoamérica. Cinco siglos de intercambios. Actas del IX. Congreso Internacional de História de América, Bd. II, Sevilla 1992, S. 7–31. 97 Vgl. MEIER, Chiloé, S. 183–201.

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noch existierende Kirche Südchiles, zählen mittlerweile, ebenso wie die Ruinen der Reduktionen Paraguays, zum Weltkulturerbe.98

V. SPRACHPOLITIK Die jesuitische „Sprachpolitik“ in den Indianermissionen bestand in der gezielten Förderung und Verschriftlichung der lokalen Sprachen bei gleichzeitiger Vermeidung bzw. Zurückdrängung des Spanischen, um unerwünschten Kontakt zur „Außenwelt“ zu verunmöglichen – die Missionare haben die Ureinwohner in weitgehend isolierten Gemeinschaftsinseln vor den „Gefährdungen der Kolonialgesellschaft“ bewahrt, andererseits aber, so die häufig erhobene Kritik, damit in der Konsequenz ihrer späteren Integration in die lateinamerikanischen Nationalstaaten geschadet. Die Anpassung der Europäer an die Einheimischen auf Chiloé ging, wie gezeigt wurde, so weit, dass das Veliche als Verkehrssprache durchgesetzt wurde. Dies war alles andere als zufällig, sondern von den Jesuiten bewusst und konsequent intendiert, denn ihr Missionskonzept machte es nötig, den als moralisch verderblich empfundenen Kontakt der Ureinwohner zu europäischen Siedlern weitgehend zu unterbinden. Ergebnis war eine bewusste Isolierung der Indianergemeinden. Diese sprachliche und kulturelle Separation der indigenen Gemeinschaften vom kolonialen Umfeld war eine damals sicher nachvollziehbare, aus späterer Perspektive aber unzweifelhaft problematische Besonderheit der Missionen: Die Konsequenzen dieses „gelenkten Kulturwandels“ (Wolfgang Reinhard)99 wirken jedenfalls bis in die Gegenwart spürbar nach. Missionierung muss als grundsätzlicher, umfassender Transformationsprozess verstanden werden, der indigene Ethnien nicht nur religiös, sondern auch politisch, sozial und wirtschaftlich grundlegend umformte. Dieser „gelenkte Kulturwandel“ erstreckte sich über Generationen und war ausgesprochen langwierig und schwierig. Dies ging einher mit einem paternalistischen Leitbild, nach welchem sich die Mitglieder der lokalen Gemeinschaften wie unmündige „Kinder“ den Weisungen der für sie sorgenden, sie erziehenden „Väter“ gehorsam zu beugen

98 Hernán RODRÍGUEZ VILLEGAS, Iglesias de Chiloé, in: Boletín de la Academia Chilena de la Historia 95 (1984), S. 440–443; P. Gabriel GUARDA GEYWITZ, Iglesias de Chiloé (Ediciones Universidad Católica de Chile), Santiago de Chile 1984; Encuentro del Patrimonio Cultural Mercosur, Chiloé, 13 al 18 de noviembre 1998 (Ministerio de Educación, República de Chile), Santiago de Chile 1998; Postulación de las iglesias de Chiloé para su inclusión en la lista del patrimonio mundial de la Unesco. República de Chile, Ministerio de Educación, Consejo de Monumentos Nacionales (Cuadernos del Consejo de Monumentos Nacionales, Segunda Serie 29), 2. Aufl. Santiago de Chile 2000. 99 Vgl. Wolfgang REINHARD, Gelenkter Kulturwandel im siebzehnten Jahrhundert. Akkulturation in den Jesuitenmissionen als universalhistorisches Problem, in: Historische Zeitschrift 223 (1976), S. 529–590, hier S. 580–581.

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hatten.100 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Erklärungsansätze von Norbert Elias über den „Prozess der Zivilisation“101 zu verweisen. Die Patres etablierten ein umfassendes Normensystem, dessen Einhaltung nicht zuletzt durch sozialdisziplinierende religiöse Praxis, aber auch komplexe Sanktionsmechanismen gewährleistet wurde.102 Der Beitrag der Jesuiten zur indigenen Gesellschaftsbildung bestand nicht zuletzt im Wissenstransfer durch Einführung von Handwerk und neuen Techniken in Ackerbau, Tierhaltung sowie im medizinisch-pharmazeutischen Bereich. Dieser europäisch-amerindische Wissenstransfer war, wie nicht nur das Beispiel Havestadts, sondern auch dasjenige der von Sabine Anagnostou103 untersuchten Jesuitenapotheker P. Sigismund Aperger und Br. Heinrich Peschke in Paraguay sowie Br. Joseph Zeitler in Chile zeigt, ein gegenseitiger, denn die Jesuiten exportierten nicht nur europäisches Wissen nach Übersee, sondern profitierten auch von indigenem Erfahrungswissen z.B. in der Heilpflanzenkunde. Die Patres brachten nicht nur die Kenntnis vieler Indianersprachen nach Europa, sondern hatten durch ihr Wirken einen in Übersee auch über die Ausweisung hinaus wirkenden Einfluss. Havestadt darf in diesem Zusammenhang nicht isoliert betrachtet werden, sondern war integraler Bestandteil eines weltweiten jesuitischen Wissens- und Kommunikationsnetzes. Sein Werk hatte mehrere bedeutende Vorbilder in Chile, insbesondere die Missionsberichte, Grammatiken und Wörterbücher der Patres Luis de Valdivia, Diego de Rosales, Alonso Ovalle, Miguel de Olivares, Andrés 100 Vgl. P. Georg STOLL SJ, „Väter“ und „Kinder“. Zur Konzeptualisierung eigener und fremder Identität in Berichten deutschsprachiger Jesuitenmissionare aus dem 18. Jahrhundert am Beispiel Südamerikas, in: Monika PANKOKE-SCHENK/Georg EVERS (Hrsg.), Inkulturation und Kontextualität. Theologien im weltweiten Austausch. FS Ludwig BERTSCH zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main 1994, S. 65–87; Hans-Joachim KÖNIG, Barbar oder Symbol der Freiheit? Unmündiger oder Staatsbürger? Indiobild und Indianerpolitik in Hispanoamerika, in: Hans-Joachim KÖNIG/Wolfgang REINHARD/Reinhard WENDT (Hrsg.), Der europäische Beobachter außereuropäischer Kulturen. Zur Problematik der Wirklichkeitswahrnehmung (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 7), Berlin 1989, S. 97–118. Von einer „paternalistischen Erziehungsdiktatur“ spricht Horst GRÜNDER, Conquista und Mission, in: Johannes HORSTMANN (Hrsg.), Conquista und Mission. Ereignis, Gedenkfeiern und Filme zum Quinto Centenario (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie Schwerte. Texte und Thesen 9), Schwerte 1997, S. 15–27, hier S. 19. 101 Vgl. Norbert ELIAS, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 158/159), 3. Aufl., Frankfurt am Main 1981/82. 102 Vgl. Claudia LOZANO, Misiones cristianas y población con raíces indígenas: un debate sobre la identidad y las diferencias en el noroeste argentino, Diss. Freie Universität Berlin 2001, S. 15; Peter WALDMANN, Nachahmung mit begrenztem Erfolg. Zur Transformation des europäischen Staatsmodells in Lateinamerika, in: Wolfgang REINHARD unter Mitarbeit von Elisabeth MÜLLER-LUCKNER (Hrsg.), Verstaatlichung der Welt? Europäische Staatsmodelle und außereuropäische Machtprozesse (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 47), München 1999, S. 53–68, hier S. 64. 103 Vgl. Sabine ANAGNOSTOU, Jesuiten in Spanisch-Amerika als Übermittler von heilkundlichem Wissen (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 78), Stuttgart 2000; DIES./Fritz KRAFFT, Jesuiten in Spanisch-Amerika als Heilkundige und Pharmazeuten, in: Pharmazeutische Zeitung 145, Nr. 131 (3.8.2000), S. 11–18.

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Febrés, Franz Xaver Wolfwisen und Nikolaus Kleffert. P. Luis de Valdivia (1561–1642), 1593 einer der ersten Jesuiten in Chile, veröffentlichte 1606 in Lima mit seiner Arte y Gramatica general de la lengua que corre en todo el Reyno de Chile (1606) die erste Grammatik mit Wörterbuch des Mapudúngún.104 P. Diego de Rosales (1605–1677), der ebenfalls jahrelang als Indianermissionar wirkte, hat in seiner Historia general del Reyno de Chile105, einer ausgezeichneten Quelle zum indigenen Chile, wichtige ethnohistorische Informationen über die Mapuche überliefert.106 Er setzte sich wie auch Pater Valdivia gegen Eroberung, Krieg und Versklavung ein, und befürwortete stattdessen eine Conquista espiritual, d.h. eine „Eroberung“ durch Mission.107 Noch kurz vor der Ausweisung der Jesuiten veröffentlichte P. Andrés Febrés (1734–1790) seine Arte de la lengua general del Reyno de Chile (1765).108 Diese Beschreibungen aus der Kolonialzeit gehören bis heute zu den Grundlagenwerken der Ethnohistorie.109 104 P. Luis de VALDIVIA SJ, Arte y gramática general de la Lengua que corre en todo el Reyno de Chile, con un Vocabulario y Confessonario. Compuestos por el Padre Luys de Valdivia de la Compañía de Jesús en la Provincia del Piru. Juntamente con la Doctrina Christiana y Cathecismo del Concilio de Lima en Español, y dos traduciones del en la lengua de Chile, que examinaron y aprobaron los dos Reverendissimos Señores de Chile, cada cual la de su Obispado. Impresso con licencia en Lima por Francisco del Canto Año 1606, Lima 1606. Faksimile-Edition hrsg. von Julius PLATZMANN, Leipzig 1887; weitere Edition u.d.T.: Nueve Sermones en lengua de Chile, por el P. Luis de Valdivia de la Compañía de Jesús. Reimpresos á plana y renglón del único ejemplar conocido y precedidos de una bibliografía de la misma lengua, por José Toribio MEDINA, Santiago de Chile 1897; DERS., Sermon en lengua de Chile, de los mysterios de nuestra Santa Fe Catholica, para predicarla a los indios infieles del Reyno de Chile, dividido en nueve partes pequeñas acomodadas a su capacidad. Compuesto por el P. Luys de Valdivia, de la Compañía de Jesús, Prefecto de los estudios mayores de S. Ambrosio, Valladolid 1621, Neudruck Santiago de Chile 1897. Literatur: LEONHARDT, Chile, S. 74–75; Alvaro JARA, Guerre et société au Chili. Essai de sociologie coloniale: la transformation de la guerre d’Araucanie et l’esclavage des indiens du début de la conquête espagnole aux débuts de l’esclavage légal (1612) (Institut des Hautes Etudes de l’Amérique Latine), Paris 1961; Gustavo VALDES BUNSTER (Hrsg.), Seis Misioneros en la Frontera Mapuche (del libro IV de la Conquista Espiritual del Reino de Chile. Volumen I) (Ediciones Universidad de la Frontera, Serie Quinto Centenario), Temuco 1991, S. 22. 105 BNC, SM CDI, Bd. 307, Dok. Nr. 76: ROSALES, P. Diego de SJ: Historia general del reyno de Chile, Flandes indiano. Ms. 2 Bde. (1674). – Die Historia gliedert sich in zwei Teile, die Historia Civil, militar y política und die Conquista espiritual de Chile. – Editionsgeschichte: Während der 1. Teil, Historia, komplett sowohl in der Erstausgabe in 3 Bänden durch Benjamín VICUÑA MACKENNA (Valparaíso 1877/78) als auch in einer Neuausgabe Santiago de Chile 1989 vorliegt, erschien der 2. Teil, die Conquista Espiritual de Chile, von dem einige Teile verloren gingen, 1991 in einer kommentierten Teiledition: VALDÉS BUNSTER, Seis Misioneros. 106 Biographische Angaben zu P. Rosales bei TAMPE, Huella, S. 31–32; ENRICH, Historia, Bd. 1, S. 768; Rodrigo Vladimir ORRANTIA MORÁN, El aporte al conocimiento etnohistórico y otras problemáticas Mapuches en la obra del Padre Diego de Rosales SJ. Tesís para optar al grado de Licenciado en Historia, Pontificia Universidad Católica de Chile, Facultad de Historia, Geografía y Ciencia Política, Instituto de Historia, Santiago de Chile 1999, S. 28–49. 107 Vgl. ORRANTIA MORÁN, Aporte, S. 1. 108 P. Andrés FEBRÉS SJ, Arte de la lengua general del Reyno de Chile, con un diálogo chilenohispano múy curioso: a que se añade La Doctrina Cristiana, esto es, Rezo, Catecismo, Coplas,

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Wenngleich Havestadt der erste Autor im deutschsprachigen Raum war, der ein solch umfassendes Opus über Sprache und Lebensweise der amerindischen Bevölkerung Chiles vorlegte, war er nicht der erste dort wirkende mitteleuropäische Jesuit, der solche Beobachtungen nach Europa berichtete: zu nennen sind in diesem Kontext insbesondere Nikolaus Kleffert und Franz Xaver Wolfwisen. Der Luxemburger Kleffert (1661–1734), der von 1699 bis zu seinem Tod 1734 über 30 Jahre als Missionsoberer und späterer Provinzprokurator arbeitete und als einer der besten Kenner der indigenen Gemeinschaften galt, verfasste einen Bericht über den Mapuche-Aufstand von 1723 an den oberdeutschen Provinzial110, in dem er betonte, dass sich der Hass der Indianer nicht gegen die Missionare, sondern gegen die Ausbeutung durch die spanische Kolonialmacht richtete. Auffällig ist, dass sowohl Kleffert als auch andere mitteleuropäische Jesuiten ihre pro-indianischen Sichtweisen, die sicher nicht alle spanischen Ordenskollegen teilten, nur in Briefen in die Heimat äußerten. In Korrespondenzen mit spanischen Behörden oder Ordensbrüdern tauchten derartige Bewertungen nicht auf.111 Sie unterschieden wohl sehr genau, gegenüber wem solch kritische Äußerungen gewagt werden durften. Immerhin bewegten sie sich auf spanischem Hoheitsgebiet und waren stets auf das Wohlwollen der Patronatsmacht angewiesen, ohne deren Zustimmung sie überhaupt nicht nach Übersee reisen, geschweige denn dort tätig werden durften. Franz Xaver Wolfwisen berichtete am 1. Februar 1742 aus Santiago de Chile an den Oberdeutschen Provinzial P. Rudolph Burckart112 über das indigene All-

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Confessionario, y Pláticas; lo mas en Lengua Chilena y Castellana: y por fin un vocabulario Hispano-Chileno y un calepino Chileno-Hispano mas copioso. Compuesto por el P. Andrés Fèbres misionero de la Compañía de Jesús, Año de 1764. Dedicado a María SS. Madre de la luz increada, Abogada especial de las Misiones, Lima 1765, neu hrsg. von Juan M. LARSEN, 2 Bde., Buenos Aires 1883; vgl. MEDINA, Biblioteca Hispano-Chilena, Bd. II, S. 580–583; DERS., Noticias, S. 97–111; SOMMERVOGEL, Bibliothèque, Bd. III, Sp. 576. Kommentierte Teileditionen bei: Horacio ZAPATER QUIROZ, Aborigines chilenos a traves de cronistas y viajeros, 2. Aufl. Santiago de Chile 1998; TOVAR u.a., Catálogo de las lenguas; P. Joseph DAHLMANN SJ, Die Sprachkunde und die Missionen. Ein Beitrag zur Charakteristik der älteren katholischen Missionstätigkeit (1500–1800) (Ergänzungshefte zu den Stimmen aus Maria Laach 50), Freiburg i.Br. 1891; Reinhard WENDT (Hrsg.), Wege durch Babylon. Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation (Script Oralia 104), Tübingen 1998. BayHStA, Jes. 595/III/25: „Relatio eorum, quae contingerunt spatio duorum mensium in regno Chilensi rupto foedere pacis inter nationem Hispanicam et Indicam; quod foedifragium nona martii 1723 coepit natione Indica hostiles manus et arma inferente variis Hispanicae nationis personis (...) Obsidio et depopulatio Tucapelina et Araucana novembri 1723“. Der Bericht ist undatiert und ohne Angabe des Verfassers. P. Matthei konnte in seiner spanischen Edition (P. Mauro MATTHEI PUTTKAMER OSB, Noticias del misionero jesuita P. Nicolás Kleffert acerca del alzamiento araucano de 1723, in: Anuario de Historia de la Iglesia en Chile 19 (Santiago de Chile 2001), S. 195–215) erstmals die Verfasserschaft Klefferts nachweisen. In keinem der ermittelten Schreiben an spanischsprachige Empfänger sind vergleichbare Passagen enthalten. Vgl. MÜLLER, Haimhausen, S. 297–330. STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, 130–140, hier 139. Textauszug: DUHR, Auslandssehnsucht, S. 32–33.

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tagsleben und Brauchtum. Wolfwisen verfasste seinen Text, eine wahre landeskundliche und ethnographische Fundgrube, im Alter von 63 Jahren nach 27jähriger Indianermission. Das Angebot seiner Oberen, sich aus Altersgründen zur Ruhe zu setzen und den Nachwuchs auszubilden, beantwortete er mit der dringlichen Bitte, auch den Rest seiner Tage bei seinen geliebten Indianern bleiben und als Apostel des Glaubens sterben zu dürfen.113 Er versorgte einen Seelsorgebezirk von über 300 Meilen Durchmesser, zu dem neben Teilen der festländischen Araukanie auch Chiloé gehörte und in dem unterschiedliche Gruppen lebten. 60.000 soll die Zahl der bekehrten Indianer in Südchile damals schon betragen haben.114 Durchschnittlich lagen die Siedlungen 30 Meilen voneinander entfernt. Wolfwisen besuchte jede von ihnen einmal jährlich, jedoch nie allein. Der Ablauf solcher Missionsreisen war festgelegt: Die Bewohner eines Dorfes empfingen ihn feierlich und gaben ihm nach einigen Tagen beim Abschied das Geleit bis zur nächsten Siedlung. Ausdrücklich lobte Wolfwisen die Ehrerbietung, mit der er überall aufgenommen wurde.115 Auch wenn die Berichte Klefferts und Wolfwisens nach wie vor unverzichtbare Quellen darstellen, die ausführliche Augenzeugenberichte über die indigene Kultur enthalten, so erreichen sie dennoch nicht Havestadts umfassende Vollständigkeit und wissenschaftliche Genauigkeit.

VI. FAZIT Es gibt dem chilenischen Philologen Rodolfo Lenz116 zufolge lediglich drei fundamentale Werke über die Mapuche-Sprache aus spanisch-kolonialer Zeit, die alle von Jesuitenmissionaren stammten, nämlich P. Luis de Valdivia (1606), P. Andrés Febrés (1765) und P. Bernhard Havestadts Chilidúgú (1777) – bis heute eines der bedeutendsten und umfassendsten landeskundlichen, linguistischen und ethnographischen Grundlagenwerke über das indigene Südchile und seine Bewohner und die einzige im deutschen Sprachraum veröffentlichte Studie dieser Art vor 1800. Besonders hervorgehoben zu werden verdient, dass seine Grammatik, ebenso wie das etwa zeitgleich entstandene Werk von Febrés, von Wilhelm von Humboldt zu den grundlegenden Werken der amerikanischen Sprachwissenschaft gezählt wurde und Aufnahme in seine linguistische Arbeitsbibliothek fand117 – angesichts des STÖCKLEIN, Neuer Welt-Bott, Bd. V/2, Teil 38, Nr. 779, S. 131. Ebenda, S. 139. Ebenda, S. 131. Rodolfo LENZ, Introducción a los estudios araucanos con un apéndice bibliográfico (una carta del P. Andres Febrés al P. Bernardo Havestadt) (Anales de la Universidad de Chile. Memorias científicas y literarias), Santiago de Chile 1896, S. 90; vgl. die Rezension von René VERNEAU, in: Journal de la Société des Américanistes 1, Teil II (1897/98), S. 252–255, hier S. 254. 117 Vgl. Kurt MÜLLER-VOLLMER, Wilhelm von Humboldts Sprachwissenschaft. Ein kommentiertes Verzeichnis des sprachwissenschaftlichen Nachlasses. Mit einer Einleitung und zwei

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bekanntermaßen nicht unproblematischen Verhältnisses Humboldts zur Jesuitenmission eine durchaus bemerkenswerte Tatsache. Obwohl nur vergleichsweise kurz (1750–1756) in der Indianermission aktiv tätig, hat Havestadt ein beeindruckendes literarisches Werk hinterlassen, in das – wie er selbst betonte – Erfahrung und Wissen seiner Vorgänger wie z.B. Luis de Valdivia und Franz-Xaver Wolfwisen mit einflossen. Gesundheitlich robustere Missionspatres wie sein Lehrer Wolfwisen haben wesentlich länger, oft viele Jahrzehnte und bis ins hohe Lebensalter hinein unter den lokalen Bevölkerungen gewirkt, doch deutlich weniger Schriftzeugnisse verfasst, welche ihr Wissen der Nachwelt überliefern könnten. Havestadt dagegen kompensierte die Grenzen seiner physischen Konstitution, die ihm nur wenige aktive Jahre in der Mission vergönnte, mit intellektuellen Fähigkeiten wie einer genauen und systematischen Beobachtungsgabe, immenser Sprachbegabung und schriftstellerischem Talent. Sein Opus magnum hat auch nach über zwei Jahrhunderten nichts von seiner Lebendigkeit und Anziehungskraft verloren. Sein Andenken als einer der bedeutendsten Araukanermissionare, der Bleibendes für die indianische Ethnolinguistik geleistet hat, ist in Chile bis heute lebendig. In seiner Heimat dagegen ist er – außerhalb überschaubarer missionshistorischer Fachkreise – deutlich weniger präsent, als es ihm angesichts der universalen Bandbreite seiner Leistungen und Verdienste zukäme – wie überhaupt das Wirken der Missionare bis in die jüngste Gegenwart meist außerhalb des allgemeinhistorischen Interesses blieb. Unter dem Aspekt des interkulturellen Dialogs und des Kultur-, Religions-, und Wissenstransfers zwischen „Neuer“ und „Alter Welt“ im Aufklärungszeitalter ist seine Leistung aber fraglos als enorm zu bewerten.118

Anhängen, Paderborn/München/Wien/Zürich 1993, Anhang II, S. 407–444: Humboldts linguistische Arbeitsbibliothek 1821–1827. Das Verzeichnis der zum Sprachstudium gehörenden Bücher findet sich auf S. 413, Nr. 33.1, Nr. 33.2, Nr. 34.1. 118 Umso erstaunlicher erscheint, dass es bis heute keine Havestadt-Biographie gibt – ein Desiderat zukünftiger Forschung. Sein Leben und Werk behandelt lediglich ein kurzer älterer Zeitschriftenaufsatz von WUNDER, Havestadt, S. 3–12, ferner die Personenartikel in: The Catholic Encyclopedia, Bd. VII, New York 1910, S. 155 sowie BÜCKEN, Havestadt, S. 138 und in neuerer Zeit zwei – nicht fehlerfreie – Artikel von P. Eduardo TAMPE MALDONADO SJ, Havestadt, Bernhard, in: Charles E. O’NEILL SJ/Joaquín M. DOMÍNGUEZ SJ (Hrsg.), Diccionario histórico de la Compañía de Jesús biográfico-temático, 4 Bde., Rom/Madrid 2001, Bd. II, S. 1888; DERS., Huella, S. 69–71. Alle bisher zu Havestadt ermittelten Daten aus zahlreichen Archiven und Bibliotheken wird der bio-bibliographische Band über zentraleuropäische Jesuiten in Chile enthalten (vgl. Anm 1).

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Abb. 1: B. Havestadt: Mappa Geographica exhibens Provincias, Oppida, Sacella etc… (siehe Anm. 41).

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Konfessioneller Anspruch und kulturelle Vermittlung Katholische Missionare im Safavidenreich Christian Windler, Bern Katholische Missionare standen im konfessionellen Zeitalter in einem komplexen Spannungsfeld zwischen den universellen Ansprüchen der nachtridentinischen römischen Konfessionskirche und den Erfordernissen ihres lokalen Umfeldes. In letzterem pflegten sie regelmäßige Kontakte mit „Ungläubigen“, „Schismatikern“ und „Häretikern“, die sie nicht von vornherein vor den Kopf stoßen sollten. Die kirchliche Lehre und deren Auslegung durch das heilige Offizium, die Congregatio de Propaganda fide und die Ordensoberen kontrastierten mit den gesellschaftlichen Verhältnissen vor Ort. Mission beruhte zwar vom Grundauftrag her auf der festen Überzeugung von der eigenen Überlegenheit zumindest in Bezug auf den Besitz der religiösen Wahrheit; in der Praxis war sie indessen mit vielfältigen Vermittlungsleistungen verbunden. Die Missionare hatten konfessionelle Normen weiterzugeben, mussten dazu aber auf die religiöse Kultur jener eingehen, deren Bekehrung oder „Versöhnung“ mit Rom sie betreiben sollten. Vermittlungsleistungen erbrachten sie ebenso in den weiteren sozialen Kontexten, in die sie sich aufgrund ihres religiösen Auftrages versetzt sahen. So erfüllten sie im Persien der Safavidenzeit vielfach diplomatische Aufträge des Papstes und katholischer Fürsten, die sie in engen Kontakt mit der lokalen Hofgesellschaft brachten. Vor Ort traten die Missionare in den Mittelpunkt einer Art „dritten Raumes“, in dem ihr Ansehen weniger von der strengen Regelobservanz und der Beachtung der Direktiven der nachtridentinischen Konfessionskirche abhing als von der Fähigkeit, immaterielle (und teilweise auch materielle) Ressourcen zu vermitteln. Aus dem Zusammenhang eines Projektes, welches die Veränderungen solcher „dritten Räume“ im Zuge der katholischen Konfessionalisierung zum Gegenstand hat, sollen im Folgenden einige Aspekte kultureller Vermittlung herausgegriffen werden. Es wird dabei nicht in erster Linie um die Übersetzertätigkeit selbst, sondern mehr um deren Stellenwert in interkulturellen und zwischenreligiösen Kommunikationszusammenhängen gehen. In Isfahan und der armenischen Vorstadt Neu-Djulfa hatten die Missionare verschiedener Orden – Augustiner, unbeschuhte Karmeliten, Kapuziner, Jesuiten und Dominikaner – sowie der Missions étrangères de Paris einen Missionsauftrag, der sich grundsätzlich sowohl an Muslime als auch an Armenier wandte, in der Praxis aber nur gegenüber letzteren gewisse Erfolge zeitigte. Wie im Osmanischen Reich waren allerdings auch in Persien die Erfolge der nachtridentinischen römischen Kirche bei ihren Bemühungen um eine Union der Ostkirchen, bei der sich die Reformorden besonders hervortaten, zu-

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mindest an quantitativen Kriterien gemessen äußerst beschränkt.1 Die Mission führte in Persien bloß zur Entstehung einzelner kleiner armenischer Pfarreien, die sich als katholisch bezeichneten und zur Union mit Rom bekannten; anders als in einzelnen osmanischen Provinzen wurden nie armenisch-katholische Bischöfe ernannt. Im Folgenden sollen allerdings weniger die Leistungen der Missionare bei der Vermittlung einer konfessionalisierten Kirchlichkeit in den Beziehungen zu den Armeniern diskutiert werden, sondern vielmehr deren Beziehungen zur persischen Hofgesellschaft und zum muslimischen Gelehrtenmilieu der Residenzstadt Isfahan in den Mittelpunkt gerückt werden.2 Es ist zu fragen, welchen Platz die Missionare als diplomatische Vertreter katholischer Höfe und als kulturelle Vermittler in der persischen Hofgesellschaft und gegenüber dem muslimischen Gelehrtenmilieu einnahmen. Zugleich soll gezeigt werden, wie ein vielseitig gebildeter Karmelit das in den Kontakten mit Gelehrten gewonnene Wissen insbesondere aus dem Bereich der Medizin mit seiner Übersetzungstätigkeit für die Mission in breiteren Bevölkerungskreisen nutzbar zu machen suchte. Anhand ausgewählter Beispiele wird erläutert werden, wie sich die Missionare mit dieser Vermittlungstätigkeit in den Mittelpunkt eines „dritten Raumes“ rückten und sich damit einer Kritik aussetzten, die sich an den Kriterien strikter Regelobservanz und konfessioneller Festlegung orientierte.

I. DIE PRÄSENZ KATHOLISCHER ORDEN IM SAFAVIDENREICH Die Niederlassungen katholischer Orden in Isfahan und Neu-Djulfa waren eng mit der diplomatischen Repräsentation rivalisierender katholischer Mächte verbunden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts richteten portugiesische Augustiner als erste eine 1

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Siehe v.a. die grundlegende Untersuchung von Bernard Heyberger über die katholische Reform in den syrischen Provinzen des Osmanischen Reiches: Bernard HEYBERGER, Les Chrétiens du Proche-Orient au temps de la Réforme catholique, Rom 1994 (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 284); DERS., Hindiyya (1720–1798), mystique et criminelle, Paris 2001. Vgl. Wilhelm DE VRIES, Die Propaganda und die Christen im Nahen asiatischen und afrikanischen Osten, in: Josef METZLER (Hrsg.), Sacrae Congregationis de Propaganda Fide Memoria Rerum, 1622–1972, Bd I/1: 1622–1700, Rom/Freiburg i. Br./Wien 1973, S. 561–605; Josef METZLER, Nicht erfüllte Hoffnungen in Persien, in: ebenda, S. 680– 704; Ambrosius ESZER, Missionen im Halbrund der Länder zwischen Schwarzem Meer, Kaspisee und Persischem Golf: Krim, Kaukasien, Georgien und Persien, in: ebenda, Bd. II, S. 421–462; Robin E. WATERFIELD, Christians in Persia. Assyrians, Armenians, Roman Catholics and Protestants, London 1973, S. 62–75. – Der Verfasser dankt Pater Antonio Fortes, O.C.D., für den herzlichen Empfang und die kompetente Beratung im Archiv seines Ordens in Rom. Ebenso sei an dieser Stelle Nadine Amsler (Bern) für umfangreiche und sorgfältige Recherchen in Bibliotheken und Archiven in Frankreich und in der Schweiz gedankt. Dazu bisher vor allem Francis RICHARD, Catholicisme et Islam chiite au „Grand Siècle“. Autour de quelques documents concernant les missions catholiques en Perse au XVIIème siècle, in: Euntes docete. Commentaria Urbaniana 33 (1980), S. 339–403.

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Mission in Isfahan ein. Ihr Superior vertrat zugleich Philipp III. von Kastilien als König von Portugal am persischen Hof. 1607, also kurz nach den Augustinern, kamen die unbeschuhten Karmeliten nach Isfahan. Sie gehörten zur italienischen Ordensprovinz und wurden als Abgesandte des Papstes betrachtet.3 Wenn Madrid und Rom Beziehungen zu den Safaviden suchten, verknüpften sie damit die Hoffnung, bei ihnen Unterstützung gegen den gemeinsamen Feind, die Osmanen, zu finden. Mit dem Ziel eines „Kreuzzuges“ zur Befreiung der Heiligen Stätten und zur Abwendung der Türkengefahr4 hielten es auch die Kurie und der Hof von Madrid für legitim, mit einem muslimischen Hof diplomatische Beziehungen aufzubauen, deren Pflege in erster Linie den Superioren der beiden Klöster oblag. Während die englischen und niederländischen Ostindiengesellschaften unter Schah Abbas I. in Isfahan Faktoreien errichteten, kompensierten Ludwig XIII. und Ludwig XIV. die Schwäche der kommerziellen Präsenz mit der Förderung von Niederlassungen französischer Kapuziner und Jesuiten.5 Jahrzehntelang galt der Guardian der 1628 gegründeten Kapuzinermission von Isfahan als Repräsentant des Königs von Frankreich am Safavidenhof.6 Die Konkurrenz unter den katholischen Herrschern führte dazu, dass es im frühen 18. Jahrhundert in Isfahan und Neu-Djulfa insgesamt sechs Ordensniederlassungen gab7 und die katholische Diaspora zu einem Mikrokosmos derjenigen Konflikte wurde, welche die nachtridentinische Kirche in Europa prägten. 3 4 5

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Zu den Missionen der Karmeliten in Persien, siehe [Herbert CHICK], A Chronicle of the Carmelites in Persia and the Papal Mission of the XVIIth and XVIIIth Centuries, 2 Bde., London 1939. Zu den Kreuzzugshoffnungen und den Missionen in den syrischen Provinzen, siehe HEYBERGER, Les Chrétiens du Proche-Orient, S. 185–208. Zur Mission der Kapuziner in Isfahan siehe Francis RICHARD (Hrsg.), Raphaël du Mans, missionnaire en Perse au XVIIe siècle, Bd. 1: Biographie. Correspondance, Bd. 2: Estats et Mémoire, Paris 1995 (Moyen Orient & Océan Indien XVIe–XIXe S. 9–1 und 2). Zur Mission der Jesuiten siehe Bruno ZIMMEL, Vorgeschichte und Gründung der Jesuitenmission in Isfahan (1642–1657), in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 53 (1969), S. 1–26; über den Jesuiten Zapolski als Gesandten des Königs von Polen, siehe Joseph KRZYSZKOWSKI, Entre Varsovie et Ispahan. Le P. Ignace-François Zapolski S.I., in: Archivum historicum Societatis Iesu 18 (1949), S. 85–117. Peter JACKSON/Laurence LOCKHART (Hrsg.), The Timurid and Safavid Periods, Cambridge u.a. 1986 (The Cambridge History of Iran 6), S. 396–398; Laurence LOCKHART, The Fall of the Safavi Dynasty and the Afghan Occupation of Persia, Cambridge 1958, S. 426–429. Dazu zählen eine Niederlassung der Augustiner in Isfahan, je eine Niederlassung der Karmeliten in Isfahan und Neu-Djulfa, eine Niederlassung der Kapuziner in Isfahan, eine Niederlassung der Jesuiten in Neu-Djulfa, eine Niederlassung der Dominikaner in Neu-Djulfa. Außerdem wurden Ende des 17. Jahrhunderts zeitweise Priester der Missions étrangères de Paris in Persien tätig. Dazu Guillaume DE VAUMAS, L’éveil missionnaire de la France d’Henri IV à la fondation du séminaire des Missions étrangères, Lyon 1959, S. 355–361 (1. Ausgabe: Lyon 1942); Anne KROELL, Nouvelles d’Ispahan, Paris 1979, S. 20–25. – Zur Tätigkeit der Dominikaner in Persien, siehe v.a. Ambrosius ESZER, Sebastianus Knab O.P., Erzbischof von Naxijevan (1682–1690). Neue Forschungen zu seinem Leben, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 43 (1973), S. 215–286; DERS., Barnaba Fedeli di Milano O.P. (1663–1731). Das Schicksal eines Missionars und Bischofs im Sturm der Zeiten, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 44 (1974), S. 179–262.

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Die große Zahl der in Isfahan präsenten katholischen Orden stand in einem eklatanten Missverhältnis zur Zahl der Katholiken. In Isfahan selbst gab es fast keine katholischen Laien mehr, seitdem zwischen 1654 und 1659 die meisten Christen – mit der Ausnahme der niederländischen und der englischen ostindischen Gesellschaft sowie der Missionare – gezwungen worden waren, sich statt in Isfahan in Neu-Djulfa und einer nahe gelegenen neuen Vorstadt niederzulassen. 1662 lebten nach einem Bericht des apostolischen Vikars noch zwei katholische Familien in der Stadt Isfahan.8 Ihnen standen damals zwei Augustiner, zwei Karmeliten, zwei Kapuziner und ein Jesuit mit einem Laienbruder gegenüber.9 Etwas größer war die Zahl der Katholiken in der armenischen Vorstadt Neu-Djulfa und deren Umgebung. 1714 gab es dort vier katholische Kirchen. Drei davon dienten in erster Linie den lateinischen Christen, deren Zahl sich dem apostolischen Vikar Barnaba Fedeli zufolge auf etwa hundert Personen belief: Neben den Jesuiten verfügten die Dominikaner und die unbeschuhten Karmeliten jeweils über eine Niederlassung. Die armenische Kaufmannsfamilie Sheriman übte das Patronat über die von ihr errichtete armenisch-katholische Pfarrei aus, der etwa neunzig Personen angehörten.10 Wenn man bedenkt, dass in Neu-Djulfa schätzungsweise 30.000 bis 35.000 Armenier lebten,11 war dies äußerst wenig. Die Missionen in Persien galten denn auch allgemein als wenig erfolgreich, zumindest wenn man die Zahl der Konversionen als Maßstab ansetzt. Die katholischen Herrscher verbanden die Pflege einer religiös begründeten Legitimität durch die Bekehrung Andersgläubiger mit der Vertretung politischer Interessen am persischen Hof. Eine solche Ausrichtung warf wichtige Fragen hinsichtlich des Status der Ordensangehörigen als diplomatische Mittler auf. Wie die Beziehungen mit dem Osmanischen Reich waren auch jene mit Persien nicht reziprok. Es kam nur höchst selten vor, dass der Schah selbst einen Gesandten an einen europäischen Hof schickte. Von Diplomatie im Sinne eines ausdifferenzierten sozialen Feldes mit eigenen Rangordnungen, wie es sich im frühneuzeitlichen Europa allmählich herausbildete, konnte im Hinblick auf die Vertreter europäischer Mächte in Persien im 17. und frühen 18. Jahrhundert noch nicht die Rede sein. Wenn von Gesandtschaften europäischer Herrscher die Rede war, handelte es sich in der Regel nicht um Reisen, die ausschließlich diplomatischen Zwecken dienten. Der geringe Grad der Formalisierung einer Diplomatie im europäischen Sinn zeigte sich bei den zeremoniellen Entscheidungen des persischen Hofes. Herrscherbriefe reichten aus, um ihren Trägern zu einem gesandtenähnlichen Zeremoniell oder zur Übernahme ihres Unterhalts aus der Kasse des Schahs zu verhel-

RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 1, S. 40–42, 54; Congregazione generale vom 18.3.1664 (Archivio storico della Congegrazione per l’Evangelizzazione dei Popoli – „de Propaganda Fide“, Rom [im Folgenden abgekürzt: APF], Acta, Bd. 33, f. 56v–57r). 9 Congregazione generale vom 18.3.1664 (APF, Acta, Bd. 33, f. 57r). 10 Congregazione generale vom 27.8.1714 (APF, Acta, Bd. 84, f. 745v–746r). 11 LOCKHART, Fall of the Safavi Dynasty, S. 74; WILLEM FLOOR, The Economy of Safavid Persia, Wiesbaden 2000 (Iran – Turan 1), S. 16. 8

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fen.12 Der Form und der Absicht der Verfasser nach handelte es sich oft eher um Empfehlungsbriefe und nicht um formelle Kredenzschreiben. Manche Überbringer von Herrscherbriefen verdienten aus der Sicht europäischer Beobachter die Bezeichnung als Gesandte nicht.13 Zum geringen Grad der Formalisierung passte, dass Geistliche vielfach mit Schreiben verschiedener Herrscher reisten und dann wie deren Gesandte empfangen wurden. So kam 1699 der Karmelit Petrus Paulus a Sancto Francisco, Erzbischof von Ancyra, mit Briefen des Papstes, des Kaisers, der Republik Venedig und des Großherzogs der Toskana nach Isfahan, um vom Schah die Erneuerung der Privilegien der Missionen zu erwirken.14 Dem Dominikanerpater Barnaba Fedeli besorgte Propaganda fide bei dessen Ernennung zum Bischof von Isfahan Empfehlungsschreiben der verschiedenen katholischen Herrscher, weshalb er bei den Audienzen des Schahs 1719, 1720 und 1721 zeremoniell wie ein Gesandter behandelt wurde.15 Um zu verhindern, dass der Bischof auch als Vertreter des Allerchristlichsten Königs empfangen wurde und ihm damit vor dem persischen Hof Konkurrenz machte, hätte der französische Konsul Ange de Gardane den Brief seines Königs gern selbst überreicht. Dies gelang ihm indessen nicht.16

12 Siehe dazu RAPHAËL DU MANS, Mémoire de ce qui est arrivé dans l’établissement et progrès de la mission des r. pp. Jésuites dans Hispan capitale de Perse: „Lors [1653] […] le P. Rigourdy s’achemina là pour présenter ses lettres du Roi de France, prend titre de son ambassadeur, car ici ils ne savent encore discerner entre porteur de lettres, recommandé, envoyé, agent.“ Ediert in: RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 2, S. 211. – 1699 wurde der Kapuzinerpater Felice Maria da Sellano mit Briefen des Papstes und anderer katholischer Fürsten an den persischen Hof gesandt. Dort angekommen, habe er „secondo lo stilo di quelle parti preso il nome d’ambasciatore di Sua Santità, e degli altri principi christiani, de’ quali haveva altre lettere“ (Congregazione generale vom 4.9.1702 [APF, Acta, Bd. 72, f. 228v]). – Vgl. [CHICK], Chronicle of the Carmelites in Persia, Bd. 1, S. 490; Bd. 2, S. 980. 13 Der Niederländer Cornelis de Bruyn schrieb dazu zu Beginn des 18. Jahrhunderts Folgendes: „Avant de finir ce chapitre, je dirai un mot, en passant, des ministres publics, qui se rendent à la cour de Perse, avec des lettres de quelques puissances de la Chrétienté, et dont il y en a souvent, qui ne méritent assurément pas le titre de ministres, et auxquels on ne devrait donner que celui de messagers ou de porteurs de lettres.“ (Cornelis DE BRUYN, Voyages de Corneille le Bruyn par la Moscovie, en Perse, et aux Indes Orientales, Bd. 4, Den Haag 1732, S. 243, vgl. S. 244). 14 LOCKHART, Fall of the Safavi Dynasty, S. 51, 75–76. Vgl. [CHICK], Chronicle of the Carmelites in Persia, Bd. 1, S. 487–498; Bd. 2, S. 976–982. 15 Congregazioni generali vom 23.9.1720 (APF, Acta, Bd. 90, f. 531r–532v) und 21.4.1722 (APF, Acta, Bd. 92, f. 219r–v). Vgl. P. Barnaba FEDELI DI MILANO, O.P., an Giuseppe Kardinal Sacripanti, Präfekt der Propaganda fide, Neu-Djulfa, 17.6.1721 (APF, SOCG, Bd. 634, f. 365r–v). 16 Vgl. P. Barnaba FEDELI DI MILANO, O.P., an Giuseppe Kardinal Sacripanti, Präfekt der Propaganda fide, Neu-Djulfa, 26.6.1721 (APF, SOCG, Bd. 634, f. 367r–v).

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II. MISSIONARE AM HOF IN ISFAHAN Die diplomatische Präsenz von Ordensangehörigen am Safavidenhof bildete die Grundlage für Vermittlungsleistungen, die nach Ansicht mancher Zeitgenossen nur noch einen entfernten Zusammenhang mit dem eigentlichen, missionarischen Auftrag besaßen. Stellte sich in jeder Missionssituation die Frage, wie weit die Missionare auf die lokalen soziokulturellen Normen und Praktiken eingehen sollten, so konnte diese Notwendigkeit im Extremfall zu einer weitgehenden Integration in fremde soziale Systeme führen, d.h. zu einer Art soziokultureller Konversion der Missionare. Besonders bekannt ist diesbezüglich das Beispiel der Jesuiten in China, wo die Patres mit Hilfe ihrer Beziehungen zu einheimischen Literati geachtete Positionen bei Hofe erlangten. Die Vermittlung religiöser Wahrheiten war dabei abhängig von der Anerkennung der Vermittlungsleistungen der Patres im Bereich der Mathematik, der Naturwissenschaften und teilweise auch der schönen Künste.17 Voraussetzungen für eine Integration der Missionare in die lokale Hofgesellschaft waren zum Teil auch in Persien gegeben: die Wertschätzung ihrer mathematischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Kenntnisse seitens der persischen Eliten und die Bereitschaft der schiitischen Geistlichen, den Missionaren in philosophischen und theologischen Disputen auf respektvolle Weise entgegen zu treten. Vielfach bezeugt ist die bedeutende Stellung des Kapuziners Raphaël du Mans am Safavidenhof.18 Wie vor ihm in den 1610er und 1620er Jahren schon der Karmelit Joannes Thadaeus a Sancto Eliseo19 genoss Pater Raphaël dank seiner guten Dienste als Dolmetscher und Übersetzer das besondere Vertrauen der drei Schahs, die während seines mehr als fünfzigjährigen Persienaufenthalts von 17 Als Überblickswerk zur christlichen Chinamission siehe Nicolas STANDAERT (Hrsg.), Handbook of Christianity in China, Bd. 1: 635–1800, Leiden/Boston/Köln 2001 (Handbook of Oriental Studies 15/1). Zur Chinamission der Jesuiten siehe u.a. Liam Matthew BROCKEY, Journey to the East. The Jesuit Mission to China, 1579–1724, Cambridge (Mass.)/London 2007; Jean-Pierre DUTEIL, Le mandat du Ciel. Le rôle des jésuites en Chine, Paris 1994; Daniel E. MUNGELLO, Curious Land. Jesuit Accommodation and the Origins of Sinology, Stuttgart 1985 (Studia Leibnitiana. Supplementa 25). Zum Ritenstreit siehe DERS. (Hrsg.), The Chinese Rites Controversy. Its History and Its Meaning, Nettetal 1994 (Monumenta Serica 33). Edition ausgewählter Quellen: René ÉTIEMBLE, Les Jésuites en Chine (1552–1733). La querelle des rites, Paris 1966. Zu wissenschaftlichen Vermittlungsleistungen der Patres siehe z.B. Catherine JAMI/Hubert DELAHAYE, L’Europe en Chine. Interactions scientifiques, religieuses et culturelles aux XVIIe et XVIIIe siècles, Paris 1993. 18 Siehe RICHARD, Raphaël du Mans. 19 Pater Joannes Thadaeus war stets anwesend, wenn Abbas I. Gesandte europäischer Fürsten empfing. Dabei pflegte der Schah die Briefe der Gesandten gleich an den Karmeliten weiterzureichen, der den Inhalt zunächst zusammenfasste und die Texte dann genauer übersetzte. Dazu Pietro della Valle an Mario Schipano, Isfahan, 24.8.1619, in: Pietro DELLA VALLE, Viaggi di Pietro della Valle il Pellegrino descritti da lui medesimo in Lettere familiari all’erudito suo Amico Mario Schipano. Parte seconda: La Persia, 2 Bde., Rom 1658, Bd. 2, S. 23, vgl. S. 49–50; DERS. an dens., Isfahan, 21.10.1619, in: ebenda, S. 62–63, 65; DERS. an dens., Isfahan, 4.4.1620, in: ebenda, S. 72–74, 109–110; DERS. an dens., Isfahan, 24.9.1621, in: ebenda, S. 239–240.

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1644 bis 1696 herrschten. Seine Beziehungen bei Hofe waren so gut, dass er in den Verdacht geriet, als Vermittler, Übersetzer und Dolmetscher mehr dem Schah als den christlichen Gesandten in die Hände zu arbeiten. Als 1665/66 der Schah den Abgesandten des Königs von Frankreich und der Compagnie des Indes nicht alle Privilegien gewähren wollte, welche diese für eine Niederlassung der Handelsgesellschaft in Persien wünschten, wurde die Schuld dafür dem Kapuziner zugeschoben, der als Dolmetscher sage, was er gerade für gut halte. Abgesandte, welche weder die Sprache noch die Sitten des Hofes kannten, waren bei ihren Kontakten von den Fähigkeiten und dem Wohlwollen des Paters als Dolmetscher und Übersetzer abhängig.20 Entsprach das Misstrauen gegenüber dem Übersetzer einem Topos der Reiseliteratur, so fällt doch auf, dass man hier nicht dem fremden Dragomanen,21 sondern dem „eigenen“ Übersetzer nicht mehr traute. Ähnlich wie die Jesuitenpatres in China gewann Pater Raphaël mit seinen Mathematikund Astronomiekenntnissen die Wertschätzung persischer Gelehrter.22 Auch schiitische Geistliche aus anderen persischen Städten suchten während ihrer Aufenthalte in Isfahan den gelehrten Kapuziner in dessen Konvent auf.23 Der Ausrichtung von Pater Raphaël auf die Kontakte mit der Hofgesellschaft und dem muslimischen Gelehrtenmilieu entsprachen seine hervorragenden Türkisch- und Persischkenntnisse. In seinem État de la Perse24 von 1660 trug der Kapuziner eine eindrückliche Fülle an Kenntnissen über Glauben und Gebräuche der persischen Muslime zusammen, die ebenso wie die Sprachkenntnisse als Wissensgrundlage für seine Kontakte dienten. Den Armeniern hingegen schenkte er in seinem Text wenig Beachtung; ebenso wenig hielt er es für notwendig, deren Sprache zu erlernen.25 Pater Raphaël folgte damit einer Ausrichtung auf muslimische Adressaten, welche die Missionen in Isfahan insgesamt zumindest in den ersten Jahrzehnten stark prägte, und die angesichts der bekannten Abneigung muslimischer Gesellschaften gegen Konversionsbemühungen überrascht. Eine Ausnahme bildeten die Jesuiten, welche bereits 1661 ihre Mission von Isfahan in die armenische Vorstadt von Neu-Djulfa verlegten und dort bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Schule betrieben, die primär der Bildungsnachfrage armenischer Notabeln entsprach. Dem Beispiel der jesuitischen Armeniermission folgte 20 RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 1, S. 68–74. Siehe über den Empfang der Abgesandten der Compagnie des Indes 1665: Extrait d’une lettre écrite par le […] père Raphaël du Mans, […] au […] père Sylvestre de St. Agnan […], 8.11.1665, ediert in: ebenda, Bd. 1, S. 144–152; Relation de ce qui s’est passé dans les missions du Levant l’an 1665, écrite par F. Martial de Thorigné, Isfahan, 1665, ediert in: ebenda, Bd. 1, S. 162–164; P. Raphaël du Mans an Lucas Fermanel de Favery, Syndic der Compagnie des Indes orientales, Isfahan, 14.8.1667, in: ebenda, Bd. 1, S. 197–198. 21 Dazu z.B. Jürgen OSTERHAMMEL, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, S. 128–133. 22 RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 1, S. 7, 37–39, 62–68, 97–98. 23 Siehe Raphaël du Mans, O.C.M.Cap., an Engelbert Kaempfer, Isfahan, 19.9.[1685], ediert in: Engelbert KAEMPFER, Briefe, 1683–1715, hrsg. von Detlef HABERLAND, München 2001 (Engelbert Kaempfer, Werke. Kritische Ausgabe in Einzelbänden 2), S. 218–219. 24 Siehe die Edition von RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 2, S. 1–199. 25 Ebenda, Bd. 1, S. 31–36.

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erst ab 1679 der Karmelitenpater Elias a Sancto Alberto, der allerdings eine diametral entgegengesetzte, konfessionell polarisierende und damit letztlich wenig erfolgreiche Missionsstrategie verfolgte, als er in Neu-Djulfa eine Schule eröffnete und in armenischer Sprache predigte. Als François Picquet zwischen 1682 und 1684 als apostolischer Vikar und später Bischof von Babylon sowie Gesandter Ludwigs XIV. Isfahan besuchte, stellte er fest, dass die übrigen Karmeliten, die Kapuziner und die Augustiner in Isfahan zwar gut Persisch und Türkisch, aber kein Armenisch sprachen.26 Die Priorität der Persisch- und Türkischkenntnisse zeugte von der Bedeutung der Kontakte zu den muslimischen Eliten. Der Safavidenhof wurde als Bündnispartner gegen die Osmanen umworben. Zugleich meinten die Missionare anfänglich Zeichen einer Bereitschaft zu erkennen, die von ihnen vermittelten Glaubenswahrheiten aufzunehmen. Solche Eindrücke wurden dadurch genährt, dass Gespräche über Glaubensfragen in Persien wesentlich häufiger als im Osmanischen Reich und unter gegenseitiger Wahrung respektvoller Formen geführt wurden.27 In ihren Briefen an Ordensobere und an Propaganda fide und möglicherweise auch in ihrem Selbstverständnis blendeten die Missionare aus, dass die schiitischen Gelehrten und der Schah ihrerseits Bekehrungsabsichten unter umgekehrten Vorzeichen verfolgten und in den Glaubensgesprächen eine Möglichkeit sahen, die Überlegenheit des Islams unter Beweis zu stellen.28 Francesco Ingoli, Sekretär von Propaganda, stützte in den 1620er Jahren sein optimistisches Urteil auf Missionsberichte, welche seiner Ansicht zufolge trotz der kürzlich erfolgten Hinrichtung persischer Konvertiten und der in diesem Zusammenhang aufleuchtenden Bedrohung der Missionen29 die Möglichkeit einer Bekehrung der persischen Muslime erhoffen ließen. In den Jahren 1622 bis 1625 berichtete der Karmelit Prosperus a Spiritu Sancto von einem Mullah, der seine Ordensbrüder in der arabischen und persischen Sprache unterrichtete. Der Mullah bat die Patres um eine Kopie des „Spiegels der Wahrheit“, den der Jesuitenpater Jerónimo Javier Ezpeleta Goñi in Indien verfasst hatte. Die schiitischen Gelehrten sandten dem Papst dann ihrerseits eine Widerlegung dieses Werkes. Ihre angebliche Ankündigung, bei einer überzeugenden Antwort würden sie zum Christentum konvertieren, nahm man bei Propaganda fide zumindest so ernst, dass man sich sorgfältig um die Widerlegung bemühte und diese dann nach Isfahan sandte.30 26 Ebenda, Bd. 1, S. 111. 27 Über die Kontakte der Missionare mit sunnitischen Muslimen in den syrischen Provinzen des Osmanischen Reiches siehe HEYBERGER, Les Chrétiens du Proche-Orient, S. 319–326. 28 Schriftliches Zeugnis von diesem Kampf um die Wahrheit legen die aus den Glaubensgesprächen heraus entstandenen theologischen Streitschriften muslimischer und christlicher Autoren ab, die jeweils die Argumente der Gegenseite zu widerlegen suchten. Siehe dazu die interessante Dokumentation in: RICHARD, Catholicisme et Islam chiite. 29 Siehe die Berichte aus den Jahren 1622, 1623 und 1624 über das „Martyrium“ persischer Konvertiten in: PRÓSPERO DEL ESPÍRITU SANTO (1583–1653), Relaciones y cartas, hrsg. von Víctor ZUBIZARRETA, Rom 2006, S. 176–196, hier S. 3–67, 72–80, 490–501. 30 Compendio delle cose più notabili successe nella nostra missione di Persia dall’anno 1621 fino a questo presente 1624, narrate al Nostro P. Fra Paulo di Gesù Maria, Preposito Generale delli Carmelitani Scalzi, dal P. Fra Prospero dello Spiritu Santo, Priore di Haspahan, venuto a

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Einen Bezugshorizont, den Missionare und muslimische Gelehrte teilten, bildeten die Lehren der antiken Philosophen. 1621 bat Pater Prosperus a Spiritu Sancto um Editionen der Werke von Aristoteles und Platon, weil deren Ausführungen von den Persern verteidigt und wie eine heilige Sache hochgehalten würden.31 1635 erläuterte der Kapuziner Gabriel de Paris in einem Schreiben an Propaganda fide, wie die Missionare in philosophischen Gesprächen die Achtung der Gelehrten suchten, um das Gespräch dann auf die Fragen der Dreieinigkeit und der Erlösung der Menschen durch den Tod Christi zu lenken. Die Missionare konnten dabei mit der Neigung der persischen Gelehrten rechnen, sie in Gespräche zu verwickeln, um ihrerseits die Überlegenheit des Islams nachzuweisen. Um 1640 fanden solche Gespräche in Isfahan nicht nur in den Häusern der Gelehrten, sondern auch vor der Schahmoschee und in den muslimischen Schulen (Medresen) statt.32 Kapuziner, Karmeliten und Jesuiten verfassten im Hinblick auf diese Disputationen Übersetzungen biblischer Texte und Erläuterungen zu den christlichen Glaubenswahrheiten in persischer Sprache, die ausdrücklich für muslimische Leser bestimmt waren. So schrieb der erste Superior der Kapuzinermission von Isfahan, Pater Gabriel de Paris, unter anderem ein persisches Traktat über die Ursprünge der Religion und die Zehn Gebote. Ausgehend von den gemeinsamen Überzeugungen von Muslimen und Christen – zum Beispiel dem Glauben an die Einheit Gottes – legte er den besonderen Auftrag Christi als Erlöser und dessen Eigenschaft als Sohn Gottes dar. Der Kapuziner widmete sein Werk einem Qadi, der die Patres beim Kauf eines Hauses protegiert und ihn zusammen mit weiteren Rechtsgelehrten angehört hatte. Pater Aimé Chézaud, der erste Superior der Jesuiten in Neu-Djulfa, widerlegte 1656 in zwei Bänden in persischer Sprache die Ausführungen eines muslimischen Gelehrten aus Isfahan gegen das bereits erwähnte Roma di commune consenso delli altri padri ad ottener maggiori aiuti per la salute di quell’anime, ediert in: ebenda, S. 104–105; PRÓSPERO DEL ESPÍRITU SANTO, O.C.D., Breve suma de la historia de los sucesos de la misión de Persia de los Carmelitas Descalzos desde el año de 1621 hasta el de 1624, Madrid 1626, ediert in: ebenda, S. 145–175, hier S. 162–163; Compendio delle cose più notabili successe nella nostra missione di Persia dal anno 1621 fino a questo presente 1625 narrata al N.P. Fra Paulo di Gesù Maria, Preposito Generale delli Carmelitani Scalzi, dal P. Fra Prospero dello Spiritu Santo, Priore di Haspahan, venuto a Roma di commun consenso delli altri padri ad ottener maggiori aiuti per la salute di quell’anime, ediert in: ebenda, S. 176–196, hier S. 187–189; P. PROSPERUS A SPIRITU SANCTO, O.C.D., an P. Mathias a S. Francisco, Praepositus Generalis, und die Definitores Generales O.C.D. in Rom, Isfahan, 14.6.1622, in: ebenda, S. 503; DERS. an P. Mathias a S. Francisco, Praepositus Generalis O.C.D. in Rom, Isfahan, 4.8.1622, in: ebenda, S. 507–508; DERS. an dens., Isfahan, 22.11.1622, in: ebenda, S. 512; DERS. an P. Paulus Simon a Iesu Maria, Praepositus Generalis O.C.D. in Rom, Isfahan, 19.6.1622, in: ebenda, S. 539. 31 P. PROSPERUS A SPIRITU SANCTO, O.C.D., an P. Mathias a S. Francisco, Praepositus Generalis O.C.D. in Rom, Isfahan, 2.12.1621, in: ebenda, S. 489. 32 Dazu RICHARD, Catholicisme et Islam chiite, S. 353, 358. Über die Glaubensgespräche mit Muslimen siehe ZIMMEL, Vorgeschichte und Gründung der Jesuitenmission, S. 21–23; [CHICK], Chronicle of the Carmelites in Persia, Bd. 1, S. 230–232, 474. Die Glaubensgespräche werden in zeitgenössischen Berichten und in der Korrespondenz der Missionare vielfach erwähnt. Im Folgenden zitieren wir einen kleinen Teil dieses Quellenmaterials.

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persische Traktat „Spiegel der Wahrheit“, welches Pater Ezpeleta Goñi in Indien verfasst hatte. In einer dem Werk vorangestellten Epistel, welche Pater Chézaud an den Sohn des inzwischen verstorbenen schiitischen Gelehrten adressierte, erklärte der Jesuit seine Wertschätzung für das theologische und profane Wissen seines Kontrahenten, für dessen Kenntnis der hebräischen Originaltexte und die Mäßigung, welche er in seinem Werk an den Tag lege. Bezeichnenderweise gab Pater Chézaud dem ersten Teil seiner Ausführungen die Gestalt eines Dialogs zwischen einem Missionar, einem Mullah und einem Philosophen, der zunächst eine skeptische Mittlerposition einnimmt und sich zuletzt von den Argumenten des Missionars überzeugen lässt. So hätten aus der Sicht Chézauds die Disputationen verlaufen sollen, die er am Safavidenhof mit muslimischen Gelehrten vor allem über die Gottessohnschaft Jesu führte. Profunde Kenntnisse der islamischen und christlichen theologischen Überlieferung verbanden die Verfasser solcher Traktate mit der Vertrautheit mit antiker Philosophie und persischer Dichtung. Von den Disputationen zwischen Missionaren und muslimischen Gelehrten zeugen ebenso die handschriftlich überlieferten Texte, in denen letztere gegen die Missionare Stellung bezogen. So widerlegte ein Gelehrter aus Täbriz in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Irrtümer, die in einem vom Kapuziner Gabriel de Chinon an verschiedene Notabeln der Stadt gerichteten Traktat enthalten seien. Er argumentierte unter anderem, die Bezeichnung Christi als Sohn Gottes beruhe auf einer falschen Übersetzung der hebräischen Texte, die Christus in Wirklichkeit als „Diener Gottes“ bezeichneten. Philologische Kompetenz wird damit als Argument im theologischen Widerstreit zwischen schiitischen und katholischen Geistlichen greifbar.33 Nachdem die freudige Überraschung darüber, dass die Disputationen in dieser Form überhaupt stattfinden konnten, verflogen war, hatte der Jesuitenpater Aimé Chézaud allerdings bereits 1660 von deren Weiterführung abgeraten. Dem Pater zufolge führten die Disputationen mit den muslimischen Gelehrten nur dazu, deren Positionen zu verhärten, sie „unserem heiligen Glauben zu entfremden und zu verbittern“: „Les disputes que nous avons faites nuisent plus aux Persans […] et les aguerrissent, aliènent de notre Sainte Foi et les enaigrissent“.34 Die Konsequenzen aus dem Misserfolg und der Furcht vor einer möglichen Einschränkung der missionarischen Handlungsspielräume zog Chézaud 1661 mit der bereits erwähnten Verlegung der Mission in die armenische Vorstadt Neu-Djulfa, wo die meisten Christen lebten und die Jesuitenpatres nun bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Schule betrieben, mit der sie in erster Linie die Bildungsnachfrage armenischer Notabeln zu befriedigen suchten, sich zugleich aber auch an die kleine europäische Diaspora unterschiedlicher Konfession wandten. Andere Orden, etwa die Kapuziner mit Pater Raphaël du Mans, blieben auch gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch stark auf die Kontakte zum Hof und dem 33 Zu den Texten, welche im Kontext der Glaubensgespräche entstanden, siehe RICHARD, Catholicisme et Islam chiite. 34 P. Aimé CHÉZAUD, S.J., an P. Assistant de France S.J. in Rom, Isfahan, 16.12.1661 (Archivium Romanum Societatis Iesu [im Folgenden abgekürzt: ARSI], Gallia, 97 II, Dok. 111, f. 320r).

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muslimischen Gelehrtenmilieu der Residenzstadt Isfahan ausgerichtet. Diese Beziehungen machten Pater Raphaël zu einer wichtigen Anlaufstelle für Reisende unterschiedlicher Herkunft und Konfession. An den Vermittlungsleistungen des Kapuziners für Protestanten erweist sich die besondere Qualität einer vielfach von konfessionellen Schranken absehenden christlichen Diasporareligiosität, die ich an anderer Stelle untersuche.35 So hinterließ der französische Calvinist JeanBaptiste Tavernier zusammen mit einem niederländischen Kaufmann bei der Abreise nach Indien 1665 den Kapuzinern „ein gutes Almosen“ als Dank für die Beziehungen bei Hofe, welche Pater Raphaël ihnen vermittelt hatte.36 Der Juwelenhändler Jean Chardin, ebenfalls ein französischer Hugenotte, genoss während seiner Aufenthalte in Persien in den Jahren 1666–67, 1669 und 1671 bis 1677 mehrmals die Gastfreundschaft der Kapuziner. Als er während seines ersten Aufenthaltes im Kapuzinerhospiz wohnte, führte ihn Pater Raphaël bei gebildeten Muslimen ein, unter anderem bei einem Astronomen, der Astrolabien anfertigte. Nach dem letzten Aufenthalt Chardins in Isfahan pflegte der Pater den brieflichen Kontakt weiter.37 In den Jahren 1684 bis 1686 half Pater Raphaël den Mitgliedern der vom Niederländer Ludwig Fabritius geleiteten schwedischen Gesandtschaft weiter. Kurz nach ihrer Ankunft am 30. März 1684 schenkte er ihnen eine knappe Einführung in die türkische Sprache, d.h. die Sprache des Safavidenhofes. Engeren Kontakt mit dem Kapuziner knüpfte insbesondere der Sekretär der schwedischen Gesandtschaft, Engelbert Kemper oder Kaempfer. Pater Raphaël, der von Kaempfer als „vir maximi candoris et eruditionis“ bezeichnet wurde, pflegte den brieflichen Kontakt mit dem lutherischen Pastorensohn aus Lemgo in der Grafschaft Lippe noch mindestens zwei Jahre nach dessen Abreise im November 1685.38 Pater Raphaël kam dem praktischen Informationsbedarf des Gesandtschaftssekretärs Kaempfer ebenso entgegen wie der „curiositas“ des Universalgelehrten. Kaempfer erhielt auf diese Weise Informationen darüber, wie Anliegen der Gesandtschaft bei Hofe aufgenommen wurden, aber auch ergänzende Erläuterungen zu einer Kurzfassung der Beschreibung Persiens, die der Kapuziner 1684 auf der Grundlage seines État de la Perse eigens für ihn verfasst hatte. Für eine gewünschte Liste aller Schulen, Moscheen und Marktplätze Isfahans wandte sich Pater Raphaël seinerseits an einen muslimischen Geistlichen.39 35 Christian WINDLER, Katholische Mission und europäische Diasporareligiosität im Safavidenreich, in: Henning P. JÜRGENS/Thomas WELLER (Hrsg.), Religion und Mobilität. Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa (im Druck). 36 Relation de ce qui s’est passé dans les missions du Levant l’an 1665, écrite par F. Martial de Thorigné, Isfahan, 1665, ediert in: RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 1, S. 156. Über den Empfang Taverniers am persischen Hof und die Unterstützung des Paters siehe Jean-Baptiste TAVERNIER, Les six voyages de Jean-Baptiste Tavernier, […] qu’il a faits en Turquie, en Perse, et aux Indes […], Bd. 1, Paris 1676, S. 464–505. 37 RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 1, S. 74–76, 98–101. 38 Ebenda, Bd. 1, S. 115–121. 39 Siehe dazu den Briefwechsel zwischen Kaempfer und dem Kapuzinerpater: RAPHAËL DU MANS an Engelbert Kaempfer, [Isfahan], 22.9.1684, [Isfahan, wahrscheinlich Oktober 1684],

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III. MISSIONARSPHILOLOGIE UND MEDIZIN Für die gute Aufnahme durch die Missionare in Isfahan revanchierte sich der Calvinist Jean Chardin 1683, als er in Den Haag die „approbation“ zum Druck des Gazophylacium linguae Persarum des Karmelitenpaters Angelus a Sancto Ioseph verfasste und dabei den Sprach- und Landeskenntnissen des ihm seit seinen Persienaufenthalten bekannten Karmeliten hohes Lob zollte.40 Der Karmelit war in der Tat ein sprachgewandter und vielseitig gebildeter Mann. Er lebte vierzehn Jahre lang in Persien und übersetzte theologische Werke – insbesondere die Summa theologiae Thomas von Aquins – sowie die Aphorismen des Hippokrates von Kos ins Persische. Nach seiner Rückkehr nach Europa veröffentlichte er 1681 in Paris unter dem Titel Pharmocopoea persica eine lateinische Übersetzung der Arzneilehre von Muzaffar b. Muhammad Husaini al-Shifai. 1684 konnte sein Gazophylacium linguae Persarum in Amsterdam im Druck erscheinen, wo Pater Angelus als Generalvisitator der Mission weilte. In den 1680er Jahren verfasste der Pater auch eine Geschichte der Mission in Persien.41 Obwohl die Qualität der philologischen Arbeit des Karmeliten von den Zeitgenossen sehr unterschiedlich beurteilt wurde, kann an der Breite seines weit über die Theologie hinausreichenden Wissensschatzes kein Zweifel bestehen. In seinen gedruckten Werken bean[Isfahan], 13.10.[1684], [Isfahan], 8.10.1685, [Isfahan, nach März 1686], Isfahan, 6.6.1687, Isfahan, 10.7.1687; Engelbert Kaempfer an Raphaël du Mans, [vermutlich Isfahan, 1684], [Isfahan], 19.9.[1685], [Bandar Abbas, Herbst 1687], [Bandar Abbas], November 1687, [Bandar Abbas], 28.1.1688 (2 Briefe), Batavia, Oktober 1689, ediert in: KAEMPFER, Briefe, S. 196– 197, 203–212, 218–219, 230–231, 245–246, 250–252, 260–264, 286–287, 299–302, 318– 320. – Über Kaempfers Beschreibung Persiens siehe Stefan BRAKENSIEK, Politische Urteilsbildung zwischen Empirie und Tradition. Der Persien-Bericht des Engelbert Kaempfer 1684/85, in: Sabine KLOCKE-DAFFA/Jürgen SCHEFFLER/Gisela WILBERTZ (Hrsg.), Engelbert Kaempfer (1651–1716) und die kulturelle Begegnung zwischen Europa und Asien, Lemgo 2003 (Lippische Studien 18), S. 93–124. 40 Souvenirs de la Perse safavide et autres lieux d’Orient (1664–1678) en version persane et européenne, traduits et annotés par Michel BASTIAENSEN, Bruxelles 1985 (Travaux de la Faculté de Philosophie et Lettres 93), S. 17. 41 P. AMBROSIUS A SANCTA THERESIA, O.C.D., Nomenclator missionariorum ordinis Carmelitarum discalceatorum, Rom 1944, S. 36–38; BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide, S. 6–27. Gedruckte Werke von P. Angelus a Sancto Ioseph, O.C.D.: 1. P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Pharmacopoea persica ex idiomate persico in Latinum conversa. Opus missionariis, mercatoribus, caeterisque Regionum Orientalium Lustratoribus necessarium; nec non Europaeis Nationibus perutile. Accedunt in fine Specimen notarum in Pharmacopoeam Persicam; tum indices duo; alter Pharmaceuticus, compositiones in hoc opere contentas indigitans; alter pathologicus, remedia ad singulos morbos ostendens, Lutetiae Parisiorum [Paris] 1681; 2. Gazophylacium linguae Persarum, triplici linguarum clavi Italicae, Latinae, Gallicae, nec non specialibus praeceptis eiusdem linguae reseratum. Opus missionariis orientalibus, linguarum professoribus, sacrorum bibliorum scrutatoribus, mercatoribus, caeterisque regionum orientalium lustratoribus perutile, ac necessarium, Amsterdam 1684, partielle Edition: BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide. – In Amsterdam konnten für den Druck dieses zweisprachigen Werkes die arabischen Schrifttypen erworben werden, welche die Erben der Elzevir verkauften. Dazu: P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Gazophylacium linguae Persarum, partielle Edition: BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide, S. 44–45.

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spruchte er, dieses Wissen einem weiten Personenkreis – Missionaren, Sprachgelehrten, Theologen, Kaufleuten und anderen interessierten Lesern – zu vermitteln.42 Das Gazophylacium linguae Persarum und die Einleitung zur Pharmocopoea persica zeugen von der Einschätzung des muslimischen Gelehrtenmilieus und seines Wissens durch einen vielseitig gebildeten Missionar. Zugleich zeigen sie, wie dieser das in den gelehrten Kontakten gewonnene Wissen mit Übersetzungen aus dem Persischen für die Mission in breiteren Bevölkerungskreisen nutzbar zu machen suchte. Für den Karmeliten Angelus a Sancto Ioseph stand zwar fest, dass die persischen Muslime als „Ungläubige“ nicht an den Wahrheiten teilhatten, die Gott durch seinen Sohn offenbart hatte. Zugleich spricht jedoch aus seinen Werken die Bewunderung für eine Gesellschaft, in welcher Gelehrsamkeit hohe soziale Wertschätzung einbrachte. Die persischen Gelehrten waren aus seiner Sicht zwar Ungläubige, aber keine „Barbaren“, sondern gerade aufgrund ihrer hohen Bildung anspruchsvolle Gesprächspartner, wenn es darum ging, die christliche Offenbarung zu vermitteln. Im Prolog zu seinem 1684 in Amsterdam gedruckten Gazophylacium linguae Persarum gestand der Karmelit den persischen Autoren das gleiche Maß an Eloquenz und Wissen zu wie den europäischen: „afflabat interim aetatis vigor, tot Persarum authorum studium, qui in quacumque facultate omnibus Orientalibus palmam auferant, et cum nostratibus partiantur eloquentiae ac scientiae lauros“. Der Umstand, dass „ein in so zahlreichen Disziplinen gebildetes Volk“ „der Finsternis eines abergläubischen Gesetzes“ folge, habe ihn bedrückt: „sed unum illud conficiebat animum, quod tot tantisque disciplinis exculta gens superstitiosae legis tenebras pro verae fidei lumen sectaretur.“ Das Gazophylacium linguae Persarum sollte die Missionare deshalb in die Lage versetzen, den Persern entgegenzutreten und sie der „Finsternis ihres Gesetzes“ zu entreißen.43 Dazu enthielt das Werk nicht nur eine Übersetzung persischer Begriffe ins Lateinische, Italienische und Französische, sondern auch vielfältige Informationen zu Bevölkerung, Institutionen, Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und naturräumlichen Gegebenheiten. In seinem Gazophylacium bezeichnete Pater Angelus a Sancto Ioseph insbesondere die persische Medizin ausdrücklich als der europäischen ebenbürtig, womit er sich gegen das abschätzige Urteil von Jean-Baptiste Tavernier wandte.44 Mit der Übersetzung der Arzneilehre von Muzaffar b. Muhammad Husaini alShifai unter dem Titel Pharmacopoea persica bezeugte er seine Wertschätzung der medizinischen Kenntnisse der Perser, deren Wohlwollen die Missionare mit ebenbürtigen Fähigkeiten gewinnen sollten. Im Hinblick auf die Umstände missionarischer Vermittlungstätigkeit besonders interessant ist das lange Vorwort, welches Pater Angelus seiner Übersetzung voranstellte, um den Nutzen seiner Arbeit und allgemein medizinischer Kenntnisse für die Missionare zu rechtfertigen. 42 BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide, S. 12–15. 43 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Gazophylacium linguae Persarum, partielle Edition: BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide, S. 38–41. 44 Ebenda, S. 120–121.

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Während das kanonische Recht den Priestern größte Zurückhaltung bei der Ausübung medizinischer Tätigkeiten auferlegte, betonte Pater Angelus, medizinische Kenntnisse seien „der wahre, ja der einzige Schlüssel zu den Häusern und Herzen“ („vera, ac pene unica clavis & domorum, & cordium“).45 So groß sei das Bedürfnis nach Medizin, dass die Missionare, wenn sie schon von Chirurgie, Botanik und Theorie nichts verstünden, doch wenigstens empirisches Wissen, d.h. die Kenntnis um den Nutzen von Arzneimitteln, zeigen sollten: „Tanta est ergo Medicinae necessitas, ut qui saltem Chirurgicam, aut Botanicam, aut Theoricam non noverint, Empiricam quandam mirum in modum affectent.“46 Die Einführung zur Pharmacopea persica illustriert darüber hinaus die enge Verbindung von Alltagsmagie, Medizin und missionarischer Tätigkeit und zugleich den für die nachtridentinische Kirche charakteristischen Versuch, alltagsmagische Praktiken zu christianisieren: Die Missionare sollten bei den kranken Kindern ungläubiger Eltern Exorzismen lesen, statt eines Amuletts jedoch „die Worte des Evangeliums“ anwenden und bei offensichtlicher Todesgefahr das Sakrament der Taufe spenden. Auf diese Weise habe der Karmelitenpater Dionysius a Corona Spinea kürzlich Tausende von todkranken Kindern taufen können.47 Solche missionarischen „Erfolge“ beruhten in entscheidendem Maße auf der Polysemie der vorgenommenen Handlungen. Wenn sich der Karmelit Mathaeus a Sancto Joseph beim Gang durch die Straßen von Bandar Abbas von seinem Akoluthen als „Arzt, der gratis Heilmittel für jedes Leiden spendet“ („ecce Medicum, qui gratis dispensat remedia ad omnem infirmitatem“) anpreisen ließ und damit nicht nur die Gemüter der Engländer und Holländer für sich gewonnen habe, sondern auch in die Herzen aller Ungläubigen eingedrungen sei und Hunderte von Kindern getauft habe, so gelang ihm dies dank der gewollten Vieldeutigkeit der „remedia“, die sowohl kirchlich als auch weltlich verstanden werden konnten.48 In den persischen Erläuterungen seines Gazophylacium linguae Persarum wahrte Pater Angelus ebenfalls die Vieldeutigkeit des Einsatzes von Weihwasser bei todkranken Kindern, indem er dort anders als in den lateinischen, italienischen und französischen Paralleltexten nicht explizit von Taufe sprach, sondern die im körperlichen und geistlichen Sinne heilende Wirkung des Weihwassers als ein großes Geheimnis der christlichen Religion beschrieb. Die meisten Kinder genäsen, wenn die Patres das heilige Evangelium über ihren Köpfen läsen, vor allem aber, wenn

45 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Pharmacopoea persica, S. 5. 46 Ebenda, S. 8. 47 Ebenda, S. 8–9. – Vgl. FR. FRANCISCUS MARIA A SANCTO SIRO, O.C.D., Itinerario Orientale in cui si contengono varie notizie della Turchia, della Persia, di una gran parte delle Indie. Fatto, e composto da un Religioso Converso dell’Ordine de’ Carmelitani Scalzi, che, come testimonio di veduta fedelmente l’addita, Mss., datiert S. 712: „Scritto in Vienna d’Austria l’anno 1706, e rescritto in Milano l’anno 1713“ (Biblioteca Apostolica Vaticana, Borgiani Latini, 317), S. 162. 48 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Pharmacopoea persica, S. 9–10.

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sie ihnen Weihwasser über den Kopf gössen. Wenn das Kind sterbe, nachdem es mit diesem Wasser gewaschen worden sei, gehe es ins Paradies ein.49 Aufgrund seiner Kenntnis von der Bedeutung medizinischer Erfahrung habe er, Pater Angelus a Sancto Joseph, das Studium der persischen Sprache mit jenem der Medizin, Mathematik und Astronomie verbunden.50 Mit den gelehrten Eliten des Safavidenreiches könnten die Missionare besonders dann ins Gespräch kommen, wenn sie in der Lage seien, ihnen mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse zu vermitteln. In seinem Gazophylacium linguae Persarum nannte Pater Angelus Beispiele mathematischer und astronomischer Fertigkeiten, für welche die Patres von den persischen Gelehrten aufgesucht würden.51 Während die Mathematik indessen nur den Zugang zu einer kleinen Minderheit eröffne und mathematische Abhandlungen den Geist so heftig beschäftigten, dass kein Raum für die Argumente der Religion mehr bleibe, könne man mit der Medizin in die Herzen und Seelen der Menschen eindringen.52 Von dieser Feststellung ausgehend preist Pater Angelus ausführlich seine eigenen Erfahrungen in der Verbindung von Medizin und Mission. Die medizinische Praxis sei dazu geeignet, das Wohlwollen der muslimischen Obrigkeiten zu gewinnen, und so die eigentliche Tätigkeit als Missionar erst zu ermöglichen. Die Hoffnung auf körperliche Heilung veranlasse Nichtkatholiken dazu, in schwerer Krankheit die Patres um Hilfe anzuflehen. Pater Angelus beschreibt, wie er solche Gelegenheiten nutzte, um medizinische Pflege mit christlicher Unterweisung zu verbinden.53

IV. KULTURELLE ADAPTION UND REGELOBSERVANZ Die Übersetzungstätigkeit von Pater Angelus a Sancto Ioseph ist zugleich als Ausdruck einer Integration in lokale soziokulturelle Systeme zu verstehen, die den Karmeliten in ein schwieriges Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen normativen Erwartungen brachte. Gegenüber jenen, die auf buchstabengetreue Regelobservanz pochten, rechtfertigte er Abweichungen davon unter Berufung auf seine Landeskenntnisse. Ihr Namen gebendes Gebot, „unbeschuht“, d.h. mit nackten, bloß mit Sandalen bekleideten Füßen, aufzutreten, brachte die reformierten Karmeliten in Persien in schwere Verlegenheit. Dennoch gewährten ihnen die Ordensoberen 1683 lediglich die Erlaubnis, ihr Habit auf Reisen der persischen Kleidung anzupassen; in der Stadt sollten sie sich an das Ordenshabit halten.54 49 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Gazophylacium linguae Persarum, partielle Edition: BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide, S. 164–165. 50 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Pharmacopoea persica, S. 11–12. 51 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Gazophylacium linguae Persarum, partielle Edition: BASTIAENSEN, Souvenirs de la Perse safavide, S. 118–121. 52 P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, Pharmacopoea persica, S. 12–13. 53 Ebenda, S. 13–25. 54 Matteo SANFILIPPO, L’abito fa il missionario? Scelte di abbigliamento, strategie di adattamento e interventi romani nelle missioni „ad haereticos“ e ad infideles tra XVI e XX secolo, in:

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Solche Vorschriften waren den Erwartungen persischer Gastgeber nicht angemessen. Der Karmelit Angelus a Sancto Ioseph, der 1670 zum Prior des Konvents von Isfahan gewählt worden war, hatte die Abweichung von der Regel mit Verweis auf päpstliche Privilegien gerechtfertigt, die den Missionaren die Freiheit gaben, sich den lokalen Erfordernissen entsprechend zu kleiden. Da die Häuser und Kirchen mit Teppichen ausgelegt seien, könne man nicht mit nackten und schmutzigen Füßen auftreten, ohne die Empörung aller Anwesenden auf sich zu nehmen. Deshalb hätten bisher alle Karmeliten in Persien ihre Füße in Socken und schwarze Pantoffeln gekleidet, was von einem früheren Visitator mit entsprechenden Landeskenntnissen ausdrücklich gebilligt worden war und dennoch bei der jüngsten Visitation moniert wurde.55 „Alle allgemeinen Prinzipien des Gewissens, der Politik, der Hauswirtschaft und der Observanz“, wie sie in den Büchern vertreten würden, könnten nicht einfach auf die Verhältnisse vor Ort angewandt werden.56 In Persien nehme man die Geistlichen gut auf, wenn sie als gelehrte und wohl erzogene Personen bekannt seien; hingegen seien „Armut, einfache Kleidung, nackte Füße und andere Dinge, die in Europa der Erbauung dienten, hier eher Gegenstand von Skandal und Entrüstung“.57 Pater Angelus a Sancto Ioseph zufolge gewannen die Missionare Autorität nicht aufgrund ihrer Armut und Bußübungen, sondern weil sie nach Jahren der Übung „mit den feinsten Gelehrten der Welt“ über die verschiedensten Themen disputieren konnten („controverser et disputer avec les gens les plus raffinés du monde en toutes sortes de matières“).58 In einem Brief aus dem Jahre 1676 an den General seines Ordens, auf dessen Patronage er setzte, betonte der Karmelit die Notwendigkeit, bei der Auswahl der Geistlichen mehr auf deren Bildung und Sprachkenntnisse zu achten, denn ein Missionar, der den persischen Gelehrten gewachsen sei, werde von diesen „unendlich“ geschätzt.59 Solche Ausführungen spiegelten sowohl die Kontroversen unter den Missionaren vor Ort wider als auch das Spannungsverhältnis zu den

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Mélanges de l’École française de Rome. Italie et Méditerranée 109 (1997), S. 601–620, hier S. 614. P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, O.C.D., an P. [Joannes Chrysostomus a Sancto Paulo, Ordensgeneral O.C.D. in Rom], Isfahan, 22.12.1675 (Archivio Generale O.C.D., Rom [im Folgenden abgekürzt: AOCD], 236/b/18). Vgl. DERS. an dens., Isfahan, 1.9.1675 (AOCD, 236/i/27). P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, O.C.D., an P. Joannes Chrysostomus a Sancto Paulo, Definitor O.C.D. in Rom, Isfahan, 1.10.1672: „[…] et généralement tous les principes généraux de conscience, de politique, d’économie et d’observance qu’on trouve écrits dans les auteurs sont courts pour l’application au particulier de ces lieux-ci“ (AOCD, 236/i/19 und 20). Ebenda: „il y a déjà trois ou quatre ans qu’aucun des religieux établis en Ispahan n’a aucune entrée en cour, ni par conséquent aucun favorable accès chez les grands, à moins que ce soit de ceux qui sont déjà informés que les religieux sont des gens doctes, et bien élevés, circonstances que les Persiens considèrent très particulièrement, car tout le reste, comme pauvreté, vilité d’habits, nudité de pieds, et autres choses, qui servent d’occasion d’édification en Chrétienté sont plutôt occasion de scandale et d’indignation ici“. Ebenda. P. ANGELUS A SANCTO IOSEPH, O.C.D., an P. [Joannes Chrysostomus a Sancto Paulo, Ordensgeneral O.C.D. in Rom], [Isfahan], Ergänzung vom 18.1.1676 eines zu einem früheren Datum begonnenen Briefes (AOCD, 236/b/20).

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normativen Anforderungen des Ordens, wie sie von einem aus Italien angereisten Visitator vertreten wurden, der dem Pater mangelnde Regelobservanz vorwarf. Pater Angelus a Sancto Ioseph teilte dieses Schicksal mit Pater Raphaël du Mans, der als Kapuziner einem anderen reformierten Bettelorden strenger Observanz angehörte. Allgemein wurde die Präsenz der Ordensleute bei Hofe von Kritikern als Widerspruch zum Missionsauftrag beschrieben. So hielt beispielsweise der Dominikaner Sebastian Knab, Erzbischof von Nachitschevan, bei einem Besuch in Isfahan in den Jahren 1684 bis 1686 fest, die Patres verzeichneten als Missionare wenige Erfolge und erfüllten vor allem Funktionen als Übersetzer, Mathematiker und Astrologen bei Hofe.60 1700 bat der Jesuitenpater Jacques Tilhac den Ordensgeneral, ihm die Erlaubnis seines Provinzials zu verschaffen, in seine Ordensprovinz zurückzukehren. Er begründete sein Ersuchen damit, dass in Isfahan und Neu-Djulfa kaum missionarische Erfolge verzeichnet werden könnten und sich die ansässigen Katholiken den Geboten der römischen Kirche entzögen. Pater Tilhac kritisierte insbesondere die enge Verbindung der Missionen mit den Gesandtschaften europäischer Höfe und die mit diesen Aufgaben einhergehenden Verstöße gegen die Armutsgebote der Orden, etwa im Fall eines in Gold- und Silbergewebe gekleideten italienischen Kapuziners, oder im Fall der Missionare, die sich als Edelleute verkleideten und die Manieren von Adligen und Rittern annähmen. Ziemlich oft würden schließlich auch ihre Gefühle mit diesen Manieren übereinstimmen. Die von weltlichen Reisenden gelobten Beziehungen von Pater Raphaël du Mans zu Höflingen und muslimischen Gelehrten führte Pater Tilhac als Beispiel für das wenig regelkonforme Leben der Missionare an. Der Kapuziner habe mehr als fünfzig Jahre damit verbracht, mit einigen Herren des Hofes und Gelehrten Konversation zu pflegen. Auf die Vorwürfe von Propaganda fide, er tue zu wenig für Gott und die Kirche, habe er entgegnet, es sei schon viel, dass er seinen Glauben noch nicht verloren habe.61

60 RICHARD, Raphaël du Mans, Bd. 1, S. 123. 61 Denkschrift von P. JACQUES TILHAC, S.J., Beilage zu seinem Brief an P. Tirso González, Ordensgeneral S.J., Isfahan, 27.12.1700: „Je me souviens à ce propos du fameux P. Raphaël Capucin, dont plus de cinquante années se sont passées ici à converser avec quelques seigneurs de la Cour, et quelques gens de lettres qui l’allaient voir. On lui écrivait de la Propaganda qu’on s’étonnait fort de ce qu’ayant autant de talents qu’il en avait, et étant aussi autorisé qu’il l’était dans ce pays, il faisait si peu pour la gloire de Dieu, et de son Église. Il leur répondit qu’il croyait y avoir fait beaucoup, puis qu’il n’y avait pas encore perdu la foi.“ (ARSI, Gallia, 97 II, f. 395r).

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V. SCHLUSS Solche Kritik zeigt, wie in der Mission durch die jeweiligen Verhältnisse vor Ort geprägte individuelle Praktiken neben die Vorgaben der nachtridentinischen römischen Konfessionskirche traten. Die Missionare handelten nicht einfach als Vermittler einer fremden religiösen Wahrheit, sondern auch als kulturelle Grenzgänger. Waren sie grundsätzlich klar auf die Normen einer nachtridentinischen Kirchlichkeit festgelegt, so verhielten sie sich in der Praxis ähnlich wie vormoderne weltliche Herrschaftsbroker und stellten sich in den Mittelpunkt spezifischer „dritter Räume“. Ausgehend von ihrem religiösen Grundauftrag diversifizierten sie in diesen „dritten Räumen“ ihre Rollen: Aufgaben diplomatischer Repräsentation im Dienste des Papstes und katholischer Fürsten boten Gelegenheit, die Beziehungen am persischen Hof zu pflegen. Einzelne Missionare knüpften als Dolmetscher und Übersetzer ein derart enges Verhältnis zum Hof des Schahs, dass Christen aus Europa Zweifel an ihrer Loyalität äußerten. Waren die Kontakte mit schiitischen Gelehrten grundsätzlich auf das Glaubensgespräch ausgerichtet, bei dem die Überlegenheit der eigenen religiösen Wahrheit zu belegen war, so ergaben sich auch daraus beachtliche Erweiterungen der Erfahrungs- und Wissenshorizonte. Gerechtfertigt wurden diese Erweiterungen, indem die Bedeutung eines vielfältigen säkularen Wissensschatzes bei der Anbahnung und Aufrechterhaltung der Kontakte betont wurde. Diese Rollendiversifizierung trug dazu bei, vielfältige lokale Praktiken von Kirchlichkeit und Mission zu prägen. Unbestritten waren diese Praktiken, die aus römischer Sicht die Grenzen konfessioneller Regelhaftigkeit vielfach überschritten, auch vor Ort nie. Allerdings fällt die Aussage von Pater Tilhac über Raphaël du Mans in eine Zeit, in welcher katholische Missionare nicht nur in Persien vermehrt an strikte konfessionelle Vorgaben gebunden wurden. Der Wandel der missionarischen „dritten Räume“ zwischen 1600 und der Mitte des 18. Jahrhunderts kann im Falle Persiens am Beispiel des Verhältnisses zu den Armeniern deutlicher herausgearbeitet werden, da wir dafür über eine wesentlich dichtere Dokumentation verfügen. Zeichen einer schärferen konfessionellen Abgrenzung, wie sie Bernard Heyberger in seiner Studie über die katholischen Missionen in Syrien aufgezeigt hat,62 sind in Persien ebenfalls seit dem späten 17. Jahrhunderts deutlich zu erkennen. Eine solche Chronologie erinnert an die Kontroversen um Missionsstrategien in anderen Weltgegenden – etwa an die Auseinandersetzungen um die „chinesischen Riten“, die schon bei den Zeitgenossen wesentlich mehr Aufsehen erregten und entschieden besser erforscht sind. In allen genannten Fällen resultierte die engere Auslegung und striktere Durchsetzung konfessioneller Normen nicht nur aus der Tätigkeit kurialer Kongregationen – des heiligen Offiziums und von Propaganda fide –, sondern auch aus der lokalen Praxis in deren Interaktion mit Rom. Auch in Persien suchte ein Teil der Missionare mit besonders strengen Positionen im Kontakt mit Rom eine Bestätigung gegenüber Konkurrenten vor Ort. Mit der demonstrativen Inszenie62 HEYBERGER, Les Chrétiens du Proche-Orient.

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rung einer spezifisch katholischen Kirchlichkeit provozierten sie Gegenreaktionen seitens des armenischen Klerus, der seinerseits wie der Klerus der verschiedenen Kirchen in Syrien seine konfessionellen Positionen eindeutiger festlegte. Im Zuge der strengeren Festlegung auf die Normen einer konfessionalisierten Kirchlichkeit verringerten sich die individuellen Handlungsspielräume der Missionare und damit auch ihre Möglichkeiten, zwischen verschiedenen kulturellen Bezugssystemen zu vermitteln.63

63 Diese Veränderungen untersucht der Verfasser dieses Beitrags in einer im Entstehen begriffenen Monographie.

Mehrsprachigkeit, kultureller Austausch und Multikulturalität in der Nouvelle France (16.–19. Jahrhundert) Susanne Lachenicht, Bayreuth Mit der Entdeckung der beiden Amerikas sah sich das frühneuzeitliche Europa damit konfrontiert, die „Natur“ der indigenen Bevölkerung der Neuen Welt zu definieren. Waren „Indianer“ wirklich menschliche Wesen? Konnten sie oder mussten sie christianisiert werden? Die Bulle Papst Alexanders VI. Inter caetera von 1493 ließ keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Angehörigen der nordamerikanischen Nations1 um menschliche Wesen handelte, die den Europäern nicht nur ähnlich, sondern sogar nominell ebenbürtig waren und durch Christianisierung auf einer Stufe mit den Kolonisatoren stehen konnten. Diese offizielle Haltung der katholischen Kirche wurde 1537 durch Papst Paul III. bestätigt, ebenso 1639 durch Urban VIII.2 In der Nouvelle France, d.h. in Kanada und Akadien, ignorierten die französischen Kolonisatoren zunächst weitgehend die indigenen Kulturen sowie die sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen Kolonisatoren und zu Kolonisierenden. Letztere wurden als „Français potentiels“ wahrgenommen, und ihnen wurde die Gleichstellung mit Franzosen in Aussicht gestellt. Ähnlich wie später britische Kolonisatoren in den Maori sahen die Franzosen in Kanadas First Nations „Weiße“, die, wenn sie sich „vorteilhafter“ kleideten, was bedeutete, dass sie sich „mehr bedeckten“, die gleiche Hautfarbe wie Europäer aufweisen würden.3 1

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Im Sinne der englischen Semantik werden als Nation im Folgenden ethnische und religiöse Gemeinschaften bezeichnet, die durch eine eigene Sprache, Kultur, nationalen Mythos und Religion verbunden waren (und sind), sich aber nicht zwangsläufig in einem Territorium bzw. einem (National-)Staat konstituieren. Ebenso wird, um pejorative Begriffe wie „Indianer“ oder „indianische Stämme“ weitgehend zu vermeiden, im Folgenden synonym der Begriff First Nations für die indigene Bevölkerung Nordamerikas benutzt werden, die dort vor der Ankunft der ersten Europäer siedelten. Samuel PURCHAS, Hakluytus Posthumus, or Purchas His Pilgrimes, Glasgow 1905–1907, Bd. 2, S. 39, und Lewis HANKE, Aristotle and the American Indians. A Study in Race Prejudice in the Modern World, Chicago 1959, S. 19. Siehe hierzu auch Anthony GRAFTON/April SHELFORD/ Nancy SIRAISI (Hrsg.), New Worlds, Ancient Texts: The Power of Tradition and the Shock of Discovery, Cambridge (Mass.) 1992; Anthony PAGDEN, The Fall of the Natural Man: The American Indian and the Origins of Comparative Ethnology, New York 1982, und DERS., European Encounters with the New World, New Haven 1993. Thomas PICHON, Lettres et mémoire pour servir à l’Histoire naturelle, civile et politique du Cap Breton, ND New York 1966, S. 95. Siehe auch Gordon SAYRE, Les Sauvages Américains: Representations of Native Americans in French and English Colonial Literature, Chapel Hill 1997. Zur Wahrnehmung von indigenen Nations als Weiße ausführlich Tony BALLANTYNE, Orientalism and Race: Aryanism in the British Empire, Basingstoke 2002.

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Abbildung 1: Die Nouvelle France und das Gebiet der Großen Seen im 17. Jahrhundert

Mehrsprachigkeit in der Nouvelle France

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In der Charta der Compagnie des Cent Associés heißt es 1627: Les Sauvages qui seront amenés à la foi et en feront profession seront censés et réputés naturels français, et comme tels, pourront venir habiter en France, quand bon leur semblera, et y acquérir, tester, succéder et accepter donations et legs, tous ainsi que les vrais régnicoles et originaires français, sans être tenus de prendre aucune lettre de déclaration ni de naturalité.4

Kontakte zwischen Europäern und indigenen Nations gestalteten sich zunächst schwierig, nicht zuletzt weil die Sprachsysteme sich radikal unterschieden und Realitäten reflektierten, die selbst bei der Erlernung der Sprache des „Anderen“ das Verständnis zwischen den Kulturen fast unmöglich machten. Besonders deutlich wurde dies bei der Vermittlung von christlichen Symbolen bzw. Metaphern wie Lamm, Herde oder Himmel im Kontext der Missionierungsversuche von Jesuiten oder Sulpizianern.5 Die französischen Missionen begannen 1610 in Akadien unter den Auspizien von Jean de Biencourt de Poutrincourt. Die Legende besagt, dass Jessé Flesché, ein Priester im Gefolge Biencourts, mit Hilfe eines Dolmetschers zwanzig Mikmaks in kürzester Zeit konvertiert haben soll. Durch diese Missionierungserfolge beflügelt, beschloss die Regentin Maria de Medici in Frankreich, die Jesuiten mit der Missionierung der „Wilden“ (Sauvages) in der Nouvelle France offiziell zu beauftragen. Auf der Basis der Missionierungserfahrungen der Jesuiten in Indien und China verfolgten diese auch in der Nouvelle France eine Strategie der Missionierung, die zunächst in der Erlernung der Kultur des „Anderen“ im Missionsgebiet bestand. Die „Integration“ der Missionare, d.h. die Annahme von Teilen der Kultur und Sprache der zu Missionierenden, erfolgte nicht nur in der Nouvelle France auf mehreren Ebenen.6 Zunächst stand das Erlernen der Sprachen der Huronen, Irokesen, Mikmaks, Montagnais und Algonkins durch die Missionare im Vordergrund. Die Sprachaneignung vollzog sich vor Ort. In Huronia lebten die Missionare in den Dörfern der First Nations (oder in deren Nähe), nahmen ihre Art an, sich zu kleiden, zu essen, zu jagen und zu feiern, adaptierten teilweise sogar deren Begräbnisrituale.7 Mehrsprachigkeit und Multikulturalität der jesuitischen Missionare sollten die Grundlage der Christianisierung der „Wilden“ bilden, durchaus unter Beibehaltung von deren eigenständigen indigenen Kulturen. Im Rahmen des

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Nouvelle France. Édits, ordonnances royaux, déclarations et arrêts du Conseil d’état du roi concernant le Canada, Quebec 1854–1856, Bd. 1, S. 10. Olive Patricia DICKASON, Louisbourg and the Indians: A Study in Imperial Race Relations 1713–1760, Ottawa 1976, S. 51. Siehe hierzu Susan NEYLAN, “Eating the Angel’s Food”: Arthur Wellington Clah – an Aboriginal Perspective on Protestant Missions in Northern British Columbia, 1857–1909, in: Austin ALVYN/ Jamie S. SCOTT (Hrsg.), Canadian Missionaries, Indigenous Peoples: Representing Religion at Home and Abroad, Toronto 2007, S. 88–108, hier S. 101. Siehe Louis CHANCELS DE LAGRANGE, Voyage fait à l’Isle Royalle ou du Cap Breton en Canada 1716, in: Revue d’Histoire de L’Amérique Française XIII/3 (1959), S. 423–434, hier S. 431–432; und Allan GREER, Mohawk Saint: Catherine Tekakwitha and the Jesuits, New York 2005, S. 8.

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Erlernens der Sprachen der First Nations wurden diese in der Regel auch schriftlich kodifiziert und christliche Texte dann in diese Sprachen übersetzt.8 Ein bislang in der Forschung wenig bekanntes Beispiel für diese Bemühungen jesuitischer Missionare in Kanada ist die in Wendat, die Sprache der Huronen, übersetzte Schrift De Religione, die bei den (ebenfalls Wendat benutzenden) Irokesen südlich der Großen Seen zur Vermittlung katholischer Dogmen dienen sollte. John Steckleys 2004 erschienene Edition und englische Übersetzung des Originals macht deutlich, dass der zwischen 1669 und 1673 wahrscheinlich von dem belgischen Jesuiten Philippe Pierson verfasste Text neben christlichen Dogmen und Begriffen auch huronische und irokesische Vorstellungen von Gott und dem Jenseits dokumentiert, die in den Relations, d.h. den offiziellen Berichten der jesuitischen Missionare an ihren Orden in Frankreich, nicht vorkommen durften. Anders gesagt, um den zu Missionierenden christliche Begriffe wie diejenigen des „Lammes Gottes“, der Dreifaltigkeit und Ähnliches vermitteln zu können, wurden christliche und irokesische Vorstellungen amalgamiert, was in Europa zur Wahrnehmung der Missionare als Häretiker hätte führen müssen.9 Im Jahre 1614 begann die Huronen- und Algonkinmission durch die Récollets und die Jesuiten. 1630 und 1633 folgten weitere Missionsstationen der Récollets in Akadien. Im letzteren Jahr gründeten Ursulinen in Quebec eine Schule für „indianische“ Mädchen. 1635 gab es sieben jesuitische Missionen in Kanada, zwei in Quebec und jeweils eine in Tadoussac, Trois Rivières, Sillery, Bécancourt und in Saint François de Sales. In den Missionen der Ursulinen, Récollets und Saint Sulpiciens wurde Unterricht in französischer Sprache erteilt, das Erlernen von französischen kulturellen Praktiken und Techniken und vor allem die Christianisierung der Jugend der First Nations vorangetrieben. 1640 verkündeten jesuitische Missionare, insgesamt 1.200 Huronen und Montagnais missioniert zu haben – ein Erfolg, der durch die Kriege zwischen Huronen und Irokesen in den späten 1640er und 1650er Jahren jedoch zunichte gemacht wurde.10 Im Kulturkontakt von Konvertiten und Jesuiten in den Missionen in Huronia und am Sankt Lorenz wurde im Gegensatz zu den Missionen der Saint Sulpiciens – die allerdings später Methoden der Jesuiten übernahmen –, der Récollets und anderer Missionsorden nicht die Sozialstruktur, Sprache und Kultur der First Nations zerstört. Die Akkulturation der First Nations sollte nach dem Willen der Jesuiten, auch in den Missionsstationen selbst, langsam erfolgen. Sie sollten ihre eigene Sprache, ihre Sozialstruktur, Selbstverwaltung, Bräuche und Riten bewahren, solange sie dem christlichen Glauben nicht diametral entgegengesetzt waren. Um den schädlichen Einflüssen des Kulturkontakts, vor allem mit europäischen Händlern und hier vor allem dem eventuellen Alkoholmissbrauch, vorzubeugen, DICKASON, Louisbourg, S. 20–21; John STECKLEY, The Warrior and the Lineage: Jesuit Use of Iroquian Images to Communicate Christianity, in: Ethnohistory 39/4 (1992), S. 478–509. 9 John STECKLEY, De Religione: Telling the Seventeenth-Century Jesuit Story in Huron to the Iroquois, Norman 2004, bes. S. 5–6, 7. 10 Vgl. hierzu ausführlich Lucien CAMPEAU, La mission des jésuites chez les Hurons, 1634– 1650, Montreal 1987.

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versuchten jesuitische Missionare sogar, ihre Konvertiten von Kontakten mit Europäern zu isolieren – eine Politik, die den Interessen der Kolonialregierung und Frankreichs diametral entgegengesetzt war.11 Insgesamt blieben jedoch die großen Missionierungs- und Assimilierungserfolge in der Nouvelle France bis weit ins 18. Jahrhundert hinein aus. In den 1650er Jahren schreibt die Ursulinin Marie de l’Incarnation an ihre Mitschwestern in Frankreich: C’est pourtant une chose très difficile, pour ne pas dire impossible, de les franciser ou civiliser. Nous en avons l’expérience plus que tout autre, et nous avons remarqué que de cent de celles qui ont passé par nos mains, à peine en avons-nous civilisé une.12

Noch ein Jahrhundert später bleiben die Konversionserfolge der Missionare in der Nouvelle France geradezu kläglich. Ein anonymer Autor schreibt um 1750: Il y a lieu de croire qu’ils [les Amérindiens] n’embrassent la religion Catholique que par Interest. Ils la pratiquent en Apparence, en font les Exercises, vont même à [la] confesse, mais ils s’y presentent faux honte d’avouer leur turpitude, d’où il est apparent qu’ils en sortent sans repentir de leurs fautes.13

Die Missionierung scheiterte so an der mangelnden Akzeptanz des christlichen Glaubens durch die indigene Bevölkerung, die anscheinend keine Notwendigkeit sah, ihre traditionelle Religion gegen einen ihrem Umfeld nicht angepassten neuen Glauben einzutauschen. Ziel Frankreichs war nicht nur die Konversion der „Heiden“ und „Wilden“ mithilfe der Missionen, sondern die „Zucht“ einer neuen race, eines neuen idealen Untertanen. Samuel de Champlain wurde zum Organisator dieses Programms in der Nouvelle France. Zu diesem Zweck wurden Kinder und Jugendliche der Franzosen und der First Nations in der Nouvelle France ausgetauscht und im jeweils anderen kulturellen Kontext erzogen.14 Erste Versuche scheiterten allerdings. Von den 1535 von Jacques Cartier nach Paris entführten zehn Irokesen aus dem Tal des Sankt Lorenz überlebte keiner das Jahr 1541. Auch der zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Frankreich gebrachte Sohn Begourats, des sachem15 der Montagnais, der gemeinsam mit dem französischen Thronfolger im Schloss von Saint Germain erzogen werden sollte, starb bereits 1604, ein Jahr nach seiner Ankunft in Frankreich.16 11 Peter N. MOOGK, La Nouvelle France. The Making of French Canada – A Cultural History, East Lansing 2000, S. 41–42. 12 Marie DE L’INCARNATION, Lettres de la révérende mère Marie de l’Incarnation, hrsg. von Abbé Richaudeau, Paris 1876, Bd. 2, S. 372. 13 Zitiert nach DICKASON, Louisbourg, S. 31. 14 Morris BISHOP, Champlain, the Life of Fortitude, Toronto 1963, S. 298. 15 Als sachem wird in der Regel der „Friedenshäuptling“ einer größeren indianischen Siedlung bezeichnet, der zusammen mit den „Kriegshäuptlingen“ den höchsten und in judikativen, exekutiven, und legislativen Belangen gleichermaßen entscheidenden Rat einer indianischen band oder Nation bildete. 16 A.-Léo LEYMARIE, Le Canada pendant la jeunesse de Louis XIII, in: Nova Francia 1/4 (1926), S. 168–169.

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Die Amalgamierung von Kolonisatoren und Kolonisierten wurde auch von Jean-Baptiste Colbert gefördert, der vor allem Hochzeiten zwischen Häuptlingstöchtern der First Nations und französischen Adligen in der Nouvelle France unterstützte. Devrim Karahasan zufolge handelte es sich bei diesen Versuchen einer konsequenten „Züchtung“ einer neuen race um mehr als lediglich ein „concept théorique, intellectuel ou humaniste“.17 In den 1670er Jahren heiratete Jean Vincent d’Abbadie de Saint Castin (1652–1707) Pidianske, Tochter von Madockwando, Sagamore (höchster Führer) der Nation der Penobscots, der wichtigsten Nation der Abenakis.18 Im 17. Jahrhundert scheinen Heiraten zwischen Franzosen und Töchtern der First Nations in Akadien nicht selten gewesen zu sein. Ein französischer Beobachter kommentiert diese Situation 1753 wie folgt: „Je ne donne pas plus de cinquante ans à ceux-cy aux marichites pour qu’on les voye tellement confondus avec les Français colons, qu’il ne sera presque plus possible de les distinguer.“19 Die Taufe garantierte Mestizen den Eintritt in die französische Kolonialgesellschaft. Doch außerhalb Akadiens, im Missionsgebiet der Huronen und der Irokesen, scheint diese Politik der Amalgamierung nicht erfolgreich gewesen zu sein. Huronen und Irokesen weigerten sich, Franzosen zu heiraten. Die Assimilierung der First Nations, d.h. zunächst die Amalgamierung von Franzosen und „Indianern“ und die darauf folgende Assimilierung an die französische Kultur, wie sie von Seiten der französischen Regierung intendiert war, scheiterte am Widerstand der First Nations.20 Mit den Kriegen zwischen den Kolonialmächten in Nordamerika und der zunehmenden Verheerung der Lebensräume der First Nations ab dem späten 17. Jahrhundert veränderten sich Verhaltensweisen und Wahrnehmungen von Kolonisatoren und Kolonisierten. Die aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammenden Beschreibungen des „Anderen“ – dies machen die Essays in dem von John Sutton Lutz herausgegebenen Band Myth and Memory deutlich – stehen bis heute in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander; asymmetrisch, da die mündlichen Überlieferungen der indigenen Kulturen in der Regel als Mythen und die der Kolonisatoren als authentische Zeugnisse gedeutet werden.21 Aus Sicht der Kolonisatoren wurde der „Indianer“ im 16. und 17. Jahrhundert in der Regel noch als „bon sauvage“ wahrgenommen. Im Laufe des 18. Jahrhun17 Devrim KARAHASAN, Pour une histoire du métissage canadien: coopération et compétition entre acteurs et institutions françaises en France et au Canada 1508 à 1886, in: Francia 35/2 (2007), S. 129–139, hier S. 133. 18 DICKASON, Louisbourg, S. 95. 19 Ebenda, S. 100. Siehe auch An account of the Customs and Manners of the Micmaks and Marichets, Savage Nations, Now Dependent on the Government of Cape Breton, London 1758, S. 89, Lettre de Monsieur de la Varenne. 20 Für die Mohawk stellt Greer fest, dass selbst die christianisierten Angehörigen dieser Nation ihre Mohawk-Identität bewahrten und das Christentum ihrem Glauben und ihrer Kultur anpassten. GREER, Mohawk Saint, S. 98. 21 John Sutton LUTZ (Hrsg.), Myth and Memory: Stories of Indigenous-European Contact, Vancouver 2007. Siehe hierzu auch Robin FISHER, Contact and Conflict: Indian-European Relations in British Columbia, 1774–1890, Vancouver 1992.

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derts wurde der „barbare“22 durch seinen Widerstand gegen Missionierung und Kolonisierung, durch seine Bündnisse mit anderen, rivalisierenden Kolonisatoren in den Quellen (vor allem Berichten und Briefen französischer Beamter in Kanada und Akadien) immer häufiger als „laid vilain“ beschrieben, auch wenn JeanJacques Rousseau noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts den beau sauvage beschwor. Der „laid vilain“ dokumentiert sich über die französische Kolonialzeit hinaus nicht zuletzt in der Weigerung der Angehörigen der First Nations, den französischen bzw., nach 1763, englischen König als Souverän anzuerkennen. Bereits 1758 lehnten es die Abenakis von Pentagouet ab, dem englischen König den Treueid zu leisten, denn: Ils ne proclamoient point de Roy Etranger ça qu’ils ne vouloient pas qu’on put dire qu’aucun Roy eut pris possession de leur Terre. Qu’ils ne veulent point prêter sermon à personne, qu’ils avoient leurs Rois naturels et leurs chefs et leurs anciens, que le François même n’étoit pas leur Roy, qu’il étoit leur Père parce qu’il les instruit.23

Aus Sicht der First Nations wurde Missionierung und Kolonisierung unter anderem aus folgendem Grund Widerstand geleistet: D’abord que j’ai appris que tu faisais une cabane proche de mon village, j’ai commencé à trembler de peur et j’ai appréhendé que les Français qui m’ont autrefois donné la prière ne soient cause que je cesse de prier; car je vois mes frères qui, par exemple, du côté de la rivière Saint-Jean, ne prient plus, pour ainsi dire, à cause de la boisson et la quantité des bâtards qui y sont, fait que nous ne connaissons plus. De même leurs parents qui sont à Kébénéki, depuis qu’ils trafiquent avec les Anglais, sont devenus bêtes et ne prient plus, parce qu’ils sont tous les jours ivres […]. C’est pourquoi je te dis que je ne veux point que tu demeures ici.24

Die Amalgamierung der Kulturen, die Entstehung einer neuen race in der Nouvelle France wurde als Programm der französischen Regierung zurückgenommen. Jean-Frédéric Phélypeaux, Comte de Maurepas und Secrétaire d’Etat de la Marine, erteilte den Missionaren in der Nouvelle France bereits 1723 Weisung, Eheschließungen zwischen Franzosen und First Nations künftig zu verhindern. Die Kinder aus Mischehen wurden nun nicht mehr als Exponenten einer race von idealen Untertanen der Nouvelle France wahrgenommen, sondern als „race libertine“.25 Als „Bastarde“ von der französischen Kolonialgesellschaft ausgeschlossen, wuchsen sie in der Regel bei ihrem indigenen Elternteil auf. Die Rechte als Franzosen, die ihnen im 17. Jahrhundert zugestanden worden waren, wurden Mestizen nun konsequent verweigert, dies betraf vor allem Erbrechte.26

22 Zu den Termini „sauvages“ und „barbares“ vgl. zeitgenössische Quellen wie beispielsweise die Relations der Jesuiten. Auszüge hieraus sind abgedruckt in Edna KENTON (Hrsg.), Black Gown and Redskins. Adventures and travels of the early Jesuit Missionaries in North America (1610–1791), London/New York/Toronto 1956, S. 118–121. 23 Anonym, zitiert nach DICKASON, Louisbourg, S. 28. 24 Henri Raymond CASGRAIN, Les Sulpiciens et les prêtres des Missions-étrangères en Acadie (1676–1762), Quebec 1897, S. 239. 25 DICKASON, Louisbourg, S. 23. 26 Olive Patricia DICKASON, Canada’s First Nations. A History of Founding Peoples from Earliest Times, Don Mills 1997, S. 145, 149.

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Was die französische Kolonialgesellschaft in der Nouvelle France schockierte, war ein als Trend wahrgenommenes Aufgehen von Kolonisten in Gesellschaft und Kultur der First Nations. Nicht die französische Kultur schien zur „Leitkultur“ zu werden, sondern die Kulturen der Kolonisierten. Nicht nur dass Kolonisten an der frontier Kleidung und Techniken der First Nations übernahmen, wie das Kanu, Schneeschuhe, Schlitten und Mokassins; eine wachsende Zahl von Franzosen in Kanada, so die Ansicht der Kolonialadministration in Quebec, soll im 18. Jahrhundert Lebensstil, Ernährungsgewohnheiten und Sozialstrukturen der indigenen Bevölkerung übernommen haben.27 Bereits 1623/24 schreibt Gabriel Sagard-Théodat in seinem Reisebericht: „Les François mesmes, mieux instruits & eslevez dans l’Escole de la Foy, deviennent Sauvages pour si peu qu’ils vivent avec les Sauvages.“28 Noch 1782 beschwerte sich Michel Guillaume St. Jean de Crèvecoeur, dass europäische Kriegsgefangene der First Nations sich nach ihrer Freilassung oft weigerten, in die europäische koloniale Gesellschaft zurückzukehren, sondern vielmehr bei den First Nations leben würden, da sie den Geschmack von Freiheit und die Leichtigkeit des Lebens der „Sauvages“ gekostet hätten.29 War also die amerindianische Kultur die attraktivere, „überlegene“ Kultur? Handelte es sich hier um eine realistische Einschätzung der Kolonisatoren oder um Panikmache aufgrund von Einzelfällen? Im Jahre 1672 gab es unter den offiziell 5.715 französischen Kolonisten der Nouvelle France etwa 300 bis 400 so genannte Waldläufer, d.h. ca. 6 Prozent der französischen Bevölkerung der Kolonie, die sich offiziell an Kultur und Sprache der First Nations angepasst hatten. 1681 lag der Prozentsatz bei 8,3 %, 1714 wiederum jedoch nur noch bei einem Prozent.30 Eine wirkliche „Amerindianisierung“ der französischen Kolonisten der Nouvelle France durch intensiven Kulturkontakt und kulturellen Austausch lässt sich an diesen Zahlen folglich nicht festmachen. Trotzdem stellt sich im Kontext dieser Akkulturations- und Assimilierungsängste die Frage, inwieweit nicht nur die französischen Kolonisten in Kanada und Akadien, sondern auch das Mutterland selbst bzw. Europa insgesamt durch die Kontakte mit der Neuen Welt verändert wurden. Für eine postkoloniale Perspektive auf die Kulturkontakte in der Nouvelle France im 16. und 17. Jahrhundert, die die vielfältigen Sichtweisen und wechselseitigen Einflüsse von First Nations und Europäern auch methodologisch in den Griff zu bekommen versucht, steht Warkentins und Podruchnys Decentring the Renaissance: Canada and Europe in Multidisciplinary Perspective, 1500-1700 (Toronto 2001). Während sich Natalie Zemon Davis in Polarities, Hybridities: What Strategies for Decentring? optimistisch 27 Ebenda, S. 118. 28 Gabriel SAGARD-THEODAT, Histoire de Canada, et voyages que les frères mineurs recollects y ont faicts pour la conversion des infidèles depuis l’an 1615, Paris 1636, S. 166. 29 Michel Guillaume ST. JEAN DE CREVECOEUR, Letters from an American Farmer, hrsg. von Hector St. John de Crèvecoeur, London 1926, S. 215. 30 DICKASON, Louisbourg, S. 24–25. Zu den Zahlen der französischen Siedler in der Nouvelle France siehe Leslie CHOQUETTE, Frenchmen into Peasants: Modernity and Tradition in the Peopling of French Canada, Cambridge (Mass.) 1997.

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zeigt, was den Perspektivenwechsel angeht, das heißt unter anderem die Analyse von Kulturkontakt und Multikulturalität aus Sicht der First Nations, steht Toby Morantz dem Erfolg einer Geschichtsschreibung der Kulturkontakte im Sinne einer histoire du métissage (anstelle einer Geschichte der Kulturkonflikte) eher kritisch gegenüber, da europäische Historiker bzw. deren Nachfahren in Nordamerika sich nur schwer in das Denken und Fühlen indigener Kulturen hineinversetzen könnten und bei der Analyse der Quellen (so weit diese überhaupt zur Verfügung stehen) den Texten oft ihre eigene, europäische Perspektive oktroyierten.31 Trotz berechtigter Skepsis gegenüber übertrieben wirkenden zeitgenössischen Beschreibungen einer „Amerindianisierung“ französischer Kolonisten in Kanada entstand in der Nouvelle France eine neue, franko-kanadische Kultur, die zum einen durch die Amalgamierung von französischen Kolonisten aus unterschiedlichen Regionen Frankreichs mit unterschiedlichen patois, zum anderen im Kontakt mit den First Nations zustande kam. Bereits im 18. Jahrhundert hatte sich in Kanada und Akadien ein standardisiertes Französisch herausgebildet, das dem in der Île-de-France gesprochenen sehr ähnlich war. Dieses Französisch hatte sich in der neuen Umwelt, für deren Beschreibung man sich oft des Vokabulars der indigenen Nations bediente, angereichert, wie Begriffe wie „ouaouaron“ (eine Froschart) oder „atocas“ (eine Preiselbeerensorte) zeigen. Dieses kanadische Französisch konservierte die Form, die es als Kolonialsprache bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts angenommen hatte, und bewahrt sie bis heute.32 Neben der Standardisierung des Französischen, die sich in der Nouvelle France früher als im Mutterland vollzog, entwickelten sich im Kulturkontakt mit den First Nations auch völlig neue Sprachen, wie die Kreolsprache des BaskischAlgonkinischen an der Nordostküste Kanadas. Im Inneren der Nouvelle France entstanden jedoch keine weiteren Kreolsprachen. Unter Mestizen oder Kolonisten und First Nations mit intensivem Kulturkontakt war Mehrsprachigkeit die Regel. Neben der jeweiligen indigenen Sprache beherrschten Mestizen Französisch oder Englisch. Gleiches gilt für die so genannten Waldläufer.33 Als einzig wirklich neue Sprache lässt sich das Michif nachweisen, das von Mestizen der Prärien in Saskatschewan und Manitoba, teilweise auch in Alberta und im Nordwestterritorium gesprochen wird. Hierbei handelt es sich um eine so genannte Mischsprache, die Elemente der Grammatik des Cree und des Französischen enthält und in der französische Worte mit der Syntax der Nation der Cree kombiniert wurden, bei gleichzeitiger korrekter Bewahrung der einzelnen Elemente beider Sprachen.34

31 Toby MORANTZ, “Plunder or Harmony?” On Merging European and Native Views of Early Contact, in: Germaine WARKENTIN/Carolyn PODRUCHNY (Hrsg.), Decentring the Renaissance: Canada and Europe in Multidisciplinary Perspective, 1500–1700, Toronto 2001, S. 48– 67, hier S. 65. 32 MOOGK, La Nouvelle France, S. 146–147. 33 George LANG, Voyageur Discourse and the Absence of Fur Trade Pidgin, in: Canadian Literature 133 (1992), S. 51–63. 34 Peter BAKKER, The Genesis of Michif: A First Hypothesis, in: William Cowan (Hrsg.), Papers of the Twenty-first Algonquian Conference, Ottawa 1990, S. 12–35 und Peter BAKKER,

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Die Canadiens entwickelten jedoch nicht nur eine neue standardisierte Version des Französischen, sondern ihre eigene franko-kanadische Kultur, die den Intentionen des Mutterlandes keineswegs entsprach.35 Mangelnde Untertänigkeit, libertinage, zu großer Stolz, Unabhängigkeitsstreben und fehlende Disziplin seien typische Züge der Kolonisten, die diese – so der Gouverneur von Kanada, Jacques-René de Brisay de Denonville de Montbazillac bereits 1685 – dem zu engen Kontakt mit den First Nations zu verdanken hätten.36 Ein genauerer Blick auf diese franko-kanadischen Charakteristika zeigt jedoch, dass entsprechende Verhaltensweisen sehr viel mehr Resultat der französischen Kolonialpolitik in der Nouvelle France waren. Die Gewährung von Privilegien wie dem Jagdrecht oder von Steuerfreiheit hatte zur Nivellierung der Ständegesellschaft in der Nouvelle France und zur Herausbildung einer Sozialordnung, die bereits Züge einer Klassengesellschaft trug, geführt, die jedoch weiterhin deutlicher von französischer Sprache und Kultur als von fortschreitender Kreolisierung geprägt war. Mit dem französischen Mutterland verband die kanadischen Kolonisten weiterhin der Mythos der gemeinsamen „nationalen“ Identität, die Sprache, eine gemeinsame Geschichte und eine kollektive, vor allem katholische, Kultur.37 Diese französischkatholische Kultur wurde über den Verlust der Nouvelle France an Großbritannien hinaus zu einer „Leitkultur“, der sich Neueinwanderer im französischsprachigen Teil Kanadas auch nach 1763 anzupassen hatten. Noch als britische Kolonie blieben in den Gebieten der Nouvelle France das französische Seigneurialsystem, das französische Recht,38 die katholische Kirche und die französischkanadische Identität der Québecois nicht nur erhalten, sondern „Französisches“ blieb hier bis weit über die Quiet Revolution der 1960er Jahre hinaus die dominante Kultur.39 Eine kreolische Kultur entwickelte sich unter den Mestizen, die es vor allem in Akadien und der Gaspé sowie in den alten Missionen am Sankt Lorenz gab, wo die Missionierung der Jesuiten und ihre Politik der „Annäherung der Kulturen“ weit mehr „Mischlingskinder“ hervorgebracht hatte als in anderen Gebieten der Nouvelle France. Die meisten Mestizen waren, wie bereits erwähnt, mehrsprachig

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A Language of Our Own. The Genesis of Michif, the Mixed Cree-French Language of the Canadian Métis, Oxford 1997. Vgl. hierzu u.a. James PRITCHARD, In Search of Empire: The French in the Americas, 1670– 1730, Cambridge 2004. MOOGK, La Nouvelle France, S. 144–145 und 173–175. Vgl. hierzu ausführlich Terrence MURPHY/Roberto PERIN (Hrsg.), A Concise History of Christianity in Canada, Toronto 1996, und Terence F. FAY, A History of Canadian Catholics, Montreal/ Kingston 2002. Vgl. hierzu ausführlich Donald FYSON, Magistrates, Police, and People: Everyday Criminal Justice in Quebec and Lower Canada, 1764–1837, Toronto 2006. Siehe hierzu auch Matthew HAYDAY, Bilingual Today, United Tomorrow: Official Languages in Education and Canadian Federalism, Montreal/Kingston 2005, und Gérard BOUCHARD, La nation québecoise au futur et au passé, Montreal 1999.

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und mischten indigene und christliche religiöse Bräuche, Nahrungs- und Bekleidungsgewohnheiten.40 Für die First Nations erwiesen sich vor allem die Missionen langfristig als traditionsbewahrend, sowohl bezüglich der indigenen Sprachen als auch ihrer Kulturen. Noch im 19. Jahrhundert bemühte sich der Methodist James Evans um den Erhalt der Sprache der Cree, indem er ihr eine Schrift gab, die dann auch zur schriftlichen Fixierung und Konservierung der Sprachen der Ojibwa und Montagnais sowie des Inuit verwendet wurde.41 Obwohl die Nouvelle France 1763 an Großbritannien fiel, ist auffallend, dass die Konservierung von Sprache und Kultur der First Nations hier erfolgreicher verlief als in den englischen Kolonien Nordamerikas, wo die Auslöschung indigener Kulturen sehr viel schneller voranschritt als in Kanada und Akadien. Hierfür mag der größere Bevölkerungsdruck in den englischen Kolonien Nordamerikas ebenso verantwortlich gewesen sein wie unterschiedliche Kolonisierungsmodelle Frankreichs und Großbritanniens. Bis heute ist das Mosaik, d.h. die Koexistenz von mehreren Sprachen und Kulturen, als Erbe Kanadas aus der französischen Kolonialzeit erhalten geblieben.42 Es scheint, dass Olive Patricia Dickason mit ihrem Urteil Recht behalten hat, dass „des trois grandes puissan ces colonisatrices en Amérique du Nord, la France a su le mieux établir un modus vivendi avec les Amérindiens“, denn sie habe „relativement peu perturbé leur mode de vie traditionnel“. Dickason fügt hinzu: „La présence française en Amérique du Nord s’expliquait surtout par le commerce des fourrures et par le travail de mission, deux activités qui trouvaient le soutien des Amérindiens, tandis que les Anglais virent dans les Amérindiens un obstacle à l’implantation de leurs colonies agricoles.“43 Trotz der dominanten franko-kanadischen Kultur der Québecois – oder vielleicht gerade deswegen, d.h. aufgrund der Ablehnung von Kreolisierung – scheint Kanada, auch in den Gebieten der ehemaligen Nouvelle France, Multikulturalität und Mehrsprachigkeit, vor allem diejenige seiner First Nations, besser bewahrt zu haben als der große amerikanische Nachbar.

40 DICKASON, Canada’s First Nations, S. 145–146; MOOGK, La Nouvelle France, S. 45–46; und Sahila BELMESSOUS, Etre français en Nouvelle France: Identité française et identité coloniale aux dix-septième et dix-huitième siècles, in: French Historical Studies 27/3 (2004), S. 507– 540. 41 DICKASON, Canada’s First Nations, S. 217. 42 Ebenda, S. 130, 429. 43 DICKASON, Louisbourg, S. 5.

Language, Literacy and Education Native Peoples and Dutch Protestant Missions in Southwestern Taiwan and Northeastern Brazil, 1624–1662 Mark Meuwese, Winnipeg

I. INTRODUCTION Recent scholarship on Dutch overseas expansion in the seventeenth-century ‘Golden Age’ has shown that the Dutch were much more concerned about bringing Protestant Christianity to non-Europeans than commonly believed. Contrary to the traditional scholarly view that the Dutch were only interested in commerce and trade, a new generation of historians has asserted that the seventeenth-century Dutch Reformed Church was sincerely committed to introduce the ‘true Christian religion’ to non-European peoples.1 Unfortunately, much of this new scholarship continues to focus on the missionary perspective rather than on the native peoples who were on the receiving end of the missionaries. To better understand seventeenth-century Dutch Protestant missions it is essential to examine the indigenous responses as well. At the same time, when assessing native responses to Christian missions it is essential to avoid the controversial concept of ‘conversion’. As 1

For the recent literature on Dutch Protestant missions in the seventeenth Century, see G.J. SCHUTTE (ed.), Het Indisch Sion. De Gereformeerde kerk onder de Verenigde Oost-Indische Compagnie, Hilversum 2002; Leonard BLUSSÉ, Retribution and Remorse: The Interaction between the Administration and the Protestant Mission in Early Colonial Formosa, in: Gyan PRAKASH (ed.), After Colonialism: Imperial Histories and Postcolonial Displacements, Princeton 1995, p. 153–182; F.L. SCHALKWIJK, The Reformed Church in Dutch Brazil (1630–1654), Zoetermeer 1998; G.M.J.M. KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel: Onderwijs en Kerk onder de Zeventiende-Eeuwse VOC, Kampen 1993; L. J. JOOSSE, ‘Scoone dingen sijn swaere dingen’: Een onderzoek naar de motieven en activiteiten in de Nederlanden tot verbreiding van de gereformeerde religie gedurende de eerste helft van de zeventiende eeuw, Leiden 1992; Willem FRIJHOFF, The West India Company and the Dutch Reformed Church: Neglect or Concern?, in: De Halve Maen: Magazine of the Dutch Colonial Period in America 70 (1997), p. 59–68; Mark MEUWESE, Dutch Calvinism and Native Americans: A Comparative Study of the Motivations for Protestant Conversion among the Tupis in Northeastern Brazil (1630–1654) and the Mohawks in Central New York (1690–1710), in: James MULDOON (ed.), The Spiritual Conversion of the Americas, Gainesville (Fla.) 2004, p. 118– 141.

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Allan Greer has recently argued, conversion suggests a total substitution of one set of religious beliefs for an entirely different one. Although it is possible that a few individuals experienced such a dramatic transformation, native peoples usually selectively adopted those rituals and ideas of Christianity that fit best with their existing religious practices and beliefs.2 Instead of using the problematic concept of conversion as a framework of analysis, this essay examines religious encounters between Dutch Reformed missionaries and native peoples in the Dutch colonies in Taiwan (1624–1662) and Brazil (1630–1654) by focusing on the indigenous appropriation of Protestant education programmes. Like other Protestant denominations in early modern Europe, the Dutch Reformed Church viewed education and literacy as essential components of Christian identity because it enabled people to read and understand the word of God as it was written in the Bible. The reformed schools enabled Dutch Calvinist missionaries to inculcate Christian Reformed beliefs and principles in the students. The most common method for this was the use of a catechism, a brief summary of the core foundations of the Dutch Reformed religion. According to historian Arie Th. van Deursen, “[t]he true purpose of the reformed religious schools was preparation for church membership.” As a consequence, Protestant education programmes were the central component of Dutch Reformed missions in the seventeenth-century world.3 According to the Dutch missionaries in Brazil and Taiwan, the primary education programmes were a great success since aboriginal attendance and participation was high. Moreover, the emergence of a cadre of native schoolteachers and lay preachers in Brazil and Taiwan convinced the missionaries that the native peoples in both colonies were seriously committed to becoming devout Christians. The idea that the Dutch Protestant mission schools successfully introduced complex Protestant Christian concepts such as God’s grace, sin, heaven and hell to native peoples continues to be echoed by several contemporary scholars of Protestant missions in colonial Brazil and Taiwan. Unfortunately, none of the contemporary scholars focuses on the practical and cultural motives that native peoples may have had in participating in the Protestant schools. The following comparative analysis of the indigenous participation in the Protestant education programmes in Dutch Taiwan and Dutch Brazil shows that native peoples were eager students who used their acquired literacy skills to better survive in a world shaped by European colonial expansion.4 2 3

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Allan GREER, Conversion and Identity: Iroquois Christianity in Seventeenth-Century New France, in: Kenneth MILLS/Anthony GRAFTON (eds.), Conversion: Old Worlds and New, Rochester (N.Y.) 2003, p. 175–198. KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel, part II, extensively discusses Protestant and Dutch Reformed attitudes toward education in a missionary context. For the emphasis that the Dutch Reformed Church put on literacy and education, see A.Th. VAN DEURSEN, Plain lives in a golden age. Popular culture, religion and society in seventeenth-century Holland, Cambridge 1991, p. 116 (quote). SCHALKWIJK, Reformed Church, is the strongest proponent for a positive evaluation of the mission schools; see p. 210–211 for his discussion of the Brazilian Indian Pieter Poty, who

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The Protestant education programmes in colonial Taiwan and Brazil are compared for several reasons. First, by comparing the Protestant missions in two Dutch colonies we will be better able to recognize commonalities in the native responses to Protestant schools. The indigenous peoples of Taiwan and Brazil were practitioners of animistic and polytheistic religions, which tended to be open to rituals and ceremonies from other religious traditions. Secondly, secular and religious officials in the seventeenth-century Dutch Republic had great expectations of the colonial projects in Taiwan and Brazil. While Dutch Taiwan was envisioned to commercially and religiously overshadow the Catholic Portuguese citycolony of Macao on the nearby Chinese mainland, the Dutch colony in Brazil was intended to establish Dutch Protestant hegemony at the expense of the Iberian Catholic powers in the Atlantic world.

II. THE NATIVE BACKGROUND Before discussing the Protestant literacy programmes and the native responses, it is important to briefly examine the cultures and histories of the native peoples in southwestern Taiwan and northeastern Brazil before Dutch colonization. The aborigines of Taiwan and the indigenous peoples of Brazil shared several important similarities. First, the native peoples in both regions were linguistically diverse. The multitude of tongues was especially pronounced on Taiwan, where scholars have identified at least twenty separate language groups among the pre-contact aboriginal population. This remarkable linguistic diversity was a reflection of the ancient Austronesian habitation of the subtropical East Asian island. The southwestern plains of Taiwan, the part of the island most intensely colonized by the Dutch, were inhabited by the Sirayan-speaking peoples. In northeastern Brazil, the indigenous peoples were divided between the coastal Tupi-speaking peoples and the interior-based ‘Tapuyas’, a term with negative associations used by the Tupis and later adopted by Europeans to refer to all non-Tupi speaking indigenous groups.5

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reportedly recited elements of the Heidelberg catechism while being held captive by the Portuguese in 1648–1649. For Koolen’s assessment of the Protestant missions in Taiwan, see KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel, p. 200–209. For the linguistic diversity of the Austronesian Formosans, see Peike KANG, Culture and Culture Change of the Siraya under the Dutch East India Company, Ph.D. dissertation, University of Minnesota 1996, p. 1–2; Tonio ANDRADE, How Taiwan became Chinese: Dutch, Spanish, and Han Colonization in the Seventeenth Century, New York 2007, chapter 1, p. 6, note 6. Andrade’s excellent work is freely and integrally available on the web at http://www.gutenberg-e.org/andrade/index.html (accessed November 7, 2008). For the Tupi-speaking peoples of coastal Brazil, see Alfred MÉTRAUX, The Tupinamba, in: Julian H. STEWARD (ed.), Handbook of South American Indians. Vol. 3: The Tropical Forest Tribes, Washington, D.C. 1946, p. 95–96. For the ‘Tapuyas’, see Robert H. LOWIE, Tapuya, and Tarairiu, in: Julian H. STEWARD (ed.), Handbook of South American Indians. Vol. 1: The Marginal Tribes, Washington, D.C. 1946, p. 553–556 and p. 563–566. The Tarairiu were one of the Tapuya peoples

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The indigenous linguistic diversity in both regions was reflected in the egalitarian sociopolitical organization of the native peoples in southwestern Taiwan and northeastern Brazil. Both groups were not centrally governed peoples who spoke one common language but instead consisted of autonomous communities who had developed their own distinct dialects or even completely separate languages. The village was the basic unit of social and political organization among most of the southwestern Taiwanese and coastal Brazilians. The population of native villages varied from several hundred to a few thousand residents. Although several communities could be united by temporary alliances, no larger political units commonly existed above the village level in southwestern Taiwan or northeastern Brazil. In the absence of centralized leadership, each community made collective decisions based on consensus. The Siraya village council did not have any coercive power but primarily functioned to maintain the unity in the community. Similarly, each Brazilian Tupi village was traditionally represented by a headman who could only command support through persuasive oratory and successful military leadership.6 In addition to sharing a similar sociopolitical organization, the native peoples of Taiwan and Brazil shared a strict gender division of labour. Aboriginal Siraya and Tupi women’s roles were closely connected with the village and the slashand-burn agricultural fields that surrounded each community. While Siraya women grew and harvested rice, Tupi women cultivated manioc which was processed into edible flour. The roles of the Siraya and Tupi men were associated with affairs taking place outside of the village. The most important of these affairs included hunting, warfare and diplomacy. Among the Siraya, men and women lived even physically separate from each other until well into their adult age. Siraya women were not expected to give birth before their late thirties. This was in contrast to the Brazilian Tupis, where males and females grew up in the same maloca or multi-family residence.7 Warfare between villages was a central component of group identity for both the Siraya and Tupi peoples. Although early modern European visitors to Taiwan and Brazil all commented on the chronic state of war existing among the indigenous peoples, the motivations for warfare among the Siraya slightly differed from

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who were in frequent contact with the Dutch in northeastern Brazil; see Mark MEUWESE, Cultural Boundaries in the Backcountry of Colonial Brazil. European Diplomatic Agents among the Rio Grande Tarairius, 1642–1654, in: Portuguese Studies Review 14 (2006), p. 255–278. For Taiwan, see KANG, Culture and Culture Change, p. 34–36; ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 1, p. 6–7, 16–17. For Tupi socio-political organization, see John MONTEIRO, The Crises and Transformations of Invaded Societies: Coastal Brazil in the Sixteenth Century, in: Frank SALOMON/Stuart B. SCHWARTZ (eds.), The Cambridge History of the Native Peoples of the Americas. Vol. 3: South America, Part One, New York 1999, p. 982–984. For the gender division of labour among the Taiwanese natives, see KANG, Culture and Culture Change, p. 31–34, 50–51 (late female pregnancies); ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 1, p. 7–8. On Tupi gender roles, see Stuart B. SCHWARTZ, Sugar Plantations in the Formation of Brazilian Society: Bahia, 1550–1835, New York 1985, p. 30. For the Tupi malocas, see MONTEIRO, Coastal Brazil, p. 982.

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those of the Brazilian Tupis. In precolonial Siraya culture, young adult men from one village waged wars against the males of another village as a rite of passage as well as for the honour of the community. Siraya warriors proved their masculinity by taking back to their village the decapitated heads of slain enemies. For the Brazilian Tupis, the central motivation for warfare between villages was vengeance. Whenever one village felt aggrieved by another, the community launched a revenge expedition in which the goal was to kill or capture a select number of enemies. Captives were ritually slain in communal ceremonies in which selective and small body parts of the enemy were eaten.8 From a religious perspective the indigenous peoples of southwestern Taiwan and northeastern Brazil also shared several similarities. In both regions, the native peoples lived in a universe that was inhabited by a multitude of spirits who resided in a world in which no boundary existed between animate beings and inanimate objects. For example, thunder or significant geographic landmarks were connected to supernatural beings. Since spirits could influence daily life, it was essential to treat the supernatural beings of the inanimate world with respect in the form of small offerings of tobacco, food or material items. Failure to do so could result in the spirit inflicting misfortune, sickness or death on the community. Although neither the southwestern aborigines of Taiwan nor the Tupis of northeastern Brazil disposed of a specific group of ordained religious specialists, both groups did have individuals who acted as mediators between the community and the spirit world. Interestingly, while the pajés or spiritual mediators among the northeastern Brazilian Indians were traditionally male, women functioned as inibs or spiritual go-betweens among the Siraya in Taiwan.9 Although the indigenous peoples of southwestern Taiwan and northeastern Brazil both established relations with outsiders before the arrival of the Dutch, the impact of these contacts greatly differed. Although the Portuguese were the first Europeans to discover Taiwan, which they named Ilha Formosa (‘beautiful island’), they did not establish a presence on the East Asian island, concentrating instead on their permanent outpost of Macao on the Chinese coast. Beginning in the second half of the sixteenth century, the aboriginal peoples of southwestern Taiwan entered into regular but small-scale trade relations with Chinese and Japanese fishermen, merchants and pirates who used the island as an illicit meeting place to circumvent imperial Chinese and Japanese control. In return for iron, salt, textiles and ceramics, the Taiwan aborigines supplied Chinese and Japanese visitors with deerskins, venison and antlers. Although the visitors from China and Japan connected the Sirayas and other indigenous peoples on Formosa to a market economy in which prices of commodities could fluctuate unpredictably, the political and cultural autonomy of the native peoples of Formosa remained undisturbed 8 9

On Sirayan and Taiwanese warfare and headhunting, see ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 1, p. 10–16. For Tupi warfare and prisoner killings, see MONTEIRO, Coastal Brazil, p. 986–989. On Formosan aboriginal religion, see KANG, Culture and Culture Change, p. 50–52. On Tupi religion in coastal Brazil, see MONTEIRO, Coastal Brazil, p. 985; MÉTRAUX, Tupinamba, p. 127–131.

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until the arrival of the Dutch colonizers in the 1620s. Unlike the Dutch VOC, the private Chinese and Japanese visitors were not interested in imposing political and religious control over the native peoples of Formosa.10 In contrast to the native peoples of Taiwan, the Indians of northeastem Brazil experienced much more dramatic changes brought on by outside contact before the arrival of the Dutch. After the accidental Portuguese discovery of Brazil in 1500, the coastal Tupis initially peacefully exchanged Brazilwood for European material objects with Portuguese and French traders. However, after the Portuguese realized that the soil and climate of northeastern Brazil were excellent for the growth of sugar cane, they rapidly developed highly profitable sugar plantations and mills in the region. By the late sixteenth century, northeastern Brazil had become one of the largest sugar producing areas of the world. The Portuguese established control over northeastem Brazil by driving out French dyewood traders and by manipulating longstanding ethnic and political rivalries among the various indigenous peoples. Defeated Tupi groups were sold into slavery and put to work in the sugar mills. To make matters worse, many Tupis who worked in the sugar industry were exposed to deadly infectious diseases such as smallpox and influenza, which had been introduced to them by livestock and African slaves. Some northeastern Tupi peoples such as the Potiguars escaped Portuguese colonization by relocating to coastal regions where the Portuguese presence remained limited during the early seventeenth century.11 Subjugated Tupis who survived the wars, slave raids and epidemics were resettled in aldeias or mission villages that were established by Jesuits throughout coastal Brazil after 1550. Many Tupis sought out baptism and other outward aspects of Catholicism in order to obtain spiritual protection from diseases and because a Christian identity provided them with a legal safeguard from enslavement by the colonists. The Jesuits also tried to attract the Tupis to Christianity by using pictures, plays, music and through the rituals of baptism, mass and confession. At the same time, Tupis living in the aldeias often continued to adhere to their traditional cultural practices such as communal dances and polygamy. Moreover, the Tupis grew increasingly suspicious of the Jesuits because the aldeias, which were unsanitary and crowded places, were vulnerable to infectious diseases. A third of all Indians living in the aldeias reportedly died during a severe smallpox epidemic in the early 1560s.12 Another significant aspect of the pre-Dutch contact period that distinguishes the Tupis of northeastern Brazil from the Siraya was the transformation of the orally transmitted Tupi language into a written one by the Jesuits. Like their counterparts in sixteenth-century India and China, the Jesuits in Brazil preached to the indigenous peoples in their own languages. Shortly after their arrival in Brazil in 10 ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 1, p. 22–27. 11 MONTEIRO, Coastal Brazil, p. 990–995; SCHWARTZ, Sugar Plantations, p. 33–50; Alida C. METCALF, Go-Betweens and the Colonization of Brazil, 1500–1600, Austin (Tex.) 2005, p. 119–156. 12 MONTEIRO, Coastal Brazil, p. 998–1009; SCHWARTZ, Sugar Plantations, p. 36–44; METCALF, Go-Betweens, p. 89–118 (Jesuits), 141–151 (diseases and Jesuits).

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1549, the Jesuits set out to learn the língua geral, a generic and simplified version of Tupi-Guarani that functioned as a lingua franca among the coastal Brazilian Indians in the pre-contact period. During the 1550s, the Jesuit José de Anchieta developed a written form of the língua geral by using Latin characters to represent the sound of the Tupi-Guarani vocabulary. By the late sixteenth century, the Jesuits used a Tupi-Guarani dictionary, a grammar, and several Catholic missionary tracts written in the língua geral to instruct Tupi children and parents. Although the orally transmitted language of the Tupis continued to exist, by the time of the Dutch invasion of northeastern Brazil in the 1620s an unknown but probably considerable number of Tupi men and women were able to read and write in the língua geral.13 Some of the educated Tupis became important diplomatic mediators between the European colonizers and the Tupi peoples. For example, in northeastern Brazil, a Tupi-speaking Potiguar chief named António Camarão (circa 1600–1648) served as a valuable military commander of Tupi auxiliaries who helped the Portuguese in fighting the Dutch invaders during the 1630s and 1640s. Camarão had been educated in an aldeia in the captaincy or province of Pernambuco in northeastern Brazil. Shortly after the Dutch invasion of Pernambuco in 1630 Camarão joined the Portuguese with 170 of his followers, many of whom were skilled in the use of firearms. Iberian officials were so impressed with Camarão’s bravery and loyalty that King Philip IV of Spain (Philip III of Portugal) bestowed upon him in 1633 several royal honours, a pension and the military rank of Capitão-mor. In return, Camarão adopted Filipe as his middle name as well as the honorific title dom. Camarão and his Potiguar warriors became expert guerilla fighters and continued to harass the Dutch during the 1630s and 1640s. In an attempt to persuade Potiguars loyal to the Dutch to switch sides, Camarão used, in 1645, his literacy skills to sent letters written in the Tupi language to his cousin Pieter Poty, one of the Potiguar leaders in Dutch service of whom we will learn more below. Poty replied to Camarão with a letter also written in Tupi, rejecting Camarão’s proposal and confirming his loyalty to the Protestant Dutch.14

III. THE COLONIAL CONTEXT OF THE DUTCH PROTESTANT MISSIONS The Protestant missions to the indigenous peoples in Taiwan and Brazil did not develop in an isolated context but were shaped by Dutch colonial policies. The Dutch colonies in Taiwan and Brazil were governed by joint-stock trade compa13 METCALF, Go-Betweens, p. 98–99. An example of one of the educated mediators in northeastern Brazil is Antônio Filipe Camarão who served as a loyal Tupi chief to the Portuguese during the time of the Dutch invasions. See José Antonio GONSALVES DE MELLO, D. Antônio Filipe Camarão: Capitão-Mor dos índios da costa do nordeste do Brasil, Recife 1954. 14 GONSALVES DE MELLO, D. Antônio Filipe Camarão; John HEMMING, Red Gold. The Conquest of the Brazilian Indians, 1500–1760, Cambridge 1978, p. 294–295.

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nies that had received the exclusive right from the States-General, the assembly of the Seven United Provinces of the Dutch Republic, to develop trade and negotiate treaties with non-European polities. While the Dutch colony on Taiwan was administered by the United East India Company (VOC), northeastern Brazil was governed by the West India Company (WIC). For both the VOC in Taiwan and the WIC in Brazil, developing relations with the local native peoples was not the primary objective. The VOC constructed the strategic trading post Fort Zeelandia in southwestern Formosa in 1624 in order to gain access to the highly lucrative Chinese-Japanese maritime trade in silk and silver. The WIC invaded northeastern Brazil in 1624–1625 and, more successfully, in 1630 to take control of the profitable Portuguese sugar plantations. Additionally, the WIC targeted Brazil as part of the global Dutch struggle against the Spanish Habsburg Empire, which included Portugal and its colonies since the unification of the Portuguese and Spanish Crowns in 1580.15 In this context, however, the Dutch and the indigenous peoples of Taiwan and Brazil soon realized that they needed each other. The Siraya villages in the vicinity of Fort Zeelandia initially viewed the VOC garrison, which was armed with muskets and cannon, as a useful ally in their ongoing intervillage rivalries. By aligning themselves with the well-armed VOC soldiers, Siraya villages were able to defend themselves effectively against their traditional enemies. As the VOC soldiers were drawn into the intervillage wars during the 1620s and early 1630s, Zeelandia officials concluded that securing military control over the Siraya villages opened the fertile southwestern plains to peasants from the Chinese mainland, which could be put to effective use for the VOC by growing valuable commodities such as sugar. By acting as a sovereign power in southwestern Taiwan, the Zeelandia government rented out lands claimed by aboriginal villages to Chinese immigrants. A portion of this rent was then distributed by the VOC to the aboriginal villages in the form of material goods such as cloths. The VOC was able to reap another financial profit from the aboriginal presence on the island by licensing the deerskin trade. Any Chinese immigrant who wanted to obtain deerskins from native hunters was forced to buy a special permit from the VOC. Finally, the indigenous peoples were useful to the VOC officials as an auxiliary force in order to keep the growing number of Chinese immigrants on Formosa under control.16 Although the indigenous peoples were able to maintain their village identities under VOC rule, Dutch colonial policies increasingly undermined native subsistence and independence. Villages resisting the VOC’s superior firepower were sooner or later faced with punitive expeditions in which houses were burnt and many more people were killed than in traditional aboriginal warfare. Moreover, 15 For Dutch primary motives in Taiwan, see ANDRADE, How Taiwan became Chinese, Introduction, p. 30. For Dutch motives to invade Brazil, see the classic work by Charles R. BOXER, De Nederlanders in Brazilië, 1624–1654, Alphen aan den Rijn (Netherlands) 1977 (translated from the original English edition of 1957), p. 27. 16 This discussion of Siraya-Dutch relations is based on ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 3, p. 1–33, and chapter 9, p. 1–43.

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villages that formally acknowledged VOC rule were forced to accept Dutch interference in community affairs. After the subjugation of the Sirayan villages in late 1635, VOC officials assembled representatives of all native villages at a landdag or annual assembly. During this special ceremonial meeting, which was primarily intended to impress the natives with Dutch colonial power, the colonial governor appointed reliable council members for each village and distributed material gifts to the gathered aborigines. The selected native officials were expected to serve as loyal subjects of the VOC. Further weakening the independence of the aborigines was the introduction of highly infectious diseases by European personnel of the VOC, which frequently killed hundreds of natives. The increasing presence of Chinese settlers in southwestern Taiwan also caused problems for the aborigines as the Chinese immigrants encroached on native agricultural and hunting territories. By the early 1640s, the deer population, which was one of the main food sources for the Siraya, had been seriously depleted by the thriving deerskin trade.17 Just as the VOC colonization had a dramatic impact on the Siraya villages, the WIC colonization of northeastern Brazil profoundly changed the lives of the coastal Tupis. Several Tupi peoples initially welcomed the WIC in 1630 as a military and political counterweight against the Portuguese. The coastal Potiguars and various other Tupi-speaking peoples, who had aligned themselves with the French against the Portuguese for most of the sixteenth century, actively sought a military alliance with the Dutch invaders. For its part, the WIC welcomed the Potiguars as auxiliary forces, not only to support military campaigns against the Portuguese but also because the Indians could be effectively used as a police-scouting force to track down African slaves who had run away from the vital sugar plantations. To maintain and expand the alliance with the ‘Brazilians’, as the Dutch called the Potiguars and other Tupis, the WIC government in northeastern Brazil prohibited the enslavement of Tupis and granted self-rule to Tupi villages that were located in Dutch-controlled territory. However, since the WIC was unable to decisively defeat the Portuguese, the prolonged Dutch-Portuguese war for northeastern Brazil destabilized the daily life of the Potiguars and other Tupi allies. Due to their continuing mobilization as a military force by the WIC, many Tupi villages were unable to maintain a normal village life centered on communal rituals and the cultivation of manioc. After the outbreak of a popular rebellion by the moradores, the Portuguese settlers, against WIC rule in the summer of 1645, many Tupis were called up for military duty. As the Portuguese and their Indian allies targeted Tupi villages loyal to the Dutch, large numbers of Tupi women and children sought refuge in the vicinity of WIC forts. Although the Dutch strongholds offered protection, they often did not have sufficient food supplies for the Tupi refugees. Like the aborigines in Taiwan, the Tupis also suffered greatly from epidemic diseases that were introduced by WIC 17 ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 9, p. 9–37; Tonio ANDRADE, Political Spectacle and Colonial Rule: The Landdag on Dutch Taiwan, 1629–1648, in: Itinerario 21 (1997), p. 57–93.

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personnel and imported African slaves. Between 1641 and 1643, a deadly smallpox epidemic wiped out an unknown number of Tupis along the coast of northeastern Brazil. Finally, Tupis who had allied themselves with the WIC faced harsh reprisals from the Portuguese. Native allies of the WIC who were captured by Luso-Brazilian forces were either executed or sold into slavery. It was in this violent and destabilizing context that the native peoples in Taiwan and Brazil were confronted with Dutch Protestant missionaries.18 Because the indigenous peoples were strategically useful for the Dutch in both colonies, VOC and WIC officials promoted Protestant missions to strengthen the allegiance of the natives to the Dutch. Although the Dutch Reformed Church was not officially the state church in the Republic, it was treated by the Dutch state as the privileged religion in the new nation. As such, the Reformed Church received the exclusive right from the state to care for the spiritual well-being of the peoples living under control of the VOC and WIC. While the two trade companies were usually reluctant to strongly support the Reformed Church in their colonies because religious activities often interfered with the larger commercial objectives of the VOC and WIC, in Dutch Taiwan and Dutch Brazil the relationship between colonial officials and the Reformed Church was relatively close and mutually beneficial.19 In both colonies, VOC and WIC officials viewed Protestant ministers, lay preachers and schoolteachers as valuable collaborators who could be employed to bind the native peoples closer to company rule. On Taiwan, the pioneering Protestant missionaries Georgius Candidius and Robertus Junius even “acted as protagonists of territorial expansion” of the VOC by persuading company authorities on the island to extend military control over the Siraya villages during the mid-1630s. After the Siraya villages had been brought under VOC military control by 1636, Candidius and Junius developed a network of Christian schools in the subjugated indigenous communities. The two active ministers also advised the VOC authorities on the administration of these villages. After the Dutch pacification campaigns of the mid-1630s Dutch Reformed ministers were deployed by the VOC government as tax collectors and as administrators of colonial justice in the indigenous villages.20 In northeastern Brazil, the WIC government was also supportive of Protestant missions as a means to strengthen the strategic alliance with the Tupis residing in the territory conquered from the Portuguese. After consolidation of WIC control 18 This and the preceding paragraph are based on Mark MEUWESE, ‘For the Peace and WellBeing of the Country’. Intercultural Mediators and Dutch-Indian Relations in New Netherland and Dutch Brazil, 1600–1664, Ph.D. dissertation, University of Notre Dame 2003, p. 149–216; cf. Ernst VAN DEN BOOGAART, De Nederlandse expansie in het Atlantische gebied, 1590–1674, in: Ernst VAN DEN BOOGAART/M.A.P. MEILINK-ROELOFSZ (eds.), Overzee. Nederlandse koloniale geschiedenis, 1590–1975, Haarlem 1982, p. 124–125. 19 BLUSSÉ, Retribution and Remorse, p. 156; KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel, part I, chapter 3; G.J. SCHUTTE, De kerk onder de Compagnie, in: SCHUTTE (ed.), Het Indisch Sion, p. 43–64; FRIJHOFF, The West India Company. 20 BLUSSÉ, Retribution and Remorse, p. 158; IDEM, Dutch Protestant Missionaries, p. 156 (quote), 178 (missionaries advise VOC officials).

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over most of northeastern Brazil in 1635, almost all Jesuits had fled the aldeias and sought refuge in Salvador de Bahia, the capital of Portuguese Brazil. During their flight southward to Bahia, the Jesuits and Portuguese colonial officials had taken many of the Tupis with them. However, more than 9,000 Tupis remained in aldeias in Dutch-controlled territory in 1639. To bind the Tupis closer to the Dutch, the WIC government called on the Dutch Reformed Church to send missionaries and schoolteachers to the Tupis. The Dutch Reformed Church eagerly accepted this invitation. Many Calvinist preachers viewed the presence of ‘popish’ Catholic practices among the Tupis as an opportunity to introduce the ‘true Christian religion’ to the Brazilian Indians. In contrast to the influential role played by Protestant missionaries as colonial agents living among the Siraya peoples in Dutch Taiwan, Calvinist preachers did not serve as prominent mediators in the aldeias of Dutch Brazil. Because of the constant need for Tupi auxiliaries to participate in WIC expeditions against Portuguese guerillas, the WIC government in Brazil preferred to use military personnel rather than Dutch Reformed ministers in these functions. Nevertheless, through their missionary work the Protestant ministers and schoolteachers contributed to the larger WIC strategic objective of keeping the Tupis loyal to the Dutch. In short, because of the close cooperation between church and state in Taiwan and Brazil, an unusually large Dutch Protestant mission programme was able to develop in both colonies.21

IV. DEVELOPING EDUCATIONAL STRATEGIES During the first decade of Dutch colonization in Taiwan and Brazil Protestant missionaries experimented with various educational strategies. One strategy initially preferred by these missionaries in both colonies was to send a select number of native children to the Dutch Republic for religious education. The rationale for this idea was that indigenous children could most effectively be instructed in the principles of Protestant Christianity if they were segregated from their parents and their traditional culture. The VOC had already experimented with this policy in the early 1620s, when four boys belonging to chiefly families on the Spice Islands and one young man from the island of Java were transported to the Republic in order to prepare them for a career as Reformed ministers to their own people. This experiment was a huge failure since the young men did not appear to make much progress with their education. Moreover, most of the boys also lost the ability to speak their native tongues after having lived in the Low Countries for several 21 For the flight of Portuguese officials and Tupis to Bahia in 1635, see VAN DEN BOOGAART, Nederlandse expansie in het Atlantische gebied, p. 124. For the Tupi population, see ibid., but compare with SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 170–171. The last remaining Jesuits were expelled from Dutch-controlled Brazil in 1636. See Dauril ALDEN, The Making of an Enterprise. The Society of Jesus in Portugal, Its Empire, and Beyond, 1540–1750, Stanford 1996, p. 209–210, plus appendix F. For WIC military personnel and Protestant missionaries as colonial agents in the aldeias, see MEUWESE, ‘For the Peace and Well-Being,’ p. 237–263.

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years. A similar linguistic problem had occurred when a group of Brazilian Tupis had been taken to the Republic by a WIC expedition in 1625. Like the young men from the Spice Islands, most of the Tupis eventually lost their mother tongue during their extensive stay of several years in the Low Countries.22 Despite these failures, Dutch Reformed missionaries in Taiwan and Brazil repeatedly asked for permission from trade company officials to be allowed to send native children to the Dutch Republic for a Protestant education. In 1634 the zealous ministers Junius and Candidius received permission from Governor Putmans to ship a number of Formosan children to Holland for a religious education. Junius and Candidius argued that the wars between the indigenous villages obstructed the work of the missionaries. These intervillage wars predated the VOC period and played a central role in the lives of the Formosan aborigines. However, the Governor-General based in Batavia, who was the most senior VOC official in Southeast Asia, rejected the proposal of Junius and Candidius because he feared that the experiment with the Taiwanese youth would be as unsuccessful as the earlier experiment with the young men from the Spice Islands. Nevertheless, in 1636 Junius again petitioned senior VOC officials to send Siraya adolescents to the Republic for religious education. Junius emphasized that successful religious training of indigenous people in Taiwan was impossible as long as the native students remained “in daily contact with the uncivilized [indigenous] people around them.” Moreover, Junius warned that, as long as the Siraya students remained on the island, “they would not entirely forsake their former idolatry, but would still cleave to it.” Despite the persistent pleas by Junius, senior VOC officials did not change their position. For cost-saving purposes, the VOC only permitted indigenous students to be educated in mission schools located in Asia, not in the Republic. Similarly, a plan proposed by Dutch Reformed ministers in northeastern Brazil in the mid-1630s to send over to Holland a group of young Tupi children for a religious education was rejected by the Heeren XIX, the board of nineteen WIC directors based in the Republic. Like the senior VOC officials, the Heeren XIX argued that indigenous children would eventually lose their native language if they were taken to the Republic, making them useless as missionaries to their own people. Additionally, the WIC directors were concerned about the great expenses associated with the education of native children in the Republic. As the Dutch Reformed Church was thus unable to obtain permission from the trade companies to educate indigenous children in Holland, Protestant missionaries in Taiwan and Brazil were forced to establish schools in the native communities themselves.23 Before the religious education programme in the native villages could begin as a serious measure, the Dutch Reformed missionaries were first required to learn 22 For the experiments with Native children of the Spice Islands, see KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel, p. 95–96. For the Tupis in Holland during the 1620s, see SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 37, 187. 23 For the attempt to send over Taiwanese children to Holland, see KOOLEN, p. 139–140. For Junius, see R. Junius to the Council in Batavia, in: William CAMPBELL (ed.), Formosa under the Dutch. Described from contemporary records, London 1903, p. 144–147 (quotes on p. 144–145). For the plan in Dutch Brazil, see SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 187.

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indigenous languages. The first Protestant preachers in Dutch Taiwan and Dutch Brazil realized that native tongues would be much more effective as languages of instruction than expecting the Taiwanese and Brazilian aborigines to learn reading and writing in a radically different language. The VOC also encouraged missionaries to preach in indigenous languages in order to win the sympathy and cooperation of the strategically important native peoples. In their use of local tongues the Protestant missionaries in Taiwan and Brazil were especially influenced by Sebastiaen Danckaerts, one of the first ministers of the Dutch Reformed Church who had devoted himself to the conversion of non-Christians. Danckaerts, who had been active as a preacher on the Spice Islands in the Indonesian Archipelago before the Dutch colonized Taiwan and Brazil, had published about his experiences, and in his writings he emphasized the importance of using indigenous languages in Christian education programmes. Candidius, the first Dutch Reformed minister on Taiwan, even became personally acquainted with Danckaerts while the latter visited Leiden University, where Candidius studied theology during the early 1620s.24 Following Danckaerts’ advice, missionaries in Taiwan and Brazil concentrated on mastering native languages. In both colonies, dedicated Protestant missionaries set themselves the challenging tasks of learning indigenous tongues and of transforming them into written form. As demonstrated by Margaret Leahey in her study of French Jesuits in seventeenth-century Canada, European missionaries were only able to master native tongues and to transform indigenous languages into written form by cohabitation with the natives for a considerable time. A similar process took place in Dutch Taiwan and Brazil.25 In Taiwan, Candidius and Junius obtained a working knowledge of a dialect of the Siraya language by residing for several years in the village of Sincan near Fort Zeelandia. After Candidius had produced a primitive Dutch-Sincan dictionary by the late 1620s, Junius turned the orally transmitted indigenous language into a written one by using Latin characters to represent the sound of native vocabulary. The Sincan vocabulary compiled by Candidius was used by Junius for the first time when he founded a Protestant school for Sincan boys in May 1636. Several months later, in October 1636, Junius and his newly arrived colleague Assuerus Hoogesteijn had prepared for printing a so-called ABC book, a common primer to teach children how to read and write, based on the Sincan vocabulary.26

24 For Danckaerts, see H.E. NIEMEIJER, Orang Nasrani: Protestants Ambon in de zeventiende eeuw, in: SCHUTTE (ed.), Het Indisch Sion, p. 129–130. On the Protestant missionaries and the use of native languages in Southeast Asia during the early 1600s, see also KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel, p. 62–64. For Candidius meeting Danckaerts, see BLUSSÉ, Dutch Protestant Missionaries, p. 163. 25 Margaret J. LEAHEY, ‘Comment peut un muet prescher l’évangile?’ Jesuit Missionaries and the Native Languages of New France, in: French Historical Studies 19 (1995), p. 105–132. 26 W.A. GINSEL, De Gereformeerde Kerk op Formosa of de lotgevallen eener handelskerk onder de Oost-Indische Compagnie, 1627–1662, Ph.D. dissertation, Leiden University 1931, p. 86 (Candidius dictionary), 87 (Junius), 88 (Junius’ first school and ABC books).

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The Dutch missionaries’ task of teaching literacy to indigenous peoples was somewhat easier in Brazil than in Taiwan because a written form of Tupi had already been developed by the Jesuits. Although the Calvinist preachers did not openly admit to borrowing from their religious archenemies, it is likely that Protestant missionaries utilized this written form of Tupi in some way. By 1638 several Protestant missionaries had obtained enough proficiency in the Tupi language to write a trilingual catechism in Dutch, Portuguese and Tupi. Although this catechism was printed in the Republic and shipped in large quantities for religious education to Brazil in the early 1640s, it was never used in mission work because Reformed Church officials in the Republic regarded certain aspects of the catechism as liturgically incorrect. Partially as a result of the intransigence of senior Calvinist preachers in the Republic, Protestant missionaries in Dutch Brazil frequently relied on Portuguese as a language of instruction to the Tupis. According to Vincent Soler, one of the prominent Protestant missionaries, many Tupi children, in contrast to their parents, spoke Portuguese as a second language. Throughout the WIC occupation of northeastern Brazil, Calvinist missionaries extensively relied on Portuguese and Spanish to teach literacy. However, the fluency of Dutch Protestant missionaries in Iberian languages remained limited. In 1641 the classis or senior church council of the Reformed Church in Dutch Brazil was still admonishing its missionaries to learn Portuguese when working among the Tupis.27 The pedagogy of the Protestant missionaries in Taiwan and Brazil was based on the instruction in basic writing skills and on the repetitious reading and singing of religious texts. This instructional method, which emphasized memorization and recitation, was modeled on primary schools for children in the Dutch Republic. Elementary writing was taught by having children copy the Latin characters that made up the Sincan or Tupi vocabularies. Writing skills were practiced on notebooks and through ABC books that had to be imported from the Republic as there were no paper mills and printing shops in either Taiwan or Brazil. In 1650 a Protestant mission request for a printing shop in Taiwan was rejected by the VOC directors as being too expensive. The reading of characters was practiced through the ABC books mentioned earlier. In these booklets, each letter of the alphabet was associated with a picture and a simple rhyme that made memorization easy. In the Dutch Protestant educational programmes the ABC books often contained religious messages such as the Ten Commandments. Religious texts were above all taught through the memorization of catechisms, which usually contained simple questions and answers related to the New Testament. Ministers and schoolteachers regularly tested their students’ knowledge through examinations. Promising pupils who were able to show a thorough understanding of the foundational beliefs of Protestant Christianity were encouraged to become lay preachers and schoolteachers. Finally, the singing of psalms out of songbooks was another inte-

27 SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 191 (comment by Soler), 196 (1641 classis meeting), 218–229 (trilingual catechism).

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gral part of Dutch Protestant religious education in the Republic and the Dutch colonies.28

V. INDIGENOUS ENROLLMENT IN THE PROTESTANT SCHOOLS The religious schools in Dutch Taiwan and Dutch Brazil were generally well attended. Aboriginal enrollment in the Protestant schools of Taiwan was especially impressive. Soon after the establishment of the first Protestant school in the Siraya village called Sincan in May 1636, Junius reported that seventy young teenage boys from Sincan were eager to enroll. Several months later, Sincan parents encouraged an almost equal number of young teenage girls to attend Junius’ school. In 1638 a VOC report noted that the Protestant school in Sincan enrolled 45 boys and about 60 girls. According to the same report, students had obtained basic reading and writing skills, including the reciting of several prayers and psalms in the Sincan language. By the mid-1640s, Protestant schools had been established in most aboriginal villages of southwestern Taiwan. In several villages attendance was so high that Protestant missionaries had established separate schools for boys, girls and even adults. By 1647 more than 1,100 native students reportedly attended Protestant schools in Taiwan. An inspection team of the VOC visiting four southwestern aboriginal villages in 1659 found that at least half of all inhabitants in the indigenous communities were able to pass the primary religious exams administered by Protestant missionaries. In Sincan more than eighty percent of the total population had successfully passed the primary religious test. The rate of literacy in most Siraya villages remained fairly low, reflecting the arduous process of teaching reading and writing to a society that did not have a prior knowledge of the written word. According to the 1659 report, the percentage of people who were able to read in three Siraya villages remained well below ten percent of the total population. Interestingly, the literacy rate among males was higher than among females. Because the Dutch Reformed Church strongly preferred male schoolteachers and lay preachers over female ones, most Siraya students admitted to the secondary level of religious and literacy education were boys. The Dutch Protestant bias against women in religious roles was also reflected by the active persecution of the inibs, the female shamans practicing among the Siraya. By the early 1640s most inibs had been forcibly banished from the Siraya villages by VOC soldiers.29 28 SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 142–143 (discussion of primary education methods in Dutch Brazil); KOOLEN, Een Seer Bequaem Middel, p. 173–174 (methods of religious education in seventeenth-century Dutch Southeast Asia); GINSEL, Gereformeerde Kerk, p. 104–105 (call for a printing shop in Formosa); Rene VAN STIPRIAAN, Het volle leven. Nederlandse literatuur en cultuurten tijde van de Republiek (circa 1550–1800), Amsterdam 2002, p. 78 (rhyme verses in the ABC booklets). 29 GINSEL, Gereformeerde Kerk, p. 87–89; KANG, The Siraya, p. 79–82 (1659 report, inibs).

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In Brazil, indigenous participation in Protestant schools was also strong but less spectacular than in Taiwan. Although we do not have census reports of the Protestant mission schools in Dutch Brazil similar to those for Dutch Taiwan, surviving correspondence from WIC officials and Dutch Reformed ministers suggests that the Tupis were active participants in the mission schools. In January 1638 the regular meeting of the Dutch Reformed Church in Brazil reported that there was a growing need to send lay preachers, especially those who were fluent in Spanish, to the Tupis in the aldeias “to teach the old and the young in reading and writing and in the foundations of the Christian Religion.” One year later, a member of the WIC government in Dutch Brazil noted that the Protestant missionaries were regularly visiting the aldeias to teach Tupi students. In April 1640 two full-time Protestant schoolteachers were active among the Indians of Dutch Brazil. One year later nine more schoolteachers were sent to Brazil from the Republic with the explicit goal of furthering the religious education of the Tupis. At the same time, attendance figures for the Protestant schools were not as impressive as those in Taiwan because of the continuing wars between the WIC and Portuguese guerilla forces. In Dutch Brazil, school attendance dropped sharply whenever Tupi parents took their children along on WIC-led military campaigns against the Portuguese. In order to escape the violence and insecurity in northeastern Brazil, many Tupi communities also sought refuge in the northern frontier provinces of Ceará and Maranhão, where European colonization was limited. Although the WIC maintained an outpost in Ceará from 1649 to 1654, the Protestant educational programme in this frontier province was small in comparison with the Reformed missions in the northeast.30 The difference between indigenous attendance at Protestant schools in Taiwan and Brazil was also revealed by the number of native schoolteachers in each colony. In both colonies, Protestant missionaries soon realized that they were unable to effectively staff the popular schools with qualified European personnel. This was an especially pressing problem in Taiwan, where many VOC employees died of malaria and other tropical diseases in the southern part of the island.31 Moreover, some missionaries in Taiwan and Brazil were mentally unable to live for extended periods of time in a radically different culture. Some succumbed to heavy drinking and abusive behaviour. Others lacked the required linguistic skills to become effective schoolteachers or lay preachers.32 Filling vacant positions for schoolteachers with promising local students enabled the Reformed Church to 30 SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 196 (nine schoolteachers sent over to Brazil); J.A. GROTHE (ed.), Classicale Acta van Brazilie. Archief voor de Geschiedenis der Oude Hollandsche Zending, Vol. II, Utrecht 1885, p. 235 (meeting of January 1638), 302 (Tupis abandoning their aldeias for military campaigns); MEUWESE, ‘For the Peace and Well-Being,’ p. 255– 256 (development of missions in 1639–1641). 31 N.C. EVERTS/W. MILDE, We Thanked God for Submitting Us to Such Sore but Supportable Trials. Hendrick Noorden and His Long Road to Freedom in: Leonard BLUSSÉ (ed.), Around and About Formosa: Essays in Honor of Professor Ts’ao Yung-ho, Taipei 2003, p. 244. 32 For examples of missionaries lacking linguistic skills and mental capabilities in Dutch Brazil, see GROTHE (ed.), Acta van Brazilie, p. 287, 312.

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continue the literacy programme. Additionally, appointing aboriginals as teachers was dramatic proof for the Dutch Reformed Church that the missions were making progress. Although native schoolteachers were active in both colonies, the number of indigenous teachers was much higher in Taiwan. Shortly before his return to the Republic in 1643, Junius reported that there were no less than fifty native schoolteachers in Taiwan who were active in six Protestant schools. Although not all of them were able to write, they were qualified enough to teach literacy and catechism classes. In 1657 the colonial government and the church council of Taiwan even discussed plans for the founding of a special teacher’s college. Detailed plans were made to admit thirty of the most promising native students to this educational institution. The curriculum was to be taught in the native language as well as in Dutch. Because of financial difficulties and disagreement between the church council and the colonial government over issues like the location of the school, the native teacher’s college was not completed by the time of the collapse of Dutch Taiwan in 1662.33 In Dutch Brazil, the number of documented native schoolteachers remained limited to four. Their Portuguese baptismal names such as João Gonsalves and Melchior de Francisco suggest that they were already baptized by Jesuit missionaries before entering the Protestant schools. The much lower number of aboriginal schoolteachers in Dutch Brazil compared to Dutch Taiwan once again underscores the disruptive influence of the chronic DutchPortuguese war on the ability of Protestant missionaries to develop an extensive school system among the Tupis in the aldeias.34

VI. INDIGENOUS USES OF LITERACY According to the Protestant missionaries themselves, the extensive participation of aboriginal students and teachers in the Protestant schools was evidence of the natives’ genuine interest in the ‘true Christian religion’. However, documentary evidence strongly suggests that native peoples in Taiwan and Brazil did not attend the schools to become model converts. Missionary attempts to repress pre-Dutch religious practices provoked violent responses. After Candidius and Junius attempted to prohibit a traditional ancestor worship festival in the Siraya villages in 1635, a conspiracy was organized against the Protestant missionaries, which was only narrowly averted.35 Additionally, after the decline of deer herds due to overhunting by Chinese settlers and after the outbreak of a locust plague that de33 GINSEL, Gereformeerde kerk, p. 91 (1643 report), 109–112 (plan for a native teacher’s college). 34 SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 196–197, 202–203. 35 Leonard BLUSSÉ/N.C. EVERTS (eds.), The Formosan Encounter. Notes on Formosa’s Aboriginal Society. A Selection of Documents from Dutch Archival Sources. Vol. II: 1636–1645, Taipei 2000, p. 39 (missive from Governor Putmans to Governor-General Brouwer, 23 March 1636, document 19).

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stroyed many food resources for the Siraya villages in the 1650s, many aborigines revived their pre-Christian rituals and practices.36 Even more dismaying to the Protestant missionaries in Taiwan was the “immoral behaviour” of almost all of the fifty native schoolteachers. In the 1640s, virtually all of the indigenous teachers were suspected of adultery, drunkenness and theft. Likewise, in July 1644, the classis of Brazil lamented that some Tupis still practiced polygamy. Several months later the same classis was assembled to implement a long list of regulations circumscribing Tupi behaviour. This religious ordinance revealed that, after almost ten years of mission work, the Tupis persisted in practicing rituals and customs abhorred by Protestant missionaries. Some of the prohibitions concerned communal dancing, certain sexual practices, the earlier mentioned polygamy, and the painting or tattooing of bodies.37 Although the Protestant missionaries were naturally disappointed by the lack of progress, it was naive to expect the natives in Taiwan and Brazil to have quickly become model converts. As other historians of indigenous peoples and Christian missionaries have convincingly shown, non-European peoples were primarily attracted to those elements of Christianity which most closely resembled their own religious rituals and customs. In Dutch Taiwan and Dutch Brazil, indigenous peoples showed most interest in adopting ‘outwardly’ Protestant rituals such as praying and singing because they reminded natives of their own communal ceremonies. Like other Christian missionaries, Dutch Protestant preachers and schoolteachers faced enormous cultural and linguistic obstacles which made it difficult to translate ‘inwardly’ Christian concepts such as ‘God’, ‘Jesus’ and ‘sin’ into indigenous tongues. While a few individuals may have been curious about Christian theology, the majority attended Protestant schools for other reasons.38 The most important reason why natives in Taiwan and Brazil participated in the Protestant education programme was to obtain skills that would help them to better survive in a changing world. Aboriginal peoples of Taiwan and Brazil quickly realized the value of literacy in their interactions with the Dutch and other Europeans. As other scholars have shown, it was of immense practical value for indigenous peoples to selectively adopt the culture and technology of the European colonial powers.39 Native peoples were not passive but were always inter36 ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 10, p. 1–3 (locust plague in 1654); J.A. GROTHE (ed.), Archief voor de geschiedenis der oude Hollandsche zending. Vol. IV: Formosa, 1643–1661, Utrecht 1887, p. 166–168 (aborigines returning to their pre-Christian beliefs), 213 (ordinance against paganism practiced by aborigines, March 2, 1658). See also Hsin-hui CHIU, The Colonial ‘Civilizing Process’ in Dutch Formosa, 1624–1662, Ph.D. Dissertation, Leiden University 2007, p. 296. 37 GINSEL, Gereformeerde Kerk, p. 99 (immoral behaviour of native schoolteachers); GROTHE (ed.), Acta van Brazilie, p. 316 (polygamy of Tupis); Dutch National Archives, Archive of the Old (First) West India Company, 1621–1674, Inv. No. 70: Daily Minutes of the WIC Government in Brazil, September 20, 1644 (ordinance against Tupis). 38 GREER, Iroquois Christianity, p. 181–184. 39 William B. HART, Mohawk Schoolmasters and Catechists in Mid-Eighteenth Century Iroquoia: An Experiment in Fostering Literacy and Religious Change, in: Edward G.

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ested in using new technologies to adapt to changes in daily life. In Taiwan, indigenous peoples were able to use their literacy skills to read the written deeds and transactions on which the VOC documented the renting out of aboriginal lands to Chinese settlers. Moreover, during the 1650s, aboriginal communities became increasingly connected to colonial society as the VOC government encouraged native villages to participate in the colonial market economy. The ability to read and write became a practical skill for the aboriginal population since the VOC tightly regulated the colonial economy through written ordinances and regulations.40 In Brazil, some individual Tupis also used their acquired literacy skills to better negotiate with the European colonial powers. In 1625 a WIC fleet had taken a small number of Potiguar Indians from northeastern Brazil to the Republic in order to collect intelligence about the geography and Portuguese defenses of Brazil. From 1625 to 1630, this small number of Potiguars lived in the Republic, where some of them learned to speak Dutch and became Protestant Christians. After the successful WIC invasion of northeastern Brazil in 1630, most of the Potiguars returned to Brazil. Pieter Poty and Anthonio Paraupaba, two of the most promising Potiguar go-betweens, became influential spokesmen for their people in negotiations with the WIC during the era of Dutch rule in northeastern Brazil. Poty and Paraupaba, who could write in Dutch and Tupi, frequently corresponded with WIC officials about the role of Tupis in military campaigns and in the colonial economy. In October 1649 Paraupaba requested and received a quantity of writing paper from the colonial government, presumably to keep up his correspondence with WIC officials. Likewise, in February 1647 Johannes Engelaer, one of the Dutch Protestant schoolteachers to the Tupis, petitioned the colonial government to receive financial compensation for his son Samuel, who had served as the personal secretary of Pieter Poty for almost two years.41 Native peoples in Taiwan and Brazil were also attracted to Protestant schools because literacy enabled them to express and keep control of their languages and cultural identity in new ways. The Protestant schools were especially popular in Taiwan because instruction there was carried out in the indigenous language. Perhaps one explanation for the limited popularity of the Protestant schools in Brazil was the employment of Iberian languages rather than Tupi by the Protestant missionaries. The emergence of native schoolteachers in both colonies is also a strong indication that indigenous peoples desired to control the literacy programme. Having their own people teach reading and writing in their own tongues enabled native peoples in Taiwan and Brazil to maintain their cultural autonomy in a changing and uncertain world. In contrast to sites where indigenous peoples lost their GRAY/Norman FIERING (eds.), The Language Encounter in the Americas, 1492–1800, New York 2000, p. 230–257, here p. 239. 40 ANDRADE, How Taiwan became Chinese, chapter 9, p. 38–39. On land tenure in Dutch Taiwan, see Pol HEYNS, Land Rights in Dutch Formosa, in: BLUSSÉ (ed.), Around and about Formosa, p. 175–207. 41 MEUWESE, ‘For the Peace and Well-Being of the Country,’ chapter 3, esp. p. 186–187 (information on Paraupaba requesting paper and Poty’s secretary).

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cultural identity, the Protestant schools in Taiwan and Brazil were places of cultural retention.42 Another reason for the native peoples of Taiwan and Brazil to participate in the Dutch Protestant education programmes was to strengthen their strategic alliances with the Dutch. In Dutch Taiwan, many of the Siraya villages had aligned themselves with the VOC to overpower traditional indigenous enemies. The aboriginal communities demonstrated their support for the VOC by participating in the elaborate annual ceremonies (landdagen) in which the Dutch colonial governor appointed native leaders and distributed goods. Some Siraya communities also acknowledged their close ties to the Dutch through their participation in the Protestant schools and civilization programme. In 1648 the colonial governor of Taiwan reported that a large number of residents from Sincan had asked their Protestant schoolteacher if they could give themselves Dutch names. The same community also decided to wear Dutch clothing on Sundays, as a symbol of their close association with the VOC.43 In Brazil, the indigenous peoples also demonstrated their loyalty to the Dutch by participating in the Protestant schools. The connection between diplomacy and the Protestant education programme was strongly revealed in 1645, when the Tarairius, one of the Tapuya peoples living in the interior of northeastern Brazil, sent several of their children to the Dutch Protestant school in the province of Rio Grande do Norte. This was remarkable because the Tarairius had never shown any interest in either Jesuit or Dutch Protestant missions before. However, faced with increased Portuguese aggression and indigenous enemies, the Tarairius attempted to strengthen the diplomatic ties with the WIC. By participating in the Dutch Protestant school in Rio Grande, the Tarairius hoped to persuade the WIC government to send military aid to them.44 Native peoples also participated in the Protestant school programmes in order to live up to notions of generosity and to receive valuable material goods. In indigenous societies such as the Sirayas and Tupis, it was an important social value to reciprocate whenever a stranger or friend distributed a gift or provided a service. When colonial officials and missionaries in Dutch in Taiwan and Brazil supplied goods and food to persuade native peoples to the Protestant missionary programme, the latter felt obliged to reciprocate. In August 1628 governor Pieter Nuyts of Taiwan successfully persuaded the village of Sincan to enroll their children in the Protestant school of Candidius by hosting a lavish dinner and distributing several gifts to community leaders. By December 1628, Candidius reportedly had 100 students, including parents and children. Likewise, WIC officials and missionaries in Brazil were able to retain native support for their mission programme by regularly distributing clothing among the Tupis. In 1647 and 1648, Calvinist churches in the Republic sent large amounts of clothing to northeastern 42 For this argument, see Kathleen J. BRAGDON, Native Languages as Spoken and Written: Views from Southern New England, in: GRAY/FIERING (eds.), The Language Encounter, p. 181–183. 43 GINSEL, Gereformeerde Kerk, p. 103. 44 SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 216–217.

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Brazil to distribute among Tupi women and children whose husbands were desperately fighting on the side of the WIC to suppress a Portuguese rebellion.45 The extent of the indigenous participation in the Dutch Protestant education programmes was dramatically demonstrated after the sudden collapse of the Dutch colonies in Brazil and Taiwan in 1654 and 1662 respectively. In both regions, the indigenous peoples were confronted with new challenges following the expulsion of the Dutch. In Taiwan, native peoples had to contend with the rule of the Chinese warlord Zheng Chenggong, who invaded Taiwan after having been driven from mainland China by the troops of the Manchu empire. Outnumbered by Chinese settlers and politically marginalized by Chenggong’s massive invasion army, some of the aboriginal villages used their acquired literacy skills to maintain their identity and autonomy. In 1685 Chinese observers noted that some native individuals still functioned as schoolteachers. Additionally, several indigenous communities kept account books written in Latin characters to control commercial and land transactions with their Chinese neighbours. In 1715 a Spanish Jesuit visiting Taiwan was surprised to encounter indigenous men being able to write in their own language using quills which they wore in their hair. The same Jesuit also reported that some of the natives still spoke Dutch, were able to read Dutch books, and could recite several Christian prayers. Although it must have become increasingly clear to the natives of Taiwan that the VOC would never return, the indigenous peoples continued to idealize their alliance with the Dutch as a way of maintaining their separate ethnic and cultural identity in the Chinesecontrolled island.46 A similar but more short-lived process of the indigenous retention of Protestant literacy took place in northeastern Brazil. In the aftermath of the WIC surrender of northeastern Brazil to the Portuguese in January 1654, many Tupis fled to the northern province of Ceará to escape Portuguese reprisals. When Jesuit missionaries arrived in Ceará to bring the Tupis back into the Catholic fold, they encountered natives who wore Dutch clothes, recited Christian texts, and derided Catholicism as a false religion.47 However, Protestant literacy among the Tupis in Ceará soon disappeared after the arrival of Jesuit missionaries who were eager to eradicate the “heretical beliefs” of the Indians. While Tupi retention of Protestant literacy quickly declined because of the dominance of Catholic missions, in Taiwan the indigenous peoples were able to maintain their Protestant literacy much longer because the Chinese rulers did not impose a missionary programme on the island.

45 GINSEL, Gereformeerde Kerk, p. 86; SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 208–210 (aid in 1647–1648). 46 KANG, Siraya, p. 81, 102–103; GINSEL, Gereformeerde kerk, p. 132–133, esp. p. 133, note 1; BLUSSÉ, Dutch Protestant Missionaries, p. 155–156 (visit by Spanish Jesuit). 47 SCHALKWIJK, Reformed Church, p. 215–216.

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VII. CONCLUSION The Protestant missionary programmes in Taiwan and Brazil were exceptional in comparison with those in other seventeenth-century Dutch colonies. While most Dutch overseas colonization efforts were solely commercial, Dutch Taiwan and Dutch Brazil were the sites of ambitious Protestant missions due to the close cooperation between church and state in the two colonies. In Taiwan and Brazil, the two Dutch merchant companies viewed Protestant missions as a valuable tool to strengthen the strategic relations with the indigenous populations. At the same time, there were considerable differences between the missions in the two colonies. The Protestant mission programme in southwestern Taiwan was much more extensive because the VOC was able to establish itself as the dominant colonial power in the region until the invasion by the Chinese warlord Chenggong in 1661–1662. In northeastern Brazil, the WIC was never able to impose firm political and military control over the Portuguese colonists in the region. The unstable situation prevented the Protestant education programme from thriving as much as the one in Dutch Taiwan. The comparative study of indigenous participation in Protestant mission schools in Dutch Taiwan and Dutch Brazil also shows that Christian missions were sites of complex intercultural encounters. Although the Dutch Reformed missionaries in Taiwan and Brazil as well as some recent historians believed that native peoples were attracted to the written word out of a genuine conviction to become Christians, indigenous motives for participating in the Protestant schools were practically and culturally driven. In Dutch Taiwan and Dutch Brazil, aboriginal peoples actively participated in Protestant literacy programmes in order to strengthen the strategic alliances with the Dutch, to better adapt to colonial society, and to maintain their cultural autonomy and identity. The multiple uses of the Protestant education programmes by the Siraya of Dutch Taiwan and the Tupis of Dutch Brazil demonstrate that indigenous peoples used Christian missions for their own purposes. Instead of becoming devout Christians, aboriginal peoples in Taiwan and Brazil applied their newly learned literacy skills to survive in a world that had been dramatically changed by European colonial expansion.

II. DIE VIELFALT KULTURELLER VERMITTLER

Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung (1519–1522) Magellans Chronist Antonio Pigafetta als „naiver Linguist“ Miorita Ulrich, Bamberg Mais le besoin de voyager restait aussi puissant qu’un désir charnel. Marguerite Yourcenar1

I. EINFÜHRUNG: TERRITORIALE VS. SPRACHLICHE ENTDECKUNGEN Die Entdeckung und Eroberung von Territorien, Ländern und Kontinenten, aber auch Kreuzzüge sowie (wissenschaftliche) Expeditionen führten im Verlauf der Geschichte zu zahlreichen, immer wieder verschiedenen Situationen des Sprachkontaktes. Dieses aufgezwungene Aufeinandertreffen musste nicht zwangsläufig den Untergang der Sprachen der besiegten Bevölkerungen bedeuten; gelegentlich erfuhren vielmehr die „Siegersprachen“ eine willkommene Bereicherung durch die „besiegten“ Sprachen, etwa im Bereich der Grammatik, vor allem aber im Bereich des Wortschatzes.2 Letzteres ergab sich insbesondere aus der Notwendigkeit der Benennung des in den fremden Gebieten vorgefundenen Neuen und Unbekannten (Tiere und Pflanzen, Einrichtungsgegenstände, Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände, Bräuche und (Un-)Sitten). Hierfür bot sich an erster Stelle das Verfahren der Übernahme der fremdsprachlichen Lexeme in die eigene Sprache an. Mit anderen Worten: Fremde Sachen brachten fremde Wörter. Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus und die Eroberung des Kontinents durch die Konquistadoren bewirkten so bekanntlich die Aufnahme vieler Lexeme amerindischer Abstammung ins Spanische (etwa canoa, hamaca und caçique für die amer-

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Dt.: „Das Bedürfnis zu reisen war genauso stark wie ein fleischliches Begehren.“ Gerade die romanischen Sprachen stellen das Ergebnis eines mehrfachen Sprachkontaktes dar, bei dem die „Siegersprache“ Latein durch grammatische und lexikalische Elemente untergegangener Substrat- bzw. Superstratsprachen angereichert wurde (als Substrata gelten Phönizisch, Iberisch, Keltisch, Thrakisch, usw., als Superstrata Germanisch, Arabisch, Slavisch usw.).

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indischen Gegenstände ‚Kanu‘, ‚Hängematte‘ und ‚Häuptling‘) – denen man bereits in Kolumbus’ Reisebericht auf Schritt und Tritt begegnet.3 Bei dem oben geschilderten Typ der erstmaligen schriftlichen Einführung neuer Lexeme im Rahmen des Verfassens von Wörterbüchern und Reiseberichten handelt es sich um eine pure Notwendigkeit der Kommunikation, nämlich um das Problem, in der eigenen Sprache unbekannte und somit namenlose Dinge neu zu benennen, um überhaupt über sie sprechen zu können. In anderen Reiseberichten begegnet man jedoch nicht nur einzelnen, isolierten Fremdwörtern wie canoa, sondern ganzen Listen von Wörtern (sog. Vokabularien), die nicht vornehmlich der sprachlichen Kommunikation dienten, sondern eine – wie auch immer motivierte – reflektierte, metasprachliche „Vorführung“ von fremden, meist exotischen Sprachen darstellten. Berühmtheit in der Forschung zur Reiseliteratur, insbesondere in sprachwissenschaftlicher Hinsicht, erlangten die tahitianischen Wortlisten, die von einigen Expeditionsteilnehmern anlässlich der Weltumsegelung unter Louis-Antoine de Bougainville (1766–1769) erstellt wurden. Die Literatur zum Thema fasst heute die tahitianischen Wörter mit ihren französischen Entsprechungen in alphabetischer Form zusammen. Dabei wird explizit auf Eigentümlichkeiten des Tahitianischen wie auffallende „Alphabetslücken“ verwiesen: Es „fehlen“ – natürlich aus der Perspektive des lateinischen Alphabets – die Buchstaben B, C, D, F, G, Q, U, X, Y und Z und dementsprechend tahitianische Lexeme mit diesen Initialbuchstaben.4 In puncto Vokabularien hatten Louis-Antoine de Bougainville und seine Begleiter jedoch einen Vorgänger, der zwar von der allgemeinen Forschung zur Reiseliteratur angemessene Beachtung fand, der jedoch aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu Unrecht stiefmütterlich behandelt wurde: den Italiener Antonio Pigafetta. Der Gefährte Magellans und Chronist der ersten Weltumsegelung (1519–1522) führte während der dreijährigen Expedition kontinuierlich ein Tagebuch, das bereits kurz nach der Reise unter dem Titel Le voyage et nauigation, faict par les Espaignolz es Isles de Mollucques veröffentlicht wurde. Hierin enthalten sind auch vier Wortlisten, in welchen der Autor Vokabeln verschiedener Eingeborenensprachen, denen er begegnet, akribisch festhält – für sich selbst, seine Zeitge3 4

Cf. Cristóbal COLÓN, Los cuatro viajes. Testamento, hrsg. von Consuelo VARELA, Madrid 1986, S. 83, 88, 132. Bei caçique handelt es sich um die erste Dokumentation des Lexems überhaupt. Das Bordbuch de Bougainvilles selbst enthält zwar zahlreiche tahitianische Lexeme im Fließtext, weist jedoch kein tahitianisch-französisches Vokabular auf. Im Gegensatz dazu enthalten die Bordbücher anderer Expeditionsteilnehmer, wie zum Beispiel Fesche und Commerson, entsprechende Vokabularien. In der Bougainville-Forschung werden diese ursprünglichen Wortlisten durch weitere Lexeme bzw. lexikalische Varianten ergänzt, die auf eine berühmte Studie Wilhelm von Humboldts (cf. Wilhelm von HUMBOLDT, Vocabulaire inédit de la langue taïtienne, in: Johann Carl Eduard BUSCHMANN, Aperçu de la langue des îles Marquises et de la langue taïtienne, Berlin 1843, S. 90–140) zum tahitianischen Vokabular zurückgehen. Dieser hatte hierin linguistische Dokumente weiterer nach Polynesien gereister Forscher des 18. Jahrhunderts, insbesondere von Briten, berücksichtigt. Näheres hierzu in der kritischen Edition von Michelle BIDEAUX/Sonia FAESSEL (Hrsg.), Louis-Antoine de Bougainville. Voyage autour du monde, Paris 2001, S. 357–368.

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nossen und vor allem die Nachwelt. Im Rahmen dieses Beitrags sollen diese in anthropologischer, insbesondere aber in linguistischer Hinsicht einmaligen Listen vorgestellt und sprachwissenschaftlich interpretiert werden. Um die linguistische Leistung Pigafettas entsprechend würdigen zu können, insbesondere im Vergleich zu anderen, später entstandenen Wortlisten wie denjenigen de Bougainvilles, muss jedoch zuvor der gesamte Kontext der Reise skizziert werden – ihre Motivation und Planung, ihr Verlauf und ihr Ergebnis: das Erreichen der Gewürzinseln auf dem Westweg. Dieser Abriss der eigentlichen Expedition situiert die Wortlisten Pigafettas zeitlich, geographisch und kolonialpolitisch, um so deren nachfolgende sprachwissenschaftliche Vorstellung und Interpretation einzubetten.

II. HISTORISCHER KONTEXT: MAGELLANS EXPEDITION ZU DEN MOLUKKEN Als der portugiesische Seefahrer Fernão de Magalhães im Auftrag des spanischen Königs und deutschen Kaisers Karl V. am 20. September 1519 mit fünf Karavellen und 265 Mann an Bord von Sevilla aufbrach, um über die Pazifikroute die Gewürzinseln, d.h. die Inselgruppe der Molukken, zu erreichen, befand sich an Bord der Schiffes Trinidad ein junger Italiener aus Vicenza, welcher – wie er selbst im Prolog zu seinem Tagebuch festhielt – diese Reise unternehmen wollte, um eigene Erfahrungen zu sammeln und begehrenswerte Sachen zu sehen – Sachen, die ihm bei der Nachwelt einen Namen sichern sollten.5 Motiviert war die Expedition durch den Anspruch Spaniens auf die Molukken, von denen die Spanier irrtümlich annahmen, dass sie gemäß dem Tratado de Tordesillas, der 1494 zwischen Spanien und Portugal geschlossen wurde, dem spanischen Gebiet zuzurechnen seien. Die begehrten Handelsgüter Indiens, Chinas und des Malaiischen Archipels – Seide, kostbare Stoffe, Parfums, Elfenbein, Edelhölzer, vor allem aber Gewürze wie Nelken, Zimt, Pfeffer, Muskatnuss und Muskatblüte – erreichten Europa im Mittelalter über die so genannte Seidenstraße – tatsächlich ein Netz von Karawanenwegen, die vom Schwarzen Meer und den Häfen der Levante über Zentralasien bis nach China führten. Arabische Kaufleute kontrollierten die Handelswege zwischen den Häfen am Roten Meer und am Persischen Golf einerseits, den Schwarzmeer- und Levantehäfen andererseits, während Kaufleute aus Venedig und Genua seit dem 12. Jahrhundert den Handel mit asiatischen Gütern in der Levante dominierten. Nachdem Konstantinopel 1453 an die Türken gefallen war, 5

„[…] far experientia di me et andare a vedere quelle cose, che potessero dare alguna satisfatione a me medesmo et potessero parturirmi qualche nome apresso la posterità“, zitiert nach Antonio PIGAFETTA, La mia longa et pericolosa navigatione. La primera circumnavigazione del globo (1519–1522). Transcrizione dal codice della Biblioteca Ambrosiana, introduzione e note di Luigi GIOVANNINI/Cinisello BALSAMO, Milano 1989, S. 53.

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waren die Handelswege der Genuesen und Venezianer allerdings weitgehend abgeschnitten, was die Suche nach einer alternativen Handelsroute begünstigte. Nach der Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama (1498) erreichten die Portugiesen bis 1515 Goa und Calicut an der indischen Malabarküste, Malakka und schließlich auch die Molukken. Damit kamen sie ohne die kostspielige Vermittlung arabischer Zwischenhändler an die begehrten Gewürze.6 Seinen Anspruch auf die Molukken stützte Portugal auf die Tatsache, diese als erste europäische Nation erreicht zu haben. Spanien zweifelte diese Besitzansprüche jedoch auf Grundlage des Vertrages von Tordesillas an und suchte einen unabhängigen Weg zu den Gewürzinseln.7 Der erfahrene portugiesische Seefahrer Fernão de Magalhães e Sousa,8 der am Hof König Manuels I. in Ungnade gefallen war, wechselte in den Dienst des spanischen Königs Karl V. und bat diesen um Unterstützung seines Vorhabens, innerhalb der spanischen Hemisphäre, also auf westlicher Route, zu den Molukken zu segeln. Dabei sah er sich durch einen – nicht zutreffenden – Bericht des portugiesischen Seefahrers Francisco Serrão bestärkt, der die Molukken als zur spanischen Hemisphäre gehörend betrachtete. Karl V. erteilte Magellan am 22. März 1518 in einer Capitulación die erbetene Erlaubnis und gab der 1503 in Sevilla gegründeten Casa de Contratación die Anweisung, die Expedition vorzubereiten. Am 10. August 1519 liefen die fünf Karavellen San Antonio, Trinidad, Concepción, Victoria und Santiago unter der Führung Magellans als Capitán General aus dem Hafen von Sevilla aus. Am 6. September 1522 kehrte nach einer dreijährigen Odyssee lediglich die Karavelle Victoria mit Gewürzen beladen nach Sevilla zurück. Die Rückreise erfolgte nach dem Tod Magellans am 26. April 1521 auf der philippinischen Insel Mactan unter der Leitung des Spaniers Juan Sebastián Del Cano.9 6

7

8 9

Kirki N. CHAUDHURI, Trade and Civilisation in the Indian Ocean: An Economic History from the Rise of Islam to 1750, Cambridge u.a. 1985, S. 167–172 und passim; Wolfgang REINHARD, Geschichte der europäischen Expansion. Bd. 1: Die Alte Welt bis 1818, Stuttgart 1983, S. 14–23, 28–59; Peter FELDBAUER, Die Portugiesen in Asien 1498–1620, Essen 2005, S. 10–17, 32–49. Magellan selbst hatte sieben Jahre in Malakka verbracht, so dass er die Region gut kannte. Die Demarkationslinie des Vertrages von Tordesillas beschränkte sich zunächst auf den Atlantik, wurde jedoch von Spanien – unberechtigterweise – auf den Pazifik ausgeweitet, da falsche Berechnungen nach ptolemäischen Karten die Molukken in ihrem Einflussbereich verorteten. Eine genaue Berechnung der Linie war jedoch mit damaligen Mitteln nicht möglich, so dass erst heute feststeht, dass gemäß diesem Vertrag die Gewürzinseln Portugal zuzurechnen waren. Vgl. REINHARD, Geschichte, Bd. 1, S. 48–49, 70; O.H.K. SPATE, The Spanish Lake (The Pacific since Magellan, 1), Minneapolis 1974, S. 27–29; Xavier DE CASTRO, Le voyage de Magellan (1519–1522). La relation d’Antonio Pigafetta et autres témoignages, Bd. 1, Paris 2007, S. 7–32. Vgl. zu ihm Dietmar HENZE, Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Bd. 3, Graz 1993, S. 338–348 (mit ausführlicher Bibliographie); SPATE, Spanish Lake, S. 34–37; DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 33–67. Die seit dem 17. Jahrhundert häufig in der Literatur verwendete Schreibweise des Namens, Elcano, ist unzutreffend. – Zu den Vorbereitungen und dem Verlauf der Reise vgl. SPATE, Spanish Lake, S. 37–53; REINHARD, Geschichte, Bd. 1, S. 70–72; Urs BITTERLI, Die Entdeck-

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Die folgende Karte aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zeichnet die Route der ersten Weltumsegelung nach. Sie führte zunächst von Sevilla über Sanlúcar de Barrameda zu den Kanaren. Nach der Überquerung des Atlantiks folgte sie der brasilianischen Küste bis zur Südspitze Patagoniens. Durch die nach dem Entdecker benannte Magellanstraße wurde der Pazifik erreicht. Anschließend führte die Expedition auf einer nicht exakt bestimmbaren Route über den Pazifik zu den Philippinen und schließlich zu den Gewürzinseln. Die Rückkehr unter Del Cano erfolgt nicht, wie von Karl V. angeordnet, auf der gleichen Route zurück über den Pazifik, sondern vollendete die Weltumsegelung über die portugiesische Indienroute.10 Die Ankunft des Schiffes Victoria mit 18 Mann Besatzung und vier molukkischen Eingeborenen in Sanlúcar de Barrameda datiert auf den 6. September 1522. Zwei Tage später war die Victoria in Sevilla.

Abb. 1: Weltkarte von Battista Agnese (1542) mit der Route der ersten Weltumsegelung. Nach DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 285.

Nach der Rückkehr erstattete Del Cano Kaiser Karl V. Bericht, der ihm in Anerkennung seiner Leistung ein Familienwappen mit dem Motto Primus circumdedisti me, ‚Als erster hast du mich umsegelt‘, verlieh. Um seine Ansprüche auf die ung Amerikas. Von Kolumbus bis Alexander von Humboldt, 3. Aufl. München 1992, S. 129– 141. 10 Nach der „Entdeckung“ des Pazifiks hatte Magellan – nunmehr in Kenntnis von dessen für ihn schier unendlichen Ausmaßen – noch vor seinem Tod entschieden, die erneute Überquerung des Ozeans zu vermeiden und somit die Weltumsegelung zu vollenden, da weder genug Besatzung noch Material für die Befolgung der Anweisungen der Capitulación zur Verfügung stand.

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Molukken zu untermauern, errichtete Spanien 1522 ein kurzlebiges neues Zentrum für den Gewürzhandel in La Coruña, die Casa de la Especiería Coruñesa. Die Gewürzstraße über den Pazifik erwies sich allerdings bald als extrem lang und risikoreich und somit kaum praktikabel. Zudem gab Portugal seinen – legitimen – Anspruch auf die Molukken nicht auf, so dass finanzielle Probleme und die dynastische Verbindung mit dem portugiesischen Königshaus Karl V. 1529 schließlich veranlassten, im Vertrag von Saragossa gegen eine Zahlung von 350.000 Golddukaten auf eventuelle Ansprüche auf die Gewürzinseln zu verzichten.11 Die mit kommerziellen Absichten konzipierte Expedition verfehlte also ihr eigentliches Ziel, da die von Magellan entdeckte Route kaum dem Handel mit Gewürzen diente. Dafür zeitigte sie unbeabsichtigte, aber umso bedeutsamere Erkenntnisse: den empirischen Beweis für die Kugelgestalt der Erde, die erstmalige europäische Überquerung des Pazifiks und den Beweis, dass die Ozeane der Erde miteinander verbunden sind. Nicht zuletzt führte die Weltumsegelung zu neuen Formen des materiellen und kulturellen Austausches zwischen Europäern und außereuropäischen Regionen. In den Kontext der interkulturellen Begegnung lässt sich auch die erste schriftliche Dokumentation des Malaiischen durch Pigafetta einordnen.

III. ZUR BIOGRAPHIE ANTONIO PIGAFETTAS (1480–1534) […] ils occirent le miroir, la lumière, le confort et notre vrai guide.12 Pigafetta über den Tod Magellans

Antonio Pigafetta ging als nicht nur als Teilnehmer an der ersten Weltumseglung, sondern wegen seines außergewöhnlichen Tagebuchs auch als Schriftsteller in die Geschichte ein. Von den spärlichen biografischen Daten, über die wir verfügen,13 interessieren im Rahmen dieses Beitrags insbesondere diejenigen, die Licht auf seine Leistung hinsichtlich des Bordbuchs im Allgemeinen und der Wortlisten im Besonderen werfen. Das meiste erfahren wir somit aus dem Bordbuch selbst bzw. im Zusammenhang mit diesem. Pigafetta wurde zwischen 1480 und 1491 in Vicenza geboren, wo er 1534 auch starb. Auf der Liste der Besatzungsmitglieder des Segelschiffes Trinidad wird er als Antonio Lombardo (aus der damaligen Lombardei, d.h. Norditalien) aufgeführt, und zwar in der Funktion eines spanischen criado (frz. supplétif), was im Deutschen in etwa einer Aushilfskraft entspricht. Wir wissen jedoch, dass er im Verlauf der Reise zum persönlichen Vertrauten Magellans aufstieg. Am Ende 11 REINHARD, Geschichte, Bd. 1, S. 72. 12 Nach DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 167. Dt.: „[…] sie töteten unseren Spiegel, unser Licht, unseren Trost und wahren Führer.“ 13 Vgl. zu ihm Dietmar HENZE, Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Bd. 4, Graz 2000, S. 110–115 (mit ausführlicher Bibliographie).

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der Reise wird Pigafetta als span. sobresaliente, ‚hombre de armas’ aufgeführt. Pigafetta entstammte einer adligen Familie – sein Vater gehörte dem Ritterstand an und verfügte über eine hohe Bildung. Er selbst, der in diesem gebildeten und zugleich religiösen Umfeld aufwuchs, war wohl bereits vor Antritt der Reise Ritter des Ordens von Rhodos. Dies würde auch sein gutes Verhältnis zu Magellan und seine privilegierte Position während der Expedition erklären. Magellan seinerseits wurde unmittelbar vor der Reise zum Ordensritter von Santiago ernannt; sie waren somit ebenbürtig. Als Angehöriger des Ordens von Rhodos, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Europa vor den osmanischen Angriffen unter Suleiman dem Prächtigen zu verteidigen, hatte er sich Kenntnisse im Bereich der Seefahrt und des Umgangs mit Waffen angeeignet. Nicht gesichert ist hingegen die Annahme, dass er sich ebenfalls mit Kosmographie, Kartographie, Geographie und Astronomie beschäftigt hatte. Darüber hinaus hat die Kenntnis mehrerer romanischer Sprachen – Italienisch, Spanisch, Französisch (die offizielle Sprache des Ordens von Rhodos) und nicht zuletzt Portugiesisch – Pigafettas Sprachbewusstsein geschärft; dies könnte auch seinen Zugang zu den Eingeborenensprachen der besuchten Regionen erleichtert haben. Es wird ihm auch nachgesagt, dass er einen extrovertierten Charakter besaß, fröhlich, kontaktfreudig, mutig und ein geschickter Diplomat war, so dass man leicht nachvollziehen kann, dass er offen für Kontakte zu den Einheimischen war und ungehemmt zum Zweck der Befragung auf sie zuging.14 Mehr im Hinblick auf seine Charaktereigenschaften erfährt man über Pigafetta durch das Bordbuch selbst. Im Prolog präsentiert er sich wissensdurstig und begierig darauf, Neues zu sehen.15 Von ausgeprägtem Selbstbewusstsein zeugt darüber hinaus sein Wunsch, durch die ungewöhnliche Reise berühmt zu werden – wohl mittels der schriftlichen Dokumentation des von ihm Gesehenen und Erlebten. Seine fast legendäre körperliche Gesundheit war gekoppelt an Ausdauer, Ehrgeiz, Pflichtbewusstsein und Hartnäckigkeit im Hinblick auf die Ziele seiner Reise. Man darf nicht unterschätzen, unter welch schwierigen Bedingungen er das Bordbuch verfasste: Von 265 Matrosen kehrten lediglich 18 krank und ausgemer14 Es ist bedauerlich, dass wir nur Vermutungen hinsichtlich der Sprachen anstellen können, die während der dreijährigen Reise an Bord der Karavellen gesprochen wurden. Die Listen der 265 Besatzungsmitglieder (vgl. DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 477–514) enthalten erwartungsgemäß überwiegend spanische Namen. Eingeschifft wurden jedoch auch 40 Portugiesen, einige Italiener, Franzosen, Deutsche, Flamen, Griechen, ein Engländer und zwei malaiische Sklaven, so dass davon auszugehen ist, dass – auch wenn die Muttersprache des Generalkapitäns Magellan Portugiesisch war – Spanisch als lingua franca der ersten Weltumseglung fungierte. Auf jeden Fall dürfte es sich aber um ein Spanisch gehandelt haben, das mit anderen romanischen und sogar arabischen Einsprengseln (bedingt durch frühere Sprachkontakte einiger Seeleute und den Aufenthalt auf den Molukken) angereichert war. Die Bedeutung, die dem Spanischen zukam, ist auch ersichtlich aus der auffallenden Zunahme der Iberismen, vor allem Hispanismen, in den Aufzeichnungen Pigafettas im Verlauf der Reise. 15 „[…] et connaissant, tant par lecture de plusieurs livres que par le rapport de plusieurs clercs et entendus […] les très grandes et épouvantables choses de la mer océane, je déliberai […] d’expérimenter et d’aller voir à l’œil partie desdits choses.“ DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 79–80.

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gelt zurück, von fünf Karavellen erreichte nur die Victoria Spanien. Krankheiten, Hunger, Kälte, Unwetter auf See und Kämpfe mit Indigenen ließen die Mannschaft ständig um das nackte Überleben fürchten.16 Für Pigafettas Streben nach „Ruhm bei der Nachwelt“ spricht auch der Umstand, dass er nach der Ankunft in Sevilla am 8. September 1522 neben dem spanischen Hof – wo er laut Angabe von Maximilianus Transylvanus von 1523 Kaiser Karl V. ein Buch über die Expedition überreichte17 – auch die Königshäuser von Portugal und Frankreich besuchte.18 Auf weitere Eigenschaften wie Kreativität und gute Beobachtungsgabe deutet die Art und Weise hin, wie er sein Tage16 Insbesondere der Hunger – selbst eingeweichte und gegrillte Lederstücke vom Hauptmast, Sägemehl und gar Ratten mussten als Nahrung dienen – und Krankheiten – vor allem der durch Vitamin C-Mangel entstandende Skorbut, der in Folge eines über die Zähne hinaus wuchernden Zahnfleisches zum Verhungern führte – machten der Expedition schwer zu schaffen. Vgl. dazu Pigafetta: „Nous ne mangions que du vieux biscuit tourné en poudre, tout plein de vers et puant, pour l’ordure de l’urine que les rats avaient faite dessus et mangé le bon, et buvions une eau jaune infecte. Nous mangions aussi les peaux de bœuf, qui étaient sur l’antenne majeure (afin qu’elle ne rompît les haubans) et qui étaient très dures à cause du soleil, de la pluie et du vent. Et nous les laissions par quatre ou cinq jours en la mer puis les mettions un peu sur les braises, et ainsi les mangions. Et encore assez de sciure d’ais et des rats qui coûtaient un demi-écu l’un, et encore ne s’en pouvait-il trouver assez. Outre les maux dessus dits, ce mal que je dirai était le pire. C’est que les gencives de la plus grande partie de nos gens croissaient dessus et dessous, si fort qu’ils ne pouvaient manger et par ainsi ils mouraient tant qu’il nous en mourut dix-neuf. Mais outre ceux qui moururent, il en tomba vingtcinq ou trente malades, de diverses maladies tant aux bras qu’aux jambes et autres lieux, en telle sorte qu’il en demeura bien peu de sains. Toutefois, la grâce à Notre-Seigneur, je n’eus point de maladie [eigene Hervorhebung].“ Zitiert nach DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 114–115. 17 „[…] presenté a la sacra Majestad de Don Carlos, ni oro ni plata, sino cosas para obtener mucho aprecio de tamaño Señor. Entre las otras, le di un libro, escrito por mi mano con todas las cosas pasadas, día a día, en nuestro viaje.“ Zitiert nach PIGAFETTA, La mia longa et pericolosa navigatione, S. 7. Die eigene Aussage Pigafettas, Karl V. ein Buch überreicht zu haben, wirft die Frage auf, wann er zwischen der Ankunft in Sevilla und dem Aufenthalt am spanischen Königshof die Zeit für eine derartige Abschrift gefunden hat. Das einzige Zeugnis von Pigafettas Manuskript ist ein Brief von Maximilianus Transylvanus, dem Privatsekretär des Monarchen, der bei der Berichterstattung Pigafettas anwesend war. Dieser ausführliche Brief war an den Kardinal-Erzbischof von Salzburg, Matthäus Lang, gerichtet, der ihn 1523 auf Latein mit dem Titel De Moluccis Insulis… in Köln, Rom bzw. Paris veröffentlichte. Bis zur ersten gedruckten Ausgabe des Reiseberichts Pigafettas in französischer Sprache zwischen 1526 und 1536 stellt dieser Brief das einzige gedruckte Dokument zur ersten Weltumsegelung dar. Vgl. DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 2, S. 883–918, sowie Christine L. JOHNSON, The German Discovery of the World: Renaissance Encounters with the Strange and Marvelous, Charlottesville/London 2008, S. 23–24, 28. 18 Die Abschrift für die französische Königinmutter, Louise de Savoie, die stellvertretend für ihren Sohn Franz I. regierte, nachdem dieser in der Schlacht bei Pavia von seinem Widersacher Karl V. gefangen genommen worden war, wurde vermutlich erst nach der Rückkehr Pigafettas nach Italien erstellt. Es wurde gemutmaßt, dass es sich bei dem heute verlorenen Manuskript um die italienische „Grundlage“ für die gekürzte französische Version von 1526/36 (veröffentlicht vom Verleger Simon de Colines als erste gedruckte Version von Pigafettas Reisebericht) handelte, die später von Ramusio ins Italienische rückübersetzt wurde. Vgl. auch die folgende Anmerkung.

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buch konzipierte und verfasste: Den Text visualisierte er attraktiv und adressatengerecht mittels optisch – weniger kartographisch – ansprechend gezeichneter Karten. Dass er zu alledem noch reichhaltige Wortlisten verschiedener außereuropäischer Sprachen in seinen Bericht integrierte, spricht für seine Akribie und sein Interessen an fremden Kulturen.

IV. DER REISEBERICHT: QUELLEN – STRUKTUR – INHALTE IV.1. Quellen Die Notizen Pigafettas über seine Reise sind bedauerlicherweise ebenso wenig erhalten wie die Originalfassung seines Berichts. Bis in die heutige Zeit durchliefen die Kopien seiner Aufzeichnungen eine Odyssee, die der der ersten Weltumsegelung in nichts nachsteht. Pigafetta begann 1523 auf Anregung des Marchese von Mantua, Federigo II. Gonzaga, mit der Ausarbeitung seines während der Expedition angefertigten Tagebuches. Als eine Veröffentlichung des fertigen Manuskripts unter päpstlicher Aufsicht in Rom nicht zustande kam, wandte er sich 1524 an den Großmeister des Ordens von Rhodos, Philippe de Villiers de l’Isle Adam. Das ihm überreichte Original in italienischer Sprache ist, wie erwähnt, verloren. Die vier heute erhaltenen Manuskripte – eines auf Italienisch, drei auf Französisch – verfügen allesamt über eine Widmung an den Großmeister, sind also Kopien bzw. Übersetzungen des verlorenen italienischen Originals. Das italienische Manuskript wird heute in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand aufbewahrt, zwei der französischen in der Bibliothèque Nationale und eines an der YaleUniversität.19 IV.2. Struktur und Inhalte Die äußere Struktur der erhaltenen Fassungen ist in jeder Hinsicht attraktiv und adressatengerecht. So weist das Yale-Manuskript eine Einteilung in 48 Kapitel mit Nummerierungen, Überschriften, einleitenden Zusammenfassungen, Randnotizen zum Inhalt, ausgeschmückten Initialen und einer methodisch abwechselnden Farbgebung auf. Des Weiteren wird das Manuskript durch 23 Karten ergänzt, die anhand von Pigafettas während der Reise angefertigten Vorlagen gezeichnet wurden und somit die einzigen authentischen Karten der Weltumsegelung darstellen. 19 In der maßgeblichen kritischen Edition von Xavier de Castro sind Abweichungen zwischen den vier erhaltenen Manuskripten durch die Farbgebung gekennzeichnet: Der französische Text des Yale-Manuskripts (schwarz) wurde durch grüne (italienisches Manuskript) und blaue bzw. graue (französische Manuskripte) Hervorhebungen ergänzt. Für eine ausführlichere Genealogie der erhaltenen Manuskripte siehe Andrea CANOVA, Proposte per l’edizione critica della “Relazione” di Antonio Pigafetta, in: Studi di Filologia Italiana. Bollettino annuale dell’Accademia della Crusca 55 (1997), S. 87–105 sowie DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 67–75 und passim. Eine Zusammenstellung der Textausgaben findet sich ebenda, Bd. 2, S. 1017–1020.

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Abb. 2: „Insel der Diebe“, Illustration zu Pigafettas Reisebericht (nach DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 121).

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Abb. 3: Nelkenbaum; Illustration zu Pigafettas Reisebericht (nach DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 230).

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Die wohl berühmteste dieser Karten stellt die „Insel der Diebe“, eine der seit 1668 so bezeichneten Marianeninseln, einschließlich eines für die Region typischen Auslegerboots dar (Abbildung 2). Reiseberichte können allgemein zweierlei Arten von Informationen aufweisen: Informationen über die Welt der Dinge, über Objekte, Ereignisse und Sachverhalte, mit anderen Worten über die außersprachliche Wirklichkeit (primärsprachliche Informationen); sowie Informationen über die Sprache selbst (metasprachliche Informationen). Die meisten Reiseberichte enthalten vornehmlich primärsprachliche Daten und lediglich als Einsprengsel Metasprachliches, meist in Form von fremdsprachlichen Wörtern.20 Die vier Vokabularien aus Amerika und Asien in Pigafettas Reisebericht, die auf die verschiedenen Stationen der Reise zurückgehen, können daher aus sprachwissenschaftlicher Sicht als Ausnahmeerscheinung dieser Textsorte gelten. Der primärsprachliche Text des Reiseberichtes interessiert im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht zuletzt, weil alle im Text primärsprachlich (d.h. wegen ihrer außersprachlichen Referenz) verwendeten fremdsprachlichen Wörter in den Wortlisten (diesmal metasprachlich) wieder aufgenommen werden. Die Notizen, die sich Pigafetta während der dreijährigen Reise akribisch machte, zeichnen sich aus durch seine scharfe Beobachtungsgabe, seinen Eifer bei der Befragung der Eingeborenen, seine Kenntnisse im Bereich der Literatur, Kunst und Wissenschaften, auf die er bei seinem Bericht wiederholt zurückgreift, ferner durch seine klare und präzise Sprache sowie durch detaillierte Angaben zu sexuellen Gepflogenheiten der Indigenen. Pigafettas Reisebericht enthält neben Basisinformationen zu Navigation und Reiseverlauf Informationen über die bereisten Länder und deren Einwohner aus den unterschiedlichsten Bereichen. Er beschreibt deren Aussehen, Kleidung, Behausung und Nahrung und geht auf Aspekte der Lebensführung wie Jagd, Kriegführung, Handel, Medizin, Religion und Sexualität ein. Auf den Molukken hält er infolge des längeren Aufenthalts auch Informationen über die politischen Verhältnisse, die soziale Schichtung, Bräuche und Mythologie21 der Eingeborenen fest. 20 So enthält bekanntlich der Reisebericht von Marco Polo, der mit großem zeitlichen Abstand zur erfolgten Reise verfasst bzw. diktiert wurde, kaum Fremdsprachliches (bis auf Toponymika), da der Verfasser sich wohl während der Reise keine Notizen gemacht hatte und die Sprachen entsprechend mit der Zeit vergaß. 21 Pigafetta überliefert detailliert alles, was ihm in der Fremde begegnet. Bekannt ist seine Beschreibung des Erscheinungsbilds der riesenhaften Patagonier, die die Seefahrer wegen ihrer Felle an den Füßen nach der tollpatschigen Figur Patagón aus dem Ritterroman Primaleón benannten: „Et il était tant grand que le plus grand de nous ne lui venait qu’à la ceinture, combien qu’il était de bonne disposition. Il avait un très grand visage, peint de rouge à l’entour, et ses yeux aussi étaient peints de jaune par autour, et au milieu des joues il avait deux cœurs peints. […] Ces femmes ne sont pas si grandes que les hommes mais plus grosses assez. Quand nous les vîmes, nous fûmes tous épouvantés et ébahis car elles avaient les tétins longs d’une demi-brasse, étaient peintes par le visage et habillés comme les hommes ; mais elles portaient une petite peau devant pour couvrir leur nature.“ Zitiert nach DE CASTRO, La voyage de Magellan, Bd. 1, S. 97–98. Die Frage, ob die Patagonier wirklich so außergewöhnlich groß waren, beschäftigte Entdeckungsreisende und Gelehrte noch im 18. Jahrhundert. Sie

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Hinzu kommen Nachrichten aus den Bereichen der Zoologie (z.B. Schilderungen exotischer Tiere wie des Pinguins), der Botanik (etwa die Beschreibung des Rhabarbers22 und die berühmte Darstellung des Nelkenbaums), der Geographie und nicht zuletzt der Linguistik. Im Text stößt man auch auf zahlreiche Fremdwörter aus den Eingeborenensprachen, auf die Pigafetta metasprachlich Bezug nimmt. Dabei greift er auf beide möglichen Verfahren zur Einführung fremdsprachlicher Lexeme einschließlich ihrer paraphrastischen Erläuterung zurück: Entweder erfolgt zuerst eine erklärende Erläuterung des neuen Gegenstandes und anschließend die Präsentation des Fremdwortes, oder es wird zuerst das Fremdwort wiedergegeben, gefolgt von einer paraphrastischen Begriffsbestimmung. In den folgenden Passagen finden wir primärsprachliche Informationen kombiniert mit metasprachlichen Informationen vor, und zwar bezüglich der Benennung von Gegenständen und Begriffen („Teufel“) aus dem Lebensbereich der Indigenen: [über Einwohner Brasiliens] leur habitation est en maisons assez longues, qu’ils appellent boij, et ils dorment sur des rets de coton qu’ils appellent en leur langue amache23 [über Einwohner der Molukken] Ils mangent du poisson et une chose qui naît entre les arbres et l’écorce qui est blanche et ronde comme une dragée de coriandre confite, et l’appellent ambulon.24 [über Einwohner Patagoniens] ils commencèrent à bouffer et à écumer comme des taureaux, en criant fort haut Setebos, c’est-à-dire le grand diable.25 [im Malaiischen Archipel] Le lundi matin 29 juillet, nous vîmes venir encontre nous plus de cent de ces navires appelés praos, divisé en trois bandes, avec autant d’autres de tunghuli qui sont leurs petites barques.26

V. DIE VIER WORTLISTEN: STRUKTUR UND INTERPRETATION V.1. Allgemeine Charakteristika Der Analyse und Interpretation der vier Wortlisten im Einzelnen gehen notwendigerweise einige einleitende Anmerkungen bezüglich der Eigentümlichkeiten und Charakteristika dieser Vokabularien voraus.

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ist heute zwar nicht mehr mit letzter Sicherheit zu klären, aber doch sehr unwahrscheinlich. Vgl. BITTERLI, Entdeckung Amerikas, S. 135; HENZE, Enzyklopädie, Bd. 3, S. 342–343. „La rhubarbe est un arbre gros et pourri, et s’il n’était ainsi pourri ne donnerait pas l’odeur. Le meilleur de cet arbre est la racine, toutefois le bois est rhubarbe qu’ils nomment calama.“ DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 254. Ebenda, Bd. 1, S. 91. Ebenda, S. 245. Ebenda, S. 101. Ebenda, S. 187.

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A) Textfunktion und Finalität: Situierung der Wortlisten innerhalb des Reiseberichts In textlinguistischer Hinsicht lassen sich die vier Vokabularien – die insgesamt fast 700 Wörter enthalten – wie folgt einordnen: die exponierten Stellen eines jeden Textes sind bekanntlich sein Titel, sein Anfang und sein Ende. Da Pigafettas ursprünglicher Titel des Reiseberichtes nicht überliefert ist, kann nur spekuliert werden, ob die Wortlisten im Originaltitel explizit Erwähnung fanden. Ebensowenig wird am Anfang des Reiseberichtes – weder im Prolog noch zu Beginn der vier großen Etappen der Reise (die brasilianische und die patagonische Küste, die Philippinen und die Molukken) auf die Existenz der Wortlisten verwiesen. Im Fließtext selbst bezieht sich Pigafetta zwar auf seine Befragungen; auf die Ergebnisse dieser linguistischen Tätigkeit, die eigentlichen Wortlisten, wird jedoch weder Bezug genommen, noch werden diese in irgendeiner Weise vom Autor angekündigt. Die vier Vokabularien werden allerdings stets am Ende der jeweiligen Reiseetappe, wenn auch ohne explizite Verbindung zum vorausgehenden Text, aufgeführt. Sie haben somit textlinguistisch eine privilegierte Position inne und fungieren im vorliegenden Kontext als unwiderlegbarer Beweis für die Teilnahme Pigafettas an der Reise und seinen Kontakt zu den Eingeborenen. B) Funktion der Vokabularien: Fremdsprachliche Erfassung einer neuen Welt Es ist unwahrscheinlich, dass die Wortlisten von Pigafetta mit didaktischer Zielsetzung konzipiert wurden, d.h. sie sollten nicht zur Erlernung der jeweiligen Sprachen dienen. Dementsprechend finden wir die Fremdwörter nicht etwa in alphabetischer Reihenfolge vor – auch in der heutigen Forschung bleibt es bei der von Pigafetta vorgegebenen Anordnung der Fremdwörter. Vielmehr wollte Pigafetta eine neue, fremde Welt in fremde Sprache gekleidet – wenn auch nur fragmentarisch, d.h. auf der Ebene des Wortes im Rahmen der Benennung von Objekten – präsentieren. C) Vorgehensweise bei der Erstellung der Wortlisten: Onomasiologische vs. semasiologische Fragestellung Die von Pigafetta zwecks Erhebung von Informationen verwendete Methode der sog. Elizitierung27, d.h. die Erfragung von Benennungen am konkreten Objekt („Wie nennst du diesen Gegenstand?“) spiegelt sich darin wider, dass die jeweilige Sprache des Manuskriptes – Italienisch bzw. Französisch – den Ausgangspunkt der zweisprachigen Wortlisten bildet, dem die entsprechende Äquivalenz in der

27 „Technik der Erhebung sprachl. bzw. sprachgebundener Daten, bei der Informanten durch den Einsatz strukturierter Befragungen systemat. zu Äußerungen veranlaßt werden, die erfaßt und ausgewertet werden.“ Helmut GLÜCK (Hrsg.), Metzler-Lexikon Sprache, Stuttgart 1993, s.v. Elizitierung.

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Eingeborenensprache folgt: ital. A la bocca – baba („Für Mund“ – „baba“).28 Für die ersten zwei Listen mag dies die angemessene Vorgehensweise darstellen, ging Pigafetta doch von europäischen Objekten aus, die den Indianern geschenkt wurden. Für die Listen drei und vier hingegen, bei denen es überwiegend um die Erfragung von fremden Dingen und ihrer Bezeichnungen ging, wäre als Ausgangspunkt die Zielsprache adäquater gewesen. Es handelt sich allerdings bei den Wortpaaren nicht um eine semantische Äquivalenz auf der Ebene der einzelsprachlichen Bedeutung, wie etwa in einem Wörterbuch (bocca – baba). Vielmehr ist die Fragestellung eine onomasiologische: vom gezeigten Objekt zu dessen fremdsprachlicher Benennung, von der Sache zur Sprache. Folgerichtig finden sich vor allem in den ersten beiden Listen zahlreiche Nomina, bevorzugt Konkreta (die leicht erfragbar sind), extrem wenige Verben und Adjektive und keinerlei grammatikalische Instrumente wie Präpositionen oder Konjunktionen. Im zweiten Teil der Reise, bei der Erstellung der philippinischen und malaiischen Wortlisten, erweitert und ergänzt Pigafetta allerdings diese onomasiologische Vorgehensweise durch eine semasiologische Fragestellung. Mit Hilfe von Dolmetschern, die des Malaiischen mächtig waren, fragt er in etwa: „Wie sagst du zu Nelke in deiner Sprache?“, d.h. „Welche ist die Entsprechung dieses Wortes in deiner Sprache?“ Dies ermöglicht ihm zusätzlich die Erhebung von abstrakten Nomina und Verben, ja sogar von Satzteilen und Sätzen. D) Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit: Übersetzung und Sprachverlust Schließlich handelt es sich bei den außereuropäischen Wörtern in den Wortlisten um Pigafettas schriftliche Wiedergabe des von ihm Gehörten im Rahmen des lateinischen bzw. italienischen Alphabets. Dies schließt unter anderem ein, dass die schriftlich fixierte Fassung der ausgesprochenen Fremdwörter stets gemäß der Normen des Italienischen „erneut“ mündlich wiedergegeben werden müsste. Dem ist allerdings nicht immer so, denn die gesprochene französische Wiedergabe des Geschriebenen lautet anders – gemäß der Normen der französischen Aussprache – als die gesprochene italienische Wiedergabe des gleichen Geschriebenen. Man muss also bei der Übernahme der Vokabularien in eine andere Fremdsprache eine Modifizierung der Originalaussprache beim Vorlesen des fremdsprachlichen Materials in Kauf nehmen. Es handelt sich demnach um eine schriftliche Wiedergabe cum grano salis. Die vorliegenden Verhältnisse werden mittels folgender synoptischer Tabelle veranschaulicht.

28 Anders als in der italienischen Ausgabe erscheint in der französischen die sog. „Sag-Form“ der Nomina, d.h. die aktualisierte Form mittels definitem oder indefinitem Artikel: Le font – dai; Un de leurs enfants de lait – lascar.

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146 mündlich 1

schriftlich

mündlich 2

Fremdwort „gesagt“ durch den Eingeborenen

Fremdwort „geschrieben“ durch Pigafetta

Wiedergabe des Geschriebenen durch einen Leser

/dilla/, „Zunge“

dilla

/kianke/, „Nelken“

chianche

1. ital. /dílla/ [mit Doppelkonsonanz] 2. frz. /dilá/ 3. span. /dílja/ 1. ital. /kianke/ 2. frz. /œiãnœԥ/ 3. /tœiantœe/

V.2. Die brasilianische Wortliste (9 Wörter) Die erste Wortliste29 trägt den Titel Alguni vocabuli de questi populi del Verzin30 und entstand während des Aufenthalts Pigafettas vor Brasilien zwischen dem 13. und dem 27. Dezember 1519. Das Wortverzeichnis am Ende des 7. Kapitels der sog. Relazione enthält neun Einträge und stellt damit die kürzeste Liste Pigafettas dar. Der reduzierte Umfang der Liste könnte entweder durch den zeitlich begrenzten Aufenthalt von nur 13 Tagen vor der brasilianischen Küste bedingt sein oder aber darauf zurückgehen, dass Pigafettas Interesse an der Befragung der Eingeborenen erst im Entstehen war. Es handelt sich um eine heute ausgestorbene Varietät der Tupí-Guaraní-Sprachfamilie, die sog. Tupinambà-Sprache – mit Ausnahme der Bezeichnung maiz, die der Indianersprache Taíno entstammt. Tupí genoss übrigens damals – nicht anders als das Aztekische, das Aymará, Quechua, usw. – den Status einer lingua franca, d.h. einer Sprache, die überregional verwendet wurde. Es handelt sich bei den erfragten brasilianischen Wörtern überwiegend um konkrete Nomina, die auf Gegenstände, die den Indigenen geschenkt wurden, zurückgehen. Es sei dahingestellt, ob den Indigenen alle spanischen Präsente bereits bekannt waren und sie somit die Fragen Pigafettas in seinem Sinne beantworten konnten, oder ob sie z.B. beim Deuten auf eine Schere mit „Messer“ antworteten, da ihnen das Konzept Schere fremd war.

29 Vgl. DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 94. Bei allen vier Wortlisten beziehen wir uns auf die italienische Ausgabe, da bei der französischen Ausgabe die vierte Wortliste lediglich eine Kopie der dritten darstellt. 30 Die Bezeichnung Verzin geht auf den italienischen Begriff verzino, ‚Brasil-, Rotholz‘ zurück, obwohl das Toponym Brasilien zum Zeitpunkt der Erstellung der Wortliste als Brasyll oder Brazill bereits in Gebrauch war (s. das Etymon port. braza, ‚Glut’, zumal die Farbe des Rotholzes die ersten Siedler daran erinnerte).

Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung Italienisch31 Al miglio Alla farina Al hamo Al cortello Al petine Alla forfice Al sonaglio Buono più che bono

Indigene Sprache Maiz Hui Pinda Tacse Chigap Pirame Itanmaraca Tum maragathum

147

Deutsch Für Mais Für Mehl Für Angelhaken Für Messer Für Kamm Für Schere Für Glocke Gut, besser

V.3. Die patagonische Wortliste (90 Wörter) Die wesentlich längere patagonische Wortliste32 trägt im italienischen Manuskript den Titel Vocabuli de li giganti pataghoni. Sie entstand allerdings nicht während des siebenmonatigen Aufenthalts der Expedition an der patagonischen Küste (Ende März bis Ende Oktober 1520), sondern später an Bord, wo Pigafetta einen der zwei von Magellan gefangen genommenen Patagonier befragte. Bei den Sprachen dieser Wortliste handelt es sich um Tehuelche und Shelkam (oder Ona); die Liste stellt die früheste Überlieferung dieser Sprachen dar. Pigafetta ergänzt seine Auflistung mit einer metasprachlichen Stellungnahme bezüglich der spezifischen gutturalen Aussprache der Patagonier: „Tuti questi vocabuli se pronuntiano in gorgha perchè cussì li pronuntiavano loro“. Im Vergleich zur vorangegangenen Liste zeichnet sich die patagonische Liste durch zunehmende Länge und Systematik aus. Die ersten 43 Einträge bezeichnen Körperteile einschließlich der Bezeichnungen der Geschlechtsteile, ja sogar des Geschlechtsverkehrs. Wie der angeführten Liste entnommen werden kann, handelt es sich jedoch eher um eine ungeplante Befragung zu zahlreichen Bereichen. Sprachwissenschaftlich fallen die Bejahungs- bzw. Negationsadverbien auf, die als Paar dargeboten werden. Bei den meisten Einträgen handelt es sich nach wie vor überwiegend um konkrete Nomina, es finden sich jedoch die ersten Verben (dt. ‚schauen‘, ‚gehen‘, ‚kämpfen‘, ‚zudecken‘, ‚riechen‘). Italienisch33 Al capo A la golo A la palma de la man A la mamela Al peto Al corpo Al menbro A li testiculi

Indigene Sprache

Deutsch

Her Ohumez Caimeghin Othen Ochij Gechel Scachet Sacancos

Für Kopf Für Rachen Für Handfläche Für Brustwarze Für Brust Für Körper Für Penis Für Hoden

31 Nach Andrea DA MOSTO, Raccolta di Documenti e Studi pubblicati dalla R. Commissione Colombiana per cuarto Centenario dalla Scoperta dell’America. Parte V, Volume III. Il primo viaggio intorno al globo di Antonio Pigafetta e le sue regole sull’arte del navigare, Rom 1894, S. 56. 32 Vgl. DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 112–113. 33 DA MOSTO, Raccolta, S. 63–64.

Miorita Ulrich

148 A la natura de le donne Al uzar con esse

Jsse Jo hoi

Al polso Al no Al sì A l’oro Al solle Alle stelle Al mare Al vento Al domandare Vien qui Al gardar A l’andar Al colore negro Al rosso Al gialo Al diavolo grande A li picoli

Holion Ehen Rey Pelpeli Calexcheni Settere Aro Oni Ghelhe Hai si Chonne Rey Ainel Taiche Peperi Setebos Cheleule

Für Vagina Für Geschlechtsverkehr mit Frauen Für Puls Für Nein Für Ja Für Gold Für Sonne Für Sterne Für Meer Für Wind Für Fragen Komm her Für Schauen Für Gehen Für Schwarz Für Rot Für Gelb Für ihren großen Teufel Für ihre kleinen Teufel

V.4. Die philippinische Wortliste (160 Wörter) Die dritte Wortliste34 trägt den Titel Vocabuli de questi populi gentili, wobei mit populi gentili ‚heidnische Völker‘ gemeint ist. Die verhältnismäßig umfangreiche Liste entstand während eines nur sechswöchigen Aufenthaltes der Expedition auf den Philippinen von 16. März bis zum 2. Mai 1521. Pigafetta hatte die Gelegenheit, Sprecher des Philippinischen – genauer gesagt des Bisaya und des Tagalog – zu befragen, vor allem dank der Hilfe von Magellans Sklaven Enrique, den dieser während seines siebenjährigen Aufenthaltes auf Malakka gekauft hatte. Enrique sprach Malaiisch, das in der Region der Philippinen als lingua franca fungierte, was Pigafetta das Erfragen von Abstrakta ermöglichte. Erstmals bekundet Pigafetta auch in den Wortlisten Interesse für ihm unbekannte Gegenstände, die er auf den Inseln vorfand, wie z.B. ‚gepolsterte Kleider beim Kämpfen‘, ‚Blätterkissen‘ oder ‚das Tuch, mit dem sie sich bedecken‘. Der erste Teil der Wortliste weist inhaltlich vier große Blöcke auf: 1. Körperteile, 2. Metalle, 3. Nahrungsmittel (incl. Gewürzen), 4. Tiere. Im zweiten Teil der Liste geht Pigafetta erneut unsystematisch bei der Auflistung vor, schließt jedoch mit einem durch die Überschrift Numero eingeleiteten Block zum Bereich Zahlen ab. Es fällt auf, dass die philippinische Liste lediglich sechs Verben aufweist im Vergleich zu den zehn Verben der patagonischen Liste. Dies könnte darauf zurückgehen, dass Pigafetta nun mehr benennbare Gegenstände für seine Befragungen zur Verfügung standen als an Bord bei der Erstellung der zweiten Liste. Wie geschickt Pigafetta bei der Verschriftlichung der ihm unbekannten Sprachen vorging, belegt die Tatsache, dass es der modernen Philologie möglich war, 80 Prozent der von ihm auf der philippinischen Liste festgehaltenen Benennungen mit Hilfe der modernen Sprachen zu identifizieren. 34 Vgl. DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 171–173.

Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung Italienisch35 A la iovene A la maritata A le gengive A la schena Al horo A l’argento Al laton Al fero A le canne dolce Al sorgo Al panizo Al pevere A li garofoli A la cannella Al gengero A la perla A le madre de le perle A certe fogacie de rizo A le store dove dormono

Indigene Sprache Beni beni Babay Leghex Licud Balaoan Pilla Concach Butan Tube Batat Dana Manissa Chianche Mana Luia Mutiara Tipay Tinapai Tagichan

A le cussini de foglie A le veste inbotide per combater A le sue daghe A li sui tertiadi A le corde de le sue violle A uno pescie tuto depinto A uno altro rosso

Uliman Baluti Calix baladao Campilan Gatzap Panap sapan Timuan

NUMERO Uno Duy Tre Quatro Cinque Sey Sette Octo Nove Diece

Vzza Dua Tolo Upat Lima Onom Pitto Gualu Ciam Polo

149

Deutsch Für junge Frau Für verheiratete Frau Für Zahnfleisch Für Wirbelsäule Für Gold Für Silber Für Messing Für Eisen Für Zuckerrohr Für Tapioka Für Rispenhirse Für Pfeffer Für Gewürznelken Für Zimt Für Ingwer Für Perle Für Perlmutt Für bestimmte Reiskuchen Für die Matten, auf denen sie schlafen Für ihre Blätterkissen Für gepolsterte Kleider beim Kämpfen Für ihre Dolche Für ihre Macheten Für die Saiten ihrer Violinen Für einen ganz farbigen Fisch Für einen anderen roten (Fisch) Eins Zwei Drei Vier Fünf Sechs Sieben Acht Neun Zehn

V.5. Die molukkische Wortliste (427 Wörter) Die umfangreichste Wortliste, die den Titel Vocabuli di questi populi mori – d.h. der maurischen Völker – trägt,36 geht auf einen sechswöchigen Aufenthalt Pigafettas vom 9. November bis 21. Dezember 1521 auf den Molukken zurück. Bei der Sprache handelt es sich um das Malaiische, wobei Pigafetta auf die Hilfe des 35 DA MOSTO, Raccolta, S. 82–83. 36 Vgl. DE CASTRO, Le voyage de Magellan, Bd. 1, S. 231–237.

150

Miorita Ulrich

Portugiesen Alfonso de Lorosa, der zehn Jahre auf den Molukken gelebt hatte und die Expedition auf dem Rückweg nach Spanien begleitete, zurückgreifen konnte. Pigafetta hatte sich wohl aber auch selbst Grundkenntnisse des Malaiischen angeeignet und konnte so u.a. auf der Heimreise nach Spanien an Land gehen, um mit lokalen Chiefs zu verhandeln. Die vierte Wortliste fällt in mehrfacher Hinsicht auf. Zunächst enthält sie im Vergleich zu den vorangehenden Listen nicht nur gemeinsprachliche Vokabeln, sondern auch zahlreiche fachsprachliche Begriffe der Navigation und Seefahrt – ein Indiz für Pigafettas während der Reise erworbenes spezifisches Fachwissen. Weiterhin ist sie die systematischste der vier Wortlisten, was Pigafettas zunehmende Erfahrung bei der Bewältigung seiner sprachwissenschaftlichen Tätigkeit belegt – auch wenn die Systematik, bedingt durch die Länge der Liste, nicht bis zum Ende konsequent eingehalten wird. Erneut schließt Pigafetta mit zwei durch Überschriften eingeleitete thematische Blöcke, diesmal zu den Bereichen Venti und Numero (von 1 bis 1 Million!). Ferner beinhaltet diese Liste ganze Wortfelder, wie z.B. das Wortfeld der Farben (rot, schwarz, weiß, gelb, grün bezogen auf ein Tuch) sowie Bezeichnungsfelder oder Sachfelder wie z.B. ‚Briefe‘, ‚schreiben‘, ‚Füllfederhalter‘, ‚Tintenfass‘, die Gewürze, ein Wortfeld zur Navigation und Astronomie (‚Mond‘, ‚Halbmond‘, ‚Sonne‘, ‚Himmel‘ ‚Sterne‘). Pigafetta hatte auch eine Idee von der Struktur der Sprachinhalte, denn er arbeitete mit antonymischen Oppositionen wie ital. amico – nemico (‚Freund – Feind‘), avere – non avere (‚haben – nicht haben‘), freddo – caldo (‚kalt – warm‘), verità – bugia (‚Wahrheit – Lüge‘), si – non (‚ja – nein‘) usw. Dies zeigt, dass Pigafetta bereits eine vage Intuition der Struktur der Sprachinhalte hatte. Gerade die vierte Wortliste beweist, dass die Vokabularien nicht isoliert im Rahmen des Gesamttextes stehen, sondern Relationen zum Fließtext aufweisen. So bezieht sich Pigafetta auf bestimmte Objekte gleich in dreifacher Weise: primärsprachlich finden sich im Haupttext Beschreibungen des Nelkenbaums und der Gewürznelken, metasprachlich führt er in der vierten Wortliste die fremdsprachliche Bezeichnung für die Gewürznelke an (ghianche), und visuell präsentiert er den Nelkenbaum in Form einer Zeichnung (Abbildung 3). Bezüglich der Wortarten fällt bei der molukkischen Wortliste der relativ hohe Anteil von abstrakten Nomina (71 im Vergleich zu zwölf der philippinischen Liste), vor allem aber der starke Anstieg der Verben (33 im Vergleich zu sechs der philippinischen Liste) auf. Auch der Anteil der Sätze und Satzfragmente steigt beträchtlich: Während die ersten drei Listen auf insgesamt drei Sätze kommen (ausschließlich Imperativformen), finden sich nun 31 kurze Sätze, u.a. Wie viele Sprachen sprichst du [denn]?

Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung Italienisch37 Al christiano Al Turco Al Moro musulman Al Gentille Al sue meschite A li homini sui devoti Al dito grosso de la mano

Eingeborenensprache Naceran Riunno Isilam Caphre Mischit Mossai Idun tanghan

Al secondo Al terso Al carto Al quinto A l’elephante Al leonne A l’argento vivo Al metalo Al fero Al piombo Al panno de seta Al panno rosso Al panno negro Al panno biancho Al panno verde Al panno giallo A li garopholi A la cannela Al pevere Al pevere longo A la noce moscada A la terra A la terra ferma A la montagnia A la pietra A l’ysola A un capo de tera

Tungu Geri Mani Calinchin Gagia Huriman Raza Tumbaga Baci Tima Cain sutra Cain mira Cain ytam Cain pute Cain igao Cain cunin Ghianche Caiumanis Lada Sabi Buapala gosoga Buchit Buchit tana Gonun Batu Polan Taniun buchit

Al fiume Como se chiama questo A l’oleo de cocho A l’oleo de giongioli Al sale Al muschio et al suo animale Al reobarbaro Sedeti gentilhomo Al sì Al no A l’intendere Al non intendere Non me gardare

Songhai Apenamaito Mignach Lana lingha Garan sira Castori Calama Duodo orancaia Ca Tida Thao Tida taho Tida liat

37 DA MOSTA, Raccolta, S. 100ff.

151

Deutsch Für Christ Für Türke Für Maure Für Heiden Für ihre Moschee Für ihre frommen Männer Für den großen Finger der Hand (Daumen) Für den zweiten Finger Für den Dritten Für den Vierten Für den Fünften Für Elefant Für Löwe Für Quecksilber Für Kupfer [Metall] Für Eisen Für Blei Für Seidenstoff Für roten Stoff Für schwarzen Stoff Für weißen Stoff Für grünen Stoff Für gelben Stoff Für Nelken Für Zimt Für Pfeffer Für langen Pfeffer Für Muskatnuss Für Land [Erde] Für Festland Für Berg Für Felsen Für Insel Für eine Landspitze (ein Kap) Für Fluss Wie heißt jener? Für Kokosnussöl Für Sesamöl Für Salz Für Moschus und sein Tier Für Rhabarber Setzt Euch, mein Herr Für Ja Für Nein Für Verstehen Für nicht Verstehen Schau mich nicht an

Miorita Ulrich

152 Guardame Al havere Al non havere Dove viene il ionco? Bon iorno Al rispondere

Liat Ada Tida hada Dimana a jun Salamalichum Alichum salam

Signori, bon pro vi facia

Mala horancaia macan

Già ho mangiato Che voletti? Che mandati? A la galia A la nave A la proa A la popa Al navigare Al suo arbore Alle sartie A la vella A la gabia A la corda de l’ancora Al remo A l’interprete Quanti lingagi sai?

Suda macan Appa man Appa ito Gurap Capal Allon Biritan Belaiar Tian Tamira Leier Sinbulaia Danda Daiun Giorobaza Barapa bahasa tan

LI VENTI A la tramontana Al mezo dì Al levante Al ponente NUMERO Uno Diece fiate cento millia

Iraga Salatan Timor Baratapan Satus Sainta

Schau mich an Für Haben Für nicht Haben Wohin fährt die Dschunke? Guten Tag Für die Antwort [auf Guten Tag] Mein Herr, möge euch das Glück hold sein Ich habe bereits gegessen Was wollt ihr? Wer schickt euch? Für Galeere Für Schiff Für Bug (eines Schiffes) Für Heck Für Segeln Für den Schiffsmast Für Takelage Für Segel Für Marssegel Für das Ankertau Für Ruder Für Übersetzer Wie viele Sprachen sprecht ihr? Die Winde Für Nordwind Für Südwind Für Ostwind Für Westwind Zahlen Eins Eine Million [wörtlich: Zehn Mal Einhunderttausend]

Die folgende synoptische Tabelle38 erfasst den Anteil der Wortarten in den Vokabularien in quantitativer Hinsicht sowie die Verteilung der Sachfelder bezüglich der Konkreta.

38 Diese Liste wurde erstellt im Rahmen der Zulassungsarbeit von Frau Monika Behr: „Primus Interrogavisti Me: Antonio Pigafettas Wortlisten von der ersten Weltumsegelung 1519– 1522“, die an der Professur für Romanische Sprachwissenschaft der Universität Bamberg zum Wintersemester 2008/09 eingereicht wurde.

Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung

153

1. Liste

2. Liste

3. Liste

4. Liste

Wörter insgesamt

9

90

160

427

Substantive in %

77

81

93

78

Konkreta in %

100

100

92

79

56

31

20

Körper in % Ernährung in %

28

3

14

9

Alltagsgegenstände in %

71

15

27

25

Bezeichnungen für Menschen in % Seefahrt in %

4

5

8

8

7

18

Natur/Umwelt in %

10

8

12

Kultur in %

4

8

8

8

21

6

2

7

Verben in %

11

4

8

Sätze/Fragmente in %

1

1

7

Abstrakta in % Adjektive/Abverbien in %

22

V.6. Interpretation Bei der Bewertung von Pigafettas Leistung ist in Rechnung zu stellen, dass er den europäischen Kulturkreis mit Latein als Referenzsprache, als Sprache der Religion, der Rechtswissenschaften und der Wissenschaften schlechthin verließ und als Europäer nach Amerika und Indonesien reiste. Was konnte er im Voraus über die dort lebenden Bevölkerungen und Kulturen überhaupt wissen? Er hatte sich zwar recht gewissenhaft auf die Reise vorbereitet durch die Lektüre bereits vorliegender Reiseberichte und Chroniken (Marco Polo ca. 1290, Peter Martyr 1504, Amerigo Vespucci 1507, Niccolò de’Conti ca. 1440, Ludovico di Varthema 1510), die sich – bis auf Marco Polo – entweder auf den ersten Teil der Reise entlang der südamerikanischen Küste bezogen oder auf den indonesischen Teil der Reise. Für die Passage durch die Magellanstraße und über den Pazifik aber lagen natürlich keine Berichte vor. Zweitens ist zu bedenken, über welche Art von Sprachbewusstsein ein Reisender wie Pigafetta zu Beginn des 16. Jahrhunderts bei der Auseinandersetzung mit unbekannten Sprachen überhaupt verfügen konnte. Hilfreich waren wohl seine Kenntnisse mehrerer europäischer Sprachen (Spanisch, Portugiesisch, Französisch und auch Latein), die seine Fähigkeit zu sprachwissenschaftlicher Reflexion ge-

154

Miorita Ulrich

schult haben.39 Wichtig erscheint dabei, dass Pigafetta bei der Begegnung mit den Indianersprachen offensichtlich nicht von unartikulierten Lauten ausging, sondern von vollwertigen Sprachen. Er will wissen, wie bestimmte Sachen in diesen Sprachen benannt werden, und versucht nicht, den Indigenen zusammen mit den überreichten Geschenken auch deren Bezeichnung in seiner Sprache aufzuzwingen. Ihn interessierte, wie die fremden Völker die Welt in ihrer Sprache benannten, welchen Zugang sie durch Sprache zur außersprachlichen Wirklichkeit hatten und wie sie die Welt mittels Sprache überhaupt erfassten. Von besonderer Relevanz erscheint drittens, auch aus heutiger sprachwissenschaftlicher Perspektive, dass Pigafetta überhaupt die erste Verschriftung und Dokumentation von Sprachen an der patagonischen Küste und auf den Philippinen gelang.

VI. SCHLUSSBEMERKUNG UND AUSBLICK Im Vergleich zu den Wortlisten des 18. Jahrhunderts wie denjenigen, die aus Anlass der Weltumseglung Antoine de Bougainvilles entstanden, erscheinen die Wortlisten Pigafettas auf den ersten Blick bescheiden. Sie sind das Werk eines „naiven“, nicht sprachwissenschaftlich ausgebildeten Linguisten, der allerdings ein ungewöhnliches, ja für seine Zeit singuläres Interesse an außereuropäischen Menschen und ihren Sprachen, an den Tag legte. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass Pigafetta als „Sprachforscher“ während seiner Reise offenkundig einen Entwicklungsprozess durchlief, der sich sowohl im wachsenden Umfang als auch in der zunehmenden Komplexität und Systematik der Erfassung außereuropäischer Sprachen manifestiert. Die mehrsprachige Schulung des italienischen Reisenden und seine Fähigkeit zur Wahrnehmung kultureller Differenz kommen darin ebenso zum Ausdruck wie die Verfügbarkeit indigener Gewährleute. Während für Pigafetta die Differenz zwischen seiner italienischen Muttersprache und den indigenen Sprachen im Vordergrund stand, finden wir bei einem anderen Reisenden des 16. Jahrhunderts, dem florentinischen Kaufmann und Literaten Filippo Sassetti (1540–1588), Mitglied der Accademia Fiorentina, eine andere Perspektive: die der frappanten Ähnlichkeiten zwischen dem Sanskrit (er lebte beruflich bedingt zwischen 1583 und 1588 in Indien) und dem Italienischen, die auf der von ihm richtig erkannten Verwandtschaft zwischen diesen Sprachen fußte.40 Diese sprachliche Entdeckung Sassettis wurde allerdings wissenschaftlich nicht ausgewertet und hat den Gang der Sprachwissenschaft nicht weiter bestimmt. Es sollten noch zwei Jahrhunderte vergehen, bis der Engländer William Jones (1746– 39

Zur Mehrsprachigkeit Europas als Voraussetzung für die Erfassung außereuropäischer Sprachen vgl. bes. Wolfgang REINHARD, Sprachbeherrschung und Weltherrschaft. Sprache und Sprachwissenschaft in der europäischen Expansion, in: DERS. (Hrsg.), Humanismus und Neue Welt (Mitteilung XV der Kommission für Humanismusforschung), Weinheim 1987, S. 1–36. 40 „In sanscrito ‚sono molti de’nostri nomi, e particolarmente de’numeri il sei, sette, otto e nove, Dio, serpe et altri assai’.“ [Brief an D’Avanzati 1588], zitiert nach Enciclopedia Italiana, Rom 1949, s.v. Sassetti, Filippo.

Sprachliche Entdeckungen der ersten Weltumsegelung

155

1794) die Affinität zwischen dem Sanskrit, dem Griechischen und Lateinischen aufdecken sollte. Und es sollte noch bis 1805 dauern, bis Henry Thomas Colebrooke (1765–1837) mit seiner Grammar of the Sanscrit Language die Grundlagen und Voraussetzungen der Entstehung der historisch-vergleichenden (indogermanischen) Sprachwissenschaft schaffen sollte. Das Beispiel Sassettis zeigt, dass Reisende sprachwissenschaftliche Phänomene oft intuitiv erfassten, die die Forschung selbst erst viel später nachvollzogen und wissenschaftlich umgesetzt hat. Es ist davon auszugehen, dass mancher Reisebericht in dieser Hinsicht noch Unentdecktes, aber Entdeckungswürdiges birgt.

Traduttore, traditore „Gefangene“ und „befreite“ Dolmetscher als argwöhnisch betrachtete Kulturvermittler während der spanischen Conquista Amerikas Felix Hinz, Hildesheim

I. EINFÜHRUNG Dass die Eroberung Amerikas1 ohne Dolmetscher nicht möglich gewesen wäre, liegt auf der Hand. Ohne sie wäre für die Spanier keine Orientierung in der Neuen Welt möglich gewesen und hätten sie keine Bündnisse mit indianischen Machthabern schließen können. Die lenguas der Conquista waren mehr als bloße Sprachübersetzer, sie waren auch Wegweiser und kulturelle Vermittler, bisweilen notgedrungen Diplomaten. Im Dienst der spanischen Eroberer gaben sie oft genug kriegsentscheidende Informationen an diese weiter. Dabei bewegten sie sich auf dem schmalen Grat nicht nur zwischen äußerst verschiedenen Kulturen, Religionen und politisch-militärischen Mächten, sondern aufgrund ihrer Biografien oft auch zwischen verschiedenen Verpflichtungen. „Traduttore, traditore“ – Dolmetscher, Verräter heißt es in einer italienischen Redewendung bzw. in einem bekannten Gedicht von José Emilio Pacheco. Wie kam es zu diesen Vorwürfen, und welche Handlungsspielräume hatten die Beteiligten überhaupt? Dies soll im folgenden Beitrag vergleichend genauer beleuchtet werden. Unternimmt man den Versuch, die zahllosen bekannteren und unbekannteren Dolmetscher der Eroberungsgeschichte zu systematisieren, ergibt sich ein recht komplexes Bild unsicherer oder radikal veränderter Identitäten und Loyalitäten, und hierfür ist gleich der erste Dolmetscher des Untersuchungsgegenstandes ein sinnfälliges Beispiel. 1

Einen soliden Überblick bietet noch immer Jacques LAFAYE, Los conquistadores. Figuras y escrituras, (1964) 2. Aufl. Mexiko 1999. Grundlegend für Columbus sind Alfred KOHLER, Columbus und seine Zeit, München 2006 und Frauke GEWECKE, Christoph Kolumbus, Frankfurt am Main 2006; für die Eroberung Mexikos José Luis MARTÍNEZ, Hernán Cortés, Mexiko/Madrid/Buenos Aires 1990, mit Einschränkungen Hugh THOMAS, Die Eroberung Mexikos. Cortés und Montezuma. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt, Frankfurt am Main 1998 und vor allem Juan Miralles OSTOS, Hernán Cortés. Inventor de México. Una biografía, 2. Aufl. Mexiko 2001; für Peru Roberto Barletta VILLARÁN, Breve historia de Francisco Pizarro, Madrid 2008 und noch immer Siegfried HUBER, Pizarro und seine Brüder. Die Eroberer des Inkareichs und das Werden der spanisch-amerikanischen Welt, Freiburg i.Br. 1962.

158

Felix Hinz

II. AUSGERECHNET EIN CONVERSO! – LUIS DE TORRES Vom ersten Dolmetscher in der Geschichte der spanischen Conquista Amerikas erhoffte man sich, dass er sich in denjenigen Ländern würde verständigen können, zu denen Columbus zu gelangen beabsichtigte. Da es in Spanien am Ende des 15. Jahrhunderts niemanden gab, der einer indischen oder chinesischen Sprache mächtig war, vertraute man darauf, dass dort die alten Sprachen wie Lateinisch, das Columbus selbst beherrschte, oder diejenigen der Bibel (Hebräisch, Chaldäisch), zumindest aber das Arabische als Handelssprache hinreichend geläufig sein würden. Möglicherweise würde man ja auf die verlorenen Stämme Israels oder auf arabische Handelsposten stoßen. Mit der wichtigen Aufgabe des Übersetzers auf Columbus’ erster Reise wurde Luis de Torres betraut,2 ein gelehrter converso, der ursprünglich wahrscheinlich Yosef Ben Ha Levy Haivri hieß und erst kurz vor Columbus’ Reise zum Katholizismus übergetreten war, um der gewaltsamen Vertreibung aus Spanien zu entgehen. In Amerika war Torres mit seinen Sprachkenntnissen natürlich von wenig konkretem Nutzen, und abgesehen davon, dass er auf einer Mission ins Landesinnere Kubas als erster Repräsentant der Alten Welt beobachtete, wie man Zigarren raucht,3 ist wenig über seine Aktivitäten dort bekannt. Dass er jedoch nur von einem Matrosen und zwei Indianern begleitet zu einem kubanischen Fürsten geschickt wurde, zeigt, dass er in Columbus’ Augen eine soziale Stellung innehatte, die es ihm gestattete, eigenständig wie ein Offizier zu agieren und Spanien gegenüber einem indianischen Souverän zu vertreten. Torres blieb bei Columbus’ Rückfahrt nach Spanien in der Siedlung Navidad und fand dort zusammen mit allen Übrigen den Tod. In Anerkennung seiner Dienste erhielt seine Witwe von der Krone eine finanzielle Abfindung.

III. MEHR ODER MINDER HISPANISIERTE INDIANER Columbus sah sich also dem Problem gegenüber, dass er sich in den von ihm entdeckten Gebieten nicht verständigen konnte.4 Mit Zeichensprache konnte man Handel treiben, nicht aber detaillierte Informationen über geografische Gegeben2

3 4

Christoph COLUMBUS, Das Bordbuch, hrsg. von Robert GRÜN, Tübingen 1970, S. 104 (Eintrag vom 1.11.1492): „Die zwei Boten habe ich ausgewählt: Luis de Torres, unseren Dolmetscher, und Rodrigo de Jerez, einen Matrosen. Torres beherrscht das Arabische, das Hebräische und das Chaldäische, und ich nehme an, daß der morgenländische Fürst im Innern Cubaguas eine dieser Sprachen versteht. Ich gab den beiden zwei Indianer als Begleiter mit und den Auftrag, dem König zu bestellen, daß ich ihm ein eigenhändiges Schreiben nebst einem Geschenk der Beherrscher Kastiliens überreichen wolle und hierhergekommen sei, um seine Freundschaft zu gewinnen.“ Ebenda, S. 105 (Eintrag vom 6.11.1492). Z.B. Peter MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden über die Neue Welt. Aus dem Lateinischen übersetzt und hrsg. von Hans KLINGELHÖFER, Bd. 1, Darmstadt 1972, S. 29 (Dek. I, 3).

Traduttore, traditore

159

heiten und Goldvorkommen einziehen oder gar die juristischen Grundlagen spanischer Herrschaftsansprüche oder die komplexen Vorstellungen des christlichen Glaubens vermitteln. Da Columbus es sich zeitlich nicht leisten konnte, so lange an einem Ort zu verweilen, bis einige Mitglieder seiner Mannschaft die jeweilige Sprache lernten, und das individuelle Selbstbestimmungsrecht ‚ungläubiger Halbnackter‘ bestenfalls als ungeklärt betrachtete, tat er das für ihn Naheliegende und kidnappte Indianer, die ihm dazu nützlich schienen: junge, widerstandsfähige und formbare Menschen, die leicht lernten, am liebsten Männer, die sich in das Leben an Bord leichter integrieren konnten. Meist traf es junge Fischer oder Händler, die auf dem Wasser unterwegs waren, denn für diese gab es kein Entkommen. Eine weitere leichte Beute waren indianische Sklaven, denen andere bereits die Freiheit geraubt hatten, so dass die Spanier sie mit umso weniger Bedenken für ihre Zwecke einspannten.5 Sicherlich kannte Columbus diese Taktik von portugiesischen Seefahrern, die sie auf ihren Fahrten entlang der afrikanischen Küste bereits seit langem anwendeten.6 Gleich auf der ersten Insel, die Columbus anlief, verfuhr er auf diese Weise und fing den ersten indianischen Dolmetscher in der Geschichte der Conquista. Mit seiner Hispanisierung und Evangelisierung – also seiner ‚Zivilisierung‘ – wurde sofort begonnen. Er erhielt europäische Kleidung und einen Namen, der ihn sowohl zum ‚Christen‘ als auch zum ‚Spanier‘ machte. Er wurde „Diego Colón“ genannt. Der Admiral war auf ihn angewiesen und wollte den jungen Indianer möglichst eng an sich binden. Diese Art der Namensgebung ist ein Phänomen, das in Phasen der Conquista immer wieder zu beobachten ist, in denen bestimmte Dolmetscher unabdingbar schienen. Der neue Übersetzer erhielt jedenfalls den gleichen Namen wie ein Bruder und ein Sohn des Admirals und wurde später zusammen mit dessen Kindern in Spanien erzogen.7 Ein weiterer Indianer der Gruppe, die Columbus nach der ersten Reise mit sich nach Spanien nahm, wurde auf den Namen Don Fernando de Aragón, ein dritter Don Juan de Aragón getauft, auf die Namen des Königs und des vermeintlichen Thronfolgers also. Sie wurden bei Hof erzogen, „Don Juan“ sogar direkt beim gleichnamigen Prinzen. Was hätte es vor diesem Hintergrund wohl bedeutet, wenn Prinz Juan mit diesen persönlichen Erfahrungen spanischer König geworden wäre? Hätte er ein anderes Verhältnis zu den Überseegebieten seines Reiches entwickelt, als es die tatsächlichen Thronfolger taten? Doch nicht nur Prinz Juan, auch alle anderen indianischen Schüler bis auf Diego starben eines frühen Todes, so dass nur Diego bei Columbus’ weiteren Reisen als Dolmetscher zur Verfügung stand.8 5 6

7 8

Ebenda, S. 325–326 (Dek. III, 64). Katrin DIRCKSEN, Die sprachlich neue Welt. Die Suche nach Dolmetschern in den ersten europäisch-überseeischen Begegnungen, in: Katrin DIRCKSEN/Heinz SCHLÜTER/Annika WITTE (Hrsg.), El Atlántico – Mar de Encuentros / Der Atlantik – Meer der Begegnungen (Münsteraner Beiträge zu Lateinamerika, Regionalwissenschaft Lateinamerika, Bd. 13), Berlin 2006, S. 201–238, hier S. 217; detaillierter: Emma MARTINELL GIFRE, La comunicación entre españoles e indios. Palabras y gestos, Madrid 1992, S. 153. MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 55 (Dek. I, 17). DIRCKSEN, Sprachlich Neue Welt, S. 222–223.

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In einigen Gegenden Kubas konnte Diego sich verständigen und angeblich – denn wer konnte das sicher beurteilen? – sogar recht komplizierte Gespräche übersetzen.9 Zugleich war er Wegführer und Informant hinsichtlich der Tainokultur. Dadurch wurde er offenbar bald von indianischer Seite als ein Machtfaktor wahrgenommen, mit dem man sich besser gut stellte, denn dass geografische, kulturelle und politische Kenntnisse gepaart mit der Fähigkeit zur Simultanübersetzung ein ganz erhebliches Machtinstrument darstellen, liegt auf der Hand. So kam es, dass Diego auch der erste Dolmetscher der spanischen Conquista war, der aufgrund seiner neuen, als bedeutend angesehenen Funktion innerhalb einer indianischen Kultur sozial aufstieg, indem ihn ein indianischer Fürst aufgrund seiner wichtigen Stellung für würdig befand, in seine Familie einheiraten zu dürfen. Der haitianische Kazike, den Pedro Martír „Guarionex“ nennt, bot Diego seine Schwester zur Frau an, um die engere Freundschaft Columbus’ zu gewinnen.10 Diego lebte nach den Entdeckungsreisen des Columbus noch mehrere Jahre auf Kuba und pflegte mit den dortigen Spaniern weiterhin Kontakt.11 Doch je weiter ihn seine Reisen führten, desto öfter musste der Admiral sich neue Dolmetscher beschaffen. Las Casas, der Columbus auf dessen dritter Reise begleitete, schildert, wie selbstverständlich der Vorgang schließlich war: Als wir aufbrachen, nahm der Admiral drei Eingeborene als Führer mit. Ich versuchte, sie zu retten. ‚Ihr braucht sie?‘ fragte ich. Colón sah mich verwundert an. ‚Als Führer und Dolmetscher. Pedro de Terreros12 wird sie das Kastilische lehren. Das ist eine erprobte Methode, Las Casas.‘

Auf dessen Vorhaltungen, dass er eine Todsünde beginge, wenn er diese Menschen einfach raube, habe Columbus die Achseln gezuckt und ihn mit dem Hinweis stehengelassen, dass es ja keine Christen seien.13 Einige junge (und auch ein steinalter) Indianer boten sich sogar freiwillig an, mit Columbus zu fahren. Doch war dies die Ausnahme.14 Öfter kam es vor, dass diejenigen, die gegen ihren Willen an Bord waren, die erste Gelegenheit zur Flucht ergriffen. Das hatte zur Folge, dass Columbus nun Paare einfing, damit die Männer in einen Loyalitätskonflikt gerieten und ihre Frauen nicht zurückließen.15

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MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 60–61 (Dek. I, 18); Bartolomé de LAS CASAS, Historia de las Indias, hrsg. von Juan PÉREZ DE TUDELA BUESO, Bd. 1, Madrid 1957, S. 274 (cap. XCIV). MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 64 (Dek. I, 20). LAS CASAS, Historia, S. 269 (cap. XCIV). Wie sich dieses Kontakt-Halten konkret ausdrückte, geht aus der Quelle leider nicht hervor. Es handelt sich um ein Mitglied der Schiffsbesatzung; vgl. Alexander von HUMBOLDT, Kritische Untersuchungen über die historische Entwicklung der geographischen Kenntnisse von der Neuen Welt, Bd. 1, Berlin 1852, S. 258. Bartolomé de LAS CASAS, in: COLUMBUS, Bordbuch, S. 217. MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 252 (Dek. III, 17) auf der dritten Reise in „Cariai“. COLUMBUS, Bordbuch, S. 106 (Eintrag vom 21.11.1492). Sechs Indianer, unter ihnen Diego, wurden nach der ersten Reise mit nach Spanien genommen, um sie der Königin zu zeigen und damit sie für weitere Fahrten und Eroberungen die spanische Sprache lernten. Siehe MARTYR

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Dircksen gibt zwar zu bedenken, dass die meisten dieser Gefangenen kaum über rudimentärste Übersetzerfähigkeiten hinausgelangten und sie mangels wirklicher Zweisprachigkeit schwerlich als Dolmetscher bezeichnet werden könnten,16 aber sie waren eben das Beste, was man unter den gegebenen Umständen bekam. Und Columbus’ Erfahrungen machten während der Conquista Amerikas, das durch eine große Sprachenvielfalt gekennzeichnet war, Schule. Zur Perfektion brachte das System schließlich Pedro de Alvarado, der auf seinem Eroberungszug nach Guatemala 1522 laut Pedro Martír aus jedem Sprachgebiet systematisch indianische Dolmetscher und Führer fing, die sich stets in einem speziellen Vorauskommando befanden, das diplomatisch und auf jede mögliche andere Weise den Weg ebnete.17 Ähnlich verfuhr er gemäß Cieza de León später (1534) auf seinem Feldzug nach Quito.18 Das Vorgehen erwies sich auch in den Augen der Krone als notwendiges Übel. Selbst die Leyes Nuevas von 1542, an deren Ausarbeitung Las Casas beteiligt war, gestatteten von dem grundsätzlichen Verbot, indianische Sklaven nach Spanien zu bringen, in dem Falle geringfügige Ausnahmen, dass Dolmetscher ausgebildet werden sollten.19 Eine Sonderstellung unter diesen indianischen Dolmetschern nimmt zweifellos Malinche ein, die Übersetzerin des Hernán Cortés, der ihr – wenn auch inoffiziell – bescheinigte, sie sei abgesehen von Gott der wichtigste Faktor bei der Eroberung Neuspaniens gewesen.20 Sie ist eine der nicht seltenen weiblichen Dolmetscher der Eroberungszeit21 und darüber hinaus die bedeutendste kulturelle Mittlerin in der Geschichte der Conquista. Das Verhältnis des Conquistadorenführers zu seiner lengua wurde hier so eng, wie es sonst später allenfalls von Gil Gónzalez bekannt ist, der 1523 in Nicaragua einen indianischen Dolmetscher persönlich ausbildete.22 Ehemals verschenkt und vergewaltigt, war Malinche bald selbst in der Lage, Gewalt auszuüben. Da sie ihre schwierige Aufgabe in den Augen des Cortés von Anfang an sehr gut meisterte, scheint dieser ihr schließlich in ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 40 (Dek. I, 8); COLUMBUS, Bordbuch, S. 97 (Eintrag vom 12.10.1492). DIRCKSEN, Sprachlich Neue Welt, S. 220. MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 2, Darmstadt 1973, S. 276 (Dek. VIII, 12). Pedro CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento y conquista del Perú, hrsg. von Carmelo SÁENZ DE SANTA MARÍA, Madrid 2001, S. 218. Real Provision. Las Leyes Nuevas (20.11.1542), A.G.I. Patronato 170, ramo 47; Indiferente 423, libro 20, cap. 34. Vgl. auch Ricardo PIQUERAS, Un indio vale casi como un caballo: Utilización indígena en las huestes del XVI, in: Boletín Americanista 46 (1996), S. 275–297, hier S. 291–292. Probanza de los buenos servycios e fydelidad con que syrvió en la conquista de Nueva España la famosa Doña Marina [...], in: Luis TORRES DE MENDOZA (Hrsg.), Colección de documentos inéditos relativos al descubrimiento, conquista y organización de las antiguas posesiones españolas de América y Oceanía, sacados de los Archivos del Reino, y muy especialmente del de Indias, Bd. 41, Madrid 1884, S. 219–220. Andere „alte Conquistadoren“, die Cortés während der gesamten Conquista begleitet hatten, wie Juan López de Ximenez, Francisco de Santa Cruz, Anton Brabo oder der Hauptmann Francisco Maldonado sahen dies genauso. Ebenda, S. 229, 231, 238, 241. MARTINELL GIFRE, Comunicación, S. 161. MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 2, S. 149 (Dek. VI). VON

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großem Maß vertraut zu haben. Das führte dazu, dass Malinche nicht mehr nur wörtlich übersetzte, sondern bisweilen eigenständig für ihn die Verhandlungen führte. Die indianischen Gesprächspartner nahmen dieses Vertrauen wahr und erlebten Cortés und seine Übersetzerin als ein- und dieselbe Person. Daher bezeichneten sie bald beide als „Malinche“. Man erkennt dies recht deutlich auf einer indianischen Abbildung im Lienzo de Tlaxcala.23 Cortés und die im Vergleich zu ihrem Herrn gleich groß wirkende Malinche scheinen so gut aufeinander eingespielt, dass sie einmütig die gleichen Gesten vollführen und räumlich nicht voneinander getrennt sind. Während die vier tlaxcaltekischen Fürsten uneins scheinen, sprechen Cortés und Malinche mit einer Stimme. Der Umstand, dass Cortés auf diese Weise nur wenig und leise zu sprechen brauchte, erlaubte es ihm, ähnlich wie ein tlatoani würdevoll als „Großer Sprecher“ zu erscheinen, der die Verhandlung vornehmlich durch seine bloße Anwesenheit beherrscht.24 Das enge Verhältnis zwischen Cortés und Malinche, aus dem auch ein gemeinsamer Sohn hervorging, erreichte nach der Eroberung Tenochtitláns seinen Höhepunkt: Im Zusammenhang mit der angeblichen Konspiration des letzten historisch bedeutenden Mexica-Herrschers Cuauhtémoc auf dem Feldzug nach Honduras 1525 erscheint sie völlig im Einklang mit Cortés. In den Annalen von Tlatelolco heißt es: „Marques und Malintzin“ ließen den Cuauhtémoc und die Haupträdelsführer hängen.25 Zunächst verschonte Verschwörer flehten erst „das Herz des edlen Herrn Marques“, dann die „Herrin Malintzin“ um Gnade an.26 Schließlich verhandelten sie nur noch mit ihr, weil Cortés sich offenbar unbeeindruckt zeigte, so dass man das Gefühl hat, dass Malinche und Cortés hier wie vielleicht schon bei früheren Gelegenheiten effektvoll mit verteilten Rollen agierten, um die Gegner psychisch zu zermürben.27 Die Conquistadoren scheinen Malinche zu jener Zeit geachtet zu haben, nannten sie eine „Doña“, und von Cortés erhielt sie möglicherweise sogar eigene Ländereien zugesprochen.28 Auf jeden Fall verheiratete er sie so, dass sie über die Encomienda ihres Mannes Juan Jaramillo versorgt war. Obwohl sie in ihren späte-

23 Alfredo CHAVERO (Hrsg.), Lienzo de Tlaxcala, Mexiko 1979 (Nachdruck der Erstausgabe von 1892), lám. 11. 24 Vgl. Bartolomé de LAS CASAS, Apologética, cap. CCXII, in: Obras completas, hrsg. von Ángel LOSADA, 14 Bde., Bd. 8, Madrid 1992, S. 1343 und Juan de TORQUEMADA, Monarquía indiana, hrsg. von Miguel LEÓN-PORTILLA, 2 Bde. (Faksimile der 2. Ausgabe Madrid 1723), Bd. 1, Mexiko 1969, 205. Zur Redekunst aztekischer Fürsten und ihrer „Sprecher“ vgl. auch Tzvetan TODOROV, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt am Main 1985, S. 97–98. 25 Unos annales históricos de la nación mexicana. Die Manuscrits Mexicains Nr. 22 und 22bis der Bibliothèque Nationale de Paris, übersetzt und erläutert von Ernst MENGIN, Teil 1: Handschrift nebst Übersetzung (Baessler Archiv XXII/ Heft 2–3), Berlin 1939, § 34, S. 87. 26 Ebenda, § 37, S. 87. 27 Felix HINZ, Hispanisierung in Neu-Spanien 1519–1568. Transformation kollektiver Identitäten von Mexica, Tlaxkalteken und Spaniern, Hamburg 2005, S. 179–184. 28 Carmen WURM, Doña Marina, la Malinche. Eine historische Figur und ihre literarische Rezeption, Frankfurt am Main 1996, S. 36.

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ren Lebensjahren in den Quellen nicht mehr auftaucht,29 erfuhr sie doch mehr materielle und soziale Anerkennung als die meisten spanischen Eroberer Mexikos.

Abbildung 1: Tlaxcaltekische Wahrnehmung von Cortés und Marina als ‚Malinche‘. Alfredo CHAVERO (Hrsg.), Lienzo de Tlaxcala, Mexiko 1979 (Nachdruck der Erstausgabe von 1892), lám. 11 (Ausschnitt).

Nicht alle indianischen Dolmetscher stellten sich indessen so rückhaltlos in den Dienst der spanischen Sache, wie Malinche es getan hatte. Obwohl auch Francisco Pizarro unentwegt Anstrengungen unternahm, einen geeigneten Dolmetscher für seine Unternehmungen in Peru zu finden, hatte er hierbei weniger Glück als Cortés. Von Beginn an ging Pizarro, der bereits während der karibischen Etappe der Conquista eine aktive Rolle gespielt hatte und daher auf vielfältige Erfahrungen zurückgreifen konnte, nach bewährter Methode vor. Einer seiner Kapitäne, Bartolomé Ruiz, kaperte gleich zu Beginn der ersten Fahrt entlang der südamerikanischen Pazifikküste ein Balsafloß, um sich zweier junger Männer und dreier junger Frauen aus Túmbez zu bemächtigen.30 Auch beim Anlaufen verschiedener pazifischer Küstenorte versäumte Pizarro es nie, die örtlichen Machthaber darum 29 Ab 1527 gibt es keine gesicherten Daten mehr über sie. 30 CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento, S. 63 (cap. X), 68 (cap. XIII).

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zu bitten, ihm junge Männer zu überlassen, die er zu Mittlern ausbilden könne. In Poechos, Túmbez und Puerto Viejo gelangte er so 1527 an drei weitere Indianer, die auf die Namen Martín, Felipe und Juan getauft wurden.31 Sie hatten kein so hohes Ansehen unter den Conquistadoren Perus wie Malinche unter jenen Mexikos, sondern wurden meist verniedlichend Martinillo, Felipillo und Juanillo gerufen. Das lässt darauf schließen, dass man sie zwar brauchte, aber kaum als gleichwertig wahrnahm und sie in ihrer spanischen Kleidung, in der Guamán Poma de Ayala sie abbildet, eher als lächerliche Figuren empfand. Es wird auch nirgends berichtet, dass Pizarro sich ihrer während der Conquista besonders angenommen hätte. Wenn Martinillo später darum bat, sich Don Martín Pizarro nennen zu dürfen, dann ging dies nicht auf die Initiative Francisco Pizarros zurück.32 Immerhin bekam er für seine Verdienste später eine Encomienda nahe Lima zugesprochen.33 Hingegen fühlte sich Felipillo, der bekannteste der drei Dolmetscher, offenbar bald ernsthaft in seinem Stolz verletzt. Kurz nachdem er mit den Gebrüdern Pizarro 1531 aus Spanien an die peruanische Küste zurückgekehrt war, rettete er ihnen das Leben, indem er ihnen eine Warnung weitergab, die ihm ein indianischer Informant zugetragen hatte.34 Möglicherweise empfand er sich dafür nicht hinreichend gewürdigt, denn von nun an baute er offenbar eine emotionale Distanz zu den Geschehnissen auf, an denen er teilhatte. Dies sollte nicht folgenlos bleiben. Ob Felipillo oder Martinillo bei Pater Valverdes Ansprache an Atahualpa 1532 in Cajamarca dolmetschte, ist nicht mehr eindeutig zu ermitteln.35 Beide hatten zuvor gezeigt, dass sie bereits genug gelernt hatten, um eine – wenn auch noch gebrochene und oberflächliche36 – Verständigung zu ermöglichen. Allerdings zeigten sie auch keine Eigeninitiative bei der Vermittlung zwischen den Conquistadoren und Atahualpa, der sie wohl einigermaßen herablassend behandelte. So kam es nach einem sehr kurzen Wortwechsel zur von Pizarro gewollten Eskalation mit dem bekannten Ergebnis der Gefangennahme, Erpressung und Hinrich31 In Santa Elena erbat Pizarro einen weiteren Jungen, doch dieser starb in Spanien, bevor die Conquistadoren nach Peru zurückkehren. Ebenda, S. 97 (cap. XXXIV). 32 Während Felipillo später vor allem Almagro diente, stand Martinillo in Diensten der Pizarros. Vgl. José Antonio del BUSTO DUTHURBURU, La hueste perulera, Lima 1981, S. 307–326. 33 Ruth A. ROLAND, Interpreters as Diplomats: A Diplomatic History of the Role of Interpreters in World Politics, Ottawa 1999, S. 61. 34 Ein Indio von Puna verriet seinen Herrn Tumbala bei Felipillo. Der trug die Information weiter. CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento, S. 122 (cap. XXXIV). 35 CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento, S. 153 (cap. XLV) nennt wie die meisten anderen Chronisten Felipillo. Pedro Pizarro hingegen, der Ciezas Glaubwürdigkeit grundsätzlich anzweifelt (S. 229), nennt Martinillo. Pedro PIZARRO, Relación del descubrimiento de los reinos del Perú y del gobierno y orden que los naturales tenían, y tesoros que en ella se hallaron, y las demas cosas que en el han sucedido hasta el día de la fecha, hecha por Pedro Pizarro, conquistador y poblador desdos dichos reinos y vecino de la ciudad de Arequipa, año 1571, Madrid 1965, S. 178. 36 Felipillo diente den Spaniern fünf Jahre lang, so dass man davon ausgehen kann, dass er schließlich recht gute Sprachfähigkeiten entwickelte (MARTINELL GIFRE, Comunicación, S. 155). Das Quechua war nicht seine Muttersprche.

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tung Atahualpas. Als Diego de Almagro, der Sozius Pizarros, 1532 gegen Pedro de Alvarado nach Quito zog, wurde er von Felipillo begleitet. Dieser lief jedoch zu dem zahlenmäßig überlegenen Alvarado über und verriet ihm die Schwäche der Almagro-Truppe. In den anschließenden Verhandlungen mit Almagro verzichtete Alvarado zwar auf Quito, handelte jedoch Straffreiheit für Felipillo aus.37 Später war Felipillo anscheinend in den Aufstand Manco Incas eingeweiht und soll sogar eine Mitschuld daran getragen haben, dass die alte Inka-Hauptstadt Cuzco niederbrannte. 1535 begleitete er wiederum Almagro auf dessen Chilefeldzug. Hier soll er entgegen seiner Aufgabe die einheimische Bevölkerung gegen Almagro aufgewiegelt haben und entfloh schließlich der Truppe. Almagros Reiter fingen ihn jedoch wieder ein. Bevor die Spanier ihn eines besonders schändlichen Todes sterben ließen, wurde er gefoltert und soll dabei Folgendes zugegeben haben: Aus Liebe zu einer der Nebenfrauen Atahualpas habe er dessen Tod forciert. Absichtlich habe er falsche Gerüchte darüber gestreut, dass der gefangene Inkaherrscher entgegen aller seiner Versicherungen ein Heer organisiere, das ganz in der Nähe Cajamarcas seine Befreiung und die Vernichtung aller Spanier vorbereite. Er, Felipillo, habe andere Indianer, die ebenfalls ein Interesse am Tod Atahualpas hatten, veranlasst, dass sie den Spaniern auseinandersetzten, dass nur die sofortige Beseitigung Atahualpas eine drohende Katastrophe abwenden könne. In der Tat breitete sich damals in Cajamarca unter den Spaniern eine Panikstimmung aus, der genau das oben geschilderte Szenario zugrunde lag, und einige Conquistadoren hatten sich vehement für und andere ebenso vehement gegen eine Hinrichtung Atahualpas eingesetzt. Almagros damalige Haltung dazu ist undurchsichtig.38 Fakt ist, dass Felipillo den Schauprozess gegen Atahualpa gedolmetscht hatte.39 Fakt ist andererseits auch, dass Pizarro und Almagro die Tötung Atahualpas, der bald der Ruch eines wortbrüchigen Mordes anhaftete, vor Kaiser Karl V. zu verantworten hatten. Da wäre ein Geständnis des nunmehr ohnehin abtrünnigen Felipillo, mit dem Almagro ja auch wegen seines früheren Überlaufens zu Alvarado noch eine offene Rechnung hatte, gerade recht gekommen. Den entsprechenden Handlungsspielraum hätte Felipillo theoretisch gehabt. Doch ob sein angebliches Geständnis der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht mehr feststellen. Andere indianische Dolmetscher gingen noch offensiver gegen die Spanier vor. Das extremste Beispiel ist möglicherweise dasjenige Melchiorillos (bzw. Melchorejos). Er wurde 1517 zusammen mit einem Gefährten, der Julianillo getauft wurde, von Francisco Hernández de Córdoba während eines Scharmützels an der Punta de Cotoche gefangen40 und ein Jahr später von Juan de Grijalva wieder

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CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento, S. 253 (cap. LXXVI). Ebenda, S. 183 (cap. LIV) nennt unterschiedliche Versionen. Ebenda. Bernal DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera de la conquista de la Nueva España (Ms. Guatemala), hrsg. von José Antonio BARBÓN RODRÍGUEZ, Mexiko 2005, S. 12 (cap. II). Sein Nachfolger, Juan de Grijalva, fing dort wenig später neun weitere Maya: MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 349 (Dek. IV). Dircksen gibt an, Grijalva habe einen

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mit nach Yucatán genommen. Hier verdächtigten die Conquistadoren die beiden bereits, die Maya vor den Spaniern zu warnen, statt ihre Friedensbeteuerungen zu übersetzen.41 Auch Cortés nahm Melchiorillo mit auf seinen Eroberungszug nach Mexiko.42 Dort entfloh er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, und man fand nur noch seine spanische Kleidung43 zum Zeichen dafür, dass er diese übergestülpte Identität hinter sich gelassen habe. So nützlich ein hispanisierter Indianer als Dolmetscher für die Conquistadoren sein konnte, so gefährlich konnte er werden, wenn er seine Kenntnisse gegen die Spanier wandte. Melchiorillo war mit den Zielen und Eigenheiten der Conquistadoren recht gut vertraut, er kannte ihre Gewohnheiten und wusste von ihren militärischen Stärken und Schwächen. Dieses Wissen nutzend, wiegelte er nun die Maya von Tabasco gegen sie auf. Er soll diesen erklärt haben, dass man die Conquistadoren besiegen könne, wenn man sie nur Tag und Nacht unentwegt angreife. All dies gründet natürlich nur auf Vermutungen der Spanier unter Cortés, die sich wunderten, hier auf so unvermutet effektiven Widerstand zu stoßen. Melchiorillo hätte gewusst, dass eine Schwäche der Spanier in ihrer numerischen Unterlegenheit bestand und man sie durch hartnäckiges Festhalten an dieser simplen Taktik auch mit unterlegener Waffentechnik nach einigen Tagen bei akutem Schlafmangel aufreiben würde.44 Doch auch hier könnte der Verrat ebenso gut eine nachträgliche Legende der Conquistadoren sein, um einem ihrer Angriffe auf größere Küstenorte den Schein einer Berechtigung zu geben bzw. ihn in Selbstverteidigung umzuinterpretieren.45

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Nahua gefangen, der Francisco gerufen wurde. Er habe sich allerdings lediglich in Gebärdensprache verständigen können. DIRCKSEN, Sprachlich Neue Welt, S. 225. DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 30 (cap. IX). Julianillo war bereits tot. Ebenda, S. 63 (cap. XXV). Ebenda, S. 77 (cap. XXXII). Ebenda, S. 79. Cortés hatte im Gegensatz zu vielen seiner Untergebenen bisher kaum soldatische Erfahrungen. Er brauchte einerseits unbedingt einige persönliche militärische Erfolge und wird andererseits seine Kräfte und diejenigen seiner Truppe an größeren Ortschaften Tabascos erprobt haben wollen, bevor er in den Machtbereich der Azteken vorstieß. Das war im Prinzip nicht zu rechtfertigen und bedurfte (wegen der spanischen Verluste) in seinen Berichten einer Erklärung.

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Abb. 2: Felipe Guamán POMA DE AYALA, El primer nueva corónica y buen gobierno, fol. 386v (Rechts mit Nasenring: Felipillo, der Dolmetscher Francisco Pizarros).

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IV. MEHR ODER MINDER INDIANISIERTE SPANIER Noch folgenschwerer jedoch war es, wenn sich indianisierte Spanier gegen ihre ehemaligen Landsleute wandten. Cortés hatte Kenntnis von schiffbrüchigen Spaniern, die seit Jahren unter den Maya Yucatáns lebten, und beabsichtigte, sich ihrer als Dolmetscher zu versichern. Zu diesem Zweck schickte er Läufer ins Landesinnere, die Briefe an seine verschollenen Landsleute übermitteln sollten. Diese Briefe waren weniger ein Hilfsangebot, als vielmehr ein schlecht getarnter Befehl, sich „innerhalb von sechs Tagen nach Erhalt dieses Briefes [...] ohne Verzögerung oder Entschuldigung [!]“46 einzustellen. Einer dieser Schiffbrüchigen, die die Briefe erhielten, war Gonzalo Guerrero. Er hatte zu dieser Zeit bereits Tätowierungen und durchlöcherte Ohren, trug eine gedehnte Lippe, hatte eine Maya geheiratet, Kinder mit ihr gezeugt und war aufgrund seiner Kenntnisse in eine hohe soziale Stellung aufgestiegen. Statt jedoch seine Position auszunutzen, um das Christentum zu verbreiten und seine indianischen Untergebenen zu hispanisieren, ,indianisierte‘ er sich selbst und fiel vom christlichen Glauben ab.47 Der abtrünnige Conquistador, der über seine ehemaligen Kameraden, ihre Ziele und Schwächen genauestens Bescheid wusste, habe seinem Mayastamm beim Auftauchen der Expedition von Hernández de Córdoba dazu geraten, sie von vornherein als Feinde zu betrachten, und führte auch selbst eine Truppe gegen sie an, so Bernal Díaz del Castillo.48 Doch woher wollte dieser das wissen? Ein solcher Ratgeber und Dolmetscher am Hof Moctezumas hätte die Eroberung Mexikos weit schwieriger, wenn nicht undurchführbar gemacht, und da Cortés das Gefahrenpotential erkannte, das von solchen Überläufern ausging, soll er angesichts von Guerreros Weigerung erklärt haben: „Wirklich, ich würde ihn zu gern in die Hand bekommen, denn aus ihm wird niemals etwas Gutes werden.“49 Anders verhielt es sich mit dem ehemaligen Gefährten Guerreros, Jerónimo de Aguilar. Er hatte wie Guerrero acht Jahre lang zwangsweise unter den Maya Yucatáns gelebt. Díaz del Castillo schreibt, dass auch „Aguilar nicht mehr und nicht weniger als ein Indio war“.50 Als Cortés ihn nach der Begrüßung jedoch nach den unbekannten Besonderheiten des Landes auszufragen begann, musste er 46 Natürlich gibt es keinen solchen Brief mehr. Die hier zitierte Formulierung findet sich jedoch in zwei der drei tradierten Versionen des angeblichen Textes: Francisco LÓPEZ DE GÓMARA, Historia de la conquista de México, hrsg. von Joaquín RAMÍREZ CABAÑAS, Bd. 1, Mexiko 1943, S. 70 (cap. XI); Diego de LANDA, Relación de las cosas de Yucatán (cap. IV), in: Documentos cortesianos 1518–1548, hrsg. von José Luis MARTINEZ, Bd. 1, Mexiko 1993, S. 59. Die dritte Version enthält stattdessen die Versicherung des Cortés, dass er die Schiffbrüchigen gut ansehen und behandeln werde, eine höflich formulierte Amnestie also, falls diese nötig sei. Recado de Hernán Cortés a los náufragos españoles (02.1519), in: Documentos cortesianos, Bd. 1, S. 58–59, hier S. 58. 47 Solange ALBERRO, Les espagnols dans le Méxique colonial. Histoire d’une acculturation, Paris 1992, S. 12. 48 DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 71 (cap. XXIX). 49 Ebenda. 50 Ebenda, S. 70 (cap. XXIX).

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feststellen, dass Aguilar sich nur noch mühsam auf Spanisch ausdrücken konnte,51 und erfahren, dass er von dem Land nicht viel mehr kannte als den Weg von dem Maisfeld, auf dem er hatte arbeiten müssen, zum nächsten Brunnen.52 Je mehr Aguilar vorgeblich unterdrückt worden war und je weniger er wusste, desto glaubhafter musste er erscheinen. Für ihn war es geboten, Vertrauen herzustellen, da sein Äußeres aus spanischer Sicht Anlass zu Zweifeln an seiner spanischen Identität gab. Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Aguilar seine wahre Geschichte teilweise verschwieg: So berichtet die Maya-Chronik von ChacXulub-Chen immerhin von einem Schwiegervater Aguilars mit Namen Ah Naum Pot,53 was bedeutete, dass auch er eine indianische Ehe geführt hatte, und vermuten lässt, dass es ihm nicht gar so schlecht erging.54 Warum auch sollte ein erbärmlicher Sklave und Wasserträger mit stattlicher Eskorte zu Cortés begleitet worden sein, wie Muñoz Camargo berichtet?55 Gleich nach der Ankunft Aguilars ließ Cortés ihm Kleider geben – „mit Freude, ihn in seiner Gewalt zu haben“.56 Es ist offenkundig, dass Aguilar bereits stark indianisiert war, doch Cortés und seine Spanier werden ihm im Bewusstsein, einen kompetenten Dolmetscher gefunden zu haben, keine kritischen Fragen gestellt haben. Er war auch nicht der Einzige in der Truppe des Cortés, der Jahre unter Indianern zugebracht hatte.57 Falls er tatsächlich halbnackt erschien, muss indessen allein dieser Umstand den Conquistadoren sehr verdächtig vorgekommen sein. Pagden bemerkt treffend: „Ebenso, wie die allzu große Vertrautheit mit den Indianern die Europäer veranlassen könnte, ihrerseits ihre Kleider abzulegen, so könn-

51 Hernán CORTÉS, Interrogatorio general presentado por Hernán Cortés para el examen de los testigos de su descargo (1534), in: Documentos cortesianos, Bd. 2, Mexiko 1991, S. 231; Bernal Díaz del Castillo bestätigt die Sprachschwierigkeiten; vgl. DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 70 (cap. XXIX); ähnlich: Francisco CERVANTES DE SALAZAR, Crónica de la Nueva España, hrsg. von Manuel MAGALLON, Bd. 1, Madrid 1971, S. 188–189 (lib. II, cap. XXVI). 52 DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 71 (cap. XXIX). 53 Ricardo HERREN, Indios carapalidas. Los españoles que durante la conquista y colonización de América vivieron entre los indígenas adoptando sus usos y costumbres, Barcelona 1992, S. 30–31. 54 Vgl. auch Bartolomé BENNASSAR, Cortez der Konquistador. Die Eroberung des Aztekenreiches, Düsseldorf/Zürich 2002, S. 115. 55 Diego MUÑOZ CAMARGO, Historia de Tlaxcala, hrsg. von Lauro ROSELL, Mexiko 1947, S. 192 (lib. II, cap. II). Die übrigen Chronisten erwähnen zwar auch indianische Begleiter, aber keine Kanuflotte. 56 LOPEZ DE GOMARA, Historia de la conquista, Bd. 1, S. 72 (cap. XII). 57 Delikater Weise betraf dies eine der wenigen spanischen Frauen unter den Conquistadoren, María de Estrada. Sie erlitt vor der Eroberung Kubas an der dortigen Küste Schiffbruch. Fast alle Männer, die sich retten konnten, wurden von den Einwohnern der Insel an dem Ort, der noch heute deswegen Matanzas [= Gemetzel] heißt, getötet, während Estrada für fünf Jahre die Sklavin eines Kaziken wurde. Vgl. DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 27 (cap. VIII). Er nennt sie nicht namentlich, erwähnt jedoch, dass es sich um die Frau des Pedro Sánchez Farfán handelte, also um María de Estrada.

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te sie sie dazu bringen, Menschenfleisch zu verzehren.“58 Kritisch war wie angedeutet auch die Frage, ob Aguilar Umgang mit Maya-Frauen gehabt hatte. Die Frau, Eva, war ja nach dem Verständnis spanischer Volksfrömmigkeit die Versuchung zur Gottlosigkeit und damit zum Bösen. Daher spann sich Aguilar schon bald einen eigenen Mythos: Er habe niemals eine Indianerin auch nur angesehen, alle Versuche seines indianischen Herrn, ihn zu Fall zu bringen, indem er ihn allein mit einem Mädchen zum Fischen schickte und beide in einer gemeinsamen Hängematte schlafen ließ, waren gescheitert. Er, Aguilar, hatte es vorgezogen, in seinem geretteten Stundenbuch zu lesen.59 Ebenfalls kritisch, und überdies von praktischer Bedeutung, war die Frage, ob Aguilar noch das Kastilische beherrschte, da nach der damaligen Auffassung die Sprache Ausdruck von Kultur und Denken war. Das Lateinische, aus dem sich das Spanische herleitete, galt als Sprache der Kirche und der Bibel. Spanisch zu sprechen bedeutete demnach, christlich zu denken. Der spätere Missionar Mexikos, Fray Juan de Torquemada OFM, erklärt, die babylonische Sprachverwirrung habe das einheitliche Gedächtnis der Menschen an Gott gestört, und daher gäbe es so viele falsche Religionen in der Welt. Die Situation in Neuspanien beweist für ihn: Je mehr Sprachen, desto mehr Götter.60 Implizit geht er davon aus, dass das Spanische keine ‚Verwirrung‘, sondern, vermittelt über das Lateinische, die ‚reine‘ Weiterführung der gemeinsamen Ursprache darstellte. Aguilars sprachliche Erinnerung kam zum Glück für ihn und die Conquistadoren rasch zurück. Als Dolmetscher war er – später zusammen mit Malinche – von großem Nutzen für Cortés, der ihn in seinen Berichten mehrfach und jedenfalls viel öfter als Malinche erwähnt. Doch es gab nicht nur Spanier, die aufgrund von Unglücksfällen indianische Sprachkenntnisse erwarben. Einige von ihnen zogen es freiwillig vor – etwa aus Liebe zu einer Indianerin, um den unsäglichen Strapazen der Conquistazüge zu entgehen oder aus Angst vor Bestrafung – in indianische Gemeinschaften auszuweichen. Diese Deserteuere konnten ebenfalls eine Gefahr für die Conquistadoren darstellen; gemeinhin wurde ihnen daher später eine Amnestie gewährt, wenn sie sich als Dolmetscher nützlich machen konnten. Ein Beispiel hierfür ist ein gewisser Barrientos, der von Pizarro ausgepeitscht und verstümmelt wurde und sich dann nach Nordchile absetzte. Hier wurde er indianisiert von Almagro aufgefunden, der, wie oben erwähnt, Felipillo getötet hatte und nun Barrientos als Überset58 Anthony PAGDEN, Das erfundene Amerika. Der Aufbruch des europäischen Denkens in die Neue Welt, München 1996, S. 75. 59 CERVANTES DE SALAZAR, Crónica, Bd. 1, S. 191–192 (lib. II, cap. XXVIII); Antonio de HERRERA Y TORDESILLAS, Historia general de los hechos de los castellanos en las islas y tierra firme del mar océano, Bd. 4, Madrid 1936, S. 325–326 (dec. II, lib. IV, cap. VIII): „Er beschloss, sich zu beherrschen und zu halten, was er Gott versprochen hatte, [nämlich] dass er keinen Umgang mit einer heidnischen Frau haben würde, damit er ihn aus der Gefangenschaft befreie, in der er sich befand.“ Zweiflern dieser Darstellung entgegnet Herrera: „Aguilar war Student, als er nach Las Indias reiste, und ein umsichtiger Mensch. Deshalb kann man ihm alles glauben.“ Ebenda, S. 328; vgl. hierzu auch TORQUEMADA, Monarquía indiana, Bd. 1, S. 370, 372 (lib. IV, cap. X). 60 Ebenda, Bd. 2, S. 18 (cap. VI).

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zer in seine Truppe reintegrierte.61 Zuvor war Balboa bereits im Lande Caretas auf drei Fahnenflüchtige Nicuesas gestoßen, die 18 Monate unter Indianern gelebt hatten und nun zurück zu ihren Landsleuten wollten.62 Cortés förderte die Ausbildung spanischer Dolmetscher innerhalb seiner Truppe auch ganz direkt, indem er seinen jungen Diener Juan Ortega in der Obhut der verbündeten Totonaken zurückließ, damit er deren Sprache lernte. Später gab er ihn dem gefangenen Moctezuma zum gleichen Zweck als Page bei.63 Der Aztekenherrscher soll „Orteguilla“ sehr gemocht und viel mit ihm gesprochen haben.64 Dabei berichtete Ortega oft dem Cortés, was Moctezuma mit seinen Räten verhandelte, doch mehr und mehr bezog Moctezuma über ihn auch Informationen darüber, was die Spanier berieten.65 Inwieweit gelang es dem Aztekenherrscher, den spanischen Jungen in seinen Bann zu ziehen? Im Vorfeld der Auseinandersetzung mit Narváez, als Cortés Moctezuma ausrichten ließ, dass er ihn nicht wieder frei lassen würde und sich die Lage in Tenochtitlán zuspitzte, heißt es, dass Ortega ununterbrochen geweint habe.66 Geschah dies nur aus Angst, oder hatte er eine emotionale Bindung zum gefangenen Fürsten aufgebaut? Cortés’ gelehriger Schüler Pizarro handelte ähnlich, indem er auf seinen ersten Erkundungsfahrten entlang der pazifischen Küste einigen Spaniern seiner Truppe erlaubte, bis zu seiner Rückkehr unter Indianern zurückzubleiben.67 Da jedoch keiner dieser Spanier überlebte und ein spanisches Leben für die Conquistadoren viel mehr wog als ein indianisches, wurde diese Form der Dolmetscherausbildung später nicht mehr angewendet. – Allein die Missionare, vor allem die Franziskaner, pflegten im Kielwasser der Conquista mit großem Erfolg diese Praxis. Sie hatten allerdings wegen ihres bedürfnislosen Auftretens eine weit größere Chance, in indianischen Gemeinschaften akzeptiert zu werden – doch dies ist bereits eine andere Geschichte.68 Mona BAKER (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London 1998, S. 507. MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 156 (Dek. II, 17). DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 252 (cap. XCV). Ortega starb noch während der Conquista in indianischer Gewalt. Ebenda, S. 792 (cap. CCV). So setzte er Moctezuma offenbar eigenmächtig darüber in Kenntnis, dass Cortés Narváez bekämpfen, die Stadt verlassen und Alvarado dort als Kommandanten zurücklassen wollte. Ebenda, S. 303–304 (cap. CXV). 66 Ebenda, S. 287 (cap. CVIII). 67 Es handelte sich um Murillo und Bocanegra, die in Túmbez zurückblieben (PIZARRO, Relación, S. 169), sowie um Alonso de Molina und Ginés Trujillo, die bei Payta und auf der Insel Puna auf die Rückkehr Pizarros warten wollten. Vgl. Pedro CIEZA DE LEÓN, El señorío de los incas, hrsg. von Manuel BALLESTEROS GAIBROIS, Madrid 2000, S. 200 (cap. LXVIII); DERS., Descubrimiento, S. 89 (cap. XXII). 68 Grundlegend sind hier Enrique D. DUSSEL, Historia general de la Iglesia en América Latina. Bd. I/1: Introducción general a la historia de la Iglesia en América Latina, Salamanca 1983; Hans-Jürgen PRIEN, Das Christentum in Lateinamerika, Leipzig 2007, und speziell für Mexiko Christian DUVERGER, La conversión de los indios de Nueva España. Con el texto de los Coloquios de los Doce de Bernardino de Sahagún (1564), Mexiko 1996. Gerade in Bezug auf die Franziskaner, die die Strategie verfolgten, sich als ,Indianer unter Indianern‘ zu geben, ist noch immer John Leddy PHELAN, The millennial kingdom of the Franciscans in the New 61 62 63 64 65

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Es gab auch Spanier, die innerhalb ihrer jeweiligen Conquistadorentruppe Sprachen erlernten, indem sie sich eingehend mit den indianischen Dolmetschern beschäftigten. Ein Beispiel hierfür ist ein gewisser Juan Pérez Artiaga unter Cortés, der interessanter Weise ebenfalls „Malinche“ genannt wurde, weil er sich oft in der Nähe der Dolmetscherin befand und von ihr Nahuatl lernte.69 Auch in Uraba, so Pedro Martír, beeindruckte ein Soldat Encisos die Caramairenser mit derart erworbenen Sprachkenntnissen, die diese schließlich friedfertig stimmten.70 Alvarado konnte bei seinem Feldzug nach Guatemala bereits auf zwei spanische Mayadolmetscher zurückgreifen.71

V. FAZIT: DIE FRAGE DER LOYALITÄTEN Traduttori, traditori – verratene Verräter? Jeder Übersetzer ist ein Grenzgänger, ein Vermittler. Im Kontext der Conquista war sie oder er jemand, dessen genaue Zugehörigkeit und Loyalität für die übrigen Beteiligten nicht immer ganz durchsichtig schien, da Letztere ja oft nur die Hälfte verstanden. Die meisten Dolmetscher durchliefen zudem einen Identitätswechsel, wobei oft unklar blieb, wem sie sich im Zweifelsfall verpflichtet fühlten.72 Vertraut man den einschlägigen Quellen, hielten sich diejenigen, die sich der Instrumentalisierung durch die Spanier verweigerten, und diejenigen, die sich in ihr Schicksal fügten, in etwa die Waage. Torres: Verrat am Judentum? Einen solchen Identitätswechsel durchlief bereits Juan de Torres, der erste Dolmetscher des Columbus. Hatte er seine ursprüngliche Religion, das Judentum, verraten? Seine heutigen Glaubensgenossen scheinen seine Bekehrung zum Katholizismus nur als oberflächlich und vorgeschoben zu betrachten, gibt es doch auf den Bahamas heute mindestens zwei Synagogen, die seinen Namen tragen. Die Frage war jedenfalls nicht unerheblich und stellte sich für fast alle Dolmetscher der Conquista. Aus spanischer Sicht gab es nichts, das entscheidender für die Loyalität einer Person hätte sein können als die Religion. Hierbei machte es in den Augen der Spanier einen großen Unterschied, ob man die jüdische oder die katholische Religion aufgegeben hatte. Obwohl sich aus den Quellen nicht herleiten lässt, dass man Torres in irgendeiner Weise misstraut hätte, dürfte klar sein,

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World. A study of the writings of Gerónimo de Mendieta (1525–1604), Berkeley 1956 unverzichtbar. WURM, Doña Marina, S. 24. MARTYR VON ANGHIERA, Acht Dekaden, Bd. 1, S. 141 (Dek. II, 7). Von weiteren Spaniern, die Indianersprachen beherrschten, berichtet Martyr in der Dek. III, 31 (S. 278). Ebenda, Bd. 2, S. 276 (Dek. VIII). Dies führte sehr oft zu tiefem Misstrauen. Vgl. Kenneth J. ANDRIEN, Andean Worlds: Indigenous History, Culture, and Consciousness Under Spanish Rule, 1532–1825, Albuquerque 2001, S. 108–109.

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dass er sich aus den oben genannten Gründen auf einem schmalen Grat bewegte und sehr darauf bedacht sein musste, sich in keiner Weise verdächtig zu machen. Juden und anderen als nicht rechtgläubig angesehenen Personen war die Ausreise nach Spanisch-Amerika, wo nach Vorstellung der Krone ein neues, reines Christentum entstehen sollte, in der Folge strengstens verboten.73 Und wem hätte Torres’ Treue gegolten, wenn Columbus tatsächlich auf die ‚verlorenen Stämme Israels‘ gestoßen wäre? Malinche: Verrat an ‚Mexiko‘? Wie sah es mit den indianischen Dolmetschern aus, die gekidnappt worden waren? Begingen sie Verrat an ihren jeweiligen Völkern und Sprachgruppen, wenn sie sich instrumentalisieren ließen? Konnten sie die Folgen ihres Tuns überhaupt richtig einschätzen? Malinche, die während der Zeit der Eroberung allseits geachtet wurde, gilt in Mexiko seit der Unabhängigkeit unter anderem als Chingada, d.h. als „die mit Gewalt geöffnete, geschändete, getäuschte Mutter“,74 und damit – weil sie es, im Gegensatz zur sagenhaften Lucretia beispielsweise, geschehen ließ – als Verräterin an der indigenen Sache. Das ist aus heutiger Perspektive gedacht. Warum sollte sie sich denen, die sie einst an die Conquistadoren verschenkt hatten – oder gar Moctezuma – in besonderer Weise verpflichtet gefühlt haben? Die damalige Welt der Nahua identifizierte sich über die Herkunftsregion, d.h. meist über den heimischen Stadtstaat. Eine mexikanische Nation oder ein mexikanisches Gemeinschaftsgefühl gab es nicht. Abgesehen davon hatte Moctezuma eindeutig nicht auf Konfrontation, sondern auf Kommunikation gesetzt. Malinche hatte ihm also – anders als Todorov es darstellt75 – zunächst einmal allenfalls zugearbeitet.76 Den Spaniern hielt sie zweifellos bis zuletzt die Treue. 73 Grundlegend zur Conversos-Problematik sind Renée Levine MELAMMED, A question of identity: Iberian conversos in historical perspective, Oxford 2004; Julio VALDEÓN BARUQUE, Judíos y conversos en la Castilla medieval, Valladolid 2004; und Norman ROTH, Conversos, Inquisition and the expulsion of the Jews from Spain, Madison 2002. 74 Octavio PAZ, Die Söhne der Malinche, in: DERS., Das Labyrinth der Einsamkeit, Frankfurt am Main 1998, S. 70–91, hier S. 83. Ebenda, S. 89 heißt es: „Ihre nach außen geöffnete Passivität lässt sie ihre Identität völlig verlieren: sie ist die Chingada. Sie verlor ihren Namen, sie ist schon niemand mehr, verbindet sich mit dem Nichts, ist das Nichts selber. Und trotzdem ist sie die gräßlichste Verkörperung der Conditio humana des Weibes.“ 75 TODOROV, Die Eroberung Amerikas, S. 88 behauptet, Moctezuma sei der Kommunikation mit Cortés ausgewichen bzw. ihr nicht gewachsen gewesen. Diese Darstellung dürfte eher auf den Versionen der spanischen Missionarschronisten (Sahagún, Durán) beruhen als auf den tatsächlichen Gegebenheiten. Die zahlreichen Gesandtschaften Moctezumas wie auch die Tatsache, dass seine Truppen die Spanier bis zu deren Eintreffen in Tenochtitlán nicht behelligten, scheinen vielmehr darauf hinzuweisen, dass er zunächst mit diplomatischen Mitteln zu agieren beabsichtigte. 76 Unklar bleibt allerdings ihre Rolle beim Massaker von Cholula: Hatte sie die Cholulteken beschuldigt, einen Hinterhalt gegen die Spanier geplant zu haben? Dies behaupten LÓPEZ DE GÓMARA, Historia de la conquista, Bd. 1, S. 194 (cap. LIX) und DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 202 (cap. LXXXIII). Wenn dies zutrifft, stellt sich die Frage, ob es diesen Hinterhalt tatsächlich gab.

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Felipillo: Verrat an Atahualpa und an Almagro? Bei Felipillo liegen die Dinge anders. Auch er wurde verschenkt. Doch selbst wenn er nicht aus niederen Motiven auf die Ermordung Atahualpas hingearbeitet hat, was immerhin im Bereich des Möglichen liegt, wechselte er zu oft die Seite, um in der spanisch dominierten Geschichtsschreibung nicht zwischen alle Stühle zu geraten. Die indianischen Dolmetscher hatten nur die Wahl zwischen Flucht, wie Melchiorillo, dem Tod, wie viele, deren Namen wir nicht einmal kennen, oder verlässlicher Kollaboration, wie Malinche. Wenn sie zwischen diesen Möglichkeiten lavierten, riskierten sie viel. So Felipe, den sogar der sonst zurückhaltende Cieza de León „Felipillo, lengua, traidor malvado“77 schimpft und der auch unter den heutigen Peruanern noch als Erzverräter gilt. Er erweckte wiederholt den Eindruck, ein doppeltes Spiel zum eigenen Vorteil zu betreiben, und beging damit den Kardinalfehler, den ein Dolmetscher in der Situation der Conquista machen konnte. Guerrero: Verrat an den Spaniern? Der Spanier Guerrero seinerseits verweigerte sich der ‚Befreiung aus den Fängen der Ungläubigen‘. Allein das machte ihn damals zum Ketzer. Sein aktiver Widerstand gegen die Conquistadoren wurde von diesen als klarer Verrat nicht nur an Gott, sondern auch an der spanischen Krone und ihrer zivilisatorischen Sendung aufgefasst. Doch acht Jahre lang hatte man nichts zu seiner Rettung unternommen. Wann erlischt im Zustand der Verbitterung das Gefühl der Loyalität? Im Grunde war Guerrero für ‚seine‘ Maya das, was Malinche für die Conquistadoren war. Auch er hatte vollständig mit seiner alten Identität gebrochen. Wenn es stimmt, dass er sogar Kriegszüge gegen die Spanier geführt hat, scheint er im Gegensatz zu Malinche jedoch einen aus Enttäuschung erwachsenen Hass auf seine ehemaligen Landsleute entwickelt zu haben. In seiner Antwort auf den Brief des Cortés unterstellte er ihnen, dass sie seine sehr weitgehende Indianisierung ohnehin nicht akzeptieren würden.78 Offenbar sah er für sich kein Zurück mehr, sondern nur noch die Flucht nach vorn. Einige der hispanisierten Indianer, die bei den Conquistadoren als Dolmetscher dienten, mögen sich in einer vergleichbaren Lage gefühlt haben. Aguilar: Verrat an den Maya? Und wäre Guerrero tatsächlich zurück zu den Spaniern gegangen, wie Aguilar es tat – wäre das nicht Verrat an denen gewesen, die ihn vor dem Tod bewahrt hatten, der so viele seiner ehemaligen Kameraden ereilt hatte? Aus spanischer Sicht spielte dies keine Rolle. Heiden hatten kein Recht auf Treue. Ein Sympathisieren mit einer ,barbarischen‘ Kultur war schlicht tabu. Zusätzlich gerechtfertigt war der Bruch, wenn man von den Maya als Sklave gedemütigt wurde, wie Aguilar es von 77 „Felipillo, Dolmetscher, ruchloser Verräter“ (CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento, S. 181 [cap. LIV]). 78 LÓPEZ DE GÓMARA, Historia de la conquista, Bd. 1, S. 73 (cap. XII).

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sich behauptete. Es könnte eine Schutzbehauptung gewesen sein. Denn ob es nun Ungläubige waren oder nicht: Es ist trotz der damals typischen religiösen Intoleranz nur menschlich, in acht Jahren eine emotionale Beziehung und ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber seinen Mitmenschen aufzubauen. Doch wie Aguilar darüber dachte und wie dies seine Übersetzertätigkeit beeinflusste, lässt sich nicht mehr ermitteln. Die meisten Dolmetscher der spanischen Conquista Amerikas waren entwurzelte, ihrer kulturellen Identität beraubte Gewaltopfer, waren selbst verraten und verkauft. Sie waren Schachfiguren in einem Spiel, das sie nicht initiiert hatten und selten aus Überzeugung unterstützten. Bisweilen hatten sie keine Chance, irgendeinen Verrat zu vermeiden. Die Frage war dann nur, welchen sie begehen mussten. Klar ist auch, dass die Feststellung von ‚Verrat‘ immer von der jeweiligen Perspektive, auch der zeitlichen, abhängt. Und nicht zuletzt muss auch festgestellt werden, dass ‚Verrat‘ von Dolmetschern während der Geschichte der Conquista im Prinzip nur dann bewiesen werden konnte, wenn diese in brenzligen Situationen ‚desertierten‘ – ansonsten basierte jeder diesbezügliche Vorwurf auf Vermutungen oder Verleumdungen. Man konnte den Übersetzern nicht in die Karten schauen. Obwohl die Conquistadoren, wie dargelegt, auf verschiedene Weise versuchten, Dolmetscher zu gewinnen, ist nicht zu übersehen, dass der Erfolg in den meisten Fällen mäßig war. Abgesehen von der Ausnahmeerscheinung Malinche verlief die Kommunikation meist auf bescheidenem sprachlichem und inhaltlichem Niveau. Auffällig ist, dass die meisten Übersetzer aus niederen Gesellschaftsschichten stammten. Bei den Conquistadoren war dies ohnehin der Fall, und auf indianischer Seite lag es an den geschilderten Strategien, mit denen sich die Spanier Dolmetscher zu beschaffen versuchten. Was für einen sprachlichkulturellen Horizont konnte man von diesen Fischern und Sklaven erwarten? Sieht man von den vielfältigen Tücken der critical incidents interkultureller Kommunikation einmal ab, die damit beginnen, dass selbst einfache Gesten zum großen Teil kulturell determiniert sind,79 stellt sich die Frage: Verfügten sie überhaupt über das für eine erfolgreiche Diplomatie notwendige kulturelle Spezialwissen, das in vielen indianischen Kulturen von einer Elite aus Adel und Priestern eifersüchtig gehütet wurde? Andererseits: Bis zu welchem Grad erwartete man dies von ihnen? Oft reichten Übersetzungskompetenzen aus, die die Logistik betrafen: Wege, Entfernungen, Verpflegung,80 standardisierte Forderungen. Ein zu großes Wissen nährte auch Verdacht, und die indianischen Kulturen interessierten die Spanier zumindest nicht um ihrer selbst willen. Welcher Stellenwert hier der gegenseitigen Kommunikation eingeräumt wurde, zeigt klar der Requerimiento.81 Aus einer Position der militärischen Stärke heraus hatten Verhandlungen mit indi79 Astrid ERLL/Marion GYMNICH, Interkulturelle Kompetenzen. Erfolgreich kommunizieren zwischen den Kulturen, Stuttgart 2007, S. 110. 80 Die Verbindung Verpflegung-Dolmetscher betont v.a. PIQUERAS, Indio, S. 292. 81 Die Conquistadorenproklamation von 1513 findet sich z.B. in Ángel de ALTOLAGUIRRE Y DUVALE (Hrsg.), Gobernación espiritual y temporal de las Indias, Bd. XX, Madrid 1927, S. 311–314.

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anischen Fürsten nur allzu oft Alibicharakter. Wenn es nicht gerade um lebenswichtige Bündnisse ging, waren Missverständnisse willkommene Vorwände und Dolmetscher ideale Sündenböcke. Während dies – sicherlich nicht zufällig – von keinem der großen Conquistadorenführer auch nur andeutungsweise bekannt ist, heißt es sowohl von Moctezuma als auch von Atahualpa, dass sie in Gefangenschaft begannen, Spanisch zu lernen.82 In letzter Konsequenz hätte dies Dolmetscher überflüssig gemacht, die Einseitigkeit der Übersetzungsmacht aufgehoben und damit auch das Informationsmonopol der Conquistadoren an den spanischen Hof untergraben. Sie hätten beide nicht sehr lange gebraucht, um Kaiser Karl V. selbst Briefe diktieren oder direkt mit seinen Kronbeamten in Kontakt treten zu können. Zieht man in Betracht, dass die Version von Cortés, Moctezuma sei durch Steinwürfe seiner eigenen Untertanen getötet worden, bezweifelt werden kann, drängt sich die Frage auf, ob sowohl bei ihm als auch bei Atahualpa die zunehmenden Spanischkenntnisse ein wesentlicher Grund dafür waren, dass sie beide sterben mussten.83 Zweifellos hätten sie unliebsame Wahrheiten verraten können.

82 Moctezuma verstand bereits früh Beleidigungen seitens der spanischen Soldaten, die nicht für seine Ohren bestimmt waren: DÍAZ DEL CASTILLO, Historia verdadera, S. 257–258 (cap. XCVII). Über Atahualpa sagt Cieza: „Er verstand schon einiges von unserer Sprache.“ CIEZA DE LEÓN, Descubrimiento, S. 169 (cap. L). 83 Die spanische Version, dass Moctezuma durch Steinwürfe seiner eigenen Untertanen starb, kann man bezweifeln (HINZ, Hispanisierung, S. 650). Eine andere Variante unterstellt den Spaniern, sie hätten ihn vor der Noche Triste ermordet. Vgl. Bernardino de SAHAGÚN, Einige Kapitel aus dem Geschichtswerk des Fray Bernardino de Sahagun aus dem Aztekischen übersetzt von Eduard SELER, hrsg. von Cæcilie SELER-SACHS/Walter LEHMANN/Walter KRICKEBERG, Stuttgart 1927, S. 512 (Buch XII, Kap. XXIII): „Im dreiundzwanzigsten Kapitel wird erzählt, wie Motecuhçoma und ein königlicher Prinz von Tlatelolco getötet wurden;/ und ihre Leiber warfen sie vor die Tür,/ vor die Tür des Hauses,/ in dem die Spanier waren.“ – Für den Nahuatltext vgl. Códice Ramírez – Relación del origen de los indios que habitan esta Nueva España según sus historias, hrsg. von Raúl BOLAÑOS MARTÍNEZ, Mexiko 1975, S. 97–98: „Dann töteten sie ihn“ – gemeint sind eindeutig die Conquistadoren.

Kulturelle Vermittler in der atlantischen Welt der Frühen Neuzeit* Mark Häberlein, Bamberg

I. PROBLEMSTELLUNG In einem Brief vom Oktober 1538 berichtete der fränkische Reichsritter Philipp von Hutten seinem Vater von der Expedition des Gouverneurs Georg Hohermuth von Speyer in das Innere der Welser-Provinz Venezuela, an der er selbst als Generalkapitän des Augsburger Handelshauses teilgenommen hatte. Aus Sicht der Beteiligten war das Unternehmen ein Fehlschlag gewesen, und einen wesentlichen Grund für dieses Scheitern sah Hutten im Tod des erfahrenen Kundschafters Esteban Martín. Als Führer eines Vorauskommandos hatte Martín der Truppe einen Weg durch den Urwald gebahnt, als feindliche Indianer1 angriffen und ihn sowie zwei seiner Begleiter töteten. „Dieser Christen Tod, sonderlich Stephan Martins,“ schrieb Hutten, „brachte ein großen Erschrecken ins Lager, dann dieser Stephan Martin war […] ein Mann, daran viel gelegen, den man an diesen Orten um groß Geld kauffen solt, dann er wust mit den Indiern umzugehen, auch schier sein Leben unter ihnen tractirt.“ Als Dolmetscher, Kundschafter und Truppenführer hatte Martín bereits auf Eroberungszügen der Welser-Vertreter Nikolaus Federmann und Ambrosius Talfinger zu Beginn der 1530er Jahre wichtige Dienste geleistet *

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Eine erste Fassung dieses Aufsatzes wurde im Juli 2005 als Antrittsvorlesung an der Fakultät Geschichts- und Geowissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg gehalten und 2006 auf einem Seminar des Studienkollegs zu Berlin der Studienstiftung des Deutschen Volkes sowie auf Einladung des Internationalen Graduiertenkollegs 625 „Institutionelle Ordnungen, Schrift und Symbole“ an der Technischen Universität Dresden vorgetragen. Ich danke den Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern in Berlin und Dresden für ihre Fragen und Anregungen. Der Aufsatz ist dem Andenken an den Erfurter Kollegen Peer Schmidt (1958–2009) gewidmet. Der Verfasser ist sich bewusst, dass die Begriffe „Indianer“ und „indianisch“ von Teilen der ethnologischen und ethnohistorischen Forschung ebenso wie von Vertretern der Ureinwohner mittlerweile als pejorativ abgelehnt und durch andere Begriffe ersetzt werden, im kanadischen Kontext etwa durch First Nations (vgl. den Beitrag von Susanne Lachenicht in diesem Band), im US-amerikanischen durch Native Americans und im lateinamerikanischen durch Indígenas. Da dieser Beitrag auf Beispiele aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten rekurriert, wird der Begriff „Indianer“ jedoch im Interesse einer möglichst einheitlichen Terminologie sowie aufgrund seiner Nähe zur Sprache der Quellen beibehalten.

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und sich wiederholt in schwierigen Situationen bewährt. Für die Expedition Hohermuths war er aufgrund seiner Landeskenntnis, seiner militärischen Erfahrung und seiner Gefolgschaft unter den spanischen Konquistadoren geradezu unverzichtbar. „Dieser Stephan Martin,“ so Hutten, „war derjenig, der nach dem Gubernator das ganz Lager regiert.“2 Viele Teilnehmer an der europäischen Eroberung und Kolonisation Amerikas machten ähnliche Erfahrungen wie Philipp von Hutten. Europäer, die seit dem 16. Jahrhundert in ihnen unbekannte Regionen der Neuen Welt vorstießen, sahen sich mit einer babylonischen Sprachenvielfalt konfrontiert, die Verständigung oft extrem schwierig machte. Konquistadoren, Händler und Reisende begegneten selbst in kleinräumigen Gebieten einer Vielzahl indianischer Sprachen. So musste die Expedition Hernando de Sotos, die zwischen 1539 und 1543 den Südosten der heutigen USA durchstreifte, dem Chronisten Garcilaso de la Vega zufolge manchmal zehn, zwölf oder sogar vierzehn indianische Übersetzer einschalten, damit der spanische Dolmetscher Juan Ortiz mit einem fremden „Häuptling“ oder „Stamm“ kommunizieren konnte.3 Der englische Naturforscher John Lawson, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Hinterland der Carolinas bereiste, gewann den Eindruck, dass in praktisch jedem indianischen Dorf eine andere Sprache gesprochen wurde, obwohl die Dörfer oftmals nur ein Dutzend Meilen auseinander lagen.4 Modernen linguistischen Studien zufolge existierten auf dem amerikanischen Doppelkontinent zum Zeitpunkt der europäischen Entdeckung zwischen 1000 und 2000 indianische Sprachen.5 Auch in West- und Zentralafrika herrschte eine enorme linguistische Vielfalt: Von den rund 1600 Sprachen, die im heutigen 2

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Eberhard SCHMITT/Friedrich Karl VON HUTTEN (Hrsg.), Das Gold der Neuen Welt. Die Briefe des Welser-Konquistadors und Generalkapitäns von Venezuela Philipp von Hutten 1534– 1541, Hildburghausen 1996, S. 116, 118. Zur Rolle Martíns als Dolmetscher und kultureller Vermittler vgl. Jörg DENZER, Die Konquista der Augsburger Welser-Gesellschaft in Südamerika (1528–1556). Historische Rekonstruktion, Historiografie und lokale Erinnerungskultur in Kolumbien und Venezuela, München 2005, S. 116–120. Garcilaso de la Verga zitiert bei Gene WADDELL, Cofitachequi: A Distinctive Culture, Its Identity, and Its Location, in: Ethnohistory 52 (2005), S. 333–369, hier S. 340. Zum Verlauf der De Soto-Expedition vgl. Urs BITTERLI, Die Entdeckung Amerikas. Von Kolumbus bis Alexander von Humboldt, 3. Aufl. München 1992, S. 338–343. John LAWSON, A New Voyage to Carolina, hrsg. von Hugh Talmage LEFLER, Chapel Hill 1967, S. 233: „the Difference of Languages, that is found amongst these Heathens, seems altogether strange. For it often appears, that every dozen Miles, you meet with an Indian Town, that is quite different from the others you last parted withal; and what a little supplies this Defect is, that the most powerful Nation of these Savages scorns to treat or trade with any others (of fewer Numbers and less Power) in any other Tongue but their own, which serves as the Lingua of the Country, with which we travel and deal […].“ Edward G. GRAY, New World Babel: Languages and Nations in Early America, Princeton 1997, S. 16. Für zeitgenössische Kommentare zur Sprachenvielfalt in Nordamerika vgl. ebenda S. 10–14, 18–22; Stephen J. GREENBLATT, Learning to Curse: Aspects of Linguistic Colonialism in the Sixteenth Century, in: Fredi CHIAPPELLI u.a. (Hrsg.), First Images of America: The Impact of the New World on the Old, 2 Bde., Berkeley/Los Angeles/London 1976, Bd. 1, S. 561–580, hier S. 563–564; Peter BURKE, Wörter machen Leute. Gesellschaft und Sprachen im Europa der frühen Neuzeit, Berlin 2006, S. 33–34.

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Afrika gesprochen werden, konzentrieren sich allein 1100 in den subsaharischen Gebieten, aus denen sich der atlantische Sklavenhandel speiste.6 Ein französischer Jesuitenmissionar zählte um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf den karibischen Sklavenplantagen dreizehn verschiedene afrikanische Sprachen. Verglichen mit Nordamerika waren allerdings gemeinsame Handelssprachen und Mehrsprachigkeit in Westafrika wesentlich weiter verbreitet.7 Aufgrund dieser großen sprachlichen Vielfalt waren Europäer in der Anfangsphase der Kulturkontakte im atlantischen Raum meist auf Zeichensprache und den Austausch von Gütern angewiesen, oder sie verständigten sich mit Afrikanern und Indianern durch Pidgin- und Handelssprachen, die europäisches und außereuropäisches Vokabular kombinierten.8 Der gebürtige Straubinger Ulrich Schmidel, der 1535 mit der Flotte des Pedro de Mendoza in das La Plata-Gebiet kam und dort an mehreren Eroberungszügen teilnahm, erwähnt wiederholt die Rekrutierung indigener Führer, die den Konquistadoren den Weg zeigen sollten. Auf einem entbehrungsreichen Zug durch den Gran Chaco gelangte Schmidels Truppe unter dem Kommando Domingo Martínez de Iralas 1548/49 mit diesen Führern bis an den Fuß der Anden. Bei der Begegnung mit den dortigen Indianern machte Schmidel die Erfahrung, dass inmitten der babylonischen Sprachverwirrung im Inneren Südamerikas plötzlich gerade das Vertraute besonders fremd erscheinen konnte: Die Indianer, berichtet er, kamen „vns entgegen/ empfingen vns sehr wol/ vnd huben darnach an mit vns Hispanisch zu reden/ dessen erschracken wir erstlich gar sehr […].“ Das Erschrecken über Spanisch sprechende Indianer 6

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Philip D. MORGAN, Slave Counterpoint: Black Culture in the Eighteenth-Century Chesapeake and Lowcountry, Chapel Hill/London 1998, S. 561. Morgan verweist u.a. auf Joseph H. GREENBERG, The Languages of Africa, Den Haag 1966, und David DALBY, Language Map of Africa and the Adjacent Islands, London 1977. John THORNTON, Africa and Africans in the Making of the Atlantic World, 1400–1800, 2. Aufl. Cambridge 1998, S. 184–192; George E. BROOKS, Eurafricans in Western Africa: Commerce, Social Status, Gender, and Religious Observance from the Sixteenth to the Eighteenth Centuy, Athens (Ohio), 2003, S. 17–19. Stephen GREENBLATT, Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Berlin 1994, S. 139–147, 154–158; James AXTELL, Babel of Tongues: Communicating with Indians in Eastern North America, in: Edward G. GRAY/Norman FIERING (Hrsg.), The Language Encounter in the Americas, New York/Oxford 2000, S. 15–60, bes. 18–40; Ives GODDARD, The Use of Pidgins and Jargons on the East Coast of North America, in: ebenda, S. 61–78; Peter BAKKER, “The Language of the Coast Tribes is Half Basque”: A Basque-American Pidgin in Use Between Europeans and Native Americans in North America, ca. 1540–ca. 1640, in: Anthropological Linguistics 31 (1989), S. 117–147; Lyle CAMPBELL, American Indian Languages: The Historical Linguistics of Native America, New York/Oxford 1997, S. 10, 18–25; Karen O. KUPPERMAN, Indians and English: Facing Off in Early America. Ithaca (N.Y.)/London 2000, S. 86–87; BURKE, Wörter machen Leute, S. 138– 140. Zu Formen des Gütertauschs vgl. James AXTELL, At the Water’s Edge: Trading in the Sixteenth Century, in: DERS., After Columbus: Essays in the Ethnohistory of Colonial North America, New York/Oxford 1988, S. 145–181; Claudia SCHNURMANN, Wampum as a Cultural Broker in Northeastern North America, 1620–60, in: Sünne JUTERCZENKA/Gesa MACKENTHUN (Hrsg.), The Fuzzy Logic of Encounter: New Perspectives on Cultural Contact, Münster u.a. 2009, S. 185–206.

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dürfte freilich auch mit den enttäuschten Hoffnungen der Konquistadoren zusammenhängen – machte die Sprache doch unmissverständlich deutlich, dass hier keine unbekannte, reiche indianische Zivilisation mehr zu erobern und auszubeuten war.9 Nur in seltenen Ausnahmefällen standen bereits in der Phase der Erstkontakte fähige Dolmetscher zur Verfügung. Als der spanische Konquistador Hernán Cortés seine Truppen 1519 ins mexikanische Hochland führte, traf er in Yucatán auf Jerónimo de Aguilar, einen Spanier, der als Schiffbrüchiger dorthin verschlagen worden war und seitdem unter den Maya gelebt hatte. Außerdem erhielt Cortés an der Küste eine indianische Sklavin namens Malintzin geschenkt, die aus einer adeligen Nahua-Familie stammte, aber als Kind durch Verkauf oder Entführung in den Besitz der Chontal-Maya geraten war. Aufgrund dieser Umstände sprach Malintzin sowohl Maya als auch Nahuatl, die Sprache der Azteken. Über Aguilar und Malintzin konnte Cortés mit dem Aztekenherrscher Moctezuma und anderen indianischen Führern kommunizieren, und vor allem Malintzin, die auf den Namen Doña Marina getauft wurde, erwies sich als unentbehrliche Beraterin und Informantin des Eroberers. Nachdem sie Spanisch gelernt hatte, machte sie die Dienste des zweiten Dolmetschers Aguilar weitgehend überflüssig. Auch nach dem Fall der Aztekenhauptstadt Tenochtitlán behielt Cortés Malintzin, die ihm einen Sohn gebar, in seiner Nähe. Er nahm sie 1525 auf seine Expedition nach Honduras mit und verheiratete sie unterwegs mit seinem engen Vertrauten Juan de Jaramillo. Malintzin starb wohl kurz nach der Rückkehr nach Mexiko, noch keine dreißig Jahre alt. Während Cortés selbst Malintzins Dienste in seinen Briefen an Kaiser Karl V. kaum erwähnte, betonen sein Gefolgsmann Bernal Díaz del Castillo, der Cortés-Biograph Francisco López de Gómara und aztekische Quellen einhellig ihre Fähigkeiten und das Ansehen, das sie bei Spaniern wie Indianern genoss. Übereinstimmend berichten die Quellen, dass die Indianer Mexikos den Namen „Malintzin“ sowohl für Doña Marina als auch für Cortés gebrauchten, die sie als geradezu symbiotisches Paar ansahen. „Sie bildeten ein Duo,“ schreibt der englische Historiker Hugh Thomas, „das Beredsamkeit mit Scharfsinn, Frömmigkeit mit Drohungen, Subtilität mit Brutalität verknüpfte.“10 [Ulrich SCHMIDEL], Vierte Schiffart. Warhafftige Historien. Einer Wunderbaren Schiffart / welche Vlrich Schmidel von Straubing / von Anno 1534. biß Anno 1554, in Americam oder Neuwewelt / bey Brasilia vnd Rio della Plata gethan. […] 2. Aufl. Nürnberg 1602, Nachdruck (mit einem Vorwort von Hans PLISCHKE) Graz 1962, S. 76–78, 84–85 (Zitat). Schmidels Reisebericht liegt seit kurzem auch in einer kritischen Neuausgabe vor: Franz OBERMEIER (Hrsg.), Ulrich Schmidel – Reise in die La Plata-Gegend (1534–1554). Kritische Ausgabe, Kiel 2008. Zu seiner Biographie und seinem Werk vgl. BITTERLI, Entdeckung Amerikas, S. 127–128, 325, 327–328; Franz OBERMEIER, Ulrich Schmidels Wahrhaftige Beschreibung (publiziert 1567) im Kontext der deutschen Südamerikaliteratur der Zeit, in: Jahrbuch Institut Martius-Staden, São Paulo 2001/2002, S. 51–89; Mark HÄBERLEIN, Schmidel, Ulrich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, Berlin 2007, S. 161–162. 10 Frances KARTTUNEN, Between Worlds: Interpreters, Guides, and Survivors, New Brunswick (N.J.), 1994, S. 1–23; DIES., Rethinking Malinche, in: Susan SCHROEDER/Stephanie WOOD/Robert HASKETT (Hrsg.), Indian Women of Early Mexico, Norman (Okla.)/London 1997, S. 291–312; GREENBLATT, Wunderbare Besitztümer, S. 214–219; Georges BAUDOT, 9

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In der historiographischen Tradition Mexikos ist Malintzin sowohl zum Symbol der mestizaje, der Verschmelzung spanischer und indianischer Elemente zu einer eigenständigen Kultur, stilisiert als auch als Verräterin an ihrem Volk diffamiert worden. Dass Cortés ihre Fähigkeiten für seine Ziele zu nutzen verstand, wurde als Beleg für seine hermeneutische Überlegenheit gegenüber den Azteken interpretiert. Was die spanischen Eroberer von den indianischen Eroberten unterschied, so der Kulturwissenschaftler Tzvetan Todorov, war nicht zuletzt die Fähigkeit, durch das Sammeln und Auswerten von Informationen die Schwäche des Gegners zu erkennen und daraus Kapital zu schlagen. Das Kommunikationssystem der Azteken hingegen, das stark auf die Befragung der Götter und die Deutung von Prophezeiungen hin ausgerichtet war, brach beim Eintreffen der Fremden zusammen.11 Auch nach Abschluss der Eroberung erwies sich Sprache als wichtiges Instrument der Kolonisierung. So hat Wolfgang Reinhard argumentiert, dass sich die europäische Kultur im globalen Kontext durch die Mehrsprachigkeit ihrer gesellschaftlichen Eliten ausgezeichnet habe und das „spezifisch abendländische Verhältnis zur Sprache […] eine der Erfolgsbedingungen der europäischen Expansion gewesen“ sei. Während die offizielle Sprachpolitik der Kolonialmächte in der Neuen Welt von der Überlegenheit der europäischen Sprachen ausging und eine linguistische Assimilation der indianischen Bevölkerungen postulierte, nahmen die christlichen Missionare die Widerstände gegen eine sprachliche Zwangsassimilation ernst und setzten als „humanistisch geschulte Philologen“ auf eine „pragmatische Zweisprachigkeit“. Mit Hilfe einheimischer Informanten erarbeiteten sie Vokabellisten und grammatikalische Regelwerke, auf deren Grundlage sie dann Gebete, Lieder und Erbauungsschriften, Predigten, Traktate und Dramen verfassten und die Bibel in indianische Sprachen übersetzten. Die wichtigsten indianischen Sprachen wurden auf diesem Wege systematisch in Grammatiken und Wörterbüchern erfasst: das Nahuatl und Maya Mittelamerikas, das Ketschua, Tupi, Chibcha und Guaraní Südamerikas, die Algonkin- und Irokesensprachen der Indianer Nordamerikas. Für das 16. Jahrhundert wurden über 200, für das 17. Jahrhundert rund 250 Veröffentlichungen über indianische Sprachen gezählt. Insgesamt „hat die humanistisch vervollkommnete abendländische Philologie“ Reinhard zufolge „entscheidend zur Verwirklichung von Sprachbeherrschung beigeMexico y los albores del discurso colonial, Mexiko-Stadt 1996, S. 285–300; Hugh THOMAS, Die Eroberung Mexikos. Cortés und Montezuma, Frankfurt am Main 1998, S. 247–249 und passim (Zitat S. 249); Bartolomé BENNASSAR, Cortez der Konquistador. Die Eroberung des Aztekenreiches, Düsseldorf/Zürich 2002, S. 85–91; Matthew RESTALL, Seven Myths of the Spanish Conquest, Oxford 2003, S. 82–88; Felix HINZ, „Hispanisierung“ in Neu-Spanien 1519–1568. Transformation kollektiver Identitäten von Mexica, Tlaxkalteken und Spaniern, 3 Bde., Hamburg 2005, Bd. 1, S. 178–182; Camilla TOWNSEND, Malintzin’s Choices: An Indian Woman in the Conquest of Mexico, Albuquerque 2006. Vgl. auch den Beitrag von Felix Hinz in diesem Band. 11 Tzvetan TODOROV, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt am Main 1985, S. 69–151, zur Rolle der Malintzin bes. S. 123–125. Kritisch dazu: RESTALL, Seven Myths, S. 89–99.

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tragen“ und den europäischen Kolonisatoren ein wichtiges „Beeinflussungs- und Herrschaftsinstrument“ an die Hand gegeben.12 Während die philologischen Bemühungen der Missionare langfristig zur Festigung kolonialer Herrschaft beitrugen13 und überdies Impulse für die wissenschaftliche Beschäftigung mit außereuropäischen Sprachen gaben,14 erwies sich der Spracherwerb in spezifischen historischen Kontaktsituationen oft als mühevoller Prozess des Wiederholens und Nachahmens, bei dem Missionare mehr auf Intuition, Sprachbegabung und außereuropäische Kooperationspartner angewiesen waren als auf ihre klassische Ausbildung.15 Für die französischen Jesuitenmissionare im Kanada des 17. Jahrhunderts beispielsweise lassen sich – ungeachtet der weitgehend einheitlichen philologischen Ausbildung – individuell höchst unter-

12 Wolfgang REINHARD, Sprachbeherrschung und Weltherrschaft. Sprache und Sprachwissenschaft in der europäischen Expansion, in: DERS. (Hrsg.), Humanismus und Neue Welt, Weinheim 1987 (Mitteilung XV der Kommission für Humanismusforschung), S. 1–36 (Zitate S. 5, 14, 20, 27). 13 Besonders pointiert hat Walter D. Mignolo die Übertragung indianischer Sprachen in europäische Schriftsysteme und Grammatiken sowie die Geschichtswerke europäischer Missionare und Gelehrter als „Kolonisierung“ indigener Sprachen und Erinnerungskulturen beschrieben: Walter D. MIGNOLO, On the Colonization of Amerindian Languages and Memories: Renaissance Theories of Writing and the Discontinuity of the Classical Tradition, in: Comparative Studies in Society and History 34 (1992), S. 301–330; DERS., The Darker Side of the Renaissance: Literacy, Territoriality, and Colonization, Ann Arbor 1995. Vgl. auch Vicente L. RAFAEL, Contracting Colonialism: Translation and Christian Conversion in Tagalog Society under Early Spanish Rule, Ithaca (N.Y.)/London 1988, bes. S. 23–54; J. Jorge KLOR DE ALVA, Language, Politics, and Translation: Colonial Discourse and Classic Nahuatl in New Spain, in: Rosanna WARREN (Hrsg.), The Art of Translation: Voices from the Field, Boston 1989, S. 143–162; Christine BIERBACH, Zwischen Humanismus und Glottophagie. Die Sprachfrage in der Kolonisierung der Neuen Welt (am Beispiel Mexiko), in: Gabriele BERKENBUSCH/Christine BIERBACH (Hrsg.), Soziolinguistik und Sprachgeschichte: Querverbindungen, Tübingen 1994, S. 111–129; Kathleen J. BRAGDON, Native Languages as Spoken and Written: Views from Southern New England, in: GRAY/FIERING (Hrsg.), Language Encounter, S. 173–188, bes. 175–181; Johannes FABIAN, Language and Colonial Power: The Appropriation of Swahili in the Former Belgian Congo 1880–1980, Cambridge 1986. 14 Vgl. zu diesem Themenkomplex Victor Egon HANZELI, Missionary Linguistics in New France: A Study of Seventeenth- and Eighteenth-Century Descriptions of American Indian Languages, Den Haag/Paris 1969; Reinhard WENDT (Hrsg.), Wege durch Babylon. Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation, Tübingen 1998; Wulf OESTERREICHER/Roland SCHMIDT-RIESE, Amerikanische Sprachenvielfalt und europäische Grammatiktradition. Missionarslinguistik im Epochenumbruch der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 116 (1999), S. 62–100; Henrike FOERTSCH, Missionarsmaterialien und die Entdeckung amerikanischer Sprachen in Europa: Vom Sprachensammler Lorenzo Hervás y Panduro zum Linguisten Wilhelm von Humboldt, in: Reinhard WENDT (Hrsg.), Sammeln, Vernetzen, Auswerten: Missionare und ihr Beitrag zum Wandel europäischer Weltsicht, Tübingen 2001, S. 75–130. 15 James AXTELL, The Invasion Within: The Contest of Cultures in Colonial North America, New York 1985, S. 81–83. Ein instruktives Beispiel findet sich in Colin G. CALLOWAY (Hrsg.), Dawnland Encounters: Indians and Europeans in Northern New England, Hanover (N.H.) 1991, S. 79–80.

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schiedliche Lernerfolge und Lernstrategien nachweisen.16 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vertraten führende Vertreter des Jesuitenordens wie der Generalprokurator für Indien, P. Jacinto Pérez, die Auffassung, dass die von der spanischen Kolonialverwaltung lange Zeit mit Misstrauen betrachteten ausländischen Missionare besser für den Einsatz in Übersee geeignet seien als ihre spanischen Ordensbrüder, da sie nicht nur motivierter seien, sondern auch die Indio-Sprachen leichter erlernten, „weil ihre Muttersprache denen der Indios mehr gleiche, als dies die spanische Sprache tue.“17 Besonders in der Anfangsphase der Kulturkontakte bedienten sich Missionare zusätzlicher Hilfsmittel wie Bilder, Gebärdensprachen und festlicher Zeremonien, um eine Heilsbotschaft zu verkünden, die sie verbal (noch) nicht zu kommunizieren vermochten.18 Darüber hinaus brachte es die Zweckgebundenheit ihrer Sprachstudien zur Vermittlung christlicher Glaubensinhalte mit sich, dass Missionare oft weder von anderen Europäern noch von den betroffenen Außereuropäern als Vermittler besonders geschätzt wurden, weil man ihren Intentionen misstraute. Dies gilt offenbar in besonderem Maße für „offene“ interkulturelle Situationen, in denen ein relatives Kräftegleichgewicht zwischen Europäern und Nicht-Europäern herrschte. Unter Bezugnahme auf eine Studie Richard Whites lassen sich derartige offene Situationen als middle ground bezeichnen – als Forum der Interaktion, in dem Europäer und Außereuropäer aufeinander angewiesen waren, pragmatische Rücksichten aufeinander zu nehmen hatten und daher auch zu einer gemeinsamen Sprache finden mussten.19 Bei interkulturellen Begegnungen auf einem solchen middle ground – um die es im Folgenden geht – treten daher mehr noch als Missionare die Protagonisten anderer sozialer Gruppen in Erscheinung. Dazu gehörten vor allem in der An16 Margaret LEAHEY, „Comment peut un muet prescher l’évangile?“ Jesuit Missionaries and the Native Languages of New France, in: French Historical Studies 19 (1995), S. 105–131; vgl. auch HANZELI, Missionary Linguistics, S. 51–54; GRAY, New World Babel, S. 32–43. Zum Sprachenlernen der Jesuiten im Brasilien des 16. Jahrhunderts siehe Alida C. METCALF, Gobetweens and the Colonization of Brazil, 1500–1600, Austin (Tex.) 2005, S. 92–93. 17 Zitiert nach Christoph NEBGEN, Missionarsberufungen nach Übersee in drei Deutschen Provinzen der Gesellschaft Jesu im 17. und 18. Jahrhundert, Regensburg 2007, S. 53. – Dem Asienmissionar Heinrich Roth (1620–1688) zufolge bereitete das Erlernen der „indischen Sprache“ speziell deutschen Missionaren wenig Schwierigkeiten, da auch ihr eigenes Idiom durch eine raue Aussprache charakterisiert sei. Ebenda, S. 207. 18 Instruktiv in diesem Kontext: Pauline Moffitt WATTS, Languages of Gesture in SixteenthCentury Mexico: Some Antecedents and Transformations, in: Claire FARAGO (Hrsg.), Reframing the Renaissance: Visual Culture in Europe and Latin America, 1450–1650, New Haven/London 1995, S. 140–151; DIES., Pictures, Gestures, Hieroglyphs: “Mute Eloquence” in Sixteenth-Century Mexico, in: GRAY/FIERING (Hrsg.), Language Encounter, S. 81–101; Margaret J. LEAHEY, Iconic Discourse: The Language of Images in Seventeenth-Century New France, in: ebenda, S. 102–118. 19 Richard WHITE, The Middle Ground: Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650–1815, Cambridge u.a. 1991, S. X, 52. Vgl. dazu auch Mark HÄBERLEIN, Contesting the ‘Middle Ground’: Indian-White Relations in the Early American Republic, in: Udo J. HEBEL (Hrsg.), The Construction and Contestation of American Cultures and Identities in the Early National Period, Heidelberg 1999, S. 1–23.

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fangsphase der atlantischen Expansion Afrikaner und Indianer, die als Gefangene, Geiseln oder Freiwillige in bereits etablierte Kolonien oder direkt nach Europa gebracht wurden, um dort zu Dolmetschern ausgebildet zu werden. Die Portugiesen nahmen seit Mitte des 15. Jahrhunderts bei ihren Erkundungsfahrten entlang der afrikanischen Küste systematisch Afrikaner gefangen und brachten sie nach Portugal, um sie bei künftigen Fahrten als Dolmetscher einzusetzen. An Vasco da Gamas Flottenexpedition, die 1498 zur Entdeckung des Seewegs nach Indien führte, nahmen vier Afrikaner und drei Bantusprachen oder Arabisch sprechende Portugiesen teil; außerdem führte die Expedition zehn degredados (Sträflinge) mit, die an verschiedenen Orten entlang der Route ausgesetzt wurden, um Informationen über den Portugiesen unbekannte Gegenden einzuholen. Als die Flotte Pedro Álvares Cabrals 1500 zu einer zweiten portugiesischen Indienfahrt aufbrach, führte sie nicht nur mehrere Afrikaner und degredados mit, sondern auch einige Südasiaten, die Vasco da Gamas Expedition zum Spracherwerb nach Portugal gebracht hatte.20 Kolumbus, dem diese Praxis bekannt war, übertrug sie auf den karibischen Raum, und zahlreiche europäische Entdecker des 16. Jahrhunderts – Juan Ponce de Léon und Lucas Vázquez de Ayllón in Florida, Jacques Cartier in Kanada oder die Führer von Walter Raleighs Roanoke-Kolonie vor der Küste des heutigen North Carolina – folgten seinem Beispiel.21 Eine weitere wichtige Gruppe waren Händler, die wie die portugiesischen lançados in Westafrika,22 die französischen 20 Jeanne HEIN, Portuguese Communication with Africans on the Sea Route to India, in: Terrae Incognitae 25 (1993), S. 41–54; METCALF, Go-betweens, S. 19–20, 25–38. 21 AXTELL, Babel of Tongues, S. 41; Bruce G. TRIGGER, Natives and Newcomers. Canada’s “Heroic Age” Reconsidered. Kingston (Ontario)/Montreal 1985, S. 130–131; BITTERLI, Entdeckung Amerikas, S. 185–187; GREENBLATT, Wunderbare Besitztümer, S. 140–141, 149– 151, 162–166, 173–176; Lynne GUITAR, Francisco Chicorano: A North American Indian in King Charles I’s Court, in: Terrae Incognitae 29 (1997), S. 1–9; Michael Leroy OBERG, Between ‘Savage Man’ and ‘Most Faithful Englishman’: Manteo and the Early Anglo-Indian Exchange, in: Itinerario 24 (2000), S. 146–169; Alden T. VAUGHAN, Sir Walter Ralegh’s Indian Interpreters, 1584–1618, in: William and Mary Quarterly, Third Series 59 (2002), S. 341–376; Frances KARTTUNEN, Interpreters Snatched from the Shore: The Successful and the Others, in: GRAY/FIERING (Hrsg.), Language Encounter, S. 215–229; METCALF, Go-betweens, S. 50–51; Katrin DIRCKSEN, Die sprachlich neue Welt. Die Suche nach Dolmetschern in den ersten europäisch-überseeischen Begegnungen, in: Katrin DIRCKSEN/Heinz SCHLÜTER/Annika WITTE (Hrsg.), El Atlántico – Mar de Encuentros / Der Atlantik – Meer der Begegnungen (Münsteraner Beiträge zu Lateinamerika, Regionalwissenschaft Lateinamerika 13), Berlin 2006, S. 201–238. 22 Bei den lançados handelte es sich um Portugiesen, darunter viele getaufte Juden, sowie um Bewohner der Kapverdischen Inseln, die sich an der westafrikanischen Küste und entlang der Läufe des Gambia, des Senegal und anderer Flüsse sowie im heutigen Guinea-Bissau niederließen. Sie fungierten als Zwischenhändler zwischen den offiziellen portugiesischen Stützpunkten und afrikanischen Händlern. Seit dem späten 16. Jahrhundert machten sie auch Geschäfte mit englischen, niederländischen und französischen Schiffen. Vgl. Walter RODNEY, A History of the Upper Guinea Coast, 1545–1800, New York/London 1970, S. 77–94 und passim; Marília DOS SANTOS LOPES, Schwarze Portugiesen. Die Geschichte des frühen Westafrikahandels, in: Thomas BECK/Annerose MENNINGER/Thomas SCHLEICH (Hrsg.), Kolumbus’ Erben. Europäische Expansion und überseeische Ethnien im Ersten Kolonialzeitalter, 1415–

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truchements im Brasilien des 16. Jahrhunderts23 oder die coureurs de bois in der Nouvelle-France24 in den Gemeinden ihrer Handelspartner mit afrikanischen oder indianischen Frauen zusammenlebten und sich an Lebensweise und Umgangsformen ihrer Gastgeber anpassten. Daneben finden wir Offiziere und Kolonialbeamte, die entweder selbst beachtliche linguistische Kompetenz erwarben25 oder Jugendliche zur Sprachausbildung in indianische Dörfer schickten.26 In vielen Regionen der atlantischen Welt übersetzten schließlich professionelle Dolmetscher bei Vertragsverhandlungen und Geschäftsabschlüssen und wurden durch ein festes Gehalt, Eide und Titel an die jeweiligen Kolonialregierungen gebunden.27 Diese ökonomisch, sozial und kulturell ausgesprochen heterogenen Personengruppen mussten über die Fähigkeit verfügen, über das Medium der Sprache fremdartige Rituale, politische und soziale Vorstellungen, Weltbilder und Sinnsysteme verständlich zu machen, wenn sie bei ihrer Vermittlertätigkeit erfolgreich sein wollten. Die ethnologisch ausgerichtete Kolonialgeschichtsforschung hat sich seit Mitte der 1980er Jahre vor allem im angelsächsischen Raum verstärkt mit solchen bi- oder multilingualen Vermittlern zwischen den Kulturen beschäftigt. Daniel K. Richter bezeichnete sie unter Rückgriff auf die soziale Netzwerktheorie als cultural brokers. Solche kulturellen Vermittler, die in lokale soziale, ökonomische

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1815, Darmstadt 1992, S. 21–37, bes. S. 33–35; Eberhard SCHMITT/Thomas BECK (Hg.), Das Leben in den Kolonien (Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, Bd. 5), Wiesbaden 2003, S. 209–212; THORNTON, Africa and Africans, S. 60–62; BROOKS, Eurafricans in Western Africa, S. 49–63, 69–101 und passim; METCALF, Go-betweens, S. 58–59; DIES., Intermediários no mundo português: Lançados, pombeiros, e mamelucos do século XVI, in: Anais da Sociedade Brasileira de Pesquisa Histórica 13 (1997), S. 3–13; Carlos Alberto ZERÓN, Pombeiros e tangomaus, intermediários do tráfico de escravos na África, in: Rui Manuel LOUREIRO/Serge GRUZINSKI (Hrsg.), Passar as fronteiras. Actas do II Colóquio Internacional sobre Mediadores Culturais, Séculos XV a XVIII (Lagos – Outubro 1997), Lagos 1999, S. 15–38. METCALF, Go-betweens, S. 62–74, 84; Franz OBERMEIER, Katechismen in der ‚língua geral‘ der brasilianischen Tupi-Indianer in zeitgenössischen französischen und portugiesischen Dokumenten des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Bibliotheksforum Bayern 26 (1998), S. 48–69, bes. S. 54–60. TRIGGER, Natives and Newcomers, S. 194–197; Sven KUTTNER, Handel, Religion und Herrschaft. Kulturkontakt und Ureinwohnerpolitik in Neufrankreich im frühen 17. Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a. 1998, S. 86–97. Vgl. auch den Beitrag von Susanne Lachenicht in diesem Band. So hatte der langjährige Gouverneur von Französisch-Louisiana Jean-Baptiste Le Moyne, Sieur de Bienville (1680–1767) um 1700 mehrere Indianersprachen erlernt: Patricia GALLOWAY, Talking with Indians: Interpreters and Diplomacy in French Louisiana, in: Winthrop D. JORDAN/Sheila L. SKEMP (Hrsg.), Race and Family in the Early South, Jackson (Miss.)/London 1987, S. 109–129, hier S. 116. Diese Praxis ist unter anderem für die Franzosen in Brasilien im 16. Jahrhundert, für Französisch-Louisiana im frühen 18. Jahrhundert sowie für die Engländer in Virginia in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts belegt. Vgl. OBERMEIER, Katechismen, S. 56; GALLOWAY, Talking with Indians, S. 109–115, 124–126; J. Frederick FAUSZ, Middlemen in Peace and War: Virginia’s Earliest Indian Interpreters, 1608–1632, in: Virginia Magazine of History and Biography 95 (1987), S. 41–64. AXTELL, Babel of Tongues, S. 45–51; MERRELL, Into the American Woods, passim.

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und politische Netzwerke eingebunden waren, stellten über geographische und kulturelle Grenzen hinweg Beziehungen zwischen lokalen Gemeinschaften und größeren regionalen und internationalen Systemen her.28 Das Konzept des cultural broker hat sich mittlerweile in der internationalen Forschung etabliert, doch beschränken sich die einschlägigen Spezialstudien mit wenigen Ausnahmen auf bestimmte Kolonien und Regionen. Dabei eignet sich dieses Phänomen in besonderer Weise für interkoloniale Vergleiche, und im Zentrum der folgenden Ausführungen steht die These, dass kulturelle Vermittler ein atlantisches Phänomen waren. Überall in der atlantischen Welt gab es Räume, in denen labile Kräftegleichgewichte zwischen Europäern und Nicht-Europäern herrschten und kulturelle Vermittler Verbindungen zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen, Weltbildern und sozialen Netzwerken herstellten. Der Begriff „atlantische Welt“ bezeichnet dabei keinen homogenen Wirtschafts- und Kulturraum, den es in der Frühen Neuzeit sicherlich nicht gab, sondern eine Weltregion, in der sich Interaktions-, Austausch- und Transferprozesse zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert stetig verdichteten.29 Dem Phänomen kultureller Vermittler möchte ich mich im Folgenden über vier biographische Fallbeispiele annähern. Sie führen auf die auf die Halbinsel Yucatán, an das Kap der Guten Hoffnung, nach Surinam und in das Tal des Ohio-Flusses. Auf der Grundlage dieser Fallstudien stelle ich abschließend einige allgemeine Überlegungen zur vergleichenden Erforschung kultureller Vermittler im atlantischen Raum an.

II. FALLBEISPIELE Als ersten cultural broker möchte ich Gaspar Antonio Chi vorstellen, der um 1532 in Mani auf der heute zu Mexiko gehörenden Halbinsel Yucatán als Sohn eines Maya-Priesters und der Tochter eines lokalen Herrschers geboren wurde. 28 Daniel K. RICHTER, Cultural Brokers and Intercultural Politics: New York-Iroquois Relations, 1664–1701, in: Journal of American History 75 (1988), S. 40–67; siehe auch Nancy L. HAGEDORN, “A Friend To Go Between Them”: The Interpreter as Cultural Broker during Anglo-Iroquois Councils, 1740–1770, in: Ethnohistory 35 (1988), S. 60–80; DIES., Brokers of Understanding: Interpreters as Agents of Cultural Exchange in Colonial New York, in: New York History 76 (1995), S. 379–408; Mark HÄBERLEIN, Kulturelle Vermittler und interkulturelle Kommunikation im kolonialen Nordamerika, in: Johannes BURKHARDT/Christine WERKSTETTER (Hrsg.) Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte, N.F. 41), S. 335–355; Yanna YANNAKAKIS, The Art of Being In-Between: Native Intermediaries, Indian Identity, and Local Rule in Colonial Oaxaca, Durham (N.C.)/London 2008, S. 4–14. 29 Zum Konzept der atlantischen Geschichte vgl. Bernard BAILYN, The Idea of Atlantic History, in: Itinerario 20 (1996), S. 19–44; DERS., Atlantic History: Concept and Contours, Cambridge (Mass.)/London 2005; Wim KLOOSTER/Alfred PADULA (Hrsg.), The Atlantic World: Essays on Slavery, Migration, and Imagination, Upper Saddle River (N.J.) 2005; Alison GAMES, Atlantic History: Definitions, Challenges, and Opportunities, in: American Historical Review 111/3 (2006), S. 741–757.

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Chi stammte also aus dem indigenen Adel und brachte sein adeliges Selbstverständnis später in einem Stammbaum zum Ausdruck, der in seiner Mischung europäischer und mesoamerikanischer Stilelemente als einzigartiges Dokument indianischer Ikonographie gilt.30 Zum Zeitpunkt seiner Geburt war Yucatán den Spaniern bereits seit längerem bekannt, erwies sich jedoch als schwer zugänglich. Kolumbus begegnete auf seiner vierten Reise vor der Küste einem großen MayaKanu, und die Gefolgsleute des Francisco Hernández de Córdoba hatten hier 1517 zwei Indianer gekidnappt, um sie als Dolmetscher einzusetzen. Der Konquistador Francisco de Montejo und sein gleichnamiger Sohn, die die Halbinsel seit 1527 durchstreiften, mussten nach acht entbehrungsreichen Jahren wieder abziehen. Dass der jüngere Montejo die Maya auf Yucatán nach seiner Rückkehr im Jahre 1540 relativ rasch unterwerfen konnte, lag vor allem an der politischen Uneinigkeit der durch Epidemien und Dürrekatastrophen zusätzlich geschwächten Indianer. Während der Abwesenheit der Spanier hatten die Rivalitäten zwischen den Fraktionen der Xiu und der Cocom in einem Massaker an einer Gruppe von XiuFührern, die sich auf dem Weg zur Kultstätte Chichen Itzá befanden, seinen Höhepunkt erreicht. Diesem Massaker fiel auch Chis Vater zum Opfer. Mit Unterstützung der Xiu konnten die Spanier bis 1546 die gesamte Halbinsel unterwerfen und im folgenden Jahr eine größere Rebellion niederschlagen. Die spirituelle Eroberung Yucatáns indessen war das Werk der Franziskaner, die dort seit etwa 1540 missionierten. In ihren Schulen unterrichteten sie junge Angehörige der Maya-Oberschicht, die dann als Lehrer und Kapellmeister in indianischen Gemeinden zur Verbreitung des Christentums und der spanischen „Zivilisation“ beitragen sollten. Da die spanischsprachige Bevölkerung das ganze 16. Jahrhundert über eine verschwindende Minderheit blieb – in den 1580er Jahren wurden auf der Halbinsel gerade 400 spanische Haushalte gezählt – kam diesen indianischen Helfern eine entscheidende Multiplikatorenfunktion zu.31 Als gelehrigster Schüler der Franziskaner gilt Gaspar Antonio de Herrera Chi, der neben Maya, Nahuatl und Spanisch auch Latein beherrschte. Als er 1547 die Taufe empfing, fungierte Beatriz de Herrera, die Frau des Eroberers Francisco de Montejo, als Patin. Chi begann seine Vermittlertätigkeit als Dolmetscher der Franziskaner; er schrieb Predigten für sie und war ihnen bei der Abfassung von Grammatiken und Wörterbüchern behilflich. Seit 1557 ist er in den Diensten eines spanischen Richters nachweisbar, der Grenzkonflikte zwischen Maya-Gemeinden schlichtete. Spätestens seit 1561 arbeitete er eng mit dem Franziskaner Diego de Landa, dem energischsten und sprachmächtigsten der Missionare auf Yucatán, zu-

30 Frans BLOM, Gaspar Antonio Chi, Interpreter, in: American Anthropologist 30 (1928), S. 250–262, bes. S. 253–257; KARTTUNEN, Between Worlds, S. 89; Matthew RESTALL, Maya Conquistador, Boston 1998, S. 144–145, 147–148. 31 Inga CLENDINNEN, Ambivalent Conquests. Maya and Spaniard in Yucatan, 1517–1570, Cambridge 1987, S. 3–54; KARTTUNEN, Between Worlds, S. 84–92; BITTERLI, Entdeckung Amerikas, S. 229–231.

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sammen.32 Als offizieller Dolmetscher der Franziskaner war Chi im Sommer 1562 bei einer besonders berüchtigten Episode der spirituellen Eroberung Lateinamerikas zugegen: Nachdem in einer Höhle unweit von Chis Geburtsort Mani indianische Götterstatuen und menschliche Schädel entdeckt worden waren, begannen die örtlichen Franziskaner, die einen Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod eines missgestalteten Neugeborenen vermuteten, die verdächtigen Maya unter der Folter zu verhören. Unter der Führung Diego de Landas zogen die Verhöre, Folterungen und Bestrafungen immer weitere Kreise. Während der dreimonatigen Inquisition wurden rund 4.500 Indianer gefoltert; mehr als 150 starben während der Torturen oder an deren Folgen, und mindestens ein Dutzend begingen Selbstmord. Sämtliche Götterstatuen und heiligen Bücher der Maya, derer die Inquisitoren habhaft werden konnten, wurden zerstört. Gaspar Antonio Chi fiel unter anderem die Aufgabe zu, während eines feierlichen Autodafés am 12. Juli 1562 die Urteile gegen die „Götzendiener“ zu verkünden.33 Als kurz nach diesen Ereignissen der neu ernannte Bischof von Yucatán, Francisco de Toral, eintraf und sofort eine Untersuchung gegen Landa und die Franziskaner einleitete, wechselte Chi die Seiten und stellte Toral seine Dienste zur Verfügung. In Dokumenten, die er in dieser Zeit ausfertigte, bezeichnete er sich selbst als Notar, Übersetzer und Dolmetscher des Bischofs. Dieser Seitenwechsel war für Chi mit einem beträchtlichen persönlichen Risiko verbunden, da die Franziskaner über großen Einfluss verfügten, doch nach einem monatelangen Machtkampf räumte Landa das Feld und reiste zurück nach Spanien, wo er seine berühmt gewordene Relación de las cosas de Yucatán verfasste. In diesem landeskundlichen und ethnographischen Werk idealisierte er Yucatán und seine indianischen Bewohner, spielte die grausamen Verhöre des Jahres 1562 herunter und erwähnte Gaspar Antonio Chi, seinen mutmaßlich wichtigsten Informanten zur Geschichte, Religion und Kultur der Maya, mit keinem Wort.34 Der Dolmetscher lebte in den folgenden Jahren mit seiner Familie in dem Ort Tizimin im Nordosten der Halbinsel und wirkte dort als Lehrer und Organist; für kurze Zeit amtierte er auch als Gemeindevorsteher von Mani. Diego de Landa kehrte zwar 1573 als Bischof nach Yucatán zurück, doch während er bereits sechs Jahre später starb, überlebte Chi ihn um mehr als drei Jahrzehnte. Als die spanische Krone Fragebögen an die Encomenderos von Yucatán versandte, um Informationen über den Zustand der Provinz und die Geschichte ihrer Eroberung zu sammeln, war Chi zwischen 1579 und 1581 an der Erstellung von einem Dutzend Antworten beteiligt und verfasste auch einen eigenen Bericht. In diesen Texten charakterisiert er die Rechtsprechung der präkolonialen Maya als streng, aber ge32 KARTTUNEN, Between Worlds, S. 92–98; RESTALL, Maya Conquistador, S. 144; DERS., Gaspar Antonio Chi: Bridging the Conquest in Yucatán, in: Kenneth J. ANDRIEN (Hrsg.), The Human Tradition in Latin America, Wilmington (Del.) 2002, S. 6–21, hier bes. S. 16–19. 33 Ausführlich zu diesen Ereignissen: CLENDINNEN, Ambivalent Conquests, S. 72–92; zur Rolle Chis vgl. ebenda, S. 79; KARTTUNEN, Between Worlds, S. 100–102; RESTALL, Gaspar Antonio Chi, S. 13–16. 34 CLENDINNEN, Ambivalent Conquests, S. 93–126; KARTTUNEN, Between Worlds, S. 102–107; RESTALL, Maya Conquistador, S. 146.

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recht, erwähnt aber auch ihre politische Zersplitterung und beschreibt das Massaker der Cocom an den Xiu, dem sein Vater zum Opfer gefallen war. Außerdem sandte Chi 1580 eine Petition nach Spanien, in der er nicht ohne Übertreibung seine selbstlosen Dienste für die spanische Krone schilderte und die ihm eine jährliche Pension einbrachte. Die Zahlungen wurden zwar nach einigen Jahren eingestellt, doch Chi war in den 1590er Jahren mit weiteren Bittschriften erfolgreich. Im Jahr 1600 unterzeichnete er die Übersetzung eines Rechtsdokuments in die Maya-Sprache als „Dolmetscher des regierenden Königs“. Noch in seinem Todesjahr 1610 fungierte er als Übersetzer bei einem Gerichtsprozess gegen die Führer einer lokalen Maya-Rebellion.35 Die zweite Fallstudie führt an das Kap der Guten Hoffnung, wo die Niederländer im Jahre 1652 einen Stützpunkt zur Versorgung ihrer Ostindienflotten einrichteten. Geographisch befinden wir uns damit an der Schnittstelle zwischen Atlantik und Indischem Ozean, wirtschaftlich gesehen näher an Asien als an Amerika. Aus einer Perspektive, der es um die Interaktionen zwischen Europäern und lokalen afrikanischen Gesellschaften geht, scheint eine Berücksichtigung im atlantischen Kontext jedoch gerechtfertigt. Die indigene Bevölkerung im Umfeld der Kolonie gehörte zur Gruppe der Khoikhoi, die entweder als seminomadische Viehzüchter oder als Jäger, Sammler und Fischer lebten. Frühen europäischen Reisenden erschien ihre Lebensweise äußerst fremdartig und ihre Sprache völlig unverständlich. Ein deutscher Angestellter der niederländischen Ostindienkompanie, Sigmund Wurffbain, schrieb, sie „gurgeln und schnaltzen auf eine gantz besondere Weise mit dem Mund,“ und sein Landsmann Johann Jacob Merklein meinte 1653, sie „klucken mit ihrer Sprache bey nahe, wie die Indianischen Hühner“. Als Lieferanten von Vieh und Fleisch, die sie gegen Produkte wie Tabak, Kupfer und Glasperlen eintauschten, waren die Khoikhoi jedoch wichtige Handelspartner der Europäer am Kap. Seit dem frühen 17. Jahrhundert hatten sich Ostindienfahrer ihrer als Boten für Nachrichten an andere Schiffe bedient. Einige Khoikhoi waren sogar auf englischen und niederländischen Schiffen nach Ostindien oder nach Europa gelangt.36 Kurz nach der Gründung der Kapkolonie nahm ihr erster Kommandeur Jan van Riebeeck ein etwa zehn Jahre altes KhoikhoiMädchen namens Krotoa in seinen Haushalt auf, das mit der Taufe den christlichen Namen Eva erhielt. Eva wurde als Nichte des Khoikhoi Autshumato, den die Engländer Harry nannten, bezeichnet, und lebte zum Zeitpunkt der Ankunft der Niederländer möglicherweise bei ihm. Harry war 1631 auf einem englischen Schiff bis nach Java gereist und hatte für die Engländer auf einer Insel vor der südafrikanischen Küste eine Art Poststelle unterhalten. Eva teilte die interkulturelle Kompetenz ihres Onkels: Sie lernte Niederländisch und Portugiesisch, kleidete 35 KARTTUNEN, Between Worlds, S. 105–113; RESTALL, Maya Conquistador, S. 146–150; DERS., Gaspar Antonio Chi, S. 8–12. 36 Richard ELPHICK, Kraal and Castle: Khoikhoi and the Founding of White South Africa, New Haven/London 1977, S. 3–89; KARTTUNEN, Between Worlds, S. 248–249. Zitate bei Marília DOS SANTOS LOPES, Zwischen erzwungener Seßhaftigkeit und Vertreibung: Die Stellung der Khoikhoi in der Kapkolonie, Bamberg 1992 (Kleine Beiträge zur europäischen Überseegeschichte 15), S. 13.

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sich europäisch und wurde van Riebeecks Beraterin, Informantin und Dolmetscherin. Andererseits verließ sie zu Beginn ihrer Pubertät zeitweilig das niederländische Fort und kehrte in die Gemeinschaft der Khoikhoi zurück, um sich deren traditionellen Initiationsritualen zu unterziehen. Ob das in zahlreichen Quellenzeugnissen dokumentierte enge persönliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Kommandeur und der jungen Khoikhoi auch einen sexuellen Hintergrund hatte, ist in der Forschung umstritten.37 Im Laufe der Zeit nutzte Eva ihre Vermittlerrolle offenbar mehr und mehr dazu, die Niederländer aus eigener Initiative mit Informationen zu versorgen und Handelskontakte zu Gruppen im Landesinneren anzubahnen. Auf ihren Rat hin nahm van Riebeeck 1658 zwei Söhne eines lokalen Führers als Geiseln, um die Rückgabe entlaufener Sklaven zu erzwingen. Mit dieser Geiselnahme verschlechterte sich das Verhältnis zu den Khoikhoi, das bereits wegen der Anlage von Farmen im Umland der niederländischen Festung angespannt war, noch weiter. Einige Khoikhoi beschuldigten Eva nun des Verrats und lehnten jeglichen Kontakt mit ihr ab. Vor allem ein gewisser Doman, der früher selbst in Diensten der niederländischen Ostindienkompanie gestanden hatte und auf einem ihrer Schiffe nach Java gereist war, wandte sich nun entschieden gegen die Niederländer. Nach Beilegung der Geiselkrise lebte Eva zeitweilig mit ihrer Schwester, der Frau eines einflussreichen Führers, bei der Gruppe der Cochoqua, kehrte aber schon nach kurzer Zeit zu den Niederländern zurück und vermittelte fortan die Handelsbeziehungen zwischen beiden Gruppen. Als 1659 ein Aufstand einiger KhoikhoiGemeinschaften unter Führung Domans ausbrach, hofften die Niederländer auf die Unterstützung der Cochoqua, deren Ausbleiben offenbar auch das Vertrauen van Riebeecks in Eva erschütterte. Durch ihre aktive Teilnahme an den Friedensverhandlungen gewann sie allerdings ihre Vermittlerposition wieder und kehrte als Dolmetscherin in das Fort zurück.38 Im Jahr der Khoikhoi-Rebellion war auch ein aus Kopenhagen stammender Chirurg namens Pieter van Meerhoff in die Kapkolonie gekommen, und zwischen ihm und Eva entwickelte sich ein intimes Verhältnis, aus dem drei Kinder hervorgingen. 1664 wurde das Paar kirchlich getraut. Gestützt auf die Kontakte und Erfahrungen seiner Frau entfaltete van Meerhoff schon bald rege Handelsaktivitäten, knüpfte auf mehreren Expeditionen Beziehungen zur Gruppe der Namaqua an und stieg in den Reihen der Ostindienkompanie auf. Die von ihm und Eva genährten Hoffnungen auf ein Goldreich im Norden, das auf holländischen Karten des 17. Jahrhunderts eingezeichnet ist, erwiesen sich freilich als Chimäre. Als van Meerhoff 1666 auf einer Expedition nach Mauritius getötet wurde, war Eva unvermittelt völlig isoliert, denn ihre Verwandten hatten sich mittlerweile von ihr und den Niederländern entfremdet und Kommandeur van Riebeeck hatte die Kap37 Julia C. WELLS, Eva’s Men: Gender and Power in the Establishment of the Cape of Good Hope, 1652–1674, in: Journal of African History 39 (1998), S. 417–437, hier bes. S. 419– 423; ELPHICK, Kraal and Castle, S. 96, 106–107; David NORTHRUP, Africa’s Discovery of Europe, 1450–1850, New York/Oxford 2002, S. 60–61. 38 ELPHICK, Kraal and Castle, S. 107–108; WELLS, Eva’s Men, S. 423–429; KARTTUNEN, Between Worlds, S. 250–251.

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kolonie verlassen. Sein Nachfolger Zacharias Wagenaar betrachtete die Khoikhoi mit unverhohlener Verachtung. Eva griff zur Flasche, wurde wiederholt wegen Trunkenheit, Prostitution und Erregung öffentlichen Ärgernisses auf Robben Island inhaftiert und starb 1674 marginalisiert und verachtet im Alter von etwa 32 Jahren.39 Ihr persönlicher Abstieg und die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Niederländern und den Khoikhoi gingen Hand in Hand: Kurz vor ihrem Tod war ein neuerlicher Krieg ausgebrochen, an dessen Ende sich die Khoikhoi der Kontrolle der niederländischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit unterstellen mussten. Bis zum Ende des Jahrhunderts waren sie weitgehend in wirtschaftliche, soziale und rechtliche Abhängigkeit von den Europäern geraten.40 Das dritte Fallbeispiel führt wieder auf die andere Seite des Atlantiks, in die niederländische Plantagenkolonie Surinam. Im Jahre 1796 veröffentlichte der Engländer John Gabriel Stedman in London einen Bericht über die Erfahrungen, die er während eines Aufenthalts in der südamerikanischen Kolonie in den Jahren 1772 bis 1777 gesammelt hatte. Stedman hatte dort an einer Militärexpedition gegen die so genannten Maroons teilgenommen – entlaufene Sklaven, die im unzugänglichen Landesinneren nach eigenen Gesetzen lebten und aus Sicht der europäischen Plantagenbesitzer eine ständige Bedrohung ihrer Sicherheit darstellten.41 In Paramaribo traf er mit einem Mann zusammen, den er „the celebrated Graman Quacy“ nennt und als „one of the most extraordinary characters of all the negroes in Surinam, or perhaps in the world“ bezeichnet. Graman Quacy zeigte Stedman den Mantel und die Goldmedaille, die er in Holland vom Prinzen von Oranien als Geschenk erhalten hatte. „This African (for he was born on the coast of Guinea),“ schreibt Stedman, „by his insinuating temper and industry, not only obtained his freedom from a state of slavery, but by his wonderful ingenuity and artful conduct found the means of procuring a very competent subsistence.“ Graman Quacy genoss Stedman zufolge unter den Sklaven den Ruf eines Zauberers und wurde regelmäßig von Plantagenverwaltern zur Aufdeckung von Verbrechen herangezogen, weil die Sklaven seine magischen Kräfte und seinen durchdringenden Blick fürchteten. Für diese Dienste strich er ansehnliche Belohnungen ein; zusätzliche Profite machte er durch den Verkauf magischer Amulette an die freien Schwarzen in der Miliz, die ihn wie eine Gottheit bewunderten. Obwohl Stedman die von Quacy angefertigten Amulette für reinen Humbug hielt, habe er der Kolonie dennoch einen großen Dienst damit erwiesen, weil sie den Soldaten jegliche Furcht nahmen. Damit nicht genug, hatte Graman Quacy Stedman zufolge bereits um 1730 eine Wurzel entdeckt, die in vielen Teilen der Welt als Heilmittel gegen Magenbeschwerden geschätzt werde. Der berühmte Botaniker Carl von Linné wurde 1761 auf die Pflanze aufmerksam und verfasste einen Traktat darüber. Quacy hätte mit dem Heilmittel nach Stedmans Ansicht ein riesiges Vermögen 39 ELPHICK, Kraal and Castle, S. 201–203; WELLS, Eva’s Men, S. 430–437; NORTHRUP, Africa’s Discovery, S. 64. 40 ELPHICK, Kraal and Castle, S. 130–134, 149; DOS SANTOS LOPES, Seßhaftigkeit und Vertreibung, S. 9–12, 25. 41 Vgl. den Überblick bei Cornelis Ch. GOSLINGA, The Dutch in the Caribbean and in the Guianas, 1680–1791, Assen/Maastricht 1985, S. 375–415.

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machen können, wenn Krankheit, Alter und „natürliche Trägheit“ ihn nicht daran gehindert hätten. Dennoch war Stedman von dem Mann so beeindruckt, dass er ihn zeichnete. William Blake stach sein Porträt für die Buchausgabe in Kupfer.42 Anderen Quellen ist zu entnehmen, dass der um 1690 geborene Quacy, der offenbar als Kind auf einem Sklavenschiff nach Südamerika transportiert wurde, unter Indianern, schwarzen Sklaven und europäischen Kolonisten gleichermaßen als Heiler geschätzt und verehrt wurde. Vor allem aber fungierte er über vier Jahrzehnte lang als wichtigster Mittelsmann zwischen der Kolonie und den MaroonGemeinden im Dschungel. Schon um 1730 scheint er als Kundschafter für die Kolonialregierung tätig gewesen zu sein, und 1744 kaufte ihn der amtierende Gouverneur Mauricius, um ihn als Führer bei mineralogischen Erkundungen und Sklavenjagden einzusetzen. Außerdem sollte Quacy den jüngsten Sohn des Gouverneurs in den Sprachen der afrikanischen Kreolen sowie der Aruaks und Kariben unterrichten, die er fließend beherrschte. Seit 1747 führte er mehrere Militärexpeditionen an den Oberlauf des Saramaka-Flusses und fungierte als Unterhändler zwischen den Niederländern und Gemeinden freier Schwarzer, bei denen es um die Einhaltung des Friedens sowie um die Rückgabe entlaufener Sklaven ging. Im Jahre 1755 erhielt er dafür die Freiheit, und die Belohnungen, die er für seine Dienste sowie für seine Tätigkeit als Heiler kassierte, ermöglichten ihm den Erwerb einer eigenen Plantage. Einem Missionar der Herrnhuter Brüdergemeine zufolge soll er einige Kariben durch Prophezeiungen eines nahen Weltendes dazu gebracht haben, umsonst für ihn zu arbeiten, da nur seine Plantage von der kommenden Sintflut verschont bleiben würde. Durch seine langjährige Tätigkeit als Dolmetscher, Kundschafter und Berater der niederländischen Truppen erwarb er sich die Dankbarkeit der Kolonialregierung, die ihn 1776 nach Holland schickte, wo er – wie auch Stedman erwähnt – vom Prinzen von Oranien empfangen und fürstlich beschenkt wurde.43

42 John Gabriel STEDMAN, Narrative of a five-years’ expedition against the Revolted Negroes of Surinam, in Guiana, on the Wild Coast of South America, from the year 1772, to 1777 […], 2 Bde., 2. Aufl. London 1813, hier Bd. 2, S. 359–361 (Zitat S. 359). Das Porträt findet sich auch bei Allison BLAKELY, Blacks in the Dutch World: The Evolution of Racial Imagery in a Modern Society, Bloomington/Indianapolis 1993, S. 255. – Londa Schiebinger zufolge ist Graman Quacy der einzige freigelassene Sklave des 18. Jahrhunderts, dessen Name Eingang in die botanische Nomenklatur gefunden hat. Sie bezweifelt allerdings, dass er die nach ihm benannte heilkräftige Wurzel tatsächlich „entdeckt“ hat. Tatsächlich dürfte er das Wissen darüber von surinamesischen Indianern erlangt und es dann an den Linné-Schüler Daniel Rolander verkauft haben, der das Heilmittel 1756 nach Europa brachte. „At best,“ so Schiebinger, „Quassi served as a middle man, the individual who brought a widely used remedy to the attention of learned Europeans.“ Londa SCHIEBINGER, Plants and Empire: Colonial Bioprospecting in the Atlantic World, Cambridge (Mass.)/London 2004, S. 211–214 (Zitat S. 213), 217. 43 Richard PRICE, Kwasimukamba’s Gambit, in: Bijdragen tot de taal-, land- en volkenkunde 135 (1979), S. 151–169, hier bes. 151–157. Vgl. auch BLAKELY, Blacks in the Dutch World, S. 253–254.

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Abb: 1: The Celebrated Graman Quacy (John Gabriel STEDMAN, Narrative of a five-years’ expedition against the Revolted Negroes of Surinam, in Guiana, on the Wild Coast of South America, from the year 1772, to 1777 […], 2 Bde., 2. Aufl. London 1813, Frontispiz zu Bd. 2).

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Was Graman Quacys Fall besonders faszinierend macht, ist die Tatsache, dass er nicht nur in europäischen Schriftzeugnissen erscheint, sondern – unter dem Namen Kwasímukámba – auch in den oralen Traditionen der Nachfahren der afro-amerikanischen Maroons am Saramaka-Fluss. So konnte der Anthropologe Richard Price, der diese mündliche Überlieferung aufgezeichnet hat, ein hohes Maß an Übereinstimmung niederländischer und afro-surinamesischer Berichte über eine Militärexpedition im Jahre 1755 feststellen. Beiden Quellengattungen zufolge hatte Quacy ein ganzes Jahr bei den Saramaka-Maroons verbracht und das Vertrauen ihrer Führer erworben; während er den niederländischen Quellen zufolge jedoch entführt wurde, überliefern die Nachfahren der Saramakas, er sei freiwillig zu ihnen gekommen. Auf jeden Fall kehrte er in das niederländische Herrschaftsgebiet zurück und bot den Holländern an, sie zu den Siedlungsplätzen der Maroons zu führen. Die Kolonialregierung schickte eine 500 Mann starke Truppe los, die mehrere Siedlungen im Dschungel zerstörte, aber auch selbst einige Verluste aufgrund von Krankheiten und Kampfhandlungen erlitt. Verhandlungen mit den Maroons scheiterten, weil diese auf der Herausgabe Quacys bestanden. Nach der Rückkehr erhielt Quacy von den Niederländern die Freiheit, doch in der Tradition der Maroons galt er seitdem geradezu als Inbegriff des Verräters.44 Zum Abschluss dieser Fallstudien noch ein Blick nach Nordamerika, genauer: an die Siedlungsgrenze der Kolonien New York und Pennsylvania um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges war dieser Raum sowohl von der imperialen Rivalität zwischen den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich als auch von lokalen Konflikten zwischen den nach Westen vorrückenden weißen Siedlern und indianischen Gruppen geprägt. Die Indianer im Ohiotal, die von den englischen Kolonisten zurückgedrängt worden waren, hatten sich mit den Franzosen verbündet, während die fünf Nationen der Irokesen, deren Stammland im Nordwesten des heutigen Staates New York lag, aus ihrer geographischen und machtpolitischen Mittelposition zwischen den Kolonien und den indianischen Gemeinschaften des Ohiotals Kapital zu schlagen versuchten.45 Seit Ende des 17. Jahrhunderts hatten New York und Pennsylvania enge diplomatische Beziehungen zu den Irokesen unterhalten und eine ganze Reihe von Dolmetschern für ihre Verhandlungen mit den Indianern rekrutiert.46 Nach 1740 war Andrew Montour einer der wichtigsten dieser Vermittler. 44 PRICE, Kwasimukamba’s Gambit, S. 157–166; BLAKELY, Blacks in the Dutch World, S. 254– 256. 45 Vgl. Francis JENNINGS, Empire of Fortune: Crowns, Colonies, and Tribes in the Seven Years War in America, New York 1988; Michael N. MCCONNELL, A Country Between: The Upper Ohio Valley and Its Peoples, 1724–1774, Lincoln (Neb.) 1992; Eric HINDERAKER, Elusive Empires: Constructing Colonialism in the Ohio Valley, 1673–1800, Cambridge 1997; Jane T. MERRITT, At the Crossroads: Indians and Empires on a Mid-Atlantic Frontier, Chapel Hill/London 2003, S. 76–86, 169–197, 243–261; zusammenfassend Hermann WELLENREUTHER, Ausbildung und Neubildung. Die Geschichte Nordamerikas vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Amerikanischen Revolution 1775, Hamburg 2001, S. 265–298, 351–365. 46 RICHTER, Cultural Brokers; HAGEDORN, Brokers of Understanding.

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Montour war der Sohn eines Oneida-Häuptlings und einer Frau, die in den Quellen stets als „Madame Montour“ bezeichnet wird. Sie war ihrerseits die Tochter eines französischen Händlers und einer Indianerin und diente der Kolonie New York zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Dolmetscherin bei Verhandlungen mit den Irokesen. Andrew wuchs zunächst bei den Oneidas, einer der Gruppen des Irokesenbundes, dann unter den Delaware und Shawnee in Pennsylvania auf. In diesem multiethnischen Umfeld lernte er Französisch, Englisch und mehrere indianische Sprachen. Um 1740 erregten seine sprachlichen Fähigkeiten die Aufmerksamkeit des Indianeragenten der Kolonie Pennsylvania, Conrad Weiser. Der aus Württemberg stammende Weiser, der im Jahre 1710 mit seiner Familie nach New York ausgewandert war, hatte als Jugendlicher einige Jahre bei den Mohawk verbracht. Er sprach zwar Deutsch, Englisch und Mohawk, aber weder Französisch noch Algonkin-Sprachen, und daher erwies sich Montour als ideale Ergänzung. 1742 begleitete Montour den Führer der Herrnhuter Brüdergemeine, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, auf dessen Reise zu den Irokesen. Um die Jahrhundertmitte war er bereits ein unverzichtbarer Mittler zwischen Pennsylvania und den Indianern des Ohiogebiets, da er nicht nur die relevanten Sprachen beherrschte, sondern auch in der Rhetorik, den Zeremonien und Ritualen indianischer Diplomatie bewandert war. Die Irokesen des Ohiotals nahmen ihn 1752 in ihre Ratsversammlung auf, so dass er bei interkulturellen Verhandlungen mitunter in einer Doppelrolle als Übersetzer der Kolonialregierungen und als Sprecher der Indianer auftrat. Während des Siebenjährigen Krieges führte er Gruppen indianischer Krieger und Scouts bei mehreren Militärexpeditionen und arbeitete für den britischen Indianeragenten Sir William Johnson. Durch seine Heiraten mit der Enkeltochter eines Delaware-Häuptlings und später mit einer Oneida-Frau stärkte Montour seine indianischen Beziehungsnetze. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges wurden kulturelle Grenzgänger wie Andrew Montour allerdings nicht mehr gebraucht. Die Kolonialbeamten kürzten sein Gehalt und schickten ihn 1766 nach Fort Pitt, wo er nur noch mit Routineangelegenheiten befasst war. Seine letzten Lebensjahre waren von Alkoholexzessen, Ehe- und Geldproblemen überschattet. Die Quellen deuten darauf hin, dass Montour mit dem Verlust an Prestige wie überhaupt mit seiner hybriden Identität an der Schnittstelle zwischen indianischer und weißer Kultur nicht zurechtkam. 1772 wurde er von einem Seneca-Indianer, der bei ihm zu Gast war, getötet.47

47 Nancy L. HAGEDORN, “Faithful, Knowing, and Prudent”: Andrew Montour as Interpreter and Cultural Broker, 1740–1770, in: SZASZ (Hrsg.), Between Indian and White Worlds, S. 44–60; James H. MERRELL, “The Cast of his Countenance”: Reading Andrew Montour, in: Ronald HOFFMAN u.a. (Hrsg.), Through a Glass Darkly: Reflections on Personal Identity in Early America, Chapel Hill 1997, S. 13–39; DERS., Into the American Woods: Negotiators on the Pennsylvania Frontier, New York 1999, S. 54–55, 75–77, 101.

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III. SYSTEMATISCHE ÜBERLEGUNGEN Was verraten uns diese vier Lebensläufe über soziale Herkunft, Aktivitäten, Stellung und Probleme kultureller Vermittler in der atlantischen Welt? Als Beitrag zu einer Typologie solcher kultureller Grenzgänger möchte ich abschließend einige systematische Überlegungen anstellen, die sich analog zu den Fallbeispielen um vier Problemkreise gruppieren lassen: Akkulturation und Schriftlichkeit; Geschlechterrollen; ethnische Zuschreibungen; Macht und Manipulation. Gaspar Antonio Chi repräsentiert den Typus des Außereuropäers, der sich weitgehend an die europäische (in seinem Fall die spanische) Kultur anpasste, durch Verwandtschafts- und Sozialbeziehungen aber gleichzeitig fest in seine eigene Kultur eingebunden blieb.48 Christianisierte Indianer und Afrikaner, die eine europäische Schulbildung erhalten hatten, die Sprache der Europäer sprechen und schreiben konnten und sich ihrer Lebensweise anpassten, ohne deswegen ihre Identität und ihre Sozialbeziehungen aufzugeben, spielten sowohl im kolonialen Latein- und Nordamerika als auch an der afrikanischen Westküste eine große Rolle. Für eine mexikanische Region, die Sierra Norte der Provinz Oaxaca, hat Yanna Yannakakis vor kurzem die Bedeutung indigener Vermittler zwischen der spanischen Kolonialbürokratie und lokalen indianischen Gemeinschaften im späten 17. und 18. Jahrhundert herausgearbeitet. Diese Vermittler beherrschten die spanische Sprache in der Regel in Wort und Schrift, verfügten über Rechtskenntnisse und politischen Einfluss, kleideten sich nach spanischer Manier und bemühten sich um das Indianern im allgemeinen verwehrte Privileg, Waffen tragen und Pferde reiten zu dürfen. Obwohl die Spanier diese bikulturellen Vermittler, die als Indios ladinos bezeichnet wurden, oft mit Misstrauen betrachteten, waren ihre Fähigkeiten an der Peripherie des spanischen Herrschaftsbereichs unverzichtbar.49 Im Westafrika dominierten afrikanische bzw. euro-afrikanische Händler, Dolmetscher und Übersetzer zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert die sprachlich-kulturellen Verständigungsprozesse. Sie lernten europäische Sprachen entweder vor Ort in den Niederlassungen der Europäer oder in Europa selbst, wohin sie zunächst meist unfreiwillig, dann aber zunehmend auf eigene Initiative hin von Handelsschiffen gebracht wurden.50 Euro-Afrikaner – in der Regel Nachfahren europäischer Männer und afrikanischer Frauen – stellten zwar nur eine Minderheit der Einwohner der Küstenorte, die um die Festungen der europäischen Sklavenhändler herum entstanden, doch konnten sie sich aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit und ihrer Vertrautheit mit kommerziellen Praktiken, kulturellen Konventionen, rechtlichen Normen und diplomatischen Gebräuchen als wichtige Vermittler zwischen afrikanischen und europäischen Händlern etablieren. Die Kreolsprache dieser Euro-Afrikaner, das fala de Guiné oder fala de Negros, entwickelte sich zu einer wichtigen Verkehrssprache im atlantischen Raum. Ira Ber48 RESTALL, Maya Conquistador, S. 147. 49 YANNAKAKIS, The Art of Being In-Between, S. 35–56, 108–112, 172–178 und passim. 50 NORTHRUP, Africa’s Discovery, S. 59–63, 145–148. Vgl. auch den Beitrag von Beatrix Heintze in diesem Band.

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lin hat für diese liminale Bevölkerungsgruppe den Begriff „Atlantic Creoles“ vorgeschlagen und sieht in ihr eine „Gründergeneration“ der afro-amerikanischen Gemeinschaften, die sich im 17. und frühen 18. Jahrhundert in nordamerikanischen Kolonien wie Nieuw Nederland (dem späteren New York), Virginia, Louisiana und Florida entwickelten. In den ethnisch und kulturell ausgesprochen heterogenen frühen Kolonialgesellschaften konnten die „atlantischen Kreolen“ Berlin zufolge mitunter vergleichbare Vermittlerfunktionen zwischen Gemeinden und Gruppen übernehmen wie in den afrikanischen Küstenorten.51 Im nordamerikanischen Kontext weist der Lebenslauf des WampanoagIndianers John Sassamon, der im 17. Jahrhundert in Neuengland lebte, zahlreiche Parallelen zu demjenigen Gaspar Antonio Chis auf. Wie Chi war Sassamon nach dem frühen Tod seiner Eltern von Europäern aufgezogen und im Lesen und Schreiben unterrichtet worden; für kurze Zeit studierte er am Harvard-College. Wie Chi arbeitete er eng mit einem christlichen Missionar – dem Puritaner John Eliot – zusammen und half diesem bei der Übertragung der Bibel und anderer religiöser Texte in eine Algonkin-Sprache. Wie im Falle Chis und Diego de Landas kam es auch zwischen Sassamon und seinem Mentor John Eliot zum Bruch, und Sassamon suchte in der Folgezeit wieder Anschluss an seine indianischen Verwandten. Doch anders als Chi, der die Machtkämpfe auf Yucatán überlebte und ein hohes Alter erreichte, geriet Sassamon zwischen die Fronten des eskalierenden Konflikts zwischen den Neuengland-Kolonien und den Wampanoags. Seine mutmaßliche Ermordung im Jahre 1675 und der darauf folgende Prozess gegen drei Indianer bildeten den unmittelbaren Anlass für King Philip’s War, einen der blutigsten Indianerkriege der nordamerikanischen Kolonialgeschichte.52 Der Einfluss, den Männer wie Chi und Sassamon zeitweilig erlangten, gründete nicht zuletzt auf ihrer Beherrschung der Schrift. Durch ihre Fähigkeit zu schreiben wuchsen sie über die Rolle bloßer Dolmetscher hinaus und qualifizierten sich als Notare, Übersetzer von Dokumenten und unentbehrliche Mitarbeiter bei den philologischen Studien der Missionare.53 Manche schriftkundigen Indianer und Afrikaner wurden selbst Missionare: Der Mohegan Samson Occom (1723–1792) beispielsweise wurde nach Schulunterricht bei dem kongregationalistischen Geistlichen Eleazar Wheelock im Jahre 1759 als presbyterianischer Geistlicher ordiniert. Er wirkte als Prediger und Schulmeister in indianischen 51 Ira BERLIN, From Creole to African: Atlantic Creoles and the Origins of African-American Society in Mainland North America, in: William and Mary Quarterly, Third Series 53 (1996), S. 251–288; DERS., Generations of Captivity: A History of African-American Slaves, Cambridge (Mass.)/London 2003, S. 23–49; Linda M. HEYWOOD/John K. THORNTON, Central Africans, Atlantic Creoles, and the Foundation of the Americas, 1585–1660, Cambridge u.a. 2007. 52 Zu Sassamons Vita siehe Philip RANLET, Another Look at the Causes of King Philip's War, in: New England Quarterly 61 (1988), S. 79–100, bes. S. 86–87, 91–97; Jill LEPORE, The Name of War: King Philip’s War and the Origins of American Identity, New York 1998, S. 23–26, 28–44; Yasuhide KAWASHIMA, Igniting King Philip’s War: The John Sassamon Murder Trial, Lawrence (Ks.) 2001, S. 76–87. 53 MERRELL, Into the American Woods, S. 193–197; Hilary E. WYSS, Writing Indians: Literacy, Christianity, and Native Community in Early America, Amherst (Mass.) 2000.

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Gemeinden, unternahm Missionsreisen zu den Irokesen, predigte aber auch in den Kirchen der englischen Kolonisten. Von 1766 bis 1768 reiste er durch England und Schottland, hielt dort mehrere hundert Predigten und sammelte erfolgreich Geld für eine Schulgründung seines Mentors Wheelock (das heutige Dartmouth College).54 Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass alphabetisierte Indianer wie Gaspar Antonio Chi und John Sassamon einen prekären Balanceakt zwischen der Anpassung an die Kolonisatoren auf der einen und der Bewahrung indigener Traditionen auf der anderen Seite vollzogen.55 Nicht zuletzt machte ihre Alphabetisierung in Verbindung mit ihrer Assimilation an christlich-europäische Lebensformen diese Vermittler in den Augen traditionalistischer Indianer verdächtig: nicht selten galten sie als Spione, Informanten und Erfüllungsgehilfen der Kolonisten und Missionare. Ähnlich erging es umgekehrt den französischen Waldläufern in Kanada und den portugiesischen Händlern in Westafrika, die sich in den Augen vieler Zeitgenossen soweit assimiliert hatten, dass sie zu „kulturellen Überläufern“ geworden waren.56 Die Tatsache, dass mit Malintzin zur Zeit der Eroberung Mexikos sowie mit Eva in den Anfangsjahren der Kapkolonie Frauen als Vermittlerinnen in Erscheinung traten, wirft die Frage nach Geschlechterrollen in interkulturellen Kontaktsituationen auf. Obwohl männliche cultural brokers zweifellos in der Mehrzahl waren und es nicht nur auf europäischer, sondern auch auf indianischer Seite Vorbehalte gegen das Sprechen von Frauen bei öffentlichen Anlässen gab, waren Malintzin und Eva keine Einzelfälle. Im Brasilien des 16. Jahrhunderts etwa fungierten indianische Frauen wiederholt als Dolmetscherinnen und Übersetzerinnen.57 Auch aus Nordamerika sind eine Reihe europäisch-indianischer Vermittlerinnen bekannt: Um 1700 fungierte die aus einer niederländisch-indianischen Beziehung 54 Harold BLODGETT, Samson Occom, Hanover (N.H.) 1935; Leon Burr RICHARDSON, An Indian Preacher in England, Hanover (N.H.) 1938; Margaret Connell SZASZ, Indian Education in the American Colonies, 1607–1783, Albuquerque 1988, S. 192–200, 235, 239–240, 253– 257; DIES., Samson Occom: Mohegan as Spiritual Intermediary, in: DIES. (Hrsg.), Between Indian and White Worlds, S. 61–78; Alden T. VAUGHAN, Transatlantic Encounters: American Indians in Britain, 1500–1776, Cambridge u.a. 2006, S. 190–210. 55 Darauf haben mehrere literatur- und kulturwissenschaftliche sowie ethnohistorische Studien hingewiesen, die sich mit alphabetisierten Indianern und ihren Schriften befasst haben. Vgl. beispielsweise Enrique FLORESCANO, La reconstrucción histórica elaborada por la nobleza indigena y sus descendientes mestizos, in: La memoria y el olvido. Segundo Simposio de Historia de las Mentalidades, Mexiko-Stadt 1985, S. 11–20; Rolena ADORNO, Guaman Poma: Writing and Resistance in Colonial Perú, Austin 1986; David MURRAY, Forked Tongues: Speech, Writing, and Representation in North American Indian Texts, Bloomington (Ind.) 1991; MIGNOLO, Colonization, S. 323–329; Alan TAYLOR, Captain Hendrick Aupaumut: The Dilemmas of an Intercultural Broker, in: Ethnohistory 43 (1996), S. 431–457; José Antonio MAZZOTTI, Continuity vs. Acculturation: Aztec and Inca Cases of Alphabetic Literacy, in: GRAY/FIERING (Hrsg.), Language Encounter, S. 155–172; WYSS, Writing Indians, passim; sowie die Beiträge in Ethnohistory 57/1 (2010) zum Themenkomplex “Graphic Pluralism: Native Systems of Inscription and the Colonial Situation”. 56 Vgl. Marin TRENK, Die weißen Indianer Kanadas. Zur Geschichte der “François Sauvages”, in: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 1 (2001), S. 61–86. 57 METCALF, Go-betweens, S. 1, 85–86, 100, 270–271.

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hervorgegangene Hilletie van Olinda als Dolmetscherin zwischen den Pelzhändlern New Yorks und den Irokesen,58 und um die Mitte des Jahrhunderts vermittelte Mary Musgrove, die der Verbindung eines britischen Händlers mit einer CreekIndianerin entstammte und nacheinander mit mehreren Europäern verheiratet war, zwischen den Creeks und den Kolonien Georgia und South Carolina. Musgrove wurde 1732 vom Leiter der neu gegründeten Kolonie Georgia, General James Oglethorpe, ein festes Jahresgehalt für ihre Dolmetscherdienste zugesagt, und obwohl ihr dieses nach langen Auseinandersetzungen erst 1759 ausbezahlt wurde, konnte sie als Händlerin, Viehzüchterin, Plantagenbesitzerin und Landspekulantin ein beträchtliches Vermögen akkumulieren. Auch der lutherische Geistliche Johann Martin Boltzius, Pastor der Salzburger Exulanten-Gemeinde Ebenezer am Savannah-Fluss, und John Wesley, der zeitweilig in Georgia tätige Begründer des Methodismus, nahmen ihre sprachlichen Fähigkeiten in Anspruch. Gleichzeitig genoss sie in der Gesellschaft der Creek-Indianer hohes Prestige.59 Wie erwähnt war auch Andrew Montours Mutter als Dolmetscherin tätig. Die Bedeutung von Frauen als cultural brokers ergibt sich zum einen daraus, dass die – teilweise durch Heiraten formalisierten – sexuellen Beziehungen zwischen europäischen Männern und indianischen Frauen Brücken zwischen kulturspezifischen sozialen Netzwerken schlugen. Zum anderen spielten Frauen in interkulturellen Handelsbeziehungen stets eine wichtige Rolle; bei mobilen Gruppen wie den Pelzhändlern Nordamerikas waren sie es, die Haushalt und Handelsposten während der Abwesenheit ihrer Männer führten und in ihren Familien als primäre Vermittlerinnen von Sprachkenntnissen und kulturellen Traditionen fungierten.60 Eine besonders prominente Rolle spielten die so genannten nharas, Nachfahrinnen von portugiesischen lançados und Afrikanerinnen, als Vermittlerinnen im Westafrikahandel. Diese luso-afrikanischen Frauen waren aufgrund ihrer Verwandtschaftsnetze, ihrer Beherrschung des als lingua franca fungierenden Crioulo, ihrer selektiven Anpassung an europäische Lebensformen und möglicherweise auch ihrer meist helleren Hautfarbe für europäische Händler und Offiziere besonders attraktiv. Da viele Europäer in Westafrika an Tropenkrankheiten erkrankten und früh starben, waren auch ihre geschäftlichen und heilkundigen Fähigkeiten sehr gefragt. Einige nharas unternahmen selbst Handelsreisen ins Landesinnere, besaßen eigene Schiffe, geräumige Häuser und Dutzende von Angestellten und Sklaven. Europäische Beobachter schildern ihr Auftreten als überaus selbstbewusst und ihren Lebensstil als luxuriös und manchmal extravagant. Analog zu

58 RICHTER, Cultural Brokers, S. 52–53; HAGEDORN, Brokers of Understanding, S. 381–386. 59 Michael P. MORRIS, The Bringing of Wonder: Trade and the Indians of the Southeast, 1700– 1783, Westport (Conn.)/London 1999, S. 39–69; WELLENREUTHER, Ausbildung, S. 378–379. 60 Vgl. HAGEDORN, Brokers of Understanding, S. 388; Jane T. MERRITT, Metaphor, Meaning, and Misunderstanding: Language and Power on the Pennsylvania Frontier, in: Andrew CAYTON/Fredrika J. TEUTE (Hrsg.), Contact Points: American Frontiers from the Mohawk Valley to the Mississippi, 1750–1830, Chapel Hill/London 1998, S. 60–87, hier S. 64–66; DIES., At the Crossroads, S. 63–64, 74–75.

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diesen Luso-Afrikanerinnen bildete sich im 18. Jahrhundert an der Senegalküste auch eine Schicht einflussreicher Franko-Afrikanerinnen, der sog. signares.61 Im Falle Andrew Montours begegneten wir einem Vermittler, dessen Ethnizität unterschiedlich wahrgenommen wurde. Während Gesichtszüge, Kleidung und Umgangsformen von Beobachtern als „europäisch“ beschrieben werden, erschienen sein Schmuck und seine Gesichtsbemalung „indianisch“. In Berichten über Vertrags- und Bündnisverhandlungen wird er bisweilen als Indianer, bisweilen als Weißer geführt. Montours kulturelle Hybridität lag nicht allein in seiner „gemischten“ europäisch-indianischen Herkunft begründet, sondern wurde offenbar bewusst von ihm kultiviert. Diese Hybridität verlieh ihm nach Ansicht des Historikers James Merrell einen enigmatischen, „unlesbaren“ Charakter.62 Wie Montour passten sich auch andere cultural brokers gezielt der jeweiligen Umgebung an und schlüpften in verschiedene Rollen. Die Khoikhoi Eva, die in der Festung am Kap europäische Kleidung trug, streifte sich Tierhäute über, wenn sie dieses Umfeld verließ. Auch der Sklavenhändler Domingos Fernandes Nobre, der als Sohn eines Portugiesen und einer brasilianischen Indianerin zur Gruppe der so genannten mamelucos gehörte, wechselte im späten 16. Jahrhundert ständig die Rollen: In der portugiesischen Siedlung Bahia lebte er wie ein Europäer und war mit einer Portugiesin verheiratet; bei seinen Sklavenhandelsexpeditionen hingegen, die er seit 1572 in der unzugänglichen Wildnis des brasilianischen sertão durchführte, nahm er an indianischen Zeremonien teil, ließ sich tätowieren, lebte mit indianischen Frauen zusammen und nahm einen indianischen Namen (Tomacaúna) an. Die Historikerin Alida Metcalf hat Nobre als „chameleon in the wilderness“ charakterisiert. Wegen seiner Partizipation an religiösen Riten der Santidade de Jaguaripe, einer synkretistischen, millenaristischen Sekte, die zahlreiche Anhänger unter den Indianern, Schwarzen und mamelucos im Hinterland der portugiesischen Kolonie fand, geriet er 1592 ins Visier der portugiesischen Inquisition.63 William B. Hart, der in einer Untersuchung zu schwarzen Grenzgängern an der New Yorker Frontier ebenfalls auf wechselnde ethnische Zuschreibungen in den Quellen gestoßen ist, hat vorgeschlagen, in solchen Fällen den anthropologischen Terminus der „situativen Ethnizität“ zu verwenden.64 Das Beispiel Graman Quacys bzw. Kwasímukámbas schließlich, der in Surinam vom Sklaven zum wohlhabenden Plantagenbesitzer und zur internationalen Berühmtheit aufstieg, wirft in besonderer Weise Fragen nach der Macht kulturel61 BROOKS, Eurafricans in Western Africa, S. 124–129, 131–132, 134, 206–221. 62 MERRELL, “The Cast of his Countenance”. 63 Alida C. METCALF, Domingos Fernandes Nobre: “Tomacauna”, a Go-Between in SixteenthCentury Brazil, in: ANDRIEN (Hrsg.), Human Tradition in Latin America, S. 51–62; DIES., Go-betweens, S. 184–188, 216–220, 226, 237, 241, 248–249, 258–266 (Zitat S. 249). 64 William B. HART, Black “Go-Betweens” and the Mutability of “Race,” Status and Ethnicity on New York’s Pre-Revolutionary Frontier, in: CAYTON/TEUTE (Hrsg.), Contact Points, S. 88–113, hier bes. S. 92, 112. Im Kontext aktueller Debatten um afro-amerikanische Identitäten in der atlantischen Welt plädiert auch James H. Sweet für einen flexiblen, situations- und kontextspezifischen Identitätsbegriff. Vgl. James H. SWEET, Mistaken Identities? Olaudah Equiano, Domingos Álvares, and the Methodological Challenges of Studying the African Diaspora, in: American Historical Review 114/2 (2009), S. 279–306.

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ler Vermittler, aber auch nach ihren Manipulationsmöglichkeiten auf. Sein Aufstieg beruhte gleichermaßen auf medizinischen, sprachlichen und geographischen Kenntnissen wie auf magischen Praktiken und Einschüchterungstaktiken. Zahlreiche Quellen offenbaren ein tiefes Misstrauen gegenüber solchen Personen, die für die Anknüpfung und Pflege interkultureller Beziehungen zwar unentbehrlich waren, aber stets im Verdacht standen, ihre interkulturelle Kompetenz für eigene Zwecke zu missbrauchen. Viele Europäer verschwiegen wie Cortés die Dienste ihrer Übersetzer, viele Dolmetscher wurden wie Eva und Andrew Montour entlassen, ignoriert und im schlimmsten Falle sogar beseitigt, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden. Nicht wenige gerieten in massive Identitätskrisen und zwischen die Fronten gewaltsamer interkultureller Konflikte.65 Generell war in Gebieten, in denen sich europäische Kolonialherrschaft gefestigt hatte und seit dem 18. Jahrhundert auch rassische Kriterien das Denken und Handeln in zunehmendem Maße bestimmten, für kulturell hybride Grenzgänger vom Schlage Montours kein Platz mehr. Somit waren cultural brokers sowohl Gestalter interkultureller Konstellationen, weil sie Kommunikation zwischen Europäern und Nicht-Europäern überhaupt erst ermöglichten, als auch deren Opfer, weil koloniale Herrschaft letztlich darauf hinauslief, solche Vermittler obsolet zu machen.

65 Vgl. Emma ANDERSON, The Betrayal of Faith: The Tragic Journey of a Colonial Native Convert, Cambridge (Mass.)/London 2007. Anderson rekonstruiert in dieser biographischen Studie den Lebenslauf von Pierre-Anthoine Pastedechouan (1607/8–1636) einem Innu- bzw. Montagnais-Indianer aus dem St. Lorenz-Tal, der von 1620 bis 1625 von FranziskanerRekollektenmönchen in einem Konvent im französischen Angers erzogen und danach zurück nach Kanada gebracht wurde. Obwohl Pastedechouan Französisch und Latein lernte und katholisch getauft wurde, konnte er nach seiner Rückkehr weder die Erwartungen der Missionare erfüllen, dass er ihnen bei ihrer Missionsarbeit wertvolle Dienste leisten würde, noch gelang ihm die Reintegration in die indianische Gesellschaft. Nach Andersons Interpretation löste die katholische (Um-)Erziehung in Pastedechouan eine tiefe Identitätskrise aus, die ihn zunächst von seiner indianischen Umwelt und dann auch von seinen französischen Mentoren entfremdete. Im Winter 1635/36 verhungerte Pastedechouan in den kanadischen Wäldern. – Sehr instruktiv in diesem Kontext ist auch Mark Meuweses Untersuchung der Hintergründe der Ermordung des deutschstämmigen Vermittlers Jacob Rabe durch Soldaten der niederländischen Westindienkompanie im Nordosten Brasiliens im Jahre 1646. Rabe fungierte seit 1642 als Verbindungsmann zwischen der niederländischen Kolonialregierung und den Tarairiu-Indianern; er entwickelte eine hybride Identität, wurde von den Tarairius adoptiert, war mit einer Tupi-Indianerin verheiratet und nahm an Kriegszügen der Tarairius gegen portugiesische Kolonisten teil. Aus der Sicht mancher Kolonialbeamter und Offiziere wurde er dadurch zum kulturellen Überläufer. Vgl. Mark MEUWESE, The Murder of Jacob Rabe: Contesting Dutch Colonial Authority in the Borderlands of Northeastern Brazil, in: John SMOLENSKI/Thomas H. HUMPHREY (Hrsg.), New World Orders: Violence, Sanction, and Authority in the Colonial Americas, Philadelphia 2005, S. 133–156. Weitere Beispiele für kulturelle Vermittler, die zwischen die Fronten interkultureller Konflikte gerieten, finden sich bei FAUSZ, Middlemen, S. 41–42, 45–51, 53–58; TRIGGER, Natives and Newcomers, S. 175–181; MERRELL, Into the American Woods, S. 32, 56, 75, 91, 95–96; KUPPERMAN, Indians and English, S. 192–193, 208–210; MERRITT, At the Crossroads, S. 299.

Luso-afrikanische Dolmetscher und kulturelle Vermittler in Angola im 19. Jahrhundert Beatrix Heintze, Frankfurt am Main Nachdem die Portugiesen Ende des 15. Jahrhunderts Kontakte mit dem Königreich Kongo an der afrikanischen Westküste aufgenommen hatten, gelangten sie im folgenden Jahrhundert als Sklavenhändler, Missionare, schließlich auch als Konquistadoren in die weiter südlich gelegenen Küstengebiete und ließen sich dort dauerhaft nieder. 1576 gründeten sie Luanda, die heutige Hauptstadt des Staates Angola, dessen Name auf den Königstitel ngola des damals landeinwärts gelegenen Königtums Ndongo zurückgeht. Von Anfang an – und für lange Zeit – waren die Portugiesen hier nur eine verschwindend kleine Minderheit, die außerdem durch Tropenkrankheiten stark dezimiert wurde. Da bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nur sehr wenige weiße Frauen freiwillig die weite Reise nach Angola auf sich nahmen,1 gingen die portugiesischen Männer Verbindungen mit afrikanischen Frauen ein, die dann ihre gemeinsamen Kinder aufzogen. Viele dieser Kinder und Kindeskinder entwickelten mit der Zeit eine luso-afrikanische Identität, die zwischen den zwei kulturellen Polen oszillierte und auch den jeweiligen Grad ihres Wohlstands und Ansehens spiegelte. Während sie sich selber vorrangig als Portugiesen definierten und als solche auch von den meisten Afrikanern wahrgenommen wurden, registrierten die Portugiesen und andere Europäer vor allem ihre afrikanischen Merkmale und verachteten ihre synkretistischen Züge. Obwohl auch die Luso-Afrikaner immer nur einen minimalen Prozentsatz der angolanischen Bevölkerung ausmachten, erlangten sie doch während des 17. bis 19. Jahrhunderts eine erhebliche wirtschaftliche und teilweise auch politische Bedeutung.2 Da es meist an genügend weißen An1 2

Siehe hierzu Gerald B. BENDER, Angola under the Portuguese. The Myth and the Reality, London 1978, S. 45–53. Sie ist in den letzten Jahren Thema wichtiger Archivstudien geworden. Siehe Jill R. DIAS, Uma questão de identidade: Respostas intelectuais às transformações económicas no seio da elite crioula da Angola portuguesa entre 1870 e 1930, in: Revista Internacional de Estudos Africanos 1 (1984), S. 61–94; DIES., Angola, in: Valentim ALEXANDRE/Jill DIAS (Hrsg.), O Império Africano 1825–1890, Lissabon 1998, S. 319–556; DIES., Estereótipos e realidades sociais: Quem eram os “Ambaquistas”?, in: Construindo o Passado Angolano: As Fontes e a sua Interpretação. Actas do II Seminário Internacional sobre a História de Angola, Lissabon 2000, S. 597–623; Joseph C. MILLER, Way of Death. Merchant Capitalism and the Angolan Slave Trade 1730–1830, London 1988, Kap. 8, S. 245–283; Selma PANTOJA, Três leituras e duas cidades: Luanda e Rio de Janeiro nos Setecentos, in: Selma PANTOJA/José Flávio SOMBRA SARAIVA (Hrsg.), Angola e Brasil nas Rotas do Atlântico Sul, Rio de Janeiro 1998, S. 99–126; Jan VANSINA, Ambaca Society and the Slave Trade c. 1760–1845, in: Journal of

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wärtern mangelte, füllten die Luso-Afrikaner zunehmend die unteren Posten der portugiesischen Verwaltung und des Militärs, vor allem in den Präsidien, den befestigten portugiesischen Stützpunkten im Hinterland Luandas, und später auch auf dem Hochland von Benguela. Der alles dominierende atlantische Sklavenhandel bot ihnen die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg und öffnete ihnen in Luanda sogar die Positionen der Senatoren des Stadtrats.3 Im Landesinneren hatte sich seit dem 17. Jahrhundert besonders im AmbacaGebiet um die gleichnamige portugiesische Festung herum eine von den Häuptlingstümern unabhängige luso-afrikanische Elite herausgebildet. Sie war eine sehr heterogene, nicht scharf abzugrenzende Gruppe, die vor allem Schwarzafrikaner (ein Großteil davon ehemalige Sklaven) und „Mestizen“4, aber auch einige Weiße umfasste und im Laufe der Zeit eine immer größere Bedeutung erlangte. Ambaca mit seinen umliegenden Gebieten war nicht nur seit langem ein Umschlagplatz des Sklavenhandels, sondern wurde nun auch zu einem reichen landwirtschaftlichen und handwerklichen Zentrum. Sklaven bildeten das Hauptmittel zum sozialen Aufstieg und boten die Chance, sich von der Vormundschaft der traditionellen Häuptlinge zu emanzipieren. Im 18. Jahrhundert entwickelten diese LusoAfrikaner mehr und mehr eine eigene Identität als Ambakisten, die sich vor allem im Fernhandel mit Gebieten jenseits des Kwango engagierten und weit ins Innere des Kontinents vorstießen (siehe weiter unten). Auch afrikanische und luso-afrikanische Frauen portugiesischer oder brasilianischer Kaufleute spielten zunehmend eine wichtige Rolle, etwa bei der Entwicklung Benguelas zu einem Handelszentrum für den atlantischen Sklavenhandel. Sie adaptierten bestimmte Aspekte der portugiesischen Kultur (etwa der Sprache,

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African History 46/1 (2005), S. 1–27; Roquinaldo FERREIRA, Transforming Atlantic Slaving: Trade, Warfare and Territorial Control in Angola, 1650–1800, Ph.D. Dissertation, University of California, Los Angeles 2003, S. 159–171; DERS., Africanidade, crioulidade e o Atlântico: Trocas culturais em Angola (séculos XVII, XVIII e XIX), Vortrag auf dem III Encontro Internacional de História de Angola. Para a Elaboração da História Geral de Angola: das Sociedades Antigas à Época Contemporânea, 25.–28.9.2007 in Luanda, Angola. Da LusoAfrikaner getauft waren und daher portugiesische Namen trugen, ist es bei fehlenden zusätzlichen Charakterisierungen oft nicht möglich, sie in den Quellen eindeutig als solche zu identifizieren. Nachdem man früher viele solcher lediglich namentlich bekannter Personen als „Portugiesen“ klassifizierte, neigt man heute dazu, in ihnen eher Luso-Afrikaner zu sehen, wenn dies der spezifische Kontext nahezulegen scheint. PANTOJA, Três Leituras, S.107–109; DIES., Lógicas dos poderes locais e redes transoceânicas: o Senado da Câmara de Luanda no século XVIII, Vortrag auf dem III Encontro Internacional de História de Angola; DIAS, Angola, passim; FERREIRA, Transforming Atlantic Slaving, S. 161–171. Per definitionem heißen im Deutschen „Mischlinge“ zwischen Schwarzen und Weißen Mulatten und zwischen Indianern und Weißen Mestizen. In Angola versteht man darunter heute jedoch allenfalls die Mischlinge der ersten Generation (d.h. Kinder zwischen „weiß“ und „schwarz“; briefl. Mitt. Maria da Conceição Neto, 13.2.2002). Aber auch aufgrund der besonders negativen Konnotationen, die der Bezeichnung Mulatte in Angola aus historischen Gründen anhaften, spricht man hier in den wenigen Fällen, in denen eine solche Kennzeichnung überhaupt notwendig erscheint, lieber von Mestizen, einem Begriff, den ich in diesem Zusammenhang übernehme.

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Mode, Religion) und fungierten während der meist langen Abwesenheiten ihrer (Ehe-)Männer als Familienoberhaupt und als „Scharnier“ zwischen beiden Kulturen: der portugiesisch-brasilianischen an der Küste und der afrikanischen des Landesinneren. Da den weißen Männern oft keine lange Lebenszeit beschieden war, erbten ihre Frauen zuweilen die Hinterlassenschaft und das kommerzielle Netzwerk der Verstorbenen und führten deren Geschäfte dann in eigener Regie weiter.5 Nach dem Verbot des Sklavenhandels behielten die Luso-Afrikaner solange weiterhin ihre wichtige Rolle zwischen Europäern und Afrikanern in Handel, Militär, Verwaltung, Politik und Journalismus, als die Weißen ihnen gegenüber in der Minderheit blieben.6

I. LUSO-AFRIKANER AN DER KÜSTE UND IM KÜSTENHINTERLAND Afrikanisierung Weil die Portugiesen die ersten Europäer in Angola waren, die sich hier dauerhaft niederließen, und sich mit ihnen das Portugiesische als Amtssprache der Eroberer, der Regierenden und der Handelshäuser an der Küste etablierte, könnte man in der Tatsache, dass Portugiesisch auch nach der Unabhängigkeit des Staates 1975 als offizielle Sprache des Landes bestätigt wurde, die logische Konsequenz einer vierhundert Jahre langen, sich immer weiter auf das Landesinnere erstreckenden direkten Interaktion zwischen Portugiesen und Afrikanern vermuten. Das war aber keineswegs der Fall, denn dieses heute unausweichlich erscheinende Ergebnis kam bei weitem nicht so geradlinig zustande, wie es eine oberflächliche und summarische Betrachtung suggeriert. Vielmehr fand zunächst eine Afrikanisierung der Portugiesen statt. Auch die besonders für Außenstehende naheliegende Annahme, dass die Verbreitung der portugiesischen Sprache in Angola in erster Linie dem Engagement der Portugiesen selbst zuzuschreiben ist, trifft in dieser pauschalen Weise keineswegs zu und gilt für die Gebiete jenseits des Kwango, die im Mittelpunkt dieser Ausführungen stehen sollen, bis zur effektiven Kolonisierung ab Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht. Zwar konnte sich Portugiesisch zunächst in beschränktem Umfang um die portugiesischen Zentren herum als eine lingua franca etablieren, aber aufgrund der geringen Zahl und hohen Sterblichkeit der Einwanderer, fehlender portugiesischer Frauen und Schulen wurde sie mehr und mehr zugunsten des einheimischen 5

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Mariana CANDIDO, Enslaving Frontiers: Slavery, Trade and Identity in Benguela, 1780–1850, Ph.D. Dissertation, York University, Toronto 2006, S. 113–133; DIES., Género, raça e mobilidade social: as donas em Benguela, 1750–1850, Vortrag auf dem III Encontro Internacional de História de Angola. Siehe auch DIAS, Uma questão de identidade, S. 64; DIES., Angola, S. 350. BENDER, Angola under the Portuguese, S. 53 und die von ihm angeführte Literatur; siehe auch Fernando Augusto Albuquerque MOURÃO, A Evolução de Luanda: Aspectos Sociodemográficos em Relação à Independência do Brasil e ao Fim do Tráfico, in: PANTOJA/SOMBRA SARAIVA (Hrsg.), Angola e Brasil, S. 195–224, hier bes. S. 197–202.

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Kimbundu zurückgedrängt. Hauptverantwortlich dafür war die Erziehung und Sozialisierung der portugiesischen Einwandererkinder durch ihre Kimbundu sprechenden afrikanischen Mütter. Die Veröffentlichung eines Katechismus in Kimbundu im Jahre 1620 und die damit einhergehende Standardisierung dieser Sprache führten sogar zu einer Blütezeit des Kimbundu im 17. und 18. Jahrhundert, das nicht nur Kimbundu-Dialekte, sondern infolge des Sklavenhandels in weiten Gebieten auch Portugiesisch als lingua franca ersetzte und selbst zur Schriftsprache wurde. Mit der Vertreibung der Jesuiten und der Schließung ihrer Schulen im Jahre 1760 verstärkte sich diese Entwicklung, die sich nicht nur auf die Sprache beschränkte, und es kam zu einer weiteren Afrikanisierung der Eliten. Versuche, die Dominanz des Kimbundu durch Verbote zu brechen, blieben wirkungslos.7 Mitte des 18. Jahrhunderts konstatierte beispielsweise der portugiesische Gouverneur António Álvares da Cunha in Luanda indigniert: Es verursacht große Verwunderung zu sehen, wie in dieser Stadt voller Priester, Gotteshäuser, Prediger und europäischer Männer, ihre Einwohner die Religion, Sprache und Sitten unserer Nation vergessen; denn nichts davon existiert in diesem elenden Volk, ihre Sitten sind barbarisch, ihre Sprache ist das Inbunda [Kimbundu] und ihre Gesetze sind heidnisch.8

Die Wende zum Portugiesischen erfolgte erst ab 1823 nach dem Scheitern eines Aufstands der einheimischen Elite und einer nun einsetzenden großen portugiesischen Einwanderungswelle.9 Luso-afrikanische Sekretäre Parallel dazu gab es jedoch ein anderes erstaunliches Phänomen der frühen Interaktion zwischen Portugiesen und Afrikanern: die Herausbildung einer politischen Schriftkultur unter portugiesischem Einfluss in einer Reihe angolanischer Häuptlingstümer des Küstenhinterlandes seit dem 17. Jahrhundert. Zwar ist die Korrespondenz der Kongo-Könige mit dem König von Portugal und dem Vatikan schon seit alters her bekannt und Teil jeder Geschichtsschreibung über dieses Königreich, aber ihre inselgleiche Beschränkung auf einen zentralen Machthaber verhinderte – außer der Anerkennung ihrer Existenz als solcher –, dass ihr eine besondere strukturelle Qualität zugeschrieben wurde.10 Jan VANSINA, Portuguese vs Kimbundu: Language Use in the Colony of Angola (1575–c. 1845), in: Bulletin des Séances de l’Académie Royale des Sciences d’Outre-Mer 47/3 (2001), S. 267–281; siehe auch DERS., Ambaca Society; DIAS, Uma questão de identidade, S. 63–64; DIES., Angola, S. 350; DIES., Relações Portuguesas com as Sociedades Africanas em Angola, in: Valentim ALEXANDRE (Hrsg.), O Império Africano. Séculos XIX e XX, Lissabon 2000, S. 69–93, hier S. 76–78. 8 „Cauza sim admiração grande ver que esta cidade cheya de Menistros de Deos, Templos, Pregadores, e homens europeus se esquecem os seus abitantes da relegião, da lingoa e dos costumes da nossa nação; porque nada disto exziste, neste mizeravel Povo, os seus custumes são barbaros, a lingoa hé a Inbunda, e a ley a gentilica“, Arquivo Histórico Ultramarino, Lissabon (AHU), Angola, Cx. 26, 1754–1756, Dokument vom 6.12.1754, in Carlos COUTO, Os capitães-mores em Angola no século XVIII, Luanda 1972, S. 65–66, Anm. 97. 9 VANSINA, Portuguese vs Kimbundu, S. 276–278. 10 John K. THORNTONs erhellende Analyse (The Correspondence of the Kongo Kings, 1614–35: Problems of Internal Written Evidence on a Central African Kingdom, in: Paideuma 33 7

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Erst die Entdeckung und teilweise Veröffentlichung Hunderter von Dokumenten in einer Reihe von angolanischen Häuptlingstümern, darunter der so genannten „Archive des Staates“ der Ndembu11, die aber keineswegs nur auf die Ndembu beschränkt waren, hat inzwischen zu einer grundsätzlichen Neubewertung geführt. Die meisten dieser Dokumente, die von Generation zu Generation weitergegeben und in den einfachen afrikanischen Häusern die Zeiten wundersam überdauert haben, stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, doch reichen die ältesten unter ihnen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Eine eingehende Analyse der Ndembu-Dokumente hat gezeigt12, wie sich in diesen Häuptlingstümern im direkten Kontakt mit den Portugiesen seit dem 17. Jahrhundert in einem sehr komplexen Prozess auf diplomatischer, rechtlicher und später auch ökonomischer Ebene schriftliche Legitimierungen und Kommunikationsformen in portugiesischer Sprache herausgebildet haben, die sich mit der Zeit auch auf den Verkehr der Häuptlinge untereinander erstreckten. Ausgangspunkt und Grundlage bildeten zunächst die Vasallenverträge, die den unterworfenen Häuptlingen seit Ende des 16. Jahrhunderts von den Portugiesen aufgezwungen wurden und von jedem Nachfolger bestätigt werden mussten.13 Mit der Aneig(1987), S. 407–421) ist meines Wissens bisher nicht fortgeführt worden. Siehe aber DERS., Documentos escritos e tradição oral num reino alfabetizado: tradições orais escritas no Congo, 1580–1910, in: Actas do II Reunião da História da África, Lissabon 2000, S. 439– 457. 11 Arquivos de Estado – eine Bezeichnung der Ndembu selbst. Siehe zu diesen Dokumenten Ana Paula TAVARES/Catarina MADEIRA SANTOS (Hrsg.), Africae Monumenta – A Apropriação da Escrita pelos Africanos. Arquivo Caculo Cacahenda, Lissabon 2002; siehe auch DIES., Uma leitura africana das estratégias políticas e jurídicas. Textos dos e para os dembos, Angola c. 1869–1920, in: Maria Emília MADEIRA SANTOS (Hrsg.), A África e a Instalação do Sistema Colonial (c. 1885–c. 1930). III Reunião Internacional de História de África – Actas, Lissabon 2000, S. 243–260. Zur Verbreitung der Schrift in Angola siehe auch Maria Emília MADEIRA SANTOS, A apropriação da escrita pelos Africanos, in: Actas do Seminário Encontro de povos e culturas em Angola, Luanda, 3 a 6 de Abril de 1995, Lissabon 1997, S. 351–359; Ana Paula TAVARES/Catarina MADEIRA SANTOS, Fontes escritas africanas para a história de Angola, in: Fontes & Estudos. Revista do Arquivo Histórico Nacional 4–5 (1998/1999), S. 87–133. Während ein Großteil der Ndembu-Dokumente anscheinend vorwiegend den schriftlichen Austausch zwischen Portugiesen und den Ndembu widerspiegelt, scheinen circa zweihundert weitere noch unveröffentlichte Dokumente, die Eva SEBESTYÉN in Mbundu-Dörfern rund um Samba Caju aufspürte, einen noch größeren Anteil rein innerafrikanischer schriftlicher Zeugnisse zu umfassen. Siehe VANSINA, Ambaca Society, S. 4–5 Anm. 11. 12 Catarina MADEIRA SANTOS, ,Escrever o poder‘. Os autos de vassalagem e a vulgarização da escrita entre as elites africanas Ndembu, in: Beatrix HEINTZE/Achim VON OPPEN (Hrsg.), Angola on the Move: Transport Routes, Communications and History / Angola em Movimento. Vias de Transporte, Comunicação e História, Frankfurt am Main 2008, S. 173–181. Dieser Artikel basiert auf ihrer noch unveröffentlichten Dissertation: Um Governo polido para Angola: reconfigurar dispositivos de domínio (1750–c. 1800), École des Hautes Études en Sciences Sociale, Paris / Faculdade de Ciências Sociais e Humanas, Lissabon 2005; siehe auch TAVARES/MADEIRA SANTOS, Fontes escritas africanas; DIES. (Hrsg.), Africae Monumenta. 13 Siehe zum angolanischen Vasallenvertrag Beatrix HEINTZE, Der portugiesisch-afrikanische Vasallenvertrag in Angola im 17. Jahrhundert, in: Paideuma 25 (1979), S. 195–223; DIES.,

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nung dieser neuen Technik der Kommunikation als einem Machtsymbol erfolgte auch die Verbreitung des entsprechenden juristischen und politischen Vokabulars und damit notwendigerweise die Einführung der mit ihm verbundenen bürokratischen Strukturen. Eine zentrale Rolle erfüllte in diesem Prozess die in vielen Häuptlingstümern neu geschaffene Position des Sekretärs, die anscheinend außerhalb der auch im politischen Bereich mächtigen einheimischen Verwandtschaftsstrukturen angesiedelt war und die in der Regel wohl Luso-Afrikaner innehatten. Diese Sekretäre waren die Mittelsmänner zwischen den Kulturen, über welche die portugiesische Verwaltungssprache und ihre Verschriftlichung in die traditionelle, orale Kultur der ansässigen Afrikaner Eingang fand und von diesen dann adaptiert und transformiert wurde.14 Die Häuptlinge, die selbst in der Regel noch im 19. Jahrhundert nur mit einem Kreuzzeichen „unterschrieben“, richteten im Laufe der Zeit regelrechte Kanzleien ein, die sozusagen als Aufbewahrungsorte für das politische Gedächtnis dienten. Wir werden den Sekretären auch in den jenseits des Kwango gelegenen Gebieten wieder begegnen (siehe unten). Catarina Madeira Santos sieht die große Originalität dieses aus den Vasallenverhältnissen hervorgegangenen Innovationsprozesses darin, dass er den Ndembu erlaubte, ohne die Grundlagen ihrer eigenen politischen Organisation zu erschüttern, den afrikanischen Diskurs der Oralität mit dem kolonialpolitischen des geschriebenen Worts zum eigenen Vorteil als dynamisches Mittel zur Legitimierung und Stärkung ihrer afrikanischen Machtposition zu nutzen.15 Ambakisten Luso-Afrikaner in Luanda unterschieden sich von solchen in Benguela, von anderen im Hinterland Luandas und erst recht von Luso-Afrikanern weiter im Landesinneren. Letztere wurden im 19. Jahrhundert unter dem Namen Ambakisten bekannt. Nur über sie gibt es bisher in Bezug auf das hier behandelte Thema detailreiche Informationen. Von diesen Ambakisten soll daher im Folgenden die Rede sein. Abgesehen von der Leitung militärischer Kampagnen, diplomatischem Verkehr und Missionstätigkeit, waren die Portugiesen oder andere Europäer während der ersten beiden Jahrhunderte ihrer Anwesenheit in Angola nur selten die Hauptakteure der Vorstöße ins Landesinnere. Das lag nicht nur an ihrer verhältnismäßig geringen Anzahl, sondern entsprach, namentlich im Hinblick auf den Sklavenhandel, auch ausdrücklich der offiziellen portugiesischen Politik. Deshalb fand sich in allen königlichen Anweisungen des 17. Jahrhunderts an die portugiesischen GouLuso-african Feudalism in Angola?, in: Revista Portuguesa de História 18 (1980), S. 111– 131; DIES., The Angolan Vassal Tributes of the 17th Century, in: Revista de História económica e social 6 (1980), S. 57–273; DIES., O contrato de vassalagem afro-português em Angola no século XVII, in: Beatrix HEINTZE, Angola nos Séculos XVI e XVII. Estudos sobre fontes, métodos e História, Luanda 2007, S. 387–436. 14 Siehe z.B. TAVARES/SANTOS (Hrsg.) Africae Monumenta, Dok. 9, S. 64–65 (29.10.1784); Dok. 128, S. 255; Dok. 168, S. 314–315 (26.2.1897); DIES. (Hrsg.), Fontes escritas africanas, S. 123; DIES., Uma leitura africana, S. 253–254. 15 SANTOS, Escrever o poder.

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verneure von Angola eine Klausel, die es Weißen verbot, unter welchem Vorwand auch immer die innerafrikanischen Marktplätze aufzusuchen, da daraus nur großer Schaden entstünde.16 Zwar ließ sich dieses Verbot nicht durchsetzen, was allein schon die ständigen Wiederholungen zeigen, aber für die Ausbreitung portugiesischer Sprache und Kultur dürften die wohl meist der gewaltsamen Sklavenerpressung dienenden Übertretungen weitgehend folgenlos geblieben sein. Demgegenüber wuchs den in Angola geborenen Kindern portugiesischer Väter und vor allem ihren Nachkommen im Laufe der Zeit eine immer bedeutendere Rolle zu. Unter ihren oft weit zurückreichenden europäischen Ahnen befanden sich, wenn überhaupt, Konquistadoren, Soldaten, Händler oder so genannte degredados (aus Portugal verbannte Kriminelle).17 Ihre Muttersprache war in der Regel Kimbundu, aber sie waren stolz darauf, auch Portugiesisch zu sprechen, und viele von ihnen konnten lesen und schreiben. Sie waren getauft und verstanden sich als überzeugte Christen. Als äußere Symbole ihres gehobenen Status trugen diese Luso-Afrikaner Schuhe (was hier ein besonderes Vorrecht war) und europäische Kleidung. Zu ihren Privilegien zählte die Befreiung von Trägerdiensten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand man sie in kleinen Ansiedlungen über das ganze Küstenhinterland verstreut in den Häuptlingstümern und Marktorten, besonders aber im bevölkerungsreichen Ambaca-Distrikt konzentriert. Hier befand sich auch der wichtigste Knotenpunkt der Sklavenkarawanen, Lucamba, für den die Bewohner des Distriktes die Nahrungsmittel erwirtschaften mussten. Der Einfluss der hier lebenden oder stationierten Luso-Afrikaner auf die „traditionellen“ afrikanischen Gesellschaften war sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht groß, da sie, wie schon erwähnt, häufig als Sekretäre, Dolmetscher und Ratgeber von Häuptlingen fungierten, in deren Familien sie dann meist auch einheirateten. Sie füllten nicht nur die unbezahlten Führungspositionen der kolonialen Hilfstruppen, sondern stellten in der Regel auch die lokalen Kommandanten der Präsidien, womit ihnen ein wirkungsvolles Mittel zur Ausbeutung der ihnen unterstellten afrikanischen Bevölkerung, z.B. durch erpresserische Abgabenforderungen und die Einziehung von Trägern und Soldaten, in die Hand ge-

16 Regimento an Fernão de Sousa, 20.3.1624, in: Beatrix HEINTZE, Fontes para a História de Angola do século XVII. I. Memórias, relações e outros manuscritos da Colectânea Documental de Fernão de Sousa (1622–1635), Stuttgart 1985, S. 149. Siehe zum Toposcharakter dieser Klausel DIES., Probleme bei der Interpretation von Schriftquellen: Die portugiesischen Richtlinien zur Angola-Politik im 17. Jahrhundert als Beispiel, in: Rainer VOSSEN/Ulrike CLAUDI (Hrsg.), Sprache, Geschichte und Kultur in Afrika, Hamburg 1983, S. 461–480. Bezüglich des 19. Jahrhunderts siehe David LIVINGSTONE, Missionary Travels and Researches in South Africa, New York 1858, S. 397. Zur lange Zeit bestehenden „KwangoSperre“ durch die Mbangala siehe Beatrix HEINTZE, Afrikanische Pioniere: Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika (ca. 1850–1890), Frankfurt am Main 2002 / Pioneiros Africanos: Caravanas de carregadores na África Centro-Ocidental (entre 1850 e 1890), Übersetzung von Marina Santos, Lissabon 2004, Kap. II.7. 17 Siehe DIAS, Estereótipos; FERREIRA, Transforming Atlantic Slaving, S. 161–171.

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geben war.18 Zu ihnen zählten außerdem zahlreiche spezialisierte Handwerker wie z.B. Schneider, Schuhmacher und Tischler. Seit Ende des 18. Jahrhunderts sind viele dieser Luso-Afrikaner als Ambakisten bekannt geworden, eine Bezeichnung, die sich immer mehr von ihrer ursprünglichen geographischen Bedeutung löste und vorwiegend kulturelle und soziale Konnotationen beinhaltete. Einen besonderen Ruf erlangten diese Ambakisten als gewiefte, unternehmungslustige Händler, die sich immer weiter ins afrikanische Innere vorwagten. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts waren sie bis zur Hauptstadt des mächtigen Lunda-Herrschers in Innerafrika vorgedrungen.19 Da sie ihre Gewinne vor allem in den Erwerb von Frauen und Kindern steckten, verfügten sie über ein ständig wachsendes Gefolge von Verwandten und Abhängigen, mit deren Hilfe sie wiederum ihre sozialen und wirtschaftlichen Positionen festigen und ihre unternehmerischen Tätigkeiten immer mehr ausweiten konnten. Wie andere Luso-Afrikaner auch, orientierten sie sich nach „oben“, zu den Portugiesen, und verstanden sich selbst als Portugiesen und „Weiße“, worunter nicht ein bestimmtes Aussehen, sondern bestimmte kulturelle Merkmale verstanden wurden. Eine helle Hautfarbe fand man unter ihnen nur sehr selten. „Eu sou preto mas com o coração de branco“20 (Ich bin schwarz, aber mit dem Herzen eines Weißen) definierte sich einmal einer von ihnen. Diese Zuordnung wurde vor allem auch von den noch auf traditionelle Weise lebenden Afrikanern verbreitet. Bei den weißen Portugiesen (und anderen Europäern) setzte sie das allerdings aufgrund deren rassistischer Vorurteile meist besonderer Verachtung aus. Die Ambakisten ihrerseits übernahmen Wertungen der Europäer, um sich gegenüber den anderen, „nicht zivilisierten“ Afrikanern abzusetzen, und behandelten diese entsprechend als „Wilde“.21 Selbst kritische Beobachter billigten Ambakisten einen außergewöhnlichen Lerneifer zu. Mit der Aufwertung des Portugiesischen in der ersten Hälfte des 19.

18 Siehe FERREIRA, Transforming Atlantic Slaving, S. 161–171; VANSINA, Ambaca Society, S. 1–2, 8 und passim bezüglich der Veränderungen und Prägung der Ambaca-Gesellschaft durch den Sklavenhandel. 19 Dokument 301 des Dokumentenbestandes António Álvares da Cunha im Archiv der Universität Coimbra, das wahrscheinlich während dessen Regierungszeit (1754–1758) abgefasst wurde. Zitiert in Jan VANSINA, Du nouveau sur la conquête lunda au Kwango, in: Congo Afrique 341 (2000), S. 45–58, hier S. 56–58. 20 Der Träger Xavier Domingos Paschoal 1887 in einem Brief an Henrique Augusto Dias de Carvalho, in: Henrique DIAS DE CARVALHO, Descripção da Viagem à Mussumba do Muatiânvua, 4 Bände, Lissabon 1890–1894, hier Bd. IV, S. 723. 21 Siehe zu den Ambakisten MILLER, Way of Death, Kap. 8; DIAS, Angola, S. 363–364; DIES., Changing Patterns of Power in the Luanda Hinterland. The Impact of Trade and Colonisation on the Mbundu ca. 1845–1920, in: Paideuma 32 (1986), S. 285–318, hier S. 291–295, 298, 303; vor allem aber DIAS, Estereótipos; HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. I.3 und III.1; Max BUCHNER in Beatrix HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise nach Zentralafrika 1878–1882. Briefe, Berichte, Studien, Köln 1999, S. 177–178. Siehe zu einem kurzen Abriss auch schon Jean-Luc VELLUT, Notes sur le Lunda et la frontière luso-africaine (1700–1900), in: Etudes d’Histoire africaine 3 (1972), S. 61–166, hier S. 95–99.

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Jahrhunderts22 verbreitete sich auch das Bewusstsein seiner Nützlichkeit und der Wunsch, es zu lernen. Da die Missionsschulen schon lange geschlossen waren, geschah dies vielfach informell im direkten Kontakt mit den portugiesischen Militärs und Kaufleuten. Sklaven lernten von ihren Besitzern, Kinder von ihren Vätern, Militärs von ihren Vorgesetzten, Angestellte von ihren portugiesischen und luso-afrikanischen Arbeitgebern, z.B. in den Handelsniederlassungen.23 Doch gab es hier und da auch organisierte Formen der Bildungsvermittlung. So wird 1847 berichtet, dass in Pungo Andongo ein Ambakist täglich zahlreiche AmbakistenKinder unterrichtete.24 Dreißig Jahre später lernte der deutsche Forschungsreisende Paul Pogge dort den afrikanischen Seelsorger einer Kapelle kennen, der 30 bis 40 getauften Kindern von Ambakisten Religion, Schreiben und Rechnen in portugiesischer Sprache beibrachte.25 Ambakisten setzten ihren ganzen Ehrgeiz daran, lesen und schreiben zu können. Bei manchen reichte es nur zur eigenen Unterschrift, aber sehr viele beherrschten diese Fertigkeiten weitergehend oder sogar sehr gut. Das fiel in einem analphabetischen Umfeld derart auf, dass Lesen und Schreiben zu ihrem Markenzeichen wurde.26 Kein Ambakist, der ohne Tinte, Feder und einige Blatt Papier angetroffen wurde.27 Es wird berichtet, dass sie sich sogar auf Reisen abends in

22 Siehe VANSINA, Portuguese vs Kimbundu, S. 276–278; vgl. dazu auch BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 178 (Der Ambakist rümpfe vor Fremden die Nase über seine Muttersprache), 391 (Die Portugiesen hätten „ungemein wenig Verständnis“ für die „Ambakasprache“ und würden sie „niemals wirklich lernen“). 23 Siehe z.B. HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. II. 3; CARVALHO, Descripção, Bd. I, S. 146; Bd. II, S. 626; Bd. III, S. 422, 614; Bd. IV, S. 566; DERS., Ethnographia e História Tradicional dos Povos da Lunda, Lissabon 1890, S. 674; Manuel SERTÓRIO DE ALMEIDA AGUIAR (Fotos)/Henrique Augusto DIAS DE CARVALHO (Texte), Álbum de Fotografias da Expedição Portuguesa ao Muatianvua 1884/88, s.d. [1890], AMNE (Arquivo do Ministério dos Negocios Estrangeiros, Lissabon), Secretaria de Estado, 3° P., A. 7, M. 108, hier Nr. 19a, 26c; BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 180–181, 391; Verney Lovett CAMERON, Quer durch Afrika, 2 Bände, Leipzig 1977, hier Bd. II, S. 113, 165; Joachim John MONTEIRO, Angola and the River Congo, 2 Bände, London 1875, hier Bd. I, S. 223; Alexandre Alberto DA ROCHA SERPA PINTO, Como eu atravessei Àfrica do Atlantico ao mar indico, viagem de Benguella á contra-costa, a-travès regiões desconhecidas; determinações geographicas e estudos ethnographicos, 2 Bände, London 1881, hier Bd. I, S. 292. 24 Notícias de alguns dos districtos de que se compõe esta provincia, in: Annaes do Conselho Ultramarino, parte não official, II (1859), S. 81–82; (1860), S. 83–93, 123–157, Lissabon 1867, hier S. 143. 25 Paul POGGE, Im Reiche des Muata-Jamvo, Berlin 1880, S. 3. 26 Siehe z.B. Manoel ALVES DE CASTRO FRANCINA, Itinerario de uma jornada de Loanda ao districto de Ambaca, na provincia de Angola, in: Annaes do Conselho Ultramarino, parte não official, I (1854), Lissabon 1867, S. 3–15, hier S. 13; CARVALHO, Descripção, Bd. I, S. 566; siehe auch LIVINGSTONE, Missionary Travels, S. 405; vgl. ferner ebenda, S. 238, 394, 479; MONTEIRO, Angola, Bd. I, S. 223; Bd. II, S. 102; PINTO, Como eu atravessei África, Bd. I, S. 171. 27 Siehe H[ermenegildo] CAPELLO/R[oberto] IVENS, De Benguella ás terras de Iácca, 2 Bände, Lissabon 1881, hier Bd. I, S. 40; CARVALHO, Descripção, Bd. I, S. 147.

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ihrer Hütte aus ihren mitgeführten Briefen mit lauter Stimme selbst vorlasen.28 Wo Papier und Tinte nicht zu erhalten waren, behalfen sie sich mit anderem Material, z.B. Palm- oder Bananenblättern,29 als Papier und einer entweder aus der Rinde der Frucht des Affenbrotbaums oder auf der Basis von Gewehrpulver selbst hergestellten Mixtur als Tinte.30 Als Beispiel eines vielseitig gebildeten Ambakisten sei hier João Gonçalves de Azevedo angeführt. Er lebte in Pungo Andongo, wo sich der deutsche Botaniker und Forschungsreisende Herman Soyaux 1875 mit ihm anfreundete. Er war getauft, sprach gut Portugiesisch, hatte von seinem Vater Schreiben und Rechnen gelernt und kleidete sich europäisch. Er hatte monatelange Handelszüge nach Süden zu den Libolo, Kisama und Mbailundu unternommen und war auch schon im östlichen Landesinneren gewesen. Er besaß unter anderem religiöse Schriften, portugiesische und englische Grammatiken, Atlanten, die Lusíadas von Luís de Camões und Alexander von Humboldts Kosmos (1858–1862) in portugiesischer Übersetzung. Die ansässigen Portugiesen beeindruckte das nicht. Für sie war er nichts als ein aufgeblasener Neger; sie warfen ihm sogar vor, dass er – nur weil er, wie viele andere auch, schreiben und lesen konnte – sich dadurch den Weißen ebenbürtig fühlte.31 Auch wenn die meisten Ambakisten nicht sein Niveau an europäischer Bildung erreichten, war Azevedo durchaus kein Einzelfall. Auf dem Bücherbord eines anderen Ambakisten, den Livingstone 1854 in seinem Haus am Kwango besuchte, fanden sich ein Buch über Medizin, ein portugiesisches Wörterbuch, eine Enzyklopädie und einige Heftchen über das Leben von Heiligen. Die Ambakisten sollen sich auch sehr für portugiesische Geschichte, portugiesisches Recht und portugiesische Sitten interessiert haben.32

28 Noticias, S. 143: „ambaquistas, que mesmo no caminho para a cidade, são encontrados nos fundos, assentados no chão com uma caixinha de bordão forrada de papel, cheia de cartas e com uma na mão a lerem em voz alta.“ 29 CARVALHO, Ethnographia, S. 215 Anm. 1; Francisco de CASTELBRANCO, História de Angola ..., Luanda 1932, S. 299 zitiert in: TAVARES/SANTOS (Hrsg.), Fontes escritas africanas, S. 92 Anm. 15. 30 LIVINGSTONE, Missionary Travels, S. 405; Francisco de CASTELBRANCO, História de Angola ..., Luanda 1932, S. 299 zitiert in: TAVARES/SANTOS (Hrsg.), S. 92 Anm. 15. 31 Herman SOYAUX, Nur ein Neger, in: Die Gegenwart 13/10 (1878), S. 152–156, hier S. 153– 154; DERS., Aus West-Afrika. 1873–1876. Erlebnisse und Beobachtungen, Leipzig 1979, S. 116. 32 LIVINGSTONE, Missionary Travels, S. 393–395, 479; Isaac SCHAPERA (Hrsg.), Livingstone’s African Journal 1853–1856, 2 Bände, London 1963, hier Bd. I, S. 125–127, siehe auch S. 215, 227. Auch im Hinterland von Benguela und auf dem Ovimbundu-Hochland, namentlich in Bié, gab es im 19. Jahrhundert Ansiedlungen mit einer luso-afrikanischen Kultur. Siehe HEINTZE, Pioneiros Africanos, Kap. I.3 und III.1 und die dort angeführte Literatur.

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II. AMBAKISTEN ALS KULTURELLE VERMITTLER IM LANDESINNEREN Das 19. Jahrhundert war in Zentralafrika das Jahrhundert der Fernhandelskarawanen, die ein immer dichteres Netz von Handelsrouten schufen, durch das zunächst vor allem Sklaven, später Elfenbein, Wachs und Kautschuk an die Küste gelangten. Dieses immer engmaschigere Handelsnetz, das in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch die großen, von Europäern (besonders Portugiesen und Deutschen) ausgerüsteten Forschungsreisen neue Stimuli erhielt, eröffnete gleichzeitig neue Kommunikationsräume. Die wichtigsten Impulse für den angolanischen Fernhandel gingen von den beiden portugiesischen Städten, Luanda und Benguela, an der Küste aus. Die weißen Unternehmer und ihre Hauptagenten waren als Organisatoren auch der Motor dieses Handels. Aber die Mehrzahl derjenigen, die dann in ihrem Auftrag als Führer oder auf eigene Rechnung die Karawanenreisen in entfernte Gebiete tatsächlich durchführten, waren Nichtweiße, allen voran die Ambakisten, die zu den großen Experten des zentralafrikanischen Karawanenhandels wurden.33 Ihre Wege führten sie über den Kwango nach Osten ins Lunda-Gebiet und zu den Luba, nach Südosten an den Sambesi zu den Lui und Kololo, nach Nordosten zu den Luluwa und bis zu den Kuba. Die Ambakisten waren es meist auch, die eine neue Route als erste ausprobierten, bevor ihre portugiesischen Auftraggeber bzw. die europäischen Forschungsreisenden ihnen folgten und sie „offiziell“ eröffneten. Aber den meisten Europäern, besonders den daheimgebliebenen, galt Afrika im 19. Jahrhundert noch als der „dunkle“ Kontinent. In dessen „unberührtem“ Inneren frönten die „geschichtslosen“, auf einer frühen Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte stehen gebliebenen „Wilden“, „Barbaren“ oder „Primitiven“ dem Kannibalismus und „Fetischglauben“ und zerfleischten sich gegenseitig in ständigen „Stammeskriegen“, wenn sie nicht gerade faul und bar jeglicher tieferen Gefühle in den Tag hinein lebten. Dieses angeblich so „unberührte“ Afrika zog abenteuerbereite Forscher besonders seit der Mitte des 19. Jahrhunderts geradezu magisch an. Jeder von ihnen wollte „Entdecker“ und in irgendeiner Hinsicht der erste sein. Natürlich wussten die Reisenden oder lernten es spätestens nach ihrer Ankunft in Afrika, dass das Gebiet ihrer Ambitionen von einem vielmaschigen Handelsnetz durchzogen war, das die afrikanischen und luso-afrikanischen Handelskarawanen seit langem für ihre Unternehmungen geknüpft hatten, weiter ausbauten und für ihre wechselnden Interessen nutzten. Diese Erfahrungen der Forschungsreisenden änderten aber nichts am Bild vom „unberührten“ Afrika. Denn wer auf der Suche nach der Menschheitsgeschichte in Jahrtausenden dachte, für den waren diese rezenten Handelsbeziehungen ohne Belang. Sie sahen sich als Kulturbringer für das „unberührte“ Afrika, das sie gleichzeitig als Hölle und als Paradies wahrnahmen und dessen „Unberührtheit“ allein vom Sklavenhandel der Küsten bedroht war. 33 Siehe dazu HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos.

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Der erstrebte nationale oder möglichst auch internationale Ruhm gründete sich vor allem darauf, in diesem „dunklen“ Afrika auf einer Route oder in einem Gebiet der erste weiße Forscher gewesen zu sein und die ersten Schilderungen über das oft im Eiltempo durchquerte Land sowie die dort lebenden „Wilden“ veröffentlicht zu haben.34 Die afrikanischen oder luso-afrikanischen Führer und Dolmetscher waren bestenfalls nützliche Zuträger, also „Quellen“. Diesen Reiseberichten können wir aber immerhin entnehmen, dass man damals unterwegs immer wieder auf Personen traf, die sich auf Portugiesisch verständlich machen konnten, und dass sich in nahezu jeder Karawane irgendjemand fand, der wenigstens einige Kenntnisse in dieser Sprache besaß.35 Die Haupteinfuhrgüter von der Küste waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschiedene Arten von Textilien, Gewehre und Perlen, innerafrikanisch vor allem Sklaven, Salz, Eisen, Kupfer und Rinder; die Hauptausfuhrgüter an die Küste oder ihr Hinterland umfassten, je nach Zeit und Ort, Sklaven, Wachs, Elfenbein, Kautschuk sowie die schönen mabela-Stoffe aus Raphiabast. Ambakisten, Mbangala und Chokwe waren die Hauptakteure in diesem Fernhandel.36 Die Ambakisten beschränkten ihre Unternehmungen im Inneren jedoch nicht nur auf Handelsreisen mit kürzeren oder längeren temporären Aufenthalten an den Etappen- oder Zielorten. Viele von ihnen siedelten sich für Jahre oder Jahrzehnte in den innerafrikanischen Häuptlingstümern an. Für diese bedeuteten sie unter anderem einen Prestigegewinn, weshalb die Häuptlinge die Ambakisten gerne zum Bleiben aufforderten. Den Anstoß zur Niederlassung gaben oft vorteilhafte Handelsbedingungen, die dann zur Eröffnung einer Faktorei führten. Denn häufig erwies es sich als günstiger, dauerhaft am Ort zu sein. Blühte das Geschäft, konnte man nach und nach seine Familie und andere Abhängige nachholen, denen sich dann mit der Zeit Frauen und Gehilfen, aber auch weitere Händler hinzugesellen mochten. Die größte und wichtigste solcher Ambakisten-Siedlungen existierte ab etwa 1862 dreieinhalb Jahrzehnte lang in Mussumba, der Residenz der LundaKönige am Kalanyi (in der heutigen Demokratischen Republik Kongo).37 Größere Ambakisten-Ansiedlungen im Landesinneren waren allerdings eher die Ausnahme. Meist zog man es vor, sich allein oder zu zweit mit seinem familiären und 34 Siehe dazu Beatrix HEINTZE, Ethnographische Aneignungen: Deutsche Forschungsreisende in Angola, Frankfurt am Main 1999 (2. erweiterte Auflage als eBook, ebenda 2007 unter dem Titel: Deutsche Forschungsreisende in Angola. Ethnographische Aneignungen zwischen Sklavenhandel, Kolonialismus und Wissenschaft), Einführung und passim; DIES., Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. Ia und Ib. 35 Siehe z.B. CAMERON, Bd. II, S. 50, 113, 121, 165; [Paul POGGE], Mittheilungen aus Dr. Paul Pogge’s Tagebüchern, bearbeitet von Dr. A. von DANCKELMAN, in: Mittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland IV, 1883–1885, S. 228–264, hier S. 230; CARVALHO, Descripção, Bd. II, S. 254, 277, 626, 656; Bd. III, S. 613–614, 831, Bd. IV, S. 566. 36 Siehe dazu im einzelnen HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos. 37 CARVALHO, Descripção, Bd. I, S. 145–147; Bd. II, S. 838; nach Bd. IV, S. 227 erst im Jahre 1869, doch halte ich das frühere Datum für wahrscheinlicher. 1869 ist das Datum der großen Handelskarawane, die der Lunda-König Muteba für den portugiesischen Gouverneur in Luanda bestimmt hatte. Die meisten in diesem Zusammenhang von Carvalho genannten Daten sind nur Annäherungswerte, da sie auf seinen Erkundungen in sehr viel späterer Zeit beruhen.

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sonstigen Anhang bei einem Häuptling niederzulassen, und achtete aus Konkurrenzgründen darauf, nicht allzu dicht aufeinander zu leben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die mehr oder weniger permanente Anwesenheit von Ambakisten in zahlreichen Häuptlingstümern zwischen Kwango, Lulua und dem oberen Sambesi dokumentiert. Henrique Dias de Carvalho berichtet, dass sich in seiner Zeit, d.h. in den 80er Jahren dieses Jahrhunderts, nur selten ein Lunda-Dorf nicht eines solchen „Portugiesen“ gerühmt habe und dass bis etwa zum 24. Längengrad zwischen dem Kassai und dem Sambesi viele der so genannten „Kinder von Ambaca“ bzw. ihre Nachahmer anzutreffen seien.38 Um die Komplexität dieser durch den Fernhandel in Gang gesetzten Prozesse zu veranschaulichen, sei das Beispiel von Lourenço Bezerra Correia Pinto angeführt, der bekanntesten Persönlichkeit dieser bedeutenden luso-afrikanischen Händlerfamilie im westlichen Innerafrika des 19. Jahrhunderts. Er und seine Verwandten spielten vor allem im Fernhandel zwischen Portugiesen, dem LundaReich, den Luluwa, Kete und Kuba sowie später auch als Dolmetscher, Führer und Informanten der deutschen und portugiesischen Forschungsexpeditionen eine herausragende Rolle.39 Lourenço Bezerra stammte aus dem Distrikt Golungo in Portugiesisch-Angola und war stolz auf einen europäischen Vorfahren. Aufgrund der Herkunft aus diesem Distrikt war seine Muttersprache Kimbundu. Die portugiesische Sprache beherrschte er in Wort und Schrift, und er eignete sich später auch perfekte Kenntnisse des Lunda an. Er kleidete sich europäisch und war mit einheimischer und europäischer Landwirtschaft gründlich vertraut. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts war er bereits erfolgreich für eine portugiesische Firma im LundaGebiet in Handelsgeschäften unterwegs. Später verlegte er seine Tätigkeit ganz in die Lunda-Hauptstadt und gründete dort 1862 auf Einladung des Lunda-Königs Muteba mit seiner Familie, einigen weiteren Ambakisten und sonstigem Gefolge eine Kolonie. Im Laufe der Jahre festigte sie mehr und mehr ihre Monopolstellung im Handel zwischen Portugiesisch-Angola und Lunda. Diese Tatsache wurde später von den deutschen Forschungsreisenden verschwiegen oder heruntergespielt, um den eigenen Ruhm ihrer so genannten „Entdeckungsreisen“ ins Lunda-Reich nicht zu schmälern. Als Henrique Dias de Carvalho 1887 an den Kalanyi kam, fand er noch Reste der hier angebauten und zum Teil erst durch Lourenço Bezerra eingeführten 38 Henrique Augusto Dias de CARVALHO, A Lunda ou os Estados do Muatiânvua, dominios da soberania de Portugal, Lissabon 1890, S. 19–20; siehe zur Verbreitung der Ambakisten HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. II.1, II.5, II.6, III.1; außerdem BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 279, 280, 290; CARVALHO, Descripção, Bd. I, S. 481; Bd. II, S. 8, 92, 110, 114, 192, 249, 292, 307, 418–419; Bd. III, S. 97, 529, 557, 644, 649, 736, 831, 896; DERS., Ethnographia, S. 102, 104, 483; LIVINGSTONE, Missionary Travels, S. 478; SCHAPERA (Hrsg.), Livingstone’s African Journal, Bd. I, S. 227. 39 Siehe dazu im einzelnen Beatrix HEINTZE, Between Two Worlds: the Bezerras, a LusoAfrican Family in Nineteenth-Century Western Central Africa, in: Philip J. HAVIK/Malyn NEWITT (Hrsg.), Creole Societies in the Portuguese Colonial Empire, Bristol 2007, S. 127– 153.

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Pflanzen vor: Kohl, Zwiebeln, Bohnen, Tomaten, Auberginen, Sauerampfer, Zichorie, Rettiche, Kürbisse, Wassermelonen, Erdnüsse, Feigen, Süßkartoffeln, Maniok, Baumwolle, vor allem aber Tabak und den in dieser Gegend erstmals angebauten Reis. Angeregt von Bezerra, forcierte Muteba seinerseits nachdrücklich den Tabakanbau der Lunda, um hierin autonom zu werden. In der Kolonie entwickelte sich auch eine rege handwerkliche Tätigkeit. Es wurden Stoffe und Bettdecken aus Baumwolle und verschiedenen Pflanzenfasern gewebt und daraus unter anderem Hemden, Röcke, Jacken und Westen geschneidert, Lederschuhe mit Holzsohlen gefertigt, große Matten, Körbe und Hüte in Form europäischer Strohhüte aus Hanf und anderen Pflanzenfasern geflochten, perfektionierte Tonwaren hergestellt, Messer und Gabeln, Türverschlüsse, Äxte und Hacken aus Eisen geschmiedet, Löffel, Stühle, Hocker, Tische, große Kästen und Türen aus Holz geschnitzt, Zigarren gedreht, und Schnaps aus Zuckerrohr hergestellt.40 Da Muteba Rinder besonders schätzte, ließ Bezerra ihm gute Zuchtstiere von Malanje kommen, so dass die über das Land verteilte königliche Herde später die stattliche Anzahl von 1.200 Stück umfasst haben soll.41 Was Bezerras Handelsaktivitäten anging, so nahm das Elfenbein den ersten Platz ein. Kein anderer soll in Lunda eine größere Anzahl Stoßzähne erworben haben, insgesamt etwa sechshundert, von denen die meisten aus den Gebieten der Süd-Luba und Kaniok kamen.42 Bezerra erteilte Unterricht in portugiesischer Sprache, im Schreiben und den Grundrechenarten, an dem auch einige der Jugendlichen teilnahmen, die jeder Häuptling dem König als Diener zu überlassen hatte. Auf Wunsch Mutebas sollte jeder dieser Jugendlichen auch ein Handwerk erlernen. Carvalho traf 1887 am Kalanyi noch drei Lunda, die Portugiesisch sprechen und schreiben konnten. Sie waren Lourenço Bezerras Schüler gewesen.43 40 CARVALHO, Descripção, Bd. II, S. 851 Anm.; Bd. III, S. 913; Bd. IV, S. 227–229, 232, 234, 243; DERS., Ethnographia, S. 258–261; DERS., A Lunda, S. 208; DERS., Meteorologia, climalogia e colonisação. Estudos sobre a região percorrida pela expedição comparados com os dos benemeritos exploradores Capello e Ivens e de outros observadores nacionaes e estrangeiros. Modo practico de fazer colonisar com vantagem as terras de Angola, Lissabon 1892, S. 211–212, 334–335. 41 Angeblich im Jahr 1882 (CARVALHO, Ethnographia, S. 260). Das ist aber unwahrscheinlich, da Buchner zwei Jahre zuvor nur noch sechs Stiere und eine Kuh in Mussumba vorgefunden hatte (BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 209–210). Der einzige Häuptling, bei dem Buchner im Inneren sonst noch Rinder angetroffen hatte, war Caungula am Lóvua – fünf Stiere und eine Kuh –, während seine Reitstiere in Mataba einen so großen Neuigkeitswert besaßen, dass man sie als „große Ziegen“ bezeichnete. CARVALHO wurde erzählt, dass vor König Ambumbas Amtsübernahme tagtäglich Rinder geschlachtet wurden, so dass dieser nur noch sechs Stück vorfand (Ethnographia, S. 598–599). Deshalb ist der Rinderreichtum in Lunda wohl nur auf die Regierungszeit seines Vorgängers zu datieren. Siehe auch CARVALHO, Ethnographia, S. 34 (über 1.400 zur Zeit von König Muteba); siehe auch DERS., Descripção, Bd. III, S. 913. 42 CARVALHO, Descripção, Bd. II, S. 838 (600 in den Jahren 1862–1882); DERS., Ethnographia, S. 700 („quatro contos“ in 25 Jahren), DERS., A Lunda, S. 208; POGGE, Im Reiche, S. 136. 43 CARVALHO, Ethnographia, S. 260; siehe dazu auch DERS., Descripção, Bd. III, S. 913; Bd. IV, S. 201, 208, 228–229; HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos.

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Auch aus anderen Gebieten ist bezeugt, dass Ambakisten ihre eigenen Kinder und die der Einheimischen in der portugiesischen Sprache, im Schreiben und Rechnen unterrichteten.44 Die Nachfrage war überall groß, denn man erkannte die Vorteile, die es bedeutete, sich bei seinen Handelsgeschäften in dieser lingua franca ausdrücken zu können.45 Nach der Ermordung Mutebas und der Installation von Ambumba als neuem König (1874–1883) war die Blütezeit der Ambakisten-Kolonie vorbei. Ambumba hegte großes Misstrauen gegenüber Lourenço Bezerra und zwang ihn, seine Kolonie zu verlegen. Dieser übergab deshalb die Leitung seinem Vetter Manuel Correia da Rocha und ging nach Malanje zurück. 1887 war die Kolonie aufgrund der politischen Lage in Lunda nicht mehr lebensfähig und musste daher aufgegeben werden.46 Das Beispiel zeigt, dass die großen Karawanenreisen ins Innere von Afrika nicht nur den einen Zweck erfüllten, dem sie ihre jeweilige Daseinsberechtigung verdankten: Handel zu treiben oder Land und Leute zu erforschen. Stets kam es unterwegs auch zu einem gegenseitigen Austausch, der nicht nur die Handelswaren umfasste, sondern auch viele andere Dinge, Fertigkeiten und Kenntnisse. Sie alle gaben den Anstoß zu vielfältigen Aneignungsprozessen und kulturellen Neuschöpfungen, führten zur Herausbildung neuer Eliten, Machtverschiebungen, aber auch zu Desintegrationsprozessen und bewaffneten Konflikten. Diese überregionalen und transkulturellen Einflüsse und Konfrontationen wirkten nicht punktuell und nicht nur kumulativ, sondern lösten vielfältige Kettenreaktionen in einem sich ständig neu konstituierenden, verzweigten sozio-politischen Netzwerk aus. In diesem Zusammenhang seien vor allem die großen Migrationen der Chokwe hervorgehoben, sicher eines der bedeutsamsten, eng in diese Prozesse eingebundenen, historischen „Ereignisse“ des 19. Jahrhunderts im östlichen Angola. In den Gebieten östlich des Kwango zählten zu diesen „Extras“ der Importe aus Übersee oder den west-angolanischen Gebieten, an denen die Ambakisten wesentlich beteiligt waren, vor allem:  Sprachen (besonders Portugiesisch, aber auch Kimbundu!)  Kulturpflanzen (z.B. Reis, Tomaten, Zwiebeln und vor allem Tabak)  Handwerke und andere Fertigkeiten (z.B. Schneidern, Schreiben und Lesen, damit eng verbunden der zunehmende Gebrauch schriftlicher Dokumente im diplomatischen Austausch zwischen „traditionellen“ Häuptlingen weit im Innern des Kontinents und abseits portugiesischer Niederlassungen)  profane und religiöse Gegenstände bzw. die Verbreitung ihrer Grundformen und ihre Adaption an die lokalen Kulturen (z.B. Jacketts, Schuhe, Lehnstühle, Kruzifixe, Nachrichtentrommeln, Zaubermittel, Schmuck), aber auch 44 CARVALHO, Descripção, Bd. II, S. 8 (bei den Shinje); Bd. III, S. 648 (bei den Luluwa). 45 CARVALHO, Descripção, Bd. I, S. 421. 46 Siehe HEINTZE, Between Two Worlds.

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 Krankheiten (Pockenviren), Parasiten (Sandflöhe), Besessenheitsgeister  und vieles andere mehr. Solche durch überregionale und transkulturelle Verkehrsbeziehungen direkt oder indirekt bewirkte Veränderungen gab es seit alters her – wenn auch in früheren Zeiten meist in umgekehrte Richtung.47 Durch die immer dichtere Karawanenfolge im 19. Jahrhundert – es ist geschätzt worden, dass im letzten Drittel des Jahrhunderts jährlich etwa zweihunderttausend Träger in Angola unterwegs waren48 – kam es jedoch zu einer Beschleunigung und Intensivierung solcher Austauschbeziehungen über immer größere Distanzen hinweg. Ihre Anbindung an transatlantische Zyklen und Strukturen sowie die damit verbundenen, in quantitativer und qualitativer Hinsicht wachsenden Dimensionen ließen keinen Lebensbereich unberührt, auch wenn wir das anhand der Quellen meist nicht im einzelnen aufzeigen können. Noch viel weniger greifbar sind andere „Austauschgüter“, nämlich Informationen, Nachrichten und Gerüchte, denen eine bisher vielfach unterschätzte Bedeutung zukam.49

III. AMBAKISTEN ALS DOLMETSCHER DER EUROPÄISCHEN FORSCHUNGSREISENDEN Noch in einer anderen Hinsicht haben die Ambakisten eine wichtige Rolle gespielt: Als Dolmetscher und transkulturelle „Übersetzer“ im Dienste der europäischen Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts, besonders der recht zahlreichen deutschen Vertreter. Ihre Werke gelten heute als wertvolle Primärquellen, die uns oft die ersten Nachrichten über das Landesinnere und seine Bewohner übermitteln. Dabei wird häufig übersehen, welche zentrale Rolle jeweils die Zwischenträger ethnographischen und historischen Wissens für sie gespielt haben. Genau genommen waren jene viel mehr als nur Dolmetscher, sondern in einem sehr weiten Sinne transkulturelle „Übersetzer“ und Interpreten, was den vom Reisealltag überforderten Europäern aber meistens entging.50 47 Siehe besonders Jan VANSINA, How Societies are Born. Governance in West Central Africa before 1600, Charlottesville/London 2004, und DERS., Communications between Angola and East Central Africa Before c. 1700, in: HEINTZE/VON OPPEN (Hrsg.), Angola on the Move, S. 130–143. 48 Alfredo MARGARIDO, Les Porteurs: forme de domination et agents de changement en Angola (XVIIe–XIXe siècles), in: Revue française d’Histoire d’Outre-Mer 65/240 (1978), S. 377–400, hier S. 389–394, 397. 49 Siehe zu diesen HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. III.5; DIES., Long-distance Caravans and Communication beyond the Kwango (c. 1850–1890), in: HEINTZE/VON OPPEN (Hrsg.), Angola on the Move, S. 144–162. 50 Siehe dazu HEINTZE, Ethnographische Aneignungen, Einführung, und DIES., Feldforschungsstreß im 19. Jahrhundert: Die deutsche Loango-Expedition 1873–1876, in: Sylvia M. SCHOMBURG-SCHERFF/Beatrix HEINTZE (Hrsg.), Die offenen Grenzen der Ethnologie. Schlaglichter auf ein sich wandelndes Fach, Frankfurt am Main 2000, S. 39–51.

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Für die Deutschen begann ihre „Entdeckungs“-Reise nach Angola schon mit einem Sprachproblem: Die europäische lingua franca war dort Portugiesisch, das die wenigsten von ihnen bereits in ihrer Heimat gelernt hatten. So mokierten sich Capello und Ivens über das rudimentäre Portugiesisch, das Alexander von Mechow stotterte, als sie sich begegneten.51 Otto Schütt fing endlich an, Portugiesisch nach zweiwöchigem Aufenthalt in Malanje zu verstehen52, und Max Buchner lernte es erst wirklich unterwegs von seinem Koch.53 Die angeheuerten Dolmetscher, die meist auch als „Zeremonienmeister“ fungierten, d.h. ihren Herrn vor allem hinsichtlich des „Protokolls“ und der Höhe der Abgaben berieten, die Verhandlungen führten und je nach ihrer Einschätzung der Lage die angemessene Reaktion empfahlen, waren in der Regel weit gereist und schon sehr afrikaerfahren. In Portugiesisch-Angola waren sie fast immer „Ambakisten“. Ihnen haben die ethnographischen Berichte der deutschen Forschungsreisenden enorm viel zu verdanken, wie Max Buchner nachdrücklich hervorgehoben hat. Auch in einem noch umfassenderen Sinne lässt er ihnen Gerechtigkeit widerfahren: Man könnte fast sagen, diese geschmähten Ambakisten seien die richtigen afrikanischen Portugiesen, namentlich wenn von Lissabon aus immer wieder verkündet wird, wie so vieles in Afrika portugiesisch entdeckt worden ist, und wie viele Länder dort portugiesisch erschlossen sind. Diese auserlesenen Neger waren die ersten und wichtigsten Stützen für die ‚Interessensphäre‘, wenn das schöne neue Wort überhaupt einen Sinn haben sollte. [Das innerafrikanische Königreich] Lunda war ganz zweifellos portugiesische Interessensphäre, von Ambakisten seit Jahrhunderten gestärkt.54

Mit ihren ambakistischen Dolmetschern hatten die Reisenden unterwegs den engsten Kontakt, mit ihnen saßen sie wohl auch abends noch einmal zusammen; alle Informationen, die sie erhielten, gelangten durch diesen Filter in ihr Notizbuch. Die Dolmetscher (und Träger), die ja in der Regel den Gesellschaften, über die sie berichteten, nicht selbst angehörten, hatten sich meist schon ein sehr konkretes eigenes Bild über diese geschaffen. Sie hatten ihre eigenen Anschauungen und Definitionen der dokumentierten Sitten, und da sie sich weit erhaben über die „nackten Wilden“ dünkten und längst auch europäische Auffassungen und Wertungen über deren Vorstellungen und Institutionen übernommen hatten, waren ihre „Übersetzungen“ davon durchtränkt. Nur wenige Forscher unterzogen sich der Mühe, ihre Angaben systematisch zu überprüfen. Es wäre daher naiv zu glauben, dass von der ambakistischen Sichtweise nichts in ihre Berichte, Erzählungen und „Übersetzungen“ eingeflossen ist. Manchen Informanten hat es sicher auch Spaß gemacht, dem „Patron“ einen Bären aufzubinden oder ein wenig zu übertreiben, um sich wichtig zu tun. Aufgrund des Misstrauens, welches nahezu alle Afrikaner gegenüber den wahren Ab-

51 CAPELLO/IVENS, De Benguella, Bd. II, S. 218–219. 52 Otto H. SCHÜTT, Reisen im südwestlichen Becken des Congo. Nach den Tagebüchern und Aufzeichnungen des Reisenden. Bearbeitet und herausgegeben von Paul LINDENBERG, Berlin 1881, S. 16. 53 BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 180–181. 54 Ebenda, S. 394–395.

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sichten der deutschen Forscher hegten,55 waren geographische Erkundungen eine besonders sensible Angelegenheit. Max Buchner war sich dieser Problematik bewusst: Ungefähr die Hälfte dieser Angaben beruhen auf blossen Erkundigungen, die ich mit Hülfe meines Dolmetschers einzog und verdienen deshalb kein definitives Vertrauen. Denn erstens verstanden wir beide uns überhaupt nur dürftig, zweitens verstand auch er die Sprachen der Eingeborenen niemals völlig, drittens zog er es häufig vor, im Einverständniss mit den Eingeborenen mich anzulügen, und noch häufiger wussten viertens die Eingeborenen selber nichts.56

Meist wird bei der Benutzung dieser „Primärquellen“ auch übersehen, dass dieselben Dolmetscher häufig mehrere Expeditionen begleiteten, so dass deren Berichte keineswegs unabhängig voneinander waren. So war Paul Pogges berühmter Dolmetscher Germano („im Vergleich zu seinen Landsleuten ein hochcivilisirter Neger [...], mit dem ich mich einigermassen in portugiesischer Sprache unterhalten konnte“57) anschließend auch mit Otto Schütt, Hermann von Wissmann und Curt von François unterwegs und diente ihnen allen als ethnographischer Informant. Er stammte ursprünglich aus Mosambik, war als Sklave eines portugiesischen Marineoffiziers schon in Lissabon gewesen, hatte dann die Freiheit erhalten, sich als Ambakist dem Handel gewidmet und jahrelang das Songo- und Mbangala-Gebiet bereist.58 Besondere Bedeutung erlangte der schon erwähnte Elfenbeinhändler Lourenço Bezerra Correia Pinto. Als Paul Pogge ihn 1875/76 traf, lebte dieser Ambakist bereits viele Jahre in der Hauptstadt des Lunda-Reichs, nachdem er vorher schon jahrelang verschiedene Handelskarawanen dorthin organisiert oder begleitet hatte. Das meiste, was Pogge über die Lunda erfuhr, verdankte er den Erzählungen dieses Mannes.59 Aber der Einfluss Bezerras ging nicht nur in diese eine Richtung. Es ist klar, dass er dem Lunda-König und seinem Gefolge während der vielen zusammen verbrachten Jahre auch seine portugiesischen und ambakistischen Erfahrungen nachdrücklich geschildert hat. Außerdem waren die seit vielen Jahrzehnten das Land vor allem von West nach Ost und von Ost nach West durchziehenden zahlreichen Karawanen nicht zu unterschätzende Medien für die Übermittlung von Nachrichten und Vorstellungen.60 Wagemutige Europäer sind dank ihrer Berichte und Veröffentlichungen spätestens nach ihrem Tode als Pioniere im afrikanischen Inneren und als dessen „Entdecker“ in ihrer Heimat gefeiert worden. Ihre Beschreibungen der afrikaniSiehe HEINTZE, Ethnographische Aneignungen, Einführung. BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 450. POGGE, Im Reiche, S. 58. Siehe HEINTZE, Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. II.2. Siehe HEINTZE, Ethnographische Aneignungen, Kap. Paul Pogge; DIES., Afrikanische Pioniere / Pioneiros Africanos, Kap. II.1; DIES., Between Two Worlds, S. 131–138; siehe auch S. 144–150. Siehe zu Lourenço und seinem jüngeren Bruder Joannes Bezerra (bekannt geworden unter dem Namen Kaschawalla/Caxavala) auch [Paul GIEROW], Die Schütt’sche Expedition. Bericht des Mitgliedes der Expedition, Herrn Paul Gierow, in: Mittheilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland III, 1881–1883, S. 96–135, hier S. 113. 60 Siehe dazu allgemein HEINTZE, Long-distance Caravans.

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schen Völker, Sprachen und Lebensweisen, ihre Aufzeichnung der geschichtlichen Überlieferungen und ihre Kartographierung der durchzogenen Gebiete haben den Lesern zu Hause eine neue Welt eröffnet. Heute bilden diese Texte den unersetzlichen Quellenfundus, aus dem wir unsere historischen und ethnographischen Kenntnisse des westlichen Zentralafrika schöpfen. Die sehr präzisen Erwartungen, die man im 19. Jahrhundert in Europa mit den Forschungsreisen in den „dunklen Kontinent“ verband, führten jedoch – zusammen mit einer Reihe weiterer Prämissen – dazu, dass die Autoren nach ihrer Rückkehr die eigenen, angeblich so authentischen Reiseeindrücke nachträglich noch retouchierten. Vielleicht geschah das nicht einmal immer absichtlich, aber man bemühte sich ganz offensichtlich, dem europäischen Leser ein von zivilisatorischem westlichen Einfluss möglichst freies, „ursprüngliches“ Afrika zu schildern. Darüber hinaus sind die auf uns gekommenen ethnographischen Mitteilungen, wie aufgezeigt, in vielfältiger Weise gebrochen und entstammen ganz unterschiedlichen Überlieferungssträngen. Sie müssen daher immer auch durch die Brille der wichtigsten Begleiter unserer hauptamtlichen „Ethnographen“ und „Historiker“ gelesen werden. Stets ist dabei zu fragen (auch wenn eine Antwort nur selten möglich sein wird), in welcher Hinsicht, für wen und für was die vor uns liegende Quelle denn „authentisch“ ist. Max Buchner, der 1879/80 an den Hof des Lunda-Königs reiste, hat in der bei ihm üblichen polemisch zugespitzten Weise auf die mit den Ambakisten verbundenen Ambivalenzen und besonders auf die negativen Seiten ihres Wirkens, wie er sie sah, hingewiesen. Aber er war auch der erste, der ihre Verdienste, namentlich für die Erschließung des afrikanischen Kontinents, ausdrücklich gewürdigt hat: Und diese elenden Ambakisten [...] spielten eine entscheidende Rolle in den Erfolgen der Afrikareisenden, die in Europa dann deren Ruhm sind. […] von diesen Ambakisten stammt zugleich ein Teil der Belehrung, die in der Afrikaliteratur als Wissenschaft die Leser erfreut. Fast alle die Namen der Stämme und Gegenden, Flüsse, Fürsten und Gebräuche, die in dem ungemein weiten Gebiet der portugiesischen Einflußsphäre unsere Afrikabücher schmücken, sind an die Reisenden, die sie schrieben, ambakistisch überliefert.61

IV. SCHLUSSBEMERKUNGEN Die von den europäischen Forschungsreisenden angeblich „entdeckten“ und vermeintlich „jungfräulichen“ Routen ins Innere von Afrika waren in der Regel nicht „neu“. Diese Routen waren längst von anderen, allen voran den „Ambakisten“, erschlossen worden. Ihre Eröffnung hat an den Zielorten und Etappenstationen zu teilweise erheblichen ökonomischen, aber auch sozio-politischen Veränderungen geführt. Die Verbreitung der portugiesischen Sprache spielte dabei eine besondere Rolle. Aber diese Verbreitung war kein isoliertes Einzelphänomen, sondern sie war in einen vielschichtigen Kontext eingebettet. Sie war Teil eines umfassenden 61 BUCHNER in HEINTZE (Hrsg.), Max Buchners Reise, S. 389.

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gegenseitigen Austauschs, bei dem zwar die importierten und exportierten Handelswaren im Vordergrund standen, der aber tatsächlich sehr viel umfassender war und zu vielfältigen Aneignungs- und Innovationsprozessen den Anstoß gab. Mit den Ambakisten wurde neben dem Portugiesischen auch das Kimbundu verbreitet, gleichzeitig führten die von ihnen mit in Gang gesetzten Veränderungen aber auch dazu, dass das Luba zu einer neuen lingua franca im gesamten KassaiGebiet wurde. Mit den Ambakisten kamen außerdem viele andere Objekte, Fertigkeiten und Kenntnisse. Östlich des Kwango zählten zu diesen „Extras“ des Kulturaustauschs vor allem Kulturpflanzen, Handwerke und andere Fertigkeiten, profane und religiöse Gegenstände, aber auch Krankheiten und Parasiten. Die im 19. Jahrhundert rasant zunehmenden Kontakte verdichteten die Kommunikation und intensivierten dadurch diesen Austausch. Selbst wenn man im 19. Jahrhundert jenseits des Kwango nicht von einer vorhandenen „Lusophonie“ sprechen kann, so verbreitete sich doch sicher mehr von der portugiesischen Sprache als nur einige Vokabeln und eine rudimentäre neue Kommunikationstechnik. Die bei den afrikanischen Häuptlingen lebenden Ambakisten fungierten auch als transkulturelle Vermittler und trugen, zumindest in Ansätzen und für eine gewisse Zeit, zur Annäherung an eine diplomatische, ökonomische und politische Anerkennung, wenn schon nicht Ebenbürtigkeit, zwischen Portugiesen und Afrikanern bei. Im Osten wurden mit der Errichtung des Kongo-Freistaats und der späteren belgischen Kolonie solche Einflüsse zuerst zurückgedrängt, dann fast vollends abgeschnitten. In den westlichen Gebieten des heutigen Angola schuf dieser von Portugiesen, Luso-Afrikanern und Afrikanern getragene vielschichtige Prozess dagegen die Grundlage, um hier die portugiesische Sprache frühzeitig zu verankern. Die umfassenden Prozesse, die Angola und das westliche Zentralafrika im 19. Jahrhundert veränderten, waren also sehr komplex. Sie erfolgten in einem starken Spannungsfeld zwischen transatlantischen Weltmärkten und Ideologien einerseits und eher „traditionellen“, von „patrimonialen“ Strukturen geprägten Gesellschaften andererseits auf eine informelle und sehr flexible Weise. Die oft als Gegenbild zur „Moderne“ gezeichneten „traditionellen“ Strukturen waren nichts Statisches, sondern seit undenklichen Zeiten selbst ständig in Bewegung. Sie wurden und werden durch die „Moderne“ nicht einfach ersetzt, sondern in vielfältiger, sehr differenzierter Weise transformiert. Sie werden also durch Prozesse der Modernisierung nicht „überwunden“, sondern in ganz unterschiedlicher Weise zu einem unabtrennbaren Bestandteil der Moderne. Die in sie involvierten Afrikaner und Luso-Afrikaner waren keineswegs Opfer dieser Prozesse, sondern gestalteten sie in aktiver, innovativer Weise mit. Sie waren im Landesinneren gewissermaßen die „Speerspitzen“ eines individuellen Unternehmertums und einer von Individualismus geprägten Mobilität, die durch den Kontakt mit der stark auf das Engagement des Einzelnen ausgerichteten Atlantischen Geldwirtschaft in das von der Gemeinschaft bestimmte Ethos afrikanischer Gesellschaften Eingang fanden.62 62 Dieser anregende Grundgedanke wurde kürzlich von Joseph C. MILLER (From Group Mobility to Individual Movement: The Colonial Effort to Turn Back History, in: HEINTZE/VON OPPEN (Hrsg.), Angola on the Move, S. 243–262) entwickelt.

Sprache im ‚Zwischenraum‘ Adriaan David Cornets de Groot jun. (1804–1829) als multilingualer Grenzgänger im zentraljavanischen Surakarta1 Andreas Weber, Leiden

I. EINLEITUNG Im Staatsblad van Nederlands-Indië, dem amtlichen Gesetzblatt der niederländischen Kolonialregierung im Malaiischen Archipel, findet sich, datiert auf den 25. März 1819, folgender Beschluss des zuständigen Generalgouverneurs: Um der Regierung einige Beamte zur Verfügung zu stellen, die gründliche Kenntnisse der Sprache und Bräuche der umliegenden einheimischen Völker besitzen und damit geeignet sind, um zum Übersetzen von wichtigen Dokumenten und vertraulichen Gesandtschaften zu lokalen Fürsten eingesetzt zu werden, sollen einige Knaben und Beamte, die sich durch Lerneifer, Klugheit und gutes Verhalten hervorgetan haben, als Zöglinge (élèves) für inländische Sprachen ausgewählt werden.2

Der 1804 in Groningen geborene Adriaan David Cornets de Groot jun. sollte einer der im Beschluss erwähnten jugendlichen Sprachzöglinge werden. Bereits fünf Tage später, am 30. März 1819, berief die niederländische Kolonialregierung den zu diesem Zeitpunkt 15-jährigen ins Hinterland Javas nach Surakarta, um ihn dort langsam sowohl an die nur wenig bekannte javanische Sprache als auch an die komplexen kulturellen Codes des surakartischen Fürstenhofs (kraton) heranzuführen.3 Die Verantwortlichen in Batavia hofften so, einen sprach- und kulturkundi1 2

3

An dieser Stelle möchte ich Dr. Willem van der Molen (KITLV Leiden) für die kritische Durchsicht und ausführliche Kommentierung des Manuskripts danken. Staatsblad van Nederlandsch Indië voor 1819, ’s Gravenhage 1839, S. 355–358, hier S. 356– 357 („Ten einde aan de Regering eenige ambtenaren te verzekeren, die eene meer gemeenzame kennis van de taal en de gewoonten der omliggende Inlandsche volken bezitten, en daardoor geschikt zijn, om tot het vertalen van belangrijke stukken en tot zendingen van vertrouwen bij de Inlandsche vorsten te worden gebruikt, zullen eenige jongelingen en ambtenaren, die zich door leergierigheid, schranderheid en een goed gedrag onderscheiden, tot élèves voor de Inlandsche talen worden gekozen.“). Vgl. Koninklijke Bibliotheek, Den Haag (= KB), collectie Cornets de Groot, 119, Extract uit het register der Handelingen en Besluiten van den Secretaris van Staat Gouverneur Generaal van Nederlandsch Indië, 30. März 1819.

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gen Mittler zu gewinnen, der sowohl als Übersetzer als auch als Vertrauensperson für politische Verhandlungen herangezogen werden konnte.4 Cornets de Groot hatte bereits im September 1816 zusammen mit seiner Familie Batavia, das administrative Zentrum der niederländischen Besitzungen in Südostasien, erreicht.5 Die umfangreiche Familienkorrespondenz der Cornets de Groot, die heute in der Königlichen Bibliothek in Den Haag aufbewahrt wird, gibt einen tiefen Einblick in die Lebenswelt einer Familie, die sich entschlossen hatte, Java ihrer vertrauten Umgebung in Nordholland vorzuziehen.6 Die Familie integrierte sich schrittweise in die in diesen Jahren im Malaiischen Archipel entstehende niederländische Kolonialbürokratie.7 Bereits Ende der 1820er Jahre konnte Cornets de Groot sen. auf eine beeindruckende Bilanz blicken: Abgesehen von seiner eigenen Berufung als Resident (höchster niederländischer Beamter in einem Verwaltungsbezirk) in der ostjavanischen Provinz Gresik bekleideten seine vier Söhne ebenfalls entweder den Rang eines Residenten oder eines stellvertretenden Residenten in verschiedenen Verwaltungsbezirken des weitläufigen niederländischen Kolonialgebiets.8 Einer seiner Söhne, Johann Pieter Cornets de Groot van Kraaijenburg (1808–1878), übernahm 1861 nach einer langen und erfolgreichen Karriere im Kolonialdienst sogar das Amt des niederländischen Kolonialministers.9 Da Familientreffen auf Java mit großem organisatorischem Aufwand verbunden waren, wurden Briefe rasch zu dem entscheidenden Medium, um sich im vertrauten Kreis der Familie über Aufstiegsmöglichkeiten in der Kolonialbürokratie, das familiäre Selbstverständnis und über bedeutsame lokale Vorkommnisse wie beispielsweise den Besuch des Generalgouverneurs auszutauschen. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf Adriaan David Cornets de Groot jun., der – wie bereits angedeutet – im Frühjahr 1819 von der niederländischen Kolonialregierung an den javanischen Fürstenhof nach Surakarta berufen wurde. Wie von der Kolonialregierung erhofft, etablierte er sich dort rasch als multilingualer Grenzgänger, der bei auftretenden Spannungen zwischen den lokalen niederländischen Kolonialbeamten und der javanischen Aristokratie vermittelte. Darüber hinaus leistete er mit seiner 1833 posthum veröffentlichten Sprachlehre, die

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Vgl. Staatsblad 1819, S. 357. Vgl. Riemer REINSMA, Uit de aantekeningen van een oud-Indisch ambtenaar (Jhr. Johan Pieter Cornets de Groot van Kraaijenburg), in: Bijdragen tot de Taal, Land- en Volkenkunde 122 (1966), S. 229–254, hier S. 231. Adriaan David Cornets de Groot sen. (1768–1827) war dort als Steuerinspektor Groningens angestellt. Vgl. Antonie Abraham VORSTERMAN VAN OYEN, Hugo de Groot en zijn geslacht, Amsterdam 1883, S. 24–25. Vgl. Merle RICKLEFS, A History of Modern Indonesia since c. 1200, Stanford 2001, S. 143– 154; Hubrecht W. VAN DEN DOEL, Het rijk van Insulinde, Amsterdam 1996, S. 9–22; Jurrien VAN GOOR, De Nederlandse koloniën. Geschiedenis van de Nederlandse expansie 1600– 1975, Den Haag 1994, S. 171–211; Cees FASSEUR, De Indologen. Ambtenaren voor de Oost, 1825–1950, Amsterdam 1993, S. 34–39. Vgl. VORSTERMAN VAN OYEN, Hugo de Groot, S. 25–29. Vgl. REINSMA, Uit de aantekeningen, S. 246–248.

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Spraakkunst der Javaansche taal, einen maßgeblichen Beitrag zur systematischen Erschließung des bis dahin in Europa weitgehend unbekannten Javanischen. Obwohl Cornets de Groot jun. in mehreren Beiträgen zur wissenschaftlichen Erschließung des Javanischen erwähnt wird,10 bleiben dort sowohl der Entstehungskontext seiner Spraakkunst als auch seine politische Funktion in Surakarta undiskutiert. Darüber hinaus fällt auf, dass linguistische Grenzgänger, die wie Cornets de Groot jun. oftmals Schlüsselpositionen einnahmen, ein in der niederländischen Kolonialhistoriographie nur selten besprochenes Phänomen sind. So wird in einem umfangreichen Konferenzband aus dem Jahr 1980, der sich dezidiert dem Themenfeld ‚Middlemen in Indonesian History‘ zuwendet, Sprache bzw. Kommunikation lediglich in einigen Beiträgen am Rande thematisiert.11 Eine Ausnahme bildet der Südostasienhistoriker Vincent Houben, der in seiner 1994 publizierten Monographie Kraton and Kumpani: Surakarta and Yogyakarta, 1830–1870 explizit auf die Funktion von Übersetzern und anderen Grenzgängern eingeht. Für Houben nehmen vor allem Übersetzer eine Schlüsselrolle ein: „Through him [the translator, A.W.] passed all formal and, for a greater part, also the informal contacts between the Dutch and the Javanese officials and courtiers.“12 Darüber hinaus entwickelt Houben ein umfassendes Analysemodell, mit Hilfe dessen die Funktion von Übersetzern und anderen kulturellen Vermittlern im niederländisch-javanischen Fall im 19. Jahrhundert untersucht werden kann. Houben geht davon aus, dass die höfische Welt im javanischen Hinterland und die niederländische Kolonialverwaltung durch Sprache und Kultur voneinander getrennt waren.13 Um dennoch einen Interessensausgleich zu ermöglichen, müsse man davon ausgehen, so Houben, dass beide Welten über einen schmalen Zugang („a narrow gateway“) aneinander gekoppelt waren. Dieser Zugang war der Ort, an dem die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen beider Seiten ausgehandelt wurden.14 Ähnlich wie Richard White in seiner einflussreichen Studie über das Zusammentreffen von Europäern und Amerindians entlang 10 Vgl. Cees FASSEUR, The French Scare. Taco Roorda and the Origins of Javanese Studies in the Netherlands, in: Vincent J.H. HOUBEN/Henk MAIER/Willem VAN DER MOLEN (Hrsg.), Looking in odd Mirrors: The Java Sea, Leiden 1992, S. 241–257, hier S. 242; Eugenius M. UHLENBECK, A Critical Survey of Studies on the Languages of Java and Madura, ’s-Gravenhage 1964, S. 44–45; Johannes J. RAS, De beoefening van het Javaans in Indonesië en Nederland, Leiden 1992, S. 6–8. 11 Vgl. Sartono KARTODIRDJO, The Regents in Java as Middlemen. A Symbolic approach, in: Bureau of Indonesian Studies (Hrsg.), Papers of the Dutch-Indonesian Historical Conference held at Lage Vuursche, 23–28 June 1980, Leiden/Jakarta 1982, S. 172–195, hier S. 172, 186– 187; Jurrien VAN GOOR, The Death of a Middleman: Scheming in the Margin of the Dutch East Indies, in: ebenda, S. 223–249, hier S. 224; Heather SUTHERLAND, Mestizos as Middlemen? Ethnicity and Access in Colonial Macassar, in: ebenda, S. 250–277, hier S. 250, 252, 262, 266; Ong HOKHAM, The Pernakan Officers’ Families in Nineteenth Century Java, in: ebenda, S. 278–291, hier S. 279, 281, 290; Helius SYAMSUDDIN, The Coming of Islam and the Role of the Malays as Middlemen of Bima, in: ebenda, S. 293–300, hier S. 298. 12 Vincent HOUBEN, Kraton and Kumpeni: Surakarta and Yogyakarta, 1830–1870, Leiden 1994, S. 118. 13 Vgl. ebenda, S. 136. 14 Vgl. ebenda, S. 73–74.

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der Großen Seen in Nordamerika nimmt Houben somit die Existenz eines Zwischenraums oder middle ground15 an, den Grenzgänger wie Cornets de Groot jun. maßgeblich mit ausgestalten konnten. Zu einem ähnlichen Analysemodell kommt Taufik Abdullah in seiner 1978 publizierten Untersuchung der Beziehungen zwischen der niederländischen Kolonialregierung und der Minangkabau-Region in Zentral-Sumatra gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Abdullah konstatiert darin, dass die koloniale Situation zur Bildung kultureller Bindeglieder (cultural schakel) geführt habe, die beide Welten miteinander verknüpften, ohne die kulturelle Basis der jeweils anderen in Frage zu stellen. Diese kulturellen Verknüpfungen formten […] a world in itself, where people could find an outlet in the face of political powerlessness and the Dutch could secure relief from the anxiety of governing the Malaiers. It was an artificial world, a theatre, where both the ruler and the ruled played their roles while maintaining their separate sense of reality. It was a sphere that continuously cultivated the notion of an alliance between the Minangkabau and the Dutch.16

Ausgehend von Houbens, Whites und Abdullahs Beobachtungen soll im Folgenden versucht werden, Adriaan David Cornets de Groot jun. im Zwischenraum Surakarta zu verorten und seine Spielräume auszuloten. Hierfür werden zuerst einige Grundlagen und Entwicklungen skizziert, die den Raum Surakarta in politischer und kultureller Hinsicht im frühen 19. Jahrhundert kennzeichneten. Im sich daran anschließenden Teil soll analysiert werden, wie sich Cornets de Groot an die politische und soziale Welt des javanischen Kraton sowie an die niederländische Kolonialbürokratie in Surakarta annäherte. Anhand von zwei Fallbeispielen soll weiterhin näher erläutert werden, wie Cornets de Groot seine Rolle als Grenzgänger ausfüllte und welche Möglichkeiten sich ihm boten. Ein letzter Abschnitt beschäftigt sich mit seinem Bemühen, das Javanische in einer Sprachlehre zu beschreiben und zu systematisieren.

II. DER ‚ZWISCHENRAUM‘: JAVANISCHES HINTERLAND UND ENTSTEHENDER KOLONIALER STAAT UM 1800 Obwohl sich die territoriale Macht der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts kontinuierlich ins Landesinnere Javas ausgedehnt hatte, war den niederländischen Kaufleuten die Sprache und Kultur des im Hinterland ansässigen Reiches von Mataram in weiten Teilen fremd

15 Vgl. Richard WHITE, The Middle Ground: Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650–1815, Cambridge 1991, S. X. 16 Taufik ABDULLAH, The Beginning of the Padri Movement – The Making of a Schakel Society: The Minangkabau Region in the Late Nineteenth Century, in: Papers of the DutchIndonesian Historical Conference held at Noordwijkerhout, The Netherlands, 19 to 22 May 1976, Leiden 1978, S. 143–168, hier S. 148.

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geblieben.17 Erst mit dem Frieden von Giyanti (1755), dem ein mehrjähriger Bürgerkrieg vorausgegangen war, konnten die innerjavanischen Konflikte sowie die Streitigkeiten zwischen der VOC und der javanischen Aristokratie beigelegt werden. Mit dem Friedensschluss einigten sich der von der VOC unterstützte Kronprinz Pakubuwana III. und der aufständische Prinz Mangkubumi, das Restreich von Mataram in die unabhängigen Fürstentümer Yogyakarta und Surakarta aufzuteilen.18 Den niederländischen Kaufleuten, deren direkter Einfluss auf die Küstenregionen Javas beschränkt blieb, kam von nun an vor allem die Rolle des Vermittlers zwischen beiden Fürstentümern zu. Mit dem Frieden von Giyanti war zugleich die Grundlage für einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine kulturelle Blüte in beiden Gebieten gelegt worden.19 Dies änderte sich erst im frühen 19. Jahrhundert, als eine Kombination aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen das Gleichgewicht zwischen den javanischen Fürstentümern und den niederländischen und britischen20 Kolonialverwaltern an der Küste Javas nachhaltig erschütterte und letztlich in einen verheerenden Kolonialkrieg mündete.21 Der in Yogyakarta ausgebrochene Java-Krieg (1825–1830) kostete ungefähr 8.000 europäische Soldaten und mehr als 200.000 Einheimische das Leben.22 Eine der Ursachen des Krieges war der zunehmende Anspruch der Europäer, die Insel Java nicht nur als Handelsplatz, sondern vielmehr als Territorium anzusehen, dessen wirtschaftlicher Ertrag durch eine zentralisierte und straff organisierte Kolonialverwaltung gesteigert werden sollte. Zentrale Figuren dieses einschneidenden Transformationsprozesses, der weniger als Folge einer geplanten Kolonialpolitik denn vielmehr als Reaktion auf politische Umwälzungen sowohl in Europa als auch auf Java gesehen werden muss, waren radikale Reformer wie Hermann Willem Daendels (1762– 1818), Sir Thomas Stamford Raffles (1781–1826) und Godert A.G.Ph. van der Capellen (1778–1848), denen die Verwaltung Javas zwischen 1808 und 1826 in Form verschiedener Ämter oblag.23 Die von Daendels, Raffles und Van der Capellen initiierten Reformen führten unter anderem dazu, dass die Insel Java – auch das Hinterland – in Verwaltungseinheiten eingeteilt wurde. Ferner wurden zur Eindämmung von Korruption besoldete Kolonialbeamte in Dienst genommen. Mit der Einführung einer inselweiten Bodensteuer wurde javanischen Adligen (priyayi) schließlich die finanzielle Grundlage und politische Macht entzogen. Fortan waren besoldete europäische Steuerbeamte (collectors) für das Einziehen von Steuern verantwortlich. Die javanische Aristokratie, die bis zur Einführung der 17 Vgl. Merle RICKLEFS, Jogjakarta under Sultan Mangkubumi, 1749–1792, London 1974, S. xvi und S. 35–36. 18 Vom surakartischen Teil wurde 1757 noch das Fürstentum Mangkunagaran abgespalten. 19 Vgl. RICKLEFS, A History, S. 133–134. 20 Die Insel Java wurde 1811 von einer britischen Invasionsflotte besetzt und verblieb bis 1814 unter dem Kommando von Sir Thomas Stamford Raffles (1781–1826) in britischer Hand. 21 Vgl. Peter CAREY, The Origins of the Java War (1825–1830), in: The English Historical Review, 91 (1976), S. 52–78. 22 Vgl. RICKLEFS, A History, S. 153. 23 Vgl. VAN GOOR, De Nederlandse koloniën, S. 195–209; VAN DEN DOEL, Het rijk, S. 14–31.

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Bodensteuer wirtschaftliche Überschüsse aus den Dörfern (desas) an die niederländischen Kaufleute an der Küste weitergeleitet hatte, verlor somit an Macht und Einfluss.24 Der zunehmende Machtverfall der javanischen Elite setzte sich weiter fort, als 1823 surakartischen und yogyakartischen Adligen von Batavia aus verboten wurde, Teile ihres Grundbesitzes europäischen und chinesischen Pächtern zu überlassen.25 Nach dem Tod des surakartischen susuhunan Pakubuwana IV. im gleichen Jahr wurde sogar erwogen, die politische Instabilität zu nutzen und die beiden Fürstentümer zu annektieren.26

III. DIE INTEGRATION VON ADRIAAN DAVID CORNETS DE GROOT IN DIE ,BEIDEN WELTEN‘ SURAKARTAS Als der junge Adriaan David Cornets de Groot im Mai 1819 den niederländischen Amtssitz im zentraljavanischen Surakarta erreichte,27 befand sich die niederländische Verwaltung Surakartas (residentie), für die ein Resident, ein stellvertretender Resident (assistent-resident), zwei administrative Assistenten, ein Übersetzer und Dolmetscher sowie mehrere Schreiber verantwortlich waren,28 personell in einem prekären Zustand. Lokale Unregelmäßigkeiten hatten seit der Ernennung Diederik W. Pinket van Haaks als Resident Surakartas im August 1816 zu raschen Personalwechseln und längeren Vakanzen geführt. So wurde beispielsweise Pinket van Haak bereits im April 1817 wegen zahlreicher Affären mit eurasischen Mätressen seines Amtes als Resident enthoben.29 Da Pinket van Haaks Nachfolger, Wouter H. van IJsseldijk, kurz nach seinem Amtsantritt verstarb, übernahmen der stellvertretende Resident Hendrik F. Lippe und der offizielle Übersetzer Johannes W. Winter, ein in Semarang geborener Indoeuropäer, im Mai 1817 übergangsweise die Amtsgeschäfte.30 Erst im Januar 1818 war mit Rijck van Prehn ein neuer Resident gefunden worden, der wiederum bereits im März 1820, gemeinsam mit dem Übersetzer Winter, wegen Korruptionsverdachts aus dem Amt abberufen und nach Batavia delegiert wurde.31 Unter Van Prehn und Winter lernte der junge Cornets de Groot – der, wie bereits angedeutet, Surakarta im Mai 1819 erreicht hatte – den niederländischen Verwaltungsbetrieb erstmals näher kennen. Seinen Eltern berichtet er im Juli 1819, dass ihn Winter mit Hilfe javanischer Briefe, die er zu verschiedenen An24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. VAN DEN DOEL, Het rijk, S. 18. Vgl. ebenda, S. 28. Vgl. CAREY, The origins, S. 72. Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 119, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 20. Mai 1819. Vgl. HOUBEN, Kraton, S. 87–99. Vgl. Peter CAREY, The Power of Prophecy: Prince Dipanagara and the End of an Old Order in Java, 1785–1855, Leiden 2007, S. 439, 499. Vgl. ebenda, S. 499. Vgl. ebenda, S. 438, 499.

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lässen verfasst habe, unterrichte.32 Wenige Monate später, im Januar 1820, fügt er hinzu: „Was die javanische Sprache angeht; [i]ch bin damit den ganzen Tag beschäftigt, drei oder vier Mal in der Woche.“33 Cornets de Groots Vorbildung und Begabung für Sprachen waren ihm bei seinen intensiven Javanischstudien sicherlich förderlich. Aus den Briefen ergibt sich, dass er neben seiner Muttersprache Niederländisch auch über umfangreiche Englisch-, Französisch- und Malaiischkenntnisse verfügte.34 Als im März 1820 Van Prehn und Winter suspendiert wurden, beauftragte ihn Huibert G. Nahuijs van Burgst, der temporär das Residentenamt in Surakarta übernommen hatte, mit der Übersetzung von Dokumenten, die im Prozess gegen Winter verwendet werden sollten. Seinen Eltern berichtet Cornets de Groot im April: [A]ber da ich bereits Übersetzer bin, gibt mir Herr Nahuijs fast die gesamten javanischen Schreibarbeiten, und vor allem habe ich alle geheimen Unterlagen übersetzt, die während der Untersuchung gegen Herrn V[an] Prehn & Winter anfielen (man kann diese nicht dem Sohn des Angeklagten geben); ehrlich gesagt habe ich damit nicht viel zu schaffen, aber das wird mich dazu veranlassen, den Stil und die Art, sich auf Javanisch auszudrücken, zu lernen.35

Darüber hinaus begleitete Cornets de Groot Nahuijs van Burgst auf kürzeren Inspektionsreisen ins Umland. Der Resident sollte in den kommenden Jahren zudem immer mehr ein Vaterersatz für den jugendlichen Cornets de Groot werden.36 Nahuijs van Burgst sorgte ebenfalls dafür, dass Cornets de Groot langsam an die surakartische Hofwelt, die von weit verzweigten personalen Netzwerken und einer an soziale Hierarchien geknüpften territorialen Aufteilung geprägt war, herangeführt wurde.37 An der Spitze der surakartischen Hierarchie stand seit 1788 susuhunan38 Pakubuwana IV., dessen Politik darauf abzielte, den niederländischen Einfluss, der seit den Reformen Daendels und Raffles’ stetig gewachsen war, zurückzudrängen.39 So informierte Pakubuwana IV. beispielsweise gegen Ende Januar 1820 den Residenten Nahuijs van Burgst, dass der niederländische 32 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 119, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 23. Juli 1819. 33 KB, collectie Cornets de Groot, 119, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 14. Januar 1820 („Quant á la langue javanaise; J’en suis occupé toute la journée trois ou 4 fois dans la semaine.“). 34 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 120, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 2. Februar 1821. 35 KB, collectie Cornets de Groot, 119, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 19. April 1820 („[M]ais comme je suis déjà translateur, Mr. Nahuijs me donne presque tout l’ouvrage javanais, et surtout j’ai translaté toutes les pièces secrètes qui sont données pendant l’examination contre Mr. V[an] Prehn & Winter (on ne peut pas donner cela au fils de l’accusé); à la vérité je n’ai pas trop à faire avec cela, mais cela me fera à apprendre le style et la manière de s’exprimer en javanais.“). 36 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 120, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 11. Dezember 1821. 37 Vgl. Peter CAREY, Waiting for the ‚Just King’: The Agrarian World of South-Central Java from Giyanti (1755) to the Java War (1825–30), in: Modern Asian Studies 20 (1986), S. 59– 137, hier S. 67–80. 38 Susuhunan ist der offizielle Titel der Herrscher des Reiches von Surakarta. 39 Vgl. ebenda, S. 501.

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Generalgouverneur ihm in einem Brief versichert habe, alle politischen und territorialen Rechte Surakartas, die vor der Zeit Daendels und Raffles’ gewährt worden waren, wiederherzustellen. Schnell wurde klar, dass der Brief niemals verschickt worden war, und Nahuijs van Burgst konnte nur durch persönliche Intervention im Kraton eine weitere Verschärfung des Konflikts verhindern.40 Die aktuelle Tagespolitik überließ der susuhunan meist einem leitenden Minister im Kraton, dem patih, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur ein Untergebener des susuhunan, sondern auch der niederländischen Kolonialregierung war. Da jede politische Intervention von Seiten der niederländischen Kolonialverwaltung erst mit dem patih besprochen werden musste, nahm er, ebenso wie die niederländischen Übersetzer, eine Schlüsselstellung ein.41 Auf Vermittlung des Residenten Nahuijs van Burgst wurde Cornets de Groot ab Januar 1820 vom surakartischen patih Sasradiningrat II. in javanischer Geschichte und javanischen Ritualen unterwiesen. Sasradiningrat II. war wegen seiner verwandtschaftlichen Nähe zur Familie des susuhunan eine einflussreiche Persönlichkeit im Kraton.42 Seinen Eltern berichtet der junge Cornets de Groot kurze Zeit später: Ich gehe zum javanischen Premierminister (le premier ministre javanais), dem man den Titel Rijksbestierder gibt; das ist einer der zivilisiertesten Javaner, und sehr gelehrt, 45 Jahre alt. Wir sprechen immer (auf Malaiisch) über die javanische Geschichte, über von vor tausenden von Jahren, über die Art und Weise, wie die Insel besiedelt wurde, regiert wurde und groß wurde, etc. etc. und was noch dazukommt, er hat die Güte, [mir] mehrere dieser Vorträge in Schriftform zu geben, so profitiere ich davon. Was die Sitten, Gebräuche, etc. angeht, das ist etwas, das ich durch den Umgang mit ihnen langsam lernen muss. Ich habe schon viele ihrer erstaunlichen Gewohnheiten und Umgangsformen beobachtet.43

Dem susuhunan nachgeordnet war eine Gruppe Adliger (priyayi), die mit der Rechtsprechung und polizeilichen Aufgaben außerhalb des Kratons beauftragt waren. Die priyayi hatten ferner dafür Sorge zu tragen, dass finanzielle und agrarische Überschüsse den Kraton erreichten.44 Auch mit den priyayi sollte Cornets de Groot rasch in Berührung kommen. Im September 1820 teilt er seinen Eltern mit, dass er nun auch mit einigen Prinzen und Regenten häufig verkehre, um so die javanische Sprache und die kulturellen Gepflogenheiten schneller zu erlernen:

40 Vgl. ebenda, S. 501. 41 Vgl. HOUBEN, Kraton, S. 118. 42 Vgl. ebenda, S. 129–130; Nancy FLORIDA, Writing the Past, Inscribing the Future: History as Prophecy in Colonial Java, Durham/London 1995, S. 54. 43 KB, collectie Cornets de Groot, 119, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 14. Januar 1820 („Je me rends chez le premier ministre javanais, qu’on nomme Rijksbestierder; c’est un des Javanais les plus civilisés, et très savant, âgé de 45 ans. Nous parlons toujours (en malois) de l’histoire javanaise, d’avant quelques milliers d’ans, la manière dont l’ile fut peuplée gouvernée, et devient grande, etc. etc. et ce qui plus est, il a la bonté de donner plusieurs de ces relas en écrit ainsi J’en profite. Quant aux mœurs, habitudes, etc. c’est quelque chose qu’il faut que j’apprenne par la fréquentation avec eux et langzamerhand. J’ai déjà observé, beaucoup de leurs habitudes et manières singulières.“). 44 Vgl. HOUBEN, Kraton, S. 7–8.

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Ich beginne, mit den Großen zu sprechen, schreibe leicht einen Brief und kann nahezu alle Schriftstücke übersetzen, die nicht von hohem Stil sind. […] Ich bin gut befreundet mit allen Prinzen und Regenten, und ich besuche oft ihre Gesellschaften, um von der Sprache und den Gepflogenheiten zu profitieren: eigentlich gibt es von ihnen mehrere, die sich die Mühe machen, mich ein wenig zu unterweisen und mir zu helfen, in der Sprache sowie mit ihren Umgangsformen Fortschritte zu machen.45

Angesichts dieser Lernfortschritte wurden die Verantwortlichen in Surakarta schnell auf den jungen Cornets de Groot aufmerksam. Neben einer deutlichen Gehaltserhöhung – sein Gehalt wurde im Februar 1821 von 150 fl. auf 225 fl. angehoben46 – wurde der gerade erst 18-Jährige seit Mai 1822 intensiv in die täglichen Amtsgeschäfte am niederländischen Verwaltungssitz eingebunden. Verantwortlich hierfür war der im selben Jahr neu berufene Resident Adriaan M.Th. Baron de Salis, der zugesagt hatte, ihn langsam an eine höhere administrative Funktion heranzuführen.47 Cornets de Groot nutzte von nun an vor allem die Abende, um seine Sprachstudien zu vertiefen.48 Tagsüber arbeitete er am Amtssitz und erledigte Schreibarbeiten jeglicher Art oder begleitete De Salis zu amtlichen Verpflichtungen wie beispielsweise den Trauerfeierlichkeiten beim plötzlichen Ableben des yogyakartischen Sultans Hamenkubuwana IV. im Dezember 1822.49 Genau ein Jahr später, im Dezember 1823, wurde Cornets de Groot als Sekretär (secretaris) dauerhaft in Surakarta installiert.50 De Salis hatte überraschend eine zweijährige Beurlaubung beantragt, da seine Frau schwer erkrankt war und ein längerer Aufenthalt in den Niederlanden somit nicht mehr zu vermeiden war.51 Als neuer Resident Surakartas wurde Jan I. van Sevenhoven und als dessen Assistent Hendrik M. MacGillavrij eingesetzt. Da allerdings beide bis Anfang Februar 1824 in Batavia verweilten, leitete Cornets de Groot die Amtsgeschäfte in Surakarta völlig auf sich allein gestellt. Vor allem die Übergabe der vormals verpachteten Ländereien, die die niederländisch-surakartischen Beziehungen belastete,

45 KB, collectie Cornets de Groot, 119, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 12. September 1820 („Je commence à parler avec les grands, écris facilement une lettre et peux traduire presque tous les écrits qui ne sont pas hautes en style. […] Je suis bon ami avec tous les princes et Régents, et je fréquente beaucoup leur compagnie, pour profiter de la langue et les manières; En vérité il y a en a plusieurs qui se font de la peine pour m’instruire un peu et de m’aider à avancer dans la langue, ainsi que dans leurs manières.“). 46 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 120, Extract uit het Register der Handelingen en Besluiten van den Secretaris van Staat Gouverneur Generaal van Nederlandsch Indië, 20. Februar 1821. 47 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 121, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 4. Oktober 1822. 48 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 121, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 17. Mai 1822. 49 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 121, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 6. Dezember 1822. 50 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 122, Vater an Cornets de Groot jun. 21. Januar 1824. In den Monaten Juli bis Dezember 1823 hatte Cornets de Groot jun. bereits übergangsweise das Amt des stellvertretenden Residenten (assistent-resident) Surakartas ausgeübt. 51 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 121, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 1. Juli 1823.

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war noch nicht vollständig abgeschlossen. An seine Eltern schreibt er im Januar 1824: Seine Abwesenheit überlädt mich mit Arbeit, und ich muss sehr vorsichtig sein angesichts dieser Umstände. Die Übergabe der Ländereien muss bis spätestens Ende dieses [Monats] stattgefunden haben, und dann kann M[ac]G[illavrij] noch nicht zurück sein. Viele Dinge sind geklärt, aber viele auch noch nicht, ich habe daher sehr viel zu tun und [habe] im Moment eine schwere Verantwortung.52

In die ersten Wochen des Jahres 1824 fällt auch die erste Bewährungsprobe des jungen Cornets de Groot, die seine Funktion als Grenzgänger illustriert. Das im Folgenden diskutierte Fallbeispiel zeigt, dass er nach etwas mehr als vier Jahren Sprache, Rituale und kulturelle Eigenheiten beider Welten sehr genau kennengelernt hatte und mühelos zwischen ihnen vermitteln konnte – er wurde so am Vorabend des Java-Krieges, der wenige Monate später ausbrechen sollte, zu einer entscheidenden Figur, die die lokalen Machtverhältnisse ausbalancierte.

IV. FALLBEISPIEL I: DIE HOCHZEIT PAKUBUWANAS VI. (1824) Anfang Februar 1824 berichtet Cornets de Groot jun. dem Residenten MacGillavrij, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Batavia aufhielt, über folgenden Vorfall: Am Tag zuvor habe ihn im Auftrag von pangeran53 Adipati Mangkunegara II. einer der vier binnenregenten54 des Kratons aufgesucht und ihn über mehrere Hochzeiten im Kraton in Kenntnis gesetzt.55 Dazu zählte auch die Vermählung des 1823 ins Amt erhobenen susuhunan Pakubuwana VI. mit der Tochter von pangeran Mangkubumi56 als zweiter und der Tochter von pangeran Adinegara als dritter Frau. Beide Verbindungen des Sultans mit den javanischen Adelstöchtern widersprachen allerdings, so Cornets de Groot, den Abmachungen, die der susuhunan zuvor mit der niederländischen Verwaltung in Surakarta getroffen habe. Dieser Vereinbarung zufolge hätte der susuhunan erst die Tochter seines ältesten unehelichen Sohnes (pangeran bei) heiraten und diese als ratu, als eine seiner vier 52 KB, collectie Cornets de Groot, 122, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 27. Januar 1824 („Deze absentie overlaadt mij met werkzaamheden, en ik moet zeer omzichtig zijn in deze omstandigheden. De overgifte der landen moet uiterlijk op ult[imo] dezer plaats hebben, en dan kan M[ac]G[illavrij] nog niet terug zijn. Veele zaken zijn afgehandeld, doch veelen ook niet, ik heb het dus zeer druk en op dit ogenblik eene zware verantwoording.“). 53 pangeran = männliche Nachkommen des susuhunan. 54 Vgl. HOUBEN, Kraton, S. 8. Der Kraton wurde insgesamt von vier binnenregenten verwaltet, die wiederum dem patih untergeordnet waren. 55 Vgl. Konzeptversion in KB, collectie Cornets de Groot, 122, Cornets de Groot jun. an MacGillavrij, 1. Februari 1824 und transkribiert in [ANONYM], Een belangrijke brief over een belangrijk onderwerp, in: Bijdragen tot Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch Indië 6 (1863), S. 260–270. 56 Vgl. CAREY, The Power, S. 173 Anm. 42; pangeran Mangkubumi war ein jüngerer Bruder des 1820 unerwartet verstorbenen sushuhnan Pakubuwana IV.

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Hauptfrauen, bestimmen müssen. Cornets de Groot schildert die Situation wie folgt: Da S[eine] H[oheit] offensichtlich auf diese listige Art und Weise seinen Willen durchsetzen wollte [...] gegen den Geist der Mehrheit am Hof, und unter Missachtung der Heiratserlaubnis, die die Kolonialregierung ihm zugestanden hatte, war ich sofort darauf aus, gegen diese Heirat vorzugehen.57

Bevor Cornets de Groot jedoch eingriff, rief er den panembahan58 Buminoto, einen Bruder Pakubuwanas V., sowie den patih Sasradiningrat II. zu sich an den Amtssitz, um Genaueres über die Hintergründe zu erfahren. Beide bekräftigten ihm gegenüber ihre Vorbehalte hinsichtlich der geplanten Vermählung.59 Sich der Unterstützung beider bewusst, entschied Cornets de Groot schließlich, persönlich in den Kraton zu gehen und zu intervenieren. Im Kraton hatten sich gemäß der Tradition susuhunan Pakubuwana VI., alle seine weiblichen Verwandten, einige Prinzen sowie eine große Anzahl von Zuschauern auf dem zentralen Platz versammelt. Unhörbar für die Umstehenden habe er, so Cornets de Groot, dem susuhunan mitgeteilt: Dass [...] ich es nicht unterlassen konnte, meine Verwunderung auszudrücken über [dessen] Vornehmen, um sich am folgenden Tag mit den zuvor genannten Raden adjengs zu vermählen. Dass [...] ich darüber besorgt war, dass in der Folge hiervon Unannehmlichkeiten entstehen könnten [...]. Dass ich diesen Schritt als unzweckmäßig erachtete sowohl für den Frieden am Hof als auch hinsichtlich der Belange des Kaisers [...] und dass ich davon ausginge, dass S[eine] H[oheit] in dieser Sache mit mir einer Meinung sei.60

Nachdem Cornets de Groot den susuhunan in dieser Form auf die Absprachen mit der Regierung und das gemeinsame Interesse, Ruhe und Ordnung am Hof zu wahren, hingewiesen hatte, habe er ihn aufgefordert, die geplanten Hochzeiten abzusagen und erst, wie abgesprochen, die Tochter seines ältesten unehelichen Sohnes (pangeran bei) zu heiraten.61 Der susuhunan habe hierauf geantwortet, dass er den Nutzen dieses Vorgehens völlig einsehe und daher erwägen werde, den Rat zu befolgen.62 Nach einer ausführlichen Unterredung mit panembahan Buminoto 57 [ANONYM], Een belangrijke brief, S. 264 („Aangezien Z[ijne] H[oogheid] klaarblijkelijk op deze listige wijze zijnen zin zocht te erlangen, niettegenstaande U[w] E[del] G[estrenge] jongste ernstige aanmaningen, tegen den geest van het grootste gedeelte van het hof, en met teleurstelling van de sanctie van het Gouvernement op zijne voorgenomen huwelijk verleend, was ik al dadelijk bedacht, om dit huwelijk tegen te gaan.“). 58 panembahan = hoher Titel, der für ältere männliche nahe Angehörige des susuhunan bestimmt war. 59 Vgl. [ANONYM], Een belangrijke brief, S. 264–265. 60 [ANONYM], Een belangrijke brief, S. 266–267 („Dat […] ik niet kon nalaten mijne verwondering te betuigen over H[oogst]d[ezelfs] voornemen om den volgenden dag met voornoemde Raden adjengs te trouwen. Dat […] ik beducht was, dat in den vervolge onaangenaamheden konden ontstaan […] Dat ik ook voor de rust van het hof, en ’s Keizers belangen, dezen stap als ondoelmatig beschouwde, zoowel voor het tegenwoordige als voor de waarschijnlijke gevolgen van dien […] en dat ik veronderstelde dat Z[ijne] H[oogheid] in deze met mijn gevoelens zoude overeenstemmen.“). 61 Vgl. ebenda, S. 267. 62 Vgl. ebenda.

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stimmte der susuhunan schließlich zu, und der patih verkündete den Anwesenden die geänderten Hochzeitspläne. Als der susuhunan im Anschluss daran einen Toast als Dank für den guten Rat aussprach, habe er, berichtet Cornets de Groot, den Kraton in der Überzeugung verlassen, richtig gehandelt und den Hof vor Unfrieden bewahrt zu haben. Darüber hinaus habe er so die Ehre der niederländischen Verwaltung erhalten und dem javanischen Publikum Vertrauen hinsichtlich seines Handelns eingeflößt.63 Dieses Fallbeispiel führt anschaulich vor Augen, wie subtil Cornets de Groot zwischen den Interessen eines kolonialen Staates und denjenigen des javanischen Hofes vermittelte. Inwiefern er die Hintergründe der Hochzeitspläne des Sultans vollständig verstand und richtig einschätzte, kann nur schwerlich beurteilt werden. Offensichtlich hatten sowohl panembahan Buminoto als auch der patih starken Einfluss auf den noch jugendlichen Pukubuwana VI.64 Deutlich wird allerdings, dass Cornets de Groot am Vorabend des Java-Krieges am Fürstenhof in Surakarta als Mediator akzeptiert war. Sowohl die Sprache als auch die kulturellen Gepflogenheiten am Hof waren ihm hinreichend geläufig. Ferner wird deutlich, wie anfällig das Verhältnis zwischen den niederländischen Kolonialbeamten und der javanischen Aristokratie war. Bevor Cornets de Groot den Sultan aufsuchte, musste er um eine Audienz bitten und sich der Unterstützung des patih und zumindest eines Teils der javanischen Aristokratie sicher sein. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass er selbst zum Werkzeug einiger javanischer Adliger wurde, die ihre Interessen über den patih und panembahan Buminoto an ihn herantrugen und diese dann mit Hilfe seiner ‚Vermittlung‘ durchsetzten. Für kulturelle Grenzgänger wie Cornets de Groot bestand somit die Schwierigkeit darin, Eigen- und Fremdinteresse vorsichtig gegeneinander abzuwägen, politische Spielräume auszuloten und gegebenenfalls zu einer Intervention überzugehen, falls die eigenen Interessen nicht hinreichend gewahrt waren. Die geplanten Vermählungen Pakubuwanas VI. illustrieren einen solchen Fall. Da der junge Cornets de Groot sowohl die Ehre der niederländischen Verwaltung als auch das Gleichgewicht innerhalb der javanischen Aristokratie in Gefahr sah, entschloss er sich zu einer Intervention, die ohne hinreichende Kenntnisse der Sprache und kulturellen Codes unmöglich gewesen wäre. Zufrieden berichtet er dem in Batavia weilenden Residenten Surakartas, MacGillavrij: Danach nahm ich Abschied in der Überzeugung richtig gehandelt zu haben, die Mehrheit am Hof vor Schlimmerem [misgenoegen] bewahrt zu haben, die Ehre unserer Kolonialregierung gewahrt und dem javanischen Publikum Vertrauen hinsichtlich meines Vorhabens eingeflösst zu haben.65

63 Vgl. ebenda, S. 268. 64 Vgl. HOUBEN, Kraton, S. 24, 70. 65 [ANONYM], Een belangrijke brief, S. 267 („Hierna nam ik afscheid, in de overtuiging van wel te hebben gehandeld, het grootste gedeelte van het hof voor misgenoegen te hebben behoed, de eer van ons Gouvernement te hebben opgehouden, en het Javaasch publiek vertrouwen ten mijnen opzigten ingeboezemd te hebben.“).

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V. FALLBEISPIEL II: JAVA-KRIEG UND ERHEBUNG SULTAN HAMENGKUBUWANAS II. (1826) Die verbleibenden Monate des Jahres 1824 verbrachte Cornets de Groot am Amtssitz in Surakarta, den er zusammen mit dem stellvertretenden Residenten MacGillavrij verwaltete. Der eigentliche Resident Surakartas, Van Sevenhoven, war krankheitsbedingt oft abwesend und daher bis zu seiner Abberufung Ende 1824 nicht in der Lage, die Amtsgeschäfte vollständig zu übernehmen.66 Hinzu kam der Ausbruch des Java-Krieges. Im August 1825 teilt Cornets de Groot seinen Eltern mit, dass sich im benachbarten Yogyakarta einige Prinzen gegen die niederländische Kolonialverwaltung aufgelehnt und sich mit ihren Anhängern in der Nähe der Hauptstadt eingenistet hätten. Nur spärlich bewaffnet zögen die Aufständischen durch das Land und verwüsteten alles, was ihnen in den Weg käme.67 In Surakarta, in das sich auch der leitende niederländische Generalleutnant De Kock begeben habe, sei allerdings nichts von den Unruhen zu bemerken: Vor der vermeintlichen Wohlgesinntheit des Hofes von Solo müssen wir uns nicht fürchten, und darüber hinaus sind alle möglichen Vorsorgemaßnahmen getroffen, für den Fall, dass etwas passiert. Der Generalleutnant De Kock ist hier einen Tag nach mir mit unbeschränkter Vollmacht ausgestattet angekommen. [...] In Solo ist es sehr ruhig, und außer den ausgesandten Posten, andauernden Patrouillen, und täglich durchgeführten Sicherungsmaßnahmen, etc. könnte man nicht sagen, dass in der Umgebung etwas geschehen würde.68

Da nach der Abberufung Van Sevenhovens Ende 1824 kein neuer Resident für Surakarta ernannt worden war, blieb Cornets de Groot eine wichtige Stütze der niederländischen Verwaltung am Fürstenhof. Als im September 1825 der kommissarische Resident MacGillavrij zusammen mit dem verantwortlichen Generalleutnant (luitenant generaal) De Kock Surakarta für eine größer angelegte Offensive verließ, war Cornets de Groot wiederum mehrere Wochen auf sich alleine gestellt. Das ihm auferlegte Arbeitspensum war enorm. Seinem Bruder schreibt er: Ich habe lange gebraucht, um Euch zu schreiben, da ich bis über den Kopf beschäftigt war, da der Resident in Djocja verweilt und ich wenig Unterstützung habe, fällt alles auf mich zurück. Morgens von halb 7 bis 5 Uhr nachmittags im Büro oder in Konferenz, im Magazin oder im Packhaus, dann von 6 bis 12 wieder an den Schreibtisch [...]. Seit der Abreise des Residenten

66 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 122, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 9. April 1824, 15. Juni 1824, 11. Juli 1824 und 28. Dezember 1824. 67 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 123, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 2. August 1825. 68 KB, collectie Cornets de Groot, 123, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 2. August 1825 („De klaarblijkelijke welgezindheid van het hof van Solo, doet ons niet vreezen, en bovendien zijn alle mogelijke voorzorgen genomen, wanneer er iets mogt gebeuren. De Luit[enant] Gouverneur De Kock is hier, een dag na mij, bekleed met onbepaalde volmagt aangekomen […]. Op Solo is het zeer rustig, en behalve de uitgezette posten, continuele patrouilles, en dagelijks genomen wordende voorzorgen enz: zoude men niet zeggen, dat er iets in de buurt gaande was.“).

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gab es keine Nacht, in der ich nicht einpaar oder drei Mal geweckt worden bin durch Extrapost [...].69

Immer wieder berichtet Cornets de Groot in den darauf folgenden Monaten über den Verlauf der Auseinandersetzungen und die Situation am Fürstenhof in Surakarta. Dabei merkt er an mehreren Stellen an, dass der Krieg militärisch nur schwer zu entscheiden sei, da zu wenige niederländische Truppen verfügbar seien und die Aufständischen sich zudem nie auf offene Gefechte einließen.70 Diplomatie sei ein eher geeignetes Mittel, obwohl bisher auch damit keine Erfolge erzielt werden konnten. Seinem Vater schreibt er im Februar 1826: Meiner Meinung nach, und auch gemäß vieler anderer, die nicht so sehr an einer militärischen Sichtweise und Art und Weise des Urteilens festhalten, wird mit Waffen wenig gegen die Meuterer auszurichten sein; der [javanischen] Fürsten wird man, wenn sie ein bisschen gewieft sind, nicht Herr werden können; Politik ist ein viel geschickteres Mittel, doch auch hiermit hat man bis heute nur wenig ausrichten können.71

Im September 1826 wurde ein weiterer diplomatischer Versuch unternommen. Die Kolonialregierung in Batavia hatte beschlossen, den yogyakartischen Sultan Hamengkubuwono II., den die Niederländer vor dem Java-Krieg seines Amtes enthoben und nach Ambon verbannt hatten, wieder als Sultan Yogyakartas einzusetzen.72 Man hoffte so, die ‚Aufständischen‘, die in Teilen der Familie des ins Exil verbannten Sultans angehörten, zu besänftigen. Auf Anfrage De Kocks wurde Cornets de Groot im September 1826 beauftragt, als Übersetzer der feierlichen Erhebung Hamengkubuwonos II. beizuwohnen.73 Cornets de Groot berichtet seinen Eltern in einem Brief aus Yogyakarta, dass er bei der Einsetzung des Sultans die Proklamation des Generalgouverneurs erst ins Javanische übersetzen und später laut verlesen habe dürfen. Darüber hinaus habe er die darauf folgende Ansprache des Generalgouverneurs ins Javanische übersetzt, da der 76-Jährige Hamengkubuwana II. nur sehr wenig Malaiisch verstand.74 Bei der sich wenige Tage später anschließenden Begegnung des surakartischen susuhunan Pakubuwana VI. mit 69 KB, collectie Cornets de Groot, 123, Cornets de Groot jun. an Jan Piet, 5. Oktober 1825 („Ik heb lang getoefd met u te schrijven, omdat ik tot over de kop in de bezigheden zit, want de resident te Djocja zijnde en weinig assistentie hebbende, komt alles op mij neer. Des morgens van ½ 7 tot 5 uren ’s middags op het kantoor, of in conferentie, in magazijnen en pakhuizen, dan van 6 tot 12 uur weder aan de pen […]. [S]edert het vertrek van den Resident is er geen nacht geweest dat ik niet een paar of drie maal gewekt ben door extraposten […].“). 70 Vgl. bspw. KB, collectie Cornets de Groot, 124, Cornets de Groot jun. an seinen Vater, 17. Februar 1826; auch Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 2. August 1825. 71 KB, collectie Cornets de Groot, 124, Cornets de Groot jun. an seinen Vater, 17. Februar 1826 („[D]och naar mijn inzien, en dat van vele andere menschen, die juist niet zoo zeer aan de militaire geest en wijze van oordelen, blijven hangen, zoo zal met de wapenen weinig tegen de muitelingen uit te voeren wezen, ten minste zal men de hoofden, als zij een weinig bij de hand zijn, nimmer kunnen magtig worden; het politiek is een veel geschikter middel, dan ook hiermede heeft men tot heden weinig kunnen uitrigten“.). 72 Vgl. RICKLEFS, A History, S. 152. 73 KB, collectie Cornets de Groot, 124, Cornets de Groot jun. an seinen Vater, 13. September 1826. 74 Ebenda.

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dem neu eingesetzten Sultan Yogyakartas war Cornets de Groot wiederum für das Übersetzen mehrerer Ansprachen verantwortlich. Über die Zusammenkunft beider Fürsten, zu der eine große Anzahl javanischer Adliger gekommen war, berichtet er seinen Eltern: Es ist völlig klar, dass die Zusammenkunft beider Fürsten, die sich persönlich nicht kannten, sehr steif zuging; alles ist allerdings sehr gut abgelaufen, und das Volk sieht nun, dass man sich einig ist und auch so gegen den allgemeinen Feind auftreten wird. Bei dieser Gelegenheit musste ich einige pathetische Ansprachen von General de Kock auf Javanisch den Fürsten übersetzen, und das war wahrlich eine Schufterei, die mich manchen Schweißtropfen gekostet hat.75

Diese Schilderung verdeutlicht, dass die niederländische Kolonialregierung die javanischen Fürsten immer wieder zu überzeugen versuchte, dass Frieden und politische Ruhe im gemeinsamen Interesse aller beteiligten Parteien lägen. Da bis zur zweiten Jahreshälfte 1827 aufgrund der javanischen Guerillataktik nur schwer militärische Erfolge erzielt werden konnten, kam multilingualen Grenzgängern wie Cornets de Groot in direkten Kontaktsituationen wie der Einsetzung Hamengkubuwanas II. eine Schlüsselrolle zu. Cornets de Groot gehörte zu den wenigen der Kolonialregierung in diesen Jahren zur Verfügung stehenden Personen, die über entsprechende Niederländisch-, Malaiisch- und Javanischkenntnisse verfügten, welche wiederum für politische und diplomatische Interventionen eine zwingende Voraussetzung waren.76

VI. DIE ENTSTEHUNG DER SPRAAKKUNST DER JAVAANSCHE TAAL (1833) Die komplexe Transformation von den Aktivitäten einer Handelskompanie hin zu einem modernen niederländischen Kolonialstaat korrespondierte mit dem um 1800 in Europa aufkommenden Interesse, unbekannte außereuropäische Räume wissenschaftlich zu erschließen.77 Neben ersten niederländischen Beiträgen, die mit der Gründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft in Batavia (Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Wetenschappen) im Jahr 1778 stimuliert worden

75 KB, collectie Cornets de Groot, 124, Cornets de Groot jun. an seinen Vater, 21. September 1826 („Het verstaat zich ligt dat de samenkomst der twee vorsten, die elkander personeel niet kenden, zeer stijf toeging; alles is echter zeer wel afgelopen, en het volk ziet nu dat men eensgezind is en ook zoodanig tegen den algemeenen vijand zal handelen. Bij deze gelegenheid moest ik eenige pathetique aanspraken van den Generaal de Kock, in het Javaansch aan de vorsten overbrengen, en dat was waarlijk een heele tour, hetwelk mij menig zweetdroppeltje heeft gekost“.). 76 Vgl. FASSEUR, De Indologen, S. 28–33. 77 Vgl. Jürgen OSTERHAMMEL, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, S. 381.

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waren,78 trugen vor allem Raffles und John Crawfurd (1783–1868)79 zu einer systematischen Beschreibung der Region und insbesondere der Insel Java bei.80 Dem Javanischen konnten beide Autoren allerdings nur wenige Seiten widmen.81 Sowohl in Raffles’ History of Java (1817) als auch in Crawfurds History of the Indian Archipelago (1820) beschränken sich die Ausführungen neben einer kurzen Sprachgeschichte auf das Alphabet, die Aussprache, die Besonderheiten verschiedener Dialekte, mehrere Wortlisten, kurze Erläuterungen zu einzelnen Wortarten sowie die Erläuterung der drei stark voneinander abweichenden Sprachebenen des Javanischen, die je nach Hierarchie des Angesprochenen ihre Anwendung fanden. Hinsichtlich der Flexion javanischer Verben hält Raffles beispielsweise ernüchtert fest: [I]t may be remarked, that the use of these inflexions in the Javan appears to be so varied and undefined, that it is impossible, without a much more extensive knowledge of the language than Europeans at present possess, to make out a perfect conjugation, or to lay down any fixed rules for them. […] The Javan language has never been reduced within the grammatical rules adopted by Europeans, nor have the Javans themselves any notion of grammar.82

Der junge Cornets de Groot muss rasch den Entschluss gefasst haben, die javanische Sprache in einem Wörterbuch und einer Sprachlehre systematisch zu dokumentieren. Immer wieder berichtet er seinen Eltern, dass er sich zwar gut mit den Residenten Surakartas verstünde, er in seiner freien Zeit allerdings eher seinen Literatur- und Sprachstudien nachgehe. Als der Resident De Salis 1824 von Surakarta abberufen wurde, umschreibt Cornets de Groot seine Stellung in Surakarta in einem Brief an seine Eltern wie folgt: Die Abreise Herrn De Salis’ tut mir sehr leid. […] Ich glaube, dass [er] mir nicht abgeneigt war, obwohl ich nicht seinem Geschmack entsprach, da [er] besonders unternehmend und dem Reisen sehr zugeneigt, etc. war, wohingegen ich als überzeugter Student, der die meiste Zeit des Tages zu Hause sitzt, um zu studieren (letterblokken), mit wenig Menschen Umgang habe, und so gesagt nicht mitmache, weshalb ich dann auch von anders denkenden Menschen als trocken bezeichnet werde, doch das stört mich nicht; indessen folge ich meiner Begabung (genie), und das ist, allein in meinem Haus zu sitzen und zu studieren.83

78 Vgl. Johannes P.M. GROOT, Van de Grote Rivier naar het Koningplein. Het Bataviaasch Genootschap van Kunsten en Wetenschappen 1778–1867 (proefschrift), Leiden 2006. 79 Crawfurd war zwischen 1811 und 1814 unter Raffles als Resident in Yogyakarta tätig. 80 Vor allem Raffles stützte sich bei seiner History of Java auf die Vorarbeiten Anderer. Vgl. hierzu Donald E. WEATHERBEE, Raffles’ Sources for Traditional Javanese Historiography and the Mackenzie Collections, in: Indonesia 26 (1978), S. 63–93. 81 Vgl. John CRAWFURD, History of the Indian Archipelago, Bd. 2, Edinburgh 1820, S. 3–15; Sir Thomas Stamford RAFFLES, History of Java, Bd. 1, London 1817, S. 356–372. 82 RAFFLES, History of Java, Bd. 1, S. 364–365. 83 KB, collectie Cornets de Groot, 121, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 1. Juli 1823 („Het vertrek van den Hr. De Salis doet mij zeer leed. […] Ik geloof dat Z[ijne] Ed[ele] mij niet ongenegen was, hoewel ik niet in zijn smaak val, zijnde Z[ijne] Ed[ele] bijzonder vlug, liefhebber van reizen enz. terwijl ik kompleet een student, die het grootste gedeelte van de dag te huis zit te letterblokken, met weinig menschen verkeer, en zoo gezegd niet meedoe, waarom ik ook wel van anders denkende lieden de naam van droog heb gekregen, doch hieraan stoor ik mij niet, terwijl ik mijn genie volg, dat is, alleen in mijn huis te zitten studeren“.).

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Anstatt am sozialen Leben am Amtssitz teilzunehmen, begann Cornets de Groot bereits wenige Monate nach seiner Ankunft in Surakarta mit dem Aufbau einer eigenen Bibliothek und eines Handschriftenarchivs. So berichtet er im November 1820 seiner Mutter, dass er in Surakarta mehrere niederländisch-, englisch- und französischsprachige Bücher erworben habe. Ferner forderte Cornets de Groot seine Eltern und Geschwister mehrmals auf, ihm Bücher zukommen zu lassen.84 Ein Bibliothekskatalog,85 der nach seinem Tod in den Niederlanden erstellt wurde, weist mehr als 100 Monographien aus. Hierunter befinden sich neben einer achtbändigen Ausgabe der Werke des britischen Philologen William Jones (1746– 1794) Wörterbücher, Grammatiken und sprachhistorische Abhandlungen über verschiedene Sprachen.86 Ferner werden im Katalog mehrere Ausgaben des von der britischen Royal Asiatic Society in Kalkutta herausgegebenen Asiatic Journal sowie die in Batavia erscheinenden Verhandelingen van het Bataviaasch Genootschap aufgelistet. Beim Aufbau einer Kollektion javanischer und malaiischer Handschriften halfen Cornets de Groot vier javanische Schreiber, die er vermutlich im Laufe des Jahres 1822 oder bereits früher in Dienst nahm. Er berichtet seinen Eltern Ende 1822: Ich habe vier javanische Schreiber in Dienst, die Bücher, etc. kopieren; ich glaube, dass sie ein ‚Spektakel‘ veranstalten in meinem Haus. Sie kommen um 8 Uhr morgens und gehen dann um 2 Uhr heim, in dieser Zeit bin ich im Büro, so dass ich sie nie arbeiten sehe.87

Im 1830 angefertigten Handschriftenkatalog sind über dreißig Einträge verzeichnet, worunter sich mehrere in Strophenform verfasste javanische Chroniken (babad) und literarische Texte anderer Gattungen befinden.88 Das Vorhaben, die javanische Sprache in einem Wörterbuch und einer Grammatik zu dokumentieren und zu systematisieren, wird erstmals in einem ausführlichen Schreiben des surakartischen Residenten MacGillavrij an den General84 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 122, Cornets de Groot jun. an seine Mutter, 28. Dezember 1824. 85 KB, collectie Cornets de Groot, 128, Catalogus van Engelsche, Fransche en Hollandsche boekwerken, nagelaten door wijlen den A.D. Cornets de Groot (1830). 86 Neben anderen waren dies William MARSDEN, A grammar of the Malayan Language with an Introduction and Praxis, London 1812; Philipus P. ROORDA VAN EYSINGA, Nederduitsch en Maleisch Woordenboek, Batavia 1824; John RICHARDSON, A Dictionary, Persian, Arabic, and English, Oxford 1777; Petrus WEILAND, Nederduitsch taalkundig woordenboek, 11 Teile, Amsterdam 1799–1811; DERS., Handwoordenboek voor de spelling der Hollandsche Taal, Den Haag 1812; Matthew LUMSDEN, A grammar of the Arabic Language, Calcutta 1813; A. IJPIJ, Beknopte Geschiedenis der Nederlandsche tale, Bd. I, Utrecht 1812; B.H. LULOFS, Schets van een overzigt der Duitsche taal, Groningen 1819; William PERRY, The Royal Standard English Dictionary, Edinburgh 1775; Georg H. WERNDLY, Maleische spraakkunst, Amsterdam 1736. 87 KB, collectie Cornets de Groot, 121, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 26. November 1822 („Ik heb vier Jav[aanse] schrijvers in mijn dienst welke boeken enz. copieren; ik geloof dat die een spektakel maken bij mij in huis. Zij komen om 8 uur s’ morgens en gaan om 2 u[ur] heen, die gehele tijd ben ik in de Residentie, zoo dat ik hun nooit zie werken.“). 88 KB, collectie Cornets de Groot, 128, Catalogus van Javaansche werken en geschriften alhier nagelaten door wijlen A.D. Cornets de Groot (1830).

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gouverneur in Batavia vom März 1825 erwähnt. MacGillavrij bittet darin den Generalgouverneur, Cornets de Groot jun. von seinem Amt als Sekretär und Übersetzer freizustellen, um ihm die Ausarbeitung beider Werke zu erlauben. Da Cornets de Groot bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet habe, könne man mit einer Fertigstellung innerhalb weniger Jahre rechnen, so der Resident.89 Über seine bisherigen Bemühungen vermerkt MacGillavrij, dass noch nie ein Europäer auf Java war oder noch ist, der solche dermaßen erstaunlichen Fortschritte gemacht hat nicht nur im alltäglichen Javanischen, sondern auch in der Hofsprache […]; der zugleich Studien durchführt, um den Ursprung und die Entwicklung der Sprachen aus der Kawi-[Sprache] und anderen östlichen Sprachen (Oostersche talen) zu untersuchen und der sich in einem Wort, einen Schatz östlicher Sprachkenntnis und Geschichte durch eigene Studien, schwierige Nachforschungen und einen unbegrenzten Eifer zu erlangen wusste; hiervon wird kaum ein zweites Beispiel gefunden werden.90

Mit dem Ausbruch des Java-Krieges kurze Zeit später büßte das Vorhaben allerdings seine Priorität ein und wurde mit der Begründung, es seien zu wenige Ressourcen vorhanden, von Generalgouverneur Van der Capellen abgelehnt.91 Nachdem Cornets de Groot von dem Beschluss des Generalgouverneurs erfahren hatte, entschied er nach Rücksprache mit seinen Eltern, das Wörterbuch aufzuschieben und sich in seiner freien Zeit auf die Erstellung einer javanischen Sprachlehre zu konzentrieren.92 Darüber hinaus nahm er irritiert zur Kenntnis, dass man in Batavia nicht nachvollziehen könne, warum er seine umfangreichen Sprachkenntnisse nicht bereits in Artikel- oder Buchform publiziert habe.93 Seinen Eltern teilte er verärgert mit, dass Verfasser solcher Werke normalerweise mehrere Jahre, ja sogar ein ganzes Leben hierfür verwendeten.94 Der 1825 ausgebrochene Java-Krieg ließ Cornets de Groot zudem nur wenig Zeit, um an der Grammatik zu arbeiten. Dennoch versuchte er die ihm verbleibenden Morgen- und Nachtstunden so gut wie möglich zu nutzen. Neben der begrenzten Anzahl europäischer Wörterbücher und Grammatiken, die ihm für die Arbeit an einer javanischen Sprachlehre zur Verfügung standen, stützte er sich vor allem auf seine einheimischen Helfer. Seinen Eltern berichtet er, dass ihm seit drei Jahren ein kundiger Javaner, der von seinen Verpflichtungen am Hof freigestellt worden sei, bei der Arbeit an der Grammatik helfe. Sein Mentor Awikrama sei ein 89 KB, collectie Cornets de Groot, 123, Extract uit de missive van den Resident van Soeracarta MacGillavrij aan den Gouverneur Generaal, 20. März 1825. 90 KB, collectie Cornets de Groot, 123, Extract, 20. März 1825 („[…] dat er nog nimmer eenig Europeaan op Java is geweest of nog is, welke zoodanige verbazende vorderingen heeft gemaakt, niet alleen in het dagelijks Javaansch maar ook in de Hoftaal zoo wel praktisch als ook theoretisch die daarbij zijn studie maakt, om de oorsprong en voortgang dier talen uit de Kawische en andere Oostersche talen te onderzoeken en die zich in een woord een schat van Oostersche taalkennis en geschiedenis door eigen studie, moeilijke navorschingen en een onbeperkte ijver heeft weten te verwerven dat hiervan schaars een tweede voorbeeld zal worden aangetroffen.“). 91 KB, collectie Cornets de Groot, 124, Cornets de Groot jun. an seine Mutter, 9. Mai 1826. 92 KB, collectie Cornets de Groot, 124, Cornets de Groot jun. an seinen Vater, 14. Juli 1826. 93 Ebenda. 94 Ebenda.

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Sohn des Mas Ngabehi Jasadipura, der unter den Sultanen Pakubuwana III. und Pakubuwana IV. als Hofpoet gedient und aufgrund seiner Gelehrsamkeit hohes Ansehen am Hof erworben habe.95 Die vielfältigen Amtsgeschäfte als Sekretär scheinen die Gesundheit des jungen Adriaan David Cornets de Groot stark angegriffen zu haben. Ab April 1827 häufen sich Briefe, in denen er von längeren krankheitsbedingten Ausfällen berichtet. Die Angst vor einem abrupten Karriereende ließ ihn allerdings immer wieder seine Verwaltungstätigkeit aufnehmen, denn ein Antrag auf Freistellung hätte unweigerlich zur Folge gehabt, so Cornets de Groot jun., dass sein Posten als Sekretär, wenn auch nur temporär, an andere vergeben worden wäre.96 Erst im Juni desselben Jahres, als er von schwerem Rheuma gezeichnet keinen Ausweg mehr sah, entschloss er sich, Surakarta vorübergehend zu verlassen.97 Die sechsmonatige Freistellung, die ihm von Batavia aus gewährt wurde, verbrachte er zusammen mit seinem javanischen Mentor im Haus seiner Eltern in Surabaya.98 Als er im Januar 1828 plante, wieder nach Surakarta zurückzukehren, um die Amtsgeschäfte in beschränktem Maß wieder aufzunehmen, erhielt er die Auskunft, dass dies nicht möglich sei, da sein Posten bereits wiederbesetzt sei.99 Da ihm auf diese Weise der Weg zurück nach Surakarta versperrt worden war, wurde er im Februar 1828 in das Büro für inländische Angelegenheiten (Secretarie voor Inlandsche zaken) nach Batavia berufen, wo er vor allem für das Übersetzen javanischer Schriftstücke zuständig war.100 Da sein Aufenthalt in Batavia ebenfalls von längeren Krankheitsperioden geprägt war, beantragte er im Dezember 1828 eine zweijährige Freistellung, um zur Genesung in die Niederlande zurückzukehren.101 Der Aufenthalt sollte ihm zugleich erlauben, die geplante Sprachlehre in aller Ruhe fertig zu stellen.102 Zu einer weiteren Ausarbeitung der Grammatik sollte es allerdings nicht mehr kommen. Einen Monat nach seiner Ankunft in den Niederlanden verstarb Adriaan David Cornets de Groot jun. im Juli 1829 im Alter von 25 Jahren bei einer Tante in Utrecht, die ihn übergangsweise bei sich aufgenommen hatte.103 95 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 125, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 14. Juni 1827; SOEBARDI, Raden Ngabehi Jasadipura I, Court Poet of Surakarta: His Life and Works, in: Indonesia 8 (1969), S. 81–102. 96 KB, collectie Cornets de Groot, 125, Cornets de Groot jun. an seinen Vater, 5. April 1827. 97 KB, collectie Cornets de Groot, 125, Cornets de Groot jun. an seine Eltern, 14. Juni 1827. 98 KB, collectie Cornets de Groot, 125, Extract uit het register der handelingen en besluiten van Luit. Gouverneur-generaal in Rade, 26. Juni 1827, no. 1. 99 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 126, Cornets de Groot jun. an seinen Bruder Jan Piet, 12. Januar 1828. 100 KB, collectie Cornets de Groot, 126, Extract uit het register der handelingen en besluiten van Leut. Gouverneur-generaal, 26. Februar 1828 und Jan Piet an Cornets de Groot jun., 22. März 1828. 101 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 126, Cornets de Groot jun. an seine Mutter, 8. Dezember 1828. 102 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 126, Bijlage der Resolutie der Indische Regering, 31. Dezember 1828, 29. 103 Vgl. KB, collectie Cornets de Groot, 128, Hora Siccema, Berigt van zijn overlijden op 10 juli 1829. Die genauen Umstände des frühen Todes von Adriaan David Cornets de Groot jun. bleiben im Dunkeln. Die in der Korrespondenz an mehreren Stellen geschilderten Symptome

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Die Sprachlehre von Cornets de Groot, die an Umfang und Tiefe alle anderen in den 1830er Jahren publizierten Sprachlehren des Javanischen deutlich übertraf,104 wurde erst 1833 unter dem Titel Spraakkunst der Javaansche taal in leicht bearbeiteter Form von dem Bibelübersetzer Johann F.C. Gericke herausgegeben. Eine zweite, nur wenig veränderte und ergänzte Ausgabe erschien 1843 unter der Redaktion Taco Roordas (1801–1874), der an der im selben Jahr gegründeten Hochschule für Kolonialbeamte in Delft Javanisch unterrichtete.105 Roorda legte in den darauf folgenden Jahren mit der Zusammenstellung und Herausgabe mehrerer javanischer Wörterbücher,106 einer ausführlichen Grammatik107 sowie einiger Textbücher schließlich eine breite Grundlage für eine eingehende Erforschung der javanischen Sprache, wie sie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Niederlanden und auf Java stattfinden sollte.108

VII. FAZIT Am Beispiel von Adriaan David Cornets de Groot jun. konnte gezeigt werden, welche Rolle ein multilingualer Grenzgänger im ‚Zwischenraum‘ Surakarta in den Jahren vor und während des Java-Krieges (1825–1830) spielte. Die beiden untersuchten Fallbeispiele weisen ihn als wichtiges Bindeglied aus, das zwischen den Interessen eines ins Hinterland ausgreifenden kolonialen Staates und den Interessen lokaler Herrscher vermittelte. Entsprechende Kenntnisse des Javanischen waren hierfür eine entscheidende Voraussetzung. Die Analyse der Ereignisse rund um die Hochzeit Pakubuwanas VI. verdeutlicht, dass jegliche direkte Intervention in die inneren Angelegenheiten des surakartischen Kraton vorsichtig sondiert werden musste und letzten Endes nur in Absprache mit javanischen Verbündeten durchgeführt werden konnte. Herrschende Parteien innerhalb des Kratons konnten so geschickt ihre eigenen Interessen mit denjenigen der Kolonialmacht verknüpfen, um möglichst den Status quo in Surakarta aufrecht zu erhalten. Da die komplexe Interessenlage jedes Mal von neuem on the spot bewertet und ausgehandelt werden musste, wurde jede direkte Kontaktsituation zu einer Herausforderung. Scheiterte der Interessenausgleich, bestand die Gefahr, dass lokale Konfliktherde

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deuten auf eine Syphilisinfektion hin. Ich danke Dr. Willem van der Molen für diesen Hinweis. Dies waren: Johann GERICKE, Eerste gronden der Javaansche taal, benevens Javaansch leeren leesboek, Batavia 1831; Gottlob BRUCKNER, Proeve eener Javaansche Spraakkunst, Serampore 1830; Philipus ROORDA VAN EYSINGA, Javaansche spraakkunst, Amsterdam 1835. Vgl. FASSEUR, De Indologen, S. 86–87. Vgl. Johann GERICKE, Javaansch-Nederduitsch woordenboek vermeerdert en verbeterd door Taco Roorda, Amsterdam 1847; Taco ROORDA/Johannes J. MEINSMA, Supplement op het Javaansch-Nederduitsch woordenboek van J.F.C. Gericke, Amsterdam 1862; Taco ROORDA, Javaansch-Nederduitsch handwoordenboek, Amsterdam 1875. Vgl. Taco ROORDA, Javaansche grammatica, Amsterdam 1855. Vgl. UHLENBECK, A Critical Survey, S. 45–60.

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einen konkreten Anlass boten, soziale und wirtschaftliche Fehlentwicklungen, die sich über Jahrzehnte hinweg aufgestaut hatten, in Form militärischer Auseinandersetzungen auszutragen. Nur eine derartige Gemengelage von konkreten lokalen und übergeordneten strukturellen Problemen ermöglichte eine Mobilisierung der Massen. Der 1825 ausgebrochene Java-Krieg ist sicherlich eines der prominentesten und extremsten Beispiele hierfür. Doch auch im Konfliktfall spielten multilinguale Grenzgänger wie Cornets de Groot eine entscheidende Rolle. Das zweite Fallbeispiel hat gezeigt, dass eine diplomatische Intervention der Kolonialregierung, wie sie mit der Einsetzung des Fürsten Hamengkubuwana II. in Yogyakarta vorlag, ohne die entsprechenden Sprachkenntnisse unmöglich gewesen wäre. Obwohl sich Adriaan David Cornets de Groot jun. schnell in die niederländische Verwaltungsstruktur und die javanische Hofwelt integriert hatte, blieb er ein Außenseiter. Die Nische, die ihm die Kolonialregierung mit seiner Anstellung als ‚Sprachzögling‘ im kolonialen Grenzraum Surakarta geschaffen hatte, füllte er mit intensiven Sprach- und Kulturstudien. Mit dem sukzessiven Aufbau einer eigenen Bibliothek und eines Handschriftenarchivs sowie intensiven Kontakten mit javanischen Gelehrten eignete er sich Wissenspraktiken beider Welten an, die er vor Ort in Surakarta in einer Sprachlehre mühsam zu verknüpfen versuchte. Hierfür waren lokale Helfer unerlässlich. An mehreren Stellen berichtet er seinen Eltern, dass an eine Vollendung seiner Sprachlehre ohne die Hilfe eines oder mehrerer erfahrener Javaner nicht zu denken sei. Zum anderen stützte er sich auf um 1800 publizierte Sprachlehren und Grammatiken des Niederländischen, Englischen, Französischen, Deutschen und Malaiischen, die ihm einen wichtigen Referenzund Ordnungsrahmen für seine Beschreibung und Systematisierung des Javanischen boten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das zentraljavanische Surakarta in den Jahren vor und während des Java-Krieges einen ‚Zwischenraum‘ bildete, in dem Interessenkonflikte über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg vor Ort verhandelt und ausgeglichen werden mussten. Dem sprachbegabten Cornets de Groot verhalf der Umstand, dass hierfür sprachlich und kulturell geschulte Vermittler notwendig waren, zu einem raschen Aufstieg innerhalb der Kolonialbürokratie, den er mit der Publikation einer Sprachlehre und eines Wörterbuches weiter zu festigen beabsichtigte. Die systematische Erfassung des Javanischen, die im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts in den Niederlanden und auf Java zunehmend intensiviert werden sollte, ging somit eng mit seiner Tätigkeit als multilingualer Grenzgänger im Dienste eines sich formierenden kolonialen Staates einher.

III. VERWISSENSCHAFTLICHUNG VON SPRACHE SPRACHENPOLITIK UND KOLONIALHERRSCHAFT IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT

Repräsentation und Macht Selbstkritik der Philologie in Zeiten ihrer Ermächtigung (Jean-Pierre Abel-Rémusat, Eugène Jacquet, Wilhelm von Humboldt)1 Markus Messling, Potsdam Il sera trop tard pour étudier les hommes, quand il n’y aura plus sur la terre que des Européens. Jean-Pierre Abel-Rémusat

I. PLURALITÄT UND SPRACHBESCHREIBUNG: DAS ERBE DER MISSIONARSGRAMMATIKEN Das Problem der Repräsentation symbolischer Formen fremder Kulturen, insbesondere ihrer Sprachen, wird nicht erst im 19. Jahrhundert virulent. Seit der Eroberung Mittel- und Südamerikas hat die Erfahrung der Begegnung mit überseeischen Völkern zu den Prozessen der Bewusstseinsbildung kultureller Pluralität in Europa selbst beigetragen – es sind reformatorische Druckermilieus, die erste Sprach-Sammlungen wie Gesners Mithridates (1555) publizieren.2 Zunächst handelt es sich dabei um Wörterlisten und Übersetzungen des „Vater-Unsers“ in die Sprachen der bekannten und kolonisierten Welt.3 Dies verweist natürlich auf den ideologischen Hintergrund der Sprachsammlungen, die im Rahmen der Christianisierung entstehen. Während also in Europa die Kenntnis äußerer Sprachenvielfalt die Wahrnehmung innerer Diversität begünstigt, werden die Sprachen der kolonisierten Völker auf der Grundlage einer als universal betrachteten, lateinischchristlichen Systematik analysiert und aufgezeichnet. Denn seit der Eroberung Mittel- und Südamerikas durch die Spanier und Portugiesen sehen sich die Kolonialverwaltungen ebenso wie die Missionen der dringenden, aber schwierigen Aufgabe gegenüber, die Sprachen der oftmals illiteraten indianischen Völker zu

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Die Revision des ursprünglichen Vortragsformates hat mir ein großzügiges Forschungsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Fondation Maison des Sciences de l’Homme (Paris) für das Jahr 2008/09 ermöglicht. Vgl. Jürgen TRABANT, Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Europäischen Sprachdenkens, München 2003, S. 117. Vgl. TRABANT, Mithridates, S. 118–121.

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verschriftlichen und zu systematisieren.4 De facto geht das aber nur in Reibungsprozessen zwischen lateinischer Norm und fremdsprachlichen Strukturen, deren wichtigster Ausdruck die so genannten Missionarsgrammatiken sind.5 Die zwei großen Aspekte sprachlich-kultureller Repräsentation – die Erfahrung der differenten Repräsentationen von Welt in den Sprachen einerseits, die Problematik der adäquaten Repräsentation der Sprachen andererseits – sind also spätestens seit der Neuzeit praktische Probleme einer kulturellen Praxis der Aufzeichnung und Klassifikation. Die grammatisierende Spracharbeit der Ordensbrüder wird heute historisch differenziert bewertet. Dies vor allem, weil die Missionare aufgrund der NichtIntegrierbarkeit von Datenmengen – also der typologischen Differenz der fremden Sprachen zum Lateinischen – immer wieder zur Transformation etablierter Konzepte und Kategorien gezwungen waren. Im Missionskontext entstehen daher konzeptionell neue Grammatiken, die gegenüber dem frühneuzeitlichen Grammatisierungsprojekt in Europa ein beträchtliches Maß an Eigenständigkeit aufweisen. Wissenschaftsgeschichtlich sind die Kolonialgrammatiken daher – wenigstens zum Teil – durchaus als innovative Leistungen zu betrachten.6 Dennoch unterlagen die Sprachbeschreibungen der Ordensleute als Grammatisierung von außen natürlich epistemischen und ideologischen Bedingungen, die ideologiegeschichtlich mit dem christlich-eurozentrischen Machtanspruch korrelieren. In diesem sind die kolonisierten Sprachen und Kulturen dabei – allerdings sehr theoretisch – in der christlichen Universalität aufgehoben. Das Problem der Repräsentation sollte im Umbruch vom 18. zum 19. Jahrhundert in Europa eine neue Qualität erhalten. Innerhalb eines neu-historischen Denkens entsteht eine positivistische Wissenskultur, die sich als empirische Ethnographie, historische Textwissenschaft und historisch-vergleichende Sprachforschung äußert und als philologische Wissenschaft institutionalisiert.7 Diese tritt 4

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Die hermeneutischen Ausgangsdispositionen dieser Begegnung mit dem Anderen hat Tzvetan Todorov in seinem großen Buch über Kolumbus’ Weltbild und die Anfänge der spanischen Eroberungen dargestellt: Tzvetan TODOROV, La conquête de l’Amérique. La question de l’autre, Paris 1982. Vgl. hierzu den Beitrag von Renate Dürr in diesem Band. Mit der Einschätzung der Spezifik und epistemologischen Leistung der frühneuzeitlichen Kolonialgrammatiken beschäftigt sich der Bereich 6 des Sonderforschungsbereichs 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.–17. Jh.)“ an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Vgl. zum Problem den stark theoretisierenden Überblick von Wulf OESTERREICHER, Die Entstehung des Neuen – Differenzerfahrung und Wissenstransformation: Projektions- und Retrospektionshorizonte frühneuzeitlicher Sprachreflexion, in: Mitteilungen des SFB 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.–17. Jahrhundert)“ 1/2005, München 2005, S. 26–37. Vgl. Sylvain AUROUX, Linguistique et anthropologie en France (1600–1900), in: Britta RUPPEISENREICH (Hrsg.), Histoires de l’anthropologie: XVIe–XIXe siècles, Paris 1984, S. 291– 318; DERS., Quatre lois ou généralités explicatives: A propos du développement du comparatisme en Europe, in: Ricarda LIVER/Iwar WERLEN/Peter WUNDERLI (Hrsg.), Sprachtheorie und Theorie der Sprachwissenschaft. Geschichte und Perspektiven. Festschrift Rudolf Engler, Tübingen 1990, S. 48–64; DERS., Emergence et domination de la grammaire comparée (Introduction), in: Sylvain AUROUX (Hrsg.), L’hégémonie du comparatisme (Histoire des

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mit einem neuen methodischen Selbstverständnis und einem neuen Welterklärungsanspruch auf.8 So wird die Philologie (Sprach- und Textwissenschaft) innerhalb vieler europäischer Gesellschaften zu einem ‚Ort‘ der Erklärung menschlicher Dispositionen und Produktionen von herausragender Autorität.9 Ganze Wissensbereiche sind praktisch ‚philologisiert‘, basieren in ihrem Selbstverständnis auf der Untersuchung von Sprachen und Texten. Das gilt insbesondere auch für die orientalistischen Disziplinen.10 Es hat daher seinen guten Grund, dass der amerikanisch-palästinensische Intellektuelle Edward W. Said in seinem berühmten Buch über den „Orientalismus“ mit dem Umbruch zum 19. Jahrhundert beginnt. Denn im Anschluss an Michel Foucaults Epistemologie geht es ihm um das Problem der Repräsentation im Nukleus der sich als aufgeklärt verstehenden europäischen Kultur, um die Beschreibungsmacht der modernen Wissenschaft.11 idées linguistique 3), Sprimont 2000, S. 9–22; Sylvain AUROUX/Gilles BERNARD/Jacques BOULLE, Le développement du comparatisme indo-européen, in: ebenda, S. 155–170; Erika HÜLTENSCHMIDT, Tendenzen und Entwicklungen der Sprachwissenschaft um 1800. Ein Vergleich zwischen Frankreich und Preußen, in: Bernard CERQUIGLINI/Hans Ulrich GUMBRECHT (Hrsg.), Der Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Wissenschaftsgeschichte als Innovationsvorgabe, Frankfurt am Main 1983, S. 135–166; DIES., Paris oder Berlin? Institutionalisierung, Professionalisierung und Entwicklung der vergleichenden Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert, in: Peter SCHMITTER (Hrsg.), Zur Theorie und Methode der Geschichtsschreibung der Linguistik: Analysen und Reflexionen (Geschichte der Sprachtheorie 1), Tübingen 1987, S. 178–197; Wulf OESTERREICHER, ‚Historizität‘ und ‚Variation‘ in der Sprachforschung der französischen Spätaufklärung – auch: ein Beitrag zur Entstehung der Sprachwissenschaft, in: CERQUIGLINI/GUMBRECHT (Hrsg.), Diskurs, S. 167–205; Wulf OESTERREICHER, Ere française et Deutsche Bewegung. Les Idéologues, l’historicité du langage et la naissance de la linguistique, in: Winfried BUSSE/Jürgen TRABANT (Hrsg.), Les idéologues. Sémiotique, théorie et politiques linguistiques pendant la Révolution française, Amsterdam/Philadelphia 1986, S. 97–143; Jürgen TRABANT, Les langues des peuples sauvages dans quelques projets anthropologiques autour de 1800, in: Revue germanique internationale 21 (2004), S. 11–26. 8 Dies hängt nicht zuletzt mit der Tatsache zusammen, dass die Philologie – zumindest in Deutschland – von ihrer Entstehung im beginnenden 19. Jahrhundert an mit der philosophischen Frage des Verstehens, also einer allgemeinen Hermeneutik verbunden ist; Text- und Welterschließung unterliegen denselben erkenntnistheoretischen Voraussetzungen. Vgl. hierzu Michael WERNER, A propos de la notion de philologie moderne. Problèmes de définition dans l’espace franco-allemand, in: Michel ESPAGNE/Michael WERNER (Hrsg.), Philologiques I. Contribution à l’histoire des disciplines littéraires en France et en Allemagne au XIXe siècle, Paris 1990, S. 11–21, hier S. 16–17. 9 Das gilt bis weit über die Jahrhundertmitte hinaus, allerdings in den verschiedenen europäischen Gesellschaften – in Frankreich, Italien, Skandinavien etwa – mit anderen Implikationen und in unterschiedlichem Maße als in Deutschland. In der zweiten Jahrhunderthälfte spielen nicht nur die Naturwissenschaften eine immer größere Rolle, sondern vor allem die Ausdifferenzierung der modernen Wissenschaften der Kultur (Geschichte, Ethnologie, Recht, Geographie, Sozialwissenschaften usw.) läuft dem globalen Anspruch der Philologie als science des textes und science de la culture entscheidend entgegen. Vgl. WERNER, A propos, S. 19. 10 Vgl. die Studie von Sabine MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, insbesondere S. 78–91. 11 Vgl. Katherine ARENS, Said’s Colonial Fantasies: How Orientalism Marginalizes EighteenthCentury Germans, in: Herder Jahrbuch/Herder Yearbook VII (2004), S. 11–29, hier S. 11.

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Diese neue Beschreibungsmacht tritt für Said historisch mit dem wissenschaftlichen Tross der Ägyptenexpedition Napoleons auf den Plan und ist symbolisiert in der monumentalen Description de l’Egypte, die ab 1809 auf Kosten des französischen Staats publiziert wird. Für Said ist die Expedition trotz ihres politischen und militärischen Scheiterns, gerade aufgrund ihrer wissenschaftstheoretischen Dimension, ein „totales Ereignis“.12 Nun basiert die moderne, wissenschaftliche Philologie in erheblichem Maße auf den überlieferten Sprachmaterialien aus Übersee. Je weiter eine Sprache und Kultur von Europa entfernt ist, desto länger spielen die lexikalischen und grammatischen Aufzeichnungen der Missionare eine Rolle.13 Musste aber die Betrachtung und Bewertung der anderen Sprachen nicht schon aufgrund der Materialbasis aus dem Kontext der Mission hochproblematisch, sprich eurozentrisch sein? Umso mehr, als ja für die moderne Philologie die Aufhebung der kulturellen Differenz in einer Menschheitsgeschichte, wie sie das christlich-katholische Modell und die Universalgeschichte der Aufklärung ideengeschichtlich darstellten, nicht mehr plausibel erscheint.14 Die Gefahr besteht hier in der Ernüchterung des Blicks auf die als historisch einzigartig betrachteten symbolischen Systeme, die nun wissenschaftlich als das Irrationale, Stumme, Anorganisch-Statische usw., in jedem Fall als das grundsätzlich ‚Andere‘, von der indoeuropäischen Genealogie geschieden werden können. In der eurozentrischen Perspektive der wissenschaftlichen Klassifizierung der fremden Sprachen hat Edward W. Said bekanntlich den Kern desjenigen Phänomens ausgemacht, das er „Orientalismus“ genannt hat: Der Diskurs der intellektuellen Machtergreifung des ‚Westens‘ und der kulturellen Legitimierung des Kolonialismus habe erheblich auf der Autorität der modernen Philologie beruht. Dabei vergisst Said allerdings jene Tradition – vielleicht sollte man zunächst vorsichtiger sagen: jene Denker –, die aufgrund einer emphatischen Bejahung historischer 12 Vgl. Edward W. SAID, Orientalism. Western Conceptions of the Orient. With a New Afterword, 2. Aufl. London 1995 (1978), S. 87. 13 Das zeigt etwa Wilhelm von Humboldts wissenschaftliches „Beschaffungsprogramm“; vgl. Kurt MUELLER-VOLLMER, Wilhelm von Humboldts Sprachwissenschaft. Ein kommentiertes Verzeichnis des sprachwissenschaftlichen Nachlasses, Paderborn u.a. 1993, S. 60–63, sowie DERS., Humboldts linguistisches Beschaffungsprogramm: Logistik und Theorie, in: Klaus ZIMMERMANN/Jürgen TRABANT/Kurt MUELLER-VOLLMER (Hrsg.), Wilhelm von Humboldt und die amerikanischen Sprachen, Paderborn u.a. 1994, S. 27–42. 14 Die Aufhebung der als rückständig empfundenen Kulturen und Kulturtechniken im „überhistorischen Denken“ der Aufklärer (zur Denkstruktur der Aufklärung als „superhistorical thinking“ vgl. Hayden WHITE, Tropics of Discourse. Essays in Cultural Criticism, 3. Aufl. Baltimore/London 1985, vor allem S. 161–162) ist allerdings eher eine theoretische als eine politische, denn mit der philosophischen Achtung vor dem unterentwickelten Menschenbruder (von Schwestern ist ohnehin noch keine Rede) geht schnell ein totalitärer Universalismus einher, der in Form eines nationalistischen Sendungsbewusstseins auftritt. Noch vor dem napoleonischen Imperialismus ist das beste Beispiel hierfür die universalistisch begründete, totalitäre Unterdrückung der sprachlich-kulturellen Vielfalt Frankreichs in der Revolution von 1789. Vgl. hierzu Jürgen TRABANT, Die Sprache der Freiheit und ihrer Feinde, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 41 (1981) (Sprache und Literatur in der Französischen Revolution), S. 70–89.

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Individualität die Universalität des Menschen, verstanden als prinzipielle Gleichwertigkeit seiner geistigen Produktionen, nicht aufgeben mögen. Dies zeigt gerade das Bewusstsein einiger Forscher um die Materialproblematik. Bereits um 1830, zu Zeiten der Institutionalisierung und einer großen gesellschaftlichen Relevanz der Philologie, rücken die vorhandenen Materialien in den Fokus kritischer Betrachter. Mein Beitrag will einen Blick auf die weitgehend vergessene Selbstkritik der noch jungen europäischen Wissenschaftsdisziplin im Umgang mit dem Erbe außereuropäischer Sprachmaterialien werfen und damit auf Alternativen zum hegemonialen philologischen Diskurs des 19. Jahrhunderts verweisen.

II. JEAN-PIERRE ABEL-RÉMUSAT Die von Said geäußerte Kritik an den Prämissen der europäischen Wissenskultur ist bereits in ihrer gesamten Tragweite von einem der großen Protagonisten der Begründungszeit der modernen Philologie vorgetragen worden. Jean-Pierre AbelRémusat (1788–1832), der 1814 am Collège de France (Collège royal) den ersten europäischen Lehrstuhl für Sinologie erhält, kritisiert in seinem Discours sur le génie et les mœurs des peuples orientaux15 die europäische Wissenschaftskultur und ihre Relevanz für das Ökonomische und Politische auf derart hellsichtige Weise, dass sie nicht weniger als eine „Orientalismus“-Kritik avant la lettre ist.

15 Jean-Pierre ABEL-RÉMUSAT, Discours sur le génie et les mœurs des peuples orientaux, in: DERS., Mélanges posthumes d’histoire et de littérature orientales, Paris 1843, S. 221–251. – Diese Abhandlung ist zwar in einer Textsammlung erschienen, die, wie der Titel schon sagt, erst nach Abel-Rémusats Tod publiziert wurde. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Text bereits vorher veröffentlicht worden war, auch wenn die Herausgeber leider auf die Quellenangaben für die abgedruckten Texte verzichtet haben. Dennoch kann man auf eine erneute Veröffentlichung einerseits aus dem allgemeinen Hinweis der Editoren schließen, dass die in den Band aufgenommenen Schriften größtenteils schon andernorts publiziert worden waren (vgl. Félix LAJARD, Avertissement, in: ABEL-RÉMUSAT, Mélanges posthumes, S. II). Die Titel der Schriften zeigen zudem, dass Abel-Rémusat die Gattungsbezeichnung seiner Texte genau wählte, zwischen Lettre, Essai, Observations usw. sorgfältig unterschied, so dass man aus der Angabe Discours sur le génie et les mœurs andererseits schließen kann, dass es sich ursprünglich um eine Rede gehandelt hat. Dies gilt umso mehr, als sich im Inhaltsverzeichnis unter dem Titel Discours sur la littérature orientale die Unterteilung in Premier discours, Deuxième discours, Troisième discours findet, die Struktur also eine Art Vorlesungsreihe nahe legt (vgl. ABEL-RÉMUSAT, Mélanges posthumes, S. 471). Alle im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Discours haben zudem eine vergleichbare Länge von etwa 20 bis 30 Seiten, was auf ein Vortragsformat schließen lässt. – Diese peniblen philologischen Bemerkungen sind deshalb nicht unnützlich, weil es zu der im weiteren Sinne politischen Brisanz der Schrift erheblich beiträgt, wenn man sich vorstellt, dass Abel-Rémusat die darin geäußerten Sachverhalte öffentlich vortrug, etwa als Mitglied der Académie royale des inscriptions et belleslettres oder als Secrétaire der Société asiatique.

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Erstaunlich ist daher die Vergessenheit, in die sie in der europäischen Wissenschaft geraten ist.16 Der Franzose deckt den konstruktivistischen Charakter von Begriffen wie jenem des ‚Orients‘ oder des ‚Asiaten‘ schonungslos auf und entlarvt dabei jene essenzialistischen Konzepte, die Said zentral für die Konstruktion intellektueller Hegemonie gehalten hat: die angenommene Unwandelbarkeit des ‚Orients‘, seine beschriene Stummheit, seinen angeblichen Mangel an institutioneller Verfasstheit. Entscheidend ist dabei in diesem Zusammenhang, dass Abel-Rémusat die Komplizität einer kenntnisarmen, aber autoritätssüchtigen Philologie mit der Beherrschbarmachung der Kolonien klar sieht. So beschreibt er das koloniale Rennen durch die Übersee-Territorien als „les efforts et la persévérance des Occidentaux à les parcourir, à les subjuguer, à les dépouiller et à les décrire“.17 Die Bedeutung der taxinomischen Hoheit für die koloniale Herrschaft, in der auch der große französische Soziolinguist Louis-Jean Calvet das zentrale Moment der Besitzergreifung ausgemacht hat,18 ist für Abel-Rémusat von der politischen Dimension des Kolonialismus schlicht nicht abzuspalten. Akademische Behandlung und wirtschaftliche Verhandlung gehen Hand in Hand in seiner fundamentalen Kritik am europäischen Kolonialismus: Que l’industrie de tous ces peuples cède le pas à celle des Occidentaux; qu’ils renoncent en notre faveur à leurs idées, à leur littérature, à leurs langues, à tout ce qui compose leur individualité nationale; qu’ils apprennent à penser, à sentir et à parler comme nous; qu’ils payent ces utiles leçons par l’abandon de leur territoire et de leur indépendance; qu’ils se montrent complaisants pour les désirs de nos académiciens, dévoués aux intérêts de nos négociants, doux, traitables et soumis. A ce prix, on leur accordera qu’ils ont fait quelques pas vers la sociabilité, et on leur permettra de prendre rang, mais à une grande distance, après le peuple privilégié, la race par excellence, à laquelle seule il a été donné de posséder, de dominer, de connaître et d’instruire. […] Il sera trop tard pour étudier les hommes, quand il n’y aura plus sur la terre que des Européens.19

Das Problem der Repräsentation des ‚Anderen‘, des Wissens, Sprechens und Schreibens der anderen Kulturen, ist daher für den französischen Sinologen ein zentrales Problem, das sein Denken und seine Schriften durchzieht. Auffällig ist sein Bemühen, die Gelehrten der anderen Kulturen selbst sprechen zu lassen, das sich in einer ganzen Reihe von Aufsatztiteln wie Essais sur la cosmographie et la 16 Andererseits mag dies nicht so sehr erstaunen, wenn man feststellt, dass das einzige Exemplar der Textsammlung, das sich im Besitz der Bibliothèque nationale de France befindet, aufgrund eines abgerissenen Umschlags mit dem Vermerk „Hors d’usage. Ne pas communiquer“ versehen und damit der Öffentlichkeit praktisch unzugänglich geworden ist. Und was die ursprünglichen Publikationsorte der Texte betrifft, hatte schon die mit der Edition betraute Kommission (darin Eugène Burnouf) der Académie royale des inscriptions et belles-lettres bemerkt: „Le volume […], par M. Abel Rémusat, renferme divers écrits qui, pour la plupart, avaient déjà paru du vivant de l’auteur, mais étaient disséminés dans plusieurs recueils littéraires dont quelques-uns sont devenus très-difficiles à trouver.“ LAJARD, Avertissement, in: ABEL-REMUSAT, Mélanges posthumes, S. II. 17 ABEL-REMUSAT, Discours, S. 228–229. 18 Vgl. Louis-Jean CALVET, Linguistique et colonialisme. Petit traité de glottophagie, Paris 1974. 19 ABEL-RÉMUSAT, Discours, S. 251–252 [Hervorhebung M.M.].

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cosmogonie des bouddhistes, d’après les auteurs chinois20 oder Sur un Vocabulaire philosophique en cinq langues, imprimé à Péking21 äußert. Wo aber nicht die Anderen für sich selbst sprechen, fällt immer wieder sein reflexiver Blick auf die eurozentrischen Denkstrukturen der eigenen Wissenschaft. Bezeichnend sind Abel-Rémusats Überlegungen zu dem Projekt eines europäischen „Alphabets“ zur Umschrift nicht-europäischer Sprachen des Sprachwissenschaftlers und Ethnographen Volney, die er in seinem Aufsatz Sur la transcription des mots orientaux en lettres européennes22 darlegt. So lobt er an dem Projekt, dass es ergänze, was den einzelnen europäischen Schriften an phonetischen Möglichkeiten fehle („suppléer à ce qui nous manque“),23 vor allem aber, dass der Gebrauch eines solchen umfassenden und regelhaften Umschriftsystems in der Sprachschulung der Europäer dazu beitrage, dass die Einheimischen („les naturels“) in Zukunft endlich mit der Aussprache ihrer Namen und Wörter zufrieden sein könnten.24 Der Maßstab der sprachlichen Repräsentation sind hier die anderen Kulturen. Dem Projekt der Universalisierung eines solchen künstlich-rationalen „Alphabets“ aber, das Volney mit dem Gestus europäischer Selbstherrlichkeit vorträgt, mag Abel-Rémusat rein gar nichts abzugewinnen: M. de Volney commence par exprimer le regret que les révolutions politiques qui ont tourmenté l’Asie, ne lui aient pas procuré, comme à l’Europe, le bienfait d’un alphabet unique, ou du moins semblable en ses figures et en sa construction. Il déplore cette diversité persistante d’alphabet chinois, mantchou, japonais, malais, etc. En admettant ce fait comme l’expose l’auteur, en ne tirant aucune objection de l’alphabet grec, ni du russe, ni de l’irlandais […], on pourrait encore demander si l’emploi divers que les nations européennes font du même alphabet, n’est pas un plus grand obstacle à la communication des esprits que la multiplicité des alphabets, et s’il n’est pas au moins aussi facile de se graver dans la mémoire plusieurs signes pour un seul ton, que de retenir des sons variables que chaque peuple attribue à un même signe. Mais n’attache-t-on pas ici, comme cela arrive trop souvent, même aux écrivains philosophes, une trop grande importance à ce qui nous appartient, uniquement parce que cela nous appartient?25

Die Existenz eines solchen wissenschaftskritischen Gegendiskurses muss man sich vor Augen führen, wenn man sich dem Brief-Gespräch über die Frage des Umgangs mit den im wesentlichen jesuitischen Sprachmaterialien nähert, die der Pariser Asienforscher Eugène Vincent Stanislas Jacquet (1811–1838) mit Wilhelm von Humboldt (1767–1835) führt. Die Personenkonstellation ist dabei nämlich kein Zufall. Jacquet musste als einer der herausragenden Schüler und jungen Kollegen von Abel-Rémusat für das Problem der Sprachbeschreibung stark sensibilisiert sein. Humboldt wiederum verdankte Abel-Rémusat letztlich seine Kennt20 ABEL-RÉMUSAT, Mélanges posthumes, S. 65. 21 ABEL-RÉMUSAT, Mélanges asiatiques, ou Choix de morceaux critiques et de mémoires relatifs aux religions, aux sciences, aux coutumes, à l’histoire et à la géographie des nations orientales, 2 Bde., Paris 1825/26, hier Bd. 1, S. 153. 22 ABEL-RÉMUSAT, Sur la transcription des mots orientaux en lettres européennes, in: DERS., Mélanges asiatiques, Bd. 1, S. 310–326. 23 Vgl. ebenda, S. 311. 24 Vgl. ebenda, S. 321. 25 Ebenda, S. 318–319.

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nisse des Chinesischen und teilte mit dem Franzosen das Anliegen, das Chinesische als Sprach- und Schriftkultur gegen die „Indomanie der Romantiker“26 zu verteidigen.27

III. EUGÈNE VINCENT STANISLAS JACQUET Um 1830 korrespondiert Wilhelm von Humboldt mit Eugène Jacquet über die Frage der Genealogie der südostasiatischen Schriftsysteme. Es geht dabei um die Frage, ob die austronesischen Schriften Ableger der mittelalterlichen indischen Devanagari-Schrift sind, in der das klassische Sanskrit geschrieben wurde, oder nicht.28 Im Kontext dieser Debatte, nämlich in seiner Notice sur l’alphabet Yloc ou Ylog29 aus dem Jahr 1831, ruft Jacquet dezidiert das Problem der überlieferten Sprachmaterialien auf. Bevor er sich mit den Verwandtschaftsbeziehungen des Tagalog mit anderen philippinischen und malayischen Schriftsystemen beschäftigt, heißt es dort: Il est sans doute étonnant que, dans le nombre immense de grammaires et de vocabulaires de tous dialectes, de tout format et de toute date qui ont été imprimés à Manille et à Sampaloc, aucun n’ait encore donné un tableau des alphabets qui expriment ces langues dans les manuscrits originaux; mais les Espagnols ont trouvé plus facile de dire: No se trata de los caracteres de la lengua, porque es yá raro el Indio que los sabe leer, y raríssimo el que los sabe escribir.30

Und in der zugehörigen Fußnote zu dem in Frage stehenden Traktat des Padre de Totanes schiebt er den folgenden kritischen Kommentar nach: 26 Rudolf HAYM, Wilhelm von Humboldt. Lebensbild und Charakteristik, Berlin 1856, S. 582. 27 Abel-Rémusat und Humboldt sollten dabei allerdings sprachtheoretisch geradezu gegensätzlich argumentieren: Während Abel-Rémusat die isolierende Eigenschaft der chinesischen Sprache auf die Verwendung der Figurenschrift zurückführte und die These vertrat, dass das Chinesische ursprünglich durchaus Flexion gekannt habe, diese aber aufgrund der Eigentümlichkeit der Schrift zurückgebildet habe, womit er das Chinesische in den Rang der flektierenden Sprachen heben wollte, war für Humboldt die chinesische Schrift gerade der materielle Abdruck einer genuinen Sprachanlage, in der die Begriffe isoliert aufgefasst, also weitgehend ohne explizite grammatische Bezugsbildung gebraucht würden. Gerade in dieser Nähe der Worte zu den Begriffen, den „reinen Ideen“, besteht für Humboldt eine gegenüber der Flexion hervorzuhebende Qualität. Vgl. hierzu Jean ROUSSEAU/Denis THOUARD (Hrsg.), Lettres édifiantes et curieuses sur la langue chinoise. Un débat philosophico-grammatical entre Wilhelm von Humboldt et Jean-Pierre Abel-Rémusat (1821–1831), avec une correspondance inédite de Humboldt (1824–1831) présentée par Jean Rousseau, Villeneuve-d’Ascq 1999, S. 41–71; sowie Markus MESSLING, Pariser Orientlektüren. Zu Wilhelm von Humboldts Theorie der Schrift. Nebst der Erstedition des Briefwechsels zwischen Wilhelm von Humboldt und Jean François Champollion le jeune, Paderborn u.a. 2008, S. 190–201, 258–259. 28 Humboldt gelingt dabei eine kleine philologische Sensation. Zu der Diskussion vgl. MESSLING, Pariser Orientlektüren, S. 202–225. 29 Eugène Vincent Stanislas JACQUET, Notice sur l’alphabet Yloc ou Ylog (Rubrik: Mélanges malays, javanais et polynésiens), in: Nouveau journal asiatique 8 (1831), S. 3–19 und Appendix, S. 20–45 (abrufbar unter http://gallica.bnf.fr). 30 JACQUET, Notice, S. 4.

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Ceci n’est exactement vrai que de la ville et des faubourgs de Manille, où les Tagalas ont perdu toute individualité nationale. Les naturels n’y parlent qu’une espèce de lingua franca mêlée de tagala et d’espagnol. Beaucoup d’entr’eux apprennent le castillan et même le latin; les plus instruits sont même employés dans l’administration.31

Jacquet entlarvt also zum einen die soziale Begründung der Missionare dafür, dass sie bei ihren Aufzeichnungen kein indigenes Schriftmaterial berücksichtigen, als vordergründig und nur vermeintlich nachvollziehbar; zum anderen aber kritisiert er vor allem die Tatsache selbst, dass die Auflistung der Tagalog-Schriftzeichen nicht aus authentischen philippinischen Text- und Zeichenbeständen vorgenommen wurde, sondern letztlich die Konstruktion des fremden Blicks ist. Hierauf legt Jacquet ein erhebliches Gewicht. So betont er, dass der von den Missionaren als Tagalog-Alphabet aufgelistete Zeichenbestand bis in dessen Bezeichnung durch den Neologismus Baybayin hinein der Versuch einer Parallelisierung zum Alphabet lateinischen Typs sei.32 Dies ist für Jacquet nicht nur aus prinzipiellen Erwägungen problematisch, sondern auch aus pragmatischen. Die fehlende Orientierung an Originaltexten bei der Zeichenbestimmung habe schlicht zu falschen Schreibungen geführt.33 Da nämlich das Tagala eigentlich keine alphabetische, sondern eine Konsonantenschrift sei, genauer ein silbenschriftliches Verfahren, habe die alphabetische Transkription der Missionare zwar phonetisch ähnliche Einheiten hervorgebracht, den Zugang zur richtigen Lesart aber oftmals schlicht verstellt: Je conjecture que ces habitudes d’orthographe ont fait éprouver quelques légères altérations à la langue même; et quelques formes doubles, comme lislis et lilis, lañgin et lañgi, m’autorisent à penser que les élisions ont souvent passé de l’écriture dans la prononciation. Bien que ces notions ne soient pas sans utilité, l’inconsistance de la méthode transcriptive des Espagnols ne nous permet pas de restituer les vocables Tagala, copiés dans leurs vocabulaires d’après des prononciations plus ou moins variables.34

Die Frage der Erstellung philippinischer Zeichensätze nimmt Jacquet zum Anlass, eine grundsätzliche Kritik an den Aufzeichnungsverfahren der europäischen Missionare vorzunehmen, weil er die destruktive Dimension der eurozentrischen Vermessung der anderen Sprachen und Schriften erkennt und deren Korrelation mit dem politischen Kolonialismus glasklar sieht:

31 Ebenda, Anm. 3. 32 „La réunion de ces dix-sept lettres est nommée dans les dictionnaires Tagala, baybayin (El A.B.C. Tagalo). Il est facile de s’apercevoir que ce mot est de nouvelle formation et qu’il a été imaginé par les Espagnols, quand ils se sont occupés de donner des formes régulières à la grammaire et à la lexicographie de cette langue.“ JACQUET, Notice, S. 7. 33 „Les grammaires rédigées par les Espagnols [gemeint: die spanischen Missionare; M.M.], omettant l’alphabet de ces langues, devaient, par cela même, négliger les règles orthographiques observées par les naturels quand ils emploient leurs caractères originaux.“ JACQUET, Notice, S. 8–9. 34 Ebenda, S. 9.

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On peut reconnaître dans cet ordre mixte des alphabets yloco-tagala rédigés par les Espagnols, cette déplorable tendance à rappeler les langues orientales aux habitudes des nôtres, et cette manie de détruire toute nationalité des peuples conquis, même dans les plus petites choses.35

Die politische Tragweite der Sprachbeschreibungen liegt in dem engen Konnex, der im Denken der Zeit zwischen der Sprache und der Nation als kulturellem Individuum besteht. Da die Sprache, wie Wilhelm von Humboldt es klassisch formuliert hat, eine spezifische „Weltansicht“36 ist, sie „gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker“37 darstellt, kommt in ihr der jeweilige Nationalcharakter zum Ausdruck.38 Werden also Sprache oder Schrift als spezifische sinnliche Abbilder der geistigen Verfasstheit einer Nation verzerrend oder vereinnahmend dargestellt, so ist das ein fundamentaler Eingriff in die Individualität einer Nation. Das Verkennen der sprachlichen Eigenheit durch die Missionare steht daher für Jacquet in einem tiefen kulturellen Zusammenhang mit dem Phänomen der materiellen Gewalt gegen die kolonisierten Völker. Die konkreten Arbeiten der Missionare beurteilt Jacquet dann zwar etwas großzügiger, weil er ihre epistemologischen Grenzen begreift.39 Dennoch folgt für ihn aus seiner Einschätzung die Notwendigkeit, eine neue Philologie zu begründen, die vor allem zwei Aspekten Rechnung trägt: der Relevanz des Details und jeder noch so kleinen Abweichung einerseits, der Relevanz einer immanenten Beschreibung dieser Details andererseits, also der Beschreibung der sprachlichen, textuellen und Schrift-Phänomene in Bezug auf die Eigenheiten der untersuchten Sprache und Kultur. Auf diesen Fundamenten stehen für Jacquet die „études philologiques utiles“40, von denen aus allgemeinere Aussagen gewagt werden können, die also eine Ethnographie erst eigentlich ermöglichen. Dass Jacquet hier vom Beitrag der Philologie zur „science de l’ethnographie“ spricht,41 verweist genau auf jenen Zusammenhang von ‚modernem‘, neu-historischem Wissenschaftsverständnis und kultureller Verortung, auf den Saids Analyse zielt. Ein Unterschied ist dabei freilich, dass Jacquet selbstreflexiv diese Zusammenhänge bereits 35 Ebenda, S. 8. 36 Wilhelm von HUMBOLDT, Gesammelte Schriften, hrsg. von Albert LEITZMANN u.a., 17 Bde., Berlin 1903–1936 (Nachdruck Berlin 1968), Bd. 4, S. 27. 37 HUMBOLDT, Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. 42. 38 Zum Zusammenhang von Sprache und Nation im Denken der aus der Romantik hervorgehenden Wissenschaft und für das sich ausbildende neu-historische Denken insgesamt vgl. Sir Isaiah BERLIN, The Roots of Romanticism, hrsg. von Henry HARDY, 3. Aufl. Princeton (N.J.) 2001, S. 60–61; Andreas GARDT, Nation und Sprache in der Zeit der Aufklärung, in: DERS. (Hrsg.), Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin/New York 2000, S. 169–198, hier S. 192–194; Jochen A. BÄR, Nation und Sprache in der Sicht romantischer Schriftsteller und Sprachtheoretiker, in: ebenda, S. 199–228, hier S. 209–216; sowie spezifischer zu Humboldts Sprachdenken MESSLING, Pariser Orientlektüren, S. 238–250. 39 „On peut bien croire qu’à cette époque, lorsque la critique philologique n’était pas encore venue, on s’attachait plus à des ressemblances illusoires qu’à des différences réelles. Je ne vois pas d’autre explication possible de cette erreur des moines espagnols; […].“ JACQUET, Notice, S. 13–14. 40 Ebenda, S. 19. 41 Vgl. ebenda.

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klar erkennt und seine philologischen Zeitgenossen zur Infragestellung ihrer analytischen Prämissen aufruft. Dabei kann Jacquet den Blick ‚von außen‘ natürlich nicht verlassen. Aber er ist sich der historischen Dimension dieses Blicks bewusst und reagiert darauf mit dem Konzept einer Philologie, die ihre Beschreibungskategorien und -maßstäbe an den betrachteten Kulturen selbst hinterfragen muss. Jacquets Philologie versteht damit die anderen Sprachen und Kulturen als historisch andersartige Entitäten; zugleich scheint in ihr aber ein Denken universaler Gleichwertigkeit der kulturellen Formen auf, indem sie – zumindest in ihrer erkenntnistheoretischen Dimension – versucht, die Beschreibungs-Hierarchie durch eine Verschiebung des analytischen Blicks zu durchbrechen.

IV. WILHELM VON HUMBOLDT Kein geringerer als Wilhelm von Humboldt sollte auf Jacquets Schrift mit einem Brief antworten, der eine wahre Abhandlung ist und folgerichtig im Juni 1832 ebenfalls im Nouveau journal asiatique publiziert wurde, und zwar als Lettre de M. le baron G. de Humboldt à M. E. Jacquet sur les alphabets de la Polynésie asiatique.42 Humboldt hatte seine Position zu den Arbeiten der Missionare lange vor dem Briefwechsel mit Jacquet geschärft und auch artikuliert. So kritisiert Humboldt in seinem 1821 verfassten Versuch einer Analyse der mexikanischen Sprache explizit die Jesuitenmönche für die „Gewalt“, die sie „den Sprachen anthun, um sie in die engen Regeln der lateinischen Grammatik Antonios von Nebrixa, oder irgend eines anderen Schulpedanten zu zwingen“43. Und dann weiter: Da sie [die Missionare, M.M.] überhaupt nur mit der Bekehrung der Wilden beschäftigt waren, so war ihre erste Sorge, mit den alten Gebräuchen alles auszurotten, was mit Tradition und Nationalerinnerung zusammenhing, und auf diese Weise die ganze Denkungs- und Empfindungsweise der Völker umzuändern. Sie zerstörten daher zum Theil selbst den Gegenstand, den man durch sie ergründet, entwickelt, und dargestellt wünschte.44

Ohne dies hier philosophisch vertiefen zu können, besteht für Humboldt ein Zusammenhang zwischen der Auffassung vom Eigenwert einer jeden Sprache sowie dem Ideal sprachlicher Vielheit einerseits und der Idee eines universellen Fortschritts und einer freiheitlichen kulturellen und politischen Entfaltung der Menschen andererseits.45 Insgesamt entwirft Humboldt ja ein dezidiert antichauvinistisches und anti-rassistisches Forschungsprogramm, das aus der Frage 42 Wilhelm von HUMBOLDT, Extrait d’une lettre de M. le baron G. de Humboldt à M. E. Jacquet sur les alphabets de la Polynésie asiatique, in: Nouveau journal asiatique 9 (1832), S. 484– 511 [Abrufbar unter: http://gallica.bnf.fr]. 43 Wilhelm von HUMBOLDT, Versuch einer Analyse der mexikanischen Sprache, in: DERS., Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 233–284, hier S. 237. 44 HUMBOLDT, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 238. 45 Vgl. MUELLER-VOLLMER, Wilhelm von Humboldts Sprachwissenschaft, S. 68.

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hervorgeht, „wie verschieden sich der Mensch gestalten kann, ohne dass dennoch eine Form gerade einen geringeren Werth, als die andere hat“.46 Es ist also zunächst erstaunlich, dass Humboldt zu den programmatischen Ansätzen von Jacquet in seiner Antwort nicht grundsätzlich Stellung bezieht. Das sprachwissenschaftliche Problem – die Erstellung und Beschreibung der austronesischen Zeichensätze – scheint ganz im Fokus von Humboldts Aufmerksamkeit zu liegen. Gleich zu Beginn seines Brieftraktats weist Humboldt sogar darauf hin, dass er dem Franzosen Auszüge aus zwei Grammatiken der Mönche Gaspar de S. Agustín und Domingo Ezguerra beigelegt habe, die Jacquets grundsätzliche These von der Verwandtschaft der malayo-philippinischen Schriftsysteme stützten.47 Zugleich weist Humboldt den Franzosen darauf hin, dass die genannten Patres den Begriff Baybayin für das Tagalog-Zeicheninventar („Alphabet“) nicht erfunden hätten, sondern in ihren Grammatiken angäben, dass dieser Begriff indigen sei. Die Annahme der Wortschöpfung war für Jacquet eine wichtige Begründungslinie und zugleich Ausdruck für den konstruierenden, ja verfälschenden Charakter der Spracharbeit der Missionare gewesen.48 Doch diese ersten Eindrücke trügen. Humboldt geht es nicht um eine grundsätzliche Rehabilitierung der jesuitischen Grammatiken. Im Gegenteil, er teilt nicht nur Jacquets philologisches Programm, sondern seine Ausführungen tragen ihm im Grunde schon Rechnung, wo immer sie können. Dabei erkennt Humboldt aber an – wozu sich Jacquet in seinem Aufsatz letztlich ebenso gezwungen sieht – dass bei der insgesamt schlechten Kenntnislage und Materialsituation aus wissenschaftlichen Gründen auch die Sprachsammlungen der Missionen und die Grammatiken der Mönche in die sprach- und schriftgeschichtlichen Überlegungen zu Südostasien kritisch einzubeziehen sind.49 Ganz allgemein finden einige der Missions-Arbeiten, wie jene Havestadts und Montoyas, auch Humboldts sprachwissenschaftliche Anerkennung.50 Daher unterwarf Humboldt die Arbeit der Missionare trotz seiner Skepsis keiner Pauschalverurteilung, sondern prüfte und beurteilte im Einzelfall ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit. Es lässt sich am Text leicht zeigen, wie Humboldt die Arbeiten der Patres zu Detailfragen heranzieht, um 46 Wilhelm von HUMBOLDT, Briefe an Friedrich August Wolf, hrsg. und kommentiert von Philip MATTSON, Berlin/New York 1990, S. 170. 47 Vgl. HUMBOLDT, Extrait d’une lettre, S. 484. 48 Vgl. JACQUET, Notice, S. 7–8. 49 Dies ist der Grund, warum Humboldt trotz seiner wissenschaftlichen Kritik wie kein Zweiter in seiner Zeit systematisch Wörterbücher und Grammatiken aus den Kolonien sammelte und studierte, weil er für seine Sprachforschungen auf die immensen Materialsammlungen schlicht angewiesen war (vgl. MUELLER-VOLLMER, Wilhelm von Humboldts Sprachwissenschaft, S. 60–63; sowie OESTERREICHER, Entstehung des Neuen, S. 31). Humboldts Sammlung der Missionarsarbeiten war so bekannt und bedeutend, dass Jacquet in seinem Vorwort zu Humboldts Lettre à M. E. Jacquet schreibt: „La collection qu’il a rassemblée des traités grammaticaux et lexicographiques publiés à Manille ou à Mexico par les missionnaires espagnols, est une des plus riches et des plus précieuses qui existent […].“ JACQUET, Avertissement, S. 482–483. 50 Diesen wichtigen Hinweis verdanke ich Manfred Ringmacher (Wilhelm von HumboldtEdition, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften).

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Plausibilitäten für die Schriftzeichen und ihren phonetischen Gehalt zu entwickeln. Dabei versucht er, ihre Irrtümer zu (er)klären, und korrigiert deren Auffassungen, wo immer er es für nötig hält und es durch eine bessere Materiallage kann.51 Dabei lässt das folgende Zitat keine Zweifel daran bestehen, dass Humboldt bei weitem solche Sprachsammlungen bevorzugt, die auf indigene Schreibungen zurückgreifen oder diese gar wiedergeben: M. Thomson, missionaire danois, a commencé à imprimer à Sincapore, en types fort élégans, un vocabulaire anglais-bugis, où l’écriture indigène est placée à côté de la transcription . Le manque de fonts nécessaires a fait abandonner anglaise, par exemple: Earth, Tana l’entreprise; mais je tiens de l’obligeance de M. Neumann la première feuille de ce vocabulaire […].52

Dies ist dann auch der Grund, warum Humboldt seine Argumentation erheblich auf die Werke seiner Zeitgenossen William Marsden, Thomas Raffles und John Crawfurd stützt, die in ihren sprachkomparatistischen Arbeiten über den Malaiischen Archipel die generelle Ungeeignetheit der klassisch-europäischen grammatischen Kategorien zur Erfassung von nicht-europäischen Sprachen betont hatten. Die Texte dieser Forscher sind auch die entscheidende Grundlage von Humboldts berühmtem, gleichwohl selten gelesenem Kawi-Werk (1836/38/39)53, in dem Humboldt das altjavanische Kawi in seiner kulturellen und sprachlichen Umgebung untersucht und an dem er zum Zeitpunkt seiner Korrespondenz mit dem Franzosen bereits arbeitet.54 Im Kawi-Werk zieht Humboldt auch methodisch die Konsequenz aus der Verschriftungsproblematik, indem er in einer Art Vorwort zum ersten Band seine „Methode, nach welcher in dieser Schrift die fremden Lettern geschrieben sind“,55 erläutert. Detailliert legt er dem Leser seine Verfahrensweise bei der Umschreibung der Laute des „Sanskrit-Alphabets“, des „Javanischen Alphabets“, der „Eigentlich Malayischen Sprache“ und der „Barmanischen Sprache“ dar.56 Und auch in diesem Kontext positioniert sich Humboldt noch einmal klar und deutlich:

51 Vgl. etwa die Diskussion der Frage, welchen Einfluss das Arabische auf die südostasiatischen Schriftsysteme gehabt haben könnte, in deren Zusammenhang Humboldt die Ursache der irrtümlichen Einschätzung des Padre Gaspar zu verstehen sucht (HUMBOLDT, Extrait d’une lettre, S. 489–490). 52 HUMBOLDT, Extrait d’une lettre, S. 486. 53 Wilhelm von HUMBOLDT, Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java, nebst einer Einleitung über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts, 3 Bde. (Abhandlungen der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften 1832, 2–4), Berlin 1836/38/39 (abrufbar unter http://bibliothek.bbaw.de/bibliothek-digital/digitalequellen/schriften/). 54 Vgl. Kurt MUELLER-VOLLMER/Volker HEESCHEN, Wilhelm von Humboldts Bedeutung für die Beschreibung der südostasiatisch-pazifischen Sprachen und die Anfänge der SüdostasienForschung, in: Peter SCHMITTER (Hrsg.), Sprachtheorien der Neuzeit III/2 (Sprachbeschreibung und Sprachunterricht, Teil 2), posthum hrsg., bearbeitet und mit einem Register versehen von LEFTERIS ROUSSOS, Tübingen 2007, S. 430–461, hier S. 438–441. 55 HUMBOLDT, Über die Kawi-Sprache, Bd. 1 (1836), S. XV. 56 Vgl. ebenda, S. XVI–XX.

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Meine Absicht ist daher dahin gegangen, die fremden Alphabete so darzustellen, daß der Leser auf die einfachste und in allen Stellen, wo ihm ein Wort unter die Augen kommt, gleichförmigste Weise, mit Hinzunehmung weniger, aus der Orthographie jener Sprachen geschöpften Regeln, die ursprüngliche fremde Schreibung unfehlbar und auf das allerbestimmteste darin wiedererkenne. Denn von dieser Forderung darf man nie das Mindeste nachgeben.57

V. SELBSTKRITIK: EINE ANDERE TRADITION DER EUROPÄISCHEN PHILOLOGIE Natürlich ist die von Jacquet und Humboldt geteilte Forderung nach „philologischem“, also historisch-kritischem Arbeiten ein Ausdruck des Zeitgeistes. Die Übereinstimmung der beiden Denker in der Forderung nach einer immanenten und insofern sympathetischen Analyse der Sprachen ist aber keineswegs einfach dem Geist der Zeit geschuldet – sie ist im Gegenteil eher als Reaktion auf diesen zu begreifen. Ob die beiden großen Philologen dem eigenen Anspruch in ihrer analytischen Tätigkeit in jeder Frage gerecht werden konnten, kann hier nicht weiterverfolgt werden.58 Beider Werk ist geprägt von dem Versuch, Reflexion und Praxis nicht zu trennen. Entscheidend ist hier ihr hohes theoretisches Bewusstsein für das Problem des Umgangs mit den überlieferten Sprachmaterialien und für die Notwendigkeit, neue Beschreibungs- und Darstellungslösungen für die den fremden Sprachen, Schriften und Texten inhärenten Strukturen zu finden, die diese Strukturen selbst ins Zentrum rücken. Denker wie Jean-Pierre Abel-Rémusat, Eugène Jacquet und Wilhelm von Humboldt stehen daher nicht nur aufgrund der Intentionalität oder Programmatik ihrer Texte, sondern aufgrund ihrer wissenschaftlichen Praxis auch diskursanalytisch betrachtet für eine ‚andere‘ Tradition der europäischen Philologie, die die Problematik der intellektuellen Hegemonie und Diskurshoheit eurozentrischer Repräsentationsmuster schon in den Anfängen erkannt und erkenntnistheoretisch aufgedeckt hat. Ihre Texte sind jene heterogenen Äußerungen im orientalistischen Diskurs, die in Edward W. Saids Analyse ungehört bleiben. Dabei sind sie es, an die eine moderne Philologie gerade nach Saids notwendiger und schmerzhafter Polemik bewusstseinsbildend anknüpfen kann.

57 Ebenda, S. XV. 58 Vgl. etwa zu Wilhelm von Humboldts intensiver Beschäftigung mit dem Chinesischen: John E. JOSEPH, A Matter of Consequenz. Humboldt, Race and the Genius of the Chinese Language, in: Historiographia Linguistica XXVI 1/2 (1999), S. 89–148; sowie Markus MESSLING, Wilhelm von Humboldt and the ,Orient‘. On Edward W. Said’s remarks on Humboldt’s Orientalist studies, in: Language Sciences 30/5 (2008), S. 482–498.

Sprachschule oder kolonialwissenschaftliches Zentralinstitut? Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen zwischen linguistischer Forschung und kolonialer Praxis, 1887–1914 Jürgen G. Nagel, Hagen

I. EINLEITUNG: PROFESSOR SACHAUS ZUKUNFTSVISIONEN Am 27. Juli 1913 verfasste der Orientalist Eduard Sachau (1845–1930), Ordinarius für Islamwissenschaften an der Berliner Universität und Direktor des Seminars für Orientalische Sprachen, eine 20seitige Denkschrift zu den Entwicklungsperspektiven seines Instituts.1 Sie beginnt mit den Worten: Das Seminar für Orientalische Sprachen ist in seinem gegenwärtigen Bestande bereits dasjenige, was in der Reichstagssitzung vom 14. April d. Js. als wünschenswert hingestellt worden ist: eine deutsche Auslandshochschule. Seine beiden Stifter, Reich und Preußen, stellten ihm bei der Gründung im Jahre 1887 die Spezialaufgabe: deutschen Personen jeden Standes, die eine Tätigkeit im Auslande anstreben, eine möglichst nützliche Vorbereitung in kurzer Frist zu gewähren. Die Anstalt soll keineswegs bloß eine Pépinière für Beamte und Offiziere sein, sondern als eine Volksschule im besten Sinne des Wortes sich in den Dienst der gesamten praktischen Interessen des deutschen Volkes stellen; es soll nicht Gelehrte bilden, sondern Männer der Praxis. Durch diesen praktischen Beruf unterscheidet es sich von der Universität, und dadurch, daß sämtliche Berufsstände von ihm Vorteil zu ziehen berechtigt sind, der Beamte wie der Offizier, der Pflanzer wie der Kaufmann und Bankbeamte, der Lehrer wie der Missionar, unterscheidet es sich von der ausschließlich dem Erwerbsleben dienenden Handelsschule.

Zunächst formulieren diese einleitenden Sätze nicht mehr als eine treffende Beschreibung des Charakters und der Zielsetzung des Seminars für orientalische Sprachen. Was zunächst recht bescheiden wirkt – schließlich, so Sachau, tue man nichts anderes als das sowieso Vorgesehene –, dient als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines akademischen Programms auf den folgenden Seiten, das weit über die eigentliche sprachpraktische Ausbildung hinaus geht. Um den Eintritt in eine „exotische“ Welt tunlichst zu erleichtern, ist den Schülern des Seminars stets die Gelegenheit geboten, von der Erfahrung ihrer Lehrer zu profitieren und sich einführen zu lassen in die Kenntnis der realen Welt, in Geographie und Geschichte, Recht, Sitte und 1

Bundesarchiv Berlin (HBArchB), Bestand R 1001 (Reichskolonialamt), Nr. 6201, Bl. 197– 216.

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Religion, Verwaltung und Wirtschaftsleben des betreffenden Landes, in dem sie sich eine Tätigkeit für viele Jahre, vielleicht für das ganze Leben schaffen wollen.2

Sachau stellt somit der Vielzahl im Text namentlich genannter Sprachen aus den Kolonien die sogenannten „Realien“ fast gleichgewichtig an die Seite; ja, er denkt sogar darüber nach, ob in Zukunft nicht auch „Vorlesungen über Plantagenbau und Betrieb, über Bauwesen in den Tropen, über Feld- und Gartenwirtschaft, über Psychologie der Eingeborenen und anderes mehr eingeführt werden“ müssten.3 An die inhaltliche Ausweitung der Institutstätigkeit schließt er angesichts wachsender internationaler Aktivität des Deutschen Reichs die Vergrößerung des geographischen Zuständigkeitsbereichs an und endet beinahe zwangsläufig bei der Vorstellung einer „deutschen Auslandhochschule“, die in ihrem Programm die ganze Welt in den Blick nimmt. Eduard Sachau begründet seine Forderungen dabei durchweg mit genau den Funktionen des Seminars, die er in seiner Einleitung herausstellt. Auch wenn er mit seinen Ausbauplänen durchaus nicht alleine stand, konnte er sich letztendlich nicht durchsetzen. Dass die Denkschrift nur ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verfasst wurde, spielte dabei sicherlich eine Rolle. Aber die darin angeführten Argumente und Pläne wurden seit Jahren debattiert und stießen an einigen entscheidenden Stellen, insbesondere in den beteiligten Ministerien, wiederholt auf wenig Gegenliebe. Vor diesem Hintergrund drängen sich die Fragen nach der Berechtigung solcher Vorstellungen auf und nach der Rolle, in die Sachau sein Seminar innerhalb der jungen deutschen Kolonialmacht steuerte.

II. RÜCKBLICK: DIE ANFÄNGE DES SEMINARS Der Ursprung des Seminars wird gerne mit einer Anekdote illustriert. Eduard Sachau selbst erzählt in seinem Bericht über die Festversammlung zur Eröffnung des 26. Studienjahrs (1912), dass Reichskanzler Bismarck 1883 bei einer Verhandlung mit dem chinesischen Botschafter peinlich berührt war, da er mangels eigener Dolmetscher auf britische zurückgreifen musste.4 Als 1887 die Pläne für praxisorientierte Kurse in außereuropäischen Sprachen sowohl im Außenministerium als auch an der Berliner Universität konkreter wurden, stimmte Bismarck der gemeinsamen Gründung einer entsprechenden Lehranstalt durch das preußische Kultusministerium und das kaiserliche Auswärtige Amt zu.5 Beide Ministerien beteiligten sich gleichrangig an der Trägerschaft und den Kosten. Formal wurde 2 3 4 5

Ebenda, Bl. 200. Ebenda, Bl. 205. Eduard SACHAU, Bericht über die Festversammlung zur Eröffnung des 26. Studienjahrs des Seminars für orientalische Sprachen in der Aula der Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin am Montag, den 11. November 1912, Berlin 1912, S. 12. Lothar BURCHARDT, The School of Oriental Languages at the University of Berlin, in: Benedikt STUCHTEY (Hrsg.), Science Across the European Empires, 1800–1950, Oxford 2005, S. 63–105, hier S. 65–66.

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das neue Institut an die Berliner Universität angegliedert; der zunächst kommissarische Direktor Sachau war dort seit 1876 Lehrstuhlinhaber. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung legte das preußische Kultusministerium ein Memorandum vor, in dem es drei Bedingungen für die eigene Beteiligung stellte:6 Zum einen sollte sich die Lehre auf die wichtigsten Sprachen des Nahen Ostens und Asiens konzentrieren – von europäischen sowie von afrikanischen Sprachen war noch keine Rede. Zum anderen sollte die Organisationsform eines Seminars gewählt werden, was unter einem eigenen Direktor eine gewisse Autonomie bei nur loser Anbindung an die Universität, aber auch unzweifelhaft eine Konzentration auf den praktischen Unterricht bedeutete – es sollten keine wissenschaftlichen Vorlesungen angeboten werden. Als dritte Voraussetzung verlangte das Kultusministerium eine möglichst offene Zugangsregelung. Obwohl an die Universität angegliedert, konnte bei „intellektueller und moralischer Reife“ die Mittlere Reife als Schulabschluss für die Aufnahme in das Seminar ausreichen. Das Seminar etablierte sich also zunächst als praktische Unterrichtsstätte, deren Lehrangebot deutlich am Bedarf des diplomatischen Dienstes, der in Kontakt mit außereuropäischen Nationen stand, orientiert war. Auf dem Plan standen vorrangig Chinesisch und Japanisch sowie Arabisch, Türkisch und Persisch, ergänzt um eine bedarfsgesteuerte Auswahl europäischer Sprachen. Hierunter stand der Russischunterricht für Beamte des Reichspostdienstes, die an den Ostgrenzen des Reiches eingesetzt werden sollten, an erster Stelle, aber auch Griechisch und Spanisch finden sich in den ersten Stundenplänen. Andere europäische Sprachen folgten später, darunter auch Englisch und Französisch. Lediglich einen Versuchscharakter hatte hingegen das nicht kontinuierliche Angebot in den indischen Sprachen Hindi, Hindustani und Gujarati. Für einen dauerhaft stabilen Kern an Auszubildenden sorgte das Auswärtige Amt, indem es regelmäßig seine Assessoren an das Seminar zur sprachlichen Weiterbildung abordnete. Studiengebühren wurden von den Eingeschriebenen nicht erhoben, allerdings hatten entsendende Einrichtungen wie das Außenministerium die Ausbildung ihrer Mitarbeiter zu bezahlen. Den Unterricht veranstaltete eine kleine Zahl fest eingestellter Sprachlehrer, die sich mit dem Professorentitel schmücken durften und von muttersprachlichen Assistenten unterstützt wurden. Daneben oblag ihnen die Erstellung der notwendigen Lehrbücher. Angesichts der Zeit, in welche die Gründung des Seminars fiel, konnte es allerdings nicht allein bei diesen Aufgaben bleiben.

6

Ebenda, S. 66.

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III. DAS SEMINAR UND DER DEUTSCHE KOLONIALISMUS Nur wenige Jahre vor der Gründung des Seminars war der Startschuss für das deutsche Kolonialreich gefallen. Allerdings war dieser Aufbruch zunächst nicht mit einem nennenswerten Bedarf an sprachlicher Spezialausbildung einhergegangen, obwohl das frühzeitige Scheitern des ursprünglichen Bismarck’schen Konzepts bald die Notwendigkeit mit sich brachte, einen kolonialen Beamtenapparat aufzubauen. Die Vorbereitung dieser zunächst zwangsläufig sehr heterogenen Truppe, in der neben Verwaltungsbeamten aus dem Reich Soldaten, Kaufleute, Wissenschaftler und Abenteurer zum Zuge kamen, auf den Einsatz in Afrika oder später in der Südsee war lange Zeit eher zufällig. Eine Vorbereitung auf dem Feld der indigenen Sprachen gestaltete sich besonders schwierig. Insbesondere die Tatsache, dass die Kolonialbeamten regelmäßig mit einer schier unübersehbaren Sprachenvielfalt vor Ort konfrontiert wurden, verhinderte von vornherein ein systematisches Konzept kolonialsprachlicher Ausbildung. Das extremste Beispiel hierfür lieferte sicherlich Neuguinea, wo allein entlang der Küste Sprachgruppen von wenigen hundert Mitgliedern in kurzen Entfernungen voneinander siedelten.7 Auch in Afrika konnten sich die neuen Kolonialherren nicht darauf verlassen, dass sich benachbarte Ethnien innerhalb eines Schutzgebietes oder einer Region untereinander verständigen konnten. Dieser Vielfalt waren schon zuvor – und wahrscheinlich auch dauerhaft als einzige – die Missionare gewachsen. Deren Umgang mit indigenen Sprachen war jedoch noch nicht gleichbedeutend mit einer wissenschaftlichen Aufnahme; vielmehr wurde er gleichermaßen von europäischen linguistischen Kategorien und missionarischen Zielsetzungen geprägt.8 Angesichts einer derart unüberschaubaren Lage war eine zentrale Rolle für das Seminar als zunächst einzige auf Außereuropa spezialisierte akademische Sprachenschule bereits vorgezeichnet. Allerdings erfolgte bis zum Ende des Kolonialreichs im Deutschen Reich kein gezielter Aufbau einer Kolonialbeamtenschaft im Sinne einer formalisierten und institutionalisierten Fachausbildung nach britischem Vorbild. Letztendlich blieb es bei verschiedenen Angeboten an Zusatzausbildung, wie sie beispielsweise die Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe in Witzenhausen (gegr. 1898) vorzuweisen hatte.9 Der Schwerpunkt dort lag auf der agrarprak7 8

9

Einen Bericht zur zersplitterten Sprachsituation in Deutsch-Neuguinea aus eigener Erfahrung legte 1903 der Missionar August Hanke vor: Archiv der Rheinischen Missionsgesellschaft, Wuppertal, RMG 3.013 (Sprachkonferenzen Neuguinea), Bl. 83–86. Grundlegend hierzu der Sammelband von Reinhard WENDT (Hrsg.), Wege durch Babylon. Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation, Tübingen 1998; siehe darüber hinaus u.a. Elke NOWAK, „Gehet hin in alle Welt ...:“ Die Aneignung fremder Sprachen und die Sprachwissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999), S. 135–145. Eckhard BAUM, Daheim und überm Meer. Von der deutschen Kolonialschule zum Deutschen Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft in Witzenhausen, Witzenhausen 1997; Jens BÖHLKE, Zur Geschichte der deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, Witzenhausen 1995.

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tischen Ausbildung potenzieller Neusiedler und realer Angestellter von Plantagen oder anderen interessierten Wirtschaftsunternehmen, denen nach erfolgreicher Ausbildung ein Diplom als „Staatlich geprüfter Koloniallandwirt“ ausgestellt wurde. Andere Einrichtungen wie das Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, an dem tropenmedizinisches Basiswissen vermittelt wurde, oder die Berliner Handelshochschule, die Kurse zur Kolonialkunde in ihr Angebot aufgenommen hatte, beschränkten sich auf die kurzfristige Einweisung derjenigen Verwaltungsbeamten, Lehrer und Offiziere, die unmittelbar vor ihrer Aussendung in die Schutzgebiete standen. Auch Sachau, der bereits am 24. Februar 1896 ein umfangreiches Memorandum zu einem elaborierten Curriculum für Aspiranten des Kolonialdienstes vorlegte,10 konnte letztendlich keine weitergehenden Entwicklungen in dieser Hinsicht durchsetzen. Konsequente Anstrengungen von Seiten des Reichs, eine allgemeine und einheitliche Ausbildung für Kolonialbeamte zu institutionalisieren, womöglich mit wissenschaftlichem Anspruch, blieben aus und waren offenbar von entscheidenden Stellen nicht gewollt. Entsprechend blieben die Argumente gegen die weitreichenden Ausbaupläne am Seminar für orientalische Sprachen im Grunde stets die gleichen. Neben dem Verweis auf die ursprüngliche Aufgabenstellung wurden die fehlenden finanziellen Mittel sowie die Befürchtung, dass der Sprachunterricht unter einem Ausbau leiden würde, angeführt. Immer wieder wurde betont, dass das Seminar keine Hochschule im eigentlichen Sinne sei, oder dass es für eine Qualifikation von Kolonialbeamten keiner akademischen Ausbildung bedurfte. Sicherlich war auch die Tatsache nicht ganz unbedeutend, dass eine Hochschule im Deutschen Reich Ländersache gewesen sei und ein entsprechender Umbau den unmittelbaren Zugriff des Auswärtigen Amtes womöglich beendet hätte. So betonte im August 1907 das Finanzministerium ausdrücklich seine Ablehnung der mehrfach vorgetragenen Vorstellung Sachaus, in seinem Seminar eine „Kolonialakademie des Reiches“ zu sehen, mit dem Hinweis auf den Entstehungszusammenhang und die Aufgabenstellung des Seminars, das eindeutig als Sprachinstitut gedacht wäre.11 Die Finanzverwaltungen im Reich und in Preußen regten 1911 sogar die Aufhebung oder Einschränkung des naturwissenschaftlichtechnischen und des wirtschaftlichen Unterrichts an.12 Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs wurden in Reaktion darauf die Bemühungen schließlich noch einmal verstärkt, das Seminar zu einer „Auslandshochschule“ auszubauen. Der Reichskanzler wurde am 18. April 1913 durch eine Resolution des Reichstags ersucht, eine Denkschrift zu diesem Thema vorzulegen.13 Während das Reichsmarineamt, das die bisherige Ausbildung als zu knapp und die Ausbildungskapazitäten für Kolonialwissenschaften, Weltwirtschaft und Völkerrecht als unzulänglich einschätzte, den Ausbau unterstützte, betonten Reichspostamt und Kriegsministerium, dass sich die bisherige Organisation als ausreichend erwiesen habe.14 Die 10 11 12 13 14

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA), Rep. 208A, Nr. 404, Bl. 132v–135v. HBArchB, R 1001, Nr. 6198, Bl. 28, 36–39. Ebenda, Nr. 6200, Bl. 33. Ebenda, Nr. 6201, Bl. 147. Ebenda, Nr. 6201, Bl. 171–174.

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Antwort aus dem Reichskolonialamt rollt noch einmal die gängige Argumentation auf: Auch für mein Ressort liegt die Hauptbedeutung des Seminars für orientalische Sprachen in der sprachlichen Ausbildung der für den Kolonialdienst bestimmten Beamten. Der ausserdem erteilte Unterricht in einigen die Kolonien und die Kolonialpolitik betreffenden Disziplinen (juristische, wirtschaftliche und sonstige Realien) spielt daneben nur eine geringe Rolle; er kann eine Spezialausbildung der höheren Beamten und zwar namentlich der Assessoren, wie sie neben und nach dem Besuch des Seminars regelmäßig im Kolonialamt selbst stattfindet, nicht ersetzen und unnötig machen. […] Ein Ausbau in dieser Beziehung scheint mir daher vom Standpunkt meines Ressorts nicht nötig. Ja, man müsste vielleicht annehmen, dass, je mehr das Seminar den Charakter einer Hochschule gewinnt, umso mehr zu besorgen ist, dass die sprachliche Ausbildung sich auf das rein wissenschaftliche Gebiet konzentriert und darüber die praktische Ausbildung, die für die Kolonialverwaltung die Hauptsache bleiben muss, zurücktreten lässt.15

Erst in der Spätphase des deutschen Kolonialismus änderte sich das Bild hinsichtlich einer allgemeinen Kolonialbeamtenausbildung zumindest graduell. Bezeichnenderweise ging die entscheidende Neuerung in der kolonialwissenschaftlichen Ausbildungslandschaft nicht von der Reichsebene aus, sondern beruhte auf der Initiative der Stadt Hamburg und ihrer Kaufmannschaft. Mit der Gründung des Kolonialinstituts in der Hansestadt 1907/08 entstand erstmals eine Einrichtung mit einem umfassenden Bildungs- und Forschungsauftrag für alle Themen, die sich auf die Überseegebiete bezogen.16 Das Institut, bereits von seinen Gründern als Vorstufe einer Universität gesehen, unterrichtete die Geschichte der Kolonialbevölkerungen ebenso wie Völker- und Landeskunde sowie eine Reihe kolonialpraktischer Fächer; auch koloniale Sprachen waren von Anfang an im Curriculum vertreten. In diesem Rahmen wurde auch der erste Lehrstuhl für Afrikanistik eingerichtet, auf den Carl Meinhof vom Berliner Seminar berufen wurde. Damit erwuchs dem Berliner Seminar ein wesentlicher Konkurrent, sowohl hinsichtlich der konkreten Ausbildungsangebote als auch im Hinblick auf die Ausbaupläne Sachaus, hatte er sich doch bemüht, im Laufe der Jahre Voraussetzungen zu schaffen, die einen weiteren Ausbau zur Kolonialhochschule oder zum kolonialwissenschaftlichen Zentralinstitut nahe legten. In seinen Bemühungen um eine dauerhafte Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Hamburger Institut berief sich Sachau im Juni 1909 auf eine sehr weite Interpretation des Ursprungsauftrags, „besonders die praktische Anwendung dieser Sprachen zu ermöglichen“, die im Einklang mit einer ministeriellen Verfügung vom 5. August 1887 als „Vermittlung des Verständnisses für Land und Leute“ aufgefasst wurde.17 Zur Durchsetzung verfolgte das Seminar eine Politik der kleinen Nadelstiche, indem beständig Anträge auf Ausweitung des Stellenpools, insbesondere für zusätzliche Realien-Kurse, gestellt wurden. Auch eher „exotische“ Angebote wie ein Samariterkurs oder eine Einführung in die Photogrammetrie 15 Ebenda, Nr. 6201, Bl. 149–150v. 16 Hierzu neuerdings grundlegend Jens RUPPENTHAL, Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart 2007. 17 HBArchB, R 1001, Nr. 6199, Bl. 79–89.

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wurden gefördert. Von außen herangetragene Kurse wie solche in Chemie, die Dr. Max Krause, ein ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berliner Charité, seit dem Wintersemester 1908/09 durchführte,18 sind ein Indiz dafür, dass das Seminar auch von kolonial orientierten Akademikern als Chance angesehen und in der akademischen Öffentlichkeit durchaus nicht nur als Sprachschule wahrgenommen wurde. Es war schließlich der Erste Weltkrieg, der mit dem deutschen Kolonialreich auch die Debatte um ein kolonialwissenschaftliches Zentralinstitut beendete, die in der historischen Forschung bereits recht gut beleuchtet ist. Die Frage nach der Ebene der Alltagspraxis hingegen wurde bislang nicht hinreichend berücksichtigt.

IV. KURSE UND DOZENTEN – DAS LEHRANGEBOT DES SEMINARS Angesichts der ursprünglichen Ausrichtung auf den diplomatischen Dienst spielten die Idiome der neu erworbenen Schutzgebiete, die sogenannten „deutschen Kolonialsprachen“, anfangs nur eine marginale Rolle, waren aber bereits seit 1887 mit regelmäßigen Suaheli-Kursen vertreten. Dieses Angebot ging auf einen Vorschlag von Carl Peters zurück, der durch ein Petitionsschreiben der Gesellschaft für deutsche Kolonisation unterstützt wurde.19 Im Gegensatz zu allen anderen Sprachangeboten begann für Suaheli in jedem Semester ein neuer Kurs.20 Die Überlegungen, auch andere Bantu-Sprachen in das Angebot aufzunehmen, wurden zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Die zeitliche Kongruenz von Aufbau des Kolonialreichs und Entwicklung des Seminars konnte aber nicht ohne Folgen bleiben. So wurde auf dem Deutschen Kolonialkongress 1905 folgender Beschluss gefasst: Das Studium der Eingeborenensprache ist allen Regierungsbeamten auf das dringendste zu empfehlen. Besonders tüchtige Leistungen sind zu prämieren. Daneben ist dahin zu wirken, dass in allen Kolonien das Deutsche unter den Eingeborenen möglichste Verbreitung finde.21

Was sich wie ein Arbeitsauftrag für das Berliner Seminar anhört, war allerdings nicht mehr als eine Empfehlung, die zudem gleichrangig neben der alternativen Überlegung stand, die deutsche Sprache in den Kolonien zu verbreiten. Daher konnte die Resolution keine solide Grundlage für eine substantielle Intensivierung kolonialsprachlicher Kurse darstellen. Deren Angebot blieb vielmehr weiterhin Schwankungen unterworfen.

18 Ebenda, Nr. 6198, Bl. 116–118v. 19 BURCHARDT, School, S. 69. 20 HBArchB, R 1001, Nr. 6194, Bl. 20v („Bedingungen des Eintritts in das Seminar für Orientalische Sprachen“). 21 Zitiert nach Norbert CYFFER, Koloniale Sprachpolitik. Der Beitrag der deutschen AfrikaLinguistik, in: Eva-Maria BRUCHHAUS/Leonard HARDING (Hrsg.), Hundert Jahre Einmischung in Afrika 1884–1984, Hamburg 1986, S. 165–187, hier S. 176.

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Lothar Burchardt schätzt die Einführung des Unterrichts in der HereroSprache vor dem Hintergrund der Kolonisationsbestrebungen in Südwestafrika als „indication of new priorities“ ein.22 Betrachtet man die Entwicklung des Lehrangebots genauer, erweist sich dieses Urteil allerdings als etwas zu weit gegriffen. Zwar traten die wichtigsten Sprachen der afrikanischen Schutzgebiete nun vermehrt in Erscheinung, doch blieb das Angebot uneinheitlich und wenig kontinuierlich. Das regelmäßig angebotene Suaheli blieb letztendlich die einzige wirklich etablierte afrikanische Unterrichtssprache.23 Darüber hinaus war Haussa seit dem Wintersemester 1898/99 regelmäßig im Angebot und wurde zur zweitwichtigsten Sprache, und auch Herero wurde wenige Jahre nach Suaheli regelmäßig angeboten, aber nicht immer belegt. Nama hingegen findet sich erst seit dem Wintersemester 1907/08 sporadisch im Angebot, Ovambo nur zwischen Wintersemester 1908/09 und Sommersemester 1910. Ewe wurde erstmals im Wintersemester 1903/04 – und seither fast regelmäßig – angeboten, Duala hingegen bereits seit dem Wintersemester 1899/1900, jedoch mit Unterbrechungen. Ebenso unregelmäßig blieb das Angebot in Fulbe seit dem Wintersemester 1904/05, während sich Jaunde, erstmals 1909/10 angeboten, seit 1910/11 mit den ersten Einschreibungen regelmäßig im Angebot findet. Ergänzungsangebote wurden seit dem Wintersemester 1903/04 in Gestalt der Kurse „Bantu-Lautlehre“ oder „Phonetik afrikanischer Sprachen“ gemacht. Der Vollständigkeit halber seien noch die afrikanischen Idiome Twi, Dagbane und Ga erwähnt, zu denen es nur wenige Experimente in der kolonialen Endphase gab, sowie ein Kurs unter dem indifferenten Titel „Ozeanisch“, der zwischen den Sommersemestern 1908 und 1909 ebenfalls ein kurzlebiges Experiment blieb. Die zunehmende Orientierung am deutschen Kolonialreich bedingte zwangsläufig den Ausbau des Lehrpersonals. Dessen Rekrutierung gestaltete sich jedoch nicht gerade einfach. Ressourcen standen nur in geringem Umfang zur Verfügung; häufig kam kaum mehr als eine Person für eine bestimmte Sprache in Frage. Alternativ wurde, zumindest bei den festen Positionen, eine Zuständigkeit für weite Bereiche vergeben, wie sie in der Stellenbezeichnung „Lehrer für die BantuSprachen“ zum Ausdruck kommt. Carl Gottfried Büttner (1848–1893) war die erste Lehrkraft für afrikanische Sprachen am Seminar.24 Er hatte selbst umfangreiche Erfahrungen in Südwestafrika gesammelt, sich aber nie in Ostafrika aufgehalten. Seine in Namibia erworbenen Grundlagenkenntnisse in den Bantu-Sprachen machten ihn zu einem der wenigen Experten für afrikanische Sprachen in Deutschland überhaupt, weswegen er trotz fehlender Suaheli-Studien vor Ort zum Unterricht in dieser Sprache herangezogen wurde. Als ehemaliger Missionar war er durchaus typisch für das 22 BURCHARDT, School, S. 68–69. 23 Alle Angaben zum Lehrangebot nach den regelmäßigen Vorlesungsverzeichnissen; diese finden sich u.a. in HBArchB, R 1001, Nr. 6194–6202. 24 Zu Person und Werk siehe Sara PUGACH, Lost in Translation. Carl Büttner’s Contribution to the Development of African Language Studies in Germany, in: David L. HOYT/Karen OSLUND (Hrsg.), The Study of Language and the Politics of Community in Global Context, Lanham (Md.) 2006, S. 151–184.

Sprachschule oder kolonialwissenschaftliches Zentralinstitut?

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Lehrpersonal des Seminars, in seiner akademischen Weiterentwicklung, die vor allem einer langfristig wirksamen Systematisierung der Bantu-Sprachen gewidmet war, überragte er allerdings die durchschnittlichen Sprachlehrer. Es gelang ihm, sich als maßgeblicher Spezialist Deutschlands für afrikanische Sprachen in Szene setzen. Wohin diese Karriere hätte führen können, ist allerdings offen geblieben, da Büttner bereits im Alter von 44 Jahren verstarb. Ein anderes Beispiel für einen „Universalisten“ dieser Art bietet Carl Mein25 hof. Der im pommerschen Zizow tätige Pfastor fand eher zufällig zur Afrikanistik, in der er sich eigenständig zum Bantu-Experten weiterbildete. Wie Büttner konzentrierte er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auf eine Systematisierung der Bantu-Sprachen, deren bekanntestes Produkt aus seiner Berliner Schaffensphase schließlich eine vergleichende Bantu-Grammatik wurde.26 Auf dieser Grundlage konnte er die Nachfolge Büttners am Berliner Seminar antreten und später auf die Professur für Afrikanistik am Hamburger Kolonialinstitut berufen werden. Mit der Ausweitung des Sprachenangebots hielt eine gezieltere Rekrutierungspolitik am Seminar Einzug, die in der Regel dessen sprachpraktische Orientierung spiegelte. Immer wieder wurden Missionare, die in ihrem unmittelbaren Tätigkeitsfeld Sprachkenntnisse erworben hatten, angesprochen. Das bekannteste Beispiel hierfür bietet Diedrich Westermann (1875–1956), der für die Norddeutsche Missionsgesellschaft in Togo tätig war, bevor er 1908 als Lehrer für Ewe und Twi („westafrikanische Sprachen“) an das Berliner Seminar wechselte. Als Meinhof, der ihn rekrutiert hatte, dem Ruf nach Hamburg folgte, wurde Westermann in Berlin sein Nachfolger als Professor. Als solcher wurde er zunehmend mit Kursen in anderen afrikanischen Sprachen und auch mit ethnologischen Angeboten betraut. Ein anderer Praktiker dieser Art war Hermann Tönjes (1871–1949) von der Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen, der für das Wintersemester 1908/09 und das Sommersemester 1909 als Lehrbeauftragter für Ovambo gewonnen werden konnte und seinen Vertrag schließlich bis Sommersemester 1910 verlängerte.27 Aber auch aktive Kolonialbeamte konnten für das Seminar interessant sein, so Professor Adam Mischlich (1864–1948), der von der Basler Missionsgesellschaft 1897 in den Dienst des Gouvernements von Togo wechselte, wo er die Bezirksstation Kete-Kratschi leitete. 1913 sollte er als „größte lebende Autorität in Haussa“ zur Entlastung von Diedrich Westermann angeworben werden, stellte aber zu hohe finanzielle Forderungen, weswegen seine Verpflichtung letztendlich scheiterte.28

25 Zu Person und Werk siehe Brigitte REINEKE/Wolfgang DODT, Sprache und Kultur im Werk von Carl Meinhof, in: Ethnographisch-archäologische Zeitschrift 27 (1987), S. 455–472. 26 Carl MEINHOF, Grundzüge einer vergleichenden Grammatik der Bantusprachen, Berlin 1906. 27 HBArchB, R 1001, Nr. 6198, Bl. 113; GStA, Rep. 208 A, Nr. 94, passim. 28 GStA, Rep. 208 A, Nr. 27, Bl. 96–99. In der Akte wird Mischlich irrtümlich als Bezirksamtmann von Misahöhe bezeichnet, ein Amt, das von 1899 bis zum Ersten Weltkrieg Dr. Hans Gruner inne hatte, siehe Heinrich SCHNEE (Hrsg.), Deutsches Koloniallexikon, Bd. 1, Leipzig 1920, S. 768.

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Eine andere Strategie wurde am Hamburger Kolonialinstitut verfolgt. Als Carl Meinhof 1911 einen Assistenten suchte, stellte er mit August Klingenheben einen akademisch gebildeten Sprachwissenschaftler ein, der in Halle bei dem Semitologen Brockmann studiert und sich mit orientalischen Sprachen beschäftigt hatte. Zum Zeitpunkt seines Wechsels nach Hamburg stand er gerade am Beginn seines orientalistischen Dissertationsvorhabens, beherrschte aber keine afrikanischen Sprachen.29 Diese mussten ihm erst durch einen in Kairo angeworbenen, Fulbe und Haussa sprechenden Lektor beigebracht werden. Klingenhebens akademische Karriere als Afrikanist, die ihn schließlich 1930 auf ein „planmäßiges Extraordinariat“ für afrikanische Sprachen in Leipzig führte, spricht für den Erfolg dieses Wagnisses. Aus Sicht der kolonialen Sprachausbildung weniger erfolgreich war die Rekrutierungspolitik Meinhofs im Falle eines Assistenten für Südseesprachen. Der 1914 eingestellte Walter Aichele war in Arabisch und Sanskrit ausgebildet und stürzte sich mit diesem Hintergrund vorrangig auf alt-indonesische Sprachen.30 Die ozeanischen Sprachen blieben weiterhin eine Randerscheinung an den deutschen Ausbildungsstätten. Dass die akademische Karriere Aicheles letztlich aus persönlichen Gründen grundsätzlich scheiterte, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

V. KURSE UND STUDENTEN – DIE AUSBILDUNGSREALITÄT AM SEMINAR Das Angebot an kolonialsprachlichen Kursen und die Anwerbung entsprechender Lehrkräfte sind nur die eine Seite der Medaille. Für den Erfolg dieses Programms mindestens ebenso bedeutsam ist die Frage, ob solche Angebote überhaupt nachgefragt wurden, ob sich also die koloniale Praxisorientierung des Seminars in seinen Studentenzahlen spiegelt.31 Ein Blick auf die Verteilung der für einen Kurs primär eingeschriebenen Studenten lässt die Kolonialsprachen mit rund einem Viertel der Einschreibungen als durchaus bedeutsam im Rahmen des Gesamtangebots erscheinen. Der Anteil blieb weitgehend konstant; ein überproportionaler Anstieg der Einschreibungszahlen, der auf die allgemeine koloniale Entwicklung oder auf die Politik des Seminars hätte zurückgeführt werden können, ist nicht zu beobachten. Kern des kolonialsprachlichen Angebots blieb langfristig das Suaheli. Alle anderen afrikanischen Sprachen blieben mit wenigen Prozent weitgehend bedeutungslos, ozeanische Sprachen wurden gar nicht nachgefragt. Die vergleichsweise früh als bedeutsam 29 Staatsarchiv Hamburg (StAH), Bestand 364–13 (Fakultäten/Fachbereiche der Universität), Abl. 2002/04, 79 (insbesondere Klingenhebens Lebenslauf zur Einstellung, 22.01.1911, und Meinhofs Würdigung zu seinem Abschied, 19.07.1930, jeweils o.P.). 30 StAH, Bestand 364–13, Abl. 2002/04, 80 (insbesondere Meinhofs Bericht über Aicheles Werdegang, 14.01.1936, o.P.). 31 Alle Zahlenangaben nach den regelmäßigen Personal- und Studentenverzeichnissen, u.a. in HBArchB, R 1001, Nr. 6194–6202.

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angesehenen Sprachen Südwestafrikas, insbesondere das Herero, wurden häufig ebenfalls gar nicht erst belegt. Tabelle 1: Kurseinschreibungen in ausgewählten Semestern WS 1897/98

WS 1902/03

WS 1907/08

WS 1912/13

Suaheli

26

28,7 %

27

11,8 %

58

19,3 %

49

17,9 %

Herero/Nama

0

0

0

0

3

1,0 %

2

0,7 %

Haussa

--

--

8

3,5 %

10

3,3 %

5

1,5 %

andere afrikanische Sprachen

--

--

0

0

3

1,0 %

6

2,2 %

Kolonialsprachen

26

28,7 %

35

15,3 %

74

24,6 %

62

22,3 %

Ostasien32

23

14,4 %

39

17,1 %

63

21,0 %

55

20,0 %

Nahost33

42

26,3 %

52

22,8 %

58

19,3 %

53

19,4 %

Russisch

18

11,3 %

47

20,6 %

23

7,7 %

21

7,7 %

Englisch/Franz.

--

--

28

12,3 %

39

13,0 %

39

14,2 %

Inskribenten

160

228

300

274

Wurden die generellen Belegerzahlen des Seminars von Anfang an publiziert, gestaltet sich die Rekonstruktion ihrer internen Zusammensetzung schon schwieriger, da die Erfassung erst nach und nach differenziert wurde. Die hier besonders interessanten Anwärter des Kolonialdiensts wurden überhaupt erst seit dem Sommersemester 1909 als eigenständige Kategorie erfasst. Seither handelte es sich um 17 bis 34 Personen, also 5 Prozent bis 15 Prozent aller Eingeschriebenen. Zuvor wurden die Kolonialanwärter statistisch in anderen Gruppen, insbesondere bei den Offizieren und Beamten, subsumiert. Zu Beginn der Geschichte des Seminars dominierten die Anwärter des Dragomandienstes mit 40 Prozent bis 50 Prozent der Eingeschriebenen – mit langfristig fallender Tendenz. In den 1910er Jahren herrschte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den großen Gruppen Dragomandienst, Kaufleute/Beamte, Offiziere und „Angehörige der Philosophischen Fakultät“, die das Angebot des Seminars offenbar gerne für Zusatzqualifikationen zum klassischen akademischen Studium nutzten. Die Beteiligung des Kolonialdienstes blieb etwas hinter diesen Gruppen zurück. 32 Bei ostasiatischen Sprachen bestand ständig ein leichtes Übergewicht des Chinesischen gegenüber dem Japanischen. 33 Bei den nahöstlichen Sprachen verlor Persisch deutlich an Bedeutung gegenüber Arabisch und Türkisch; das Verhältnis in der Zahl der Eingeschriebenen lag bei ca. 2:2:1, mit fallender Tendenz.

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Eine Antwort auf die Frage, welche Gruppen kolonialsprachliche Kurse besuchten, lässt sich am besten am Suaheli-Unterricht festmachen. Seit die Kolonialanwärter eigenständig verzeichnet wurden, stellten sie auch die Mehrheit unter den Besuchern. In der Regel handelte es sich um die Hälfte bis zwei Drittel, wenn auch mit gelegentlichen kleineren Einbrüchen. Die zweitgrößte Gruppe bildeten die Offiziere, wobei von einer unscharfen Trennung zwischen ihnen und dem Kolonialdienst auszugehen ist, da sie teilweise den Schutztruppen angehörten. Zuvor waren die Beamten mit rund 40 Prozent am stärksten vertreten, was eindeutig für die Subsumierung der Kolonialbeamten unter diese Gruppe spricht. Die restlichen Teilnehmer verteilten sich über die anderen Inskribentengruppen, wobei immer wieder die Rolle der regulären Studenten der Philosophischen Fakultät auffällt. Allerdings beschränkte sich Kolonialorientierung nicht auf die Sprachkurse, wie die eingangs zitierten Vorstellungen Sachaus bereits angedeutet haben. Vielmehr erlebte das Seminar einen zunehmenden Ausbau des kolonialpraktischen Angebots im Rahmen von Kursen unter der Bezeichnung „Realien“. Dahinter verbargen sich Veranstaltungen zu Landeskunde, Kolonialpolitik und Kolonialrecht, zur Tropenhygiene, zu tropischen Nutzpflanzen, zur geographischastronomischen Ortsbestimmung, Routenaufnahme sowie später auch zu Chemie, Photogrammetrie und Islamkunde. Die Besonderheit bei der Belegung bestand darin, dass die wenigsten Studenten unmittelbar wegen der Realien-Kurse eingeschrieben waren. Vielmehr bestand die Möglichkeit, neben dem sprachlichen Hauptfach weitere Kurse zu belegen. Für den Besuch der Kurse in den Kolonialsprachen war dies wenig relevant, die Realien-Kurse hingegen wurden bald zu den beliebtesten „Nebenfächern“ dieser Art. Die offizielle Statistik der realen Teilnehmerzahlen in Ergänzung zu den formellen Einschreibungszahlen belegt dies eindrucksvoll. Tabelle 2: Kursteilnehmer in ausgewählten Semestern WS 1897/98

WS 1902/03

WS 1907/08

WS 1912/13

Suaheli

49

26,3 %

27

5,4 %

61

9,0 %

54

7,0 %

Herero/Nama

0

0

0

0

5

0,7 %

2

0,3 %

Haussa

--

--

10

2,0 %

2

1,8 %

4

0,5 %

andere afrikanische Sprachen Kolonialsprachen

--

--

0

0

17

2,5 %

21

2,7 %

49

26,3 %

37

7,4 %

85

14,0 %

81

10,5 %

Realien

0

0

129

25,5 %

215

31,9 %

293

38,2 %

Ostasien

23

12,4 %

41

8,1 %

63

9,3 %

55

7,2 %

Nahost

50

26,9 %

60

11,9 %

63

9,3 %

65

8,5 %

Russisch

21

11,3 %

49

9,7 %

0 [?]

0 [?]

38

5,0 %

Englisch/Franz.

--

--

137

27,1 %

208

30,8 %

194

25,3 %

Teilnahmen

186

505

675

768

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Ein Vergleich der Zahlen von Einschreibungen und Teilnahmen zeigt zunächst, dass das Seminar hinsichtlich seiner Studierendenzahl allenfalls langsam wuchs, der Unterricht dort aber an Intensität deutlich anstieg, da die Bedeutung der Zweitbelegung rasant zunahm. Als entscheidender Motor für diese Entwicklung erweisen sich, neben den modernen europäischen Fremdsprachen, die kolonialen Realien-Kurse. Die Kolonialsprachen blieben hingegen weitgehend ohne Zweitbeleger; lediglich Zusatzkurse in Phonetik ergänzten das primäre Angebot und wurden wahrscheinlich von Inskribenten der Kolonialsprachen zur Vertiefung belegt. Da sich die Situation bei den asiatischen oder orientalischen Sprachen ähnlich entwickelte, kann von relativ homogenen und überschaubaren Berufsgruppen mit gezielten Ausbildungsinteressen ausgegangen werden, aber kaum von Anreizen für andere Studentengruppen. Ein erstes Zwischenfazit zu den Studentenzahlen unterstreicht, dass die Bedeutung der kolonialsprachlichen Ausbildung am Seminar konstant blieb, aber nie vorherrschend wurde. Ganz im Gegenteil: Außer im Falle des Suaheli blieb das Interesse an afrikanischen Sprachen außerordentlich gering. Dies war übrigens kein spezifisches Berliner Problem; auch in Hamburg sah die Situation nach Gründung des Kolonialinstituts keineswegs besser aus.34 Die dort am Lehrstuhl von Carl Meinhof angebotenen Kurse in Herero, Nama, Ewe und Duala mussten immer wieder abgesagt werden, entweder wegen zu geringer Teilnehmerzahlen oder, noch häufiger, weil überhaupt keine Anmeldungen eingegangen waren. In Berlin hingegen wurde durch den enormen Zuspruch zu den Realien-Kursen Eduard Sachaus Anspruch untermauert, aus dem Seminar für orientalische Sprachen eine Kolonialhochschule zu machen. Oder anders formuliert: Durch immer neue Angebote in diese Richtung schuf das Seminar eine Grundlage für eine entsprechende Weiterentwicklung, die sich auf Basis der reinen Sprachenausbildung als nicht erreichbar herausstellte.

VI. WÖRTERBÜCHER UND GRAMMATIKEN – DIE FORSCHUNG DES SEMINARS Die Aktivitäten des Seminars beschränkten sich nicht allein auf den Sprachunterricht. Inwiefern das Seminar für die orientalistische Forschung (Sinologie, Japanologie, Indologie, Arabistik) relevant war, muss hier unberücksichtigt blieben.35 34 StAH, Bestand 361–6 (Hochschulwesen – Dozenten- und Personalakten), IV 1712 (Akten betreffend die Vorlesungen des Herrn Professor Meinhof), Hefte 2, 5, 6, 7. 35 Siehe hierzu Sabine MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004; darüber hinaus u.a. Astrid BROCHLOS, Das Seminar für Orientalische Sprachen an der Berliner Universität und die japanbezogene Lehre, in: Gerhard KREBS (Hrsg.), Japan und Preußen, München 2002, S. 145–162, sowie die einschlägigen Beiträge in Wolfgang MORGENROTH u.a., Das ‚Seminar für Orientalische Sprachen‘ in der Wissenschaftstradition der Sektion Asienwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1990.

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Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang sind die indigenen Sprachen der deutschen Kolonien und somit der Beitrag des Seminars zu deren Erforschung und zur deutschen Ethnolinguistik.36 Grundsätzlich weisen die betreffenden Sprachen zwei Gemeinsamkeiten auf: Zum einen waren sie bis dato entweder gänzlich unbekannt oder nur wenigen Spezialisten vor Ort, zumeist Missionaren, zugänglich. Zum anderen handelte es sich weitgehend um schriftlose Sprachen; lediglich das in arabischen Lettern geschriebene Suaheli bildete eine Ausnahme. Ein sinnvoller Unterricht in diesen besonders fremden Sprachen setzte ihre Erforschung voraus. Eine wegweisende Rolle des Seminars als koloniallinguistische Forschungseinrichtung lag daher auf der Hand. „Forschen“ bedeutete in diesem Zusammenhang zunächst einmal Sammeln, und dies auf zwei verschiedenen Ebenen: Zum einen wurde konkretes „Sprachmaterial“ – vor allem Vokabeln, Redewendungen und Beispielsätze zum Verständnis grammatischer Strukturen – vor Ort zusammengetragen, zum anderen mussten diese sehr heterogenen Materialien gebündelt und systematisiert werden, sollten sie für eine wissenschaftlich orientierte Linguistik nutzbar gemacht werden. Das Berliner Seminar entwickelte sich so zu einer Sammelstelle und zum Sammlungsorganisator in – mehr oder weniger – staatlichem Auftrag, vergleichbar mit der zeitgenössischen Situation in der deutschen Völkerkunde, deren vorherrschendes Paradigma die repräsentative Darstellung der materiellen Kultur „primitiver“ Gesellschaften durch die Erstellung möglichst umfassender Sammlungen in den Mittelpunkt stellte. Das Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin unter Adolf Bastian spielte dabei die entscheidende Rolle für die Systematisierung dieser Bemühungen, da es über das exklusive Zugriffsrecht auf ethnographische Artefakte aus den Schutzgebieten verfügte. Genau diese Position dürfte Vorbildcharakter für das gehabt haben, was Sachau aus seinem Seminar zu machen beabsichtigte.37 Wie auch in der Völkerkunde war es eine sehr heterogene Gruppe, die vor Ort die Grundlage der Sammelarbeiten leistete. Herausragend war die Rolle der Missionare, daneben stammten etliche Sprachsammlungen von Lehrern, aber auch von anderen Kolonialbeamten, Offizieren der Schutztruppen oder Forschungsreisenden. Allein schon der Bildungshintergrund, das Einsatzgebiet und das Tätigkeitsfeld der verschiedenen Personen sorgten für große formale, aber auch qualitative Unterschiede – eine Feststellung, die durchaus auch für die Missionare gilt. Diese Unterschiede bedingten den Versuch, die Sammelaktivitäten von zentraler 36 Zum Begriff der Ethnolinguistik, der die unumgängliche Integration der kulturellen Bedeutungsebene in die linguistische Erforschung „fremder“ Sprachen impliziert, und der traditionsreichen Beschäftigung mit ihr in der deutschen Wissenschaft siehe Lars VON KARSTEDT, Sprache und Kultur. Eine Geschichte der deutschsprachigen Ethnolinguistik, Diss. Hamburg 2004. 37 Siehe u.a. Cornelia ESSNER, Das Berliner Völkerkunde-Museum in der Kolonialära. Anmerkungen zum Verhältnis von Ethnologie und Kolonialismus in Deutschland, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart 1986, S. 65–94; H. Glenn PENNY, Bastian’s Museum. On the Limits of Empiricism and the Transformation of German Ethnology, in: DERS./Matti BUNZL (Hrsg.), Worldly Provincialism: German Anthropology in the Age of Empire, Ann Arbor 2003, S. 86– 126; Christine STELZIG, Afrika am Museum für Völkerkunde zu Berlin 1873–1919. Aneignung, Darstellung und Konstruktion eines Kontinents, Pfaffenweiler 2004.

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Stelle aus zu vereinheitlichen, wenn auch nur beschränkte Mittel dafür verfügbar waren. Eine zentrale Rolle kam dabei dem Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen zu, das im Auftrag der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt von dem Sinologen Georg von der Gabelentz (1840–1893) entwickelt worden war.38 Es wurde seitens der Kolonialverwaltung gezielt verteilt und stellte wahrscheinlich unmittelbar seit seinem Erscheinen 1892 die Hauptgrundlage für die Spracherfassung durch „Amateure“ dar.39 Ein Bestandteil dieses Handbuchs war eine Erläuterung des Einheitsalphabets des Ägyptologen Karl Richard Lepsius (1810–1884), das dieser entwickelt hatte, um sämtliche neu entdeckten Sprachen verschriftlichen zu können.40 Die Benutzung dieses Hilfsmittels unmittelbar in der Kolonialzeit ist selten belegt; allerdings dürfte es bei etlichen Missionaren in den vorkolonialen Jahrzehnten durchaus eine Rolle gespielt haben und auf dem Umweg über das Gabelentz-Handbuch schließlich prägend für den Umgang mit nichtschriftlichen Idiomen geworden sein. Darüber hinaus verfassten mehrere Dozenten des Seminars kleinere Handreichungen zur Sprachenerfassung, so z.B. Carl Meinhof eine Anleitung zur Aufnahme von Bantu-Sprachen.41 Sonderdrucke von Artikeln aus den Publikationen des Seminars wurden als Anregung und „Modell“ für zukünftige Studien eingesetzt. So bat der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika im September 1902, die im Vorjahr eingestellte Belieferung mit den regelmäßigen Veröffentlichungen des Seminars fortzusetzen sowie zusätzliche Sonderdrucke, wenn ein Bezug auf Ostafrika vorlag, zu senden, um weiterhin ähnliche Studien anzuregen.42 Derartige Bemühungen bedeuteten aber bei weitem nicht, dass sich alle „Sprachforscher“ dieser Art wirklich an solchen Handbüchern orientierten. Vielfach, gerade bei kleineren Werken, prägten allein Intuition und Vorwissen der Einzelperson die Aufnahme. Der tatsächliche Charakter der einlaufenden Sprachaufnahmen war also äußerst heterogen; er reichte von genuinen wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem neuesten Stand der Linguistik, die eher selten waren,43 über mehr oder weniger gründliche, aber isoliert entstandene Grammatiken und Wörterbücher, welche die Mehrheit der tatsächlichen Publikationen ausmachten, bis hin zu kleinen Sprachfibeln und Minimal-Wörterbüchern, die noch am

38 Georg VON DER GABELENTZ, Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen, Berlin 1892. 39 Siehe beispielsweise für die Jahre 1893/94 HBArchB, R 1001, Nr. 6166, Bl. 50 (Togo), Bl. 61–62 (Kamerun), Bl. 70–70v (Ostafrika). 40 Karl Richard LEPSIUS, Das allgemeine linguistische Alphabet. Grundsätze der Übertragung fremder Schriftsysteme und bisher noch nicht geschriebener Sprachen in europäische Buchstaben, Berlin 1855. 41 Erwähnt in einem Brief Sachaus vom 16.02.1900: HBArchB, R 1001, Nr. 6171, Bl. 276– 277v. 42 Ebenda, Nr. 6195, Bl. 70. 43 Als ein herausragendes Beispiel seien die Arbeiten zur Chamorro-Sprache auf Saipan/Marianen erwähnt, die der dortige Bezirksamtmann durchführte und die im zweiten Band des Archivs für das Studium deutscher Kolonialspachen publiziert wurden: Georg FRITZ, Chamorro-Wörterbuch in zwei Theilen, Berlin 1904.

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ehesten für die Publikation durch das Seminar abgelehnt wurden.44 Manche der einlaufenden Sammlungen wurden auch nur als linguistisches Rohmaterial genutzt und von den Dozenten aufwändig für die Publikation aufbereitet.45 Dennoch zielte die Politik des Seminars hinsichtlich des Umgangs mit den Sprachaufnahmen eindeutig auf die möglichst schnelle Schaffung eines möglichst großen Fundus an Sprachmaterial ab. Gutachter, die zumeist ihre eigenen Leistungen und Publikationen als Maßstab nahmen, bewerteten zwar durchaus auf akademischem Niveau, gaben aber häufig schon dann positive Empfehlungen ab, wenn zur fraglichen Sprache noch keine Publikation vorlag. Beinahe könnte man von einer linguistischen Massenproduktion sprechen. Der idealtypische Ablauf von der Entstehung einer Sprachaufnahme vor Ort bis zur Publikation begann mit der – angeforderten oder auch ungefragten – Zusendung einer Sammlung aus dem Schutzgebiet, in der Regel über das Gouvernement, an das Berliner Seminar. Dieses ließ das Material begutachten, zumeist durch die zuständige Lehrkraft im Seminar, gelegentlich auch durch Auswärtige, die jedoch wiederum in engem Verhältnis zum Seminar standen, wie dies beispielsweise bei ausgeschiedenen Dozenten der Fall war. Im Falle eines positiven Gutachtens, was den Normalfall darstellte, wurde ein Kostenvoranschlag des Verlags Dietrich Reimer in Berlin, der die regelmäßigen Publikationen des Seminars besorgte, eingeholt. Auf dieser Grundlage entstand ein Antrag auf Druckkostenzuschuss, der primär bei der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes (ab 1907 Reichskolonialamt) und erst bei deren Ablehnung gelegentlich bei der Deutschen Kolonialgesellschaft, beim Afrikafonds oder ähnlichen Einrichtungen eingereicht wurde. Es folgte die Veröffentlichung in einer der Publikationsreihen des Seminars sowie die Verteilung, insbesondere in der betreffenden Kolonie. Zahlreiche solcher Abläufe sind in den Akten des Reichskolonialamts dokumentiert. An dieser Stelle sei nur ein Beispiel für diesen Weg zur Verdeutlichung angesprochen.46 Der an der deutschen Schule in Tanga/Ostafrika tätige Lehrer Christian Barth hatte eine Fibel für Suaheli verfasst, die er 1894 dem Seminar vorlegte. Dieses bestellte zwei Gutachten, die grundsätzlich positiv ausfielen, aber nicht ohne Änderungswünsche blieben. Das erste Gutachten verfasste kurz vor seinem Tod Carl Gottfried Büttner, der Suaheli-Dozent des Seminars, das zweite der Referendar Dr. H. Zache aus Dar-es-Salam, der selbst Material zu ostafrikanischen Sprachen und Suaheli-Literatur gesammelt und veröffentlicht hatte.47 Das Seminar kalkulierte auf Grundlage der vergleichbaren Duala-Fibel des in Kame44 So fanden 1910 die Studien des Rheinischen Missionars Vedder zur „Schnalzsprache“ in Deutsch-Südwestafrika keine Gnade vor den Augen des Gutachters Westermann: HBArchB, R 1001, Nr. 6177, Bl. 11, 14–15v, 19. 45 Hier kannte der Variantenreichtum kaum Grenzen. Als illustrative Beispiele seien nur zwei genannt: 1896 übersandte ein Leutnant Kollmann aus Deutsch-Ostafrika eine „Zusammenstellung von Sätzen aus der Sprache der Leute von Uganda, Usinda, Karagwe und der Waka“ (HBArchB, R 1001, Nr. 6172, Bl. 62). 1901 übersandte der Gouverneur von Togo, Graf Zech, eine Sammlung von Haussa-Handschriften (ebenda, Nr. 6172, Bl. 144). 46 HBArchB, R 1001, Nr. 6167, Bl. 15–20v, 77–79, 102; Nr. 6170, Bl. 54. 47 Ebenda, Nr. 6168, Bl. 120.

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run tätigen Lehrers Christaller mit Druckkosten in Höhe von 550 Mark für 300 Exemplare. Die Deutsche Kolonialgesellschaft, an die man sich zunächst wandte, lehnte die Förderung ab unter Hinweis auf ihre bereits geleisteten Unterstützungszahlungen für die Schule in Tanga, worunter sich auch das Jahresgehalt Barths von 4.500 Mark befand. Die ersatzweise angesprochene Kolonialabteilung behielt sich zunächst eine Entscheidung vor, bis die Verwaltung in Dar-es-Salam die Änderungswünsche der Gutachter mit Barth abgesprochen hatte. Dies geschah im August 1894, worauf die Druckkostenbewilligung des Auswärtigen Amts in Höhe von 620 Mark für eine Auflage von 500 Exemplaren Anfang November 1894 ausgestellt wurde. Erst Ende 1897 gab Barth schließlich sein Einverständnis, dass der Lehrer Paul Blank aus Rixdorf seine Suaheli-Fibel für den Druck noch einmal umarbeitete. Beamten und Offizieren der Kolonialverwaltung und des Auswärtigen Amtes war es grundsätzlich erlaubt, ihre Sprachsammlungen zu publizieren, allerdings nur nach Vorlage der Manuskripte beim Ministerium und unter Weglassung von Name und Titel,48 was sicherlich eine Hemmschwelle für manche darstellte. Auf weitaus größeres Interesse stießen die Publikationsmöglichkeiten erwartungsgemäß bei Missionaren. Zudem hatte die extensive Publikationspolitik des Seminars natürlich auch eine gewisse Magnetwirkung. Individuen mit einem übersteigerten Selbstbewusstsein hinsichtlich ihrer linguistischen Fähigkeiten bedrängten das Seminar regelrecht. So tauchte der in Kamerun tätige Lehrer Theodor Christaller aus Schorndorf bis zu seinem Tod 1896 ständig in der Korrespondenz des Seminars auf.49 Auch Witwen oder Erben ehemaliger Afrikareisender bemühten sich, posthum Publikationen und auch Honorare durchzusetzen. Rudolf Prietzel, ein Neffe von Gustav Nachtigall, drängte dem Institut im Andenken an seinen Onkel 1897 ein kleines nachgelassenes Werk zum Anecho, einem Ewe-Dialekt aus Togo, auf.50 Einen langwierigen Schriftwechsel bis Ende der 1920er Jahre führten die mittellosen Töchter des 1901 verstorbenen Regierungsrats Dr. Girschner. Dessen Grammatik der Ponape-Sprache sowie seine Sammlung indigener medizinischer Ausdrücke waren nach anfänglichem Verlust bereits zwei Jahre nach seinem Tod wieder aufgetaucht, ohne dass seine Erbinnen je eine Publikation und vor allem eine Honorierung durchsetzen konnten.51 Das Seminar unterhielt für solche Zwecke mehrere Publikationsorgane. Das Archiv für das Studium deutscher Kolonialsprachen brachte es zwischen 1901 und 1914 auf immerhin 16 Bände, während die mehr praxisorientierten Lehrbücher des Seminars für Orientalische Sprachen 30 Bände zwischen 1906 und 1914 hervorbrachten. Die Reihe wurde noch bis 1937 fortgeführt und kam insgesamt auf 37 Bände. Schließlich verfügte das Institut mit den Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen über eine eigene Zeitschrift, die nach regionalen Gesichtspunkten in drei Abteilungen (1: Ostasiatische Studien, 2: Westasiatische 48 49 50 51

Ebenda, Nr. 6194, Bl. 59–59v. Ebenda, diverse Stellen in Nr. 6165 und 6166. Ebenda, Nr. 6169, Bl. 21, 35–40v. HBArchB, R 1001, Nr. 6181, Bl. 45–46, 62, 101, Nr. 6182, Bl. 10–10v, 21–21v, 24, 28, 40, 97.

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Studien, 3: Afrikanische Studien) gegliedert war. Dieses seit 1898 erscheinende Periodikum bot zahlreichen kleineren sprachwissenschaftlichen Arbeiten Platz. Die rege Publikationstätigkeit des Seminars begann, angesichts des Gründungsjahres 1887, relativ spät. Sicherlich besteht hier ein Zusammenhang mit der erst im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beginnenden Expansionspolitik Sachaus, die wiederum mit der fortschreitenden Konsolidierung des deutschen Kolonialreichs zusammenhing. Es gab in diesem Bereich zwar auch Konkurrenz, doch hielt sich diese in Grenzen. Eine Zeitschrift für afrikanische Sprachen von Carl Gottfried Büttner brachte es nur auf drei Ausgaben und war bereits ein Vorläuferorgan der späteren Aktivitäten des Seminars. Während der Blütezeit der Seminar-Publikationen hielt sich hartnäckig die Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen, die der Sekretär der Deutschen Kolonialgesellschaft, der Sprachgelehrte August Seidel (1863–1941), seit 1895 weitgehend im Alleingang herausgab. Für die ersten vier Jahrgänge erhielt das Journal einen Zuschuss von 1.000 Mark vom Auswärtigen Amt; seit 1901 wurde es von Seidel mit hoher Eigenbeteiligung im Selbstverlag weitergeführt, in geringerem Umfang gefördert mit Geldern des Auswärtigen Amtes, des Marineamtes und der Kolonialgesellschaft. Seidels Bemühungen um öffentliche Gelder waren letztendlich nicht erfolgreich genug, um sein Unternehmen am Leben zu erhalten, so dass er es 1904 einstellen musste.52 Immerhin war es ihm gelungen, zahlreiche Sprachsammlungen, vor allem solche auf Grundlage des Gabelentz-Handbuches, in seiner Zeitschrift zu bündeln. Im Unterschied zum Berliner Seminar gutachtete Seidel in der Regel selbst und nahm sämtliche Bearbeitungen selbst vor. Die Grenze zwischen altruistischem Enthusiasmus und übersteigertem Ego war bei ihm fließend. Das Ende seiner Zeitschrift mag als Indiz für einen sehr subtilen Umgang seitens des Seminars mit der Konkurrenz gesehen werden, die nicht offen bekämpft wurde, angesichts der offensiven Betonung der fachlichen Führungsrolle durch die Seminarvertreter aber zumindest vor der wirkungsmächtigen Hamburger Gründung kaum genug Raum zur Entfaltung fand. An anderen Beispielen wurde noch deutlicher, dass Sachau gewillt war, die Monopolstellung seines Seminars mit allen Mitteln zu verteidigen. So verhinderte er im Mai 1908 durch sein aktives Eingreifen als Vorgesetzter ein eigenständiges Vorhaben Carl Meinhofs, der mit dem Verleger Dietrich Reimer eine Zeitschrift für afrikanische Sprachen gründen wollte, die von Sachau als Konkurrenz zu den Seminarpublikationen angesehen wurde.53 Meinhof konnte diese Zeitschrift unter dem Titel Zeitschrift für Kolonialsprachen schließlich nach seinem Ruf an das Hamburger Kolonialinstitut realisieren.54 Gerade Meinhofs Wechsel symbolisiert 52 Siehe u.a.: ebenda, Nr. 4550, Bl. 77–78v (Ankündigung der Zeitschrift, 18.07.1894); ebenda, Nr. 4552, Bl. 75–76 (Übernahme der Zeitschrift in Selbstverlag, 21.09.1901); ebenda, Nr. 4553, Bl. 5–7 (Aufstellung der Zuschüsse, 19.07.1902); ebenda, Bl. 103–103v (Einstellung der Zeitschrift, 09.03.1904). 53 GStA, Rep. 208 A, Nr. 25, Bl. 115–116. 54 Für den entsprechenden Schriftwechsel vgl. StAH, 364–8/9, Abl. 2002/04, 53. In seiner Konzeption (ebenda, Berlin, 10.03.1909, o.P.) spielen die Publikationen des Berliner Seminars keine Rolle, sieht man von einem lapidaren Hinweis ab, dass auch diese unter einem Über-

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aber auch die enge Verflechtung des noch sehr kleinen ethnolinguistischen Arbeitsbereichs im Deutschen Reich, die es gar nicht zuließ, dass Berliner Seminar und Hamburger Institut ausschließlich in Konkurrenz zueinander stehen konnten.

VII. FAZIT: LINGUISTISCHE FORSCHUNG, SPRACHPRAKTISCHE LEHRE UND KOLONIALE PRAXIS In jüngerer Zeit stand das Seminar für orientalische Sprachen mehrfach im Interesse der Forschung – allgemein bei Lothar Burchardt, darüber hinaus bei Sabine Mangold im Rahmen ihrer Geschichte der deutschen Orientalistik, bei Jens Ruppenthal im Rahmen seiner Geschichte des Hamburger Kolonialinstituts und bei Holger Stoecker als Präludium seiner Untersuchungen zu den Berliner Afrikawissenschaften seit 1919.55 Gerade Burchardt und Ruppenthal nehmen fast ausschließlich die Unterrichtsseite in den Blick und sehen hierin den zentralen Unterschied zu einer Universität. In der Quintessenz sei es nicht um „gelehrte Studien“ der Absolventen, sondern um eine praxisbezogene Sprachausbildung gegangen. Diese Sicht beschreibt in erster Linie die ursprüngliche Gründungsabsicht, geht über die Aktivitäten des Seminars im Bereich der Sprachforschung jedoch hinweg, in dem es sich durchaus auf dem Boden der Wissenschaftlichkeit bewegte. Einerseits sahen die konkreten Tätigkeiten, das Sammeln und Zusammenstellen von linguistischem Material, zu dieser Zeit andernorts kaum anders aus, andererseits hatte das Seminar in der Tat beinahe eine Monopolstellung im Deutschen Reich hinsichtlich akademischer Beschäftigung mit afrikanischen und ozeanischen Sprachen inne. Faktisch hatte es im Bereich der Ethnolinguistik mit dem Völkerkunde-Museum Bastians gleichgezogen, ohne je eine entsprechende Garantie des Staates erhalten zu haben. Sicherlich weist das Erbe des Seminars angesichts der unterschiedlichen Vorbildung der Sammler einerseits und der offensiven Sammelpolitik des Seminars andererseits starke qualitative Schwankungen auf. Dennoch zeitigten seine Forschungsaktivitäten langfristige Wirkungen, da viele dieser Sprachen danach kaum mehr Untersuchungen unterzogen wurden, wie besonders im Fall der Sprachenvielfalt Neuguineas und der umliegenden Inselwelten deutlich wird. Bis heute sind etliche Sprachkunden, die am Seminar für orientalische Sprachen in der Kolonialzeit redigiert worden waren, der wissenschaftliche Stand der Dinge. Der Plan einer Kolonialhochschule war letztendlich ein untauglicher Versuch, der eher aus taktischen Gründen angestrebt wurde. Für einen substanziellen Beifluss an angebotenem Material leiden würden. Vielmehr betont er, dass kein geeignetes Organ zur Publikation kleinerer linguistischer Arbeiten zu afrikanischen und ozeanischen Sprachen in Deutschland verfügbar sei. 55 BURCHARDT, School; MANGOLD, Weltbürgerliche Wissenschaft, S. 226–250; RUPPENTHAL, Kolonialismus, S. 37–42; Holger STOECKER, Afrikawissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945. Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes, Stuttgart 2008, S. 39–44.

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trag zur Ausbildung eines spezialisierten und akademisch fundierten deutschen Kolonialbeamtentums war die Zeit angesichts der Kurzlebigkeit des deutschen Kolonialreichs zu knapp. Insgesamt war das Seminar daher für die unmittelbare Entwicklung von Kolonialismus und Kolonialpolitik nicht allzu wesentlich. Wirklich interessant erscheint hingegen die Frage nach den Entwicklungen auf tiefer liegenden Ebenen, so nach dem Zusammenhang von kolonialer Forschungspraxis und der Genese ethnolinguistischer Disziplinen. Die langfristige Bedeutung des Seminars ist auf jeden Fall im Forschungsbereich zu suchen, wobei weniger die von Sabine Mangold betonte Orientalistik, die im eigentlichen Sinne längst aus Sachaus Entwicklungsperspektiven wie auch aus der sprachwissenschaftlichen Alltagsarbeit verschwunden war, als die Ethnolinguistik im Vordergrund stand. Immerhin stellte Deutschland auch im sprachwissenschaftlichen Bereich einen der wichtigsten Wissenschaftsstandorte des 20. Jahrhunderts dar.56 Und dieser Bereich hatte eines seiner Standbeine in der Auseinandersetzung mit den Sprachen der ehemaligen Schutzgebiete und damit im Berliner Seminar für Orientalische Sprachen.

56 Siehe u.a. STOECKER, Afrikawissenschaften; DERS., Afrikanistische Lehre und Forschung in Berlin 1919–1945, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7 (2004), S. 101–128; Hilke MEYER-BAHLBURG/Ekkehard WOLFF, Afrikanische Sprachen in Forschung und Lehre. 75 Jahre Afrikanistik in Hamburg 1909–1984, Berlin 1986; Siegmund BRAUNER, Afrikanistik in Leipzig, Köln 1999; Ulrich VON DER HEYDEN, Die Afrikawissenschaften in der DDR. Eine akademische Disziplin zwischen Exotik und Exempel. Eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung, Münster 1999; Adam JONES (Hrsg.), Zur Geschichte der Afrikaforschung, Stuttgart 1996.

Swahili oder Deutsch? Zur Sprach- und Religionspolitik in Deutsch-Ostafrika Armin Owzar, San Diego „Das ist doch eure Sprache, die wollt ihr (die Deutschen) doch hören!“ Angehörige der ostafrikanischen Hehe gegenüber Missionar Christoph Bunk über den Gebrauch des Swahili (um 1900)1

I. PROBLEMSTELLUNG In kaum einem Bereich haben Kolonialismus und Imperialismus deutlichere Spuren hinterlassen als im Gebrauch der Sprache. Nicht nur die Verdrängung indigener amerikanischer Sprachen zeugt davon. Auch im Rahmen des so genannten Scramble for Africa wurde erfolgreich Sprachpolitik betrieben. Mit Ausnahme des Nordens und Nordwestens, in dem sich das Arabische, ursprünglich selbst eine Eroberersprache, nach der Dekolonisation hat etablieren können, mit Ausnahme auch Somalias, Eritreas und Äthiopiens, haben sich indoeuropäische Sprachen in den Staaten Afrikas als Amtssprachen, ungeachtet ihrer tatsächlichen Verbreitung im Sprachalltag, bis auf den heutigen Tag behaupten können. Zumindest im offiziellen Gebrauch spielen traditionelle afrikanische Sprachen dagegen auch heute noch zumeist eine eher sekundäre Rolle.2 Eine der wenigen Ausnahmen bildet Swahili. Es ist die wichtigste transnational praktizierte Sprache afrikanischen Ursprungs und wird heute von bis zu 90 Millionen Menschen als lingua franca benutzt. Als Amtssprache fungiert es neben dem Englischen in Tansania und Kenia, seit 2005 auch in Uganda; in der Demokratischen Republik Kongo ist es eine der vier Nationalsprachen. Gesprochen wird es ferner in Burundi und Ruanda, in den 1 2

Zitiert nach: [Karl] AXENFELD, Die Sprachenfrage in Ostafrika vom Standpunkt der Mission aus betrachtet, in: Allgemeine Missions-Zeitschrift 35 (1908), S. 561–573, hier S. 571. Siehe dazu H. Ekkehard WOLF, Language and Society, in: Bernd HEINE/Derek NURSE (Hrsg.), African Languages. An Introduction, Cambridge u.a. 2000, S. 298–347, insbesondere S. 342–343. Zur begrenzten Verwendung der französischen Sprache im Alltag sogar seitens indigener Eliten siehe etwa Peggy SABATIER, Did Africans Really Learn to Be French? The Francophone Elite of the Ecole William Ponty, in: G. Wesley JOHNSON (Hrsg.), Double Impact. France and Africa in the Age of Imperialism, Westport (Conn.)/London 1985, S. 179– 187, hier S. 183–184.

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Grenzgebieten Malawis, Mozambiques, Sambias und Somalias sowie in Teilen des Sudan, auf den Komoren und auf Mayotte.3 Swahili, auch „Kisuaheli“, „Suaheli“ oder in der Eigenbezeichnung „Kiswahili“ genannt, spielt vor allem in Tansania eine herausragende Rolle – nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung, die ihm für den Prozess des Nation Building zugeschrieben wird. Das den Bantusprachen, einem Unterzweig des Niger-Kongo, zuzurechnende Swahili soll zum einen die ethnische Heterogenität des Landes überbrücken helfen. Zum anderen hat es als Gegensprache zum Englischen eine identitätsstiftende Funktion.4 Dieser Umstand entbehrt gleich aus zwei Gründen nicht ganz der Ironie: erstens, weil das Wort Swahili nicht bantusprachlichen, sondern semitischen Ursprungs ist und sich nur auf eine schmale Region des Landes bezieht („as-sawƗhilƯ“ bedeutet so viel wie „Küstenbewohner“), und zweitens, weil die erfolgreiche Ausbreitung des ursprünglich nur an der ostafrikanischen Küste gesprochenen Swahili5 zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die sprachpolitische Förderung der Kolonialmächte zurückzuführen ist. Während die auf formale Herrschaft orientierten Franzosen die Ausbreitung des Französischen auf Kosten lokaler Sprachen nach Kräften zu fördern pflegten,6 zeigten sich in Ostafrika die Engländer und vor ihnen die Deutschen nicht abgeneigt, Swahili eine wichtige Rolle zuzubilligen, wenn nicht sogar den Vorrang einzuräumen – wodurch sie ihm letztlich zum Durchbruch als Amtssprache verholfen haben.7 Dieser Vorgang war freilich nicht immer frei von Konflikten. Hinter den sprachpolitischen Initiativen verbargen sich verschiedene, zum Teil einander gegenläufige Motive und Interessen pragmatischer und politischer, aber auch weltanschaulicher und religiöser Art.8 3 4 5

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Siehe Alamin M. MAZRUI/Ibrahim Noor SHARIFF, The Swahili: Idiom and Identity of an African People, Trenton 1994, S. 91. Zur politischen Bedeutung des Swahili in Tansania siehe Jan BLOMMAERT, State Ideology and Language in Tanzania (East African Languages and Dialects 10), Köln 1999. Zur Ausbildung und Verbreitung der Swahili-Kultur siehe A.H.J. PRINS, The SwahiliSpeaking Peoples of Zanzibar and the East African Coast (Arabs, Shirazi and Swahili) (Ethnographic Survey of Africa. East Central Africa 12), London 1967; Mark HORTON/John MIDDLETON, The Swahili. The Social Landscape of a Mercantile Society, Oxford/Malden (Mass.) 2000. Zu den vielfältigen der französischen Sprachpolitik in Westafrika zugrunde liegenden Motiven um 1910 siehe Alice L. CONKLIN, A Mission to Civilize. The Republican Idea of Empire in France and West Africa, 1895–1930, Stanford (Cal.) 1997, S. 84–85 und 132–133. Siehe Leonhard HARDING, Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert (OGG 27), 2. Aufl. München 2006, S. 29. Für einen instruktiven Überblick über die Entwicklung von Swahili zur Nationalsprache Tansanias siehe Farouk TOPAN, Tanzania: The Development of Swahili as a National and Official Language, in: Andrew SIMPSON (Hrsg.), Language and National Identity in Africa, Oxford/New York 2008, S. 252–266. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Charles PIKE, History and Imagination: Swahili Literature and Resistance to German Language Imperialism in Tanzania, 1885–1910, in: The International Journal of African Historical Studies 19/2 (1986), S. 201–233, der der deutschen Sprachpolitik bestenfalls eine katalytische Funktion beizumessen bereit ist und den Durchbruch des Swahili sehr viel stärker auf den Einfluss einer einheitlichen ostafrikanischen Widerstandsbewegung zurückführt, dabei aber das Ausmaß der Kollaboration gerade unter den Swahili-Sprechern ausblendet.

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Eine Analyse dieser sprachpolitischen Konflikte ist nicht nur für jene Linguisten von Interesse, die sich mit der Etablierung und Verdrängung bestimmter Sprachen (und Schriften) beschäftigen. Auch Historiker können daraus Erkenntnisse gewinnen für ein differenziertes Verständnis der Komplexität kolonialer Herrschaftsbeziehungen, die nicht in einem linearen Verhältnis zwischen Herrschern und Beherrschten aufgehen. Gerade einer Untersuchung der Rolle bi- oder multilingualer Vermittler vor Ort (cultural brokers), die sich an der Schnittstelle zwischen lokalen Netzwerken und europäischen Institutionen (namentlich den Missionen und der kolonialen Verwaltung) befanden, kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Erwies sich doch deren Rolle mitunter als ausschlaggebend für die erfolgreiche Penetration europäischer Herrschaft und europäischer Kultur. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass sich die Grenzen kolonialherrschaftlicher Durchdringung gelegentlich auch europäischen Akteuren verdankten. Nicht zuletzt den Missionen, die ja grundsätzlich mit dem Staat eine „koloniale Interessenallianz“ bildeten,9 kam dabei eine besondere, zum Teil sogar bedingt deviante Rolle zu, wie sich am Beispiel der Etablierung des Swahili in Deutsch-Ostafrika (DOA), im Gebiet des heutigen Tansania, zwischen 1890 und 1914 zeigen lässt.10 In vielen Teilen des Landesinneren von Deutsch-Ostafrika, das der deutschen Verwaltung seit 1891 offiziell als Schutzgebiet unterstellt war, spielte Swahili zunächst kaum eine Rolle.11 Praktiziert wurden gerade im Süden zahlreiche Bantusprachen, deren Sprecher sich mitunter auf wenige Tausend beschränkten und von denen viele nur als dialektale Varianten auftraten.12 Andere Sprachen, wie das Horst GRÜNDER, Koloniale Mission und kirchenpolitische Entwicklung im Deutschen Reich, in: DERS., Christliche Heilsbotschaft und weltliche Macht. Studien zum Verhältnis von Mission und Kolonialismus. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Franz-Joseph POST/Thomas KÜSTER/Clemens Sorgenfrey (Europa–Übersee. Historische Studien 14), Münster 2004, S. 209–226, hier S. 219. 10 Zur deutschen Kolonialgeschichte sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Beiträge erschienen, darunter auch mehrere Studien, die sich der Geschichte Deutsch-Ostafrikas widmen. Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere die Dissertation von Michael PESEK, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt am Main/New York 2005. Für einen Überblick über die Geschichte Tansanias siehe nach wie vor John ILIFFE, A Modern History of Tanganyika, Cambridge u.a. 1979. Für eine Einführung in die deutsche Kolonialgeschichte siehe die aktuellen Darstellungen von Horst GRÜNDER, Geschichte der deutschen Kolonien, 5. Aufl. Paderborn u.a. 2004; Winfried SPEITKAMP, Deutsche Kolonialgeschichte, Stuttgart 2005; Dirk VAN LAAK, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005; Sebastian CONRAD, Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008. In der deutschen Sprachgeschichte ist der deutsche Kolonialismus bislang kaum auf Interesse gestoßen. Siehe dazu Katja FAULSTICH, Deutscher Kolonialismus. (K)ein Thema der Sprachgeschichtsschreibung?, in: Ingo H. WARNKE (Hrsg.), Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884–1919, Berlin/New York 2009, S. 65–96. 11 Siehe Johanna EGGERT, Missionsschule und sozialer Wandel in Ostafrika. Der Beitrag der deutschen evangelischen Missionsgesellschaften zur Entwicklung des Schulwesens in Tanganyika 1891–1939, Bielefeld 1970, S. 64. Insgesamt wurden auf dem Gebiet DeutschOstafrikas mehr als 120 Sprachen gesprochen (siehe PIKE, History, S. 212). 12 Siehe Ludwig WEICHERT, Das Schulwesen deutscher evangelischer Missionsgesellschaften in den deutschen Kolonien, Berlin 1914, S. 16. 9

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ebenfalls im Süden des Landes verbreitete Nyakyusa oder das im Küstenbereich praktizierte Swahili, erfüllten indes durchaus die Kriterien einer eigenständigen Sprache. Das stellte die im Schulbereich tätigen Missionare und Regierungsbeamten vor ein nicht geringes Problem: In welcher Sprache sollten die afrikanischen Kinder unterrichtet werden? In ihrer jeweiligen Muttersprache, so wie es die evangelischen Missionare zunächst versuchten?13 Auf Französisch, wie es auf einigen katholischen Missionsstationen üblich war?14 Oder gar auf Latein, wie es die Weißen Väter in der Katechetenschule von Karema mit der Absicht taten, einen afrikanischen Klerus zu rekrutieren?15 Sollte man das mitunter noch praktizierte Englisch16 verbieten und das Deutsche zur Verkehrssprache ausbauen? Oder empfahl es sich, auf eine der meistpraktizierten Bantusprachen zu setzen? Die Antwort auf diese Frage fiel aufgrund divergierender pragmatischer wie politischer, weltanschaulicher und religiöser Motive höchst unterschiedlich aus. Sie war unter den Missionaren beider Konfessionen, den Wissenschaftlern einschlägiger Disziplinen (wie der Orientalistik und der Missionswissenschaft), den Politikern im Deutschen Reich und den Beamten der Kolonialverwaltung in Berlin und DOA höchst umstritten. Die Gouvernementsverwaltung, die anfangs noch der Verbreitung des Deutschen den Vorrang gegeben hatte, ging schon bald dazu über, Swahili zur Verkehrssprache zu erheben.17 Vor allem den Beamten vor Ort war es zuzuschreiben, dass sich Swahili seit der Jahrhundertwende auch im Inneren des Landes zu etablieren begann. Einer gegen Ende des Ersten Weltkriegs angefertigten Umfrage zufolge reichte das Einzugsgebiet um 1917 bis in den belgischen Kongo. In Kivu bedienten sich die Belgier des Swahili nicht nur, um mit den Afrikanern, sondern auch um mit den dort lebenden Asiaten, Deutschen, Engländern und Griechen zu kommunizieren.18 Daher schien Swahili den deutschen Kolonialbeamten am ehesten dazu geeignet, das im imperialistischen Wettlauf bekämpfte Französisch und Englisch zu ersetzen – mehr jedenfalls als das Deutsche, das schon aus herrschaftspolitischen Gründen als Unterrichts- und Verkehrssprache ungeeignet zu sein schien. Statt die Afrikaner auf Deutsch zu unterrichten, müsse der Kolonialbeamte in die Lage versetzt werden, Swahili zu beherrschen, forderten zahlreiche Kolonialexperten. Dass „der Neger schliesslich“ verstehe, was der Deutsche spreche und schreibe, „dass er aber daneben seine Muttersprache [besitze] als eine Art Geheimsprache, die dem Deutschen verborgen [sei], um auf diese Weise sich je13 Siehe ebenda. 14 So Ludwig Prinz von ARENBERG in einem Kommissionsbericht zum Kolonialbudget vor dem Deutschen Reichstag am 13. Februar 1900, zitiert nach: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. X. Legislaturperiode. I. Session. 1898/1900, Bd. 5: Von der 132. Sitzung am 22. Januar 1900 bis zur 161. Sitzung am 7. März 1900, S. 4080. 15 Vgl. AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 571, der sich auf einen Hinweis im Afrikaboten 15, S. 9 bezieht. 16 Vgl. Martin SCHLUNK, Die Schulen für Eingeborene in den deutschen Schutzgebieten (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts 18), Hamburg 1914, S. 144. 17 Ausführlicher dazu EGGERT, Missionsschule, S. 63–64. 18 Siehe Johannes FABIAN, Language and Colonial Power: The Appropriation of Swahili in the Former Belgian Congo 1880–1938 (African Studies Series 48), Cambridge u.a. 1986, S. 57.

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derzeit mündlich und schriftlich bequem mit seinen Genossen zu verständigen“, sei ein recht gefährlicher Zustand, warnte Professor Carl Friedrich Michael Meinhof, der als Begründer der modernen afrikanischen Sprachwissenschaft einen besonderen Ruf genoss.19 Auch Vertreter anderer Kolonialmächte waren sehr oft der Meinung, dass es ein Fehler sei, die Afrikaner zum Verständnis der Kolonialsprache zu befähigen, beraube man sich so doch der Möglichkeit, in Anwesenheit einheimischer Kräfte vertrauliche Gespräche zu führen und geheime Dokumente zirkulieren zu lassen.20 Darüber hinaus eröffne man den Afrikanern „Zugang zu subversiven Ideen“ und suggeriere ihnen „falsche Vorstellungen von ihrer eigenen Gleichrangigkeit mit den Kolonisierern“.21 So bestehe die Gefahr, dass man die „Eingeborenen“ in die Lage versetze, pornographische, revolutionäre oder rassistische Schriften zu lesen, was sich auf die Loyalität und Moral der afrikanischen Truppen verheerend auswirken könne.22 Deutsche Kolonialexperten schlossen sich dieser Ansicht an.23 Vor einiger Zeit sei man in einer deutschen Kolonie auf einen Boy gestoßen, der begierig in dem von seinem Herrn achtlos weggeworfenen Simplizissimus gelesen habe, berichtete etwa der für die Berliner Missionsge19 Carl MEINHOF, Die Bedeutung des Studiums der Eingeborenensprachen für die Kolonialverwaltung, zitiert nach: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905 zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, hrsg. vom Redaktionsausschuss, Berlin 1906, S. 343–359, hier S. 346–347. Tatsächlich ist unter der deutschen Herrschaft eine nicht unbeachtliche Literatur an kolonialkritischen Texten auf Swahili verfasst worden (siehe dazu José Arturo SAAVEDRA CASCO, Utenzi, War Poems, and the German Conquest of East Africa, Trenton/Asmara 2007). Immerhin gab es unter den zeitgenössischen Kolonialexperten des Reichs auch die Mindermeinung, dass man als Verkehrssprache für die Überseegebiete ein „KolonialDeutsch“ entwickeln und dessen Verbreitung forcieren solle, um so der Ausbreitung des Englischen entgegenzuwirken. Siehe dazu Susanne MÜHLEISEN, Zwischen Sprachideologie und Sprachplanung. Kolonial-Deutsch als Verkehrssprache für die Kolonien, in WARNKE (Hrsg.), Deutsche Sprache und Kolonialismus, S. 97–118. 20 So schreibt, D’HEMPTINNE, Adjoint supérieur in Haut-Uele, im Rahmen einer 1917 durchgeführten Befragung zur Sprachsituation in Belgisch-Kongo: „It would be a mistake to promote a European language in the Congo. We shall all be exposed to indiscretion by the blacks, who can be counted on spreading what we would like to be kept secret. We will have to be careful all the time that our conversations won’t be overheard (there are so many which must remain secret), or that certain documents which they should not know get into the hands of the blacks we educate. I have the impression that we don’t sufficiently know the soul of the native and that we still have a lot to study before we confide in him“ (ins Englische übersetzt von und zitiert nach FABIAN, Language, S. 57). 21 Jürgen OSTERHAMMEL, Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, 4. Aufl. München 2003, S. 107. 22 So heißt es in einem Brief des Bezirksbevollmächtigten von Kasai im Belgischen Kongo, der die im Rahmen der Befragung von 1917 zutage geförderten Ergebnisse eines seiner Untergebenen zusammenfasst: „teach the black to read French and he will give himself over to revolutionary and pornographic French papers and he will be after all the novels and other immoral books published in the French language. […] go on teaching French to the Negro and you’ll morally destroy the race while at the same time preparing the revolution which will chase you“ (ins Englische übersetzt und zitiert nach FABIAN, Language, S. 57). 23 Siehe MEINHOF, Die Bedeutung, S. 346. Weitere (dogmatisch kommentierte) Belege bei Wolfgang MEHNERT, Schulpolitik im Dienste der Kolonialherrschaft des deutschen Imperialismus in Afrika (1884–1914), Habilitationsschrift, KMU Leipzig 1965, S. 204–222.

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sellschaft tätige Missionsinspektor Karl Axenfeld und fügte hinzu: „Sollen nicht Anhänglichkeit und Respekt sich mindern, wenn der Europäersprache kundige Eingeborene in englischen oder deutschen Zeitungen die gehässigsten Ausfälle gegen die ‚Nigger‘ oder die breitesten Berichte heimatlicher Skandalprozesse lesen? Auch auf diesem Gebiete wäre ein wenig Vorsicht am Platz.“ Frei von rassistischem Dünkel war freilich auch Axenfeld nicht, begründete er doch sein Votum gegen die Vermittlung des Deutschen auch mit dem Hinweis, dass es unsinnig sei, „einem Bantuvolk als Schul- und Kirchensprache eine europäische Sprache aufzudrängen, die auf grundverschiedenen Gesetzen und mit einer fremden Begriffswelt“ sich aufbaue, so dass „der Bantu in ihr nur dem Europäer nachsprechen“, nicht aber „sein eigenes Gemütsleben zum Ausdruck bringen“ könne.24 Immer wieder begegnet man solchen rassistischen Argumenten in den Quellen.25 Besonders radikal und unverblümt äußerte sich Generalleutnant Eduard von Liebert. Im Rahmen einer im Jahre 1905 auf dem Kolonialkongress geführten Debatte über die Förderung des Deutschen gab er unter Bravorufen zum Besten, dass „die Eingeborenen […] jeden einzelnen Deutschen, der in ihr Land [komme], als eine besonders hochstehende Persönlichkeit achten“ müssten, und es imponiere ihnen „nichts mehr, als dass wir eine fremde Sprache sprechen, die sie nicht verstehen und kaum lernen können, da ihre weiche Zunge die schweren Konsonanten unserer Sprache nicht zu bewältigen“ vermöge. Statt den Ostafrikanern Deutsch beizubringen, sollten die Kolonialbeamten daher die ‚Eingeborenensprachen‘ erlernen.26 Auch wenn die Kolonialverwaltung entgegen solcher Voten weiterhin am Anspruch, die deutsche Sprache landesweit zu verbreiten, festhielt, förderte sie zu diesem Zeitpunkt de facto schon die Durchsetzung des Swahili auf Kosten des 24 AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 567 und 565. Zum Verhältnis von Rassismus und Kolonialpolitik siehe grundsätzlich auch die Beiträge in Frank BECKER (Hrsg.), Rassenmischehen – Mischlinge – Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich (Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte 90), Stuttgart 2004, insbesondere die Aufsätze von Horst GRÜNDER, Zum Stellenwert des Rassismus im Spektrum der deutschen Kolonialideologie, S. 27–41; Michael SCHUBERT, Der ‚dunkle Kontinent‘: Rassenbegriffe und Kolonialpolitik im Deutschen Kaiserreich, S. 42–53; und Thorsten ALTENA, „Etwas für das Wohl der schwarzen Neger beitragen“ – Überlegungen zum „Rassenbegriff“ der evangelischen Missionsgesellschaften, S. 54–81. 25 Nur äußerst selten finden sich dagegen Stimmen, die den Schwarzafrikanern bescheinigten, den Europäern an Intelligenz in nichts nachzustehen. So etwa WEICHERT, Das Schulwesen, S. 55–57. Allerdings erlag auch Weichert während der Weimarer Republik dem völkischen Zeitgeist und sprach sich für Maßnahmen aus, die die Emanzipation der Juden rückgängig machen sollten (siehe Karla POEWE, The Spell of National Socialism. The Berlin Mission’s Opposition to, and Compromise with, the Völkisch Movement and National Socialism: Knak, Braun, Weichert, in: Ulrich VAN DER HEYDEN/Jürgen BECHER (Hrsg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19 (Missionsgeschichtliches Archiv. Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte 6), Stuttgart 2000, S. 267–290, hier S. 277– 290). 26 So LIEBERT in einem Diskussionsbeitrag, zitiert nach: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 1037–1038, Zitat S. 1038.

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Deutschen. Ausschlaggebend dafür war ein rekrutierungspolitischer Umstand. Da der Versuch, Deutsch-Ostafrika zu einer Siedlungskolonie auszubauen, gescheitert war,27 hielten sich dort immer nur wenige Tausend Deutsche auf, so dass man auf die tatkräftige Unterstützung afrikanischer Kräfte für den Aufbau einer kolonialen Bürokratie und der Schutztruppe angewiesen war. Zum einen bediente man sich meist landfremder Söldner, der so genannten Askari, von denen zahlreiche aus dem Sudan stammten und viele dem Islam angehörten.28 Zum anderen bemühte man sich, möglichst die lokalen Eliten für die Arbeit in Verwaltung, Armee und Schulwesen zu gewinnen. Dabei griff man auf die Swahili-sprechenden Küstenbewohner zurück, die in ihrer großen Mehrheit traditionell muslimischen Glaubens waren und dank der Koranschulen schon vor der Besetzung einen gewissen Alphabetisierungsgrad aufgewiesen hatten. Um über ein Reservoir geeigneter Kräfte zu verfügen, forcierte man nun den Aufbau eines Regierungsschulwesens mit Swahili als Unterrichtssprache.29 Genau das aber war der Grund, warum so viele evangelische Missionare, vor allem aber deren Vordenker, die Missionswissenschaftler, lange Zeit Front gegen die Aufwertung des Swahili zur Unterrichtsund Verkehrssprache machten. Diese sahen nämlich einen Zusammenhang zwischen der Sprach- und der Schulpolitik, der Rekrutierungspraxis und der fortschreitenden Islamisierung Deutsch-Ostafrikas.

II. CHRISTENTUM VERSUS ISLAM Zwar lag der Anteil von Muslimen weit unter den landläufigen Schätzungen der Zeitgenossen. Gerade einmal knapp vier Prozent der Einheimischen bekannten sich zum Islam.30 Doch immerhin überstieg die Zahl der Muslime damit jene der katholischen und protestantischen Christen um fast das Vierfache. Einer Zählung der Missionen zufolge lebten 1912/13 in Deutsch-Ostafrika 61.000 Katholiken und 15.000 Protestanten, womit sie nur einen äußerst geringen Anteil an der Ge27 Siehe dazu ausführlich Philippa SÖLDENWAGNER, Spaces of Negotiation. European Settlement and Settlers in German East Africa 1900–1914, München 2006. 28 Siehe Michael TIDY/Donald LEEMING, A History of Africa 1840–1914, Bd. 2: 1880–1914, New York 1981, S. 172; PESEK, Koloniale Herrschaft, S. 302–303, 309 und 319. 29 Siehe Karim F. HIRJI, Colonial Ideological Apparatuses in Tanganyika under the Germans, in: M.H.Y. KANIKI (Hrsg.), Tanzania under Colonial Rule, London 1980, S. 192–235, hier S. 202. 30 Siehe Claudia LEDERER, Die rechtliche Stellung der Muslime innerhalb des Kolonialrechtssystems im ehemaligen Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika (Ethno-Islamica 6), Würzburg 1994, S. 157. Zur Islamisierung Ostafrikas siehe Randall L. POUWELS, Horn and Crescent: Cultural Change and Traditional Islam on the East African Coast, 800–1900, Cambridge u.a. 1987. Allgemein zu Afrika vgl. auch David ROBINSON, Muslim Societies in African History (New Approaches to African History), Cambridge 2004, S. 27–59; sowie Christoph MARX, Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn 2004, S. 87, der das 19. Jahrhundert als „Jahrhundert des Islam in Afrika“ bezeichnet.

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samtbevölkerung von rund 0,8 bzw. 0,12 Prozent stellten.31 Insofern wähnten sich viele Missionare in ihren Bemühungen, die 95 Prozent der Bevölkerung ausmachende Gruppe der so genannten Heiden für das Christentum zu gewinnen, im Nachteil – und das umso mehr, als sie selbst einfachen Muslime unterstellten, unentwegt Religionspropaganda zu betreiben. Jeder, der sich zum Islam bekenne, sei, so etwa der später in Berlin Missionswissenschaft lehrende Julius Richter, „zugleich ein Missionar seines Glaubens“.32 Fataler noch wirkte sich in den Augen der Missionare das soziale Prestige der muslimischen Fachkräfte aus. Das galt insbesondere für die Jumben (Ortsvorsteher) und Akiden (Vorsteher mehrerer Orte), die aufgrund ihrer hohen Akzeptanz in der einheimischen Bevölkerung von der Kolonialverwaltung als wichtige Ordnungsfaktoren geschätzt wurden.33 Die Furcht der Missionare vor einer Anziehungskraft des Islam aufgrund sozialer Aufstiegshoffnungen war somit nicht ganz unbegründet.34 Wollten die christlichen Kirchen einer weiteren Islamisierung Einhalt gebieten, dann reichte es nicht aus, die Missionierungsbemühungen zu intensivieren.35 Auch der Versuch, die muslimische Wirtschaftsdominanz durch den Aufbau christlicher Konkurrenzbetriebe zu brechen, um so der „islamischen Propaganda der Wanderhändler“ entgegenzuwirken,36 erwies sich als nicht hinreichend. Angesichts der im Vergleich zum Islam geringen Attraktivität des Christentums empfahl es sich, auch auf die allgemeinen Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen. Die an eine Konversion zum Islam geknüpften Erwartungen hinsichtlich eines Gewinns an Sozialprestige mussten enttäuscht, die mit einer Konversion zum Christentum verbundenen Aufstiegschancen erhöht werden; nur so ließ sich der wachsenden Anziehungskraft des Islam entgegenwirken. Das aber erforderte zuallererst einen Wandel der staatlichen Personalpolitik. Die Kolonialverwaltung 31 Angaben nach SPEITKAMP, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 96; und Paul ROHRBACH, Die Mission in den deutschen Kolonien, in: Hans ZACHE (Hrsg.), Das deutsche Kolonialbuch, Berlin/Leipzig 1925, S. 179–185, hier S. 182. 32 Julius RICHTER, Die Propaganda des Islam als Wegbestreiterin der modernen Mission, in: Karl AXENFELD u.a., Missionswissenschaftliche Studien. Festschrift zum 70. Geburtstag von Gustav WARNECK, Berlin 1904, S. 129–185, hier S. 152. 33 Siehe SPEITKAMP, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 96. 34 Siehe J. Spencer TRIMINGHAM, Islam in East Africa, Oxford 1964, S. 27–28; Viera PAWLIKOWÁ-VILHANOVÁ, Crescent or Cross? Islam and Christian Missions in NineteenthCentury East and Central Africa, in: VAN DER HEYDEN/BECHER (Hrsg.), Mission und Gewalt, S. 79–95, hier S. 93–94; Klaus FIEDLER, Christentum und afrikanische Kultur. Konservative deutsche Missionare in Tanzania, 1900–1940 (Missionswissenschaftliche Forschungen 16), Gütersloh 1983, S. 39. Für einen differenzierten Blick auf die Perzeption des Islam im Süden Deutsch-Ostafrikas vor 1905 siehe neuerdings auch Felicitas BECKER, Becoming Muslim in Mainland Tanzania 1890–2000, Oxford/New York 2008, S. 25–52. 35 Zur wachsenden Bedeutung der christlichen Mission in Deutsch-Ostafrika siehe grundsätzlich Hans-Joachim NIESEL, Kolonialverwaltung und Missionen in Deutsch-Ostafrika 1890–1914, Diss. FU Berlin [1971] sowie Horst GRÜNDER, Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884–1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982, S. 180–254. 36 Siehe dazu GRÜNDER, Christliche Mission, S. 234–235.

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musste dazu gebracht werden, keine Muslime mehr, sondern nur noch christliche Afrikaner zu rekrutieren. Dies wiederum versuchte man zunächst durch direkte politische Appelle zu erreichen. Schon im Dezember 1894 hatte der Ausschuss der deutschen Missionen eine Eingabe bei der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eingereicht, in der er gegen die Anstellung islamischer Religionslehrer protestiert hatte.37 Im Jahre 1900 brachten dann Abgeordnete der katholischen Zentrumspartei, unterstützt von protestantischen Konservativen, im Deutschen Reichstag einen Antrag durch, der die Verwaltung des Schutzgebietes aufforderte, zivile Verwaltungskräfte primär aus dem Kreis afrikanischer Christen zu rekrutieren38 – eine Forderung, der nicht nachgegeben wurde. Nicht nur unter Verweis auf das Gebot der Religionsneutralität, sondern vor allem mit dem Argument der Effektivitätssicherung pflegten die Kolonialbeamten jegliche Intervention zugunsten einer solchen Personalpolitik abzublocken. So hatte schon der Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Dr. Gerhard von Buchka, in einer Kommissionssitzung, die der im Februar 1900 geführten Reichstagsdebatte vorangegangen war, darauf verwiesen, dass „das mohamedanische Element […] in Ostafrika gar nicht zu entbehren“ sei und zumindest vorläufig der Missionsunterricht zur Heranbildung von subalternen Beamten nicht genüge.39 Kurz darauf, im April desselben Jahres, verteidigte auch der Sekretär für Schul- und Missionsangelegenheiten in Dar es Salaam, Dr. Heinke, die von Seiten der Regierung verstärkt vorgenommene Rekrutierung muslimischer Eliten: Das Interesse der Regierung bestehe in erster Linie darin, die „Eingeborenen“ so schnell wie möglich zu geeigneter und billiger Arbeit auszubilden. Dies erreiche man am besten durch die Einstellung von Söhnen afrikanischer Eliten. Überdies könne man dadurch auf die Einrichtung intermediärer Instanzen zwischen Verwaltung und Bevölkerung verzichten. Durch Missionare ausgebildete Kräfte kämen für diese Aufgaben kaum in Frage. Nur selten würden sich die Söhne der „Stammesoberhäupter“ sowie die Kinder einflussreicher Familien der Erziehung durch die Missionen unterziehen. Die in Missionsschulen ausgebildeten Kräfte wiederum würden den Anforderungen kaum gerecht, die für den Dienst in der Verwaltung vonnöten seien. Überdies sei deren Loyalität nicht immer gewährleistet.40 Kurzum: den um die Jahrhundertwende von Missionaren, Missionswissenschaftlern und christlichen Politikern erhobenen Appellen für einen rekrutierungspolitischen Kurswechsel war keinerlei Erfolg beschieden.

37 Siehe EGGERT, Missionsschule, S. 69–70. 38 Für eine Dokumentation dieser Debatte in der 147. Sitzung am 13. Februar 1900 siehe Stenographische Berichte, Bd. 5, S. 4080–4085. 39 So Kolonialdirektor Dr. Gerhard von BUCHKA, wiedergegeben von Ludwig Prinz von ARENBERG in einem Kommissionsbericht zum Kolonialbudget vor dem Deutschen Reichstag in der 147. Sitzung am 13. Februar 1900, zitiert nach: Stenographische Berichte, Bd. 5, S. 4080. 40 So HEINKE in einem Brief vom 23. April 1900 an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, wiedergegeben bei Ralph A. AUSTEN, Northwest Tanzania under German and British Rule: Colonial Policy and Tribal Politics, 1889–1939, New Haven/London 1968, S. 69–70.

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Wollte man der Dominanz muslimischer Eliten entgegenwirken und den Anteil aus dem Landesinneren stammender christlicher Kolonialbediensteter erhöhen, so galt es, dafür erst einmal die Voraussetzungen zu schaffen. Dafür boten sich insbesondere schulpolitische Maßnahmen an. So versuchte man, sowohl auf eine Marginalisierung der seit 1892 in Deutsch-Ostafrika bestehenden, vor allem Muslime ausbildenden Regierungsschulen hinzuwirken als auch gleichzeitig den Aufbau eines Missionsschulwesens zu fördern – unter anderem mit dem Ziel, ein neues Rekrutierungsreservoir deutschsprechender christlicher Kinder und Jugendlicher zu schaffen, das an die Stelle der Swahili sprechenden Absolventen der Regierungsschulen treten sollte.41 Katholische wie protestantische Missionare betrieben fortan einen massiven Ausbau des Missionsschulwesens, was zu einer deutlichen Senkung des Anteils staatlicher Schulen führte. Laut einem auf der Basis von 2.000 Fragebögen ausgewerteten (leider unvollständig gebliebenen) Bericht des deutschen Kolonial-Instituts aus dem Jahre 1911 waren schließlich nur noch 8,3 Prozent aller Schulen Deutsch-Ostafrikas in der Hand des Staates. Mehr als ein Drittel der Schulen (37,9 Prozent) wurde von römisch-katholischen Missionen geleitet, mehr als die Hälfte (53,8 Prozent) von protestantischen Missionen. Eine noch deutlichere Sprache sprachen die Schülerzahlen: nur 6,5 Prozent der Schüler gingen auf die staatlichen Schulen; dagegen 48,1 Prozent auf die Schulen der römisch-katholischen Mission und 45,4 Prozent auf diejenigen der protestantischen Missionen.42 Gemessen an der Einwohnerzahl Deutsch-Ostafrikas (7.642.000) war die Zahl der Eingeschulten (114.745) zwar nur sehr gering – sie lag gerade einmal bei 1,5 Prozent.43 Auch kam es aus herrschaftstaktischen Erwägungen nie zur Einführung einer allgemeinen Schulpflicht: Der „Gefahren, die der Kolonialherrschaft von einer durch Bildung selbstbewusst gewordenen Bevölkerung drohten“, war man sich durchaus bewusst.44 Doch verglichen mit dem Bildungswesen in den britischen Kolonien, galt das deutsche Schulwesen in DOA als führend,45 was vor allem den Missionen zu verdanken war, denen es nicht nur um die kulturelle Erziehung der Afrikaner, sondern auch um deren Immunisierung gegen den Islam ging. Zu dieser Taktik zählte auch der von christlichen Politikern im Reich unterstützte Versuch der Missionare, das religionsneutrale Regierungsschulwesen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu beschneiden. So wandten sie sich immer wieder gegen eine „Verbreitung der Regierungsschulen in rein heidnische, aber missionarisch besetzte Inlandsgebiete“46 – eine Forderung, der mitunter ein gewisser Erfolg beschieden war. Die Benediktiner etwa erreichten durch ein am 23. November 1900 geschlossenes Abkommen, dass es im Bereich ihrer Mission keine konkurrierenden Regierungsschulen geben sollte. Auch war auf ihren Druck hin die Regierungsschule in Songea geschlossen Siehe WEICHERT, Das Schulwesen, S. 15. Errechnet nach Angaben von SCHLUNK, Die Schulen, S. 248–249. Siehe GRÜNDER, Geschichte, S. 168. SPEITKAMP, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 97. Siehe G.N. SHANN, The Early Development of Education among the Chagga, in: Tanganyika Notes and Records 45 (1956), S. 21–32, hier S. 31. 46 Siehe WEICHERT, Das Schulwesen, S. 61.

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worden, weil deren Lehrer „Propaganda für den Islam betrieben hatte“.47 Im Jahre 1896 hatte man sich überdies dem Druck des Ausschusses der evangelischen Missionen gebeugt und in Tanga den einzigen an einer Regierungsschule jemals eingestellten Koranlehrer entlassen.48 Mit manch anderer Forderung indes drangen die Missionare nicht durch. So gelang es ihnen im Jahre 1900 trotz massiver Unterstützung seitens zahlreicher Reichstagsabgeordneter nicht, die Aufstockung der Lehrerstellen an einer staatlichen Schule zu verhindern.49 Auch dem immer wieder erhobenen Ruf nach Einführung von christlichem Religionsunterricht an den Regierungsschulen50 wurde kaum Beachtung geschenkt51 – sei es aufgrund der selbstauferlegten Verpflichtung zur Neutralität in religiösen Fragen,52 sei es aus Sorge um den Verlust muslimischer Schüler.53 Denn nicht zu Unrecht befürchtete man, dass dann die islamische Bevölkerung ihre Kinder wieder den traditionellen Koranschulen anvertrauen würde.

III. SWAHILI ODER DEUTSCH? Erst recht aber scheiterten die evangelischen Missionare mit ihren sprachpolitischen Ambitionen. Gerne verwiesen zwar Protestanten darauf, dass es ein feststehender Grundsatz ihrer Mission sei, jedem Volk das Evangelium in seiner Muttersprache darzubieten. So meinte etwa Missionsinspektor Axenfeld im Jahre 1908, „daß vor einem der schlimmsten pädagogischen Mißgriffe, der Verdrängung der Eingeborenen-Sprachen durch europäische, niemand so ernst und beharrlich gewarnt [habe] wie die evangelische Mission.“54 Für viele Gebiete im deutschen Machtbereich traf dies auch durchaus zu.55 In Deutsch-Ostafrika aber waren es 47 GRÜNDER, Christliche Mission, S. 232. 48 Vgl. EGGERT, Missionsschule, S. 70. Siehe auch George HORNSBY, German Educational Achievement in East Africa, in: Tanganyika Notes and Records 62 (1964), S. 83–90, hier S. 87. 49 Siehe dazu Prinz von ARENBERGS Ausführungen vor dem Deutschen Reichstag in der 147. Sitzung am 13. Februar 1900, zitiert nach: Stenographische Berichte, Bd. 5, S. 4085. 50 Vgl. WEICHERT, Das Schulwesen, S. 59–60. 51 Immerhin scheint die Regierung den Missionen mitunter die Erteilung fakultativen Religionsunterrichts erlaubt zu haben (vgl. AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 570). 52 Siehe Michael SINGLETON, Muslims, Missionaries and the Millenium in Upcountry Tanzania, in: Cultures et développement 9 (1977), S. 247–314, hier S. 278. 53 So Kolonialdirektor von BUCHKA laut von ARENBERG in einem Kommissionsbericht zum Kolonialbudget vor dem Deutschen Reichstag in der 147. Sitzung am 13. Februar 1900, zitiert nach: Stenographische Berichte, Bd. 5, S. 4080. 54 AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 562. 55 Siehe SPEITKAMP, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 100. Originalbelege auch bei Christel ADICK/ Wolfgang MEHNERT, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten. Eine kommentierte Quellensammlung aus den Afrikabeständen deutschsprachiger Archive 1884–1914, unter Mitarbeit von Thea CHRISTIANI, Frankfurt am Main/London 2001, S. 269 und 291–292. Für Westafrika vgl. auch Kenneth J. OROSZ, Religious Conflict and the Evolution of Language Policy in German and French Cameroon, 1885–1939, New York u.a. 2008.

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gerade die evangelischen Missionare, vor allem die des Binnenlandes, die sich um die Jahrhundertwende gegen eine Ausbreitung des Swahili wehrten.56 Während die katholischen Missionare ihre Schüler meist auf Swahili und gelegentlich auch auf Latein oder Französisch unterrichteten,57 machten zahlreiche prominente Protestanten im Reich massiv Front gegen jeglichen Swahili-Unterricht, da dieser dem Vordringen des Islam Vorschub leiste. Schon im Jahre 1896 hatte die Deutsche Kolonialgesellschaft sich für eine staatliche Unterstützung auf Deutsch unterrichtender Missionsschulen stark gemacht.58 Neun Jahre später, im Juni 1905, verabschiedete der Kolonialrat die Resolution, dass die Regierung das Deutsche im Unterricht „mehr als bisher in den Vordergrund“ stellen solle, damit dieses allmählich „als Umgangssprache an die Stelle des Suaheli treten“ könne.59 Während die von wirtschaftlichen Interessen geleitete Mehrheit des Kolonialrates Sprache als ein machtpolitisches Instrument ansah – als Mittel der Abgrenzung von den benachbarten englischen Gebieten und als Herrschaftszeichen gegenüber den Kolonisierten – und deshalb die Erhebung des Deutschen zur Hauptsprache befürwortete,60 unterstützte der Vertreter der evangelischen Mission, Charles Buchner, diese Resolution primär aus missionstaktischen Gründen: weil Swahili „stets und überall der Bahnbrecher für den Islam“ sei.61 Nur wenige Monate später, im Oktober 1905, unternahm der evangelische Theologe und Missionar Julius Richter einen erneuten Vorstoß. In seiner Rede auf dem Kolonialkongress von 1905 über die Gefahr des Islam „für unsere ostafrikanischen Kolonien“ forderte er, dass „das Suahelitum […] beiseite geschoben werden und an seine Stelle eine planmässige und nachdrückliche Pflege des Deutschtums treten“ müsse.62 Denn „die Verquickung von Islam und Suahelitum“ stelle eine „brennende Gefahr“ dar; die „Parallel-Entwickelung in Indonesien“ zeige, dass infolge des kurzsichtigen Verzichtes der niederländischen Kolonialmacht auf die Einführung einer europäisch-christlichen Kultur „eine intransigente arabische Kultur herangewachsen [sei] – sein Todfeind“.63 Der Islam, so referierte Axenfeld Richters Ausführungen später, „gehe mit der Sprache: in Indien mit dem Hindostani, in HolländischIndonesien mit dem Malaiischen, im westlichen Sudan mit dem Haussa, in Ostafrika mit dem Suaheli. Die Entwicklung in Holländisch-Indonesien und in Indien zeige, dass der Islam siege, wo die Sprache, die sein Vehikel bilde, ungehemmt Siehe NIESEL, Kolonialverwaltung, S. 283–284. Siehe SCHLUNK, Die Schulen, S. 143. Siehe AUSTEN, Northwest Tanzania, S. 69. Resolution des Kolonialrates, zitiert nach AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 566. Siehe AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 566. Siehe auch den Diskussionsbeitrag von Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg auf dem Kolonialkongress von 1905, zitiert nach: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 362. 61 So BUCHNER rückblickend in einem Diskussionsbeitrag auf dem Kolonialkongress von 1905, zitiert nach: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 360–361, hier S. 360. 62 Julius RICHTER, Der Islam eine Gefahr für unsere afrikanischen Kolonien, zitiert nach: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 510–527, hier S. 526. 63 So Julius RICHTER in der sich an sein Referat anschließenden Diskussion, zitiert nach: ebenda, S. 537–538, hier S. 538.

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vordringe, dass er aber, wo sie durch eine europäische Sprache aufgehalten werde, halt machen müsse. Die Zurückdrängung des Islam in den deutschen Schutzgebieten sei eine Lebensfrage für die deutsche Herrschaft, die bisherige Sprachpolitik in Ostafrika mehr von Bequemlichkeit, als von Weisheit eingegeben. Noch sei der Sieg des Suaheli nicht entschieden; dazu sei die bisherige Entwicklung zu jung, zu pilzartig. Niemand denke an Verdrängung der Eingeborenensprachen. Der Elementarunterricht solle überall in der Muttersprache erteilt werden. Aber dem Suaheli solle die angemaßte Stellung als ‚Regierungssprache‘ genommen werden.“64 Auf die unverändert an pragmatischen und herrschaftspolitischen Interessen orientierte Verwaltung machten solche Vorstöße kaum Eindruck.65 Zwar erklärte sie sich bereit, den Deutschunterricht in Missionsschulen mit Prämienzahlungen zu fördern (womit natürlich auch ein Anspruch auf eine Kontrolle der kirchlichen Schulen verbunden war).66 Seit 1908 aber intensivierte sie ihre Bemühungen, Swahili in seiner Funktion als Verkehrs- und jetzt auch Verwaltungssprache zu fördern.67 Weiterhin hielt man die deutschen Kolonialbeamten zum Gebrauch des Swahili an und erlegte ihnen auf, noch vor ihrer Abreise Sprachkurse an dem 1887 in Berlin gegründeten Seminar für Orientalische Sprachen zu belegen.68 Unterstützt wurde die Verwaltung von Wissenschaftlern, aber auch von katholischen Priestern und evangelischen Pastoren, die schon 1905 keinen Zweifel daran gelassen hatten, dass sich Swahili in Deutsch-Ostafrika längst als lingua franca etabliert hatte, und die sich daher für eine Indienstnahme der Bantusprache stark machten. So hatte der als Pastor den Missionen besonders verbundene Carl Meinhof auf dem Berliner Kolonialkongress von 1905 dafür plädiert, die „arabischen Ausdrücke des Suaheli tunlichst zu beseitigen“ und es „als Mittel zur Ausbreitung des Christentums zu benutzen“.69 Daraufhin begannen die gegen die Ausbreitung des Swahili kämpfenden evangelischen Missionare und Missionswissenschaftler zusehends zu resignieren. In einer 1914 veröffentlichten Abhandlung über Das Schulwesen deutscher evangelischer Missionsgesellschaften in den deutschen Kolonien bekannte Ludwig 64 AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 566–567. 65 Siehe dazu auch die an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin gerichtete Stellungnahme von Gouverneur Graf Adolf von Götzen vom 9. Mai 1905, in: BArchB, R 1001/820 („Sprachenfrage in Deutsch-Ostafrika“). 66 Siehe dazu ausführlicher EGGERT, Missionsschule, S. 87–89 und NIESEL, Kolonialverwaltung, S. 285–286. 67 Siehe auch GRÜNDER, Christliche Mission, S. 235. 68 Siehe AUSTEN, Northwest Tanzania, S. 64–65. Vgl. auch den Beitrag von Jürgen G. NAGEL in diesem Band. 69 So MEINHOF in seinem Diskussionsbeitrag zu den Vorträgen von Richter und Froberger, zitiert nach: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 531–532. Siehe ebenda auch die zustimmenden Wortmeldungen von P. Amandus ACKER (S. 533) und dem Leipziger Missionsdirektor H. VON SCHWARTZ (S. 535–536). Zu Meinhofs Konzept einer Christianisierung der Sprachen Afrikas (so der gleichlautende Titel einer 1905 zu Basel erschienenen Schrift) siehe Sara PUGACH, „Christianize“ and Conquer: Carl Meinhof, German Evangelical Missionaries, and the Debate over African Languages, 1905–1910, in: VAN DER HEYDEN/BECHER (Hrsg.), Mission und Gewalt, S. 509–524.

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Weichert schließlich, „daß vorläufig [sic] die Expansion des Suaheli zur Sprache des Verkehrs, der Verwaltung, des Gerichts und alles gehobenen Schulwesens so unwiderstehlich [sei], daß daneben auf absehbare Zeit für die Einbürgerung des Deutschen weder Neigung noch Kraft“ bleibe.70 Und tatsächlich förderte eine landesweite Erhebung ein ernüchterndes Ergebnis auch für das eigene Schulwesen zutage: überall wurde der Unterricht vornehmlich in der Landessprache erteilt. Fast nirgendwo lehrten die evangelischen Missionare auf Deutsch. Aufgrund einer Auswertung einschlägiger Berichte ist Johanna Eggert denn auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der in Deutsch erteilte rudimentäre Unterricht „fast ausnahmslos in unsystematischen Versuchen mit wenigen Schülern [bestand], die ohne nennenswerte Ergebnisse bald wieder eingestellt wurden, z.B. Zählen von 1 bis 100, deutsche Aussprache biblischer Namen und Auswendiglernen von deutschen Wochentagen“.71 Nur für als besonders begabt angesehene Schüler wurden Ausnahmen gemacht, so etwa in den von der Bielefelder Missionsgesellschaft betreuten Regionen: hier wurden die „befähigteren Knaben dahin gebracht, daß sie sich innerhalb einiger Gebiete des täglichen Lebens ziemlich verständlich in der deutschen Sprache ausdrücken können“, wie Weichert 1914 vermerkte.72 Zu diesem Zeitpunkt „sprach in Missionskreisen niemand mehr“ davon, die Ausbreitung des Islam „mit Hilfe der deutschen Sprache als Ersatz für Suaheli zu verhindern“.73 Selbst Julius Richter hatte schon um 1908 eingelenkt.74 Insofern das Deutsche seine ihm zugedachte Funktion als Palliativ gegen eine Islamisierung nicht zu erfüllen vermochte, hatte der Theologe sein Interesse an einer Einführung des Deutschen in den Schulbetrieb gänzlich verloren. Einem Bildungsauftrag sah er sich nicht verpflichtet.75 Wie Richter ging es auch den übrigen Missionswissenschaftlern primär darum, eine rekrutierungspolitische Wende herbeizuführen und dadurch einer weiteren Islamisierung der kolonialen Gesellschaft Einhalt zu gebieten – notfalls auch durch eine aktive, von den christlichen Missionen gesteuerte Unterstützung des Swahili. So bestritt auch Axenfeld nicht, dass die Regierung für die Erschließung des Binnenlandes indigener Swahili-Sprecher bedürfe: „Bieten ihr die Missionen solche nicht, so muß sie fürs erste sich Suaheli von der Küste kommen lassen […]. Hier wird deutlich daß die Missionen durch hartnäckige Ablehnung des Suaheli nur dem Islam Vorschub leisten würden. Das Land und die Zeit brauchen eine Einheitssprache, und niemand kann sie hindern, sie sich zu schaffen. Wenn eine Mission das Suaheli von ihrem Gebiet ausschließt, so schließt sie dies Gebiet vom Verkehr, ihre Christen von jeder führenden Rolle aus – bis die Schranken brechen.“ In seinen weiteren Ausführungen ließ 70 71 72 73 74 75

WEICHERT, Das Schulwesen, S. 62. EGGERT, Missionsschule, S. 88. WEICHERT, Das Schulwesen, S. 24. EGGERT, Missionsschule, S. 75. Siehe AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 567. Siehe WEICHERT, Das Schulwesen, S. 61–62. In seiner 1913 veröffentlichten Habilitationsschrift sprach sich Richter, vor allem mit Blick auf die Verbreitung des Englischen, dann prinzipiell für die Verwendung indigener Sprachen im Missionsschulwesen aus (siehe Julius RICHTER, Weltmission und theologische Arbeit, Gütersloh 1913, S. 81–82).

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der Missionsinspektor durchblicken, dass er einer Swahilisierung im Grunde ablehnend gegenüberstand („Man mag aus sprachlichen, kulturellen oder religiösen [sic] Gründen den Sieg des Suaheli beklagen“), bekräftigte dann aber, dass man „sich mit der Tatsache abfinden“ müsse. Denn nicht nur „die Regierung, auch die Eingeborenen selbst“ wünschten „vielfach Unterricht in Suaheli“ – ein Bedürfnis, das im Zunehmen begriffen sei: „Wenn der Neger [merke], daß ihm die Kenntnis dieser Sprache Vorteil [bringe, werde] er nach ihr verlangen und sie, wenn die Missionsschule sie ihm beharrlich nicht [biete], bei dem mohammedanischen Lehrer oder an der nächsten Regierungsschule suchen“.76 Dementsprechend wiesen die Missionswissenschaftler ihre Missionare jetzt regelrecht an, die Landessprachen zu erlernen und Swahili als Unterrichtssprache einzusetzen.77 Die Berliner Missionsschulen, die Herrnhuter Mission, die Bielefelder Missionsgesellschaft und die Leipziger evangelisch-lutherische Mission gingen denn auch dazu über, ebenfalls auf Swahili zu unterrichten.78 Zu diesem Zweck versorgte man die Missionare mit ausreichend Material und veröffentlichte auf Swahili verfasste Katechismen und Gesangbücher sowie antiislamische Traktate.79 Gleichzeitig aber bemühten sich die Missionsgesellschaften noch immer um eine Förderung der übrigen „Stammessprachen“, um auf diesem Wege zumindest einer Ausbreitung des Swahili im Landesinneren Einhalt zu gebieten und dadurch geschlossene Siedlungsgebiete zu erhalten. Offiziell begründete man das mit der Absicht, eine „Nivellierung und Proletarisierung des Volkes“ vorsorglich zu verhindern. Der „Kampf für die Stammessprachen“, so Karl Axenfeld, sei zugleich „der Kampf für die Bewahrung der Eigenart, der angestammten Sitte, der Volksgebundenheit“. Wem nicht nur an „schneller Verbreitung oberflächlicher Kenntnisse für den Bedarf des Verkehrs, sondern an gründlicher, gesunder Erziehung der Inlandstämme“ gelegen sei, der müsse „der Pflege der Stammessprachen allerhöchsten Wert beimessen“. Die Berliner Mission, die „gleichzeitig an dem bunt gemischten Küstenproletariat in Daressalam und an Inlandstämmen“ arbeite, habe den „bewahrenden Wert des Festhaltens an der heimatlichen Scholle und der väterlichen Sitte zu deutlich vor Augen, als daß sie sich zu einer plötzlichen Suahelisierung ihres Inlandschulwesens entschließen dürfte.“80 Einem solchen sprachpolitisch gesteuerten Siedlungsprogramm lagen zum einen soziale Erwägungen zugrunde.81 Es ging aber auch darum, auf diesem Wege eine Abwanderung in die von Muslimen dominierten Küstengebiete zu verhindern 76 AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 570. 77 So etwa Carl MIRBT, Mission und Kolonialpolitik in den deutschen Schutzgebieten, Tübingen 1910, S. 183–185. 78 Siehe WEICHERT, Das Schulwesen, S. 16, 21 und 24. 79 Ernst LIEBAU, Kitabu cha mabo ya dini, Berlin 1906; Martin KLAMROTH, Katekisimo ao Ufundisho wao wakristo, Berlin 1909; Paul WOHLRAB, Habari za Muhamadi (Barazani 5), hrsg. von den evangelischen Missionen in Deutsch-Ostafrika, o.O. 1912 (2. Aufl. 1913). Allein im Jahre 1910 wurden 10.000 Exemplare der Barazani-Hefte verkauft (siehe Wilfred WHITELEY, Swahili. The Rise of a National Language, London 1969, S. 60). 80 AXENFELD, Die Sprachenfrage, S. 572. 81 Ausführlicher dazu GRÜNDER, Christliche Mission, S. 237–238.

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und dadurch einer weiteren Islamisierung entgegenzuwirken. Damit folgten die protestantischen Missionare ausgerechnet einer zuvor von ultramontanen Katholiken im Reich erfolglos erprobten Taktik, mittels derer sie einer Protestantisierung und Sozialdemokratisierung der deutschen Gesellschaft hatten vorbeugen wollen. Denn im Rahmen des Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesses war es während des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland zu massiven Land-Stadtwanderungen gekommen – mit nachhaltigen Auswirkungen auf die konfessionellen Verhältnisse. Hunderttausende von Katholiken hatte es in Städte verschlagen, die protestantisch dominiert waren oder die über intakte sozialdemokratische Milieus verfügten. Dies hatte auf Seiten der katholischen Kirche massive Ängste vor Entkirchlichung, Glaubensverlust und massenhaften Konversionen geschürt.82 Gutgemeinte Empfehlungen, in der katholischen Heimat zu bleiben, auch wenn damit ein Verzicht auf materiellen Wohlstand verbunden sei,83 sollten weitgehend ungehört verhallen. Dementsprechend konzentrierte die katholische Kirche fortan ihre Bemühungen zusehends auf eine Betreuung der Katholiken in der Diaspora, um zumindest auf diese Weise deren Bindung an die Kirche aufrechtzuerhalten. Letztlich sahen sich auch die protestantischen Missionare zu einem vergleichbaren Kurswechsel gezwungen. Obwohl aufgrund der Sprachenvielfalt die Barriere für Wanderungsbewegungen in Deutsch-Ostafrika ungleich höher war als in Deutschland, erkannten sie, dass infolge der verkehrstechnischen Erschließung des Hinterlandes die Mobilisierung auch der afrikanischen Gesellschaft nicht mehr aufzuhalten war,84 so dass sich trotz aller sprachpolitischen Initiativen die Etablierung des Swahili als lingua franca nicht mehr unterbinden ließ. Dass Swahili zusehends in lateinischer statt in arabischer Schrift geschrieben wurde,85 erleichterte es den Missionswissenschaftlern und Missionaren, sich damit abzufinden, erwies sich diese Entwicklung doch einer weiteren Islamisierung nicht gerade als förderlich. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass die schul- und sprachpolitischen Initiativen der evangelischen Missionare hinsichtlich der rekrutierungspo82 Siehe etwa die Predigt für den Bonifatius-Verein, in: G. WOLFGARTEN, Gelegenheitsreden und außerkirchliche Ansprachen, 4. Aufl. Paderborn 1914, S. 79–83, hier S. 80–82. 83 So etwa in dem Redeentwurf „Die christliche Ehe ist einem Schifflein zu vergleichen“, in: Constantin MATTNER (Hrsg.), Trauungsreden, Breslau 1883, S. 106–109, hier S. 107. 84 Siehe etwa RICHTER, Der Islam, S. 514. 85 Siehe MEINHOF, Die Bedeutung, S. 357. Schon im Jahre 1889 war die arabische durch die lateinische Schrift bei Druckerzeugnissen wie Schulbüchern und Zeitungen ersetzt worden (siehe Rajmund OHLY, SWAHILI – the Diagram of Crises (Veröffentlichungen der Institute für Afrikanistik und Ägyptologie der Universität Wien 21/Beiträge zur Afrikanistik 15), Wien/Dar es Salaam 1982, S. 49). Im Jahre 1899 verfügte der deutsche Gouverneur dann die Einführung der lateinischen Schrift für die Verwaltung im Bezirk Tanga (siehe EGGERT, Missionsschule, S. 34) – ein Prozess, der offiziell 1906 abgeschlossen war. In ihrer privaten Korrespondenz hielten die meisten einheimischen Schriftsteller der Küstenregion dagegen an der arabischen Schrift fest (siehe Derek R. PETERSON, Language Work and Colonial Politics in Eastern Africa: The Making of Standard Swahili and „School Kikuyu“, in: David L. HOYT/Karen OSLUND (Hrsg.), The Study of Language and the Politics of Community in Global Context, Lanham u.a. 2006, S. 185–214, hier S. 190).

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litischen Zielsetzung ins Leere liefen. Denn auch nach 1900 zeigte sich die Kolonialverwaltung zu einer Änderung ihrer Personalpolitik nicht bereit. Dabei war sie grundsätzlich einer stärkeren Berücksichtigung christlicher Afrikaner nicht einmal abgeneigt, ja sie hatte die Missionen sogar frühzeitig ermutigt, geeigneten Nachwuchs auszubilden.86 Allerdings erwiesen sich diese Initiativen kaum als erfolgreich. Mit Ausnahme einer Schule der Bethel-Mission in Kisserawe gab es schlichtweg keine von den Missionen betriebene Erziehungsanstalt, die geeignetes Personal hätte ausbilden können. Besagte Schule wiederum wurde ausschließlich für missionarische Zwecke betrieben, die Missionsgesellschaft hatte „keinerlei Interesse daran, dem Gouvernement irgendwelche Aufgaben abzunehmen“.87 Dementsprechend setzten die Kolonialbeamten bei der Rekrutierung von Angestellten nach wie vor auf muslimische Afrikaner.88

IV. ISLAM ODER ISLAMISMUS? Vermutlich war dies der Grund, warum vor allem die zumeist von Deutschland aus operierenden Missionswissenschaftler seit der Jahrhundertwende ihre Propaganda gegen die Ausbreitung des Islam nicht nur intensivierten, sondern auch modifizierten. Nicht mehr religiöse oder moralische Argumente standen fortan im Vordergrund, sondern politische. Denn Verweise auf die vorgebliche Primitivität des häretischen Islam machten kaum Eindruck auf eine dem liberalen Gebot der Religionsneutralität verpflichtete Kolonialverwaltung – mit der Folge, dass schließlich selbst namhafte Protagonisten der protestantischen Mission wie Carl Mirbt für einen Verzicht auf religiöse Argumente plädierten. In seinen 1910 veröffentlichten kolonialpolitischen Ausführungen, die auf einer ein Jahr zuvor veröffentlichten Vorlesungsreihe basierten, empfahl er, den Aspekt der „Überlegenheit des Christentums über den Muhammedismus“ in der Debatte über die christlich-islamischen Beziehungen auszusparen. Denn eine solche Überlegenheit „würde auch, wenn sie allgemein anerkannt wäre, nicht beweiskräftig sein.“89 Ebenso schienen moralische Argumente nur wenig Erfolg zu versprechen. Der gegen muslimische „Araber“ immer wieder (und nicht immer zu Unrecht) erhobene Vorwurf, weiterhin organisierten Sklavenhandel zu betreiben90 – ein Vor-

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Siehe GRÜNDER, Christliche Mission, S. 232. EGGERT, Missionsschule, S. 71. Siehe auch GRÜNDER, Christliche Mission, S. 233. MIRBT, Mission, S. 260. Zu dem von Muslimen betriebenen Sklavenhandel siehe grundsätzlich Ronald SEGAL, Islam’s Black Slaves. The Other Black Diaspora, New York 2001. Eine zentrale Rolle für den auch Ostafrika berührenden Sklavenhandel in moslemischer Hand spielten die von Sansibar aus operierenden Gruppen (siehe dazu Abdul SHERIFF, Slaves, Spices & Ivory in Zanzibar. Integration of an East African Commercial Empire into the World Economy, 1770–1873, London u.a. 1987), darunter auch der berüchtigte Sklavenhändler Shech Hamed bin Muhammed el

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wurf, der noch in den 1890er Jahren eine wichtige Legitimationsgrundlage für die deutsche Kolonialpolitik gebildet hatte91 –, spielte in den antiislamischen Wortmeldungen der Missionen seit 1900 nur noch eine untergeordnete Rolle.92 Auch an der von einigen Muslimen praktizierten Polygamie störte sich die Verwaltung nicht. Vielmehr verrechnete sie solche Verstöße gegen das europäische Moralempfinden mit den Vorzügen, die die islamischen Verhaltensregeln mit sich brachten. Denn aufgrund der vom Koran vorgeschriebenen täglichen Waschungen und des Abstinenzgebotes galten die afrikanischen Muslime als ebenso reinlich wie nüchtern – und diese kulturelle Praxis machte sie in den Augen der Kolonialbeamten zu besonders zuverlässigen und disziplinierten Untertanen.93 Insofern mussten die Argumente der Missionswissenschaftler ins Leere laufen. Alle Erfahrungen, die die Kolonialbeamten gemacht hatten, bestätigten Letztere vielmehr darin, die im Vergleich zu nicht-muslimischen Afrikanern überdurchschnittlich qualifizierten Muslime weiterhin als Lehrer, Soldaten und Verwaltungskräfte zu rekrutieren. Wollte man die an Herrschaftsstabilisierung und effizienter Verwaltungspraxis interessierten Kolonialbeamten zu einem Kurswechsel veranlassen, so empfahl es sich, solche Argumente zu bemühen, die sich auf sicherheitspolitische Aspekte bezogen und geeignet waren, das Vertrauen der Verwaltung in die Loyalität der muslimischen Fachkräfte nachhaltig zu erschüttern. Offensichtlich folgten die meisten Missionare und Missionswissenschaftler ebendieser Logik. Denn seit der Jahrhundertwende zeichnete sich ein Kurswechsel in der Argumentation ab. Fortan rückte ein politisches Argument in den Vordergrund, das bis dahin kaum eine Rolle gespielt hatte, jetzt aber zusehends auch von christlichen Politikern des Reichs aufgegriffen wurde: der Vorwurf, die muslimischen Unterbeamten seien keine zuverlässigen Vasallen der deutschen Kolonialmacht. Im Falle eines von fanatisierten Muslimen entfesselten Glaubenskriegs bestünde die Gefahr, dass jene sofort die Fronten wechseln und dann gegen die Deutschen kämpfen würden – ein Bedrohungsszenario, das nicht nur intern beschworen wurde,94 sondern auch in zahlreichen einschlägigen Büchern, Broschüren und Artikeln minutiös beschrieben95 und auf Missions- und Kolonialkongressen intensiv diskutiert wurde.96

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Murjebi alias Tippu Tip (vgl. dazu auch Winfried SPEITKAMP, Kleine Geschichte Afrikas, Stuttgart 2007, S. 164–165). Siehe SPEITKAMP, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 34. Vgl. RICHTER, Der Islam (1905), S. 519, und MIRBT, Mission (1910), S. 262. Siehe Heinrich SCHNEE, Deutsch-Ostafrika im Weltkriege. Wie wir lebten und kämpften, Leipzig 1919, S. 135. So etwa in einem Schreiben vom 30. November 1900, das Bischof Allgeyer, ein Angehöriger der Väter vom Heiligen Geist, an Domherr Hespers, den Sprecher der katholischen Missionen, richtete und in dem er behauptete, dass „die grössten, bis jetzt vorgekommenen Aufstände in DOA […] durch Mohammedaner angestiftet und durchgeführt worden“ seien (zitiert nach NIESEL, Kolonialverwaltung, S. 302). Siehe etwa RICHTER, Die Propaganda (1904). Siehe etwa die Vorträge von RICHTER, Der Islam; sowie Jos. FROBERGER, Welches ist der Kulturwert des Islam für koloniale Entwicklung? sowie die sich daran anschließende Debatte

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Tatsächlich stellte die Politisierung des Islam in Teilen der Sahara und Nordafrikas eine ernstzunehmende Herausforderung für die Kolonialmächte dar. Davon zeugen nicht zuletzt die Mahdi-Aufstände im Sudan. Schon Mitte der 1880er Jahre hatte der damalige Anführer Muhammad Ahmad beansprucht, als Mahdi der „unmittelbar von Gott ‚rechtgeleitete‘ Führer“ einer Bewegung zu sein, die sich als „Keimzelle der Weltherrschaft“ verstand.97 Und auch nach der Errichtung des Anglo-Ägyptischen Kondominiums im Jahre 1899 waren sich die Briten der vom politisierten Islam ausgehenden Gefahren für die Stabilisierung ihrer Herrschaft voll bewusst.98 In Deutsch-Ostafrika spielte der Islamismus indes kaum eine Rolle. Im Gegenteil erwiesen sich die Muslime als treue Vasallen der deutschen Verwaltung.99 Auch in prekären Situationen wie im Verlauf des Maji-MajiAufstandes von 1905 bis 1907 verhielt sich die Mehrheit der ostafrikanischen Muslime loyal zur so genannten Schutzmacht – was nicht zuletzt mit ihrer sozialen Mittlerrolle zusammenhing. Handelte es sich doch bei dem auf den Süden der Kolonie begrenzten Aufstand gleichermaßen um einen antikolonial wie sozialrevolutionär motivierten Befreiungsversuch, der sich gegen die massive Ausbeutung der kolonisierten Bevölkerung und deren Vollstrecker vor Ort, die Akiden und Askari, richtete. Dementsprechend wurden nicht nur Europäer, sondern auch und vielerorts sogar primär Inder, „Araber“ und Swahili-Sprecher angegriffen.100 Folgerichtig stießen die gegen die islamische Bevölkerung gerichteten Vorwürfe bei den Kolonialbeamten vor Ort kaum auf einen Resonanzboden. Das änderte sich erst im Jahre 1908, mit dem Aufkommen der so genannten Mekka-Briefe, die den Protagonisten der Mission einen willkommenen Anlass boten, um die Debatte über die vermeintliche „Grüne Gefahr“ zu intensivieren.101

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auf dem Berliner Kolonialkongress von 1905, dokumentiert in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 510–527, 527–531 und 531–538. Wolfgang REINHARD, Kleine Geschichte des Kolonialismus, 2. Aufl. Stuttgart 2008, S. 277. Zur Mahdi-Revolution und zum Mahdi-Staat siehe auch P.M. HOLT/M.W. DALY, A History of the Sudan. From the Coming of Islam to the Present Day, 5. Aufl. Harlow u.a. 2000, S. 73– 97. Siehe HOLT/DALY, A History, S. 107–108. Vgl. dazu die (rassistisch unterlegten) Ausführungen des seinerzeit renommierten deutschen Orientalisten Carl Heinrich BECKER, Ist der Islam eine Gefahr für unsere Kolonien?, in: Koloniale Rundschau (1909), S. 266–293, hier S. 285. Siehe dazu ausführlicher GRÜNDER, Geschichte, S. 158–163. Vgl. auch L.H. GANN/Peter DUIGNAN, The Rulers of German Africa 1894–1914, Stanford 1977, S. 121; A.J. TEMU, Tanzanian Societies and Colonial Invasion 1875–1907, in: KANIKI (Hrsg.), Tanzania under Colonial Rule, S. 86–127, hier S. 117–118. Für ein Beispiel muslimischer Kollaboration siehe Ludger WIMMELBÜCKER, Ansichten eines ‚regierungstreuen Eingeborenen‘. Mzee bin Ramazani über den Krieg im Bezirk Songea, in: Felicitas BECKER/Jigal BEEZ (Hrsg.), Der MajiMaji-Kieg in Deutsch-Ostafrika 1905–1907, Berlin 2005, S. 122–132. Siehe dazu ausführlich Michael PESEK, Kreuz oder Halbmond. Die deutsche Kolonialpolitik zwischen Pragmatismus und Paranoia in Deutsch-Ostafrika 1908–1914, in: VAN DER HEYDEN/BECHER (Hrsg.), Mission und Gewalt, S. 97–112, hier S. 101–112; siehe auch Michael PESEK, Islam und Politik in Deutsch-Ostafrika, in: Albert WIRZ/Andreas ECKERT/Katrin BROMBER (Hrsg.), Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tansania (1850–1960), Köln 2003, S. 99–140.

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Dabei handelte es sich um eine in weiten Teilen des Landes zirkulierende Schrift, die sich unterschiedlich auslegen ließ: als rein religiöser Appell, aber auch als Aufruf zum Widerstand gegen alle „Ungläubigen“ bzw. die Europäer.102 Es stellte sich schon sehr bald heraus, dass es sich bei diesem einem Scheich namens Ahmed zugeschriebenen Text um eine von den lokalen muslimischen Eliten weder angefertigte noch verbreitete Schrift handelte. Vermutlich war sie von Mitgliedern peripherer islamischer Bruderschaften verfasst worden, die ihren Einfluss auf die ostafrikanische Küste hatten ausdehnen wollen – ein vergebliches Unterfangen, denn der erhoffte Erfolg blieb aus. Die Askari ließen sich nicht aufwiegeln, und die um ihren traditionellen Einfluss bangenden islamischen Eliten versicherten der Verwaltung weiterhin ihre uneingeschränkte Unterstützung. Dennoch schürten die evangelischen Missionare und Missionswissenschaftler weiterhin die Angst vor einer islamistischen Verschwörung gegen die deutsche Kolonialmacht, nicht zuletzt mit dem Kalkül, die Verwaltung zur Beendigung ihrer Personalpolitik zu bewegen.103 Unterstützung fanden sie bei Abgeordneten der Konservativen und der Zentrumspartei, die diese Debatte in den Deutschen Reichstag trugen und dadurch zur Popularisierung des Themas beitrugen.104 Gleichzeitig hatte diese von Vertretern aller Konfessionen forcierte Konzentration auf einen gemeinsamen Feind, den Islam, auch integrierende Folgen für die vormals durch den Kulturkampf zerrüttete deutsche Gesellschaft. Hatten sich Katholiken und Protestanten bis zur Jahrhundertwende einander vorgeworfen, mit ihrer Mission jeweils einer „Verheidnischung“ zuzuarbeiten,105 so ließen beide fortan zusehends voneinander 102 So heißt es in der von Carl Heinrich Becker ins Deutsche übertragenen Schrift: „Ich sah den Propheten im Schlafe in der Nacht auf den Freitag, als er den erhabenen QorƗn las. Da sprach er zu mir: O Scheich Ahmed, die Gläubigen sind im Zustand der Widersetzlichkeit […]. Sie haben Taten des Ungehorsams und große Verbrechen begangen, sie haben die Religion verlassen und sich der Unzucht ergeben. […] Wacht auf, wacht auf, und unterlaßt die schlechten Handlungen und Gedanken. Du, sprich zu ihnen: die Stunde (des Gerichts) ist nahe herbeigekommen und die Welt wird nicht mehr lange bestehen, bis die Sonne im Westen aufgeht. Ich habe Ermahnung und abermals Ermahnung an sie gesandt, sie aber haben nur zugenommen an Gewalttätigkeit, Unglauben und Heuchelei. Dies aber ist die letzte Ermahnung. […] Wer aber daran zweifelt, ist ein Ungläubiger. Seid in der Furcht Gottes; dann werdet ihr von den Stätten des Verderbens errettet werden“ (Carl Heinrich BECKER, Materialien zur Kenntnis des Islam in Deutsch-Ostafrika, in: Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des islamischen Orients 2 (1911), S. 1–48, hier S. 44–45; ein Abdruck des Originals findet sich auf S. 43–44). 103 Siehe etwa Karl AXENFELD, Die Ausbreitung des Islam in Afrika und ihre Bedeutung für die deutschen Kolonien, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, hrsg. vom Redaktionsausschuss, Berlin 1910, S. 629–638, insbesondere S. 636–638. Siehe auch Hubert HANSEN, Welche Aufgaben stellt die Ausbreitung des Islam, in: ebenda, S. 652–673, insbesondere S. 655. 104 Vgl. etwa die vom Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger gehaltene Rede in der 127. Sitzung des Deutschen Reichstages am 6. März 1913 und die sich daran anschließende Debatte in der 128. Sitzung am 7. März 1913, zitiert nach: Verhandlungen des Reichstags. XIII. Legislaturperiode. I. Session, Bd. 288. Stenographische Berichte. Von der 111. Sitzung am 13. Februar 1913 bis zur 130. Sitzung am 2. April 1913, Berlin 1913, S. 4341–4376. 105 Vgl. etwa Gustav WARNECK, Der gegenwärtige Romanismus im Lichte seiner Heidenmission, Teil 1: Die römische Feindschaft wider die evangelische Kirche (Flugschriften des Evan-

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ab und konzentrierten sich statt dessen auf eine gemeinsame Front. Zum allerersten Mal gingen katholische Würdenträger sogar so weit, die evangelische Missionsarbeit zu würdigen.106 Erfolg war den Missionen mit all diesen Vorstößen nicht beschieden. Die an Effektivitätssicherung interessierten Kolonialbeamten hegten weiterhin keinerlei Zweifel an der Loyalität der muslimischen Vasallen und hielten an ihrer Rekrutierungspraxis fest. Freiherr Albrecht von Rechenberg verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass eine Kolonie, deren Bevölkerung von Muslimen dominiert werde, besser zu kontrollieren sei als eine Kolonie afrikanischer Christen;107 und Dr. Heinrich Schnee, der letzte Gouverneur Deutsch-Ostafrikas, bekräftigte nach dem Verlust der Kolonie noch einmal, dass „der Islam in der in Deutsch-Ostafrika vorliegenden Form […] keine Gefahr“ für die deutsche Kolonialherrschaft dargestellt habe.108 Dennoch war die anti-islamische Rhetorik nicht wirkungslos. Die von christlichen Politikern, Missionaren und Missionswissenschaftlern entfachte Debatte hatte ein „Klima der Paranoia vor der islamischen Gefahr“ geschaffen – mit der Folge, dass sich die Kolonialbeamten schon aus Gründen der Prävention gezwungen sahen, den immer wieder erhobenen Vorwürfen nachzugehen und gegebenenfalls auch Schuldige zu präsentieren, um auf diese Weise ihre Wachsamkeit unter Beweis zu stellen.109 „Islam“ und „Islamismus“ wurden so immer mehr zu einem Synonym. Seit dem Verlust der Kolonie infolge des Versailler Vertrages von 1919 erübrigten sich Initiativen dieser Art. Dementsprechend lässt sich in den einschlägigen Schriften eine Verschiebung der Argumentation beobachten. Auch wenn das Stereotyp der Muslime als Religionsfanatiker tradiert wurde, traten die damit einst verbundenen politischen Implikationen völlig in den Hintergrund. Das galt nicht

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gelischen Bundes 14, II. Serie, 2), Halle 1888, und Thomas William M. MARSHALL, Die christlichen Missionen, ihre Sendboten, ihre Methoden und ihre Erfolge, Bd. 3, Mainz 1863, S. 495. Zur Rivalität protestantischer und katholischer Missionare in Afrika siehe auch Rainer TETZLAFF, Die Mission im Spannungsfeld zwischen kolonialer Herrschaftssicherung und Zivilisierungsanspruch in Deutsch-Ostafrika, in: Klaus J. BADE (Hrsg.), Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium, 2. Aufl. Stuttgart 1984, S. 189–204, hier S. 192–193. Siehe etwa NIESEL, Kolonialverwaltung und Missionen in Deutsch-Ostafrika 1890–1914, S. 306. So von RECHENBERG in einem Brief vom 2. November 1911 an das Reichskolonialamt, wiedergegeben bei John ILIFFE, Tanganyika under German Rule 1905–1912, Cambridge 1969, S. 199. SCHNEE, Deutsch-Ostafrika, S. 135. Detlev Bald zufolge ist allerdings nicht ganz auszuschließen, dass Schnee die Loyalität der muslimischen Askari im Ersten Weltkrieg nachträglich beschönigt hat (vgl. Detlev BALD, Deutsch-Ostafrika 1900–1914. Eine Studie über Verwaltung, Interessengruppen und wirtschaftliche Erschließung (Afrika-Studien 54), München 1970, S. 26. Zur Heroisierung der Askari nach 1918 siehe auch Sandra MASS, Weiße Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964, Köln u.a. 2006, S. 64–70). PESEK, Kreuz oder Halbmond, S. 111.

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nur für die katholischen,110 sondern auch die evangelischen Publikationen. Hatte Gottfried Simon, ein protestantischer Missionar aus dem Rheinland, in seiner 1914 veröffentlichten Studie über Islam und Christentum im Kampf um die Eroberung der animistischen Heidenwelt noch vor einer panislamischen Bewegung und der Gefahr eines Heiligen Krieges gegen die europäischen Kolonialmächte gewarnt,111 so konzentrierte er sich in seinem sechs Jahre später publizierten Buch Der Islam und die christliche Verkündigung nur noch auf die theologischen Unterschiede zwischen beiden Religionen: auf die Frage nach der Wiederauferstehung, den Glauben an Gott, die Rolle Mohammeds, die Eschatologie und die christliche Mission.112 Der Kampf zwischen beiden Religionen sollte ausdrücklich in allen Sprachen geführt werden. Vorbehalte gegenüber einzelnen Sprachen wie vormals gegenüber dem Swahili gehörten nun endgültig der Vergangenheit an. Die meisten evangelischen Missionare in Ostafrika sprachen sich seit den 1920er Jahren sogar dezidiert für die landesweite Einführung des Swahili (zu Lasten des Englischen) aus. Hermann Personn fasste diese Einstellung im März 1928 zusammen: „Christliche Afrikaner sollen durch ihre neue Stellung zu Gott befähigt werden, eine christliche Kultur im Inneren und Äußeren für Afrikaner zu suchen und zu finden. Müssen sie dazu, um die Kultur Europas sich anzueignen, eine Sprache Europas lernen? Oder können sie das in ihrer eigenen Sprache, d.h. für uns in Ost-Afrika im Suaheli? Das Urteil weitester Kreise der deutschen evang. Mission geht dahin: laßt die Afrikaner nicht erst Engländer oder Deutsche werden, sondern gebt ihnen die abendländische Kultur und Bildung in ihrer Sprache.“113 Grundsätzlich betrachtete auch Gottfried Simon den polyglotten Charakter des Christentums als Vorteil gegenüber dem der arabischen Sprache eine Vorrangstellung einräumenden Islam. Da es „nur schwer gelingen“ werde, den „einfachen Mann von der Zuverlässigkeit der [Heiligen] Schrift durch Gründe zu überführen“, helfe nur „die Entfaltung des Schriftinhalts, die für den Moslem um so anziehender“ sei, als „die Übersetzung des Koran, wenn nicht verboten, so doch sehr unbeliebt“ sei.114 Die „einfache Lektüre der Schrift in der Landessprache, wie sie in der christlichen Gemeinde Sitte“ sei, mache „jenen gewaltigen Eindruck in der moslemischen Welt“, der sich darin widerspiegele, „daß viele Moslems schon durch das bloße Lesen des Neuen Testaments für das Christentum gewonnen worden“ seien.115 110 Siehe etwa Ludwig BERG, Die katholische Heidenmission als Kulturträger (Abhandlungen aus Missionskunde und Missionsgeschichte 29–31), 2. Aufl. Aachen 1927. 111 Siehe Gottfried SIMON, Islam und Christentum im Kampf um die Eroberung der animistischen Heidenwelt. Beobachtungen aus der Mohammedanermission in Niederländisch-Indien, Berlin 1914, S. 29–30. 112 Siehe Gottfried SIMON, Der Islam und die christliche Verkündigung. Eine missionarische Untersuchung, Gütersloh 1920. 113 Protokoll der Missionarskonferenz von Bumbuli, zitiert nach: Gustav MENZEL, Die BethelMission. Aus 100 Jahren Missionsgeschichte, Neukirchen-Vluyn u.a. 1986, S. 299. 114 Bezeichnenderweise stieß die 1954 vorgenommene erste Übersetzung des Koran ins Swahili bei sunnitischen Moslems auf heftige Abwehr (siehe ILIFFE, A Modern History, S. 550). 115 SIMON, Der Islam, S. 121–122.

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Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass in Ostafrika die schon vor 1914 einsetzende aktive, zunächst von der Regierung und den Katholiken und schließlich auch von den evangelischen Missionen forcierte Förderung des Swahili dazu beigetragen hat, dass „Küste und Hinterland ein sprachlich verbindendes, zum Ausgleich des Kulturgefälles beitragendes intertribales Idiom erhielten“.116 Dass Swahili dabei nicht als eine Sprache ökonomischen, politischen oder kulturellen Hegemoniestrebens wahrgenommen wurde, hat seine Stellung, in Gegensatz zu manch anderer afrikanischer Sprache, sicherlich gefestigt117 und es „dem modernen unabhängigen Tansania ermöglicht, als erster afrikanischer Staat südlich der Sahara eine afrikanische Sprache als Amtssprache nicht nur zu proklamieren, sondern auch effektiv einzuführen“.118 Wie erfolgreich diese Taktik für die langfristige Christianisierung Tansanias sein sollte, darüber lässt sich indes nur spekulieren. Immerhin haben Katholizismus und Protestantismus seit Ende der deutschen Kolonialherrschaft beachtliche Erfolge verbuchen können. Aktuellen (statistisch allerdings nicht abgesicherten) Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung mit rund 40 Prozent leicht über dem der Moslems mit rund 30 Prozent.119

116 GRÜNDER, Christliche Mission, S. 236. Zu weiteren Aspekten des Erbes deutscher Herrschaft siehe Andreas ECKERT, Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920–1970, München 2007, S. 31–38. 117 Siehe WOLFF, Language, S. 335. 118 So Franz ANSPRENGER in einem unveröffentlichten Manuskript zur Schulpolitik in DOA, zitiert nach: NIESEL, Kolonialverwaltung, S. 285. 119 So der Stand im Mai 2008 laut den Länderinformationen des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01Laender/Tansania.html [19. November 2008]).

Herrschaftssprache und imperiale Integration Britische Sprachpolitik in Ceylon und den Föderierten Malaiischen Staaten Almut Steinbach, Clausthal Im Jahr 1840 diktierte Stuart Mackenzie, Gouverneur der Kronkolonie Ceylon, einen Brief an den Kolonialminister Lord Russell in London. Und obwohl Mackenzie zu jenen Beamten gehörte, die den lokalen Sprachen große Bedeutung zumaßen, formulierte er in diesem Schreiben mit wenigen Worten klar und deutlich, welch wichtige Rolle er der englischen Sprache auf lange Sicht zugedachte: We contemplate permanency in our tenure of this island, conquered for us by the sword of our Gallant Countrymen; but the most permanent conquest of all would be the universality of our own language.1

Zu diesem Zeitpunkt war nicht vorhersehbar, dass Mackenzies Vision eines Tages Wirklichkeit werden würde. Nachdem die formale Herrschaft der Briten über große Teile der Welt heute der Vergangenheit angehört, spielt die englische Sprache weiterhin eine weltbeherrschende Rolle. Die Zeitschrift The Economist griff diese Entwicklung auf und titelte im Dezember 2001: The triumph of English. A world empire by other means.2 Die Anerkennung des Englischen als Weltsprache ist heute unumstritten. Etwa 380 Millionen Menschen sprechen es als ihre Muttersprache und fast 300 Millionen als Zweitsprache. Über eine Milliarde Menschen lernen Englisch als Fremdsprache, und es ist ohne Zweifel die wichtigste Sprache in der Weltpolitik und in der Diplomatie sowie in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Gleichzeitig ist es die am weitesten verbreitete Sprache in der Wissenschaft und in den Medien.3 Viele Gründe sind für den Erfolg des Englischen genannt worden. Als die zwei wichtigsten Faktoren gelten die Ausbreitung des Britischen Empire insbesondere im 19. Jahrhundert und der Aufstieg der USA

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Gouverneur Mackenzie an Kolonialminister Lord Russell, Galle, 12. August 1840, The National Archives, Kew, U.K., Colonial Office (im Folgenden abgekürzt TNA, CO) 54/181. Die Rechtschreibung und Grammatik wurden bei der Wiedergabe von Originalquellen grundsätzlich beibehalten. www.Economist.com, Print Edition, Christmas Special, 20. Dezember 2001, S. 1. Vgl. ebenda, S. 1–3. Die Auflistung ließe sich beliebig fortführen: So werden drei Viertel aller Postsendungen auf Englisch verfasst, zwei Drittel aller Wissenschaftler schreiben auf Englisch und 80 Prozent aller elektronisch gespeicherten Materialien sind englischsprachig. Vgl. Alastair PENNYCOOK, English in the World / The World in English, in: James W. TOLLEFSON (Hrsg.), Power and Inequality in Language Education, Cambridge 1995, S. 34–58, hier S. 36.

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zur Weltmacht im 20. Jahrhundert.4 Folgen des kulturellen Imperialismus gelten oft als prägender und langfristiger als andere Aspekte der europäischen Expansion. Die Verbreitung der englischen Sprache und ihr Aufstieg zur Weltsprache belegen diese These eindringlich.5 Ein einzelner Aufsatz kann nicht das gesamte Empire mit all seinen Facetten in den Blick nehmen.6 Die vorliegende Studie versucht jedoch, durch eine über4

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David Chrystal beschreibt die Entwicklung des Englischen während des 19. Jahrhunderts bis hin zu einer Sprache „on which the sun never sets.“ Vgl. David CHRYSTAL, English as a Global Language, Cambridge 1997, S. 8. Interessanterweise datiert Barbara A. Fennell die Wirkung des britischen Kolonialismus vor allem auf die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts und geht davon aus, dass im 19. Jahrhundert bereits die Industrielle Revolution die Hauptantriebskraft für die Verbreitung des Englischen darstellte. Vgl. Barbara A FENNELL, A History of English. A Sociolinguistic Approach, Oxford 2001. Dass der Zugang zu technischem Wissen ganz entscheidend von Kenntnissen der englischen Sprache abhing, wird in dieser Arbeit ebenso wenig in Zweifel gezogen wie die Tatsache, dass ein Erlernen des Englischen in vielen Fällen Voraussetzung für oder zumindest Begleiterscheinung von Modernisierungsprozessen war. Die Überlegungen gehen in die Untersuchung mit ein, wobei der Fokus jedoch auf die Überprüfung der These David Chrystals zur Bedeutung des Imperialismus für die Verbreitung des Englischen im 19. Jahrhundert ausgerichtet ist. Vgl. dazu auch den Hinweis Jürgen Osterhammels zur Stabilität von Strukturen, die aus der Verbreitung von Herrschaftssprachen entstanden sind. Jürgen OSTERHAMMEL, Europamodelle und imperiale Kontexte, in: Journal of Modern European History 2 (2004), S. 157–181, hier S. 178. Eine Studie zur Sprachpolitik, die das gesamte Britische Empire in den Blick nimmt, liegt bis jetzt nicht vor. Ebenso sind vergleichende Studien, die mehrere Kolonien untersuchen, selten geblieben. Die Vermutung Shreesh Chaudharys liegt nahe, dass viele Forscher dieses Thema wegen seiner Interdisziplinarität – angesiedelt zwischen Geschichtswissenschaft und Soziolinguistik – gemieden haben. Vgl. Shreesh CHAUDHARY, Language Policy of the East India Company, 1600–1875. A Case Study in Interdisciplinary Research, in: Studies in Humanities and Social Sciences IX, Nr. 2 (Winter 2002), S. 65–77, hier S. 65 und 70. Aus dem Bereich der Soziolinguistik kommt eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich mit Sprachpolitik und Sprachverbreitung auch im überregionalen Vergleich beschäftigen. Teilweise wird in dieser Literatur ein Bezug zur imperialen Herrschaft vor allem westlicher Staaten hergestellt. Jedoch ist diese Epoche nicht Gegenstand der Forschung, sondern wird entweder als erklärender Faktor herangezogen oder als Rückblick für das eigentliche Thema kurz beschrieben. Vgl. u.a. Robert PHILLIPSON, Linguistic Imperialism, Oxford 1992; Alastair PENNYCOOK, English and the Discourses of Colonialism, London/New York 1998; Joshua A. FISHMAN/Robert L. COOPER u.a., The Spread of English. The Sociology of English as an Additional Language, Rowley (Mass.) 1977; Vgl. Cheris KRAMARAE/Muriel SCHULZ/Wiliam M. O’BARR (Hrsg.), Language and Power, Beverly Hills/London 1984. Studien zu einzelnen Kolonien, insbesondere zu Britisch-Indien, liegen bereits vor. Sie beschäftigen sich vor allem mit der Sprachenfrage im Bildungssystem. Vgl. u.a. Lynn ZASTOUPIL/Martin MOIR (Hrsg.), The Great Indian Education Debate. Documents Relating to the Orientalist-Anglicist Controversy, 1781–1843, Richmond (Surrey) 1999; Lynn ZASTOUPIL, Englische Erziehung und indische Modernität, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 5–32; Harald FISCHER-TINÉ, Von „Sklavenuniversitäten“ und „nationalen Bildungsstätten“: Elitenbildung, Sprachpolitik und nationale Identitätskonstruktion im kolonialen Indien (1880–1925), in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7 (2004), S. 27–51; Suresh Chandra GOSH, The History of Education in Modern India 1757–1986, New Delhi 1995; Aparna BASU, The Growth of Education and Political Development in India, 1898–1920, New Delhi 1974. Umfassender ist der Ansatz von N.

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greifende Betrachtung Aussagen zu treffen, die zumindest für den süd- und südostasiatischen Raum des Britischen Empire gültig sind. Zwei britische Kolonien im 19. und frühen 20. Jahrhundert stehen dabei im Mittelpunkt. Beide Kolonien werden vom Zeitpunkt der Einflussnahme durch die Briten bis 1930 begleitet, wobei Ceylon bereits Ende des 18. Jahrhunderts von den Briten erobert wurde, während die Föderierten Malaiischen Staaten7 erst schrittweise seit den 1870er Jahren kolonisiert wurden. Bezüge zu den teilweise parallel, teilweise zeitlich versetzt ablaufenden Entwicklungen in Indien, ohne die viele Strömungen und Strategien in der britischen Sprachpolitik nicht zu erklären wären, ergänzen die Untersuchung. Für eine umfassende Studie zur Verbreitung des Englischen im imperialen Kontext kommen viele, wenn nicht alle Lebensbereiche der Kolonisierten als Untersuchungsobjekte in Frage. Schriftliche und mündliche Kommunikation in englischer Sprache lässt sich nicht auf Verfahren und Prozesse in der Administration oder an Gerichtshöfen, auf die Unterrichtssprache in Bildungsstätten oder die offizielle Korrespondenz mit der Metropole begrenzen. Sie fand, unter britischen Landsleuten ebenso wie im Austausch zwischen Briten und Kolonisierten, überall im öffentlichen Leben statt, in Geschäften und bei Handelsbeziehungen, in Hotels, Bars und Clubs, in Häfen und auf Bahnhöfen, in politischen Gremien und schließlich auch innerhalb eines wachsenden Pressesektors. Gleichzeitig wurde sie in britischen Haushalten gepflegt und auch hier – zumindest in Bezug auf das im Alltag Notwendige – mit einigen einheimischen Bediensteten geteilt.8 Auch wurde der

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KRISHNASWAMY/Archana S. BURDE, The Politics of Indians’ English. Linguistic Colonialism and the Expanding English Empire, New Delhi 1998. Einen Schwerpunkt auf den Bereich der Literatur legt Gauri VISWANATHAN, Masks of Conquest. Literary Study and British Rule in India, London 1990. Um eine vergleichend angelegte Arbeit, die Ceylon und die Malaiischen Staaten untersucht und dabei die Entwicklungen in Indien mitbetrachtet, handelt es sich bei Almut STEINBACH, Sprachpolitik im Britischen Empire. Herrschaftssprache und Integration in Ceylon und den Föderierten Malaysischen Staaten, 1800–1930, München 2009. Heussler weist darauf hin, dass es sich nicht um „Staaten“ im europäischen Sinn des Wortes handelte. Da es jedoch die deutsche Übersetzung der offiziellen britischen Bezeichnung ist, wird der Begriff auch in Bezug auf die einzelnen Staaten verwendet. Vgl. Robert HEUSSLER, British Rule in Malaya. The Malayan Civil Service and Its Predecessors, 1867–1942, Westport 1981, S.8. Ebenso problematisch ist die Bezeichnung „Föderierte“. Erst 1896 wurden die vier Staaten Perak, Selangor, Pahang und Negri Sembilan zu einer Föderation zusammengeschlossen. Vorher fungierten sie unter dem Begriff Protected Malay States im Unterschied zu den Malaiischen Staaten, die noch nicht unter britischer Herrschaft standen. Dennoch wird hier in Anlehnung an vorliegende historische Studien der Begriff „Föderierte“ verwendet (vgl. u.a. John G. BUTCHER, The British in Malaya 1880–1941. The Social History of a European Community in Colonial South East Asia, Kuala Lumpur 1979, S. 83). Eine Alternative wäre es, für diese Kolonie zwei verschiedene Begriffe zu gebrauchen, je nachdem von welchem Zeitraum die Rede ist. Dies würde jedoch nicht zum Verständnis beitragen. Außerdem wird in diesem Aufsatz der Begriff „Malaiische Staaten“ benutzt, der hier immer nur die vier Staaten Perak, Selangor, Pahang und Negri Sembilan einbezieht. Nicht alle Bediensteten sprachen Englisch. Zu denen, die ein Pidginenglisch erlernten, gehörten vor allem die Hausbediensteten, so wie beispielsweise die chinesischen Amahs, also die Kindermädchen, in Singapur und Malaya. Vgl. John T. PLAT, English in Singapore, Malaysia,

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Spracherwerb durch den direkten Kontakt zum Mutterland und eine größere Mobilität der Einheimischen gefördert. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der asiatischen Studenten an englischen und schottischen Universitäten. Gleichzeitig wurden vermehrt asiatische Bedienstete nach Großbritannien „importiert“. So umgab sich beispielsweise Sir Thomas Lipton, der mehrere große Teeplantagen auf Ceylon besaß, auch zuhause in London gerne mit singhalesischen Dienern, deren Anwesenheit seinen Status als Teepflanzer betonte.9 Um diese Kommunikationsräume und -formen in ihrer Gesamtheit zu untersuchen, bedürfte es einer Mikrostudie, die sich auf einen eng begrenzten Ort und einen kurzen Zeitraum konzentrierte. Der Fokus dieser Studie ist ein anderer. Er richtet sich auf die offizielle Sprachpolitik in unterschiedlichen Teilen der imperialen Peripherie und ihren Wandel über einen langen Zeitraum hinweg. Dabei soll sowohl eine Analyse der theoretischen Programmatik als auch eine Untersuchung der kolonialen Praxis erfolgen. Letztere konnte in vielen Fällen erheblich von ersterer abweichen, da pragmatische Gesichtspunkte, wie beispielsweise ökonomische Überlegungen, in die Umsetzung mit eingingen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, inwiefern die Sprachpolitik und insbesondere die Anglisierungspolitik zur Integration innerhalb der Kolonien beitrugen. Die Integrationsbemühungen der Briten waren keinesfalls über den gesamten Zeitraum ihrer kolonialen Herrschaftsausübung hin konstant. Da eine Vielzahl von imperialen Organisationen und Presseerzeugnissen erst gegen Ende des 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet wurden, könnte man zunächst vermuten, dass Metropole und Peripherie sich zunehmend vernetzten.10 Ob diese Annahme auch für den Bereich der Sprachpolitik zutrifft, wird zu klären sein. Auf jeden Fall lässt sich ein Zuwachs an Integration innerhalb der Kolonien nicht ohne weiteres bejahen. Die Aussagen von zwei britischen Kolonialbeamten, die sich mit Sprachpolitik beschäftigen, zeigen exemplarisch, wie unterschiedlich diese im ersten und im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts formuliert wurde. Obgleich in ihnen nicht ausdrücklich die Frage der Integration thematisiert wird, geben sie doch Aufschluss über die Einstellungen zu einer möglichen Annäherung der britischen und der indigenen Bevölkerung innerhalb der Kolonien. In einem Brief an die amerikanische Mission in Ceylon vom 14. Dezember 1829 schrieb Wiliam Colebrooke, der Leiter einer Kommission des britischen Parlaments in der Kolonie:

and Hong Kong, in: Richard W. BAILEY/Manfred GÖRLACH (Hrsg.), English as a World Language, Ann Arbor 1983, S. 384–414, hier S. 387. 9 Rozina VISRAM, Asians in Britain: 400 Years of History, London 2002, S. 44. 10 Zu den Organisationen gehörten u.a. das Royal Colonial Institute, die League of Empire und die Victoria League. Vgl. James G. GREENLEE, Education and Imperial Unity 1901–1926, New York/ London 1987, S. iii. 1901 wurde beispielsweise die in Großbritannien und in Übersee gelesene Zeitung Empire Review gegründet. Vgl. Simon J. POTTER, News and the British World: The Emergence of an Imperial Press System, 1876–1922, Oxford 2003, S. 107.

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And we have not failed to notice with satisfaction the importance you very justly attach to the cultivation of the English language as the medium for the acquirement of the most useful knowledge by the Natives.11

Frank A. Swettenham, der mehrere Jahrzehnte seines Lebens in Malaya verbracht und dort zunächst als Kolonialbeamter und später als Gouverneur gearbeitet hatte, wandte sich hingegen in einer Rede vor dem Royal Colonial Institute im Jahre 1896 gerade gegen die von Colebrooke propagierte Praktik: I do not think we should aim at giving Malays the sort of higher education that is offered by the Government of India to its native subjects, but I would prefer to see the establishment of classes where useful trades would be taught. It is unfortunate that, when an Eastern has been taught to read and write English very indifferently, he seems to think that from that moment the government is responsible for his future employment, and in consequence the market for this kind of labour is overstocked, while many honourable and profitable trades find difficulty in obtaining workmen, because of the prejudice against anything like manual labour.12

Diese zwei Auffassungen könnten als persönliche Meinungen zweier Individuen verstanden werden; allerdings zeigt ihre Einordnung in den größeren Kontext, dass sie als durchaus repräsentativ für ihre Zeit gelten können. Colebrookes Vorschläge wurden diskutiert und kritisiert; dennoch wurden sie schließlich vom Colonial Office in London aufgegriffen. Viscount Goderich, zu dieser Zeit Kolonialminister, erwähnte insbesondere die englische Sprache bei der Entwicklung eines Programms zur „Besserung“ (improvement) der einheimischen Bevölkerung in Ceylon, das gleich darauf umgesetzt wurde.13 Swettenham hingegen sprach aus, was viele britische Kolonialbeamte in Malaya und in anderen britischen Kolonien des späten 19. Jahrhunderts dachten. Mit Blick auf die Erfahrungen Indiens im Bereich der Anglisierung verabschiedeten sich viele von dem Gedanken, dass die Verbreitung von Englisch und damit auch die Diffusion von westlichem Gedankengut automatisch zu einer loyalen, prosperierenden Kolonie führen würde.14 Wiederum wurde diejenige Sprachpolitik umgesetzt, die über die größte Akzeptanz verfügte. Das Unterrichtsmedium in staatlichen malaiischen Schulen war nur in Ausnahmefällen Englisch. Diese zwei gegensätzlichen Positionen verweisen bereits auf die Entwicklung der Sprachpolitik im 19. Jahrhundert. Für andere Bereiche der imperialen Politik gibt es ähnliche Beobachtungen. Jürgen Osterhammel beschreibt die zunehmende Distanz zwischen der westlichen 11 Die Korrespondenz Colebrookes zu diesem Gegenstand wurde gesammelt in TNA, CO 416/6. 12 Frank A. SWETTENHAM, ‘British Rule in Malaya, Talk at the Royal Colonial Institute’ vom 31. März 1896, in: Paul H. KRATOSKA (Hrsg.), Honourable Intentions. Talks on the British Empire in South-East Asia delivered at the Royal Colonial Institute 1874–1928, Singapore 1983, S. 186. 13 Goderich an Gouverneur Horton, London, 4. Mai 1832, und London, 14. September 1832, beide in TNA, CO 55/74. 14 Viele weitere Beispiele ließen sich finden. H.B. Collinge, Inspector of Schools im Staat Perak, zum Beispiel benutzte noch weitaus drastischere Worte: “It is the mere smattering of English and English ideas that is harmful, and which in India causes the country to swarm with half-starved, discontented men, who consider manual labour beneath them, because they know a little English.” Hier zitiert nach Alastair PENNYCOOK, The Cultural Politics of English as an International Language, London/New York 1994, S. 87.

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und der einheimischen Gesellschaft, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Asien zu beobachten ist. Insbesondere für die Zeit nach dem indischen Aufstand von 1857/58 erkennt er eine verstärkte „Selbstabkapselung“ der Briten.15 Im Fall von Britisch-Malaya hat John G. Butcher auf die voranschreitende Abgrenzung der britischen Minderheit in der Kolonie, deren selbst gewollte Isolierung mit der wachsenden Zahl ihrer Mitglieder einherging, hingewiesen.16 Simon Potter macht diesen Wandel an der Definition von „Britishness“ fest.17 Die vorliegende Studie will den Gedanken des Wandels im 19. und frühen 20. Jahrhundert aufgreifen und für die Sprachpolitik überprüfen. Für beide Kolonien gilt, dass Sprachpolitik zu Beginn der britischen Herrschaft zunächst keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle im Vergleich zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonie spielte. In den ersten Jahren britischer Herrschaft in Ceylon und den Föderierten Malaiischen Staaten waren Diskussionen über die Regierungsform, die wirtschaftliche Nutzbarkeit der Territorien, die Verbesserung der Infrastruktur und die praktischen Vorgehensweisen im Falle von Gegenwehr durch die Kolonisierten weitaus geläufiger als Gedanken und Debatten zur Sprachenfrage. Mit Ausnahme einiger weniger Stellungnahmen von britischen Beamten geriet die Sprachpolitik erst in den Blickpunkt britischer Interessen, als die Herrschaft bereits konsolidiert und erste Schritte zu einer positiven Entwicklung der Kolonie im Sinne der Kolonialherren unternommen worden waren. Kommunikation und ein geeignetes Medium, um Sprachbarrieren, wie sie in jeder Beherrschungskolonie auftraten, zu überwinden, waren jedoch von essentieller Bedeutung für die Ausübung von Herrschaft. So ließen Entscheidungen über den Sprachgebrauch in der Kolonie ebenso wie Angebote bezüglich des Spracherwerbs – sowohl auf der Seite der Kolonisierten als auch im Rahmen einer Beschäftigung als Civil Servant – nicht lange auf sich warten. Erste Maßnahmen wurden ergriffen, um Mittler zwischen den Kulturen zu rekrutieren, und auf beiden Seiten zeigten bestimmte Personengruppen Interesse am Erlernen der Sprachen oder wurden dazu im beruflichen Kontext angehalten. Insbesondere in den Malaiischen Staaten verfügte ein großer Teil der ersten Generation britischer Beamter über gute malaiische Sprachkenntnisse, und in Ceylon begannen bereits in den ersten Jahren nach der Machtübernahme eine Gruppe von Burghern, Nachkommen aus Mischehen zwischen Einheimischen und den ehemaligen portugiesischen und niederländischen Herrschern, sowie einige Vertreter der singhalesischen und der tamilischen Bevölkerungsgruppen mit dem Englischunterricht. 15 Vgl. Jürgen OSTERHAMMEL, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 2001, S. 83. 16 Vgl. BUTCHER, Malaya, S. 97ff. 17 POTTER, News, S. 3: “As an ostensibly non-racial, inclusive identity, Britishness had the potential to integrate a wide range of ethnic groups into colonial communities. However, it was never entirely clear who could be included and on what terms. During the later nineteenth century, earlier, more flexible defintions that could encompass the so-called ‘brown Briton’ began to be replaced by harsher racialist thinking, even though certain groups of non-whites continued to see themselves as, to some extent, British.”

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In Ceylon entwickelte sich von etwa 1800 bis in die 1830er Jahre in kleinen Schritten eine Anglisierungspolitik, die schließlich von der Colebrooke-CameronKommission ausformuliert wurde. Noch bevor in Indien der Konflikt zwischen „Anglizisten“ und „Orientalisten“ ausgefochten war, sprachen sich die vom britischen Parlament entsandten Kommissare für die Einführung der englischen Sprache als Schulsprache aus und empfahlen ihren Gebrauch in der Verwaltung und an allen Gerichtshöfen in der Kronkolonie.18 Die Bestätigung durch das Colonial Office und der rasche Beginn der Umsetzung durch die britische Regierung vor Ort hatten weit reichende Konsequenzen. Auch wenn das englischsprachige Schulangebot insgesamt klein blieb, entwickelte sich doch schnell eine englischsprachige Elite, die sich von diesem Angebot direkte wirtschaftliche Gewinne, etwa durch einen Posten in der britischen Administration, und eine Verbesserung oder gegebenenfalls eine Stabilisierung ihrer gesellschaftlichen Position erhoffte. Während gerade die ersten Absolventen englischsprachiger Schulen in den 1830er und 1840er Jahren einen sozialen Wandel in der Kolonie herbeiführten, änderte sich die Einstellung vieler britischer Beamter bereits wieder. Auch einer der folgenden Gouverneure, Stuart Mackenzie, setzte sich für eine Aufwertung der einheimischen Sprachen im Schulunterricht ein.19 In dieser zweiten Phase stieß die ausdrückliche Anglisierungspolitik zunehmend auf Kritik. Eine große Zahl britischer Beamter in den Kolonien befürwortete mit Mackenzie gemeinsam die Rückkehr zu den vernaculars. Ohne die Zustimmung des Colonial Office in London einzuholen, das sich zunächst weigerte, eine Stärkung der einheimischen Sprachen mit zu finanzieren, verschob sich der Fokus im Schulsystem Ceylons. Die Entwicklung von 1848 bis 1866 lässt sich der folgenden Grafik entnehmen.

18 Garrett Champness MENDIS (Hrsg.), The Colebrooke-Cameron Papers: Documents on British Colonial Policy in Ceylon, 1796–1833, Oxford 1956, S. 70–75. 19 Vgl. beispielsweise Gouverneur Mackenzie an Kolonialminister Lord Russell, Galle, 12. August 1840, TNA, CO 54/181.

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3000 2500 2000 1500 1000 500 0 1848 1850 1852 1854 1856 1858 1860 1862 1864 1866 Oberschulen und englischsprachige Schulen allgemein gemischtsprachige Schulen Vernacular-Schulen

Abb. 1: Verteilung der Schülerzahlen in Ceylon nach der Unterrichtssprache ihrer Schulen, 1848– 1867

Einer der Hauptgründe für eine intensivere Nutzung der vernaculars im Schulsystem, wie sie die Grafik zeigt, war pragmatischer Natur. Die von Thomas Babington Macaulay skizzierte „filtration theory“ war nicht zu realisieren und zu teuer in der Umsetzung. Auch die Lernergebnisse in englischsprachigen Schulen waren in vielen Unterrichtsfächern eher mäßig bis unbefriedigend, da die Schüler dem fremdsprachlichen Unterricht nicht immer folgen konnten, wenn es um komplexe Zusammenhänge ging.20 Der so genannte Woods Despatch in Indien fasste im Jahr 1854 Positionen zusammen, die sich bereits in den vorangegangenen Jahrzehnten auf dem Subkontinent durchgesetzt hatten. Ein Ausschnitt aus diesem Beschluss lautet:

20 Alastair PENNYCOOK, English and the Discourses of Colonialism, London/New York 1998, S. 81–82.

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We have always been most sensible of the importance of the use of the languages which alone are understood by the great mass of the population [...]. It is indispensable, therefore, that, in any general system of education, the study of them should be assiduously attended to, and any acquaintance with improved European knowledge which is to be communicated to the great mass of the people – whose circumstances prevent them from acquiring a higher order of education, and who cannot be expected to overcome the difficulties of a foreign language – can only be conveyed to them through one or other of those vernacular languages.

Englisch wurde jedoch nicht aus dem Curriculum gestrichen. Es blieb eine wichtige Ressource „for those who desired to obtain a liberal education to begin by the mastery of the English language as a key to the literature of Europe.“21 Auch in Ceylon wurde schließlich eine Kommission eingesetzt, die unter der Leitung von R.F. Morgan 1867 einen Kompromiss in der Sprachenfrage und eine erhebliche Stärkung der lokalen Sprachen vorschlug. Beide Forderungen wurden umgesetzt.22 Seit etwa 1870 begann die Kolonisierung der Malaiischen Staaten. Zu dieser Zeit hatte sich das Meinungsbild im Britischen Empire weit von dem der Anfangszeit britischer Herrschaft in Ceylon entfernt. Neben den sachlichen Gründen, die in Ceylon und Indien zu Kompromissen geführt hatten, gab es jedoch auch andere Ursachen für eine Abkehr von der Verbreitung des Englischen. Es war nicht nur die Desillusionierung in Bezug auf die Umsetzung der „filtration theory“, die dazu beitrug, sondern auch eine deutliche Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der frühen Bildungspolitik in British-Indien. In den 1860er und 1870er Jahren mehrten sich die Stimmen, die in Bezug auf Indien von einer neuen, negativ zu bewertenden Entwicklung sprachen: „an evil tendency which has shewn itself more especially in the immediate vicinity of the Presidency Towns to substitute a study of the English language in place of the acquisition of general knowledge through the vernacular.“23 Die Notwendigkeit, Englisch zu lernen, um in der Verwaltung oder als Übersetzer zu arbeiten, um Handel zu treiben oder einen anderen so genannten white collar job zu ergreifen, stieg. Gleichzeitig gelang es der britischen Regierung in Indien nicht mehr, all jene, die sich das von den Anglizisten empfohlene Bildungsstreben zu eigen gemacht hatten und entsprechend über Englischkenntnisse verfügten, mit einem entsprechenden Beschäftigungsangebot zufrieden zu stellen. Griffin, ein hochrangiger Mitarbeiter der Provinzregierung im Punjab, schrieb in diesem Zusammenhang, es bestehe die Gefahr, dass jene Einheimischen, „becoming unfit for their own natural and hereditary professions, remain discontented and disloyal members of the community“.24 Dies war ein Argument, welches man im Britischen Empire und auch in den Föderierten Malaiischen Staaten immer wieder hörte. 21 Despatch from the Court of Directors of the East India Company to the Governor General of India in Council, No. 49, 19 July 1854, zitiert nach PENNYCOOK, Discourses, S. 88–89. 22 Vgl. Report of a Sub-Committee to the Legislative Council, TNA, CO 54/432. 23 A.M. MONTREATH, Under Secretary to the Government of India, Note on the State of Education in India, 1862, hier zitiert nach PENNYCOOK, Discourses, S. 90. 24 GOVERNMENT OF INDIA, Selections from Educational Records of the Government of India, Vol. II: Development of University Education, 1860–1887, Delhi 1963, S. 202–203, zitiert nach PENNYCOOK, Discourses, S. 91.

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Es begann eine Zeit der restriktiven Anglisierungspolitik, die beide Kolonien gleichermaßen betraf, wenngleich unter verschiedenen Voraussetzungen. Während Ceylon bereits über eine indigene englischsprachige Elite verfügte, die eine Verbreitung der Herrschaftssprache unumkehrbar machte, blieb die englische Sprache in den Malaiischen Staaten zu Anfang fast ausschließlich den wenigen Angehörigen der britischen Bevölkerungsgruppe vorbehalten. Gleichzeitig wurde in dieser Zeit jedoch der Ausbau des Bildungswesens vorangetrieben. Der wirtschaftliche Aufschwung insbesondere in Malaya hatte zur Folge, dass insgesamt mehr Ressourcen zur Verfügung standen. Auch die Entwicklungen des Schulsystems in England, Schottland und Wales, über das nun große Teile der Bevölkerung erreicht wurden, trugen durch ihre Vorbildwirkung zur Ausweitung des Bildungsangebots in den Kolonien bei. Die Bemühungen der Briten konzentrierten sich dabei auf den Primarschulbereich, der fast ausschließlich einheimische Sprachen als Unterrichtsmedium nutzte. Er wurde durch einige wenige höhere Schulen ergänzt.25 Im frühen 20. Jahrhundert begann London schließlich, sich um eine stärkere Zentralisierung und einen größeren Einfluss in Fragen der Sprach- und Bildungspolitik zu bemühen. Auf den drei Imperial Education Conferences von 1911, 1923 und 1927, an denen auch britische Repräsentanten der Beherrschungskolonien teilnahmen, wurden eine Reihe von relevanten Themen diskutiert, wobei in der Sprachenfrage die Befürworter der vernaculars ihre Position behaupten konnten.26 Auch das Board of Education in London begann, sich mit den Verhältnissen in den Kolonien auseinander zu setzen. Gleichzeitig ließ jedoch die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in Ceylon und vor allem in den Malaiischen Staaten die Nachfrage nach englischsprachigen Arbeitskräften beständig steigen und motivierte zunehmend Mitglieder der einheimischen Führungsschicht sowie protestantische und katholische Missionen, ein entsprechendes Angebot bereit zu stellen. Auch ohne eine aktive Anglisierungspolitik von Seiten der Briten verschob allein die Präsenz der Herrscher und die Beibehaltung des Englischen in den von den Briten dominierten Bereichen das gesamte Sprachgefüge in den Kolonien. Der Status der englischen Sprache als Herrschaftssprache schuf eine neue, zunächst auf die Sprachen selbst und in der Folge auf die koloniale Gesellschaft insgesamt bezogene Hierarchie. Bewusste politische Vorgaben, beispielsweise im Hinblick auf das Angebot der Ressource „Herrschaftssprache“, und allgemein das Nachdenken über eine für angemessen befundene native policy im Sprachbereich konnten diesen Prozess verstärken oder auch hemmen, aufhalten konnten sie ihn 25 Universitäten wurden in Ceylon erst 1942 und in den Malaiischen Staaten erst 1962 gegründet, wobei sich die University of Malaya ebenso wie die National University of Singapore auf eine über hundertjährige Geschichte berufen. 1905 war in Singapur zuerst die medizinische Fakultät gegründet worden, und 1929 eröffnete Raffles College. 1949 ging aus beiden Institutionen die University of Malaya hervor, die nach dem Auseinanderbrechen der Föderation zwischen den Malaiischen Staaten und Singapur in zwei voneinander unabhängige Hochschulen zerfiel. 26 Zu den Imperial Education Conferences vgl. TNA, CO Ed 24/263, CO Ed 24/264, CO Ed 24/2126, CO T 161/641.

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nicht. Alle Versuche von britischer Seite, das Ausmaß der Sprachverbreitung zu kontrollieren und aufgrund von vermeintlich schlechten Erfahrungen in Indien und anderen Kolonien die Zahl der Rezipienten zu beschränken, konnten nicht gelingen, nachdem die Strukturen geschaffen waren. Auch wenn die Briten gewillt waren, das Bildungswesen an den lokalen Sprachen auszurichten, ordneten sie ihnen doch keine Funktionen zu, die mit denen der englischen Sprache hätten konkurrieren können. Ein sozialer und beruflicher Aufstieg war nach einer kurzen Zeit, in der sich die Herrschaft der Europäer erst noch etablieren musste, grundsätzlich nur noch mit ausreichend guten Englischkenntnissen denkbar. Während die Entscheidung für das Englische als lingua franca in Ceylon spätestens mit der Umsetzung der Empfehlungen der Colebrook-Cameron-Kommission bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fiel und alle wesentlichen von den Eliten frequentierten öffentlichen Räume von diesem Zeitpunkt an englischsprachig geprägt waren, ließen sich die Kolonialherren in den Malaiischen Staaten bis zur Jahrhundertwende Zeit, Englisch als offizielle Sprache durchzusetzen. Mit der Gründung der Föderation und der damit einhergehenden Zentralisierung verlor Malaiisch für die Kommunikation der Eliten in Perak, Selangor, Negri Sembilan und Pahang zunehmend an Bedeutung. Die wichtigsten Entwicklungen in der britischen Sprachpolitik waren damit angestoßen. Nachdem in beiden Kolonien Englisch als Sprache der Kolonialverwaltung, der höheren Gerichtshöfe, der Exportwirtschaft, der höheren Schulen und damit der Elite feststand, blieb lediglich offen, inwieweit die britische Regierung eine Teilhabe der einheimischen Bevölkerung an dieser Ressource zulassen wollte, in welchem Maße sie diese regulieren konnte, beziehungsweise inwieweit Initiativen aus der Bevölkerung heraus die Teilhabe einforderten. Die Anreize, die für diese Entwicklung entscheidend waren, hatten die Briten mit ihrer den Status des Englischen in den Kolonien betreffenden Politik gesetzt.27 Besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die englische Sprache und die damit einhergehende, zumeist westlich geprägte Bildung Teil eines Integrationsangebots der britischen Kolonialregierung in Ceylon und Südostasien. Dieses Angebot ging in den Kolonien unterschiedlich weit und wurde auch innerhalb einzelner Kolonien für verschiedene mögliche Klientelgruppen unterschiedlich ausgestaltet. Während die Beherrschung der englischen Sprache in Ceylon bereits im 19. Jahrhundert zu einer conditio sine qua non für den sozialen Aufstieg und eine damit häufig verbundene (Teil-)Integration war, spielte das Englische in der Anfangszeit britischer Herrschaft in den Malaiischen Staaten, wie bereits erwähnt, keine vergleichbare Rolle. Gerade aus dieser ersten Zeit sind jedoch aus Perak, Selangor und Negri Sembilan Berichte bekannt, die auf einen westöstlichen Dialog zumindest annähernd auf Augenhöhe schließen lassen, auch wenn immer nur eine sehr kleine Elite an diesen Kontakten beteiligt war.28 Im 20. 27 Vgl. STEINBACH, Sprachpolitk, S. 273–274. 28 Kontakte, die von gegenseitigem Respekt zeugen, werden sowohl von europäischen Besuchern als auch von hochrangigen Verwaltungsbeamten beschrieben. Vgl. u.a. den Reisebericht von Florence CADDY, To Siam and Malaya in the Duke of Sutherland’s Yacht Sans Peur, Singapur 1992 (Orig. 1889), S. 235 und die Darstellung der Freundschaft zwischen

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Jahrhundert wurde dann auch in den Föderierten Malaiischen Staaten die Beherrschung des Englischen zu einer wichtigen Voraussetzung für berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und gesellschaftliche Anerkennung.29 Dieser Prozess trug dazu bei, dass die zuvor aufgrund ihrer besonderen Stellung in der traditionellen Hierarchie bevorzugte malaiische Aristokratie zunehmend Konkurrenz von aufstrebenden Migrantengruppen bekam, vor allem von Chinesen und Tamilen. Zumindest die Verteilung der Schüler und Lehrer in englischsprachigen Schulen sowie die Präsenz der einzelnen Ethnien in der britischen Verwaltung sprechen dafür, dass sich diese Bevölkerungsgruppen in der kolonialen Gesellschaft durchsetzen konnten. Zwar begann die britische Regierung um die Jahrhundertwende damit, durch Bildungsprogramme insbesondere die malaiische Bevölkerung zu fördern, doch der Erfolg dieser Maßnahmen blieb zunächst gering. Selbst die Einrichtung einer Sparte des Civil Service, die untergeordnete Verwaltungsaufgaben wahrnahm und nur Malaien zugänglich war, der sogenannte Malay Administrative Service, führte nicht zu einer wirklichen Integration dieser Beamten.30 Mit der Einführung der „colour bar“ wurde eine klare Grenze gezogen, die es so in Ceylon nicht gab. Zwar gehörte auch hier nur eine winzige Minderheit zum stark eingegrenzten Zirkel der englischsprachigen Elite, aber insgesamt handelte es sich hier um ein umfassenderes Integrationsangebot seitens der Briten. Dazu gehörten die Betonung der gemeinsamen englischsprachigen Schulen, die auch nach der Kontroverse mit dem Board of Education in London beibehalten wurden, das Fehlen einer Zulassungsbeschränkung zum Civil Service und anderen Professionen und schließlich die Existenz einer Mittlergruppe, die sich aus der vorangegangenen Kolonialherrschaft der Portugiesen und der Niederländer ergeben hatte und die eine klare Grenzziehung zwischen der europäischen und der nichteuropäischen Bevölkerung von Anfang an erschwerte. Die kleinen Schritte hin zu einer demokratischeren Regierungsform und einer parlamentarischen Repräsentation der einheimischen Bevölkerung sowie die Wahl von einheimischen Mitgliedern in den Legislativrat sind weitere Anhaltspunkte.31 Ein zusätzlicher Hinweis auf eine weitergehende Integration ist in Ceylon die große Präsenz einheimischer Unternehmer in der Exportwirtschaft.

Frank A. Swettenham und dem Sultan Idris von Perak bei Pat BARR, Taming the Jungle. The men who made British Malaya, London 1977, S. 106–107. 29 So wurde beispielsweise im wichtigsten Gremium der Föderation, dem 1909 gegründeten Legislativrat, Englisch gesprochen. Einen Beitrag zu den Sitzungen konnten nur diejenigen malaiischen Herrscher leisten, die zum einen den Diskussionen folgen konnten und zum anderen ihren Beitrag selbst auf Englisch formulieren konnten. Die Staatsräte, in denen weiterhin Malaiisch gesprochen wurde, verloren hingegen an Einfluss. Vgl. J.M. GULLICK, Rulers and Residents. Influence and Power in the Malay States 1870–1920, Singapur 1992, S. 101. 30 Die Zahl derer, die den Übergang in den traditionellen Malayan Civil Service schafften, blieb über die Jahre äußerst gering. Vgl. Jagjit Singh SIDHU, Administration in the Federated Malay States 1896–1920, Kuala Lumpur 1980, S. 156–159. 31 Vgl. Lakshmi Kiran DANIEL, Privilege and Policy. The Indigenous Elite and the Colonial Education System in Ceylon 1912–1948, unveröffentlichte Dissertation, Oxford 1992 und Chandra Richard DE SILVA, Sri Lanka: A History, New Delhi 1991.

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Alle diese Bereiche und die mit ihnen verbundenen Positionen setzten Kenntnisse der Herrschaftssprache voraus und grenzten damit von vornherein den Kreis derer, die an diesen Angeboten teilhaben konnten, weitgehend auf die gut situierte Mittel- und die Oberschicht ein, die sich zum einen die in englischsprachigen Schulen üblichen Schulgebühren und zum anderen den Verzicht auf die Arbeitskraft ihrer Kinder leisten konnten. Erst als wenige Jahre vor der Unabhängigkeit, im August 1945, in Ceylon ein Gesetz erlassen wurde, nach dem alle Schulgebühren in staatlichen und staatlich unterstützten Schulen abgeschafft wurden, begann sich dies langsam zu ändern. Die Ungerechtigkeit, die sich aus der Ungleichbehandlung der verschiedensprachigen Gruppierungen der Bevölkerung ergeben hatte, sollte mit diesem Gesetz aufgehoben werden. Innerhalb von drei Jahren stieg die Zahl der Schüler in englischsprachigen Schulen in Ceylon um über fünfzig Prozent von 93.278 im Jahr 1944 auf 164.269 im Jahr 1947 an.32 Zwei Jahre vor der Unabhängigkeit im Jahr 1948 erreichte der Anteil jener, die über Leseund Schreibfähigkeiten im Englischen verfügten, in Ceylon sechs bis sieben Prozent.33 Damit hatte sich der Anteil seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als verdoppelt. Wichtiger ist aber der Hinweis H.A. Passés, der anmerkt, dass bis auf einige Priester all jene, die zur gebildeten Elite des Landes gehörten, auf eine englischsprachige Ausbildung zurückblickten.34 In den Föderierten Malaiischen Staaten hingegen hatte sich seit der Jahrhundertwende parallel zur englischsprachig gebildeten Elite, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung nicht zu ermitteln ist,35 auch eine kleine Intelligentsia herausgebildet, deren Kommunikationsmedium sowohl innerhalb der Gruppe als auch im Dialog mit der Öffentlichkeit Malaiisch war. Damit knüpfte sie an die Bedeutung der malaiischen Sprache an, die jene schon im 19. Jahrhundert gegenüber dem Englischen behauptet hatte, und legte die Grundlage für eine Ablösung des Englischen nach der Gründung Malaysias. Im Hinblick auf die administrative Integration sind die Überbleibsel britischer Herrschaft heute noch unübersehbar. Trotz der zeitweiligen Einführung einer „co32 Vgl. DE SILVA, Sri Lanka, S. 212–213. 33 Historiker gehen in Bezug auf den Anteil von englischprachigen Ceylonesen von sechs bis sieben Prozent aus. Vgl. J.E. JAYASURIYA, Education Policies and Progress during British Rule in Ceylon (Sri Lanka) 1796–1948, Colombo 1976, S. 541 und H.A. PASSÉ, The Importance of English in Ceylon, in: University of Ceylon Review VII/1 (1949), S. 162–170, hier S. 166. Mit der Ausbreitung des Englischen ging in Ceylon nach Ansicht vieler Zeitgenossen eine Verschlechterung der Qualität der Sprachkenntnisse einher. Dadurch, dass immer mehr Schüler aus singhalesisch- und tamilischsprachigen Haushalten englischsprachige Schulen besuchten, litt der Unterricht, und das von der einheimischen Elite so hoch geschätzte reine Englisch wurde seltener gehört. Vgl. ebenda S. 167–169. Zu dieser Entwicklung trug auch die Übergabe des Englischunterrichts an einheimische Kräfte bei. „Native Speaker“ wurden nur noch in Ausnahmefällen in England rekrutiert. Vgl. H.A. PASSÉ, The English Language in Ceylon, in: University of Ceylon Review I/2 (1943), S. 50–65, hier S. 61–62. 34 Vgl. PASSÉ, Importance, S. 166–167. 35 Für das Territorium der Föderierten Malaiischen Staaten liegen keine vergleichbaren Zahlen vor. Statistiken über den Besuch englischsprachiger Schulen lassen jedoch vermuten, dass der prozentuale Anteil derer, die über Englischkenntnisse verfügten, nicht wesentlich unter dem in Ceylon lag. Vgl. Philip LOH FOOK SENG, Seeds of Separatism. Educational Policy in Malaya 1874–1940, Kuala Lumpur 1975, S. 51, 106–107.

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lour bar“ und einer allgemein sehr restriktiven Politik bezüglich der Teilhabe von Einheimischen wurde die Struktur der Verwaltung oder, prägnanter formuliert, der Civil Service, nach der Unabhängigkeit Malaysias weitgehend beibehalten. Das wohl prominenteste britische Erbe im heutigen Malaysia ist der hohe Anteil von Malaien in der Verwaltung in einer ansonsten ethnisch gemischten Gesellschaft,36 und auch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernommene Rolle der Beamten als Mittler zwischen der malaiischen Landbevölkerung und einer modernen urbanen Lebensweise war nach der Unabhängigkeit weiterhin von Bedeutung. Vertreter der Administration galten noch lange Zeit nach der Gründung des Nationalstaates vielen als Vorbild in Bezug auf ihren Bildungsweg und die von ihnen verkörperten Ideale und Werte. Erst in späteren Jahren musste sich diese Elite, die auch eine Vielzahl von politischen Ämtern übernahm, neuen Herausforderern mit anderem Bildungshintergrund stellen. Für die anglophon geprägte Elite kann stellvertretend für viele der erste Präsident der United Malays National Organisation (U.M.N.O.), Dato Onn bin Jaafar, genannt werden, der ebenso Absolvent des Malay College, einer Eton nachempfundenen englischsprachigen Eliteschule in Kuala Kangsar, war wie Tun Abdul Razak, der im Jahr 1970 Premierminister wurde.37 Ähnliche Kontinuitäten lassen sich auch für Ceylon nachzeichnen. Bis heute stammen viele Politiker Sri Lankas aus dem Kreis von Familien, aus dem bereits die Briten Beamte für den Civil Service und Mitglieder des Legislativrats rekrutierten. Besonders prominent vertreten ist die Familie Bandaranaike, die bereits während der Kolonialzeit hohe Ämter bekleidete und seit der Unabhängigkeit eine Präsidentin, mehrere Premierminister sowie andere wichtige Politiker in Sri Lanka gestellt hat.38 Die Entwicklung der Administration in Malaysia war die Folge einer Teilintegration malaiischer Beamter in die Kolonialverwaltung. Und auch wenn es sich selbst im liberaleren Ceylon nie um eine vollständige Integration der einzelnen Bevölkerungsgruppen in die Kolonialverwaltung handelte, so wird doch deutlich, dass im administrativen Bereich noch am ehesten von Integration beziehungsweise Teilintegration gesprochen werden kann. Einige positive Ansätze gab es auch im Hinblick auf die politische Integration, insbesondere im Falle Ceylons. Für beide Betätigungsfelder galt, dass die englische Sprache unmittelbar Voraussetzung für eine Teilhabe der einheimischen Bevölkerungsgruppen war. Die Herrschaftssprache war bezogen auf diese Bereiche ohne Zweifel eine wichtige Ressource imperialer Integration. Schwieriger ist es, die Bedeutung der Aneignung des Englischen für die kulturelle und die soziale Dimension von Integration zu 36 Auf der anderen Seite konnte der chinesische Bevölkerungsteil die Vormachtstellung im Wirtschaftsbereich weit über die Unabhängigkeit hinaus behaupten. Vgl. Abdul Rahman EMBONG, Social Transformation, the State and the Middle Classes in Post-Independence Malaysia, in: Ibrahim ZAWAWI (Hrsg.), Cultural Contestations. Mediating Identities in a Changing Malaysian Society, London 1998, S. 83–116, hier S. 94–96. 37 Vgl. Khasnor JOHAN, Educating the Malay Elite: The Malay College Kuala Kangsar, 1905– 1941, Kuala Lumpur 1996, S. 215. Zur „Malaiisierung“ des Civil Service vgl. auch Harold CROUCH, Government and Society in Malaysia, Ithaca 1996, S. 130ff. 38 Vgl. Patrick PEEBLES, Social Change in Nineteenth Century Ceylon, New Delhi 1995, S. 1.

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bestimmen.39 Während die soziale Integration im Kontext der Beherrschungskolonien des Britischen Empire weitgehend ausblieb und weder für Ceylon noch für die Föderierten Malaiischen Staaten ein direkter Zusammenhang mit der Beherrschung des Englischen belegt werden konnte – die englische Sprache war hier immer nur eines von vielen Kriterien –, bleibt zu klären, inwieweit man von einer kulturellen Dimension der Integration in Ceylon oder den Föderierten Malaiischen Staaten sprechen kann. Hatten viele Asiaten dem Erwerb des Englischen zunächst eine instrumentelle Funktion zugeschrieben, so ließ sich die mit diesem Ansatz einhergehende emotionale Distanz zur Zweitsprache oft nicht durchhalten.40 Vielfach ging mit dem Erlernen der Herrschaftssprache nicht nur ein Kennenlernen der Herrschaftskultur einher, sondern auch eine stärkere Identifikation mit westlich geprägten Bildungsinhalten, kulturellen Errungenschaften und ganz allgemein mit einer westlichen Lebensweise. Die englische Sprache spielte bei diesen Aneignungsprozessen eine entscheidende Rolle. Dennoch blieb es auch in Bezug auf die kulturelle Dimension bei einer Teilintegration. Dafür sorgten nicht nur jene Kolonisierten, die sich ganz deutlich von einem solchen Anpassungsprozess distanzierten oder ihn kritisch reflektierten, sondern auch die Vorbehalte der britischen Herrschaftsschicht, die teilweise gerade den am sichtbarsten anglisierten Vertretern der Einheimischen den Respekt verweigerte. Die Tatsache, dass besonders auf dem Feld der Administration Integrationsprozesse beobachtbar sind, könnte dafür sprechen, dass ökonomische Gründe – mit der Einstellung von Einheimischen anstelle von britischen Beamten wurden immer auch Sparmaßnahmen verfolgt – eine größere Rolle für die Haltung der Briten gegenüber Kolonisierten gespielt haben als moralische Überzeugungen. Die Rhetorik der Zivilisierungsmission, die in vielen Stellungnahmen britischer Beamter anklang, war offensichtlich für den Diskurs wichtiger als für die koloniale Praxis.41 Ein Ernstnehmen der kommunizierten Ideen und Ideale hätte bedeutet, auch andere Bereiche – vor allem die soziale Dimension – der Integration zu fördern. Der kontinuierliche Wandel der Sprachpolitik über die Jahrzehnte hinweg – die vielfach vorgenommenen Anpassungen und das Verwerfen von Ideen, die 39 Die Berücksichtigung der administrativen, politischen, kulturellen und sozialen Dimension von Integration umfasst das Feld der Integrationsforschung keinesfalls vollständig. Vernachlässigt wird beispielsweise der Bereich der militärischen, der technischen, der religiösen, der juristischen, vor allem aber der Aspekt der wirtschaftlichen Integration. Die vier ausgewählten Aspekte sind lediglich diejenigen, die von britischen Bildungspolitikern im Hinblick auf die Kolonien am stärksten in den Fokus gerückt wurden. 40 Susan Bayly schreibt in diesem Zusammenhang: „For most Asians, learning English was initially a matter of narrow occupational skill. But the results of such schooling were often unexpected and troubling.“ Susan BAYLY, The Evolution of Colonial Cultures: NineteenthCentury Asia, in: Andrew PORTER (Hrsg.), The Oxford History of the British Empire, Bd. III: The Nineteenth Century, Oxford/New York 1999, S. 447–469, hier S. 459. 41 Vgl. Almut STEINBACH, Sprachpolitik und Zivilisierungsmission im Britischen Empire. Die Verbreitung der englischen Sprache im 19. Jahrhundert in Ceylon und den Protected Malay States, in: Boris BARTH/Jürgen OSTERHAMMEL (Hrsg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005, S. 149–168.

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kurz zuvor noch mit Eifer verfochten worden waren – macht es schwer, einen roten Faden aufzuzeigen, der sich durch die gesamte Entwicklung zieht. Einige Konstanten lassen sich jedoch trotz aller Unwägbarkeiten für beide Kolonien benennen. In den Föderierten Malaiischen Staaten genossen die Herrscher- und Fürstenhäuser über den gesamten Zeitraum britischer Herrschaft hinweg eine Vorzugsbehandlung. Auch für Ceylon lässt sich feststellen, dass einige ausgewählte Gruppen, so zunächst die Burgher und in der Folge auch einige singhalesische und tamilische Kasten, wie die Goyigamas und die Vellalars, bevorzugt wurden. Gleichzeitig wurde eine weitgehende Beibehaltung des Status quo für die Landbevölkerung propagiert. Weit verbreitet war die von vielen Beamten des Civil Service in unterschiedlichen Formulierungen geäußerte Einstellung, die sich im folgenden, auf die Malaiischen Staaten bezogenen Zitat zusammengefasst findet: But the aim of the Government is not to turn out a few well-educated youths, nor a number of less well-educated boys: rather it is to improve the bulk of the people, and to make of the son of the fisherman or the peasant a more intelligent fisherman or peasant than his father had been, and a man whose education will enable him to understand how his own lot in life fits in with the scheme of life around him.42

Auch wenn der Diskurs in Ceylon weniger eindeutig war, zeigte doch die Gestaltung und Umsetzung der Sprachpolitik, dass auch hier weite Teile der Bevölkerung mit ein wenig Bildung „gebessert“, nicht jedoch die Strukturen von Grund auf verändert werden sollten. Zur Politik des Status quo gehörte es insbesondere im Hinblick auf die Malaiischen Staaten auch, dass viele Civil Servants ihre Sympathie für das einfache Leben der Landbevölkerung äußerten und gleichzeitig die Entwurzelung der anglisierten Eliten verurteilten. Ein internes Handbuch des Colonial Service griff die Thematik, die weite Teile des Empire betraf, 1948 noch einmal auf und kündigte gleichzeitig eine Wende an. Der Civil Servant alter Schule, so hieß es, „who liked the primitive people but could not get on with the educated native“,43 habe ausgedient. In Zukunft sollte eine neue Qualität der Gleichwertigkeit und der Integration, nicht nur im administrativen Bereich, sondern auch im sozialen angestrebt werden, und die Forderungen an neue Mitglieder der britischen Administration in den Kolonien lasen sich wie folgt: The European whose prejudices will not allow him to accept the educated classes of colonial communities as social equals, as opposite numbers in negotiation, and even as official superiors may be an admirable person but he should seek another vocation.44

Ob sich diese Forderung noch vor der Unabhängigkeit der Kolonien durchsetzen ließ, müssen weitere Forschungsarbeiten klären. Dass eine solche Haltung während des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts die Ausnahme war, zeigen zahlreiche Dokumente aus dieser Zeit. 42 Report on the Federated Malay States for 1920, S. 13. 43 Internal Handbook 1948, Colonial Office (keine Seitenangabe), hier zitiert nach Anthony KIRK-GREENE, On Crown Service: A History of H.M. Colonial and Overseas Civil Service, 1837–1997, London/New York 1999, S. 99. 44 Vgl. ebenda. Zur Einordnung der britischen Vorurteile gegenüber der gebildeten Schicht der Kolonisierten im internationalen Kontext vgl. Michael W. DOYLE, Empires, Ithaca 1986, S. 386.

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Die Aneignung des Englischen als gemeinsames Kommunikationsmittel in der singhalesischen und der tamilischen Bevölkerungsgruppe in Ceylon ebenso wie in den malaiischen, chinesischen und tamilischen Teilgesellschaften in den Föderierten Malaiischen Staaten führte schließlich dazu, dass nach dem Abzug der Briten ein Vakuum entstand. Bereits im Vorfeld der Unabhängigkeit wurde die Sprache der Kolonialmacht von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Als ein entscheidender Schritt zur politischen Selbständigkeit galt die Ersetzung des Englischen durch eine eigene nationale Sprache. Eine Alternative war aufgrund der vorherrschenden Stellung des Englischen während der zurückliegenden Jahrzehnte jedoch nicht entwickelt worden. Diese Situation trug dazu bei, dass sich aufkommende Konflikte zwischen den Teilgesellschaften in beiden Staaten unter anderem an der Sprachenfrage entzündeten. Die Schlüsselrolle der Sprache für das berufliche und soziale Fortkommen, für die beide Gesellschaften während der britischen Kolonialherrschaft sensibilisiert worden waren, sowie die enge Verbindung von Sprache und Identität führten in Sri Lanka und in Malaysia zu heftigen Auseinandersetzungen um die zukünftige Nationalsprache.45 Wie emotional das Thema Sprache diskutiert wurde, zeigt ein Wortbeitrag des zeitgenössischen Politikers J.R. Jayawardene im Staatsrat Ceylons. Er sagte: Language is one of the most important characteristics of nationality. Without language, a nation stands a chance of being absorbed or losing its identity. With language it has a chance of living for centuries.46

Obgleich beide Staaten aufgrund ihrer heterogenen Bevölkerungen über eine große sprachliche Vielfalt verfügten und mit dieser Situation ähnliche Probleme bei der Suche nach einer Nationalsprache verbunden waren, gab es auch deutliche Unterschiede zwischen den Kolonien. Auf dem Gebiet der Föderierten Malaiischen Staaten dominierten die Malaien trotz ihres – im Vergleich mit den Singhalesen in Ceylon – niedrigen Anteils an der Gesamtbevölkerung das kulturelle und, gefördert durch die pro-malaiische Politik der Briten, das administrative und das politische Leben. Chinesen und Tamilen sowie alle anderen kleineren Gruppen galten noch immer als Migranten, die sich mit der vorgefundenen Situation arrangieren mussten. Die Singhalesen konnten hingegen trotz ihrer zahlenmäßigen Übermacht aufgrund der seit langer Zeit in Ceylon ansässigen tamilischen Min45 Zur Entwicklung der Sprachenfrage im Vorfeld und nach der Unabhängigkeit Sri Lankas vgl. auch JAYASURIYA, Education, S. 542 und DANIEL, Privilege and Policy, S. 253ff. In einigen Fällen sprachen sich vor allem Vertreter der Minderheiten für die Beibehaltung des Englischen neben den lokalen Sprachen aus. Dabei bedienten sie sich auch des Arguments, dass Englisch als Weltsprache Kommunikation über den nationalen Raum hinaus erst ermöglichte. G.G. Ponnambalam sprach zu diesem Thema im Staatsrat: „English is a world language, accepted by other linguistic communities outside Ceylon, and its use as lingua franca between the different linguistic communities makes it virtually indispensable.“ Ceylon Hansard (State Council), 24. Mai 1944, S. 766, hier zitiert nach DANIEL, Privilege, S. 249. Die vormaligen Aufforderungen tamilischer Vertreter an die singhalesische Bevölkerung, ihre eigene Sprache zu pflegen, gehörten einer Vergangenheit an, in der es darum gegangen war, sich gemeinsam gegen die Allmacht des Englischen zu wehren. 46 Ceylon Hansard (State Council), 24. Mai 1944, S. 748, hier zitiert nach DANIEL, Privilege, S. 252.

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derheit und deren gefestigter Position nie mit der gleichen Selbstverständlichkeit bei der Durchsetzung ihrer Kultur vorgehen. Diese unterschiedliche Ausgangssituation hatte insbesondere nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien entscheidende Konsequenzen. Nach einer kurzen Phase des Kompromisses und der Duldung von mehreren Sprachen nebeneinander47 wurde in Malaysia die „Malaiisierung“, also die Umstellung des Bildungssystems, vor allem auch der höheren Bildung,48 sowie die Umstellung von Verwaltung und Justiz auf den Gebrauch des Malaiischen, durchgesetzt. Zwar führten diese Maßnahmen zu großen Unruhen zwischen den einzelnen Teilgesellschaften, sie wurden jedoch – auch auf Kosten des Englischen, das zumindest unter Malaien eine Generation lang nur noch eine untergeordnete Rolle spielte – von der Regierung mit aller Entschiedenheit verfolgt.49 Dieser nur mit wenigen anderen Ausnahmefällen, wie beispielsweise der Durchsetzung von Swahili in Tansania, vergleichbare Prozess wurde bewusst gefördert, um auch im linguistischen Bereich die Dekolonisierung zu verwirklichen und die traditionelle Vorherrschaft des malaiischen Bevölkerungsteils zu verdeutlichen. Erst viele Jahre später begann man, sich erneut auf die englische Sprache und das koloniale Erbe zu besinnen. Dieses Mal geschah solches jedoch unter anderen Vorzeichen: Englisch, inzwischen uneinholbar zur Weltsprache avanciert, konnte nun wieder als ein neutrales Medium betrachtet werden, und die Vorteile, die mit seiner Aneignung verbunden waren, lagen auf der Hand. Eine politische Initiative erreichte im Jahr 2002 die Einführung des bilingualen Unterrichts und setzte damit den Rückgriff auf das Englische als Unterrichtssprache in den Naturwissenschaften durch. Dieser Schritt, mit dem die 47 Englisch sollte für zehn Jahre dem Malaiischen gleichgestellt bleiben. Vgl. Marc FREY, Drei Wege zur Unabhängigkeit. Die Dekolonisierung in Indochina, Indonesien und Malaya nach 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50 (2002), S. 399–433, hier S. 428. 48 Nachdem bis 1969 nur eine Universität existierte, führten zahlreiche vor allem malaiischsprachige Neugründungen in staatlicher und privater Trägerschaft dazu, dass sich die Zahl der Universitätsabsolventen vervielfachte. Vgl. EMBONG, Social Transformation, S. 93, 99, 105. Auch Sri Lanka unternahm Anstrengungen, den Bereich der höheren Bildung auszubauen. Neben der in den 1940er Jahren gegründeten ersten Universität existieren heute acht weitere. Darüber hinaus verzeichnet Sri Lanka eine der höchsten Alphabetisierungsraten verglichen mit anderen Entwicklungsländern. Nach den Ergebnissen des Zensus von 1981 konnten 87 Prozent der Inselbewohner Singhalesisch oder Tamilisch lesen und schreiben. Vgl. Brahm PRAKASH, Profile of School Education in Sri Lanka, in: Perspectives in Education 8/1 (1992), S. 33–44, hier S. 33. 49 Die Sprachenfrage und die Durchsetzung des Malaiischen erwiesen sich als so sensibel, dass ein Gesetz von 1971 jegliche Diskussionen über die Nationalspache verbot (vgl. J.K.P WATSON, Cultural Pluralism, Nation-Building and Educational Policies in Peninsular Malaysia, in: Chris KENNEDY (Hrsg.), Language Planning and Language Education, London 1984, S. 132–150, hier S. 141). Sogar die Möglichkeiten eines privat finanzierten Studiums im Ausland, zu dem angesichts der Vorherrschaft des Malaiischen in der tertiären Bildung immer mehr indisch- und chinesischstämmige Malaysier tendierten, sollten eingeschränkt werden. Dies führte zu neuen Migrationsprozessen, deren Zielländer vor allem Kanada, Australien und Neuseeland waren. Vgl. William CASE, Malaysia. Aspects and Audiences of Legitimacy, in: Muthiah ALAGAPPA (Hrsg.), Political Legitimacy in Southeast Asia. The Quest for Moral Authority, Stanford 1995, S. 69–107, hier S. 74.

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Wettbewerbsfähigkeit Malaysias auf dem Weltmarkt gestärkt werden sollte, wurde in der Presse breit und sehr kontrovers diskutiert.50 Dass diese Entwicklungen auch im 20. Jahrhundert noch im Sinne der britischen Regierung waren, zeigt die schnelle Reaktion des British Council, der sofort seine Hilfe bei der Umsetzung des Programms zusagte.51 In Indien hatte dieser Prozess der Neubewertung der ehemaligen Kolonialsprache weniger Zeit in Anspruch genommen. Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber insbesondere nach der Unabhängigkeit, hatten sich auf dem Subkontinent viele die Haltung zu eigen gemacht, dass der Gebrauch des Englischen dann sinnvoll sei, wenn er auf bestimmte Bereiche begrenzt bliebe und die englische Sprache gleichsam als ein „Modul“ betrachtet werden könne, das beispielsweise der Kommunikation in diplomatischen Beziehungen, in der Wissenschaft etc. diene.52 Nur in Ausnahmefällen wurde der Erwerb der Herrschaftssprache im Nachhinein so positiv beschrieben wie von Aruna Asaf Ali, einer ehemaligen Kämpferin für die indische Unabhängigkeit. Zareer Masani zitiert sie in seinem Buch Indian Tales of the Raj: British education emancipated our leaders. We were brought into direct contact with modern, twentieth-century developments; and that was a tremendous thing. The English language itself helped us to read and think beyond our four corners.53

Insgesamt überwog in Indien ähnlich wie in anderen ehemaligen Kolonien ein zwiespältiges Verhältnis zur ehemaligen Herrschaftssprache. Die Verunsicherung durch das Nebeneinander mehrerer Sprachen blieb trotz des von einigen Kolonien gewählten pragmatischen Umgangs mit der Ressource Englisch auch nach der Unabhängigkeit vielfach bestehen. Die ehemalige Kolonialsprache wurde mit Fremdherrschaft assoziiert. Insbesondere Schriftsteller und Literaturwissenschaftler haben sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt und das Problem der Entwurzelung beschrieben.54 In Ceylon stellte sich die Situation anders dar. Das Erstarken des singhalesischen Nationalismus, die von singhalesischer Seite vor und nach der Unabhängigkeit eingebrachten Gesetze zur Sprachenfrage und die Forderungen der Tamilen nach Gleichbehandlung des Tamilischen trugen zur Zunahme der Spannungen und letztlich zum Ausbruch des Bürgerkrieges bei. Die englische Sprache behielt ähnlich wie in Indien eine starke Position, wenngleich sie nicht zur offiziellen 50 Vgl. die Artikel: Veteran teachers applaud Government’s English move, in: The New Straits Times, 6. Januar 2003; A case of ‘marry in haste’, in: The New Straits Times, 26. Februar 2003; Home is in Johor Baru, school is in Singapore, in: The Straits Times, 29. März 2003. 51 Vgl. British help for new focus on English, in: Malaysian News Bulletin 4/9 (September 9, 2002). 52 Vgl. N. KRISHNASWAMY/Archana S. BURDE, The Politics of Indians’ English Linguistic Colonialism and the Expanding English Empire, New Delhi 1998, S. 110. 53 Zareer MASANI, Indian Tales of the Raj, London 1987, S. 159. 54 Vgl. dazu den Kommentar Edward Saids in der Einleitung des in Anm. 53 genannten Buches. Weitere Beispiele finden sich u.a. bei Jamaica KINCAID, A Small Place, New York 1997, S. 31 und in dem von Ania LOOMBA und Martin ORKIN herausgegebenen Band Postcolonial Shakespeares, London/New York 1998.

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Sprache erklärt wurde. Ihr lässt sich jedoch gleichzeitig – weit über die Unabhängigkeit hinaus – eine desintegrierende Wirkung zuschreiben. Sie spaltete die Bevölkerung wie schon in der Zeit britischer Herrschaft in zwei Teile: in einen, der über sämtliche beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten verfügte und eine große gesellschaftliche Anerkennung genoss, und in einen zweiten, der von Aufstiegschancen weitgehend ausgeschlossen blieb.55 Damit fügte die ehemalige Herrschaftssprache den auf ethnischen Kriterien beruhenden Trennlinien eine weitere hinzu. Noch 1992 stellte eine Untersuchung des Schulsystems in Sri Lanka fest: English language seems to be the axis along which the education system in the island can be seen to be a dualistic one – those proficient in English and those who are not. This has far reaching implications and points out the urgent need to re-examine the educational policy from this angle.56

Für die neuen Nationalstaaten Sri Lanka und Malaysia blieb die Sprachenfrage letztlich ungeklärt, eine Lösung wie die in den 1960er Jahren eingeführte three language formula in Indien wurde nicht gefunden.57

55 Vgl. STEINBACH, Sprachpolitik, S. 282. 56 PRAKASH, Profile of School Education, S. 42–43. 57 Zur three language formula vgl. CHRYSTAL, English, S. 43. Dieser Kompromiss hat jedoch nicht dazu geführt, dass weite Teile der indischen Bevölkerung tatsächlich dreisprachig sind. Über Englischkenntnisse verfügen heute in Südasien insgesamt etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerung. Vgl. FENNELL, History of English, S. 248.

Civilization: Linguistic and Cultural Construct or Product of Power? The Case of the Soviet Union Dmitry Shlapentokh, South Bend/Indiana The assumption that national, social and even racial identity are ‘constructs’ and depend on the nature of the ideological framework or ‘discourse’ is quite popular in modern Western thought; at least, this has been the case for the last several decades. For this reason, social scientists often engage in the study of this or that ideological construction in an attempt to understand the nature of social phenomena. Still, the role of ideology, or discourse, often conceals the binding force of power; and changes in the deployment of power easily explain modifications in the ideological construction. The case of Soviet identity, as constructed by the proponents of Eurasianism, including Eurasianism-inspired linguists, is a good example. In certain ways, the story of the emergence and collapse of Soviet identity is connected with the doctrine of Eurasianism in its various manifestations. Linguistic theories formed in the context of this doctrine were part of the general process.

I. THE TSARIST REGIME AND THE IMPORTANCE OF RAW POWER IN IDEOLOGY Clearly, the tsarist regime was aware of the importance of ideology for maintaining the stability of the empire. This is the reason why the regime emphasized the importance of the Orthodox Church as spiritual fodder for the majority of the empire’s population, the Russian peasants. The regime’s ideologists also elaborated on what they regarded as the natural ties between “children,” i.e., the Orthodox subjects, mostly peasants, and their ‘natural’ “little father,” the tsar. Still, even in dealing with the peasants, the regime never discarded the notion of force as an essential aspect of ruling even over Orthodox Russian rural populations. ‘Children’ needed not just the admonition of priests, but also the whip. The fear of punishment was essential even for those peasants and other Russian folk who were bound to the tsar by allegedly natural bonds. The role of force was emphasized even more in dealing with non-Slavic and non-Orthodox subjects of the empire. From rebellious Catholic Poles to the numerous non-Russian minorities of the empire, the use of force was seen as essential for their administration. In 1897, the Russian professors of the University of Warsaw, in a collective letter to the authorities, expressed their admiration of General Mikhail Murav’ev, who received

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the nickname “The Hangman” and “had earned his nickname by brutally suppressing the Poles.”1 Indeed, Pyotr Stolypin, prime minister during the last years of Imperial Russia, said that “the strong power of the state was needed not only to curb the revolutionary upheaval but to maintain the unity of the Russian state.”2 The idea that only force could maintain the unity of the empire was shared not just by imperial bureaucrats but by a considerable segment of the Russian educational elite as well. The importance of force as a way of keeping at least some minorities from seceding from the empire could be seen not just on an ideological level, but also on the level of practical policy. After the 1905–1907 Revolution, when the danger of social unrest and a general breakdown of order had subsided, the ethnic minorities emerged as one of the major threats, if not the major threat, for the regime. Repression on a grand scale was seen as the most viable solution. According to Stephen Frank, in the post-revolutionary period “[t]he shrinking Russian proportion among felony convicts is almost entirely attributable to increased repression against ethnic, national, and religious minorities within the multinational empire. When the Ministry of Justice began to include data for the Warsaw judicial circuit (which included all of tsarist Poland) in its annual compilations on crime, the number of Poles convicted suddenly exploded, reaching sixteen percent of the empire’s total convicts by 1894 and falling only slightly thereafter.”3 The importance of force does not mean, however, that the regime was not sustained by ideology. Throughout the modern era Russian imperial authorities tried to spread Orthodoxy and to russify the non-Russian population. Still, even in proclamations about the importance of the Orthodox Church and Russian culture for the unity of the empire, the authorities stressed the importance of power and stated quite openly that, without the use of force, both the spread of Orthodoxy and of the Russian language would be reversed and the empire would eventually fall apart. The use of force and the power of the tsar were seen as the most essential means to preserve the imperial system. This was especially the case with Russian conservative ideologists, who often saw force as the very foundation of the empire. Nothing else, neither the spiritual attraction of Orthodox belief nor the splendour of Russian culture, could form a viable alternative to it. They could reinforce force, but not replace it. For this very reason, the imperial authorities among whom the conservative ideology flourished, stated that the revolutionaries who attacked the tsarist regime actually attacked Russia as a state, and that their victory would lead to the state’s dissolution. The views of Peter Nikolaevich Durnovo are a good example. Durnovo occupied an important position in the imperial bureaucracy: He was head of the police

1 2 3

Brian PORTER, When Nationalism Began to Hate: Imagining Modern Politics in NineteenthCentury Poland, New York 2000, p. 80. Dmitry SHLAPENTOKH, Reassessment of the Relationship: Polish History and the Polish Question in the Imperial Duma, in: East European Quarterly 33/1 (March 1999), p. 115–135, here p. 121. Stephen FRANK, Crime, Cultural Conflict and Justice in Rural Russia, 1856–1914, Berkeley 1999, p. 65–66.

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department from 1884 to 1893, a period during which the first signs of discontent began to appear and which was marked by a wave of anti-Jewish pogroms as well as the first serious worker strikes. Moreover, he was Minister of the Interior at the time of the Russian Revolution of 1905. Under these circumstances, Durnovo fully realized the fragility of imperial Russia and claimed that, without sufficient use of force, both the regime and the country would collapse. For this reason, he was strongly opposed to Russia’s participation in World War I which, in his view, would weaken the ability of the monarchy to control the population. In February 1914 Durnovo wrote a memorandum to Tsar Nicholas II, giving a remarkably accurate forecast of the revolutionary consequences if Russia went to war against Germany and predicting that the war would lead to the collapse of the regime and the country.4 It was not the tsarist regime, however, but the Bolsheviks who actually created the ideology that emphasized the cultural and ideological dimensions of the unity of the peoples of the USSR. By doing so, they created the conditions for the future rise of similar ideological constructions among émigrés, including the proponents of Eurasianism.

II. THE EMPIRE AS DISCOURSE: THE BOLSHEVIK CASE At first glance, the assumption that the Bolsheviks emphasized the ideological and cultural unity of Soviet Russia might seem preposterous in the light of the birth of the regime and its later development. Indeed, the Bolsheviks came to power after a brutal civil war and the Reign of Terror. Starting in late August 1918, the Reign of Terror institutionalized the oppressive system that remained the foundation of the regime to its end. Moreover, while the Bolsheviks enjoyed the support of a considerable segment of the Russian workers at the beginning of their rule, this support quickly eroded. Still, despite the heavy reliance on terror and repression, Bolshevik ideologists were much less prone to elaborate on the importance of force, or the power of dictatorship, than the ideologists of the tsarist regime. In fact the Bolsheviks, and Lenin above all, asserted that the dictatorship of the proletariat actually constituted the real democracy, as it relied on the support of the workers and peasants, in other words: the vast majority of the population. And terror, in this view, struck merely at minorities: capitalists, landlords and a few labourers who had been seduced to betray their class brethren. As a matter of fact, Soviet ideologists never repudiated the major ideas of Lenin’s State and Revolution, in which he emphasized that the Soviet regime, while enjoying the support of the majority, was much less oppressive than any regime of the bourgeoisie. The harmonious relationship between the Bolshevik elite and the masses was trans-

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Alan WOOD, Origins of the Russian Revolution, 1861–1917, London/New York 2007, p. 82.

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lated into similarly harmonious relationships between the various ethnic groups of the USSR. Moreover, early Bolshevik doctrine implied that Russia’s labourers were part of a global community. Viewed in this context, the Russian revolution was just the beginning of a worldwide process. Following Marx’ dictum “Proletarians of all countries unite!” this approach implied that the proletariat, which encompassed labouring people of various ethnic and racial backgrounds, had much more in common with each other than with the former elites of the respective countries. Nationalism in its ‘bourgeois’ form was seen as the mortal enemy of the revolutionary movement, and the derogation of ‘bourgeois’ nationalism remained one of the favourite subjects of Soviet historiography to the very end of the regime.5 While in the early years of the regime Soviet ideologists regarded nationalism as a force that prevented the proletariat from joining hands in a global revolutionary upheaval, the situation was more complicated in later years, when the Soviet authorities distinguished between “progressive” and “reactionary” forms of nationalism. “Progressive” patriotism now emphasized the unity of the people of the USSR and their ultimate loyalty to their common fatherland. At the same time, “bourgeois nationalism,” especially that of minorities who voiced hostility towards Russians, was clearly seen as a reactionary phenomenon. An example of this “reactionary” nationalism was that entertained by Ukrainian émigrés.6 Still, in the beginning of the regime, all forms of nationalism were repudiated and “proletarian internationalism” was a crucial element in the plans for world revolution. This dream of worldwide revolution was translated into a linguistic theory by the academician Nikolai Marr. This theory is quite important for understanding the emergence of Eurasianism. Marr conceptualized the linguistic and political milieu from which Eurasianism would emerge and to which it would be intellectually connected. Indeed Nikolai Marr, the official linguist of the early Soviet era, rejected the connection between languages and ethnic groups and the assumption that the Indo-European language constitutes a separate linguistic category that is attached to certain ethnically or racially homogenous groups. In Marr’s view, languages were related not so much to ethnicity or particular peoples, but to socio-economic stages of development. Consequently, they could eas-

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See, for example, M. DZHUNUSOV/Viktor Pavlovich SHERSTOBITOV, Burzhuaznyi natsionalizm: printsipy kritiki, Moscow 1986; Iurii Ivanovych RYMARENKO, Burzhuaznyi natsionalizm ta ioho “teoriia” natsiia, Kiev 1974; N.I. KHMARA, Burzhuaznyi natsionalizm i militarism, Moscow 1986. See M.I. HORIELOV/I.E. KAMINS’KYI, Ekstremisty: ukraïns’kyi burzhuaznyi natsionalizm na posluhakh imperialistychnoï reaktsiiu, Lviv 1987; V. CHEREDNYCHENKO, Anatomiia predatel’stva: ukrainskii burzhuaznyi natsionalizm – orudie antisovetskoi politiki imperializma, Kiev 1983; V. CHEREDNYCHENKO, Kontrrevoliutsiia na eksport: ukrainskii burzhuaznyi natsionalizm v arsenale sovremennogo antikommunizma, Kiev 1985; V. CHEREDNYCHENKO, Ukraïns’kyi burzhuaznyi natsionalizm: zahostrennia ideino-orhanizatsiinoï kryzy, krakh antyradians’kykh pidstupiv, Kiev 1986; Iurii Ivanovych RYMARENKO, Ukraïns’kyi burzhuaznyi natsionalizm-voroh internatsional’noho ednannia trudiashchykh, Kiev 1970.

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ily be blended and reshaped according to the social and political momentum. As a matter of fact, he made a case for the creation of one language that would reign supreme after worldwide revolution, which in turn would unite the people of the earth in one happy socialist family.7 Marr’s theory was especially pertinent at the beginning of the Soviet regime, when the Soviet leaders actually believed that worldwide socialist revolution was at hand. Still, as time progressed, Soviet leaders began to realize that worldwide revolution might occur only in a distant future and that they should therefore concentrate on solidifying their position inside the Soviet Union. The linguistic and cultural theories had to be adjusted accordingly.

III. FROM WORLD REVOLUTION TO SOVIET STATE At the beginning of the regime, the Bolsheviks insisted that the Soviet labourers were just the vanguard of worldwide revolution; it was this goal that tied them together. Later, after the end of the civil war in the 1920s, they proclaimed that the capitalist world had reached what they called “temporary stabilization.” The notion of worldwide revolution did not disappear, but as time progressed more and more emphasis was placed on the unity of the people of the USSR while their connection with the workers of the world was increasingly marginalized. Soviet ideologists underlined that, after Stalin’s “revolution from above” in 1929, the Soviet people did not have any more exploiters in their midst. While the social bonds among the Soviet people – their belonging to the benign, non-exploitative groups of workers, peasants and the intelligentsia – remained important in Soviet ideology, other arguments became relevant as well, especially by the 1930s. It was increasingly emphasized that the Soviet people had forged their unity from common historical and cultural roots and from their long history of living together. The notion of a ‘Soviet people’ was now traced back to distant historical periods well before the recent revolutionary transformation that bound the labouring people of the USSR together by a common social position and an overriding common goal. In this new arrangement, the social bond between the labourers as the basis of cultural and historical unity was marginalized while common geopolitical space and a long tradition of living together became most important. In this context, even the Russian empire was recast. Instead of being seen as an oppres-

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On Marr, see Vladislava REZNIK, Succession or Subversion: Professional Strategies of Soviet Cultural Revolution. The Case of Nikolai Marr, in: Slavonica 13/2 (2007), p. 150–167; Ekaterina VELMEZOVA, La linguistique sovietique à l’epoque Stalinienne: la semantique marriste, in: Revue des Etudes Slaves 76/4 (2005), p. 559–564; Ekaterina VELMEZOVA, Les lois du sens: La sémantique marriste, Berne et al. 2007; Patrick SERIOT (ed.), Un paradigme perdu: La linguistique marriste, Lausanne 2005.

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sive prison of the people, it reemerged as a political framework for peoples who naturally gravitated towards each other. This notion of a unified Soviet people did not disappear in the late 1930s with the rise of Russian nationalism, which was quite different from the German nationalism of the Nazi era, all similarities notwithstanding. The major difference was that the Russian nationalism of Stalin’s era did not have the biological rigidity of Nazi doctrine. Whereas Nazi ideologists saw Germans as part of an extended ‘Aryan’ family that was defined in essentially biological terms, in the Stalinist version of Russian nationalism the definition of Russianness in biological and racial terms was not particularly emphasized. The focus was not on biological unity but on the state, and Russianness was dissolved, to a certain extent, in Sovietness. The implication was that Russians could well accommodate non-Russian minorities in their midst. This idea of a social and cultural fusion of ethnic Russians with minorities can be found in the works of many Soviet intellectuals of that time, including Marr. To be sure, Marr’s pronouncements about Russians and other people of the USSR evolving from various ancestral groups were part of the ideological mainstream. Stalin himself hinted at this when he stated that all European nations had emerged as a result of a mixture of various ethnic groups.8 While Marr and like-minded intellectuals argued that the languages and cultures of all people were to some extent related and that their perceived differences were deceptive, they increasingly ran counter to the political and intellectual trends that emphasized the geographical limits of cultural and ethnic interactions. This school of thought argued that a particular people is not merely a cultural and ethnic entity, but is also united by living in a specific common territory. In this interpretation, the minorities of the Russian state, or respectively the USSR, are not related indifferently, but more specifically to each other and to ethnic Russians. In this case, ethnic Russians were not thought of as a ‘pure’ ethnic group, and the vagueness of the notion of Russianness is underscored by the inclusion of russified minorities in their midst. Russians and the other ethnic groups of the USSR were thus blended into the category of ‘Soviet people’, a quasi-nation with deep historical roots. This implied that Soviet students studied the history of the USSR but not of Russia, even if they dealt with subjects of the distant past. This peculiar aspect of Soviet ideology and construction of the Soviet identity was in some way obscured – at least for external observers – by the prevalence of Marxism-Leninism, and, from the 1930s to the 1950s, Stalinism as the USSR’s only official ideology. At the same time, émigré thought elaborated on this new Soviet identity without appealing to Marxism, Leninism or Stalinism. Eurasianism is one of the most interesting doctrines from this perspective.

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M.M. GUKHMAN, Kritika vzgliadov N. Ia. Marra po voprosam rodstva iazykov, in: Protiv vul’garizatsii i izvrashcheniia marksizma v iazykozhanii, 2 vols., Moscow 1952, vol. 2, p. 303.

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IV. THE SOVIET PEOPLE AS A EURASIAN NATION Eurasianism was launched in the 1920s by a group of émigrés who published a manifesto entitled Turn to the East. The movement grew in size until 1929, when it split between a more moderate and a leftist faction. After 1929, it experienced continuous decline, and by the beginning of World War II it had disappeared as a cohesive political or, to be more precise, quasi-political group. In the course of its development, the ideologists of the movement formulated their own idiosyncratic visions of Eurasianism. Still, all of the manifestations of Eurasianism have common features. Eurasianists believe that Russians belong neither to the West – the position of nineteenth-century Westernizers – nor are they part of the Slavic world – the position of Slavophiles. Instead, Eurasianists hold that Russians and Russia constitute a civilization in its own right, one that is made up of Orthodox Russians and Muslims of mostly Turk origin. Other ethnic groups are also included in the Eurasian mix, which provides for the unique character of the Eurasian civilization. While sharply differing from Europe, Eurasia cannot be reduced to an Asian civilization. Still, Eurasianists believe that Russians/Eurasians are closer to Asians than to Europeans.9 How did this Eurasian culture emerge? While some Eurasianists pointed to the great empires that unified the Eurasian people in the past and laid the foundation for Eurasian culture, the emphasis was on natural ties, not conquest. Pyotr Savitsky, an economist and one of the organizers of the Eurasianist Party,10 pointed out that Eurasian people ought to be united because of the specifics of Eurasian geography. He stated that the economy could not exist without a division of labour and trade. At the same time, Eurasian nations could not trade with the non-Eurasian world because the former were situated too far away from the sea. The delivery of goods to the seaports would be too costly and generally not feasible. Thus, Eurasian people had no choice but to engage in trade with each other. Moreover, it was claimed that they had engaged in mutual commercial and cultural relationships almost from the beginnings of history. This had led to the integration of the Eurasian people in one common cultural and linguistic body. The mutual integration could easily be seen, in the view of Eurasian linguists and students of culture, in the mutual influences between Eurasian languages. In Savitsky’s view, this cultural and linguistic fusion of the various people of Eurasia could be seen as early as the end of classical antiquity, with the rise of the great

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Andrzej WALICKI, A History of Russian Thought from the Enlightenment to Marxism, Stanford 1979; Nicholas RIASANOVSKY, Russia and the West in the Teaching of the Slavophiles: A Study of Romantic Ideology, Cambridge (Mass.) 1952. 10 The “Eurasian Party” was launched by proponents of Eurasianism in the mid-1920s and subsequently split between conservative and leftist wings. The conservatives were able to convene a party congress in the early 1930s, but the party experienced a new split in the late 1930s and soon disappeared.

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nomadic empire of the Huns.11 While for Savitsky linguistics was hardly the focus of his interests, this was not the case with the other Eurasianists. Indeed, these specific linguistic ideas can be traced in the work of Nikolai Trubetskoy and Roman Jakobson, who are usually regarded as two of the founders of modern linguistics by Western scholars. While the paradigm of the unity of the Eurasian people played a role in the development of Eurasianist thinking, there was another source as well: European linguistics, with Ferdinand de Saussure as one of its most important representatives. The main idea was that language could actually be divided into two major layers. One represented the spoken language and the other the unspoken, paradigmatic matrix of the language. The latter represented a sort of linguistic subconsciousness. It was invisible, at least at first glance, but it represented the very essence of the language. Approaching the languages of the USSR, Trubetskoy and Jakobson found that the deep-seated matrix of Eurasian languages revealed a common pattern.

V. EURASIAN LINGUISTICS: LANGUAGE AS THE GLUE OF EURASIAN PEOPLE Roman Jakobson (1896–1982) was a Russian Jew who emigrated to the West following the Bolshevik Revolution. He matured intellectually in Prague, one of the social and intellectual centers of the Russian émigré community that was also one of the major centers of Eurasianism. The Prague Linguistic Circle, which had its first meeting in 1926,12 can be seen as the hotbed of Eurasian linguistics. Here, Jakobson fell under the spell of N.S. Trubetskoy, one of Eurasianism’s founders and a prominent linguist who will be discussed below. Jakobson later emigrated to the United States, where he became a leading figure of American linguistics at Harvard and MIT. In order to understand Jakobson’s views and those of other Eurasianist linguists, one should compare them with those of the academician Marr, the leading linguist in the early Soviet era. Elaborating on his notion of the origins and development of languages, Marr dismissed the notion of a linguistic family. The idea of a proto-language that could be assigned to a particular ethnic group was, for him, absolutely unacceptable. The stress was on the similarities, the interdependence and the common roots of practically all languages. Eurasianists like Jakobson did

11 Pyotr N. SAVITSKY, Opoveshchenie ob otkrytii (Evraziia v lingvisticheskikh priznakakh), in: Evraziaii v svete iazykoznaniia, Izdanie Evraziitsev 1931, p. 4. 12 Roman JAKOBSON, The Twentieth Century in European and American Linguistics: Movements and Continuity, in: Roman JAKOBSON, Selected Writings, 7 vols., The Hague 1962– 1985, vol. 7, p. 266.

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not go so far.13 Instead, Jakobson stated that the Slavic people had one common proto-language that was related to their common ethnicity. Moreover, he rejected Ferdinand de Saussure’s notion that languages develop independently from culture and society.14 He acknowledged that a common Slavic cultural and linguistic civilization had existed until approximately the tenth to twelfth centuries. However, this common culture and language had not held for a long time and began to fall apart.15 By that time, the Eastern Slavs and their languages became increasingly influenced by the ‘Turanian’ culture and language. In fact, the ‘spiritual worlds’ of Russians and ‘Turanians’ had a lot in common.16 It was the cultural and linguistic influence of the nearby Turanians, Jakobson implied, that mattered more to the development of the Russian language and culture than the original ties with the ‘proto-Slavic’ culture common to Russians and other Slavs. Therefore linguists and students of culture were to pay more attention to the interaction between Russian and Turk terms than to Russian relations with Western Slavs, which were thought to be more sporadic. This Eurasian nature of the Russian language and culture separated Russians not just from Western Slavs but also from European culture in general. For example, some aspects of the Russian language could be well understood by the Eurasian neighbours of the Russians, but not by Europeans, despite the fact that Russians and Europeans belonged to the same Indo-European language family.17 Implicitly, Jakobson shared Trubetskoy’s view of European civilization as being completely different from the civilizations of Russia/Eurasia.18 The same methodology was applied to the study of non-Slavic peoples within the Eurasian space. The influence of their geographic Eurasian neighbours was deemed stronger than the influence of languages that belonged to the same linguistic family. The languages of the Eurasian space were thought to be part of a specific ‘cultural circle’; they were regarded as strongly interconnected by the

13 The relationship between Marr and the Eurasianists was complicated. Some of them either ignored Marr’s theory or regarded it as having no scholarly value, even claiming that Marr was a candidate not for the leadership of the global community of linguists but for the asylum of the insane. Others seemed to take his views more seriously. This was, for example, the case with Georgy Vernadsky, the leading Eurasianist historian in emigration and the son of a famous Soviet academician, Vladimir Vernadsky, the first president of the Ukrainian Academy of Sciences and the propagator of the idea of humanity as a geological, and even cosmic, force. Georgy Vernadsky had engaged in extensive correspondence with Marr. The correspondence is located in the Vernadsky Collection in the Bakhmetev Archives at Columbia University. 14 R.A. BUDAGOV, Portrety iazykovedov, XIX–XX vv. Iz istorii lingvisticheskikh uchenii, Moscow 1988, p. 271. 15 Roman JAKOBSON, K kharakteristike evraziiskogo iazykovogo soiuza, in: JAKOBSON, Selected Writings, vol. 1, p. 185. 16 Ibid., p. 145. 17 Ibid., p. 160. 18 Po povody knigi N. S. Trubetskogo, ‘Evropa i chelovechestvo,’ in: JAKOBSON, Selected Writings, vol. 7, p. 305–314.

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time of Kievan Rus, and even more so afterwards. This implied the existence of a Eurasian language union, embracing the people living in the Eurasian space, a geographic area that roughly coincided with the borders of the Russian Empire or, respectively, the USSR. While Jakobson was affiliated with Eurasianism in a rather informal way, Trubetskoy was one of the movement’s founders. Prince Nikolai Trubetskoy (1890–1938) belonged to one of the most ancient Russian aristocratic families, and his direct relatives had been the cream of the crop of the Russian intelligentsia in late tsarist Russia. His father, Sergei Trubetskoy (1862–1905), was a wellknown philosopher and rector of Moscow University. Nikolai Trubetskoy had received an excellent private education and had already published several scholarly articles when he was still a boy. In 1913 he graduated from Moscow University19 and entered the graduate school of the same university. In 1913–1914 he visited Germany, where he studied with leading scholars. During the Civil War he taught in Rostov and subsequently moved to the Crimea together with the retreating White forces. In 1920 he came to Constantinople. Afterwards he moved to central Europe and finally obtained a position at the University of Vienna in 1923. Although his job provided him with social standing and a steady income, he complained in a letter to Jakobson written in February 1923 that the teaching load was quite heavy and that the other duties related to his position were rather onerous. This left him with little time for research and writing.20 Still, Trubetskoy found the time to publish extensively and contribute to the development of linguistics in the context of Eurasianism. Trubetskoy asserted that the creation of Russia as a Eurasian civilization had started in ancient times but that the process of the fusion of Slavic and Turk traditions could be clearly followed since the Mongol conquest. At that time, the Byzantine and Russian Orthodox traditions were blended with Turk culture. In this way a unique Russian/Eurasian culture had been forged.21 Since the Russians remained Orthodox Christians and spoke the Slavic language even after the Mongol invasion, the impression was created that Russia formed part of the Slavic world. But despite the fact that the Slavic language was not the only link that connected Russians with Western Slavs, Trubetskoy regarded this common trait as rather superficial. The ‘spirit’ of Russian culture, he thought, was actually quite different from that of Western Slavs.22 The very notion of a common character pertaining to all Slavs was exposed as a myth. From this perspective, the model of Slavophilism that implied the intrinsic unity of all Slavic peoples – the Catholic Poles were seen as a sort of ugly duckling within the Slavic family – was but an illusion.

19 Pis’mo N. S. Trubetskogo I. Sishmanovu, in: Pis’ma i Zametki N.S. Trubetskogo, Moscow 2004, p. 440. 20 TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, February 1923, in: Pis’ma i Zametki, p. 46. 21 V.N. TOPOROV, Nikolai Sergeevich Trubetskoi – uchenyi, myslitel,’ chelovek (k stoletiiu so dnia rozhdeniia), in: Pis’ma i Zametki, p. 27. 22 Ibid., p. 28.

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Elaborating on the premises and illusions of Slavophilism, Trubetskoy stated that old Slavophilism, which placed Russia in the context of the Slavic world, was inappropriate, and that Russians had much more in common with Asians than with Western Slavs. Similarities between Russians and the Turk peoples of Eurasia explained why Russian and Turk people usually got along well on a personal level.23 The fact that the Russians and ‘Turanians’ had much in common seemed to explain the similarities between the Russian and the non-Slavic peoples of Eurasia.24 This implies not just cultural similarities but also linguistic closeness and mutual influence between the languages. According to this perspective, by the thirteenth and fourteenth centuries, the time of Russia’s incorporation into the Mongol Empire, there were clear differences between Russian and other Slavic languages25 and an increasing convergence of the future Eurasian languages.26 Trubetskoy was pleased that Jakobson, his collaborator and student, followed the same line of thought, and he highly praised Jakobson’s work on the characteristics of Eurasian linguistic union.27 This interaction between Russian and other, mostly non-Slavic languages of Russia/Eurasia was thought to continue and even increase in the Soviet era. And since Trubetskoy regarded this increasing cultural and linguistic amalgamation as a positive phenomenon, he was faced with the problem of evaluating the Soviet regime, which made this increasing gravitation of the Eurasian people of the USSR towards one another possible. Trubetskoy’s views on the regime were contradictory and somewhat illogical, and this reflected the views of most Eurasianists since the beginning of the movement. On the one hand, Eurasianists, at least in the movement’s early years, were quite critical of the regime, and Trubetskoy was no exception. He saw Marxism, the official ideology of the regime, as a Western product that was foreign to Russia. Moreover, when the movement split in 1929 and different versions of Eurasianism emerged, Trubetskoy joined the conservative wing. When the movement gravitated to the left, he saw an increasing pro-Soviet streak even in the conservative brand of the theory. This led him away from the quasi-political implications of the group. His views on the Soviet regime hardened as time progressed. At the beginning of NEP (New Economic Policy), he was heartened by the revival of intellectual life and by the fact that some of his books had reached Russia. He was also pleased that Eurasianist-sounding ideas were mirrored in the work of some Russian intellectuals, poets and writers.28 Still, by the late 1920s his assessment of the regime became increasingly gloomy. He was horrified by the increasing drive against the intelligentsia and by signs that this drive was actually

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Ibid., p. 32. Ibid., p. 34. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, July 8, 1923, in: Pis’ma i Zametki, p. 53. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, February 28, 1931, in: ibid., p. 190. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, June 8, 1931, in: ibid., p. 208. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, Feb. 28, 1921, in: ibid., p. 21–24.

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supported by the masses.29 By 1934, he was appalled by news about repression against his relatives.30 Still, Trubetskoy himself actually accepted some aspects of the regime, at least in its early stages. He acknowledged that Bolshevism was indeed popular among the Russian masses. This popularity, however, was not due to the masses’ acceptance of the social dimensions of the Soviet regime. Instead, they saw the Soviet elite’s anti-western stance not as an attack against an oppressive capitalist system but against the West as a foreign entity.31 This alienation from the West as a cultural and linguistic entity underscored that Russia belonged to the Eurasian world. From this perspective, Trubetskoy implied, the regime actually moved in the right direction and, in a way, legitimized itself. This positive aspect of the regime was enhanced by the fact that it did not just reaffirm the legitimacy of the non-Slavic cultures and languages of the USSR, but actively promoted them. This included the ethnic minorities, whose languages and cultures had been almost ignored during the tsarist era. In Trubetskoy’s view, this increasing integration of languages and cultures within the USSR reaffirmed the validity of the Eurasianists’ approach to linguistics. Moreover, it underscored the importance of Russian/Eurasian science, which was but grudgingly accepted in the West. Trubetskoy was among the very few Russian émigré scholars who escaped the Bolshevik Revolution and successfully integrated themselves into Western academia. The barriers appeared to be especially high for those émigrés who sought to teach what they seemed to know better than others: Slavic culture and languages. Trubetskoy explained these problems by the fact that Western Slavists despised their Russian colleagues and were afraid of their competition. They would rather permit Russian scholars to teach Western languages and culture than their own.32 Still, the Eurasianist approach to linguistics could not be ignored: Trubetskoy’s findings were accepted at the Hague International Congress of Linguistics (1928)33 and began to circulate among Western scholars. Heinrich Koppelmann’s monographs, which were quite popular in scholarly circles, serve as an example.34 While Trubetskoy and other Eurasianists emphasized the linguistic and cultural forces that bound the people of Russia/ Eurasia together, they saw other factors at work as well. The people of Russia/Eurasia gravitated to each other not only because of their common cultural and linguistic ties but because

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TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, Oct. 31, 1930, in: ibid., p. 174–175. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, May 1934, in: ibid., p. 305. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, Feb. 2, 1921, in: ibid., p. 14. TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, Dec. 5, 1933, in: ibid., p. 293–301. JAKOBSON, K kharakteristike evraziiskogo, p. 145. Heinrich KOPPELMANN, Die Eurasische Sprachfamilie: Indogermanisch, Koreanisch und Verwandtes, Heidelberg 1933. One might add that, while implicitly pleased by the fact that his ideas were accepted by Western scholars, Trubetskoy regarded their books as not being of great value. See TRUBETSKOY, Letter to Jakobson, 22 June 1934, in: Pis’ma i Zameki, p. 367.

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they were a people of particularly high moral principles.35 In addition, Trubetskoy highly valued the Turanian/Eurasian “spiritual and moral world view.”

VI. FROM LINGUISTIC AND CULTURAL BONDS TO MORAL BONDS The assumption that each nation has its own culture has been deeply embedded in European thought since the Romantic reaction to the universalism of Enlightenment. This view became increasingly popular by the end of the nineteenth century with the rise of international tensions and the growing popularity of Social Darwinism. World War I provided the final justification for this approach and contributed to the great popularity of Oswald Spengler’s Decline of the West, which presented human history as a chain of civilizations that became disconnected from each other. While the Spenglerian model emphasized the separate developments of civilizations, it did not exclude what is now known as the “clash of civilizations.” In the Spenglerian approach, one civilization came to dominate another in certain historical periods. While focusing on the modern West, Spengler thought that its decline implied at the same time its ‘orientalization’, similar to what had happened at the end of the Roman Empire. In this reading of history, the more brutal and vital East absorbed the weaker and more indulgent West. This juxtaposition of West and East and the conflict that would lead to the eventual victory of one side or the other had also been an element of Russian thought throughout the nineteenth century. Slavophiles, for example, emphasized the differences between Russia, as the embodiment of Slavdom, and the West. Some late Slavophiles, such as Nikolai Ia. Danilevsky, envisioned the future as a decisive conflict between Russia and the West. Still, the nature of the conflict differed from the Spenglerian model. For Spengler, it was a conflict between the weak and the strong in which the strong will prevail. In his view, the conflict was basically Social Darwinist: history rewards the nation that has the biggest muscles, so to speak, and the will to dominate. For Slavophiles, the nature of the conflict was quite different: it was not a conflict between the weak and the strong but between moral and immoral forces. Russia’s strength lay in its morality, Christian kindness, and spiritualized collectivism, whereas Western weakness lay in the absence of these qualities. Even when Slavophiles such as Danilevsky pointed to Russia’s physical power, they still emphasized its moral underpinnings as the country’s major geopolitical asset. Konstantin Leont’ev can be seen as the only

35 Eurasianists believed that the people of Eurasia lived for great ideas and created what they called “idiocentric” societies, whereas the nations of the West, i.e. outside of Eurasia, were narrowly materialistic. Trubetskoy, for example, emphasized that Turanians and, by extension, Eurasians emphasized “symmetry, clarity, and stable equilibrium” and embedded daily social life in religious practice. Richard TARASKIN, Defining Russia Musically: Historical and Hermeneutical Essays, Princeton 1997, p. 39.

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notable exception. From this perspective, one should look at Eurasianists’ linguistic and cultural distinctions between Western and Eurasian civilizations. For Trubetskoy, the linguistic matrix of the Eurasian people implied not just a cultural and linguistic specificity that divided Eurasia from the West, but a moral category as well. The Eurasian languages thus provided a matrix for an intrinsically moral culture. This emphasis on morality as the essential aspect of Eurasian culture becomes questionable, of course, when one takes into account the views of Eurasian intellectuals, particularly of Trubetskoy, on the Mongols.36 Through all of modern Russian historiography, historians looked at the Mongols as destructive savages, and their invasion of Russia was seen as one of the greatest calamities in the country’s history. Praise of the Mongols could thus be seen as praise of a destructive force that transformed these invaders into the rulers over most of Eurasia. The Eurasianists, exemplified by Trubetskoy, approached the Mongol invasion from a different perspective. Trubetskoy marginalized the destructive aspect of the Mongol invasion and emphasized what he and many other Eurasianists saw as its positive aspects. The most important result, from this perspective, was that the creation of the Mongol empire finally unified the people of Eurasia. While some Eurasianists stated that the people of Eurasia had begun to acquire a sense of unity even before the Mongols, it was only the latter who finally bound these communities together. Although force might be one of the major thrusts that pushed the people toward each other, it actually played a minor role later on. Thus, it was not just cultural and political gravitation that cemented the ties between the people of Eurasia, but also a peculiar moral ethos. In the view of Eurasianists, the Mongols’ strong power instilled Russian, and Eurasian people in general, with the spirit of collectivism and dedication to the state but not to individual interests. In any sense, Mongol and Eurasian people whose moral values were forged by the Mongol Empire were much more spiritualized; they were also, in a way, more humane, at least in comparison to the West. In one of his first works on Europe and mankind,37 Trubetskoy scorned Europeans, who claimed to be people of high moral standards while World War I clearly showed that they behaved like beasts of prey. All of their “moral” arguments, he thought, were reduced to the raw power of battleships and guns. What constituted this specific ethos that made the people of Eurasia different from the West? To begin with, Eurasianists pointed out that the political organization of the Eurasian people differed from that of the Western world. Westerners might consider political rule in Eurasia as authoritarian, but for Trubetskoy and other Eurasianists, the authoritarian tradition was not a negative phenomenon. For

36 The Mongols and their empire loomed large in Eurasian historiography, and several books were dedicated exclusively to the Mongols. See for example Nikolai Sergeevich TRUBETSKOY, Nasledie Chingiskhana, Vzgliad na russkuiu istoriiu ne s Zapeda, as Vostoka, Berlin 1925; Erenzhen KHARA-DAVAN, Chingis-Khan kak polkovodets i ego nasledie: kultornoistoricheskii ocherk Mongol’ skoi imperii XII–IV veka, Belgrade 1929. 37 Nikolai Sergeevich TRUBETSKOY, Evropa i cheloviechestvo, Sofia 1920.

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them, autocratic rule went along with a sense of collective purpose and mutual support. In the Eurasianists’ view, this Mongol-instilled collectivism was pretty close to the spiritualized Christian collectivism that Slavophiles regarded as the essential aspect of Orthodox Slavs, Russians above all. This spiritualized collectivism, a broad tolerance for all ethnic and religious groups, and a deep sense of justice made the Eurasian people qualitatively different from those of the West.

VII. THE BIOLOGICAL REINFORCEMENT OF MORAL, CULTURAL AND LINGUISTIC TIES As Eurasianism developed over time, its proponents added quasi-biological reasons for the perceived unity of the Eurasian people of the USSR. This was the case with Lev Gumilev, the last classical Eurasianist who lived not in exile but in the USSR.38 Gumilev was strongly influenced by Russian cosmism; or rather, his way of thinking was related to this brand of Russian thought. One of the ideas of Russian cosmists was that the cosmos had a direct influence on the life of the people. From this perspective, ethnic groups rise and expand in a quasi-biological way under the direct influence of the cosmic push, which provides ethnic groups with what Gumilev called passionarnost (“passion”, “drive”). This cosmological and quasi-biological force also drove people together to create a ‘super ethnos’. The cultural and quasi-biological compatibility or incompatibility of peoples could not be easily discerned on the surface. Peoples gravitating to each other might look entirely different from one another as, for example, the Tatars and Russians. Still, according to Gumilev’s theory, their biological and cultural matrix was essentially the same. Whereas Russians and Western Europeans might have a lot in common at first glance, they were also completely different from each other and could not create such a ‘super ethnos’. While elaborating on the creation of a ‘super ethnos’, Gumilev stated that there were cases of radically different and ultimately incompatible peoples actually living together. But these were artificial unions that Gumilev termed ‘chimeras’. Nothing good could emerge from such an artificial union, and the state created on this basis was bound to fail. This was the case with Khazaria, for example, a Turk state governed by a ‘Jewish’ elite. Most likely, the Khazarian elite was of ethnic Turk origin and could only be defined as Jews on account of their religious affiliation. Still, in Gumilev’s Darwinist mindset, it was their quasi-biological attributes that counted. For this reason, Gumilev saw the Khazarian elite on racial terms as having become indistinguishable from the Jews. Moreover, this Judaized Turk elite allowed ‘ethnic Jews’ to run the state. For Gumilev, Khazaria exempli-

38 For the best account in English of Gumilev’s and other modifications of Eurasianism in English, see Marlene LARUELLE, Russian Eurasianism: An Ideology of Empire, Washington/Baltimore 2008.

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fied a ‘chimera’, a parasitic, exploitative state. The Jewish Khazarian elite was not only scheming against its peaceful Slavic neighbors but was also treating the nonJewish people of Khazaria in brutal ways. This was no healthy ‘symbiosis’ of people who naturally form a ‘super ethnos’, but the rule of a minority by mere force. A closer look at Gumilev’s Khazaria reveals that it appears like an ancient replica of the early Soviet regime, as it was usually embraced by conservatives and, implicitly or explicitly, by anti-Semitic and anti-Soviet Russian thinkers.39 In their view the early Soviet regime was a rule of Jewish commissars who had seized power over the helpless Russian populace and maintained their rule by force. This analogy should be seen not only in its historical context – minorities, including Jews, actually played quite an important role in the early Soviet regime – but also in the light of Gumilev’s personal experiences.40 His father, a prominent Russian poet, had been shot; his mother, also a famous poet, had been tormented by the authorities; and Gumilev himself spent several years in prisons and GULAGs – the network of concentration camps in the Stalinist USSR. Thus, Gumilev’s hatred of the Soviet regime, or at least of some aspects of it, and his deepseated anti-Semitism were telescoped into the past and influenced his vision of Khazaria. Predictably, he found that the Khazarian regime was inherently unstable and fell apart after being defeated by Sviatoslav, the Kievan prince. Thus the Eurasianists’ construction of ethnic identities was accompanied by an attempt to identify the underlying linguistic, cultural, moral and quasi-biological reasons for the creation of ethnic groups and their geopolitical unity. But how valid were Eurasianists’ assumptions about the linguistic, cultural and quasi-biological traits that made the people of the USSR a unified body? To what extent was the USSR a stable country? Did it ever have a future, or was it doomed from the start? Or, to formulate this question differently: If cultural, linguistic and biological similarities are so important in keeping people together and Eurasianists and Soviet ideologues were right in their assertion that all peoples of the USSR, from Russians to Uzbeks, had deep-rooted historical connections, why did the USSR collapse? One could state, of course, that the Eurasian/Soviet ‘symbiosis’ of Russians and most other ethnic groups of the USSR was a fiction and that this explains the collapse of the state. But one could also argue that Russians, while having no real linguistic ties with most peoples of the USSR, still had definite linguistic and cultural similarities with the Slavic republics, such as the Ukraine. However, if one followed this logic, Russia and the Ukraine should be close allies and possibly merge into one state. Yet in recent years the Ukraine has become one of

39 See for example, Arkadii VAKSBERG, Stalin Against the Jews, New York 1994; Alfred D. LOW, Soviet Jewry and Soviet Policy, New York 1990; Robert Owen FREEDMAN, Soviet Jewry in the Decisive Decade, 1971–80, Durham (N.C.) 1984; William KOREY, The Soviet Cage: Anti-Semitism in Russia, New York 1973; Ron RUBIN, The Unredeemed: AntiSemitism in the Soviet Union, Chicago 1968. 40 The most extensive information about Gumilev’s works and biography can be found at http://gumilevica.kulichi.net/start.html.

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Russia’s severest antagonists, and it is highly unlikely that the election of a “proRussian” president in the Ukraine in 2010 will lead to a permanent political union. These observations cast doubt on the notion that linguistic and cultural similarities played a crucial role in maintaining the USSR’s cohesiveness and implies that the USSR was an artificial creation from the start and thus doomed to collapse, especially in the age of collapsing empires. Still, this assumption also could be questioned.

VIII. FROM LANGUAGE, CULTURE AND BIOLOGY TO FORCE Those who regard the USSR as doomed from the beginning often state that it was an empire, and that all empires are destined for eventual destruction. But some empires had a very long life: The Roman Empire existed for a thousand years, and if we include the Byzantine Empire as its natural extension, its life span extends over 2,000 years. Not only could empires last for long periods of time, they could also be reassembled after periods of disintegration. The Roman Empire, for example, fell apart in the third century A.D. and was then once again reunited.41 Moreover, the longevity of empires as extensive territories with multi-ethnic populations is not just a phenomenon of the past: China is a good example for more modern entities. One can state, of course, that China is not an empire but basically a monoethnic state. But the point here is that China is extremely diversified culturally and linguistically. Many regions, even those dominated by Han Chinese, have dialects so different from spoken Mandarin (the standard Chinese of government, science and literature) that they may be seen as separate languages. The idiosyncratic nature of each language and the cultural differences between regions are underlined by the fact that China repeatedly fell apart during its long history. In addition to the cultural diversity of different sub-groups among the Han Chinese, China also contains a substantial number of non-Han minorities. Still, China essentially survived its major political crises and still exists as the oldest continuous civilization in world history. Thus there is no law that predestined the collapse of the USSR. Nevertheless, the USSR collapsed, and the linguistic and cultural ties binding its various ethnic groups together turned out to be not strong enough.

41 Some observers believe that the USSR collapsed just because Gorbachev had weakened the controlling/repressive power of the state and that there were no deep-seated reasons for the USSR to crumble. At the same time, the only reason why China had not followed the road of the USSR was Deng Xiaoping’s decisiveness in 1989. See for example Vladimir SHLAPENTOKH, A Normal Totalitarian Society: How the Soviet Union Functioned and How it Collapsed, Amonk 2001; and Dmitry SHLAPENTOKH, Post-Mao China: An Alternative to the End of History, in: Communist and Post-Communist Studies 35/3 (2002), p. 237–268.

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Ultimately, what Eurasianists failed to understand was the importance of centralized power, in other words the repressive aspects that characterized both Tsarist Russia and the USSR. They believed that the linguistic and cultural similarities of the people of Eurasia would be sufficient to hold the Soviet state together. But this was not the case: When the central power weakened, the USSR did not only fall apart, but the elites of the new states started to reinterpret the linguistic and cultural makeup of the emerging nations. While in the past the emphasis had been on the linguistic, cultural, and even quasi-biological similarities with Russians, it was the differences that were now articulated. Even in the case of a common linguistic and cultural makeup, as in the case of the Ukraine, the stress was now put on the differences.42 All of this leads us to re-examine the major premises, not just of the Eurasianists, but more generally of the intellectual trends that dominated Western thought in the late nineteenth and early twentieth century and that have remained important into the present. European thinkers, and the Eurasianists may be placed among them, tried to identify “hidden” underlying forces driving historical events and examined the interplay of linguistic, cultural and quasi-biological factors responsible for the rise or collapse of empires. In this endeavor, they often neglected the obvious importance of power. Ultimately, the explanation for the rise and collapse of the USSR has to be sought in the elite’s efficient deployment, or non-deployment, of force. The composition of the elite, which constitutes the key element in Vilfredo Pareto’s theory, may provide the most appropriate explanatory model. It was not the intricacies of linguistic or cultural discourse but the unwillingness to employ force that doomed the USSR in 1991. And it was the efficient and brutal use of force that saved the other “Eurasian” empire – China – from following the same road in 1989.

42 Ukrainians are quite close to Russia culturally and linguistically, and, if the USSR had existed for a longer time, these similarities might have finally led to their amalgamation. Most likely, Ukrainians would have been dissolved in Russia culturally and linguistically. Still, the prime reason why the Ukraine was close to Russia was not its similarities with Russia but the controlling power of the Soviet state, which was unrelated to cultural aspects of the various ethnic groups. The role of linguistics and culture should not be discarded but simply assigned its proper place.

IV. KONTAKT- UND VERKEHRSSPRACHEN, SPRACHWANDEL, SPRACHZERFALL

Malay and Portuguese as Contact Languages in the Southeast Asian Archipelago, 16th–18th Centuries1 Maria Johanna Schouten, Covilhã, Portugal Communication between people of two societies not previously known to each other takes place between different norms of conduct and different symbolic systems, including the languages involved. The gestures or body language employed in initial encounters often turn out to be insufficient when it comes to serious contacts, such as during the negotiation of treaties. Misunderstandings are a peril inherent in this kind of communication and have the potential to ruin a diplomatic process which had been carefully built up over a long-time period. A situation of not understanding a language, and of not having an interpreter at hand, could have serious and even fatal consequences. In intercultural negotiations and in the translation process, some languages were vital because they were understood in many of the places where people of different origins and cultural backgrounds came together. In the Southeast Asian archipelago, the Malay and the Portuguese language have served as bridges between cultural worlds at different times and in various contexts, although at formal events the assistance of a translator was seldom dispensable. These processes of intercultural communication will be discussed here for the period from the first Portuguese voyages to Asia through the age in which the Dutch East India Company, or VOC (Vereenigde Oost-Indische Compagnie), was the leading European power in the archipelago. In the period of Dutch ascendancy in the 17th and early 18th centuries, the legacy of the Portuguese was still appreciable, most strikingly in the language commonly used.

I. MALAY AS A CONTACT LANGUAGE At the time of the arrival of the first Portuguese in Southeast Asia, in the beginning of the 16th century, the Malay language was a major vehicle for contact between the various populations living there. Originally coming from West Borneo, the idiom had spread to the Malay Peninsula and Sumatra. Its significance increased with the growth of the trade factory of Malacca, since it was a language used by the prominent merchant groups in that port. Travel reports give examples of 1

I would like to thank Benjamin Teensma and Arie Pos for their valuable suggestions during my research for this paper.

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persons from various backgrounds who were able to communicate in Malay. This language was also known, to some extent, in the western Indian Ocean, and several trade languages (such as Arabic) of that region absorbed elements of Malay.2 Thus, Portuguese seafarers had the opportunity to pick up some Malay before actually venturing to Southeast Asia. Although Arabic might still have been of some use in Malacca, which was conquered by the Portuguese in 1511, Malay was the really important language, especially in the reconnaissance journeys and commercial enterprises the Portuguese undertook further eastward in the archipelago. A case in point was Tomé Pires, who traveled to Java in 1513 and upon his return to Malacca elaborated his travel notes into the Suma Oriental, the first description of Indonesian islands by a westerner. There are several indications that the author had a fair command of Malay, although we must assume that during his travels and in his interviews he also relied on interpreters.3 During the boom period of Malacca, the Malay language spread further to the east, including the important clove-producing Moluccas. The ruler of Ternate, a major Moluccan realm, allied himself with the Portuguese in 1522. About this region, Captain António Galvão reported in the 1530s: These people have many and diverse languages, and the islands seem like Babylonia, because it is not only a fact that any single one has its own, but on some, different languages are used; some speak with throaty sounds, like Hebrew, others from the tip of the tongue, and then it appears like Latin, German, English, French. There are so many, and they are so distant, that it is nearly the case that direct neighbours are unable to understand each other, which makes it appear as if these islands had been settled in different waves. The kings, princes and their confidants have a way of talking which is distinct from that of the others. At present the Malayan language has come into vogue; and most of them speak it and avail themselves of it throughout the whole region, where it is like Latin in Europe.4

2 3 4

Dejanirah COUTO, The Role of Interpreters, or Línguas, in the Portuguese Empire during the 16th Century, in: www.brown.edu e-journal of Portuguese History 1, no. 2 (2003). Tomé PIRES, Summa Oriental [c. 1514], edition in the Dutch language by Frits Sollewijn GELPKE, “Een ondernemende apotheker in het Verre Oosten”, in: Oosterse Omzwervingen. Klassieke teksten over Indonesië uit Oost en West, Leiden 2000, p. 51–80. Antonio GALVÃO, Tratado das Ilhas Malucas, ed. Luís de ALBUQUERQUE, Lisbon 1989, p. 25, Chapter 12: “Das linguagens que falam e a que adoravam; como viviam no tempo passado; e o começo de terem Estado.” (first sentences) (“Estas gentes têm muitas e diversas linguagens, que as ilhas são uma Babilónia delas, porque não tão-somente em cada uma há sua, mas lugares de línguas diferentes; uns falam do papo, a modo hebraico, outros da ponta da língua, quer parecer latim, alemães, ingleses, franceses. São tantas e tão desviadas que quase se não entendem os vizinhos uns a outros, por onde parece que foram povoadas de campanhas estranhas. Os reis, príncipes e os de seu segredo têm modo de falar que aos outros não é dado; prezam-se agora do malaio e os mais o falam e servem-se dele por toda a terra, como latim na Europa.’) I thank Arie Pos for this reference. The original spelling (ending with the sentence “Prezão-se aguora do malayo e os mais ho ffalão e servem-se dela por toda terra como latim na Eyropa”) can be found in the first publication of this text, which was only discovered in the 1920s: Hubert JACOBS (transl. and ed.), A treatise on the Moluccas (c. 1544). Probably this is from the preliminary version of Antonio Galvão’s lost História das Molucas, Rome 1971, p. 73–75.

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Indeed, like Latin in medieval and Renaissance Europe, Malay was the language of religion, diplomacy and scholarship in coastal and maritime Southeast Asia at that time, and it conferred prestige on its speakers. In a simplified version it was the colloquial language among traders of different origins. Its influence went far beyond Southeast Asia, as indicated by the Dutchman Jan Huygen van Linschoten, who lived in Goa at the end of the 16th century: “And this language, called Malay, has become famous and is considered the most gallant and appropriate of all the East […]. And who in India does not have a command of the Malay language is not respected, like it is the situation among us with French.”5 Like António Galvão before him, Van Linschoten compared the standing of Malay to a European language, in this case French, which was indeed catching up with Latin as a contact language among the European elites in the course of the 16th century.

II. ACTUAL CONTACT In some contact situations between Portuguese and Southeast Asians, elementary Malay, supplemented with gestures and a few words from other languages (including the speaker’s native tongue) may have sufficed. When it came to official relations, however, a deficient mastery of simple “pasar-Malay” with its numerous regional variations was clearly not sufficient. In such cases, interpretation and translation could not be employed at random, and sophisticated Malay, the language of diplomacy, was called for. In official documents and treaties, the contracting parties sought to avoid ambiguous wording, the more so on account of the high value attached to the written word in Southeast and East Asian diplomacy. Therefore, the extremely careful editing and formal composition of diplomatic letters was a measure of their importance and an expression of respect for the addressed party. Some letters were real works of art; an outstanding example is the large and richly ornamented Surat Emas (golden letter) sent by Sultan Iskandar Muda of Aceh to King James I of England in 1615. We might contrast this with a story told by Mendes Pinto, in which the mandarin of Nouday in China expresses his contempt for the Portuguese mission by way of sending a message on torn paper.6 On the other hand, examples abound of skillfully decorated letters sent by European kings to Asian rulers, such as the one by King James I to an unknown Asian prince, now in the British Library. 5

6

Jan Huygen van LINSCHOTEN, Itinerário, viagem ou navegação para as Índias Orientais ou Portuguesas. Translated and edited by Rui LOUREIRO and Arie POS, Lisbon 1997, p. 115. (“E esta língua, chamada malaio, veio a ser famosa e considerada a mais galante e apropriada de todo o Oriente [...]. E quem na Índia não dominar a língua malaia, não é tido em conta, como entre nós se passa com o francês.” My translation.) Fernão Mendes PINTO, Pelgrimsreis. Translated by Arie POS, Baarn 1992, p. 148–150 (Chapter 64).

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Besides the exchange of gifts, the delivery of a letter of presentation was the starting point of a formal relationship, and often the letters were delivered with pomp and circumstance as if they were precious jewels.7 Official delegations usually sought to have permanent translators at their disposal. Mendes Pinto gives an account of an embassy of the king of Batak to the captain of the Portuguese fortress in Malacca. On the occasion a letter written on palm leaf was handed over, “which was immediately rendered from the Malay in which it had been written into Portuguese”. Thereupon “he explained to Pero de Faria [the Portuguese captain], through an interpreter, the reason of the conflict between the tyrant of Aceh and the king of the Batak.”8 The oldest surviving Malay manuscripts, dating from 1521 and 1522, are letters sent to the king of Portugal by Abu Hayat, the ruler of Ternate. These documents, written in Jawi, a script based on Arabic, convey the relationships between the various realms in the Moluccas. The peculiar use of the Malay language has led specialists to assume that the authors were not Malays, but Ternatans at the court who were proficient in the language.

III. THE ACTORS In such diplomatic contacts, in which the wording of each statement was endowed with meaning, linguistic subtleties could not easily be transmitted by people who were not well versed in the languages required. The parties involved in the contacts thus had to rely on professionals, usually referred to by the Portuguese as línguas, later also jurubaça or jurabaça (derived from the Malay word jurubahasa). These people, who were almost always male, were able, through special training, talent or life experience, to render different languages and cultures intelligible to each other. Interpreters were usually much more than linguistic mediators: they also served as informants about geographic conditions, social customs and political events, and sometimes functioned as ambassadors of goodwill. In situations of first contact, they might even be able to eavesdrop on the other party’s internal conversations. Translators played a key role in the smooth handling of ceremonial encounters and diplomatic negotiations. Their position was also one of confidence, as the information they obtained from both sides was susceptible to distortion. Incompetence aside, they might intentionally mistranslate or manipulate messages. Their lords or employers thus kept them under close surveillance, sometimes virtually as 7

8

See Maria Ana Marques GUEDES, Intérpretes de Português na Birmânia, in: Anais de História de Além-Mar 3 (2002), p. 333–351, p. 346 for Arakan (Burma). Cf. also Nicoline VAN DER SIJS (ed.), Wie komt daar aan op die olifant? Een zestiende-eeuws taalgidsje voor Nederland en Indië, inclusief het verhaal van de avontuurlijke gevangenschap van Frederik de Houtman in Indië, Amsterdam 2000, p. 190–192; Elsbeth LOCHER-SCHOLTEN/Peter RIETBERGEN (eds.), Hof en adel: Aziatische vorsten en de VOC 1620–1720, Leiden 2004. PINTO, Pelgrimsreis, p. 25 (Chapter 13).

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prisoners, and there are indications that they were dismissed or arrested at the slightest hint of suspicion.9 We may suppose that interpreters’ fates were also dependent on the results of the negotiations, and the blame for any diplomatic failure could be laid on them. On the other hand, their competences could be highly valued and respected and bring them considerable advantages. Most of these translators and interpreters remain anonymous; data about their origins is patchy even for those who are known.10 Some were Asians who travelled on Portuguese ships after having been recruited with the promise of material and immaterial rewards. Others were prisoners or slaves who were more or less forced to do the job and probably compensated by a less harsh treatment and/or the prospect of release. This was the case with Enrique,11 the slave whom Fernão de Magalhães had obtained during his stay in Malacca. This young man, who according to Antonio Pigafetta hailed from Sumatra, subsequently accompanied his master to Portugal and Morocco. Later he joined Magalhães’ great voyage of exploration around the world (1519–1522). Upon reaching Cebu, Enrique was able to communicate orally with the local population, confirming Magalhães’ hope that he had indeed reached Southeast Asian waters and thus completed the crossing of the Pacific Ocean. Enrique played an active mediating role on Cebu, but he did not obtain his reward: after Magalhães’ death in April 1521 the latter’s testament, which provided for Enrique’s manumission, was not respected by Juan Sebastián del Cano, the new commander of the expedition. On some expeditions, European crew members served as interpreters. Some had explicitly studied the language(s), while others had mastered Asian languages in the course of extended contacts with Asians. They might have lived in Asia as deserters, free-riding traders or prisoners, such as the Dutchman Frederik de Houtman, who was held in Aceh from 1599 to 1601. The Malay he learned was sufficient to publish a Dutch-Malay phrasebook, the Spraeck ende Woord-boeck inde Maleysche ende Madagaskarsche talen, in Amsterdam in 1603. This language guide, which followed the model of a popular French-Dutch predecessor, took into account such subtleties as the various contexts of conversation and the nuances of politeness. It was a sort of Berlitz phrase book and included phrases that were practical in the cultural context in question, such as “Who is there approaching on that elephant?”12 The value that the VOC attributed to adequate communication with Asian rulers is underscored by the inclusion of a group of so-called taalmannen among their highest-ranking functionaries. These “language men”, who had studied the 9 See the examples in COUTO, The Role of Interpreters. 10 COUTO, The Role of Interpreters; Henk M.J. MAIER/Jan VAN DER PUTTEN, Van tolken, papegaaien en predikanten: het Maleis en de VOC, in: Leonard BLUSSÉ/Ilonka OOMS (eds.), Kennis en Compagnie. De Verenigde Oost-Indische Compagnie en de moderne wetenschap, Amsterdam 2002, p. 100–113. 11 “L’interprete nostro, che se chiamava Enrique”. Antonio PIGAFETTA, Relazione del primo viaggio intorno al mondo, 1522, livro XVIII [http://www.iuo.it/webbiblio/biblicoteca%20digitale/ITA/ ItasecXVI/Pigafetta.htm]. 12 Title of the re-edition by VAN DER SIJS (ed.), Wie komt daar aan op die olifant?

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relevant languages and cultures in depth, occupied a central place in many embassies to the supreme rulers in Peking, Delhi or Isfahan.13 The VOC also had special translation departments, including the position of translateur in 18th-century Central Java, whose job it was to translate the speeches delivered on official occasions. These Dutch or Eurasian middlemen were usually persons of confidence at the Asian courts where they worked, and some of them actively contributed to the development of Javanese language studies in the Netherlands.14 On account of their acquaintance with native peoples and their customs as well as their familiarity with the various languages, Roman Catholic missionaries often acted as interpreters and intermediaries between Asians and Europeans in the broadest sense. After the arrival of Francis Xavier in the Moluccas Islands, it was decided that missionary activities would be mainly conducted in Malay. Francis Xavier himself translated basic texts into this language: “the Creed, the Declaration of the Articles, the General Confession, the Lord’s Prayer, the Hail Mary, the Hail Holy Queen, the Commandments.” In addition, and as further evidence of his linguistic proficiency and enthusiasm, the Basque missionary “composed long explanations of the Creed in rhymed Portuguese for the children of the casados”.15 For the remainder of the 16th century, the missionaries in the Moluccas, particularly the Jesuits, preached in Malay. It seems that they committed a number of religious texts to paper, including a catechism composed by an Italian Jesuit at the end of the century.16 But knowledge of indigenous languages and cultures remained fundamental for missionaries. In their intention to study the language, they sometimes came upon unexpected obstacles, as happened among the people living in the region of Manado, North Sulawesi (Celebes). The story goes that the Spanish Franciscans, who arrived there in 1619, during their crash course of the local language had to hand out small presents for every single word or phrase which the natives taught them.17

13 Leonard BLUSSÉ, Tussen geveinsde vrunden en verklaarde vijanden. Inaugural address, Amsterdam 1999, p. 26, note 31. 14 Ulbe BOSMA/Remco RABEN, De oude Indische wereld 1500–1920, Amsterdam 2003, p. 119– 121; J.L. SWELLENGREBEL, In Leydeckers voetspoor. Anderhalve eeuw bijbelvertaling en taalkunde in de Indonesische talen. Vol. I: 1820–1900, ‘s Gravenhage 1974, p. 45–46. 15 Leonard Y. ANDAYA, The World of Maluku: Eastern Indonesia in the Early Modern Period, Honolulu 1993, p. 128. Casados was a term in use for Portuguese men who had settled in overseas regions. 16 James T. COLLINS, Language Death in Maluku. The impact of the VOC, in: Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde 159 (2003), p. 247–289. 17 S. STOKMAN, De Missies der Minderbroeders op de Molukken, Celebes en Sangihe in de XVIe en XVIIe eeuw, in: Collectanea Franciscana Neerlandica 2 (1931), p. 499–556, p. 533.

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IV. FROM MALAY TO PORTUGUESE It would not take long before the language of the European newcomers also became a sort of lingua franca in the area of the Indian Ocean and in the coastal areas of Southeast Asia. Portuguese became a language of prestige, and several powerful rulers and princes spoke and read it, such as Sultan Hairun of Ternate (r. 1535–1570) and the Karaeng (chief ministers) Pattingalloang (r. 1600–1654) and Karunrung (r. 1654–1664) of Gowa (South Sulawesi).18 This did not imply, however, that they could do without interpreters. When the Dutch began their voyages to Asia, they were well aware of the importance of the Portuguese language. The treaty concluded between the Dutch and the ruler of Banten in 1596 was composed in Portuguese. The former had interpreters for Portuguese on board, and Admiral Jacob van Neck encountered Portuguese-speaking seamen in the Indian Ocean.19 On his 1598 voyage he carried credentials from the Dutch stadholder Prince Maurice, written in Portuguese and hailing “all the emperors, kings, dukes, princes and governors of provinces and republics to whom these [i.e., the credentials] are presented”.20 The English East India Company likewise made ample use of interpreters and translators of Portuguese. In the 17th century, Portuguese was the court language in various realms of Southeast Asia, such as Burma.21 In Batavia, the headquarters of the VOC in Asia, Portuguese, or rather a “creolized Portuguese”, became the main language of communication in the 17th and 18th centuries. It was not just a lingua franca, but the mother tongue of a large part of the population of this city, probably two thirds by 1674.22 In particular, Portuguese was the language of the sizeable Mardijker23 population. Besides, it was spoken by the slaves imported to Java from Portuguese-controlled places in South Asia and became the means of communication between (Dutch) masters and slaves. Portuguese was even used in the offices of the VOC when transactions involving non-Dutch functionaries were handled, which was quite often the case. Dutch children became fluent in the language through their daily interactions with 18 ANDAYA, The World of Maluku, p. 58; Charles R. BOXER, Francisco Vieira de Figueiredo, a Portuguese Merchant-adventurer in South East Asia, 1624–1667, The Hague 1967, p. 4–5; Anthony REID, Southeast Asia in the Age of Commerce, 1450–1680. Vol. I: The Lands Below the Winds, New Haven/London 1988, p. 232–234. 19 VAN DER SIJS (ed.), Wie komt daar aan op de olifant?, p. 124. 20 In David LOPES, Expansão da Língua Portuguesa no Oriente nos Séculos XVI, XVII e XVIII. Reedição actualizada com notas e prefácio de Luís de Matos, Porto 1969, p. 38 (“todos os Emperadores Reys Duques Principes e Governadores de Provincias e Respublicas a quem estas foram presentadas”). 21 GUEDES, Intérpretes, p. 341, 346, 347. 22 Kees GROENEBOER, Weg tot het Westen. Het Nederlands voor Indië 1600–1950, Leiden 1993, p. 49, note 34; see also Betty LITAMAHUPUTTY, Portuguese influence on languages in Indonesia, its rise and fall, in: Maria Johanna SCHOUTEN (ed.), A Ásia do Sudeste. História, cultura e desenvolvimento, Lisbon 1998, p. 68–86. 23 This group involved persons who had some historical bonds to Europeans, usually freed slaves or their descendants. They had a special legal status.

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slaves. This practice interfered with the initial intention of the Dutch to reduce the vestiges of the Portuguese language, a policy that was sometimes reiterated in ordinances such as the one promulgated by Governor General Anthony van Diemen in 1641. His attempt to suppress the Portuguese language was most probably inspired by the considerable inflow of Lusophone people from Malacca when the Portuguese lost the city to the Dutch in that year. It has been suggested that the preference among Asians for Portuguese rather than the Dutch language, apart from historical circumstances, was related to characteristics of the language itself: Portuguese might have been easier to understand and might have, in the words of Teensma, a greater “capacity of creolization” (creoliseringscapaciteit).24 In Ambon in 1645, the governor considered that Dutch was too difficult to understand for the natives compared with Portuguese or even English, and therefore he advised against its use as a language of the church. The VOC could not adopt a language policy which would hamper the spiritual wellbeing of the population, including that of the Portuguese-speaking Mardijkers and slaves who had adopted the Protestant religion of their masters. Therefore, Portuguese was soon admitted in Batavia as a language to be used in church services and schools, and a church was built for the Portuguese-speaking inhabitants. Preaching and education had to be supported by written texts. In the 17th and th 18 centuries several Christian (Protestant) and moral works were translated into Portuguese for Batavia’s population or composed especially for them.25 Kloosterboer lists twelve Protestant texts, of which the latest was published in Colombo in 1778.26 Most notable is the translation of the Bible by João Ferreira de Almeida, the first Portuguese Bible translation worldwide in a period when the climate of the counter-reformation would have made such a venture impossible in Portugal itself. João Ferreira de Almeida (c. 1628–1691), probably born in the concelho (municipality) of Mangualde, converted to Protestantism in Malacca in the 1640s and went on to study theology, passing his final exams for minister in Batavia in 1656. He stayed in Ceylon and southern India for some years but spent the greater part of his adult life in Batavia. Of the numerous texts he wrote or translated, several included harsh criticism of Roman Catholicism, but he also produced edifying works such as a translation of Aesopus’ fables from the Spanish, printed in Batavia in 1672. For his Bible translation he relied on Latin, Spanish, French and Italian versions. Later he learned Greek and probably Hebrew, but it is uncertain to what extent he translated from the original texts. It took a long time before his New Testament was actually printed (1681), and the Old Testament (a translation which he left unfinished) was only published in Batavia in two volumes in 1748 and 1753. 24 Benjamin N. TEENSMA, De eed op het kerkhof. Een Maleis-Portugees verhaal uit 1780, in: Indische Letteren 1 (1986), p. 101–117, p. 102. 25 COLLINS, Language Death, p. 262–263. 26 Wilhelmina KLOOSTERBOER, Bibliografie van Nederlandse publikaties over Portugal en zijn overzeese gebiedsdelen, Utrecht 1957, p. 112–114.

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Teófilo Braga, a leading late-nineteenth century Portuguese philologist, considered this Bible “the greatest and most interesting document to study the Portuguese language of the 17th century” and presumed that due to Ferreira de Almeida’s long stay abroad and his simple origins, the language he used was very near that of the “povo”, in the sense of ordinary people.27 Teófilo Braga referred here to the “povo” of Portugal of those days. However, the Portuguese which was used in Ferreira de Almeida’s Bible differed considerably from the Portuguese common among the Asian population in Batavia, for whom the translation was intended. The use of this Bible-Portuguese by ministers in their church services most probably constituted a serious obstacle to religious communication, and the local preacher Manuel Morgapa, who spoke creolized Portuguese, enjoyed far greater popularity than his colleagues who stuck to the formal language.28 The Portuguese language of Batavia went through a process of further creolization, as is obvious from a 1780 text edited by Benjamin Teensma.29 It is a chapter from a Dutch-Malay-Portuguese phrasebook destined for newcomers and published in Batavia under the title Nieuwe Woordenschat uyt het Nederduitsch en het gemeene Maleisch en Portugeesch. The mastery of the local variant of Portuguese that had developed in Batavia was thus still considered useful for Dutch people living in the city in the second half of the 18th century. But the decline of this language had already started. In 1706, Valentijn30 counted 36 native schoolmasters, of whom 35 used Portuguese as the language of instruction and one Malay. In 1779, 14 of the 20 schoolmasters taught in Portuguese, representing a decrease from 97 to 70 per cent. Shortly thereafter, Portuguese vanished from the stage quite abruptly. The last Portuguese-speaking minister was appointed in 1807, and within a couple of years there were no other functionaries versed in Portuguese.31 The abandonment of Portuguese in favour of Malay was related to changes in the composition of the population during the Napoleonic era. After 1796 no new slaves arrived from South Asian regions where Portuguese was spoken. Instead, slaves now came from Malay-speaking areas in insular Southeast Asia. There were also new arrivals of French and English citizens, for whom Portuguese was a new language. Furthermore, the links with important Asian regions under Portuguese influence such as Ceylon and Malacca were severed. Another factor may have been the demographic and social decline of the Mardijkers. This term was now rarely used, just as the term “mestizoes” had become obsolete at the end of the 18th century and was replaced by “inlandsche christenen” (native Christians) or “Portuguese”,

27 Manual da história da literatura portuguesa, p. 350 (“o maior e mais interessante documento para se estudar a língua portuguesa no século XVII”), quoted by LOPES, Expansão, p. 178. 28 J.L. SWELLENGREBEL, João Ferreira de Almeida. Um tradutor português da Biblia em Java. Traduzido, por Elizabeth TAMMERICK, do original A Portuguese Bible translator in Java, Rio de Janeiro 1972, p. 11. 29 TEENSMA, De eed op het kerkhof. 30 GROENEBOER, Weg tot het Westen, p. 56. 31 Ibid., p. 92 .

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although they seldom had Portuguese ancestors and did not speak the language anymore. The “Portuguese” retained the stigma of former slave status.32 A different though equally paradoxical situation emerged in eastern Indonesia, where Portuguese surnames were common among the members of Eurasian communities and of the neighbouring population. Long after the departure of the Portuguese they would display habits reminiscent of the Portuguese, as the naturalist Alfred Russel Wallace noted in the 1850s, and as Ambassador Pinto de França and recent travellers have observed.33

V. EPILOGUE So which language did the Europeans of different nationalities who were living in Asia use among themselves? The answer might well be: the language of the land. This at least is the impression left by the following instance, recorded by Wallace during his stay in Kupang, West Timor, between 1857 and 1859: “Mr. Arndt, a German and the Government doctor, invited me to stay at his house while in Coupang, and I gladly accepted his offer, as I only intended making a short visit. We at first began speaking French, but he got on so badly that we soon passed insensibly into Malay; and we afterwards held long discussions on literary, scientific, and philosophical questions, in that semi-barbarous language, whose deficiencies we made up by the free use of French or Latin words.”34 Malay thus continued to be an important contact language in the mid-nineteenth century, but learned Europeans like Wallace now considered it to be clearly inferior to the languages which, to them, epitomized European “civilization”.

32 BOSMA/RABEN, De oude Indische wereld, p. 56–57. 33 Alfred Russel WALLACE, The Malay Archipelago. The land of the orang-utan and the bird of paradise. A narrative of travel, with studies of man and nature [1869], New York 1962; António Pinto de FRANÇA, A influência portuguesa na Indonésia, Lisbon 2003. 34 WALLACE, The Malay Archipelago, p. 142; italics added.

Kekchi als Verkehrssprache und Forschungsgegenstand Kontakte zwischen Maya-Indianern und deutschen Pflanzern in Guatemala 1870–1944 Michaela Schmölz-Häberlein, Bamberg

I. THEMENSTELLUNG Im Jahre 1921 entdeckte der deutsche Kaffeepflanzer, Unternehmer und Forscher Erwin Paul Dieseldorff1 in einem Archiv des Dominikanerordens ein Testament, das eine gewisse Magdalena Hernandez im Jahre 1583 dem alcalde Domingo de Guzmán in Anwesenheit weiterer Zeugen auf Kekchi diktiert hatte.2 Die Witwe besaß demnach ein Grundstück an der Straße in Cobán, der Hauptstadt der Provinz Alta Verapaz, mit einem Haus und sechs Bäumen, die einzeln spezifiziert wurden. In dem Testament regelte sie einige Angelegenheiten ihres verstorbenen Gatten und ordnete die Bezahlung der Schulden in Geld und Kakaobohnen – dem traditionellen Zahlungsmittel Mittelamerikas – an. Ihren Huipil3 und die Metate, den Mahlstein zur Verarbeitung von Mais – Dinge, die ausschließlich dem weiblichen Lebensbereich zugeordnet sind –, sollten nach ihrem Tod verkauft werden, 1

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Zu Erwin Paul Dieseldorff vgl. Guillermo NAÑEZ FALCÓN, Erwin Paul Dieseldorff, German Entrepreneur in the Alta Verapaz of Guatemala, 1889–1937, Ph.D. Diss., Tulane University 1970; Michaela SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Erwin Paul Dieseldorff, in: Thomas ADAM (Hrsg.), Germany and the Americas. Culture, Politics, and History. A Multidisciplinary Encyclopedia, Vol. 1, Santa Barbara (Cal.) u.a. 2005, S. 276–277. Erwin Paul DIESELDORFF, A Kekchi Will of 1583, in: The Maya Society Quaterly 1/1 (1931), S. 65–68. Neu übersetzt und kommentiert von Matthew Restall in: Matthew RESTALL/Lisa SOUSA/Kevin TERRACIANO (Hrsg.), Mesoamerican Voices: Native-Language Writings from Colonial Mexico, Oaxaca, Yucatan, and Guatemala, Cambridge, 2005, S. 116–117. Kekchi ist wie Pokomchí und Pokomam eine Sprache aus der Sprachgruppe des Pokom und wird bis heute in Guatemala, Belize und Honduras gesprochen. Vgl. Karl SAPPER, Indianische Ortsnamen im nördlichen Mittelamerika, in: Globus 66 (1894), S. 90–96, hier S. 90–91. Der Huipil ist der traditionelle Umhang (bzw. eine ärmellose lange Bluse) der Frauen, der bereits in der vorkolumbianischen Zeit getragen wurde. Der Huipil besteht aus gewebter Baumwolle, die in eine rechteckige Form geschnitten und mit traditionellen, gestickten Mustern versehen wird. Er ist das wichtigste Teil einer Tracht und wird über einem zumeist weißen Unterrock getragen. Das in Kreuzstich gestickte Muster des Umhangs zeigt an, welcher indigenen Bevölkerungsgruppe, welchem Dorf, welcher Religion sowie welchem sozialen Rang und Familienstand die Trägerin angehört.

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um Seelenmessen für sich und ihren Mann lesen lassen zu können. Auch wenn in der Alta Verapaz das Christentum noch nicht lange Fuß gefasst hatte, zeigt das Testament doch, dass Magdalena schon mit den wesentlichen Riten des Katholizismus umgehen konnte. Gleichzeitig ist das Selbstbewusstsein zu erkennen, das den Frauen der Indígenas zu Eigen ist. Dieseldorffs Archivfund ist insofern charakteristisch für frühe indianische Sprachdokumente, als diese hauptsächlich in rechtlichen und politischen Kontexten entstanden.4 Bei den ältesten überlieferten Dokumenten handelt es sich um Testamente in Form von Landtiteln, die neben dem eigentlichen Besitz auch kulturelle, religiöse und soziale Bräuche und Beziehungen der Indígenas dokumentieren.5 Bis weit in das 19. Jahrhundert wurden Testamente mittelamerikanischer Indios häufig in den indigenen Sprachen abgefasst; diese Möglichkeit, die Verhältnisse über den Tod hinaus zu ordnen, wurde offenbar besonders von Frauen in Anspruch genommen.6 Die Sammlung Erwin Paul Dieseldorffs enthält ferner drei koloniale Landtitel.7 Das sogenannte Testamento Chicojl entstand im Oktober 1539 und beschreibt detailliert den Landbesitz des Christobal Ba in der Gemeinde San Pedro Carchá.8 Das zur selben Zeit angefertigte Testament Xalija Chaj Pixol von Poncio Tux stammt aus dem gleichen Ort.9 Etwa zur gleichen Zeit dürfte auch der Landtitel des Testaments Totem entstanden sein, das nur in einer Abschrift aus dem Jahre 1779 vorliegt.10 Diese Zeugnisse aus den ersten Jahren der Kolonisation zeigen die Bedeutung von Landbesitz für das männliche Selbstverständnis. Die Anfertigung eines gültigen Testaments sowie die Abfassung von Landtiteln vor den Verwaltungsbeamten in der Sprache der Kekchi belegt nachdrücklich, dass die Beamten die indigene Sprache erlernen und beherrschen mussten.11 Dieseldorffs Beschäftigung mit der Mayasprache Kekchi folgte jedoch keineswegs nur einem historischen oder antiquarischen Interesse. In der guatemaltekischen Provinz Alta Verapaz, in der er mehrere Kaffeeplantagen betrieb, war Kekchi auch im frühen 20. Jahrhundert noch die Verkehrssprache der großen Robert M. CARMACK, Quichean Civilisation: The Ethnohistoric, Ethnographic and Archaeological Sources, Berkeley 1973, S. 19. Vgl. auch Matthew RESTALL (Hrsg.), Life and Death in a Mayan Community: The Ixil Testaments of the 1760s, Lancaster (Cal.) 1995. 5 John M. WEEKS, Subregional Organisation of the Sixteenth-Century Q’eqchi Maya, Alta Verapaz, Guatemala, in: Revista Española de Anthropología Americana 27 (1997), S. 59–93, hier S. 61. 6 Vgl. hierzu Miriam MELTON-VILLANUEVA/Caterina PIZZIGONI, Late Nahuatl Testaments from the Toluca Valley: Indigenous-Language Ethnohistory in the Mexican Independence Period, in: Ethnohistory 55/3 (2008), S. 361–391. Die Möglichkeit, indianische Testamente in Verbindung mit Sterberegistern auszuwerten und so Rückschlüsse auf Naturkatastrophen und deren Folgen zu ziehen, wurde jüngst überzeugend am Beispiel Yucatans aufgezeigt. Victoria R. BRICKER/Rebecca E. HILL, Climatic Structures in Yucatecan Wills and Death Records, in: Ethnohistory 56/2 (2009), S. 227–268. 7 WEEKS, Subregional Organisation, S. 63–65. 8 Edition mit englischer Übersetzung und Interpretation in ebenda, S. 66–75. 9 Ebenda, S. 80–85. 10 Ebenda, S. 76–79. 11 Ricardo TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas. Un estudio de la inserción alemana en las Verapaces y la consecuente relación entre los Alemanes y los K’ekchies, Cobán 1991. 4

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Mehrheit der Bevölkerung (und ist es bis heute geblieben). Kenntnisse in Kekchi waren daher in der Kommunikation mit indianischen Arbeitskräften, Hausangestellten und Lebensgefährtinnen von unmittelbarer alltagspraktischer Relevanz. Zugleich war Dieseldorff nicht der einzige deutsche Pflanzer, der ein wissenschaftliches Interesse an den Mayasprachen entwickelte; auch der Plantagenverwalter und spätere Geographieprofessor Karl Theodor Sapper sowie der Pflanzer Gustav Helmrich machten die Sprache und Kultur der Maya zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Diese Doppelfunktion des Kekchi als Verkehrssprache deutscher Pflanzer im Kontakt mit der indigenen Bevölkerung und als Forschungsgegenstand bildet das Thema dieses Beitrags. Der hohe Stellenwert des Kekchi in der Region Alta Verapaz hängt eng mit der Tatsache zusammen, dass die Dominikaner dort fast drei Jahrhunderte lang, zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und dem frühen 19. Jahrhundert, eine privilegierte Stellung inne hatten. Ausschließlich Dominikanerbrüder durften sich hier dauerhaft aufhalten, um ihre Missionsaufgabe wahrzunehmen. Allen anderen Europäern war es verboten, länger als drei Tage in der Gegend zu verweilen.12 Die Kekchi und Pokomchi der Alta Verapaz erhielten aufgrund des 1540 ratifizierten Vertrags (Capitulación) zwischen dem Visitator Alonso de Maldonado und dem Dominikaner Bartolomé de las Casas eine weitgehende Autonomie, die ihre kulturelle Eigenständigkeit sicherte, sie vor dem Encomienda-System der Spanier bewahrte und ihre Christianisierung zur Folge hatte.13 Der erste Verwaltungsbeamte der Kolonialzeit war kein Spanier, sondern der aus San Juan Chamelco stammende Kazike Don Juan Mactabaz, der erst in den 1560er Jahren durch einen Spanier ersetzt wurde.14 Vor diesem Hintergrund markierten die Unabhängigkeit Guatemalas von Spanien im Jahre 1821, die Suspendierung der religiösen Orden 1829 und schließlich das Desamortisationsgesetz von 1878, das die Enteignung des Besitzes der toten Hand und damit verbunden die Privatisierung der kommunalen Ländereien verfügte, massive Eingriffe in die kulturellen, sozialen und ökonomischen Lebensformen der indigenen Bevölkerung.15 Bis dahin war der Einfluss der spani12 Benno BIERMANN, Fray Bartolomé de las Casas und die Gründung der Mission in der Verapaz (Guatemala), in: Zeitschrift für Missionswissenschaft 16 (1960), S. 110–123, 161–177; DERS., Missionsgeschichte der Verapaz in Guatemala, in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas 1 (1964), S. 17–156; Maria Milagros CIUDAD SUAREZ, Las misiones domínicas en la provincia de San Vincente, 1550–1600, in: Los domínicos en el nuevo mundo. Acta de 1er Congreso International, Madrid 1985, S. 291–305; André SAINT-LU, La Verapaz, esprit évangelique et colonisation (Centre de Recherches Hispaniques. Thèses, Mémoires et Travaux 10), Paris 1968; Karl Theodor SAPPER, Die Dominikanerprovinz Vera Paz in Guatemala als Vorbild der Südamerikanischen Missionsstaaten, in: Iberoamerikanisches Archiv (1939), S. 217–244. 13 Michel BERTRAND, Terre et société colonial. Les communautés Maya Quiché de la région de Rabinal du XVIe au XIXe siècle (Collection Etudes Mésoaméricaines I-14), Mexiko 1987, S. 27. 14 SAINT-LU, La Verapaz, S. 229–230. 15 Chester L. JONES, Guatemala. Past and Present, Minneapolis 1940, S. 152; Arden R. KING, Cobán and the Alta Verapaz: History and Cultural Process in Northern Guatemala, New York

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schen Sprache gering.16 Das Kekchi etablierte sich als Verkehrs- und Verwaltungssprache17 in der Alta Verapaz und konnte den Einfluss anderer Sprachen wie des Pokomchi zurückdrängen. Das Chol und das Lacandon wurden sogar ganz aus der Region verdrängt. Bis zum Jahre 1821 wurden die – ausschließlich indianischen – Landtitel von Generation zu Generation sowohl in Spanisch als auch in Kekchi schriftlich erneuert. Später finden sich nur noch vereinzelte Belege für diese Praxis.18 Auch den Deutschen, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in der Alta Verapaz ansiedelten, nutzten Kenntnisse des Spanischen im Kontakt mit der indigenen Bevölkerung wenig. Franz Thermer bemerkte im Jahre 1929, dass „der Deutsche darauf sah, mit den Eingeborenen in deren Idiomen zu verhandeln oder auf Angestellte hielt, die derartige Kenntnisse besaßen, so daß der Indianer dadurch ein größeres Vertrauen in das Handelsgeschäft empfing.“19 Karl Theodor Sapper, der Ende des 19. Jahrhunderts einige Jahre in der Alta Verapaz lebte und die Sprache fließend beherrschte,20 betonte 1934, dass „zu meiner Zeit und […] auch größtenteils heute noch der Deutsche drüben genötigt [sei], indianisch zu lernen.“21 Statistische Angaben untermauern diese persönlichen Einschätzungen. Im Jahre 1817 zählte der Alcalde Mayor der Verapaz, also der heutigen Departamentos Alta und Baja Verapaz, knapp 80.000 Indios und lediglich 1.800 Spanier bzw. Criollos.22 Um 1890 lebten ca. 60.000 Kekchi in der nördlichen Alta Verapaz.23 In den 1930er Jahren umfasste der Einzugsbereich der Sprache die Alta Verapaz sowie Teile der Baja Verapaz, des Peten und des heutigen Belize (ehemals Bri-

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1974, S. 32; David MCCREERY, „An Odious Feudalism“. Mandamiento Labor and Commercial Agriculture in Guatemala, in: Latin American Perspectives 13 (1986), S. 99–117, hier S. 99; Karl Theodor SAPPER, Mittelamerikanische Reisen und Studien aus den Jahren 1888– 1900, Braunschweig 1902, S. 102; Otto STOLL, Guatemala. Reisen und Schilderungen aus den Jahren 1878–1883, Leipzig 1886, S. 89; BERTRAND, Terre et société, S. 238–239; Antonio GOUBAUD CARRERA, Indigenismo en Guatemala, Guatemala 1964, S. 141–144; NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 83. Regina WAGNER, Los Alemanes en Guatemala, 1828–1944, Guatemala 1991, S. 173. Vgl. hierzu Karl Theodor SAPPER, Die Quekchi-Indianer, in: Das Ausland 63 (1890), S. 892– 895, hier S. 894. Sapper spricht explizit an, dass in anderen Gebieten – auch entlegenen Regionen wie Soloma – das Spanische als Verkehrssprache fungiere, während beispielsweise in Uspatán Quiché die lingua franca darstelle. Erwin Paul DIESELDORFF, Old Titles of the Quecchí Indians, Entwurf eines Aufsatzes vom 15. September 1903, zitiert in NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 82–83, Anm. 5; vgl. WEEKS, Subregional Organisations, S. 61–62. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen auch MELTONVILLANUEVA/PIZZIGONI, Late Nahuatl Testaments. Franz THERMER, Deutsche und Nordamerikaner in Guatemala, in: Zeitschrift für Geopolitik 6 (1929), S. 830–847, hier S. 833. Cäcilie SELER-SACHS, Auf alten Wegen in Mexiko und Guatemala, 2. Aufl. Stuttgart 1925, S. 248. SAPPER, Vorwort, in: Adrian RÖSCH, Allerlei aus der Alta Verapaz, Bilder aus dem deutschen Leben, Stuttgart 1934, S. 7. AGCA (Archivo General de Centro America, Guatemala), Sección de Tierras Quezaltenango, paq. 1 exp. 17, fol. 67v–68v, Informe del Alcalde mayor de Verapaz, Salamá 1886. SAPPER, Die Quekchí-Indianer, in: Das Ausland. Wochenschrift für Erd- und Völkerkunde 43 (1890), S. 841–844.

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tisch-Honduras). Etwa 85.000 Menschen sprachen zu dieser Zeit Kekchi.24 Auf den zur Gemeinde Cobán gehörenden 86 Kaffeeplantagen (Fincas) lebten 1939 8.428 Personen, die nicht spanisch sprachen. Auf den 219 Plantagen der Gemeinden Santa Cruz Verapaz, San Cristóbal Verapaz, San Miguel Tucurú, Panzós25 und Santa María Cahabón arbeiteten beinahe 30.000 Personen, die nur eine indianische Sprache – mit Ausnahme von San Cristóbal sämtlich Kekchi – sprachen.26 95,7 Prozent der Bevölkerung waren 1921 indianischstämmig; bis 1940 fiel ihr Anteil nur leicht auf 93,9 Prozent.27 Erst seit den 1920er Jahren versuchte der guatemaltekische Staat, auch in den ländlichen Regionen eine vierjährige Schulpflicht einzuführen, die den Indígenas Grundkenntnisse in Mathematik und Spanisch vermitteln sollte. Die ersten Schulen wurden in den Jahren 1926 und 1927 eingerichtet, wurden jedoch nur von einer geringen Zahl an Schülern besucht.28 Adalberto Chen, der Direktor der Escuela Rural für Jungen auf der Finca Aquil der Familie Carlos Barahona in San Cristóbal, teilte 1930 die Ergebnisse einer Schulinspektion mit und konstatierte: „La mayor parte de los alumnos muy poco entienden el castellano aunque vimos que el señor Director á procurando de enseñarlos.“29 Der aus Danzig stammende Arzt Karl Hermann Berendt, der aufgrund seiner Teilnahme an der Frankfurter Paulskirchenversammlung ins Exil gehen musste und sich schließlich in der Alta Verapaz niederließ, erkannte schnell die Notwendigkeit, die Mayasprachen zu erlernen. Nachdem er in Cobán eine Kaffeeplantage erworben und eine Druckerei gegründet hatte, in der er die Tageszeitung El Quezal druckte, publizierte er 1875 eine Kekchi-Grammatik. Es handelt sich dabei um die Neuauflage einer 1741 von Juan Morales kopierten älteren Grammatik aus San Juan Chamelco mit Überarbeitungen des aus Cobán stammenden Pedro Torres. Die Nachfrage nach geeigneten Nachschlagewerken und Lehrbüchern war offenbar beträchtlich, denn ein Jahr später veröffentlichte Berendt ein Lehrwerk zum Schreiben der Sprache; ihr Autor war der Indígena José Domingo Coy.30 Wie 24 J. Eric THOMPSON, A Maya Calendar from the Alta Vera Paz, Guatemala, in: American Anthropologist, New Series 34/3 (1932), S. 449–454, hier S. 449. 25 D.h. „beim Wasserfall“; diese Gemeinde führte also keinen christlichen Heiligen im Namen. Zur Übersetzung des Ortsnamens vgl. SAPPER, Indianische Ortsnamen, S. 91. 26 Michaela SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Die Grenzen des Caudillismo. Die Modernisierung des guatemaltekischen Staates unter Jorge Ubico 1931–1944. Eine regionalgeschichtliche Studie am Beispiel der Alta Verapaz (Europäische Hochschulschriften Reihe 3, 567), Frankfurt am Main 1993, S. 154, 163. Dort finden sich auch die Archivbelege. 27 NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 245. 28 Ebenda, S. 344–347. 29 AGCA, Jefatura Política 1930, Certificado del infrascrito Director de la Escuela Rural Particular, San Cristóbal, 15.10.1930. 30 Carl Hermann BERENDT (Hrsg.), Arte de Lengua Cakchi para bien común, Cobán/Guatemala 1875 (ein Exemplar dieses Werks befindet sich in der University of Pennsylvania: UPenn Rare Book & Library Ms. Coll. 700, Item 69); José Domingo COY, Ortografia en lengua kekchi, Cobán 1876 (ebenfalls vorhanden in UPenn Rare Book & Library Ms. Coll. 700, 70 und 73). Vgl. hierzu auch A.C. BRETON, Relationships in Ancient Guatemala, in: Man 17 (1917), S. 174–176, hier S. 174; John M. WEEKS, Karl Hermann Berendt: Colección de manuscritos lingüísticos de Centroamérica y Mesoamérica, in: Mesoamérica 36 (1998), S.

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wichtig für die Deutschen das Erlernen der Sprache und wie groß das Interesse an der Kultur der Kekchi war, bezeugt auch der Sammeleifer Paul Wirsings, der ein sechsbändiges, lediglich in Manuskriptform überliefertes Kekchi-deutsches Wörterbuch erstellte.31 Im Jahre 1979 erschien ein modernes Wörterbuch des belgischen Priesters Esteban Haeserijn, das wohl auf den Arbeiten Wirsings basiert.32 Ausgehend von der These, dass der wirtschaftliche Erfolg der deutschen Pflanzer, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in der Region niederließen, und ihre wissenschaftlichen Arbeiten maßgeblich auf ihren Beziehungen zu den Indígenas der Alta Verapaz beruhten und dass die Indios für die Pflanzer als sprachliche und kulturelle Vermittler fungierten, werden im Folgenden die wirtschaftliche Durchdringung und wissenschaftliche Erforschung der Region zwischen 1870 und 1944 (dem Jahr, in dem die deutschen Pflanzer auf Druck der USA hin enteignet wurden) näher untersucht. Gesonderte Beachtung finden schließlich die Beziehungen deutscher Männer zu Kekchi-Frauen in der Verapaz. Im Gegensatz zu den deutschen Kolonialgebieten um 1900 sind hier keinerlei Ansätze zu einer „Rassentrennung“ zu erkennen;33 vielmehr gingen zahlreiche deutsche Pflanzer unter den besonderen demographischen und sozio-kulturellen Bedingungen der Region Lebenspartnerschaften und Sexualbeziehungen mit indianischen Frauen ein, die Letzteren eine spezifische kulturelle Vermittlerrolle zuwiesen.

619–693. Behrendt führte außerdem meteorologische Beobachtungen durch, und Adolf Bastian, Direktor der Königlichen Museen zu Berlin, beauftragte ihn, die Ausgrabungen von Bilbao (Santa Lucia Cotzumalhuapa) an der Pazifikküste zu überwachen. Behrendt führte darüber Tagebuch. Vgl. dazu TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 8; John M. WEEKS, The Danile Garrison Brinton Collection. URL: http://www.library.upenn.edu/exhibits/rbm/at250/ anthropology/jw.pdf, 16.10.2008. Das handschriftliche Manuskript ist einzusehen unter der URL: http://www.famsi.org/research/mltdp/item70_73/. Ein weiteres ist unter der URL http://libweb5.princeton.edu/mssimages/GarrettGates%20Mesoamerican/garrettgatesmeso267-f1r.jpg abrufbar. 31 Paul WIRSING, Q’uec Chi. Kekchi-Deutsches Wörterbuch, 6 Bde. Ein Typoskript findet sich in der Peabody Museum Library der Harvard University. Vgl. Norman A. MCQUOWN, Lexikographie der Mayasprachen, in: Franz Josef HAUSMANN/Gerold UNGEHEUER/Herbert Ernst WIEGAND (Hrsg.), Lexikon der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 3, Berlin 1991, S. 2661–2670. 32 Esteban V. HAESERIJN, Guía para aprender a hablar y escribir el k’ekchí, San Juan Chamelco (Alta Verapaz), 1972; DERS., Diccionario K’ekchí-Español, Guatemala-Stadt 1979. Seit 2007 ermöglicht eine Internetseite der Gemeinde Senahú in mehreren Kapiteln eine Einführung in die Kekchi-Sprache. URL: http://ensenahu.com/aprendamos-el-idioma-q-eqchi-/capitulo-iq-eqchi-22/. Vgl. auch TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 194. Weitere Lexika sind zu nennen: William SEDAT, Nuevo Diccionario de las Lenguas K’ekchi’ y Española, Guatemala 1955; Francisco CURLEY GARCIA, Vocabulario del Dialecto o Lengua Gkec-Chi, Guatemala 1967. 33 Vgl. hierzu Frank BECKER (Hrsg.), Rassenmischehen – Mischlinge – Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich (Beiträge zur europäischen Überseegeschichte 90), Stuttgart 2004.

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II. RAUM UND KULTUR IN DER ALTA VERAPAZ Die Ansiedlung europäischer Unternehmer und Pflanzer in der Alta Verapaz seit Beginn der 1870er Jahre34 zog die Einführung des exportorientierten Kaffeeanbaus und die Einbindung dieser ehemaligen kolonialen Randregion in die Weltwirtschaft nach sich. Zugleich wurde deren archäologische, ethnologische und geologische Erforschung in Angriff genommen.35 Mit dieser ökonomischen und wissenschaftlichen Erschließung durch Europäer veränderten sich die Kategorien der Wahrnehmung und Beschreibung des Raumes, die zuvor stark durch indianische Wahrnehmungsmuster und Terminologien geprägt waren. In den kolonialen Landtiteln beschrieben die Indígenas die naturräumlichen Gegebenheiten beispielsweise durch die Benennung von Wasserlöchern, Quellen oder Wegkreuzungen, die sich in der Regel an Tier- und Pflanzennamen orientierten oder durch lokative Affixe (cham- = groß; rubel- = unten, xuc- = Ecke, yal- = Wasser) näher bestimmt werden. Lebende Pflanzen wie die kuk’il (Yucca elephantipes) verwiesen häufig auf Besitzgrenzen.36 Bezeichnungen, die sowohl eine naturräumliche als auch eine religiöse Dimension aufweisen, dominieren auch die Sprache der sog. Testamente, bei denen es sich um Landbeschreibungen handelt. Auszüge aus dem Testamento Chichojl, das in mehreren Abschriften vorliegt, verdeutlichen dieses Verfahren der Beschreibung des Raums exemplarisch: Hier setze (benenne) ich die erste Grenzmarkierung, ich, Don Cristóbal Melchor Ba. Die erste Grenzmarkierung heißt Chuyha, und mein Land stößt dort an Caalel Bac. Die zweite Grenzmarkierung ist dort, wo der Tolox-Baum wächst, ich stoße [mein Besitz stößt] hier an [den von] Caalel Bac […]. Ich gebe Bartholomé Coconá das [Stück], wo der Sacbact ist. Von da kommen wir nach Chtuhul, wo wir mit den Cac-Quib Leuten zusammentreffen. […] ich komme zu der Spitze des Hügels, der Setzac genannt wird, hier verlasse ich die Choc37 Leute. Wir gehen hier nun zu Cham Cocom, die an Francisco de Garcia grenzt. Danach kommen wir unterhalb der weißen Klippe der ‚Tiere vom Wind‘ vorbei. […] Von hier bis zu dem Hügel, wo eine Höhle der Xilic ist, und von da bis dorthin, wo ein großer Tzup-Baum wächst, an der Straße, die nach Chisis führt.38

34 Bereits in den 1850er und 60er Jahren kam eine Anzahl Deutscher nach Guatemala. Sie ließen sich vorwiegend in der Hauptstadt nieder, um dort Firmen, Handelshäuser und Banken zu etablieren. Vgl. NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 10–11, 25–26. 35 Hier sind vor allem Otto Stoll, Erwin Paul Dieseldorff, Karl Theodor Sapper, Karl H. Berendt, Eduard Seler und Cecilie Seler-Sachs zu nennen. Zur Erforschung der Geographie Guatemalas vgl. den ausführlichen Überblick von Kent MATHEWSON, A Century and Counting: Geographical Research on Guatemala in Historical Perspective, in: Geoforum 37 (2006), S. 15–30, hier bes. S. 16–17. 36 WEEKS, Subregional Organisation, S. 65. Vgl. auch SAPPER, Die Quekchí-Indianer, S. 841. DERS., Die indianischen Ortsnamen, S. 91. 37 Choc verweist auf den Vorgang des Rodens; vgl. SAPPER, Die indianischen Ortsnamen, S. 92. 38 Der von WEEKS in Kekchí und Englisch abgedruckte Text wurde von mir ins Deutsche übersetzt. WEEKS, Subregional Organisation, S. 68–72. Zur Bedeutung von Bäumen zur Kennzeichnung von Gräbern in Mexiko vgl. MELTON-VILLANUEVA/PIZZIGONI, Late Nahuatl Testaments, S. 376–377.

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Der Aufbau ist klar erkennbar: Die handelnde Person benennt zuerst sich selbst und dann die Grenzpunkte, zum einen lebende Personen, zum anderen signifikante Punkte in der Landschaft: Pflanzen, Ruinen und mythisch-religiös konnotierte Punkte.39 Neben natürlichen Markierungen dienen präkoloniale Gebäude wie die Ruinen von Setzac in der Nähe von San Pedro Carchá südlich des Rio Cahabón zur Grenzfestlegung. Schließlich wurde auch bewusst Bezug genommen auf die vorchristlichen Mythen der ‚Tiere vom Wind‘.40 Für die Indios waren die hügeligen Kalkformationen der Alta Verapaz stets auch religiöse Orte. Zugleich teilten sie die Welt geschlechtsspezifisch ein in Zivilisation und Natur, Täler und Berge, Feuerstelle und Wald. Während der Haushalt der weiblichen Sphäre zugeordnet wurde und sich mit dem Zentrum religiöser Vorstellungen deckte, war die Peripherie und damit die Wildnis männlich konnotiert.41 Im kultischen Bereich wurde die Verbindung mit den vorkolonialen Gottheiten und ihren Symbolen beispielsweise über die katholischen Heiligen St. Peter und Paul oder in Gebeten hergestellt, die an die vorchristlichen Götter und somit an Natur gerichtet waren.42 Mit der Zuwanderung von Europäern und US-Amerikanern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Integration der Region in die Weltwirtschaft war eine „moderne“, d.h. europäischen Wissenschaftsstandards genügende geographische 39 Der Tolox-Baum (Ficus tuerckheimii Standl.) ist ein in Zentralamerika vorkommendes Maulbeergewächs, das seinen botanischen Namen von Paul Carpenter Standley 1928 erhielt, der unter anderem die Sammlung des deutschen Kaffeepflanzers und Botanikers von Türckheim auswertete und ihn mit dieser Namensgebung ehrte. Standl. ist die Abkürzung für Standley als Namensgeber. Zu ihm vgl. Louis O. WILLIAMS, Paul Carpenter Standley, in: Taxon 12/7 (1963), S. 245–247; R.K. BRUMMITT/C.E. POWELL (Hrsg.), Authors of Plant Names, Kew 1992. Der Sacbacts, ein Asterngewächs (Baqché = Eupatorium ligustrinum), gedeiht nur in feuchter Umgebung; seine bitteren Blätter wurden zur Behandlung von Koliken und Durchfall eingesetzt und waren deshalb bei den Kekchi weithin bekannt. Cha Coccom ist ein dünnes Schilfrohr, das unter anderem zu religiösen bzw. rituellen Geißelungen verwendet wurde. Zu Türckheim vgl. unten. 40 Es handelt sich hierbei möglicherweise um kleine Begleiter des Windes, die man in Höhlen hören kann; die Legende besagt, wenn man sie erblicke, müsse man sterben (Xilic). Alternativ könnte es sich um Xiilic, eine Frau mit ungekämmten Haaren, handeln, die den CeibaBaum pflegt und schützt und sich bei Bedarf in ein junges Mädchen verwandelt. Eine Höhle, die den Eingang zur Unterwelt bildet und für kultische Handlungen genutzt wird, dient ebenso der Abgrenzung wie pizote (Nasenbären), kleine Tonfigurinen, die sich an einem Ort namens Sesis befanden. Die Bedeutung dieser Kekchi-Begriffe wird erläutert bei WEEKS, Subregional Organisation, S. 68–72. Zu den Figurinen bereits Karl Theodor SAPPER, Ein indianischer Landstreit in Guatemala, in: Globus 72 (1897), S. 94–97. 41 Die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen im deutschen Kaiserreich ähnelte in vielerlei Hinsicht derjenigen der Mayas. Frauen, denen der häusliche Bereich zugeordnet wird, markieren auch im Deutschland des 19. Jahrhunderts den Gegenpol zum männlichen Bereich, der die Welt außerhalb des Hauses umfasst. Vgl. hierzu Karin HAUSEN, Die Polarisierung der Geschlechtercharaktere im 19. Jahrhundert. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbsund Familienleben, in: Werner CONZE (Hrsg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363–393. Eventuell liegt gerade hier ein Element der Vertrautheit bei gleichzeitiger Fremdheit. 42 Ruud VAN AKKEREN, Place of the Lord’s Daughter. Rab’inal, its History, its Dance-Drama, Leiden 2000, S. 246, 254; WEEKS, Subregional Organisation, S. 65.

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Erschließung und Kartographierung notwendig, die systematisch von Karl Sapper43 durchgeführt wurde. Sapper fertigte sowohl Karten über die Verbreitung der Sprachen und Volksstämme als auch über die Vegetationsformen der Alta Verapaz an.44 Bei seinen wissenschaftlichen Untersuchungen und Reisen griff Sapper allerdings auch auf indianische Wissensbestände zurück. So profitierte er von den Kenntnissen seines langjährigen Reisebegleiters und Gewährsmanns Sebastian Bozuoc,45 der ihm auch als Dolmetscher diente, „da der Fremde sich die nöthige Kenntniß der Indianersprachen mangels der Hülfsmittel nur schwerlich aneignet.“46 Die Kultivierung der Dolinen und Täler ermöglichte eine ganzjährige agrarische Nutzung, und mit der Migration der Europäer und Ladinos47 in dieses abgeschiedene Gebiet dehnte sich die Bewirtschaftung des Bodens bis zu den Hügelkämmen aus. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden den Landtiteln auch Karten beigelegt, die Wegstrecken zwischen den einzelnen Grenzpunkten nicht mehr Schritt für Schritt beschrieben. Weiterhin dienten jedoch Pflanzen, Flüsse, Quellen oder Höhlen als wesentliche Markierungszeichen sowie als religi43 Vgl. zu ihm Michaela SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Karl Theodor Sapper, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 435–436; DIES., Sapper Family, in: ADAM (Hrsg.), Germany and the Americas, Vol. 3, S. 943–945; WAGNER, Los Alemanes, S. 183–190. 44 Karl Theodor SAPPER, Grundzüge der physikalischen Geographie von Guatemala, in: Petermanns Mittheilungen 113 (1884), S. 1–59; DERS., Über Gebirgsbau und Boden des nördlichen Mittelamerika, in: Petermanns Mittheilungen 127 (1899), S. 1–119; DERS., Die Alta Verapaz, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 17 (1901) S. 78–223; DERS., Indianische Ortsnamen. 45 Karl Theodor SAPPER, Speise und Trank der Kekchiindianer, in: Globus 80 (1901), S. 259– 263, hier S. 260; DERS., Mittelamerikanische Reisen und Studien aus den Jahren 1888–1900, Braunschweig 1902, S. 37, 39. Immer wieder verweist Sapper in seinen Werken auf die ihn begleitenden Kekchi-Indianer, die jedoch im Gegensatz zu Bozuoc meist nicht namentlich genannt werden. So rettete ihm einer seiner Begleiter einmal das Leben. Bei diesem Vorfall „kam ganz langsam eine Giftschlange (Ottoi) hervor, und schaute sich […] um, während mein Indianer stillschweigend eine Gerte schnitt, das Tier damit tötete und den Hang hinab warf.“ S. 32; zu den Kekchis vgl. ebenda, S. 67. Zu den Kenntnissen indianischer Medizinmänner im Hinblick auf die Neutralisierung von Schlangengift vgl. ebenda, S. 267. 46 Im Oktober 1889 nahm Sapper auf einen Ausflug, den er von Cobán aus unternahm, einen Dolmetscher mit: Karl Theodor SAPPER, Das nördliche Mittelamerika nebst einem Ausflug nach dem Hochland von Anachuac, Braunschweig 1897, S. 14. 47 Der Begriff Ladino wird in Guatemala seit 1871 für alle Spanisch sprechenden Personen verwandt – egal ob es sich um europäischstämmige Personen (Creollo) oder Mischlinge (Mestizen) handelt. Der Einzelne definiert sich daher allein durch seine Muttersprache als Indio oder Ladino. Damit wurde offiziell der Anteil indigenen Blutes an der Mischlingsbevölkerung getilgt und dieser Bevölkerungsgruppe ein neues Selbstverständnis vermittelt. Die kulturelle Kluft zwischen Indios und Ladinos jedoch wurde verstärkt. Vgl. zu dieser Diskussion SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo S. 50–51; Terracena ARRIOLA, Contribucíon al estudio del vocabulo „ladino“ en Guatemala (s. XVI–XIX), in: Jorge LUJÁN MUÑOZ (Hrsg.) Historia y antropologia. Ensayos en honor de J. Daniel Contreras R., Guatemala 1982, S. 89–104. Auch in dem jüngst erschienenen Werk von Rene Reeves wird diese „ethnische“ Grenzziehung ausführlich thematisiert. Rene REEVES, Ladinos with Ladinos, Indians with Indians. Land, Labor and Regional Ethnic Conflict in the Making of Guatemala, Stanford 2006.

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ös-kultische Symbole – auch wenn die Grundstücke von staatlichen Vermessungsingenieuren aufgezeichnet wurden. Exemplarisch kann dies anhand des Grundstücks Pampence in San Cristóbal verdeutlicht werden.48 Dieses Grundstück, das sich entlang des Rio Negro erstreckte, wurde im Norden durch ein jahrhundertealtes Kreuz begrenzt, das sich am Fuß eines Baumes befand. Etwas weiter südlich gab es bei den Kaffeebäumen einen Brunnen oder eine Wasserstelle; von dieser Stelle verlief die Grenze weiter bis zu einer kleinen Steineiche und von dort bis zum Kreuz am Brunnen, wo das Landstück an den Besitz von D.F. Valdez angrenzte. Weitere Markierungen waren der Stumpf eines Guachipilín-Baumes,49 die Kreuzung des Wegs nach Panchusac und ein Kreuz, das den Fundort für Feuersteine anzeigte (Chitok, Setok, Satok = Ort, an dem es Feuersteine gibt50). Schließlich verlief die Grenzlinie bis zu einem Kreuzungspunkt51 und von dort gerade entlang der Grundstücksgrenze der Finca Primavera zurück zum Rio Negro.52 Hier zeigt sich eine Mischung „moderner“ Kriterien der Vermessung und traditionell indianischer Kennzeichnungen wie Personen, religiöse und rituelle Orte, Pflanzen und Wasserquellen. In dieser Form der Landvermessung mischen sich indigene und europäische Vorstellungen von Land sowie die für die Indigenas zentrale spirituelle Komponente – Land als Geschenk Gottes und als Verbindungsglied zwischen den Vorfahren und ihren Nachkommen – mit den Vorstellungen der Europäer, die Land als Investitionsobjekt betrachteten.53 Um die Verapaz nach „modernen“ Gesichtspunkten wirtschaftlich nutzbar zu machen und dort Land zu erwerben, mussten die Deutschen das System der Landvergabe verstehen54 und griffen dabei auf die Kenntnisse der Indígenas vor Ort zurück. Seit 1870 hatte sich die Alta Verapaz für Kaufleute und Unternehmer von einem Randgebiet zu einer lukrativen Region für Investitionen entwickelt, da sich hier günstig große Ländereien für den neu etablierten Kaffeeanbau erwerben lie48 Zu San Cristóbal vgl. ausführlich Michaela SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Continuity and Change in a Guatemalan Indian Community: San Cristóbal-Verapaz 1870–1940, in: Hispanic American Historical Review 76/2 (1996), S. 227–248. 49 Es handelt sich hierbei um einen Baum, der zur Gruppe der Acosimum panamense gehört und Schotenfrüchte trägt. Sein sehr hartes Holz ist witterungsresistent und wird u.a. zur Herstellung von Kochgeschirr verwendet. Ebenso eignet es sich aufgrund seines Farbstoffanteils zum Färben von Garn. Ferner wird ihm Heilwirkung, unter anderem bei Malaria zugesprochen. 50 SAPPER, Indianische Ortsnamen, S. 91. 51 Hier fehlt eine genauere Bezeichnung der intersección. 52 Die Grenzmarkierungen werden erwähnt in AGCA, Sección de Tierras, paq. 82, exp. 2, „Cedral-Pampencé“ San Cristóbal, Alta Verapaz, 1900–1907. 53 John D. EARLY, The Demographic Structure and Evolution of a Peasant System: The Guatemalan Population, Boca Raton 1992, S. 82; SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Continuity and Change, S. 231. 54 Zur Desamortisation und zur Inbesitznahme der sogenannten Terrenos baldios vgl. David MCCREERY, State Power, Indigenous Communities, and Land in Nineteenth-Century Guatemala, 1820–1920, in: Carol A. SMITH (Hrsg.), Guatemalan Indians and the State, 1540–1988, Austin (Tex.) 1992, S. 96–115; WAGNER, Los Alemanes, S. 182–183; Regina WAGNER, Historia del Café de Guatemala, Bogotá 2001, S. 88–89; SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 55–59.

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ßen, zumal seit der Enteignung der indigenen Gemeinden große Flächen ohne Besitzer waren und die darauf wohnenden Indios ein Reservoir an billigen Arbeitskräften darstellten.55 Im Rahmen der Erschließung wurden Bodenproben genommen und deren Qualität analysiert. Meteorologische Messungen dienten der Bestimmung der Niederschlagsmenge und der Einteilung in Klimaregionen, um eine möglichst optimale landwirtschaftliche Nutzung zu gewährleisten. Dafür waren insbesondere die geographischen Kenntnisse Karl Sappers von großem Nutzen,56 der nach seiner Rückkehr aus Guatemala auf diesem Wissen seine wissenschaftliche Karriere in Deutschland aufbauen konnte.57 Die wissenschaftliche Erforschung der Region bildete eine wesentliche Voraussetzung für ihre wirtschaftliche Durchdringung, den Ausbau der Infrastruktur und die Anbindung an den Weltmarkt.

III. DIE WIRTSCHAFTLICHE UND WISSENSCHAFTLICHE ERSCHLIESSUNG DER ALTA VERAPAZ DURCH DEUTSCHE PFLANZER Im Jahre 1865 eröffnete Heinrich Rudolf Dieseldorff, ein Onkel des erwähnten Erwin Paul, nach einigen Jahren in Belize und einem gescheiterten Versuch, Baumwolle in Zacapa zu pflanzen, einen Laden in Cobán, der die abgelegene Region erstmals mit industriell produzierter Ware versorgte.58 Mit der Zeit siedelten sich immer mehr Landsleute Dieseldorffs in der Region an. 1880 lebten 25 Deutsche in der Alta Verapaz, um 1900 waren es bereits 150, und ihre Zahl vergrößerte sich bis in die 1930er Jahre stetig.59 Die deutschen Pflanzer waren im Gegensatz zu den einheimischen Plantagenbesitzern stets auf der Finca präsent bzw. ließen ihre kleineren Fincas – sog. annexos – von jungen deutschen Verwaltern bestellen. Nicht zuletzt durch ihre persönliche Anwesenheit und Kontrolle steiger-

55 John HAWKINS, Inverse Images: The meaning of culture, ethnicity, and family in postcolonial Guatemala, Albuquerque 1984, S. 81; MCCREERY, „An Odious feudalism“, S. 100; NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 28. 56 Der Pflanzer Richard Sapper konnte bei der Bewertung des Landes unmittelbar auf die Kenntnisse seines Bruders Karl zurückgreifen, der für ihn die Gegend vermaß, Bodenproben nahm und ihm so wichtige Informationen an die Hand gab. WAGNER, Los Alemanes, S. 185. 57 Karl Theodor SAPPER, Grundzüge der physikalischen Geographie von Guatemala (Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesamtgebiete der Geographie. Ergänzungsheft 113), Gotha 1894; DERS., Meteorologische Beobachtungen angestellt in den Republiken Guatemala und El Salvador 1906, in: Meteorologische Zeitschrift 25 (1908), S. 178–181; DERS., Das Klima in der Alta Verapaz, in: Meteorologische Zeitschrift 8 (1891), S 349–351. Vgl. hierzu auch WAGNER, Los Alemanes, S. 185. 58 NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 34–35; WAGNER, Los Alemanes, S. 174–175. 59 NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 26–27.

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ten sie die Effizienz der Betriebe.60 Hatten die jungen Verwalter genug Geld angespart, versuchten sie, sich selbst als Pflanzer zu etablieren. Im Jahre 1900 gehörte Hugo Grothe zufolge die Mehrzahl der Plantagen in Guatemala deutschen Staatsbürgern. Sie bewirtschafteten damals 2.725 Quadratkilometer Land im geschätzten Wert von 50 bis 60 Millionen Mark. Etwa 10.000 Tonnen Kaffee und mehr als 6.000 Tonnen Zucker wurden dort produziert; zusammen mit 50 Handels- und Industrieunternehmen sowie Banken beliefen sich die Kapitalinvestitionen auf 250 Millionen Mark.61 1901 befanden sich laut Paul Preuss „fast alle großen Kaffeepflanzungen […] in deutschen Händen“. Diese „zahlen ansehnliche Dividenden. Außerdem gab es eine große Anzahl kleinerer Kaffeepflanzungen, welche Deutschen gehörten“.62 In der Verapaz waren 89 der 271 ausländischen Fincas in deutscher Hand.63 Die Amerikanische Handelskammer konstatierte 1913, dass die Deutschen 170 Kaffeeplantagen besaßen und mehr als ein Drittel der Jahresernte des Landes produzierten.64 Mit der Anwesenheit deutscher Pflanzer entwickelten sich städtische Lebensformen in der Provinzhauptstadt Cobán, und die Fincas wurden nach westeuropäischen Grundsätzen der Betriebsführung bewirtschaftet. Vielen Finqueros gelang es im Laufe der Zeit, die Zahl ihrer Plantagen zu vergrößern und durch Mechanisierung und Verbesserung der Transportwege eine intensive Einbindung ihrer Betriebe in den Weltmarkt herbeizuführen. Einige wenige konnten ihre Profite durch die Verarbeitung fremden Kaffees und dessen Vermarktung zusätzlich steigern. Durch den überwiegend auf deutscher Initiative und deutschem Kapital beruhenden Bau der Eisenbahn Ferrocarril Verapaz, die von San Miguel Tucurú nach Panzos am Rio Polochic verlief, verkürzte sich der Transportweg zum Überseehafen Puerto Barrios erheblich.65 Die engen Kontakte der Deutschen zu den Kekchis und den Ladinos begünstigte eine wechselseitige kulturelle und soziale Annäherung, die die Beziehungen zwischen diesen Gruppen stabilisierte.66 Die Deutschen, die sich in der Alta Verapaz niederließen, sprachen in der Regel kaum Spanisch67 und mussten sich eine indigene Sprache – in der Regel Kekchi – aneignen, um mit dem größten Teil der einheimischen Bevölkerung überhaupt kommunizieren zu können. Für den Erwerb dieser Sprache waren Grammatiken und Wörterbücher in der Regel nicht ausreichend. Elementare Kenntnisse 60 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Die Grenzen des Caudillismo, S. 136. Eine Schilderung aus den 1930er Jahren findet sich dazu bei RÖSCH, Allerlei, S. 32. 61 Hugo GROTHE, Wörterbuch des Auslandsdeutschtums, München/Berlin 1932, S. 207. Zu Grothe vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten Kalender 1925. 62 Paul PREUSS, Expedition nach Central- und Südamerika 1899/1900, Berlin 1901, S. 127. 63 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 143. 64 Frederick M. HALSEY, Investment in Latin America and the British West Indies, 1918, abgedruckt in: Louis S. SEGESVARY, Deutsche Siedler, Kulturträger und deutsches Gedankengut in Guatemala, unpublizierte Diss., Universität Trier 2001, S. 50. 65 NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 36. 66 KING, Cobán, S. 272. 67 Die fließende Beherrschung von Englisch und Deutsch in Wort und Schrift war für die Abwicklung des Handels deutlich wichtiger als die spanische Sprache; vgl. NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 350.

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versuchten die deutschen Pflanzer ihren neu aus Deutschland angekommenen Angestellten zu vermitteln, indem sie ihnen in den ersten Wochen in der Hauptstadt Cobán einige notwendige Phrasen auf Kekchi beibrachten und sie mit einer einfachen Grammatik sowie mit dem Wörterbuch von Behrendt versorgten. Nach einer kurzen Akkulturationsphase wurden die jungen Männer oft auf abgelegene Fincas geschickt, wo ihnen nichts anderes übrig blieb, als auf Kekchi zu kommunizieren, auch wenn sie von einem Landsmann angelernt wurden. Diese in der Regel einsam in den Bergen der Alta Verapaz gelegenen Fincas stellten für die jungen Verwalter eine große Herausforderung dar. August Helmrich, dem die Finca Samac gehörte, lebte im Jahre 1888 die ganze Woche über spartanisch auf seiner Finca. Er verfügte nicht einmal über ein Bett, sondern schlief auf einem Tisch.68 Daniel Sapper, ein Cousin Karl und Richard Sappers, thematisierte ebenfalls seine Einsamkeit auf einer abgelegenen Finca.69 Allein unter den Kekchi waren die jungen Männer für die gesamte betriebliche Organisation verantwortlich, standen frühmorgens mit den Indios auf und gingen bei Dunkelheit schlafen. Neben der Überwachung der Arbeit und der Führung der Bücher waren sie auch für den Ankauf von Kaffee, den die Indios als Zugewinn produzierten, zuständig. Ihren Arbeitgebern gegenüber waren sie persönlich verantwortlich. Seltene kurze Besuche in der Stadt unterbrachen die Monotonie dieses Arbeitsalltags kurzfristig. Dabei lernten die jungen Männer auf diesen isolierten Außenposten die indianische Sprache häufig fließend; Spanisch wurde hingegen nicht gesprochen und musste also nicht unbedingt gelernt werden.70 Die Einheimischen, die über Grundkenntnisse im Spanischen verfügten, benutzten diese nicht, sondern – so behauptete jedenfalls Sapper – verheimlichten sie geradezu.71 Diejenigen, die sich weigerten, die Sprache der Indígenas zu lernen, scheiterten an ihrer Aufgabe, wie das Beispiel eines Verwalters von Richard Sapper namens Ferdinand von Weye belegt, der seine Anweisungen für die Arbeiter durch seine Köchin aus dem Spanischen ins Kekchi übersetzen ließ und seine fehlende Kommunikationsfähigkeit mit drastischen Strafaktionen zu kompensieren versuchte.72 David Sapper, der im Alter von 15 Jahren nach Guatemala kam, lernte hingegen schnell die Sprache der Indígenas. Er organisierte die von Ferdinand von Weye heruntergewirtschaftete Finca neu und stellte das Verhältnis zu den 1.600 indigenen Familien, die auf dem Territorium der Finca lebten, wieder auf eine vertrauensvolle Basis.73 68 Brief Erwin Paul Dieseldorffs vom 29.11.1888 an seine Stiefmutter, abgedruckt in NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 44. 69 David SAPPER, Costumbres y creencias religiosas de los indios Queckchí, in: Anales de la Sociedad de Geografía e Historia 2 (1925), S. 190; Hinweis in NAÑEZ FALCÓN, Dieseldorff, S. 54. 70 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 367–369. 71 SAPPER, Die Kekchí-Indianer II, S. 894. 72 WAGNER, Los Alemanes, S. 185–186. Von Weye reiste mit seiner deutschen Frau und Kind 1906 via Kingston/Jamaica zurück nach Deutschland. Ein entsprechender Eintrag findet sich unter der URL: http://www.ellisisland.org/EIFile/. 73 WAGNER, Los Alemanes, S. 186–187.

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Während die Mehrzahl der deutschen Pflanzer und Verwalter primär wegen der wirtschaftlichen Aussichten nach Guatemala kam, interessierten sich einige auch stark für die Kultur des Landes. Erwin Paul Dieseldorff ging 1888 als 21jähriger nach Guatemala, um sich mit seinem umfangreichen Erbe eine neue Existenz aufzubauen. Seine Familie hatte bereits seit Jahren geschäftliche Beziehungen zu Zentralamerika.74 Seine ersten Reisen im Land unternahm er zusammen mit dem Geographen Karl Theodor Sapper, der den jungen Dieseldorff für eigene Feldforschungen begeisterte. Neben der Verkartung der Region untersuchten die beiden Höhlen, erkundeten vorkoloniale Mayastätten und verfassten ethnologische Studien.75 Ab 1891 lebte Dieseldorff auf seiner neuen Finca Seacté76 in einer Hütte unter den Indios, wo er seine Kenntnisse des Kekchi perfektionierte und sein Wissen über Religion, Geschichte und Kultur der Maya, das er auf seiner Reise mit Sapper erworben hatte, erweiterte.77 Er unternahm ethnologische Studien zu den Riten und Gebräuchen der Indios, leitete eigene archäologische Ausgrabungen in Las Pacayas, Chajcar and Chamá und nahm linguistische Untersuchungen zu den Indianersprachen vor, wobei er auf indianische Gewährsleute zurückgriff. In diesem Kontext legte Dieseldorff umfangreiche Sammlungen von Keramiken, Stelen und anderen Artefakten an, sammelte Dokumente und publizierte zahlreiche Arbeiten zur indianischen Kunst und Religion. Aufgrund dieser Sammeltätigkeit sind das eingangs erwähnte Testament der Magdalena Hernandez, die indianischen Landtitel aus der Kolonialzeit78 sowie ein aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammendes Manuskript erhalten, das Jacobus de Voragines Legenda Aurea in einer Übersetzung ins Kekchi überliefert.79 Eine Zeit lang half ihm sein Angestellter Max Krings, Maya-Stelen aufzufinden und zu verzeichnen.80 Ferner 74 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 32, 39. 75 WAGNER, Los Alemanes, S. 184–185. 76 Name einer Palmensorte, auch „Schweinsbaum“ genannt. Zur Übersetzung vgl. SAPPER, Indianische Ortsnamen, S. 92. 77 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 53. 78 Zu Dieseldorffs Reise mit Sapper vgl. NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 44–45; SAPPER, Die Quekchí-Indianer, S. 841. Zu seinen Publikationen siehe Erwin Paul DIESELDORFF, Ausgrabungen in Cobán, in: Zeitschrift für Ethnologie 25 (1893), S. 374–382; DERS., Kunst und Religion der Mayavölker, 3 Bde., Berlin 1928/31 und Hamburg 1936; DERS., Religión y Arte de los Mayas, in: Anales de la Sociedad de Geografía e Historia 5 (1928), S. 66–86, 184–203, 317–334, 432–445; DERS., La Arqueología de la Alta Verapaz y los problemas de los estudios Mayas, in: Anales de la Sociedad de Geografía e Historia 13 (1936), S. 183–191. 79 Tulane University, Latin American Library Manuscripts, Collection 212: Erwin Paul Dieseldorff (1868–1940) Papers. Zu Voragine, einem italienischen Dominikaner des 13. Jahrhunderts, vgl. Kristina LOHRMANN, Jacobus de Voragine, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Hamm 1990, Sp. 1414–1416. 80 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 251. Ein Teil dieser umfangreichen Sammlung befindet sich heute im Nationalmuseum in Guatemala, ein weiterer im Museum für Völkerkunde in Berlin. Ferner arbeiteten Dieseldorff und Sapper auch für das Peabody Museum in Boston. Dieseldorff stand wie Sapper in engem Austausch mit dem Forscher Eduard Seler (1849– 1922) und dessen Ehefrau Cäcilie Seler-Sachs (1855–1935), den Begründern der Altamerikanistik und Mexikanistik in Deutschland. Die beiden bereisten zwischen 1887 und 1910 Mit-

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arbeitete Dieseldorff an der Verbesserung der Kaffeesorten und legte ein Herbarium für Heilpflanzen an.81 Félix Cucul, ein fähiger und angesehener indianischer Heiler, vermittelte Dieseldorff Kenntnisse über die Eigenschaften und die Anwendung einheimischer Heilpflanzen. Anschließend zog Dieseldorff weitere Medizinmänner aus benachbarten Orten heran, um sein Wissen zu vertiefen.82 Sapper verwies darauf, dass die Behandlungsmethoden der indianischen Ärzte Guatemalas bemerkenswerte Heilungserfolge zeitigten.83 Die naturkundlichen, medizinischen und kulturellen Kenntnisse der Einheimischen waren für die deutschen Pflanzer sowohl von wissenschaftlichem als auch von ökonomischem Interesse. Dieseldorff systematisierte diese Kenntnisse gemeinsam mit Baron Hans von Türckheim (1853– 1920), und Türckheim erstellte ein umfangreiches Herbarium für den Botanischen Garten und das Botanische Museum BerlinDahlem.84 Die enge Verbindung Türckheims mit Dieseldorff könnte auch bei einem weiteren Projekt Dieseldorffs, das sich mit der Heilwirkung von Pflanzen beschäftigte, eine Rolle gespielt haben. In Zusammenhang mit einer chronischen Bronchitis experimentierte Dieseldorff mit der sogenannten Mesbé-Pflanze (bot. Sida rhombifolia), auf die ihn indianische In-

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telamerika. Hierbei legten sie umfangreiche Sammlungen für Berliner Museen an und führten ethnologische, linguistische und botanische Untersuchungen durch. In regem Kontakt mit Seler stand auch der ehemalige deutsche Konsul in Cobán Dr. Franz Sarg, der ebenfalls das Museum für Völkerkunde in Berlin belieferte. Vgl. hierzu Eduard SELER, Althertümer aus Guatemala, in: Veröffentlichungen aus dem königlichen Museum für Völkerkunde, Bd. 4, Berlin 1895, S. 21–53. Zu Seler vgl. URL: http://www.altamerikanistik.de/Seler.html. Ferner: SELER-SACHS, Auf alten Wegen; STOLL, Guatemala. Zu Sarg vgl. WAGNER, Los Alemanes, S. 48, 91–92, 95, 98–99, 131, 175–179, 214–215. NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 66–80; WAGNER, Los Alemanes, S. 193; Erwin Paul DIESELDORFF, Der Kaffeebaum. Praktische Erfahrungen über seine Behandlung im nördlichen Guatemala, Berlin 1908. Zu den medizinischen Kenntnissen der Kekchi vgl. auch Karl Theodor SAPPER, Die Verapaz und ihre Bewohner, in: Das Ausland 64 (1891), S. 1011–1017 und 1034–1037, hier S. 1015. SAPPER, Mittelamerikanische Reisen, S. 418. NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 74; Johann Andreas KNEUCKER, Hans Freiherr von Türckheim, in: Allgemeine Botanische Zeitschrift für Systematik, Floristik, Pflanzengeographie etc. (1922), S. 33–36. Auszüge aus dem Herbarium sind abrufbar über die Internetseite des Instituto de Botânica, Jardim Botânico de São Paulo. URL: http://www.ibot.sp.gov.br/herbario/ LEG_FABOIDEAE/sp33369.htm, 18.09.2008. Machaerium cobanense Donn. Sm., Bot. Gaz. 44:108. 1907. Material tipo (fragmento): Guatemala, Alta Verapaz, Coban, leg. H. von Tuerkheim II-1401, X.1907, SP 33369. Vgl. auch Hannes HERTEL/Annelis SCHREIBER, Die Botanische Staatssammlung München 1813–1988 (Eine Übersicht über die Sammlungsbestände), URL: http://www.botanik.biologie.uni-muenchen.de/botsyst/ic/ic-home.htm, 18.08. 2008. Vgl. auch die Seiten der Smithsonian Institution, Washington D.C., URL: http://persoon.si.edu/types/oneRecord.cfm?myGen=Solenophra&mySpec=tuerckheimiana& myRank=&myEpithet=&mylevel=1, 18.08.2008. Siehe ferner TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 188; WAGNER, Los Alemanes, S. 178–179; SELER-SACHS, Auf alten Wegen, S. 248.

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formanten aufmerksam gemacht hatten, und erkannte ihre Heilkraft bei Tuberkulose. Er kooperierte mit dem Arzt Dr. Adolf Spangenberg in Rüsselsheim, der 1909 erfolgreich eine Versuchsreihe an erkrankten Personen durchführte. Ab 1912 waren Mesbé-Produkte von Dieseldorff gesetzlich geschützt.85 Er eröffnete ein Sanatorium in Berlin, das die Wirksamkeit von Mesbé bei Tuberkulose allgemein bekannt machen sollte. Zeitgleich erschienen Studien dazu in wissenschaftlichen Zeitschriften.86 Im Jahre 1919 schloss das Sanatorium wegen fehlender Liquidität aufgrund der Folgen des Ersten Weltkriegs.87 Dieseldorff hatte große Hoffnungen in diese Heilpflanze gesetzt. Eine allgemeine Akzeptanz dieses Naturheilmittels und sein Einsatz in der Tuberkulosetherapie hätten der Verapaz neue Exportmöglichkeiten eröffnet. Insgesamt handelte es sich jedoch um den missglückten Versuch eines Unternehmens, das Londa Schiebinger für das 18. Jahrhundert als colonial bio-prospecting bezeichnet hat.88 In den 1930er Jahren setzte Dieseldorff seine Sammlung und Klassifikation von Heilpflanzen gemeinsam mit Paul Wirsing systematisch fort.89 Wirsing interessierte sich ebenfalls für Maya-Mythen, sammelte Dokumente und zeichnete Geschichten indianischer Gewährsleute auf.90 Dieseldorffs Studie wurde 1939 abgeschlossen und 1940 publiziert. Ein neuerlicher Versuch, die Erkenntnisse über die Mesbé-Pflanze in den USA zu propagieren, blieb wegen Dieseldorffs ange-

85 Regierung von Luxemburg, Recueil de Législation, contient les actes législatifs et réglementaires. Dort findet sich Mesbé seit dem Jahr 1912 als gesetzlich geschütztes Produkt Erwin Paul Dieseldorffs. Vgl. Recueil officiel de marques de fabrique et de commerce, 31.7.1912, abrufbar unter der URL: http://www.legilux.public.lu/leg/a/annexes/1912/annexe_01/annexe_ 01. pdf, 25.7.2008. 86 Adolf SPANGENBERGER, Mesbé, ein neues Heilmittel gegen Tuberkulose, in: ReichsMedizinal-Anzeiger, 30.8.1912, S. 1–8; Michejda BUTZENGEIGER, Erfahrungen mit Mesbé in der Behandlung chirurgischer Tuberkulosen, in: Münchener medizinische Wochenschrift 3 (1913), S. 1–4. Weitere Titel bei NAÑEZ FALCON, Erwin Paul Dieseldorff, Anmerkungen zu S. 76–78. 87 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 78. Dieseldorffs Sanatorium ging daraufhin in den Besitz der Stadt Berlin über. Gerhard ENGEL/Bärbel HOLTZ/Ingo MATERNA (Hrsg.), Großberliner Arbeiter- und Soldatenräte in der Revolution 1918/19: Dokumente der Vollversammlungen und des Vollzugsrates. Vom Ausbruch der Revolution bis zum 1. Reichsrätekongreß, Berlin 1995, S. 699. 88 Londa SCHIEBINGER, Plants and Empire: Colonial Bioprospecting in the Atlantic World, Cambridge (Mass.) 2004, bes. S. 73–104. 89 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 76–78. 90 Im Jahre 1909 zeichnete Wirsing einen Schöpfungsmythos der Mayas auf, „die Verstoßung der Tochter des Alten Erdgottes“, den ihm der Flötenspieler und Trommler Juan Ka’al erzählte. Wirsing verkaufte den Text später an Herbert Quirin Dieseldorff, der ihn 1966 publizierte. VAN AKKEREN, Place of the Lord’s Daughter, S. 233; John Eric Sidney THOMPSON, Maya History and Religion, Norman (Okla.) 1990, S. 243, 273, 343, 364–365; Paul KOCKELMANN, Translation and Exegesis of a Mayan Myth, in: Anthopological Linguistics 49 (2007), S. 308–367. Teile der Korrespondenz Wirsings sowie seine Aufzeichnungen zur Sprache der Kekchi befinden sich in der Erwin Paul Dieseldorff Collection an der Tulane University, New Orleans, USA.

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schlagenem Gesundheitszustand in Ansätzen stecken.91 Paul Wirsing setzte seine Feldforschungen bis zu seinem Tode fort und vermachte seine Sammlung dem belgischen Priester Esteban Haeserijn.92 Auch der Berliner Amerikanist Eduard Seler widmete sich der Sammlung von Pflanzen, die er von Botanikern bestimmen ließ und deren kulturelle und medizinische Bedeutung sowie deren indianische Bezeichnungen er akribisch festhielt.93 Gustav Helmrich, der im Alter von 19 Jahren nach Guatemala kam, war vor allem an der Verbesserung der Landwirtschaft interessiert. Seine fließende Beherrschung des Kekchi ermöglichte es ihm, neue Kultivierungstechniken, die er experimentell entwickelt hatte, an die Einheimischen zu vermitteln. Ferner publizierte er regelmäßig über seine Versuche mit der Düngung der Kaffeepflanzen. Nach ihm ist die guatemaltekische Salamanderart Oedipus Helmrichi benannt,94 und offenbar überlieferte er auch Mayamythen.95 Seine Frau Anna Roth, eine ausgebildete Krankenschwester, engagierte sich in der Betreuung von Schwangeren und Neugeborenen sowie in der medizinischen Versorgung der Indios. Das Ehepaar, das keine eigenen Kinder hatte, adoptierte mit Isabel Klärchen ein Kind aus einer deutsch-indianischen Beziehung.96

91 Erwin Paul DIESELDORFF, Las plantas medicinales del Departamento de Alta Verapaz, Guatemala 1940. Dieseldorffs Pflanzenverzeichnis führt über 100 Heilpflanzen mit ihren Bezeichnungen in Kekchi auf. Laut Grandia kennen die Kekchi-Heiler im Tiefland von Belize nur noch ein Viertel der ursprünglichen Kekchi-Bezeichnungen und haben ihre Terminologie überwiegend aus dem Chól übernommen. Ihre Kenntnisse über deren Heilwirkung sind jedoch mit denen der Heiler in der Alta Verapaz vergleichbar. Siehe Liza GRANDIA, Unsettling: Land Dispossession and Enduring Inequity for the Q’ekchi’ Maya in the Guatemalan and Belizean Frontier Colonization Process, Ph.D. Diss., University of California Berkeley 2006, S. 38, abrufbar unter der URL: http://www2.clarku.edu/departments/IDCE/docs/Grandia_Dissertation.pdf, 7.5.2009. Vgl. auch NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 79. 92 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 194. 93 Eduard SELER, Zwei Frühlingsmonate in Yucatan, in: Ignatz URBAN (Hrsg.), Festschrift zur Feier des 70. Geburtstags des Herrn Prof. Dr. Paul Aschersohn, Leipzig 1904, S. 371–382. Zur Bedeutung der Sammlungen von Eduard Seler und seiner Frau Cäcilie Seler-Sachs vgl. Paul HIEPKO, The botanical collection of Eduard and Cäcilie Seler, in: Renata von HANFFSTENGEL/Cecilia TERCERO VASCONCELOS (Hrsg.), Eduard y Caecilie Seler: sistematización de los estudios americanistas y sus repercusiones, Mexiko-Stadt 2003, S. 225–228. 94 Karl P. SCHMIDT, Guatemalan Salamanders of the Genus Oedipus, in: Zoological Series of the Field Museum of Natural History 20 (1936), S. 135–166. 95 THOMPSON, Maya History, S. 299. 96 Zur Biographie Helmrichs vgl. TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 125–128; WAGNER, Los Alemanes, S. 179. Siehe auch Gustav HELMRICH, Kaffeedüngungsversuche in Guatemala, Berlin 1901; DERS., Versuche über die Verwendung von Kunstdünger in der Kultur des Kaffees, Berlin 1908.

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IV. SPRACHE UND GESCHLECHT: KEKCHI-FRAUEN UND DEUTSCHE MÄNNER In Guatemala waren Heiraten über ethnische Grenzen hinweg insgesamt selten. Von 16.660 in den Jahren 1931 bis 1934 geschlossenen Ehen betrafen 10.329 Heiraten zwischen Ladinos und 6.002 Heiraten zwischen Indios. Das heißt, dass nur 359 Paare (2,2 Prozent) überhaupt über ethnische Barrieren hinweg heirateten.97 Hingegen waren bi-kulturelle Beziehungen in der Verapaz weitaus häufiger.98 In der Alta Verapaz eröffnete die Präsenz der Deutschen indigenen Frauen eine völlig neue Möglichkeit sozialer Mobilität. Zahlreiche familiäre Beziehungen und außereheliche Verbindungen zwischen Indígenas und deutschen Pflanzern sind dafür ein eindeutiges Indiz. Sie ermöglichten es den deutschen Männern zudem, sich die sprachliche und kulturelle Welt der Mayas zu erschließen. Wie bereits gesehen, lebten die jungen Männer meist allein an abgelegenen Plätzen; die wenigen unter ihnen, die verheiratet waren, hatten ihre Frauen in der Regel in Cobán oder sogar in Deutschland zurückgelassen, da sie ihnen das Leben auf den Fincas nicht zumuten wollten. Paul Wirsing, der sich auch als Botaniker, Mythensammler und Wörterbuchautor betätigte, lebte mit der Kekchi Maria Ical zusammen, mit der einen Sohn hatte, der sehr jung starb. Daraufhin adoptierte das Paar die Brüder Pablo und Joaquin Xe.99 Auch der Botaniker Hans von Türckheim, Kaffeepflanzer und zeitweilig deutscher Konsul in Cobán, hatte eine indianische Frau. Als seine Mesalliance mit einer deutschen Tänzerin nach zwei Jahren geschieden wurde und diese sich 1895 wieder zurück nach Deutschland einschiffte, unterhielt Türkheim eine Beziehung mit der Indígena Rosario Pacay, aus der drei Kinder hervorgingen.100 Verbindungen mit indianischen Frauen waren allgemein üblich und akzeptiert, und die Beziehungen waren oftmals von langer Dauer. Viele Männer erkannten die daraus hervorgegangenen Kinder offiziell an und sorgten für ihre Erziehung. Illegitimität war in der Alta Verapaz kein Stigma, so dass diesen Kindern keine sozialen Nachteile aus ihrer Herkunft erwuchsen. Die illegitimen Kinder trugen in der Regel den Namen des Vaters (entweder als ersten oder zweiten Teil des Nachnamens) und bildeten als Erwachsene eigene soziale Netzwerke aus.101 Häufig erhielten die Frauen ein eigenes Haus.102 Für die Kinder aus diesen nichtehelichen Beziehungen, die nicht offiziell anerkannt waren, weil der Vater nicht mehr mit der Mutter zusammenlebte, gab es monatliche Unterhaltszahlungen, welche die Männer im Laden von Arnold Dätz bzw. bei Martin Frey in Cobán 97 JONES, Guatemala, S. 276. 98 Dies wurde erst kürzlich durch die Studie von Schackt bestätigt: Jon SCHACKT, La cultura q’eqchi’ y el asunto de la identidad entre indígenas y ladinos en Alta Verapaz, in: Revista Estudios Interétnicos 8 (2000), S. 14–20, hier S. 17–18. 99 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 195. 100 Ebenda, S. 188–189. Für Regina M. Türckheims Rückreise nach Deutschland siehe URL: http://www.ellisislandrecords.org/ 101 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 369. 102 Z.B. Manuela Poou von Heinrich Möschler: TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 154.

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hinterlegten, wo sie die Frauen abholen konnten. Diese Geschäfte versorgten die Pflanzer nicht nur mit den wesentlichen Gebrauchsgütern und Produkten aus Europa, sondern übernahmen gleichzeitig Bankfunktionen und fungierten als Nachrichtenbörse für Informationen aus Übersee.103 Einige Männer unterhielten mehrere Familien gleichzeitig in den verschiedenen Außenstellen der Fincas, die sie regelmäßig aufsuchten. Viktor Wellmann beispielsweise hatte mindestens vier Familien.104 Hans Düring, der Buchhalter des Hauses Sapper, hatte mehrere Familien auf dem Weg zwischen den Orten San Pedro Carchá und Campur, entlang einer Route, die er regelmäßig zurücklegte. Emilia Cu Cajbom gebar ihm acht Kinder, und ihre Beziehung währte 35 Jahre. Gleichzeitig lebte Düring mit der Köchin Juana Col in Campur, mit Viktoria Pacay sowie mit Maria Christiana Sierra zusammen; auch aus diesen Beziehungen gingen gemeinsame Kinder hervor. Dürings Unterhaltszahlungen wurden regelmäßig über Martin Frey abgewickelt.105 Kinder aus deutsch-indianischen Beziehungen wurden in offiziellen Dokumenten immer ihren Vätern zugeordnet, auch wenn sie den Namen der Mutter trugen. Aufgrund der schlechten Behandlung, die Manuel Batz, „hijo del Senor Hoenes“, ihm zuteil werden ließ, verließ der Indio Juan Cáu 1934 die Finca seines Arbeitgebers Samuel Hoenes inmitten der Erntesaison. Da die guatemaltekischen Gesetze dies als vagancia unter Strafe stellten, supplizierte Cáu an die Departmentsverwaltung, um nicht als „flüchtiger Vagant“ eingestuft zu werden und sich einen neuen Arbeitsplatz suchen zu können. Die Untersuchung des Vorfalls richtete sich „contra su familiar Manuel Batz“.106 Dieser entstammte Samuel Hoenes’ Verbindung mit Tomasa Batz auf der Finca Camcal.107 Bei Reisen nach Deutschland deponierten die Männer den Unterhalt für die Familien in der Regel ebenfalls bei Dätz oder Frey und erteilten Anweisungen, wie mit dem Geld hauszuhalten sei. So schrieb Wilhelm Klug 1931 an seine Lebensgefährtin Nummer vier, Angelina Mejia: „El dinero que dejé con Don Arnoldo es para tí, pero si tú vives más economicamente te alcanza para otros años mas.“108 Die 155 deutschen Pflanzer, die zwischen 1880 und 1940 in der Verapaz lebten, hatten insgesamt 356 Nachkommen mit Indiofrauen und weitere 159 Kinder mit Frauen aus ladinischen Familien. 73 Kinder entstammten Verbindungen mit Nachkommen aus deutsch-indianischen Beziehungen. Vier von fünf Kindern deutscher Väter in der Alta Verapaz kamen also aus bi-kulturellen Familien, wähTERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 83, 118; WAGNER, Los alemanes, S. 325. TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 83, 196–201. Ebenda, S. 226–228. AGCA, Jefatura Política Alta Verapaz 1934, Petition des Juan Cáu, Cobán, 31.1.1934. Die Petition Cáus wurde von einem Schreiber der Jefatura aufgenommen und ins Spanische übertragen, da dieser nicht schreiben konnte. Dort auch die Stellungnahme von Samuel Hoenes, Cobán, 2.2.1934 und die Antwort der Jefatura an Hoenes vom selben Tag. 107 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 192; TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas S. 132–133. 108 Brief an Angelina Mejia vom 9.10.1931, abgedruckt in TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 136. 103 104 105 106

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rend lediglich 126 Kinder von Pflanzern rein deutschen Ehen entsprangen.109 Während der kurzen Aufenthalte der Pflanzer in Deutschland waren die Möglichkeiten, eine Braut für die Reise nach Übersee zu gewinnen, sehr begrenzt. Eine öffentliche Diskussion zum Problem der Mischehen und zur „Versorgung“ der Männer mit deutschen Frauen, wie sie im Kaiserreich über die Kolonien in Afrika geführt wurde, gab es im Falle Guatemalas nicht.110 Eheschließungen und Lebensgemeinschaften deutscher Männer mit den Töchtern deutscher Pflanzer und indianischer Frauen waren hingegen nicht selten. Die jungen Frauen waren in der Regel sorgfältig erzogen worden, verfügten über eine überdurchschnittliche Bildung und brachten auch eine Mitgift – meist ein Stück Land oder eine kleine Finca – mit in die Ehe.111 Bevor Erwin Paul Dieseldorff 1902 Albertina Johanna Gressler, die Tochter eines Berliner Bankiers, heiratete, war er bereits eine Beziehung mit der Kekchi-Indianerin Luisa Cu eingegangen, die ihm mindestens eine Tochter gebar. Die 1900 geborene Mathilde Cu wurde von ihrem Vater 1919 für legitim erklärt. In diesem Zusammenhang wurde der gesamte Besitz ihres Vaters an sie übertragen, um auf diesem Wege die im Ersten Weltkrieg erfolgte Konfiskation deutscher Güter rückgängig machen zu können. Erst 1937 erfolgte eine teilweise Rückübertragung der Güter an ihren Halbbruder Willy Dieseldorff.112 Für Max Quirin, einen Angestellten ihres Vaters, war Mathilde eine gute Partie: Das Paar heiratete und hatte drei gemeinsame Kinder.113 Dieseldorffs Frau Albertina Johanna Gressler, die mit einer Hausdame nach Guatemala ging,114 konnte sich offenbar nicht mit dem Leben in Cobán anfreunden, und nachdem ihr erstgeborenes Kind verstorben war, kehrte sie nach Deutschland zurück. Ihr Mann besuchte sie indessen regelmäßig in Berlin, und aus der Ehe gingen zwei weitere Kinder hervor. Die Tochter Mathilde begleitete ihren Vater mehrfach auf seinen Reisen über den Atlantik.115 Im Jahre 1931 holte Dieseldorff seinen damals 18-jährigen Sohn Willy aus Berlin nach Guatemala und schickte ihn sogleich auf eine einsam gelegene Kaffeeplantage, damit er dort wie sein Vater 40 Jahre zuvor die eigenverantwortliche Führung einer Finca von Grund auf 109 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 145–146. 110 Zur Diskussion über Mischehen zwischen Deutschen und Afrikanerinnen und zur Rekrutierung deutscher Frauen als Heiratskandidatinnen für Deutsch-Südwestafrika durch den Deutschkolonialen Frauenbund vgl. Katharina WALGENBACH, Rassenpolitik und Geschlecht in Deutsch-Südwestafrika (1907–1914), in: BECKER (Hrsg.), Rassenmischehen, S. 163–183. 111 Frank Becker konnte für die deutschen Kolonisten im heutigen Namibia nachweisen, dass für diese eine Eheschließung mit Töchtern der sogenannten Rehobother Bastards ebenfalls eine Option darstellte. Neben Kapital, Land und einer gewissen Bildung besaßen diese Frauen landeskundliche Kenntnisse, beherrschten die Sprache und sahen in gewisser Weise europäischen Frauen ähnlich. Frank BECKER, Die „Bastardheime“ der Mission. Zum Status der Mischlinge in der kolonialen Gesellschaft Deutsch-Südwestafrikas, in: BECKER (Hrsg), Rassenmischehen, S. 184–219, hier S. 185. 112 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 62, 417. 113 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 225; SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 209. 114 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 224, 237. 115 NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 58–59.

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lernte.116 Willy Dieseldorff arbeitete anschließend mit seinen Schwägern Max Quirin,117 dem Gatten Mathildes, und Hans Quinckhard, dem Ehemann seiner Schwester Gertrude zusammen.118 Eine eheliche Verbindung zwischen Hermann Heinemann, einem Angestellten des Pflanzers Maximilian Wohlers in San Miguel Senahú, der mit einer Indígena verheiratet war, und dessen Tochter Angelina kam nicht zustande, weil Wohlers dagegen Einwände erhob. Aus Heinemanns Verbindung mit der Indígena Filomena Cuz ging hingegen eine 1927 geborene Tochter namens Irma (Nan) hervor, die 1934 im Alter von sieben Jahren von seiner deutschen Ehefrau nach Deutschland geholt wurde.119 Josef Christ, der 1902 die guatemaltekische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und für Erwin Paul Dieseldorff arbeitete, hatte insgesamt vier Familien. Seiner Beziehung mit Carmen Macz entstammte die Tochter Martha, die Stefan Möschler heiratete. Josef Christs Bruder Jakob hatte eine Beziehung mit der Indígena Reyes Tiul, aus der eine Tochter namens Viktoria hervorging,120 welche mit Alberto Wellmann Coc einen Sohn aus der Verbindung Viktor Wellmanns mit Petrona Coc heiratete. Der Jefe Politico der Alta Verapaz in den 1930er Jahren, Fidel Torres, war mit Maria Luisa Klug Macz, einer unehelichen, aber anerkannten Tochter des deutschen Pflanzers Wilhelm Klug verheiratet.121 Klug hatte noch drei weitere Familien.122 Als auf Drängen der Amerikaner die Deutschen 1942/44 enteignet wurden,123 war Torres’ Schwiegervater ebenfalls betroffen.124 Tabelle 1: Nachweisbare Beziehungen zwischen deutschen Männern und einheimischen Frauen125 Cobán Deutscher/Kekchi Deutscher/Pokom Deutscher/Rabinal Deutscher/Quiche

171 3 1

San Pedro Carchá 119

Tucurú

Senahú

Summe

25

65

380 3 3 6

2 6

116 Ebenda, S. 61. 117 Quirin arbeitete seit Anfang der 1920er Jahre für Dieseldorff; vgl. NAÑEZ FALCON, Dieseldorff, S. 271. 118 Ebenda, S. 61–62. Hans Quinckhard ging mit seiner Frau nach Deutschland zurück und fiel 1939 im Krieg. Vgl. SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 209. 119 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 206. Vgl. dazu auch die URL: http:// ensenahu.com/personajes-de-senahu/nan-cuz/, 30.7.2008. Am 10.1.2009 strahlte der TVSender Arte unter dem Titel „Brennende Feder. Sehendes Herz“ eine Dokumentation von Anja Krug-Mehringer über Nan Cuz aus. Die bei ihrer Stiefmutter und ihrem Vater aufgewachsene Künstlerin Nan Cuz lebte jahrzehntelang in Deutschland, suchte aber später nach ihren indianischen Wurzeln. 1971 ging sie zusammen mit ihrem Ehemann Georg Schäfer wieder nach Guatemala und ließ sich in Panachajel am Atitlán-See nieder. 120 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 201. 121 Ebenda, S. 142. 122 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 134–135. 123 Piero GLEIJESES, Shattered Hope: The Guatemalan Revolution and the United States 1944– 1954, Princeton 1991, S. 20. 124 SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 143. 125 Vgl. zu den Zahlen TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 410–412.

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376 Deutscher/Ladina Deutscher/DeutschKekchí Deutscher/ Deutsch-Ladina

99 24

84 11

3 1

20 25

185 63 1

In den meisten deutsch-indianischen Familien wurde Kekchi gesprochen, die Sprache also, die alle lernten, bevor sie mit dem Spanischen in Kontakt kamen. Auch einige deutsche Ehepaare, wie beispielsweise Richard Gregg und Elise Hummler, sprachen mit ihren Kindern Kekchi.126 Viktor Wellmann unterhielt sich mit seinen Kindern so gut wie nie auf Deutsch und sprach mit seinen „Ehefrauen“ selbstverständlich Kekchi.127 Hugo Dröge hingegen kommunizierte mit seinen einheimischen Frauen und Kindern auf Kekchi, sprach mit seiner deutschen Frau und den Kindern aber Deutsch.128 Viele Kinder deutscher Pflanzer hatten zusätzlich indianische Ammen und Kindermädchen. Bei den wohlhabenden Deutschen hatte jedes Kind ein eigenes Kindermädchen, das China129 genannt wurde und das mit dem Kind selbstverständlich Kekchi sprach.130 In Cobán gab es zwar seit 1919 eine weiterführende deutsche Schule, das Colegio Alemán, doch „die Zahl der Kinder in schulpflichtigem Alter, aus rein deutschen Ehen, hat zu dieser Zeit wohl nie ein Dutzend erreicht. Dabei wohnten und wohnen die Eltern zum Teil auf ihren Fincas, von der Stadt in manchen Fällen eine oder zwei Tagesreisen entfernt. Solche Eltern mußten ihre Kinder in Pension geben, was in deutschen Kreisen wohl niemand gern tut.“131 Mitunter unterrichteten im Colegio Alemán in Cobán deutsche Lehrerinnen wie Lieselotte Liegnau und Susanne Ringwald, aber sie blieben dort in der Regel nicht lange. Die „gemischten“ deutsch-indianischen Familien legten auf eine gute Schulbildung ebenfalls Wert, da diese den sozialen Aufstieg der Kinder in die ladinische Mittel- und Oberschicht ermöglichte. Maximilian Wohlers schickte seine Söhne auf eine weiterführende Schule nach Antigua-Guatemala und seine älteste Tochter Angelina ins Colegio Alemán; auch die anderen Töchter erhielten eine höhere Schulbildung.132 Nicht nur die Ausbildung der Kinder war den deutschen Pflanzern wichtig, auch der Kontakt zur Heimat des Vaters wurde in manchen Familien gepflegt. Wiederholt lassen sich Familienreisen zwischen Guatemala und Deutschland be126 127 128 129

Ebenda, S. 82, 303–306. Ebenda, S. 196, 197. Ebenda, S. 221–223. Im mittelamerikanischen Spanisch bedeutet China unter anderem junge Indianerin, Mestizin, Magd und eingeborene Geliebte, aber auch Kindermädchen, wie in diesem Kontext. 130 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 267, 270–271. 131 RÖSCH, Allerlei S. 65–66; WAGNER, Los alemanes, S. 331–332. 132 Gespräche mit Angelina Wohlers Rivas auf der Finca Secancin in den Jahren 1989 und 1991. Eine Biographie von Maximilian Wohlers, in der auch auf seine Schulzeit eingegangen wird, ist im Internet abrufbar unter der URL: http://ensenahu.com/personajes-de-senahu/maximoemil-wohlers-pollmann (30.7.2008). Vgl. ferner die Autobiographie seines Sohnes Eduard mit einer Passage über dessen Schulzeit: Eduardo WOHLERS-RIVAS, Un Mil Ciento Quince Meses de Vida, Kapitel 3–6, abrufbar unter der URL: http://ensenahu.com/un-mil-cientoquince-meses-de-vida/ (21.8.2008).

Kekchi als Verkehrssprache

377

legen. Im Jahr 1895 kam Maximilian Wohlers über Ellis Island nach Guatemala.133 1907 fuhr er zum ersten Mal nach Deutschland zurück134 und 1910 überquerte er den Atlantik ein weiteres Mal.135 Seine Tochter Angelina Wohlers besuchte 1923, 1929 und 1936 Deutschland.136 Als Maximilian Wohlers 1925 nach Deutschland ging, betraute er seinen Sohn Eduard mit der Leitung der Finca. Erst nach seiner Rückkehr von dieser Reise heirateten Maximilian Wohlers und seine indianische Lebenspartnerin Filomena in Cahabón; von da an trugen die gemeinsamen Kinder den Nachnamen Wohlers Rivas.137 Emil Sterkel hatte neben vier Kindern mit seiner deutschen Ehefrau Johanna fünf weitere mit Julia Caal, die seine Ehefrau mit aufzog. Ihr gemeinsamer Sohn Emil unterhielt eine Beziehung zur unehelichen Tochter seines Onkels Julius Sterkel, Paulina Sterkel Caal, und hatte mit ihr zwei Kinder. Mitglieder dieser weit verzweigten deutsch-guatemaltekischen Familien waren in den 1930er Jahren zu Besuch in Ravensburg.138 Auszugsweise publizierte Briefe zwischen Wilhelm Klug und seiner Lebensgefährtin Angelina Mejia zeigen, dass Pflanzer, die sich aus der Alta Verapaz kannten, auch nach der Rückkehr nach Deutschland ihre Kontakte untereinander pflegten, füreinander Botendienste übernahmen oder sich in Notlagen gegenseitig aushalfen.139 Dass deutsch-indianische Beziehungen und die Mischlingskinder deutscher Pflanzer in Deutschland selbst kaum thematisiert wurden, hängt zum einen sicherlich mit deren vergleichsweise geringer Zahl zusammen. Zum anderen handelte es sich bei der wirtschaftlichen Erschließung Guatemalas um ein rein privatwirtschaftliches Unternehmen gut ausgebildeter und teilweise vermögender Männer, deren Aktivitäten weder von staatlicher Seite flankiert noch von missionarischen Aktivitäten begleitet waren. Auch wenn ein gewisser Enno Buß 1942 eine medizinische Dissertation über die „Biologie des Deutschtums“ in Guatemala verfasste, blieben rassenbiologische Erwägungen für die Bewohner der Alta Verapaz selbst offenbar bedeutungslos.140

133 Ergebnis einer Recherche unter der URL: http://www.ellisislandrecords.org/ vom 6.4.2009. 134 URL: http://ensenahu.com/personajes-de-senahu/maximo-emil-wohlers-pollmann-2/, letzter Zugriff am 2.9.2009. 135 Ergebnis einer Recherche unter der URL: http://www.ellisislandrecords.org/ vom 12.4.2009. 136 A los cien años de haber entrado a Guatemala don Máximo Wohlers Pollmann, fundador de una familia Senahuteca, in: Revista Senahú 1995, abrufbar unter der URL: http://ensenahu. com/personajes-de-senahu/maximo-emil-wohlers-pollmann-3/ (2.9.2008). 137 WOHLERS RIVAS, Un Mil Ciento Quience Meses de Vida, Kapitel 8. 138 Ergebnis einer Recherche unter der URL: http://www.ellisislandrecords.org/ (31.7.2008). Vgl. auch SCHMÖLZ-HÄBERLEIN, Grenzen des Caudillismo, S. 210, 219–220. 139 TERGA CINTRÓN, Almas Gemelas, S. 135–140. 140 Enno BUSS, Zur Biologie des Deutschtums in Guatemala, Diss. med. (masch.), Universität Hamburg 1942.

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Michaela Schmölz-Häberlein

V. RESÜMEE Die wirtschaftliche Erschließung und wissenschaftliche Durchdringung der Alta Verapaz durch deutsche Pflanzer seit den 1870er Jahren basierte maßgeblich auf der Kooperation mit den dortigen Indios. Die Mayasprache Kekchi, die sich im Laufe der Kolonialzeit als Verkehrssprache der Region durchgesetzt hatte, bildete auch für die neu eingewanderten Europäer die Grundlage der Kommunikation mit der großen Mehrheit der Bevölkerung. Nach der Desamortisation der kommunalen Ländereien im Jahre 1878 rekurrierten die neuen Besitzer bei der Vermessung und Verzeichnung des Landes auf indianische Terminologien. Darüber hinaus eigneten sich die Deutschen im Kontakt mit den Indígenas auch geographisches, naturkundliches und kulturelles Wissen über die Alta Verapaz an. Dieses Wissen war zum einen ökonomisch nutzbar, zum anderen verwerteten es einige Deutsche für den Aufbau wissenschaftlicher Karrieren und die Pflege gelehrter Kontakte. Die Anknüpfung zahlreicher deutsch-indianischer Familienbeziehungen schließlich erleichterte den deutschen Pflanzern das Erlernen des Kekchi, eröffnete in einigen Fällen aber auch den Söhnen und Töchtern aus diesen Beziehungen den Zugang zur Sprache und Kultur ihrer Väter.

Working with Dying Languages: Two Bolivian Cases in Comparison Swintha Danielsen, Leipzig / Katja Hannss, Konstanz

I. INTRODUCTION The following article presents two cases of highly endangered or already extinct Bolivian languages and seeks to show how historical sources can contribute to their linguistic description. First, we will provide a brief outline of the general situation of language contact and the degrees of language endangerment before we explain how the process of language death can be described. In sections II to IV the case study of Baure (cf. map) will be presented, in which Danielsen discusses the factors that led to its endangerment. In the subsequent sections, the value of historical sources for the description of the Baure language will be discussed. Sections V to VIII present the case of Uchumataqu. In contrast to Baure, Uchumataqu is already extinct, and the processes that led to its extinction will be pointed out. Thereafter, the importance of historical sources for the description of Uchumataqu will be debated. The article concludes with a comparison of the role historical sources play in language descriptions. I.1. Language contact Before we turn to a more detailed description of the Baure and Uchumataqu cases, we would like to add a brief note on language contact since it has been a situation of language contact in which both Baure and Uchumataqu perished. There are several scenarios in which languages come into contact, ranging from rather peaceful encounters in the course of trade and migration (e.g. the so-called Pennsylvania Dutch spoken by descendants of German immigrants in the USA) to situations of war and conquest (e.g. the Spanish conquest of Latin America).1 The nature of the contact situation determines how the languages in contact fare: a peaceful contact promotes a stable language situation in which the languages in contact continue to coexist. Such a situation is found in bilingual societies, such as e.g. Switzerland, where Standard German is taught at school and used in official contexts, while Swiss German is acquired as the native variety and spoken at home. However, quite often situations of language contact are unstable due to 1

Sarah G. THOMASON, Language Contact, Edinburgh 2001, p. 17ff.

Swintha Danielsen / Katja Hannss

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economic, political and demographic aspects, and it is in such unstable contact situations that one language comes to threaten the other, as was the case with Spanish that threatened and finally replaced the Baure language. It is almost always a normal process that unstable contact situations lead to language endangerment and to the final extinction of one of the contact languages. These processes are described in what follows. I.2. Language endangerment The term ‘language endangerment’ has been widely discussed in the literature, as is also reflected by the various definitions provided for this term. The following scale given by Krauss2 relies mainly on the factor of ‘intergenerational transmission’.3 This refers to the questions whether a language is still passed on from one generation to the other and which generations still speak the language. Krauss proposes three basic categories for the description of language endangerment: safe, endangered, and extinct. Table 1: Degrees of endangerment safe

a+

in decline

endangered

stable

a–

unstable; eroded

a

definitely endangered

b

severely endangered

c

critically endangered

d

extinct

e

all speak, children & up some children speak; all children speak in some places spoken only by parental generation and up spoken only by grandparental generation and up spoken only by very few, of great-grandparental generation no speakers

When these criteria are applied to the Bolivian languages, we find that, except for two, all languages are at least in an unstable condition and the majority is severely or critically endangered. Baure belongs to the severely endangered languages, while Uchumataqu is extinct. Table 2: Classification of Bolivian languages according to degrees of endangerment degree of endangerment

number of languages

Bolivian languages

a+

2

Quechua, Aymara

a–c

15

c–d

9

2 3

Cavineña, Chacobo, Chimane, Chipaya, Chiquitano, Esse Ejja, Chiriguano, Guarayo, Ignaciano, Mataco, Mosetén, Sirionó, Tacana, Trinitario, Yuracaré Araona, Ayoreo, Baure, Machineri, Movima, Tapieté, Yaminahua, Yuki

Michael KRAUSS, Classification and terminology for degrees of language endangerment, in: Matthias BRENZINGER (ed.), Language Diversity endangered, Berlin 2007, p. 1. Hans-Jürgen SASSE, Theory of Language Death & Language Decay and Contact-Induced Change: Similarities and Differences, Cologne 1990, p. 17.

Working with Dying Languages

d–e

10

e

11

381

Callahuaya, Cayuvava, Chorote, Itonama, Leka, Moré, Pacahuara, Paunaca, Reyesano, Uru (Uchumataqu) Apolista, Bororo, Canichana, Chané, Chulupí, Gorgotoqui, Jorá, Kunza, Pauserna, Saraveca, Toba

I.3. The process of language death If one takes into consideration that of 47 Bolivian languages 21 are extinct or almost extinct (cf. Table 2), we have to discuss the process of language death. Following Sasse4, four principal stages of language death can be proposed: bilingual situation ĺ language shift ĺ language decay ĺ language death

The process begins with a bilingual situation in which two languages A (abandoned language: Baure, Uchumataqu) and T (target language: Spanish, Aymara) coexist. In most cases, the situation is unstable and language T is used in more domains, which are also regarded as more prestigious (e.g. university, media). This leads to an increased number of bilingual speakers, who, after one or two generations, display more competence in language T than in language A. This process, as well as political, economic and social pressures exercised by speakers of language T, contribute to a negative attitude that speakers of language A develop towards their own language. Consequently, most speakers of language A switch to language T on more occasions and in a growing number of domains. The following generation of language A-speakers can then be regarded as semispeakers, i.e. speakers who have only a simplified grammar and reduced lexicon of language A. This language is now defective, and language T is used instead in all contexts. Language A is no longer passed on in intergenerational transmission and consequently has to be considered as extinct. In some cases, however, the creation of “linguistic fossiles” and “negative borrowing” can be observed.5 I.4. Language documentation Before turning to the case studies, we will provide a brief overview of the methods involved in language documentation. Usually, language documentation starts with fieldwork in which the researcher collects the data. If the language has been previously undescribed or only minimally described, as many data as possible from a wide range of domains have to be collected. In some cases, however, only data highlighting particular features are recorded, in particular if there has already been a documentation before. The data are then transcribed and translated, ideally with the support of native speakers of the recorded language. Subsequently, the data are digitized and stored, including meta-data, i.e. background information on the language consultants, recording situation, text type, etc. Finally, the data are used for linguistic analysis and interpretation. In most language documentation projects historical, i.e. written, sources, play only a minor role or none at all. The case studies of Baure and Uchumataqu seek to evaluate the potential of these written records for a language documentation 4 5

SASSE, Theory of Language Death, p. 11. Ibid., p. 14. For a more detailed description, cf. section II.2.

382

Swintha Danielsen / Katja Hannss

project. The map shows Bolivia and its departments as well as the locations that will be referred to in the sections that follow.

Abb. 1: Bolivian departments and location of Baure- and Uchumataqu-speaking communities6

6

Courtesy of the Perry Castañeda Library, at: http://www.lib.utexas.edu/maps/americas/bolivia_rel93.jpg

Working with Dying Languages

383

II. BAURE II.1. Introduction to the Baure language and community The South Arawakan language Baure7 is spoken in the department Beni in northeastern Bolivia, in the Bolivian part of Amazonia. The Baures live in a region called Llanos de Moxos or Moxos plains, named after one of the major indigenous groups of the region. Today Baure is considered a seriously endangered language8 with a measured degree of endangerment c–d (cf. section I).9 Due to the fact that only the grandparental generation remembers the language but that all Baures speak Spanish today, it will presumably not take longer than one decade until the language disappears. The Arawakan language family, to which Baure belongs, was once very large, spanning from the Caribbean islands to the Andean foothills of Peru across Bolivian and Brazilian Amazonia into northern Argentina and Paraguay, including up to 150 languages. Nowadays, there is only about a fourth of these languages left, the others having been replaced by Spanish or Portuguese. Even though the process of language loss in the context of colonization is very similar in many cases of South America, we will here lay the focus on the individual case of Baure. Following some general demographic information and details on the state of the language in section II.2, section III describes the history of the community of speakers and the steps within the process of language abandonment. In section IV we will screen the value of historical Baure data for language analysis. The findings of this case study are then further compared with those of the Uru language in sections V through VII. II.2. Demographic information, number of speakers and state of the language The ethnic group of Baures in the municipio of Baures was estimated to comprise between 3,000 and 5,000 members in the 1960s.10 In the 1990s Szabo11 counted 3,189 Baures in the town of Baures and the surrounding communities and 1,146 in El Carmen. There are no precise numbers for the Joaquinianos in the literature that specify the people who are part of the ethnic group of Baure. Rivero Pinto12 7

The language has also been referred to under the name “Maure”, according to Denevan. See Henriette Eva SZABO, Diccionario de la Antropología boliviana, Santa Cruz 2008, p. 101. 8 Mily CREVELS, Why speakers shift and languages die: An account of language death in Amazonian Bolivia, in: Mily CREVELS et al. (eds.), Current Studies on South American Languages, Leiden 2002, p. 9–30, here p. 21; Swintha DANIELSEN, Baure: An Arawak Language of Bolivia, Leiden 2007. 9 KRAUSS, Classification. 10 Priscilla BAPTISTA/Ruth WALLIN, Baure, in: Esther MATTESON (ed.), Bolivian Indian Grammars, vol. I, Norman (Okla.) 1967, p. 27–84; Harold KEY/Mary RITCHIE KEY, Bolivian Indian Tribes: Classification, Bibliography, and Map of Present Language Distribution, Norman (Okla.) 1967; Jürgen RIESTER, En busca de la Loma Santa (el caso de los mojeños), La Paz/Cochabamba 1976; Alvaro DÍEZ ASTETE/Jürgen RIESTER, Comunidades, Territorios Indígenas y Biodiversidad en Bolivia, Santa Cruz 1996. 11 Henriette Eva SZABO, Demanda Territorial Baure, Trinidad/La Paz 1998. 12 Wigberto RIVERO PINTO, Pueblos Indígenas de Bolivia: Joaquiniano, at http://amazonia.bo/ mas_detalle_proi.php?id_contenido=15 (2006).

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Swintha Danielsen / Katja Hannss

gives the number of 3,145 inhabitants of San Joaquín without any reference to ethnic group or number of speakers. Rodríguez Bazán13 notes that 1.9 % of the population of San Joaquín (1,913 inhabitants according to his article) speak Joaquiniano. At present we can only report the situation in Baures, where Danielsen undertook extensive fieldwork. In the town of Baures and the surrounding communities there are at least 60 fluent and very competent speakers, most of them elderly people above age 60. Among the speakers there are also some descendents of Europeans, which shows that neither the number of members of an ethnic group nor the number of inhabitants is directly related to the number of speakers. In addition, there are an estimated 100 to 200 semi-speakers aged above 50 and at least 500 with a passive knowledge of the language (presumable above age 40). All speakers are bilingual in Spanish, even though the Spanish of some of the elderly speakers may be considered simple in comparison with their Baure competence. The language is only spoken in a few and restricted contexts today, such as conversation among elders at home, greetings and other short phrases, jokes, mythical narratives, ritual speech and songs, in particular the Canción de Baures (Song of Baures). The Baure language is thus in a state of decay, in particular since the actual speakers already belong to the grandparental or great-grandparental generation, and there is no younger generation that will learn the language and pass it on to their children. Further evidence of the state of Baure, besides the generational problem and the existence of a high number of semi-speakers who only remember linguistic fossils, are some variations in pronunciation. There are also many incidences of negative borrowing. The younger speakers in particular mirror Spanish grammatical rules on the Baure language. One example is the overall plural marking on plural nouns (in accordance with Spanish obligatory plural marking), even though in Baure plural is generally only marked to disambiguate and mostly on nouns referring to humans. Baure used to have one general gender-neutral article, but today the speakers use the demonstrative ti (f) for feminine reference and to (m) for masculine reference, resulting in a clear gender opposition, just like la (f) and el (m) in Spanish. In addition, we note that the formerly very rich and complex morphology of Baure is gradually disappearing. Instead of the morphological causative construction, for instance, the speakers now prefer an analytic and more transparent construction with the verb -wono- ‘send’, as illustrated in the examples (1) and (2):

13 Luis Antonio RODRÍGUEZ BAZÁN, Estado de las lenguas indígenas del Oriente, Chaco y Amazonía bolivianos, in: Francisco QUEIXALÓS/Odile RENAULT-LESCURE (eds.), As línguas amazônicas hoje, São Paulo 2000, p. 129–149, here p. 145.

Working with Dying Languages

385

CAUSATIVE

morphological construction: (1)

nimokotorekowori.

analytic construction: (2)

niwoneri rikotorekpa.

ni=imo-kotoreko-wo=ri

ni=wono=ri

ri=kotorek-pa

1SG=CAUS-work-COP=3SGf

1SG=send=3SGf 3SGf=work-GO

‘I make her work.’

‘I send her to go to /make her work’

Example (1) is very common in older sources, but today the morphologically complex forms generally appear only in narratives, whereas the analytic forms as in (2) are produced spontaneously in conversation and especially in elicitation when translating from Spanish.

III. THE LINGUISTIC AND CULTURAL SITUATION OF THE BAURES IN THE COURSE OF HISTORY III.1. The history of the Baures people The history of the people of the Llanos de Moxos can be divided roughly into five periods: the pre-hispanic period, the Jesuit period and its aftermath, the rubber boom, the mid-twentieth century as a time of important political reforms, and the era of growing indigenous awareness and politicization in the 1990s. Little is known about the pre-hispanic era, but some archaeological data provide information on how people of the Llanos de Moxos may have lived. The natural environment is a savanna which is like a desert in the dry season and extensively flooded in the rainy season. In this savanna there are many rivers, large and shallow lakes, and forested islands. These islands serve as bases for settlement until the present day. The archaeologist Denevan discovered the extensive landscape architecture of the region in the 1960s. According to him14, the whole area has been transformed by the people who lived there: they built canals that connected the rivers, constructed causeways, and built artificial hills (lomas) and moats around them. The causeways and canals were presumably built for “communication and transportation between settlements, rivers, and agricultural fields, but it is possible that some of these had a hydraulic function”.15 Kenneth Lee found that there are specific “zigzag-shaped” causeways in the Baures region, presumably designed as fish weirs. The Llanos de Moxos was one of the Amazonian regions with complex societies which were organized in chiefdoms.16 Their social and political organization

14 Charles C. MANN, Earthmovers of the Amazon, in: Science 287 (2000), p. 786–789. 15 Clark ERICKSON, Prehispanic Earthworks of the Baures Region of the Bolivian Amazon, at http://www.sas.upenn.edu/~cerickso/baures/baures2.htm (2000). 16 Jonathan David HILL/Fernando SANTOS-GRANERO (eds.), Comparative Arawakan Histories: Rethinking Language Family and Culture Area in Amazonia, Urbana (Ill.) 2002.

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Swintha Danielsen / Katja Hannss

may go back as far as the beginning of the first millennium CE.17 The Baures lived in independent groups with a political hierarchy headed by chiefs. The Moxos and the Baures maintained extensive trade networks with surrounding peoples and far into Amazonia and the Andean highlands. In fact, the Arawakan peoples in the area are of Amazonian origin and migrated along tributaries of the Amazon River. The main reason for their migrations was presumably the extension of their trade networks.18 They brought agriculture with them, mainly based on the cultivation of manioc.19 Traditional crops also included plantains and maize. At the time of first contact with the Spanish, an estimated 400 groups or tribes speaking about 39 different languages lived in the region.20 The Spanish conquistadors undertook expeditions into the lowlands in the 1530s21, but these did not lead to permanent settlement. It took until the late seventeenth century for the Jesuits to arrive in the region and establish missions there. Starting in 1682, they founded so-called reducciones (reductions), settlements of indigenous peoples for the purpose of Christianization. According to the Jesuits’ own accounts, the Baures were first contacted by Padre Barace around 169022 and were found to be a ‘highly developed people’23 because they wore cotton clothing and lived in large, well-organized villages with a political hierarchy.24 In 1708 the reducción Concepción de Baures, which is today the town of Baures, was founded. In that year there were more than 1,000 inhabitants, making Concepción de Baures the largest mission of the region.25 Other Baure reducciones established were San Joaquín (1709), San Martín (1717), San Simón (1744), and eventually El Carmen.26 In total, the Jesuits founded nine Baure missions, most of which are no longer existent.27

17 Juan VILLAMARÍN/Judith VILLAMARÍN, Chiefdoms: The prevalence and persistence of ‘señoríos naturales’, 1400 to European conquest, in: Frank SALOMON/Stuart B. SCHWARTZ (eds.), The Cambridge History of the Native Peoples of the Americas. Vol. III, Part I, Cambridge 1999, p. 577–667, here p. 612–613. 18 Alf HORNBORG, Ethnogenesis, regional integration, and ecology in prehistoric Amazonia, in: Current Anthropology 46/4 (2005), p. 589–620, here p. 589. 19 David BLOCK, Mission Culture on the Upper Amazon: Native Tradition, Jesuit Enterprise, and Secular Policy in Moxos, 1660-1880, Lincoln/London 1994, p. 15–16. 20 CREVELS, Why speakers shift, p. 9. 21 Ibid., p. 10; Humberto VÁZQUEZ MACHICADO/José DE MESA/Teresa GISBERT, Manual de Historia de Bolivia, La Paz 1958, p. 162–207. 22 Diego de EGUILUZ, Relación de la Misión Apostólica de los Mojos en la Provincia del Perú, de la Compañía de Jesús, que remite su Provincial P. Diego de Eguiluz a N.M.R.P. Tirso González, Propósito General de la misma Compañía, año de 1696 (ms.). 23 EGUILUZ, Relación: “la nación más culta y desarrollada”. 24 Diego Francisco ALTAMIRANO, Historia de la Misión de los Mojos, La Paz 1979 [1891]; Francisco Javier EDER S.J., Breve Descripción de las reducciones de Mojos, ca. 1772. Traducción y edición de Josep M. BARNADAS, Cochabamba 1985. 25 VÁZQUEZ MACHICADO et al., Manual, p. 207. 26 BLOCK, Mission Culture. 27 SZABO, Diccionario, p. 101.

Working with Dying Languages

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The missions achieved some prosperity, but in 1767 the Jesuits were expelled from Bolivia by the Spanish Crown. Even though the Jesuits had a great impact on the indigenous societies and cultures, their expulsion was by no means a positive change for the people in the missions. The prosperity of their villages declined rapidly. The new administration exerted considerable economic pressure, and subsistence production was progressively replaced by export-oriented agriculture. The scholar Alcide d’Orbigny, who travelled through the region in the early nineteenth century, observed these dramatic changes.28 Since the late eighteenth century a number of Europeans had settled in the area, predominantly focusing on cattle breeding with the help of an indigenous workforce. The decline of the indigenous societies in the region accelerated at the time of the rubber boom, which reached the Llanos de Moxos in the 1870s.29 The department of Beni was opened up for mestizos and descendents of Europeans, who became involved in the rubber industry. Numerous indigenous people from the lowlands of Bolivia were recruited as labourers in their companies. The new labour settlements were unhealthy barracks where many people lost their lives. Entire villages were deserted as a consequence of this labour migration; others were left merely with old people, women and children.30 The Baures were affected by the rubber boom as well, but the population did not decline as much as in other villages.31 However, many Baures went to the north of Bolivia or to Brazil for jobs in the rubber industry. Some elderly people in Baures today still have memories of work experience and temporary labour migration in the rubber industry in the final period of rubber exploitation. Another important turning point came in the middle of the twentieth century with the promotion of rural education by the Movimiento Nacionalista Revolucionario (MNR). This political party, which sought to abolish the distinction between indigenous people and mestizos, focussed on the campesinos as the rural inhabitants of Bolivia, completely ignoring their particular ethnic backgrounds. “According to the 1953 Reforma Agraria [agrarian reform], the land that was occupied by Indians was to be considered fallow, and, therefore, its ownership could be granted to all sorts of entrepreneurs.”32 The Reforma Educativa (educational reform) established rural schools which were targeting indigenous people for the first time. However important the educational reform may have been, it soon had devastating effects on the traditional cultures. Spanish education in the schools led to language and culture loss. In the 1950s the Bolivian government asked the missionary organization SIL (Summer Institute of Linguistics) to help the indigenous groups in the country in the process of integration into the society. The SIL linguists Priscilla Baptista and Ruth CREVELS, Why speakers shift, p. 14. Ibid., p. 15. Erland NORDENSKIÖLD, Indianer und Weiße in Nordostbolivien, Stuttgart 1922, p. 189. Alvaro DÍEZ ASTETE/David MURILLO, Pueblos indígenas de tierras bajas: Características principales, La Paz 1998, pp. 31–35, here p. 32. 32 CREVELS, Why speakers shift, p. 19.

28 29 30 31

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Wallin arrived in Baures in 1954 and studied the language for years. In 1958 they noted that the Baures still had preserved some traditional customs: Many tribal customs, such as ceremonial burying of a duck skeleton at corn planting time, the practice of witchcraft, and the belief in the habitation of trees, animals, and inanimate objects by spirits, are evidence of the retaining of the Baure culture. Tribal dances for special days are performed each year with bull and deer masks, feathered headdresses, animal skins, etc.33

In the 1970s and 1980s European NGOs started to help indigenous people, who had no spokesperson in the government, to get organized. After the foundation of lowland organizations like the Centro de Investigación de relaciones internacionales y Desarrollo (CIDOB) in the 1970s, the Bolivian government eventually created institutions for the indigenous peoples of Bolivia in the 1990s such as the Subsecretaría de Asuntos Étnicos (SAE) and the Vice Ministerio de Asuntos Indígenas y Pueblos Originarios (VAIPO). The territorial claims of the various ethnic groups were bolstered by the ratification of the Ley Instituto Nacional de Reforma Agraria (INRA) in 1996. This law provides for the creation of Tierras Comunitárias de Origin (TCOs), indigenous community territories. These political movements were accompanied by a growing indigenous awareness, and they also had some effect on the civil society of Bolivia. Growing self-confidence also led to a reconsideration of traditional cultures and customs. In the 1990s the Hungarian anthropologist Henriette Eva Szabo34 worked for the VAIPO35 and came to Baures to study the culture and record the land claims of the indigenous people. The demand for territory is particularly important because the major part of the land is occupied by a small group of wealthy cattle breeders who are very powerful in the region. Along with many other lowland groups, the Baures received their TCO, which is situated south of Baures at a distance of approximately 60 km. A journey there takes one day by horse. The indigenous organization Subcentral Indígena Baure, a suborganization of the Central de Pueblos Indígenas del Beni (CEPIB) in Trinidad, decided to establish new settlements in this area but was confronted with many problems. Apart from logistical and financial problems, there is a campesino organization, founded in 2004, which now claims the campesinos’ rights for part of the Baures’ TCO. III.2. Language history and attitudes towards the Baure language At the time of the Spanish invasion there were numerous peoples speaking many different languages in the Llanos de Moxos. Most of them belonged to the Arawakan language family36, and many of these languages are now extinct or seriously endangered. The main neighbouring languages of Baure were Itonama (an isolate, spoken in Magdalena, almost extinct), Sirionó (a Tupi-Guaraní language of a no33 Priscilla BAPTISTA/Ruth WALLIN, unpublished field notes, reports, and text data on microfiches (SIL archive), T-562: alphabet, phonemics (1958?), syllable structure, Swadesh list. 34 Henriette Eva SZABO, Pueblo Indígena Baure, La Paz 1998; SZABO, Demanda territorial. 35 The project’s name was “Identificación y Consolidación de Tierras Comunitarias de Origen y Areas Territoriales Indígenas de Bolivia”. See SZABO, Demanda territorial. 36 CREVELS, Why speakers shift, p. 9.

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madic people that lived in the same area as the Baures until the middle of the twentieth century and were never targeted by the missions), and the Moxo languages Ignaciano and Trinitario. When the Spaniards arrived, they did not have any knowledge of indigenous languages and viewed them as deficient languages without any writing system. The absence of certain phonemes, such as voiced stops, or the lack of a complex numeral system like in European languages, were features perceived as inferior. The image of the language generally coincided with the denigration of the people.37 One telling example referring to the Moxo language (possibly including Baure here) shall be cited: D, L, y F [,…] éstas mismas faltan en la lengua Morocosi [Moxo], sin D, sin Dios; sin L, sin Ley; sin F, sin Fé.38

Nonetheless, the Jesuits described the Baure language in considerable detail. In order to evangelise the Baures they had to communicate with them, and therefore they soon realized they had to learn their language. For some time they used the Moxo language and Baure as linguas francas, focusing on education.39 This had a positive effect on the conservation of the Baure language as well. In the Jesuit period many traditional European stories were introduced into the region. These blended with traditional indigenous tales by way of inserting local animal and plant names as well as certain myths and beliefs. Furthermore, there were many Spanish words, such as religious terminology (resia’ ‘church’ < iglesia, Sp), the days of the week (romik ‘Sunday’ < domingo, Sp.), and personal names (Horian < Julián, Sp.), which were apparently borrowed in the first phase of Spanish contact, as is supported by the phonetic integration into the Baure language. Block notes that at the time of the Jesuits’ expulsion in 1767 “members of the communities had become fluent in Spanish”.40 Thus, bilingualism existed for 200 years without seriously threatening the Baure language. Until the middle of the twentieth century even many European settlers spoke Baure. A watershed in the history of the Baure language was the rubber boom, when many Baure speakers spread all over Amazonia to seek jobs in the rubber industry. They usually did not stay long in one place, and they shared their settlements with individuals of different ethnic and linguistic origins. The greatest and most devastating effect, however, was caused by the educational reform, when indigenous people were taught Spanish and punished when they spoke their native tongue. All competent speakers but one were born before the reform; no new generation learnt Baure thereafter. With growing indigenous awareness, the Baures eventually learned to defend their language as an important factor of ethnic identity. They employed some teachers with knowledge of Baure as language teachers in the schools. Since 37 ALTAMIRANO, Historia, p. 49. 38 Ibid., p. 50: “D, L, and F, these are missing in the Moxo language: without D = without God; without L = without Law; without F = without Faith” [Translation S.D.]. 39 CREVELS, Why speakers shift, p. 13. 40 BLOCK, Mission Culture, p. 125.

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1996, there have been several workshops focussing on the standardization of alphabets for all the languages of Bolivian Amazonia. The Baure language was once spoken in various missions and settlements, but today its centre is the town of Baures. The dialect of another community, El Carmen (Carmelitano), is said to be mutually intelligible with that of the town of Baures, a claim that is currently being investigated.41 The language of San Joaquín (Joaquiniano) is said to deviate from Baure.42 According to the comparative word list by Baptista and Wallin, however,43 the Joaquinianos simply speak another dialect of Baure. This is also supported by the now available audio data of Joaquiniano (provided by GRN worldwide44) and by various other sources.45 The attitude of other Bolivians towards Baure is still not very positive, even though some change can be noted within the last decade. Most of the people call Baure a “dialect” (un dialecto) and not a language (un idioma). This supposedly makes it inferior to Spanish, which, of course, is un idioma in their opinion. The perception of Baure as a dialect can be explained by many local borrowings from Spanish, which enable even monolingual Spanish-speakers to understand some words. Baure is regarded as defective, for instance, because there are only three original Baure numerals; numbers above three have been borrowed from the Spanish. Unfortunately, most speakers themselves have adopted the view of Baure as a deficient language. On the other hand, the Baures are also proud of their cultural and linguistic heritage. People who speak Baure generally command high respect in their communities. Finally, the Baures are also aware that they have once been considered as more “civilized” than other tribes surrounding them. This image has become famous, and it constitutes a basis on which all inhabitants of Baures can identify as an ethnic community. They distinguish themselves from “barbarian” tribes, such as the Sirionós, with whom they have shared their territory for centuries.

41 The DoBeS foundation of VW is funding the current documentation project of the Baure language (http://www.volkswagenstiftung.de/funding/international-focus/documentation-of-endangered-languages/bewilligungen-2008.html?L=1) 42 BAPTISTA/WALLIN, field notes, T-562; SZABO, Pueblo Indígena Baure, p. 21; see also Alain FABRE, Lexical similarities between Uru-Chipaya and Pano-Takanan languages: Genetic relationship or areal diffusion?, in: Opción 11/18 (1995), p. 45–73. 43 BAPTISTA/WALLIN, field notes, T-562. 44 http://globalrecordings.net/program/C22580. 45 NORDENSKIÖLD, Indianer und Weiße, p. 115.

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IV. HISTORICAL STUDIES OF THE BAURE LANGUAGE IV.1. Overview The first linguistic notes on Baure were taken by missionaries (cf. Table 3). A grammatical description was composed by Padre Antonio Magio in 174946, another by Francisco de Asis Coparcari in 1767. Both texts were collected by Alcide d’Orbigny and published by Adam and Leclerc in 1880, together with a short word list by d’Orbigny, under the title Arte de la lengua de los indios Baures de la provincia de los Moxos. After that some very short word lists of Baure appeared in several books (e.g. those of d’Orbigny, Eder, Fonseca, Cardus and del Castillo)47, but there has been no other detailed description of Baure until the 1950s and 1960s, when Baptista and Wallin worked on the language. They produced a number of Baure texts, mainly translations of Bible texts,48 and a school book which aimed at teaching Baure speakers to read and write Spanish.49 Baptista and Wallin wrote a tagmemic grammar50 of Baure51, followed by a short article on Baure vowel elision.52 In addition, the two researchers left a number of unpublished field notes and texts, which have been stored on microfilm in the SIL archive. Danielsen described the grammar of Baure in a Ph.D. dissertation based on data collected exclusively in the town of Baures and the surrounding communities.53 Apart from these publications and notes there are no further studies of the 46 P. Antonio MAGIO, Gramática de la lengua de los indios Baures de la provincia de Mojos [1749], in: Lucien ADAM/Charles LECLERC (eds.), Arte de la Lengua de los indios baures de la provincia Moxos, conforme al manuscrito original del padre Antonio Magio, Paris 1880, p. 1–53. 47 Alcide d’ORBIGNY, Descripción geográfica, histórica y estadística de Bolivia (1841–1869), Paris 1843, p. 132–143; IDEM, Voyage dans l’amérique méridionale etc. Vol. III: Palmetum orbignanum, Paris 1847; IDEM, Voyage dans l’amérique méridionale etc. Vol. IV : L’homme Américain, Paris 1859; EDER, Breve Descripción, here p. 383–385; João Severiano da FONSECA, Viagem ao redor do Brasil 1875–1878. Vol. II, Rio de Janeiro 1881, p. 235–239; Fr. José CARDUS, Las misiones Franciscanas entre los infieles de Bolivia, Barcelona 1886, p. 318; Marius del CASTILLO, El corazón de la América Meridional. Vol. 1, Barcelona 1928, p. 115–116. 48 Wamichów to Bequiyíri: Alabamos a Diós, canciones en Baure, 1960; To Ponaicohuon: San Marcos 4:3–9; 14–20 en Baure, 1960?; Chinepineb, Cochabamba 1963; To San Pahuor cohuonosinou roconombiau to tesalonicenses: Las cartas del Apostel San Pablo a los Tesalonicenses (Baure y Español), Cochabamba 1966; Chindineb: Emoniconou to bequiyiri 2: Personas que amaban a Diós, Cochabamba 1966. 49 Biquihinou bibesasha, Riberalta 1966. Some more booklets with stories have been published by Priscilla Baptista and Ruth Wallin: Cach bibesá, La Paz 1959; Simón Bolívar, con introducción al alfabeto baure, Cochabamba 1963; Biquihinou bijan, Cochabamba 1966. 50 Tagmemics was a school of formular linguistics used in the 1950s and 1960s before it was displaced by Generative Linguistics. 51 BAPTISTA/WALLIN, Baure. 52 Priscilla BAPTISTA/Ruth WALLIN, Baure Vowel Elision, in: Linguistics 38 (1968), p. 5–11. This article was first published in Spanish by SIL under the title: Fonemas del baure con atención especial a la supresión de la vocal, in: Notas lingüísticas de Bolivia 7 (1964). 53 DANIELSEN, Baure.

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Baure language or culture. Recently the GRN worldwide54 have provided audio data on Baure and Joaquiniano on the internet, but these consist exclusively of evangelic religious texts. The historical sources are listed in table 3. Table 3: Historical data on the Baure language source

contents

quantity

pu bl.

Magio 1749 [1880]

grammar sketch

53 pp. (40 in orig.)

x

Asis de Coparcari 1767 [1880]

grammar sketch

54 pp. (39 in orig.)

x

Eder 1772 [1985]

word list

68 words

x

1 p. apprx. 10 words

x

411 words

x

10–20 words

x

7 pp. apprx. 20 words

x

318 words

x

48 entries

x

apprx. 50 entries



130 entries

x

58 pp.

x

7 pp. 1 schoolbook, 8 short texts 6 short texts, 3 narratives with annotations, 4 grammatical sketches

x

d’Orbigny 1843 d’Orbigny 1845 [1880] d’Orbigny 1847 d’Orbigny 1859 Fonseca 1881 Cardus 1886 Nordenskiöld 1905–? del Castillo 1928 Baptista & Wallin 1967 Baptista & Wallin 1968 Baptista & Wallin 1959–1966

Baptista & Wallin 1955–1969

few grammatical remarks; comparative word lists (with other Arawakan languages) word list botanical names short grammar sketch; comparative word lists (with other South American languages) word list word list (words and phrases) word lists; comparative word lists word list (words and phrases) Tagmemic grammar article on phonology booklets with Bible texts, historical texts, songs and other field notes and texts

x



IV.2. Evaluation In the subsequent section, all historical data on the Baure language will be evaluated. “Historical” in this case also includes studies from the middle of the twentieth century. Working with a language in such a delicate state means including any knowledge that has been gathered about it. Many linguists do not even have the advantage of referring to data not collected in the field by themselves. The inclusion of historical data gives the study more depth and may show historical developments within the language. In an environment where people adopted Spanish as their first language, the impact on a rarely used second language can be immense, and the actual language used today may show many constructions modeled on 54 http://globalrecordings.net/program/C17380 and http://globalrecordings.net/program/C22580.

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393

Spanish. This means that currently collected data from speakers who are not always fully competent may corrupt the analysis of the actual language. The Baure speakers of today did not use the language regularly since the 1960s and therefore have to remember how they spoke and hardly speak spontaneously. This leads to a great deal of variation and insecurity in the data. In addition, very early after Spanish contact, the Baures developed a system of regular borrowing of Spanish vocabulary into Baure. This means that today it is possible to produce a Baure utterance almost exclusively on the basis of Spanish vocabulary, which may be viewed as a kind of code switching. Historical data can help to bring back the memory of original Baure vocabulary. However, all historical data have to be considered in their proper historical context to be interpreted correctly. The two studies of the Baure language undertaken by the Jesuits Magio and Coparcari are written in Spanish. Padre Antonio Magio was presumably a missionary of the Companía de Jesús among the Baures. The editors Adam and Leclerc55 mention in their introduction that the identity of the supposed priest Coparcari could not be verified and that he might have taken Magio’s grammatical study as a basis for his own analysis. Both descriptions were found by d’Orbigny, who brought them to France where Adam and Leclerc published them in 1880. Magio’s part takes up 53 pages and Coparcari’s description 54 pages in this edition. Both authors begin with the study of nouns, in particular inalienably possessed nouns, mainly body parts and kinship terms, which always have a possessor prefix. Then they turn to personal and possessive pronouns, which seem to deviate slightly from the forms used in the twentieth century. The linguistic analysis of both authors is based on their knowledge of Latin grammar. This approach is fraught with several problems, e.g. the presupposition of the existence of a grammatical case system. There are no cases in Baure, but the authors try to find structures in the language that hint at ways of rendering different types of objects. Both studies also treat the verbal system in detail and show how subjects are marked on the verbs by the same prefixes as the markers of possession on nouns. Furthermore, there are several subsections for each supposed grammatical morpheme found on verbs. This analysis seems very problematic, because frequently morpheme combinations are taken as one morpheme. But it also reveals the authors’ careful analysis, for they were able to find structures such as benefactive and causative marking, categories which are not marked morphologically in either Latin nor Spanish. Magio and Coparcari presuppose a tense system in Baure, which is certainly incorrect. Tense is an important category in both Latin and Spanish, but Baure does not have a tense system. Baure verbs are marked for various types of aspect and mood, but not tense. The vocabulary found in the Jesuits’ grammars helps analyzing texts collected later, for which there is no direct translation available. The phonetic representation is certainly based on the biased Spanish ears of the authors, and there is a high degree of variation. This is partly due to the fact that the priests did not fully analyze the morphophonological rules of Baure, which may lead to a number of 55 ADAM/LECLERC (eds.), Arte de la Lengua.

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phonological changes and different allomorphs. One very striking observation actually helped analyze the historical development of Baure phonology56 and the existence of diachronic final vowel elision. For the diachronic comparison (cf. Table 4) the data from four sources are compared with my own results. The oldest data are father Magio’s from 1749,57 first published by d’Orbigny in 1845. D’Orbigny added his own word list of Baure,58 the data in the second column. The word list collected by Fonseca in 1875–1878 and published in 188159 is from the same time period as that of d’Orbigny. His data are listed in the third column. The fourth column shows the latest data, collected by the linguists Baptista and Wallin in the 1960s and only partly published.60 All those data are compared to my own, collected in the years 2003–2006. The older data are sometimes slightly inconsistent since none of the eighteenth- and nineteenth-century authors used a phonetic notation, but the biased perception of the words and the notation in Spanish, French and Portuguese orthography provide enough evidence for the analysis. As presented here, the data reveal a certain tendency towards vowel loss. Table 4: Comparison of data from different time periods61 Magio 1749 eteno cahapa – sumo ehiro

d’Orbigny 1845 eteno(n)62 cajapa ima(n) sumo ijira

Fonseca 1875–1878 etno – himo – hiro

Baptista/ Wallin 1960s eton, etono kahap him(o) som hir

Danielsen 2008 eton kajap jim som jir

nitipo

tipo

(n)dipo

nitip, ntipo

nitip, ndip

niscera –

nichira neta

nixere –

nišir neta

nishir net

mapana

mopona(n)

impu(se)63

mpon

mpon

translation woman manioc fish tapir man my fingernail son sister three (pers.)

DANIELSEN, Baure, p. 51–52. The text is written in Spanish, and for Baure words the same orthography is used. ADAM/LECLERC (eds.), Arte de la Lengua. This word list was written in French. FONSECA, Viagem. His list was published in Portuguese. “[I]n many areas where Baure and Carmelito are spoken, the older generation pronounces some words with the final vowel. The majority of speakers, including the younger generation, pronounce these same words without the final vowel. Thus it is suggested that there is a steady progression of vowel loss occurring in the Baure and Carmelito dialects.” BAPTISTA/WALLIN, Baure Vowel Elision, p. 6. 61 The original orthographical representations are used here. DANIELSEN, Baure uses is the orthography currently favoured by the Baures themselves. 62 The final nasal -n here probably simply indicates a nasalized vowel, which may occur in Baure as nasal harmony after a nasal. 63 This numeral probably includes the classifier morpheme -se, which refers to long oval containers, such as boats, watermelons and bottles. It has been translated as the general numeral ‘three’.

56 57 58 59 60

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Table 4 shows that all words in the old data sets (first three columns) end in a vowel, whereas the same words end in a consonant in the contemporary data. In the data from the 1960s, some of the words end in a vowel, but the majority have the form of the data collected from 2003 to 2006. It can be observed that mainly the word final vowels -a and -o were lost, but also vowels of the regular CVCV pattern word initially if the first consonant is a nasal, as in mapana ~ mopona(n) ~ […] mpon (meaning ‘three’). The word final vowels of the words used today are not completely lost, but they are elided in these isolated forms. Summing up, the examples and their free translation have to be handled with care, as well as all phonetic representations. But even though these priests were not trained linguists, the data are surprisingly detailed. The examples show which morpheme sequences were allowed, and these can then be further compared with current data. This additional input enriches the corpus of the Baure language enormously.

V. UCHUMATAQU V.1. Introduction to the Uru language and community Uchumataqu, also known as Uru, forms part of the isolated Bolivian language family Uru-Chipaya, varieties of which were once spoken all over the Bolivian Altiplano. It has been suggested that in former times an Uru-speaking population was found along the lakes and rivers of Bolivia’s highlands,64 but today this alleged vast Uru population is reduced to isolated spots around Lake Titicaca, Lake Poopó and Lake Coipasa (cf. map). Concerning the genetic affiliation of the Uru-Chipaya language family, it was proposed that it is related to the Arawakan language family65 or to the PanoTakanan languages.66 None of these propositions could be verified, however, and it is best to regard Uru-Chipaya as an isolated language family. Uchumataqu is closely related to Chipaya, the only member of the Uru-Chipaya language family that is still in use today. It is spoken in the village of St. Ana de Chipaya in southwestern Bolivia by approximately 1,800 speakers. Although it is described as highly endangered, the situation appears to be stable since most children still acquire Chipaya as their native language. This is not the case for Uchumataqu, once spoken in Irohito southeast of Lake Titicaca. Traditionally, the Uru pursue an aquatic-centred lifestyle and rely mainly on hunting and fishing. In this respect they differ notably from their Aymara- and 64 Nathan WACHTEL, Men of the water: The Uru problem (sixteenth and seventeenth centuries), in: John V. MURRA (ed.), Anthropological History of Andean Polities, Cambridge 1986, p. 283–310, here p. 283. 65 Georges de CREQUI-MONTFORT/Paul RIVET, La langue uru ou Pukina, in: Journal de la Société des Américanistes 17 (1925), p. 211–244; 18 (1926), 111–139; 19 (1927), 57–166. 66 FABRE, Lexical similarities

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Quechua-speaking neighbours, who are farmers and livestock breeders. The Uru language became extinct shortly after 1950 but had been documented between 1894 and 1952. In what follows, the process of language extinction exemplified by Uchumataqu as well as the value of historical sources for anthropological and linguistic studies will be discussed. An overview of the demographic situation as well as the state of the language will be followed by a historical survey of the Uru people; we will show how language development and cultural change were entwined. The value of historical sources for the linguistic description of Uchumataqu will be discussed before the cases of Baure and Uchumataqu are finally compared. V.2. Demographic information and state of the language The community of Irohito always had a small population that probably never exceeded 100 to 150 people.67 Today there are 32 families living in Irohito, which equals a population of approximately 150 people according to the census of 2000.68 As almost every village on the Bolivian Altiplano, Irohito is affected by emigration of the young and middle generation to Bolivia’s capital La Paz or to neighbouring Argentina or Chile. The economic situation in Irohito is tense since there is neither industry nor tourism and people rely on agriculture, hunting, fishing and small-scale trade. Furthermore, Irohito is technically underdeveloped and devices of modern communcation are available only in Corpa, about 12 kilometres away, where there is also a secondary school. Although nowadays nobody speaks the Uchumataqu language any more, some culturally central terms, such as qhoya ‘house’ or thusa ‘bals raft’,69 are still remembered by members of the middle and older generation. The grammar has entirely been lost, however, as can be seen by a comparison of (3) and (4), where (4) lacks the topic marker -ki, the locative marker -kis as well as the declarative marker -chay still present in the older example clause. (3)

am-ki

wet

2sg-TOP my

house-LOC-DEC

‘You are in my house.’70

qoi[a]-kis-chay

(4)

am

wilk

qhoya

2sg

1sg

house

‘You are in my house.’71

67 Pieter MUYSKEN/Katja HANNSS, Verbs in Uchumataqu, in: GraĪyna J. ROWICKA/Eithe B. CARLIN (eds.), What’s in a verb? Studies in the verbal morphology of the languages of the Americas, Utrecht 2006, p. 215–233, here p. 215. 68 Manuel Alfonso ROJAS BOYAN, Antes que la luz, in: Manuel Alfonso ROJAS BOYAN et al. (eds.), Titiqaqa taypi pux pux, La Paz 2006, p. 28. 69 Pieter MUYSKEN, El idioma Uchumataqu, Irohito 2005, p. 18, 30. 70 Max UHLE, Die Entwicklung meiner Ansichten über die Uro, Berlin 1894 (manuscript). 71 Lorenzo INDA/Ciriaco INDA, El agua fuente de nuestra vida, in: Manuel Alfonso ROJAS BOYAN et al. (eds.), Titiqaqa taypi pux pux, La Paz 2006, p. 94–111. Taken from the field notes of Katja Hannß.

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The language of Irohito is Aymara now, and this is one of the rare cases where one indigenous language (Uchumataqu) has been replaced by another one (Aymara). Although there are some women of the middle and older generation who consider themselves to be monolingual Aymara speakers, most younger people and virtually all children, even those of pre-school age, speak Spanish (and Aymara) today. When questioned, younger people consider themselves to be bilingual native speakers of Aymara and Spanish. Despite this, Uchumataqu is highly valued as a cultural trademark, and the lexical remnants of the language are used to compose school songs or poetry.72 According to Krauss73, Uchumataqu can be described as “borderline case” with a degree of endangerment measured e+.

VI. URU PEOPLE AND LANGUAGE VI.1. History of the Uru people The following description will cover five stages of the Urus’ historical development: the pre-hispanic (Inca) period, the early colonial era (sixteenth and seventeenth centuries), the late colonial and early national periods (eighteenth and nineteenth centuries), the time of academic documentation (1894 to 1952), and the period of increasing indigenous self-consciousness (approximately 1950 to the present). The archaeological evidence relating to the Uru is diverse, and there are different dates given for their arrival on the Bolivian Altiplano. According to Bouysse-Cassagne74, the Uru came to Lake Titicaca around 5,500 BC, whereas Condarco Morales75 dates their arrival between 5,000 and 3,000 BC. Guerra Gutiérrez76 suggests that the group reached the Altiplano not earlier than around 2,500 BC.77 Theories about their origins include, apart from the South American lowlands, far away places such as Africa or even Australia.78 The Uru themselves claim to have been the first human settlers on the Bolivian Altiplano, but as mentioned above, archaeological evidence is somewhat confusing and this part of their history will not be further pursued here. Our most reliable information on the Uru in pre-colonial times is from sources written in the sixteenth and seventeenth centuries, a time when the Spanish were trying to effectively penetrate and rule their conquered territories. Some passages 72 MUYSKEN, El idioma Uchumataqu, p. 72, 73. 73 KRAUSS, Classification and terminology, p. 2. 74 Thérèse BOUYSSE-CASSAGNE, Lluvias y Cenizas. Dos Pachacutis en la historia, La Paz 1988, p. 36. 75 Ramiro CONDARCO-MORALES, Atlas histórico de Bolivia, La Paz, 1985, p. 6. 76 Alberto GUERRA GUTIÉRREZ, Chipaya. Un enigmático grupo humano, Oruro 1990, p. 60. 77 All sources on archaeological evidence are quoted in Jorge ORTIZ SURCO, Los Urus del periodo republicano, in: XVII Reunión Anual de Etnología. Vol. I, La Paz 2004, p. 125–139, here p. 125. 78 ORTIZ SURCO, Los Urus, p. 126.

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in the Spanish documents79 mention that the Uru lived all over the Altiplano, always close to, or even on, the rivers and lakes. The segment of the Uru population on the Lakes Titicaca, Poopó and Coipasa and along the Desaguadero River was termed the “aquatic axis” by Wachtel.80 But the sources also suggest that even in pre-Spanish times the Uru suffered under the Inca system of mitimaes, the resettlement of ethnic groups in order to stabilise the Inca Empire. In the Relación de los pacajes Mercado de Peñalosa81 refers to this process: “[...] and when the Inca came conquering this province of the Pacaxes, they made these Uru, who were close to the water, leave [the water] and made them live with the Aymara and taught them to plough and cultivate the earth, and they forced them to pay tribute in fish and make cases of straw.”82 Thus even during the Inca reign the Uru were forced to abandon their lifestyle (and with it probably their language), and it is possible that the negative attitude towards the fishing and hunting Uru often encountered in colonial sources actually originated with the Incas who, as farmers and livestock breeders, may have harboured prejudices against the Uru. Therefore the situation of the group today is not a recent development but has its roots in Inca times. Colonial sources from the sixteenth and seventeenth centuries which provide descriptions of the Uru can be roughly divided into two groups: chronicles and travel writings on the one hand, administrative documents relating to taxation and the recording of subjects on the other. Among the most important colonial documents are the Relaciones Geograficas de Indias for the viceroyalty of Peru.83 On behalf of the viceroy Francisco de Toledo, officials visited virtually every settlement of the realm and enumerated taxable inhabitants and their properties. In the 1580s they also visited the department of the Pacajes in the Lake Titicaca region and gave detailed descriptions of the villages there. One of these was Machaca, where an Uru population of 270 taxables was living among an Aymara population which outnumbered the Uru almost 10 to 1.84 Mercado de Peñalosa also provides evidence that this situation was due to the Inca policy of resettlement. The Spanish officials immediately adopted the Inca policy of resettling ethnic groups and started a programme of establishing so-called ‘reductions’ (reducciones). Under these terms, formerly scattered groups were forced to move close together into a (sometimes newly founded) village. These groups often came from different ethnic backgrounds, and Uru who had not been affected by the Inca re79 Alonso RAMOS GAVILÁN, Historia del santuario de Nuestra Señora de Copacabana [1621], Lima 1988, p. 85. 80 WACHTEL, Men of the water, p. 283. 81 Petro de MERCADO DE PEÑALOSA, Relación de los Pacajes [1586], in: Jiménez DE LA ESPALDA (ed.), Relaciones Geográficas de Indias. Peru, Vol. II, Madrid 1965, p. 334–341, here p. 336. 82 “[...] y cuando los ingas vinieron conquistando esta provincia de los Pacaxes, hicieron salir a estos indios Uros de junto al agua y les hicieron vivir con los aymaras y les enseñaron a arar y cultivar la tierra y les mandaron que pagasen de tributo pescado y hiciesen petacas de paja.” Translation: Katja Hannß. For a description of the name Pacajes, see below. 83 DE LA ESPALDA (ed.), Relaciones. 84 MERCADO DE PEÑALOSA, Relación de los Pacajes, p. 336.

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settlements now came into the focus of the Spanish reducciones and were forced to move into Aymara villages. This, of course, almost invariably meant the end to the traditional water-centred lifestyle of the Uru, a fact on which Fray Reginaldo de Lizarraga85 commented in the early seventeenth century: “The reduction made them [the Uru, K.H.] eat bread and drink wine, and for the doctrine that was the most important thing. But look at them before dawn in their balsa rafts, nearly naked, steering and fishing [...].”86 Part of the Uru population resisted Spanish domination and tried to maintain their traditional lifestyle along with their language, as reported by Ramos Gavilán.87 In August 1618, a group of Uru fortified an island at the mouth of the Desaguadero River and denied access to the Spanish, defending their place of retreat with arms. They were also plundering nearby estates and villages. The Uru were eventually defeated, but this instance shows that at least parts of the Uru population tried to escape reductions, ‘aymarisation’ and hispanisation. Resistance thus enabled some Uru groups to maintain their traditional lifestyle and language, an aspect remarked upon by Reginaldo de Lizarraga88 and Vázquez de Espinosa.89 But armed violence, their completely different lifestyle and their distinct language aroused negative attitudes towards this group. Lizarraga characterises the Uru as “most barbaric people, with a language different from all others of the mainland and from that of the Inca; they understood it very little, they knew it little, [...].”90 Antonio de Castro y del Castillo expresses a similar view: “they are like the others, but less cultured; they fish and cruise the bay with balsa rafts [...].”91 In sum, the arrival of the Spanish and their colonial rule fuelled a process that had already begun in pre-Spanish times, namely the Urus’ forced adaptation to a farming lifestyle, which was accompanied by the loss of their language. Some Uru resisted this process and managed to maintain their lifestyle but were despised for it by other indigenous groups and the Spanish. Consequently, by the second half of the seventeenth century traditional Uru groups gradually dispersed, contact between the southern groups around Lakes Coipasa and Poopó and the Titicaca re85 Reginaldo DE LIZZARAGA, Descripción breve de toda la tierra del Perú [1608], Madrid 1968, p. 67. 86 “Les ha aprovechado la reducción para que coman pan y beban vino, y para la doctrina ha sido lo principal. Pero verlos antes que amanezca en sus balsas de totora, casi desnudos, navegar y pescar [...].” Translation: Katja Hannß. 87 RAMOS GAVILÁN, Historia del santuario, p. 355. 88 DE LIZZARAGA, Descripción breve. 89 Antonio VÁZQUEZ DE ESPINOSA, Compendio y descripción de las Indias Occidentales [1628], Washington D.C. 1948. 90 “[...] gente barbarísima, con lengua differente de los demás de la tierra firme y la del Inga; muy raros la entendían, ni sabían, [...].” DE LIZARRAGA, Descripción breve, p. 67 (translation: Katja Hannß). The ‘language of the Inca’ refers to Quechua. 91 “[...] son como los demás, pero con menos cultivo; pescan y andan por la laguna sobre las balsas, [...].” Antonio DE CASTRO Y DEL CASTILLO, Descripción del Obispado de la Paz [1651], in: Victor M. MAURTUA (ed.), Juicio de Límites entre el Perú y Bolivia, Barcelona 1906, p. 184–234, here p. 201, 202 (translation: Katja Hannß).

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gion was probably largely interrupted, and whenever they had to make contact with outsiders they had to use Aymara (or sometimes Quechua). This situation may be regarded as the basis for the further decay of Uru culture. The following two centuries saw a rapid decrease in numbers not only of the Uru population but of all indigenous groups in the Andean region. The Uru, however, were particularly affected on account of their small numbers. In some areas the Uru population was entirely extinguished.92 Economic, political and social pressures eventually forced most Uru to assimilate to the Aymara lifestyle and become farmers and livestock breeders, adopting the culture and language of their Aymara neighbours and merging with them. This happened to the 90 Uru members of the ayllu93 of Ancoaqui who had completely assimilated to the Aymara way of life and were therefore not regarded as Uru any more but as Aymara in 1792. Nevertheless, some inhabitants of Ancoaqui did not want to give up their traditional lifestyle and culture and decided to found a new village where they could maintain their customs and language. This Uru enclave was located close to Ancoaqui at the shores of Lake Titicaca and named Irohito. The newly founded community became a kind of retreat for those who did not want to become drawn into the Aymara way of life.94 From the very beginning, therefore, Irohito was in an unfavourable position: it was founded during a time when most Uru had already changed to an Aymara lifestyle, the population must have been rather small, and it was surrounded by a growing Aymara population. By the end of the nineteenth century, Irohito as well as Chipaya had become isolated spots of Uru culture. The communities were separated from each other and both their culture and language were seriously endangered. The community of Irohito did not fare well, as Max Uhle’s comments show. When he came there in August 1894, he found only ten men, fourteen women and nine children in Irohito who could still speak Uchumataqu.95 The community still clung to its traditional lifestyle, which according to Uhle saved the Uru and their language from assimilation and extinction. He further pointed out that the Uru preferred to marry among each other instead of linking up with the Aymara.96 This endogamy probably contributed to the maintenance of Uru culture and language but also limited the number of possible spouses. After Uhle’s stay in Irohito the situation remained stable for the next two generations, although all researchers who visited the community in the first half of the twentieth century pointed out that most of them knew Aymara as well. The situation changed around 1930. Métraux was the first to point out that the Uru of the Titicaca region were much more ‘aymaricised’ than the Chipaya group in south92 Roberto CHOQUE CANQUI, Cinco siglos de historia (Cuaderno de Investigación 45), La Paz 2003, p. 227. 93 The term ayllu denotes a traditional part of an Andean village, whose members are often related. 94 CHOQUE CANQUI, Cinco siglos de historia, p. 227. 95 Max UHLE, Über die Sprache der Uros in Bolivia, in: Globus 69 (1896), p. 19. 96 UHLE, Entwicklung. Here Uhle is referring to Modesto BASADRE, Los indios urus, in: Modesto BASADRE (ed.), Riquezas peruanas, 1884, p. 196–205.

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west Bolivia and did not differ in any aspect from other indigenous groups of the Bolivian Altiplano.97 Furthermore, he was the first to mention that the Uru engaged in some basic agriculture, although fishing and hunting waterfowl were still their most important means of subsistence.98 As early as the 1930s, the Irohito community was thus already considerably influenced by an Aymara lifestyle, and a severe drought between 1940 and 1945 plunged it into crisis. Vellard describes the drought and its consequences.99 He mentions that the level of Lake Titicaca fell several metres, which destroyed the Uru’s economic base. As a result, most Uru left the village, among them especially the younger ones, and in 1944 only 22 persons were left.100 This already small number was further reduced by the death of older people and the outmigration of the younger ones. The remaining inhabitants had to concentrate more on agriculture, although hunting and fishing still played a considerable role in the economy.101 By the end of the 1940s Irohito had changed into an essentially Aymara community with a mixed economy.102 Despite the near-catastrophic circumstances in the late 1940s and early 1950s, Irohito managed to survive as a community. The inhabitants even gained more self-confidence and became increasingly proud of their distinct history, culture and language. In 1988 Lorenzo Inda, an elderly inhabitant of Irohito and one of the last with a considerable knowledge of Uchumataqu terms, published a booklet on the history of his community.103 Not only does he provide detailed information on the fishing- and hunting-based culture of his people and their ancient history; he also gives information on more recent events. Thus, the primary school of Irohito was founded on April 2nd, 1952,104 in the midst of the revolution of farmers, miners and students that led to the overthrow of the Bolivian central government. In the 1950s the community of Irohito was still weakened by the preceding drought and its consequences, and the surrounding Aymara population sought to gain more land in the area. In 1959, however, the Uru were granted the territory of Irohito, and since then they hold approximately 54 hectares of land.105 Both events, the founding of the primary school and the new grant of territory, definitely improved matters for Irohito and made it possible for people to stay. Although the language did not prosper, the community did. During the 1990s, indigenous groups all over Bolivia claimed more political and social influence. As 97 Alfred METRAUX, Contribution à l’ethnographie et à la linguistique des indiens Uro d’Ancoaqui (Bolivie), in: Journal de la Société des Américanistes 27 (1935), p. 75–110, here p. 77. 98 MÉTRAUX, Contribution à l’ethnographie, p. 79, 82–83. 99 Jehan VELLARD, Contribution à l’étude des Indiens Uru ou Kot’suñs, in: Travaux de l’Institut Français d’Études Andines. Vol. I, Paris/Lima 1949, p. 145–209; Vol. II, Paris/Lima 1950, p. 51–89; Vol. III, Paris/Lima 1951, p. 3–39. 100 VELLARD, Contribution 1949, p. 145 –146. 101 VELLARD, Contribution 1951, p. 4. 102 VELLARD, Contribution 1950, p. 52. 103 Lorenzo INDA, Historia de los Urus Comunidad Irohito Yanapata, La Paz 1988. 104 Ibid., p. 34. 105 Ibid., p. 33.

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a result of these demands, bilingual education was introduced even for small ethnic groups. Irohito definitely profited from this, as did other groups with an UruChipaya background. In 2001 the Nación Originaria Uru (Original Nation of the Uru, NOU) was formed in Oruro. This organisation consists of the Chipaya, the Murato of Lake Poopó, the Uru of Irohito, the Uru of the so-called floating islands in the Bay of Puno (Peru) and inhabitants from San Juan de Coripata (department of Carangas) and Isluga in northern Chile.106 This international confederation strengthened the idea that the Uru are not isolated but form an ethnic group which extends to Chile and Peru. Their activities motivated several programmes, e.g. for bilingual teaching at the primary school of Irohito,107 and an increased interest in tourism. Particularly with respect to the latter, the Uru of Irohito are committed to maintaining local customs and revitalising their old language. However, the latter will hardly be achieved due to the lack of competent speakers. Furthermore, the language used for education remains exclusively Aymara.108 VI.2. Language history and attitudes towards Uchumataqu The development of Uru culture is closely related to the development of the language, and with the progressive loss of Uru culture the language also went into decline. The colonial sources are not very detailed about the use and status of Uchumataqu during the sixteenth and seventeenth centuries. From what we know, namely that the Uru were despised for their lifestyle and therefore were forced to settle down, we may assume that their language likewise carried little prestige. When settling down in villages, the Uru came to live among an Aymara-speaking population, whose lifestyle they adopted. This forced vicinity to the Aymara also caused the Uru to give up their language and turn to Aymara,109 which was a language of higher prestige. This process had already begun in Inca times and continued until the late eighteenth century. Despite these developments, the use of Uchumataqu must still have been more widespread at the end of the sixteenth century. Evidence for this is procided by the Copia de Curatos,110 a document compiled for Christian missionaries that lists the languages spoken in the villages of the Altiplano, so that the missionaries knew which language(s) to use for preaching. The Copia de Curatos mentions Aymara, Quechua, Pukina, Uchumataqu and Chipaya as the languages that had to be used for missionary work.111 Thus, at this point, Uchumataqu as well as Chipaya must still have been of importance.

106 Pieter MUYSKEN, Uchumataqu: Research in progress on the Bolivian Altiplano, in: International Journal on Multilingual Societies (UNESCO) 4/2 (2002), p. 239–251, here p. 249. Also at http://www.unesco.org/most/vl4n2muysken.pdf. The Chipaya are the only group that still uses its language in daily communication. 107 MUYSKEN, Uchumataqu, p. 249, 250. 108 INDA/INDA, El agua fuente, p. 103. 109 MERCADO DE PEÑALOSA, Relación de los Pacajes, p. 336. 110 Alfredo TORERO, Idiomas de los Andes, Lima 2002, p. 467, 468. 111 Ibid., p. 468.

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Still, the following two centuries witnessed a steady decline of the Uru culture. During this period, most Uru became ‘aymaricised’ or hispanicised and swapped from Uchumataqu to Aymara and/or Spanish. At the end of the eighteenth century, Uru settlements had become isolated spots with hardly any contact among each other. Whenever the Uru established contact with the outside world, they had to use Spanish, Aymara or Quechua. Thus we may assume that there was a considerable level of bilingualism in these Uru communities. Bilingualism, the low prestige of the language, and the cultural and linguistic isolation of Irohito contributed to the rapid decline and led to the situation encountered by Max Uhle in 1894.112 The situation got worse within the next two or three decades, and at the beginning of the 1930s Métraux states that the old language of Irohito was nearly lost and Uchumataqu had borrowed more heavily from Aymara, Quechua and Spanish than Chipaya.113 Although Uchumataqu was still in use on Vellard’s first visit to Irohito in 1938, the situation deteriorated during the 1940s. The drought brought an end to the traditional water-centred lifestyle, most people left the village to find work elsewhere, and those who stayed became farmers and livestock breeders like their Aymara neighbours. For lack of potential spouses in their own community, the Uru started to marry Aymara people114 who refused to learn Uchumataqu. The children of these couples were brought up with Aymara as their native language. Thus older Uchumataqu speakers could not communicate with their children and grandchildren unless they used Aymara. Around 1950 Uchumataqu was definitely dead as a community language. This development could not have taken place unless the speakers themselves had developed a negative attitude towards their own language. Although the ‘aymaracisation’ and hispanisation process met with some initial resistance, the majority of the Uru quickly gave up their language and culture. When they were forced to settle down among the farming Aymara, the Uru were confronted with the negative attitude of their new neighbours towards their ‘uncivilised’ and ‘barbaric’ group. From the rapidness of the Uru’s change to the Aymara lifestyle and language, we may assume that the Uru themselves had (at least in part) adopted this negative attitude. Matters did not change until recently. During the second half of the twentieth century, indigenous self-consciousness increased and the native population came to realise that their cultures and languages are a vital part of the Bolivian society. The Uru are particularly proud since their culture and language are different from those of their neighbours (a factor that until recently caused the negative attitude mentioned above), and they stress that their way of life is unique in the Bolivian highlands. This change of attitude has also been undergirded by the attractiveness of the floating islands of Lake Titicaca for tourists and scholars. When the Uru realised that others found their lifestyle not ‘barbaric’ but intriguing, they started 112 UHLE, Über die Sprache, p. 19. 113 MÉTRAUX, Contribution à l’ethnographie, p. 89. 114 VELLARD, Contribution 1950, p. 52.

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themselves to view their culture as valuable. The increased indigenous selfconsciousness, the interest that outsiders take in Uru culture, and the positive attitude of the Uru towards their own culture also led to a different view of the Aymara and Quechua on the Uru. Today, the Uru are recognised as a part of Bolivia’s native heritage and regarded as one among many native populations. This change is also reflected in programmes that started some years ago and aim at revitalising the Uchumataqu language by establishing an alphabet115 and bilingual education at school.116 Furthermore, the members of the NOU meet regularly to intensify contacts between their communities.

VII. HISTORICAL STUDIES OF UCHUMATAQU VII.1. Overview The following section will present and evaluate the historical studies that contribute to the linguistic description of Uchumataqu.117 As already mentioned, Uchumataqu has been documented only for the relatively short time period between 1894 and 1952. The resulting studies118 are mainly word lists, some of which are rather extensive, but except for Vellard nobody ever collected entire texts. It is one of the tragedies of the language that research that meets the requirements of modern linguistics was conducted only at a time when Uchumataqu had all but vanished. Apart from Vellard’s extensive corpus, there is the manuscript of Max Uhle, who collected his data in 1894. He was the first scholar ever to conduct research in Irohito, and his manuscript contains a detailed description of the language. Unfortunately, his work, which is kept at the Ibero-Amerikanisches Institut in Berlin, remained unpublished. Walter Lehmann worked in Irohito in 1929 and collected comprehensive lexical data but, just as Uhle’s manuscript, Lehmann’s data were never published; they are likewise in the possession of the Ibero-Amerikanisches Institut.119 Alfred Métraux is another researcher who contributed considerably to the documentation of Uchumataqu. His wordlist, published in 1935, is extensive and contains about 200 additional example clauses that allow linguistic analysis of 115 MUYSKEN, El idioma Uchumataqu, p. 5, 6. 116 INDA/INDA, El agua fuente, p. 102. 117 This overview does not include the following recent studies on Uchumataqu: Colette GRINEVALD CRAIG, Curso de uchumataqu, Irohito/La Paz 1995 (Ms.); Pieter MUYSKEN, El uchumataqu (uru) de Irohito. Observaciones preliminares, in: Revista Lengua (La Paz) 12 (2001), p. 75–86; IDEM, Uchumataqu; IDEM, El idioma Uchumataqu; and Katja HANNSS, Uchumataqu. The lost language of the Urus of Bolivia. A grammatical description of the language as documented between 1894 and 1952, Leiden 2008. 118 For an overview, see table 5 and the references. 119 I am indebted to the Ibero-Amerikanisches Institut in Berlin for giving me free access to the collections of Max Uhle and Walter Lehmann. Their manuscripts are edited as part of HANNSS, Uchumataqu.

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the language. Some minor studies were carried out in the first half of the twentieth century but contribute less to the description of Uchumataqu. The following table provides an overview of the sources on Uchumataqu. Table 5: Historical studies on Uchumataqu researcher

content

original language

Uhle 1894

grammatical description with particular interest in the (pro)nominal system; about 600 words and phrases Polo 1901b word list Bacarreza 1910b word list Lehmann 1929b word list Métraux 1935 extensive word list with about 200 phrases Vellard 1949 8 texts of differing length Vellard 1950, 1951 word list with more than 1,000 entries Vellard 1967 singles sentences and phrases

German

published ---

Spanish Spanish German French French French Spanish

x x --x x x x

VII.2. Evaluation An evaluation of the sources has to conclude that none of them, with the exception of Vellard, would satisfy the requirements of modern language documentation. Again excepting Vellard, each researcher came to Irohito only once and spent a short time there; Lehmann even stayed for only one day. In most cases, the researchers worked with only one language consultant and did not provide any background information on their consultants. Thus we do not know whether they were young or old, what their actual knowledge of Uchumataqu was, how many other languages they spoke, and on which occasions they did so. What we know is that every researcher needed an interpreter in order to communicate with the Uru people. Thus, in the process of language recording, transcription and translation at least three languages were involved: Uchumataqu, Aymara, Spanish and French or German. This leaves room for interference, errors and misinterpretations. The data provided by the sources are by no means homogeneous. A comparison of the representations of the word for ‘water’ given by the various sources (table 6) makes this clear. Table 6: Overview of the transcriptions of the word for ‘water’ Uhle 1894 qoas(i)

Polo 1901 coasi

Bacarreza 1910 coasi

Lehmann 1929b qhǂ̗asi

Métraux 1935 kxuasi

Vellard 1949–1967 K̞ás-si / kwási

Finally, most researchers collected lexical data and provide at best single clauses but not entire texts. This data base makes statements on morphosyntax, syntax and pragmatics almost impossible. Vellard is the only researcher who worked according to modern standards: he came to Irohito several times between 1938 and 1952, worked with different speakers, provided background information on his consultants and had his data cross-checked. When Vellard started working in Irohito, however, Uchumataqu

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had been in rapid decline for at least two generations, and he therefore documented merely the final stage of the language. When one compares his data with those collected earlier, one finds considerable variation. These negative aspects are outweighed by the fact that, without these studies, Uchumataqu would have vanished entirely undocumented (and possibly unnoticed). Without the sources, the status of Uchumataqu as an isolate would have remained unknown, and it is only due to the historical sources that scholars can work on the particular linguistic features of Uchumataqu that distinguish it from Aymara and Quechua.120 Furthermore, the data also reflect how an endangered language changes in the course of its decline; in this way the processes of language endangerment and language death can be studied. Although necessarily restricted, further research on the genetic affiliation of Uchumataqu, for example, may also be based on the historical sources. These sources thus serve two main purposes. They provide the only data base for linguistic studies on Uchumataqu which, in turn, strengthen the cultural identity and self-consciousness of the Uru people. The sources, and the scholarly studies based on them, form the basis for teaching materials and language maintenance programmes. It has to be conceded that these are clearly limited since the sources offer mainly lexical data and Uchumataqu has not been acquired as a native language for three generations now. However, it may be possible to maintain what is left of the language and establish these remnants not as a means of daily communication but as a kind of cultural trademark, which contributes to the way the Uru perceive themselves.

VIII. CONCLUSIONS As has been shown in the previous sections, the factors that led to the endangerment and extinction of Baure and Uchumataqu are rather similar. This is also true for the process of language endangerment and extinction itself. Another similarity is that, due to recent socio-political developments, the speakers themselves again view their languages as valuable. But the cases also differ in important respects. Baure is endangered by an increasing use of Spanish (as are most South American languages), and although it is highly endangered it is still spoken by some community members. Uchumataqu, on the other hand, presents a less common example of language extinction, namely one in which one indigenous language has been replaced by another, in this case Aymara. It should be noted in this context that Aymara itself is becoming endangered by Spanish. Another difference is that the endangerment of Uchumataqu has its roots in pre-hispanic times, while the endangerment of Baure began only in the seventeenth and eighteenth centuries. Baure and Uchumataqu also differ with respect to the value that historical sources have for their linguistic descriptions. For Baure, written records are not 120 HANNSS, Uchumataqu.

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the primary data for a description but provide additional information. As shown by Danielsen, they are also valuable for providing linguistic, and sometimes ethnographic, information on almost forgotten forms and practices. Furthermore, historical sources can yield insights into complex and possibly rarely used morphological, morpho-syntactic and syntactic processes. For the description of an extinct language like Uchumataqu, for which no audio data are available, historical sources are often the only basis. To put it somewhat pathetically, it is a matter of ‘all-or-nothing’: either historical sources, whatever their limitations, are used to describe a language, or the language with all the possible typological and genetic relations it may display remains undescribed. Furthermore, when several historical sources are available language description is possible, even if some aspects have to remain doubtful. To sum up, then, the discussion of the cases of Baure and Uchumataqu sought to show that historical sources should be generally assigned a greater role in language documentation projects, even in cases where the language is still spoken.

PERSONENREGISTER

Abbas I., Schah 77, 80 Abdullah, Taufik 226 Abel-Rémusat, Jean-Pierre 23, 247, 251– 254, 260 Abu Hayat 348 Acosta, José de 33, 48 Adam, Lucien 391, 393 Adinegara 232 Adipati Mangkunegara II. 232 Agnese, Battista 135 Aguilar, Jerónimo de 21, 168–171, 174f., 180 Ah Naum Pot 169 Ahmad, Muhammad 299 Aichele, Walter 270 Alexander VI. (Papst) 95 Allgeyer, Emil August 298 Almagro, Diego de 21, 164f., 170, 174 Almeida, João Ferreira de 26, 352f. al-Shifai, Muzaffar ben Muhammad Husaini 86f. Alvarado, Pedro de 161, 164f., 171 Ambumba 217 Anagnostou, Sabine 68 Anchieta, José de 38, 113 Angelus a Sancto Joseph 19, 86–91 Anugru 55 Aperger, Sigismund 68 Aristoteles 83 Arndt, NN 354 Asaf Ali, Aruna 323 Äsop 352 Atahualpa 164f., 174, 176 Autshumato 189 Awikrama 240 Axenfeld, Karl 286, 291f., 294f. Ayllón, Lucas Vázquez de 184 Azevedo, João Gonçalves de 212 Ba, Christobal Melchor 356, 361 Bac, Caalel 361 Balboa, Vasco Nuñez de 171 Bandaranaike 318 Baptista, Priscilla 387, 390f., 394 Barace, Cipriano 386 Barahona, Carlos 359 Barrientos, NN 170

Barth, Christian 276f. Bastian, Adolf 274, 279, 360 Batz, Manuel 373 Batz, Tomasa 373 Begourat 99 Berendt, Karl Hermann 359, 361, 367 Berlin, Ira 196 Bertonio, Ludovico 37 Bezerra Correia Pinto, Lourenço 215–217, 220 Bezerra, Johannes 220 Biencourt de Poutrincourt, Jean de 97 Bienville, Jean-Baptiste Le Moyne, Sieur de 185 Bismarck, Otto von 262 Blake, William 192 Blank, Paul 277 Bocanegra, NN 171 Bolaños, Luis 38 Bollo, Diego de Torres 37 Boltzius, Johann Martin 199 Bougainville, Louis-Antoine de 132f., 154 Bouysse-Cassagne, Thérèse 397 Bozuoc, Sebastian 363 Brabo, Anton 161 Braga, Teófilo 353 Brockmann, NN 270 Bruyn, Cornelis de 79 Buchka, Gerhard von 289 Buchner, Charles 292 Buchner, Max 216, 219–221 Büttner, Carl Gottfried 268f., 276, 278 Buminoto 233f. Bunk, Christoph 281 Burchardt, Lothar 268, 279 Burckart, Rudolph 54, 70 Burges, N (Pater) 34 Buß, Enno 377 Butcher, John G. 310 Caal, Emil 377 Caal, Julia 377 Cabral, Pedro Álvares 184 Calvet, Louis-Jean 252 Camarão, António Filipe 113 Cameron, C.H. 311, 315 Camões, Luís de 212

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Personenregister

Candidius, Georgius 20, 116, 118f., 123, 126 Cano, Juan Sebastián del 134f., 349 Capellen, Godert A. G. Ph. van der 227, 240 Capello, Hernandogildo Augusto de Brito 219 Cárdenas, Bernardino de 41 Cardus, José 391 Cartier, Jacques 99, 184 Carvalho, Henrique Augusto Dias de 210, 215f. Castillo, Bernal Díaz del 168f., 180 Castillo, Marius del 391 Castro y del Castillo, Anonio de 399 Cáu, Juan 373 Caungula 216 Chamorro, Graciella 43 Champlain, Samuel de 99 Chardin, Jean 85f. Chen, Adalberto 359 Chenggong, Zheng 127f. Chézaud, Aimé 83f. Chi, Gaspar Antonio 186–189, 196–198 Christ, Jakob 375 Christ, Josef 375 Christaller, Theodor 277 Chrystal, David 306 Cieza de León, Pedro de 161, 174 Clemens XIV. (Papst) 58 Coc, Petrona 375 Coc, Viktoria 375 Coconá, Bartholomé 361 Col, Juana 373 Colbert, Jean-Baptiste 100 Colebrooke, Henry Thomas 155 Colebrooke, William 308f., 311, 315 Colines, Simon de 138 Collinge, H.B. 309 Colón, Diego 159f. Comental, NN (Pater) 38 Condarco-Morales, Ramiro 397 Conti, Niccolò de’ 153 Cook, James 10 Coparcari, Francisco de Asis 391, 393 Cornets de Groot, Adriaan David (jun.) 23, 223–243 Cornets de Groot, Adriaan David (sen.) 224 Cornets de Groot, Johann Pieter 224 Correia da Rocha, Manuel 217 Cortés, Hernán 21, 161–163, 166, 168–176, 180f., 201 Coy, José Domingo 359

Crawfurd, John 238, 259 Crèvecœur, Michel Guillaume St. Jean de 102 Cu, Luisa 374 Cu, Mathilde 374f. Cu Cajbom, Emilia 373 Cuauhtémoc 162 Cucul, Félix 369 Cunha, António Álvares da 206, 210 Cuz, Filomena 375 Cuz, Irma (Nan) 375 Daendels, Hermann Willem 227, 229 Danckaerts, Sebastiaen 119 Danilevsky, Nikolai I. 337 Dätz, Arnold 372f. Davis, Natalie Zemon 102 Deng Xiaopeng 341 Denevan, William 385 Denonville de Montbazillac, Jacques-René de Brisay de 104 Deursen, Arie Theodorus van 108 Diáz del Castillo, Bernal s. Castillo Dickason, Olive Patricia 105 Diemen, Anthonius van 352 Dieseldorff, Erwin Paul 355–357, 361, 365, 368–371, 374 Dieseldorff, Gertrude 375 Dieseldorff, Heinrich Rudolf 365 Dieseldorff, Herbert Quirin 370 Dieseldorff, Martha 375 Dieseldorff, Willy 374f. Dionysius a Corona Spinea 88 Dircksen, Katrin 161 Doman (Khoikhoi) 190 Dröge, Hugo 376 Düring, Hans 373 Durnovo, Peter Nikolaevich 326f. Eder, Francisco Javier 391 Eggert, Johanna 294 Elias a Sancto Alberto 82 Elias, Norbert 68 Eliot, John 197 el Murjebi, Shech Hamed bin Muhammed 298 Enciso, Martín Fernández de 172 Engelaer, Johannes 125 Engelaer, Samuel 125 Enrique (Sklave Magellans) 26, 148, 349 Erzberger, Matthias 300 Escobar, Bartholomé de 38

Personenregister Estrada, María de 169 Eva s. Krotoa Evans, James 105 Ezguerra, Domingo 258 Ezpeleta Goñi, Jerónimo Javier 82, 84 Fabritius, Ludwig 85 Faria, Pero de 348 Febrés, Andrés 69, 71 Fedeli, Barnaba 78f. Federigo II. Gonzaga 139 Federmann, Nikolaus 177 Felípe, Felipillo (Indio) 21, 164f., 170, 174 Fernando de Aragón (Indio) 159 Flesché, Jessé 97 Foertsch, Henrike 41 Fonseca, João Severiano da 391, 394 Foucault, Michel 249 França, Pinto de 354 Francisco, Melchior de 123 François, Curt von 220 Frank, Stephen 326 Franz I. (König von Frankreich) 138 Franz Xaver 350 Frauenhäusl, Siegfried von 57 Frey, Martin 372 Gabelentz, Georg von der 275 Gabriel de Chinon 84 Gabriel de Paris 83 Galvão, António 346f. Gama, Vasco da 134, 184 García, Francisco de 361 García, José 64 Gardane, Ange de 79 Gaspar de S. Agustín 258 Gavilán, Ramos 399 Gericke, Johann F.C. 242 Germano 220 Gesner, Conrad 247 Girschner, Max 277 Goderich, Frederick John 309 Gómara, Francisco López de 180 Gonsalves, João 123 Gónzalez, Gil 161 Gorbachev, Mikhail 341 Götzen, Adolf von 293 Graman Quacy 191–194, 200 Greer, Allan 108 Gregg, Richard 376 Gressler, Albertina 374 Griffin, NN 313

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Grijalva, Juan de 165 Grothe, Hugo 366 Gruner, Hans 269 Guerra Gutiérrez, Alberto 397 Guerrero, Gonzalo 21, 168, 174 Gumilev, Lev 25, 339f. Guzmán, Domingo de 355 Haeserijn, Esteban 360, 371 Haimhausen, Karl 53, 62 Hairun (Sultan) 351 Hamengkubuwana II. 235–237, 243 Hamenkubuwana IV. 231 Hanke, August 264 Hart, William B. 200 Haverkamp, Anselm 19, 44 Havestadt, Anna Elisabeth 50 Havestadt, Bernhard 19, 47–73, 258 Havestadt, Franz Wilhelm 50 Heinemann, Hermann 375 Heinke, NN 289 Helmrich, August 367 Helmrich, Gustav 357, 371 Helmrich, Isabel Klärchen 371 Hernandez de Córdoba, Francisco 165, 168, 187 Hernandez, Magdalena 355, 368 Herrera, Beatriz de 187 Hespers, NN 298 Heyberger, Bernard 92 Hippokrates von Kos 86 Hoenes, Samuel 373 Hohermuth von Speyer, Georg 177f. Holguín, Diego Gonzáles 37 Hoogesteijn, Assuerus 119 Houben, Vincent 225f. Houtman, Frederik de 26, 349 Hueber, Balthasar 64 Humboldt, Alexander von 212 Humboldt, Wilhelm von 23, 71f., 132, 247, 253–260 Hummler, Elise 376 Hutten, Philipp von 177f. Ical, Maria 372 Ijsseldijk, Wouter H. van 228 Inda, Lorenzo 401 Ingoli, Francesco 82 Irala, Domingo Martínez de 179 Iskandar Muda 347 Ivens, Roberto 219

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Personenregister

Jaafar, Dato Onn bin 318 Jacobus de Voragine 368 Jacquet, Eugène Vincent Stanislas 23, 247, 253–260 Jakob I. (König von England) 347 Jakobson, Roman 25, 332–335 Jaramillo, Juan de 162, 180 Jayawardene, Junius Richard 321 Jerez, Rodrigo de 158 Joannes Thadaeus a Sancto Eliseo 80 Johnson, Sir William 195 Jones, William 154, 239 Juan (Infant von Spanien) 159 Juan de Aragón (Indio) 159 Juan, Juanillo (Indio) 164 Junius, Robertus 20, 116–123

Leont’ev, Konstantin 337 Lepsius, Karl Richard 275 Liebert, Eduard von 286 Liegnau, Lieselotte 376 Linné, Carl von 191 Linschoten, Jan Huygen van 347 Lippe, Hendrik F. 228 Lipton, Thomas 308 Livingstone, David 212 Lizarraga, Reginaldo de 399 Lorosa, Alfonso de 150 Louise de Savoie 138 Lozano, Pedro 34, 38 Ludwig XIII. (König von Frankreich) 77 Ludwig XIV. (König von Frankreich) 77, 82 Lutz, John Sutton 100

Ka’al, Juan 370 Kaempfer, Engelbert 85 Karahasan, Devrim 100 Karl III. (König von Spanien) 56 Karl V. (Kaiser) 133–136, 138, 165, 176, 180 Karunrung 351 Kaufmann, J.G. 49 Kleffert, Nikolaus 69–71 Klingenheben, August 270 Kloosterboer, Wilhelmina 352 Klug, Wilhelm 373, 375, 377 Klug Macz, Maria Luisa 375 Knab, Sebastian 91 Kock, Hendrik Markus de 235–237 Kollmann, NN (Leutnant) 276 Kolumbus, Christoph 21, 131f., 158–161, 172, 184, 187 Koppelmann, Heinrich 336 Krause, Max 267 Krauss, Michael 380, 397 Krings, Max 368 Krotoa (Eva) 189–191, 198, 200f. Kwasímukámba s. Graman Quacy

Macaulay, Thomas Babington 312 MacGillavrij, Hendrik M. 231f., 234f., 239f. Mackenzie, Stuart 305, 311 Mactabaz, Juan 357 Macz, Carmen 375 Madeira Santos, Catarina 208 Madockwando 100 Magellan, Fernando 21, 26, 131–137, 147, 349 Magio, Antonio 391, 393f. Maldonado, Alonso de 357 Maldonado, Francisco 161 Malinche 21f., 161–164, 170–175, 180f., 198 Malintzin s. Malinche Manco Inca 165 Mangkubumi 227, 232 Mangold, Sabine 279f. Manuel I. (König von Portugal) 134 Maria de Medici 97 Marie de l’Incarnation 99 Marr, Nikolai 25, 328–330, 332f. Marsden, William 259 Martín, Estéban 177 Martín, Martinillo (Indio) 164 Martír, Pedro 153, 160, 172 Martyr, Peter s. Martír, Pedro Marx, Karl 328 Masani, Zareer 323 Mathaeus a Sancto Joseph 88 Mauricius, Jan Jacob 192 Mechow, Alexander von 219 Meerhoff, Pieter van 190 Meinhof, Carl 266, 269f., 273, 275, 278, 285, 293

Landa, Diego de 187f., 197 Lang, Matthäus 138 Las Casas, Bartolomé de 160f., 357 Lawson, John 178 Leahey, Margaret 119 Leclerc, Charles 391, 393 Lee, Kenneth 385 Lehmann, Walter 404 Lenin, Wladimir Iljitsch Uljanow 327 Lenz, Rodolfo 71

Personenregister Mejia, Angelina 373, 377 Melchiorillo (Indio) 165f., 174 Melgarejo, Rodrigo 38 Melià, Bartomeu 31, 36, 39, 43 Mendoza, Pedro de 179 Mercado de Peñalosa, Petro de 398 Merklein, Johann Jacob 189 Merrell, James H. 200 Metcalf, Alida C. 200 Métraux, Alfred 400, 403f. Miller, Anton 66 Mirbt, Carl 297 Mischlich, Adam 269 Mitre, Bartolomé 47 Moctezuma 168, 171, 173, 176, 180 Molina, Alonso de 171 Montejo, Francisco de 187 Montour, Andrew 194f., 199–201 Montour, Madame 195 Montoya, Antonio Ruiz de 18f., 31–45, 48, 258 Morales, Juan 359 Morantz, Toby 103 Morgan, R.F. 313 Morgapa, Manuel 353 Moritz von Oranien 351 Möschler, Heinrich 372 Möschler, Stefan 375 Muñoz Camargo, Diego 169 Murav’ev, Mikhail 325 Murillo, NN 171 Murr, Christoph Gottlieb von 59, 61 Musgrove, Mary 199 Muteba 214–216 Nachtigall, Gustav 277 Nahuijs van Burgst, Huibert G. 229f. Napoleon I. 250 Narváez, Pánfilo de 171 Nebrija, Elio Antonio de 33, 257 Nebrixa, Antonio von s. Nebrija Neck, Jacob van 351 Neumann, NN 259 Ngabehi Jasadipura, Mas 241 Nicuesa, Diego de 171 Nikolaus II. (Zar) 327 Nobre, Domingos Fernandes 200 Nóbrega, Manuel de 42 Nuyts, Pieter 126 Occom, Samson 197 Oesterreicher, Wulf 47

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Oglethorpe, James 199 Oidtmann, Johann Wilhelm von 59, 61 Olinda, Hilletie van 199 Olivares, Miguel de 68 Orbigny, Alcide d’ 387, 391, 393f. Ortega, Juan 171 Ortiz, Juan 178 Ovalle, Alonso 68 Pacay, Rosario 372 Pacay, Viktoria 373 Pacheco, José Emilio 157 Pagden, Anthony 169 Pakubuwana III. 227, 241 Pakubuwana IV. 228f., 232, 241 Pakubuwana VI. 232–234, 236, 242 Paraupaba, Anthonio 125 Pareto, Vilfredo 342 Paschoal, Xavier Domingos 210 Passé, H.A. 317 Pastedechouan, Pierre-Anthoine 201 Pattingalloang 351 Paucke, Florian 34 Paul III. (Papst) 95 Pérez, Jacinto 183 Pérez Artiaga, Juan 172 Personn, Hermann 302 Peschke, Heinrich 68 Peters, Carl 267 Petrus Paulus a Sancto Francisco 79 Phélypeaux, Jean Frédéric 101 Philipp III. (König von Spanien) 77 Philipp IV. (König von Spanien) 113 Picquet, François 82 Pidianske 100 Pierson, Philippe 98 Pigafetta, Antonio 21, 131–155, 349 Pinket van Haak, Diederik W. 228 Pinto, Mendes 347 Pires, Tomé 346 Pizarro, Francisco 163–165, 170 Pizarro, Pedro 164 Platon 83 Podruchny, Carolyn 102 Pogge, Paul 211, 220 Polo, Marco 142, 153 Poma de Ayala, Guamán 164 Pomey, Franciscus 61 Ponce de León, Juan 184 Ponnambalam, Ganapathipillai Gangaser 321 Poou, Manuela 372

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Personenregister

Potter, Simon 310 Poty, Pieter 108, 113, 125 Prehn, Rijck van 228 Preuss, Paul 366 Price, Richard 194 Prietzel, Rudolf 277 Prosperus a Spiritu Sancto 82f. Putmans, Hans 118 Quinckhard, Hans 375 Quirin, Max 375 Rabe, Jacob 201 Raffles, Thomas Stamford 227, 229f., 238, 259 Raleigh, Walter 184 Ramusio, Giovanni Battista 138 Raphaël du Mans 19, 80f., 84f., 91f. Razak, Tun Abdul 318 Rechenberg, Albrecht von 301 Reimer, Dietrich 276, 278 Reinhard, Wolfgang 11, 67, 181 Restivo, Paolo 32, 40, 43f. Richter, Daniel K. 185 Richter, Julius 288, 292, 294 Riebeeck, Jan van 189f. Ringwald, Susanne 376 Rivas, Filomena 377 Rivero Pinto, Wigberto 383 Rodríguez Bazán, Luis Antonio 384 Rolander, Daniel 192 Romero, Juan 35 Roordas, Taco 242 Rosales, Diego de 68f. Roth, Anna 371 Roth, Heinrich 183 Rousseau, Jean-Jacques 101 Ruiz, Bartolomé 163 Ruppenthal, Jens 279 Russell, John 305 Sachau, Eduard 24, 261–266, 272–274, 278–280 Sagard-Théodat, Gabriel 102 Said, Edward W. 249–252, 256, 260 Salis, Adriaan M. Th. Baron de 231, 238 Saint Castin, Jean Vincent d’Abbadie de 100 Sánchez Farfán, Pedro 169 Santa Cruz, Francisco de 161 Sapper, Daniel 367 Sapper, David 367

Sapper, Karl Theodor 357f., 361, 363, 365, 367–369 Sapper, Richard 365, 367 Sarg, Franz 369 Sasradiningrat II. 230, 233 Sassamon, John 197f. Sasse, Hans-Jürgen 381 Sassetti, Filippo 154f. Saussure, Ferdinand de 332f. Savitsky, Pyotr 331f. Schäfer, Georg 375 Schiebinger, Londa 192, 370 Schlieben-Lange, Brigitte 47 Schmidel, Ulrich 179 Schmidt-Riese, Roland 47 Schnee, Heinrich 301 Schütt, Otto 219f. Seidel, August 278 Seler, Eduard 361, 368f. Seler-Sachs, Cecilie 361, 368 Sellano, Felice Maria da 79 Serrão, Francisco 134 Sevenhoven, Jan I. van 231, 235 Sheriman (Familie) 78 Sierra, Maria Christiana 373 Simon, Gottfried 302 Soler, Vincent 120 Soto, Hernando de 178 Soyaux, Herman 212 Spangenberg, Adolf 370 Spengler, Oswald 337 Stalin, Josef 329 Standley, Paul Carpenter 362 Steckley, John 98 Stedman, John Gabriel 191f. Sterkel, Emil 377 Sterkel, Johanna 377 Sterkel, Julius 377 Sterkel Caal, Paulina 377 Stoecker, Holger 279 Stoll, Otto 361 Stolypin, Pyotr 326 Strübel, Hieronymus 60 Suleiman der Prächtige (Sultan) 137 Sviatoslav (Fürst von Kiev) 340 Swettenham, Frank A. 309, 316 Szabo, Henriette Eva 383 Talfinger, Ambrosius 177 Tavernier, Jean-Baptiste 85, 87 Teensma, Benjamin 352f. Terreros, Pedro de 160

Personenregister Thermer, Franz 358 Thomas von Aquin 86 Thomas, Hugh 180 Thomson, NN 259 Tilhac, Jacques 91f.. Tippu Tip 298 Todorov, Tzvetan 173, 181 Toledo, Francisco de 398 Tomacaúna s. Nobre, Domingos Fernandes Tönjes, Hermann 269 Toral, Francisco de 188 Torquemada, Juan de 170 Torres, Fidel 375 Torres, Luis de 21, 158, 172f. Torres, Pedro 359 Totanes, Sebastian de 254 Tovar, Antonio 47 Transylvanus, Maximilianus 138 Trubetskoy, Nikolai 25, 332–338 Trubetskoy, Sergei 334 Trujillo, Ginés 171 Türckheim, Hans von 362, 369, 372 Tumbala (Indio) 164 Tux, Poncio 356 Uhle, Max 400, 403f. Urban VIII. (Papst) 95 Valdivia, Luis de 60, 68f., 71 Valentijn, François 353 Valverde, Vicente de 164 Varthema, Ludovico di 153 Vazquez de Espinosa, Antonio 399 Vedder, Heinrich 276 Vega, Garcilaso de la 178 Vellard, Jehan 401, 403–405 Vernadsky, Georgy 333 Vernadsky, Vladimir 333 Vespucci, Amerigo 153 Villiers de l’Isle Adam, Philippe de 139 Volney, Constantin François 253 Wagenaar, Zacharias 191 Wallace, Alfred Russel 354 Wallin, Ruth 388, 390f., 394 Warkentin, Germaine 102 Weichert, Ludwig 294 Weiser, Conrad 195 Wellmann, Viktor 373, 375f. Wellmann Coc, Alberto 375 Welser, Familie 177 Wendt, Reinhard 37

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Wesley, John 199 Westermann, Diedrich 269 Weye, Ferdinand von 367 Wheelock, Eleazar 197 White, Richard 183, 225f. Winter, Johannes W. 228f. Wirsing, Paul 360, 370–372 Wissmann, Hermann von 220 Wohlers, Maximilian 375–377 Wohlers Rivas, Angelina 375–377 Wohlers Rivas, Eduard 377 Wolfwisen, Franz-Xaver 19, 54, 64, 69–72 Wurffbain, Sigmund 189 Xe, Joaquin 372 Xe, Pablo 372 Ximenez, Juan López de 161 Yannakakis, Yanna 196 Zache, Hans 276 Zech, Julius von 276 Zeitler, Joseph 68 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von 195

ORTSREGISTER

Aceh (Sumatra) 26, 347–349 Achao (Chile) 66 Afrika 12–17, 179, 184, 213f., 221, 263f., 268, 281, 374, 397 Ägypten 250, 299 Akadien (Kanada) 95–105 Alberta (Kanada) 103 Alta Verapaz (Guatemala) 26, 355–378 Amazonien 26f., 383, 385f., 389f. Ambaca (Angola) 204, 209, 215 Ambon 236, 352 Amerika 14, 21, 153, 157–176, 178 Amsterdam 26, 52, 86f., 349 Ancoaqui (Bolivien) 400 Ancyra 79 Angers 201 Angola 22, 25, 203–222 Antigua-Guatemala 376 Arauco (Chile) 54 Araukanie (Chile) 63, 71 Argentinien 16, 383, 396 Asien 14–17, 142, 253, 263, 310, 331 Asunción 38 Äthiopien 281 Augsburg 177 Australien 322, 397 Babylon 82 Bahamas 172 Bahia 200 Baja Verapaz (Guatemala) 358 Bandar Abbas (Iran) 88 Banten (Java) 351 Barmen 269 Basel 293 Batak (Sumatra) 348 Batavia 26, 118, 223f., 228, 231f., 234, 236f., 239–241, 351–353 Baures (Bolivien) 383–395 Bécancourt (Kanada) 98 Belgisch-Kongo 284f. Belize 355, 358, 365, 371 Benguela (Angola) 204, 208, 212f. Beni (Bolivien) 383, 387 Benin 15 Berlin 23f., 261–280, 284, 293, 295, 360, 369f., 374, 404

Berlin-Dahlem 369 Bié (Angola) 212 Bielefeld 294 Bilbao 360 Bolivien 27, 379–407 Borneo 345 Boston 368 Brasilien 14, 20, 107–128, 135, 143, 146, 185, 198, 200f., 383, 387 Britisches Empire 23, 305–307, 313, 319f. Buenos Aires 52 Büren 51 Burma 351 Burundi 281 Cádiz 58 Cahabón (Guatemala) 359, 377 Cajamarca (Peru) 164f. Calicut (Indien) 134 Callao (Peru) 58 Campur (Guatemala) 373 Caretas 171 Carolina 178 Cartagena 58 Castro (Chile) 64 Ceará (Brasilien) 122, 127 Cebu (Philippinen) 349 Ceylon s. Sri Lanka Chajcar (Guatemala) 368 Chamá (Guatemala) 368 Chichen Itzá (Mexiko) 187 Chile 16, 19, 47–72, 165, 170, 396, 402 Chillán (Chile) 57 Chiloé 63, 66f., 71 China 12, 80, 97, 109, 111f., 127, 133, 341f., 347 Cholula (Mexiko) 173 Cobán (Guatemala) 355, 359, 363, 365–367, 372, 374, 376 Coipasa-See (Bolivien) 395, 398f. Colombo 352 Concepción (Chile) 54 Concepción de Baures s. Baures Corpa (Bolivien) 396 Cubagua 158 Cuzco 38, 165

418 Danzig 359 Dar es Salaam 276f., 289, 295 Delft 242 Delhi 350 Den Haag 86, 224, 336 Desaguadero-Fluss (Bolivien) 398f. Deutsch-Ostafrika 23, 275, 281–303 Djocja (Java) 235 Ebenezer (Georgia/USA) 199 El Carmen (Bolivien) 383, 386, 390 Ellis Island (New York/USA) 377 England 198, 314, 347 Eritrea 281 Eton 318 Florenz 153 Florida 184, 197 Formosa s. Taiwan Fort Pitt (Pennsylvania/USA) 195 Fort Zeelandia (Taiwan) 114, 119 Frankfurt am Main 359 Frankreich 97–99, 103, 105, 124, 138, 194 249f. Gambia 184 Gaspé (Kanada) 104 Genua 133 Georgia (USA) 199 Gewürzinseln s. Molukken Giyanti (Java) 227 Goa 134, 347 Golungo (Angola) 215 Gowa (Sulawesi) 351 Gran Chaco 179 Gresik (Java) 224 Groningen 223f. Großbritannien 104f., 194 Guatemala 26, 161, 172, 355–378 Guinea 191 Guinea-Bissau 184 Guinea-Conakry 13, 17 Hadamar 51 Halle/Saale 270 Hamburg 265f., 269f., 273, 278 Harvard 332 Haus Geist 52, 58 Havanna 58 Hawaii 10 Holland s. Niederlande Honduras 162, 180, 355

Ortsregister Horstmar 52 Huronia (Kanada) 97f. Île-de-France 103 Imola 56 Indien 25, 82, 84f., 97, 112, 134, 154, 183f., 292, 307, 309, 311–313, 315, 323f., 347, 352 Indischer Ozean 346, 351 Indonesien 23, 119, 153, 292, 346 Irohito (Bolivien) 395–397, 400–405 Isfahan 19, 75–91, 350 Isluga (Chile) 402 Italien 91, 138, 249 Jamaika 15 Japan 111 Java 23, 117, 189, 223–243, 346, 350f. Juli (Peru) 37 Kairo 270 Kalanyi (Angola) 214–216 Kalkutta 239 Kamerun 277 Kanada 20, 95–105, 119, 182, 184, 198, 201, 322 Kanaren 135 Kap der Guten Hoffnung 186, 189f., 198, 200 Kapverdische Inseln 184 Karema (Tansania) 284 Karibik 14, 179, 184, 383 Kasai (Belgisch-Kongo) 285 Kassai-Fluss (Angola) 215, 222 Kastilien 158 Kenia 281 Kete-Kratschi (Togo) 269 Kiew 334 Kingston (Jamaika) 367 Kivu (Belgisch-Kongo) 284 Köln 19, 50, 52, 59, 61, 136 Komoren 282 Kongo 11f., 203, 206, 214, 222, 281 Konstantinopel 133, 334 Kuala Kangsar (Malaysia) 318 Kuba 158–160, 169 Kupang (Westtimor) 354 Kwango (Angola) 204f., 207, 212f., 215, 217, 222 La Coruña 136 La Mocha (Chile) 54

Ortsregister La Paz 396 La Plata 179 Las Pacayas (Guatemala) 368 Lateinamerika 26, 37, 188, 379 Leiden 119 Leipzig 270, 295 Lemgo 85 Levante 133 Lima 34, 37, 47, 53, 58, 69 Lippe 85 Lissabon 52, 219f. Lombardei 136 London 191, 308 Loreto 38 Louisiana 185, 197 Lóvua (Angola) 216 Luanda (Angola) 203f., 206, 208, 213f. Lucamba (Angola) 209 Lulua (Angola) 215 Lunda (Angola) 210, 213–217, 219–221 Luxemburg 70 Macao 109, 111 Machaca (Bolivien) 398 Mactan (Philippinen) 134 Madagaskar 349 Madrid 39, 77 Magdalena (Bolivien) 388 Magellanstraße 135, 153 Mailand 139 Malabarküste 134 Malacca 134, 148, 345f., 348f., 352f. Malaiische Halbinsel 345 Malaiische Staaten 24f., 305–324 Malaiischer Archipel 25f., 133, 223f., 259 Malakka s. Malacca Malanje (Angola) 216f., 219 Malawi 282 Malaysia 307, 317f., 321–324 Manado (Sulawesi) 350 Mangualde (Portugal) 352 Mani (Yucatán/Mexiko) 186, 188 Manila 254f., 258 Manitoba (Kanada) 103 Mantua 139 Maranhão (Brasilien) 122 Marianen 142, 275 Marokko 349 Mataba (Angola) 216 Matanzas (Kuba) 169 Mataram (Java) 226f. Mauretanien 13

419 Mauritius 190 Mayotte 282 Mbangala (Angola) 220 Mendoza (Chile) 54f. Mexiko 14, 16, 163f., 166, 168, 170, 173, 180f., 186, 198, 258 Minangkabau (Java) 226 Mittelamerika 181, 355 Mittlerer Osten 13 Molukken 117–119, 133–137, 142–144, 149f., 346, 348, 350 Mosambik 220, 282 Moskau 334 Moxos (Bolivien) 27, 383, 385–388 Münster/Westfalen 19, 49, 51, 58f. Mussumba (Angola) 214, 216 Nachitschevan (Aserbaidschan) 91 Nacimiento (Chile) 54 Naher Osten 263 Namibia 268, 374 Navidad (Hispaniola) 158 Ndongo (Angola) 203 Negri Sembilan (Malaya) 307, 315 Neu-Djulfa (Persien) 75–78, 91 Neuengland 197 Neuguinea 264, 279 Neuseeland 322 Neuspanien s. Mexiko Neuss 51 New York 194f., 197, 199f. Nicaragua 161 Niederlande 23, 116–118, 120–122, 125, 191f., 224, 231, 239, 241–243 Nordafrika 299 Nordamerika 14f., 27, 105, 178f., 181, 194, 196–198, 226 North Carolina 184 Nouday (China) 347 Nürnberg 59 Oaxaca (Mexiko) 196 Ohio 186, 194f. Oruro (Bolivien) 402 Osmanisches Reich 75, 78 Ostafrika 25, 268, 275f., 282, 292, 300, 303 Ostasien 16 Ovimbundu (Angola) 212 Pacajes (Bolivien) 398 Pahang (Malaya) 307, 315 Panachajel (Guatemala) 375

420 Panama 53, 58 Panchusac (Guatemala) 364 Panzós (Guatemala) 359, 366 Paraguay 32, 34, 36, 63, 67f., 383 Paramaribo 191 Paris 86, 99, 130, 253 Patagonien 135, 143f., 147f., 154 Pavia 138 Payta (Peru) 171 Peking 350 Pennsylvania 195f. Pentagouet (Kanada) 101 Perak (Malaya) 307, 309, 315 Pernambuco 113 Persien 75–93 Persischer Golf 133 Peru 163f., 174, 383, 398, 402 Petén (Guatemala) 358 Philippinen 135, 144, 148, 154, 254 Poechos (Peru) 164 Polen 326 Polynesien 132 Poopó-See 395, 398f., 402 Porto Bello 58 Portugal 114, 133, 136, 138, 184, 206, 349 Prag 332 Preußen 262, 265 Puerto Barrios (Guatemala) 366 Puerto Viejo (Peru) 164 Puna (Peru) 164, 171 Pungo Andongo (Angola) 211f. Punjab 313 Puno (Peru) 402 Québec 98, 102 Quito 161, 164f. Ravensburg 377 Rheinland 302 Rhodos 137, 139 Rio de Janeiro 52 Rio Grande do Norte (Brasilien) 126 Rixdorf 277 Roanoke (North Carolina/USA) 184 Robben Island (Südafrika) 191 Rom 33, 77, 92, 130 Rostov 334 Rotes Meer 133 Ruanda 281 Rüsselsheim 370 Russland 325–327, 330, 337, 342

Ortsregister Sahara 299, 303 Saint François de Sales (Kanada) 98 Saint Germain 99 Salvador de Bahia 117 Salzburg 138 Sambesi 213–215 Sambia 282 San Cristóbal (Chile) 54 San Cristóbal Verapaz (Guatemala) 359, 364 San Joaquín (Bolivien) 384, 386, 390 San Juan Chamelco (Guatemala) 357, 359 San Juan de Coripata (Chile) 402 San Juan Nepomuceno (Chile) 54 San Martín (Bolivien) 386 San Miguel Senahú (Guatemala) 375 San Miguel Tucurú (Guatemala) 359, 366 San Pedro Carchá (Guatemala) 356, 362, 373 San Simón (Bolivien) 386 Sanlúcar de Barrameda 135 Santa Ana de Chipaya (Bolivien) 395 Santa Cruz Verapaz (Guatemala) 359 Santa Fé (Chile) 54f. Santa María Cahabón (Guatemala) 359 Santiago de Chile 53f., 62, 70 São Salvador 12 Saragossa 136 Saskatschewan (Kanada) 103 Schorndorf 277 Schottland 198, 314 Schwarzes Meer 133 Schweiz 379 Selangor (Malaya) 307, 315 Semarang (Java) 228 Senegal 13, 184, 200 Setzac (Guatemala) 362 Sevilla 133–135, 138 Sierra Leone 13 Sillery (Kanada) 98 Sincan (Taiwan) 119–121 Singapur 307, 314 Skandinavien 249 Solo (Java) 235 Soloma (Guatemala) 358 Somalia 281f. Songea (Tansania) 290 Songo (Angola) 220 South Carolina 199 Sowjetunion 25, 325–342 Spanien 133, 136, 138, 150, 158, 160f., 164, 188, 357 Sri Lanka 25, 305–324, 352f.

Ortsregister Straubing 179 Sudan 282, 287, 292, 299 Südafrika 22, 189 Südamerika 14, 179, 181, 192, 246, 397 Südasien 16 Südostasien 11, 25f., 118, 224, 254, 258, 307, 315, 345–354 Südsee 264, 270 Südwestafrika 268, 271 Sulawesi 350 Sumatra 26, 226, 345, 349 Surabaya 241 Surakarta (Java) 23, 223–243 Surinam 22, 186, 191–194, 200 Syrien 92 Tabasco (Mexiko) 166 Täbriz 84 Tadoussac (Kanda) 98 Taiwan 20, 107–126 Tanga (Tansania) 276f., 291 Tansania 24, 281–283, 303, 322 Tenochtitlán (Mexiko) 162, 171, 173, 180 Ternate (Molukken) 346, 348, 351 Titicacasee 395, 397, 401, 403 Tizimin (Yucatán/Mexiko) 188 Tlatelolco (Mexiko) 162 Tlaxcala (Mexiko) 162f. Togo 269, 276f. Tordesillas 134 Toskana 79 Trier 50 Trinidad (Bolivien) 388 Trois Rivières (Kanada) 98 Túmbez (Peru) 163, 171 Uganda 281 Ukraine 340–342 Uraba (Kolumbien) 172 USA 306, 332, 360, 379 Uspatán (Guatemala) 358 Utrecht 241 Valdivia (Chile) 54 Valparaíso 58 Vatikan 206 Venedig 79, 133 Venezuela 177 Versailles 301 Vicenza 21, 133, 136 Villarica (Chile) 55 Virginia 185, 197

421 Wales 314 Warschau 325f. Westafrika 11, 13, 179f., 184, 196, 198f. Westtimor 354 Wien 334 Witzenhausen 264 Württemberg 195 Yogyakarta (Java) 225, 227f., 235–237, 243 Yucatán 22, 165, 168, 180, 186–188, 197, 355 Zacapa (Guatemala) 365 Zentralafrika 11, 13, 178, 213, 221f. Zentralamerika 16, 368 Zizow (Pommern) 269

B E I T R ÄG E Z U R E U RO PÄ I S C H E N Ü B E R S E E G E S C H I C H T E bis Band 88: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte

Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte herausgegeben von Markus A. Denzel, Hermann Joseph Hiery und Eberhard Schmitt.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 0522–6848

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